Übersicht

Texte

30. Juli 2025Otto Kapfinger
Die Presse

Im Duo zu Weltruhm: Coop-Himmelblau-Architekt Helmut Swiczinsky ist tot

Die von ihm mitbegründete österreichische Architekturgruppe wurde weltweit bekannt und prägte maßgeblich das „Austrian Phenomenon“ in Design, Architektur und Kunst.

Die von ihm mitbegründete österreichische Architekturgruppe wurde weltweit bekannt und prägte maßgeblich das „Austrian Phenomenon“ in Design, Architektur und Kunst.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen


verknüpfte Akteure
Swiczinsky Helmut

07. Juni 2021Otto Kapfinger
newroom

reflexionen zum buchwerk

das buch kam heute zu mir per post. herzlichen dank und gratulation!

es geht alles wirklich so auf, dass wägers haltung, können und vermächtnis auch...

das buch kam heute zu mir per post. herzlichen dank und gratulation!

es geht alles wirklich so auf, dass wägers haltung, können und vermächtnis auch...

das buch kam heute zu mir per post. herzlichen dank und gratulation!

es geht alles wirklich so auf, dass wägers haltung, können und vermächtnis auch im buch richtig rüberkommt. es könnte nicht anders, nicht besser sein. gut, dass etliche so unterschiedliche text-stimmen zu wort kommen, das ist sehr lebendig und sinnvoll differenziert!! ausgezeichnet auch die neuen texte – von marina und martina – zu den ausführlich gezeigten bauten, zum würfelhaus, zu haus gassner in lustenau, haus ess in düns usw. usw. – macht alles richtig freude zu lesen: viele neu zu entdeckende konstruktive und raum/bautypologische innovationen, gewürzt mit entstehungs- und nutzungsgeschichten der bauleute. beeindruckend die wendung der wahrnehmung zu etlichen, auch mir nicht bekannten anlagen mit reihenhäusern unterschiedlichster art, zu vielen verdichteten wohnanlagen mit errichtergemeinschaften – heute extrem aktuell!

entscheidend für die kraft und botschaft des buches sind die neuen fotos von markus gohm, erhebend anders als die übliche, sterile architekturpublizistik, grandios!! das trägt optisch das buch im sinne der inhaltlichen botschaft – die „architektur“ geht sozusagen völlig auf, um nicht zu sagen „verschwindet als vordergrund“ und zeigt sich als nukleus und wachstumspotential dessen, was aus ihr durch langen gebrauch, sinnreiche veränderungen und üppig zugewachsene natur zum vollgültigen lebensraum, zum habitat geworden ist … das ist alles sehr kohärent – auch in der sparsamen zumischung, jeweils treffend, von farbbildern in die schwarzweiss-strecken …

ein einziges detail irritiert mich im moment: die eigenen texte von rudolf, ziemlich am beginn in einer anderen farbe gedruckt, erscheinen mir, meinen schon etwas alten augen, eine spur zu hell, zu flau – auf dem papier, das in seinem
feinen ton auch noch etwas von der schriftprägnanz wegnimmt … ansonsten papierwahl und papierwechsel perfekt eingesetzt und nicht bloß gschmackig formal, wie das auch manchmal passiert …

auch die persönlichen bilder und porträts vom rudl sind gut gewählt und dosiert, nicht zu viel, prägnant seinem charakter entsprechend. soweit ich ihn jedenfalls verstanden habe ...

separat ist auch stefan gassner zu danken, der das ganze buchgrafisch adäquat strukturiert hat und bis zu den details hin – etwa den zur orientierung hilfreichen, kleinen seiten/bildnummern – undramatisch/sachlich aufbereitet hat. steckt viel arbeit drinnen, die man dann nicht mehr so „merkt“, die aber als untergrund, als webspur der erscheinung deren strahlkraft, deren selbstverständliche präsenz erst ergibt. chapeau auch dafür!

eben las ich im buch ganz hinten die auszüge aus verschiedenen briefen von ihm an enge freunde ... es stimmt mich nachdenklich und elegisch – der grundton seiner sätze ist fast verzweifelt, sehr skeptisch, und zugleich: von idealistischen, antibürgerlichen, urchristlichen und – mehr noch – ideal-kommunistischen visionen durchdrungen und leidenschaftlich aufbegehrend – aber sichtlich mit der perspektive des realen scheiterns konfrontiert, offenbar unausweichlich, in größerem maßstab ... eine enorme, fast quälende spannung, vor allem deshalb, weil seine arbeits- und lebenseinstellung so tief und so bewusst grundiert war – hellwach – von sozialen, weitreichenden grundsätzen, diametral zum alltag der im äußeren reichtum anwachsenden, aber innerlich, in human-vital-geistigen relationen und ansprüchen immer ärmer werdenden konsumwelt ...

die künstler um ihn in den prägenden frühen jahren hatten es im verlauf wohl „leichter“ – wohl war allen in dieser szene die revolutionäre grundstimmung und kontra-leidenschaft gemeinsam, – doch der „architekt“ kommt eben in seinem metier viel dichter an all die widersprüche und widerstände des alltags heran, seine ansprüche sind einerseits noch weitreichender und umfassender und auch konketer als die der freien künstler, zugleich ist freilich die fallhöhe der umsetzungen, gemessen an der (breiteren) wirksamkeit, noch viel dramatischer, als bei den freien künsten ... bildhauer, maler:innen, musiker:innen, literat:innen konnten und können ihre ideale im werk allein gut weitertragen und -leben, ziemlich unabhängig von deren „wirksamkeit“ in realer gesellschaft, – die werke des architekten, siedlungsplaners, ortsplaners dagegen aber sind niemals so autonom ...

immerhin fand rudolf in den letzten jahren im aufgreifen seiner anfänglichen skulpturalen selbstbestimmten arbeit wieder zurück in die nähe einer solchen unmittelbarkeit, stimmigkeit zwischen anspruch, vermögen und resultat – sicher ein gewisser trost oder eine halt gebende beruhigung, eine meditative befreiung – als finale seiner sichtlich von enormen spannungen durchwirkten biografie ...

und auch sehr schön das protokoll der reisen von/mit martina in andere länder, zu anderen werken, die en passant begeisterung und freude, widerspruch und kontemplation/diskussion so lebhaft entflammen ließen ... sehr schön und wichtig, das mitzulesen …

so war der titel meines beitrags, im email-pingpong mit wolfgang ritsch formuliert – HOMO AMANS FABER – nicht ganz so leichtfertigt oder falsch, denn im AMANS (das mittlere, vermittelnde wort) steckt ja das doppelte drinnen: die leidenschaft, das visionäre, die entäußerung – und zugleich die verletzlichkeit, das so leicht gefährdete …

sehr berührend, erhellend die authentischen textbeiträge und reflexionen, erinnerungen von roland gnaiger und die gespräche mit bruno spagolla, wolfgang juen und otto jungwirth ...

neben, wie schon erwähnt, einigen reihenhausanlagen, die ich überhaupt nicht kannte, noch weitere überraschungen, z.b. haus und ordination dr. müller in götzis – hat er mir nie gezeigt oder erwähnt ... und ist jetzt sehr gut dokumentiert und eindrücklich beschrieben von martina …

wunderbar auch die bis in einzelheiten „durchgesehene“, aufbereitete tour d´horizon von marina, die nochmals die speziellen qualitäten der wäger-bauten in jeder hinsicht griffig zur sprache bringt, in ihrem entwicklungsverlauf nachzeichnet – und auch fein illustriert mit entlanggestreuten, „beiläufig“ präzisen kleinen bildern ... ein auch optisch guter parcour parallel zum sprachlich-gedanklichen versuch des fassens dessen, was sich als räumlich-zeitlich-sinnliches phänomen in der sprache so schwer adäquat benennen lässt ... wir erinnern uns an fritz achleitners paradoxes diktum: „von der unmöglichkeit, über architektur zu schreiben“... (1985, titel und zentrum seiner dankesrede zur staatspreisverleihung für architekturpublizistik) ...

und dennoch, es zeigt sich in all dem - es geht ja doch!!
kompliment an alle und vielen dank!
ein in JEDER hinsicht maßstabbildendes buchwerk.

newroom, Mo., 2021.06.07



verknüpfte Publikationen
Rudolf Wäger Baukünstler 1941–2019

28. November 2020Otto Kapfinger
Spectrum

Wenn die Vision swingt

Der Wiener Architekt Gunther Wawrik entwirft in seinem neuen Buch ein Gegenmodell zu den ziellos dahinwuchernden Agglomerationen. Seine Fiktion zeigt, wie Qualitäten von Natur und Gebautem, von Freiräumen und Verkehr organisiert werden könnten, um wieder eine Balance zu erreichen.

Der Wiener Architekt Gunther Wawrik entwirft in seinem neuen Buch ein Gegenmodell zu den ziellos dahinwuchernden Agglomerationen. Seine Fiktion zeigt, wie Qualitäten von Natur und Gebautem, von Freiräumen und Verkehr organisiert werden könnten, um wieder eine Balance zu erreichen.

Es passiert auch unter notorisch ruhelosen, schöpferisch Tätigen selten, dass jemand im hohen Alter noch eine so „swingende“ Zukunftsvision anbietet. So geschehen durch den Wiener Architekten Gunther Wawrik, Jahrgang 1930, der jetzt sein Buch „Die Bergstadt. Eine Fiktion“ vorgelegt hat. Er entwirft darin, angeregt durch die Kindheit am Rande von Salzburg, ein Gegenmodell zu den heute ziellos dahinwuchernden Agglomerationen. Wawriks Bergstadt ist keine Utopie, die wortgetreu anzustreben wäre, wie er betont. Sie ist auch kein Manifest wie die hochfliegenden Programme der Moderne oder Postmoderne, die in Stadtplanung und Siedlungsbau an der Eigendynamik „schlechter Wirklichkeit“ nicht nur zerschellten, sondern diese auch unfreiwillig karikaturhaft mitprägten. Wawriks Fiktion bietet eine leichthin skizzierte Metapher, eine Denkfigur dafür, wie antagonistische Handlungsmuster miteinander verbunden, wie bestimmte Qualitäten von Gelände und Nutzung, von Natur und Gebautem, von privaten und öffentlichen Freiräumen, von Verkehr auf Wegen und Plätzen organisiert werden könnten, um wieder die in natürlichen Abläufen autonom entstehende, gut wohnbare Balance all dieser Faktoren zu erreichen.

Eine solche Polemik zwischen Formvorstellungen war Kern in Le Corbusiers „Städtebau“ gewesen. 1925 auf Französisch, bald auch auf Deutsch publiziert, war es die Schrift zur Zukunft der Städte – wegweisend für die Maximen der CIAM, der Charta von Athen, die bis in die 1960er-Jahre global als Richtschnur galten. Corbu entfaltete sein Argument aus dem Gegensatz von naturhaft krummen und autogerecht geraden Straßen: „Der Mensch schreitet geradeaus, weil er ein Ziel hat; er weiß, wohin er geht, er hat sich für die Richtung entschieden und schreitet in ihr geradeaus. Der Esel geht im Zickzack, döst ein wenig, blöde vor Hitze und zerstreut, geht im Zickzack, um den großen Steinen auszuweichen, um sich den Anstieg sanfter zu machen, um den Schatten zu suchen. Er strengt sich so wenig wie möglich an.“

Am Ende von Corbusiers Plädoyer für die geradlinige, die autoverkehrsgerechte Stadt, projektiert auf das vom Bestand entleerte Zentrum von Paris – am Ende steht in „Städtebau“, als Absage an Camillo Sittes gekurvte Räume nach „künstlerischen Prinzipien“, aber der lapidare Satz: „Meine Theorie bezieht sich auf ebenes Terrain. Auf unebenem besitzt die Kurve von vorneherein gesicherte Rechte!“ Und da liegt, in meinen Augen, auch der Startplatz für Wawriks Fiktion. Wir können sie als ein Kontra zu Corbu lesen: eine bergig terrassierte Stadt ohne Pkw-Kreuzungen und Gegenverkehr, wo Autos an den Rand gedrängt sind und es primär attraktive Fußwege gibt sowie lautlose öffentliche Verkehrsmittel. Aus der Vogelschau zeigen sich als Hauptstruktur zwei Straßenspiralen – eine hinauf, die andere hinunter. Sie sind ineinander verschlungen in der Figuration eines uralten Ornamentmotivs: Laufender Hund oder Doppelmäander. In diesem universellen Signet dreht sich eine Spirale von außen ins Zentrum hinein, die zweite windet sich aus der Mitte wieder hinaus – als gekurvte oder auch orthogonale Wellenbewegung. Der Grundriss von Wawriks Stadt hat also eine mythopoetische Signatur – den Doppelmäander. In der Antike bedeutete dies die Erlangung von Ewigkeit in der Zeit durch Reproduktion: Ein alterndes Wesen setzt ein junges an seine Stelle. Das Ältere rollt sich zusammen, während das Junge sich entfaltet. Es referiert auf den alterslosen Eros und die ewig sich erneuernde Energie im Kosmos. Dieselbe Signatur hat auch das Yin-Yang-Zeichen. Es vereint komplementäre Gegensätze: Tag/Nacht; Himmel/Erde; männlich/weiblich. Die Doppelspirale der Bergstadt ist nun überlagert von den Strahlen der orthogonal über sie – in Falllinie – hinwegführenden, geraden Radialstraßen. Ihre konzentrische Geometrik stammt aus der neuzeitlichen, rationalen Organisation von Stadtkörpern. Die Bergstadt verknüpft also Krummes mit Geradem, „Organisches“ mit „Rationalität“. Das eine wäre die zwiebelhafte Struktur archaischer, ein „heiliges Zentrum“ mit Schichten und Schilden umhüllender Topos, das andere die zentralperspektivisch grenzenlose Rationalität im Sinn von Renaissance und Aufklärung. Doch in mindestens einem Brennpunkt befreit sich Wawriks Fiktion energisch aus archaisierender Verhaftung: In alten Ensembles besetzt die Spitze des Bau- und Lebensgefüges die Burg samt Bergfried, die Abtei samt Turm, der Dom oder ein Haupttempel – von Athen oder Shatrunjaya bis Prag, Salzburg, Laibach. Dies war die alte Hierarchie, die exklusive Besetzung des besten Platzes. Hier aber ist der Bergkamm, der oberste Rücken, unbebaut gedacht, freigehalten als leere Mitte, grüner Festplatz.

Als Ineinander von Oppositionen hatte Wawrik schon seine Monografie zum 70er deklariert, deren Titel „Architektur zwischen Bricolage und Instrument“ sich auf Claude Lévi-Strauss bezog. Im legendären Buch „Das wilde Denken“ erklärte der französische Ethnologe Differenzen und Gemeinsames von „primitiven“ und „zivilisierten“ Gesellschaften, von „Erster“ und „Dritter Welt“ anhand der Typologie: hier der rationale Fachmann, der wissenschaftlich induktiv vorgehende Ingenieur, dort der improvisierende Bastler, der Bricoleur, der gewitzt mit zufällig Gegebenem, mit Mangel zurande kommt. Das Ingenieurwesen liebt die Tabula rasa, die Löschung all dessen, was war, und braucht zum Neubau avancierte Stoffe und Techniken, um Werke „aus einem Guss“ zu schaffen. Bricolage hingegen kann jederzeit auskommen mit allem, was zur Hand ist, sie nutzt auch Disparates oder Reste, transformiert sie zu hybriden Ganzheiten, schafft Zustände, die ihrerseits als Durchgangsstadien nächsten Transformationen offenstehen.

Mit dem so handlich gestalteten Buch „Die Bergstadt“ hebt Wawrik seine in früheren Projekten partiell angesteuerte Verschränkung der Denk- und Handlungsstile in eine große, sinfonische Fiktion und sagt uns im Metatext: Die Polarität zwischen Natur und Artefakt als ökologische Herausforderung zu bewältigen benötigt die Verschmelzung von „rationalen“ mit „wilden“ Denk- und Handlungsweisen. Nicht eine Dogmatik, welche das jeweils andere ablehnt, sondern eine Intelligenz, die durch beides radikal, doch interdependent hindurchgeht.

Spectrum, Sa., 2020.11.28



verknüpfte Publikationen
Die Bergstadt

22. April 2019Otto Kapfinger
newroom

Der leise Revoluzzer

Wir verabschieden uns tief betroffen von Rudolf Wäger, der am Samstag, den 20. April 2019 im 78. Lebensjahr nach längerer Krankheit verschied.
Er bildete...

Wir verabschieden uns tief betroffen von Rudolf Wäger, der am Samstag, den 20. April 2019 im 78. Lebensjahr nach längerer Krankheit verschied.
Er bildete...

Wir verabschieden uns tief betroffen von Rudolf Wäger, der am Samstag, den 20. April 2019 im 78. Lebensjahr nach längerer Krankheit verschied.
Er bildete mit seinen älteren Brüdern Heinz und Siegfried um 1960 eine wesentliche Urzelle jener Bewegung, die zwei Jahrzehnte später als „Vorarlberger Baukünstler“ regional und österreichweit Beachtung fand, und die sich seither zu dem international akklamierten Phänomen der modernen Vorarlberger Baukultur entfaltete.
In Rudolf Wäger vereinten sich auf einzigartige Weise bodenständige Handfertigkeit und ökonomische Nüchternheit mit einem kulturell weltoffenen Horizont und dem lebensgestalterisch Visionären. Er war aber kein rabiater Barrikadenstürmer oder lautstarker Avantgardist. Es war in Sprache und Gestik, auf der Baustelle wie im privaten Gespräch, ein stets ruhig, bedächtig und zugleich absolut bestimmt, kritisch, auch selbstkritisch agierender, eigenständiger Zeitgenosse.
1941 in Götzis geboren war er 1959 ausgelernter Zimmermann, als planender und bauender Architekt aber fortan Autodidakt.
Alternative Perspektiven zu der damals kulturell wie politisch so konservativen Welt des „Ländle“ eröffneten sich den Wäger-Brüdern um 1958 durch die Ausbildung zum Industriedesigner, die Heinz an der neu eröffneten Hochschule für Gestaltung in Ulm erfuhr. „Wir fuhren per Autostopp hin, um die Architektur von Max Bill, die Möbel und die Arbeit in den Klassen zu sehen – es war eine Offenbarung“, erzählte Rudolf, „Heinz versorgte uns auch mit Fachzeitschriften, die uns die neue Architektur in Skandinavien oder der Schweiz und die Werke von Alvar Aalto, Frank Lloyd Wright und anderen erschlossen.“
1959 begannen die Wäger-Brüder mit dem Haus für Heinz in Götzis ein für einige Zeit praktikables gemeinsames Planen und Bauen, wobei Siegfried als Maurermeister die nötigen Skills komplettierte. „Wir wollten im Kontrast zu der rundum dominierenden Kleinbürgerlichkeit etwas anderes schaffen. Wir hatten – vom Grundstück des Vaters abgesehen – keine Mittel, wir mussten alles selbst machen, wir nutzten den damals billigsten, als Baracken-Material abqualifizierten Baustoff Holz, weil wir damit fast alles auch eigenhändig machen konnten, bis hin zu Möbeln, und weil wir zeigen wollten, dass – wie etwa in Skandinavien – man auch mit Holz etwas ganz Neues, Schönes als Wohnumwelt bilden kann.“
1962 gestalten sie in Götzis als Umbau in einem bestehenden Wohnhaus die Galerie Hämmerle – regional die erste Privatgalerie überhaupt und für viele Jahre dort ein singuläres Schaufenster der zeitgenössischen Avantgarde. Es entstehen wichtige Kontakte zu jungen Künstlern, Literaten, Pädagogen, die umgehend auch zu Bauherren werden und somit jenes geistige und personelle Netzwerk aufspannen, aus dem die auch für spätere Generationen wegweisenden Wäger-Werke der 60er und 70er Jahre hervorgehen.
Zu diesem Kreis zählen damals Bildhauer Walter Salzmann, Lehrer und Kabarettist Heiner Linder, Zeichner Walter Khüny, Pädagoge und Schriftsteller Franz Bertel, Keramiker Helmut Schnetzer, Jurist Günter Hagen, Grafiker und Maler Franz Gassner, dann auch Franz Rauch und andere.

1964 plant und errichtet Rudolf Wäger neben dem Vaterhaus in Götzis für seine bereits fünfköpfige Familie das legendäre „Würfelhaus“– ein im Nachhinein zur „Ikone“ stilisiertes Musterbeispiel für Rudolf Wägers Fähigkeit, mit einem Minimum an Aufwand, an Material und Fläche ein Optimum an räumlicher und funktionaler Qualität zu schaffen. „Ich habe es zu 80 % selbst gebaut. Es erregte viel Interesse, natürlich auch Kritik, man staunte aber vor allem über die Kosten. Von da kamen dann weitere Aufträge. Mit den viel größeren, viel aufwendigeren alten Wälder- oder Rheintalhäusern hatte das nichts zu tun. Inspiration fand ich eher in einem schlichten Bau von Aalto in Holz, senkrecht verschalt, mit eingeschnittenen Fenstern (...)“
Mit den befreundeten Künstlern gibt es in dieser Zeit auch Exkursionen nach Wien zu Wotruba und zu Avramidis; Mit Franz Bertel und der Baugruppe, die sich zur Planung der Siedlung Halde in Bludenz eigenständig formiert, wird die 1962 nach Plänen des Atelier 5 fertigstellte, revolutionäre Siedlung Halen bei Bern besucht – auch die Weissenhofsiedlung des Werkbundes in Stuttgart. Die konkrete Planung und Umsetzung der „Halde“, die dann tatsächlich ein Markstein für die kommende Wohn- und Siedlungskultur der „Baukünstler“ wird, überlässt Wäger dem erfahreneren Hans Purin. Doch aus Bertels profunder Schulung an der Pädagogischen Akademie Feldkirch kommen die nächsten AuftraggeberInnen für Wäger:
„Die jungen LehrerInnen hatten wenig Geld, meist aber einen Baugrund und in den Ferien Zeit, um selbst Hand anzulegen. Bei den meisten dieser Häuser bis zu den 1980er Jahren war wichtig und entscheidend, dass ich die Leute immer an Ort und Stelle einschulte, wie sie Böden, Wandvertäfelungen und anderes selbst gut machen konnten.“

Wägers Prototyp dafür, wie man statt der Zersiedelung mit Einzelhäusern in Reihenhausverbänden leben könnte, schonender für die Landschaft und die Gemeindekassen, preisgünstiger und komfortabler für die Einzelnen, mit den zusätzlichen Vorteilen und Möglichkeiten gemeinschaftlicher Nutzungen, das entsteht 1970-72 in Schlins. Die in zwei niedrigen Zeilen angeordneten Reihenhäuser für sechs ambitionierte Familien mit Kreativberufen, darunter auch Wäger selbst, sind neben Purins „Halde“ zweifellos die „Urmeter“ für die später so virulente neue Baukunst Vorarlbergs. Friedrich Achleitner hielt sie für vorbildlich „zur Lösung des Wohnproblems mit geringen Mitteln in ländlicher Situation“. Das Preis-Leistungs-Verhältnis war damals einzigartig im Lande, die Wohnqualität ist es bis heute.
Reinhard Gassner erinnert an einen für Wäger charakteristischen Moment: "Als es daran ging, die Häuser aufzuteilen, wer wo einziehen sollte, beanspruchte der mitbauende Architekt nicht, wie sonst völlig üblich, die „beste“ Hausposition für sich. Er brach ein paar Streichhölzer ab und ließ uns ziehen. Ich zog das längere – und bekam somit das „oberste“ Haus, am Ende der oberen Zeile. Er selbst mit Frau Hilde und den Kindern bekam ein mittleres. So einfach und klar war das."

Rudolf Wägers Œuvre ist – von den erwähnten und noch wenigen anderen Beispielen abgesehen – einem breiteren Publikum kaum bekannt. Neben den Häusern, es sind wohl weit über hundert, realisierte er Siedlungen, Industrie- und Nutzbauten, u.a. auch die große Marien-Kirche in Dornbirn-Watzenegg – mit Sigi Wäger und Wolfgang Ritsch. Er blieb nicht beim präzise, stets auf Ort und Aufgabe variabel abgestimmten Holz-Riegelbau stehen, er erreichte seine exquisiten Zimmermannsproportionen und -qualitäten auch mit industriellen Baustoffen, mit simplen, billigen Schalungsträgern, Eternitbeplankungen und Sperrholzwänden, mit Ytong-Steinen, unverputzt geschlämmten Hohlblockziegeln und so weiter. In einer mittleren Schaffensperiode studierte er wie kein anderer weitum die sozialen, politischen und gestalterischen Prinzipien der Tessiner „Tendenza“ rund um Snozzi, Gianola, Vacchini, Botta, Flora Ruchat u.a.. Und er transformierte deren im Massivbau, in Beton, Stein und Stahl geformte Aspekte in einige seiner materialmäßig und auch formal reicher ausgeformten Hausprojekte.
Seine „Rückkehr“ zu avancierten Holzkonstruktionen traf nach 1990 auf ein sehr paradoxes Phänomen. Bauherren, die ein Holzhaus wollten, konnten sich dieses nicht mehr leisten. Denn mit der grandiosen Holzbau-Hausse im Ländle waren die Firmen nun so ausgebucht, die Preise wegen der Nachfrage so gestiegen, dass Wäger seine kleinen Projekte, um sie für die Klienten erschwinglich zu machen, mitunter auf massiv – Ziegelmauerwerk verputzt –- umplanen musste. Ich konnte aber sehen, dass selbst dann sein struktives Formgefühl, seine vom Holz geprägte Rhythmik und typische Proportionalität im baulichen Ausdruck spürbar blieb.

An der Schwelle zum „Siebziger“ resümierte Rudolf Wäger in einem großen Interview mit Arno Ritter für die Ausstellung „konstantmodern“ sein Werk und auch die Zukunft der Profession ziemlich skeptisch. Wie auch immer – sein Vermächtnis, das heute dringender denn je zu studieren, zu beherzigen, weiterzubilden wäre, ist auch von absolut globaler Relevanz: Weniger ist mehr! – und solches Weniges muss sich am Maß einer humanen, geistbestimmenden, emanzipierten und gemeinschaftlich empathischen Lebensweise definieren. Wäger und seine wichtigen Zeitgenossen/WeggefährtInnen suchten nach einer neuen Lebensform, nach Unbelastetheit, Freiheit, Gleichheit in der Verschiedenheit, nach mentaler/sinnlicher Fülle im materiell Einfachen, nach neuen Inhalten, denen das Bauen adäquat dienen sollte, nach einer Architektur, die als Vorschein, als Werkzeug ein nicht-kommerzialsiertes, ein nicht konsumfixiertes, ein geistig und sozial anspruchsvolles Dasein spiegeln, ermöglichen und inspirieren sollte.

Wo Ludwig Mies van der Rohe sein berühmt-berüchtigstes „less is more“ von der Spitze der Wirtschaft, der industriellen Gesellschaft herab imaginierte, dachten Wäger und sein Umkreis mitten in der Wirtschaftswunderzeit ihre bauliche Einfachheit aber „von unten heraus“, aus sehr konkreter Not und dem Gebot des eigenen Handanlegens heraus einerseits, und aus der sehr kritischen Fragestellung nach den einzig bleibenden, ausschlaggebenden, immateriellen Werten und Qualitäten unseres Lebens andererseits.
Es ist die feinnervige, bei aller Kargheit in allen Teilen „handgreiflich“ schwingende Ausstrahlung der Wäger-Häuser, die ihre Miterrichter und BewohnerInnen nachhaltig geprägt hat, wie sie fast durchwegs bezeugen.
Neben allen ausgeklügelten Funktionen und räumlichen Facetten ist es dieses Spiel der streng optimierten Konstruktivität – mit der Zartheit der rhythmischen Verläufe über alle so haptischen und optischen Details – und das Ganze, das Wägers Bauten unverwechselbar machte und macht – als pure, schlichte, hochpotente Instrumente – für die Musik des guten Seins.

Ein großes Buch, das sein Werk erstmals ganzheitlich darstellen soll, war in den letzten Jahren unter seiner Mitwirkung schon im Werden. Er hat es nicht erlebt. Doch es wird einmal kommen – und uns dabei unterstützen, ja herausfordern, sein Vermächtnis, sein Ideal wieder zu verstehen, es weiterzutreiben, weiterzuleben.

newroom, Mo., 2019.04.22



verknüpfte Akteure
Wäger Rudolf

Alle 30 Texte ansehen

Publikationen

Alle 21 Publikationen ansehen

Bauwerke

Artikel 12

26. Juni 1999Ute Woltron
Der Standard

Großstadtkulturflaneur

Ein Buch präsentiert Otto Kapfinger als Redner über Architektur. Er ist dabei erholsam unakademisch.

Ein Buch präsentiert Otto Kapfinger als Redner über Architektur. Er ist dabei erholsam unakademisch.

Otto Kapfinger lebt in Wien und ist vor allem Architekturpublizist, Ausstellungskurator und Mitglied diverser mit Architektur befaßter Gremien. Gelegentlich hält er aber auch Reden und Ansprachen zu gewissen Anlässen, Jubiläen oder Belobigungen von Architekten. Diese verbalen und somit flüchtigen Architekturkritiken wurden nun vom Architektur Zentrum Wien gesammelt und in gebündelter Form auf den Markt gebracht: Das sehr sorgfältig gestaltete Buch „Otto Kapfinger. ausgesprochen. Reden zur Architektur“ ist gerade im Verlag Anton Pustet erschienen und um 290,- Schilling zu haben.

Kapfinger gilt als einer der ersten, die in der Nachfolge Friedrich Achleitners vernünftig und fundiert über Architektur schrieben, und er ist sich der Schwierigkeit der Architekturvermittlung wohl bewußt. So eine Art „Transmissionsriemen“ sei der Architekturkritiker im besten Fall, also einer, der zwischen Architekten, Bauherren und interessierten Laien vermitteln könne.

Um das zu bewerkstelligen, um die Kraft ordentlich zu übertragen, den Funken überspringen zu lassen, bedürfe es einer Sprache fern jeglichen Fachjargons. Und Kapfinger beherrscht die Kunst des einfachen Erklärens gut. Seine Texte - und die hier publizierten Ansprachen - sind zwar beileibe nicht einfach, aber durchwegs wohltuend unakademisch und auch dem Nicht-Fachmann verständlich. Abgehandelt werden etwa Leben und Werk der Zeitgenossen Günther Domenig, Hermann Czech, Wilhelm Holzbauer, Johann Georg Gsteu und der beiden großen alten Damen der österreichischen Architektur, Anna Lülja Praun und Margarete Schütte-Lihotzky.

„Wer war der bessere Architekturkritiker?“ fragt Kapfinger im Zuge des Kapitels „Im Sprachraum - Schreiben über Architektur“, „Siegfried Giedion oder Jacques Tati?“ Und wer wäre der „ideale Schreiber über Architektur?“ „Einer/eine, der/die wohl das ganze Metier gelernt hätte, das Fachidiotentum aber über Bord geworfen, zumindest ins Unbewußte verdrängt hätte und erst von dieser ,tabula rasa' aus wirklich frei wäre, über eine immer wieder nur fachimmanente Sicht hinauszukommen und aus architekturfremden Erfahrungsbereichen ganz andere Fragen, ganz andere Forderungen an die Architektur zu stellen?“

Jacques Tati durchmißt im Film „Playtime“, zu deutsch „Herrliche Zeiten“, jedenfalls die modernen französischen Stahl-Glas-Architekturen wie einer, der über, unter und durch Rohe-Eier-Galerien tappt. Sehr zerbrechlich, sehr gefährlich wirkt die Angelegenheit. „Jedes Ding, jede Architektur ist ein Kriminalroman“, sagt Kapfinger. Aber lesen Sie doch selbst!


verknüpfte Publikationen
Ausgesprochen. Reden zur Architektur

Presseschau 12

30. Juli 2025Otto Kapfinger
Die Presse

Im Duo zu Weltruhm: Coop-Himmelblau-Architekt Helmut Swiczinsky ist tot

Die von ihm mitbegründete österreichische Architekturgruppe wurde weltweit bekannt und prägte maßgeblich das „Austrian Phenomenon“ in Design, Architektur und Kunst.

Die von ihm mitbegründete österreichische Architekturgruppe wurde weltweit bekannt und prägte maßgeblich das „Austrian Phenomenon“ in Design, Architektur und Kunst.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen


verknüpfte Akteure
Swiczinsky Helmut

07. Juni 2021Otto Kapfinger
newroom

reflexionen zum buchwerk

das buch kam heute zu mir per post. herzlichen dank und gratulation!

es geht alles wirklich so auf, dass wägers haltung, können und vermächtnis auch...

das buch kam heute zu mir per post. herzlichen dank und gratulation!

es geht alles wirklich so auf, dass wägers haltung, können und vermächtnis auch...

das buch kam heute zu mir per post. herzlichen dank und gratulation!

es geht alles wirklich so auf, dass wägers haltung, können und vermächtnis auch im buch richtig rüberkommt. es könnte nicht anders, nicht besser sein. gut, dass etliche so unterschiedliche text-stimmen zu wort kommen, das ist sehr lebendig und sinnvoll differenziert!! ausgezeichnet auch die neuen texte – von marina und martina – zu den ausführlich gezeigten bauten, zum würfelhaus, zu haus gassner in lustenau, haus ess in düns usw. usw. – macht alles richtig freude zu lesen: viele neu zu entdeckende konstruktive und raum/bautypologische innovationen, gewürzt mit entstehungs- und nutzungsgeschichten der bauleute. beeindruckend die wendung der wahrnehmung zu etlichen, auch mir nicht bekannten anlagen mit reihenhäusern unterschiedlichster art, zu vielen verdichteten wohnanlagen mit errichtergemeinschaften – heute extrem aktuell!

entscheidend für die kraft und botschaft des buches sind die neuen fotos von markus gohm, erhebend anders als die übliche, sterile architekturpublizistik, grandios!! das trägt optisch das buch im sinne der inhaltlichen botschaft – die „architektur“ geht sozusagen völlig auf, um nicht zu sagen „verschwindet als vordergrund“ und zeigt sich als nukleus und wachstumspotential dessen, was aus ihr durch langen gebrauch, sinnreiche veränderungen und üppig zugewachsene natur zum vollgültigen lebensraum, zum habitat geworden ist … das ist alles sehr kohärent – auch in der sparsamen zumischung, jeweils treffend, von farbbildern in die schwarzweiss-strecken …

ein einziges detail irritiert mich im moment: die eigenen texte von rudolf, ziemlich am beginn in einer anderen farbe gedruckt, erscheinen mir, meinen schon etwas alten augen, eine spur zu hell, zu flau – auf dem papier, das in seinem
feinen ton auch noch etwas von der schriftprägnanz wegnimmt … ansonsten papierwahl und papierwechsel perfekt eingesetzt und nicht bloß gschmackig formal, wie das auch manchmal passiert …

auch die persönlichen bilder und porträts vom rudl sind gut gewählt und dosiert, nicht zu viel, prägnant seinem charakter entsprechend. soweit ich ihn jedenfalls verstanden habe ...

separat ist auch stefan gassner zu danken, der das ganze buchgrafisch adäquat strukturiert hat und bis zu den details hin – etwa den zur orientierung hilfreichen, kleinen seiten/bildnummern – undramatisch/sachlich aufbereitet hat. steckt viel arbeit drinnen, die man dann nicht mehr so „merkt“, die aber als untergrund, als webspur der erscheinung deren strahlkraft, deren selbstverständliche präsenz erst ergibt. chapeau auch dafür!

eben las ich im buch ganz hinten die auszüge aus verschiedenen briefen von ihm an enge freunde ... es stimmt mich nachdenklich und elegisch – der grundton seiner sätze ist fast verzweifelt, sehr skeptisch, und zugleich: von idealistischen, antibürgerlichen, urchristlichen und – mehr noch – ideal-kommunistischen visionen durchdrungen und leidenschaftlich aufbegehrend – aber sichtlich mit der perspektive des realen scheiterns konfrontiert, offenbar unausweichlich, in größerem maßstab ... eine enorme, fast quälende spannung, vor allem deshalb, weil seine arbeits- und lebenseinstellung so tief und so bewusst grundiert war – hellwach – von sozialen, weitreichenden grundsätzen, diametral zum alltag der im äußeren reichtum anwachsenden, aber innerlich, in human-vital-geistigen relationen und ansprüchen immer ärmer werdenden konsumwelt ...

die künstler um ihn in den prägenden frühen jahren hatten es im verlauf wohl „leichter“ – wohl war allen in dieser szene die revolutionäre grundstimmung und kontra-leidenschaft gemeinsam, – doch der „architekt“ kommt eben in seinem metier viel dichter an all die widersprüche und widerstände des alltags heran, seine ansprüche sind einerseits noch weitreichender und umfassender und auch konketer als die der freien künstler, zugleich ist freilich die fallhöhe der umsetzungen, gemessen an der (breiteren) wirksamkeit, noch viel dramatischer, als bei den freien künsten ... bildhauer, maler:innen, musiker:innen, literat:innen konnten und können ihre ideale im werk allein gut weitertragen und -leben, ziemlich unabhängig von deren „wirksamkeit“ in realer gesellschaft, – die werke des architekten, siedlungsplaners, ortsplaners dagegen aber sind niemals so autonom ...

immerhin fand rudolf in den letzten jahren im aufgreifen seiner anfänglichen skulpturalen selbstbestimmten arbeit wieder zurück in die nähe einer solchen unmittelbarkeit, stimmigkeit zwischen anspruch, vermögen und resultat – sicher ein gewisser trost oder eine halt gebende beruhigung, eine meditative befreiung – als finale seiner sichtlich von enormen spannungen durchwirkten biografie ...

und auch sehr schön das protokoll der reisen von/mit martina in andere länder, zu anderen werken, die en passant begeisterung und freude, widerspruch und kontemplation/diskussion so lebhaft entflammen ließen ... sehr schön und wichtig, das mitzulesen …

so war der titel meines beitrags, im email-pingpong mit wolfgang ritsch formuliert – HOMO AMANS FABER – nicht ganz so leichtfertigt oder falsch, denn im AMANS (das mittlere, vermittelnde wort) steckt ja das doppelte drinnen: die leidenschaft, das visionäre, die entäußerung – und zugleich die verletzlichkeit, das so leicht gefährdete …

sehr berührend, erhellend die authentischen textbeiträge und reflexionen, erinnerungen von roland gnaiger und die gespräche mit bruno spagolla, wolfgang juen und otto jungwirth ...

neben, wie schon erwähnt, einigen reihenhausanlagen, die ich überhaupt nicht kannte, noch weitere überraschungen, z.b. haus und ordination dr. müller in götzis – hat er mir nie gezeigt oder erwähnt ... und ist jetzt sehr gut dokumentiert und eindrücklich beschrieben von martina …

wunderbar auch die bis in einzelheiten „durchgesehene“, aufbereitete tour d´horizon von marina, die nochmals die speziellen qualitäten der wäger-bauten in jeder hinsicht griffig zur sprache bringt, in ihrem entwicklungsverlauf nachzeichnet – und auch fein illustriert mit entlanggestreuten, „beiläufig“ präzisen kleinen bildern ... ein auch optisch guter parcour parallel zum sprachlich-gedanklichen versuch des fassens dessen, was sich als räumlich-zeitlich-sinnliches phänomen in der sprache so schwer adäquat benennen lässt ... wir erinnern uns an fritz achleitners paradoxes diktum: „von der unmöglichkeit, über architektur zu schreiben“... (1985, titel und zentrum seiner dankesrede zur staatspreisverleihung für architekturpublizistik) ...

und dennoch, es zeigt sich in all dem - es geht ja doch!!
kompliment an alle und vielen dank!
ein in JEDER hinsicht maßstabbildendes buchwerk.

newroom, Mo., 2021.06.07



verknüpfte Publikationen
Rudolf Wäger Baukünstler 1941–2019

28. November 2020Otto Kapfinger
Spectrum

Wenn die Vision swingt

Der Wiener Architekt Gunther Wawrik entwirft in seinem neuen Buch ein Gegenmodell zu den ziellos dahinwuchernden Agglomerationen. Seine Fiktion zeigt, wie Qualitäten von Natur und Gebautem, von Freiräumen und Verkehr organisiert werden könnten, um wieder eine Balance zu erreichen.

Der Wiener Architekt Gunther Wawrik entwirft in seinem neuen Buch ein Gegenmodell zu den ziellos dahinwuchernden Agglomerationen. Seine Fiktion zeigt, wie Qualitäten von Natur und Gebautem, von Freiräumen und Verkehr organisiert werden könnten, um wieder eine Balance zu erreichen.

Es passiert auch unter notorisch ruhelosen, schöpferisch Tätigen selten, dass jemand im hohen Alter noch eine so „swingende“ Zukunftsvision anbietet. So geschehen durch den Wiener Architekten Gunther Wawrik, Jahrgang 1930, der jetzt sein Buch „Die Bergstadt. Eine Fiktion“ vorgelegt hat. Er entwirft darin, angeregt durch die Kindheit am Rande von Salzburg, ein Gegenmodell zu den heute ziellos dahinwuchernden Agglomerationen. Wawriks Bergstadt ist keine Utopie, die wortgetreu anzustreben wäre, wie er betont. Sie ist auch kein Manifest wie die hochfliegenden Programme der Moderne oder Postmoderne, die in Stadtplanung und Siedlungsbau an der Eigendynamik „schlechter Wirklichkeit“ nicht nur zerschellten, sondern diese auch unfreiwillig karikaturhaft mitprägten. Wawriks Fiktion bietet eine leichthin skizzierte Metapher, eine Denkfigur dafür, wie antagonistische Handlungsmuster miteinander verbunden, wie bestimmte Qualitäten von Gelände und Nutzung, von Natur und Gebautem, von privaten und öffentlichen Freiräumen, von Verkehr auf Wegen und Plätzen organisiert werden könnten, um wieder die in natürlichen Abläufen autonom entstehende, gut wohnbare Balance all dieser Faktoren zu erreichen.

Eine solche Polemik zwischen Formvorstellungen war Kern in Le Corbusiers „Städtebau“ gewesen. 1925 auf Französisch, bald auch auf Deutsch publiziert, war es die Schrift zur Zukunft der Städte – wegweisend für die Maximen der CIAM, der Charta von Athen, die bis in die 1960er-Jahre global als Richtschnur galten. Corbu entfaltete sein Argument aus dem Gegensatz von naturhaft krummen und autogerecht geraden Straßen: „Der Mensch schreitet geradeaus, weil er ein Ziel hat; er weiß, wohin er geht, er hat sich für die Richtung entschieden und schreitet in ihr geradeaus. Der Esel geht im Zickzack, döst ein wenig, blöde vor Hitze und zerstreut, geht im Zickzack, um den großen Steinen auszuweichen, um sich den Anstieg sanfter zu machen, um den Schatten zu suchen. Er strengt sich so wenig wie möglich an.“

Am Ende von Corbusiers Plädoyer für die geradlinige, die autoverkehrsgerechte Stadt, projektiert auf das vom Bestand entleerte Zentrum von Paris – am Ende steht in „Städtebau“, als Absage an Camillo Sittes gekurvte Räume nach „künstlerischen Prinzipien“, aber der lapidare Satz: „Meine Theorie bezieht sich auf ebenes Terrain. Auf unebenem besitzt die Kurve von vorneherein gesicherte Rechte!“ Und da liegt, in meinen Augen, auch der Startplatz für Wawriks Fiktion. Wir können sie als ein Kontra zu Corbu lesen: eine bergig terrassierte Stadt ohne Pkw-Kreuzungen und Gegenverkehr, wo Autos an den Rand gedrängt sind und es primär attraktive Fußwege gibt sowie lautlose öffentliche Verkehrsmittel. Aus der Vogelschau zeigen sich als Hauptstruktur zwei Straßenspiralen – eine hinauf, die andere hinunter. Sie sind ineinander verschlungen in der Figuration eines uralten Ornamentmotivs: Laufender Hund oder Doppelmäander. In diesem universellen Signet dreht sich eine Spirale von außen ins Zentrum hinein, die zweite windet sich aus der Mitte wieder hinaus – als gekurvte oder auch orthogonale Wellenbewegung. Der Grundriss von Wawriks Stadt hat also eine mythopoetische Signatur – den Doppelmäander. In der Antike bedeutete dies die Erlangung von Ewigkeit in der Zeit durch Reproduktion: Ein alterndes Wesen setzt ein junges an seine Stelle. Das Ältere rollt sich zusammen, während das Junge sich entfaltet. Es referiert auf den alterslosen Eros und die ewig sich erneuernde Energie im Kosmos. Dieselbe Signatur hat auch das Yin-Yang-Zeichen. Es vereint komplementäre Gegensätze: Tag/Nacht; Himmel/Erde; männlich/weiblich. Die Doppelspirale der Bergstadt ist nun überlagert von den Strahlen der orthogonal über sie – in Falllinie – hinwegführenden, geraden Radialstraßen. Ihre konzentrische Geometrik stammt aus der neuzeitlichen, rationalen Organisation von Stadtkörpern. Die Bergstadt verknüpft also Krummes mit Geradem, „Organisches“ mit „Rationalität“. Das eine wäre die zwiebelhafte Struktur archaischer, ein „heiliges Zentrum“ mit Schichten und Schilden umhüllender Topos, das andere die zentralperspektivisch grenzenlose Rationalität im Sinn von Renaissance und Aufklärung. Doch in mindestens einem Brennpunkt befreit sich Wawriks Fiktion energisch aus archaisierender Verhaftung: In alten Ensembles besetzt die Spitze des Bau- und Lebensgefüges die Burg samt Bergfried, die Abtei samt Turm, der Dom oder ein Haupttempel – von Athen oder Shatrunjaya bis Prag, Salzburg, Laibach. Dies war die alte Hierarchie, die exklusive Besetzung des besten Platzes. Hier aber ist der Bergkamm, der oberste Rücken, unbebaut gedacht, freigehalten als leere Mitte, grüner Festplatz.

Als Ineinander von Oppositionen hatte Wawrik schon seine Monografie zum 70er deklariert, deren Titel „Architektur zwischen Bricolage und Instrument“ sich auf Claude Lévi-Strauss bezog. Im legendären Buch „Das wilde Denken“ erklärte der französische Ethnologe Differenzen und Gemeinsames von „primitiven“ und „zivilisierten“ Gesellschaften, von „Erster“ und „Dritter Welt“ anhand der Typologie: hier der rationale Fachmann, der wissenschaftlich induktiv vorgehende Ingenieur, dort der improvisierende Bastler, der Bricoleur, der gewitzt mit zufällig Gegebenem, mit Mangel zurande kommt. Das Ingenieurwesen liebt die Tabula rasa, die Löschung all dessen, was war, und braucht zum Neubau avancierte Stoffe und Techniken, um Werke „aus einem Guss“ zu schaffen. Bricolage hingegen kann jederzeit auskommen mit allem, was zur Hand ist, sie nutzt auch Disparates oder Reste, transformiert sie zu hybriden Ganzheiten, schafft Zustände, die ihrerseits als Durchgangsstadien nächsten Transformationen offenstehen.

Mit dem so handlich gestalteten Buch „Die Bergstadt“ hebt Wawrik seine in früheren Projekten partiell angesteuerte Verschränkung der Denk- und Handlungsstile in eine große, sinfonische Fiktion und sagt uns im Metatext: Die Polarität zwischen Natur und Artefakt als ökologische Herausforderung zu bewältigen benötigt die Verschmelzung von „rationalen“ mit „wilden“ Denk- und Handlungsweisen. Nicht eine Dogmatik, welche das jeweils andere ablehnt, sondern eine Intelligenz, die durch beides radikal, doch interdependent hindurchgeht.

Spectrum, Sa., 2020.11.28



verknüpfte Publikationen
Die Bergstadt

22. April 2019Otto Kapfinger
newroom

Der leise Revoluzzer

Wir verabschieden uns tief betroffen von Rudolf Wäger, der am Samstag, den 20. April 2019 im 78. Lebensjahr nach längerer Krankheit verschied.
Er bildete...

Wir verabschieden uns tief betroffen von Rudolf Wäger, der am Samstag, den 20. April 2019 im 78. Lebensjahr nach längerer Krankheit verschied.
Er bildete...

Wir verabschieden uns tief betroffen von Rudolf Wäger, der am Samstag, den 20. April 2019 im 78. Lebensjahr nach längerer Krankheit verschied.
Er bildete mit seinen älteren Brüdern Heinz und Siegfried um 1960 eine wesentliche Urzelle jener Bewegung, die zwei Jahrzehnte später als „Vorarlberger Baukünstler“ regional und österreichweit Beachtung fand, und die sich seither zu dem international akklamierten Phänomen der modernen Vorarlberger Baukultur entfaltete.
In Rudolf Wäger vereinten sich auf einzigartige Weise bodenständige Handfertigkeit und ökonomische Nüchternheit mit einem kulturell weltoffenen Horizont und dem lebensgestalterisch Visionären. Er war aber kein rabiater Barrikadenstürmer oder lautstarker Avantgardist. Es war in Sprache und Gestik, auf der Baustelle wie im privaten Gespräch, ein stets ruhig, bedächtig und zugleich absolut bestimmt, kritisch, auch selbstkritisch agierender, eigenständiger Zeitgenosse.
1941 in Götzis geboren war er 1959 ausgelernter Zimmermann, als planender und bauender Architekt aber fortan Autodidakt.
Alternative Perspektiven zu der damals kulturell wie politisch so konservativen Welt des „Ländle“ eröffneten sich den Wäger-Brüdern um 1958 durch die Ausbildung zum Industriedesigner, die Heinz an der neu eröffneten Hochschule für Gestaltung in Ulm erfuhr. „Wir fuhren per Autostopp hin, um die Architektur von Max Bill, die Möbel und die Arbeit in den Klassen zu sehen – es war eine Offenbarung“, erzählte Rudolf, „Heinz versorgte uns auch mit Fachzeitschriften, die uns die neue Architektur in Skandinavien oder der Schweiz und die Werke von Alvar Aalto, Frank Lloyd Wright und anderen erschlossen.“
1959 begannen die Wäger-Brüder mit dem Haus für Heinz in Götzis ein für einige Zeit praktikables gemeinsames Planen und Bauen, wobei Siegfried als Maurermeister die nötigen Skills komplettierte. „Wir wollten im Kontrast zu der rundum dominierenden Kleinbürgerlichkeit etwas anderes schaffen. Wir hatten – vom Grundstück des Vaters abgesehen – keine Mittel, wir mussten alles selbst machen, wir nutzten den damals billigsten, als Baracken-Material abqualifizierten Baustoff Holz, weil wir damit fast alles auch eigenhändig machen konnten, bis hin zu Möbeln, und weil wir zeigen wollten, dass – wie etwa in Skandinavien – man auch mit Holz etwas ganz Neues, Schönes als Wohnumwelt bilden kann.“
1962 gestalten sie in Götzis als Umbau in einem bestehenden Wohnhaus die Galerie Hämmerle – regional die erste Privatgalerie überhaupt und für viele Jahre dort ein singuläres Schaufenster der zeitgenössischen Avantgarde. Es entstehen wichtige Kontakte zu jungen Künstlern, Literaten, Pädagogen, die umgehend auch zu Bauherren werden und somit jenes geistige und personelle Netzwerk aufspannen, aus dem die auch für spätere Generationen wegweisenden Wäger-Werke der 60er und 70er Jahre hervorgehen.
Zu diesem Kreis zählen damals Bildhauer Walter Salzmann, Lehrer und Kabarettist Heiner Linder, Zeichner Walter Khüny, Pädagoge und Schriftsteller Franz Bertel, Keramiker Helmut Schnetzer, Jurist Günter Hagen, Grafiker und Maler Franz Gassner, dann auch Franz Rauch und andere.

1964 plant und errichtet Rudolf Wäger neben dem Vaterhaus in Götzis für seine bereits fünfköpfige Familie das legendäre „Würfelhaus“– ein im Nachhinein zur „Ikone“ stilisiertes Musterbeispiel für Rudolf Wägers Fähigkeit, mit einem Minimum an Aufwand, an Material und Fläche ein Optimum an räumlicher und funktionaler Qualität zu schaffen. „Ich habe es zu 80 % selbst gebaut. Es erregte viel Interesse, natürlich auch Kritik, man staunte aber vor allem über die Kosten. Von da kamen dann weitere Aufträge. Mit den viel größeren, viel aufwendigeren alten Wälder- oder Rheintalhäusern hatte das nichts zu tun. Inspiration fand ich eher in einem schlichten Bau von Aalto in Holz, senkrecht verschalt, mit eingeschnittenen Fenstern (...)“
Mit den befreundeten Künstlern gibt es in dieser Zeit auch Exkursionen nach Wien zu Wotruba und zu Avramidis; Mit Franz Bertel und der Baugruppe, die sich zur Planung der Siedlung Halde in Bludenz eigenständig formiert, wird die 1962 nach Plänen des Atelier 5 fertigstellte, revolutionäre Siedlung Halen bei Bern besucht – auch die Weissenhofsiedlung des Werkbundes in Stuttgart. Die konkrete Planung und Umsetzung der „Halde“, die dann tatsächlich ein Markstein für die kommende Wohn- und Siedlungskultur der „Baukünstler“ wird, überlässt Wäger dem erfahreneren Hans Purin. Doch aus Bertels profunder Schulung an der Pädagogischen Akademie Feldkirch kommen die nächsten AuftraggeberInnen für Wäger:
„Die jungen LehrerInnen hatten wenig Geld, meist aber einen Baugrund und in den Ferien Zeit, um selbst Hand anzulegen. Bei den meisten dieser Häuser bis zu den 1980er Jahren war wichtig und entscheidend, dass ich die Leute immer an Ort und Stelle einschulte, wie sie Böden, Wandvertäfelungen und anderes selbst gut machen konnten.“

Wägers Prototyp dafür, wie man statt der Zersiedelung mit Einzelhäusern in Reihenhausverbänden leben könnte, schonender für die Landschaft und die Gemeindekassen, preisgünstiger und komfortabler für die Einzelnen, mit den zusätzlichen Vorteilen und Möglichkeiten gemeinschaftlicher Nutzungen, das entsteht 1970-72 in Schlins. Die in zwei niedrigen Zeilen angeordneten Reihenhäuser für sechs ambitionierte Familien mit Kreativberufen, darunter auch Wäger selbst, sind neben Purins „Halde“ zweifellos die „Urmeter“ für die später so virulente neue Baukunst Vorarlbergs. Friedrich Achleitner hielt sie für vorbildlich „zur Lösung des Wohnproblems mit geringen Mitteln in ländlicher Situation“. Das Preis-Leistungs-Verhältnis war damals einzigartig im Lande, die Wohnqualität ist es bis heute.
Reinhard Gassner erinnert an einen für Wäger charakteristischen Moment: "Als es daran ging, die Häuser aufzuteilen, wer wo einziehen sollte, beanspruchte der mitbauende Architekt nicht, wie sonst völlig üblich, die „beste“ Hausposition für sich. Er brach ein paar Streichhölzer ab und ließ uns ziehen. Ich zog das längere – und bekam somit das „oberste“ Haus, am Ende der oberen Zeile. Er selbst mit Frau Hilde und den Kindern bekam ein mittleres. So einfach und klar war das."

Rudolf Wägers Œuvre ist – von den erwähnten und noch wenigen anderen Beispielen abgesehen – einem breiteren Publikum kaum bekannt. Neben den Häusern, es sind wohl weit über hundert, realisierte er Siedlungen, Industrie- und Nutzbauten, u.a. auch die große Marien-Kirche in Dornbirn-Watzenegg – mit Sigi Wäger und Wolfgang Ritsch. Er blieb nicht beim präzise, stets auf Ort und Aufgabe variabel abgestimmten Holz-Riegelbau stehen, er erreichte seine exquisiten Zimmermannsproportionen und -qualitäten auch mit industriellen Baustoffen, mit simplen, billigen Schalungsträgern, Eternitbeplankungen und Sperrholzwänden, mit Ytong-Steinen, unverputzt geschlämmten Hohlblockziegeln und so weiter. In einer mittleren Schaffensperiode studierte er wie kein anderer weitum die sozialen, politischen und gestalterischen Prinzipien der Tessiner „Tendenza“ rund um Snozzi, Gianola, Vacchini, Botta, Flora Ruchat u.a.. Und er transformierte deren im Massivbau, in Beton, Stein und Stahl geformte Aspekte in einige seiner materialmäßig und auch formal reicher ausgeformten Hausprojekte.
Seine „Rückkehr“ zu avancierten Holzkonstruktionen traf nach 1990 auf ein sehr paradoxes Phänomen. Bauherren, die ein Holzhaus wollten, konnten sich dieses nicht mehr leisten. Denn mit der grandiosen Holzbau-Hausse im Ländle waren die Firmen nun so ausgebucht, die Preise wegen der Nachfrage so gestiegen, dass Wäger seine kleinen Projekte, um sie für die Klienten erschwinglich zu machen, mitunter auf massiv – Ziegelmauerwerk verputzt –- umplanen musste. Ich konnte aber sehen, dass selbst dann sein struktives Formgefühl, seine vom Holz geprägte Rhythmik und typische Proportionalität im baulichen Ausdruck spürbar blieb.

An der Schwelle zum „Siebziger“ resümierte Rudolf Wäger in einem großen Interview mit Arno Ritter für die Ausstellung „konstantmodern“ sein Werk und auch die Zukunft der Profession ziemlich skeptisch. Wie auch immer – sein Vermächtnis, das heute dringender denn je zu studieren, zu beherzigen, weiterzubilden wäre, ist auch von absolut globaler Relevanz: Weniger ist mehr! – und solches Weniges muss sich am Maß einer humanen, geistbestimmenden, emanzipierten und gemeinschaftlich empathischen Lebensweise definieren. Wäger und seine wichtigen Zeitgenossen/WeggefährtInnen suchten nach einer neuen Lebensform, nach Unbelastetheit, Freiheit, Gleichheit in der Verschiedenheit, nach mentaler/sinnlicher Fülle im materiell Einfachen, nach neuen Inhalten, denen das Bauen adäquat dienen sollte, nach einer Architektur, die als Vorschein, als Werkzeug ein nicht-kommerzialsiertes, ein nicht konsumfixiertes, ein geistig und sozial anspruchsvolles Dasein spiegeln, ermöglichen und inspirieren sollte.

Wo Ludwig Mies van der Rohe sein berühmt-berüchtigstes „less is more“ von der Spitze der Wirtschaft, der industriellen Gesellschaft herab imaginierte, dachten Wäger und sein Umkreis mitten in der Wirtschaftswunderzeit ihre bauliche Einfachheit aber „von unten heraus“, aus sehr konkreter Not und dem Gebot des eigenen Handanlegens heraus einerseits, und aus der sehr kritischen Fragestellung nach den einzig bleibenden, ausschlaggebenden, immateriellen Werten und Qualitäten unseres Lebens andererseits.
Es ist die feinnervige, bei aller Kargheit in allen Teilen „handgreiflich“ schwingende Ausstrahlung der Wäger-Häuser, die ihre Miterrichter und BewohnerInnen nachhaltig geprägt hat, wie sie fast durchwegs bezeugen.
Neben allen ausgeklügelten Funktionen und räumlichen Facetten ist es dieses Spiel der streng optimierten Konstruktivität – mit der Zartheit der rhythmischen Verläufe über alle so haptischen und optischen Details – und das Ganze, das Wägers Bauten unverwechselbar machte und macht – als pure, schlichte, hochpotente Instrumente – für die Musik des guten Seins.

Ein großes Buch, das sein Werk erstmals ganzheitlich darstellen soll, war in den letzten Jahren unter seiner Mitwirkung schon im Werden. Er hat es nicht erlebt. Doch es wird einmal kommen – und uns dabei unterstützen, ja herausfordern, sein Vermächtnis, sein Ideal wieder zu verstehen, es weiterzutreiben, weiterzuleben.

newroom, Mo., 2019.04.22



verknüpfte Akteure
Wäger Rudolf

11. März 2018Otto Kapfinger
Spectrum

Moderner als Otto Wagner?

Der vor 100 Jahren verstorbene Otto Wagner wird dieser Tage – gebührend – nicht zuletzt durch Ausstellungen geehrt. Was sich allerdings jenseits seiner Wiener Schlüsselbauten von Stadtbahn bis Postsparkasse architektonisch begab, ist kaum je im Fokus der Aufmerksamkeit. Zeit für eine Revision.

Der vor 100 Jahren verstorbene Otto Wagner wird dieser Tage – gebührend – nicht zuletzt durch Ausstellungen geehrt. Was sich allerdings jenseits seiner Wiener Schlüsselbauten von Stadtbahn bis Postsparkasse architektonisch begab, ist kaum je im Fokus der Aufmerksamkeit. Zeit für eine Revision.

In Großausstellungen werden heuer die vor 100 Jahren gestorbenen Heroen von „Wien um 1900“ gefeiert. Um der Rückvergewisserung Tiefenschärfe zu geben, lohnen Blicke auf zeitgleiche Phänomene, die im historischen Streit um den Stil der Zeit und bis heute eher unterbewertet sind. Innerhalb der Recherche für die große Retrospektive „Otto Wagner“ im Wien Museum war es möglich, ein solches Wiener Phänomen zu studieren: den Bauboom innovativer Mehrzweckhäuser 1909 bis 1914.

Es sind dies zwei Dutzend Gebäude im Stadtkern. An ihnen manifestierte sich eine Synthese technologischer und kultureller Modernisierung. Es waren durchwegs Pionierbauten in der damals brandneuen Eisenbetontechnik. Mit armiertem Beton wurde es möglich, die tragenden Massen gegenüber dem Ziegelbau stark zu reduzieren. Größere Nutzlasten und Spannweiten konnten mit kleineren Dimensionen bewältigt werden. Die Substanz der Häuser lockerte sich. Aus Mauerbauten wurden Gerüste, deren statische Fixierung auf Knotenpunkte in weitmaschigen Netzwerken schrumpfte. So konnten die Grundrisse offener, die Räume elastischer werden.

Bei den angesprochenen Gebäuden sind diese Vorteile genutzt, um auf engen innerstädtischen Parzellen vertikale Überlagerungen verschiedener Nutzungen einzuführen – im Speziellen dazu, um in die Überbauung mit sieben, acht Stockwerken erstmals große, direkt dem Straßenraum zugeordnete Säle zu integrieren, in vielen Fällen für die sich gerade stürmisch entfaltende Kinematografie, für Varietés, Kellertheater und mehrgeschoßige Restaurants. So zeigen die meisten dieser Stadthäuser einen flamboyanten „Unterbau“: für neuartige Freizeit- und Kulturerlebnisse geöffnete Tiefenschichten unter den darüber situierten Laden-, Büro-, Wohnungs- und Atelieretagen.

Ein Bau wie der „Residenzpalast“ von Arthur Baron an der Ecke Fleischmarkt/Rotenturmstraße, der im Souterrain ein Theater mit 500 Plätzen und daneben ein Kino mit 300 Sitzen bot, darüber zwei transparente, beliebig teil- und vermietbare Geschäftsetagen legte, darauf noch Büroetagen setzte sowie auf dem Dach Fotoateliers und einen Reformturnverein, war 1909/10 in Wien einzigartig. Über die Typologie der von Wagner und seiner Schule erdachten Geschäfts- und Wohngeschäftshäuser hinausgehend schuf dieser Bau mit etlichen weiteren dieser Art Vorformen dessen, was Rem Koolhaas am Beispiel der New Yorker Hochhäuser der 1930er- Jahre als neuen Typus „surrealer“ Stapelung disperser Welten stilisierte.

Die schwache Wertschätzung dieser Bauten kann mehrere Gründe haben: Die Architekten kamen zum Teil von Provinzschulen, waren vor allem Absolventen der Technischen Hochschule Wiens, wo Karl König und Karl Mayreder unterrichteten, die pragmatischen Kontrahenten von Otto Wagners Moderne-Kaderschmiede. Sie stammten mehrheitlich, wie König selbst, aus dem assimilierten jüdischen Bürgertum Wiens oder der Kronlande. Sie wurden nicht im führenden Diskursmedium „Der Architekt“ publiziert, sondern in der wöchentlichen Fachzeitschrift „Der Bautechniker“, wo sich interdisziplinär die Entwicklung in den deutschsprachigen Teilen der Monarchie dokumentierte. Sie nahmen am Stildiskurs der Zeit kaum teil – ihre besten Sachen kamen nach dem „Ver Sacrum“ der Secession, als ab 1907/08 wieder Neoklassizismus, Heimatstil und Neobarock in den Vordergrund rückten.

Schon in den 1990er-Jahren hatte Ursula Prokop diese „späten“ Wiener Stadthäuser der Forschung unterzogen. Unter dem Aspekt „Eisenbeton macht Großstadthäuser“ konnte ich ihre Arbeit nun um technische, soziale und biografische Aspekte ergänzen.

Wagner selbst hat bis zu den letzten Realisierungen – Miethäuser Neustiftgasse/Döblergasse – das aufgehende Mauerwerk in verputztem, mit Keramik oder Steinplatten verkleidetem Ziegelbau konzipiert und Mittelmauern mit Kaminen eingesetzt. Eisenbeton kam bei ihm hauptsächlich in den Geschoßdecken und Treppen, etwa bei der Postsparkasse, zum Einsatz.

Bei den hier gezeigten Beispielen fällt hingegen auf, dass sie samt und sonders mit den in Wien im Eisenbetonbau aufstrebenden, mit ihren Patenten europaweit führenden Firmen gestaltet sind. In Deutschland und Österreich wurde etwa die 1886 in Berlin und Wien etablierte Firma Wayss & Freytag aktiv. Sie erwarb von Monier und Hennebique, den französischen Erfindern, die Lizenzen und verbesserte diese Systeme mit eigenen Versuchen und Testbauten. Auf der Weltausstellung 1900 in Paris machte Wayss mit einem 16 Meter weit gespannten Betonbogenfeld mit 16 Zentimeter Konstruktionsstärke Furore. Bis 1904 hatte die Firma in der Zahl der Dependancen in Mittel- und Osteuropa mit Hennebique gleichgezogen. 1902 bis 1904 berechnete sie die Betonstrukturen in dem von Fellner & Helmer geplanten Warenhaus Gerngross, Mariahilfer Straße 42, in dem in vieler Hinsicht avanciertesten Gebäude der Zeit in Wien.

Parallel dazu profilierte sich das 1898 von Eduard Ast gegründete „Unternehmen für Betonbau, Betoneisenbau und Wasserkraftanlagen“. Nach Brücken und Industrieanlagen ist die von Ast & Co. 1899 konzipierte Druckerei Gistel & Comp. in der Münzgasse der erste bekannte Wiener Hochbau im innerstädtischen Bereich, der über fünf Etagen rein als Beton-Pfeiler-Decken-System ausgeführt ist, mit Nutzlasten von 1000 Kilogramm pro Quadratmeter. Ast & Co., die ebenfalls mit eigenen Versuchsobjekten die Technik vorantrieben, verantwortete auch die Betonstruktur in Parterre und Mezzanin des von Jože Plečnik 1903 bis 1905 geplanten Geschäfts- und Wohnhauses für den Industriellen Johann Evangelist Zacherl am Wildpretmarkt, die Betonarbeiten bei Otto Wagners Postsparkasse 1904 bis 1906 und bei dem 1905 nach Plänen von Josef Hoffmann fertiggestellten Sanatorium Purkersdorf.

Ein erstmals auch in der Außenhülle mit Beton ausgeführtes Wiener Stadthaus realisierten 1905 bis 1906 Wayss & Co. mit Baumeister Johann Walland für den als Bauherr agierenden Architekten Karl Hofmeier an der Ecke Kärntner Straße/Himmelpfortgasse. Dort ist nur das Stiegenhaus in Ziegelmauern gefasst, sonst formen Eisenbetonpfeiler mit eingespannten Plattenbalkendecken stützenfreie Etagen für Läden und Büros. Auch die Parapete und Lisenen der Fassade sind aus Beton, etagenweise in Holzschalungen gestampft. Als Finish wurden die Außenseiten fein gestockt. Mit dieser Technik gab es gegenüber Ziegelbauweise einen Gewinn von zehn Prozent an Fläche pro Stockwerk. Adolf Loos lobte es als das „schönste neue Gebäude“ der Stadt.

Im Bereich der Theoriebildung waren in dieser Phase zwei mit der Technischen Hochschule Wien verbundene Ingenieure tonangebend: Friedrich Ignaz von Emperger, der 1903 an der TH das erste Ingenieurdoktorat erwarb, sowie Rudolf Saliger, an der TH ausgebildet, ab 1910 dort auch Professor. Emperger gründete 1901 das Fachmagazin „Beton und Eisen“, entwickelte Berechnungsmethoden und Konstruktionsarten, war in Ausschüssen und Instituten tätig. Saliger publizierte 1906 mit dem Band „Der Eisenbeton, seine Berechnung und Gestaltung“ ein Grundlagenwerk, das in mehreren Auflagen und Sprachen weltweit Beachtung fand. Im Jahr 1907 erloschen alle einschlägigen internationalen Patente und Lizenzen – und begründete sich der Österreichische Betonverein. Im selben Jahr publizierte Emperger mit dem Handbuch für Eisenbetonbau ein zweites, weltweit anerkanntes Standardwerk aus Österreich.

Zufall oder nicht, fast im Gleichschritt entstanden zwei Leittechnologien des 20. Jahrhunderts: Mitte der 1890er-Jahre kamen die ersten Patente im Eisenbeton – und gab es die ersten Filmvorführungen. Im Gründungsjahr des Österreichischen Betonvereins, 1907, konstituiert sich auch der Verband österreichischer Kinematografenbesitzer. Und mit dem Bauboom vor dem Krieg, in den Hauptstraßen der Inneren Stadt, entlang der merkantilen Verbindung zum Westbahnhof, geht der Gründerboom Wiener Kinos einher. Werner Michael Schwarz zählt in seinen einschlägigen Publikationen mehr als 100 damals neu eröffnete Spielstätten Wiens, und ihm fällt auf: „Unter den Gründern der Großkinos ist ein hoher Anteil von Architekten und Baumeistern.“

Beispielhaft dafür stehen die Brüder Emanuel, Eduard und Max Schweinburg, planende und ausführende Baumeister und Architekten. Sie gründen und finanzieren in diesen Jahren – unter anderem – mehrere Kinos, Theater, Varietés. 1909 agieren sie zusammen mit einem Schwager, Arnold Knedel, sowie Baumeister Viktor Schwadron, Chef der expandierenden Tonwaren- und Fliesenfirma, als Bauherrschaft/Eigentümerkonsortium des erwähnten Residenzpalastes. Weitere Schweinburg-Bauten: Ecke Neubaugasse/Mondscheingasse mit großem Saal – heute noch als Theater in Betrieb; Wohnanlage Porzellangasse 19 mit Saal unter dem Hof, ab 1913 Varieté, ab 1978 „Schauspielhaus Wien“; Eckhaus Siebensterngasse 42, mit „Kosmos-Theater für wissenschaftliche und künstlerische Kinematografie“ – heute als Theater genutzt . . .

Auch Architekt Leopold Fuchs spielt mehrmals die Rollen von Grundeigentümer, Bauherr und Planer in Personalunion. Zu seinen Realisierungen zählen in der Mariahilfer Straße die Eckhäuser der Neubaugasse. Beim 1912 eröffneten Bau Mariahilfer Straße 68 konzipiert er auf der Eckparzelle die Betonstruktur so, dass im Souterrain ein Gastlokal Platz findet, aus dem später ein Klub und eine bekannte Diskothek wird. Das in Beton und Glas überwölbte Dachgeschoß mietet die Polo-Film-Vertriebs GmbH, die da auch einen Vorführraum betreibt.

Beim größeren Haus gegenüber integriert Fuchs 1914 ebenerdig die von Adolf Loos gestaltete Filiale der Anglo-Österreichischen Bank – und schafft direkt darunter einen Saal für 520 Sitzplätze. Dieses 1917 eröffnete Maria-Theresien-Kino wird eine der wichtigsten Spielstätten der Stadt. Im ersten Stock zieht bald die Wiener Kunstfilm-Industrie GmbH ein – samt Vertriebsbüro, Vorführraum. Hier in Neubaugasse 1 und 2 und im 1913 nach Plänen von Hans Prutscher errichteten Elsa-Hof, Neubaugasse 25, konzentrieren sich dann die nationalen Filminstitutionen und internationalen Verleihfirmen. 1914 hat Wien mehr als zwei Millionen Einwohner, 28 Tageszeitungen, 53 Postämter innerhalb des Gürtels, 85 Kilometer Rohrpostnetz, 30 Theater und Varietés – und mehr als 150 Kinosäle.

Der Residenzpalast, Fleischmarkt 1. Auf der Eckparzelle, in Gehdistanz zum Stephansplatz, plant 1908/09 Arthur Baron im Auftrag des genannten Errichterkonsortiums ein siebenstöckiges Geschäfts- und Bürohaus. Außer bei den Stiegenhäusern und den Kamingruppen an den Feuermauern gibt es keine tragenden Ziegelwände. Alle Stützen und Decken sind aus Eisenbeton. Die Fassaden der Geschäftsetagen sind zur Straße transparent, gehüllt in vor die Pfeiler gesetzte Glaswände. In den Büroetagen darüber ergänzen Parapete und Gewände in Ziegel die Betonrahmen, fassen die Fenster, das Ganze ist mit polychromen Fliesen verkleidet. Das Dachgeschoß ist mit Kupfer verblecht, mit Atelierfenstern auf Straße und Hof.

Zahl und Dimension der im Parterre und Mezzanin achteckigen Pfeiler sind durch Béton fretté minimiert. Die erste Anwendung solcher mit Spiralbewehrung „umschnürter“ Betonsäulen in der Monarchie ist 1905 an einer Druckerei in Brünn nachweisbar. Wayss & Freytag erwarb die Lizenz für diese Technik, verwendete sie beim Residenzpalast erstmals für ein innerstädtisches Waren- und Bürohaus.

Mit der neuen Technik gelang es auch, den Unterbau des Hauses hochwertig zu nutzen. Brückenartige Betonbögen vergrößern die Spannweite der darüber in acht Metern Abstand stehenden Pfeilerpaare auf zwölf Meter, sodass im Souterrain 7,50 Meter hohe Säle mit eingehängter Galerie beziehungsweise seitlichen Logen möglich wurden. Im Herbst 1910 erhält das Ganze die amtliche Benützungsbewilligung. Im Dachgeschoß gibt es ein Fotoatelier mit Dunkelkammer und gebogener Verglasung nach Norden – und im Trakt über dem Kino die Turnschule „Physische Erziehung – Schwedische Gymnastik“. Leiterin ist die aus Schweden stammende Diplomgymnastikerin Ester Hulda Strömberg, verheiratet mit Stefan Grossmann, einem erfolgreichen Autor und politischen Aktivisten im Kreis um Victor Adler. Die Ausstattung der Privatschule stammt von Josef Frank. Für den blutjungen Frank, der wie Baron bei König an der TH Wien studierte, ist es einer der ersten Aufträge. Er überzieht die nackten Betonbinder der Turnhalle mit farbigen Mustern, die Wände mit Blumentapeten und stellt mit Intarsien geschmückte Möbel auf.

Das Theater eröffnet am 14. Oktober 1910, 1916 kommt die Namensänderung auf „Kammerspiele“, 1921 die Uraufführung des „Reigen“ von Arthur Schnitzler – einem der größten „Skandale“ im Wiener Theaterleben, begleitet von antisemitischen Kampagnen. Bis in die späten 1930er-Jahre firmieren die Brüder Schwadron und Schweinburg als Eigentümer und Bauführer, unter anderem 1930/31 bei der Umrüstung des Kinos für Tonfilm. 1938/39 „Arisierung“; 1941 zieht in zwei Stockwerken die Ostmärkische Zeitungsverlags-Kommanditgesellschaft ein; Schließung des Kinos, Umbau des Saales für Druckereimaschinen; nach Kriegsende Übernahme durch den Globus-Zeitungsverlag, 1956 abgelöst durch „Die Presse“; in den 1960er-Jahren im Besitz der Bawag; 1962 legendäre Aufführung des „Herrn Karl“ von/mit Helmut Qualtinger in den Kammerspielen; 1985 bis 1990 Adaptierung für die Bawag; problematischer Ausbau der Dachzone zu luxuriösen Penthäusern für Direktor Flöttl und Gewerkschaftspräsident Verzetnitsch; 2006 Bawag-Affäre und -Pleite, Verkauf an einen US-Fonds; 2011 bis 2014 neuerlich Adaptierungen; im Eckgeschäft ist die originale, offene Betonstruktur deutlich präsent; auch die Kammerspiele zeigen im Saal nach wie vor die alte Raumfigur.

Verlags- und Druckereigebäude Steyrermühl, Fleischmarkt 3. Auf einer Grundfläche von 20 mal 20 Metern erzielt die Tragstruktur aus armiertem Beton für alle neun Etagen weitgehend stützenfreie Räume – mit Höhen von vier bis sechs Metern. Hohe Glas-Metallraster zwischen den Fassadenpfeilern bringen sowohl von der Straßen- als auch von der Hoffront Tageslicht in die tiefen Grundrisse. Es ist der Sitz des größten privaten Medienkonzerns der Zeit in Wien. Die Steyrermühl Papier- und Verlagsgesellschaft war 1872 von August von Barber und Moritz Szeps gegründet worden. Szeps wirkte als einer der führenden Publizisten der Stadt. Der Salon seiner Tochter Bertha Zuckerkandl war ein geistiges Zentrum der Ära. Die Steyrermühl-Gesellschaft produzierte das „Neue Wiener Tagblatt“, das „Neue Wiener Abendblatt“, später auch die „Volks-Zeitung“ und edierte 1923 bis 1938 die „Tagblatt“-Bibliothek, eine Buchreihe mit 1200 Titeln in der Art der Reclam-Reihe.

Der Neubau, 1912 bis 1914 von Arthur Baron geplant, erweiterte bestehende Betriebsgebäude an der Griechengasse und im Nachbarhaus. Äußerlich fallen die hohen, mit Erkern vorgewölbten Verglasungen zwischen steinverkleideten Pfeilern auf – eine in Wien einzigartige Fassade. Man denkt eher an Chicago, Glasgow oder London.

Das Erdgeschoß ist sechs Meter hoch, erster und zweiter Stock haben fünf Meter Raumhöhe. Das Parterre diente dem Parteienverkehr und dem Rangieren des Expedits. Die zwei Etagen darüber waren Großraumbüros, Setzereien und Redaktionen, mit zentraler Regal- und Flurzone unter Betonbindern, welche die Säle quer überspannen; dritter und vierter Stock, vier Meter Raumhöhe, hatten abgeteilte Einzelbüros, Besprechungsräume, außen kenntlich am Fensterrhythmus; im Dachraum, von Beton-Glas-Schale überwölbt, die Grafikateliers.

Bei Steyrermühl arbeiteten 500 qualifizierte Angestellte, gingen unzählige Autoren ein und aus. Sechs Rotationsdruckmaschinen produzierten täglich 500.000 Zeitungsexemplare. 43 Motordreiradler verteilten sie vom Fleischmarkt zu 2300 Verschleißstellen. Ein 1931 publiziertes Schaubild illustriert die Dichte und Komplexität dieser „Publizistik-Zitadelle“. Im September 1938 „Arisierung“, Umwandlung der Steyrermühl in die Ostmärkische Zeitungsverlagsgesellschaft; 1941 bis 1943 Umbauten und Verbindung zu den Räumen der „Ostmärkischen“ im benachbarten Residenzpalast. Nach Kriegsende und Befreiung wird bestimmt, das Verlagshaus der sowjetischen Besatzungsmacht zuzuteilen; beide Häuser werden dem Globus-Verlag übergeben, dem Verlag der Kommunistischen Partei Österreichs. 1955/56, nach dem Staatsvertrag, Verlegung des Globus-Verlags in die Neubauten am Höchstädtplatz im 20. Bezirk, Restituierung des Steyrermühl-Besitzes. Ab 1956 Nutzung in beiden Häusern durch „Die Presse“ und den Molden Verlag, die 1963 ins neue Pressehaus in der Muthgasse übersiedeln. In den 1960er-Jahren ist auch das Steyrermühl-Haus im Besitz der Bawag; Einbau einer Konsumfiliale im Parterre; derzeit eine Spar-Filiale . . .

Was hier an zwei Beispielen erzählt ist, könnte für ein Dutzend Neubauten dieser Jahre fortgesetzt werden, in denen acht weitere Kinos und zwei Varietés entstanden – darunter noch zwei Projekte von Arthur Baron sowie qualitätvolle, bis heute existierende Häuser der Architekten Eugen Felgel von Farnholz, Hans Prutscher, Ignaz Nathan Reiser, Karl & Wilhelm Schön, Emmerich Moses Spielmann & Alfred Teller. Bei all diesen ist das Kriterium für Modernität keine Form- oder Stilfrage. Signifikant ist die in zeitlicher und räumlicher Dichte einmalige Nutzung neuer Bautechnologie zur Schaffung neuer Haustypologien, die auf neue Kulturtechniken reagieren. Es ist ein rasantes Ineinanderwirken von Unternehmern, Bauherrschaften, Baufirmen und Planern „am Puls der Zeit“. Sämtliche Komponenten vom Tragwerk bis zu den Details stehen auf derselben, nachhaltigen Stufe der Qualität.

So gelingt es, in der Konjunkturphase vor dem verheerenden Krieg, der Stadt „bottom up“ eine Schicht ihrer Identität hinzuzufügen und für das urbane Leben prägende, selbstverständliche Räume zu schaffen. Bleibt anzumerken, dass hier mehrheitlich Netzwerke der Unternehmer und Planer aus der jüdischen Bevölkerung der Stadt am Werk waren – für die diese Hausse 1914/18 zunächst kriegs- und konjunkturbedingt zu Ende ging, für die sich dann aber 1938 jegliches Terrain brutal und definitiv verschloss.

Spectrum, So., 2018.03.11

08. Oktober 2011Otto Kapfinger
Spectrum

Sensibler Querdenker

Mit seinen Partnern Werner Appelt und Elsa Prochazka zählte Franz E. Kneissl in den 1970er- und 1980er- Jahren zur Avantgarde der heimischen Architektur....

Mit seinen Partnern Werner Appelt und Elsa Prochazka zählte Franz E. Kneissl in den 1970er- und 1980er- Jahren zur Avantgarde der heimischen Architektur....

Mit seinen Partnern Werner Appelt und Elsa Prochazka zählte Franz E. Kneissl in den 1970er- und 1980er- Jahren zur Avantgarde der heimischen Architektur. Appelt, Kneissl und Prochazka, die unter dem Label „Igirien“ publizierten, wurden nach 1975 bekannt, als sie große Wohnbauviertel in Wien mit kirchlichen Mehrzweckhallen ergänzten: aus handelsüblichen Komponenten collagierte und auf subtile Weise „populär“ konnotierte Werke. 1980 folgte das Stadtkino am Wiener Schwarzenbergplatz, 1985 das Gemeindeamt Perchtoldsdorf. Mit diesen Arbeiten, mit Texten wie „Schöne Monotonie“ oder „Bastard Architektur“ definierte „Igirien“ eine nachfunktionalistische Haltung, eine nicht elitäre Architektur mit street credibility – abseits postmoderner Formalismen.

Allein gestaltete Franz E. Kneissl, Jahrgang 1945, unter anderem das Literarische Quartier der Alten Schmiede und eine Reihenhaussiedlung in Wien-Simmering. Nach 1994 gab es für ihn keine größeren Aufträge mehr. Im Boom dieser Ära waren unangepasste Zeitgenossen nicht mehr gefragt; und er war das schiere Gegenteil des Mascherl-Architekten. Doch die Gabe der Beschreibung feinster Nuancen der Verhaltenscodes, der alltäglichen Grotesken in Planung, Politik oder Medien fand ein Ventil im Schriftstellerischen. Sein Architekturroman „Eine Ratte namens Apfel“ (2001) ist ein rares, ironisch-kritisches Dokument des Genres.

Danach kam fast nichts mehr; die Rückkehr nach Krumpendorf ins Haus der verstorbenen Mutter; vor wenigen Tagen ein Ende in Isolation. Schicksal eines sensiblen Querdenkers – in einem extrem kompetitiven Berufsfeld.

Spectrum, Sa., 2011.10.08



verknüpfte Akteure
Kneissl Franz Eberhard

15. Dezember 2010Otto Kapfinger
zuschnitt

Ikonen kalifornischer Moderne

In Architektur- und Designkreisen weltbekannt ist das Wohn- und Atelierhaus, das Charles und Ray Eames 1949 für sich bei Santa Monica errichteten. Weniger bekannt ist, dass der aus Standard-Stahlelementen gefügte, mit farbigen Paneelen und Glas ausgefachte Bau Teil einer ehrgeizigen lebensreformerischen Initiative war.

In Architektur- und Designkreisen weltbekannt ist das Wohn- und Atelierhaus, das Charles und Ray Eames 1949 für sich bei Santa Monica errichteten. Weniger bekannt ist, dass der aus Standard-Stahlelementen gefügte, mit farbigen Paneelen und Glas ausgefachte Bau Teil einer ehrgeizigen lebensreformerischen Initiative war.

Dieses „Case Study House Program“ hatte John Entenza, der Herausgeber des damals in den usa führenden Magazins Arts &  Architecture, 1945 in Los Angeles gestartet, und die 25 in zwei Jahrzehnten errichteten, von verschiedenen Architekten geplanten Privathäuser gelten heute als wichtigster Beitrag Südkaliforniens zur Nachkriegsarchitektur. Noch weniger weiß man, dass diese Aktion nicht nur den industriellen Stahlbau im Einfamilienhaus propagierte – wie es das Eames-House (csh Nr. 8) oder der durch die Fotos von Julius Shulman später berühmt gewordene, über den Hollywood Hills auskragende Bungalow von Pierre Koenig (csh Nr. 22) suggerierten. Die ersten realisierten Häuser der Reihe waren aus Holz, es folgte eine mittlere Phase, in der Stahlkonstruktionen forciert wurden und parallel dazu interessante Mischungen mit Holztechnologien entstanden, und eine späte Phase mit einer breiteren Palette an Materialien.

Entenzas Impuls entsprang der Aufbruchstimmung zu Kriegsende. Er wollte dem Wohnungsbedarf angesichts Millionen heimkehrender Soldaten begegnen und Alternativen zum alten Eklektizismus, zum typischen Holzhaus aus simplem „balloon frame“ aufzeigen, imaginierte die technisch avancierte Vorfertigung von Einfamilienhäusern, propagierte offene Grundrisse sowie technische und funktionale Innovationen für Haushalte ohne Personal. Entenza wählte die Architekten aus und legte fest, welche Projekte ins Programm aufgenommen, in Arts & Architecture publiziert wurden sowie vor dem Bezug öffentlich zu besichtigen waren. Als Gegenleistungen für Inserate und Publizität agierten ausführende Firmen als Sponsoren. Insgesamt konnten damals über 360.000 Besucher die mit modernsten Küchen, Möbeln und Gartengestaltungen versehenen Musterhäuser besichtigen.

Versuche in diese Richtung hatten im Raum von Los Angeles in den 1920er und 1930er Jahren Irving Gill, Rudolph Schindler, Richard Neutra, Gregory Ain und andere unternommen. Ihre Visionen in Stahl oder Beton wurden durch die Depression nach dem Börsenkrach und die restriktive Kriegswirtschaft abrupt gestoppt. Schindler und Neutra benutzten ab 1930 wieder vorwiegend Holz, Sperrholz, Ziegel.

Nach Charles und Ray Eames (und Eero Saarinen) war es zunächst Raphael Soriano, der bei den Case Studies Stahlkonstruktionen einführte: 1950 in Pacific Palisades ein Primärskelett aus schwarzen Rundrohren, Balken aus i-Trägern, Stahlblechdach und Betonboden; als Sekundärstruktur für die Wände raumhohe Lattenreihen im üblichen „balloon frame“, im Schlafzimmer innen mit dunklen Hartfaserplatten und im Wohnraum mit Holzplatten aus Korina, einem tropischen Holz, getäfelt.

Es war dann der als Ingenieur ausgebildete Craig Ellwood, der Stahl und Holz zu faszinierenden, japanisch leichten Paneel-Bauten kombinierte (csh Nr. 16, 17, 18), indem er als Stützen 5-mal-5-cm-, als Hauptträger 5-mal-14-cm-Stahlhohlprofile benutzte, im Dach dazwischen Holzbalken für verputzte Deckenuntersichten einsetzte, für die massiven Wandteile aber vorgefertigte Holztafeln aus imprägniertem Douglastannensperrholz verwendete. Im Gegensatz dazu war Neutras viel beachtetes Case Study House Nr. 20 ein reiner Holzrahmenbau mit vorgefertigtem Installationskern.

Sehr interessant war auch Case Study House Nr. 20 von Buff, Straub & Hensman – ein leichter, lichter Holzbau mit hohlen Deckenbalken aus Sperrholz und tonnengewölbten Dachelementen. Die gedämmten Sandwichplatten, die sich aus zwei Schichten Douglastannensperrholz zusammensetzen, wurden in Modulen gebogen und unter Druck verleimt. Wärmedämmungen, Kältebrücken, Taupunkte etc. spielten und spielen im „Sunshine-State“ kaum eine Rolle.

Die Konzepte industrieller Einfamilienhaus-Stahlbausysteme – bei diesen Musterhäusern stets aufwendig handwerklich „gebastelt“ – waren mit dem Alltag der Bauwirtschaft und den Vorlieben der Klienten letztlich nicht kompatibel. Die Aktion endete in den 1960er Jahren, hatte mehr informelle als konkrete Wirkung. Manche Bauten wurden später stark verändert, manche abgebrochen; erst Ende der 1980er Jahre kam die „Wiederentdeckung“, einzelne Highlights notieren seither mit Rekordpreisen am Immobilienmarkt.

zuschnitt, Mi., 2010.12.15



verknüpfte Zeitschriften
Zuschnitt 40 Holz und Stahl

04. September 2010Otto Kapfinger
Der Standard

Füllhorn für Potemkin'sche Dörfer

Otto Kapfinger beklagt angesichts des kostspieligen Österreich-Auftritts in Venedig das förderungspolitische Missverhältnis zwischen Architekturinitiativen und „Staats-Kunst-Elite“.

Otto Kapfinger beklagt angesichts des kostspieligen Österreich-Auftritts in Venedig das förderungspolitische Missverhältnis zwischen Architekturinitiativen und „Staats-Kunst-Elite“.

Dietmar Steiner ist für seine offenen, klaren Worte zum österreichischen Architekturauftritt in Venedig und zum Status der dafür verantwortlichen Kultur-Architekturpolitik. zu danken. Owen Moss ist ein sympathischer Zeitgenosse und hat interessante Sachen in den USA gebaut, agiert aber als hochsubventionierter Kommissär des Österreich-Beitrags erschreckend durchschaubar und inhaltlich völlig irrelevant als Marionette einer Selbstdarstellung der Noever-Prix-Clique.

Die Kosten dafür sollen zwischen 620.000 und 700.000 Euro betragen - was wohl gering ist, bedenkt man die Summen, die der Staat in konventionelle Festspiel-, Theater- und Opernproduktionen einbringt -, was aber im krassen Missverhältnis zu dem steht, was Bund und Länder aktuell an inländischen Architekturinitiativen zu fördern bereit sind.

Zwei Beispiele zum Vergleich: Für den demnächst erscheinenden neuen Architekturführer Salzburg, der über 600 ambitionierte Bauten in Stadt und Land aufgrund von ausführlichen Recherchen an Ort und Stelle dokumentiert und eine umfassende Bestandsanalyse der regionalen Baukultur der letzten drei, vier Jahrzehnte liefert, gibt das Kulturbudget des Bundes lächerliche 20.000 Euro als Subvention (das Land nicht viel mehr); in der Reihe „Architektur im Ringturm“ konnte ich kürzlich mit Adolph Stiller eine Ausstellung samt Katalog zum Thema „Form&Energy“ kuratieren - als Start für eine von einschlägigen Bundes-Kulturstellen (mit)getragene Staffette von Ausstellungen im Ausland; Gezeigt werden siebzig neue Bauten aus allen Bundesländern, die modellhaft Aspekte von Nachhaltigkeit, Energie-Effizienz und baukünstlerischer Qualität verbinden; in Aussicht gestellte (!) Bundesförderung dafür: 67.000 Euro netto - kaum ein Zehntel der Biennale-Kosten!

Venedig diesmal erinnert einmal mehr an den Hang von Staats-Kunst-Eliten, ihr Füllhorn in Potemkin'sche Dörfer zu schütten, während substanzielle Kulturarbeit zunehmend mit Almosen abgespeist, auf Prekariate reduziert wird.

Der Standard, Sa., 2010.09.04

14. Dezember 2009Otto Kapfinger
zuschnitt

Not, Naht und Zimmerei

Krisen, Notfälle setzen überkommene Muster – die Normalität – außer Kraft, erzwingen Improvisation, erfordern Innovation. Das Bauen und Werken mit Holz,...

Krisen, Notfälle setzen überkommene Muster – die Normalität – außer Kraft, erzwingen Improvisation, erfordern Innovation. Das Bauen und Werken mit Holz,...

Krisen, Notfälle setzen überkommene Muster – die Normalität – außer Kraft, erzwingen Improvisation, erfordern Innovation. Das Bauen und Werken mit Holz, das Fügen schützender Wände, Schirme, Dächer stand am Beginn unserer Kultur, und jene Zeiten und Epochen, in denen rasches Reagieren auf Elementarereignisse, auf gefährdete oder krass veränderte Lebensbedingungen geboten war, brachten prompt die Qualitäten des Holzbaus zur Geltung: Schnelligkeit, Einfachheit, Verfügbarkeit, Leichtigkeit, Beweglichkeit – und Behaglichkeit sogar im Provisorischen.

Die bewährte Lösungskapazität in Problemlagen – Pölzungen für fragile Decken, Gewölbe; Gerüste zur Reparatur bröckelnder Gesimse; Baracken als temporäre, billige Wohnstätten – all das und mehr formt einerseits das traditionell positive Bild von Holz als Nothelfer, enthält andererseits auch die Kehrseite der Medaille: die historisch verfestigte Konnotation mit Zwangslagen, Provisorien, Mangelwirtschaft. Im semantischen Profil des Begriffs »Baracke« ist diese Doppeldeutigkeit klar. Noch im 19. Jahrhundert eher positiv besetzt, ist er durch die Erfahrungen der Kriegswirtschaft, der rassischen und politischen Vernichtungslager des 20. Jahrhunderts heute eindeutig negativ. Wenn mit ökologisch handfester Begründung und aufgrund aktueller Beispiele eine Revision jener Klischees ansteht, die Holz-Siedlungsbau generell als Filigran- und Mangel-Technologie einstufen, kann eine Besinnung auf alternative Bedeutungsstränge und innovative geschichtliche Beispiele hilfreich sein.

Ein lokales, immer noch faszinierendes Vorbild sind die revolutionären Jahre der Wiener Siedlerbewegung nach 1918. Hungersnot in Wien und Mangel an allem führten zur massenhaften »Landnahme« in vorher feudalen Grünräumen, zur Anlage von Nutzgärten für die Selbstversorgung, zur Entwicklung neuer städtebaulicher und bautypologischer Siedlungskonzepte: Modellanwendungen »wachsender Häuser«; neue Kombinationen von Holz- mit Massivtechniken, von professioneller Ingenieurplanung mit handwerklicher Eigenleistung; Schaffung robuster Systeme zur Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe, zur sozialen und wirtschaftlichen Autonomie von Lebensräumen.

Das legendäre Beispiel war Adolf Loos’ Patent »Haus mit einer Mauer«, 1921 im Rahmen seiner Arbeit für das Siedlungsamt konzipiert und damals nur sporadisch realisiert, Jahrzehnte später eine zentrale Referenz der Pionierphase der Vorarlberger Baukünstler und ihrer Holzbauprojekte für junge, unangepasste Leute, die sich die üblichen Angebote der Wohnbauträger und des Baumarktes nicht leisten konnten. Loos’ Patent war und ist richtungweisend, weil es keine normierte Groß- oder Hochtechnologie braucht, sondern eine Mischung von primären und sekundären, von harten und weichen Komponenten darstellt, weil es kein fixfertiges Produkt liefert, sondern ein System mit Potenzialen der lokalen Selbstbestimmung, der individuellen Variation, der leichten Veränderbarkeit in der Zeit.

Loos fusionierte rationalistische Ingenieurtechnik mit praktischer Bricoleur-Weisheit. Und diese gewitzte, offene Konzeption verschwägerte das »Haus mit einer Mauer« mit den altjapanischen Haustypen – filigrane, in mehrfacher Hinsicht elastische Holzstrukturen, die aus der Not der Erdbebenhäufigkeit und des feucht-kalten Klimas eine Tugend machten und eine geistig-gestalterische Hochkultur in »barackenartigen« Pavillons behausten, welche die Großmeister der klassischen Moderne, von Wright, Mies und Schindler bis zu Taut, Wachsmann, Frank, Plischke und Rainer faszinierte und inspirierte.

Seit Jahrzehnten hat der iso-Metallcontainer das Feld des behelfsmäßigen, nomadischen, parasitären Behausens okkupiert. Werkstofflich und logistisch ist das ein großindustrielles, hoch determiniertes Produkt und kein systemischer Ansatz. In Erinnerung sind z.B. noch die letztlich gescheiterten Versuche von Heidulf Gerngross – einziges Resultat der nach dem Balkankrieg in Wien 1993 initiierten Ausstellung »sos Aufbau-Wohnen« –, die iso-Container gegen den Strich zu bürsten und für billige, Lowtech-/Highend-Adaptionen von Wohn-, Büro- und Läden-Clustern zu individualisieren.

Holzbauvisionäre wie Wolfgang Pöschl oder Hubert Rieß betonen dagegen, dass das Potenzial und die Herausforderung moderner Prefab- und Modultechnik in Holz darin liege, nicht das Endprodukt »Haus« zu denken – in all seinen populärkulturell versteinerten und konsumistisch gesteuerten Sehnsuchts- und Wunschfixierungen. Rieß: »Ich habe im Kosovo bei den Einsätzen der Hilfskorps und anderswo gesehen, wie falsch die technisch normativen, rationalistischen Maßnahmen und Konzepte sind. Für die Zukunft des leistbaren, ökologischen Bauens nicht nur für Randschichten oder Temporärlösungen dürfen wir nicht ,in Häusern‘ denken, sondern müssen Systeme kreieren, bei denen die technische Infrastruktur das langfristige, auch sozial-räumliche Rückgrat bildet und die andockenden Ausbauten möglichst wenig normiert und maximal elastisch sind – mit modernen Holzwerkstoffen ideal zu machen.«

In diesem Sinne wäre jetzt zu fragen: Hat die kürzlich groß angelegte Wettbewerbsserie »Neue Siedlerbewegung« in Wien Optimales erbracht? Oder: Wo sind die Nachfolgeprojekte für Spöttelgasse, Mühlweg usw.? Vielleicht hilft dazu, auch breiteren Kreisen in Erinnerung zu rufen, dass Architektur wörtlich und historisch von der Holzbaukunst, der Zimmerei stammt. Der architekton der Griechen war der oberste, der Erz-Zimmerer. Und aus dieser Einsicht formulierte Gottfried Semper, der wichtigste Exponent einer soziokulturell und werktechnisch begründeten Architekturtheorie, dass die archaische Zimmerei die Kunst war, Stäbe oder aus Gittern gebildete Flächen konstruktiv zu verbinden, zu vernähen. Und er setzte die Begriffe »Noth« und »Nath« an den Ursprung der technisch über den Mauerbau hinausführenden Zimmerei. Könnte dieses Bild nicht auch für unsere globale Notzeit des Klimawandels, der Ressourcenproblematik, der aufschnellenden Schere zwischen Arm und Reich als Leitstern dienen?

zuschnitt, Mo., 2009.12.14



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 36 Schnelle Hilfe

07. Februar 2009Otto Kapfinger
Spectrum

Zur Sache zuallererst

Zum Tod des Architekturpublizisten Walter Zschokke

Zum Tod des Architekturpublizisten Walter Zschokke

Er hat die Architekturpublizistik Österreichs in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend mitgeprägt. Seit 1988 schrieb der gebürtige Schweizer, Jahrgang 1948, Hunderte einschlägige Essays im „Spectrum“ – präzise, leidenschaftliche Reflexionen am Puls der regionalen und internationalen Entwicklung. Zschokkes Engagement für gestalterische Qualität in allen Maßstäben produzierte sich nie in lauter Polemik oder in brillant gedrechselten, ästhetischen Urteilen. Unbeirrt von Zeitmoden, kultivierte er die sachbezogene, vielschichtig ausgelotete Beschreibung des Faktischen als Grundlage jeder Diagnose, jeder kritischen Äußerung, jeder negativen oder positiven Wertung. Dazu befähigten ihn ein exzellentes technisch-konstruktives Wissen und Gespür, die breite Erfahrung auch als praktizierender Architekt, die kulturwissenschaftliche Schulung an der besten technischen Hochschule Europas und nicht zuletzt sein handwerkliches Know-how, speziell im Umgang mit Holz.

Aufgewachsen im Kanton Aargau, kam Zschokke nach dem Studium an der ETH Zürich, nach acht Jahren Assistenz bei Adolf Max Vogt und mit einem von André Corboz und Jacques Gubler approbierten technischen Doktorat 1985 nach Wien; hier führte er ab 1989 mit Walter Hans Michl ein Atelier, war Mitautor eines Wohn- und Bürohauses in Wien-Neubau, des Kirchenzentrums im Stadtteil Wien-Leberberg und großer städtebaulicher Wettbewerbe; 1992 gestaltete er mit Margherita Spiluttini die Fotoschau „Neue Häuser“, welche die damals junge Szene Österreichs auf vielen Stationen bis nach New York und Mexiko präsentierte; anlässlich des EU-Präsidentschaft Österreichs 1998 war er Mitautor und -gestalter der multimedialen Wanderausstellung „Architekturszene Österreich“.

Neben der Arbeit für das „Spectrum“ redigierte Zschokke etliche Architektenmonografien, war Mitbegründer von „Orte – Architekturnetzwerk Niederösterreich“, gefragter Juror und Gutachter, Vortragender. All dies wurde offiziell mit Preisen für Architektur und Publizistik von den Ländern Wien und Niederösterreich gewürdigt; zuletzt wirkte er als Juror/Mediator beim Um- und Zubau der Wiener Arbeiterkammer.

Sein bestes Buch ist die in der Schweiz verlegte Dokumentation über die hochalpine „Sustenpassstraße“, ein Standardwerk internationalen Formats an der Schnittstelle von Verkehrs- und Landschaftsplanung, von Ingenieurwesen und Architektur, von Wissenschaft und Ästhetik. Sein letzter Auftritt in der Öffentlichkeit war in Wien die Vorstellung des mit Walter Bohatsch betreuten nachgelassenen Buches „Geschautes“ von Ernst Hiesmayr.

Walter Zschokke konnte wie kein anderer konstruktive Stärken und Schwächen von Tragstrukturen auf Anhieb analysieren oder gebaute Raumereignisse in nachvollziehbare Beschreibungen gießen, vermochte aber auch aus der Betrachtung einer windschiefen Vorgartenmauer oder einer hölzernen Trinkschale ein ganzes Panorama alltagskultureller Kausalitäten und Schönheiten zu erzählen. Am 5. Februar war sein jahrelanger Kampf gegen den Krebs zu Ende, er starb im AKH, umsorgt von seiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern. Er fehlt uns.

Spectrum, Sa., 2009.02.07



verknüpfte Akteure
Zschokke Walter

16. Dezember 2008Otto Kapfinger
zuschnitt

Was ist Wesen, was ist Schein?

Je mehr Anteile am Neubauvolumen der Werkstoff Holz erobert, je mehr sich auch die Holztechnologie einer industriellen Künstlichkeit annähert, umso mehr...

Je mehr Anteile am Neubauvolumen der Werkstoff Holz erobert, je mehr sich auch die Holztechnologie einer industriellen Künstlichkeit annähert, umso mehr...

Je mehr Anteile am Neubauvolumen der Werkstoff Holz erobert, je mehr sich auch die Holztechnologie einer industriellen Künstlichkeit annähert, umso mehr wird über Aspekte der Nachhaltigkeit diskutiert, über praktische und ästhetische Grundfragen. Die Positionen pendeln, grob gesagt, zwischen mehreren Standpunkten. Es gibt die konventionelle Haltung, welche Holzoberflächen generell pflegeleicht mit deckenden Lackierungen veredelt oder mit Imprägnierungen aller Art konserviert haben will; es gibt die puristische Haltung, welche chemische Schutzschichten und Bekleidungen ablehnt und Holz innen wie außen möglichst »natur« anwendet; und es gibt eine libertäre Haltung, die den »Trend zur Natur« kommerziell und emotional am liebsten mit preiswerten Laminaten, mit Imitationen aus künstlichen Werkstoffen bedienen möchte.

Im Spektrum aller Haltungen steckt neben unterschiedlichen pragmatischen Motiven ein hohes Maß an Ideologien, und diese beruhen auf einer stattlichen Geschichte einschlägiger Debatten. Im Zentrum solcher Auseinandersetzungen stand und steht die philosophische, kulturelle Orientierung. Es geht um soziale Werthaltungen, es geht um die Trennschärfe kultureller Übereinkünfte, um die Positionierung innerhalb fundamentaler Begriffsraster: Was ist Wahrheit, was ist Lüge – und kann vielleicht eine so genannte Lüge wahrer sein als eine so genannte Wahrheit (siehe u.a. das Epimenides-Paradoxon)? Was ist Echtheit, Authentizität – und was ist Imitat, Täuschung? Was ist substanzielles Wesen, was äußerliche Erscheinung – und wie ist die Beziehung, die Hierarchie zwischen beiden (siehe u.a. Platons Höhlengleichnis)? Was ist Natürlichkeit, was ist Künstlichkeit – und in welchem Werteverhältnis stehen sie zueinander? Was ist wirklicher Stil, was flüchtige Mode – und welche Rollen spielen die beiden Sphären im Selbstverständnis einer Zeit, einer Gesellschaft? Wie ist das Verhältnis zwischen dem bloßen Körper und seinen Applikationen mit Schmuck, mit Ornament, mit Hülle und Bekleidung? Wie halten wir es mit der Vergänglichkeit, mit dem Altern, mit dem Tod und mit dem Begehren nach ewiger Dauer, nach »ewiger Jugend«...?

Die heutigen Standpunkte spiegeln vielfach immer noch den Streit um die Moderne vor gut hundert Jahren wider. »Nuda veritas!«, hieß der Schlachtruf der künstlerischen, kulturellen Secessionen in Europa um 1900. Die Schmuck-, Bemalungs-, Verkleidungs- und Dekorationswut des Historismus wurde als »Lüge«, als nicht authentische Maske verdammt – und die Nacktheit der Körperlichkeit, der natürlichen Materialien, der praktisch-rational minimierten Gestaltungen wurde als Stil der neuen Zeit propagiert. Aber schon damals spalteten sich die Proponenten des »wahren Zeitstils«, der neuen »Natürlichkeit« in gegensätzliche Lager. Die einen trauten sich sehr wohl zu, neue Bekleidungen, neue Schmuckformen, neue Tapeten, neue Ornamente und Farben für Bauten, Möbel und Alltagsgegenstände zu schaffen – das ganze Lager von Jugendstil, Art Nouveau und später Art Deco. Die anderen lehnten genau das als reaktionären Modernismus ab und proklamierten einen radikalen Purismus: Marmor sei die billigste Tapete, Ornament sei mit Pathologie und Primitivität gleichzusetzen, weiße Wände sollten es werden, keusch und rein... So und ähnlich lauteten die Zitate von Loos, Le Corbusier und anderen – und deren Ansätze haben sich mit dem Internationalen Stil in der akademischen Lehre und im vergröberten baulichen Alltag dann bis zur so genannten Postmoderne weitgehend durchgesetzt.

Das Paradigma der klassischen Moderne resultiert aus einem epochalen Bruch mit jeder Tradition, was Friedrich Nietzsche mit dem (paradoxen) Satz »Gott ist tot« ausgesprochen hatte. Jede Form von humaner Kultur davor hatte sich aus der Bewusstwerdung des leiblichen Todes und aus der Frage nach einem darüber hinausgehenden Sinn, nach einer Instanz jenseits des Todes, jenseits von Zeit und Raum, nach Transzendenz und dergleichen entwickelt. Und alle baulichen, künstlerischen, alltagsbezogenen Stile, Ausdrucksformen waren in die immateriellen Bedeutungsfelder der Religionen und der auf sie weiter begründeten sozialen Hierarchien eingebettet. Das Materielle – vergänglich – war selbst in kleinsten Aspekten in die fiktionalen, geistigen, emotionalen Konstrukte des Immateriellen verstrickt. Jede Maske hatte konkrete Bedeutung und »Natur« wurde erst in künstlichen, jahreszeitlichen Ritualen verstanden, bewältigt, begriffen.

Mit der Säkularisierung der europäischen, naturwissenschaftlich-industriell begründeten Gesellschaft, mit der Zerschlagung feudaler Hierarchien sind sämtliche alten Referenzebenen der Alltagsgestaltung entwertet und bleiben tatsächlich (scheinbar!) nur nackter Materialismus und Utilitarismus.

Denn das humane Lustprinzip ist lebendiger, aufgeregter, zielloser, hungriger denn je. Wirtschaft und Politik geben sich rational, gründen aber auf extremen Fiktionen – nicht mehr im Glauben an Kirche und Kaiser und Moral und dergleichen, sondern im Glauben an die Macht des Wachstums, des endlosen Begehrens, an die Gerechtigkeit des freien Marktes und die Dynamik des Kapitals. Wie irrational ihrerseits diese säkularen Glaubenssysteme sind, zeigt sich gegenwärtig an der weltweiten »Finanzkrise«.

In den bildenden Künsten, die mit der Baukunst engstens verknüpft waren, führte dieser Bruch zur Trennung und zur Freisetzung der künstlerischen Mittel vom direkten Verweis auf Natur, auf Übernatur und ewige Dauer. Die bildenden Künste wurden autonom, selbstreferenziell, abstrakt. Die Kunst seither denkt nicht mehr im Referenzrahmen transzendenter Wahrheiten, sie denkt über sich selbst nach und über die Systeme dieses Nachdenkens, über die Projektions- und Behauptungsweisen von Wirklichkeit, über die Spielregeln von Logik, von Wahrheit...


Der Traditionsbruch in Kunst und Baukunst war untergründig von einer gar nicht neutralen, gar nicht so rationalen Ideologie gespeist. Die Emphase für »weiße Wände«, für pures industrielles Material, für den Verzicht auf Ornament und Schmuck war durchaus auch männlich-mechanistisch-machistisch unterfüttert; alles Ornamentale, Kleidhafte, Schmuckhafte, Modische, Emotionale wurde als feminin, primitiv triebhaft, unhygienisch und bedrohlich (im Zeitalter der venerischen Krankheiten und der aufkommenden Emanzipation der Frauen!) kodiert und qualifiziert (siehe u.a. Otto Weiningers Bestseller »Geschlecht und Charakter« von 1903 und die Folgen). Joseph Maria Olbrich wollte sein Haus der Wiener Secession in naturfarbenem Putz haben, »rein und keusch«, dann wurde der Bau doch geweißelt, weil der Naturputz zu fleckig war, und seither wurde dieses weiße Kleid ein Dutzend Mal erneuert. Die auf Otto Wagners Ziegelbauten aufgenagelten Marmorplattenkleider und Steinplattenrüstungen, seiner Obsession für leichte Abwaschbarkeit und ewige Dauer entsprungen, haben sich praktisch etwas besser gehalten, ästhetisch sind auch sie schon Geschichte...

Zurück zum Holz, das unter den Baustoffen der lebhafteste, der organischste und dem Humanen am nächsten ist: Gerade dieses Naturell, diese Organik, dieses Leben und Atmen des Materials setzt es nach wie vor in die unausweichliche Spannung zwischen diametralen Werthaltungen: Wie halten wir es mit den Prozessen der Natur, mit der Vergänglichkeit, mit der Endlichkeit (von allem), wie mit der Begierde nach ewiger Dauer, ewiger Jugend, mit dem Verhältnis zwischen Schein und Sein? Wie echt ist heute noch »das Echte«, das in den militanten Ideologien des 20.Jahrhunderts tausendfach desavouiert, missbraucht, verfälscht worden ist? Oder bleibt als Motto eher übrig, was Lucius Burckhardt am Dilemma zwischen »echtem und falschem Schmuck« meisterhaft beschrieben hat, dass nämlich »nur der Schein nicht trügt, nicht täuscht, weil das Echte nichts mehr bedeutet, und der Schein, der Glamour hingegen immerhin der kulturellen und subkulturellen Unterscheidung dient«?

All das kann beim Nachdenken über die Natur des Holzes helfen – nicht zur Legitimierung von weiteren Tonnen Sondermüll an Chemie, an Ersatz und an »echt« Kunststoff, sondern zum Nachdenken über das Problem, warum es so schwierig ist, in einer Gesellschaft des scheinbaren Überflusses und der endlosen Begehrlichkeit eine aus den Verhältnissen des Mangels geborene Ästhetik des Rauen, des Rohen, Ungekochten, Ungeschönten, des »Natürlichen« zu etablieren.

zuschnitt, Di., 2008.12.16



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 32 Echt falsch

15. September 2007Otto Kapfinger
zuschnitt

Holz lehrt bauen

Die Frage lautet: Wo liegen die Wurzeln der modernen österreichischen Holzbautechnik? Die gängige Antwort heißt: in Vorarlberg. Das ist nicht ganz falsch,...

Die Frage lautet: Wo liegen die Wurzeln der modernen österreichischen Holzbautechnik? Die gängige Antwort heißt: in Vorarlberg. Das ist nicht ganz falsch,...

Die Frage lautet: Wo liegen die Wurzeln der modernen österreichischen Holzbautechnik? Die gängige Antwort heißt: in Vorarlberg. Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Eine kurze Recherche über Pionierbauten nach 1945 führt – und das ist zunächst keine Überraschung – zur ersten industriell vorgefertigten Holzhaussiedlung Österreichs in Wien⁄ Speising, 1952 entworfen von Roland Rainer und Carl Auböck, von da aus aber noch weiter zurück zu Rainers frühen Publikationen, zu seiner Auseinandersetzung mit den städtebaulichen und funktionalen Lehren der Notbauprogramme der Kriegszeit. Rainers 1948 publiziertes Buch „Ebenerdige Wohnhäuser“ bietet ein Panorama avancierter Holztechnologie im Einzel- und Siedlungsbau und startet unter dem programmatischen Titel: Not lehrt bauen.

Unter den rund hundert vorgestellten Bauten und Projekten aus Skandinavien, Nordamerika und Mitteleuropa nennt Rainer einige aus „Notbau-Aktionen“ und „behelfsmäßigen Bauweisen“ vor und nach 1945. Dabei wenden sich in seinen Kommentaren die Zwänge des Mangels in zukunftsweisende Tugenden. So schreibt er etwa zu 1944 in Holland und Finnland konzipierten Notwohnungen: „In den zerstörten Gebieten hat man während des Krieges in Schnellbauweisen ebenerdige, hölzerne Kleinhäuser mit sehr rationellen Grundrissen und bescheidener, zeitloser Gestalt gebaut“, und weiter: „Wenn die Not uns gelehrt hat und noch lehren wird, im Garten ebenso wie im Hause zu wohnen, aus dem Garten für das Haus Vorteile zu ziehen, führt sie auch die große Masse städtischer Bevölkerung zwangsläufig auf den Weg einer neuen Wohnkultur, die den inneren Bedürfnissen aller Menschen unserer Zeit entspricht“, und schließlich: „Wohnungsnot und Facharbeitermangel fordern Vorfabrikation ganzer Häuser. Da das Wesen des fabrikfertigen Hauses in seiner Verteilbarkeit über bestimmte Landschaftsräume hinaus liegt, wäre es folgerichtig, diese Unabhängigkeit von örtlichen Bindungen auch in der Gestalt zum Ausdruck zu bringen und diese aus der neuen Bauweise zu entwickeln.“

Aus all dem folgen dann Maximen für Rainers umweltbewusste Bau- und Wohnphilosophie, die eben auch seine Schüler und Mitarbeiter aus Vorarlberg und Tirol – Hans Purin, Jakob Albrecht, Friedrich Wengler, Gunter Wratzfeld, Norbert Fritz u. a. – geprägt hat.

Doch in den 1950er Jahren war solch humanistisch-ökologische, positive Umwertung von Mangelphänomenen weder in der Fachwelt noch in der breiten Bevölkerung mehrheitsfähig. Holz war einerseits nachhaltig belastet mit dem „Baracken-Image“ und andererseits auf Jahrzehnte hinaus – und bis tief in die Wirtschaftwunderjahre hinein – „einzementiert“ in die aus der ns-Zeit weiterwirkenden, pseudo-ruralen Ideologien von „Heimat“, „Identität“, „landschaftsgerechtem Bauen“ und „Blut-und-Boden-Mythen“.

Auch die Bauwirtschaft war in einem Land mit geringem Industrialisierungsgrad eher auf einfachste Verwertung des Rohstoffs ausgerichtet. 1946 etwa schrieb das damals neugegründete Fachmagazin „Der Aufbau“ im Rahmen einer grundsätzlichen Standortbestimmung und angesichts des kriegsbedingten Mangels an Holzarbeitern, an Zimmerern und an Transportmöglichkeiten: „Durch das Bestreben, Holz als Baustoff möglichst auszuschalten und durch den Stahlbeton zu ersetzen und im gleichen Sinne Ziegelmauerwerk durch Stampfbeton, wird der Zementbedarf steigen ...“ Im selben Jahr startete die Stadt Wien einen Wettbewerb für „Holzsparende Dächer“ mit der Begründung, dass „Holz immer mehr als Rohstoff für die industrielle Veredlung benötigt und daher in Zukunft nur in sparsamster Weise für Zimmererarbeiten zur Verfügung sein wird“.

Industrielle Holzveredlung in diesem Sinne hatte davor, während des Krieges, in Österreich einen spezifischen Stellenwert eingenommen. Das 1939 – 41 bei St. Veit an der Glan errichtete Werk der Klagenfurter Firma Adolf Funder war das drittgrößte Unternehmen der Holzindustrie im Deutschen Reich und erzeugte primär Faserplatten für die Luftfahrt. Das Holz kam aus den eigenen Waldungen. Auch eine andere Kärntner Holzfabrik, Leitgeb in Kühnsdorf, produzierte in großem Umfang Faserplatten für die Luftwaffe. Funder wurde 1945 bombardiert, konnte den Betrieb erst 1952 wieder aufnehmen und erzeugte weiterhin Platten – nun primär für Möbel und Innenausbau. Eine hochwertige, auch in der Wertschöpfung für die einschlägige Wirtschaft als Gesamtheit förderliche Holzbauindustrie war in Österreich damals noch Zukunftsmusik.

Holz als innovationsträchtiges Material war schon in der klassischen Moderne der 1920er Jahre nicht im Zentrum der Debatte gestanden, da waren Stahlbeton, Stahl, Glas, Aluminium etc. die Leitstoffe der Avantgarde. Immerhin hatte sich in Deutschland mit Christoph & Unmack Europas größte Holzhausfabrik entwickelt, wo kein Geringerer als Konrad Wachsmann als leitender Ingenieur-Architekt wirkte. Und Wachsmann hatte 1929 für Albert Einstein ein

modernes, vorgefertigtes Holzwohnhaus in Berlin⁄ Caputh gebaut und dies 1930 neben anderem in seinem vielbeachteten Buch „Holzhausbau“ dokumentiert. Weltwirtschaftskrise und zunehmende Ideologisierung des Bauens unter der einsetzenden Naziherrschaft drängten solche Ansätze in den Hintergrund. 1933 erschien in der legendären Reihe der Stuttgarter „Baubücher“ das Standardwerk „Bauen in Holz“ bereits im Zeichen der „heimatverbundenen“, traditionalistischen Re-Konnotierung des Holzbaus; das Cover zierte ein uralter Block-Strickbau, der Titel prangte in gotisierender Fraktur, die Beispiele stammten primär aus dem Umfeld der damals anti- oder gemäßigt-modernen „Stuttgarter Schule“; das klassisch Handwerkliche und „Bodenständige“ wurde betont; avancierte industrielle Holzbaubeispiele, die es in Deutschland auch längst gab, kamen nicht mehr vor. Fast analog dazu veränderten sich Szene und Fachmedien in Österreich, beginnend 1933 mit der Spaltung des Werkbundes in einen judenfreien „gemäßigten“ Teil und in einen kritisch-progressiven Flügel, der rasch bedeutungslos wurde, dessen Mitglieder mehrheitlich bald freiwillig oder gezwungen das Land verließen.

Ganz anders verlief die Entwicklung in der Schweiz, wo die ab 1936 vorbereitete große Landesausstellung „Landi 39“ am Zürcher Seeufer unter der Leitung von Hans Hofmann⁄ Hans Fischli fast vollständig in Holzbauten präsentiert wurde, die entlang der „Höhenstraße“ mit Brücken, Pavillons, Hallen, Pergolen und Flugdächern ein komplettes Spektrum modernster, urban gestalteter Holzkonstruktionen demonstrierte. So war Holz in der Schweiz (wie auch in Skandinavien – und da wie dort in Mangelwirtschaft eingebunden!) weder vor noch nach dem Krieg mit konservativer bzw. regressiver Propaganda punziert, konnten sich moderne Architektur und moderne Holzbautechnik dort, anders als in Deutschland und Österreich, simultan, kontinuierlich und weitgehend ohne ideologische Pathologien weiterbilden.

Nach Roland Rainers groß angelegten Plädoyers von 1948 dauerte es noch einige Jahre, ehe 1952 die erwähnte Siedlung in der Veitingergasse konkrete Planung wurde, ermöglicht noch vor dem Auslaufen der erp-Förderungen (European Recovery Program), unterstützt durch die us-Wirtschaftsmission und mithilfe eines amerikanischen Prefab-Spezialisten konzipiert. Einschlägiges us-Know-how sollte den heimischen Nachkriegswohnbau stimulieren, zugleich war die Aktion als Anreiz für die regionale Holz verarbeitende Industrie gedacht – als Modell einer auch im Export konkurrenzfähigen Fertighausproduktion. Auf dem von der Stadt Wien im Baurecht zur Verfügung gestellten Platz neben der Werkbundsiedlung von 1932 entstanden 15 ebenerdige, nicht unterkellerte Einfamilienhäuser in Tafelbauweise mit äußeren Oberflächen aus Bretterschalung, Sperrholz oder Eternittafeln. Die Wandelemente waren einen Meter breit und zweiein-halb Meter hoch und so leicht, dass sie händisch montiert werden konnten. Auf Betonfundamentplatten aufgestellt wurden die Außenwände mit Prefab-Holznagelbindern überspannt und mit Aluminium-Rolldächern gedeckt. Besonderheiten waren durchgängige Einbauschränke, vorfabrizierte Installationselemente, gasgefeuerte Luftheizung aus im Boden eingelassener Verrohrung, raumhohe Verglasung der Wohnzimmer und hochwertige Muster-Möblierung dreier Häuser.

Die „Veitingergasse“ bildete eine Vorstufe für Rainers größere und bekanntere, massiv ausgeführte Siedlungen in Wien⁄ Mauerberg und später in Linz⁄ Puchenau. Als Holzbaumodell blieb das Projekt in Österreich damals völlig isoliert, speziell in Wien war der Wiederaufbau ganz auf konventionellen Geschosswohnbau ausgerichtet.

Rainers Konzepte fanden ihre Fortsetzung ab 1960 in Vorarlberg durch die ersten Bauten seiner Schüler und Mitarbeiter: Jakob Albrecht, gerade 28 Jahre jung, plante die große Hauptschule in Egg im Bregenzerwald in Holzkonstruktion, realisierte im selben Jahr das kubische Holzhaus Grass in Dornbirn; Gunter Wratzfeld setzte 1963 mit dem Haus für seinen Bruder in Dornbirn⁄Watzenegg ein starkes Signal (auf Betonwinkeln über der Hangkante „schwebende“ Holzschachtel, ausgestattet mit Prefab-Nasszelle in Kunststoff, vom Team „raumhochrosen“ kürzlich vorbildlich revitalisiert); 1964 begann Hans Purin die Reihenhaussiedlung „Halde“ in Bludenz – sicher die wichtigste emblematische Leistung dieser Ära im „Ländle“. Zugleich entstand für seinen Bruder Dieter in Kennelbach die Miniaturvariante des Mischprinzips aus massiven Scheiben am Hang mit hölzernen „Inlets“.

1964 plante und zimmerte teilweise eigenhändig Rudolf Wäger sein legendäres Würfelhaus in Götzis, eine, wie er sagt, autonome Leistung: aus der „Not“ der minimalen Mittel, im bewussten Gegensatz zur damals lokal gängigen Zimmerei und wohl auch durch die Schulung seines Bruders Heinz in Ulm inspiriert, wie der Max-Bill-Hocker in der ursprünglichen Möblierung belegt. Autonome Leistungen waren auch Leopold Kaufmanns Volksschule von 1960 in Reuthe sowie die immer noch faszinierende Erweiterung der Kirche in Brand von 1961 – beides in Kooperation mit Helmut Eisentle und Bernhard Haeckel. Kaufmann fiel mit seinen Arbeiten im Bregenzerwald aber so aus dem gesellschaftlichen Rahmen, dass er sein Büro nach Dornbirn verlegte. Nur zur Erinnerung: 1962 gab es in Österreich seit fünf Jahren Fernsehen, im „Ländle“ aber ein gesetzliches Twist-Tanzverbot in der Öffentlichkeit und eine streng katholische Filmzensur ...

Eine andere Variante von Rainers Matrix der Holzschachtel auf oder zwischen Betonsteinscheiben (typisch dafür sein Haus am Semmering von 1964) brachte sein Schüler und Mitarbeiter Norbert Fritz 1965 beim eigenen Wohn- und Atelierbungalow in Innsbruck⁄ Hötting. Wenig bekannt, doch bis in alle Möbelteile unverändert erhalten, bietet der Bau eine sehr individuelle, fast irritierende Verbindung aus bäuerlicher Kargheit (von der Fassade bis zum Küchenblock und den Betten unbehandeltes Massivholz in einfachster, tischlermäßiger Fügung) mit riesigen Schiebefenstern und kühnen Details an Dach und Balkonen. Diese hier bloß angedeutete Haltung von Fritz charakterisiert sein ganzes, bisher nicht zusammenfassend dokumentiertes Oeuvre mit Schwerpunkt in Holzanwendungen.

Aus demselben Jahr stammt vom Tiroler Einzelgänger Ernst Hiesmayr die Revitalisierung eines Streckhofs in Neusiedl am Steinfeld mit einem gartenseitig eingefügten Neubau, der Themen Wrights und Mies van der Rohes in Holz und Stein aktualisiert. Es ist bis heute bestens gepflegt und erhalten, und Hiesmayr hat später als Hochbauprofessor an der Wiener tu seinerseits wichtige Akteure der heutigen Vorarlberger Holzbauszene geschult, u. a. Hermann Kaufmann und Helmut Dietrich. Aus den frühen 1970er Jahren ist noch die Reihenhaussiedlung Schlins⁄ Ruhwiesen von Rudolf Wäger zu nennen, eine Weiterentwicklung von Rainers (und ursprünglich Loos’) Prinzip der Holzboxen zwischen Mauerscheiben.

Es ist nicht zu übersehen, dass die von Wachsmann bei den Salzburger Sommerakademien der 1950er Jahre „infizierten“ Architekten anders konstruieren als jene aus Rainers Umfeld. Wachsmann kam vom Holz, hatte mit Gropius in den 1940er Jahren in den usa eine Holz-Fertighausfabrik aufgebaut und ging weiter zu den Raumtragwerken in Stahl. Sowohl Johannes Spalt als auch Ottokar Uhl oder Gerhard Garstenauer entwarfen ihre Holzbauten der 1970er Jahre vor diesem Hintergrund der modularen, raumüberdachenden Gitterwerke. Und sowohl Spalts formidables Pfarrzentrum in Wien⁄ Wienerberg als auch Uhls „demontable Kirche“ entsprangen dem Konzept des interimistischen, des transitorischen Gebäudes.

„Not lehrt bauen“ – Rainers Slogan von 1947 hatte schon für die revolutionäre Wiener Siedlerbewegung nach dem Ersten Weltkrieg gegolten, mit ihren Konzepten für „wachsende Häuser“ und die Koppelung von Vorfertigung und Selbstbau wie in Loos’ Beispiel vom „Haus mit einer Mauer“.

„Mangel lehrt bauen“ mit Holz galt auch für die billigen, ausgeklügelten Holzhäuser und Siedlungen der ersten und zweiten Generation der Vorarlberger Baukünstler, die für junge, wenig begüterte, alternativ gestimmte Leute planten, die mit Einbringung von viel Eigenleistung „gemeinsam planen, bauen und leben“ wollten.

„Holz lehrt bauen“ ist schließlich der komplementäre Satz zu Rainers Motto und erklärt ebenso Konrad Wachsmanns Biografie und universelles Lehrgebäude wie auch den breiten regionalen Erfolg der Vorarlberger Baukünstler. Holz lehrte und lehrt also das Bauen – nicht für eine Architektur mit dem großen „A“, mit ihrem Denken und Gestalten in wirkmächtigen Ausdrucksformen von „ewiger Dauer“, symbolträchtig, repräsentativ, objektbezogen – Holz lehrte und lehrt in der hier nur skizzierten Traditionslinie vielmehr das Bauen als pragmatische, alltags-, subjekt- und umweltbezogene Baukunst, gegründet auf entwerferischem, konstruktiv orientiertem Denken in Raumgerüsten, in präzisen, ephemeren, antirepräsentativen Leistungsformen.

zuschnitt, Sa., 2007.09.15



verknüpfte Bauwerke
Salvatorkirche am Wienerfeld
Siedlung Ruhwiesen
Siedlung Halde
Volksschule Egg



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 27 Zweite Lesung

15. September 2006Otto Kapfinger
zuschnitt

Vom Material in der Architektur

Holz gehört zu den Materialien, die in der Architektur sowohl konstruktive als auch gestalterische Aufgaben übernehmen. Die verschiedenen Holzarten spielen je nach Eignung in beiden Bereichen eine Rolle. Das folgende Gespräch, wurde von Planenden geführt, die nicht als »Holz-ArchitektInnen« in Erscheinung treten, zum Material also einen neutralen Zugang haben. Hermann Czech, Adolf Krischanitz, András Pálffy, Gerhard Steixner und Bettina Götz und Richard Manahl sollten mit Otto Kapfinger ganz allgemein über die Frage des Materials in der Architektur und im Speziellen über den Einsatz bestimmter Holzarten oder deren Derivate diskutieren. Leider musste Hermann Czech kurzfristig absagen. Das Bild der Bar im Palais Schwarzenberg füllt nun zwar nicht die Lücke seiner Abwesenheit, kann aber als Beitrag »aus dem Off« verstanden werden. Das Gespräch, dessen offizieller Teil nach zwei Stunden endete, hatte von Anfang an eine Richtung eingeschlagen, die mit dem Thema Holzarten im engeren Sinn wenig zu tun hat. Vielmehr wurde es eine inspirierende Unterhaltung über das Wesen des Materials und des Entwerfens als ganzheitlicher Prozess und behandelt damit eines der Grundthemen in der Architektur.

Holz gehört zu den Materialien, die in der Architektur sowohl konstruktive als auch gestalterische Aufgaben übernehmen. Die verschiedenen Holzarten spielen je nach Eignung in beiden Bereichen eine Rolle. Das folgende Gespräch, wurde von Planenden geführt, die nicht als »Holz-ArchitektInnen« in Erscheinung treten, zum Material also einen neutralen Zugang haben. Hermann Czech, Adolf Krischanitz, András Pálffy, Gerhard Steixner und Bettina Götz und Richard Manahl sollten mit Otto Kapfinger ganz allgemein über die Frage des Materials in der Architektur und im Speziellen über den Einsatz bestimmter Holzarten oder deren Derivate diskutieren. Leider musste Hermann Czech kurzfristig absagen. Das Bild der Bar im Palais Schwarzenberg füllt nun zwar nicht die Lücke seiner Abwesenheit, kann aber als Beitrag »aus dem Off« verstanden werden. Das Gespräch, dessen offizieller Teil nach zwei Stunden endete, hatte von Anfang an eine Richtung eingeschlagen, die mit dem Thema Holzarten im engeren Sinn wenig zu tun hat. Vielmehr wurde es eine inspirierende Unterhaltung über das Wesen des Materials und des Entwerfens als ganzheitlicher Prozess und behandelt damit eines der Grundthemen in der Architektur.

Otto Kapfinger: In Österreich wird Holzbau heute auf sehr hohem Niveau betrieben. Mein Eindruck ist, dass dabei das Konzept meist bei der Optimierung der Leistungsform stehen bleibt, dass die Auseinandersetzung mit räumlichen und formalen Werten im Hintergrund bleibt. Wir wollen hier der Frage nachgehen, an welchem Punkt solche Aspekte ins Spiel kommen, wo das Material nicht nur »seiner Natur gemäß« korrekt behandelt wird, wo dann auch andere Dinge mitschwingen – Ausdruckswerte, die schlichtes Bauen zur Baukunst, zur Architektur machen können. Wir würden von euch und aus eurer Praxis gerne erfahren, wie ihr mit Material umgeht, warum ihr Holz oder ein anderes Material benutzt oder nicht benutzt. Materialien haben eine Kultur, eine Geschichte, verschiedenste Kontexte und Konnotationen, die sich ändern können. Materialien sind nicht unschuldig, nicht nur technisch »objektiv«, sondern voll von weniger quantifizierbaren Bedeutungen, und vielleicht könnt ihr in einer ersten Gesprächsrunde in diesem Sinn euren Zugang zum Material bzw. zum Material Holz darstellen.

Bettina Götz: Was uns am Holz generell gut gefällt ist seine Maßstabslosigkeit. Es ist in jede Richtung offen, das beginnt beim kleinen Schmuckstück und endet bei der großen Halle, es kategorisiert sich nicht selbst.

Richard Manahl: In erster Linie interessiert uns Holz als Plattenware. Man kann es mit fertiger Oberfläche kaufen und es ist vom Möbel- bis zum Hausbau einsetzbar. Insofern ist Holz sehr neutral und universal.

András Pálffy: In unserer Arbeit war es immer wichtig, dass es verschiedene Materialien gibt und zwar verschiedene Materialien in dem Sinn, als es verschiedene Reflexionsoberflächen gibt. Hier kommt also das Licht ins Spiel, und mit diesem Faktor bringt man sehr viel in Bewegung. Das ist aus meiner Sicht das Prinzip der Materialwahl, und hier kann sich Holz in den unterschiedlichsten Facetten natürlich sehr gut einfügen und bestimmendes Moment sein.

Gerhard Steixner: Ich denke, dass Materialien dann besonders gut zur Wirkung kommen, wenn sie kombiniert sind, und in diesem Zusammenhang ist Holz für mich ein hervorragendes Material. Man kennt es am besten, weil man sieht, wie es wächst, weil wir es verstehen und einen emotionalen Zugang dazu haben. Man kann viele konstruktive und gestalterische Funktionen daran binden, insofern ist es für mich auch ein sehr einfaches und wirtschaftliches Material.

Adolf Krischanitz: Ich hatte einen Onkel, der behauptete: »Ich esse Kartoffel nur in veredelter Form, nämlich in Form eines Schweinsbratens.« Ganz ähnlich führt beim Holz die Sublimierung über bestimmte andere Techniken und Vorgänge zu einem veränderten Produkt, das mich dann möglicherweise interessiert. Wichtig ist eine Offenheit in der Architektur, die nicht beliebig sein darf, und auf Holz trifft das sehr zu: Es ist vielgestaltig, aber nicht charakterlos, es ist in jeder Dimension glaubwürdig. Dass Biege-Zug- und Biege-Druckspannung gleich groß sind, verleiht ihm eine Neutralität, die für mich beinhaltet, dass sich das Material Holz von sich selbst emanzipiert.

Otto Kapfinger: Wir sind doch von der klassischen Moderne geprägt, und obwohl ihr jetzt alle in unterschiedlichen Ansätzen sehr positiv über das Material gesprochen habt, liegt in eurer Arbeit das Hauptaugenmerk nicht auf Holz. Ich glaube, dass die Moderne eigentlich holzfeindlich war, oder besser gesagt, dass sie auf Beton, Stahl, Glas fixiert war, und meine Frage lautet, ob eine solche Haltung nicht immer noch mitschwingt, gerade bei ArchitektInnen, die primär im städtischen Kontext leben und arbeiten, wo Holz weniger als struktiver Baustoff angewendet wird, sondern mehr im Bereich der Ausstattung, der Erzeugung von Stimmungen, in Interieurs, wo es eher um die Form als um die Leistung geht.

Adolf Krischanitz: Ich möchte dazu mehrere Dinge ansprechen: Ich habe mich in den späten 1970er Jahren mit amerikanischer Architektur auseinandergesetzt, die damals in einem Material »gedacht« wurde, das weder tragen noch lasten kann, nämlich in Karton. Diese gewichtslose Architektur war einerseits billig – ausgeführt in der regionalen, leichten Holzbautechnik und weiß gefärbelt –, andererseits war sie natürlich ein Abkömmling der puristischen Moderne, welche ebenfalls versucht hatte, die Materialität zu überwinden, alles Erzählerische des Werks zu abstrahieren. Auch das wunderbare Plischke-Haus am Attersee hat etwas Dematerialisiertes an sich, und damit komme ich zu dem, was ich am Anfang über Holz gesagt habe: Das Material emanzipiert sich von sich selbst, es kann seinen Materialstatus jederzeit aufheben, operiert nicht mit den Aspekten des Tragens und Lastens, sondern auf einer anderen Ebene, wo dieser Status zwar manchmal gezeigt wird, aber nicht immer und nicht um jeden Preis. Und dazu kommt noch, dass es Epochen gibt, in denen man mehr mit dem Holzcharakter gearbeitet hat, und solche, in denen man weniger damit gearbeitet hat. Im Barock gab es dann nur mehr die veredelte Form des Holzes, bis hin zur Umkehr – extensiv bemaltes Holz oder Holzimitationen aus Gipsstuck, und in der Moderne gab es dagegen den moralischen Anspruch der Materialehrlichkeit. Ich glaube, dass Holz ein fantastisches Material ist und man die Materiallastigkeit dosieren oder auch unterschiedlich verwenden kann. Ein Problem entsteht dann, wenn immer nur eine Seite gesehen wird, wenn die Leistungsform vollkommen ausgereizt wird und wenn das Semper’sche Prinzip, wonach es darum geht, das Material (und auch die Form) so weit zu treiben, dass es von sich selbst befreit wird, als unmoralisch empfunden wird. Da wird dann ganz streng an einen Werkstoff geglaubt, aber sinnliche Dichte, gestaltete Komplexität entsteht erst, wenn solcher Glaube überwunden wird.

Otto Kapfinger: Adolf Loos war ja auch ein großer Moralist, der viel über die Natur der Materialien gesprochen hat, er hat sich aber auch nicht gescheut, Holzelemente mit Primärfarben zu lackieren, optisch zu verfremden. Daraus ist eine prachtvolle Farbenwelt entstanden, etwa bei den Innenräumen im Haus Khuner oder beim Haus Müller in den oberen Etagen, die es bei den Holzhäusern heute nicht gibt. Es hat zwar in der Holzanwendung seither eine enorme technologische Entwicklung stattgefunden, aber die Diskussion über die Bandbreite der emotionalen, der kulturellen Wirkung muss nachgeholt werden.

Richard Manahl: Form und Wirkung haben auch immer mit der Frage zu tun, wie etwas gefügt ist. Eines der wenigen Projekte, das ich in letzter Zeit kennen gelernt habe und von dem ich denke, dass hier adäquat mit Holz in dieser Richtung gearbeitet wurde, ist die Markthalle von Miller & Maranta in Aarau. Hier wird ganz bewusst Holz verwendet, das Gebäude hebt sich aber durch die Art des Umgangs mit dem Material und die daraus entstandene Wirkung aus dem Holzbau heraus und entfaltet eine ganz neue Bedeutung. Hier wird Holz kulturell eingesetzt und formt ein Gebäude in jene Dimension, die man eben als Architektur klassifiziert.

Otto Kapfinger: Ich frage mich, unter welchen Voraussetzungen ihr eine Holzarchitektur entwerfen würdet, die sublim ist, die nicht nur korrekt ist, sondern auch Witz hat, und die insofern visionär wäre, als sie über das, was heute bei uns so ambitioniert und kompetent gebaut wird, hinausgeht, denn so etwas wie diese Markthalle, das gibt es bei uns eigentlich nicht – mit wenigen Ausnahmen, etwa die Arbeiten von Philip Lutz.

Bettina Götz: Unsere erste Auseinandersetzung mit Holz erfolgte im Rahmen einer Ausstellung. Dabei ging es um einen Wohnbau für Flüchtlinge. Gerade zu der Zeit kamen Brettsperrholzplatten auf den Markt, die uns sofort interessiert haben, weil sie sehr groß sind und man sie wirklich gut fügen und an jedem Punkt befestigen kann, ohne dass man eine besondere Ausbildung dafür braucht – das hat damals sehr gut gepasst. Aber erst jetzt haben wir unser erstes »richtiges« Holzhaus im Burgenland gebaut.

Gerhard Steixner: Diese Platte kann ja alles. Sie ist massiv, sie trägt und man schneidet einfach Löcher hinein. Damit imitiert man ein Mauerwerk, in das man Fenster schneidet – das ist aber eigentlich absurd.

Adolf Krischanitz: Das ist eben die Problematik der sogenannten Materialgerechtigkeit. Man entwickelt Materialien, die immer homogener werden, die immer perfektere Oberflächen, immer mehr Vorteile haben. Man entwickelt neue Werkstoffe, wie z.B. das Brettsperrholz. Das impliziert aber auch neue Entwurfsmethoden, eröffnet tektonische und formale Möglichkeiten, die mit dem Holzbau im klassischen Sinn nichts mehr zu tun haben. Und in diesem Moment geht es darum, die Möglichkeiten, die in dem Werkstoff enthalten sind, aufblitzen zu lassen, spür- und sichtbar zu machen.

Otto Kapfinger: Auch die klassische Moderne war stark von monolithischen Materialien (Stahl, Beton) und von apparativer Ästhetik inspiriert. Das Motiv der Bullaugen etwa kam aus dem Schiffsbau, wo in eine homogene Stahlplatte analoge Öffnungen gestanzt wurden. Dieses Motiv wurde nach 1918 aufgegriffen, dann aber meist im Ziegelbau umgesetzt – eigentlich fragwürdig, denn diese gestanzte, komplexe Öffnung hat wenig mit der Natur der horizontal geschichteten Wand zu tun.

Adolf Krischanitz: Jetzt sind wir genau bei der Frage, die Semper gültig beantwortet hat. Einerseits gibt es natürlich die Materialgerechtigkeit, andererseits die Entwicklung, die ein Material im Lauf der Zeit erfährt. Zum Dritten ist da auch noch der Formwille, der das Material sowohl »überhöhen« als auch »desavouieren« kann, indem das Material zu etwas anderem wird, zu einer raffinierteren Form. Wenn etwas nicht mehr materialgerecht ist, dann muss es etwas anderes sein, etwas Schlechtes oder etwas Gutes. Insgesamt geht es jedenfalls um diese Überwindung der rein technischen Komponenten von Materialien, die freilich auch in eine Artistik ausarten kann, die sinnlos ist, sich nur um sich selbst dreht. Es kann aber auch sein, dass das Material transzendiert, das heißt, dass es mehr darstellt als »ich bin so und so gemacht«, dass es Ausdruckswerte anspricht, dass es so etwas wie ein Symbol wird, und hier fängt eine künstlerische Facette von Architektur an.

Kurt Zweifel: Zum Thema »Sein und Schein«: Ich habe vor zwei Jahren ein großes Spanplattenwerk besucht, nachdem wir am Tag zuvor in einem Furnierwerk gewesen waren. Es war faszinierend zu sehen, mit welch großem Aufwand versucht wurde, möglichst präzise unregelmäßige Abbildungen von Holzoberflächen zu erzeugen, die anschließend auf Spanplatten aufgebracht wurden. Ich muss sagen, dass das Ganze in der Fläche täuschend echt ausgeschaut hat, das vorgetäuschte Bild aber sofort kippte, sobald diese Oberflächen auch über die Schnittkanten weitergezogen wurden.

Gerhard Steixner: Kürzlich habe ich den Katalog einer Pulverbeschichtungsfirma bekommen, die 20 verschiedene »Holzoberflächen« auf Stahl beschichten kann. Das reicht von Eiche über Douglasie bis zu Nuss und schaut perfekt aus. Es gäbe also wirklich alle Möglichkeiten, aus denen wir wählen könnten ...

Eva Guttmann: Warum entscheidet man sich als Architekt dann doch für Holz, für ein bestimmtes Holz oder auch genau nicht für Holz? Was schwingt da mit?

Adolf Krischanitz: Ein wesentlicher Aspekt ist das Weltvertrauen, das langsam schwindet. Wenn man auf die Chromleiste eines Autos greift und die ist warm, dann glaubt man nicht nur, dass irgend etwas mit dem Auto nicht stimmt, sondern auch, das irgend etwas mit einem selbst nicht stimmt. Wir werden von allen möglichen Seiten mit Fälschungen zugeschüttet, so dass wir das Urvertrauen in die Umwelt verlieren. Das ist auch beim Holz so: Wenn ich mir vorstelle, ich greife eine Holzoberfläche an und merke, das ist Stahl, da stimmt doch was nicht.

Otto Kapfinger: Im Sinn von Sempers »Stoffwechseltheorie«, dass die Kunstform immer durch Übertragung in ein anderes Material entstand, dass etwa Holzbaudetails in Stein oder textile Details in Metallformen verwandelt worden wären, nach dieser Theorie wäre das ja erlaubt ...

Adolf Krischanitz Dazu wäre aber eine gestalterische Transformation nötig. Die Griechen haben ja auch nicht geglaubt, dass ihre Tempel aus Holz sind ...

Otto Kapfinger: Bei Loos war es umgekehrt. Er sagte, Holz dürfe mit allem gestrichen werden, nur nicht mit Holzfarbe.

Adolf Krischanitz: Ich finde braun gestrichenes Holz faszinierend, aber dieser »holzbeschichtete« Stahl, das ist so primitiv, ein absoluter kultureller Kurzschluss, dass es unbrauchbar ist. Ich finde, eine Spanplatte, kann eine tolle Oberfläche sein. Sie täuscht nichts vor, sondern ist, was sie ist. Das finde ich sympathisch. Aber wenn ich einen Stahlträger mit Edelkastanienoberfläche habe, dann ist das problematisch, und wenn dann noch dazu jemand sagt, der Träger hängt in zehn Metern Höhe, den kann sowieso niemand berühren, dann beginnt man doch an allem zu zweifeln. Natürlich kann man mit so etwas spielen, aber zu solchen Dingen fällt mir einfach nichts mehr ein. Trotzdem glaube ich, dass auch im Umgang mit den Holzplatten kulturelle Formen entstehen müssen und werden.

Richard Manahl: Wir haben gar nichts gegen beschichtete Holzplatten. Die Betonschaltafeln waren überhaupt unser Einstieg ins Holz. Das ist ein wunderbares Material, es ist fertig, man kann es sofort als Fassade, als Möbel, was auch immer verwenden, man muss es nur zusammenschrauben.

Gerhard Steixner: Diesbezüglich bin ich wirklich ein Fundamentalist: ich hab noch nie eine Spanplatte verwendet und noch nie ein Fenster gemacht. Ein Fenster als Loch in der Wand – das ist veraltet. Ich verstehe die Fenster immer weniger.

Adolf Krischanitz: Bei der Renovierung der Villa Wesendonck in Zürich gab es die alten Fenster und Wände, und der Direktor meinte, wir bräuchten die Räume nur auszumalen. Wir haben recherchiert, welche Farbe ursprünglich verwendet worden war, und festgestellt, dass es sich um einen dreifachen Keimanstrich auf Baumwolle gehandelt hatte. Wir haben das übernommen und plötzlich bekamen die Wände eine Tiefe, auf die wir mit den Fenstern, die inzwischen weiße Rahmen hatten, reagieren mussten, indem wir sie dunkel gestrichen haben. Und dann hatten wir fast schwarze Fenster mit Messingbeschlägen und man hat plötzlich gesehen, was ein Fenster wirklich ist. Das hatte eine unglaubliche Wirkung und genau diese Art der Wirkung, diese Schichtung und Tiefe fehlt heute oft in der Architektur.

András Pálffy: Der Umgang mit Oberflächen ist etwas, das mich in letzter Zeit immer mehr stört. Die Oberfläche wird zu einem derart zentralen Thema gemacht, sie ist allen möglichen Formen der Interpretation, der Umwidmung unterworfen, und ich finde, es hat etwas absolut Zwänglerisches, irgendein Industriematerial zu nehmen, es umzuwidmen, zu verfremden und damit zu nobilitieren. Manchmal gelingt es, manchmal scheitert es, aber insgesamt ist die Wahrnehmung so an diese Außenhülle gebunden, dass ich mich frage, was ist dahinter. Da kippt etwas in zunehmendem Maße auseinander, und genau dieses Maß stört mich, weil daneben grundsätzliche Überlegungen untergehen, die das räumliche Gefüge betreffen – ob mit oder ohne Fenster. Architektonische Qualität kann sich niemals darüber definieren, ob ich Material so oder so behandle und in den Vordergrund stelle.

Otto Kapfinger: Das sind alles Aspekte, die unter der dichten Packung von Leistungsanforderungen, bei denen das Holz wunderbar mitspielt, oft zu kurz kommen und ich frage mich, ob man dem etwas entgegensetzen kann.

András Pálffy: Ich glaube, das lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Alle, die hier sitzen und das Material in die Hand nehmen, würden etwas Unterschiedliches daraus machen. Diese Vielfalt ist wunderbar und ich bin mir vollkommen sicher, dass die Verwendung des Materials mit einer Selbstverständlichkeit erfolgen würde, die gar nicht auffiele oder sich in den Vordergrund drängen und »ich bin Holz« schreien würde. Trotzdem – und das ist die Klasse des Materials – wäre es ganz selbstverständlich da, mit den Mitteln der Zeit, so gefügt, dass es räumlich wirksam wird, eigenständig und befreit von irgendwelchen Konnotationen.

Eva Guttmann: Selbstverständlichkeit ist das eine, aber trotzdem macht es einen Unterschied, ob man sich für die eine oder die andere Oberfläche entscheidet – ob in der Fassadenhaut oder im Innenausbau.

András Pálffy: Ein Konzept ist so gut, wie es im Detail eingelöst wird, und damit hat die Oberfläche auch etwas zu tun. Aber das ist untrennbar in der Summe der Überlegungen enthalten und ich kann nicht sagen, diesmal nehmen wir Holz und das nächste Mal nehmen wir Stein, sondern so etwas entwickelt sich aus dem Gesamtprojekt.

Kurt Zweifel: In der Umsetzung, in der Detaillierung geht es schon auch um den Charakter von Materialien, um Oberflächen, die man wählt, um eine spezielle Wirkung zu erzielen, um Stimmungen zu erzeugen. Wie seid ihr – Hermann Czech und du – bei Swiss Re in Rüschlikon an diese Sache herangegangen?

Adolf Krischanitz: Hier war für uns die zeitliche Komponente ausschlaggebend. Die vorhandene Architektur ist zeitlich sehr inhomogen, es gibt die alte Villa, Anbauten und den Neubau von Meili und Peter, und wir haben gesagt, dass wir mit den Innenausbauten, mit den Möbeln um diese Zeitkomponente herum »zittern«. Wir sind so vorgegangen, dass wir »langsamere« Materialien – und dazu gehört Holz, das man lange anschauen muss, weil es ja auch langsam gewachsen ist – in den langsameren Bereichen, in den Hotelsuiten und Aufenthaltsräumen eingesetzt haben und schnellere Materialien in den Korridoren und den Zimmern, in denen man eher nicht so lange bleibt. Hermann Czech war primär für das Holz zuständig, das ist sozusagen sein Baustoff, den er mit einer großen Selbstverständlichkeit verwendet. Daraus ist ein sehr zeitloses Haus entstanden – alle sind fasziniert und niemand weiß genau, warum. Es ist aber tatsächlich ein Problem, wenn das Material zum zentralen Thema wird. Zentrales Thema kann nur der Raum sein, und der ist nicht greifbar. Das heißt, zentrales Thema kann nur das Nicht-Materielle sein und niemals das Materielle. Insofern ist ohnehin alles klar.

zuschnitt, Fr., 2006.09.15



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 23 Holzarten

15. Juni 2003Otto Kapfinger
zuschnitt

Markt für Architektur

Hermann Kaufmann materialisierte in Weiler die Hallendecke des Einkaufsmarktes als optisch dominierende Raumfläche besonders homogen, als neutralen und zugleich stimmungsgebenden »Fond« des Ganzen.

Hermann Kaufmann materialisierte in Weiler die Hallendecke des Einkaufsmarktes als optisch dominierende Raumfläche besonders homogen, als neutralen und zugleich stimmungsgebenden »Fond« des Ganzen.

Die 47cm starke Dachplatte, ca. 1.500m² groß, überdeckt in 5 m Höhe gleichsam monolithisch den Innenraum mit Auskragungen in den Außenraum bei Eingangsfront und Lieferrampe. Diese Platte ist ein Gefüge aus Hohlkastenelementen, gespannt zwischen den seitlichen Außenwänden und Hauptträgern aus Brettschichtholz, die über zwei Reihen von Stahl-Pendelstützen die Last im Innenraum abtragen. Die Spannweite der Hohlkästen beträgt zur Hälfte ca. 14 m, im übrigen Bereich (trapezförmiger Grundriss) kontinuierlich bis auf 8 m verkürzt. Die vorgefertigten Teile sind beidseitig mit Dreischichtplatten beplankt und haben Rippen aus Brettschichtholz. Die untere Platte ist die fertige Deckenuntersicht.
Um diese helle Untersicht in Fichte völlig ruhig und ungeteilt zu erhalten, sind auch die bis zu 72cm breiten Hauptträger in die Deckenhöhe integriert.

Neben der schnellen, einfachen Montage und der speziellen Materialwirkung hat diese Holzplatte noch den Vorteil, dass sie keine Kältebrücke bildet und kontinuierlich durch die Glaswände der Stirnfronten in die Auskragungen der Vordächer hinauslaufen kann. Der ganzheitliche, zusammenfassende Effekt der Dachplatte hat eine weitere konkrete Wirkung, indem sie als statische Scheibe auch das ganze Gebäude stabilisiert.

In Tirol hat im letzten Jahrzehnt MPreis Maßstäbe gesetzt. In den Wettbewerb um die attraktivsten Verbrauchermärkte steigt in Vorarlberg jetzt Sutterlüty ein, und der im Ländle gut positionierte Nahversorger kann immerhin auf eine Pioniertat in der Branche verweisen, den phänomenalen Kirchpark in Lustenau.

Schon bei der Mehrzahl der MPreis-Bauten und erst recht beim Kirchpark spielten weitgespannte Tragwerke in Holz eine wesentliche Rolle. Bei der nun anlaufenden Serie mittelgroßer Märkte werden Qualitäten und Möglichkeiten moderner Holzkonstruktion noch straffer in ein neu formuliertes Gesamtkonzept eingebunden. Sutterlüty setzt hier ganz klar auf einen Paradigmenwechsel. Die kundenfreundliche Funktionalität, das innenräumliche Image der Hallen, wird zum gestalterischen Hauptkriterium. Aus dem »Supermarkt« soll wieder der ursprüngliche »Markt« werden, d.h. der tägliche oder wöchentliche Einkauf soll in einem Ambiente räumlicher Übersichtlichkeit und Offenheit stattfinden, das von den bisher gepflogenen Maximen entschieden abgeht. Beim neuen Sutterlüty in Weiler werden die Kunden in diesem Sinn gleich beim Eintritt von einem inneren Platz empfangen, einer »Erlebniszone« mit duftender Cafe-Bar, daran anschließend die in einzelne »Standeln« aufgegliederte Frische-Abteilung, die reich differenzierte, für die optische, haptische oder olfaktorische Wahrnehmung klar portionierte Bereiche bildet. Und dieser zentrale Marktplatz führt in die Tiefe einer möglichst hellen, weiten Halle, in der dann Regale nur mehr als relativ kurze, gut überblickbare und durch Richtungswechsel aufgelockerte Pakete den Weg zurück zu den Kassen strukturieren.

Mehr denn je ist also ein Tragwerkskonzept gefragt, das dieser inneren Freiheit und lokalen Individualisierung optimale Spielräume gibt, das mit möglichst wenig verschiedenen Standardelementen für die einzelnen Standorte variiert werden kann. Eine Konstruktionsart jedenfalls, die zudem ökonomisch ist, nachhaltig, und die der lebhaften »Performance« des Warenbereichs, die sich in Augen- und Griffhöhe abspielt, einen möglichst ruhigen Hintergrund bietet.

In Weiler materialisierte Hermann Kaufmann aus all diesen Gründen die Hallendecke als optisch dominierende Raumfläche besonders homogen, als neutralen und zugleich stimmungsgebenden »Fond« des Ganzen. Die 47cm starke Dachplatte, ca. 1.500m² groß, überdeckt in 5 m Höhe gleichsam monolithisch den Innenraum mit Auskragungen in den Außenraum bei Eingangsfront und Lieferrampe. Diese Platte ist ein Gefüge aus Hohlkastenelementen, gespannt zwischen den seitlichen Außenwänden und Hauptträgern aus Brettschichtholz, die über zwei Reihen von Stahl-Pendelstützen die Last im Innenraum abtragen. Die Spannweite der Hohlkästen beträgt zur Hälfte ca. 14 m, im übrigen Bereich (trapezförmiger Grundriss) kontinuierlich bis auf 8 m verkürzt. Die vorgefertigten Teile sind beidseitig mit Dreischichtplatten beplankt und haben Rippen aus Brettschichtholz. Die untere Platte ist die fertige Deckenuntersicht.
Um diese helle Untersicht in Fichte völlig ruhig und ungeteilt zu erhalten, sind auch die bis zu 72cm breiten Hauptträger in die Deckenhöhe integriert. Die Beleuchtung ist von der Decke abgehängt und bewusst direkt der Ladenzone zugeordnet.

Neben der schnellen, einfachen Montage und der speziellen Materialwirkung hat diese Holzplatte noch den Vorteil, dass sie keine Kältebrücke bildet und kontinuierlich durch die Glaswände der Stirnfronten in die Auskragungen der Vordächer hinauslaufen kann. Der ganzheitliche, zusammenfassende Effekt der Dachplatte hat eine weitere konkrete Wirkung, indem sie als statische Scheibe auch das ganze Gebäude stabilisiert. Die seitlichen Längswände sind Holzrahmenkonstruktionen mit innerer Beplankung aus OSBPlatten (rötlich gefärbt, abgestimmt mit der rot durchgefärbten, monolithischen Bodenvergütung) und einer äußeren Schicht aus diffusionsoffenen Holzwerkstoffplatten. Die zur Durchzugstraße geschlossene Westfassade hat als Außenverkleidung stehend montierte Akazienbretter - ohne die üblichen Keilzinken in den vom Werk verschieden gelieferten Längen verarbeitet und mit bündigen Querleisten zusammengefasst. Die solcherart subtil texturierte Wand wird gleichmäßig verwittern und den benachbarten Betonwänden des Friedhofs und Kirchenvorplatzes (Marte/ Marte) adäquat und ephemer antworten.

Kaufmann hat das gesamte System natürlich auch für und aus dem örtlichen Kontext optimiert. Der Markt schließt südlich an Kirche und Friedhof von Weiler an, bildet zwischen der Halle und den etwas höherliegenden Friedhofsmauern einen beschatteten Parkplatz - einen neuen Freiraum im Ortskern. Weitere Sutterlütys dieser Art, lokal maßgeschneidert, sind in Planung.

zuschnitt, So., 2003.06.15



verknüpfte Bauwerke
Sutterlüty Markt



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 10 Werkhalle Holz

15. Juni 2003Otto Kapfinger
zuschnitt

Veränderbarkeit versus Bauen für die Ewigkeit

Das in Holz und Stampflehm ausgeführte Gebäude dient einer Druckerei mit rund 60 Mitarbeitern. Sie gliedert sich in die große Maschinenhalle und den zweihüftigen Verwaltungstrakt, der an die südliche Längsseite der Halle anschließt. Die Büros und sonstigen Funktionsräume teilen sich in eine zwei- bis dreigeschoßige Nordspange und eine zweigeschoßige Südspange. Als Erschließung dient eine zentrale Flur- und Aufenthaltszone.

Das in Holz und Stampflehm ausgeführte Gebäude dient einer Druckerei mit rund 60 Mitarbeitern. Sie gliedert sich in die große Maschinenhalle und den zweihüftigen Verwaltungstrakt, der an die südliche Längsseite der Halle anschließt. Die Büros und sonstigen Funktionsräume teilen sich in eine zwei- bis dreigeschoßige Nordspange und eine zweigeschoßige Südspange. Als Erschließung dient eine zentrale Flur- und Aufenthaltszone.

In Zeiten des raschen Wandels wird das Veränderbare zur Qualität, auch in betrieblichen Strukturen. Der konstruktive Holzbau erfüllt durch die Freiheit der Wandpositionierung den Anspruch an Flexibilität eines Bauwerks wie kein anderes Material. Die Primärkonstruktion der Halle ist aus schichtverleimtem Fichtenholz. Das Dach ist innen mit Akustikelementen bedämpft, Pufferzone sind das Galeriegeschoß und der Sanitärteil. Die Büros im Dachgeschoß sind akustisch weitgehend vom lärmigen Druckbereich entkoppelt, unter anderem durch Sandschüttungen. Das Gründach über der Werkshalle ist als Warmdach ausgeführt. Die Architekten entwickelten niedrige, öffenbare Dachfenster zur zusätzlichen Belichtung der Druckhalle von oben.

zuschnitt, So., 2003.06.15



verknüpfte Bauwerke
Bürohaus und Druckhalle Gugler in Prielach



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 10 Werkhalle Holz

15. Juni 2003Otto Kapfinger
zuschnitt

Produktionshalle Ökohaus in Ludesch

Das Produktionsgebäude der Vorarlberger Ökohaus GmbH ist Ausdruck der Leidenschaft seines Erbauers, alle Fragen des Bauens grundsätzlich zu überdenken...

Das Produktionsgebäude der Vorarlberger Ökohaus GmbH ist Ausdruck der Leidenschaft seines Erbauers, alle Fragen des Bauens grundsätzlich zu überdenken...

Das Produktionsgebäude der Vorarlberger Ökohaus GmbH ist Ausdruck der Leidenschaft seines Erbauers, alle Fragen des Bauens grundsätzlich zu überdenken und sich nie damit zufriedenzugeben, etwas nur deshalb zu tun, weil es der Konvention entspricht. Daraus entsteht ein Bauwerk, das im besten Sinn Fragen aufwirft und Diskussionen auslöst.
Das Tragwerk besteht aus am Fuß eingespannten Rundholzstützen, die ein Dach aus Schalenelementen tragen. Die Rundholzstützen sind in einer modernen Umsetzung der Herstellungstechnik der mittelalterlichen »Teuchelrohre« ausgebohrt und anschließend technisch getrocknet worden - somit sind sie weitgehend rissefrei und formstabil. Im selben Bestreben, Holz möglichst direkt, mit minimaler Bearbeitung einzusetzen, wurden für das Dach 8cm dünne, zweilagig gekreuzte Schalenelemente entwickelt, die aus sägerohen Brettern bestehen.

Bei dieser Konstruktion kommen die hervorragenden Eigenschaften des Holzes bei Druckbeanspruchung voll zur Geltung. Mit dem Innovationspreis 2001 hat die Jury die gedankliche Arbeit anerkannt, die dem Ökohaus- Produktionsgebäude zugrunde liegt und den Mut, diese Gedanken auch Wirklichkeit werden zu lassen.

zuschnitt, So., 2003.06.15



verknüpfte Bauwerke
Produktionshalle Ökohaus in Ludesch



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 10 Werkhalle Holz

18. Oktober 2002Otto Kapfinger
ORF.at

Das Cockpit des Baumeisters

Der Bauherr ist vom Fach. Er führt ein alteingesessenes Unternehmen in einer Kleinstadt im Zentrum von Niederösterreich. Der Ort ist geprägt durch ein...

Der Bauherr ist vom Fach. Er führt ein alteingesessenes Unternehmen in einer Kleinstadt im Zentrum von Niederösterreich. Der Ort ist geprägt durch ein...

Der Bauherr ist vom Fach. Er führt ein alteingesessenes Unternehmen in einer Kleinstadt im Zentrum von Niederösterreich. Der Ort ist geprägt durch ein wunderbares Barockstift, ist auch als Industriestandort bekannt, liegt kulturell etwas im Windschatten großer Nachbarn - elf Kilometer südlich die Landeshauptstadt St. Pölten, doppelt so weit im Norden das regionale Kulturzentrum Krems.

Die Firma Stelzer macht vieles in der prosperierenden Umgebung Herzogenburgs, vom Tief- und Brückenbau bis zur Einreichplanung für Häuselbauer. Für den Neubau des Firmensitzes holte Stelzer als Entwerfer Franz Sam aus Krems, mit dem er vorher bei Innenausbauten kooperiert hatte. Das Resultat, von den eigenen Bauleuten ausgeführt, ist in seinem Umfeld sensationell, ein kühner Sprung über viele Jahrzehnte und Traditionen hinweg ins 21. Jahrhundert. Am Rand der Kleinstadt entstand über dem Arsenal des Alltäglichen ein Manifest des Möglichen.


Aufgestapelt

Sam stapelte an der östlichen Böschungskante drei funktionell, konstruktiv und gestalterisch differenzierte Zonen übereinander. Belegschaftsräume, Garderoben, Schauraum für Materialien und Archiv bilden den kompakten Sockel an der Böschung, gleichsam das massive Widerlager im Abhang; darüber strahlen die Büros vom Straßenniveau als räumliche Kragbalken weit in die „Grube“ des Geländes hinaus, überdachen auch den Vorplatz der Sockelzone.

Quer über die Hauptzone erhebt sich als Abschluss und als Transformation des alten Firmenlogos - ein „fliegender“ Ziegelstein - das Cockpit des Baumeisters. Es ist das persönliche Studio Stelzers, Atelier und Besprechungsplatz mit Nebenräumen, etwas abgeteilt vom Tagesgeschehen.

Die drei Zonen sind wie gesagt einerseits durch Konstruktion, Material und verglaste Lichtschneisen scharf differenziert. Zugleich sind sie durch übergreifende Bewegungsräume und „innere Fenster“ in allen drei Raumachsen vielfältig verbunden. Sämtliche Bauteile sind statisch/plastisch intensiv durchgearbeitet, sind für Gewichtsersparnis und optische Leichtigkeit auf ihre Essenz getrimmt.


Hohe Schule

Alles an diesem körperhaft und räumlich modellierten Bau demonstriert die wechselseitige Durchdringung, Herausforderung und Ausbalancierung technischer, statischer und gestalterischer Vision. Wie ein Baumeister im Pakt mit einem versierten Gestalter Beton, Glas und Stahl aus der strengen Sachlichkeit in eine Hohe Schule baukünstlerischer Sinnlichkeit steigern kann, das zeigt auch der subtile Tanz der verschiedenen Betonstützen unter der als Durchlaufträger konzipierten Hauptebene.

Die verhaltene Expressivität dieser „Propyläen“ am Zugang für Kunden und Belegschaft spiegelt statische Kraftlinien und funktionelle Details. Die hinteren beiden sind im Winkel gestellte Scheiben, „führen“ auch den Eintritt zum Schauraum; nahe dem Eingang sind alle ihre Kanten „entschärft“ und gerundet.


Einschlägige Vorbildung

Franz Sam ist schon länger in der Szene in und um Wien unterwegs, mit den eigenen Arbeiten bisher wenig bekannt. Zehn Jahre hat er als Projektleiter bei Coop Himmelb(l)au einige spektakuläre Entwurfsideen in der konstruktiven Umsetzung betreut.

Sam entwirft und bespricht seine Projekte am liebsten mit dem Vierfarbenstift. Mit kalligrafisch hingeschriebenen Diagrammen bringt er Prinzipien, Kraftlinien, Gelenke und Raumquerschnitte eines Projektes auf den Punkt. Seine Linien sind federnd - wie schwarze, rote, blaue Pfeilschüsse im weißen Raum des Papiers.

In jeder Kreuzung, jeder Überlagerung der Farben schwingt das Gefühl für Tragen und Lasten mit, antizipiert sich das Bündeln, Spannen und Abfließen von Kräften. Schon in der Baufachschule war sein ungewöhnliches ingeniöses Talent aufgefallen. Seine Freude an der Komplexität von Baustatik, sein Faible für die optische Entlastung scheinbar schwerer Körper hat sich von der abstrakten, mathematischen Ebene in den sinnlich-projektiven Raum weiterentwickelt.

Der Bürobau Stelzer setzt in seinem Oeuvre einen Markstein, im lokalen Kontext einen Meilenstein.


[ Tipp: Franz Sam zählt zu einem jener zehn Architekten, die in der dritten Staffel von emerging architecture ab 20. November im Architektur Zentrum Wien zu sehen sein werden.
Den ungekürzten Originalbeitrag von Otto Kapfinger finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift. ]

ORF.at, Fr., 2002.10.18



verknüpfte Bauwerke
Bürogebäude Stelzer

15. September 2002Otto Kapfinger
zuschnitt

Angemessene Schwere

Das idyllisch zwischen Kastienbäumen am See gelegene Seminarzentrum der Architekten Meili&Peter öffnet sich seiner ansprechenden Umgebung durch großzügige Glasflächen. Der hohe Foyerbereich, in zwei Bereich gegliedert, wird von einem Dach, das 13 m auskragt, überdeckt. Im unteren Foyer und dem anschließenden Forum tragen große Balken aus Holz-Leimbindern die Decke und ermöglichen die stützenfreie Glaswände nach außen. Geteilt und statisch getragen, werden diese zwei repräsentablen Räume durch eine Betonwand, auf der die vorgespannten Balken aufliegen. Die Profile der Verglasung spannen die Konstruktion nach unten und fungieren als Zugbänder im Foyer. Beim anschließenden Forum spannen runde Stahlstützen die Balken ab - können dort aber auch Zugkräfte aufnehmen.

Das idyllisch zwischen Kastienbäumen am See gelegene Seminarzentrum der Architekten Meili&Peter öffnet sich seiner ansprechenden Umgebung durch großzügige Glasflächen. Der hohe Foyerbereich, in zwei Bereich gegliedert, wird von einem Dach, das 13 m auskragt, überdeckt. Im unteren Foyer und dem anschließenden Forum tragen große Balken aus Holz-Leimbindern die Decke und ermöglichen die stützenfreie Glaswände nach außen. Geteilt und statisch getragen, werden diese zwei repräsentablen Räume durch eine Betonwand, auf der die vorgespannten Balken aufliegen. Die Profile der Verglasung spannen die Konstruktion nach unten und fungieren als Zugbänder im Foyer. Beim anschließenden Forum spannen runde Stahlstützen die Balken ab - können dort aber auch Zugkräfte aufnehmen.

Das Hinuntersteigen vom oberen Sitzbereich des Seminartrakts in den doppelt so hohen, völlig verglasten Foyerbereich intensiviert noch die Erscheinung der riesigen Kronen der Kastanienbäume, die mitten im Raum zu stehen scheinen und die zwischen sich nun den unvermuteten Prospekt von Villa und See präsentieren. Oberes und unteres Foyer werden von derselben, über die Glasfassaden auskragenden Dachplatte überdeckt. Im Bereich des unteren Foyers und des anschließenden Forums, des großen Saales, wird die Decke jedoch von mächtigen Holz-Leimbindern getragen, die ohne Unterstützung und mit gleichbleibendem Querschnitt über die Glaswände hinweg in den Außenraum vorstoßen.

Was man vom Foyer aus sieht, ist Erde, Kies, Stein, Gras, Laub, Stämme, Äste, Wasser, Luft. Das Foyer selbst ist im wesentlichen aus der technischen Transformation dieser Stoffe gebaut: Terrazzo, Beton, Glas und – Schichtholz. Vor allem diese mächtigen Träger sind nun keineswegs selbstverständlich. Der besondere Ort rechtfertigt aber das gestalterische Extrem, dessen konstruktive Komplexität hintergründig bleibt, da sie dem Erreichen einer spezifischen, dem Konstruktiven übergeordneten Wirkung dient. Die Träger überspannen wie gesagt nur die hohen Räume – unteres Foyer und Forum; diese funktionell zentralen Bereiche liegen beiderseits einer raumhältigen Betonwand, die das statische Rückgrat des ganzen Seminartraktes bildet. Im niedrigeren Annex, dem oberen Foyer, wäre zwar dieselbe Spannweite der Auskragung gegeben. Hohe Träger hätten dort aber die Raumproportion erdrückt. Zudem liegen in diesem Abschnitt auf der anderen Seite der Beton-achse nur untergeordnete, kleinteilige Räume.

Das obere Foyer hat generell eine andere, weniger dynamische Wechselwirkung mit dem Park, auch die Glasteilung (und Möblierung) ist hier anders als im unteren Foyer, das sozusagen in voller Höhe und über Eck den Dialog zwischen Innen und Außen exklusiv inszeniert. Die großen Balken geben dort dem hohen, der Weite des Umraums voll ausgesetzten Raum den entsprechenden Rhythmus und Halt. Sie bilden ein Gegengewicht zum dunklen Beton-Monolith der Mittelwand, sie erzeugen einen mächtigen horizontalen Sog zwischen Drinnen und Draußen und ermöglichen die fast entmaterialisierte, stützenfreie Glaswand und Glasecke. Die vorgespannten Holzbalken erstrecken sich in einem Stück über Forum und Foyer, liegen auf der Mittelwand auf, kragen am Foyer 13 m weit aus, wobei hier die Profile der Verglasung als Zugbänder das Ganze wieder nach unten verspannen, während beim Forum runde Stahlstützen im Luftraum der dort zweischaligen Verglasung die Balken abspannen, dort aber auch Druckkräfte aufnehmen können.

Das Ganze wäre wohl prinzipiell auch in Beton denkbar gewesen. Warum also Holz? Auch wenn Holz größere Dimensionen erfordert, wirkt es optisch leichter. Und Masse war bei dieser Raumkonstellation kein Nachteil, sondern gestalterisch erwünscht. Die Holzträger belassen auch die Beton-Rückwand und den mit Zement gebunden Terrazzo des Bodens in ihrer jeweiligen Autonomie, schaffen ein lebhaftes Spiel zwischen den unterschiedlichen statischen Primärelementen, zwischen vertikal und horizontal, zwischen Wand und Balken, zwischen dem isotrop Gegossenen und dem homogen Geschichteten, zwischen dem ruhig Stehenden und dem gespannt Darübergelegten.

Weiters war mit Holz der thermische Übergang beim Vordach viel einfacher und eleganter lösbar und konnten die Balkenuntersichten im Saal akustisch und optisch pur in dem dort noch anspruchsvolleren Raumcharakter mitspielen. Und schließlich: Veranden zum Garten sind im kollektiven Gedächtnis immer noch als Holzvorbauten mit großen Glasfenstern abgespeichert. Meili&Peter rühren vielleicht an diese Erinnerung. Der Typus ist jedoch vollkommen neu dargestellt und unsentimental in die Wirkung modernster Holzbautechnologie übergeführt, wo flächige Schichtungen, Vorfertigung enormer Teile und statische Ausreizung mit Vorspannung und dergleichen eine ganz neue Grammatik des Materials und seiner Ausstrahlung erzeugen.

Und zu allerletzt, im Hinblick auf die vorhin erwähnte asymmetrische Spiegelung der Stofflichkeit zwischen Umraum und Veranda: Wäre nicht auch denkbar, die großen Holzträger als das stofflich entsprechende, technisch und tektonisch transformierte Rahmenwerk für das damit aufbereitete Bild der mächtigen Kastanienstämme zu verstehen?

zuschnitt, So., 2002.09.15



verknüpfte Bauwerke
Seminarzentrum und Gästehaus



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 07 Leicht und schwer

15. Dezember 2001Otto Kapfinger
zuschnitt

Lebens- und Patinafähigkeit im Holzbau

Fünf zwei- bis dreigeschoßige Häuser in Holzskelettbauweise mit verglasten Veranden sind durch einen gedeckten Innenhof verbunden, an dem die Eingänge und Gemeinschaftsräume liegen.

Fünf zwei- bis dreigeschoßige Häuser in Holzskelettbauweise mit verglasten Veranden sind durch einen gedeckten Innenhof verbunden, an dem die Eingänge und Gemeinschaftsräume liegen.

Wir wandern durch das nagelneue Haus Helbock der Cooperative in Koblach. Es ist 1981 die erste Architekturexkursion aus Wien zur »Vorarlberger Bauschule«. Am Rand des Grundstückes, etwas auf Distanz, stehen Vorarlberger Kollegen, Purin, Wäger, Gnaiger, deren Bauten wir ebenfalls sehen werden. Ich habe die Hausrunde beendet und trete zu ihnen, und Hans Purin erklärt gerade, nicht unheftig: »So bringen sie den Holzbau in Verruf!« Er weist auf die untere westliche Ecke, wo der Fußpfosten der Holzkonstruktion nahe der Grasnarbe ganz offen auf dem Betonunterbau aufliegt.

Auf dieser Reise sah ich erstmals die Bauten der 1. und 2. Generation der Vorarlberger Baukünstler, und in dem Satz Purins lag nicht nur fachliche Kritik, er verdeutlichte auch eine scheinbar periphere, doch klare Differenz zwischen den Älteren und den Jüngeren- speziell der Cooperative. »Im Fang« in Höchst war damals ganz neu, ganz in leuchtendes, unbehandeltes Fichten- und Kiefernholz gehüllt, und ich verhehle nicht, dass diese unbekümmerten, offenen Baustrukturen mich damals stärker berührten, als die ebenfalls so feingliedrigen, doch gediegener ausgeführten Arbeiten von Purin oder Wäger.

Fast zwei Jahrzehnte später besuchte ich nochmals »Im Fang« und andere kollektive Siedlungen vom Beginn der 80er Jahre. Nach den Gründerfamilien lebten hier offenbar bereits Zweit- oder sogar Drittnutzer. Die Anlagen waren mit Patina, mit den Spuren des Lebens, des Alltags und der Aneignung geradezu gesättigt. Man konnte sehen, dass da und dort auch Schäden entstanden waren, dass verändert und weitergebaut worden war, dass es zusätzlich Abdeckungen gab, dass Teile erneuert und andere erneuerungsbedürftig waren. Doch der unprätentiöse, der offene, räumliche Charme dieser Bauten hatte noch dazugewonnen. Diese Bauten waren »lebendige«, sichtbare »Zeitspeicher«, und es stimmte fast wehmütig, dies mit dem zu vergleichen, was 15 Jahre später von denselben Architekten nun in großer Stückzahl mit Bauträgern für die anonyme Mittelschicht gebaut wurde.

Die Frage nach der einfachen, rohen Bauweise als ästhetisches Konzept oder nach der Lebens- und Patinafähigkeit im Holzbau führt in diesem Zusammenhang zurück auf Purins Bemerkung und jene Distanz, die da zu seinen »Nachfolgern« sichtbar wurde. Purin und auch Wäger, der ja gelernter Zimmerer war, hatten mehr als ein Jahrzehnt gekämpft, um den Holzbau für die mittlere und untere Mittelschicht überhaupt wieder salonfähig zu machen, um die Vorurteile gegen das bäuerliche, billige, erhaltungsaufwendige, wenig prestigeträchtige Material mit ihren Beispielen zu entkräften. Konstruktiver Holzschutz und Detailsorgfalt waren dabei enorm wichtig, gerade in der alemannischen Gesellschaft, die extrem auf Sauberkeit, Ordnung, Tüchtigkeit, Effizienz etc. orientiert ist.

Für die nächste Architektengeneration waren andere Werte wichtig. Eberle & Co wollten schnell etwas bauen, schon während des Studiums, wollten billig bauen, wollten gemeinschaftlich bauen und wohnen. Holz war dazu das Naheliegendste, dem Selbstbau, der Bastelei, der leichten Veränderbarkeit, dem Lebensgefühl der Nach-68er adäquat. Diese Generation wollte sich nicht in fein geputzten, ordentlich jedes Jahr neu gestrichenen Häuschen einnisten. Man wollte kollektiv, alternativ leben, selbstbestimmt, die Ressourcen schonen, nomadisch und »natürlich« sein. Baubiologie war eher unbekannt. »Im Fang« hatte jede Menge an Spanplatten und am Dach Asbestwellplatten. Perfektion war kein Ideal, Langlebigkeit eine kleinbürgerliche Zwangsvorstellung. Nicht Wachsmanns Holzbaubuch war hier die Bibel, viel eher die »Handmade Houses« und »Shelter« - Kataloge der amerikanischen Dropout-Bewegung.

Speziell die Cooperative lag mehr auf der subversiven, pfiffigen Linie von Walter Segal. Selbstbau, einfachste Details ohne komplizierte Maschinen und Verfahren war die Devise: Veränderlichkeit in jeder Hinsicht war ein größerer Wert als Beständigkeit, das Zelt als Metapher lag viel näher als die Villa. Holz war dieser Generation ein Mittel zum Zweck, keine Weltanschauung, schon gar keine regionalistische. Als die Cooperative sich größeren Aufgaben zuwandte, wurde Holz fallengelassen und massiv gebaut. Dieser Pragmatismus im Idealismus der Jugendjahre war - aus meiner heutigen Sicht - die noch stärkere, die wirkliche Triebfeder.

zuschnitt, Sa., 2001.12.15



verknüpfte Bauwerke
Siedlung Im Fang



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 04 Holzaltern

10. Juli 1997Otto Kapfinger
ORTE

Baukultur und Öffentlichkeit

Wie jede Eßkultur, Trinkkultur, Kleidungskultur oder Sprachkultur ist auch die Baukultur eine Sache der Übereinkunft. Sie ist eine Konvention in dem Sinne, daß sich eine durch ihre Anzahl oder durch ihre Position ausschlaggebende Gruppe darüber klar und einig ist, was zu solcher Kultur gehört und was nicht. Kultur entsteht in der Übereinkunft der Formen, entsteht und vollzieht sich in der Setzung und im Gebrauch von Regeln, wie Menschen mit sich, miteinander und mit den Dingen umgehen.

Wie jede Eßkultur, Trinkkultur, Kleidungskultur oder Sprachkultur ist auch die Baukultur eine Sache der Übereinkunft. Sie ist eine Konvention in dem Sinne, daß sich eine durch ihre Anzahl oder durch ihre Position ausschlaggebende Gruppe darüber klar und einig ist, was zu solcher Kultur gehört und was nicht. Kultur entsteht in der Übereinkunft der Formen, entsteht und vollzieht sich in der Setzung und im Gebrauch von Regeln, wie Menschen mit sich, miteinander und mit den Dingen umgehen.

Übereinkunft oder Konvention kann nun auf verschiedene Weise entstehen. Eine mögliche Voraussetzung dafür liegt in sehr eng gefaßten Randbedingungen, etwa in einem Mangel an Mitteln und Materialien. Je eingeschränkter die natürlich oder künstlich gegebenen Möglichkeiten sind, um so eher wird sich eine Übereinkunft herstellen, da ja von vorneherein nur sehr wenige Faktoren im Spiel sind. Not macht Kultur, könnte man sagen, und kritische Historiker werden aus ihrer Sicht ergänzen: Die Not der vielen machte und macht auch die (Hoch)Kultur der wenigen.

Wenn beispielsweise nur Holz oder nur Stein als Baumaterial zur Verfügung steht, wenn das Material kostbar und schwierig zu gewinnen ist, genauso wie das urbare Land, dann entsteht Baukultur. Sämtliche „anonymen“ Baukulturen, bäuerliche oder städtische Lehm-, Holz- oder Steinarchitekturen sind, vereinfacht gesagt, unter den Bedingungen des Mangels entstanden, die zur Komplexität in der Überlegung und Planung gezwungen haben und zu Rationalität, Rücksichtnahme und Einfachheit - nicht Primitivität! - im Resultat führten.

Ein kluger Baugeschichtler hat diesen Umstand einmal resignativ - oder zynisch, wie man es eben sehen will - so beschrieben: „Baukultur, vielmehr ihre Reste, gibt es heute nur noch in Entwicklungsländern“. Mangelnde Prosperität war auch einer der Gründe, warum eben in Teilen des Waldviertels oder des Burgenlandes große anynome Ensembles lange erhalten geblieben sind.

Baukultur kann auch sozialhierarchisch von oben nach unten durch Reglementierung entstehen, wenn diese von entsprechend klaren Vorstellungen geprägt ist und als Abdruck der Zeit und der Verhältnisse wirkt. Es ist vielleicht zuwenig bekannt, das etwa das so hoch geschätzte barocke Antlitz der Wiener Altstadt durch eine streng geregelte Überarbeitung des Hausbestandes entstanden ist, daß da - wie auch in anderen Städten - eine eigener Hofkommissär für die Durchführung der Baubestimmungen sorgte. Es war dies eine höfisch-absolutistische Regelung, die eine „moderne“, dynamische Umwandlung der alten Stadt bezweckte und ihr einen der Zeit gemäßen, neuen Ausdruck geben sollte.
Unsere gegenwärtige zivilisatorische Situation ist freilich geprägt von den Merkmalen des Überflusses an Materialien, Mitteln und Informationen, von der Vielfalt und scheinbaren Grenzenlosigkeit der technischen Verfahren, von einer relativ großen Freiheit des sozialen und auch formalen Vermögens.

Es entspricht der statistischen Wahrscheinlichkeit und der täglichen Erfahrung, daß sich durch eine Vermehrung der möglichen Faktoren die Bandbreite aller Übereinkunft verringert, noch dazu, wenn geistige oder kultische Momente als Stimulanz und Instanzen in den Hintergrund treten.

Baukultur im klassischen Sinne einer klaren, allgemein verbindlichen Übereinkunft ist unter heutigen Bedingungen nicht mehr möglich. Ein Wiener Kunsthistoriker hat analog dazu kürzlich gesagt: „Es gibt keine objektive, verbindliche Kunstgeschichte mehr. Es gibt nur mehr viele verschiedene Kunstgeschichten, wobei die objektive Aussagekraft jeder spezifischen Geschichte an die Offenlegung, an die Vermittelbarkeit der jeweils vorausgesetzten Parameter gebunden ist.“
Das gilt, modifiziert, heute auch für die Architektur. Allen einschlägigen Deutungsversuchen, Kodifizierungsanstrengungen zum Trotz, auch allen gutgemeinten Reformbemühungen zum Trotz - es gibt im 20. Jahrhundert keinen verbindlichen, epochalen Baustil mehr.

Es gibt eine immer breiter aufgefächerte Palette von konkurrierenden, widersprüchlichen Strömungen, es gibt eine immer klarer erkennbare Fülle von Personalstilen der großen Baukünstler, die - je näher man sich mit ihnen befaßt, umso klarer aus allen normativen Einteilungen herausfallen. Die relative Verbindlichkeit historischer Epochen hat ihr Äquivalent nur mehr in der Objektivierbarkeit von subjektiv formulierbaren Qualitäten.

Genau da liegt auch das Problem. Wir haben heute ein fantastisches Bukett von architektonischen Einzelleistungen, wir haben daneben eine völlig heterogenisierte Kultur des anonymen Bauens, wir haben ein ganzes Panorama hochinteressanter theoretischer und technologischer Ansätze zur Baukunst, die aber einer breiteren Schicht von Betroffenen, von Auftraggebern, Bauherren oder mit dem Bauen befaßten Instanzen nicht wirklich zugänglich sind.
Ich bin kein Kulturpessimist, im Gegenteil. Ich meine, wir erleben heute eine Hochblüte der Architektur - aber eben nicht mehr im Sinne eines Epochalstiles. Und zugleich erleben wir eine Phase von ungeheuerlichen, weitreichenden Banalisierungen und Fehlplanungen, weil eben so viel gebaut wird wie nie zuvor, ohne daß es adäquate, steuernde Konventionen dafür gäbe.

Industrialisierung und Demokratisierung haben ein Entwicklung in Gang gesetzt, die unumkehrbar ist. Machen wir uns keine Illusionen. Aus den verschiedensten Schichten und mit unterschiedlichsten Motiven beklagt man heute den Verlust von Baukultur, und man sieht die Unübersichtlichkeit der zeitgenössischen Produktion meist nur durch die nostalgische Brille der Vergangenheitsverklärung.

Es ist völlig absurd, die Harmonie alter Bautypologien, alter Bauensembles heute zu beschwören - Qualitäten, die nicht zuletzt ja erzwungene waren, wenn wir uns doch zu einem gesellschaftlichen System bekennen, das den Individuen mehr Freiheit als jedes andere politische System zuvor verspricht und auch ermöglicht. Es ist eigentlich paradox, wenn wir als Kulturkritiker und Architekten das „Chaos“ der baulichen und städtebaulichen Erscheinungen der Gegenwart kritisieren, wo diese doch auch ein genuiner Ausdruck exakt jener kulturellen Entwicklung sind, der auch wir unseren spezifischen Freiheitsbegriff für künstlerische Qualität verdanken.

Es kann nicht mehr so werden wie im Barock oder im Biedermeier. Wenn wir die Kohärenz historischer Baukultur für heute einklagen, wenn alles so bleiben soll oder wieder werden soll, wie es damals war, -wenn es überhaupt so war, wie wir es gemeinhin heute sehen -, dann müßte sich alles, aber wirklich alles ändern. Und das wäre eine absolut regressive Utopie. Wir sollten aber wissen: Zeit und Evolution sind unumkehrbar.

In einer industriealisierten Demokratie kann Baukultur nicht mehr per Hofdekret verordnet werden. In einer Überflußgesellschaft ist Mangel als kultureller Homogenisierungsfaktor nicht mehr nachvollziehbar. In einer arbeitsteiligen Welt werden die bestgemeinten Regelwerke von Bauordnungen und Baunormen in der babylonischen Vielschichtigkeit des Alltäglichen in ihren Auswirkungen zwangsläufig zur Karikatur ihrer Absichten.

Diese offenkundigen kulturellen Paradoxien unserer Demokratie sind den Begriffen der Aufklärung - Toleranz, Gleichheit, Freiheit - bereits von vorneherein eingeschreiben. Und das heißt weiters, daß die individuelle Freiheit, wie sie unsere Gesellschaft anstrebt, sich ins Gegenteil verkehrt, wenn sie nicht auf einer höheren Ebene die Spielregeln des Gemeinsinns in entsprechend neuen Konventionen mitdefiniert. Freiheit wird nur dann eine nachhaltige Errungenschaft, wenn sie zugleich auch ihre Grenzen aktiv mitformuliert.

Auf das Bauwesen umgemünzt: Freiheit wird nur dort langfristig zielführend wirksam werden, wo sie das Kriterium der Angemessenheit wesentlich in ihr Programm einbindet. In einer industriellen Demokratie müssen baukünstlerische Entscheidungen von öffentlicher Relevanz in meinungsbildenden Prozessen, in öffentlichen Verfahren immer wieder neu als Konsens zwischen unumgänglichen Widersprüchen gefunden und getroffen werden.

Hier kommt nun die Rolle der Öffentlichkeit ins Spiel, die heute so zentrale Rolle, die hierzulande oft noch unterschätzte Rolle der qualifizierten Information, der sachlich fundierten Auseinandersetzung, an der sich baukulturelle und damit auch kulturpolitische Vorgangsweisen ständig justieren sollten. Um eine konstruktive Auseinandersetzung führen zu können, müssen die Beteiligten zunächst einander verstehen.

Bildung und Kultur beginnen mit dem Artikulieren und mit dem Zuhören, mit dem gegenseitigen, kritischen Verstehen. Gerade in der Welt des Bauwesens gibt es heute soviele verschiedene, meist nicht-kompatible Teilwelten von Spezialisten, von konkurrierenden Ideologien und ganz ungleichzeitigen Niveaus, sodaß eine wesentliche Aufgabe des öffentlichen Diskurses bloß darin bestünde, Mißverständnisse abzubauen und gegenseitiges Verständnis aufzubauen.

Architektur-Fachbeiräte sind dabei eines der Instrumente, bauliche Entscheidungen in einem Gemeinwesen aus der amtlichen Behandlung herauszulösen und zur Qualitätsfindung im Bauen beizutragen. Ihre Aufgabe ist mehrdeutig:
1. die öffentlichen Institutionen in konkreten Baufragen fachlich unabhängig zu beraten,
2. die allgemeine Qualität von Projekten im Hinblick auf Angemessenheit im jeweiligen baulichen und landschaftlichen Kontext zu fordern bzw. zu stimulieren,
3. das qualitativ anspruchsvolle Projekt, das die normativen Kriterien naturgemäß übersteigt, in seiner Realisierbarkeit argumentativ zu unterstützen.

Die periodisch erneuerten Beiräte sind also Anwalt - nicht von schematischen Regeln - sondern einer von Fall zu Fall fachlich spezifisch zu definierenden, zu optimierenden Bauqualität.

Die Erfahrung zeigt übrigens heute, daß das nichtschematische, qualitative Projekt auf Unverständnis stößt, weil es ein Veränderung bedeutet, weil es eine Weiterentwicklung bedeutet.

Jede Weiterentwicklung ist natürlich mit Schmerzen verbunden, weil sie alte Gewohnheiten überschreitet, weil wir gewohntes aufgeben müssen und uns auf neues einstellen müssen. Das ist natürlich anstrengend, aber es hilft nichts. Die Evolution - als ständige Weiterentwicklung - ist nun einmal so.

Beiräte sind also in den vielfach konfligierenden Interessen so etwas wie ein kleines, von lokalen Interessen freies Forum, das diese genannte Anstrengung immer lustvoll fördern, erleichtern, nachvollziehbar begründen, unbelastet weitertreiben sollte.

Die Arbeit von Beiräten wäre im Idealfall ergänzt durch eine mediale Reflexion und Diskussion. Also durch eine kritische Öffentlichkeit, die Medien nicht zum Lobbyismus oder zur Ruhigstellung des „Gesunden Volksempfindens“ mißbraucht, sondern die ihrer Verpflichtung nachkommt, die Öffentlichkeit auf dem höchstmöglichen jeweiligen Niveau mit den zeitgenössischen Fragen und Entwicklungen zu konfrontieren.

In den vielfältigen Bemühungen um eine zeitgemäße, lebenswerte Umwelt sind Beiräte vermittelnde Instanzen zwischen den heute eben - wie skizziert - enorm widersprüchlichen Interessenlagen im Bauwesen demokratischer Gemeinwesen.
Ihr logischer Konterpart als Vermittler wäre gerade dieser Bereich der Medien, wenn diese sich ihrerseits als Anwalt einer aufgeklärten, kritischen Öffentlichkeit begreifen würden.

Das Ziel von Beiräten wäre erreicht, wenn nicht irgendein Stil als lokale Baukultur sich etablieren würde, sondern im Gegenteil, wenn das Gemeinwesen sich kulturell soweit emanzipiert hätte, daß Bauherren und Bauträger, Private und Öffentliche, Genossenschaften und Industrie von sich aus ihre Interessen auf dem jeweils höchstmöglichen Niveau angemessen lancieren würden.

Das Ziel von Architekturbeiräten wäre erreicht - und das ist jetzt vielleicht eine progressive Utopie - wenn Beiräte nicht mehr notwendig sind.

[ Referat, gehalten im Rahmen der Diskussionsveranstaltung „Gestaltung als Standortfaktor - Zur Arbeit des Gestaltungsbeirates in Krems“ am 10. Juni 1997 im Vortragssaal der Kunst.Halle.Krems ]

ORTE, Do., 1997.07.10

11. November 1995Otto Kapfinger
Spectrum

Das Kleine bleibt klein nicht.

Die Krise ist keine akute, sie ist eine permanente – warum das Verhältnis von Politik, Macht und Architektur in Österreich besonders viel Zündstoff enthält.

Die Krise ist keine akute, sie ist eine permanente – warum das Verhältnis von Politik, Macht und Architektur in Österreich besonders viel Zündstoff enthält.

Nicht nur die Avantgardisten beschwören das „Ende der Architektur“. In Zeiten kultureller Desillusionierung gehen jetzt sowohl die großen Bauherren als auch die politischen Entscheidungsträger auf Nummer Sicher: Spektakuläre Projekte werden nur mehr einer Handvoll bekannter Star-Entwerfer anvertraut, deren Image bereits rundum abgesichert erscheint, die also einen probaten Markennamen garantieren. Um alles übrige herrscht – so die Kassandrarufe bei einschlägigen Symposien in Frankfurt, Berlin, London oder Graz – ein immer härter werdender Konkurrenzkampf, der nur die großen Architekturbüros begünstigt; junge Architekten hätten immer weniger Chancen, zumal auch das in den achtziger Jahren sehr offene Wettbewerbswesen zuletzt restriktiver gehandhabt wurde. Architektur – über die noch nie soviel im akademischen Kreis wie in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurde wie heute – also wieder einmal unters Joch wirtschaftlicher, politischer Macht gezwungen? Dazu im folgenden einige Szenen, die solche Befunde bestätigen, aber auch eindeutig in Frage stellen.

Erste Szene. Man erinnere sich an den Wiener Hofburgbrand vor drei Jahren. Dieses Ereignis wurde in den Medien maßlos aufgebauscht – ein Stück österreichischer Identität sei da verlorengegangen, so einige Meldungen, ein Juwel österreichischer Baukunst sei zerstört. In Wahrheit war wohl ein barocker Dachstuhl abgebrannt, darunter aber eine bau- und kulturgeschichtlich unbedeutende Innendekoration des späten 19. Jahrhunderts vernichtet worden. Im Rahmen einer derart emotionalisierten Berichterstattung wurde damals auf höchster politischer Ebene über Nacht und aus dem Stand eine Entscheidung präjudiziert: „Die Hofburg wird wieder aufgebaut, wie sie war.“

Viele profilierte Architekten, aber auch Persönlichkeiten aus anderen Kultursparten haben diese Entscheidung kritisiert. Nach einer gewissen Verzögerung entstand eine zweite mediale Welle, eine sehr lebhafte, über die Printmedien geführte Debatte über Sinn oder Unsinn einer „legitimen Rekonstruktion“ respektive einer „kulissenhaften Geschichtsfälschung“. Das Ganze geschah vor dem Hintergrund der Frage: ob die politischen Entscheidungsträger unserer Republik – wenn es schon um die Identität geht – imstande wären, ein selbstbewußtes Zeichen zeitgenössischer Identität zu setzen, oder ob sich hier das latent Fiktionale unseres landläufigen österreichischen Geschichtsverständnisses auch in einer höchstrangigen baulichen Fiktion – der Rekonstruktion der Redoutensäle – fortsetzen würde.

Robert Menasses Essay „Land ohne Eigenschaften“ war kurz zuvor erschienen. Und vielen von uns ging damals einer der Sätze daraus nicht mehr aus dem Sinn: „Wir haben gesehen, daß das österreichische Prinzip der Realfiktionen alles in diesem Staat affiziert – das Reale wird unwirklich und das Unwirkliche real . . . Österreich hat sich von seiner Geschichte abgeschottet und versucht dennoch, von seiner Musealität zu leben.“

Ich hatte damals – im Frühjahr 1993 – die Gelegenheit, eine von der Österreichischen Gesellschaft für Architektur veranstaltete Podiumsdiskussion zu diesem Thema zu leiten. Neben den Spitzenbeamten des Denkmalamtes, der Landeskonservatorin für Wien und dem Landeskonservator für Niederösterreich, haben an dieser Diskussion einige profilierte Architekten teilgenommen – Hans Hollein, Volker Giencke, Jiri Vendl –, zwei Hochschulprofessoren für Kunstgeschichte – Peter Haiko, Karin Wilhelm – sowie der mit der Rekonstruktion beauftragte Architekt und Denkmalpflege-Professor Manfred Wehdorn.

Rund 600 Interessierte haben die lebhafte, mehrstündige Debatte im damals gerade eröffneten Architektur-Zentrum Wien verfolgt und mitgestaltet. Das Resümee war eigentlich überraschend: Die Denkmalpfleger wie auch die Kunsthistoriker distanzierten sich vom Prinzip der Rekonstruktion, und sogar der damit dezidiert Beauftragte räumte ein, „daß es durchaus zum Einbetten der verbliebenen Substanz in ein neues Konzept kommen könnte“. Von der Euphorie dieser Veranstaltung beflügelt, beschloß ein Teil der Podiumsdiskutanten, das Thema auf höchster politischer Ebene in einem persönlichen Gespräch vorzubringen. Der damalige Vizekanzler und Wissenschaftsminister Erhard Busek – als solcher auch der dem Denkmalamt übergeordnete Politiker – hat einen Termin zugesagt. Und Hollein, Giencke, Haiko, Chramosta und ich sind dort erschienen, mit dem Konzept in der Tasche für die zeitgenössische Neugestaltung der Redoutensäle über ein Gutachterverfahren beziehungsweise einen Architektenwettbewerb.

Busek hat uns an seinem Arbeitstisch empfangen, das Gespräch hatte gerade erst begonnen, da unterbrach der Vizekanzler mit den Worten: „Meine Herren, ich stimme in der Sache inhaltlich völlig mit Ihnen überein. Aber ich eröffne mir keine zweite Front.“ Womit gemeint war, daß er neben dem heftig umstrittenen Projekt Museumsquartier – ebenfalls primär seine Ressorts betreffend – nun den politischen, medialen und per-
sönlichen Gegnern, der „Kronen-Zeitung“ und ihrem Herausgeber et cetera, nicht ein weiteres Kritikfeld eröffnen könne.

Das Gespräch ging dann noch zehn bis 15 Minuten weiter – der Minister dabei ständig Akten durchblätternd und signierend –, über die Frage etwa, ob die Wiener Landeskonservatorin in der Diskussion eine konträre Haltung zu dem geäußert habe, was sie sozusagen dienstlich, offiziell und schriftlich als Stellungnahme dem Minister gegenüber feststellte. Aber nach diesem entwaffnenden, überraschend offenen Bekenntnis des Ministers – Sie haben völlig recht, aber ich muß konträr dazu handeln –, nach diesem Satz war gleichsam die Luft draußen, und selbst so wortgewaltige Personen wie Giencke oder Hollein konnten keinen Ansatz finden, dieses Gespräch wieder aktiv zu machen. Der Faden war gerissen, bevor er sich noch hatte entwickeln können.

Nach kaum 20 Minuten waren wir wieder draußen vor der Tür. Wir gingen die mit rotem Teppich belegten Gänge und Stiegen hinunter auf den kalten, zugigen Minoritenplatz hinaus, blieben aber – wie unter Schock – direkt vor der Toreinfahrt des Ministeriums stehen und haben dort versucht, in einer 45minütigen Gehsteigdebatte wieder Fassung zu gewinnen und die uns eben widerfahrene Paradoxie sozusagen gesprächstherapeutisch aufzuarbeiten. Ein mehrfacher Staatspreisträger für Architektur und Mitglied des Kunstsenats, eine internationale Koryphäe, ein Hochschulprofessor und landesweit anerkannter Architekt der jüngeren Generation, ein international renommierter Kunsthistoriker, mit dem Votum einer großen öffentlichen Fachdiskussion legitimiert – sie waren mit einem dialektischen, realpolitischen Standpunkt ebenso lakonisch wie elegant abserviert worden. Was wir da hautnah erlebt hatten, war die Schizophrenie, die Verstrickung von Macht und Ohnmacht nicht nur eines politischen Subjektes, sondern einer kulturpolitischen Situation in unserem Land schlechthin. Die Politik hatte die Macht, in dem spezifischen Fall eine Vorgangsweise zu diktieren. Sie zeigte zugleich die Ohnmacht, eine objektivierbare persönliche Überzeugung durchzusetzen gegenüber dem Über-Ich der medialen Macht beziehungsweise gegenüber dem Kalkül des realpolitischen Selbsterhaltungstriebes.

Szene zwei. Beim Thema Politik-Macht-Architektur entsteht vielleicht der Eindruck, in der Gegenwart seien die Verhältnisse besonders schlimm: Früher hätte es wenigstens noch Mächtige mit Baugesinnung gegeben – und so weiter. Ich denke, solche nostalgischen Verweise auf die Geschichte sind unzutreffend. Die gloriose Geschichte der Baukunst ist voll von „Vergewaltigungen“ der Architektur durch die Ansprüche potenter Auftraggeber und von Machtkämpfen rivalisierender Baukünstler um die Gunst der Potentaten, sie birgt ein riesiges Schattenarsenal nichtgebauter, aus realpolitischem Kalkül nichtgebauter Architekturen. Die Geschichte bietet in dieser Hinsicht keine heile Welt, sie bietet höchstens Trost gerade darin, daß trotz der Kontinuität unzähliger ähnlicher Bau-Leidensgeschichten immer wieder Baukunst entstanden ist.

Eine solche Kontinuität einer Bau-Leidensgeschichte habe ich vor zwei, drei Jahren am Beispiel eines Wiener Bauplatzes recherchiert. Es ist dies die Projekt- und Baugeschichte der früheren Kunstgewerbeschule, der jetzigen Hochschule für angewandte Kunst in Wien.

Die k.k. Kunstgewerbeschule, eine Gründung des Kulturliberalismus der Ringstraßenära, war von Beginn an zu klein gebaut, um ihrem Auftrag und Anspruch gerecht werden zu können. Heinrich von Ferstel – immerhin ein veritabler Baulöwe seiner Zeit – hat 20 Prozent des geplanten Bauvolumens einsparen müssen. Die vielen Versuche, diesem „Erbübel“ abzuhelfen, sind über all die Jahre hinweg bis zur unmittelbaren Gegenwart in ihrem Schicksal fast austauschbar. Es gab von 1899 bis 1991 mehr als 30 verschiedene bauliche Erweiterungsprojekte zum Teil hervorragender Qualität. Wir haben fünf unbekannte Entwürfe von Josef Hoffmann entdeckt, darunter einen ganz frühen und wirklich revolutionären von 1901, ferner gibt es auch ein Projekt von Heinrich Tessenow – bis herauf zu den Vorschlägen von Hans Hollein und Wilhelm Holzbauer. Das Resümee: Ob es die Probleme des zeitgenössischen Bauens in historischer Umgebung sind, ob es die Zensur der beamteten Architekten über ihre freischaffenden Kollegen betrifft, ob es um die Entscheidungsschwäche der Politik gegenüber Investitionen in die kulturelle Zukunft geht oder um die Unbeirrbarkeit der Bürokratie, deren Mühlen hier vielleicht noch langsamer mahlen als anderswo – diese kleine Jahrhundertgeschichte der Kunstgewerbeschule legt den allgemeinen Schluß nahe, daß wir hier jedenfalls an der Geschichte nichts zu lernen haben, es sei denn, daß sie sich eben irgendwie in spiralförmigen Kreisläufen bewegt – nach dem Schema der Geschichte vom Hasen und vom Igel.

Da gab es etwa den Vorfall, daß ein zweiter Entwurf von Josef Hoffmann – wäre er gebaut worden, sicher heute als „Juwel österreichischer Baukultur“ unter Denkmalschutz –, daß also ein durchgearbeiteter Hoffmann-Entwurf vom Hochbaudepartement des Innenministeriums vernichtend kritisiert und zurückgewiesen wird.

Und dasselbe Hochbaudepartement übernimmt dann diese Hoffmann-Pläne in Grundriß und Schnitt, ersetzt die moderne Architektursprache Hoffmanns jedoch durch eine neue Fassade: Dem Hoffmannschen Baukörper wird eine stilistische Haut verpaßt, die bis ins Detail eine Kopie und Fortsetzung der historistischen Architektur des Altbaus von Ferstel darstellt. Dies wird dann als eigener „Beamtenentwurf“ mit ausführlichem Kostenvoranschlag ans Finanzministerium weitergeleitet . . . Auch der sehr schlichte und ökonomische Tessenow-Entwurf wird im Hochbaudepartement umgezeichnet, in eine klassizistische Inszenierung eingekleidet, und so geht das immer weiter . . .

Die an der Kunstgewerbeschule lehrenden Architekten und die jeweiligen Rektoren formulieren Plan um Plan, Eingabe um Eingabe; nach mehr als 60 Jahren wird dann unter unglaublichen Krämpfen und Kompromissen das gebaut, was jetzt als „Neubau“ dort an der Wienfluß-Promenade steht.

Wenn man sich diese Geschichte im Detail anschaut, die in einer Phase tragisch kulminierte, die heute als eine Blütezeit der Erneuerung der Baukunst in Wien gilt – 1900 bis 1912 –, muten uns die rezenten Beispiele von Schul- und Hochschulbauten in den Bundesländern und in Wien ja fast wie die Rückkehr in ein verlorenes Paradies an.

Szene drei. Ich behaupte, daß wichtige Aspekte der österreichischen Gegenwartsarchitektur entscheidend mitbegründet sind durch eine glückhafte Verbindung des Engagements ganz weniger Personen in entsprechend abgesicherten politischen Machtverhältnissen. Beispiel Steiermark – und das Faible des als Landesfürst agierenden Josef Krainer für modernes Bauen.

Unter Krainers Initiative wurden die ersten strukturverändernden Impulse ab 1975 eingeleitet. Dort konnten beispielsweise die Richtlinien für den Wohnungsbau so revidiert werden, daß die Förderung aus öffentlichen Mitteln ab einer Projektgröße von 50 Wohneinheiten an die Durchführung eines baukünstlerischen Wettbewerbes gebunden ist. Parallel dazu wurden ab 1978 von der steirischen Landesbaudirektion keine „Amtsplanungen“ im Hochbau mehr durchgeführt. Statt dessen entschied man sich, die Palette der öffentlichen Bauaufgaben – vom Krankenhaus- und Hochschulbau bis zu kleinsten Umbauten in bestehenden Amtsräumen – über sorgfältig ausgeschriebene Wettbewerbe oder über Direktaufträge an ausgewählte Architekten abzuwickeln.

Das phänomenale Aufblühen der „Grazer Schule“ weit über den üblichen Sektor privater Auftraggeber und sporadisch an Baukunst interessierter Wirtschaftsbosse hinaus wäre ohne diese in Österreich einmaligen Strukturbedingungen, ohne die kulturpolitische Stützung „von oben“ nicht möglich gewesen. Das Pendel schwingt jetzt allerdings zurück: Seit politische Mehrheiten knapper wurden, seit einzelne Bauexperimente schieflaufen und in den Landgemeinden sich – auch populistisch geschürter – Unmut über die Architektur-Beglückung äußert, geht die hohe Politik auf Distanz, wird das Bauklima frostiger.

Beispiel Salzburg. War der Impuls in der Steiermark als „Reform von oben“ aus dem Zentrum der politischen Macht abgesichert, so entstand das womöglich noch radikalere „Salzburg-Projekt“ als überraschender Coup einer Protestbewegung. Mit dem Wahlerfolg der „Bürgerliste“ übernahm dort 1982 Johannes Voggenhuber das Amt des Planungsstadtrates. Dank der in seiner Funktion vereinigten Kompetenzen der Baubehörde, der Architekturbegutachtung und der Raumordnung konnte er eine tiefgreifende Architekturreform starten. Die politischen Gegner hatten diese Kompetenzbündelung dem Newcomer sichtlich als Stolperstein, als Danaergeschenk zugedacht. Voggenhuber verstand es aber, dies in ein Trojanisches Pferd umzuwandeln. Mit Hilfe des 1983 gegründeten „Gestaltungsbeirates“ konnte Voggenhuber eine Reihe von beachtlichen Projekten durchziehen und etliche bekannte in- und ausländische Architekten in diese Vorhaben einbeziehen – eine Situation, die hier ein völliges Novum darstellte.

Architektur und Urbanistik wurden in Salzburg über Nacht zum Gegenstand intensivster, zum Teil sehr hart und populistisch, zum Teil hochqualifiziert geführter öffentlicher Auseinandersetzungen. Das Prinzip des „Gestaltungsbeirates“ wurde in der Folge von einigen anderen Landesstädten modifiziert übernommen oder aktualisiert, unter anderem in Wien, Bregenz, Linz und Krems. Voggenhubers tief in wirtschaftliche, politische und kulturelle Mißstände eindringendes Engagement wurde bei den nächsten Wahlen nicht honoriert. Doch sein Impuls hat am Ort die bis heute wirkende Wiederbelebung der Architekturdiskussion bewirkt, hat einige wichtige realisierte Bauten hinterlassen und überregional spürbare Anregungen ausgelöst.

Letzte Szene, allgemeine Szene. Ich formuliere eine Hypothese – zur Diskussion –, warum das generalisierte Verhältnis Politik-Macht-Architektur in Österreich eine spezifische Brisanz besitzt: Wenn die Architekten im Namen der Baukunst hier vorwiegend die kulturelle Verpflichtung der sogenannten öffentlichen Hand einmahnen, so wenden sie sich an einen von Natur aus unzuverlässigen, strukturell überforderten Bündnispartner. In einer zunehmend von Images und Moden geprägten Politik zählt das in der breiten Öffentlichkeit wirksame, schnelle Resultat mehr als die langsam entwickelte Strukturreform und Aufbauarbeit. Architektur ist kein schnelles Medium, sie braucht Zeit und langen Atem. Deshalb der jetzt so aktuelle Trend zur reinen Ankündigungspolitik, wo das Engagement eines Berufsstandes dazu mißbraucht wird, medial wirksame, doch wenig durchdachte Prestige-Wettbewerbe abzuhalten, die in schleichenden Hinhalte-Prozessen versanden. Beispiel Museumsquartier, Beispiel Trigon-Museum Graz, Beispiel Expo Wien.

Dem könnte man entgegenhalten, daß ja in Wien jahrzehntelang eine ungefährdete politische Mehrheit gegeben war und daß dennoch nur sehr zögerlich auf Reformvorschläge in kommunalen Bausektoren reagiert wurde. Die Ignoranz der politischen Ebene paarte sich da sichtlich mit der Beharrungs- und Verselbständigungskraft einer historisch gewachsenen, offenbar allmächtigen Bürokratie.

Von außen gesehen relativiert sich freilich wieder solche Kritik – und die Wiener Wohnbauleistungen und Infrastrukturbauten stehen international, trotz aller Mängel, doch außerordentlich gut da.

Im Vergleich zu Paris, London oder Barcelona ist für Wien – und darauf will ich hinaus – die Tatsache spezifisch, daß hier eine viel kleinere Schicht liberaler Großbürger, ein viel kleinerer, verschwindender Sektor freien unternehmerischen Kapitals nur eine sehr kurze historische Phase zur Verfügung hatte, um der Moderne Raum geben zu können. In Wien gab es weder vor noch gar nach der Zäsur des Ersten Weltkrieges eine relevante Zahl von Industriellen, freien Mäzenen und Wirtschaftstreibenden, die sich in avancierten Großbauten hätten manifestieren können. Diese Strukturschwäche – die fehlende Mitte zwischen dem großen, staatlich-politisierten Bauwillen und dem kleinen, privaten Bauengagement – gilt hier bis in die jüngere Gegenwart. Und, grob gesagt, für das ganze Land.

Die Kehrseite dieser Verhältnisse: Wenn die Architektenschaft im Sinne ihrer Entfaltung nicht erst seit gestern die staatliche Deregulierung fordert, den Abbau behördlicher Bevormundung – so kommt der mangelnde Erfolg nicht zuletzt aus einer quasi immanenten Qualität des Genres. Architekten sind Individualisten, sind primär auf die Verwirklichung ihrer Kreativität hin orientiert. Wenn sie ihrem künstlerischen Anspruch und Auftrag entsprechen wollen, müssen sie Individualisten sein, und die vielen Versuche zu kurzen, solidarischen Anläufen dieser Individualität gegen die Strukturen der Baugesetze, Normen, Förderungsrichtlinien, Vergabemodalitäten zerschellen in ihrer Kurzatmigkeit an der Trägheit, an der organisatorischen Komplexität und Beharrungskraft von bürokratischen, institutionellen, wirtschaftlichen Verhältnissen.

Architektur – die Magd der Macht? Die Frage ist so aktuell wie historisch. Die Krise ist keine besonders akute, sie ist eine absolut permanente. Kein Grund zur Panik, kein Grund zur Euphorie. Die Geschichte lehrt nur eines: Baukunst entsteht trotzdem. Baukultur kann nicht verordnet werden, sie muß in Vielfalt wachsen können dürfen.

Spectrum, Sa., 1995.11.11

01. Oktober 1995Otto Kapfinger
newroom

Das Ende der Bohème

Österreichische Architekturszenen seit 1975

Österreichische Architekturszenen seit 1975

Die Mitte der siebziger Jahre markiert ein Wellental. Den technoiden, libidinösen und gesellschaftlichen Visionen der späten sechziger Jahre war durch den Ölschock der konjunkturelle Nährboden entzogen worden. Bevor die utopistischen Ideen der Gruppen Haus-Rucker-Co, Coop Himmelblau, Missing Link, Zündup u.a. auch nur in die Nähe realisierbarer Ansätze kamen, wurden sie vom urbanistischen Rücksprung der Postmoderne links und rechts zugleich überholt. Die bereits etwas angegraute Nachkriegsavantgarde, gegen deren systemkonforme Ethik und Moral die zornigen „Achtundsechziger“ ja nicht zuletzt aufbegehrt hatten, konnte wohl 1976 retrospektiv ihre Leistungen in einer großen Ausstellung darstellen und auch international vermitteln.1 Diese Bilanz kam aber zu einem Zeitpunkt, als die wichtigen Innovationsschübe der fünfziger und sechziger Jahre - vor allem jene im Kirchen- und im Schulbau - bereits verebbt waren, und als die leicht übersehbare Schar der heimischen Baukünstler den politischen, bürokratischen und wirtschaftlichen Kräften des Landes nach wie vor in einer Position der inneren Emigration gegenüberstand.

Es ist vielleicht symptomatisch, daß die engagierte kleine Vereinigung, die wesentlich an diesem für die Epoche von 1945-75 immer noch gültigen Überblick beteiligt war - die Österreichische Gesellschaft für Architektur - unmittelbar danach in eine schwere Krise schlitterte und vor ihrer Auflösung stand. Während also damals die „alte Avantgarde“ ein quantitativ schmales, doch qualitativ kompaktes Oeuvre an Bauten resümieren konnte, stand die zeitgenössische Baukunst innerhalb der relevanten Kraftfelder des Bundes, der öffentlichen und der genossenschaftlichen Bauträger, nach wie vor im Ruf einer unverständlichen Exotik. 1970 etwa war der bis dahin größte internationale Architekturwettbewerb im Lande für die Errichtung der UNO-Dependancen in Wien in einem zwielichtigen Gerangel um nationales Prestige und Auftragspfründe mit einer äußerst mittelmäßigen „österreichischen Lösung“ entschieden worden.2

War also um 1975 die „alte Avantgarde“ - Friedrich Kurrent, Johannes Spalt, Gustav Peichl, Hans Hollein, Ottokar Uhl, Anton Schweighofer, Josef Lackner, Johann Georg Gsteu u.a. - trotz errungener akademischer Funktionen und etlicher präziser Bauten in ihrem Selbstverständnis wie in der gesellschaftlichen Außensicht absolut eine Randgruppe, so zog sich damals gleichzeitig auch die „neue Avantgarde“ aus dem medialen und universitären Agitationsfeld in den leichter bespielbaren Freiraum der Kunstszene zurück.

Zwanzig Jahre später sieht alles anders aus. Scheinbar. Auf verlagertem Niveau jedenfalls. Die avancierte Bauszene hat nun nicht nur ein explosiv angewachsenes, schillerndes Bukett an Realisierungen vorzuweisen, die Architekten genießen zumindest medial vereinzelt sogar Star-Status, und entgegen den schlimmen Zeiten der ministeriellen Freihandvergaben und des dominierenden Schematismus der Wohnbaulöwen der siebziger Jahre sind auch die großen öffentlichen Aufträge jetzt durchweg in qualitätvolle Ausleseverfahren eingebunden. Die Avantgardisten der sechziger Jahre haben in den letzten zehn Jahren mit einer weiteren Schicht von Hauptwerken nun auch Akzente in größerem Maßstab setzen können.3 Und aus ihren langen Schatten sind zwei weitere Generationen herausgetreten, deren ältere aus der Bohème der siebziger Jahre in die professionelle Praxis der achtziger Jahre gefunden hat und die sich vom moralisierenden Druck der Vorgänger und Lehrer endgültig emanzipieren konnte, und deren jüngere ohne Umschweife ihren Anteil am Baugeschehen mit internationalem Selbstverständnis einfordert. All dies stellt eine vielleicht bloß regional gefärbte und grob skizzierte Version des Paradigmenwechsels in der gesamten europäischen Szene dar. Im Rahmen der überregionalen Ereignisse sind rückblickend jedoch einige Weichenstellungen klar erkennbar, die für die Entwicklung der österreichischen Szene spezifisch und entscheidend waren.

Die ersten strukturverändernden Impulse wurden ab 1975 in der Steiermark eingeleitet. Dort konnten beispielsweise die Richtlinien für den Wohnungsbau so revidiert werden, daß seither die Förderung aus öffentlichen Mitteln ab einer Projektgröße von 50 Wohneinheiten an die Durchführung eines baukünstlerischen Wettbewerbes gebunden ist. Parallel dazu wurden ab 1978 von der steirischen Landesbaudirektion keine „Amtsplanungen“ im Hochbau mehr durchgeführt. Statt dessen entschied man sich, die Palette der öffentlichen Bauaufgaben - vom Krankenhaus- und Hochschulbau bis zu kleinsten Umbauten in bestehenden Amtsräumen - künftig über sorgfältig ausgeschriebene Wettbewerbe oder über Direktaufträge an ausgewählte Architekten abzuwickeln. Darüberhinaus wurde 1980 mit dem „Modell Steiermark“ innerhalb des geförderten Wohnungsbaus ein Anteil festgelegt, der ausdrücklich der vorbildhaften Anwendung innovativer und experimenteller Planungskonzepte gewidmet war.4

Für diese Reformen ausschlaggebend waren zweifellos das persönliche Engagement des steirischen Landeshauptmannes Josef Krainer für zeitgenössische Architektur und das unermüdliche Wirken von Wolfdieter Dreibholz in der Hochbauabteilung der Landesregierung. Das phänomenale Aufblühen der „Grazer Schule“ weit über den üblichen Sektor privater Auftraggeber und sporadisch an Baukunst interessierter Wirtschaftsbosse hinaus wäre ohne diese in Österreich einmaligen Strukturbedingungen, ohne die kulturpolitische Stützung „von oben“ nicht möglich gewesen. In dieses Bild paßt weiterhin, daß 1980 mit Günther Domenig die prononcierteste Leitfigur der jungen Grazer Architekturszene als Lehrer an die dortige Technische Universität berufen wurde, womit eine davor deklariert anti-institutionalistische Schule nun den im Freiraum ihrer legendären „Zeichensäle“ gewachsenen Nonkonformismus als offizielle Lehrmeinung etablierte.

Vergleichbare Voraussetzungen ließen in Wien noch lange auf sich warten. Dem Realisierungsschub der Steirer konnten die Wiener jahrelang nur das Niveau des theoretischen Diskurses entgegenhalten. 1979 begann durch einen Generationswechsel in der Österreichischen Gesellschaft für Architektur und mit der Gründung der Zeitschrift „UMBAU“ eine intensive Diskussion der zeitgleichen Tendenzen in der Schweiz, in Deutschland, Italien und den USA.5 Die seit den frühen achtziger Jahren auch in den Wiener Printmedien wieder forcierte, permanente Architekturrezension war eine direkte Folge dieser Bemühungen. In Wien konnte man um 1980 durchaus das Gefühl haben, diese Stadt sei längst komplett. Das alte Gehäuse der Donaumonarchie sei wie ein zu groß gewordener Rock, in dem die Gegenwart allein mit der Erhaltung des Vorhandenen überfordert sei, und wo Zukunftsträchtiges sich nur noch im Ephemeren, in Miniaturen oder in homöopathischen Umdeutungen des status quo manifestieren könnte.

Einen Wendepunkt im sozialen Wohnungsbau bedeutete hier aber die Initiative Erwin Wippels, eines ausgefuchsten Immobilienmaklers, der ab 1981 die in schematischer Routine erstarrten „schwarzen“ Wohnbaugenossenschaften radikal auf Qualitätskurs trimmte. Für die Zusammenführung von unkonventionellen, zum Teil renommierten, zum Teil ganz jungen Architekten mit den vorher rein kommerziell orientierten Bauträgern wurde damals eine eigene Koordinationsstelle gegründet, die „GWV“ - Gesellschaft für Wohnungs-, Wirtschafts- und Verkehrswesen. Ihr Pilotprojekt war die 1981 begonnene Siedlung Biberhaufenweg.6 Trotz ihrer geringen Dimensionen wirkte diese Anlage in der in Wien seit langem schwelenden Wohnbaudebatte im richtigen Moment so programmatisch und war auch medial so erfolgreich, daß die Hypothese zutrifft, die Wohnbauproduktion der „roten“ Stadtgemeinde hätte daraufhin ebenfalls mit einer Qualitätssteigerung reagiert.7 Von der „GWV“ wurden dann immerhin fast alle jene Projekte initiiert, die in den achtziger Jahren zu den Lichtblicken im Wiener Wohnbaugeschehen zählen. Dies bildete überdies fast ein Jahrzehnt lang in der Donaumetropole die einzige Nische, in der international beachtete Architektur auch außerhalb der hier (notgedrungen) besonders gepflegten Kleinkunst der Laden-, Gastronomie- und Villen(um)bauten entstehen konnte.8 Erst die Reaktion auf die in Westeuropa längst angelaufene Entwicklung der „Städtekonkurrenz“ und der „Neuen Urbanität“, erst die Berufung von Hannes Swoboda zum Wiener Planungsstadtrat 1988 und die mit dem Fall der Ostgrenzen eröffneten Wachstumsperspektiven brachten auch in Wien wieder das größere Feld urbanistischer, kommerzieller und repräsentativer Projekte ins Blickfeld der Qualitätsdebatte.

War der frühe Impuls in der Steiermark als „Reform von oben“ aus dem Zentrum der politischen Macht abgesichert, so entstand das womöglich noch umfassendere und radikalere „Salzburg-Projekt“ als überraschender Coup einer peripheren Protestbewegung gegen etablierte Verhältnisse. Mit dem Wahlerfolg der „Bürgerliste“ übernahm dort 1982 Johannes Voggenhuber das Amt des Planungsstadtrates. Dank der in seiner Funktion vereinigten Kompetenzen der Baubehörde, der Architekturbegutachtung und der Raumordnung konnte er eine tiefgreifende Architekturreform starten. Salzburg, eine Kommune mit einzigartiger historischer Stadtlandschaft aber auch mit besonders verfilzter Baupolitik und krassen Städtebausünden in der Gegenwart, sollte ein Musterbeispiel der Sanierung einer „europäischen Stadt“ werden. Mit Hilfe des 1983 gegründeten „Gestaltungsbeirates“ konnte Voggenhuber eine Reihe von beachtlichen Projekten durchziehen und etliche bekannte in- und ausländische Architekten in diese Vorhaben einbeziehen - eine Situation, die hier seit Jahrzehnten ein völliges Novum darstellte.9

Architektur und Urbanistik wurden in Salzburg über Nacht zum Gegenstand intensivster, zum Teil sehr hart und populistisch, zum Teil hochqualifiziert geführter öffentlicher Auseinandersetzungen. Das Prinzip des „Gestaltungsbeirates“ wurde in der Folge von einigen anderen Landesstädten modifiziert übernommen oder aktualisiert, u.a. in Wien, Bregenz, Linz und Krems. Voggenhubers tief in wirtschaftliche, politische und kulturelle Mißstände eindringendes Engagement wurde bei den nächsten Wahlen nicht mehr honoriert. Doch sein Impuls hat am Ort die bis heute wirkende Wiederbelebung der Architekturdiskussion bewirkt, hat einige wichtige realisierte Bauten hinterlassen und überregional spürbare Anregungen ausgelöst.10

Wieder anders lagen die Verhältnisse in Westösterreich. Der Ausverkauf der Landschaft und der alpinen Bautradition im Zeichen des Tourismus hat in Tirol wohl alle kritischen Umkehrpunkte längst überschritten. Der relative Wohlstand hat den begabten Einzelkämpfern unter den Architekten aber immer auch eine konstante Auftragslage durch private Bauherrschaft gewährleistet.11 Vorarlberg hingegen ist - nicht nur im österreichischen Rahmen - als Sonderfall einzustufen. Was in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren hier als „Vorarlberger Bauschule“ über den Horizont der Fachwelt hinaus bekannt wurde, war keine Schule im herkömmlichen Sinn. Im Unterschied zur Steiermark oder zum „Salzburg-Projekt“ hatte sich dort eine solidarische Bewegung für rationales, zeitgemäßes, ökonomisches Bauen schrittweise „von unten“ formiert. Abseits von den Hochschulen, in Distanz zum kulturellen und bürokratischen Establishment war dies von Beginn an eine Aktivität, die nicht allein von den Architekten, sondern wesentlich durch die Bauherren und Baufrauen mitbestimmt wurde.

Herangewachsen in einer Alternativszene ist es diesen „Baukünstlern“ in den achtziger Jahren gelungen, eine erstaunlich breite Wirksamkeit zu erreichen und in die Mittelschichten, in den gängigen sozialen und genossenschaftlichen Wohnbau vorzudringen. So ist im „Ländle“ ohne offiziöse Unterstützung gleichsam „subkutan“ ein Architekturklima entstanden, wo am Ende der achtziger Jahre der Ausbruch aus der Nische des kleinen Siedlungs- und Einfamilienhausbaues gelang und eine dichte Wettbewerbsfolge auch das Spektrum der öffentlichen und größeren Bauaufgaben qualitativ erfaßt hat.12 Wenn es in dieser Entwicklung ein signifikantes Datum gab, ist auch dies am ehesten Ende der siebziger Jahre anzusetzen: 1978 begann die Cooperative in Dornbirn ihre Tätigkeit. Ihre Dynamik hat den gemeinschaftlichen, billigen Wohnungsbau entscheidend vorangetrieben, und die aus der Cooperative hervorgegangenen Architekten haben auch später zur Öffnung der Szene für größere Aufgaben und zur Internationalisierung des Vorarlberger Phänomens wesentlich beigetragen.

In all dem bisher gesagten sind weder die Oeuvres einzelner Architekten noch die eigentlichen architektonischen Positionen im Lande näher berührt worden. Bei der in Österreich heute sichtbaren Vielfalt an interessanten Gegenwartsbauten ist es unumgänglich, zunächst einmal das historische „äußere“ Gerüst der Wachstumsbedingungen für diese Vielfalt klarzulegen, bevor eine in diesem Rahmen nur andeutbare innerarchitektonische Analyse beginnen kann. Sowohl für die Wiener als auch für die Grazer Szene sind um 1986/87 wichtige Verschiebungen erkennbar. In Wien befreit sich die Generation der heute 45-55jährigen aus dem Sog der hier allgegenwärtigen großen Traditionen und entfaltet ein Panorama sehr differenzierter Positionen. Helmut Richter wird von der „GWV“ mit der Wohnhausanlage Brunnerstraße beauftragt, Coop Himmelblau gewinnt das Gutachterverfahren zum Ronacher und arbeitet am Dachausbau Falkestraße, Adolf Krischanitz baut mit Herzog & de Meuron und Otto Steidle die Siedlung Pilotengasse, Heinz Tesar gestaltet die Schömer-Zentrale, Rüdiger Lainer/Gertraud Auer erhalten die ersten größeren Aufträge, der mediale, öffentliche Kampf um das Haas-Haus von Hans Hollein wird vor den Bauplanken und der offenen Baugrube letztlich für ihn entschieden.

In Graz zeigt sich zur gleichen Zeit ein Schwenk vom barocken Überschwang der Expression, von der heroischen Kraftmeierei gegen die Konventionen hin zu einer eleganten Versachlichung. 1988 gewinnt das junge Team ARTEC mit einem lakonisch-spröden und völlig unromantischen Beitrag den Wettbewerb für das Grazer Bauamtsgebäude.13 Die individuellen Handschriften eines Günther Domenig, eines Klaus Kada, Volker Giencke, Konrad Frey oder von Michael Szyszkowitz/Karla Kowalski haben das frühere Etikett der „Grazer Schule“ längst gesprengt und überschritten. In Vorarlberg lösen sich Dietmar Eberle/Karl Baumschlager von ihrer Holzbau-Phase und beginnen mit fulminantem Tempo und etlichen großen Wettbewerbserfolgen die Auseinandersetzung mit der neuen deutsch-schweizer Architektur; Erich G. Steinmayr realisiert seine ersten Bauten.

Wenn man hier fortsetzend versuchte, die heute mit ihrem Oeuvre in Österreich hervorragenden Baukünstler - es sind weit über 80 Namen —, in Kategorien zu fassen, kann man meines Erachtens nur scheitern. In der Generation der jetzt über Sechzigjährigen zeigen sich einerseits die ausgereiften Personalstile eines Hans Hollein, der in seiner komplexen Narrativität die gesamte internationale Entwicklung seit 1960 vor dem Hintergrund der speziellen Wiener Psychologisierungs- und Inszenierungskunst auf unverwechselbare Weise amalgamiert; eines Günther Domenig, der seine Transformationen des Organischen aus der Expression der siebziger Jahre heraus formal und auch konzeptionell wesentlich erweitert und auch quantitativ bereichert hat; eines Gustav Peichl, dessen symbolische Technizismen jetzt in abgeklärte Versionen der klassischen Moderne münden; eines Josef Lackner, dessen originäre, plastische Baugestalten immer schon spezifische Lichtführungen aufwiesen und der dieses Thema zuletzt in der Arbeit mit neuen Technologien in „späten“ Meisterwerken fortsetzte; oder eines Wilhelm Holzbauer, dessen Talent der großen Raum- und Zeichenorganisation mit der Fülle der Aufgaben im letzten Jahrzehnt in kalkulierbare Routine mündete.

In der Generation der Fünfzigjährigen könnte andererseits eine grobe Sondierung vielleicht zwischen „neomodernen“ und „transmodernen“ Haltungen grundsätzlich unterscheiden, wobei die ersteren den technischen bzw. konzeptionellen Positivismus der klassischen Moderne in neuen Schichten ausloten und weitertreiben, während die letzteren sich vom puristischen Idealismus der Moderne auf jeweils individuelle Weise verabschiedeten. Für die „transmoderne“ Haltung stehen in Wien das Team Coop Himmelb(l)au und ihre intuitive Dynamisierung der Kräfte im Raum - Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky zählen zu den Bannerträgern und Weltstars des Dekonstruktivismus -, weiters Laurids Ortner und Manfred Ortner und ihr kühler Realismus der urbanen Zeichen, Adolf Krischanitz und seine Subversionen des Minimalen, Rüdiger Lainer und seine Poesie der Inkongruenzen, oder das junge Team The Office mit seiner medialen Energie der Oberflächen. In Graz könnte man unter diesem Gesichtspunkt Manfred Wolff-Plotteggs doppelbödige Etüden digitalen Entwerfens sehen, oder die komplexe Einfachheit des Duos Florian Riegler/Roger Riewe, in Salzburg die high culture/low tech-Projekte von Manfred Max Rieder. Hermann Czechs tiefgründige Durcharbeitung des Banalen, Boris Podreccas orchestrale Kontinuität der architektonischen Erzählung oder Heinz Tesars Archaik der Körperformen scheinen sich solcher Zuordnung zu entziehen, sind aber ebenfalls durch kritischen Abstand zu den Rezepten der Moderne gekennzeichnet.

In die „neomoderne“ Strömung zählen in Wien dagegen Helmut Richters radikale Transzendenz des konstruktiven Gerüstes, Rudolf Prohazkas gebaute Orts-Diagramme, Elsa Prochazkas Präzision der subtilen Eingriffe, Michael Loudons strukturelle Raumkonzepte, die sensitive Einfachheit der Arbeiten von Eichinger oder Knechtl, ebenso die apparative Ästhetik von Driendl + Steixner, die geöffneten Raumsequenzen von Dieter Henke/Marta Schreieck oder die Abstraktionen der Schwerkraft in den Entwürfen von Pauzenberger-Hofstätter. Vergleichbare Haltungen sind in Graz etwa in Klaus Kadas souveräner Eleganz des Ökonomischen zu sehen, in Volker Gienckes spielerischer Humanisierung des High Tech oder in Konrad Freys oft unterschätzter, feiner Ökonomie der Technologie.

Die Reihe der Namen wäre damit längst nicht erschöpft. Sie könnte in Wien fortgesetzt werden mit Paul Katzberger/Karin Bily, Andreas Fellerer/Jiri Vrendl, mit Georg Reinberg/Martin Treberspurg, Christian Jabornegg/Andras Pallfy, Walter Stelzhammer oder dem Baukünstler-Kollektiv, in Graz mit Ernst Giselbrecht, Hubert Riess, Bernhard Hafner, Irmfried Windbichler oder Manfred Zernig, in Vorarlberg mit Roland Gnaiger, Hermann Kaufmann, Helmut Dietrich oder Martin Häusle, in Tirol mit Jörg Streli, Peter Lorenz, Reinhardt Honold, Hans Fritz oder Peter Thurner, in Kärnten mit Felix Orsini-Rosenberg oder Sonja Gasparin, in Salzburg mit dem Team Halle 1 und Fritz Lorenz, in Oberösterreich mit dem Duo Riepl/Moser, in Niederösterreich mit Ernst Beneder - und auch damit würden noch etliche Beiträge vor allem aus der jüngeren Generation unter den Tisch fallen.

Die einleitende These vom Ende der Bohème bestätigt sich jedenfalls allein durch die unübersehbar gewordene Zahl von Protagonisten, die fast alle auch rasch zum Bauen kommen, womit sich der Existenzkampf für die meisten freilich bloß graduell, aber nicht grundlegend verändert. Hat sich in der Steiermark das Engagement von oben zuletzt deutlich abgekühlt (das experimentelle Wohnbauprogramm wurde nicht weitergeführt), so ist dafür jetzt auch in den „Architekturprovinzen“ Kärnten, Niederösterreich und Burgenland mit der Gründung lokaler Zentren und Diskussionsforen für neue Baukunst ein Aufwind spürbar.14 Eine Initiative wie das seit 1991 in Wien durchgezogene „Schulbauprogramm 2000“ wäre noch fünf Jahre davor undenkbar gewesen. Das Problem ist heute nicht so, daß ein williger Bauherr nicht einen kongenialen Planer, daß eine große öffentliche Bauaufgabe über entsprechende Wettbewerbe nicht ein optimales Projekt finden würde. Das Problem liegt - angesichts eines vom Rechtspopulismus wieder geschürten Kulturkampfes und des überall wieder einsetzenden Sparkurses - eher im Risiko, zeitgenössische Architektur in der Öffentlichkeit an heiklen Punkten auch durchzusetzen. Beispiele dafür boten das drastisch zurückgestutzte „Museumsquartier“ von Ortner & Ortner und die per Volksentscheid durchgefallene EXPO in Wien, oder das jahrelang verschleppte Trigon-Museum in Graz, um nur die prominentesten zu nennen.

Die Architektur des späten 20. Jahrhunderts ist in Österreich gewiß weniger von technologischer Innovation geprägt wie andernorts. Dazu fehlt einerseits die historisch gewachsene, breitere Basis einer entsprechend entwickelten Bau- und Großindustrie. Und andererseits herrschen hier partiell besondere restriktive, innovationshemmende Baugesetze und bürokratische Gepflogenheiten. Die Stärke dessen, was hier mit konzeptionellem, geistigem Anspruch über den alltäglichen Trott hinausweist, liegt in der undogmatischen Vielfalt der präzisen baukünstlerischen Antworten auf ganz unterschiedliche Kontexte und in der kreativen Gewitztheit, mit der es immer wieder doch gelingt, die strukturell hier vorhandenen Mankos zu überschreiten und eben damit überregional Beispielhaftes zu leisten. Das Potential erstklassiger Baukunst ist am Ende dieses Jahrhunderts in Österreich wieder so groß und vielgestaltig, wie es in der heroischen „goldenen“ Ära der vorigen Jahrhundertwende in einem größeren Kontext vielleicht war.15 Ich behaupte sogar, daß die Verteilung der Kräfte in den Ländern heute wesentlich gleichmäßiger und brisanter ist als zu Otto Wagners Zeiten. Der damaligen „Wiener Moderne“ steht ein aktuelles Panorama der „Baukunst in Österreich“ gegenüber, das so reichhaltig, vielgestaltig und kontrastvoll anmutet wie die mit Variationen und Brüchen, mit Gegensätzen und Übergängen so dicht ausgestattete österreichische Landschaft selbst.

newroom, So., 1995.10.01

15. Oktober 1990Otto Kapfinger
newroom

Landeplatz fürs Christkindl

Wie kaum ein anderer Bau wurde das" Eckhaus der Nation" in der Wiener Öffentlichkeit während der Planungs- und Bauzeit diskutiert, verdammt und bejubelt....

Wie kaum ein anderer Bau wurde das" Eckhaus der Nation" in der Wiener Öffentlichkeit während der Planungs- und Bauzeit diskutiert, verdammt und bejubelt....

Wie kaum ein anderer Bau wurde das" Eckhaus der Nation" in der Wiener Öffentlichkeit während der Planungs- und Bauzeit diskutiert, verdammt und bejubelt. Die einen beschworen den Untergang des Abendlandes die anderen feierten den späten Einzug des 20. Jahrhunderts in die verstaubte Donaumetropole.

Jetzt ist das Haus fertig, und das Ergebnis läßt sich zunächst in fünf Sätzen umreißen. Das Hans-Haus neu zu bauen war notwendig, unbedingt, doch seine Bedeutung wird, trotz alter zivilen Aufregung und medialen Ausschlachtung, überschätzt. Die an den Neubau geknüpften städtebaulichen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt - diese Chance wurde vergeben. Touristisch und wirtschaftlich gesehen hat die City unbestreitbar ein maßgeschneidertes Highlight gewonnen. Architektonisch bietet dieses glitzernde, den begehrlichen Blicken auf das Panorama der Stadt und der Waren gewidmete Okular eine opulent verpackte Enttäuschung. In ihrer Essenz, der Darbietung einer zeitgemäßen Phantasmagorie - hier von „Lebenskultur“, dort von „Baukunst“ -, sind Inhalt und Form, Warenhaus und Hülle nahtlos zur Deckung gebracht.

Im Verlauf der Polemik rund um dieses Projekt standen immer wieder „kulturelle“ Einwände im Vordergrund: Es sei ein profaner „Konsumtempel“, eine „Luxusboutique“, die da dem Stephansdom schamlos an den Leib rücke - eine eher lächerliche, bigotte Entrüstung. Als Wien noch Großstadt war und der Dom für die katholische Monarchie und Dynastie ungleich mehr Symbolkraft hatte, prangten direkt vor dem Riesentor drei Stockwerke hoch die Schaufensterfronten der Rothbergerschen Warenhäuser. Das ökonomische Kalkül war damals kein anderes als heute. Wo sonst sollten die exklusiven Modeläden zu finden sein als an den teuersten, prominentesten Plätzen im Zentrum? Grundstückspreis und Rendite sind bekanntlich zwei Seiten derselben Münze. Im Unterschied zur Gründerzeit ist heute der Stephansplatz überdies neben dem Karlsplatz der wichtigste U-Bahn-Knoten der Stadt - und funktioniert die zur Fußgängerzone aufgerüstete Kärntner Straße mehr denn je als Aufmarschschneise für schau- und kauflustiges Volk.

Die Verkehrsfreirnachung, die Dekorierung der Kärntner Straße sowie die Anlage der U-Bahn-Stationen unter dem Stephansplatz waren urbanistische Fehlentscheidungen, die heute aber niemand mehr missen will. In den Szenarien dieser beiden Fakten setzt das neue Haas-Haus einerseits den logischen Schlußstein und schuldet ihnen eben andererseits das Kompromißhafte des Ganzen, die Tragik eines Baukörpers, der vergeblich versucht, in einen optisch sakrosankten, auch technisch offenbar nicht mehr bebaubaren Stadtraum einzugreifen.

Jacob Rotbbergers Kaufhäuser (Architekten: Fellner & Helmer) geben auch dem zweiten populistischen Hauptvorwurf - „Glasmonster im Altbauensemble“ - eine delikate, weil historische Antwort: Seine 13 Meter hohen, insgesamt über 40 Meter langen Portale bestanden aus durchgehenden, proto-modernen Glastafelrastern, die in der Art der späteren „curtain-walls“ den Stockwerken vorgehängt waren. Hätten diese beachtliche Glasfronten (in den oberen Geschossen von Neorenaissance-Formen kontrastiert) den Krieg überlebt, stünden sie heute garantiert unter Denkmalschutz.

Ist das Programm des Hauses also der Kommerzialisierung und Touristifizierung des Zentrums bruchlos eingefügt, so sind die städtebaulichen Argumente des Architekten leere Versprechungen geblieben. Schon irn ProJektstadiun. absehbar, daß mit einem gegenüber dem alten Haas-Haus marginal größeren Volumen keine überzeugende räumliche Fassung das Stock-im-Eisen-Platzes gelingen kann. Noch dazu wirken die optischen Effekte der vom Ende der Kärntner Straße aus wirksamen Hauptansicht durch die formale Heterogenität und die abrupten Maßstabswechsel nicht raumbildend, sondern regelrecht raumsprengend.

Es beginnt bei der zu stark forcierten Rundung zum Graben hin, wodurch die ominöse Ecke nicht räumlich gerichtet, sondern richtig „schnell“ gemacht ist, setzt sich fort in den Widersprüchen zwischen der grob proportionierten, abgetreppten Lochblende, dem kleingliedrigen, kraftlosen Gebäudesockel darunter und den an sich perfekten, zu den anderen Fassadenteilen aber hermetisch abgesetzten Spiegelglasflächen - und mündet in die asymmetrische Wirkung des Erkers, der den Platzhorizont mit dem verglasten Oberteil plötzlich in die Höhe reißt, während der untere Teil den heiklen, bodennahen Bereich der Auskragung mit allerlei Schrägen und Kanten traktiert.

Gerade diese Ansicht, die wichtigste, ist sowohl für sich als auch im Verhältnis zum Stadtraum die schwächste. Der Bau wirkt da wie eine gläserne Eruption, die auf halbem Weg in einer steinernen Eierschale steckenblieb. Ungleich besser ist der Anblick vorn Platz vor dem Churhaus, wo sich das überfrachtete Volumen in der Verkürzung strafft und als Kopf des gesamten Baublocks zwischen Graben und Goldschmiedgasse erscheint. Auch die Auskragung ist da durch die Frontalsicht „entschärft“, wogegen sie vorn anderen Ende des Stephansplatzes her gesehen gleichsam aus dem Nichts in den Raum hereinragt.

Eckhaus der Nation,
Verdammt und bejubelt

Man muß Hans Hollein zugestehen, daß er das virulente Äußere des Gehäuses zumindest in der Farbgebung (hellgrüner Quarzit, Aluminium, Glas) recht gut zusammenhält, ja die aus allen Nähten platzenden Formkollisionen damit geschickt, beinahe nobel zurücknimmt. Dennoch: Unter der perfekten Oberfläche erweisen sich etliche Einzelelemente als ungelöst.

Besonders das abgetreppte Stück zum Graben mit der aufwendig verarbeiteten Steinbekleidung erinnert fatal an einen hochgeklappten Fußbodenbelag und zitiert ein reichlich verbrauchtes Motiv. Auf diese untektonische Außenhaut bezogen, wurde wiederholt an Gottfried Seinpers „Bekleidungstheorie“ und ihre Interpretation durch Otto Wagner (Majolikahaus) und seinen Umkreis (Fabiani, Plecnik) erinnert. So naheliegend solche Referenzen sein mögen, einer näheren Prüfung halten sie nicht stand. Ein Blick etwa auf Fabianis Fassade für Portois & Fix in der Ungargasse genügt, um die Spanne zwischen der subtilen Klasse, der Grandezza der Jahrhundertwende, und den bemühten Formalismen der Gegenwart zu verdeutlichen.

Hollein verhüllt einen im Grundriß nicht übermäßig klar aufgeteilten Skelettbau zum Graben hin mit einer schweren Steinhaut, zum Stock im Eisen hin mit einer richtungslosen Glashaut, im Sockelbereich durchgängig mit einer nichttragenden Skeletthaut. Der irritierende äußere Eindruck seines Hauses kommt nicht zuletzt dadurch zustande, daß der tragende Aufbau von den Oberflächen beliebig überspielt und verdrängt wird und daß die äußere Membran mit den Innenräumen keine eindeutig lesbare Wechselwirkung herstellt. Gleichwertige Räume liegen beispielsweise hinter ganz verschiedenen Fassadenelementen, verschiedene Konstruktionsarten dafür hinter gleichen Oberflächen.

So unruhig und plakativ das Gebäude dasteht, so komplex ist tatsächlich seine Innenwelt. Das Kernstück bildet ein fünfgeschossiges Atrium, von einem Kunstlicht-Himmel überwölbt. Um auf dem seichten, verzwickten Bauplatz den Innenraum virtuell zu vergrößern, hat Höllein die Halle als Kreisbogenfragment angelegt -unter anderem deshalb, weil auch ein unvollständiger Kreis vom Auge unwillkürlich ergänzt wird und die Raumgrenzen verwischt; ein bekanntes Phänomen, das Hollein bereits beim Siemens-Casino in München und beim Beckschen Laden in New York benützte. Ein weiteres kniffliges Problem betraf die attraktive Einbeziehung des Untergeschosses (mit zusätzlichen Läden und dem Café Haas) in die Halle, was vorzüglich gelungen ist. Man hat im immer noch „prominenteren“ Erdgeschoß nie das Gefühl, sozusagen am Nullniveau zu stehen.

Mit offenen, galerieartigen Gängen umfaßt dieser Binnenraum im Dreiviertelkreis ein ausgeklügeltes Erschließungssystern, eine mit Rolltreppen, Stiegen und Brücken großzügig instrumentierte Bewegungs- und Schaumaschine, die das Publikum via „Erlebnisarchitektur“ zum Flanieren über alle fünf Ladengeschosse anregen soll. Dieser zurückgestaffelte, nach oben zu reicher und reicher ausgestattete Treppenberg präsentiert sich im Gegensatz zu den technoid gehaltenen Galerien als archaisches, an Piranesische Visionen gemahnendes Bühnenwerk.

Hollein hat hier keine Ecke in Ruhe gelassen, reiht Detail an Detail, Blickpunkt an Blickpunkt, fügt Material an Material, Bodenmuster an Bodenmuster, stößt roten Stein an grauen Stuccolustro, beigen Stein an grünen Stein, schwarzen Stein an Lippenstift-grelles Blech, häuft konvexe Bögen über konkave Bögen, knüpft Durchblicke an Tiefblicke, dramatisiert weite Spiegeleffekte mit engen Passagen und Wendungen. Dieser säkularisierte Kalvarienberg kulminiert in einer Art-deco-Aussichtskanzel vor einer fragilen Seufzerbrücke in leuchtendem Rot, ehe die Wegspirale entlang einer mit blauer Bemalung entstofflichten Wand abwärts sinkt.

Walter Benjamin hat die legendären Pariser Passagen und Warenhäuser als die Stätten der kommerziellen Verführung, der sinnlichen Überwältigung des Publikums gedeutet. Die Stimmung ihrer märchenhaften Innenraum-Inszenierungen, welche den Tauschwert der Waren in eine pseudosakrale Aura erheben, hat Hollein bei seinen bekannten Juwelierläden ins Mikrokosmische transportiert. Ähnliches versuchte er nun am Haas-Haus im großen Maßstab. Was im intimen Format der Laden-Etuis, auch noch beim demolierten Verkehrsbüro adäquat war
und durch das Miniaturhafte sogar ironische Distanz, den Balanceakt am Kitsch entlang zuließ, kippt in der öffentlichen, städtischen Haas-Haus-Halle ins Übermaß.

Ironie?
Hier ist alles blutiger Ernst!

Ironie und Selbstreflexion, von einem Avantgarde-Baukünstler und einem deklarierten Manieristen beim Flirt mit dem Symbolischen, dem Banalen oder dem Populären im Sinne von Umberto Eco gefordert, sind am Haas-Haus, Punkte ausgenommen, nicht mehr spürbar. Hier ist alles blutiger Ernst. Die ganze äußere und innere Verpackungsvirtuosität über belanglosen Unterkonstruktionen geriert sich zu gravitätisch. Die Boutique schmeckt zu sehr nach Museum. Da ist zuwenig Schmiß, zuwenig großstädtische Lockerheit oder zuwenig echte Noblesse, je nachdem. Ereignet sich da, mit höchstem Einsatz erkämpft, auf E-Niveau, was bisher Hundertwasser im U-Sektor bot?

Holleins Haus ist verspätet, insofern dieses Spiel mit den Oberflächen, den Ikonographien, Bedeutungen und Wir-kungen - für die siebziger Jahre brisant und signifikant - inzwischen zur Genüge strapaziert wurde. Man hat sich daran sattgesehen.

Daß Holleins Stärke nicht in einer räumlich-konstruktiv entwickelten Ar-chitektur liegt, sondern in der zelebrierten Symbiose kontroversieller bildhafter Wir-kungen, ist nicht erst seit dem Haas-Haus klar, zeigt sich aber genau da in ihren Grenzen. Wie anfällig eine nicht-struktu-relle, metaphorische Architektur in dieser Dimension für unkontrollierbare Störun-gen ist, illustrieren verschiedene Laden-einrichtungen anderer Designer, deren zweit- bis drittklassige Postmodernität dem vorgegebenen Rahmen in den Rüc-ken fällt.

Wer nun behauptet, ein neues Haas--Haus hätte man in den späten achtziger Jahren cooler und struktureller, technisch brillanter, konstruktiv kühner und trans-zendenter, im Detail knapper und rauher realisieren können, mag im Licht der aktuellen Entwicklung der Szene rundum recht behalten. Dem steht jedoch das Faktum gegenüber, daß der Coup des Bürgermeisters und der Bauherrschaft bei den damals herrschenden Randbedingun-gen in Wien nur mit Hans Hollein - 1985 auf dem Höhepunkt seiner internationalen Reputation - durchzustehen war. Und angesichts der hiesigen baubürokrati-schen Verkalkung konnte vermutlich nur Hollein so viel aus der Sache herausholen.

Die Boutique schmeckt nach Museum

Den Höhepunkt dieses gebauten Par-cours der Schaulust bietet das Dach-Café. Es ist tatsächlich so präzise dirnensioniert, daß von allen Sitzplätzen der Dom samt Südturm vollständig gesehen werden kann. Von dieser hohen Warte aus wird einem aber auch schockartig bewußt, wie sehr der städtebauliche Kahlschlag des 19. Jahrhunderts den Dom isoliert hat und wie mickrig ihn der kleinkarierte Plattensee über den U-Bahn-Decken um-flutet. Da werden auch Holleins Eingriffe am Stock-im-Eisen-Platz, die zu Recht kritisierten Säulen und die Fortsetzung der räumlichen Drangsal des Hauses im neuen Bodenmuster, nichts verbessern.

Sosehr sie den öffentlichen Aufruhr provozierte - die Dachlandschaft zählt zu den Stärken des Hauses. Und zwar des-halb, und das soll nicht zynisch verstan-den werden, weil in dieser rein dekorati-ven, „zweckfreien“ Architektur Holleins Inszenierungskunst wieder ihre eigene Autonomie findet: Ein Flugdach, das schon als Laufsteg für potentielle Selbst-,Mörder prognostiziert wird; ein Tempel-chen auf den höchsten, auch vom Platz noch sichtbaren Punkt als Krone hinauf-gehoben, unter der ein funktionsloser Sockelraum gleicher Größe übrig blieb, ein poetisches Zeichen über entrückter Leere, nächtens gleißend ausgeleuch-tet ... „Landeplatz fürs Christkindl“ nannten es die mit dem Finish dort oben beschäftigten Spengler und Schlosser.

Hat nicht Hans Sedlmayer daran er-innert, Rudolf IV. hätte seinen „Dom“ wohl mit dem „Kristallmantel einer Kathedrale“ bekleidet, doch unter die-sem Königskleid sei St. Stephan die bloß äußerlich aufgewertete Hallenkirche ei-ner Bürgergemeinde geblieben? Wäre der von Sedlmayer behaupete „taumelige Schwindel der Innenraumwirkung“, in den die Kathedralräume den mittelalter-lichen Besucher versetzten, vergleichbar mit den illusionistischen und irritieren-den Effekten, die das neue Haas-Haus innen und außen hervorruft?

Die Baukunst des Mittelalters erstrebte ein Abbild des Himmels, die massenlose Raumwirkung unendlicher Höhe. Der Geschmack des 19. Jahrhunderts wollte diese Himmelsarchitektur als isoliertes Monument mit musealem Blick betrach-ten. Das späte 20. Jahrhundert will ande-res: die städtebauliche Lücke verkleinern und das Ganze den Augen der Gäste und der Parvenus vollendet aufbereiten.

So schlägt der glanzvolle neue Kon-sumtempel sein postmodernes Pfauen-rad, so weit er kann. Und er veredelt den früheren Blick von der Straße zur Apo-theose des Photoblicks unter dem kecken Baldachin. Jetzt kann man von unten diejenigen photographieren, die von dort oben ihre Schnappschüsse nach noch weiter oben tätigen. Der Schluß bleibt Christian Morgenstern: „Die alle blickt hinwiederum / ein Gott von fern an, mild und stumm.“

Erschienen im Presse Spectrum

newroom, Mo., 1990.10.15



verknüpfte Bauwerke
Haas - Haus

01. Oktober 1990Otto Kapfinger
Die Presse

Am Anfang war das Dach

Wer sonst könnte einen Raum, weiß verputzt, mit Deckenbalken in chinesischem Rot lackiert, mit Wandbespannungen in himbeerfarbenen Dirndlstoffen aus Vorarlberg,...

Wer sonst könnte einen Raum, weiß verputzt, mit Deckenbalken in chinesischem Rot lackiert, mit Wandbespannungen in himbeerfarbenen Dirndlstoffen aus Vorarlberg,...

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen


verknüpfte Akteure
Spalt Johannes

03. September 1990Otto Kapfinger
Die Presse

Clemens Holzmeisters Erbe

Er ist ein Prototyp des „Künstlerarchitekten“, ein begabter, genialischer Egomane und zugleich ein kumpelhafter, großzügiger Bonvivant- gerade progressiv...

Er ist ein Prototyp des „Künstlerarchitekten“, ein begabter, genialischer Egomane und zugleich ein kumpelhafter, großzügiger Bonvivant- gerade progressiv...

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen


verknüpfte Akteure
Holzbauer Wilhelm

14. August 1990Otto Kapfinger
Falter

Janusgesicht in Stein

Wer sich einmal mit dem gesamtösterreichischen Denkmalelend befaßt hat, wird Hrdlickas Monument durchaus etwas abgewinnen.

Wer sich einmal mit dem gesamtösterreichischen Denkmalelend befaßt hat, wird Hrdlickas Monument durchaus etwas abgewinnen.

1. Ich halte den Platz vor der Albertina nach wie vor als Denkmalareal ungeeignet, besonders für eine Inszenierung mit konventionellen bildhauerischen Mitteln.

2. In dem Maße, wie sich Hrdlickas Mahnmal als außerordentlicher Indikator der kulturellen und politischen Verfassung unserer Gesellschaft erweist, befürworte ich unbedingt seine Errichtung.

3. Jede städtebauliche oder künstlerische Kritik an Hrdlikkas Monument wird natürlich von den Gegnern für sich vereinnahmt werden.

Trotzdem: Unabhängig von partei- und machtpolitischem Gezänk um die Skulptur muß die Fachkritik geäußert wer den. Als Kunstwerk halte ich Hrdlickas Entwurf - soweit man ihn aufgrund der spärlichen Informationen beurteilen kann - für unbedeutend. Die Kunst des 20. Jahrhunderts hat intelligentere, weniger schwerfällige, weniger historisch belastete Mittel entwickelt, um den kritischen Blick des Rezipienten auf die Wirklichkeit von Gegenwart und Vergangenheit zu stimulieren.

Über diese Kritik hinaus muß aber vor allem analysiert werden, warum, dieses Denkmal von der konservativen Politik und der veröffentlichten Volksmeinung so vehement abgelehnt wird, warum also ein diktatorisch verordnetes, wenig überlegt gesetztes Kunstwerk zum Anstoß einer allgemeinen öffentlichen Selbstentlarvung wurde, warum also ein kitschträchtiges Monument wegen seiner inhaltlichen Brisanz zum unverzichtbaren Bestand in dieser Stadt werden muß.

Für die künstlerische Qualität von Skulpturen und Monumenten im öffentlichen Raum war Wien in jüngster Zeit kein guter Boden. Ob Julius Raab oder Karl Renner, Robert Stolz oder Sigmund Freud - das Niveau ist durchwegs peinlich. Der Stadtpark beispielsweise ist gleichsam eine Müllhalde der bürgerlichen Denkmalsucht und jener ignoranten Beflissenheit, mit der diese und jene Geistesgrößen nachträglich auf das Podest der sentimentalen vereinnahmenden Verehrung gezerrt werden.

Im Vergleich mit den nach 1945 entstandenen einschlägigen Monumenten muß sich Hrdlickas antifaschistisches Mal freilich von nichts und niemandem etwas vorwerfen lassen. Ob nun Leopold Grausams Steine am Morzinplatz oder das internationale Panorama der Monumente in Mauthausen - das bildhauerische Pathos, fast ausnahmslos von wenig begabten Händen beschworen, fällt da wie dort in beschämender Weise hinter die Fakten des Dargestellten zurück.

Was bedeuten die tonnenschweren Aufhäufungen aus Stahl und Granit - etwa in Mauthausen - im Vergleich zur Atmosphäre der leeren Baracken, der Todeskammer und der Todesstiege, im Vergleich zu den lakonisch eingefriedeten Rasenflächen über den Massengräbern?

Was mag nun Hrdlickas Marmor und Bronze bedeuten im Vergleich zu der einfachen Tafel mit dem immer wieder erneuerten Blumenkranz am Karl-Marx-Hof, im Vergleich zu der regelmäßig nachgezogenen Ritz-Zeichnung 05 am Westportal des Stephansdomes, im Vergleich zu der den Wienern offenbar nicht mehr oder auch nie noch bewußten Präsenz der sechs Flaktürme im Stadtgebiet? Wie präzise mag die Aussage dieses Denkmals sein, gemessen an jeder der drei Dutzend biographischen Stelen der Ausstellung „Wien 1945 - davor/danach“ (die überraschend um eine Woche gekürzt wurde und deren Material dann trotz guter Vorschläge und prominenter Zusagen eben nicht als permanente Schau eines zeitgeschichtlichen Museums beisammenblieb)?

Trotzdem: Hrdlickas Monument ist nicht als Kunstwerk wesentlich, sondern als Manifestation eines Künstlers gegen die kooperative Verdrängung und Glättung der Geschichte, die im Verbund vom Staat, Kunst und Kirche nach 1945 stattfand. Er meint mit Faschismus den von 1934 - 1945, Nationalsozialismus und Ständestaat. Am Morzinplatz, wo viele sie hinwünschen, wäre die Bedeutung der Skulptur allein durch den Ort, das ehemalige Hauptquartier der Gestapo, eindeutig auf die Nazi-Zeit eingeschränkt worden. Das ist ein latenter Grund für die vehemente Forderung der Konservativen nach diesem Standort und gegen den Albertinaplatz.

Ein zweiter Grund für die breite Ablehnung liegt darin, daß dieses Denkmal aus dem Klischee der in Österreich üblichen Kriegerdenkmäler und Mahnmale herausfällt. Mattl/ Stuhlpfarrer haben erst kürzlich dargelegt, daß die Semantik unserer WK I- und WK II- Monumente durchgängig mit der nachträglichen Sakralisierung des Krieges verbunden ist. Die Geschichte wird darin auch bildlich enthistorisiert, in eine überzeitliche, ungreifbare Aura gehoben. Faschistischer Terror und Krieg werden nicht als Verbrechen dargestellt, als Aggression eines konkreten Herrschaftsmodells und einer Ideologie, sondern ins Unkonkrete verschoben, als eine Art Strafgericht, als Katharsis, als ontologisches Ereignis sublimiert, wo auch der Einzelne nur ein Rädchen im Spiel des „blinden Schicksals“ war.

Daß HrdIicka als Person und die Drastik seiner Skulptur dieses geglättete Geschichtsbild wieder aufreißen, erklärt - zusammen mit seinen in dieselbe Kerbe schlagenden Anti-Waldheim-Aktionen - die scharfe Ablehnung des Denkmals und verleiht diesem umgekeht wieder eine singuläre kulturelle Kraft der Aussage.

Wenn auch gefordert wird, die Ruhe der Toten, der unbestatteten Bombenopfer in den Kellern des ehemaligen Philipphofes dürfe nicht gestört werden, dann ist damit natürlich auch die Ruhe der verdrängten Vergangenheit gemeint. Die Möglichkeit einer Exhumierung und der würdigen Bestattung - in anderen Fällen tausendfach vollzogen, bei jeder archäologischen Grabung als Routine gehandhabt, wird hier aus politischer, Räson zurückgewiesen. Die Kulturnationen erlaubten sich zwar, die Totenruhe der Ägypter, der Griechen, Perser, Mazedonier, Römer und Kelten zu stören und deren Grabmonumente, Grabbeigaben, Mumien und Skelette etc. in ihre Museen zu verschleppen und dort dem geschichtsgeilen Blick zur Schau zu stellen. Aber eine Ausgrabung und Neubestattung von Wiener Bürgern für eine DenkImalfundierung oder gar ein Bauwerk verstößt gegen die Pietät...

Bei allen Einschränkungen: Hrdlickas Mahnmal am Albertinaplatz ist ein wichtiger Stein des Anstoßes. Nach all dem, was dadurch ausgelöst wurde und noch werden wird, muß es dort errichtet werden.

Trotzdem sei Helmut Zilk gesagt, daß er die Sache so abgeführt hat, als könnte man antifaschistische Denkmäler in den 80er Jahren so anschaffen wie die Fernsehtürme in den 60er Jahren, und daß eine durchaus mögliche, städtebaulich sinnvollere Lösung, eine Integration von Bauwerk und Skulptur auf diesem Platz versäumt wurde.

Und Hrdlicka sei gesagt: Sein Wort, man müsse ihm die Stalinschen Terrorgreuel erst beweisen, erinnert fatal an die Behauptungen der unverbesserlichen Nazis, Judenverfolgung und Holocaust seien samt und sonders eine Ausgeburt nachträglicher Propaganda der Alliierten. Dieses Wort verlangt nach einer Entschuldigung.

Falter, Di., 1990.08.14

02. Juni 1990Otto Kapfinger
Die Presse

Träume der Moderne, Schäume der Postmoderne

Aufbruch in eine neue Gründerzeit: Wird Wien wieder Großstadt?

Aufbruch in eine neue Gründerzeit: Wird Wien wieder Großstadt?

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

19. Mai 1990Otto Kapfinger
Die Presse

Sinnliche Nähe

Achleitner: Handwerker vom First zum Keller

Achleitner: Handwerker vom First zum Keller

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen


verknüpfte Akteure
Achleitner Friedrich

12. Mai 1990Otto Kapfinger
Die Presse

Für eine differenzierte Architektur

Unter den großen Architekten des 20. Jahrhunderts finden sich ganz unterschiedliche, meist extreme Temperamente; doch nur wenige verkörpern eine Synthese...

Unter den großen Architekten des 20. Jahrhunderts finden sich ganz unterschiedliche, meist extreme Temperamente; doch nur wenige verkörpern eine Synthese...

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

10. Januar 1982Adolf Krischanitz
Otto Kapfinger
werk, bauen + wohnen

Reisebüro Kuoni

Das Äussere: Die vorhandene Struktur von Mauern und Öffnungen wurde erhalten bzw. wiederhergestellt und das Geschäftsportal als Glashaut davorgesetzt....

Das Äussere: Die vorhandene Struktur von Mauern und Öffnungen wurde erhalten bzw. wiederhergestellt und das Geschäftsportal als Glashaut davorgesetzt....

Das Äussere: Die vorhandene Struktur von Mauern und Öffnungen wurde erhalten bzw. wiederhergestellt und das Geschäftsportal als Glashaut davorgesetzt. Die Flächenteilung der Glashaut wiederholt symmetrisch die Gliederung des Mauerwerks. Da dieses aber das gegebene Feld asymmetrisch unterteilt, ergibt sich eine leichte Verschiebung zwischen dem Rhythmus der Wandgliederung und der linienförmigen Teilung der Glashaut, wodurch der Akt des nachträglichen Hinzufügens noch verdeutlicht wird. Auch die Schrift über dem Glasfeld ist etwas Hinzugefügtes, sie kommt von vorne (der vorgestellten Glasschicht) nach hinten zur Wand und lehnt sich dort nur punktweise an. Die Kante des mittleren Mauerpfeilers ist an der Eingangsseite bis in die Höhe des Türsturzes abgerundet. Rundung und Kerbe leiten zur dritten Schicht, dem inneren Glasraster. Die in der vordersten Fläche angestrebte Achsialität wird durch die seitliche Lage des Eingangs wieder stark zurückgenommen. Im Zwischenraum der Fassadenchichtung bildet die horizontale Bewegung des Schliessgitters das physische Äquivalent dieser zweifachen «Verschiebung».

Bildhaftes Pendant zum konkreten Eingang links ist die Auslagenöffnung rechts, das «Tor zur Welt», zur inszenierten Tourismuswirklichkeit. Ein quadratischer Sockel trägt den Globus, beides aus gefärbtem Stuckmarmor. Die Formkonstanz der Kugel bringt im Rahmenwerk der Portalvitrine auch den ruhenden, plastischen Schwerpunkt.

Das Innere: Das Konzept der Kundenbetreuung, die individuelle persönliche Beratung, sollte in der Gestaltung der Tische zum Ausdruck kommen. Die üblichen Schalterborde wurden deshalb zu separierten Schalterinseln abgewandelt. Instrumenteller und repräsentativer Teil sind klar definiert.

Als Paraphrase zur Messingpalme, die zur Dekoration von Reisebüros und Geschäften in Wien derzeit mehr oder weniger gekonnt, in jedem Fall inflationär eingesetzt wird, steht hier ein Paar dünner Messingstelen. Sie vereinen drei konkrete Gebrauchswerte und bringen darüber hinaus - ohne direkte bildliche Darstellung - auch Beziehungen zu formal-kulturellen Inhalten. Dem in den blauen «Himmel» des Tonnengewölbes weisenden Stengel entspringen drei Elemente: die nach unten zeigenden Lampen - sie bringen Licht ohne Schirm anstelle des Schirms schattenspendender Blätter; die kleinen Kleiderhaken - Knöpfe anstelle von Knospen; der Ring des Schirmständers - mit seinen Speichen und Knöpfen in dere Nähe eines Schiffsteuerrades. Die punktförmigen Leuchten sind montiert aus handelsüblichen Teilen: Fassung, Schirmrosette und Spiralfeder sind auf abgekantetes, verchromtes Blech geschraubt. Durch Variation der Knickung des Blechstreifens ergeben sich drei verschiedene Lampenstellungen. Über dem Lamperiehorizont bilden die Spiegel ein Abteil «illusionärer» Raumfenster, das durchgebrochene «echte» Fenster ist durchgestrichen.

Im hinteren Büroraum wurden mit Trennwänden die Bereiche für Teeküche, Cafe-Nische, Waschnische und WC geschaffen. Die schräge Abdeckung des WC-Waschraums wiederholt im privatesten Teil die Schriftschräge des Eingangsportals. Der ganze Charakter dieses Einbaus bezieht sich auf die Holzverschläge von Schuppen, Salettl und Badehütten, enthält u.a. damit wieder den Gedanken des Hinzugefügten und des Provisorischen unter freiem Himmel. An den Arbeitstischen sind gestreifte Kunststoffplatten von Pirelli/Fiat verarbeitet - eine Entwicklung aus den 50er Jahren für Wandverkleidungen in Motorbooten und Autobussen... Im natürlich belichteten Verkaufsraum erzeugen Holz und Messing eine «natürliche», einheitliche FärbStimmung. Im vorwiegend künstlich belichteten Büroraum herrscht eine aufgefächerte Skala von «künstlichen» Farbtönen durch Lackierung und Kunststoffbeschichtungen. Naturholz ist hier nur mehr sparsam für besondere Elemente verwendet.

Die Grundhaltung im Wiener Ladenbau war lange die Introversion, das Ausgrenzen der Strasse, der Hausfassade und des Gegenübers - das Ablösen vom Vorhandenen und In-sich-selbst-«Entwickeln». Im Reisebüro besteht die Grundhaltung im Einlassen des Aussen und im Sich-Einlassen mit dem Vorhandenen, in der schrittweisen Schichtung von aussen nach innen, im subtilen Reagieren auch auf das Gegenüber. Es geht uns nicht um das Möblieren mit Bildern, nicht um die geschickte Vereinzelung von metaphorischen Objektpartikeln, deren Zwischenräume und Brüche chic wieder geglättet werden. Es geht uns darum, die verschiedenen Schichten (physisch und metaphorisch) eines Entwurfs nicht oberflächlich zu verschieifen, sondern durch mehrfache Überlagerung zu verdecken und zu vertiefen, die Aura von Formen nicht auszuspielen und zu strapazieren, sondern zu brechen.

werk, bauen + wohnen, So., 1982.01.10



verknüpfte Bauwerke
Reisebüro Kuoni



verknüpfte Zeitschriften
werk, bauen + wohnen 1982-01/02 Österreich - Wien

Profil

Studium der Architektur an der Technischen Universität Wien; 1970 Mitbegründer von Missing Link; 1979 bis 1990 Redakteur der Zeitschrift UMBAU; 1981 bis 1990 Architekturkritiker der Tageszeitung „Die Presse“; diverse Buchveröffentlichungen und Ausstellungskonzeptionen zur modernen und gegenwärtigen Baukunst in Österreich, u.a. leitender Mitkurator der Ausstellungen „Visionäre und Vertriebene“ (Kunsthalle Wien) und „Architektur im 20. Jahrhundert: Österreich“ (Deutsches Architekturmuseum Frankfurt); Verfasser von „Haus Wittgenstein. Eine Dokumentation“ (Hg. Kulturabteilung der Bulgarischen Botschaft, Wien 1991).

Zahlreiche Fachpublikationen u.a. in :
arch +; archithese; Architektur Aktuell; Architektur, Bauen & Wohnen; Bauwelt; Baumeister; Casabella; de Architect; deutsche bauzeitung; DOMUS; leonardo; UMBAU; Werk, Bauen & Wohnen

Auszeichnungen

2015 Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1