Vorarlberg gilt heute als ein regionales, von der internationalen Fachwelt beachtetes Zentrum der zeitgenössischen Architektur in Europa. Maßgeblichen Anteil an diesem Phänomen hatte eine relativ kleine, lose Gruppe von Architekten und Bauherren, die in den achtziger Jahren als »Vorarlberger Bauschule« mit innovativen Wohnhäusern und Siedlungsanlagen bekannt wurde. Es gelang ihr, die historisch vorhandene Bautradition aufzugreifen und ihre Prinzipien für die zeitgenössischen Anforderungen zu adaptieren. Vom Kern dieser »Baukünstler« ausgehend, hat in den neunziger Jahren die engagierte Szene eine beachtliche Breite erreicht, eine konsequente Wettbewerbspolitik hat das ganze Spektrum der öffentlichen, gewerblichen und industriellen Bauaufgaben neu geprägt.

Der Band skizziert die Entwicklung der Jahre 1980 bis 1998 anhand von 260 ausgewählten Bauten. Mit zahlreichen Übersichtskarten, Plänen und Fotografien der Objekte ist er ein informativer, handlicher Führer durch die vielfältige Architekturlandschaft Vorarlbergs. (Englische Ausgabe erhältlich ISBN 3-7757-1128-7)

ISBN
3-7757-1150-3
Sprache
deutsch
Publikationsdatum
2003
Umfang
336 Seiten, 420 Abb., 200 Pläne, 11 Übersichtskarten
Format
Broschur,

Presseschau
11. Dezember 2004Oliver Elser
Der Standard

Zerlegen, malen, führen, provozieren.

Die interessantesten Neuerscheinungen des Architekturbuchjahrgangs 2004. Gelesen, aufgeblättert und vorgestellt

THE PHAIDON ATLAS OF CONTEMPORARY WORLD ARCHITECTURE. Der deutsche Verleger Benedikt Taschen hat sie eingeführt, die Sumo-Klasse im Buchgeschäft. Der britische Phaidon-Verlag hatte bisher bereits einige „Ziegel“ im Sortiment, aber erst der ATLAS sprengt den Rahmen. Neun Kilo Gewicht, 1052 Gebäude aus 75 Ländern, 4600 Fotografien - plus Koffer gibt es diesen „coffeetable killer“ zum Preis von € 154,30. Aufgenommen wurde nur, was nach 1998 entstanden ist. Während andere Verlage schon mit weniger gewichtigen Sammelbänden oft scheitern, sind hier die Fotos durchgängig von exzellenter Qualität, und die Kurztexte vermeiden den Architektenjargon. Erstaunlich, wie gut recherchiert wurde. Unter den 42 Gebäuden aus Österreich sind auch weniger bekannte wie die Wohn-DNA von Weichlbauer/Ortis in Gratkorn oder der Glockenturm von Markus Pernthaler bei Judenburg zu finden. Dem aber stehen nur 24 Projekte in ganz Afrika oder 45 in Südamerika gegenüber, darunter etliche von westlichen Architekten. Es ist deren Perspektive, die das Buch dominiert, das ist sein einziges Manko.

SCHRUMPFUNGSPROZESSE Als das Architekturwort des Jahres 2004 wird „Schrumpfung“ in Erinnerung bleiben. Mit dem Aussterben von Wirtschaftsräumen beschäftigte sich nicht nur eine viel beachtete Ausstellung („Shrinking Cities“) in Berlin, auch auf dem Wiener Architekturkongress im November war das Thema präsent. Zu Unrecht bisher wenig beachtet wurde die Studie LERNEN VON ALLENTSTEIG, die in diesem Jahr von Erich Raith, Städtebauprofessor an der TU Wien, herausgegeben wurde (Springer, € 29,-/199 Seiten). Das Buch widmet sich der Kleinstadt am Rande des „Lochs im Waldviertel“, wie einer der größten europäischen Truppenübungsplätze auch genannt wird. 250.000 Übernachtungen pro Jahr würden andere Gemeinden jubeln lassen, doch es handelt sich überwiegend um Soldaten, während die Allentsteiger selbst immer weniger Perspektiven haben. Ob farbige Häuser nach dem Vorbild der Insel Burano ein Rezept wären? Auch wer nicht Architekt ist, findet in dem Buch genug Stoff, denn das Erzählen von Geschichten ist das eigentliche Medium der Annäherung an eine vergessene Stadt.

ARCHITEKTURLEHRE HANS KOLLHOFF Muss gute Architektur provozieren? Hans Kollhoff würde diese Frage strikt verneinen und ist gleichzeitig doch einer der ganz wenigen zeitgenössischen Provokateure. Seine Bauten stoßen in aufgeklärten Architektenkreisen meist auf Entsetzen oder entschiedenes Kopfschütteln. „Faschismus“ murmelte die Fachpresse bei mehr als einem seiner Projekte und erinnert stets wehmütig daran, dass Kollhoff in den Achtzigerjahren zu den „Jungen Wilden“ der deutschen Architektenszene zählte, dann aber seine Seele dem Teufel der Monumentalität geopfert habe. Doch wer sich in den vergangenen Jahren an der ETH in Zürich in seinen Zeichensaal verirrte, konnte auch auf irritierend banale Einfamilienhäuschen treffen, weil der rastlose Professor Kollhoff seine Studenten auf die Suche nach der verlorenen Gemütlichkeit geschickt hatte. Ein opulent bebilderter Band stellt jetzt die Studentenarbeiten der Jahre 1987 bis 2002 vor und erläutert die Entwicklung von Architekt und Lehre (Niggli, € 79,-/372 Seiten). Eine alte neue Droge, auch für die abgeklärtesten Architekturjunkies

LE CORBUSIER ALS KÜNSTLER Auch in der Architektur gibt es Groupies. Menschen, um es neutraler zu formulieren, die bereit sind, sich in den Dienst eines verehrten Genies zu stellen. Heidi Weber hat ihr Leben Le Corbusier gewidmet. Die junge Innenarchitektin sah 1958 in Zürich eine Ausstellung über den damals schon weltbekannten Architekten und wollte ihn daraufhin unbedingt kennen lernen. Aus der Begegnung wurde eine Freundschaft, die bis zum Tod Le Corbusiers im Jahr 1965 immer intensiver wurde. Er überließ ihr nicht nur einige Möbelskizzen zur Serienproduktion, sondern bestimmte die Schweizerin als alleinige Verwalterin seines künstlerischen Werkes und baute ihr einen Pavillon am Ufer des Zürichsees. Seither hat Heidi Weber vier hervorragend illustrierte Bücher über die Gemälde, Zeichnungen und Grafiken Le Corbusiers herausgegeben, die der Birkhäuser-Verlag, der auch die legendäre Buchkassette des uvre complète vertreibt, nun übernommen hat. Der Preis liegt je nach Band zwischen 45 und 163 Euro. Da es keine Neuauflage ist, bleibt nur eine begrenzte Anzahl verfügbar.

TOTES LEBEN GIBT ES NICHT ist ein Zitat Herbert Eichholzers und der Titel einer Monografie über den steirischen Architekten und Widerstandskämpfer, der 1943 im Alter von neununddreißig Jahren hingerichtet wurde (Springer, € 25,-/ 231 Seiten). Die Autoren Antje Senarclens de Grancy und Heimo Halbrainer heben Eichholzers Werk nicht auf den Sockel eines „lange Verkannten“, sondern sorgen für kluge Querverweise und lassen ein lebendiges Bild von einem Mann entstehen, der stolz auf seine Harley-Davidson war, bei Le Corbusier als Praktikant und in Moskau als Architekt arbeitete, seine Aufträge meist aus dem gehobenen Grazer Bürgertum bekam und zunächst so klug war, sofort nach dem „Anschluss“ Österreich zu verlassen. Eichholzer ging zu Clemens Holzmeister nach Ankara, doch 1940 gab es dort nichts mehr für ihn zu tun, und so stürzte er sich in das waghalsige Unternehmen nach Graz zurückzukehren, um für die KPÖ eine Widerstandsorganisation aufzubauen. Die meisten seiner Bauten sind längst verschwunden, nur das Haus Lind in der Grazer Rosenbergstraße wäre noch zu retten.

IM BAUEN SCHWELGEN Architekturbücher sind zu 99 Prozent reine Fotobücher. Der Bau ist fertig, der Fotograf rückt an, Bilder werden zwischen Buchdeckel gepresst, mit Texten von Kritikern, besser noch Philosophen garniert - und ab geht's in die Regale, von wo das Buch dann meistens nur vom Architekten selbst wieder hervorgezogen wird, um dem nächsten Bauherrn in die Hand gedrückt zu werden. Die preisgekrönte Bezirkshauptmannschaft Murau der Architekten Wolfgang Tschapeller und Friedrich W. Schöffauer wurde bereits 2002 fertig gestellt, aber erst jetzt ist unter dem schlichten Titel MURAU (Pustet, € 28,-/128 Seiten) eine Dokumentation erschienen, die von dem Abenteuer handelt, einen außergewöhnlichen Bau mit ungewöhnlichen Mitteln in der Landschaft ganz wortwörtlich zu „verankern“. Ganz ohne Fotos und Texte (Christa Kamleithner/Walter M. Chramosta) kommt auch dieses Buch nicht aus, aber seine Stärke ist das Zerlegen des fertigen Baus in Zeichnungsserien, die nicht so abstrakt sind wie Architekturpläne, sondern sich bestens eignen, komplexes Denken anschaulich zu machen.

GUT GEFÜHRT Friedrich Achleitners Standardwerk über die österreichische Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts ist längst vergriffen - doch eine neue Generation unermüdlicher Jäger und Sammler ist unterwegs, um wenigstens die neuesten Bauten des Landes zu erfassen. Allen voran Otto Kapfinger, der sich nach VORARLBERG (Hatje Cantz 1998, € 24,80/336 Seiten) und TIROL (Pustet 2002, € 25,80/336 Seiten) nun die NEUE ARCHITEKTUR IN BURGENLAND UND WESTUNGARN (Pustet, € 22,-/256 Seiten) vorgenommen hat. Der dreisprachige Band gewichtet die Projekte nach Größe und Bedeutung und lässt keinen Quadratzentimeter Buchfläche ungenutzt. Luftiger hingegen ist die Darstellung der ARCHITEKTUR IN OBERÖSTERREICH SEIT 1980 von Romana Ring geraten (Pustet, € 25,-/200 Seiten) - da wäre etwas mehr mehr gewesen. Wie gut, dass das Mühlviertel mit dem Band HAUSVERSTAND (Pustet, € 18,-/ 120 Seiten) eigens unter die Lupe genommen wird.

Der Standard, Sa., 2004.12.11



verknüpfte Publikationen
Totes Leben gibt es nicht
The Phaidon Atlas of Contemporary World Architecture
Architektur in Oberösterreich seit 1980
Bauen in Tirol seit 1980
Neue Architektur in Burgenland und Westungarn

10. Dezember 1998Roman Hollenstein
Neue Zürcher Zeitung

Kleines Land mit grosser Architektur

(SUBTITLE) Vorarlberg als Fokus der zeitgenössischen Baukunst

Das westlichste Bundesland Österreichs gibt sich gerne ländlich. Doch trügt der Schein. Denn in den vergangenen Jahrzehnten ist entlang der Autobahn nach...

Das westlichste Bundesland Österreichs gibt sich gerne ländlich. Doch trügt der Schein. Denn in den vergangenen Jahrzehnten ist entlang der Autobahn nach dem Prinzip «Low rise – low density» eine lockere Bandstadt entstanden, die von Bregenz bis Feldkirch reicht. Diese Zersiedelung hat Tradition, besassen doch die Vorarlberger, lange ein armes Volk, oft nur eines: ein Stück Land. Darauf wurde, als Fleiss, wirtschaftliches Geschick und Sparsamkeit den Wohlstand mehrten, gebaut: Heute gilt das Ländle als eine der reichsten Gegenden Europas – auch bezüglich der Architektur, die, was Qualität und Verbreitungsdichte anbelangt, in der Alpenrepublik ihresgleichen sucht. Verglichen werden kann die Vorarlberger Szene allenfalls mit jener am Alpenrhein oder am Rheinknie. Doch während Basel mit Herzog & de Meuron oder Diener & Diener und Graubünden mit Peter Zumthor international gefeierte Architektenstars vorweisen können, klingen die Vorarlberger Namen den wenigsten vertraut. Dabei hat in jüngster Zeit wohl kaum jemand in Europa soviel gebaut wie das Lochauer Duo Baumschlager & Eberle, dessen Œuvre mehr als 150 Werke umfasst. Das Anliegen der beiden Architekten – und das ihrer Kollegen – ist dabei weniger eine Baukunst, die sich für Hochglanzmagazine eignet, als vielmehr eine, die ganz bescheiden die Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität zum Ziel hat. Das hält die beiden allerdings nicht davon ab, sich mit Phantasie den Herausforderungen aller erdenklichen Bautypen zu stellen: vom Schulhaus bis zum vielbeachteten gläsernen Garagenturm in Wolfurt.

Es war der von sozialem Idealismus getragene Wohnungsbau, wie er sich schon 1979 mit der Siedlung «Im Fang» in Höchst weithin sichtbar manifestierte, der dem Vorarlberger Architekturwunder den Weg bereitete. Der eigentliche Boom setzte aber erst Anfang der neunziger Jahre ein. Neben bescheidenen Privathäusern, kleinen Villen und Siedlungen entstanden seither vermehrt öffentliche Architekturen (Schulhäuser, Kultur- und Gemeindebauten), Bürohäuser, Banken, Lagerhallen und Fabriken. Ihr eigentliches Flaggschiff ist zweifellos Zumthors Kunsthaus in Bregenz. Es veranschaulicht besonders schön die Offenheit Vorarlbergs gegenüber auswärtiger Architektur. Jüngstes Beispiel dafür ist der Neubau des Tourismushauses, der – obwohl das Land über genügend kreatives Potential verfügt – grosszügig an den Wiener Architekten Rudolf Prohazka vergeben wurde. Schweizer kamen allerdings schon vor Zumthor zum Zug: allein in Lustenau bauten die St. Galler Peter und Jörg Quarella eine Hauptschule, die Zürcher Burkhalter & Sumi einen Kindergarten und die Luzerner Marques & Zurkirchen das Einkaufszentrum Kirchpark.

Erfindungsreichtum und eine zwischen barockem Erbe und alemannischer Einfachheit oszillierende formale Vielfalt prägen heute das Geschehen zwischen Rhein und Arlberg: Einen Eindruck davon vermittelt bereits ein Blick auf einige herausragende Bauten, die in den letzten zwei Jahren vollendet wurden: die Erweiterung des Festspielhauses Bregenz von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller, der Gewerbebau von Ulrich Grassmann in Hörbranz, der Bauernhof von Roland Gnaiger in Lustenau, die Wohnanlage von Hermann Kaufmann in Dornbirn, das Medienhaus in Schwarzach von Ernst Giselbrecht, der Prototyp eines Doppelhauses von Christian Lenz in Schwarzach, die Friedhofskapelle von Marte & Marte in Weiler, das Sozialzentrum in Satteins von Strieder & Hanck, die Erweiterung der Volksschule in Schlins von Bruno Spagolla, das Feuerwehrhaus in Nenzing von Lothar Huber, das Kulturzentrum Remise in Bludenz von Hans Hohenfellner, die Bautischlerei in Bizau von Johannes Kaufmann oder das Gemeindehaus in Möggers von Arno Bereiter. Das alles sind überdurchschnittliche Gebäude von Architekten, die sich weniger als Theoretiker denn als Macher im besten Sinne des Wortes verstehen. Wo sonst gibt es eine Region mit nur 350 000 Einwohnern, in der Architekten so viele qualitativ hochwertige Bauten verwirklichen können?

Wer durch Vorarlberg fährt, begegnet diesen kleinen Meisterwerken allenthalben. Man muss sie nicht wie anderswo erst mit der Lupe suchen. Bisher stellten sich interessierte Architekturtouristen immer wieder die Frage nach den Urhebern dieser Bauten. Im vergangenen Jahr erschien dann das aufwendig illustrierte Buch von Amber Sayah, das zumindest einige der Juwelen präsentiert. Nun liegt seit wenigen Tagen auch der langerwartete Architekturführer vor: ein Buch in handlichem Format, das auf 336 Seiten 260 in den letzten zwei Jahrzehnten entstandene Bauten in Wort und Bild sowie weitere 220 Bauten mittels Kurzhinweisen vorstellt. Stadtpläne und genaue Adressangaben erleichtern das Auffinden der Bauten. Erlaubt der knappe zeitliche Ausschnitt einen verdichteten Blick auf die noch junge Vorarlberger Szene, so hat er doch zur Folge, dass ältere interessante Bauten, etwa das 1975 von Wilhelm Holzbauer begonnene Vorarlberger Landhaus in Bregenz, keine Erwähnung mehr finden. Ausserdem vermisst man einen biographischen Anhang, auch wenn sich mit etwas Aufwand anhand des reichen Materials die architektonischen Lebensläufe der wichtigsten Baukünstler konstruieren lassen.


[Baukunst in Vorarlberg seit 1980. Ein Führer zu 260 sehenswerten Bauten. Hrsg. Otto Kapfinger, Kunsthaus Bregenz und Vorarlberger Architekturinstitut. Hatje-Verlag, Stuttgart 1998. 336 S., Fr. 38.–. – Amber Sayah: Neue Architektur in Vorarlberg. Bauten der neunziger Jahre. Callwey-Verlag, München 1997. 158 S., Fr. 92.–.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 1998.12.10

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