Editorial

Think global, build social! ist nicht nur der Titel dieser Ausgabe, die als Katalog der gleichnamigen, von Andres Lepik für das Deutsche Architekturmuseum und das Architekturzentrum Wien kuratierten Ausstellung fungiert. Think global, build social! ist zugleich ein Programm, das eine neue inhaltliche und berufliche Perspektive für Architekten propagiert. Unter diesem Banner vereinigen Ausgabe und Ausstellung Projekte aus der ganzen Welt, die an die Debatten um Heimatschutzarchitektur und landschaftsgebundenes Bauen der 1910er Jahre oder den Kritischen Regionalismus der 1970er Jahre erinnern. Im Unterschied zu den konservativ gefärbten Richtungen des letzten Jahrhunderts werden heute Heimat, Landschaft und Region jedoch nicht mehr als kulturelle Kampfbegriffe gegen die technisch-industrielle Zivilisation mobilisiert. Stattdessen werden Zivilisation und Kultur in einem neuen Spannungsfeld von Globalität und Lokalität gesehen – in der Hoffnung, dadurch nicht nur das westliche Schisma zwischen Zivilisation und Kultur überwinden, sondern auch zu neuen Formen von Kulturproduktion vorstoßen zu können.

Beim dargestellten Text handelt es sich um eine Kurzfassung.
Vollständigen Artikel ansehen. (http://www.archplus.net/home/archiv/artikel/46,3979,1,0.html)

Inhalt

Think Global, Build Social!

02 Editorial
Bauen und gebrauchen / Building and Using
Nikolaus Kuhnert, Anh-Linh Ngo

04 Einführung / Introduction
Think Global, Build Social!
Andres Lepik


Kultur / Culture
12 Zeitleiste / Timeline
Daniel Spruth, Johannes, Blechschmidt, Sabine Hansmann, Anh-Linh Ngo

16 ADAUA
Panafrican Institute for Development, Ouagadougou

20 Zur Kritik des Entwicklungsdiskurses / Toward a Critique of the Discourse of Development
Aram Ziai

26 Kultur zählt. Plädoyer für eine Architektur der Einmischung / Culture Counts. A Call for an Architecture of Intervention
Elke Krasny

30 Peter Rich
Kultur- und Geschichtszentren in Südafrika / Centers for Culture and History in South Africa

36 Ukumbi NGO
Frauenzentrum in Senegal / Women’s Center in Senegal
Berufsschule in Kambodscha / Vocational School in Cambodia

38 TYIN tegnestue Architects
Schulungszentrum für Zimtarbeiter in Indonesien, Soziale Einrichtungen in Thailand / Training Center for Cinnamon Workers in Indonesia, Social Facilities in Thailand

42 Urban-Think Tank
Kultur als Katalysator für sozialen Wandel / Culture as Catalyst for Social Change


Material / Material
46 Zeitleiste / Timeline
Sabine Hansmann

50 Vom Leichtbau zum Lehmbau / From Lightweight to Earth Construction
Gernot Minke im Gespräch mit Nikolaus Kuhnert und Anh-Linh Ngo / Gernot Minke in conversation with Nikolaus Kuhnert and Anh-Linh Ngo

58 Emilio Caravatti
Nubische Gewölbe: Lehmbau in Mali / Nubian Vaults: Mud Brick Architecture in Mali

62 Anna Heringer
Erneuerte Tradition: Lehmbau in Bangladesch und Marokko / The New Vernacular: Earth Architecture in Bangladesh and Morocco

66 John & Cynthia Hardy
Green School: Bambusbauten in Indonesien / Green School: Bamboo Architecture in Indonesia

70 Al Borde Arquitectos
Neue Hoffnung: Schulbauten aus Bambus in Ecuador / New Hope: Bamboo School
Buildings in Ecuador

72 Ich war Dr. Zelt. Frei Otto über Anpassungsfähigkeit, Ökologie und Ökonomie im Bauen / I Was Dr. Tent. Frei Otto on Adaptability, Ecology, and Economy in Architecture
Interview von Cornelia Escher und Kim Förster / Interview by Cornelia Escher and Kim Förster


Partizipation / Participation
82 Zeitleiste / Timeline
Nicole Opel, Achim Reese

86 Die Öffentlichkeit der Architektur / Architecture’s Public
Giancarlo De Carlo

ARCH features 2: Francis Kéré über Architektur der Notwendigkeit / on Architecture of Necessity

97 MASS Design Group
Partners in Health: Klinikbauten in Ruanda / Medical Clinic in Rwanda

100 Atelier d'architecture autogérée (AAA)
R-Urban: Reduce, Reuse, Recycle

104 Kounkuey Design Initiative
Öffentliche Räume für Kibera, Kenia / Public Spaces for Kibera, Kenya

106 Nichts Neues / Nothing New
Reinier de Graaf


Wohnen / Housing
116 Zeitleiste / Timeline
Daniel Spruth, Niloufar Tajeri

122 PREVI
Proyecto Experimental de Vivienda

126 Aneignungsarchitektur / Appropriation Architecture
Peter Cachola Schmal

132 Elemental
Wachsendes Haus in Chile / Growing House in Chile

136 BeL
Wohnregal in Hamburg / Vertical Real Estate in Hamburg

140 Druot, Lacaton & Vassal
Mehrwert: Rehabilitation des Massenwohnungsbaus in Frankreich / Surplus: Rehabilitation of Mass Housing in France

146 a.gor.a Architects
Flüchtlingsbauten im Grenzgebiet von Thailand und Myanmar / Refugee Facilities on the Border of Thailand and Myanmar

148 Teddy Cruz
Das Ungeplante planen / Planning the Unplanned


Design-Build
152 Die Design-Build-Bewegung / The Design-build Movement
Dietmar Steiner

156 Zeitleiste / Timeline
Johannes Blechschmidt

160 Rural Studio
Versuchslabor des Upcycling / Experimental Upcycling Laboratory

164 RWTH Aachen
Designed in Aachen – Built in South Africa

168 Bauen für OrangeFarm
Designed in Munich – Built in South Africa

170 Die Baupiloten
Designed in Berlin – Built in Germany and Egypt

172 design.build Studio
Designed in Vienna – Built in Austria and Indonesia

174 BASEhabitat
Designed in Linz – Built in India


Zeitung / News Section

Z01 Paris in Berlin
Jeanette Kunsmann

Z03 Tools for Life
Max Kaldenhoff

Z05 Haus Thunecke
Peter Grundmann

Z07 Auf der Suche nach dem „Orient“
Susanne Karr

Z08 Die Logik der Differenz
Sabine von Fischer

Z10 Die eingehegte Moderne
Moritz Scheper

Z11 Die Rückkehr des Sozialen
Verena Schmidt

Z12 Logistik des sozialen Raumes
Anne Kockelkorn

Z13 Die Aktualität der (Architektur-)Anthropologie
Stephan Trüby

Z16 Steen Eiler Rasmussens London
Jörn Janssen

Die Logik der Differenz

(SUBTITLE) Eine Ausstellung von Arbeiten des Atelier Bow-Wow an der ETH Zürich

Die Wahrnehmungsmaschine der Ausstellung setzt gerade dort an, wo man sie nicht erwartet, nämlich mit einer Irritation. In der zentralen Halle des Hauptgebäudes der ETH stehen Möbel: Tische, Stühle und Liegen mit teilweise sonderbaren Formen. Wo sind die Exponate der angekündigten Retrospektive des Atelier Bow-Wow?

Der Bruch mit der eingespielten Gebrauchsweise der Halle ist ein intelligenter Schachzug. Für die Arbeiten des 1992 von Momoyo Kaijima und Yoshiharu Tsukamoto gegründeten japanischen Architekturbüros Atelier Bow-Wow wurde in Zusammenarbeit des Instituts gta und der Architekten ein zweiteiliges Ausstellungskonzept erarbeitet. Laurent Stalder betonte in seiner Eröffnungsrede den offenen, nicht abgeschlossenen Erkenntnisweg, den das Büro in den letzten 20 Jahren durchlaufen hat. Dies verlangte nach einem besonderen Ausstellungskonzept. Die Kernthemen des Gebrauchs und der Aneignung setzt der erste Teil der Ausstellung. Der zweite Teil, die Retrospektive, demonstriert das breite Spektrum, innerhalb dessen diese Themen erkundet wurden.

Analyse des Alltäglichen Die genannte Installation in der Halle führt im täglichen Gebrauch eine der Hauptabsichten des Atelier Bow-Wow vor, nämlich den Gebrauchswert von Räumen auszuloten. Die Installation im 1865 als Skulpturenhalle eingerichteten Innenhof des Hauptgebäudes der ETH von Gottfried Semper überrascht durch ihren Bruch mit fast allen bekannten formalen Traditionen der Architektur. Neben originalgetreuen Nachbauten von Sempers Stuhl- und Tischentwürfen gibt es gestreckte, gestauchte, geschrumpfte und verbogene Versionen der Möbel zum Arbeiten und Schwatzen, Sitzen und Liegen. Das Ziel des aus edlem Nussbaum gefertigten Mobiliars ist nicht die Schönheit der Form, sondern des Ausloten des Spielraums, den die Architektur den Nutzern gewährt. Nur ein Gebäudeplan auf einem der Holztische in der Mitte der Möbelinstallation verweist auf die Werkschau in den umlaufenden Korridoren.

Dieser große Plan und eine im Hosentaschenformat gefaltete Übersicht führen durch die in elf Kapitel chronologisch geordnete Werkschau. Die vertrauten Wandvitrinen mit breiten Aluminiumfassungen auf den Korridoren des Erdgeschosses dienen während der Dauer der Ausstellung einmal nicht als Informationsträger für die universitären Verlautbarungen und Veranstaltungshinweise, sondern wurden als Vitrinen für die Präsentation der Zeichnungen, Fotografien, Filme und Publikationen zweckentfremdet. Diese Umdeutung der alltäglichen Informationsträger in museale Objekte ist ein äußerst intelligenter kuratorischer Einfall: So macht die Ausstellung selbst vor, was viele der architektonischen Interventionen des Atelier Bow-Wow beabsichtigen, nämlich Gewohnheiten zu untersuchen und auch zu unterwandern. Neben dem Südportal beginnt der Rundgang mit frühen typologischen Untersuchungen des Büros, in loser chronologischer Ordnung folgen kleine Wohnhäuser, Stadtforschung, im sechsten Kapitel mit dem Titel „Aneignung“ Schnittperspektiven wie jene für das Nora House (2006). Diese Art der Darstellung erlaubt es den Architekten, die Vielfalt verschiedener Wahrnehmungswelten auch zeichnerisch zu inszenieren, wie Laurent Stalder in seinem Einführungsvortrag herausstrich.

Nach einem Abschnitt mit den großformatigen Public Drawings legt die Retrospektive gegenüber dem östlichen Seiteneingang den Wandel vom Interesse am einzelnen Objekt zur sozialen Dimension der Architektur offen. Zwischen einer Darstellung der Vielfalt von privaten Räumen auf den Balkonen des Großwohnungsbaus an der Rue Rebière in Paris (2012), dem Forschungsprojekt und Buch Window Scape (2011) und einem Szenario für das im März 2011 vom Tsunami heimgesuchte Fischerdorf Oshika werden Handlungsspielräume sichtbar, die die Ausstellung im Kapitel „Architektur und Gemeinschaft“ behandelt.

Kulturtransfer andersherum Unvoreingenommene Analysen und differenzierte Studien prägen das Werk des japanischen Büros, das sich nicht mit großer Autorenarchitektur,sondern mit intelligenten Eingriffen, Kleinstbauten und künstlerischen Installationen einen Namen gemacht hat. Momoyo Kaijima ging Ende der 1980er Jahre als Austauschstudentin an die ETH und kam in die Entwurfsklasse von Peter Märkli. Dieser beschrieb anlässlich der Eröffnung nicht nur einige der in Tokio realisierten Kleinsthäuser, sondern auch den Mikrokosmos im 2005 bezogenen Haus, wo das Atelier Bow-Wow in den unteren Geschossen arbeitet und in den oberen wohnt.

Die Rezeption japanischer Architektur hat in der europäischen Architektur eine lange Tradition. Bruno Taut, Frank Lloyd Wright, Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Egon Eiermann, Werner Blaser und viele weitere haben sich im 20. Jahrhundert von den modularen Leichtbauweisen und den Raumfolgen japanischer Architekturen, später auch von den metabolistischen Ideen eines organischen Stadtwachstums inspirieren lassen. Die aktuelle Ausstellung zeigt aber, dass der Wissenstransfer im 21. Jahrhundert unter komplett anderen Bedingungen abläuft. Nun ist es die europäische Tradition der Architektur von Gottfried Semper, die von japanischen Architekten aufgegriffen wird. Nicht nur das Mobiliar wurde nachgebaut und in verschiedenen Transformation für weitere Funktionen adaptiert. Auch die Raumnutzung wurde auf den Kopf gestellt, indem nun die Haupthalle als Begegnungsort definiert wurde, während die eigentliche Ausstellung in den Gängen des Semperbaus untergebracht ist.

Das Interessanteste an der Intervention ist, dass deren Urheber nicht mehr klar definiert werden können. Wo endet Semper und wo beginnt Bow-Wow? Wo situiert sich das Museum und wo beginnt der Alltag? Darüber hinaus bringen die Wohnhäuser, die in Tokio auf kleinsten Raum in Baulücken gesetzt sind, einen komplett neuen Ansatz in die aktuelle Diskussion um bauliche Verdichtung ein. Solche Überlegungen lassen sich auch anhand der materialreichen Publikation zur Ausstellung vertiefen. Sie ist als Lesebuch angelegt, das neben den Projekten des Büros dessen theoretische Begriffe darstellt. Dabei wird deutlich, dass die Bezugspunkte der Architekten aus einem hybriden Kosmos stammen, der Differenzen nicht scheut, vielmehr darin Differenzierungen sucht.

Es bleibt zu beobachten, wie sich die Wahrnehmung der einstigen Skulpturenhalle im Zentrum des ETH-Hauptgebäudes verändert hat, wenn die nächste Ausstellung dort stattfinden wird. Und weiter, ob Japan auch im 21. Jahrhundert Inspirationen für europäische Architekten liefert, diesmal zur Frage nach der Rolle der Architekten in der Gestaltung der Stadt.

ARCH+, Mo., 2013.06.17

17. Juni 2013 Sabine von Fischer

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