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15. Dezember 2008Arno Ritter
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Hermann Czech und seine Architektur jenseits des Materials

Hermann Czech und seine Architektur jenseits des Materials

»Die ›Funktion‹ ist dem Entwurf nicht vorgegeben, sondern immer erst im Entwurf vermittelt. Vorher ist sie nicht da; wie Raum und Konstruktion wird sie erst durch die Architektur geschaffen. Ja, das eigentliche künstlerische Material der Architektur ist nicht der Baustoff, die Konstruktion, die skulpturale Form, nicht einmal der Raum oder das Licht – es ist das Verhalten von Menschen.« Hermann Czech (2003)

Hermann Czech ist Architekt, er plant seine Bauten mit den Mitteln der Architektur, aber eigentlich entwickelt er sie auch aus der Welt der Sprache und der Grammatik des Alltagslebens. Ein wesentliches Merkmal seiner Projekte besteht darin, dass er die Begriffe und die Rhetorik des einfachen Lebens als wichtiges »Material« und Ausgangspunkt ansieht. Er entwickelt Konzepte auf Basis einer langen Auseinandersetzung mit der Sprache der/über Architektur, entlang der Begriffe und ihrer Bedeutungen. Diese innerarchitektonische »Welt« überprüft er durch die so genannten Konventionen, die er zuerst beobachtet und analysiert, um sie adaptieren und leicht verändern zu können. Doch Czech »zitiert« nicht, sondern übersetzt diese Erkenntnisse in »neue«, zeitgenössische Architektur. »Der Gegenstand der Architektur ist nicht das architektonische Objekt. Das Thema der Architektur ist zunächst der genutzte Raum, die definierte und strukturierte Leere im und am Objekt; und diese Leere ist weiters vermittelt durch eine persönliche, soziale und historische Sicht – durch eine Individualität. Das Thema der Architektur ist also immateriell. Gegenstand der Architektur ist der architektonische Gedanke.« (Czech)

Hermann Czech ist kein Revolutionär, er erhebt nicht den Anspruch innovativ oder avantgardistisch zu sein, will nicht die Grenzen der Architektur ausreizen. »Ich bin nicht jemand, der Formen erfindet oder Konzepte im Kopf zusammenverdichtet, sondern jemand, der von den vielen Vorbedingungen lebt.« (Czech)

In diesem Sinne arbeitet er kontinuierlich an architektonischen Gedanken, da er komplexe, präzise und vor allem mehrschichtig »funktionale« Lösungen entwirft. Er entwickelt seine Projekte nicht aus der materiellen Welt, sondern über den Umweg der Sprache und des darin gespeicherten »Wissens« über die symbolischen Bedeutungen der Baustoffe und ihrer »Funktionalität«. Eigentlich interessiert er sich nicht für die Materialien an sich, da er sie »nur« – je nachdem – für »etwas« verwendet, sie der Sprache und der Idee des Entwurfs unterordnet. Er spielt mit den Materialien und ihren Bedeutungen, »erlaubt« sich Verfremdungen, Täuschungen und Irritationen, um letztendlich jene atmosphärische »Selbstverständlichkeit« und konzeptionelle Stringenz zu erreichen, die einen als Nutzer zuerst beeindruckt und dann in Ruhe lässt. Diese Haltung kennt kein echt oder falsch, folgt nicht vordergründig Überlegungen zur Materialgerechtigkeit und lügt teilweise, was das Zeug hält, weil sie letztendlich an einem bestimmten und stimmigen Ergebnis interessiert ist. »Ich kenne bis heute nicht viel mehr als fünf Holzarten und die reichen mir. Im Palais Schwarzenberg habe ich bei der Bar das Holz nur nach den Kriterien von hell und dunkel ausgesucht. Mich interessiert die Holzart nicht, sondern nur gewisse Eigenschaften, nämlich die Farbe und ob sie hart oder weich ist.«

Czech nimmt die Architektur wörtlich, hin und wieder wortwörtlich. Dabei folgt er einem Ansatz von Theodor W. Adorno, der 1963 Folgendes formulierte: »Der Funktionalismus ist eine unverlierbare historische Stufe der Architektur. Andererseits erleben wir jetzt seine Austrocknung, Sterilität. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus, ohne hinter den Funktionalismus zurückzugehen? Der Begriff der Phantasie, die sozusagen obendrein dazukommt, ist unzureichend. Man kann nur über die Sachlichkeit hinaus, indem man noch sachlicher ist.«

Dieses »Noch-sachlicher-Werden« interpretiert Czech als Bewegung zur Sache selbst, zur Funktion von Architektur, zu ihrer verborgenen Sprache, der Architekturgeschichte als Material sowie zu den Bedürfnissen der Nutzer an sich: eben zu ihrer Grammatik. In diesem Sinne scheut er nicht davor zurück, in die Debatte über Architektur Argumente für die Trivialisierung ihrer Ästhetik einzubringen, also auch banale und »un-schöne« Lösungen gelten zu lassen.

Aus diesen Überlegungen heraus wird auch der Widerspruch – die ästhetische wie materielle Inkommensurabilität – akzeptiert und in den Entwurfsprozess integriert. Ohne Anspruch auf eine durchgängig »schöne« Gestaltung öffnet sich damit die Architektur zu einem regellosen und ideologiefreien System, das »Strukturen von Argumenten« (Czech) zu folgen sucht. Diese Grundhaltung führt auch zur Einsicht, »dass trotz Einhaltung aller Regeln ein totes Werk entstehen und ein lebendiges Werk allen Regeln widersprechen kann«. (Dieses Zitat bezieht sich eigentlich auf die »Regeln« von Christopher Alexander.) Denn das Einhalten von Regeln erzeugt noch keine Stimmigkeit, bestenfalls Richtigkeit, und der Regelbruch zieht unter Umständen ein spannendes Ergebnis nach sich. In diesem Sinne fungieren Regeln für Czech als Grenzen, die zu dehnen ihm Freude bereitet, ohne jedoch in ein »naives« Verhalten zu verfallen. Wichtig erscheint Czech vor allem, dass man die Sprache der Gestaltung den Bedingungen und nicht einem Stil anpasst. Im Begriff des Manierismus – der den Stilbruch pflegt, ohne stillos zu sein – versucht er diesen Ansatz zu verdeutlichen.

»Der Manierismus ist eine Haltung der Intellektualität, der Bewusstheit; und außerdem ein Sinn für das Irreguläre, Absurde, das die jeweils aufgestellten Regeln durchbricht. Der Manierismus ist der begriffliche Ansatz, die Wirklichkeit auf der jeweils erforderlichen Ebene zu akzeptieren. Er erlaubt jene Offenheit und Imagination, auch unerwartete Fremdprozesse in Gang zu setzen und zu ertragen. Eine Architektur der Partizipation ist nur auf der Basis eines Manierismus möglich.« (Czech)

Diese Trivialisierung von Theorie und Materialeinsatz auf höchstem Niveau widerspricht jedoch den gängigen Vorstellungen der architektonischen Disziplin. In gewissem Sinne lebt Czech darin die Janusköpfigkeit der Moderne aus, da er sowohl die Kritik an der Moderne formuliert als auch gegen ihre Formalisierung anschreibt und -baut, um ihre Idee zu retten. Mit seiner Position spaltet er die ästhetische wie ideologische Gegenwart, indem er eine »eindeutig« moderne Haltung bezieht, sich formal scheinbar »hässlich« gibt, um mit ironischer Geste anzudeuten, weder noch zu sein.

zuschnitt, Mo., 2008.12.15



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zuschnitt 32 Echt falsch

15. September 2007Arno Ritter
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Vom Gerüst zum Etui

Es gibt Bauten, die bewahren ihre Persönlichkeit, obwohl sie verändert wurden und nicht mehr so sind, wie sie einst gedacht waren. Auch wenn die Oberfläche...

Es gibt Bauten, die bewahren ihre Persönlichkeit, obwohl sie verändert wurden und nicht mehr so sind, wie sie einst gedacht waren. Auch wenn die Oberfläche...

Es gibt Bauten, die bewahren ihre Persönlichkeit, obwohl sie verändert wurden und nicht mehr so sind, wie sie einst gedacht waren. Auch wenn die Oberfläche gealtert, das einst honiggelbe Holz ergraut und die konzeptionelle Stringenz, die bildliche Reinheit der ersten Stunde vom gelebten Alltag transformiert und überformt wurden, behalten sie ihre ursprüngliche Qualität und architektonische Prägnanz. Denn gestimmte und stimmige Architektur – vorausgesetzt, sie wird von den Eigentümern erkannt und belebt – entwickelt sich mit dem Leben und den Bewohnern weiter, sie verliert nicht ihre Stärke, sondern formt sich zu einem zeitlosen Charakter.

Das Haus Kolig ist so eine architektonische Persönlichkeit, die trotz ihres Alters noch immer »frech« in der Landschaft steht und gleichzeitig ganz selbstverständlich den Hang besetzt und definiert. Obwohl das Haus an die Qualität der bäuerlichen Architektur erinnert, da es unter anderem aus der Tradition des anonymen Bauens dieser Region entwickelt, jedoch in die 1970er Jahre transformiert wurde und vielleicht auch deshalb noch immer modern ist, hätte es anfänglich beinahe nicht gebaut werden dürfen, da es vor allem von der Behörde und echten Kärntnern abgelehnt wurde.

Diese Erregten trafen die architektonische Ursprünglichkeit, die typologische Archaik und die stille Modernität des Hauses so sehr ins heimelnde Herz, dass nach seiner Errichtung sogar die Gefahr bestand, dass es von gerade diesen »Verbundenen« angezündet oder umgesägt werden hätte können. Am Anfang dieser schlichten Ikone der alpinen Moderne stand die Zusammenarbeit zwischen dem Künstler Cornelius Kolig, der wenige Jahre später mit der Errichtung einer komplexen Anlage, dem fantastischen und einzigartigen Gesamtkunstwerk »Paradies« in Vorderberg begann, und dem kurz zuvor aus Kalifornien zurückgekehrten Architekten Manfred Kovatsch, der sich im Rahmen seines Forschungsaufenthaltes mit dem amerikanischen Holzbau, energieorientierten Überlegungen im Bauwesen und vor allem mit Rudolf Schindler beschäftigt hatte.

Die erste Idee von Kovatsch, ein einfaches Holzgerüst mit »darüber gestülptem Holzspalier zu bauen, das bewachsen wie eine zweite Klimahülle wirken sollte«, war der konzeptionell radikale, gleichzeitig skulpturale Ausgangspunkt eines steten Entwicklungsprozesses, dessen vorübergehendes Zwischenergebnis von 1977, das vielfach publizierte und fotografierte Haus Kolig, im Laufe der Jahre von Cornelius und Doris Kolig sukzessive erweitert, adaptiert, verändert und in gewissem Sinn zu einem maßgeschneiderten Etui weiterentwickelt wurde.

Zwar gab es für Kovatsch auch einige Eingriffe – so wurde in die Westfassade ohne Rücksprache ein großes Fenster, ein »Landschaftsbild« geschnitten –, die er in dieser Form anfänglich problematisch fand, aber letztendlich wurde das Haus bis in die jüngste Vergangenheit auf Basis des anfänglichen Konzepts zu einem funktionalen Gesamtkunstwerk komplettiert.

Ursprünglich wurde das Haus – unter anderem auch aus ökonomischen Gründen – aus massiven Fichtenhölzern mit einfachsten Mitteln und ohne wirkliche Detailplanung innerhalb von drei Tagen aufgestellt, das Dach aus mehrlagigen Lärchenbrettern gedeckt und die Räume mit einfachem, naturbelassenem Fichtensperrholz »tapeziert«.

Den Zimmerleuten wurden das Modell und ein Werkplan zur Verfügung gestellt, die wichtigsten konstruktiven Knoten und Verbindungselemente zwar vom Statiker Horst Lintl aus München gezeichnet, die wesentlichen Entscheidungen bezüglich der Ausbaudetails jedoch an Ort und Stelle mit den Handwerkern getroffen und die Bauleitung an Cornelius Kolig übertragen, der ohne große praktische Vorkenntnisse, aber in telefonischem Kontakt mit Kovatsch in München den Entstehungsprozess des ungewöhnlichen Projekts betreute.

Betritt man das Haus heute und lebt sich in seine Persönlichkeit ein, dann nimmt man die Ambivalenz zwischen Tradition und Zeitlosigkeit wahr, spürt den Dialog der beiden Autoren. Denn unter der lärchenverschalten Hülle, die sukzessive eine rurale Anmut bekam – ohne wirklich kärntnerisch zu werden –, blieb ein utopischer Kern, jener widerständige Geist der 1970er Jahre erhalten, der mehr durch weniger erreichen wollte, ohne das Wesentliche zu verlieren oder minimalistisch zu wirken. Das Haus ist räumlich vielschichtig und in der Benutzung offen, einzigartig und gleichzeitig so allgemein gedacht, dass es überall, aber nur hier stehen kann. Es irritiert in gewissem Sinne angenehm und überzeugt durch den spielerischen, aber funktionalen Ansatz in der Lösung von Details und in der ungewohnten Materialisierung von Alltäglichem. Denn letztendlich wurde es aus unterschiedlichen Erfahrungen entwickelt, aus den Tiefenschichten des kollektiven und gleichzeitig individuellen Bewusstseins, das von Erlebnissen auf Heuböden, Kindheitsträumen und Raumutopien erzählt.

Das Haus kreiert einen uneindeutigen und gerade deshalb lebenswerten Raum, der ganz aus den damaligen Lebensumständen von Kovatsch und Kolig entwickelt wurde und die Zeit seither brauchte, um so zu bleiben, wie es anfänglich gedacht war.

zuschnitt, Sa., 2007.09.15



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Haus am Ossiacher See / Haus Kolig



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zuschnitt 27 Zweite Lesung

15. März 2004Arno Ritter
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Von der Beletage ins Penthouse

Meine erste eigene Wohnung war ein kleines Nest mit Blick über die Dachlandschaft des ausrinnenden »Ungargassenlandes« (Ingeborg Bachmann) und Klo am Gang....

Meine erste eigene Wohnung war ein kleines Nest mit Blick über die Dachlandschaft des ausrinnenden »Ungargassenlandes« (Ingeborg Bachmann) und Klo am Gang....

Meine erste eigene Wohnung war ein kleines Nest mit Blick über die Dachlandschaft des ausrinnenden »Ungargassenlandes« (Ingeborg Bachmann) und Klo am Gang. Sie war 24,86 m² groß und bestand aus zwei mansardenartigen Räumen, die ehemals als Waschküche und Bügelzimmer in jenem gründerzeit-lichen Miethauses dienten, in dem ich aufgewachsen war. Über zwanzig Jahre hatte sich meine räumliche Sozialisation in der so genannten Beletage dieses Hauses abgespielt, mit den bekannten Insignien von Zimmerflucht, Flügeltüren, Parkettböden und dem Geruch einer ausgedünnten großbürgerlichen Wohnkultur. Und dann bezog ich diesen Horst, diesen Sehnsuchtsraum am Ende meiner bisher wahrgenommenen Hauswelt. Irgendwie abgehoben von der Stadtebene, zwar direkt mit dem Kommen und Gehen im Stiegenhaus, dem altertümlichen Lift und seiner knarrenden Geschäftigkeit verbunden, träumte ich mich von der »Hausherrenebene« in die Welt eines »Ghost Dogs«. Ich war also in der einst architektonisch angelegten Hierarchie dieses Jahrhundertwendehauses dorthin gezogen, wo früher eine unterprivilegierte Schicht – vom Künstler im Atelier bis zum Arbeitsbereich der Dienstmädchen – ihr meist unromantisches Spitzweg-Dasein gelebt hatten.

Für mich jedoch repräsentierten diese zwei Räume, der Blick in den Himmel und das ferne Rauschen der pulsierenden Stadt die reine Freiheit. Wahrscheinlich löste diese Wohnung in mir aber auch jene Träumereien und naiven Projektionen ein, die ich als Kind in die Dachlandschaft, in diese verwunschene und unheimliche Zone zwischen Haus und All hineingelegt hatte und die in meiner Einbildungskraft eine eigenartige Form von Intimität und Geborgenheit erzeugten.

Der Dachboden war lange Zeit in unseren Breiten eine unbewohnte Randzone zwischen Haus und Himmel, der mit den Jahreszeiten mitlebte. Er beherbergte Wirtschaftsräume oder diente als Speicher für eine ausrangierte Vergangenheit. Vor allem im urbanen Kontext wurde diese nutzlose Hausebene aber über die Stilepochen hinweg zur Straße repräsentativ und meist individuell gestaltet. Mit welcher Identität das Haus endet, war eine immer wiederkehrende Frage in der Architektur. Vor allem im Historismus entstand ein differenziertes gestalterisches Zeichensystem, das die urbane Dachlandschaft zur Repräsentationsfläche einer bürgerlichen Mythologie machte, die per Katalog zu bestellen war. Ein wahres Reich an oft industriell gefertigten Fabelwesen, Engeln und Statuen bevölkerten die mit Kupfer verkleideten und in Stein ornamentierten Dachzonen mit ihren Erkern, Türmchen und Giebeln. Gehalten und gestützt wurde diese urbane »Märchenwelt« durch teilweise aufwändig konstruierte Dachstühle, die den Blicken des Stadtbewohners zumeist verborgen blieben. Diese von Zimmermannshand errichtete Dachlandschaft, mit ihren komplexen Konstruktionen und den lange im Dunklen liegenden räumlichen Qualitäten, verschlang ganze Wälder und inspirierte die Handwerkskunst zu faszinierenden Lösungen. Die abschließende Ebene der »steinernen Stadt« bestand aus zumeist nutzlosen Kubaturen, die größtenteils aus Holz errichtet waren und »unbewusst« bzw. planlos auf ihre Entdeckung warteten.

Doch mit der zunehmenden Beschleunigung des Stadtlebens und der Horizontalisierung der urbanen Wahrnehmung, der Kommerzialisierung der Schaufensterzone und der Ökonomisierung der städtischen Räume wurde die Dachlandschaft zu einer nur mehr peripher gestalteten Zone. Sie verlor zunehmend ihre geheimnisvolle Ordnung und symbolische Bedeutung. Der vertikale Abschluss der Stadt wurde im Zuge der so genannten Moderne und im Sinne des positivistischen Denkens rationalisiert und veränderte damit seine Bedeutung. Die Dachzone wurde unter anderem zur Trägerin kommerzieller Signale, zum Ort einer Zeichenwelt mit Leuchtreklamen und Schriftzügen, die eine ökonomisch geprägte Mythologie der Logokultur in die Stadtgestalt integrierte. Das Reich der steinernen Fabelwesen wurde von der »lichten« Ordnung der Warenwelt und des kommerziellen Denkens abgelöst. Im Zuge dieser Modernisierung begannen die Vertreter der architektonischen Avantgarde auch die Stadt und das Haus von ihrer unheimlichen Geschichte zu entstauben und dem Dachboden seine Geister auszutreiben.

»Das Haus mit dem steilen Giebel birgt Geheimnisse und unbekannte Stellen. Das flache Dach ist ein Ausdruck der nicht metaphysischen Weltanschauung, die überall Klarheit haben will: Das Haus steht da, es ist das und das drin und damit ist es fertig. (…) Das ist der wahre Grund, weshalb das flache Dach in den Wohnbau eingeführt wurde. (…)« (Josef Frank: Was ist modern?, in: Die Form V/ 15, 1930) Irgendwie kann die heute teilweise als krampfhaft wahrgenommene Ideologie der Moderne, einerseits das Satteldach und seine zahlreichen »Geschwister« aus der gestalterischen Ordnung der Welt zu vertreiben, andererseits den »unheimlichen« Keller durch fast schwebende und die Erde nur punktweise berührende Häuser zu eliminieren, auch psychoanalytisch gedeutet werden. Das undurchsichtige Es des Hauses sollte Ich werden und damit die so genannte »Klarheit« und »Transparenz« Grundlage einer neuen Weltordnung.

Die Dachebene wurde dementsprechend von den modernen Architekten zur nutzbaren öffentlichen Freizeitzone, zur Terrasse mit Aussicht, zur Begegnungsfläche mit Sonne, Luft und Sternen umgedeutet. Im Zuge dieser Umwertung wurde das Dach flach, der kubische Hauskörper wurde auf Stützen gehoben und mit Pergolen, schwebenden Flugdächern und anderen architektonischen Elementen symbolisch zum Fliegen gebracht. Das Wohnhaus wurde zur sinnvollen »Maschine« uminterpretiert und jegliche Form architektonischer und damit zeichenhafter Archetypik zu vermeiden versucht. So sehr dieser »aufklärerische« und moderne Anspruch im Wissen um die damaligen räumlichen, sozialen wie gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen verständlich ist, so sehr verdrängte er aber auch gewisse psychische Befindlichkeiten, die vor allem in der literarischen, künstlerischen wie filmischen Einbildungskraft weiterlebten und gewisse »Tiefenschichten« einer kollektiven bzw. individuellen Hausvorstellung visuell oder schriftlich konservierten.

Eine fast unsichtbare und irgendwie verschmitzte Aneignung der urbanen Dachzone begann Raum zu greifen. Um dem »neuen« Bedürfnis nach Luft, Sonne und Sternen gerecht zu werden, wurden meist straßenabgewandt Terrassen und Wintergärten in die oberste Weichschicht der Städte eingeschnitten und eine Art von kleinbürgerlicher Schrebergartenidylle am Dach geschaffen. So lebte sich der Traum vom ökologisch korrekten Stadtbewohner, der »nutzlose« Kubatur umwidmete, um obenauf und mit ein wenig Grün zu wohnen – von der Beletage in den Dachboden war die halbbewusste Losung dieser aufstrebenden Schicht.

Ab Mitte der 1990er Jahre entstand die Sehnsucht der obersten Zehntausend nach einem richtigen Haus am Haus, nach der sichtbaren Artikulation einer abgehobenen Wohnung, nach einem neuen architektonischen Zeichen und Status im urbanen Geflecht. Man wollte sich nicht mehr verstecken, sondern sich selbstbewusst von der darunter liegenden baulichen Geschichte und dem »banalen« Alltag abheben. Es entstand die »nachmoderne Villa« auf historischem Sockel mit Garten und Blick auf die »alte«, wieder lebenswerte, mittlerweile durchökonomisierte, letztlich aber auch unheimliche und irgendwie »gefährliche« Stadt – der »Mordillo-Virus« breitete sich auf den Dächern aus und befriedigte den Traum einer neuen urbanen, vermögenden Klientel. Einkokont in die Abgehobenheit, mit einer nach allen Seiten hin transparenten Haut zwischen Himmel und Erde, angesiedelt zwischen individualpsychologisch motivierten Freiheitsvorstellungen und einer unsicheren politischen wie kollektiven Bodenhaftung, wurde ein neues Schichtmodell in die Stadt integriert. In einer zweiten Lesung von Stadt eroberte eine »high Society« die Dachebene, schottete sich vom öffentlichen Raum und der ökonomischen Alltäglichkeit ab und richtete sich in der Stadtkrone sichtbar ein. Sogar im sozialen Wohnbau wurden die Etagen neu verteilt und die Stockwerke nach ökonomischen Kriterien umgewertet und bemessen. Seit einiger Zeit sitzen die neuen »Hausherren« obenauf und nicht mehr im ersten Stock, in der so genannten Beletage.

zuschnitt, Mo., 2004.03.15



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zuschnitt 13 Holz hebt ab

15. März 2002Arno Ritter
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Von der Elastiziät des Holzes

Zusammenfassung eines Gesprächs über Holz und Gastlichkeit mit den Architekten Hermann Czech und Gregor Eichinger, moderiert von Arno Ritter am 19. Jänner 2002 in Wien.

Zusammenfassung eines Gesprächs über Holz und Gastlichkeit mit den Architekten Hermann Czech und Gregor Eichinger, moderiert von Arno Ritter am 19. Jänner 2002 in Wien.

Ritter: Welche Dinge sind eurer Meinung nach bei der Gestaltung von Lokalen wichtig, damit ein Ort der Gastlichkeit im Endeffekt auch lang funktioniert?

Czech: Vor kurzem habe ich in einem Interview für eine Gastgewerbezeitschrift gesagt, dass ein Gasthaus eigentlich nach nichts ausschauen soll, weil sonst der Gast glaubt, dass er für das Design auch noch mitzahlen muss.

Eichinger: Oder er hat Angst, dass er nicht zum Lokal passt.

Ritter: In einem Gespräch, Gregor, hast du einmal gesagt, dass Gastronomiebetriebe immer dann funktionieren, wenn eine produktive Synthese zwischen dem Wirt, dem Personal und der Küche existiert. Erst an letzter Stelle komme die Architektur.

Eichinger: Das wichtigste sind meiner Meinung nach das Licht, der Kellner und die Atmosphäre, welche sicher durch Gestaltung und Material erzeugt wird, wobei Architekturexzesse oder übertriebenes Design kontraproduktiv sind. Sie befriedigen eigentlich nur kurzfristig eine gewisse Klientel, die nach einiger Zeit wieder weiterzieht. Es gibt Lokale, die nach zwei Jahren abgefuckt sind und es gibt Statements, die über ihr Errichtungsdatum hinaus bestehen bleiben. Zum Beispiel ist das Kleine Café von Czech ein Prototyp, das seit Jahrzehnten seinen Stellenwert in Wien hat. Dort ist das Herstellen eines Brotes ein Ritual und das deswegen, weil so wenig Platz ist und deshalb jedes Ding, das dazu notwenig ist, seinen bestimmten Ort haben muss. Auch die Bewegungen sind fast vorgegeben und daraus entsteht eine Einheit zwischen Form und Inhalt. In gewissem Sinne ist das Kleine Café wie die Loos-Bar ein amerikanisches Lokal, weil alles durchritualisiert ist.

Ritter: Das heißt mit den Worten und im Sinne von Czech, dass die Inszenierung vor dem Hintergrund der Architektur stattfindet.

Eichinger: Ja, aber die Architektur gibt genau diese Rituale vor. Ich finde, dass dort die Aufmerksamkeit, wie ein Brot bestrichen wird, mit der Aufmerksamkeit, wie die Kunden bedient werden, korreliert. Die Architektur prägt mit ihren räumlichen wie konzeptionellen Statements die ganze Inszenierung mit.

Czech: So weit würde ich nicht gehen. Wenn der Betrieb nicht funktioniert und der Wirt seine Rolle nicht wahrnimmt, dann kann die Architektur auch nicht helfen. Man kann mit Architektur kein Lokal machen, allenfalls kann man eines ruinieren.

Eichinger: Das stimmt natürlich, aber man kann schon einiges mit Architektur steuern. Die Architektur erzeugt die typologische Aussage, ob das Lokal eine Bar, ein Café oder ein Restaurant ist.

Ritter: Ihr habt den Begriff Atmosphäre verwendet. Grob gesprochen wird diese durch Licht und Material hergestellt. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang für euch Holz? Kann man es als atmosphärisches Material bezeichnen, das automatisch so etwas wie »Gemütlichkeit« erzeugt?

Eichinger: Für mich ist Holz eines der elastischsten Materialien, weil es im ruralen wie auch urbanen Kontext für jeden gastronomischen Typus eingesetzt werden kann. Es kann für ein urbanes und elegantes Ambiente oder für eine rohe und räudige Kantinenatmosphäre herangezogen werden, da Holz alle möglichen Projektionen zurückspielt.

Czech: Begriffe wie Gemütlichkeit und Atmosphäre sind nicht die Ansatzpunkte beim Entwurf, denn eigentlich geht es immer um ganz rationale Überlegungen. Holz ist ein relativ schlechter Wärmeleiter, dadurch fühlt es sich beim Angreifen warm an. Holz atmet und nimmt viel auf, wenn es entweder unbehandelt bleibt oder mit Leinöl eingelassen ist. Wenn man es mit einer Kunststoffschicht zuschmiert, dann verliert es diese Durchlässigkeit. Es war ja einmal in den 70er Jahren schick, echte Holzfurniere so zu verarbeiten, dass sie wie Resopal ausschauten...

Eichinger: Das war eine hohe Kunst, muss man sagen.

Czech: Gestalterisch spielt man mit den verschiedenen Holzarten, man setzt heute entweder Vollholz oder den Kunststoff Holz ein bzw. kombiniert die Materialien. Holz hat zwar eine objektive Qualität, aber es gibt so etwas wie Bedeutungsebenen, die man je nach Zeit den Holzarten zuweist. Dementsprechend erleben wir immer wieder Rezeptionsänderungen. Wer hätte geglaubt, dass die historisch belastete Eiche wieder so selbstverständlich eingesetzt werden wird?

Eichinger: Natürlich gibt es Moden. Ende der 80er Jahre war vor allem Birkensperrholz das Material, mit dem man gearbeitet hat, parallel dazu hat sich auch MDF eingebürgert. Leider reagieren Produzenten und Markt viel zu langsam auf die sich ändernden Ansprüche. Denn bis ein Material wirklich präsent und billig ist, ist das Interesse daran schon wieder erlahmt. Wobei wir eigentlich bisher nur drei Holzarten eingesetzt haben, nämlich Birke, Eiche und Nuss. Denn uns interessieren nicht die verschiedenen Effekte, die man über die Maserung oder die Furniere erzielen kann, sondern uns geht es um das Erzeugen von Neutralität. Wir setzen Holz eher als beruhigendes Moment ein, so zum Beispiel, wenn wir durchgehend amerikanische Eiche verwenden und diese unbehandelt lassen.Czech Ich zum Beispiel kenne bis heute nicht viel mehr als fünf Holzarten und die reichen mir. Im Palais Schwarzenberg habe ich bei der Bar das Holz nur nach den Kriterien von hell und dunkel ausgesucht. Mich interessiert eigentlich die Holzart nicht, sondern nur gewisse Eigenschaften, nämlich die Farbe und ob sie hart oder weich ist.

Ritter: Das heißt, bei euch überwiegen rationale Gründe?

Czech: Nehmen wir doch die Entwicklung des Sessels. Im Rahmen der damaligen Technologien war das Bugholzmöbel deswegen so fortschrittlich, weil es leicht und billig war. Aus diesen rationalen Gründen wurde der Bugholzstuhl zum selbstverständlichen Möbel in den Kaffeehäusern. So blieb Holz immer ein fixer Bestandteil von Gast- und Kaffeehäusern, weil es in seiner Materialeigenschaft uneinholbar war. Bevor andere Materialien entdeckt wurden, gab es ja keine Alternativen zum Holz. Den ausschließlichen Vorteil der Leichtigkeit hat das Holzmöbel heute nicht mehr, da es seit einiger Zeit Metall- und Kunststoffmöbel gibt, die auch leicht sind. Andererseits existieren unbewusst abgespeicherte Normen und Verhaltensregeln. Auch wenn sich die Routinehandlungen im Zusammenhang mit dem Essengehen oder der Kaffeehausbenutzung historisch verändert haben, so bleibt doch trotz einiger Verluste immer ein Paket an Wissen und Eingeübtem übrig. Mit dieser Dialektik muss man als Architekt umgehen, nämlich den richtigen Mittelweg zwischen Tradition und Veränderung finden. Konsum in einem Gastronomiebetrieb hat viel mehr mit Gewohnheit als mit Innovation zu tun. Die Veränderungen sind eher minimal. Letztlich wäre man als Konsument verloren, wenn alles umgekrempelt würde.

Eichinger: Holz ist ja fast in allen Kulturen im gastronomischen Bereich in Verwendung. Das hängt sicher damit zusammen, dass es ein Hightech-Material ist und besondere Qualitäten in der Instandhaltung hat. Deshalb gibt es auch in diesem Bereich so ein Naheverhältnis zu diesem Material. Holz umarmt einen in gewissem Sinne, es besitzt einen Sympathiewert. Das bedeutet nicht, dass andere Materialien nicht auch sympathisch wären, aber Holz verhält sich der Haut gegenüber sehr angenehm. Holz nimmt sehr gut Schwingungen und Schweiß auf. Holz hat einen Körper. Es ist wie ein Instrument.

Ritter: Gehen wir noch auf die Tradition ein. In jeder Kultur haben sich räumliche bzw. atmosphärische Standards herausgebildet, an die man sich gewöhnt hat und wo man sensibel reagiert, wenn sie sich radikal ändern. Es geht also in eurem Verständnis um ein leichtes Weiterentwickeln von Gewohnheiten in der Kultur der Gastlichkeit, um den Erhalt von gewissen Momenten. Besitzt Holz in diesem Zusammenhang einen Wiedererkennungseffekt?

Czech: Nur zum Teil. Gerade seit der klassischen Moderne gibt es das Eindringen des Stahlrohrsessels in die Möbellandschaft. Diese Entwicklung bringt auch einen gewissen Sitzkomfort, den man vorher so nicht gekannt hat. Es gab natürlich auch ideologische Auswüchse, wonach nur der Stahlrohrstuhl modern sei.

Eichinger: Heute ist es nicht mehr so, dass ein Sessel automatisch ein Holzsessel sein muss, weil es seit einiger Zeit eine große Auswahl gleichwertiger Materialien gibt. Insofern ist es auch ein bewusster Akt, wenn man sich für einen Holzsessel entscheidet. Mir hat in dem Zusammenhang sehr gefallen, wie der Sessel von Jasper Morrison auf den Markt gekommen ist, gerade zu einem Zeitpunkt, als man glaubte, dass man leichte Möbel nur mehr in Kunststoff herstellen kann. Dieser Stuhl hat gezeigt, dass man auch in Holz die Anforderungen erfüllen kann. Morrison hat einen völlig neuen Ansatz in die Diskussion eingebracht.

Ritter: Demgegenüber stehen jene Materialentwicklungen, die ich pointiert mit dem Begriff Kunststoff Holz bezeichnen möchte, wo Holz als Ausgangsmaterial für gewisse Produkte verwendet oder sogar, wie in den 70er Jahren, imitiert wird. Viele Architekten lieben diese Künstlichkeit und es ist zu bemerken, dass sich eine gewisse Entwicklung in Richtung Imitation abzeichnet.

Eichinger: Das stimmt sicher. Einerseits gibt es die Bewegung, die dem Holz etwas Auratisches und Natürliches zuweist, andererseits gibt es diese konstruierten Raumschiffwelten, wo alles künstlich sein muss. Das sind für mich normale Pendelbewegungen, die eigentlich irgendwie vorhersagbar sind. Wir setzen Holz nicht emotional ein, vor allem haben wir manchmal Angst, dass sich das Holz zu stark in den Vordergrund spielt. Deswegen schauen wir auch, dass wir so schlichte Furniere wie möglich bekommen, um die Anwendung von Holz auf das Wesentliche zu reduzieren und es zu sich kommen zu lassen.

Czech: In der Gastronomie ist es gar nicht notwendig, Holz zu propagieren, da es sowieso sehr präsent ist. Ich verwende sogar Holz, um es dann zu verleugnen. Ich nehme z.B. Ahorn, weil es zunächst nur einen Farbton repräsentiert, der nicht in erster Linie als Holz wahrgenommen wird. Mir geht es eher darum, Dinge zum Verschwinden zu bringen, d.h. wenn ich Holz verwende, kommt es mir nicht darauf an, dass es holzig wirkt. Auch bei einer Lackierung schaue ich, dass ich eine Farbe finde, die entweder im Material selber liegt oder die selbstverständlich mit dem Objekt verschmilzt. Man nimmt die Farbe nicht bewusst wahr, weil sie gewohnheitsmäßig mit dem Objekt verbunden wird.

Ritter: Du hast am Anfang erwähnt, dass Holz aufgrund seiner symbolischen wie auch materiellen Elastizität gerade in den verschiedenen ruralen wie auch urbanen Kontexten gut einsetzbar ist.

Eichinger: Holz ist für mich ein Werkstoff, mit dem man wirklich in einer großen Vielfalt umgehen kann. Wir haben ja bisher fast ausschließlich Lokale in urbanen Situationen geplant. Derzeit bearbeiten wir ein Projekt für Lech am Arlberg, wo sich die Aufgabe »Holz in allen seinen Facetten« stellt. Wir sollen ein Lokal entwickeln, das komplett aus Holz besteht. Das ist sehr spannend, vor allem weil der Auftraggeber, der selber Architekt ist, in seinem Hotel Zimmer nur mit Holz umgebaut hat, die in ihrer Eleganz beeindruckend sind. Wir müssen jetzt vollkommen neu anfangen über Holz nachzudenken.

Czech: Ich finde das vorhin angeschnittene Thema »Imitation von Holz« sehr interessant. Früher hat ja jeder gute Anstreicher alle möglichen Holzarten lasierend nachmachen können. Es gibt heute noch viele Gründerzeithäuser mit gemalten Eichen- oder Mahagonitüren. Das hat man damals unter Architekten inferior empfunden. Zum Beispiel sagte Adolf Loos, man dürfe jedes Material bekleiden, nur nicht mit dem Imitat seiner selbst. Jetzt gibt es seit einiger Zeit Fußbodenbeläge aus Laminat, die bisher ausschließlich eine Holzstruktur als Oberfläche haben und sehr billig sind. Und dann denke ich mir, vielleicht sollte man sich diesem Material ähnlich nähern, wie man jetzt die alten Pseudoholzanstriche betrachtet, die irgendwie liebenswert sind in ihrer Ästhetik. Andererseits denke ich mir aber auch, dass kleine Kinder auf diesem Boden aufwachsen und von früh an mit diesem Betrug konfrontiert sind. Das ist, als ob Kinder in der Volksschule mit der Kronen-Zeitung lesen lernen würden.

Eichinger: Ich finde diese Künstlichkeit sehr interessant und irgendwie habe ich nicht dieses Problem wie du, Hermann, weil unsere Umwelt aus vielen Künstlichkeiten besteht, vom Computer angefangen bis zum Fernsehen. Für mich ist das kein Betrug, denn mit diesen neuen Materialien kann man neue und zeitgemäße Möbel und Raumsituationen entwerfen oder damit ironisch umgehen.

Ritter: Welche Auswirkungen hat diese Bewegung der Künstlichkeit auf den Einsatz von Vollholz?

Eichinger: Meiner Meinung nach wird dieses anders wahrgenommen werden und man beginnt, sich wieder neu damit zu beschäftigen. Der Kunststoff Holz erzeugt eine neue Bedeutung für das Thema Vollholz.

zuschnitt, Fr., 2002.03.15



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Czech Hermann



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15. Dezember 2008Arno Ritter
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Hermann Czech und seine Architektur jenseits des Materials

Hermann Czech und seine Architektur jenseits des Materials

»Die ›Funktion‹ ist dem Entwurf nicht vorgegeben, sondern immer erst im Entwurf vermittelt. Vorher ist sie nicht da; wie Raum und Konstruktion wird sie erst durch die Architektur geschaffen. Ja, das eigentliche künstlerische Material der Architektur ist nicht der Baustoff, die Konstruktion, die skulpturale Form, nicht einmal der Raum oder das Licht – es ist das Verhalten von Menschen.« Hermann Czech (2003)

Hermann Czech ist Architekt, er plant seine Bauten mit den Mitteln der Architektur, aber eigentlich entwickelt er sie auch aus der Welt der Sprache und der Grammatik des Alltagslebens. Ein wesentliches Merkmal seiner Projekte besteht darin, dass er die Begriffe und die Rhetorik des einfachen Lebens als wichtiges »Material« und Ausgangspunkt ansieht. Er entwickelt Konzepte auf Basis einer langen Auseinandersetzung mit der Sprache der/über Architektur, entlang der Begriffe und ihrer Bedeutungen. Diese innerarchitektonische »Welt« überprüft er durch die so genannten Konventionen, die er zuerst beobachtet und analysiert, um sie adaptieren und leicht verändern zu können. Doch Czech »zitiert« nicht, sondern übersetzt diese Erkenntnisse in »neue«, zeitgenössische Architektur. »Der Gegenstand der Architektur ist nicht das architektonische Objekt. Das Thema der Architektur ist zunächst der genutzte Raum, die definierte und strukturierte Leere im und am Objekt; und diese Leere ist weiters vermittelt durch eine persönliche, soziale und historische Sicht – durch eine Individualität. Das Thema der Architektur ist also immateriell. Gegenstand der Architektur ist der architektonische Gedanke.« (Czech)

Hermann Czech ist kein Revolutionär, er erhebt nicht den Anspruch innovativ oder avantgardistisch zu sein, will nicht die Grenzen der Architektur ausreizen. »Ich bin nicht jemand, der Formen erfindet oder Konzepte im Kopf zusammenverdichtet, sondern jemand, der von den vielen Vorbedingungen lebt.« (Czech)

In diesem Sinne arbeitet er kontinuierlich an architektonischen Gedanken, da er komplexe, präzise und vor allem mehrschichtig »funktionale« Lösungen entwirft. Er entwickelt seine Projekte nicht aus der materiellen Welt, sondern über den Umweg der Sprache und des darin gespeicherten »Wissens« über die symbolischen Bedeutungen der Baustoffe und ihrer »Funktionalität«. Eigentlich interessiert er sich nicht für die Materialien an sich, da er sie »nur« – je nachdem – für »etwas« verwendet, sie der Sprache und der Idee des Entwurfs unterordnet. Er spielt mit den Materialien und ihren Bedeutungen, »erlaubt« sich Verfremdungen, Täuschungen und Irritationen, um letztendlich jene atmosphärische »Selbstverständlichkeit« und konzeptionelle Stringenz zu erreichen, die einen als Nutzer zuerst beeindruckt und dann in Ruhe lässt. Diese Haltung kennt kein echt oder falsch, folgt nicht vordergründig Überlegungen zur Materialgerechtigkeit und lügt teilweise, was das Zeug hält, weil sie letztendlich an einem bestimmten und stimmigen Ergebnis interessiert ist. »Ich kenne bis heute nicht viel mehr als fünf Holzarten und die reichen mir. Im Palais Schwarzenberg habe ich bei der Bar das Holz nur nach den Kriterien von hell und dunkel ausgesucht. Mich interessiert die Holzart nicht, sondern nur gewisse Eigenschaften, nämlich die Farbe und ob sie hart oder weich ist.«

Czech nimmt die Architektur wörtlich, hin und wieder wortwörtlich. Dabei folgt er einem Ansatz von Theodor W. Adorno, der 1963 Folgendes formulierte: »Der Funktionalismus ist eine unverlierbare historische Stufe der Architektur. Andererseits erleben wir jetzt seine Austrocknung, Sterilität. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus, ohne hinter den Funktionalismus zurückzugehen? Der Begriff der Phantasie, die sozusagen obendrein dazukommt, ist unzureichend. Man kann nur über die Sachlichkeit hinaus, indem man noch sachlicher ist.«

Dieses »Noch-sachlicher-Werden« interpretiert Czech als Bewegung zur Sache selbst, zur Funktion von Architektur, zu ihrer verborgenen Sprache, der Architekturgeschichte als Material sowie zu den Bedürfnissen der Nutzer an sich: eben zu ihrer Grammatik. In diesem Sinne scheut er nicht davor zurück, in die Debatte über Architektur Argumente für die Trivialisierung ihrer Ästhetik einzubringen, also auch banale und »un-schöne« Lösungen gelten zu lassen.

Aus diesen Überlegungen heraus wird auch der Widerspruch – die ästhetische wie materielle Inkommensurabilität – akzeptiert und in den Entwurfsprozess integriert. Ohne Anspruch auf eine durchgängig »schöne« Gestaltung öffnet sich damit die Architektur zu einem regellosen und ideologiefreien System, das »Strukturen von Argumenten« (Czech) zu folgen sucht. Diese Grundhaltung führt auch zur Einsicht, »dass trotz Einhaltung aller Regeln ein totes Werk entstehen und ein lebendiges Werk allen Regeln widersprechen kann«. (Dieses Zitat bezieht sich eigentlich auf die »Regeln« von Christopher Alexander.) Denn das Einhalten von Regeln erzeugt noch keine Stimmigkeit, bestenfalls Richtigkeit, und der Regelbruch zieht unter Umständen ein spannendes Ergebnis nach sich. In diesem Sinne fungieren Regeln für Czech als Grenzen, die zu dehnen ihm Freude bereitet, ohne jedoch in ein »naives« Verhalten zu verfallen. Wichtig erscheint Czech vor allem, dass man die Sprache der Gestaltung den Bedingungen und nicht einem Stil anpasst. Im Begriff des Manierismus – der den Stilbruch pflegt, ohne stillos zu sein – versucht er diesen Ansatz zu verdeutlichen.

»Der Manierismus ist eine Haltung der Intellektualität, der Bewusstheit; und außerdem ein Sinn für das Irreguläre, Absurde, das die jeweils aufgestellten Regeln durchbricht. Der Manierismus ist der begriffliche Ansatz, die Wirklichkeit auf der jeweils erforderlichen Ebene zu akzeptieren. Er erlaubt jene Offenheit und Imagination, auch unerwartete Fremdprozesse in Gang zu setzen und zu ertragen. Eine Architektur der Partizipation ist nur auf der Basis eines Manierismus möglich.« (Czech)

Diese Trivialisierung von Theorie und Materialeinsatz auf höchstem Niveau widerspricht jedoch den gängigen Vorstellungen der architektonischen Disziplin. In gewissem Sinne lebt Czech darin die Janusköpfigkeit der Moderne aus, da er sowohl die Kritik an der Moderne formuliert als auch gegen ihre Formalisierung anschreibt und -baut, um ihre Idee zu retten. Mit seiner Position spaltet er die ästhetische wie ideologische Gegenwart, indem er eine »eindeutig« moderne Haltung bezieht, sich formal scheinbar »hässlich« gibt, um mit ironischer Geste anzudeuten, weder noch zu sein.

zuschnitt, Mo., 2008.12.15



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15. September 2007Arno Ritter
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Vom Gerüst zum Etui

Es gibt Bauten, die bewahren ihre Persönlichkeit, obwohl sie verändert wurden und nicht mehr so sind, wie sie einst gedacht waren. Auch wenn die Oberfläche...

Es gibt Bauten, die bewahren ihre Persönlichkeit, obwohl sie verändert wurden und nicht mehr so sind, wie sie einst gedacht waren. Auch wenn die Oberfläche...

Es gibt Bauten, die bewahren ihre Persönlichkeit, obwohl sie verändert wurden und nicht mehr so sind, wie sie einst gedacht waren. Auch wenn die Oberfläche gealtert, das einst honiggelbe Holz ergraut und die konzeptionelle Stringenz, die bildliche Reinheit der ersten Stunde vom gelebten Alltag transformiert und überformt wurden, behalten sie ihre ursprüngliche Qualität und architektonische Prägnanz. Denn gestimmte und stimmige Architektur – vorausgesetzt, sie wird von den Eigentümern erkannt und belebt – entwickelt sich mit dem Leben und den Bewohnern weiter, sie verliert nicht ihre Stärke, sondern formt sich zu einem zeitlosen Charakter.

Das Haus Kolig ist so eine architektonische Persönlichkeit, die trotz ihres Alters noch immer »frech« in der Landschaft steht und gleichzeitig ganz selbstverständlich den Hang besetzt und definiert. Obwohl das Haus an die Qualität der bäuerlichen Architektur erinnert, da es unter anderem aus der Tradition des anonymen Bauens dieser Region entwickelt, jedoch in die 1970er Jahre transformiert wurde und vielleicht auch deshalb noch immer modern ist, hätte es anfänglich beinahe nicht gebaut werden dürfen, da es vor allem von der Behörde und echten Kärntnern abgelehnt wurde.

Diese Erregten trafen die architektonische Ursprünglichkeit, die typologische Archaik und die stille Modernität des Hauses so sehr ins heimelnde Herz, dass nach seiner Errichtung sogar die Gefahr bestand, dass es von gerade diesen »Verbundenen« angezündet oder umgesägt werden hätte können. Am Anfang dieser schlichten Ikone der alpinen Moderne stand die Zusammenarbeit zwischen dem Künstler Cornelius Kolig, der wenige Jahre später mit der Errichtung einer komplexen Anlage, dem fantastischen und einzigartigen Gesamtkunstwerk »Paradies« in Vorderberg begann, und dem kurz zuvor aus Kalifornien zurückgekehrten Architekten Manfred Kovatsch, der sich im Rahmen seines Forschungsaufenthaltes mit dem amerikanischen Holzbau, energieorientierten Überlegungen im Bauwesen und vor allem mit Rudolf Schindler beschäftigt hatte.

Die erste Idee von Kovatsch, ein einfaches Holzgerüst mit »darüber gestülptem Holzspalier zu bauen, das bewachsen wie eine zweite Klimahülle wirken sollte«, war der konzeptionell radikale, gleichzeitig skulpturale Ausgangspunkt eines steten Entwicklungsprozesses, dessen vorübergehendes Zwischenergebnis von 1977, das vielfach publizierte und fotografierte Haus Kolig, im Laufe der Jahre von Cornelius und Doris Kolig sukzessive erweitert, adaptiert, verändert und in gewissem Sinn zu einem maßgeschneiderten Etui weiterentwickelt wurde.

Zwar gab es für Kovatsch auch einige Eingriffe – so wurde in die Westfassade ohne Rücksprache ein großes Fenster, ein »Landschaftsbild« geschnitten –, die er in dieser Form anfänglich problematisch fand, aber letztendlich wurde das Haus bis in die jüngste Vergangenheit auf Basis des anfänglichen Konzepts zu einem funktionalen Gesamtkunstwerk komplettiert.

Ursprünglich wurde das Haus – unter anderem auch aus ökonomischen Gründen – aus massiven Fichtenhölzern mit einfachsten Mitteln und ohne wirkliche Detailplanung innerhalb von drei Tagen aufgestellt, das Dach aus mehrlagigen Lärchenbrettern gedeckt und die Räume mit einfachem, naturbelassenem Fichtensperrholz »tapeziert«.

Den Zimmerleuten wurden das Modell und ein Werkplan zur Verfügung gestellt, die wichtigsten konstruktiven Knoten und Verbindungselemente zwar vom Statiker Horst Lintl aus München gezeichnet, die wesentlichen Entscheidungen bezüglich der Ausbaudetails jedoch an Ort und Stelle mit den Handwerkern getroffen und die Bauleitung an Cornelius Kolig übertragen, der ohne große praktische Vorkenntnisse, aber in telefonischem Kontakt mit Kovatsch in München den Entstehungsprozess des ungewöhnlichen Projekts betreute.

Betritt man das Haus heute und lebt sich in seine Persönlichkeit ein, dann nimmt man die Ambivalenz zwischen Tradition und Zeitlosigkeit wahr, spürt den Dialog der beiden Autoren. Denn unter der lärchenverschalten Hülle, die sukzessive eine rurale Anmut bekam – ohne wirklich kärntnerisch zu werden –, blieb ein utopischer Kern, jener widerständige Geist der 1970er Jahre erhalten, der mehr durch weniger erreichen wollte, ohne das Wesentliche zu verlieren oder minimalistisch zu wirken. Das Haus ist räumlich vielschichtig und in der Benutzung offen, einzigartig und gleichzeitig so allgemein gedacht, dass es überall, aber nur hier stehen kann. Es irritiert in gewissem Sinne angenehm und überzeugt durch den spielerischen, aber funktionalen Ansatz in der Lösung von Details und in der ungewohnten Materialisierung von Alltäglichem. Denn letztendlich wurde es aus unterschiedlichen Erfahrungen entwickelt, aus den Tiefenschichten des kollektiven und gleichzeitig individuellen Bewusstseins, das von Erlebnissen auf Heuböden, Kindheitsträumen und Raumutopien erzählt.

Das Haus kreiert einen uneindeutigen und gerade deshalb lebenswerten Raum, der ganz aus den damaligen Lebensumständen von Kovatsch und Kolig entwickelt wurde und die Zeit seither brauchte, um so zu bleiben, wie es anfänglich gedacht war.

zuschnitt, Sa., 2007.09.15



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Haus am Ossiacher See / Haus Kolig



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zuschnitt 27 Zweite Lesung

15. März 2004Arno Ritter
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Von der Beletage ins Penthouse

Meine erste eigene Wohnung war ein kleines Nest mit Blick über die Dachlandschaft des ausrinnenden »Ungargassenlandes« (Ingeborg Bachmann) und Klo am Gang....

Meine erste eigene Wohnung war ein kleines Nest mit Blick über die Dachlandschaft des ausrinnenden »Ungargassenlandes« (Ingeborg Bachmann) und Klo am Gang....

Meine erste eigene Wohnung war ein kleines Nest mit Blick über die Dachlandschaft des ausrinnenden »Ungargassenlandes« (Ingeborg Bachmann) und Klo am Gang. Sie war 24,86 m² groß und bestand aus zwei mansardenartigen Räumen, die ehemals als Waschküche und Bügelzimmer in jenem gründerzeit-lichen Miethauses dienten, in dem ich aufgewachsen war. Über zwanzig Jahre hatte sich meine räumliche Sozialisation in der so genannten Beletage dieses Hauses abgespielt, mit den bekannten Insignien von Zimmerflucht, Flügeltüren, Parkettböden und dem Geruch einer ausgedünnten großbürgerlichen Wohnkultur. Und dann bezog ich diesen Horst, diesen Sehnsuchtsraum am Ende meiner bisher wahrgenommenen Hauswelt. Irgendwie abgehoben von der Stadtebene, zwar direkt mit dem Kommen und Gehen im Stiegenhaus, dem altertümlichen Lift und seiner knarrenden Geschäftigkeit verbunden, träumte ich mich von der »Hausherrenebene« in die Welt eines »Ghost Dogs«. Ich war also in der einst architektonisch angelegten Hierarchie dieses Jahrhundertwendehauses dorthin gezogen, wo früher eine unterprivilegierte Schicht – vom Künstler im Atelier bis zum Arbeitsbereich der Dienstmädchen – ihr meist unromantisches Spitzweg-Dasein gelebt hatten.

Für mich jedoch repräsentierten diese zwei Räume, der Blick in den Himmel und das ferne Rauschen der pulsierenden Stadt die reine Freiheit. Wahrscheinlich löste diese Wohnung in mir aber auch jene Träumereien und naiven Projektionen ein, die ich als Kind in die Dachlandschaft, in diese verwunschene und unheimliche Zone zwischen Haus und All hineingelegt hatte und die in meiner Einbildungskraft eine eigenartige Form von Intimität und Geborgenheit erzeugten.

Der Dachboden war lange Zeit in unseren Breiten eine unbewohnte Randzone zwischen Haus und Himmel, der mit den Jahreszeiten mitlebte. Er beherbergte Wirtschaftsräume oder diente als Speicher für eine ausrangierte Vergangenheit. Vor allem im urbanen Kontext wurde diese nutzlose Hausebene aber über die Stilepochen hinweg zur Straße repräsentativ und meist individuell gestaltet. Mit welcher Identität das Haus endet, war eine immer wiederkehrende Frage in der Architektur. Vor allem im Historismus entstand ein differenziertes gestalterisches Zeichensystem, das die urbane Dachlandschaft zur Repräsentationsfläche einer bürgerlichen Mythologie machte, die per Katalog zu bestellen war. Ein wahres Reich an oft industriell gefertigten Fabelwesen, Engeln und Statuen bevölkerten die mit Kupfer verkleideten und in Stein ornamentierten Dachzonen mit ihren Erkern, Türmchen und Giebeln. Gehalten und gestützt wurde diese urbane »Märchenwelt« durch teilweise aufwändig konstruierte Dachstühle, die den Blicken des Stadtbewohners zumeist verborgen blieben. Diese von Zimmermannshand errichtete Dachlandschaft, mit ihren komplexen Konstruktionen und den lange im Dunklen liegenden räumlichen Qualitäten, verschlang ganze Wälder und inspirierte die Handwerkskunst zu faszinierenden Lösungen. Die abschließende Ebene der »steinernen Stadt« bestand aus zumeist nutzlosen Kubaturen, die größtenteils aus Holz errichtet waren und »unbewusst« bzw. planlos auf ihre Entdeckung warteten.

Doch mit der zunehmenden Beschleunigung des Stadtlebens und der Horizontalisierung der urbanen Wahrnehmung, der Kommerzialisierung der Schaufensterzone und der Ökonomisierung der städtischen Räume wurde die Dachlandschaft zu einer nur mehr peripher gestalteten Zone. Sie verlor zunehmend ihre geheimnisvolle Ordnung und symbolische Bedeutung. Der vertikale Abschluss der Stadt wurde im Zuge der so genannten Moderne und im Sinne des positivistischen Denkens rationalisiert und veränderte damit seine Bedeutung. Die Dachzone wurde unter anderem zur Trägerin kommerzieller Signale, zum Ort einer Zeichenwelt mit Leuchtreklamen und Schriftzügen, die eine ökonomisch geprägte Mythologie der Logokultur in die Stadtgestalt integrierte. Das Reich der steinernen Fabelwesen wurde von der »lichten« Ordnung der Warenwelt und des kommerziellen Denkens abgelöst. Im Zuge dieser Modernisierung begannen die Vertreter der architektonischen Avantgarde auch die Stadt und das Haus von ihrer unheimlichen Geschichte zu entstauben und dem Dachboden seine Geister auszutreiben.

»Das Haus mit dem steilen Giebel birgt Geheimnisse und unbekannte Stellen. Das flache Dach ist ein Ausdruck der nicht metaphysischen Weltanschauung, die überall Klarheit haben will: Das Haus steht da, es ist das und das drin und damit ist es fertig. (…) Das ist der wahre Grund, weshalb das flache Dach in den Wohnbau eingeführt wurde. (…)« (Josef Frank: Was ist modern?, in: Die Form V/ 15, 1930) Irgendwie kann die heute teilweise als krampfhaft wahrgenommene Ideologie der Moderne, einerseits das Satteldach und seine zahlreichen »Geschwister« aus der gestalterischen Ordnung der Welt zu vertreiben, andererseits den »unheimlichen« Keller durch fast schwebende und die Erde nur punktweise berührende Häuser zu eliminieren, auch psychoanalytisch gedeutet werden. Das undurchsichtige Es des Hauses sollte Ich werden und damit die so genannte »Klarheit« und »Transparenz« Grundlage einer neuen Weltordnung.

Die Dachebene wurde dementsprechend von den modernen Architekten zur nutzbaren öffentlichen Freizeitzone, zur Terrasse mit Aussicht, zur Begegnungsfläche mit Sonne, Luft und Sternen umgedeutet. Im Zuge dieser Umwertung wurde das Dach flach, der kubische Hauskörper wurde auf Stützen gehoben und mit Pergolen, schwebenden Flugdächern und anderen architektonischen Elementen symbolisch zum Fliegen gebracht. Das Wohnhaus wurde zur sinnvollen »Maschine« uminterpretiert und jegliche Form architektonischer und damit zeichenhafter Archetypik zu vermeiden versucht. So sehr dieser »aufklärerische« und moderne Anspruch im Wissen um die damaligen räumlichen, sozialen wie gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen verständlich ist, so sehr verdrängte er aber auch gewisse psychische Befindlichkeiten, die vor allem in der literarischen, künstlerischen wie filmischen Einbildungskraft weiterlebten und gewisse »Tiefenschichten« einer kollektiven bzw. individuellen Hausvorstellung visuell oder schriftlich konservierten.

Eine fast unsichtbare und irgendwie verschmitzte Aneignung der urbanen Dachzone begann Raum zu greifen. Um dem »neuen« Bedürfnis nach Luft, Sonne und Sternen gerecht zu werden, wurden meist straßenabgewandt Terrassen und Wintergärten in die oberste Weichschicht der Städte eingeschnitten und eine Art von kleinbürgerlicher Schrebergartenidylle am Dach geschaffen. So lebte sich der Traum vom ökologisch korrekten Stadtbewohner, der »nutzlose« Kubatur umwidmete, um obenauf und mit ein wenig Grün zu wohnen – von der Beletage in den Dachboden war die halbbewusste Losung dieser aufstrebenden Schicht.

Ab Mitte der 1990er Jahre entstand die Sehnsucht der obersten Zehntausend nach einem richtigen Haus am Haus, nach der sichtbaren Artikulation einer abgehobenen Wohnung, nach einem neuen architektonischen Zeichen und Status im urbanen Geflecht. Man wollte sich nicht mehr verstecken, sondern sich selbstbewusst von der darunter liegenden baulichen Geschichte und dem »banalen« Alltag abheben. Es entstand die »nachmoderne Villa« auf historischem Sockel mit Garten und Blick auf die »alte«, wieder lebenswerte, mittlerweile durchökonomisierte, letztlich aber auch unheimliche und irgendwie »gefährliche« Stadt – der »Mordillo-Virus« breitete sich auf den Dächern aus und befriedigte den Traum einer neuen urbanen, vermögenden Klientel. Einkokont in die Abgehobenheit, mit einer nach allen Seiten hin transparenten Haut zwischen Himmel und Erde, angesiedelt zwischen individualpsychologisch motivierten Freiheitsvorstellungen und einer unsicheren politischen wie kollektiven Bodenhaftung, wurde ein neues Schichtmodell in die Stadt integriert. In einer zweiten Lesung von Stadt eroberte eine »high Society« die Dachebene, schottete sich vom öffentlichen Raum und der ökonomischen Alltäglichkeit ab und richtete sich in der Stadtkrone sichtbar ein. Sogar im sozialen Wohnbau wurden die Etagen neu verteilt und die Stockwerke nach ökonomischen Kriterien umgewertet und bemessen. Seit einiger Zeit sitzen die neuen »Hausherren« obenauf und nicht mehr im ersten Stock, in der so genannten Beletage.

zuschnitt, Mo., 2004.03.15



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zuschnitt 13 Holz hebt ab

15. März 2002Arno Ritter
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Von der Elastiziät des Holzes

Zusammenfassung eines Gesprächs über Holz und Gastlichkeit mit den Architekten Hermann Czech und Gregor Eichinger, moderiert von Arno Ritter am 19. Jänner 2002 in Wien.

Zusammenfassung eines Gesprächs über Holz und Gastlichkeit mit den Architekten Hermann Czech und Gregor Eichinger, moderiert von Arno Ritter am 19. Jänner 2002 in Wien.

Ritter: Welche Dinge sind eurer Meinung nach bei der Gestaltung von Lokalen wichtig, damit ein Ort der Gastlichkeit im Endeffekt auch lang funktioniert?

Czech: Vor kurzem habe ich in einem Interview für eine Gastgewerbezeitschrift gesagt, dass ein Gasthaus eigentlich nach nichts ausschauen soll, weil sonst der Gast glaubt, dass er für das Design auch noch mitzahlen muss.

Eichinger: Oder er hat Angst, dass er nicht zum Lokal passt.

Ritter: In einem Gespräch, Gregor, hast du einmal gesagt, dass Gastronomiebetriebe immer dann funktionieren, wenn eine produktive Synthese zwischen dem Wirt, dem Personal und der Küche existiert. Erst an letzter Stelle komme die Architektur.

Eichinger: Das wichtigste sind meiner Meinung nach das Licht, der Kellner und die Atmosphäre, welche sicher durch Gestaltung und Material erzeugt wird, wobei Architekturexzesse oder übertriebenes Design kontraproduktiv sind. Sie befriedigen eigentlich nur kurzfristig eine gewisse Klientel, die nach einiger Zeit wieder weiterzieht. Es gibt Lokale, die nach zwei Jahren abgefuckt sind und es gibt Statements, die über ihr Errichtungsdatum hinaus bestehen bleiben. Zum Beispiel ist das Kleine Café von Czech ein Prototyp, das seit Jahrzehnten seinen Stellenwert in Wien hat. Dort ist das Herstellen eines Brotes ein Ritual und das deswegen, weil so wenig Platz ist und deshalb jedes Ding, das dazu notwenig ist, seinen bestimmten Ort haben muss. Auch die Bewegungen sind fast vorgegeben und daraus entsteht eine Einheit zwischen Form und Inhalt. In gewissem Sinne ist das Kleine Café wie die Loos-Bar ein amerikanisches Lokal, weil alles durchritualisiert ist.

Ritter: Das heißt mit den Worten und im Sinne von Czech, dass die Inszenierung vor dem Hintergrund der Architektur stattfindet.

Eichinger: Ja, aber die Architektur gibt genau diese Rituale vor. Ich finde, dass dort die Aufmerksamkeit, wie ein Brot bestrichen wird, mit der Aufmerksamkeit, wie die Kunden bedient werden, korreliert. Die Architektur prägt mit ihren räumlichen wie konzeptionellen Statements die ganze Inszenierung mit.

Czech: So weit würde ich nicht gehen. Wenn der Betrieb nicht funktioniert und der Wirt seine Rolle nicht wahrnimmt, dann kann die Architektur auch nicht helfen. Man kann mit Architektur kein Lokal machen, allenfalls kann man eines ruinieren.

Eichinger: Das stimmt natürlich, aber man kann schon einiges mit Architektur steuern. Die Architektur erzeugt die typologische Aussage, ob das Lokal eine Bar, ein Café oder ein Restaurant ist.

Ritter: Ihr habt den Begriff Atmosphäre verwendet. Grob gesprochen wird diese durch Licht und Material hergestellt. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang für euch Holz? Kann man es als atmosphärisches Material bezeichnen, das automatisch so etwas wie »Gemütlichkeit« erzeugt?

Eichinger: Für mich ist Holz eines der elastischsten Materialien, weil es im ruralen wie auch urbanen Kontext für jeden gastronomischen Typus eingesetzt werden kann. Es kann für ein urbanes und elegantes Ambiente oder für eine rohe und räudige Kantinenatmosphäre herangezogen werden, da Holz alle möglichen Projektionen zurückspielt.

Czech: Begriffe wie Gemütlichkeit und Atmosphäre sind nicht die Ansatzpunkte beim Entwurf, denn eigentlich geht es immer um ganz rationale Überlegungen. Holz ist ein relativ schlechter Wärmeleiter, dadurch fühlt es sich beim Angreifen warm an. Holz atmet und nimmt viel auf, wenn es entweder unbehandelt bleibt oder mit Leinöl eingelassen ist. Wenn man es mit einer Kunststoffschicht zuschmiert, dann verliert es diese Durchlässigkeit. Es war ja einmal in den 70er Jahren schick, echte Holzfurniere so zu verarbeiten, dass sie wie Resopal ausschauten...

Eichinger: Das war eine hohe Kunst, muss man sagen.

Czech: Gestalterisch spielt man mit den verschiedenen Holzarten, man setzt heute entweder Vollholz oder den Kunststoff Holz ein bzw. kombiniert die Materialien. Holz hat zwar eine objektive Qualität, aber es gibt so etwas wie Bedeutungsebenen, die man je nach Zeit den Holzarten zuweist. Dementsprechend erleben wir immer wieder Rezeptionsänderungen. Wer hätte geglaubt, dass die historisch belastete Eiche wieder so selbstverständlich eingesetzt werden wird?

Eichinger: Natürlich gibt es Moden. Ende der 80er Jahre war vor allem Birkensperrholz das Material, mit dem man gearbeitet hat, parallel dazu hat sich auch MDF eingebürgert. Leider reagieren Produzenten und Markt viel zu langsam auf die sich ändernden Ansprüche. Denn bis ein Material wirklich präsent und billig ist, ist das Interesse daran schon wieder erlahmt. Wobei wir eigentlich bisher nur drei Holzarten eingesetzt haben, nämlich Birke, Eiche und Nuss. Denn uns interessieren nicht die verschiedenen Effekte, die man über die Maserung oder die Furniere erzielen kann, sondern uns geht es um das Erzeugen von Neutralität. Wir setzen Holz eher als beruhigendes Moment ein, so zum Beispiel, wenn wir durchgehend amerikanische Eiche verwenden und diese unbehandelt lassen.Czech Ich zum Beispiel kenne bis heute nicht viel mehr als fünf Holzarten und die reichen mir. Im Palais Schwarzenberg habe ich bei der Bar das Holz nur nach den Kriterien von hell und dunkel ausgesucht. Mich interessiert eigentlich die Holzart nicht, sondern nur gewisse Eigenschaften, nämlich die Farbe und ob sie hart oder weich ist.

Ritter: Das heißt, bei euch überwiegen rationale Gründe?

Czech: Nehmen wir doch die Entwicklung des Sessels. Im Rahmen der damaligen Technologien war das Bugholzmöbel deswegen so fortschrittlich, weil es leicht und billig war. Aus diesen rationalen Gründen wurde der Bugholzstuhl zum selbstverständlichen Möbel in den Kaffeehäusern. So blieb Holz immer ein fixer Bestandteil von Gast- und Kaffeehäusern, weil es in seiner Materialeigenschaft uneinholbar war. Bevor andere Materialien entdeckt wurden, gab es ja keine Alternativen zum Holz. Den ausschließlichen Vorteil der Leichtigkeit hat das Holzmöbel heute nicht mehr, da es seit einiger Zeit Metall- und Kunststoffmöbel gibt, die auch leicht sind. Andererseits existieren unbewusst abgespeicherte Normen und Verhaltensregeln. Auch wenn sich die Routinehandlungen im Zusammenhang mit dem Essengehen oder der Kaffeehausbenutzung historisch verändert haben, so bleibt doch trotz einiger Verluste immer ein Paket an Wissen und Eingeübtem übrig. Mit dieser Dialektik muss man als Architekt umgehen, nämlich den richtigen Mittelweg zwischen Tradition und Veränderung finden. Konsum in einem Gastronomiebetrieb hat viel mehr mit Gewohnheit als mit Innovation zu tun. Die Veränderungen sind eher minimal. Letztlich wäre man als Konsument verloren, wenn alles umgekrempelt würde.

Eichinger: Holz ist ja fast in allen Kulturen im gastronomischen Bereich in Verwendung. Das hängt sicher damit zusammen, dass es ein Hightech-Material ist und besondere Qualitäten in der Instandhaltung hat. Deshalb gibt es auch in diesem Bereich so ein Naheverhältnis zu diesem Material. Holz umarmt einen in gewissem Sinne, es besitzt einen Sympathiewert. Das bedeutet nicht, dass andere Materialien nicht auch sympathisch wären, aber Holz verhält sich der Haut gegenüber sehr angenehm. Holz nimmt sehr gut Schwingungen und Schweiß auf. Holz hat einen Körper. Es ist wie ein Instrument.

Ritter: Gehen wir noch auf die Tradition ein. In jeder Kultur haben sich räumliche bzw. atmosphärische Standards herausgebildet, an die man sich gewöhnt hat und wo man sensibel reagiert, wenn sie sich radikal ändern. Es geht also in eurem Verständnis um ein leichtes Weiterentwickeln von Gewohnheiten in der Kultur der Gastlichkeit, um den Erhalt von gewissen Momenten. Besitzt Holz in diesem Zusammenhang einen Wiedererkennungseffekt?

Czech: Nur zum Teil. Gerade seit der klassischen Moderne gibt es das Eindringen des Stahlrohrsessels in die Möbellandschaft. Diese Entwicklung bringt auch einen gewissen Sitzkomfort, den man vorher so nicht gekannt hat. Es gab natürlich auch ideologische Auswüchse, wonach nur der Stahlrohrstuhl modern sei.

Eichinger: Heute ist es nicht mehr so, dass ein Sessel automatisch ein Holzsessel sein muss, weil es seit einiger Zeit eine große Auswahl gleichwertiger Materialien gibt. Insofern ist es auch ein bewusster Akt, wenn man sich für einen Holzsessel entscheidet. Mir hat in dem Zusammenhang sehr gefallen, wie der Sessel von Jasper Morrison auf den Markt gekommen ist, gerade zu einem Zeitpunkt, als man glaubte, dass man leichte Möbel nur mehr in Kunststoff herstellen kann. Dieser Stuhl hat gezeigt, dass man auch in Holz die Anforderungen erfüllen kann. Morrison hat einen völlig neuen Ansatz in die Diskussion eingebracht.

Ritter: Demgegenüber stehen jene Materialentwicklungen, die ich pointiert mit dem Begriff Kunststoff Holz bezeichnen möchte, wo Holz als Ausgangsmaterial für gewisse Produkte verwendet oder sogar, wie in den 70er Jahren, imitiert wird. Viele Architekten lieben diese Künstlichkeit und es ist zu bemerken, dass sich eine gewisse Entwicklung in Richtung Imitation abzeichnet.

Eichinger: Das stimmt sicher. Einerseits gibt es die Bewegung, die dem Holz etwas Auratisches und Natürliches zuweist, andererseits gibt es diese konstruierten Raumschiffwelten, wo alles künstlich sein muss. Das sind für mich normale Pendelbewegungen, die eigentlich irgendwie vorhersagbar sind. Wir setzen Holz nicht emotional ein, vor allem haben wir manchmal Angst, dass sich das Holz zu stark in den Vordergrund spielt. Deswegen schauen wir auch, dass wir so schlichte Furniere wie möglich bekommen, um die Anwendung von Holz auf das Wesentliche zu reduzieren und es zu sich kommen zu lassen.

Czech: In der Gastronomie ist es gar nicht notwendig, Holz zu propagieren, da es sowieso sehr präsent ist. Ich verwende sogar Holz, um es dann zu verleugnen. Ich nehme z.B. Ahorn, weil es zunächst nur einen Farbton repräsentiert, der nicht in erster Linie als Holz wahrgenommen wird. Mir geht es eher darum, Dinge zum Verschwinden zu bringen, d.h. wenn ich Holz verwende, kommt es mir nicht darauf an, dass es holzig wirkt. Auch bei einer Lackierung schaue ich, dass ich eine Farbe finde, die entweder im Material selber liegt oder die selbstverständlich mit dem Objekt verschmilzt. Man nimmt die Farbe nicht bewusst wahr, weil sie gewohnheitsmäßig mit dem Objekt verbunden wird.

Ritter: Du hast am Anfang erwähnt, dass Holz aufgrund seiner symbolischen wie auch materiellen Elastizität gerade in den verschiedenen ruralen wie auch urbanen Kontexten gut einsetzbar ist.

Eichinger: Holz ist für mich ein Werkstoff, mit dem man wirklich in einer großen Vielfalt umgehen kann. Wir haben ja bisher fast ausschließlich Lokale in urbanen Situationen geplant. Derzeit bearbeiten wir ein Projekt für Lech am Arlberg, wo sich die Aufgabe »Holz in allen seinen Facetten« stellt. Wir sollen ein Lokal entwickeln, das komplett aus Holz besteht. Das ist sehr spannend, vor allem weil der Auftraggeber, der selber Architekt ist, in seinem Hotel Zimmer nur mit Holz umgebaut hat, die in ihrer Eleganz beeindruckend sind. Wir müssen jetzt vollkommen neu anfangen über Holz nachzudenken.

Czech: Ich finde das vorhin angeschnittene Thema »Imitation von Holz« sehr interessant. Früher hat ja jeder gute Anstreicher alle möglichen Holzarten lasierend nachmachen können. Es gibt heute noch viele Gründerzeithäuser mit gemalten Eichen- oder Mahagonitüren. Das hat man damals unter Architekten inferior empfunden. Zum Beispiel sagte Adolf Loos, man dürfe jedes Material bekleiden, nur nicht mit dem Imitat seiner selbst. Jetzt gibt es seit einiger Zeit Fußbodenbeläge aus Laminat, die bisher ausschließlich eine Holzstruktur als Oberfläche haben und sehr billig sind. Und dann denke ich mir, vielleicht sollte man sich diesem Material ähnlich nähern, wie man jetzt die alten Pseudoholzanstriche betrachtet, die irgendwie liebenswert sind in ihrer Ästhetik. Andererseits denke ich mir aber auch, dass kleine Kinder auf diesem Boden aufwachsen und von früh an mit diesem Betrug konfrontiert sind. Das ist, als ob Kinder in der Volksschule mit der Kronen-Zeitung lesen lernen würden.

Eichinger: Ich finde diese Künstlichkeit sehr interessant und irgendwie habe ich nicht dieses Problem wie du, Hermann, weil unsere Umwelt aus vielen Künstlichkeiten besteht, vom Computer angefangen bis zum Fernsehen. Für mich ist das kein Betrug, denn mit diesen neuen Materialien kann man neue und zeitgemäße Möbel und Raumsituationen entwerfen oder damit ironisch umgehen.

Ritter: Welche Auswirkungen hat diese Bewegung der Künstlichkeit auf den Einsatz von Vollholz?

Eichinger: Meiner Meinung nach wird dieses anders wahrgenommen werden und man beginnt, sich wieder neu damit zu beschäftigen. Der Kunststoff Holz erzeugt eine neue Bedeutung für das Thema Vollholz.

zuschnitt, Fr., 2002.03.15



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zuschnitt 05 Holz zu Gast

Profil

Arno Ritter wurde 1965 in Wien geboren. Er studierte Publizistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Wien. Von 1992 bis 1995 war er Sekretär der ÖGFA – Österreichische Gesellschaft für Architektur. Seit 1995 leitet und programmiert er den Ausstellungsraum „aut. architektur und tirol“ in Innsbruck (vormals Architekturforum Tirol), den er als Ort der Präsentation von Architektur, Kunst, Design und Grafik sowie als Raum der interdisziplinären Diskussion über die Gestaltung unseres Lebensraumes positionierte. Seit 1999 ist er Mitglied des Landeskulturbeirates für Tirol, war von 2000 bis 2005 Vorstandsmitglied der Architekturstiftung Österreich und von 2005 bis 2009 Mitglied des Beirats „Kunst und Bau“ des Landes Vorarlberg. An der Universität Innsbruck hat er seit 2003 einen Lehrauftrag für Architekturkritik und war 2009/10 Lehrbeauftragter an der Universität für Angewandte Kunst in Wien am Institut für „Transmediale Kunst“. Kommissär des Österreichbeitrages zur Architekturbiennale Venedig 2012. Als Herausgeber und Autor publiziert er vorwiegend zu Architektur, Fotografie und Kunst.

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