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29. September 2009Christoph Schindler
Sabine Kraft
ARCH+

Digitale Schreinerei

Der Holzbau bietet aufgrund der im Vergleich zu anderen Baustoffen leichten spanenden Bearbeitbarkeit von Holz und Holzwerkstoffen ein weites Experimentierfeld...

Der Holzbau bietet aufgrund der im Vergleich zu anderen Baustoffen leichten spanenden Bearbeitbarkeit von Holz und Holzwerkstoffen ein weites Experimentierfeld...

Der Holzbau bietet aufgrund der im Vergleich zu anderen Baustoffen leichten spanenden Bearbeitbarkeit von Holz und Holzwerkstoffen ein weites Experimentierfeld für digitale Entwurfs- und Fertigungstechniken: In keinem anderen Baumaterial ist es so einfach, individuelle Bauteile herzustellen. Dementsprechend sind in den letzten fünf Jahren eine ganze Reihe ungewöhnlicher Experimente im Maßstab 1:1 realisiert worden, die den traditionellen Werkstoff Holz in einen neuen Kontext stellen. Ungewöhnlich insofern, als diese Experimente weder unter die Kategorie der klassischen Stabkonstruktionen subsumiert werden können, noch direkte Verwandtschaft mit den neueren kartenhausartigen Plattenkonstruktionen aufweisen. Bei aller Unterschiedlichkeit verbindet die Projekte ein gemeinsames Vielfaches, das in der Suche nach einer neuen Form der Plastizität zu liegen scheint; man könnte es als ein räumliches Modellieren in Holz bezeichnen, das traditionell unter allen Formen der Holzbearbeitung nur das Schnitzen auszeichnete.

Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Experimente der Inkubator für eine anders geartete holzspezifische Formensprache und neue Tragwerkskonzepte im Holzbau sind, oder ob sich der Neuheitswert in der Umsetzung mit erstaunlich weit vorangetriebenen computergestützten Planungs- und Fertigungsmethoden erschöpft. Zweifel sind zumindest angebracht. Sie können anhand zweier Kriterien, wenn auch sicher nicht abschließend geklärt, so doch in der Diskussion zumindest erhärtet bzw. abgeschwächt werden. Diese Kriterien liegen zum einen in der Methode der Formfindung und zum anderen in der Nutzung der Materialeigenschaften bzw. der erforderlichen Zahl von Arbeitsschritten der Fertigung bezogen auf das Rohmaterial Holz. Die auf den folgenden Seiten aufgeführte Reihe aktueller Projekte ist in vier Gruppen geordnet:

A Eierschneider, einfach

Als „einfache Eierschneiderstrukturen“ können die Ringve Viewing Platform (1), das Semper Depot (2) und in gewisser Weise auch die Wandprototypen (3) bezeichnet werden. Mit der Methode des Zerschneidens in parallele Ebenen, wie es das Haushaltsgerät zur präzisen Herstellung gleich dicker Scheiben hartgekochter Eiern leistet, lassen sich mit einem einzigen Schnitt auf recht einfache Weise beliebig modellierte Volumen in Scheiben zerlegen.

Die im Schneidevorgang entstehenden Teile sind alle gleich breit.
Dadurch ist es einerseits einfach, sie mit einem durchgängigen Konstruktionsprinzip zu verbinden. Andererseits wird die Suche nach einem geeigneten Rohmaterial, aus dem die Einzelteile gefertigt werden können, erheblich erleichtert. Beim Semper Depot (2) sind dies Holzwerkstoffplatten gleicher Materialstärke, aus denen wie bei einem Ausschneidebogen die Einzelteile herausgetrennt werden; bei der Ringve Viewing Platform (1) und den Wandprototypen (3) können die Volumina sogar aus identischen Stabprofilen gefügt werden. Die im Entwurfsprozess vorausgegangene Formbestimmung wird durch die unterschiedliche Ablängung der Stäbe realisiert; durch die Verschränkung der individuellen Einzelelemente in unterschiedlichen Winkeln bzw. ihre schrittweise Positionsänderungen von Schnittebene zu Schnittebene lassen sich plastische Formen als dynamische Bewegung darstellen.

Eierschneiderarchitekturen sind nicht zufällig reine Außenrauminstallationen oder Innenausbauten, da das System in sich rigide ist und sich nur schwer eine Verbindung dieser Strukturen mit der Vielzahl der Anforderungen vorstellen lässt, die an ein Gebäude gestellt werden. Da die parallelen Ebenen linear aneinander gereiht sind, ist eine Ecklösung innerhalb des gleichen Konstruktionsprinzips ausgeschlossen.

B Eierschneider, zweifach

Ecklösungen gelingen durch das Hinzufügen eines zweiten Schnitts mit dem Eierschneider. Dieser wird entweder rechtwinklig zur ersten Schnittebene geführt, so dass wie bei Camera Obscura (4), Metropol Parasol (6) und Serpentine Gallery (7) aus der Schnittrichtung ein Quadratraster entsteht; oder aber in einem anderen Winkel ein Rautenmuster erzeugt wird wie bei Burst (5) und dem Austria Center (8). Der zweite Schnitt bringt einen konstruktiven Vorteil mit sich, da die dabei entstehenden Teile als Abstandshalter für die im ersten Schnitt erzeugten Teile eingesetzt werden können; dies erlaubt es, die Mehrfach-Eierschneiderstrukturen wesentlich luftiger zu gestalten als die massiven Einfach-Eierschneider. Gleichzeitig aber zeigt sich bei den Mehrfach-Eierschneidern eine stärkere Tendenz, die Faserrichtung des Holzes außer Acht zu lassen und plattenförmige Holzwerkstoffe als Ausschneidebögen für die Einzelteilfertigung einzusetzen. Dies ist besonders augenfällig bei Projekten wie Metropol Parasol (6), bei denen die Formgebung in keinerlei Beziehung zur Konstruktion zu stehen scheint. Befremdlich wirken dann auch die pilzförmigen Stützen der Parasols, die das Quadratraster enorm verzerren, da sie parallel zur Schneiderichtung stehen und die nur dreiachsig bearbeiteten Einzelelemente in der Verschneidung der Bauteile mit der gekrümmten Oberfläche des modellierten Volumens offenkundig nicht zusammenpassen. Die Serpentine Gallery (7) umgeht diese Problematik, indem sie die fünf Raumbegrenzungsflächen getrennt voneinander mit jeweils zwei Eierschneiderschnitten bearbeitet.

Einzig der Camera Obscura (4) gelingt es, ein plastisches Volumen aus Vollholzstäben zu erzeugen, indem der als Ausgangsform dienende Würfel nach zweimaligem Zerschneiden um seine Mittelachse verdreht wird. Die Bauteile des Austria Centers (8) hingegen sind so groß, dass sie ohne den Umweg über die Holzwerkstoffplatte projektspezifisch als gekrümmt verleimtes Brettschichtholz wie klassische Leimbinder gefertigt wurden und somit die Faserrichtung dem modellierten Volumen folgen kann. Der rautenförmige Verschnitt der Binder ist allerdings konstruktiv nicht erforderlich.

C Faltstrukturen

Während die Eierschneider-Strukturen mehr oder weniger deutlich nicht konstruktiv motiviert sind, versuchen Faltstrukturen wie der Origami Bogen (9) und die Kapelle St. Loup (10) der Brettsperrholzplatte ein Potenzial für Tragwerke abzugewinnen. Insofern besteht eine gewisse Affinität zu den neueren Plattenkonstruktionen. Durch das Auffalten von Flächen in einzelne Brettsperrholzelemente sollen diese gezielt mehr durch Normalkräfte in der jeweiligen Ebene als durch Momente beansprucht werden. Das Auffaltungsprinzip ist allerdings eher von der Umsetzung japanischer Papierfalttechnik mit den Möglichkeiten des Brettsperrholzes als der digitalen Fertigungstechnik geleitet; dies zeigt sich an der manuell gefertigten Konstruktion des Bogens (9) wie auch an der durch intuitives Papierfalten entwickelten Form der Kapelle (10).

D Strukturen mit Kassettenelementen

Größte gestalterische Freiheit ermöglichen Konstruktionen aus individuellen Kassettenrahmen, da ihre jeweilige Geometrie lediglich von den benachbarten Kassetten abhängt. Ein Nachteil solcher Strukturen liegt im Materialaufwand, den die statisch nicht erforderliche Verdopplung der Wandungen mit sich bringt. Wie unterschiedlich der Umgang mit diesem Prinzip sein kann, illustrieren der Swissbau Pavillon (11) und das Betriebsrestaurant Dietzingen (12). Während der Swissbau Pavillon auf einer Kugeloberfläche ein Zellwachstum um gegebene quadratische Öffnungen herum simuliert, dient bei Dietzingen die Kassettenstruktur lediglich dazu, die Flächen zwischen den Primärträgern dekorativ zu unterteilen. Der Swissbau Pavillon ist die einzige Struktur unter den vorgestellten Projekten, die mit einer rechnergestützten Wachstumssimulation aus den Relationen der Einzelelemente ermittelt wurde. Der Beweis, dass ein Bottom-up-Verfahren nicht nur als Forschungsselbstzweck an Europas größter CAD-Professur, sondern auch in einem funktionalen Bauprojekt mit Dutzenden von Gewerken umgesetzt werden kann, steht noch aus.

E Flechtstrukturen

Die beiden Projekte mit den mit Abstand größten Abmessungen und Spannweiten sind das Yeoju Golf Resort (13) und das Centre Pompidou Metz (14). Man kann die beiden nur graduell unterschiedlichen Projekte als eine Weiterentwicklung der Eierschneidermethode betrachten: In beiden Fällen wird eine doppelt gekrümmte Oberfläche von einem hexagonalen Raster (also drei Schnittrichtungen) durchstoßen. Im Gegensatz zu den ein- und zweifachen Eierschneidern wird aus dieser geometrischen Operation nicht das Volumen der Einzelteile, sondern nur deren Mittelachsen errechnet. Die tatsächlichen Volumina der Träger werden dann entlang dieser Mittelachsen in parallelen Trägerlagen jeweils rechtwinklig zur Dachfläche „extrudiert“. Auf diese Weise ist es möglich, sich verwindende, aber in ihren Abmessungen konstante rechtwinklige Querschnitte zu erhalten.

Wie auch beim Origami handelt es sich um metaphorische Entwürfe, welche die Prinzipien anderer Materialien in Holz übertragen: Zur Herleitung der Struktur des Centre Pompidou Metz (14) diente dem Architekten ein geflochtener chinesischer Strohhut. Wenn auch das Flechten der elastischen Halme maßstabsbedingt wirklich nichts mehr mit dem Verleimen und Fügen von starren Brettschichtholzträgern zu tun haben kann, so veranschaulicht die Flechtmetapher doch das mehrlagige „Extrudieren“ der Volumina entlang der Mittelachsen.
Vergleicht man das Centre Pompidou (14) mit der mehrfach gekrümmten Fläche der 35 Jahre älteren Gitterschale der Multihalle Mannheim, stellt man irritiert fest: Beim Centre Pompidou überspannen sechs Brettschichtholzlagen von je 14 x 44 cm bis zu 50 m. Bei der Multihalle überspannen vier Schnittholzlagen von 5 x 5 cm bis zu 60 m. Ob dies damit zu tun hat, dass bei der Formfindung der Multihalle kein chinesischer Strohhut, sondern ein Hängemodell Pate stand?

Was Yeoju (13) und Centre Pompidou (14) deutlich machen, ist das große Potenzial der technischen Umsetzung im Zusammenspiel von Holzbauer, Statiker und Geometrieberater. In der engen Zusammenarbeit war es nicht nur möglich, tausende unterschiedlich gekrümmter Bauteile zu fräsen, sondern durch Formverleimung der Brettschichtholzrohlinge deren Faserwinkel maximal 5° von der Bauteil-Mittelachse abweichen zu lassen. Wobei nicht verschwiegen bleiben sollte, dass von diesen individuell verleimten Rohlingen im nächsten Arbeitsgang noch fast 50 % zerspant werden müssen, bis die endgültige Bauteilgeometrie vorliegt.

Resümee:

1. Die initiale Formgebung der beispielhaft gezeigten Projekte ist weder von den Bedingungen des Werkstoffs noch von funktionalen Anforderungen bestimmt. Ers-teres würde einen konstruktiv geleiteten Entwurf bedeuten, zweiteres im Falle von Gebäuden eine Entwicklung des Entwurfs von innen heraus. Das Gegenteil ist der Fall. Es sind überdimensionale Holzplastiken, deren äußere Gestalt durch ein willkürlich gesetztes Volumen beschrieben wird; willkürlich meint hier einen formgebenden Akt, dessen Parameter nicht herleitbar sind, man könnte auch von sogenannter künstlerischer bzw. freier Gestaltung sprechen.

2. Die Objekte werden im 3D-CAD als geometrisch definierte Volumina ohne Schwerkraft und ohne den Einfluss von Umgebungsbedingungen modelliert. Die anschließende digitale Bearbeitung umfasst die Geometriebestimmung der Einzelelemente sowie deren Fertigungsplanung mitsamt den Stücklisten. Die eigentlichen Chancen eines digitalen Formfindungsprozesses, die nicht zuletzt darin liegen könnten, die Form im Wechselspiel mit den auf sie einwirkenden Kräften auszubalancieren, bleiben ungenutzt. Zu Konstruktionen mit Materialeigenschaften werden die Objekte erst in den anschließenden Berechnungen und Fertigungsplanungen der Ingenieure und Holzbaufirmen.

3. Obwohl die Objekte in ihrer spezifischen Form derzeit am besten in Holz ausgeführt werden können, sind es keine Holzkonstruktionen im klassischen Sinne. Das Zerschneiden modellierter Volumina impliziert genau genommen einen homogenen Werkstoffblock; für ein Material, dessen Eigenschaften richtungsabhängig variieren, ist es eine ungeeignete Methodik. Die Herstellung gekrümmter Formen mittels Fräsen erinnert stark an das eingangs erwähnte Schnitzen.

4. Plattenförmige Holzwerkstoffe als Ausgangsmaterial für den Zuschnitt individueller Bauteile sind in ihren Abmessungen, Materialzusammensetzungen und Eigenschaften genormte Halbzeuge. Gerade beim individuell wachsenden Rohstoff Holz ist zu fragen, ob ein solcher Umweg über die Halbzeug-Standardisierung eine Unikatfertigung, wie sie die gezeigten Objekte erfordern, nicht letztlich ad absurdum führt. Zumindest wird, wenn man vom Rohstoff ausgeht, die Kette der notwendigen Fertigungsschritte immer länger.

5. „Anything goes“: Es scheint, als könne man praktisch alles bauen – und als müsse man diese technologische Potenz, auch komplizierteste Formen erzeugen und umsetzen zu können, zur Schau stellen. Man macht es, weil man es kann. Einer anderen Begründung bedarf es nicht. Die amerikanische Historikerin Rosalind Williams schreibt dazu: „Instead of being a figure in the ground of history, technology has become the ground – not an element of historical change, but the thing itself.“

6. Die neu geschaffenen technologischen Möglichkeiten äußern sich – zumindest vorerst – in einem Überborden des Dekorums, was einhergeht mit einem freiwilligen Kompetenzverzicht des Architekten. Seine Rolle scheint sich – um es provokativ zu sagen – auf das Auswählen einer geeigneten Metapher oder einer dekorativen Geste, d.h. auf die Schaffung formaler Komplikationen zu fokussieren, die Beschränkungen in der Umsetzung weitgehend ausblendet. Beschränkungen aber sind nach Frank Lloyd Wright (1953) ein Nährboden der Architektur: „Aber wenn wir auf diese ungeheuren, homogenen menschlichen Berichte zurückblicken, kommen wir nicht umhin festzustellen, dass der Mensch immer dann am edelsten baute, wenn die Beschränkungen am größten waren und wenn von der Phantasie am meisten gefordert wurde. Beschränkungen scheinen stets die besten Freunde der Architektur gewesen zu sein.“

ARCH+, Di., 2009.09.29



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ARCH+ 193 Holz

28. Juli 2008Sabine Kraft
ARCH+

Anpassungen

Klimatische Veränderungen haben den Menschen immer große Anpassungsleistungen abverlangt. Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.500 Jahren führten...

Klimatische Veränderungen haben den Menschen immer große Anpassungsleistungen abverlangt. Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.500 Jahren führten...

Klimatische Veränderungen haben den Menschen immer große Anpassungsleistungen abverlangt. Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.500 Jahren führten Temperaturschwankungen um auch nur wenige Grad zu dramatischen Veränderungen der Lebensbedingungen, in deren Folge ganze Landstriche aufgegeben und neue Wege der Subsistenzsicherung gefunden werden mussten. In prähistorischer Zeit zeigte sich dies besonders deutlich im Wechsel vom nomadischen Dasein in den Wüstenrandgebieten zu einer Besiedlung der Flusslandschaften.[1] Letztlich erzeugte dieser Anpassungsdruck einen gewaltigen Schub in der kulturellen Entwicklung und brachte die frühen solaragrarischen Hochkulturen hervor. Auch die kleine Eiszeit ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die sich bis ins 19. Jahrhundert erstreckte und den Übergang in die Neuzeit markiert, ist in ihren Auswirkungen kaum zu überschätzen. Die Hungersnöte, die sie mit sich brachte, waren einer der Auslöser der französischen Revolution, und die Energiekrise des 18. Jahrhunderts, eine Folge der Holzverknappung, forcierte die Erschließung der fossilen Brennstoffe, eine der zentralen Voraussetzungen für die industrielle Revolution.

Beschäftigt man sich mit der aktuellen Klima-Energie-Problematik, so stimmt der Blick in die Zukunft nicht sonderlich hoffungsfroh – nicht wegen des Klimawandels oder irgendwelcher Endzeitszenarien. Niemand kann bisher die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen genau benennen und gegenüber Prognosen ist eine gewisse Skepsis angebracht. Anlass zur Besorgnis gibt die Frage, inwieweit wir auf die anstehenden Anpassungsleistungen vorbereitet sind, oder uns auch nur bewusst ist, dass sie gewaltig sein müssen. Davon zumindest kann man mit Sicherheit ausgehen. Fast alle Faktoren, auf denen unsere heutige Lebensweise beruht, kulminieren krisenhaft mit dem Klimawandel. Wir haben die Fehler des Industrialisierungsprozesses als Zwerge in die Welt entlassen, zurückgekehrt sind sie als Riesen – und diese Fehler müssen offenbar im weltweiten Aufholen der Industrialisierung stets erneut durchlaufen werden. Ein Ende des irreversiblen Verbrauchs von Umwelt und Ressourcen ist kaum absehbar.

Vor diesem Hintergrund war die Arbeit an Heft 184 Architektur im Klimawandel von einem wachsenden Unbehagen begleitet, einem Unbehagen, dass sich irritierenderweise gegen im Einzelnen durchaus sinnvoll erscheinende Maßnahmen der Energieeinsparung und CO2-Reduzierung zu richten schien. Diese Maßnahmen beschreiben jedoch zusammengenommen eine Strategie, die im Wesentlichen auf Effizienzsteigerung beruht. Effizienzsteigerung ist eine Form der Optimierung; das Bestehende wird in seinen Voraussetzungen nicht hinterfragt, sondern allenfalls modifiziert. Eine solche Strategie lässt sich relativ kurzfristig umsetzen, ist jedoch in ihrer Reichweite zwangsläufig begrenzt. Warum also nicht das Eine tun und das Andere nicht lassen. Das Andere bedeutet, Wege aus der Sackgasse jenseits eingefahrener Gleise suchen, über Lösungen von Grund auf nachdenken, weiterführende Fragen aufwerfen, Aufgaben neu definieren. Und damit sind wir bei der vorliegenden Ausgabe.

Auch Form Follows Performance ist vor dem Hintergrund des Klimawandels zu lesen. Beide Hefte sind sich einig in der Unterscheidung zwischen Effizienz und Effektivität, betrachten Architektur bzw. Gebautes von der Kategorie des Verhaltens her und sehen in der Performance von Gebäuden nicht nur eine Funktion von Energiekennzahlen, sondern der sinnlichen Wahrnehmung in ihrer Gänze. Hier aber endet die Ähnlichkeit. Während „Architektur im Klimawandel“ sich auf der Suche nach einer überzeugenden Integration von Raum- und Klimakonzept einen Weg durch das Dickicht der aktuellen Fachspezifik und des überbordenden Spezialistentums bahnt, wird von den Autoren von „Form Follows Performance“, Michael Hensel und Achim Menges, ein eigenes Konzept für genau diese Integration vorgestellt. Dieses Konzept entstand in der Verschränkung von Forschung und Lehre, wobei dem Entwurf ein zentraler methodischer Stellenwert zukommt. Womit haben wir es zu tun? Genau genommen ist es eine Vision, was Architektur sein könnte oder besser: wie sie beschaffen sein sollte, deren grundsätzliche Machbarkeit im Entwurfsprozess mehrfach experimentell getestet wurde. Der Ausgangsgedanke ist ein denkbar einfacher: Die Evolution natürlicher Sys-teme erfolgt in Anpassung an die jeweiligen Umweltanforderungen. Anpassung bedeutet Spezialisierung, sprich Ausdifferenzierung. Diesem Vorgang verdanken wir die unendliche Vielfalt der Arten. Die Menschen gehören z.B. zu der Gruppe der Tetrapoden, der Vierfüßer. Jeder erkennt in den Flügeln des Vogels oder den Flossen des Wals die eigenen Arme, in den Krallen der Raubtiere oder den Hufen der Wiederkäuer die eigenen Finger bzw. Zehen wieder, dazu braucht es keine komplizierten Theorien.

Evolutionäres Entwerfen ist seit rund 15 Jahren, seit dem Aufkommen der Blobs, en vogue. Es dient meist der Erweiterung des formalen Arsenals der Architektur. Die Frage, wie ein Gebäude evolutionär in Anpassung an die äußeren Umstände entstehen kann, wurde nie gestellt. Ganz sicher entsteht es nicht, indem der Computer mit Hilfe genetischer Algorithmen beliebige Formen evolviert, deren Auswahl durch pseudorationale Evaluierungskriterien oder das willkürliche Einfrieren des Prozesses erfolgt, wie Eisenman es einmal erläuterte, und die dann für ihre Materialisierung eines Heers an Spezialisten und Technikern bedürfen. Das hier vorgestellte Konzept grenzt sich entschieden von diesem Missverständnis des biologischen Vorbilds ab. In der Natur gibt es die platonische Trennung zwischen der Form und dem Stoff, aus dem die Form besteht, nicht. Das Hervortreiben von Formen entsteht im Prozess ihrer Materialisierung. Hier beginnt die eigentliche Innovation und hier liegt der Ansatzpunkt für eine in ihre Umwelt eingepasste Architektur, deren Performance aus dem Wechselspiel zwischen äußeren Faktoren und Form gewordener Materialität resultiert.

Nach der ersten Euphorie über die Entschlüsselung des genetischen Codes zeigte sich sehr bald, dass damit noch nicht viel gewonnen ist, solange wir die komplexen physiologischen Prozesse der Umsetzung der Codes nicht nachvollziehen können. Die Natur verfolgt keinen Blaupausendeterminismus, das würde die Entstehung von Neuem in der Anpassung an spezifische Umwelten ausschließen. Im Schlüsselbegriff des Materialsystems, den Hensel und Menges geprägt haben, ist die Simulation solcher physiologischen Prozesse in vereinfachter Form enthalten. Materialsysteme bedeuten einen Maßstabssprung vom Organismus bzw. dem Gebäude auf die Ebene von Strukturen. Natürliche Systeme gewinnen ihre Leistungsfähigkeit, sprich Performance, unter anderem aus der internen Differenzierung von Strukturen. Auch Strukturen sind nichts anderes als im Hinblick auf spezifische Umweltanforderungen Form gewordene Materialität. Dieser Zusammenhang von Form- und Materialwerdung lässt sich auf allen Maßstabsebenen verfolgen, aber Strukturen bieten einen guten Ansatzpunkt für die Übersetzung des Differenzierungsprozesses natürlicher Systeme in die Architektur – und darum vor allem geht es im Konzept von Hensel und Menges. In der strukturellen Differenzierung der raumbildenden Begrenzungen von Gebäuden könnte das neue performative Potenzial von Architektur liegen. Dabei ist weder die direkte Nachahmung eines biologischen Vorbilds noch eine Quasi-Lebendigkeit von Architektur gemeint. Auch das wären fatale Missverständnisse. Die Forschung an diesem Konzept bewegt sich auf einer proto-architektonischen Ebene. Klassische Gebäudeentwürfe stehen noch aus. In dem Sinne handelt es sich wirklich um eine Vision. Es wurde eingangs von den Anpassungsleistungen gesprochen, die der Klimawandel einfordern wird. Was könnte passender sein, als das Nachdenken über eine Architektur, die im Zusammenspiel mit der Umwelt ihre Qualitäten entfaltet?

Ausblick: Mit dem Wettbewerb „Simple Systems, Complex Capacities“ wollen wir, die Redaktion und die Autoren, für eine breitere Diskussion des vorgestellten Konzepts sorgen, und natürlich erhoffen wir uns auch eine Weiterentwicklung dieses Konzepts und Anregungen, die vielleicht von ganz anderer Seite kommen. Außerdem: Zurzeit scheint fast alles losgelöst von den jeweiligen Inhalten Design zu werden bis dahin, dass Design alles ist. Das Konzept von Hensel und Menges steht dieser Haltung diametral entgegen: In der Natur gibt es kein Design, außer für die Anhänger des Creationismus.

Rückblick: Die schwarzen Seiten wurden von Bruno Schindler in ARCH eingeführt. Sie dienten der Untergliederung des Heftes und übernahmen die Aufgabe des kritischen Blicks. Von daher sind sie in einem spezifischen Kontext entstanden, aber ihre Besonderheit: die Argumentation mit Bildern hebt sie auch über diesen Kontext hinaus. Der Reprint zeigt eine typische Auswahl:?Zwei der vier Doppelseiten sind eher „fachspezifisch“, sie lassen sich in Beziehung zu der vorliegenden Ausgabe setzen, während die anderen zwei sich Themen des Abendlands widmen, die wie ein falscher Fünfziger immer wiederkehren.

[1] Vgl. Eitel, Bernhard. Wüstenränder. Brennpunkte der Entwicklung, in: Spektrum der Wissenschaft 5, 2008, S. 70 ff

ARCH+, Mo., 2008.07.28



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ARCH+ 188 Form follows Performance

01. Dezember 2004Sabine Kraft
ARCH+

PCM - Phase Change Material

Mit Phase Change Materialien lassen sich keine spektakulären optischen Effekte erzielen, genaugenommen überhaupt keine optischen oder ästhetischen Effekte....

Mit Phase Change Materialien lassen sich keine spektakulären optischen Effekte erzielen, genaugenommen überhaupt keine optischen oder ästhetischen Effekte....

Mit Phase Change Materialien lassen sich keine spektakulären optischen Effekte erzielen, genaugenommen überhaupt keine optischen oder ästhetischen Effekte. Phase Change Materialien sind wie unsichtbare kleine Helfer, die man nur anhand ihres Wirkens bemerkt – das aber ist beträchtlich.
Sie verleihen anderen Materialien, in die sie integriert werden, ein physikalisches Verhalten, als ob sie über eine große thermische Masse verfügten.
Das stellt gewissermaßen die Gesetze der Bauphysik, die sich so humorlos in den Betrieb eines Gebäudes einmischen, auf den Kopf.

Das große Defizit des Leichtbaus liegt bekanntlich in der fehlenden Speichermasse, die temperaturausgleichend wirken könnte. Leichtbauten reagieren unmittelbar auf Änderungen des Außenklimas. Vor allem der Aufheizeffekt läßt sich nur schwer in den Griff bekommen, während Wärmeverluste durch eine gute Dämmung vermieden werden können. Der (bau)technische Erfindergeist des letzten Jahrzehnts konzentrierte sich darauf, mit diesem Problem auf „natürliche“ Weise, d.h. weitgehend ohne künstliche Klimatisierung, fertig zu werden. Das Problem läßt sich vereinfachend so charakterisieren, daß Wärme immer dort ist, wo man sie nicht haben will, und immer dann fehlt, wenn man sie brauchen könnte. Trotz ständig verbesserter Baustoffe und Baustoffkombinationen wie Spezialgläser mit funktionalen Beschichtungen plus integriertem Sonnenschutz, trotz Fassadensystemen mit ausgeklügelten aerodynamischen Vorrichtungen à la Doppelfassade und trotz einer „intelligenten“ Steuerung von immer mehr Gebäudekomponenten, die von ähnlich nervöser Reagibilität ist wie das Gebäude selbst, erreichen Leichtbauten - wenn man ehrlich ist -, nur selten den thermischen Komfort, über den ein Ge-bäude verfügt, das lediglich seine Masse ins Feld führt. Der Versuch, Leichtbauten mit Hilfe natürlicher physikalischer Prozesse zu betreiben, hat zu Gebäuden geführt, die hochkomplexe, äußerst anfällige Maschinen sind. Die biologische Parallele ist nach wie vor eher Wunschdenken oder ästhetische Antizipation. PCMs sind sicher nicht die Problemlösung per se. Aber wenn eine 2 cm starke Schicht dieselbe thermische Speicherfähigkeit wie ein 24 cm starkes Ziegelmauerwerk aufweist, kann man schon von einer Neudefinition der Ausgangslage sprechen.

Latente Wärme
Die PCM-Technologie wurde bereits in den 60er Jahren bei der NASA entwickelt; sie basiert auf der ebenso einfachen wie genialen Überlegung, die in einem Material während des Phasenübergangs zwischen dem festen und flüssigen Aggregatzustand gespeicherte latente Energie für ein Wärmemanagement der Umgebung zu nutzen. Jedes Material speichert beim Erhitzen Energie, die sich in einer direkten Temperaturerhöhung niederschlägt. Man spricht von fühlbarer oder „sensibler“ Wärme. Dagegen bleibt beim Übergang von der festen zur flüssigen Phase, d.h. mit dem Erreichen des Schmelzpunkts des Materials, die Temperatur trotz weiterer Energiezufuhr solange konstant, wie beide Aggregatzustände gleichzeitig vorhanden sind. Erst wenn der Übergang abgeschlossen ist, steigt die Temperatur weiter an. Die während des Phasenübergangs gespeicherte Energie wird daher als versteckte oder „latente“ Wärme bezeichnet. Anschaulich wird dieser Vorgang z.B. bei einem Drink mit Eiswürfeln: Das Eis entzieht der umgebenden Flüssigkeit die Wärme, der Drink bleibt kalt, bis das Eis vollständig geschmolzen ist.
Das Maß für die am Schmelzpunkt gespeicherte Energiemenge ist die Schmelzenthalpie. Diese latente Energie geht nicht verloren, sondern steht bei der Umkehrung des Prozesses, dem Phasenübergang von flüssig zu fest, als Wärme wieder zur Verfügung. PCMs werden auch als Latentspeichermaterialien bezeichnet. Im Bereich geringer Temperaturänderungen ist die Speicherung latenter Wärme der Speicherung sensibler Wärme weit überlegen, da sehr viel größere Wärmemengen aufgenommen werden können. Als Anhaltspunkt kann man von einer 5 bis 10fach höheren Speicherdichte ausgehen bzw. von 1/10 bis 1/5 erforderlichen Materialvolumens, um dieselbe Leistung zu erzielen. Die Energiemenge, die in einem Phasenübergang steckt, läßt sich am Beispiel von Wasser gut verdeutlichen: Um 1 Kilo Eis bei 0°C zu schmelzen, braucht man dieselbe Energie wie für die Erhitzung von 1 Kilo Wasser von 0° auf 80°C, nämlich 333 kJ.

Ausgangsstoffe
Bekanntlich ändern nahezu alle Stoffe in einem je spezifischen Temperaturbereich ihren Aggregatzustand. Worin liegt die Eignung eines Materials als PCM? Ausschlaggebend für die praktische Verwendung ist, daß die Schmelz- bzw. Erstarrungstemperatur „eingestellt“ werden kann entsprechend dem gewünschten Einsatzzweck. So würde sich z.B. ein Material, dessen Phasenübergang erst bei 80°C beginnt, nicht dafür eignen, die Wärmespitzen in Bürogebäuden abzubauen, wohl aber, um in Transportboxen Speisen warm halten. Diese Voraussetzungen erfüllen derzeit im wesentlichen Paraffine und Salzhydrate. Man unterscheidet zwischen Wasser und wäßrigen Salzlösungen, die überwiegend für Kältespeicherung eingesetzt werden, und Paraffinen, Salzhydraten und eutektischen1 Mischungen von Salzhydraten für die Wärmespeicherung. Die Verwendung von Gashydraten und Salzen wird noch erforscht. Neben dieser Temperatureinstellung sind noch andere Materialkonstanten wie eine hohe Schmelzenthalpie, gute Wärmeleitfähigkeit, geringe Volumendifferenz beim Phasenübergang, kongruentes Schmelzverhalten und Zyklenstabilität im Hinblick auf langfristige Nutzung von Bedeutung. Dazu kommen Faktoren wie geringe Korrosivität und toxische Unbedenklichkeit. PCMs können prinzipiell in drei unterschiedlichen Formen eingesetzt werden:

* makroverkapselt: Unbehandelte PCMs kommen nur dann zum Einsatz, wenn die Verflüssigung während des Phasenübergangs keine Probleme bereitet, also in geschlossenen Systemen, Containern, doppelwandigen Behältern, als hermetisch verschlossene Speicherbausteine in diversen Größen etc.
* gebunden: Hier sind die PCMs in Trägermaterialien mit Saug- oder Matrixstrukturen eingelagert. Aufgrund der Kapillarwirkung (und irgendwelcher Additive) bleibt das PCM auch bei Verflüssigung im Material gebunden. Man kann sich das so ähnlich wie die Funktionsweise von Katzenstreu vorstellen. Gebundene PCMs gibt es in Pulver- und Granulatform oder weiterverarbeitet als Plattenmaterial.
* mikroverkapselt: Die PCMs sind von einer Hülle aus Acrylat, Melamin oder anderen Kunststoffen umgeben. Die Mikrokapseln können als Pulver oder Dispersion in fast jedes andere Material, das abbindet oder erhärtet, eingerührt werden, so wie Zucker in einen Kuchenteig.

PCMs bilden zusammen mit ihrem Trägermaterial eine neue Klasse von Kompositen. Man könnte sie als Klimakomposite bezeichnen.


Praktische Anwendungen
Funktionelle Textilien wurden im Rahmen des US-Raumfahrtprogramms bereits vor Jahrzehnten entwickelt. Auch die GIs, die im 2. Golfkrieg auf Bagdad vormarschierten, waren mit einer PCM dotierten Weste ausgestattet. Ein Kleidungsstück, das bei Hitze, egal ob infolge körperlicher Anstrengung oder der Außentemperatur, kühlt und das, wenn die Temperatur sinkt, die gespeicherte Wärme wieder abgibt, ist unmittelbar einleuchtend. So sind Jacken, Handschuhe, Einlegesohlen für heißgelaufene Füße oder auch Bettwäsche und Kleidung für Wintersport im Handel. Die PCMs sind dabei häufig in Einlagestoffen integriert, können aber auf jeder Art von Textil untergebracht werden, also auch Heimtextilien wie Vorhänge oder technischen Textilien.
Transport temperaturempfindlicher Güter: Ob Speisen warm (80°C) oder Medikamente, Blutplasma und Organe kühl (5°C) gehalten werden sollen, für beides sind PCMs hervorragend geeignet. Mit speziellen Transportboxen können sogar -20°C bei einer Außentemperatur von 30°C über vier Tage konstant gehalten werden.
Motorvorwärmung: Der Kaltstart von Motoren bedeutet erhöhten Energieverbrauch und Materialverschleiß. Ein Latentwärmespeicher im Kühlwasserkreislauf lädt sich, während der Motor läuft, mit Abwärme auf, die beim nächsten Start an das Kühlwasser abgegeben wird. So wird der Motor binnen kurzem auf die optimale Betriebstemperatur gebracht.
Schutz elektronischer Bauteile: PCMs fangen ohne Temperaturfühler oder Lüftungsmotoren Wärmespitzen ab, die elektronische Bauteile schnell altern lassen. Über die Kühlrippen kann die Wärme wieder abgegeben werden. Der Vorteil liegt in einer viel kleiner dimensionierten Kühlung, die ohne zusätzlichen Stromverbrauch zuverlässig funktioniert.

PCMs in Gebäuden
PCMs in Gebäuden Wie bei fast allen neuen Produkten hinkt in der praktischen Umsetzung das Bauen den anderen technischen Bereichen oder dem Design hinterher. Aus diesem Grund wurden vom BMWi zwei Forschungs-Verbundprojekte zwischen Rohstoff- und Baustoffherstellern gefördert, um die Produktentwicklung in der Baubranche zu beschleunigen. Die Projekte wurden im Herbst 2003 abgeschlossen.2 Damit ist vielleicht ein erster Anfang für den Einsatz von PCMs in Gebäuden gemacht, die Möglichkeiten sind aber keineswegs ausgelotet, wie einige Pilotprojekte zeigen. Zentral sind hier folgende Überlegungen:

* Umgekehrt zur Funktion von Wärmedämmung, die im Winter Wärmeverluste aus dem Gebäude minimiert, wirken PCMs im Sommer, indem sie den Wärmeüberschuß im Gebäude wegspeichern. Man kann mit PCMs keine Heizkosten sparen, aber in Bürogebäuden Kühllasten reduzieren. Eine Ausnahme bildet die Zwischenspeicherung und zeitverzögerte Abgabe solarer Energiegewinne oder die Nutzung von Abwärme.
* So wie Wärmedämmungen außen sollten PCMs innen angebracht werden, außerdem muß genügend freie, nicht verstellte Fläche vorhanden sein, damit der konvektive Wärmeaustausch stattfinden kann. Forschungen darüber, inwieweit PCMs auch im Außenputz eine sinnvolle Aufgabe übernehmen können, indem sie eine Veralgung verhindern, sind noch nicht abgeschlossen.
* PCMs können gleichermaßen für passive wie aktive Systeme genutzt werden. Bei passiven Systemen geben sie nach dem Absinken der Außentemperatur, also in der Regel abends oder nachts, die gespeicherte Wärme wieder ab. In Hitzeperioden, wenn die Nachtabkühlung nicht ausreichend funktioniert, könnte das für Bürogebäude mit den am Arbeitsplatz einzuhaltenden 26°C nicht ausreichen. Demgegenüber führen aktive Systeme die gespeicherte Wärme unmittelbar über ein anderes Medium, z.B. Wasser, ab.

Temperaturregulierender Putz: Die in den Gips-Maschinenputz eingelagerten mikroverkapselten Paraffine sind auf einen Temperaturbereich von 20 - 24°C eingestellt. Eine 3 cm starke Putzschicht hat dasselbe thermische Verhalten wie eine 28,8 cm starke Leichtziegelwand. Der Putz wirkt nur solange temperaturregulierend, wie der Speicher nicht voll beladen ist. Er muß über Nachtlüftung entladen werden. Da Paraffin brennbar ist, wurde der Putz in die Brandschutzklasse B2 eingeordnet, er kann aber mit einer feuerhemmenden Beschichtung auch den Anforderungen der Baustoffklasse B1 genügen. Unter dem Markennamen „maxit clima“ im Handel erhältlich.
Temperaturregulierende Gipsbauplatte: Im Rahmen des von der Transsolar Energietechnik entwickelten Energie- und Klimakonzepts für das Haus der Gegenwart in München (Architekten: Allmann, Sattler & Wappner) sind für den Innenausbau 15 mm starke Gipsbauplatten mit einem Anteil von ca. 30 % mikroverkapseltem Paraffin vorgesehen, Schalttemperatur 23°C. Sie sind beidseitig mit einem Glasfaservlies ummantelt und erreichen die Brandschutzklasse B2. Inwieweit diese eigens entwickelten Platten später im Handel zu beziehen sind, ist derzeit völlig offen.
Aktive Kühldecke: Für den Neubau einer Ausstellungs- und Vortragshalle der Ludwigshafener Wohnungsbaugesellschaft (LUWOGE) wurde von der Transsolar Energietechnik ein neues Kühldeckenelement mit integriertem Wärmespeicher entwickelt. Es kann wie eine konventionelle Kühldecke abgehängt werden. Das Element besteht aus einer 5 cm starken, rundum geschlossenen Metallkassette mit eingelegter Kapillarrohrmatte, die mit einer Mischung aus Gips und 40 % mikroverkapseltem Paraffin befüllt ist, Einstelltemperatur 22°C, Brandschutzklasse B1. Die Kapillarrohrmatten können, wenn das Temperaturgefälle zwischen Tag und Nacht zur Entladung des Speichers nicht ausreicht, von Wasser durchströmt werden.
Passive Kühldecke: Über einer abgehängten Decke werden Aluminiumverbundbeutel plaziert, die mit Salzhydraten ge-füllt sind, Temperaturbereich 22 - 25°C. Die Deckenpaneele sollten wegen der besseren Wärmeleitung aus Metall sein. Das System kann auch nachträglich eingebaut und beliebig nachgerüstet werden. Die Aluminiumbeutel sind unter dem Markennamen "Delta®-Cool 24" erhältlich.
Solare Fußbodenheizung: Die Rohrschlangen einer herkömmlich verlegten Fußbodenheizung werden mit einer Schüttung aus Tongranulat umgeben, in dessen Saug- und Matrixstruktur Paraffin eingebunden ist. Das PCM kann bis zu 0,6 kWh pro qm Fußbodenfläche aufnehmen und fungiert als Zwischenspeicher für die Energiegewinne aus Solarkollektoren. Bereits bei geringen Unterschieden der Oberflächentemperatur wird diese Wärme freigesetzt, der Heizkessel muß wesentlich seltener anspringen. Die Heizkostenersparnis von ca. 35 % ergibt sich aus den Synergien des gesamten Systems.
In ähnlicher Weise kann auch eine mit Salzhydraten ge-füllte Noppenbahn genutzt werden, die im Rahmen von "Delta®-Cool 24" angeboten wird. Da die PCMs in den Noppen makroverkapselt sind, eignet sich diese Bahnenware auch für die ausgleichende Wärmeversorgung von Frühbeeten.
Solares Fassadenelement: Bei dem Nullenergiehaus des Architekten Dietrich Schwarz in Ebnat-Kappel (Schweiz) wurde erstmalig eine neuartige Solarwand experimentell getestet. Sie besteht aus einer Mehrfachverglasung, in deren innenliegendem Scheibenraum Kunststoffbehälter, gefüllt mit reinem Paraffin, eingelagert sind. Eine Prismenscheibe im äußeren Scheibenzwischenraum reflektiert das Sonnenlicht und verhindert eine Überhitzung des Latentwärmespeichers. Dieses System wurde für die Alterswohnanlage in Domat/Ems weiterentwickelt und ist ab Frühjahr 2005 unter der Bezeichnung „Power Glass“ auf dem Markt. Das PCM, jetzt aus Brandschutzgründen ein Salzhydrat, wird in ca. 5 cm starke, an den Enden verschweißte beliebig lange Hohlprofile aus transluzentem Kunststoff eingelagert, die zu Platten in der gewünschten Höhe zusammengesteckt werden können. Wesentlich bei der Entwicklung dieses Systems war die Flexibilität sowohl in der Breite wie in der Länge. Dasselbe gilt für die Prismenscheibe, die auch aus einzelnen Kunststoffprofilen zusammengesteckt wird. Auf diese Weise können geschoßhohe Fassadenelemente in unterschiedlicher Größe vorfabriziert werden. Das PCM in dem Fassadenelement ist auf 28°C eingestellt, da es primär die Funktion eines reagiblen und effizienten Speichermediums für solare Energieeinträge übernimmt.

ARCH+, Mi., 2004.12.01



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Presseschau 12

29. September 2009Christoph Schindler
Sabine Kraft
ARCH+

Digitale Schreinerei

Der Holzbau bietet aufgrund der im Vergleich zu anderen Baustoffen leichten spanenden Bearbeitbarkeit von Holz und Holzwerkstoffen ein weites Experimentierfeld...

Der Holzbau bietet aufgrund der im Vergleich zu anderen Baustoffen leichten spanenden Bearbeitbarkeit von Holz und Holzwerkstoffen ein weites Experimentierfeld...

Der Holzbau bietet aufgrund der im Vergleich zu anderen Baustoffen leichten spanenden Bearbeitbarkeit von Holz und Holzwerkstoffen ein weites Experimentierfeld für digitale Entwurfs- und Fertigungstechniken: In keinem anderen Baumaterial ist es so einfach, individuelle Bauteile herzustellen. Dementsprechend sind in den letzten fünf Jahren eine ganze Reihe ungewöhnlicher Experimente im Maßstab 1:1 realisiert worden, die den traditionellen Werkstoff Holz in einen neuen Kontext stellen. Ungewöhnlich insofern, als diese Experimente weder unter die Kategorie der klassischen Stabkonstruktionen subsumiert werden können, noch direkte Verwandtschaft mit den neueren kartenhausartigen Plattenkonstruktionen aufweisen. Bei aller Unterschiedlichkeit verbindet die Projekte ein gemeinsames Vielfaches, das in der Suche nach einer neuen Form der Plastizität zu liegen scheint; man könnte es als ein räumliches Modellieren in Holz bezeichnen, das traditionell unter allen Formen der Holzbearbeitung nur das Schnitzen auszeichnete.

Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Experimente der Inkubator für eine anders geartete holzspezifische Formensprache und neue Tragwerkskonzepte im Holzbau sind, oder ob sich der Neuheitswert in der Umsetzung mit erstaunlich weit vorangetriebenen computergestützten Planungs- und Fertigungsmethoden erschöpft. Zweifel sind zumindest angebracht. Sie können anhand zweier Kriterien, wenn auch sicher nicht abschließend geklärt, so doch in der Diskussion zumindest erhärtet bzw. abgeschwächt werden. Diese Kriterien liegen zum einen in der Methode der Formfindung und zum anderen in der Nutzung der Materialeigenschaften bzw. der erforderlichen Zahl von Arbeitsschritten der Fertigung bezogen auf das Rohmaterial Holz. Die auf den folgenden Seiten aufgeführte Reihe aktueller Projekte ist in vier Gruppen geordnet:

A Eierschneider, einfach

Als „einfache Eierschneiderstrukturen“ können die Ringve Viewing Platform (1), das Semper Depot (2) und in gewisser Weise auch die Wandprototypen (3) bezeichnet werden. Mit der Methode des Zerschneidens in parallele Ebenen, wie es das Haushaltsgerät zur präzisen Herstellung gleich dicker Scheiben hartgekochter Eiern leistet, lassen sich mit einem einzigen Schnitt auf recht einfache Weise beliebig modellierte Volumen in Scheiben zerlegen.

Die im Schneidevorgang entstehenden Teile sind alle gleich breit.
Dadurch ist es einerseits einfach, sie mit einem durchgängigen Konstruktionsprinzip zu verbinden. Andererseits wird die Suche nach einem geeigneten Rohmaterial, aus dem die Einzelteile gefertigt werden können, erheblich erleichtert. Beim Semper Depot (2) sind dies Holzwerkstoffplatten gleicher Materialstärke, aus denen wie bei einem Ausschneidebogen die Einzelteile herausgetrennt werden; bei der Ringve Viewing Platform (1) und den Wandprototypen (3) können die Volumina sogar aus identischen Stabprofilen gefügt werden. Die im Entwurfsprozess vorausgegangene Formbestimmung wird durch die unterschiedliche Ablängung der Stäbe realisiert; durch die Verschränkung der individuellen Einzelelemente in unterschiedlichen Winkeln bzw. ihre schrittweise Positionsänderungen von Schnittebene zu Schnittebene lassen sich plastische Formen als dynamische Bewegung darstellen.

Eierschneiderarchitekturen sind nicht zufällig reine Außenrauminstallationen oder Innenausbauten, da das System in sich rigide ist und sich nur schwer eine Verbindung dieser Strukturen mit der Vielzahl der Anforderungen vorstellen lässt, die an ein Gebäude gestellt werden. Da die parallelen Ebenen linear aneinander gereiht sind, ist eine Ecklösung innerhalb des gleichen Konstruktionsprinzips ausgeschlossen.

B Eierschneider, zweifach

Ecklösungen gelingen durch das Hinzufügen eines zweiten Schnitts mit dem Eierschneider. Dieser wird entweder rechtwinklig zur ersten Schnittebene geführt, so dass wie bei Camera Obscura (4), Metropol Parasol (6) und Serpentine Gallery (7) aus der Schnittrichtung ein Quadratraster entsteht; oder aber in einem anderen Winkel ein Rautenmuster erzeugt wird wie bei Burst (5) und dem Austria Center (8). Der zweite Schnitt bringt einen konstruktiven Vorteil mit sich, da die dabei entstehenden Teile als Abstandshalter für die im ersten Schnitt erzeugten Teile eingesetzt werden können; dies erlaubt es, die Mehrfach-Eierschneiderstrukturen wesentlich luftiger zu gestalten als die massiven Einfach-Eierschneider. Gleichzeitig aber zeigt sich bei den Mehrfach-Eierschneidern eine stärkere Tendenz, die Faserrichtung des Holzes außer Acht zu lassen und plattenförmige Holzwerkstoffe als Ausschneidebögen für die Einzelteilfertigung einzusetzen. Dies ist besonders augenfällig bei Projekten wie Metropol Parasol (6), bei denen die Formgebung in keinerlei Beziehung zur Konstruktion zu stehen scheint. Befremdlich wirken dann auch die pilzförmigen Stützen der Parasols, die das Quadratraster enorm verzerren, da sie parallel zur Schneiderichtung stehen und die nur dreiachsig bearbeiteten Einzelelemente in der Verschneidung der Bauteile mit der gekrümmten Oberfläche des modellierten Volumens offenkundig nicht zusammenpassen. Die Serpentine Gallery (7) umgeht diese Problematik, indem sie die fünf Raumbegrenzungsflächen getrennt voneinander mit jeweils zwei Eierschneiderschnitten bearbeitet.

Einzig der Camera Obscura (4) gelingt es, ein plastisches Volumen aus Vollholzstäben zu erzeugen, indem der als Ausgangsform dienende Würfel nach zweimaligem Zerschneiden um seine Mittelachse verdreht wird. Die Bauteile des Austria Centers (8) hingegen sind so groß, dass sie ohne den Umweg über die Holzwerkstoffplatte projektspezifisch als gekrümmt verleimtes Brettschichtholz wie klassische Leimbinder gefertigt wurden und somit die Faserrichtung dem modellierten Volumen folgen kann. Der rautenförmige Verschnitt der Binder ist allerdings konstruktiv nicht erforderlich.

C Faltstrukturen

Während die Eierschneider-Strukturen mehr oder weniger deutlich nicht konstruktiv motiviert sind, versuchen Faltstrukturen wie der Origami Bogen (9) und die Kapelle St. Loup (10) der Brettsperrholzplatte ein Potenzial für Tragwerke abzugewinnen. Insofern besteht eine gewisse Affinität zu den neueren Plattenkonstruktionen. Durch das Auffalten von Flächen in einzelne Brettsperrholzelemente sollen diese gezielt mehr durch Normalkräfte in der jeweiligen Ebene als durch Momente beansprucht werden. Das Auffaltungsprinzip ist allerdings eher von der Umsetzung japanischer Papierfalttechnik mit den Möglichkeiten des Brettsperrholzes als der digitalen Fertigungstechnik geleitet; dies zeigt sich an der manuell gefertigten Konstruktion des Bogens (9) wie auch an der durch intuitives Papierfalten entwickelten Form der Kapelle (10).

D Strukturen mit Kassettenelementen

Größte gestalterische Freiheit ermöglichen Konstruktionen aus individuellen Kassettenrahmen, da ihre jeweilige Geometrie lediglich von den benachbarten Kassetten abhängt. Ein Nachteil solcher Strukturen liegt im Materialaufwand, den die statisch nicht erforderliche Verdopplung der Wandungen mit sich bringt. Wie unterschiedlich der Umgang mit diesem Prinzip sein kann, illustrieren der Swissbau Pavillon (11) und das Betriebsrestaurant Dietzingen (12). Während der Swissbau Pavillon auf einer Kugeloberfläche ein Zellwachstum um gegebene quadratische Öffnungen herum simuliert, dient bei Dietzingen die Kassettenstruktur lediglich dazu, die Flächen zwischen den Primärträgern dekorativ zu unterteilen. Der Swissbau Pavillon ist die einzige Struktur unter den vorgestellten Projekten, die mit einer rechnergestützten Wachstumssimulation aus den Relationen der Einzelelemente ermittelt wurde. Der Beweis, dass ein Bottom-up-Verfahren nicht nur als Forschungsselbstzweck an Europas größter CAD-Professur, sondern auch in einem funktionalen Bauprojekt mit Dutzenden von Gewerken umgesetzt werden kann, steht noch aus.

E Flechtstrukturen

Die beiden Projekte mit den mit Abstand größten Abmessungen und Spannweiten sind das Yeoju Golf Resort (13) und das Centre Pompidou Metz (14). Man kann die beiden nur graduell unterschiedlichen Projekte als eine Weiterentwicklung der Eierschneidermethode betrachten: In beiden Fällen wird eine doppelt gekrümmte Oberfläche von einem hexagonalen Raster (also drei Schnittrichtungen) durchstoßen. Im Gegensatz zu den ein- und zweifachen Eierschneidern wird aus dieser geometrischen Operation nicht das Volumen der Einzelteile, sondern nur deren Mittelachsen errechnet. Die tatsächlichen Volumina der Träger werden dann entlang dieser Mittelachsen in parallelen Trägerlagen jeweils rechtwinklig zur Dachfläche „extrudiert“. Auf diese Weise ist es möglich, sich verwindende, aber in ihren Abmessungen konstante rechtwinklige Querschnitte zu erhalten.

Wie auch beim Origami handelt es sich um metaphorische Entwürfe, welche die Prinzipien anderer Materialien in Holz übertragen: Zur Herleitung der Struktur des Centre Pompidou Metz (14) diente dem Architekten ein geflochtener chinesischer Strohhut. Wenn auch das Flechten der elastischen Halme maßstabsbedingt wirklich nichts mehr mit dem Verleimen und Fügen von starren Brettschichtholzträgern zu tun haben kann, so veranschaulicht die Flechtmetapher doch das mehrlagige „Extrudieren“ der Volumina entlang der Mittelachsen.
Vergleicht man das Centre Pompidou (14) mit der mehrfach gekrümmten Fläche der 35 Jahre älteren Gitterschale der Multihalle Mannheim, stellt man irritiert fest: Beim Centre Pompidou überspannen sechs Brettschichtholzlagen von je 14 x 44 cm bis zu 50 m. Bei der Multihalle überspannen vier Schnittholzlagen von 5 x 5 cm bis zu 60 m. Ob dies damit zu tun hat, dass bei der Formfindung der Multihalle kein chinesischer Strohhut, sondern ein Hängemodell Pate stand?

Was Yeoju (13) und Centre Pompidou (14) deutlich machen, ist das große Potenzial der technischen Umsetzung im Zusammenspiel von Holzbauer, Statiker und Geometrieberater. In der engen Zusammenarbeit war es nicht nur möglich, tausende unterschiedlich gekrümmter Bauteile zu fräsen, sondern durch Formverleimung der Brettschichtholzrohlinge deren Faserwinkel maximal 5° von der Bauteil-Mittelachse abweichen zu lassen. Wobei nicht verschwiegen bleiben sollte, dass von diesen individuell verleimten Rohlingen im nächsten Arbeitsgang noch fast 50 % zerspant werden müssen, bis die endgültige Bauteilgeometrie vorliegt.

Resümee:

1. Die initiale Formgebung der beispielhaft gezeigten Projekte ist weder von den Bedingungen des Werkstoffs noch von funktionalen Anforderungen bestimmt. Ers-teres würde einen konstruktiv geleiteten Entwurf bedeuten, zweiteres im Falle von Gebäuden eine Entwicklung des Entwurfs von innen heraus. Das Gegenteil ist der Fall. Es sind überdimensionale Holzplastiken, deren äußere Gestalt durch ein willkürlich gesetztes Volumen beschrieben wird; willkürlich meint hier einen formgebenden Akt, dessen Parameter nicht herleitbar sind, man könnte auch von sogenannter künstlerischer bzw. freier Gestaltung sprechen.

2. Die Objekte werden im 3D-CAD als geometrisch definierte Volumina ohne Schwerkraft und ohne den Einfluss von Umgebungsbedingungen modelliert. Die anschließende digitale Bearbeitung umfasst die Geometriebestimmung der Einzelelemente sowie deren Fertigungsplanung mitsamt den Stücklisten. Die eigentlichen Chancen eines digitalen Formfindungsprozesses, die nicht zuletzt darin liegen könnten, die Form im Wechselspiel mit den auf sie einwirkenden Kräften auszubalancieren, bleiben ungenutzt. Zu Konstruktionen mit Materialeigenschaften werden die Objekte erst in den anschließenden Berechnungen und Fertigungsplanungen der Ingenieure und Holzbaufirmen.

3. Obwohl die Objekte in ihrer spezifischen Form derzeit am besten in Holz ausgeführt werden können, sind es keine Holzkonstruktionen im klassischen Sinne. Das Zerschneiden modellierter Volumina impliziert genau genommen einen homogenen Werkstoffblock; für ein Material, dessen Eigenschaften richtungsabhängig variieren, ist es eine ungeeignete Methodik. Die Herstellung gekrümmter Formen mittels Fräsen erinnert stark an das eingangs erwähnte Schnitzen.

4. Plattenförmige Holzwerkstoffe als Ausgangsmaterial für den Zuschnitt individueller Bauteile sind in ihren Abmessungen, Materialzusammensetzungen und Eigenschaften genormte Halbzeuge. Gerade beim individuell wachsenden Rohstoff Holz ist zu fragen, ob ein solcher Umweg über die Halbzeug-Standardisierung eine Unikatfertigung, wie sie die gezeigten Objekte erfordern, nicht letztlich ad absurdum führt. Zumindest wird, wenn man vom Rohstoff ausgeht, die Kette der notwendigen Fertigungsschritte immer länger.

5. „Anything goes“: Es scheint, als könne man praktisch alles bauen – und als müsse man diese technologische Potenz, auch komplizierteste Formen erzeugen und umsetzen zu können, zur Schau stellen. Man macht es, weil man es kann. Einer anderen Begründung bedarf es nicht. Die amerikanische Historikerin Rosalind Williams schreibt dazu: „Instead of being a figure in the ground of history, technology has become the ground – not an element of historical change, but the thing itself.“

6. Die neu geschaffenen technologischen Möglichkeiten äußern sich – zumindest vorerst – in einem Überborden des Dekorums, was einhergeht mit einem freiwilligen Kompetenzverzicht des Architekten. Seine Rolle scheint sich – um es provokativ zu sagen – auf das Auswählen einer geeigneten Metapher oder einer dekorativen Geste, d.h. auf die Schaffung formaler Komplikationen zu fokussieren, die Beschränkungen in der Umsetzung weitgehend ausblendet. Beschränkungen aber sind nach Frank Lloyd Wright (1953) ein Nährboden der Architektur: „Aber wenn wir auf diese ungeheuren, homogenen menschlichen Berichte zurückblicken, kommen wir nicht umhin festzustellen, dass der Mensch immer dann am edelsten baute, wenn die Beschränkungen am größten waren und wenn von der Phantasie am meisten gefordert wurde. Beschränkungen scheinen stets die besten Freunde der Architektur gewesen zu sein.“

ARCH+, Di., 2009.09.29



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28. Juli 2008Sabine Kraft
ARCH+

Anpassungen

Klimatische Veränderungen haben den Menschen immer große Anpassungsleistungen abverlangt. Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.500 Jahren führten...

Klimatische Veränderungen haben den Menschen immer große Anpassungsleistungen abverlangt. Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.500 Jahren führten...

Klimatische Veränderungen haben den Menschen immer große Anpassungsleistungen abverlangt. Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.500 Jahren führten Temperaturschwankungen um auch nur wenige Grad zu dramatischen Veränderungen der Lebensbedingungen, in deren Folge ganze Landstriche aufgegeben und neue Wege der Subsistenzsicherung gefunden werden mussten. In prähistorischer Zeit zeigte sich dies besonders deutlich im Wechsel vom nomadischen Dasein in den Wüstenrandgebieten zu einer Besiedlung der Flusslandschaften.[1] Letztlich erzeugte dieser Anpassungsdruck einen gewaltigen Schub in der kulturellen Entwicklung und brachte die frühen solaragrarischen Hochkulturen hervor. Auch die kleine Eiszeit ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die sich bis ins 19. Jahrhundert erstreckte und den Übergang in die Neuzeit markiert, ist in ihren Auswirkungen kaum zu überschätzen. Die Hungersnöte, die sie mit sich brachte, waren einer der Auslöser der französischen Revolution, und die Energiekrise des 18. Jahrhunderts, eine Folge der Holzverknappung, forcierte die Erschließung der fossilen Brennstoffe, eine der zentralen Voraussetzungen für die industrielle Revolution.

Beschäftigt man sich mit der aktuellen Klima-Energie-Problematik, so stimmt der Blick in die Zukunft nicht sonderlich hoffungsfroh – nicht wegen des Klimawandels oder irgendwelcher Endzeitszenarien. Niemand kann bisher die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen genau benennen und gegenüber Prognosen ist eine gewisse Skepsis angebracht. Anlass zur Besorgnis gibt die Frage, inwieweit wir auf die anstehenden Anpassungsleistungen vorbereitet sind, oder uns auch nur bewusst ist, dass sie gewaltig sein müssen. Davon zumindest kann man mit Sicherheit ausgehen. Fast alle Faktoren, auf denen unsere heutige Lebensweise beruht, kulminieren krisenhaft mit dem Klimawandel. Wir haben die Fehler des Industrialisierungsprozesses als Zwerge in die Welt entlassen, zurückgekehrt sind sie als Riesen – und diese Fehler müssen offenbar im weltweiten Aufholen der Industrialisierung stets erneut durchlaufen werden. Ein Ende des irreversiblen Verbrauchs von Umwelt und Ressourcen ist kaum absehbar.

Vor diesem Hintergrund war die Arbeit an Heft 184 Architektur im Klimawandel von einem wachsenden Unbehagen begleitet, einem Unbehagen, dass sich irritierenderweise gegen im Einzelnen durchaus sinnvoll erscheinende Maßnahmen der Energieeinsparung und CO2-Reduzierung zu richten schien. Diese Maßnahmen beschreiben jedoch zusammengenommen eine Strategie, die im Wesentlichen auf Effizienzsteigerung beruht. Effizienzsteigerung ist eine Form der Optimierung; das Bestehende wird in seinen Voraussetzungen nicht hinterfragt, sondern allenfalls modifiziert. Eine solche Strategie lässt sich relativ kurzfristig umsetzen, ist jedoch in ihrer Reichweite zwangsläufig begrenzt. Warum also nicht das Eine tun und das Andere nicht lassen. Das Andere bedeutet, Wege aus der Sackgasse jenseits eingefahrener Gleise suchen, über Lösungen von Grund auf nachdenken, weiterführende Fragen aufwerfen, Aufgaben neu definieren. Und damit sind wir bei der vorliegenden Ausgabe.

Auch Form Follows Performance ist vor dem Hintergrund des Klimawandels zu lesen. Beide Hefte sind sich einig in der Unterscheidung zwischen Effizienz und Effektivität, betrachten Architektur bzw. Gebautes von der Kategorie des Verhaltens her und sehen in der Performance von Gebäuden nicht nur eine Funktion von Energiekennzahlen, sondern der sinnlichen Wahrnehmung in ihrer Gänze. Hier aber endet die Ähnlichkeit. Während „Architektur im Klimawandel“ sich auf der Suche nach einer überzeugenden Integration von Raum- und Klimakonzept einen Weg durch das Dickicht der aktuellen Fachspezifik und des überbordenden Spezialistentums bahnt, wird von den Autoren von „Form Follows Performance“, Michael Hensel und Achim Menges, ein eigenes Konzept für genau diese Integration vorgestellt. Dieses Konzept entstand in der Verschränkung von Forschung und Lehre, wobei dem Entwurf ein zentraler methodischer Stellenwert zukommt. Womit haben wir es zu tun? Genau genommen ist es eine Vision, was Architektur sein könnte oder besser: wie sie beschaffen sein sollte, deren grundsätzliche Machbarkeit im Entwurfsprozess mehrfach experimentell getestet wurde. Der Ausgangsgedanke ist ein denkbar einfacher: Die Evolution natürlicher Sys-teme erfolgt in Anpassung an die jeweiligen Umweltanforderungen. Anpassung bedeutet Spezialisierung, sprich Ausdifferenzierung. Diesem Vorgang verdanken wir die unendliche Vielfalt der Arten. Die Menschen gehören z.B. zu der Gruppe der Tetrapoden, der Vierfüßer. Jeder erkennt in den Flügeln des Vogels oder den Flossen des Wals die eigenen Arme, in den Krallen der Raubtiere oder den Hufen der Wiederkäuer die eigenen Finger bzw. Zehen wieder, dazu braucht es keine komplizierten Theorien.

Evolutionäres Entwerfen ist seit rund 15 Jahren, seit dem Aufkommen der Blobs, en vogue. Es dient meist der Erweiterung des formalen Arsenals der Architektur. Die Frage, wie ein Gebäude evolutionär in Anpassung an die äußeren Umstände entstehen kann, wurde nie gestellt. Ganz sicher entsteht es nicht, indem der Computer mit Hilfe genetischer Algorithmen beliebige Formen evolviert, deren Auswahl durch pseudorationale Evaluierungskriterien oder das willkürliche Einfrieren des Prozesses erfolgt, wie Eisenman es einmal erläuterte, und die dann für ihre Materialisierung eines Heers an Spezialisten und Technikern bedürfen. Das hier vorgestellte Konzept grenzt sich entschieden von diesem Missverständnis des biologischen Vorbilds ab. In der Natur gibt es die platonische Trennung zwischen der Form und dem Stoff, aus dem die Form besteht, nicht. Das Hervortreiben von Formen entsteht im Prozess ihrer Materialisierung. Hier beginnt die eigentliche Innovation und hier liegt der Ansatzpunkt für eine in ihre Umwelt eingepasste Architektur, deren Performance aus dem Wechselspiel zwischen äußeren Faktoren und Form gewordener Materialität resultiert.

Nach der ersten Euphorie über die Entschlüsselung des genetischen Codes zeigte sich sehr bald, dass damit noch nicht viel gewonnen ist, solange wir die komplexen physiologischen Prozesse der Umsetzung der Codes nicht nachvollziehen können. Die Natur verfolgt keinen Blaupausendeterminismus, das würde die Entstehung von Neuem in der Anpassung an spezifische Umwelten ausschließen. Im Schlüsselbegriff des Materialsystems, den Hensel und Menges geprägt haben, ist die Simulation solcher physiologischen Prozesse in vereinfachter Form enthalten. Materialsysteme bedeuten einen Maßstabssprung vom Organismus bzw. dem Gebäude auf die Ebene von Strukturen. Natürliche Systeme gewinnen ihre Leistungsfähigkeit, sprich Performance, unter anderem aus der internen Differenzierung von Strukturen. Auch Strukturen sind nichts anderes als im Hinblick auf spezifische Umweltanforderungen Form gewordene Materialität. Dieser Zusammenhang von Form- und Materialwerdung lässt sich auf allen Maßstabsebenen verfolgen, aber Strukturen bieten einen guten Ansatzpunkt für die Übersetzung des Differenzierungsprozesses natürlicher Systeme in die Architektur – und darum vor allem geht es im Konzept von Hensel und Menges. In der strukturellen Differenzierung der raumbildenden Begrenzungen von Gebäuden könnte das neue performative Potenzial von Architektur liegen. Dabei ist weder die direkte Nachahmung eines biologischen Vorbilds noch eine Quasi-Lebendigkeit von Architektur gemeint. Auch das wären fatale Missverständnisse. Die Forschung an diesem Konzept bewegt sich auf einer proto-architektonischen Ebene. Klassische Gebäudeentwürfe stehen noch aus. In dem Sinne handelt es sich wirklich um eine Vision. Es wurde eingangs von den Anpassungsleistungen gesprochen, die der Klimawandel einfordern wird. Was könnte passender sein, als das Nachdenken über eine Architektur, die im Zusammenspiel mit der Umwelt ihre Qualitäten entfaltet?

Ausblick: Mit dem Wettbewerb „Simple Systems, Complex Capacities“ wollen wir, die Redaktion und die Autoren, für eine breitere Diskussion des vorgestellten Konzepts sorgen, und natürlich erhoffen wir uns auch eine Weiterentwicklung dieses Konzepts und Anregungen, die vielleicht von ganz anderer Seite kommen. Außerdem: Zurzeit scheint fast alles losgelöst von den jeweiligen Inhalten Design zu werden bis dahin, dass Design alles ist. Das Konzept von Hensel und Menges steht dieser Haltung diametral entgegen: In der Natur gibt es kein Design, außer für die Anhänger des Creationismus.

Rückblick: Die schwarzen Seiten wurden von Bruno Schindler in ARCH eingeführt. Sie dienten der Untergliederung des Heftes und übernahmen die Aufgabe des kritischen Blicks. Von daher sind sie in einem spezifischen Kontext entstanden, aber ihre Besonderheit: die Argumentation mit Bildern hebt sie auch über diesen Kontext hinaus. Der Reprint zeigt eine typische Auswahl:?Zwei der vier Doppelseiten sind eher „fachspezifisch“, sie lassen sich in Beziehung zu der vorliegenden Ausgabe setzen, während die anderen zwei sich Themen des Abendlands widmen, die wie ein falscher Fünfziger immer wiederkehren.

[1] Vgl. Eitel, Bernhard. Wüstenränder. Brennpunkte der Entwicklung, in: Spektrum der Wissenschaft 5, 2008, S. 70 ff

ARCH+, Mo., 2008.07.28



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01. Dezember 2004Sabine Kraft
ARCH+

PCM - Phase Change Material

Mit Phase Change Materialien lassen sich keine spektakulären optischen Effekte erzielen, genaugenommen überhaupt keine optischen oder ästhetischen Effekte....

Mit Phase Change Materialien lassen sich keine spektakulären optischen Effekte erzielen, genaugenommen überhaupt keine optischen oder ästhetischen Effekte....

Mit Phase Change Materialien lassen sich keine spektakulären optischen Effekte erzielen, genaugenommen überhaupt keine optischen oder ästhetischen Effekte. Phase Change Materialien sind wie unsichtbare kleine Helfer, die man nur anhand ihres Wirkens bemerkt – das aber ist beträchtlich.
Sie verleihen anderen Materialien, in die sie integriert werden, ein physikalisches Verhalten, als ob sie über eine große thermische Masse verfügten.
Das stellt gewissermaßen die Gesetze der Bauphysik, die sich so humorlos in den Betrieb eines Gebäudes einmischen, auf den Kopf.

Das große Defizit des Leichtbaus liegt bekanntlich in der fehlenden Speichermasse, die temperaturausgleichend wirken könnte. Leichtbauten reagieren unmittelbar auf Änderungen des Außenklimas. Vor allem der Aufheizeffekt läßt sich nur schwer in den Griff bekommen, während Wärmeverluste durch eine gute Dämmung vermieden werden können. Der (bau)technische Erfindergeist des letzten Jahrzehnts konzentrierte sich darauf, mit diesem Problem auf „natürliche“ Weise, d.h. weitgehend ohne künstliche Klimatisierung, fertig zu werden. Das Problem läßt sich vereinfachend so charakterisieren, daß Wärme immer dort ist, wo man sie nicht haben will, und immer dann fehlt, wenn man sie brauchen könnte. Trotz ständig verbesserter Baustoffe und Baustoffkombinationen wie Spezialgläser mit funktionalen Beschichtungen plus integriertem Sonnenschutz, trotz Fassadensystemen mit ausgeklügelten aerodynamischen Vorrichtungen à la Doppelfassade und trotz einer „intelligenten“ Steuerung von immer mehr Gebäudekomponenten, die von ähnlich nervöser Reagibilität ist wie das Gebäude selbst, erreichen Leichtbauten - wenn man ehrlich ist -, nur selten den thermischen Komfort, über den ein Ge-bäude verfügt, das lediglich seine Masse ins Feld führt. Der Versuch, Leichtbauten mit Hilfe natürlicher physikalischer Prozesse zu betreiben, hat zu Gebäuden geführt, die hochkomplexe, äußerst anfällige Maschinen sind. Die biologische Parallele ist nach wie vor eher Wunschdenken oder ästhetische Antizipation. PCMs sind sicher nicht die Problemlösung per se. Aber wenn eine 2 cm starke Schicht dieselbe thermische Speicherfähigkeit wie ein 24 cm starkes Ziegelmauerwerk aufweist, kann man schon von einer Neudefinition der Ausgangslage sprechen.

Latente Wärme
Die PCM-Technologie wurde bereits in den 60er Jahren bei der NASA entwickelt; sie basiert auf der ebenso einfachen wie genialen Überlegung, die in einem Material während des Phasenübergangs zwischen dem festen und flüssigen Aggregatzustand gespeicherte latente Energie für ein Wärmemanagement der Umgebung zu nutzen. Jedes Material speichert beim Erhitzen Energie, die sich in einer direkten Temperaturerhöhung niederschlägt. Man spricht von fühlbarer oder „sensibler“ Wärme. Dagegen bleibt beim Übergang von der festen zur flüssigen Phase, d.h. mit dem Erreichen des Schmelzpunkts des Materials, die Temperatur trotz weiterer Energiezufuhr solange konstant, wie beide Aggregatzustände gleichzeitig vorhanden sind. Erst wenn der Übergang abgeschlossen ist, steigt die Temperatur weiter an. Die während des Phasenübergangs gespeicherte Energie wird daher als versteckte oder „latente“ Wärme bezeichnet. Anschaulich wird dieser Vorgang z.B. bei einem Drink mit Eiswürfeln: Das Eis entzieht der umgebenden Flüssigkeit die Wärme, der Drink bleibt kalt, bis das Eis vollständig geschmolzen ist.
Das Maß für die am Schmelzpunkt gespeicherte Energiemenge ist die Schmelzenthalpie. Diese latente Energie geht nicht verloren, sondern steht bei der Umkehrung des Prozesses, dem Phasenübergang von flüssig zu fest, als Wärme wieder zur Verfügung. PCMs werden auch als Latentspeichermaterialien bezeichnet. Im Bereich geringer Temperaturänderungen ist die Speicherung latenter Wärme der Speicherung sensibler Wärme weit überlegen, da sehr viel größere Wärmemengen aufgenommen werden können. Als Anhaltspunkt kann man von einer 5 bis 10fach höheren Speicherdichte ausgehen bzw. von 1/10 bis 1/5 erforderlichen Materialvolumens, um dieselbe Leistung zu erzielen. Die Energiemenge, die in einem Phasenübergang steckt, läßt sich am Beispiel von Wasser gut verdeutlichen: Um 1 Kilo Eis bei 0°C zu schmelzen, braucht man dieselbe Energie wie für die Erhitzung von 1 Kilo Wasser von 0° auf 80°C, nämlich 333 kJ.

Ausgangsstoffe
Bekanntlich ändern nahezu alle Stoffe in einem je spezifischen Temperaturbereich ihren Aggregatzustand. Worin liegt die Eignung eines Materials als PCM? Ausschlaggebend für die praktische Verwendung ist, daß die Schmelz- bzw. Erstarrungstemperatur „eingestellt“ werden kann entsprechend dem gewünschten Einsatzzweck. So würde sich z.B. ein Material, dessen Phasenübergang erst bei 80°C beginnt, nicht dafür eignen, die Wärmespitzen in Bürogebäuden abzubauen, wohl aber, um in Transportboxen Speisen warm halten. Diese Voraussetzungen erfüllen derzeit im wesentlichen Paraffine und Salzhydrate. Man unterscheidet zwischen Wasser und wäßrigen Salzlösungen, die überwiegend für Kältespeicherung eingesetzt werden, und Paraffinen, Salzhydraten und eutektischen1 Mischungen von Salzhydraten für die Wärmespeicherung. Die Verwendung von Gashydraten und Salzen wird noch erforscht. Neben dieser Temperatureinstellung sind noch andere Materialkonstanten wie eine hohe Schmelzenthalpie, gute Wärmeleitfähigkeit, geringe Volumendifferenz beim Phasenübergang, kongruentes Schmelzverhalten und Zyklenstabilität im Hinblick auf langfristige Nutzung von Bedeutung. Dazu kommen Faktoren wie geringe Korrosivität und toxische Unbedenklichkeit. PCMs können prinzipiell in drei unterschiedlichen Formen eingesetzt werden:

* makroverkapselt: Unbehandelte PCMs kommen nur dann zum Einsatz, wenn die Verflüssigung während des Phasenübergangs keine Probleme bereitet, also in geschlossenen Systemen, Containern, doppelwandigen Behältern, als hermetisch verschlossene Speicherbausteine in diversen Größen etc.
* gebunden: Hier sind die PCMs in Trägermaterialien mit Saug- oder Matrixstrukturen eingelagert. Aufgrund der Kapillarwirkung (und irgendwelcher Additive) bleibt das PCM auch bei Verflüssigung im Material gebunden. Man kann sich das so ähnlich wie die Funktionsweise von Katzenstreu vorstellen. Gebundene PCMs gibt es in Pulver- und Granulatform oder weiterverarbeitet als Plattenmaterial.
* mikroverkapselt: Die PCMs sind von einer Hülle aus Acrylat, Melamin oder anderen Kunststoffen umgeben. Die Mikrokapseln können als Pulver oder Dispersion in fast jedes andere Material, das abbindet oder erhärtet, eingerührt werden, so wie Zucker in einen Kuchenteig.

PCMs bilden zusammen mit ihrem Trägermaterial eine neue Klasse von Kompositen. Man könnte sie als Klimakomposite bezeichnen.


Praktische Anwendungen
Funktionelle Textilien wurden im Rahmen des US-Raumfahrtprogramms bereits vor Jahrzehnten entwickelt. Auch die GIs, die im 2. Golfkrieg auf Bagdad vormarschierten, waren mit einer PCM dotierten Weste ausgestattet. Ein Kleidungsstück, das bei Hitze, egal ob infolge körperlicher Anstrengung oder der Außentemperatur, kühlt und das, wenn die Temperatur sinkt, die gespeicherte Wärme wieder abgibt, ist unmittelbar einleuchtend. So sind Jacken, Handschuhe, Einlegesohlen für heißgelaufene Füße oder auch Bettwäsche und Kleidung für Wintersport im Handel. Die PCMs sind dabei häufig in Einlagestoffen integriert, können aber auf jeder Art von Textil untergebracht werden, also auch Heimtextilien wie Vorhänge oder technischen Textilien.
Transport temperaturempfindlicher Güter: Ob Speisen warm (80°C) oder Medikamente, Blutplasma und Organe kühl (5°C) gehalten werden sollen, für beides sind PCMs hervorragend geeignet. Mit speziellen Transportboxen können sogar -20°C bei einer Außentemperatur von 30°C über vier Tage konstant gehalten werden.
Motorvorwärmung: Der Kaltstart von Motoren bedeutet erhöhten Energieverbrauch und Materialverschleiß. Ein Latentwärmespeicher im Kühlwasserkreislauf lädt sich, während der Motor läuft, mit Abwärme auf, die beim nächsten Start an das Kühlwasser abgegeben wird. So wird der Motor binnen kurzem auf die optimale Betriebstemperatur gebracht.
Schutz elektronischer Bauteile: PCMs fangen ohne Temperaturfühler oder Lüftungsmotoren Wärmespitzen ab, die elektronische Bauteile schnell altern lassen. Über die Kühlrippen kann die Wärme wieder abgegeben werden. Der Vorteil liegt in einer viel kleiner dimensionierten Kühlung, die ohne zusätzlichen Stromverbrauch zuverlässig funktioniert.

PCMs in Gebäuden
PCMs in Gebäuden Wie bei fast allen neuen Produkten hinkt in der praktischen Umsetzung das Bauen den anderen technischen Bereichen oder dem Design hinterher. Aus diesem Grund wurden vom BMWi zwei Forschungs-Verbundprojekte zwischen Rohstoff- und Baustoffherstellern gefördert, um die Produktentwicklung in der Baubranche zu beschleunigen. Die Projekte wurden im Herbst 2003 abgeschlossen.2 Damit ist vielleicht ein erster Anfang für den Einsatz von PCMs in Gebäuden gemacht, die Möglichkeiten sind aber keineswegs ausgelotet, wie einige Pilotprojekte zeigen. Zentral sind hier folgende Überlegungen:

* Umgekehrt zur Funktion von Wärmedämmung, die im Winter Wärmeverluste aus dem Gebäude minimiert, wirken PCMs im Sommer, indem sie den Wärmeüberschuß im Gebäude wegspeichern. Man kann mit PCMs keine Heizkosten sparen, aber in Bürogebäuden Kühllasten reduzieren. Eine Ausnahme bildet die Zwischenspeicherung und zeitverzögerte Abgabe solarer Energiegewinne oder die Nutzung von Abwärme.
* So wie Wärmedämmungen außen sollten PCMs innen angebracht werden, außerdem muß genügend freie, nicht verstellte Fläche vorhanden sein, damit der konvektive Wärmeaustausch stattfinden kann. Forschungen darüber, inwieweit PCMs auch im Außenputz eine sinnvolle Aufgabe übernehmen können, indem sie eine Veralgung verhindern, sind noch nicht abgeschlossen.
* PCMs können gleichermaßen für passive wie aktive Systeme genutzt werden. Bei passiven Systemen geben sie nach dem Absinken der Außentemperatur, also in der Regel abends oder nachts, die gespeicherte Wärme wieder ab. In Hitzeperioden, wenn die Nachtabkühlung nicht ausreichend funktioniert, könnte das für Bürogebäude mit den am Arbeitsplatz einzuhaltenden 26°C nicht ausreichen. Demgegenüber führen aktive Systeme die gespeicherte Wärme unmittelbar über ein anderes Medium, z.B. Wasser, ab.

Temperaturregulierender Putz: Die in den Gips-Maschinenputz eingelagerten mikroverkapselten Paraffine sind auf einen Temperaturbereich von 20 - 24°C eingestellt. Eine 3 cm starke Putzschicht hat dasselbe thermische Verhalten wie eine 28,8 cm starke Leichtziegelwand. Der Putz wirkt nur solange temperaturregulierend, wie der Speicher nicht voll beladen ist. Er muß über Nachtlüftung entladen werden. Da Paraffin brennbar ist, wurde der Putz in die Brandschutzklasse B2 eingeordnet, er kann aber mit einer feuerhemmenden Beschichtung auch den Anforderungen der Baustoffklasse B1 genügen. Unter dem Markennamen „maxit clima“ im Handel erhältlich.
Temperaturregulierende Gipsbauplatte: Im Rahmen des von der Transsolar Energietechnik entwickelten Energie- und Klimakonzepts für das Haus der Gegenwart in München (Architekten: Allmann, Sattler & Wappner) sind für den Innenausbau 15 mm starke Gipsbauplatten mit einem Anteil von ca. 30 % mikroverkapseltem Paraffin vorgesehen, Schalttemperatur 23°C. Sie sind beidseitig mit einem Glasfaservlies ummantelt und erreichen die Brandschutzklasse B2. Inwieweit diese eigens entwickelten Platten später im Handel zu beziehen sind, ist derzeit völlig offen.
Aktive Kühldecke: Für den Neubau einer Ausstellungs- und Vortragshalle der Ludwigshafener Wohnungsbaugesellschaft (LUWOGE) wurde von der Transsolar Energietechnik ein neues Kühldeckenelement mit integriertem Wärmespeicher entwickelt. Es kann wie eine konventionelle Kühldecke abgehängt werden. Das Element besteht aus einer 5 cm starken, rundum geschlossenen Metallkassette mit eingelegter Kapillarrohrmatte, die mit einer Mischung aus Gips und 40 % mikroverkapseltem Paraffin befüllt ist, Einstelltemperatur 22°C, Brandschutzklasse B1. Die Kapillarrohrmatten können, wenn das Temperaturgefälle zwischen Tag und Nacht zur Entladung des Speichers nicht ausreicht, von Wasser durchströmt werden.
Passive Kühldecke: Über einer abgehängten Decke werden Aluminiumverbundbeutel plaziert, die mit Salzhydraten ge-füllt sind, Temperaturbereich 22 - 25°C. Die Deckenpaneele sollten wegen der besseren Wärmeleitung aus Metall sein. Das System kann auch nachträglich eingebaut und beliebig nachgerüstet werden. Die Aluminiumbeutel sind unter dem Markennamen "Delta®-Cool 24" erhältlich.
Solare Fußbodenheizung: Die Rohrschlangen einer herkömmlich verlegten Fußbodenheizung werden mit einer Schüttung aus Tongranulat umgeben, in dessen Saug- und Matrixstruktur Paraffin eingebunden ist. Das PCM kann bis zu 0,6 kWh pro qm Fußbodenfläche aufnehmen und fungiert als Zwischenspeicher für die Energiegewinne aus Solarkollektoren. Bereits bei geringen Unterschieden der Oberflächentemperatur wird diese Wärme freigesetzt, der Heizkessel muß wesentlich seltener anspringen. Die Heizkostenersparnis von ca. 35 % ergibt sich aus den Synergien des gesamten Systems.
In ähnlicher Weise kann auch eine mit Salzhydraten ge-füllte Noppenbahn genutzt werden, die im Rahmen von "Delta®-Cool 24" angeboten wird. Da die PCMs in den Noppen makroverkapselt sind, eignet sich diese Bahnenware auch für die ausgleichende Wärmeversorgung von Frühbeeten.
Solares Fassadenelement: Bei dem Nullenergiehaus des Architekten Dietrich Schwarz in Ebnat-Kappel (Schweiz) wurde erstmalig eine neuartige Solarwand experimentell getestet. Sie besteht aus einer Mehrfachverglasung, in deren innenliegendem Scheibenraum Kunststoffbehälter, gefüllt mit reinem Paraffin, eingelagert sind. Eine Prismenscheibe im äußeren Scheibenzwischenraum reflektiert das Sonnenlicht und verhindert eine Überhitzung des Latentwärmespeichers. Dieses System wurde für die Alterswohnanlage in Domat/Ems weiterentwickelt und ist ab Frühjahr 2005 unter der Bezeichnung „Power Glass“ auf dem Markt. Das PCM, jetzt aus Brandschutzgründen ein Salzhydrat, wird in ca. 5 cm starke, an den Enden verschweißte beliebig lange Hohlprofile aus transluzentem Kunststoff eingelagert, die zu Platten in der gewünschten Höhe zusammengesteckt werden können. Wesentlich bei der Entwicklung dieses Systems war die Flexibilität sowohl in der Breite wie in der Länge. Dasselbe gilt für die Prismenscheibe, die auch aus einzelnen Kunststoffprofilen zusammengesteckt wird. Auf diese Weise können geschoßhohe Fassadenelemente in unterschiedlicher Größe vorfabriziert werden. Das PCM in dem Fassadenelement ist auf 28°C eingestellt, da es primär die Funktion eines reagiblen und effizienten Speichermediums für solare Energieeinträge übernimmt.

ARCH+, Mi., 2004.12.01



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