Editorial

Denn unser Traum von einem geschmeidigen Material, das unseren Absichten so leicht folgt, wie die Sprache unseren Gedanken, wird in Erfüllung gehen.
Henry van de Velde

1981 entwickelte Mike Davies sein Konzept für eine polyvalente Wand: Ein wenige Mikrometer starkes Sandwich in eine Glasfassade eingebettet, das mit 9 Funktionsschichten alle Elemente für eine thermische, optische und akustische Umweltsteuerung vorsah. Diese Gebäudehaut sollte aus dynamisch variablen Materialien bestehen und sich als Bestandteil eines intelligenten Service-Systems an Nutzergewohnheiten anpassen.1 Was ist daraus geworden? Sind wir heute, rund 25 Jahre später, auch 25 Jahre weiter? Das ist nicht einfach zu beantworten. Die polyvalente Wand nach Davies' Konzept gibt es nicht - und wird es so wahrscheinlich auch nie geben. Nicht, weil es „nur“ eine Vision war. Dazu kannte er sich zu gut aus, was den Stand der Forschung über Photo- und Elektrochromie, Flüssigkristalle, Photovoltaik, piezoelektrische Effekte etc. betraf. Aber der Weg von der wissenschaftlichen Erkenntnis bis zur technologischen Umsetzung ist nach wie vor sehr weit und unterwegs passiert einiges an Irrtümern, Modifikationen etc. Davies' zentrale Idee einer steuerbaren, reagiblen Gebäudehaut machte jedoch Schule und wurde in der Folge auf alle möglichen Arten durchbuchstabiert. Die Erfahrungen sind bekannt und, obwohl das technische know how über Gebäudeperformance immens gewachsen ist, letztlich ernüchternd. Die Vorstellung des Gebäudes als ein sich selbst regulierendes technisches System scheint nur bedingt realisierbar zu sein: zu viele Einflußfaktoren, Anfälligkeiten, Fehl- bzw. Übersteuerungen und, nicht zuletzt, der dumme Benutzer, der von dem intelligenten Haus vor die Tür gesetzt wird.2 Geblieben ist der Systemgedanke, daß beim Leichtbau alle beteiligten Materialien ihren Beitrag zur Gebäudeperformance leisten sollten. Um so besser, wenn sie das von sich aus tun ohne zusätzliche Steuerung. Es wäre fatal, wenn das als Kehrtwende und Absage an high tech mißverstanden würde - den Weg zurück gibt es nur als Romantizismus; tatsächlich korrespondiert die Zerlegung eines Gesamtsystems in selbständig agierende Untereinheiten, die in ihrem Zusammenwirken stabiler und leistungsfähiger sind als ein zentrales System, mit den neueren Entwicklungen im elektronischen Bereich. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage lautet also: Ja, wir sind weitergekommen, nicht gradlinig, aber in der Einschätzung dessen, was sinnvollerweise machbar ist. Und natürlich haben sich die Materialien weiterentwickelt, sowohl qualitativ, was ihre Eignung für spezifische Funktionen betrifft, als auch in einer quantitativen Explosion. Es gibt keine Zahlen, aber eine Verzehnfachung dürfte, Werkstoffe und Halbzeuge zusammengenommen, viel zu niedrig geschätzt sein. Vermutlich ist es eher, berücksichtigt man die wachsende Produktdiversifikation eines Stoffs, eine Verhundertfachung.

Das war eine der Schwierigkeiten bei der Konzipierung dieses Hefts. Die Welt der Materialien ist zu einem Schlaraffenland geworden, wo jeder Systematisierungsversuch im Reisberg steckenbleibt. Die Unterteilung in Fallstudien erlaubt sowohl eine selektive Vertiefung des Themas als auch die beispielhafte Dokumentation. Folgende Beobachtungen und Fragen waren für die Auswahl maßgeblich:

1. Ein Großteil der hippen Materialentwicklungen bzw. -entdeckungen, wie sie in den jüngst erschienen Materialkatalogen vorgestellt werden3, geschieht im Designbereich. Was davon hält den restriktiveren Anwendungskriterien des Bauens stand? Das Heft will nur Materialien vorstellen, die für das Bauen tatsächlich relevant sind oder werden können.

2. Natürlich konnte es nur um Leichtbau gehen. Die neuere Konjunktur massiver Bauweisen ist unter dem Aspekt der Materialentwicklung weniger interessant, obwohl auch hier, vor allem mit der Anmutung von Beton, experimentiert wird.

3. Obwohl sich im Umfeld von Glas nach wie vor viel tut, sind es nicht mehr die großen technologischen Neuerungen der 90er Jahre, sondern eher Festigung und Ausbau des erreichten Stands. Das betrifft jegliche Form von Verbundkonstruktionen und Glassandwiche. Von daher spielt Glas in diesem Heft nur eine marginale Rolle. Viel spannender ist, daß derzeit in der Architektur wieder alle Materialien im Spiel sind, und einer der Entwicklungsschwerpunkte bei Kunststoff und Beton als Leichtbaumaterialien liegt.

4. Die Beschäftigung mit den Herstellungstechniken ergab sich zwangsläufig aus der Frage nach der immer feinteiligeren Spezifizierung von Materialeigenschaften, sowohl in funktionaler wie inszenatorischer Sicht. Dabei zeigten sich material- übergreifende Prinzipien der Werkstoffentwicklung. Außerdem definieren die Herstellungstechniken die Anwendungschancen eines neuen Werkstoffs bzw. die Möglichkeiten des Transfers von Werkstoffen aus anderen Bereichen wie der Luft- und Raumfahrt und dem Automobilbau.

5. Diese Prinzipien der Werkstoffentwicklung lassen sich in drei Hauptgruppen aufspüren. Die erste und größte bilden die Komposite. Hier sind die Fallstudien über faserverstärkte Betone und Kunststoffe, aber auch die Phase Change Materialien einzuordnen. Die zweite Gruppe der Schäume (Fallstudie 4) definiert eine eigene Logik der Werkstoffherstellung, die gegenüber der Variation der Zusammensetzung eines Stoffs auf Strukturveränderungen basiert. Die dritte Gruppe schließlich bestreiten die Oberflächentechnologien (Fallstudie 5 und 6 über Nanowerkstoffe und Leuchtende Flächen). Beschichtungen wurden bis dato nicht als eigenständige Werkstoffgruppe definiert, sondern als eine Art Additiv zu bestehenden Werkstoffen. Das scheint in Anbetracht der wachsenden Bedeutung der Oberfläche und der Möglichkeiten der Beeinflussung von Eigenschaften durch Oberflächentechnologien nicht mehr gerechtfertigt.

6. Das Beispiel der polyvalenten Wand zeigt, daß die Orientierung am technisch Möglichen leider wenig über das praktisch Machbare aussagt und auch nicht über den Zeithorizont der Umsetzung. Offensichtlich ist es so, daß die eigentliche Innovation, die Erforschung von Zusammenhängen, die die Entwicklung von Technologien an-stößt, die leichteste Übung ist. Danach geht es mit den Schwierigkeiten los. Bis und ob ein verwertbares Produkt herauskommt, dauert es Jahre, und ob es dann für das Bauen taugt, unterliegt wieder anderen Kriterien. Aus diesem Grund präsentiert das Heft nur Werkstoffe, die kurz vor der Anwendung stehen bzw. gerade neu eingeführt wurden oder die in Pilotprojekten erste Anwendungserfahrungen gesammelt haben - also kommende Materialien.

Das gilt auch für die beiden vorgestellten Konzepte einer adaptiven Gebäudehülle, „Paul“ von Holzbach/Sobek (Fallstudie 3) und „SmartWrap“ von Kieran Timberlake (Fallstudie 7). Beide Konzepte gibt es als Prototypen, da sie sich nur tatsächlich verfügbarer Materialien bedienen. Trotzdem sind einige Zweifel an der Realisierbarkeit anzumelden, insbesondere was „SmartWrap“ be-trifft, das als eine Fortentwicklung der Idee der polyvalenten Wand betrachtet werden kann. LEDs und Solarzellen auf Polymerbasis werden in Displays und elektronischen Geräten eine breite An-wendung finden, das ist absehbar. Aber im Bauen? Hier gibt es zwei große Hemmnisse, den Konservativismus der gestandenen Praktiker nicht mitgerechnet. Erstens geht es beim Bauen immer um größere Mengen, und die jeweils neuesten Technologien sind teuer. Längerfristig bietet das allerdings die Chance der Verbilligung. Zweitens haben Gebäude einen mindestens sechsfach größeren Abschreibungszeitraum als consumer electronics, und eine vergleichsweise unbeschränkte Lebensdauer. Die Haltbarkeit dieser neuen Produkte muß sich erst noch erweisen.
Von daher werden Architekten auf vieles, daß heute technisch möglich ist und in anderen Bereichen umgesetzt wird, noch warten müssen. Das ist nichts für ungeduldige Menschen.

1 vgl. dazu Mike Davies, Eine Wand für alle Jahreszeiten, in: 104 ARCH+, S. 46 ff., Juli 1990
2 vgl. dazu Vilém Flusser, Ephemere, dialogische Architektur, S. 41, in: 111 ARCH+, März 1992
3 Die Kataloge sind im Leserservice auf S. 81 aufgeführt.

Inhalt

04 Kritik: ACHTUNG Pop! | Angelika Schnell
06 Innovative Lichtsteuerung | Firmenportrait se Lightmanagement
08 Ludwig Leo 80
09 Zeitschriftenschau
10 Nicht berühren. Eine Ausstellung in Berlin
10 Der Architekt als Verkäufer
11 „Über dich wird hier berichtet!“
12 Ergebnis des Internationalen Ideenwettbewerbs „Schrumpfende Städte - Die Stadt neu denken“
13 YEA - Young European Architects
13 Betrifft: 166 und 167 archplus
13 Betrifft: 171 archplus
13 Buchtips
14 Volkspalast: Zwischennutzung des Palastes der Republik
16 Fahrstuhl zum Erfolg. Zlín, die Stadt des Schuhfabrikanten Bat'a
17 Grüntuch Ernst. Points of Access | Buchbesprechung
17 Herzog & de Meuron: Zwei Ausstellungen in Basel
17 Ausstellungstips
18 Sweet Dreams. Herzog & de Meuron

Schwerpunkt: Material
23 Editorial
24 Werkstoffe - Eigenschaften als Variablen | Sabine Kraft
Fallstudie 1: Faserbetone
29 Textilbeton | Christian Schätzke, Hartwig N. Schneider
32 Transluzenter Beton
34 Fallstudie 2: Faserverstärkte Kunststoffe | Sabine Einhäuser, Katharina Stelzer
38 D-tower: Interaktiver Turm | NOX Architekten mit Q. S. Serafijn
44 Fallstudie 3: Phase Change Materialien | Sabine Kraft
48 „Paul“ - adaptive textile Gebäudehüllen | Markus Holzbach, Werner Sobek
50 Fallstudie 4: Geschäumte Materialien | Schirin Taraz-Breinholt
54 Achtundneunzig Prozent Nichts | Ron Witte
56 Fallstudie 5: Nanowerkstoffe und Nanobeschichtungen | Sabine Kraft
60 Institut für Neue Materialien
62 Fallstudie 6: Leuchtende Flächen | Schirin Taraz-Breinholt
67 Give Back Curtain | Kennedy & Violich Architecture
70 Fährterminal N.Y. - 34th Street | Kennedy & Violich Architecture
Fallstudie 7: Smart Materials
72 Smart Materials - reagible Werkstoffe | Walter Haase
74 Smart Wrap TM | Kieran Timberlake Associates
77 Materialpräsenz: Die Rückkehr des Realen | Sheila Kennedy
81 Leserservice

PCM - Phase Change Material

Mit Phase Change Materialien lassen sich keine spektakulären optischen Effekte erzielen, genaugenommen überhaupt keine optischen oder ästhetischen Effekte. Phase Change Materialien sind wie unsichtbare kleine Helfer, die man nur anhand ihres Wirkens bemerkt – das aber ist beträchtlich.
Sie verleihen anderen Materialien, in die sie integriert werden, ein physikalisches Verhalten, als ob sie über eine große thermische Masse verfügten.
Das stellt gewissermaßen die Gesetze der Bauphysik, die sich so humorlos in den Betrieb eines Gebäudes einmischen, auf den Kopf.

Das große Defizit des Leichtbaus liegt bekanntlich in der fehlenden Speichermasse, die temperaturausgleichend wirken könnte. Leichtbauten reagieren unmittelbar auf Änderungen des Außenklimas. Vor allem der Aufheizeffekt läßt sich nur schwer in den Griff bekommen, während Wärmeverluste durch eine gute Dämmung vermieden werden können. Der (bau)technische Erfindergeist des letzten Jahrzehnts konzentrierte sich darauf, mit diesem Problem auf „natürliche“ Weise, d.h. weitgehend ohne künstliche Klimatisierung, fertig zu werden. Das Problem läßt sich vereinfachend so charakterisieren, daß Wärme immer dort ist, wo man sie nicht haben will, und immer dann fehlt, wenn man sie brauchen könnte. Trotz ständig verbesserter Baustoffe und Baustoffkombinationen wie Spezialgläser mit funktionalen Beschichtungen plus integriertem Sonnenschutz, trotz Fassadensystemen mit ausgeklügelten aerodynamischen Vorrichtungen à la Doppelfassade und trotz einer „intelligenten“ Steuerung von immer mehr Gebäudekomponenten, die von ähnlich nervöser Reagibilität ist wie das Gebäude selbst, erreichen Leichtbauten - wenn man ehrlich ist -, nur selten den thermischen Komfort, über den ein Ge-bäude verfügt, das lediglich seine Masse ins Feld führt. Der Versuch, Leichtbauten mit Hilfe natürlicher physikalischer Prozesse zu betreiben, hat zu Gebäuden geführt, die hochkomplexe, äußerst anfällige Maschinen sind. Die biologische Parallele ist nach wie vor eher Wunschdenken oder ästhetische Antizipation. PCMs sind sicher nicht die Problemlösung per se. Aber wenn eine 2 cm starke Schicht dieselbe thermische Speicherfähigkeit wie ein 24 cm starkes Ziegelmauerwerk aufweist, kann man schon von einer Neudefinition der Ausgangslage sprechen.

Latente Wärme
Die PCM-Technologie wurde bereits in den 60er Jahren bei der NASA entwickelt; sie basiert auf der ebenso einfachen wie genialen Überlegung, die in einem Material während des Phasenübergangs zwischen dem festen und flüssigen Aggregatzustand gespeicherte latente Energie für ein Wärmemanagement der Umgebung zu nutzen. Jedes Material speichert beim Erhitzen Energie, die sich in einer direkten Temperaturerhöhung niederschlägt. Man spricht von fühlbarer oder „sensibler“ Wärme. Dagegen bleibt beim Übergang von der festen zur flüssigen Phase, d.h. mit dem Erreichen des Schmelzpunkts des Materials, die Temperatur trotz weiterer Energiezufuhr solange konstant, wie beide Aggregatzustände gleichzeitig vorhanden sind. Erst wenn der Übergang abgeschlossen ist, steigt die Temperatur weiter an. Die während des Phasenübergangs gespeicherte Energie wird daher als versteckte oder „latente“ Wärme bezeichnet. Anschaulich wird dieser Vorgang z.B. bei einem Drink mit Eiswürfeln: Das Eis entzieht der umgebenden Flüssigkeit die Wärme, der Drink bleibt kalt, bis das Eis vollständig geschmolzen ist.
Das Maß für die am Schmelzpunkt gespeicherte Energiemenge ist die Schmelzenthalpie. Diese latente Energie geht nicht verloren, sondern steht bei der Umkehrung des Prozesses, dem Phasenübergang von flüssig zu fest, als Wärme wieder zur Verfügung. PCMs werden auch als Latentspeichermaterialien bezeichnet. Im Bereich geringer Temperaturänderungen ist die Speicherung latenter Wärme der Speicherung sensibler Wärme weit überlegen, da sehr viel größere Wärmemengen aufgenommen werden können. Als Anhaltspunkt kann man von einer 5 bis 10fach höheren Speicherdichte ausgehen bzw. von 1/10 bis 1/5 erforderlichen Materialvolumens, um dieselbe Leistung zu erzielen. Die Energiemenge, die in einem Phasenübergang steckt, läßt sich am Beispiel von Wasser gut verdeutlichen: Um 1 Kilo Eis bei 0°C zu schmelzen, braucht man dieselbe Energie wie für die Erhitzung von 1 Kilo Wasser von 0° auf 80°C, nämlich 333 kJ.

Ausgangsstoffe
Bekanntlich ändern nahezu alle Stoffe in einem je spezifischen Temperaturbereich ihren Aggregatzustand. Worin liegt die Eignung eines Materials als PCM? Ausschlaggebend für die praktische Verwendung ist, daß die Schmelz- bzw. Erstarrungstemperatur „eingestellt“ werden kann entsprechend dem gewünschten Einsatzzweck. So würde sich z.B. ein Material, dessen Phasenübergang erst bei 80°C beginnt, nicht dafür eignen, die Wärmespitzen in Bürogebäuden abzubauen, wohl aber, um in Transportboxen Speisen warm halten. Diese Voraussetzungen erfüllen derzeit im wesentlichen Paraffine und Salzhydrate. Man unterscheidet zwischen Wasser und wäßrigen Salzlösungen, die überwiegend für Kältespeicherung eingesetzt werden, und Paraffinen, Salzhydraten und eutektischen1 Mischungen von Salzhydraten für die Wärmespeicherung. Die Verwendung von Gashydraten und Salzen wird noch erforscht. Neben dieser Temperatureinstellung sind noch andere Materialkonstanten wie eine hohe Schmelzenthalpie, gute Wärmeleitfähigkeit, geringe Volumendifferenz beim Phasenübergang, kongruentes Schmelzverhalten und Zyklenstabilität im Hinblick auf langfristige Nutzung von Bedeutung. Dazu kommen Faktoren wie geringe Korrosivität und toxische Unbedenklichkeit. PCMs können prinzipiell in drei unterschiedlichen Formen eingesetzt werden:

* makroverkapselt: Unbehandelte PCMs kommen nur dann zum Einsatz, wenn die Verflüssigung während des Phasenübergangs keine Probleme bereitet, also in geschlossenen Systemen, Containern, doppelwandigen Behältern, als hermetisch verschlossene Speicherbausteine in diversen Größen etc.
* gebunden: Hier sind die PCMs in Trägermaterialien mit Saug- oder Matrixstrukturen eingelagert. Aufgrund der Kapillarwirkung (und irgendwelcher Additive) bleibt das PCM auch bei Verflüssigung im Material gebunden. Man kann sich das so ähnlich wie die Funktionsweise von Katzenstreu vorstellen. Gebundene PCMs gibt es in Pulver- und Granulatform oder weiterverarbeitet als Plattenmaterial.
* mikroverkapselt: Die PCMs sind von einer Hülle aus Acrylat, Melamin oder anderen Kunststoffen umgeben. Die Mikrokapseln können als Pulver oder Dispersion in fast jedes andere Material, das abbindet oder erhärtet, eingerührt werden, so wie Zucker in einen Kuchenteig.

PCMs bilden zusammen mit ihrem Trägermaterial eine neue Klasse von Kompositen. Man könnte sie als Klimakomposite bezeichnen.


Praktische Anwendungen
Funktionelle Textilien wurden im Rahmen des US-Raumfahrtprogramms bereits vor Jahrzehnten entwickelt. Auch die GIs, die im 2. Golfkrieg auf Bagdad vormarschierten, waren mit einer PCM dotierten Weste ausgestattet. Ein Kleidungsstück, das bei Hitze, egal ob infolge körperlicher Anstrengung oder der Außentemperatur, kühlt und das, wenn die Temperatur sinkt, die gespeicherte Wärme wieder abgibt, ist unmittelbar einleuchtend. So sind Jacken, Handschuhe, Einlegesohlen für heißgelaufene Füße oder auch Bettwäsche und Kleidung für Wintersport im Handel. Die PCMs sind dabei häufig in Einlagestoffen integriert, können aber auf jeder Art von Textil untergebracht werden, also auch Heimtextilien wie Vorhänge oder technischen Textilien.
Transport temperaturempfindlicher Güter: Ob Speisen warm (80°C) oder Medikamente, Blutplasma und Organe kühl (5°C) gehalten werden sollen, für beides sind PCMs hervorragend geeignet. Mit speziellen Transportboxen können sogar -20°C bei einer Außentemperatur von 30°C über vier Tage konstant gehalten werden.
Motorvorwärmung: Der Kaltstart von Motoren bedeutet erhöhten Energieverbrauch und Materialverschleiß. Ein Latentwärmespeicher im Kühlwasserkreislauf lädt sich, während der Motor läuft, mit Abwärme auf, die beim nächsten Start an das Kühlwasser abgegeben wird. So wird der Motor binnen kurzem auf die optimale Betriebstemperatur gebracht.
Schutz elektronischer Bauteile: PCMs fangen ohne Temperaturfühler oder Lüftungsmotoren Wärmespitzen ab, die elektronische Bauteile schnell altern lassen. Über die Kühlrippen kann die Wärme wieder abgegeben werden. Der Vorteil liegt in einer viel kleiner dimensionierten Kühlung, die ohne zusätzlichen Stromverbrauch zuverlässig funktioniert.

PCMs in Gebäuden
PCMs in Gebäuden Wie bei fast allen neuen Produkten hinkt in der praktischen Umsetzung das Bauen den anderen technischen Bereichen oder dem Design hinterher. Aus diesem Grund wurden vom BMWi zwei Forschungs-Verbundprojekte zwischen Rohstoff- und Baustoffherstellern gefördert, um die Produktentwicklung in der Baubranche zu beschleunigen. Die Projekte wurden im Herbst 2003 abgeschlossen.2 Damit ist vielleicht ein erster Anfang für den Einsatz von PCMs in Gebäuden gemacht, die Möglichkeiten sind aber keineswegs ausgelotet, wie einige Pilotprojekte zeigen. Zentral sind hier folgende Überlegungen:

* Umgekehrt zur Funktion von Wärmedämmung, die im Winter Wärmeverluste aus dem Gebäude minimiert, wirken PCMs im Sommer, indem sie den Wärmeüberschuß im Gebäude wegspeichern. Man kann mit PCMs keine Heizkosten sparen, aber in Bürogebäuden Kühllasten reduzieren. Eine Ausnahme bildet die Zwischenspeicherung und zeitverzögerte Abgabe solarer Energiegewinne oder die Nutzung von Abwärme.
* So wie Wärmedämmungen außen sollten PCMs innen angebracht werden, außerdem muß genügend freie, nicht verstellte Fläche vorhanden sein, damit der konvektive Wärmeaustausch stattfinden kann. Forschungen darüber, inwieweit PCMs auch im Außenputz eine sinnvolle Aufgabe übernehmen können, indem sie eine Veralgung verhindern, sind noch nicht abgeschlossen.
* PCMs können gleichermaßen für passive wie aktive Systeme genutzt werden. Bei passiven Systemen geben sie nach dem Absinken der Außentemperatur, also in der Regel abends oder nachts, die gespeicherte Wärme wieder ab. In Hitzeperioden, wenn die Nachtabkühlung nicht ausreichend funktioniert, könnte das für Bürogebäude mit den am Arbeitsplatz einzuhaltenden 26°C nicht ausreichen. Demgegenüber führen aktive Systeme die gespeicherte Wärme unmittelbar über ein anderes Medium, z.B. Wasser, ab.

Temperaturregulierender Putz: Die in den Gips-Maschinenputz eingelagerten mikroverkapselten Paraffine sind auf einen Temperaturbereich von 20 - 24°C eingestellt. Eine 3 cm starke Putzschicht hat dasselbe thermische Verhalten wie eine 28,8 cm starke Leichtziegelwand. Der Putz wirkt nur solange temperaturregulierend, wie der Speicher nicht voll beladen ist. Er muß über Nachtlüftung entladen werden. Da Paraffin brennbar ist, wurde der Putz in die Brandschutzklasse B2 eingeordnet, er kann aber mit einer feuerhemmenden Beschichtung auch den Anforderungen der Baustoffklasse B1 genügen. Unter dem Markennamen „maxit clima“ im Handel erhältlich.
Temperaturregulierende Gipsbauplatte: Im Rahmen des von der Transsolar Energietechnik entwickelten Energie- und Klimakonzepts für das Haus der Gegenwart in München (Architekten: Allmann, Sattler & Wappner) sind für den Innenausbau 15 mm starke Gipsbauplatten mit einem Anteil von ca. 30 % mikroverkapseltem Paraffin vorgesehen, Schalttemperatur 23°C. Sie sind beidseitig mit einem Glasfaservlies ummantelt und erreichen die Brandschutzklasse B2. Inwieweit diese eigens entwickelten Platten später im Handel zu beziehen sind, ist derzeit völlig offen.
Aktive Kühldecke: Für den Neubau einer Ausstellungs- und Vortragshalle der Ludwigshafener Wohnungsbaugesellschaft (LUWOGE) wurde von der Transsolar Energietechnik ein neues Kühldeckenelement mit integriertem Wärmespeicher entwickelt. Es kann wie eine konventionelle Kühldecke abgehängt werden. Das Element besteht aus einer 5 cm starken, rundum geschlossenen Metallkassette mit eingelegter Kapillarrohrmatte, die mit einer Mischung aus Gips und 40 % mikroverkapseltem Paraffin befüllt ist, Einstelltemperatur 22°C, Brandschutzklasse B1. Die Kapillarrohrmatten können, wenn das Temperaturgefälle zwischen Tag und Nacht zur Entladung des Speichers nicht ausreicht, von Wasser durchströmt werden.
Passive Kühldecke: Über einer abgehängten Decke werden Aluminiumverbundbeutel plaziert, die mit Salzhydraten ge-füllt sind, Temperaturbereich 22 - 25°C. Die Deckenpaneele sollten wegen der besseren Wärmeleitung aus Metall sein. Das System kann auch nachträglich eingebaut und beliebig nachgerüstet werden. Die Aluminiumbeutel sind unter dem Markennamen "Delta®-Cool 24" erhältlich.
Solare Fußbodenheizung: Die Rohrschlangen einer herkömmlich verlegten Fußbodenheizung werden mit einer Schüttung aus Tongranulat umgeben, in dessen Saug- und Matrixstruktur Paraffin eingebunden ist. Das PCM kann bis zu 0,6 kWh pro qm Fußbodenfläche aufnehmen und fungiert als Zwischenspeicher für die Energiegewinne aus Solarkollektoren. Bereits bei geringen Unterschieden der Oberflächentemperatur wird diese Wärme freigesetzt, der Heizkessel muß wesentlich seltener anspringen. Die Heizkostenersparnis von ca. 35 % ergibt sich aus den Synergien des gesamten Systems.
In ähnlicher Weise kann auch eine mit Salzhydraten ge-füllte Noppenbahn genutzt werden, die im Rahmen von "Delta®-Cool 24" angeboten wird. Da die PCMs in den Noppen makroverkapselt sind, eignet sich diese Bahnenware auch für die ausgleichende Wärmeversorgung von Frühbeeten.
Solares Fassadenelement: Bei dem Nullenergiehaus des Architekten Dietrich Schwarz in Ebnat-Kappel (Schweiz) wurde erstmalig eine neuartige Solarwand experimentell getestet. Sie besteht aus einer Mehrfachverglasung, in deren innenliegendem Scheibenraum Kunststoffbehälter, gefüllt mit reinem Paraffin, eingelagert sind. Eine Prismenscheibe im äußeren Scheibenzwischenraum reflektiert das Sonnenlicht und verhindert eine Überhitzung des Latentwärmespeichers. Dieses System wurde für die Alterswohnanlage in Domat/Ems weiterentwickelt und ist ab Frühjahr 2005 unter der Bezeichnung „Power Glass“ auf dem Markt. Das PCM, jetzt aus Brandschutzgründen ein Salzhydrat, wird in ca. 5 cm starke, an den Enden verschweißte beliebig lange Hohlprofile aus transluzentem Kunststoff eingelagert, die zu Platten in der gewünschten Höhe zusammengesteckt werden können. Wesentlich bei der Entwicklung dieses Systems war die Flexibilität sowohl in der Breite wie in der Länge. Dasselbe gilt für die Prismenscheibe, die auch aus einzelnen Kunststoffprofilen zusammengesteckt wird. Auf diese Weise können geschoßhohe Fassadenelemente in unterschiedlicher Größe vorfabriziert werden. Das PCM in dem Fassadenelement ist auf 28°C eingestellt, da es primär die Funktion eines reagiblen und effizienten Speichermediums für solare Energieeinträge übernimmt.

ARCH+, Mi., 2004.12.01

01. Dezember 2004 Sabine Kraft

„Paul“ - adaptive textile Gebäudehüllen

Der Kokon „Paul“ befindet sich auf dem Gelände des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren ILEK an der Universität Stuttgart. Er ist dort im Rahmen einer Forschungsarbeit über adaptive textile Gebäudehüllen in den vergangenen vier Jahren entstanden. Paul zeigt Analogien gebauter Architektur zu lebenden Organismen auf - es handelt sich dabei weniger um eine organische Architektur, als um einen gebauten Organismus - er stellt eine gebaute Metamorphose dar. In der Natur sind solche Prozesse selbstverständlich. Gebäude der Zukunft und möglicherweise auch alle Bestandteile, die es ausmachen, können wie ein Organismus behandelt werden - daraus resultiert ganz selbstverständlich auch eine eigene Formensprache.

Es existiert das Bild einer verpuppten Schmetterlingsraupe, die im Gelände liegt. In der Dunkelheit kann man den sich im Inneren des Kokons abzeichnenden Schmetterling wahrnehmen. Paul verfügt in ästhetischer als auch physikalischer Hinsicht über nichtkonstante Eigenschaften, bzw. über die Fähigkeit zur selbsttätigen Anpassung an Umweltbedingungen.

Die oberste Hautschicht hat einen sehr geringen Grad der Konfektionierung - die Haut ist nicht tragend, sondern dient nur als Witterungschutz - dabei folgt die Faltung der biomorphen Gesamterscheinung. Insgesamt ist der Wandaufbau dem einer lebenden Haut ähnlich - sie besteht aus mehreren Schichten, die individuelle Funktionen besitzen - ein sogenanntes Multilayersystem aus verschiedenen Membran- und Funktionsschichten. Unter der obersten Wetterhaut zeichnet sich der Lichtlayer in Form eines Ader- oder Nervensystems ab. Dieses System verfügt über eine Gesamtlänge von 8 km und besteht aus Glas-Lichtleitfasern, die mit Hilfe von 1200 Lichtpunkten eine permanente Farbveränderung ermöglichen. Unter dem Lichtlayer befindet sich der Isolationslayer - eine Membran, die mit hochisolierenden Keramiken dotiert ist. Darunter liegt - als innerste Hautschicht der Speicherlayer - eine Membran, in die Phase Change Materials implementiert sind. Isolations- und Speicherlayer bauen sich aus mehr als 60.000 Zellen auf. Bei hohen Temperaturen ist die Membran weicher als bei tiefen Temperaturen. Die Gesamtdicke der Multilayerkonstruktion beträgt etwa 14 mm. Speicher- und Dämmwerte sind denen einer herkömmlichen Massivwand von etwa 15 cm Stärke vergleichbar. Auch die akustischen Eigenschaften sind gegenüber herkömmlichen Membrankonstruktionen verbessert. Im Gegensatz zu Massivbaukonstruktionen zeichnet sich der verwendete Multilayeraufbau durch einen hohen Grad der Transluzenz aus. Im Inneren von Paul ist es an sonnigen Tagen möglich, die im Wind wehenden Äste und Blätter der angrenzenden Bäume wahrzunehmen. In der Nacht dringt das Kunstlicht der zweiten Layerebene durch die Isolations- und Speicherebene ins Innere von Paul und erscheint durch die Zellstruktur als poetischer Sternenhimmel. Die Fügungen der Membran untereinander bzw. mit der Unterkonstruktion basieren auf Elementen aus der Kleidungstechnik, es handelt sich um Klett- und Reißverschlüsse - auch diese besitzen ihre Vorbilder in der Natur. Die klassischen Architekturlemente Dach und Wand sind aufgehoben - die Membranhaut beinhaltet diese. Der untere Teil der Schmetterlingspuppe besteht aus einem monolithischen Shape von etwa 8 m Länge - es handelt sich dabei um einen Glas-Kohle-Hybrid, der auf das Gelände gelegt wurde - es fand keine Fundamentgründung statt. In diese untere Schale sind Edelstahlrippen eingesteckt, die durch Glasfaserrods in Querrichtung gekoppelt sind. Paul reagiert auf wechselnde äußere Klima- und Witterungsbedingungen, z.B. hinsichtlich Temperaturhaushalt, Speichervermögen, Lichtdurchlässigkeit, Akustik und Farbeigenschaften.

Durch die Arbeit sollen technisch und ästhetisch neue Möglichkeiten des Bauens und grundlegende Anforderungen an die Funktion einer adaptiven textilen Gebäudehülle wie auch die daraus resultierenden Möglichkeiten der Formausbildung aufgezeigt werden. Ziel sind „intelligente“ Gebäudehüllen, die sich selbständig und möglicherweise nicht computergesteuert oder elektronisch inspiriert an ihre Umgebung anpassen.

ARCH+, Mi., 2004.12.01

01. Dezember 2004 Markus Holzbach, Werner Sobek

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