Editorial

Zurück aus Neuteutonia
Berlin: unfertig und roh

Berlin ist nach Karl Scheffler dazu verdammt „immerfort zu werden und niemals zu sein“. Mit diesem viel zitierten Satz wird in Berlin Geschichte geschrieben und gemacht. Was Scheffler zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber in die griffige Formel gießt, ist weder Fortschrittsoptimismus noch Nostalgie, sondern eine präzise Problembeschreibung: die fortgesetzte Zerstörung einer Stadt, die sich das Neue nur auf den Ruinen des Alten vorzustellen vermag. So legt Florian Hertweck in einem Rückblick auf die städtebaulichen Kontroversen der 1990er Jahre in diesem Heft dar, wie sich diese „Genealogie der Zerstörung“, diese Logik der (Selbst-)Zerstörung von Generation zur Generation fortpflanzt: von Schinkels Versuch der klassizistischen Überwindung der barocken Stadtanlage, über den wilhelminischen Umbau Berlins zur Weltstadt, über die Kriegszerstörung und den Versuch der Moderne, die Stadt gleich grundsätzlich neu zu erfinden bis hin zur so genannten Kritischen Rekonstruktion, die nun die Moderne zu ihrem bevorzugten Gegner auserkor und durch Rückkehr zur vormodernen wilhelminischen Großstadt vergessen zu machen suchte. „Jeder Gesamtentwurf für Berlin sucht die Auslöschung seines Vorgängers“, so Hertweck (S. 12 ff.).

So macht auch die Gegenwart von dieser fatalen Regel keine Ausnahme. Sie arbeitet tatkräftig weiter an der Selbstzerstörung Berlins, indem sie bevorzugt die ästhetisch oder ideologisch nicht genehme Ostmoderne auslöscht und fast zwei Jahrzehnte lang mit einer engstirnigen Architekturdoktrin jede alternative Entwicklung auszuschließen sucht. Architektur ist jedoch, wie Heike Delitz und Joachim Fischer in ihrem Beitrag eindrücklich argumentieren, eine „datensetzende Macht“, die „Kraftfelder vergangener Zukünfte“ in sich birgt: „Gerade die Tiefenstrukturen der jeweiligen Gesellschaftsentwürfe bleiben im Netz der Stadt, prägen ebenso wie die expressiven Bauten aktuelle und künftige Denkweisen und Realisierungen. Kanalisierung, Straßen, Versorgungsleitungen, die rechtlichen Kodifikationen des Bodens schaffen je spezifische Möglichkeiten, sind die Vektoren künftiger städtischer Gestaltungen.“ Dieser Erkenntnis müsste sich eine tatsächlich gestaltende Stadtpolitik bewusst sein, wenn sie ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung gerecht werden soll. (Delitz/Fischer, S. 32 ff.)

Was aber geschieht in der Realität – unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle des Architekturdiskurses – auf der infrastrukturellen Ebene? Hier führt die Rivalität zwischen Brandenburg und Berlin zur Verfolgung sich grundsätzlich ausschließender Stadtvorstellungen: De- oder Re-Zentrierung der Stadt. Erstere wird eigensinnig vom Land Brandenburg verfolgt, durch die Öffnung der Stadt mit Hilfe neuer Autobahnen. Damit wird ein in der NS-Zeit von Speer mit dem Autobahnring begonnener Prozess fortgesetzt – durch den Ausbau der Radialstraßen jenseits der Stadtgrenzen zu autobahnartigen Schnellstraßen.

Demgegenüber bemüht sich Berlin um die Re-Zentrierung der Stadt durch Rekonstruktion des historischen Zentrums. Dieser Konflikt schlug sich jüngst im Vorschlag einer Gruppe von Berliner Planern nieder, die unter dem Titel „Radikal radial“ besagte Radialstraßen zum Thema der kommenden IBA 2020 machen wollten, um das Verhältnis zwischen Metropole und Umland zu thematisieren und damit an die lange Tradition dieser Straßen vom Postweg zur Bundesstraße anzuknüpfen und sie gleichzeitig stadträumlich neu zu fassen. Wohlgemerkt eben jene Radialstraßen, die durch die Brandenburger Planungen längst zu Autobahnzubringern degradiert worden sind. Dieser Prozess läuft gerade schrittweise auf Brandenburger Seite ab, unbeachtet von der Öffentlichkeit und mit unvorstellbarer Wucht, vor allem im Umkreis des Großflughafens BBI.

Wie lässt sich dieser Konflikt um die De- oder Re-Zentrierung der Stadt auflösen? Ohne dass er direkt oder indirekt zur weiteren Selbstzerstörung Berlins beiträgt? Zunächst muss man sich darüber im klaren sein, dass dahinter verschiedene Gesellschaftsmodelle stehen: Zum einen die Industriegesellschaft, zum anderen die post-materielle Gesellschaft. Wie Dieter Hoffmann-Axthelm in seinem Beitrag (S. 46 ff.) beschreibt, wird seit dem Wettbewerb „Groß-Berlin“ im Jansen-Plan (1910), über Speers Konzept der Autobahnringe im GBI-Plan (1936-39), Scharouns Konzept eines Autobahnnetzes im Kollektivplan (1946) und mit dem Strukturkonzept von 1957 versucht, die Verkehrsplanung als Motor der Industrialisierung einzusetzen und dabei die historische Stadt unterzupflügen, um sie, wie Phönix aus der Asche, als Weltstadt der 1920er, Germania der 1930er und Neues Berlin der 1950er Jahre wieder erstehen zu lassen (s. auch Strukturanalyse S. 52ff.).

Das Modell der post-materiellen Gesellschaft akzentuiert demgegenüber anders und behutsamer. Nicht mehr die Verkehrsplanung ist der Motor der Industrialisierung, sondern neue, post-materielle Werte sollen ihre Stelle übernehmen (s. Bastian Lange, S. 78f.), wie die städtischen Lebensverhältnisse, die Lebendigkeit der Stadt schlechthin. Und zu deren Gunsten treten die harten Fakten der an der Effizienz von Personen- und Warenströmen ausgerichteten Stadt in den Hintergrund und damit auch das Faszinosum der verkehrsgerechten, auto-affinen Stadt. In Berlin nun haben diese Zielsetzungen in der Stimmann-Ära zu einer eigentümlichen Maskerade geführt: zur Kostümierung der sich abzeichnenden post-materiellen Gesellschaft aus dem historischem Fundus der bürgerlichen Großstadt des 19. Jahrhunderts. Dieses Modell kann zwar ein manchmal auch überraschendes Bild von den vorwärtstreibenden Momenten der post-materiellen Gesellschaft vermitteln, die neue Betonung des Städtischen, der Dichte der Stadt, des Fußläufigkeit des Verkehrs. Aber sie ist nicht das Produkt der kommenden Gesellschaft, nur ein historisches Abziehbild mit überraschenden Analogien. Man sehe sich hierzu nur die Leibniz-Kolonnaden von Hans Kollhoff an, die eine bürgerliche Stadtanlage nachahmen, ohne dass die Architektur den Hautgout des Talmihaften verleugnen kann. Sie erzählt von einer falschen Bürgerlichkeit, von der die im Dämmerlicht der Nacht auf dem nahen Kurfürstendamm stehenden Osteuropäerinnen wohl einiges zu berichten wissen.

In diesem Sinne steht eine Stadtpolitik im Sinne Stimmanns sich selbst im Wege bei der Suche nach einer realen Wende zu einer urbanen Stadtpolitik. Diese wird die Stadt selbst in den Blick nehmen müssen, so wie sie da ist und nicht wie sie im historischen Rückblick erscheint. Sie wird die neuen Maskeraden der Stimmann-Zeit mit Schein-Plätzen, Schein-Straßen und Schein-Häusern, denen man schon im Rendering die geschlossene Gesellschaft anmerkt, für die sie konzipiert wurden, durchstoßen müssen, um zu dem vordringen zu können, was das Städtische der kommenden Gesellschaft ausmacht. Gerade auch, weil die okzidentale Stadt das historische Apriori (Foucault) unterschiedlicher Stadtvorstellungen ist, wie es Heike Delitz & Joachim Fischer in ihrem Beitrag so eindringlich belegen. Übersetzt heißt es: Um einer wirklich zeitgenössischen Stadtgesellschaft gerecht zu werden, müssen wir uns die historisch veränderbaren Möglichkeitsbedingungen, denn nichts anderes bedeutet der von Foucault geprägte Begriff, von Stadt immer vor Augen führen.

Diese Wende zu einer grundsätzlich anderen Stadtpolitik, die sich aus der bisherigen Zerstörungslogik Berlins befreit, suchen wir mit dieser Ausgabe zu formulieren. Sie mündet in das Konzept einer Stadt, deren Eigenschaften Florian Heilmeyer im Architekturteil als unfertig, roh und schroff beschreibt. Wobei unfertig, roh und schroff nicht allein ästhetisch gemeint sind, sondern einen Ansatz umschreiben, Stadt im eigentlichen Sinne erst entstehen zu lassen. Mit der Betonung des Unfertigen, Rohen und Schroffen soll also nicht ein neuer Stil kreiert werden, sondern auf die Möglichkeiten des Entstehens von Stadt verwiesen werden, die im Unfertigen und Rohen noch angelegt sind: „In diesem Sinne sehen wir hier“, so Heilmeyer, „vielleicht wirklich Prototypen einer Architektur, die sich die instabile, vielschichtige Identität Berlins als integralen Bestandteil aneignet. Eine Architektur, die nicht mehr „fertig“ sein muss und die auch typologisch nicht mehr eindeutig den alten Kategorien zuzuordnen ist.“ (S. 125 ff.)

Dieses neue Stadtkonzept lässt sich noch am ehesten mit der Strategie der behutsamen Stadterneuerung der IBA-Alt vergleichen. Fokussierte sich diese in den 1980er Jahren auf die alten Arbeiterquartiere in Berlin-Kreuzberg, die zuvor im Rahmen der Stadtsanierung hatten abgerissen werden sollen, so stehen heute die Überreste der untergehenden Industriegesellschaft insgesamt zur Disposition: Infrastrukturgebäude wie Heizkraftwerke, Pumpwerke, Wartungshallen, Fabriken, Gewerbebauten und was sonst noch alles dem Leerstand anheim gefallen ist und fällt. Hier setzt das neue Berlin an. Hier entsteht es. Aber es entsteht nicht, indem es die Ruinen der vorangegangenen Industriegesellschaft unter sich begräbt, sondern indem es sie behutsam weiterbaut, durch geringe Eingriffe umprogrammiert und dadurch neu nutzbar macht.

Zwar handelt es sich bei diesem Konzept um eine architektonische Strategie, gleichwohl steht sie für etwas Umfassenderes, nämlich für ein neues Stadtverständnis. Es scheint, dass eine neue Generation die „datensetzende Macht“ der Architektur verinnerlicht hat – und um deren Konsequenzen für die Stadt weiß. Denn die Stadt gibt nur die Disposition vor, sie ist aber nicht selbst das Medium der Intervention. Dieses ist architektonischer Natur. So verstanden ist Stadt nicht mehr ein Abstraktum, deduziert aus historischen oder utopischen Modellen, sondern etwas Konkretes, Situatives. Stadt so wie sie da ist, as found, wie es in den 1960er Jahren hieß. Und das heißt im Berliner Fall: Berlin als die heterogene und fragmentierte Stadt, die sie als Resultat der ungebrochenen Selbstzerstörung nun einmal ist, anzueignen und mit ihr weiterzubauen. In den überall spürbaren Brüchen ihre Qualität zu erkennen. Dafür steht Berlin heute, das macht seine Attraktivität weltweit aus, und nicht die sklerotische „Berlinische Architektur“, die niemanden interessiert.

In diesem andersartigen Ansatz sehen wir den Ausgang Berlins aus seiner selbstverschuldeten Tradition der Zerstörung. Dass die Dinge derzeit in Bewegung geraten, zeigen die weiteren Themen in dieser Ausgabe: die Frage nach den Arbeitsformen der Zukunft (Kapitel Arbeit), die wohnungs- und stadtpolitische Frage nach einer sozial gerechten Stadt (Kapitel Wohnen sowie ARCH features 4). Welche Möglichkeitsräume sich eröffnen, wenn man von Berlin als Konkretum ausgeht, und welche Phantasie, welcher Witz und welches Wissen gefordert sind, sich mit der Stadt, so wie sie da ist, auseinanderzusetzen, zeigt das Architekturkapitel. Ganz gleich, ob man sich mit expressiven Bestandsbauten (Berghain/Kubus, karhard), einer alten Werkstatt (Galerie Giti Nourbakhsch, Robertneun), aufgelassenen Hallen der Verkehrsbetriebe (Uferhallen Wedding, Anderhalten), mit Systemfehlern und Leerstellen (Berlin Gaps, brandlhuber ) oder mit den „rechtlichen Kodifikationen des Bodens“ (Debatte um Offenen Brief Berliner Architekten oder ExRotaprint) beschäftigt – überall hier entsteht das neue Berlin.
Schaut auf diese Stadt.

Redaktionsgruppe dieser Ausgabe: Nikolaus Kuhnert, Anh-Linh Ngo, Nicole Opel mit Polina Goldberg, Christine Rüb, Sara-Lina Schlenk, Verena Schmidt, Dorit Schneider, Daniel Spruth
Mit dieser Ausgabe leistet ARCH einen diskursiven Beitrag zur Zukunft Berlins anlässlich der Ausstellung „Grand Paris in Berlin. Die Zukunft unserer Metropolen“, die vom 28. Januar bis zum 5. Mai 2011 im Kulturforum in Berlin zu sehen ist (s. Denis Bocquet, S. 18f.). Wir danken der Alfred Herrhausen Gesellschaft für die großzügige Förderung des Projekts.

Nikolaus Kuhnert, Anh-Linh Ngo

Inhalt

02 Berlins andere Architekturgeschichte
Jany, Susanne

03 Yona Friedman: Architekt der Ideen
Ritoe, Rajan V.

04 Winter School Middle East
Miessen, Markus

04 Eine andere Sowjetmoderne
Kunsmann, Jeanette

05 Offener Brief an die Berliner Spitzenkandidaten
Akademie c/o

06 Haben Möbel Sex?
Ngo, Anh-Linh

08 Literatur zum Thema

09 Entwicklungs- und Innovationszentrum Sedus Stoll AG
Ludloff Ludloff Architekten

Berlin
10 Editorial: Zurück aus Neuteutonia
Kuhnert, Nikolaus / Ngo, Anh-Linh

Stadt
12 Das Steinerne Berlin. Rückblick auf eine Kontroverse der 90er Jahre
Hertweck, Florian

188 Aufbruchsignale. „Grand Paris in Berlin“
Bocquet, Denis

20 City Scans. Die räumliche Syntax Berlins
Rose, Anna / Schwander, Christian

28 MUP City (c)
Czerkauer-Yamu, Claudia / Frankhauser, Pierre / Vuidel, Gilles / Tannier, Cécile

32 Stadtvisionen: Gesellschaftstatsachen. Zur Idee einer anderen Stadtsoziologie
Delitz, Heike / Fischer, Joachim

36 Zeitleiste Stadtvisionen
Schmidt, Verena ARCH

46 Berlin im Jahre 2010. Planungsdefizite und Strategiebedarf
Hoffmann-Axthelm, Dieter

52 Vision und Wirklichkeit. Kontinuitäten und (Auf-)Brüche in der Planung Berlins
Spruth, Daniel / ARCH

56 Berlin – ein doppelter Archipel. Ein Stadtkonzept „revisited“
Christiaanse, Kees

62 Berlin ist hässlich – und das ist gut so! Der Wert des Hässlichen für den Urbanitätsdiskurs
Krusche, Jürgen

66 Schöne alte Welt. Anmerkungen zum Prada-Werbefilm „Thunder Perfect Mind“
Wüst, Florian / Ngo, Anh-Linh

68 Optional Cities – Berlins Zukünfte
Böttger, Matthias / Carsten, Stefan / Engel, Ludwig
Illustrationen: Torabi, Laleh

Arbeit
74 Der kommende Aufstand. „Das Leben, die Gesundheit, die Liebe sind prekär, warum sollte die Arbeit diesem Gesetz entgehen?“
Unsichtbares Komitee

78 „Klein aber fein“. Wachstumslogiken der Kreativwirtschaft in Berlin
Lange, Bastian

80 Was wird (aus) Berlin? Stadtökonomische Perspektiven
Brake, Klaus

82 Berlin – eine Schlafstadt
Stefanie / Oswalt, Philipp

84 Zeitleiste Migration. Berlin – eine Einwanderungsstadt
Opel, Nicole / Goldberg, Polina / Borree, Sarah / Schneider, Dorit / Schüler, Ronny / ARCH

Wohnen
92 Gentrifizierung ist Klassenkampf von oben. Auf dem Weg zu einer Stadt für alle
Twickel, Christoph

96 Urban Villages
Ein Reisebericht über die Suche nach dem Berliner Townhouse
Rieniets, Tim

100 Die Bodenfrage
BARarchitekten, brandlhuber , deadline, ebers architekten, FAT KOEHL ARCHITEKTEN,
Kaden Klingbeil Architekten, ludloff ludloff Architekten, Nikolai von Rosen

106 Option Lots
Eine Recherche von brandlhuber
Koch, Alexander

110 Aneignung, Eigentum, Enteignung. Sozialpsychologie der Raumaneignung und Prozesse
gesellschaftlicher Veränderung
Chombart de Lauwe, Paul-Henry

114 Baugruppen: Geteilte Autorschaft
Köhl, Florian

118 Erbbaurecht: ExRotaprint
Brahm, Daniela / Schliesser, Les

122 Genossenschaft: Möckernkiez
Baufrösche, roedig.schoparchitekten, baumschlager eberle

124 Das Mietshäuser Syndikat:
Eine Alternative zum Eigentumsprinzip
Hummel, Bernhard

Architektur
126 Raumrohlinge. Wie sich in Berlin aus einer Praxis der Aneignung eine architektonische Strategie entwickelt
Heilmeyer, Florian

130 Tanzquartier Uferstudios Wedding
Anderhalten Architekten

134 Atelierkomplex im Pumpwerk
Oda Pälmke PE-P für Jonathan Meese

138 Pumpwerk Neukölln
Wenk und Wiese Architekten für Elmgreen und Dragset

142 Hegemonietempel
Martin Heberle & Christof Mayer für Christian von Borries und Vera Tollmann

146 Das Berghain – eine Ermöglichungsarchitektur
Rüb, Christine / Ngo, Anh-Linh

148 Kubus Berghain
karhard architektur design

152 Club „Week End“
Robertneun™

154 Galerie Giti Nourbakhsch
Robertneun™

158 Boros-Bunker
realarchitektur für Christian Boros

162 A Face in the Crowd. Katharina Grosses Künstlerhaus
Ursprung, Philip

164 Atelier Katharina Grosse
augustin und frank architekten für Katharina Grosse

170 Atelier Karin Sander
Sauerbruch Hutton für Karin Sander

174 Temporäre Kunsthalle Berlin. Raumkonzept für eine
Ausstellung zeitgenössischer Kunst im Sommer 2011
brandlhuber

178 Temporäre Kunsthalle Berlin. Raumkonzept für eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst im Sommer 2011
raumlaborberlin

Projekttexte: Ngo, Anh-Linh / Opel, Nicole / Schmidt, Verena / Schneider, Dorit / ARCH

BAUFOKUS: Materialkunde
181 Über nachhaltige Materialauswahl in der Architektur
Wurm, Jan / Heesbeen, Charlotte

186 Medienfassaden der zweiten Generation. „Flexipix“ von Vector Foiltec und TROIA
Opel, Nicole

188 CAS – Carpet Concept Acoustic System
Schneider, Dorit

ONLINE: www.archplus.net
Im Werden begriffen. Designperspektiven für Berlin mit Interviews mit Cornelia Horsch, Torsten Posselt und Reto Wettach
Bieling, Tom

ARCH features 4
R50 – ifau und Jesko Fezer, Heide & von Beckerath

Berlin – eine Schlafstadt

Berlin lebt auf Pump. Das hier ausgegebene Geld wird andernorts verdient. Als der Kalte Krieg zu Ende ging, musste West-Berlin, die Stadt der Rentner, Wehrdienstverweigerer, Studenten und linken Lebenskünstler, nicht mehr durch hohe Subventionen des Westen als Bollwerk gegen den Kommunismus gehalten werden; und die DDR verschwand gleich ganz, nachdem sie 40 Jahre lang ausgeblutet wurde, um in Ost-Berlin einen Vorzeigekommunismus zu finanzieren. Doch auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Gesamtberlin weiterhin von staatlichen und privaten Transferleistungen abhängig.

Paris, London, München, Frankfurt, Zürich, Wien – überall sind es die Zentren, die die Peripherie nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich mit versorgen. Üblicherweise dominiert in der Stadt die Arbeitswelt, gelebt wird vorwiegend im Umland. Berlin hingegen ist die Inversion einer Großstadt: Hier wohnt man in der Stadt und arbeitet andernorts.

Der russische Kunsttheoretiker und Philosoph Boris Groys bezeichnet die Stadt in einem Interview mit der Zeitschrift Lettre in ihrer Ausgabe zum Mauerfall-Jubiläum als „Jurassic Park des realen Sozialismus“. Darin führt er aus: „Strukturell gesehen ist Berlin eine Oase des Sozialismus in der Mitte Deutschlands, weil es alle Merkmale des Sozialismus aufweist: Staatliche Subventionierung, wenig Arbeit, allgemeine Stagnation und sehr viel Freizeit.“ Was Groys damit meint: Die Stadt ist arm, aber es lebt sich gut in ihr. Paradoxerweise ist eben genau ihre wirtschaftliche Erfolglosigkeit ihre Erfolgsformel. „Arm aber sexy“ kommentierte diesen Befund der durchaus zu Glamour neigende Berliner Oberbürgermeister Klaus Wowereit im Jahr 2004. Zynismus ist ihm aufgrund dessen vorgeworfen worden, und dies nicht ganz unberechtigt. Denn für die armen bildungsnahen Schichten sind die Möglichkeiten doch erheblich sexier als für die bildungsferne Bevölkerung – Migranten, Wendeverlierer und Langzeitarbeitslose –, die in der Peripherie – etwa im Märkischen Viertel, in Marzahn oder Hellersdorf – ohne Perspektive leben. Und doch trifft Wowereits Formel auch einen Nerv der Stadt.

Berliner, so hat eine im Januar 2010 von der Bertelsmann-Stiftung über die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt veröffentlichte Studie ergeben, haben ein besonders hohes Armutsrisiko. Knapp 200 von 1.000 Einwohnern sind hier auf staatliche Hilfen angewiesen, in Bayern und Baden-Württemberg sind es nur etwas mehr als 50 Bürger. Auch beim Einkommen liegen die Berliner mit 24.800 Euro je Einwohner in der Schlussgruppe, dafür ist die Pro-Kopf-Verschuldung mit 17.000 Euro dreimal höher als anderswo und mit 67 Erwerbstätigen je 100 Einwohnern im erwerbsfähigen Alter liegt Berlin auf dem fünftschlechtesten Platz.

Nun sagen diese Zahlen nichts darüber, wie viele Wissenschaftler, Medienleute, Künstler, Schauspieler, Filmschaffende, Schriftsteller und bildende Künstler, schließlich auch Lebenskünstler durch Arbeitslosengeld oder Hartz IV finanziert werden. Ganze Generationen Kreativer und Intellektueller halten sich mit staatlichen Zuwendungen über Wasser. Sie bilden den Nährboden für das, was Berlin so attraktiv macht: Die Mischung von Sub- und Hochkultur, bei gleichzeitig gänzlichem Verzicht auf gesellschaftliche Codes oder Statussymbole, wie sie sich üblicherweise in jahrhundertealten Städten mit ausgeprägtem Stadtbürgertum herausbilden. Das mag manch einer bedauern, der eine gewisse Eleganz wertschätzt oder zivilisierte Umgangsformen, die auch durch den Zuzug urbaner Einwohner nur äußerst langsam oder gar nicht Eingang in die städtische Kultur finden.

Dafür bietet die Stadt, das ist hinlänglich bekannt, die Möglichkeit zum Experiment. Vergleichsweise billiger und attraktiver Wohnraum – etwa in Neukölln oder im Wedding – ist genügend vorhanden und die Stadt bleibt aufgrund ihrer zahlreichen durch Krieg und Sozialismus eingeschriebenen Wunden immer noch offen – im mentalen wie im konkreten Sinn. So sind die sozialen Leistungen fulminant. Als Arbeit suchend gemeldete Eltern können ihre Kinder schon im Babyalter in einer staatlichen Einrichtung – Tagespflegestelle oder Kita – unterbringen, so gut wie kostenfrei. Betreuungsplätze sind reichlich vorhanden. Auch gibt es gigantische öffentliche Bibliotheken, deren Benutzung weitgehend umsonst ist. „Für den Beginn meiner Karriere als Schriftstellerin war Berlin ideal“, erzählt Chloe Aridjis. Sie ist Mitte dreißig, ihre Eltern sind mexikanische Diplomaten und leben in Paris. Nach Jahren in den USA und in London ist Chloe nach Berlin gekommen, weil es hier billig, international und irgendwie auch introvertiert ist. Ganz abgesehen von den vielen historischen Spuren, von denen sie in ihrem „Book of Clouds“ erzählt und damit international Aufmerksamkeit erhalten hat.

So wie Chloe handhaben es aber auch ganze Kohorten aus Schwaben, Nordrhein-Westfalen oder Hessen, ebenso wie Spanier, Italiener, Amerikaner usw. Junge Architekten, Künstler und Journalisten ziehen nach Berlin und gründen hier ihre Familien. Oft haben die Eltern ihnen eine gut ausgestattete Eigentumswohnung finanziert – und mit Hilfe der staatlichen Subventionen und familiären Zuwendungen werden hier die schwierigen Jahre der Etablierung und Selbstausbeutung alimentiert. Unvergessen ist uns die Begegnung mit einem Berliner Jungkünstler, dessen Vater uns nach einem nett im Zug verplauderten Nachmittag großzügig ein Gemälde des Sohnes schenken wollte, weil der ja ohnehin nichts verkaufe, von ihm aber komplett finanziert werde. Der Sohn lebte mit seinen drei kleinen Kindern in der eigenen geräumigen Atelierwohnung unweit des beliebten Hackeschen Marktes – luxuriös eingerichtet mit neu verlegtem Parkett und einer teuren Edelstahlküche.

Wer wirklich Geld verdienen will oder muss mit Jobs, die abseits der Kulturindustrie und des Tourismus liegen, kann nicht in Berlin bleiben. Die Stadt hat keinerlei wirtschaftliches Umland und dort, wo an anderen Orten die Suburbs wuchern, ist hier schon wieder eine entgegengesetzte Tendenz zu beobachten: Zurück in die City. Denn in Berlin wird nicht gearbeitet, sondern gewohnt. Ein „Central Business District“, wie Geographen das wirtschaftliche Herzstück von Großstädten nennen, existiert nicht: Ob Friedrichstraße, Unter den Linden, Kudamm, Alexanderplatz oder Potsdamer Platz: Allerorts dominieren Konsum und Repräsentation.

So ist Berlin vor allem die Stadt der Pendler. Für sie ist Berlin wenig mehr als eine Wohn-, Schlaf- und Freizeitstadt, in der sich die Doppelverdienerpaare am Wochenende in ihrer 150 qm großen Wohnung zum schönen Leben treffen. Ausgehen, chillen, Kultur konsumieren. Etwas anders gehen damit die Familien um. Oft verdient ein Familienteil ein rentables Einkommen in einer gerade noch halbwegs erreichbaren europäischen Stadt, der andere bleibt wohnungshütend, ggf. Nachwuchs versorgend und von den sozialen Möglichkeiten profitierend mit einem deutlich weniger einträglichen Job zurück. So sind die aus Berlin nach Westen fahrenden Züge in den Morgenstunden am Wochenanfang übervoll mit gut ausgebildeten Berufstätigen. Ob Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter von Hochschulen in Braunschweig, Halle, Kassel oder Hamburg, ob Designer bei Volkswagen in Wolfburg, ob leitende Mitarbeiter von Theatern in Kassel und Hamburg, von dem Umweltbundesamt in Dessau oder selbst dem Landesverwaltungsamt oder der Bundeskulturstiftung in Halle: Alle schwärmen aus Berlin aus, um ihr Geld zu verdienen und möglichst schnell wieder an den geliebten Wohnort zurückkehren zu können.

In Wolfsburg, Braunschweig und Kassel-Wilhelmshöhe leert sich der Zug, denn die Architekturfakultät der dortigen Universität lebt vom Berliner Brain Drain – vom akademischen Personal, das hier seine Di-Mi-Do-Wochen abarbeitet und dann kollektiv Donnerstagabend wieder in die Hauptstadt zurückreist. Den Trend spiegelt der Fahrplan der Bundesbahn: Die letzte Verbindung etwa von Kassel nach Berlin ist erst um 21:13 Uhr, während man aus Berlin Richtung Kassel schon um 19:37 Uhr aufbrechen muss, um sein Ziel noch am gleichen Abend zu erreichen. Wer, wie die Kunstprofessorin A., nach Stuttgart pendelt, bucht lieber Billigflüge. Und dann ist da noch G., der in einer ostdeutschen Provinzstadt eine wichtige Kulturinstitution leitet und die freiberuflich arbeitende Frau quasi alleinerziehend mit drei kleinen Kindern in Berlin zurücklässt. G.s Kinder empfinden diesen Zustand als normal. Fast alle Väter ihrer Klassenkameraden arbeiten – wenn überhaupt – an anderen Orten: in Dresden und Leipzig, Magdeburg oder Cottbus. Mit ihren Steuern halten diese Erwerbstätigen den Haushalt der Hauptstadt aufrecht. Berlin seinerseits bietet ihnen dafür ein Refugium, gewissermaßen Sanatorium. Noch einmal Boris Groys: „Solange alles stagniert, kann man gut leben, sich geschützt fühlen, nachdenken, träumen, Wein trinken, sich gut fühlen … Je länger Berlin unter den gegebenen Umständen stagniert, desto besser geht es allen, dort und rundherum.“

Eine etwas elegantere Form des Transfers gelingt einer Reihe von Selbständigen in den „Creative Industries“: Das Büro in Berlin, die Auftraggeber meist in Westdeutschland und im Ausland. Nach diesem Modell arbeiten Architekten, Werbeagenturen oder Webdesigner. So kann man vorwiegend in Berlin arbeiten und hier auch junges, preiswertes Personal anheuern, die Aufträge kommen von außerhalb. Einziges Problem: Man muss ständig zu den Auftraggebern fahren, und auch dies zerrt an den Nerven der Familien. So überlegt der befreundete Landschaftsarchitekt mit seinen vier Kindern von Berlin-Treptow nach Hamburg zu ziehen: Während er stets quer durch die Republik unterwegs ist – Mannheim, Wuppertal, Hamburg, Ingolstadt, Kassel usw. –, haben seine Hamburger Kollegen den Vorteil, vorwiegend Aufträge in ihrer Region realisieren zu können. Andererseits muss er dort deutlich mehr verdienen, um einen ähnlichen Lebensstandard halten zu können …

Doch nicht nur die, die nach Berlin gezogen sind, halten die Hauptstadt auf Pump am Leben. So manch Auswärtiger hat einen Koffer in Berlin, wo die Immobilien immer noch billig sind. Eine kleine Wohnung können sich die Verlagsmitarbeiterin aus Stuttgart, die Theaterproduzentin aus Wiesbaden oder das Kieler Arztehepaar im Ruhestand locker leisten, von polyglotten Ausländern gar nicht erst zu sprechen. So verbringt man das ein oder andere Wochenende in der Hauptstadt mit ihren mehr als 175 Museen, mehr als 350 Kunstgalerien, 11 staatlichen und 33 privaten Theatern. Oder kümmert sich als Pensionär um die Enkelkinder, während deren Eltern ihren „Migrantenjobs“ nachgehen.

Viel Kultur und ein billiges Preisniveau – das ist es wohl auch, was die zahlreichen Touristen so anzieht, die die Stadt wie keine andere Industrie sonst mit frischem Geld versorgen. Seit dem Mauerfall strebt Berlins Beliebtheit langsam dem Unendlichen entgegen, was nicht immer gut erträglich ist. Nicht nur im eigenen Land, sondern in der ganzen Welt begegnet einem ehrfurchtsvolles Raunen bei der Erwähnung, man lebe in Berlin. Fast jeder war schon da oder kennt andere, die schon da waren. Und hin oder wieder hin will sowieso jeder. Der Tourismus boomt. Mit knapp 18 Millionen Übernachtungen in den so genannten Übernachtungsbetrieben liegt Berlin deutschlandweit an der Spitze. Wer in das frisch restaurierte Neue Museum auf der Museumsinsel will, muss vorher im Internet ein Zeitfenster buchen, will er nicht stundenlang draußen in der Kälte anstehen. Teilbereiche zwischen Reichstag, Brandenburger Tor, Holocaustdenkmal und Kollwitzplatz sind ohne Angst, von einer begeisterten (spanischen) Touristenmasse niedergetrampelt zu werden, kaum mehr zu betreten. Ganze Straßenzüge – wie etwa die Oranienburger Straße – erleben mit ihren bis zu 500 Gäste fassenden Großrestaurationen eine Ballermannisierung. Doch es ist nicht nur der Billigflug- und Vulgärtourismus, der das schnelle Geld in die Stadt schwemmt, auch der Luxustourismus boomt.

Als in Berlin Lebender wundert es beinahe, mit welcher Penetranz diese Stadt bundesweit und international gefeiert wird. Kein Intellektuellen-Magazin ist mehr zu lesen, das nicht dem Hype um Berlin eine Darstellungsfläche gibt. Da lässt die Januar-Ausgabe von „Literaturen“ Schriftsteller ihr Berlin beschreiben (darüber herrscht Einigkeit: die Stadt ist extrem heterogen) und sieht Berlin in einer „stetig wachsenden Zahl von Romanen als neues Zentrum einer hyperaktiven Gegenwart.“ Und was lesen wir nicht andernorts alles von der Stuttgartisierung des Prenzlauer Bergs, wo die letzten Einheimischen von gebärwütigen süddeutschen Mittelstandstussis verdrängt werden, die Mieten ins Unbezahlbare steigen und inzwischen sogar die Hundehaufen vom Trottoir verschwunden sind – hier flackern immer mal wieder ideologische Auseinandersetzungen zwischen Ost und West auf, die sonst kaum eine Rolle spielen. Und dann ist da noch der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky, der auf das Integrationsproblem in seinem „Problemkiez“ verweist und dort Parallelwelten zwischen Deutschen und Migranten feststellt.

Im Alltag kommt die Berliner Mittelschicht in der Tat kaum mit den arabisch-türkischen Migranten in Berührung, auch wenn alle ganz selbstverständlich in den zahllosen kleinen Lebensmittelläden einkaufen, die es in den Innenstadtbezirken an jeder Ecke gibt (im Westen freilich mehr als im Osten). Letztlich lebt es sich in Berlin extrem unaufgeregt.

Unlängst kehrten wir von einem Parisausflug in unser vertrautes Berlin zurück. Dort, in der französischen Hauptstadt, hatten elegante Menschen auf den Boulevards an kleinen runden Tischen im Freien gesessen und Kaffee getrunken. Der Vorortzug zum Flughafen war übervoll mit schwarzafrikanischen Menschen, die in den Vorstädten nach und nach ausgestiegen waren. Im Landeanflug auf unser präsibirisches Provinznest sah man aus dem Flugzeugfenster vereinzelte kleine Lichtpunkte, dann waren die Schneeverwehungen neben der Landebahn erkennbar, Außentemperatur -15° C verkündete der Captain, local time 9 pm. Der Flughafen war wie ausgestorben, alle Läden geschlossen. Wegfliegen wollte jetzt niemand mehr.

ARCH+, Di., 2011.03.15

15. März 2011 Philipp Oswalt, Stefanie Oswalt

Club „Week End“ mit Dachterrasse

Das 17-geschossige Haus des Reisens am Alexanderplatz diente ehemals als „Reisebüro der DDR“ und wurde von 1969 bis 1971 im Rahmen der sozialistischen Neugestaltung der Innenstadt erbaut. Heute wird das Haus tagsüber als Bürogebäude genutzt. Spät abends und nachts hält der Fahrstuhl jedoch nur noch im 12. Geschoss. Hier befindet sich seit 2004 der Club „Week End“, der 2007 um den Clubraum „15th Floor“ in der 15. Etage und eine darüber liegende Dachterrasse erweitert wurde.

Für den Club verfolgten die Architekten Robertneun ein Entwurfskonzept, das sich bewusst auf minimale Eingriffe beschränkte. Einfache Materialien mit rauher Optik, wie beispielsweise lasiertes Sperrholz, und die Reduktion auf ein einfaches Farb- und Lichtkonzept stehen für Schlichtheit in der Gestaltung und prägen einen provisorischen Eindruck.
Der spektakuläre Ausblick auf Alexanderplatz, Fernsehturm und den nächtlichen Verkehr bildet die Kulisse für den Clubraum und stellt einen permanenten Bezug zur Stadt her.

Die Erweiterung des Clubs in der 15. Etage hingegen wurde als eine duale Einheit konzipiert, die aus zwei stark kontrastierenden Teile besteht. Während sich die hölzerne und leichte Konstruktion der Dachterrasse deutlich nach außen hin orientiert, beschränkt sich die darunter liegende „blackbox“ auf das Wesentliche, lässt keine Orientierung nach außen hin zu und kehrt sich durch ihre einheitliche Gestaltung in matt schwarz gänzlich nach innen.

ARCH+, Di., 2011.03.15

15. März 2011 ROBERTNEUN™



verknüpfte Bauwerke
Week-End Club

Raumkonzept für eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst im Sommer 2011

Neben dem Hauptbahnhof soll im Sommer 2011 für zwei Monate eine Überblicksausstellung mit bis zu 80 aktuell in Berlin lebenden und arbeitenden Künstlern und Künstlerinnen gezeigt werden. Aufgrund der kulturpolitischen Kontroversen um das Projekt des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, das ganz im Zeichen des nahenden Wahlkampfs steht, wurde bisher wenig offiziell bekannt gegeben.

Den Zuschlag für die Realisierung eines Raumkonzepts für die Ausstellung zeitgenössischer Kunst am Humboldthafen hat die Architektengruppe raumlabor berlin erhalten. Ihre Arbeit unterscheidet sich stark vom Vorschlag von brandlhuber , den wir auf den vorangegangenen Seiten vorgestellt haben. Beiden gemein ist jedoch, dass sie sehr berlinspezifische Vorschläge unterbreiten, die einerseits die in Berlin erprobte temporäre Nutzung von Brachen thematisieren (raumlabor), anderseits die Umnutzung von Leerstand und Investorenruinen als eine stadtentwicklungspolitische Perspektive aufzeigen (brandlhuber).

Im Gegensatz zu brandlhuber , die abweichend von der Ausschreibung einen anderen Standort vorschlagen, knüpfen raumlabor bewusst an die Geschichte des Humboldthafens an: Bereits in den 1930er Jahren wurde das Areal als Veranstaltungsort für die Große Berliner Kunstausstellung genutzt. In den letzten Jahren haben sich auf dem Gebiet um den Hauptbahnhof jedoch eher touristische Nutzungen etabliert.

Mit ihrem Wettbewerbsbeitrag entscheiden sich raumlabor bewusst gegen einen homogenen Baukörper und greifen die Heterogenität und Ambivalenz des Ortes auf. raumlabor entwirft ein Ausstellungskonzept aus mobilen Objekten, die von ansässigen Firmen zur Verfügung gestellt werden sollen. Dieses Konzept eröffnet die Möglichkeit, das ohnehin sehr geringe Budget von 600.000 Euro, das bei Auslobung zur Hälfte für die Kunst und zur Hälfte für die Ausstellungsarchitektur veranschlagt war, zum großen Teil für die Kunst aufzuwenden – anstatt abermals viel Geld in eine temporäre Architektur zu investieren. Diese Ausgangslage hat sich inzwischen verändert, da auf Druck der Presse das Gesamtbudget der Ausstellung kurzerhand um 1 Mio. Euro erhöht wurde. Das zusätzliche Geld ist eine Zuwendung der Lotto-Stiftung, deren Vorsitzender praktischerweise Klaus Wowereit ist.

Mit ihrem Konzept kommen raumlabor nicht nur der Kritik der Kunstszene entgegen, möglichst wenig Geld für die Hülle auszugeben. Durch die Zweckentfremdung alltäglicher Objekte, die von den beteiligten Künstlern selbst gestaltet und bespielt werden können, steht das Konzept auch in der Tradition einer grundlegenden Besonderheit der Berliner Kunst: der Thematisierung und Aneignung städtischer Räume.

ARCH+, Di., 2011.03.15

15. März 2011 raumlaborberlin

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