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29. Mai 2021Ute Woltron
Spectrum

Das „Leiner-Haus“ bekommt ein grünes Dach

Alle Jahre kehrt er wieder, der Sommer, und mit ihm steigt die Temperatur in der Stadt. Nun soll das Dach des ehemaligen Leiner-Hauses in der Mariahilfer Straße mit einem öffentlich zugänglichen Garten begrünt werden. Dieser wird Wiens Hitzeproblem nicht lösen – doch zeigt sich ein Weg in eine mögliche neue Richtung.

Alle Jahre kehrt er wieder, der Sommer, und mit ihm steigt die Temperatur in der Stadt. Nun soll das Dach des ehemaligen Leiner-Hauses in der Mariahilfer Straße mit einem öffentlich zugänglichen Garten begrünt werden. Dieser wird Wiens Hitzeproblem nicht lösen – doch zeigt sich ein Weg in eine mögliche neue Richtung.

Angesichts der derzeitigen Witterung kann man es sich zwar noch nicht vorstellen, doch ein nächster Sommer steht bevor und damit die Hitze, die sich über die Städte legen wird. Wo die Sonne auf Beton und Ziegel knallt, wird Wärme gespeichert, und die darunter schmachtende Bevölkerung dreht alle zur Verfügung stehenden Ventilatoren und Klimaanlagen auf. Neben anderen Maßnahmen soll dem eine Begrünung der Städte entgegenwirken, und in unterschiedlichen Ausformungen rückt das Thema Stadtgrün spätestens dann wieder ins Zentrum des Interesses, wenn sich die Stadtbewohner nächtens bei über 30 Grad schlaflos in ihren Betten wälzen.

Große Städte sind absolute Hitzepole, die sogar lokale Klimabedingungen spürbar verändern können. Die aus den Beton- und Glasschluchten aufsteigenden Massen erhitzter Luft entwickeln gelegentlich einen derart mächtigen Sog, dass die feuchten Luftschichten nahe gelegener Meere angesaugt werden, wie etwa im Fall von São Paulo. Die Stadt, könnte man sagen, ruft auf diese Weise Unwetter und Überschwemmungen herbei. Die Begrünung der Städte soll diesen Effekten entgegenwirken, und da man sich bereits seit einigen Jahrzehnten wissenschaftlich mit der Thematik auseinandersetzt, darf man mittlerweile davon ausgehen, dass insbesondere die Entsiegelung zugepflasterter Flächen unten sowie die Begrünung von Dächern oben die nachhaltigsten Effekte aufweisen, wenn es um die Nachrüstung mit Grün geht.

Die Studienergebnisse divergieren, die pessimistischsten sprechen von einer Temperaturminderung von etwa sieben Grad Celsius, wenn – eine idealistische Annahme – die Hälfte der Dächer einer Stadt begrünt sind. Das Rathaus von Chicago hat bereits eine dieser Grünzonen unter dem Himmel, der Flughafen in Peking ebenso, und auf dem Dach der Technischen Universität von Singapur liegen die Studierenden im Grünen in der Sonne. Als man in der japanischen Stadt Fukuoka nach einem Baugrund für ein dringend erforderliches neues Verwaltungsgebäude suchte und lediglich der Stadtpark im Zentrum zur Verfügung stand, baute man eine Art Terrassengarten, der sich nun wie eine Hügellandschaft satt überwuchert durchwandeln lässt.

Dachgarten soll Mangel an Grünflächen kompensieren

Die Stadt Wien ist mit relativ vielen Park- und Grünflächen gesegnet, doch sind diese ungleich verteilt. Die Mariahilfer Straße hat zwar einen zauberhaften Alleebewuchs, doch die Gegend ist eine der dichtest verbauten der Hauptstadt, und für Grün ist kaum Platz. Nicht nur aus diesem Grund, aber doch auch als Pilotprojekt wird das soeben im Abriss befindliche ehemalige Leiner-Haus, eine Art Entrée an Österreichs meistfrequentierter Einkaufsstraße, einen öffentlich zugänglichen Dachgarten erhalten. Wie berichtet, wird dort bis Herbst 2024 ein Kaufhaus nach dem Vorbild des KaDeWe errichtet, sowie ein Hotel im anschließenden Baublock. Das Projekt ging aus einem internationalen, geladenen Wettbewerb hervor, beteiligt waren schwere Kaliber wie Snohetta aus Oslo, Hadi Teherani aus Hamburg und BIG Bjarke Ingels Group aus Kopenhagen. Den Zuschlag bekam das Projekt des renommierten holländischen Architekturbüros O.M.A., dessen Gründer und Galionsfigur Rem Koolhaas ist. Bauherrin und Wettbewerbsausloberin ist die Signa Gruppe, die 2018 die Kika-Leiner-Kette übernommen hat.

Ein Dachgarten über der Mariahilfer Straße wird Wiens Hitzeproblem nicht lösen, doch zeigt es den Weg in eine mögliche neue Richtung. Für die Betreiber soll die Parkanlage später Anziehungspunkt und Frequenzbringerin sein und als Alleinstellungsmerkmal wirken. Für die Landschaftsplanung über Dach zeichnet das Büro DnD, Anna Detzlhofer und Sabine Dessovic, verantwortlich. Worauf es wirklich ankommt, sagt Dessovic, seien die präzise Abstimmung und Zusammenarbeit aller Gewerke. Architektur, Statik, Haustechnik und Bauphysik müssen zusammenspielen, ohne „ein intensives Miteinander“ würde das nicht funktionieren. Hitze, Wind, Trockenheit würden den Pflanzen zu schaffen machen, wenn nicht für alle Eventualitäten vorgesorgt ist.

Tatsächlich stellt man sich das alles wesentlich einfacher vor, als es ist. Dessovic berichtet allgemein von steigender Begehrlichkeit, was begrünte Gebäude anlangt: „Doch dann legen die Auftraggeber Fotos von Projekten in Asien vor und müssen wieder in die Realität unserer Klimazone zurückgeholt werden.“ Auf dem Kaufhaus in der Mariahilfer Straße wird es jedenfalls eine sanfte Hügellandschaft geben, mit allem, was dazugehört: Wegen, Bäumen, mit Gräsern bepflanzte Zonen, dazwischen blühenden Stauden. Der Park ist etwa 1000 Quadratmeter groß. Er verfügt über einen eigenen Eingang, ist ohne Konsumzwang zu den üblichen Öffnungszeiten der Wiener Parks frei zugänglich und wird von einer fast doppelt so großen, ebenfalls begrünten, jedoch nicht betretbaren Dachfläche ergänzt.

Pflanzenvorhänge und echte Bäume

Die Landschaftsplanerinnen haben das gesamte Gebäude mit ihrem stimmigen Grünkonzept sozusagen durchzogen. So wird es im Galeriegarten im Bereich zwischen den Baublöcken Kaufhaus und Hotel einen Pflanzenvorhang geben, der Hotelinnenhof bekommt eine Seilkonstruktion für Kletterpflanzen, Hotel- und Restaurantterrassen werden ebenfalls begrünt. „Das alles allerdings in einer durchgängig gleichen Typologie“, sagt Dessovic, „also ruhig und ohne Firlefanz.“ Kurz noch zu den Bäumen: Flaumeichen, Rotkiefern, Tulpenmagnolien und die prachtvoll herbstgefärbten Persischen Eisenholzbäume geben das lichte Wäldchen über den Dächern von Wien.

Ein Dachgarten kostet Platz, erfordert hohe Aufbauhöhen, stellt hohe Anforderungen an Statik und Haustechnik. Plant man ihn von Beginn an als „Intensivbegrünung“ mit, wird die Sache realistisch. Will man jedoch ein Bestandsdach begrünen, wird man meist auf die „extensive Begrünung“ mit viel geringeren Flächenlasten und minimalem Pflegebedarf zurückgreifen. Die Begrünung von Fassaden hingegen bleibt eine fragwürdige Variante, denn dabei handelt es sich um einen hoch technischen Vorgang, der von Außenstehenden gewöhnlich krass unterschätzt wird.

Es reicht nicht, ein Klettergerüst an der Fassade zu montieren und ein paar Kletterpflanzen einzugraben. Dessovic: „Der Aufwand wird vielfach völlig unterschätzt, und es wird vieles falsch gemacht, bis hin zur ungeeigneten Maschenbreite der Klettergerüste und den verwendeten Pflanzen.“ Für die Landschaftsplanerinnen war somit neben den technischen Voraussetzungen die Wahl der richtigen Gewächse maßgeblich. Der Park auf dem Dach soll ein ausgeklügeltes Puzzle sein, in dem es je nach Jahreszeit unterschiedliche Blühstimmungen sowie Wind- und Lichtspiele in Gräsern und Bäumen geben soll. Nach seiner Eröffnung wird er von Fachpersonal zu betreuen sein – ein Aspekt, der auch gerne vergessen wird.

Spectrum, Sa., 2021.05.29

05. April 2021Ute Woltron
Spectrum

Stadtflucht mit Tiny Houses: So putzig ist die Zukunft

Die diversen Lockdowns haben eine neue Sehnsucht nach dem Häuschen in der grünen Freiheit entfacht – eine teure Angelegenheit, nicht nur in der Anschaffung. Das Tiny House hingegen stellt die flexible Minimalvariante der vorübergehenden Stadtflucht dar.

Die diversen Lockdowns haben eine neue Sehnsucht nach dem Häuschen in der grünen Freiheit entfacht – eine teure Angelegenheit, nicht nur in der Anschaffung. Das Tiny House hingegen stellt die flexible Minimalvariante der vorübergehenden Stadtflucht dar.

Nach einem Jahr unter der lähmenden Glocke der Pandemie bestehen kaum Zweifel daran, dass die Welt nur verändert aus dieser Krise hervorgehen kann. Möglicherweise wird der Wandel langfristig sogar markanter ausfallen, als wir uns dieser Tage auszumalen imstande sind. Denn der Fermentationsprozess hat erst eingesetzt, und jetzt schon gärt es in den unterschiedlichsten Lebensbereichen quer über den Globus. Das Virus besetzt Verhalten und Denken, es entzweit Familien und spaltet Gesellschaften entlang vorhandener, doch nie verhandelter Haarrisse. Andererseits bündelt es die Kräfte, etwa die der Wissenschaften. Es spaltet und vereint, lähmt und beschleunigt zugleich, und es wird selbstverständlich auch die Gestaltung unserer Arbeits- und Lebenswelten beeinflussen, und damit unmittelbar die Architektur.

Was bedeutet es etwa, wenn wir künftig einen Teil der Büroarbeit zu Hause erledigen und das fraktale Arbeiten zum Alltag wird? Die endlich aufgeworfene Frage ist viel größer als die nach hastig daheim aufgestellten Schreibtischen und novellierten Gesetzestexten, denn sie umfasst ebenso veränderte Mobilität, optimierte vernetzte Technologie und führt letztlich zu adaptiertem Städtebau, vielleicht sogar zu einer veränderten Sicht der Raumordnung. Wer den Optimismus noch nicht verloren hat, könnte in der sogenannten Krise also auch die viel gepriesene Chance sehen, denn wann, wenn nicht jetzt kann, ja sollte manches hinterfragt und vielleicht sogar niedergerissen werden, was bisher als in Beton gegossen galt?

Apropos: Die Annahme, als Haus gelte prinzipiell nur, was auf Fundamenten ruhe, war schon vor der Pandemie falsch. Vor allem in den USA ist das Bewohnen mobiler Kleinhäuser seit Jahrzehnten Usus. Wer umziehen will, nimmt sein Häuschen Huckepack, stellt es auf Räder und sucht das Weite. Für eine erhebliche Beschleunigung und Neubewertung dieser zuvor typisch amerikanischen Wohn- oder besser Lebensform sorgte ab 2007 übrigens die Finanzkrise. Die Idee des sogenannten Tiny House erreichte schließlich auch Europa. Der Unterschied: In der in vielen Bereichen hoffnungslos überregulierten Alten Welt ist alles verboten, was nicht erlaubt ist, während es in den USA genau umgekehrt ist.

Vorübergehende Stadtflucht

Doch die diversen Lockdowns haben vor allem in den Städten begreiflicherweise eine neue Sehnsucht nach dem Häuschen da draußen in der grünen Freiheit entfacht. Diese Stimmungslage schlägt sich auch in der Entwicklung des Immobilienmarktes nieder. Stadtwohnungspreise stagnieren, während im städtischen Umland Grundstücks- und Hauspreise steigen. Doch so ein Haus ist eine teure Angelegenheit, nicht nur in der Anschaffung. Es muss gepflegt und betreut, beheizt und an die versorgenden Stränge der Gemeinden angeschlossen werden. Das Tiny House hingegen stellt die flexible Minimalvariante der vorübergehenden Stadtflucht dar. Im Idealfall ist es eine autarke Wohneinheit auf Rädern, ein millimetergenau konzipiertes, optimiertes Häuschen, das im Hintergrund noch dazu mit perfektionierter Haustechnik, diversen Nutz- und Frischwasserkreisen und einer ausgeklügelten Toilettenanlage ausgestattet ist und von Solarenergie gespeist wird. Kurzum, eine zwar sehr kleine, doch funktionstüchtige Wohneinheit ohne Baugenehmigung und ohne Fundamente.

Mittlerweile sind auch hierzulande die unterschiedlichsten Produzenten auf den mobilen Haus-Tross aufgesprungen und bieten fixfertig assemblierte Tiny Houses unterschiedlichen Formats und Charakters an. Ab etwa 40.000 Euro sind die billigsten schon zu haben. Das Minihaus liegt voll im Trend und beflügelt etwa zuvor eingefleischte Stadtmenschen dazu, abgelegene Grundstücke zu pachten, die Kinder einzupacken und Wald und Wiese den Sommer über zum Wohnzimmer zu erklären. Doch noch steht, wer mit einem dieser mobilen Wochenendhäuschen liebäugelt, vor einem Dickicht bürokratischer Hürden, die noch dazu je nach Bundesland ganz unterschiedlich gestaffelt sind. Und das ist nicht das einzige Problem, das nun – von allen Instanzen klug durchdacht – zu lösen wäre.

Der zweite Schwachpunkt liegt in der Architektur selbst. Denn die gestalterischen Vorbilder der neuen Tiny Häuser scheinen Almhütten einerseits, reduzierte Fertigteilkisten andererseits gewesen zu sein, wobei gegen keines der beiden im Normalformat auch nur das Geringste einzuwenden ist. Doch die Idee des mobilen Hauses führt sich ad absurdum, wenn es letztlich nur eine vereinfachte Verkleinerung des Großen darstellt und zudem Sondergenehmigungen für den Transport eingeholt werden müssen. Architektur und Kreativität wären hier gefragt, auf dass eine Hochzeit von Technologie und Design, Funktion und Gestalt auf höchstem Niveau stattfinde.

Unerreichtes Vorbild

Tatsächlich gibt es ein bis dato unerreichtes Vorbild, sozusagen den Rolls Royce unter den Tiny-House-Ahnen, und das entsprang in einer völlig anderen Zeit und unter anderen Voraussetzungen dem Erfindergeist eines gewissen Wallace „Wally“ Merle Byam. Der Amerikaner Jahrgang 1886 baute in den 1920er-Jahren eigenhändig eine aerodynamisch geformte Wohnzelle und setzte sie auf das Fahrgestell eines alten Ford. Der Grund: Seine Frau hatte das Campen im Zelt satt. Sogleich entwickelten Wallys Nachbarn Begehrlichkeiten und fragten an, ob er ihnen nicht auch so ein mobiles Miniheim bauen könne. Da ihn die Nachfrage zu überrollen begann, verkaufte er eine Zeitlang kurzerhand die Baupläne.

Doch Wally war ein geschäftstüchtiger Charakter, der die Zeichen der Zeit deutete. Er tat sich mit einem Luftfahrtingenieur und damit mit einem Profi für Leichtbauweise und optimale Raumausnutzung zusammen. Gemeinsam konstruierten sie in Anlehnung an einen Flugzeugrumpf einen extrem leichten, stromlinienförmigen Wohnwagen aus Aluminiumrippen und -platten, den sie aufgrund der schnittigen aerodynamischen Erscheinung „Airstream“ nannten. Das metallisch glänzende Konstrukt wurde bis dato über acht Jahrzehnte laufend optimiert, besser gedämmt, mit noch feinerer Technologie ausgestattet und wintertauglich gemacht. Es wurde in verschiedene Modelle und Größen gegossen – und es ist immer noch der qualitativ unerreichte Industriedesignklassiker unter den mobilen Behausungen.

Vielleicht liegt es daran, dass der leichte, wendige Alu-Zeppelin letztlich eine eigene Spezies darstellt und gar nie versucht hat, ein Haus zu sein. Er ist, was er von Beginn an sein wollte, eine autarke, durchaus luxuriöse Unterkunft, die sich ohne großen Aufwand bewegt. Die Evolution der Tiny Häuser hat gerade erst begonnen, als Wochenenddomizil, als temporär ver- oder mietbare Unterkunft und dergleichen mehr, jedenfalls aber als ein kleines Element des Wandels, den wir gerade erleben.

Spectrum, Mo., 2021.04.05

28. Dezember 2020Ute Woltron
Spectrum

Wie Denkmalschutz Entlastung sein könnte

Weihnachten – da wird man sich schon etwas wünschen dürfen. Von der Politik zum Beispiel, den Besitzern denkmalgeschützter Gebäude das Leben zu erleichtern und zugleich das geschützter Häuser in Würde zu verlängern. Drei Maßnahmen, wie eine Unterschutzstellung nicht mehr Last, sondern Entlastung sein könnte.

Weihnachten – da wird man sich schon etwas wünschen dürfen. Von der Politik zum Beispiel, den Besitzern denkmalgeschützter Gebäude das Leben zu erleichtern und zugleich das geschützter Häuser in Würde zu verlängern. Drei Maßnahmen, wie eine Unterschutzstellung nicht mehr Last, sondern Entlastung sein könnte.

Im Eingangsbereich der alten Bösendorfer Manufaktur im vierten Wiener Gemeindebezirk hing bis zum Verkauf des Traditionsunternehmens im Jahr 2007 ein schlicht gerahmter Aushang. Er war mit 1902 datiert, von Ludwig Bösendorfer formuliert und folgenden Inhalts: „An meine Herren Mitarbeiter! Da die eingehendste und längste Hausordnung immer lückenhaft sein wird, beschränke ich mich auf Folgendes: 1. Ich beanspruche von meinen Mitarbeitern möglichst gute Arbeit und Anständigkeit. 2. Dagegen haben meine Mitarbeiter selbstverständlich das Recht, von mir ebenfalls Anständigkeit und möglichst hohe Bezahlung zu beanspruchen.“

Das wäre ein beglückend einfacher Verhaltenskodex mit hoher Wirkkraft, wenn sich jeder an die Spielregeln hielte. Er ließe sich auch heute noch in vielerlei Hinsicht übertragen, doch geht unser aller Handeln zwischenzeitlich in einer Flut von Paragrafen und Normen unter, die das Leben bis zur Form der Türklinken bestimmen. Der lateinische Begriff für Anstand lautete Decorum. Er war nicht nur für Rhetorik und Benehmen jedes Einzelnen Maßstab, sondern zog sich quer durch die Gesellschaft, bis hin zur Architektur, und um den anständigen Umgang mit Letzterer soll es hier gehen.

Österreich ist eine mit historischer Bausubstanz gesegnete Nation, und damit sind nicht nur Schlösser, Burgen und andere herrschaftliche Gebäude gemeint. Tatsächlich sind diese Repräsentationsgebäude in der Minderheit. Allerorten finden sich historische Gebäude, oft über Generationen gepflegt, viele von ihnen uralt, etliche jedoch auch Meilensteine der jüngeren Architekturgeschichte, allesamt Dokumente ihrer Zeit, die schützens- und erhaltenswert sind. Doch die Rahmenbedingungen für alte Gemäuer stehen unter einem schlechten Stern. Das sollte sich ändern. Heute ist Weihnachten, da darf man sich was wünschen, und dieser Wunsch richtet sich an die Politik, denn sie hätte es in der Hand, den Besitzern das Leben zu erleichtern und zugleich das ihrer geschützten Häuser in Würde zu verlängern. Zu diesem Zweck bedürfte es dreier Maßnahmen, wie sie in anderen europäischen Nationen übrigens längst Usus sind und zur Folge hätten, dass eine Unterschutzstellung nicht mehr wie bisher Bürde, sondern Erleichterung wäre.

Erstens: Es braucht dringend eine steuerliche Entlastung. Die Kulturnation Österreich regelt den Umgang mit historisch wichtigen Gebäuden über ein recht strenges Denkmalschutzgesetz, was sinnvoll und begrüßenswert ist, und verfügt über ein Team von Denkmalschützern, deren Einsatz zu preisen ist. Doch für Hausbesitzer stellt der Status des Denkmalschutzes eine Belastung dar. Außer dem Bewusstsein, ein kulturhistorisch bedeutendes Haus zu besitzen, erwachsen daraus keinerlei Vorteile, sondern lediglich Auflagen und Verpflichtungen. Kurzum: Das Gesetz verlangt viel, unterstützt jedoch nichts. Zwar gibt es Förderungen, doch die sind minimal und decken niemals die Mehrausgaben ab, die sich ergeben, wenn etwa klapprige Holzkastenfenster eben nicht durch Kunststoff-Einheitsware ersetzt, sondern restauriert oder erneuert werden müssen. Zumindest die Differenz, also die erforderlichen Mehrausgaben, darüber ist sich die Fachwelt einig, sollte steuerlich abschreibbar sein. Das würde sowohl dem Bestand als auch dem Denkmalamt entgegenkommen und den Denkmalschutz nicht mehr nur zur Belastung deklarieren. Derzeit befinden sich etwa 36.000 Objekte unter Schutz, doch es könnten, ja sollten viel mehr sein.

Zweitens: Befreiungsschlag gegen die Mühsal der Normen und Haftungen. Wie eingangs erwähnt, regelt ein dichter Filz aus Direktiven und Paragrafen unser aller Dasein. Hielte man bei einer Restaurierung alle Vorschriften ein, die auch bei Neubauten die Architekturwelt zunehmend quälen und das Bauen jüngst extrem verteuert haben, würde das den Untergang jedes Baudenkmals bedeuten.

Beispiele: Zu niedrige Steinbrüstungen, über die jahrhundertelang zwar niemand gestürzt ist, die jedoch nicht mehr der Sicherheitsnorm entsprechen und erhöht werden müssen, da andernfalls der Besitzer für Unfälle haftet. Gotische Portale, die unvorschriftsmäßig eng und niedrig sind und nach heute geltender Norm vergrößert werden müssten, damit sich keiner den Kopf anstößt und zum Schadenersatzanwalt marschiert. Prachtvolle Stiegengeländer, deren Sprossenabstände nicht zeitgemäß, weil zu breit sind und durch läppische Zusatzmaßnahmen gesichert werden müssen. Fassaden, die nur unter Zerstörung des Gebäudes thermisch saniert werden können, und dergleichen tausendfach mehr.

Gleichzeitig vernichtet eine Sanierungs- und Verwertungswut die nicht geschützte historische Substanz. So riss man, bis dem endlich ein Riegel vorgeschoben wurde, prächtige Jahrhundertwendehäuser in der Hauptstadt ab, weil die Immobilienindustrie offenbar von einer maßlosen Gier beseelt ist. Kleiner Exkurs: Wenn heute ein Immobilienmakler mit dem Verkauf eines Gebäudes mehr an Provision kassiert, als der Architekt wenige Jahre davor an der gesamten Planung desselben Hauses verdient hat, ist ein System auf das Absurdeste in Schieflage geraten. Auch das ist ein Teil der Misere.

Drittens: Sinnvoller und behutsamer Ensemble- und Umgebungsschutz, vor allem im dörflichen Bereich. Das ist ein heikles, doch wichtiges Thema, das sich keinesfalls gegen die zeitgenössische Architektur wendet, sondern lediglich eine Beachtung des Ensembles verlangt. Dass sich neben einem Biedermeierhaus ein Wolkenkratzer selten gut macht, leuchtet wahrscheinlich ein. Doch die Nation verfügt nicht nur über besagten Schatz an Altem, sondern auch über eine Architektenschaft, die spielend damit umgehen könnte, so man sie ließe.

Als Ludwig Bösendorfer in seiner Halle sein Credo an die Wand nagelte, war der Architekt Adolf Loos bereits von seinem USA-Aufenthalt zurückgekehrt und in Wien sesshaft geworden. 1908 eröffnete seine American Bar, heute Loosbar genannt, im Kärntner Durchgang in der Innenstadt. Ein winziges Lokal und ein Schmuckstück seiner Zeit. Was hätte hier im Laufe des Jahrhunderts alles zerstört werden können. Doch man hat sich gut um das 25 Quadratmeter kleine Juwel gekümmert und nur behutsam eingegriffen. Seit 1959 steht die Bar unter Denkmalschutz, 1989 wurde sie von Burkhardt Rukschcio restauriert, und Hermann Czech rekonstruierte in der ihm üblichen Sorgfalt die verloren gegangene Originalfassade. Anlässlich des 150. Geburtstags von Adolf Loos schrubbten versierte Fachleute heuer im Frühjahr die Patina von der prächtigen marmornen Kassettendecke, allerdings nicht unter der Obhut des Denkmalamtes, denn das wäre, nebst der Begutachtung, unleistbar gewesen.

Spectrum, Mo., 2020.12.28

08. November 2020Ute Woltron
Spectrum

Hof, streck dich!

Abenteuer Restaurierung: Die Wiederbelebung von Altbestand in Dorflage muss nicht teurer sein als ein Neubau. Ein Architekt zeigt vor, wie man die traditionellen Streckhöfe retten kann. Besuch im Burgenland.

Abenteuer Restaurierung: Die Wiederbelebung von Altbestand in Dorflage muss nicht teurer sein als ein Neubau. Ein Architekt zeigt vor, wie man die traditionellen Streckhöfe retten kann. Besuch im Burgenland.

Manche Bilder bleiben erinnerlich, auch wenn sie nur im Kopf entstehen. Ein solches zeichnete Axel Corti vor langer Zeit allein mit seiner Stimme und seiner Sprache: In einem seiner legendären „Schalldämpfer“ betrauerte er das Verschwinden eines schmalen alten Hauses, das ihm von seinen Spaziergängen lieb und vertraut gewesen war. Es war abgerissen worden, und an seiner Stelle klaffte nun ein Loch in der Häuserzeile. Im zuvor tadellosen Gebiss des Dorfes sei eine Zahnlücke entstanden, ein unnötiger Verlust.

Tatsächlich haben viele über Jahrhunderte gewachsene und gepflegte Dörfer seit Cortis Zeiten nicht dazugewonnen, im Gegenteil. Die Wegwerfgesellschaft radiert ein altes Haus nach dem anderen aus, die Zentren verkommen, dafür rahmt das Passepartout der hässlichen Speckgürtel und Einfamilienhaus-Schachbrettmuster das vormals stimmige Bild ein. Zugleich ist Österreich trauriger Europameister, was den Bodenverbrauch anlangt. Die jährlich hierzulande verbaute Fläche entspricht der Größe Eisenstadts. Der dort ansässige Architekt Klaus-Jürgen Bauer verbrachte den ersten Lockdown im März damit, nachzudenken und ein optimistischeres, möglicherweise revolutionäres Bild zu malen. Ihm geht es um die leistbare und ökologisch sinnvolle Rettung der traditionellen Streckhöfe, die lange Zeit die Landschaft Pannoniens bis nach Rumänien prägten: „Unendliche Abfolgen von geschlossenen Häuserzeilen, bestehend aus weiß gekalkten, meistens nur zweifenstrigen, übergiebelten Hausfronten und großen Toreinfahrten bildeten hierzulande einmal Dorflandschaften von unfassbarer Schönheit und Harmonie.“

Viele dieser Landschaften sind verschwunden oder zumindest löchrig geworden, vieles wurde abgerissen oder steht heute leer und verfällt. Bauer ruft potenzielle Häuslbauer dazu auf, Mut zu fassen und die noch vorhandene Substanz zu retten und aufzuwerten. Vor allem will er den Leuten die Angst vor der Sanierung vermeintlicher Halbruinen nehmen, denn bei geschickter Planung und mit dem richtigen Know-how sei die Wiederbelebung eines solchen Objekts keinesfalls teurer als ein Neubau. Zu diesem Zweck arbeitete er im Frühjahr das Konzept eines Streckhof-Instituts aus. In den vergangenen Jahren hatte er sich an die zwei Dutzend dieser alten, schlichten Häuser angenommen. Er analysierte verwahrloste, teils einsturzgefährdete Gebäude, restaurierte sie mit traditionellem Können und entsprechenden Materialien und veredelte sie zu außergewöhnlichen Wohnhäusern. Mittels Streckhof-Instituts will er das gewonnene Wissen weitergeben, denn, so Bauer: „Obwohl die Höfe mitunter auf den ersten Blick schrecklich ausschauen, kann man jedes Haus retten und in einen zeitgenössischen Standard überführen.“

Zugleich soll jedoch erhalten bleiben, was man an alten Häusern so schätzt. Etwa ihre Unregelmäßigkeiten, die schönen Details, das besondere Flair einer Geschichte, die nicht unter dicken Wärmedämmschichten und anderen erdölbasierten Materialien erstickt werden darf. Wer nach zeitgenössischen Kriterien des Bauens und Sanierens an die Sache herangeht, ist Bauer überzeugt, wird teuer und ungesund bauen. Sein Interesse bestehe vielmehr darin, die teils an die 200 Jahre alte Baustruktur mit architektonischem Geschick, aber unter Verwendung jener traditionellen Mittel wiederzubeleben, die sie so lange Zeit gesund erhielten: „Ich will diese Welten wieder miteinander versöhnen.“ Die Häuser seien von einfachen Leuten auf simple, doch erprobte Weise gebaut, gepflegt und erhalten worden, sie zeichnen sich durch eine ausgesprochen robuste Substanz aus, wie die im Vergleich zu vielem Zeitgenössischen methusalemisch lange Lebensdauer untermauere.

Tatsächlich regt sich zunehmend Interesse an den alten Gemäuern, was unter anderem, doch nicht nur der herrschenden Pandemie geschuldet ist, in der das Haus auf dem Land verstärkt wieder zum Sehnsuchtsobjekt wurde. Bauer registriert auch bei der jüngeren Bauherrschaft eine Trendumkehr, die Hoffnung nach einer „Alternative zur ewig gleichen Schuhschachtelwelt“ der Einfamilienhauszonen. Die traditionellen Streckhöfe des Ostens passen ausgezeichnet in dieses Bild. Die langen schmalen Gebäude zeichnen sich meist durch eine straßenseitig gelegene Wohnzone aus, die in adaptierbare und erfreulich großzügige Wirtschaftsgebäude übergeht, Hof und eingefasster Garten inklusive. Wer Glück hat, findet auch Keller mit großartigen Gewölben vor, Dachstühle, die freigelegt und in die Wohnlandschaft integriert werden können. Man müsse, so der Architekt, diese Objekte als „Rohbauten in optimaler Dorflage“ betrachten, die „mit Fingerspitzengefühl wieder aktiviert werden können“.

Das Burgenland hat dazugelernt und eine Streckhof-Förderung erwirkt, doch nützt diese nichts, wenn die leer stehenden Wohngebäude von ihren Besitzern zurückgehalten werden und weiter verfallen. Deshalb wird zurzeit eine Novelle der Raumordnung erarbeitet, die über diverse Regulierungen darauf abzielt, Grundstückspreise zu deckeln und den Bestand an historischer Bausubstanz insbesondere in den verkommenden Ortszentren zu aktivieren und verfügbar zu machen. Die Höfe sind von überschaubarer Dimension und derzeit noch halbwegs preiswert.

Das Streckhof-Institut versteht sich als Ratgeber für alle Fragen, die bei der Sanierung auftauchen: von der Trockenlegung feuchter Fundamente über die Planung der Raumfolgen bis zum Erhalt schöner Kastenfenster und anderer Elemente wie des Katzensteigs auf dem Dach, des gemauerten Spions neben dem Portal und dergleichen. „In den Städten“, so der Architekt, „etablieren sich zunehmend Repair-Cafés, in denen Bastler sitzen und Verschiedenes für ein paar Euro reparieren. Genau so eine Kultur brauchen wir auch beim Bauen, und das insbesondere auf dem Land.“ Wer überlegt, sich in ein solches Abenteuer zu begeben, könnte einen Blick in das Streckhöfe-Lookbook werfen und sich vom Reiz dieser einfachen, doch in dörflicher Summe so raffinierten Bauform überzeugen.

Fest steht, dass die Nachfrage steigt. Mehrere Anfragen pro Woche, so Bauer, belegen das, wobei die potenziellen Streckhof-Interessenten aus dem gesamten Bundesgebiet stammten, sogar aus Vorarlberg. Man habe die Schönheit des Burgenlandes wiederentdeckt und auch die Lust, scheinbar wertlos Gewordenes liebevoll und mit den richtig gesetzten Handgriffen aufzuwerten und wieder mit Leben zu befüllen.

Spectrum, So., 2020.11.08

15. August 2020Ute Woltron
Spectrum

50 Jahre Kleines Café: „Heast, ist das ein schönes Lokal!“

Anno 1970 gelang es Hermann Czech, in einen verwinkelten historischen Bestand eine kleine – nomen est omen – Besonderheit zu setzen: das Kleine Café am Franziskanerplatz. Wiederbegegnung mit einer Institution.

Anno 1970 gelang es Hermann Czech, in einen verwinkelten historischen Bestand eine kleine – nomen est omen – Besonderheit zu setzen: das Kleine Café am Franziskanerplatz. Wiederbegegnung mit einer Institution.

Der Architekt Hermann Czech und der vormalige Schauspieler und lebenslange Gastronom Hanno Pöschl müssen da jetzt einfach durch. Sie müssen es sich gefallen lassen, ein wenig gefeiert zu werden, auch wenn der eine nicht schon wieder als Kaffeehausarchitekt bezeichnet werden will und der andere keine Lust mehr auf Öffentlichkeit hat. Doch es wird ein runder Geburtstag begangen: Ein gemeinsames Kind, wenn man so will, feiert heute den 50er, und dieses Jubiläum des Kleinen Cafés am Wiener Franziskanerplatz bejubeln nicht nur die Stammgäste, sondern es darf auch zum Anlass genommen werden, über Qualität und Funktionalität, über Raffinesse und Zeitlosigkeit wirklich gelungener Architektur nachzudenken.

„Seit 50 Jahren“, sagt Hanno Pöschl, seinerzeit der Bauherr des winzig kleinen Cafés und immer noch sein Betreiber, „geh ich dort rein und denk mir jedes Mal: Heast, ist das ein schönes Lokal!“ Mit dieser Empfindung ist er nicht allein, doch wenn es von Beginn an nur schön und nicht auch klug durchdacht gewesen wäre, das süße Kind in der Wiener Innenstadt, hätte es die Jahrzehnte wohl nicht so unverwelkt überstanden. Tatsächlich ist es Hermann Czech gelungen, in einen verwinkelten, 400 Jahre alten Bestand ein, er möge den Ausdruck bitte verzeihen, Schmuckkästchen zu integrieren. Jedes Detail, jeder Einbau, jedes Material und jede Farbe steht sowohl im Dienst der Funktionalität für diejenigen, die die Kaffeehausmaschinerie bedienen und am Laufen halten, als auch für die Gäste, deren Rücken etwa von exakt kalkulierten Lederpolsterschwüngen gehalten, deren Blicke von Wandspiegeln in die Weite gelenkt werden.

Dabei entstand das Lokal, das heute in seiner Dichte wie in das alte Bestandsgemäuer hineingegossen wirkt, in mehreren Etappen. 1970 übernahm Hanno Pöschl als 20-Jähriger den ersten, ursprünglichen Gastraum. Der war lediglich 27 Quadratmeter klein, von zwei ungleichen Kreuzgewölben höhlenartig überspannt und hatte vormals einen Branntweiner, dann vorübergehend ein Nachtlokal beherbergt. Czech beließ die alten Holzlamperien der Sitznischen, verpasste ihnen einen glänzenden Anstrich, entwarf eine funktionale, kleine Schank und stattete den Raum mit einem umlaufenden Gesimsprofil aus, auf dem die Gäste ihre Gläser abstellen konnten.

Drei Jahre später ergab sich die Möglichkeit einer Erweiterung, als auf der Seite des Franziskanerplatzes die ebenfalls winzig kleine Räumlichkeit einer ehemaligen Fleischhauerei verfügbar wurde und an das Café angeschlossen werden konnte. Die Deckengewölbe beider Räume verlaufen auf demselben Niveau, der Fußboden des neu zu bespielenden Raumes liegt jedoch um 60 Zentimeter höher. Czech nutzte den architektonischen Geländesprung, den andere möglicherweise als Hindernis betrachtet und eliminiert hätten, perfekt aus. Er konzipierte den oberen Bereich des Kleinen Cafés für sitzende Gäste. Sie befinden sich auf Augenhöhe mit den stehenden Besuchern des unteren Bereichs und auch des Barpersonals, was einen eigenartigen Reiz entfaltet und das Gefühl verstärkt, man sitze oder blicke in ein Schatzkästchen aus undefinierbarer Zeit. Entlang beider Seiten befinden sich ledergepolsterte Sitzbänke mit bequem geschwungenen Rückenlehnen, deren Vorbild Czech in den Polstersitzen von Kutschen in der Schönbrunner Wagenburg fand. Zum Raffiniertesten in diesem Raum zählt Czechs Spiel mit den nicht sehr tiefen, bereits vorhandenen Nischen in den unter dem Gewölbe zurückversetzten Wänden. Mit scheinbar massiven, tatsächlich aus Abbruchsteinen auf Gehrung geschnittenen Marmorpfeilern unterschiedlicher Färbung werden die über den Sitzbänken mit Spiegeln ausgestatteten Wände in der Vertikalen zu Nischen unterteilt, für die horizontale Teilung sorgt der darüber befindliche Einbau des hölzernen Stauraums.

Nur wer genau hinschaut, bemerkt, dass jeder Sturz dieser vermeintlichen Mauerung einen leichten Schwung aufweist, eine flache Parabel, deren Kante mit einer Zierleiste ausgestattet ist, die wie ein Seil aussieht. Wer nicht genau schaut, spürt den Schwung zumindest. Auch das Spiel der Spiegel darunter wird erst verständlich, wenn man schließlich Platz nimmt: Die Pfeiler erscheinen nun dreifach, denn Czech setzte jeweils einen quadratischen vor, einen halben direkt an die Spiegel. Auch die beiden Glühbirnen jeweils unter der Leibung erscheinen auf diese Weise vervierfacht.

Scheinbare Kleinigkeiten wie die alten Bodenkacheln, teils Bestand, teils ergänzt, Farben, die einander ideal aufwerten und in der gesamten Komposition gar nicht mehr bewusst im Einzelnen wahrgenommen werden, und dazwischen alles, was ein Kaffeehausbetrieb erfordert, auf kleinstem Raum untergebracht: „Hermann Czech ist einer dieser wunderbaren Architekten, die auch die Größe und die Gabe haben, auf die Funktionalität und auf die Bedürfnisse des Betreibers einzugehen. Man bespricht mit ihm, wie viele Gläser verstaut werden müssen und wie viele Flaschen, oder wo die Kaffeemaschine stehen soll – da lässt er sich dreinreden“, sagt Hanno Pöschl. „Und das Optische macht dann er.“

Pöschl und Czech verbindet eine lange Zusammenarbeit, aus der mehrere legendäre Wiener Lokale hervorgingen, etwa auch das Salzamt und die Wunderbar. Im Falle des Kleinen Cafés, sagt Pöschl, empfinde er sich mittlerweile weniger als Besitzer denn als „Museumsverwalter“: „Ich bringe keinen Pinselstrich an, den der Hermann nicht abgesegnet hat.“ Hermann Czech, einer der wohl intellektuellsten und gebildetsten Architekten nicht nur seiner Generation, formulierte bereits 1970 in seiner Filmdokumentation über Adolf Loos sein Credo: „Eine Architektur, die nicht auf Verzierungen, sondern auf Raumwirkungen beruht, veraltet nicht. Sie bleibt Ausdruck und Hintergrund für die widersprechenden Neigungen des modernen Menschen: Bequemlichkeit, Repräsentation, Ironie.“

Das Zitat ist in der erst unlängst publizierten, bewundernswert genauen Werkbiografie von Eva Kuß nachzulesen: „Hermann Czech, Architekt in Wien“ (Park Books) analysiert das raumgreifende Universum seiner Architekturen in ausgewählten Projekten. Die heutige Situation schätzt der 1936 in Wien geborene Architekt ähnlich, doch der Zeit gemäß ein: „Eine informelle, heterogene und undoktrinäre Architektur ist nicht mehr die Ausnahme. Es ist ein intellektueller Fortschritt, dass ein neues Weltbild nicht mehr durch formale Trends, neue ,Stile‘ und dergleichen simuliert werden kann, sondern dass Änderungen sich durch neue Bedingungen wie Digitalisierung und Klimawandel begründen oder erzwingen. Viele wollen das noch immer nicht wahrhaben, schaffen aber Rülpser und triviale Ornamentik statt Sprache.“

Apropos Änderungen: Die ewigen Gerüchte, das Kleine Café werde verkauft oder zugesperrt, versetzt Stammgäste regelmäßig in Unruhe, ja fast in Panik. Nichts da, sagt Pöschl, er höre das seit 49 Jahren, und auch diesmal sei nichts dran an dem Gerede.

Spectrum, Sa., 2020.08.15



verknüpfte Bauwerke
Kleines Café

13. Juni 2020Ute Woltron
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Ein Stall, der wandern kann: Architektur für Hühner

Artgerechte Hühnerhaltung auf der Wiese: Der Mobei-Hühnerstall bietet ausgeklügelte Technik und den Tieren alles, was sie brauchen – inklusive Aufenthaltsraum. Zu Besuch in Rohrbach bei Ternitz.

Artgerechte Hühnerhaltung auf der Wiese: Der Mobei-Hühnerstall bietet ausgeklügelte Technik und den Tieren alles, was sie brauchen – inklusive Aufenthaltsraum. Zu Besuch in Rohrbach bei Ternitz.

Bereits im Jahr 1977 stellte der britische Schriftsteller und Kunstkritiker John Berger eine betrübliche Entwicklung in den Mittelpunkt seines berühmten und eindringlichen Essays „Why Look at Animals?“: „Überall verschwinden die Tiere.“ Seine Betrachtungen über den Umgang des modernen Menschen mit dem Tier, zumal mit dem Nutztier, lesen sich heute aktueller denn je, und die Ursache ist bekannt: „In Westeuropa und Nordamerika setzte im 19. Jahrhundert ein Prozess ein – an dessen Ende heute der korporierte Kapitalismus des 20. Jahrhunderts steht –, durch den alle Traditionen, die bisher zwischen dem Menschen und der Natur vermittelt hatten, zerbrachen.“ Der moderne Mensch verhätschelt zwar ein Haustier, doch Kuh und Schwein begegnen ihm nur noch im Kühlregal, portioniert und zerlegt, säuberlich und ohne Fell und Borsten, abgepackt und zur Ware degradiert. Ihr Leben haben diese Tiere meist dicht gepackt in Ställen verbracht, ohne je die Sonne gesehen zu haben.

Auch die Hühner, die bis in die 1970er-Jahre in ländlichen Gegenden ein allgegenwärtiger Anblick waren, sind aus dem Blickfeld Richtung Legebatterie verschwunden. Doch das ändert sich da und dort gerade, und die Wiederkehr des Huhnes im Freien ist nicht zuletzt der formidablen Erfindung des mobilen Hühnerstalls zu verdanken. Diese charmante Konstruktion verknüpft artgerechte Tierhaltung mit moderner Technologie, und alle haben was davon. Die Hühner, weil sie damit wieder ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen, Gras und Käfer picken und Gruben ausscharren können, in denen sie so gerne sandbaden und ihr Gefieder reinigen. Die Kunden, weil sie die besten aller Wieseneier geliefert bekommen. Die Landwirte, weil ihnen die kleine Stallmaschine enorm viel Arbeit abnimmt und sie mit Fug und Recht behaupten können, glückliche Hühner zu beherbergen.

Aber zuerst zum Huhn. Man kann es zwar einsperren, doch benötigt es für sein Wohlbefinden viel Platz. Es fühlt sich an der frischen Luft am wohlsten, idealerweise in einer Wiese, durch die es scharrend und pickend schreiten kann. Es braucht sehr viel Trinkwasser und eine eiweißreiche Nahrung – schließlich legt es fast jeden Tag ein Ei. Zu alledem benötigt es Sicherheit in Form eines abgeschlossenen, zugfreien Raums, in dem es nächtens auf einer Stange aufsitzt, und in dem ihm Marder und Fuchs nichts anhaben können. Das klingt einfacher, als es ist. Denn Hühner pflegen den Wiesenboden binnen kürzester Zeit mit erstaunlich kräftigen Krallen zu einer Art Wüstenei zu zerscharren – eines der Hauptprobleme der Freilandhaltung. Nackten Boden mögen Hühner nicht, sie vertragen ihn auch schlecht und werden darauf krank.

Die beiden Jungbauern Magdalena und David Posch aus Rohrbach bei Ternitz waren die längste Zeit ein Geheimtipp als Lieferanten frischer Wieseneier, doch ihre drei Dutzend Hühner, bis dahin beheimatet im Stall samt Auslauf, waren der Nachfrage nicht gewachsen. Die Lösung dieses Problems steht nun seit Februar in Form eines sogenannten Mobei-Hühnerstalls auf einer großen Wiese. Der mit ausgeklügelter Technologie bestückte Container von einem deutschen Start-up-Unternehmen beherbergt 280 Legehennen und versorgt sie mit allem, was sie brauchen.

Im oberen Geschoß befinden sich der Länge nach die Sitzstangen und die mit weichem Material ausgekleideten Legenester. Letztere sind so konstruiert, dass die Eier sanft in eine vertiefte Rinne kollern, wo sie eingesammelt werden können. Der Kot fällt durch ein Gitter auf eine auf Rollen gelagerte Plane, die das Ausmisten vergleichsweise zum Vergnügen macht. Auf Knopfdruck setzt sich der Mechanismus in Bewegung, und der Hendldreck kann an der Schmalseite des Stalls einfach aufgefangen werden. Die untere, bodennahe Etage ist mit der oberen durch eine kleine Treppe verbunden und dient als Aufenthaltsraum für die Vogelschar. Morgens öffnen sich automatisch die Klappen, sodass die Damen ins Freie schreiten können. Abends schließen sie sich ebenso automatisch wieder, wenn die Sonne untergegangen und das letzte Huhn nach Hause gegangen ist.

Für die Stromversorgung des Hühnerheims ist eine Fotovoltaikanlage verantwortlich, als Speicher dienen zwei Batterien. Notfalls kann der Stall an das Stromnetz angeschlossen werden, doch das war bisher nie der Fall. Auch das Füttern und Tränken erfolgt automatisiert. Ein Förderband transportiert das Futter in einer Rinne durch die gesamte Länge des Stalls, sodass die Hühner genug Platz haben, um zu speisen und nicht um das Futter raufen müssen. Parallel dazu verläuft die Tränke, die dank eines Ausgleichsgefäßes auch in leichter Schräglage immer Wasser spendet. Das ist unbedingt notwendig, da der mobile Stall alle paar Wochen seinen Standort auf der Wiese wechselt, damit auch sie gesund bleibt. Zu diesem Zweck erhebt sich der Container hydraulisch auf seine Räder und wird mit dem Traktor ein paar Hundert Meter ins frische Gras weitergezogen und abgestellt. Dann muss nur noch der elektrische Hühnerzaun versetzt werden, und die Damen verfügen wieder über saftig frisches Wiesengrün.

Die Eier gibt es gleich nebenan im 24-Stunden-Shop, sieben Tage die Woche. Denn was sich mit Gemüse und Obst aus eigener Produktion bereits seit einigen Jahren bewährt, funktioniert auch mit den Eiern. Magdalena Posch: „Durch die immer längeren Öffnungszeiten von Betrieben und Firmen ist es manchen nicht mehr möglich, in Ruhe Einkäufe zu erledigen. Daher wollten wir jedem die Möglichkeit bieten, rund um die Uhr frisches, saisonales Gemüse zu erwerben.“ Das Selbstbedienungsprinzip wird so gut angenommen, dass die Eier schon wieder ständig ausverkauft sind. Deshalb wird es demnächst ein paar Wiesen weiter noch einen mobilen Hühnerstall geben.

John Berger, der in seinem französischen Bergexil nur dann Besucher empfing, wenn keine agrarische Beschäftigung ihn davon abhielt, hätte das Mobei bestimmt gefallen. Noch bleibt die Ausnahme die Regel, noch hat der große alte Mann recht: „Überall verschwinden die Tiere. In den Zoos sind sie das lebende Monument ihres eigenen Untergangs geworden.“ Doch was die Zukunft der Landwirtschaft anlangt, irrt er hoffentlich, denn gerade die klugen Nahversorger, also sowohl unternehmerisch als auch mit dem Herzen denkende Leute wie die Familie Posch, könnten den Beginn einer Veränderung markieren. Möge Berger also wenigstens in diesem Detail fehlgehen, wenn er sonst schon in allem recht hat: „Der Verdrängung der Tiere folgen heute die Verdrängung und die Abschaffung der einzigen Klasse, die in der Geschichte immer mit Tieren vertraut war und sich jene Weisheit bewahrt hat, die eine solche Vertrautheit mit sich bringt: der mittlere und der kleine Bauer. Diese Weisheit besteht im Akzeptieren des Dualismus, der der Beziehung zwischen Mensch und Tier zugrunde liegt. Wahrscheinlich ist die Ablehnung dieses Dualismus ein wichtiger Faktor, dem modernen Totalitarismus den Weg zu ebnen.“

Spectrum, Sa., 2020.06.13

25. April 2020Ute Woltron
Spectrum

„Das Land“ – was ist das genau?

Stadtluft macht frei? Das war einmal. Derzeit wird Freiheit vor allem auf dem Land gesucht. Über die Zukunft eines lange Zeit vernachlässigten Raums – und Rem Koolhaas' Ideen zur „Countryside“.

Stadtluft macht frei? Das war einmal. Derzeit wird Freiheit vor allem auf dem Land gesucht. Über die Zukunft eines lange Zeit vernachlässigten Raums – und Rem Koolhaas' Ideen zur „Countryside“.

Als ob er es gewusst hätte: Ausgerechnet heuer im Februar, als sich unverhofft eine Pandemie über den Globus zu verbreiten begann, die nur Momente später die Bewohner vieler Städte für Wochen in ihre vier Wände zurückwerfen, die sich als Schockstarre über die Menschheit legen und selbst Straßenzüge in Millionenstädten leerfegen sollte, eröffnete Rem Koolhaas im New Yorker Guggenheim Museum eine Ausstellung mit dem Titel „Countryside: The Future“. Bereits vor zehn Jahren angedacht und in den vergangenen fünf Jahren von einem interdisziplinären Team erarbeitet, stellt der holländische Architekt darin jene 98 Prozent der Erdoberfläche, die Nicht-Stadt sind, ins Zentrum seiner Überlegungen. Denn was anderes als keine Stadt ist „das Land“ heutzutage? Wie kann man definieren oder benennen, was vielfältiger und unterschiedlicher nicht sein könnte?

Insbesondere in den vergangenen Wochen der erzwungenen Eremitage durften sich viele Bewohner des sogenannten Landes deutlich bevorzugt fühlen. Der Wald ums Eck, der Garten vor der Haustüre, die Landstraße noch leerer als zuvor, die eingekochte Ernte des Vorjahrs in der Speisekammer. So die idyllisch überhöhte Vereinfachung einer Situation, die dennoch vielerorts beschauliche Realität ist. Die österreichische Schriftstellerin Tanja Paar brachte die Gefühlslage der Städter auf Twitter während der Quarantäne so auf den Punkt: „Das eigentlich Spannende für mich an Covid-19 ist, dass es in der Stadt nun weniger Freiheiten gibt als auf dem Land. Dafür sind wir nicht in die Stadt gezogen.“

Rem Koolhaas, der jahrzehntelang vor allem das Getriebe der großen, dynamischen Menschenagglomerationen aus allen Perspektiven betrachtete und die Architektur immer wieder mit erfrischendem Querdenken bereicherte, etwa wenn er Themen wie „Shopping“ und wenig beachtete Elemente der Architektur eingehenden Studien unterzog, kam auf die Idee zur Ausstellung, als er über ein paar Jahre hinweg das Verschwinden der Kühe von den Bergweiden seines Urlaubsdomizils in der Schweiz beobachtete. Die Milchkühe verschwanden ebenso wie viele der ursprünglichen Dorfbewohner, dafür kamen neue Zuzügler, viele von ihnen aus der Stadt. Die strikten Regeln des Denkmalschutzes behüteten zwar die vermeintliche Ursprünglichkeit des Dorfes und seiner alten Bauernhäuser, doch, so meint Koolhaas: „Wenn man heute zwischen die Vorhänge blickt, sieht man den typischen zeitgenössischen Konsumstil: Minimalismus.“ Der sei jedoch „mit einer exzeptionellen Menge von Kissen“ ausgestattet.

Als er sich bei einem Bauern über diese Entwicklungen erkundigen wollte, etwa wohin die Kühe verschwunden waren, musste er feststellen, dass er mit einem vormaligen Atomphysiker aus Frankfurt sprach. Der Traktorfahrer auf einer Weide stammte aus Sri Lanka, und die drei Frauen auf dem Stadtplatz waren Asiatinnen, die sich um Haushalt und Kinder der Zugezogenen oder Wochenendbewohner kümmerten. Er entdeckte zudem eine Schriftstellerin, einen Steuerberater, einen Musiker im Dorf.

Die Bauern hingegen findet man längst anderswo. Aus der kleinteiligen Landwirtschaft haben sich, insbesondere in den USA, aber auch in Europa, Megabetriebe entwickelt, die computergesteuert quasi vom Tablet aus bewirtschaftet werden. Wer die Vorstellung des zeitgenössischen Bauern mit der Mistgabel in der Hand pflegt, liegt völlig daneben. Gerade noch zwei bis acht Prozent der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft. Heute produzieren vielmehr riesige Anlagen mit minimalem bis gar keinem Personalstand einen Gutteil der Sonntagsbraten für die Menschheit. Mehr als die Hälfte davon lebt in den Städten, eine rasante Entwicklung, auf die sich in der jüngeren Vergangenheit denn auch die überwältigende Mehrzahl aller Studien konzentrierte.

Doch was, will Koolhaas in seiner mittlerweile natürlich dank Corona längst geschlossenen Guggenheim-Schau fragen, ist eigentlich mit der anderen Hälfte? Das sogenannte Land könne man, so der Architekt, mit den Landkarten zu Beginn des 18. Jahrhunderts vergleichen, auf denen weite Flächen weiß und als Terra incognita ausgewiesen waren. Das Phänomen des sich leerenden Landes, verkündet er, hat wesentlich drastischere Auswirkungen als die Verdichtung der Städte, und diese intelligent zu steuern sei das Gebot der Stunde. Denn das Land sei im Begriff, sich in etwas Neues, nie Dagewesenes zu transformieren, schreibt Koolhaas im Katalog zur Ausstellung, und zwar: „In eine Arena für Genexperimente, industrialisierte Nostalgie, neue Muster saisonaler Migration, massiver Subventionen, steuerlichen Anreiz, digitale Information, von Maschinen beherrschte Landwirtschaft, Homogenisierung von Arten. Es wäre schwierig, eine ähnlich radikale Bestandsaufnahme für die Stadt niederzuschreiben.“

Im Schatten der Corona-Krise haben zahllose Architekturkritiker und Städteplaner ihre Gedanken darüber zu Papier gebracht, ob die in den vergangenen Jahrzehnten gepriesene Verdichtung der Stadt nicht eine Fehlentwicklung gewesen und rasch zu überdenken sei. Die Antwort darauf wird nicht zu finden sein, bezieht man nicht die bislang völlig vernachlässigte Umwelt der Stadt, das Land, in all diese Überlegungen ein. Koolhaas: „Unsere momentane ausschließliche Obsession mit der Stadt ist in höchstem Grad unverantwortlich, denn die Stadt lässt sich nicht verstehen, versteht man das Land nicht.“ Von dort komme Nahrung, dort liege die Industrie, dort formiere sich dank digitaler Vernetzung, Highspeed-Internet und dergleichen eine neue, natürlich völlig disperse Gesellschaft.

Nicht einzelne besonders gelungene, von vermögenden Bauherren irgendwo in die Landschaft gepflanzte Architekturen, sondern intelligente, gesetzlich verankerte Raumplanung und sinnvolle Vernetzung von Stadt und Land könnten, ja sollten den künftigen Umgang mit diesen 98 Prozent Erdoberfläche prägen. Die Vernachlässigung des ländlichen Raumes in Österreich etwa hat unterschiedliche Ursachen, ökonomische wie ideologische. So lässt sie sich in einem aus den Nöten der Nachkriegszeit geborenen, entsprechend veralteten und das Land nach wie vor diskriminierenden Finanzausgleichssystem ablesen. Die Missachtung des ländlichen Raumes könnte nach dem Schock der Krise als weit größere Herausforderung erkannt werden als die letztlich vernünftige Verdichtung der Stadt.

Es dürfte auf jeden Fall spannend werden. Möglicherweise sind wir lernfähig und stellen in einer künftigen Welt der städtischen Bevölkerung vermehrt Architekturen mit klug durchdachten Freiräumen zur Verfügung. Möglicherweise erkennen wir, dass wir erst am Anfang einer vor allem von den Möglichkeiten der digitalen Medien befeuerten Entwicklung stehen, die sinnloses Hin- und Herfahren reduziert. Möglicherweise findet die Architektur dank dieser Krise aus ihrer momentanen Belanglosigkeit und bringt sich mit ihrem chronisch unterschätzten, kostbaren Know-how in dieses weite Feld ein.

Spectrum, Sa., 2020.04.25

26. Februar 2020Ute Woltron
Spectrum

Gotik statt Gehry? Wenn Politiker Architekt spielen

Mit seinem Dekret „Making Federal Buildings Beautiful Again“ ist Donald Trump nur einer von vielen politischen Architekturberserkern, die sich berufen fühlten, Baustilvorgaben zu formulieren.

Mit seinem Dekret „Making Federal Buildings Beautiful Again“ ist Donald Trump nur einer von vielen politischen Architekturberserkern, die sich berufen fühlten, Baustilvorgaben zu formulieren.

Donald Trump ist angetreten, um Amerika wieder großartig zu machen. Jetzt greift er in politisch bewegten Zeiten zu einem beliebten Werkzeug der Macht und dreht an den Knöpfen der Architektur. Die öffentlichen Gebäude der Nation, so ist in einer jüngst an die Öffentlichkeit gelangten „Executive Order“ nachzulesen, sollen, wenn schon nicht großartig, so zumindest wieder „schön“ werden. Das sieben Seiten umfassende Dokument enthält Direktiven, in welche Richtung es künftig zu gehen hat, wenn neue Postämter, Gerichtsgebäude und dergleichen mehr gebaut werden, wenn Bestehendes vor Sanierung oder Erweiterung steht. Trump fordert für die etwa 300.000 öffentlichen Gebäude einen „traditionellen Architekturstil“ ein. Dazu zählen: „Klassischer Architekturstil und historisch humanistische Stile wie Gotik, Romanik und der Spanische Kolonialstil sowie andere mediterrane Stile, wie man sie in Florida und im amerikanischen Südwesten findet.“

Die gesamte Architektur- und Kulturwelt rund um den Globus reagierte, wie zu erwarten war: Sie spie Gift und Galle. Das Amerikanische Institut für Architektur zeigte sich „geschockt“, The Architecture Lobby erinnerte daran, dass die Verordnung bestimmter Architekturstile ein „Markenzeichen autoritärer Regime“ sei. Selbst die Denkmalpfleger des National Trust gaben sich bedenklich, die Vorgaben seien mit der tatsächlichen Bewahrung historischer Werte nicht in Einklang zu bringen. Kommentatoren landauf, landab warnten vor einem „rassistischen“ Architekturkodex, der eine weiße, männliche Elite symbolisiere und aus Zeiten stamme, in denen Frauen kein Wahlrecht hatten und Afroamerikanern keine Bürgerrechte zugestanden waren.

Dass die Architektur seit Menschengedenken ein Spielball der Macht ist, wird niemand anzweifeln, auch nicht, dass sich die Bauwut in totalitären Regimen naturgemäß am deutlichsten äußert. Doch kommt es stets auf die Perspektive an. Hillary Clinton bemühte in ihrer Abschiedsrede als scheidende US-Außenministerin 2013 ebenfalls die Metapher der Architektur, doch sie tat es, um ein künftiges politisches Weltgebilde zu besingen: „Wir brauchen eine neue Architektur für diese neue Welt; mehr Gehry als antikes Griechenland. Während in früheren Zeiten einige starke Säulen das Gewicht der Welt zu tragen imstande waren, so brauchen wir heute einen dynamischen Mix aus Materialien und Strukturen.“

Gegen „hässliche“ Architekturen

Trump hat aus seiner Ablehnung dekonstruktivistischer und brutalistischer Gebäude nie ein Hehl gemacht; die, wie er meint, „hässlichen“ Architekturen Frank Gehrys scheinen ihm besonders zu missfallen. Doch bei aller Aufregung und berechtigter Geißelung der Verschönerungspläne als absurd und reaktionär reiht sich der US-Präsident mit seinem Dekret in eine lange Reihe politischer Architekturberserker ein, wie sie auch im guten alten und jüngeren Europa zu finden waren. Schon Jean-Baptiste Colbert, Finanzminister unter Ludwig XIV., sprach Regenten aus der Seele, als er vor rund 300 Jahren meinte, nichts beweise, „in Ermangelung glänzender Kriegstaten, Größe und Geist in höherem Maße als die Errichtung von Baudenkmälern“. Als Jacques Chirac, damals Bürgermeister von Paris, den Architekten Ricardo Bofill aus dem Projekt Les Halles expedierte, nicht zuletzt, weil der Spanier als Günstling seines politischen Rivalen Valéry Giscard d'Estaing galt, verkündete er vor der Presse: „Der Architekt? Das bin ich!“ Giscard d'Estaings Nachfolger Francois Mitterrand erwies sich ebenfalls als Bauherr gigantomanischen Formats, was ihm den Spitznamen Mitterramses eintrug, obwohl er beteuerte, „nicht aus persönlichem Ehrgeiz“ zu bauen, sondern „aus Ambition für Frankreich“, und weil es eine „direkte Verbindung zwischen der Größe der Architektur, ihren ästhetischen Qualitäten und der Größe eines Volkes“ gäbe.

Es geht jedoch auch demokratischer. In den vergangenen Jahrzehnten entstanden – nicht nur in Europa – in vielen Nationen staatliche Leitfäden zur Hebung der Baukultur und Architektur, von denen der 1998 vom finnischen Parlament verabschiedete Sieben-Punkte-Beschluss „zum Schutz unseres architektonischen Erbes und zum Erhalt und zur Wertsteigerung des vorhandenen Baubestandes“ hervorzuheben ist. Er ist an Klarheit bisher unübertroffen. Jeder Bürger habe ein Grundrecht auf eine intakte Umwelt. Der Staat trägt als wichtigstes Vorbild für Nachhaltigkeit und optimiertes Bauen Verantwortung, und Architektur wurde als zentrale und sinnlich wahrnehmbare Form von Kultur honoriert.

Im Vergleich dazu nimmt sich der europäische „Leitfaden zur Architekturpolitik der Kommission“ aus dem Jahr 2009 eher kraftlos aus, greift dafür in seiner Aussage zur ästhetischen Gestaltung EU-eigener Gebäude nach Höherem. Die Kommission achte darauf, „dass das Bild, das die Fassaden und der Umfang ihrer Gebäude abgeben, unter anderem durch die Integration gekrümmter und gerader in die Höhe gerichteter Linien, die Kühnheit, Transparenz und Dynamik des europäischen Einigungswerks zum Ausdruck bringt“.

Eher Handbuch für Anfänger

Weniger kühn, eher wie ein Handbuch für Anfänger liest sich der Passus, der sich mit der Umsetzung der Projekte befasst: „Die angestrebte architektonische Qualität lässt sich leichter erreichen, wenn man auf solide, im Vorfeld ausgearbeitete Programme, auf eine präzise Verfolgung der Projektabläufe und eine systematische Nutzung der verschiedenen Instrumente zur Konfrontation der Ideen zurückgreifen kann.“ Ja wie denn sonst?

Auch wenn die vom US-Präsidenten angeordneten Architekturverrenkungen umgesetzt werden, auch wenn in öffentlichen Wettbewerben über Jurys, in denen explizit weder Künstler, Architekten, Ingenieure noch Kunst- oder Architekturkritiker und auch keine Mitglieder der Bauindustrie vertreten sein dürfen, die Bürgernähe gesucht wird: Amerikas reiche Architekturgeschichte wird damit kein Ende nehmen.

Die tatsächlichen Hindernisse auf dem Weg zu gut Gebautem sind da wie dort vielmehr alltägliche Barrieren wie überzogene Normen, steigende Baukosten- und Baupreisindizes und schwache, nicht paktfähige Bauherrschaften. Frank Lloyd Wright, Säulenheiliger der amerikanischen Architektur des 20. Jahrhunderts, bekannt für sein aus der strammen Reihe historischer Bauten tanzendes Guggenheim Museum in New York und ein Vorläufer für Gehry und Co., war nur einer der vielen Vertreter amerikanischer Baukultur, die nicht auf dem sicheren Boden des Vergangenen wandelten, sondern sich immer wieder in Richtung einer neuen Architektur für eine neue Welt aufmachten. Der Architekt, meinte er, müsse nichts weniger als ein Prophet sein, vorurteilsfrei bleiben und den Blick in die Zukunft richten. Wer nicht zehn Jahre vorausschauen könne, den solle man keinen Architekten nennen. Möglicherweise gilt das Gleiche für die Vertreter politischer Macht.

Spectrum, Mi., 2020.02.26

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Publikationen

Presseschau 12

29. Mai 2021Ute Woltron
Spectrum

Das „Leiner-Haus“ bekommt ein grünes Dach

Alle Jahre kehrt er wieder, der Sommer, und mit ihm steigt die Temperatur in der Stadt. Nun soll das Dach des ehemaligen Leiner-Hauses in der Mariahilfer Straße mit einem öffentlich zugänglichen Garten begrünt werden. Dieser wird Wiens Hitzeproblem nicht lösen – doch zeigt sich ein Weg in eine mögliche neue Richtung.

Alle Jahre kehrt er wieder, der Sommer, und mit ihm steigt die Temperatur in der Stadt. Nun soll das Dach des ehemaligen Leiner-Hauses in der Mariahilfer Straße mit einem öffentlich zugänglichen Garten begrünt werden. Dieser wird Wiens Hitzeproblem nicht lösen – doch zeigt sich ein Weg in eine mögliche neue Richtung.

Angesichts der derzeitigen Witterung kann man es sich zwar noch nicht vorstellen, doch ein nächster Sommer steht bevor und damit die Hitze, die sich über die Städte legen wird. Wo die Sonne auf Beton und Ziegel knallt, wird Wärme gespeichert, und die darunter schmachtende Bevölkerung dreht alle zur Verfügung stehenden Ventilatoren und Klimaanlagen auf. Neben anderen Maßnahmen soll dem eine Begrünung der Städte entgegenwirken, und in unterschiedlichen Ausformungen rückt das Thema Stadtgrün spätestens dann wieder ins Zentrum des Interesses, wenn sich die Stadtbewohner nächtens bei über 30 Grad schlaflos in ihren Betten wälzen.

Große Städte sind absolute Hitzepole, die sogar lokale Klimabedingungen spürbar verändern können. Die aus den Beton- und Glasschluchten aufsteigenden Massen erhitzter Luft entwickeln gelegentlich einen derart mächtigen Sog, dass die feuchten Luftschichten nahe gelegener Meere angesaugt werden, wie etwa im Fall von São Paulo. Die Stadt, könnte man sagen, ruft auf diese Weise Unwetter und Überschwemmungen herbei. Die Begrünung der Städte soll diesen Effekten entgegenwirken, und da man sich bereits seit einigen Jahrzehnten wissenschaftlich mit der Thematik auseinandersetzt, darf man mittlerweile davon ausgehen, dass insbesondere die Entsiegelung zugepflasterter Flächen unten sowie die Begrünung von Dächern oben die nachhaltigsten Effekte aufweisen, wenn es um die Nachrüstung mit Grün geht.

Die Studienergebnisse divergieren, die pessimistischsten sprechen von einer Temperaturminderung von etwa sieben Grad Celsius, wenn – eine idealistische Annahme – die Hälfte der Dächer einer Stadt begrünt sind. Das Rathaus von Chicago hat bereits eine dieser Grünzonen unter dem Himmel, der Flughafen in Peking ebenso, und auf dem Dach der Technischen Universität von Singapur liegen die Studierenden im Grünen in der Sonne. Als man in der japanischen Stadt Fukuoka nach einem Baugrund für ein dringend erforderliches neues Verwaltungsgebäude suchte und lediglich der Stadtpark im Zentrum zur Verfügung stand, baute man eine Art Terrassengarten, der sich nun wie eine Hügellandschaft satt überwuchert durchwandeln lässt.

Dachgarten soll Mangel an Grünflächen kompensieren

Die Stadt Wien ist mit relativ vielen Park- und Grünflächen gesegnet, doch sind diese ungleich verteilt. Die Mariahilfer Straße hat zwar einen zauberhaften Alleebewuchs, doch die Gegend ist eine der dichtest verbauten der Hauptstadt, und für Grün ist kaum Platz. Nicht nur aus diesem Grund, aber doch auch als Pilotprojekt wird das soeben im Abriss befindliche ehemalige Leiner-Haus, eine Art Entrée an Österreichs meistfrequentierter Einkaufsstraße, einen öffentlich zugänglichen Dachgarten erhalten. Wie berichtet, wird dort bis Herbst 2024 ein Kaufhaus nach dem Vorbild des KaDeWe errichtet, sowie ein Hotel im anschließenden Baublock. Das Projekt ging aus einem internationalen, geladenen Wettbewerb hervor, beteiligt waren schwere Kaliber wie Snohetta aus Oslo, Hadi Teherani aus Hamburg und BIG Bjarke Ingels Group aus Kopenhagen. Den Zuschlag bekam das Projekt des renommierten holländischen Architekturbüros O.M.A., dessen Gründer und Galionsfigur Rem Koolhaas ist. Bauherrin und Wettbewerbsausloberin ist die Signa Gruppe, die 2018 die Kika-Leiner-Kette übernommen hat.

Ein Dachgarten über der Mariahilfer Straße wird Wiens Hitzeproblem nicht lösen, doch zeigt es den Weg in eine mögliche neue Richtung. Für die Betreiber soll die Parkanlage später Anziehungspunkt und Frequenzbringerin sein und als Alleinstellungsmerkmal wirken. Für die Landschaftsplanung über Dach zeichnet das Büro DnD, Anna Detzlhofer und Sabine Dessovic, verantwortlich. Worauf es wirklich ankommt, sagt Dessovic, seien die präzise Abstimmung und Zusammenarbeit aller Gewerke. Architektur, Statik, Haustechnik und Bauphysik müssen zusammenspielen, ohne „ein intensives Miteinander“ würde das nicht funktionieren. Hitze, Wind, Trockenheit würden den Pflanzen zu schaffen machen, wenn nicht für alle Eventualitäten vorgesorgt ist.

Tatsächlich stellt man sich das alles wesentlich einfacher vor, als es ist. Dessovic berichtet allgemein von steigender Begehrlichkeit, was begrünte Gebäude anlangt: „Doch dann legen die Auftraggeber Fotos von Projekten in Asien vor und müssen wieder in die Realität unserer Klimazone zurückgeholt werden.“ Auf dem Kaufhaus in der Mariahilfer Straße wird es jedenfalls eine sanfte Hügellandschaft geben, mit allem, was dazugehört: Wegen, Bäumen, mit Gräsern bepflanzte Zonen, dazwischen blühenden Stauden. Der Park ist etwa 1000 Quadratmeter groß. Er verfügt über einen eigenen Eingang, ist ohne Konsumzwang zu den üblichen Öffnungszeiten der Wiener Parks frei zugänglich und wird von einer fast doppelt so großen, ebenfalls begrünten, jedoch nicht betretbaren Dachfläche ergänzt.

Pflanzenvorhänge und echte Bäume

Die Landschaftsplanerinnen haben das gesamte Gebäude mit ihrem stimmigen Grünkonzept sozusagen durchzogen. So wird es im Galeriegarten im Bereich zwischen den Baublöcken Kaufhaus und Hotel einen Pflanzenvorhang geben, der Hotelinnenhof bekommt eine Seilkonstruktion für Kletterpflanzen, Hotel- und Restaurantterrassen werden ebenfalls begrünt. „Das alles allerdings in einer durchgängig gleichen Typologie“, sagt Dessovic, „also ruhig und ohne Firlefanz.“ Kurz noch zu den Bäumen: Flaumeichen, Rotkiefern, Tulpenmagnolien und die prachtvoll herbstgefärbten Persischen Eisenholzbäume geben das lichte Wäldchen über den Dächern von Wien.

Ein Dachgarten kostet Platz, erfordert hohe Aufbauhöhen, stellt hohe Anforderungen an Statik und Haustechnik. Plant man ihn von Beginn an als „Intensivbegrünung“ mit, wird die Sache realistisch. Will man jedoch ein Bestandsdach begrünen, wird man meist auf die „extensive Begrünung“ mit viel geringeren Flächenlasten und minimalem Pflegebedarf zurückgreifen. Die Begrünung von Fassaden hingegen bleibt eine fragwürdige Variante, denn dabei handelt es sich um einen hoch technischen Vorgang, der von Außenstehenden gewöhnlich krass unterschätzt wird.

Es reicht nicht, ein Klettergerüst an der Fassade zu montieren und ein paar Kletterpflanzen einzugraben. Dessovic: „Der Aufwand wird vielfach völlig unterschätzt, und es wird vieles falsch gemacht, bis hin zur ungeeigneten Maschenbreite der Klettergerüste und den verwendeten Pflanzen.“ Für die Landschaftsplanerinnen war somit neben den technischen Voraussetzungen die Wahl der richtigen Gewächse maßgeblich. Der Park auf dem Dach soll ein ausgeklügeltes Puzzle sein, in dem es je nach Jahreszeit unterschiedliche Blühstimmungen sowie Wind- und Lichtspiele in Gräsern und Bäumen geben soll. Nach seiner Eröffnung wird er von Fachpersonal zu betreuen sein – ein Aspekt, der auch gerne vergessen wird.

Spectrum, Sa., 2021.05.29

05. April 2021Ute Woltron
Spectrum

Stadtflucht mit Tiny Houses: So putzig ist die Zukunft

Die diversen Lockdowns haben eine neue Sehnsucht nach dem Häuschen in der grünen Freiheit entfacht – eine teure Angelegenheit, nicht nur in der Anschaffung. Das Tiny House hingegen stellt die flexible Minimalvariante der vorübergehenden Stadtflucht dar.

Die diversen Lockdowns haben eine neue Sehnsucht nach dem Häuschen in der grünen Freiheit entfacht – eine teure Angelegenheit, nicht nur in der Anschaffung. Das Tiny House hingegen stellt die flexible Minimalvariante der vorübergehenden Stadtflucht dar.

Nach einem Jahr unter der lähmenden Glocke der Pandemie bestehen kaum Zweifel daran, dass die Welt nur verändert aus dieser Krise hervorgehen kann. Möglicherweise wird der Wandel langfristig sogar markanter ausfallen, als wir uns dieser Tage auszumalen imstande sind. Denn der Fermentationsprozess hat erst eingesetzt, und jetzt schon gärt es in den unterschiedlichsten Lebensbereichen quer über den Globus. Das Virus besetzt Verhalten und Denken, es entzweit Familien und spaltet Gesellschaften entlang vorhandener, doch nie verhandelter Haarrisse. Andererseits bündelt es die Kräfte, etwa die der Wissenschaften. Es spaltet und vereint, lähmt und beschleunigt zugleich, und es wird selbstverständlich auch die Gestaltung unserer Arbeits- und Lebenswelten beeinflussen, und damit unmittelbar die Architektur.

Was bedeutet es etwa, wenn wir künftig einen Teil der Büroarbeit zu Hause erledigen und das fraktale Arbeiten zum Alltag wird? Die endlich aufgeworfene Frage ist viel größer als die nach hastig daheim aufgestellten Schreibtischen und novellierten Gesetzestexten, denn sie umfasst ebenso veränderte Mobilität, optimierte vernetzte Technologie und führt letztlich zu adaptiertem Städtebau, vielleicht sogar zu einer veränderten Sicht der Raumordnung. Wer den Optimismus noch nicht verloren hat, könnte in der sogenannten Krise also auch die viel gepriesene Chance sehen, denn wann, wenn nicht jetzt kann, ja sollte manches hinterfragt und vielleicht sogar niedergerissen werden, was bisher als in Beton gegossen galt?

Apropos: Die Annahme, als Haus gelte prinzipiell nur, was auf Fundamenten ruhe, war schon vor der Pandemie falsch. Vor allem in den USA ist das Bewohnen mobiler Kleinhäuser seit Jahrzehnten Usus. Wer umziehen will, nimmt sein Häuschen Huckepack, stellt es auf Räder und sucht das Weite. Für eine erhebliche Beschleunigung und Neubewertung dieser zuvor typisch amerikanischen Wohn- oder besser Lebensform sorgte ab 2007 übrigens die Finanzkrise. Die Idee des sogenannten Tiny House erreichte schließlich auch Europa. Der Unterschied: In der in vielen Bereichen hoffnungslos überregulierten Alten Welt ist alles verboten, was nicht erlaubt ist, während es in den USA genau umgekehrt ist.

Vorübergehende Stadtflucht

Doch die diversen Lockdowns haben vor allem in den Städten begreiflicherweise eine neue Sehnsucht nach dem Häuschen da draußen in der grünen Freiheit entfacht. Diese Stimmungslage schlägt sich auch in der Entwicklung des Immobilienmarktes nieder. Stadtwohnungspreise stagnieren, während im städtischen Umland Grundstücks- und Hauspreise steigen. Doch so ein Haus ist eine teure Angelegenheit, nicht nur in der Anschaffung. Es muss gepflegt und betreut, beheizt und an die versorgenden Stränge der Gemeinden angeschlossen werden. Das Tiny House hingegen stellt die flexible Minimalvariante der vorübergehenden Stadtflucht dar. Im Idealfall ist es eine autarke Wohneinheit auf Rädern, ein millimetergenau konzipiertes, optimiertes Häuschen, das im Hintergrund noch dazu mit perfektionierter Haustechnik, diversen Nutz- und Frischwasserkreisen und einer ausgeklügelten Toilettenanlage ausgestattet ist und von Solarenergie gespeist wird. Kurzum, eine zwar sehr kleine, doch funktionstüchtige Wohneinheit ohne Baugenehmigung und ohne Fundamente.

Mittlerweile sind auch hierzulande die unterschiedlichsten Produzenten auf den mobilen Haus-Tross aufgesprungen und bieten fixfertig assemblierte Tiny Houses unterschiedlichen Formats und Charakters an. Ab etwa 40.000 Euro sind die billigsten schon zu haben. Das Minihaus liegt voll im Trend und beflügelt etwa zuvor eingefleischte Stadtmenschen dazu, abgelegene Grundstücke zu pachten, die Kinder einzupacken und Wald und Wiese den Sommer über zum Wohnzimmer zu erklären. Doch noch steht, wer mit einem dieser mobilen Wochenendhäuschen liebäugelt, vor einem Dickicht bürokratischer Hürden, die noch dazu je nach Bundesland ganz unterschiedlich gestaffelt sind. Und das ist nicht das einzige Problem, das nun – von allen Instanzen klug durchdacht – zu lösen wäre.

Der zweite Schwachpunkt liegt in der Architektur selbst. Denn die gestalterischen Vorbilder der neuen Tiny Häuser scheinen Almhütten einerseits, reduzierte Fertigteilkisten andererseits gewesen zu sein, wobei gegen keines der beiden im Normalformat auch nur das Geringste einzuwenden ist. Doch die Idee des mobilen Hauses führt sich ad absurdum, wenn es letztlich nur eine vereinfachte Verkleinerung des Großen darstellt und zudem Sondergenehmigungen für den Transport eingeholt werden müssen. Architektur und Kreativität wären hier gefragt, auf dass eine Hochzeit von Technologie und Design, Funktion und Gestalt auf höchstem Niveau stattfinde.

Unerreichtes Vorbild

Tatsächlich gibt es ein bis dato unerreichtes Vorbild, sozusagen den Rolls Royce unter den Tiny-House-Ahnen, und das entsprang in einer völlig anderen Zeit und unter anderen Voraussetzungen dem Erfindergeist eines gewissen Wallace „Wally“ Merle Byam. Der Amerikaner Jahrgang 1886 baute in den 1920er-Jahren eigenhändig eine aerodynamisch geformte Wohnzelle und setzte sie auf das Fahrgestell eines alten Ford. Der Grund: Seine Frau hatte das Campen im Zelt satt. Sogleich entwickelten Wallys Nachbarn Begehrlichkeiten und fragten an, ob er ihnen nicht auch so ein mobiles Miniheim bauen könne. Da ihn die Nachfrage zu überrollen begann, verkaufte er eine Zeitlang kurzerhand die Baupläne.

Doch Wally war ein geschäftstüchtiger Charakter, der die Zeichen der Zeit deutete. Er tat sich mit einem Luftfahrtingenieur und damit mit einem Profi für Leichtbauweise und optimale Raumausnutzung zusammen. Gemeinsam konstruierten sie in Anlehnung an einen Flugzeugrumpf einen extrem leichten, stromlinienförmigen Wohnwagen aus Aluminiumrippen und -platten, den sie aufgrund der schnittigen aerodynamischen Erscheinung „Airstream“ nannten. Das metallisch glänzende Konstrukt wurde bis dato über acht Jahrzehnte laufend optimiert, besser gedämmt, mit noch feinerer Technologie ausgestattet und wintertauglich gemacht. Es wurde in verschiedene Modelle und Größen gegossen – und es ist immer noch der qualitativ unerreichte Industriedesignklassiker unter den mobilen Behausungen.

Vielleicht liegt es daran, dass der leichte, wendige Alu-Zeppelin letztlich eine eigene Spezies darstellt und gar nie versucht hat, ein Haus zu sein. Er ist, was er von Beginn an sein wollte, eine autarke, durchaus luxuriöse Unterkunft, die sich ohne großen Aufwand bewegt. Die Evolution der Tiny Häuser hat gerade erst begonnen, als Wochenenddomizil, als temporär ver- oder mietbare Unterkunft und dergleichen mehr, jedenfalls aber als ein kleines Element des Wandels, den wir gerade erleben.

Spectrum, Mo., 2021.04.05

28. Dezember 2020Ute Woltron
Spectrum

Wie Denkmalschutz Entlastung sein könnte

Weihnachten – da wird man sich schon etwas wünschen dürfen. Von der Politik zum Beispiel, den Besitzern denkmalgeschützter Gebäude das Leben zu erleichtern und zugleich das geschützter Häuser in Würde zu verlängern. Drei Maßnahmen, wie eine Unterschutzstellung nicht mehr Last, sondern Entlastung sein könnte.

Weihnachten – da wird man sich schon etwas wünschen dürfen. Von der Politik zum Beispiel, den Besitzern denkmalgeschützter Gebäude das Leben zu erleichtern und zugleich das geschützter Häuser in Würde zu verlängern. Drei Maßnahmen, wie eine Unterschutzstellung nicht mehr Last, sondern Entlastung sein könnte.

Im Eingangsbereich der alten Bösendorfer Manufaktur im vierten Wiener Gemeindebezirk hing bis zum Verkauf des Traditionsunternehmens im Jahr 2007 ein schlicht gerahmter Aushang. Er war mit 1902 datiert, von Ludwig Bösendorfer formuliert und folgenden Inhalts: „An meine Herren Mitarbeiter! Da die eingehendste und längste Hausordnung immer lückenhaft sein wird, beschränke ich mich auf Folgendes: 1. Ich beanspruche von meinen Mitarbeitern möglichst gute Arbeit und Anständigkeit. 2. Dagegen haben meine Mitarbeiter selbstverständlich das Recht, von mir ebenfalls Anständigkeit und möglichst hohe Bezahlung zu beanspruchen.“

Das wäre ein beglückend einfacher Verhaltenskodex mit hoher Wirkkraft, wenn sich jeder an die Spielregeln hielte. Er ließe sich auch heute noch in vielerlei Hinsicht übertragen, doch geht unser aller Handeln zwischenzeitlich in einer Flut von Paragrafen und Normen unter, die das Leben bis zur Form der Türklinken bestimmen. Der lateinische Begriff für Anstand lautete Decorum. Er war nicht nur für Rhetorik und Benehmen jedes Einzelnen Maßstab, sondern zog sich quer durch die Gesellschaft, bis hin zur Architektur, und um den anständigen Umgang mit Letzterer soll es hier gehen.

Österreich ist eine mit historischer Bausubstanz gesegnete Nation, und damit sind nicht nur Schlösser, Burgen und andere herrschaftliche Gebäude gemeint. Tatsächlich sind diese Repräsentationsgebäude in der Minderheit. Allerorten finden sich historische Gebäude, oft über Generationen gepflegt, viele von ihnen uralt, etliche jedoch auch Meilensteine der jüngeren Architekturgeschichte, allesamt Dokumente ihrer Zeit, die schützens- und erhaltenswert sind. Doch die Rahmenbedingungen für alte Gemäuer stehen unter einem schlechten Stern. Das sollte sich ändern. Heute ist Weihnachten, da darf man sich was wünschen, und dieser Wunsch richtet sich an die Politik, denn sie hätte es in der Hand, den Besitzern das Leben zu erleichtern und zugleich das ihrer geschützten Häuser in Würde zu verlängern. Zu diesem Zweck bedürfte es dreier Maßnahmen, wie sie in anderen europäischen Nationen übrigens längst Usus sind und zur Folge hätten, dass eine Unterschutzstellung nicht mehr wie bisher Bürde, sondern Erleichterung wäre.

Erstens: Es braucht dringend eine steuerliche Entlastung. Die Kulturnation Österreich regelt den Umgang mit historisch wichtigen Gebäuden über ein recht strenges Denkmalschutzgesetz, was sinnvoll und begrüßenswert ist, und verfügt über ein Team von Denkmalschützern, deren Einsatz zu preisen ist. Doch für Hausbesitzer stellt der Status des Denkmalschutzes eine Belastung dar. Außer dem Bewusstsein, ein kulturhistorisch bedeutendes Haus zu besitzen, erwachsen daraus keinerlei Vorteile, sondern lediglich Auflagen und Verpflichtungen. Kurzum: Das Gesetz verlangt viel, unterstützt jedoch nichts. Zwar gibt es Förderungen, doch die sind minimal und decken niemals die Mehrausgaben ab, die sich ergeben, wenn etwa klapprige Holzkastenfenster eben nicht durch Kunststoff-Einheitsware ersetzt, sondern restauriert oder erneuert werden müssen. Zumindest die Differenz, also die erforderlichen Mehrausgaben, darüber ist sich die Fachwelt einig, sollte steuerlich abschreibbar sein. Das würde sowohl dem Bestand als auch dem Denkmalamt entgegenkommen und den Denkmalschutz nicht mehr nur zur Belastung deklarieren. Derzeit befinden sich etwa 36.000 Objekte unter Schutz, doch es könnten, ja sollten viel mehr sein.

Zweitens: Befreiungsschlag gegen die Mühsal der Normen und Haftungen. Wie eingangs erwähnt, regelt ein dichter Filz aus Direktiven und Paragrafen unser aller Dasein. Hielte man bei einer Restaurierung alle Vorschriften ein, die auch bei Neubauten die Architekturwelt zunehmend quälen und das Bauen jüngst extrem verteuert haben, würde das den Untergang jedes Baudenkmals bedeuten.

Beispiele: Zu niedrige Steinbrüstungen, über die jahrhundertelang zwar niemand gestürzt ist, die jedoch nicht mehr der Sicherheitsnorm entsprechen und erhöht werden müssen, da andernfalls der Besitzer für Unfälle haftet. Gotische Portale, die unvorschriftsmäßig eng und niedrig sind und nach heute geltender Norm vergrößert werden müssten, damit sich keiner den Kopf anstößt und zum Schadenersatzanwalt marschiert. Prachtvolle Stiegengeländer, deren Sprossenabstände nicht zeitgemäß, weil zu breit sind und durch läppische Zusatzmaßnahmen gesichert werden müssen. Fassaden, die nur unter Zerstörung des Gebäudes thermisch saniert werden können, und dergleichen tausendfach mehr.

Gleichzeitig vernichtet eine Sanierungs- und Verwertungswut die nicht geschützte historische Substanz. So riss man, bis dem endlich ein Riegel vorgeschoben wurde, prächtige Jahrhundertwendehäuser in der Hauptstadt ab, weil die Immobilienindustrie offenbar von einer maßlosen Gier beseelt ist. Kleiner Exkurs: Wenn heute ein Immobilienmakler mit dem Verkauf eines Gebäudes mehr an Provision kassiert, als der Architekt wenige Jahre davor an der gesamten Planung desselben Hauses verdient hat, ist ein System auf das Absurdeste in Schieflage geraten. Auch das ist ein Teil der Misere.

Drittens: Sinnvoller und behutsamer Ensemble- und Umgebungsschutz, vor allem im dörflichen Bereich. Das ist ein heikles, doch wichtiges Thema, das sich keinesfalls gegen die zeitgenössische Architektur wendet, sondern lediglich eine Beachtung des Ensembles verlangt. Dass sich neben einem Biedermeierhaus ein Wolkenkratzer selten gut macht, leuchtet wahrscheinlich ein. Doch die Nation verfügt nicht nur über besagten Schatz an Altem, sondern auch über eine Architektenschaft, die spielend damit umgehen könnte, so man sie ließe.

Als Ludwig Bösendorfer in seiner Halle sein Credo an die Wand nagelte, war der Architekt Adolf Loos bereits von seinem USA-Aufenthalt zurückgekehrt und in Wien sesshaft geworden. 1908 eröffnete seine American Bar, heute Loosbar genannt, im Kärntner Durchgang in der Innenstadt. Ein winziges Lokal und ein Schmuckstück seiner Zeit. Was hätte hier im Laufe des Jahrhunderts alles zerstört werden können. Doch man hat sich gut um das 25 Quadratmeter kleine Juwel gekümmert und nur behutsam eingegriffen. Seit 1959 steht die Bar unter Denkmalschutz, 1989 wurde sie von Burkhardt Rukschcio restauriert, und Hermann Czech rekonstruierte in der ihm üblichen Sorgfalt die verloren gegangene Originalfassade. Anlässlich des 150. Geburtstags von Adolf Loos schrubbten versierte Fachleute heuer im Frühjahr die Patina von der prächtigen marmornen Kassettendecke, allerdings nicht unter der Obhut des Denkmalamtes, denn das wäre, nebst der Begutachtung, unleistbar gewesen.

Spectrum, Mo., 2020.12.28

08. November 2020Ute Woltron
Spectrum

Hof, streck dich!

Abenteuer Restaurierung: Die Wiederbelebung von Altbestand in Dorflage muss nicht teurer sein als ein Neubau. Ein Architekt zeigt vor, wie man die traditionellen Streckhöfe retten kann. Besuch im Burgenland.

Abenteuer Restaurierung: Die Wiederbelebung von Altbestand in Dorflage muss nicht teurer sein als ein Neubau. Ein Architekt zeigt vor, wie man die traditionellen Streckhöfe retten kann. Besuch im Burgenland.

Manche Bilder bleiben erinnerlich, auch wenn sie nur im Kopf entstehen. Ein solches zeichnete Axel Corti vor langer Zeit allein mit seiner Stimme und seiner Sprache: In einem seiner legendären „Schalldämpfer“ betrauerte er das Verschwinden eines schmalen alten Hauses, das ihm von seinen Spaziergängen lieb und vertraut gewesen war. Es war abgerissen worden, und an seiner Stelle klaffte nun ein Loch in der Häuserzeile. Im zuvor tadellosen Gebiss des Dorfes sei eine Zahnlücke entstanden, ein unnötiger Verlust.

Tatsächlich haben viele über Jahrhunderte gewachsene und gepflegte Dörfer seit Cortis Zeiten nicht dazugewonnen, im Gegenteil. Die Wegwerfgesellschaft radiert ein altes Haus nach dem anderen aus, die Zentren verkommen, dafür rahmt das Passepartout der hässlichen Speckgürtel und Einfamilienhaus-Schachbrettmuster das vormals stimmige Bild ein. Zugleich ist Österreich trauriger Europameister, was den Bodenverbrauch anlangt. Die jährlich hierzulande verbaute Fläche entspricht der Größe Eisenstadts. Der dort ansässige Architekt Klaus-Jürgen Bauer verbrachte den ersten Lockdown im März damit, nachzudenken und ein optimistischeres, möglicherweise revolutionäres Bild zu malen. Ihm geht es um die leistbare und ökologisch sinnvolle Rettung der traditionellen Streckhöfe, die lange Zeit die Landschaft Pannoniens bis nach Rumänien prägten: „Unendliche Abfolgen von geschlossenen Häuserzeilen, bestehend aus weiß gekalkten, meistens nur zweifenstrigen, übergiebelten Hausfronten und großen Toreinfahrten bildeten hierzulande einmal Dorflandschaften von unfassbarer Schönheit und Harmonie.“

Viele dieser Landschaften sind verschwunden oder zumindest löchrig geworden, vieles wurde abgerissen oder steht heute leer und verfällt. Bauer ruft potenzielle Häuslbauer dazu auf, Mut zu fassen und die noch vorhandene Substanz zu retten und aufzuwerten. Vor allem will er den Leuten die Angst vor der Sanierung vermeintlicher Halbruinen nehmen, denn bei geschickter Planung und mit dem richtigen Know-how sei die Wiederbelebung eines solchen Objekts keinesfalls teurer als ein Neubau. Zu diesem Zweck arbeitete er im Frühjahr das Konzept eines Streckhof-Instituts aus. In den vergangenen Jahren hatte er sich an die zwei Dutzend dieser alten, schlichten Häuser angenommen. Er analysierte verwahrloste, teils einsturzgefährdete Gebäude, restaurierte sie mit traditionellem Können und entsprechenden Materialien und veredelte sie zu außergewöhnlichen Wohnhäusern. Mittels Streckhof-Instituts will er das gewonnene Wissen weitergeben, denn, so Bauer: „Obwohl die Höfe mitunter auf den ersten Blick schrecklich ausschauen, kann man jedes Haus retten und in einen zeitgenössischen Standard überführen.“

Zugleich soll jedoch erhalten bleiben, was man an alten Häusern so schätzt. Etwa ihre Unregelmäßigkeiten, die schönen Details, das besondere Flair einer Geschichte, die nicht unter dicken Wärmedämmschichten und anderen erdölbasierten Materialien erstickt werden darf. Wer nach zeitgenössischen Kriterien des Bauens und Sanierens an die Sache herangeht, ist Bauer überzeugt, wird teuer und ungesund bauen. Sein Interesse bestehe vielmehr darin, die teils an die 200 Jahre alte Baustruktur mit architektonischem Geschick, aber unter Verwendung jener traditionellen Mittel wiederzubeleben, die sie so lange Zeit gesund erhielten: „Ich will diese Welten wieder miteinander versöhnen.“ Die Häuser seien von einfachen Leuten auf simple, doch erprobte Weise gebaut, gepflegt und erhalten worden, sie zeichnen sich durch eine ausgesprochen robuste Substanz aus, wie die im Vergleich zu vielem Zeitgenössischen methusalemisch lange Lebensdauer untermauere.

Tatsächlich regt sich zunehmend Interesse an den alten Gemäuern, was unter anderem, doch nicht nur der herrschenden Pandemie geschuldet ist, in der das Haus auf dem Land verstärkt wieder zum Sehnsuchtsobjekt wurde. Bauer registriert auch bei der jüngeren Bauherrschaft eine Trendumkehr, die Hoffnung nach einer „Alternative zur ewig gleichen Schuhschachtelwelt“ der Einfamilienhauszonen. Die traditionellen Streckhöfe des Ostens passen ausgezeichnet in dieses Bild. Die langen schmalen Gebäude zeichnen sich meist durch eine straßenseitig gelegene Wohnzone aus, die in adaptierbare und erfreulich großzügige Wirtschaftsgebäude übergeht, Hof und eingefasster Garten inklusive. Wer Glück hat, findet auch Keller mit großartigen Gewölben vor, Dachstühle, die freigelegt und in die Wohnlandschaft integriert werden können. Man müsse, so der Architekt, diese Objekte als „Rohbauten in optimaler Dorflage“ betrachten, die „mit Fingerspitzengefühl wieder aktiviert werden können“.

Das Burgenland hat dazugelernt und eine Streckhof-Förderung erwirkt, doch nützt diese nichts, wenn die leer stehenden Wohngebäude von ihren Besitzern zurückgehalten werden und weiter verfallen. Deshalb wird zurzeit eine Novelle der Raumordnung erarbeitet, die über diverse Regulierungen darauf abzielt, Grundstückspreise zu deckeln und den Bestand an historischer Bausubstanz insbesondere in den verkommenden Ortszentren zu aktivieren und verfügbar zu machen. Die Höfe sind von überschaubarer Dimension und derzeit noch halbwegs preiswert.

Das Streckhof-Institut versteht sich als Ratgeber für alle Fragen, die bei der Sanierung auftauchen: von der Trockenlegung feuchter Fundamente über die Planung der Raumfolgen bis zum Erhalt schöner Kastenfenster und anderer Elemente wie des Katzensteigs auf dem Dach, des gemauerten Spions neben dem Portal und dergleichen. „In den Städten“, so der Architekt, „etablieren sich zunehmend Repair-Cafés, in denen Bastler sitzen und Verschiedenes für ein paar Euro reparieren. Genau so eine Kultur brauchen wir auch beim Bauen, und das insbesondere auf dem Land.“ Wer überlegt, sich in ein solches Abenteuer zu begeben, könnte einen Blick in das Streckhöfe-Lookbook werfen und sich vom Reiz dieser einfachen, doch in dörflicher Summe so raffinierten Bauform überzeugen.

Fest steht, dass die Nachfrage steigt. Mehrere Anfragen pro Woche, so Bauer, belegen das, wobei die potenziellen Streckhof-Interessenten aus dem gesamten Bundesgebiet stammten, sogar aus Vorarlberg. Man habe die Schönheit des Burgenlandes wiederentdeckt und auch die Lust, scheinbar wertlos Gewordenes liebevoll und mit den richtig gesetzten Handgriffen aufzuwerten und wieder mit Leben zu befüllen.

Spectrum, So., 2020.11.08

15. August 2020Ute Woltron
Spectrum

50 Jahre Kleines Café: „Heast, ist das ein schönes Lokal!“

Anno 1970 gelang es Hermann Czech, in einen verwinkelten historischen Bestand eine kleine – nomen est omen – Besonderheit zu setzen: das Kleine Café am Franziskanerplatz. Wiederbegegnung mit einer Institution.

Anno 1970 gelang es Hermann Czech, in einen verwinkelten historischen Bestand eine kleine – nomen est omen – Besonderheit zu setzen: das Kleine Café am Franziskanerplatz. Wiederbegegnung mit einer Institution.

Der Architekt Hermann Czech und der vormalige Schauspieler und lebenslange Gastronom Hanno Pöschl müssen da jetzt einfach durch. Sie müssen es sich gefallen lassen, ein wenig gefeiert zu werden, auch wenn der eine nicht schon wieder als Kaffeehausarchitekt bezeichnet werden will und der andere keine Lust mehr auf Öffentlichkeit hat. Doch es wird ein runder Geburtstag begangen: Ein gemeinsames Kind, wenn man so will, feiert heute den 50er, und dieses Jubiläum des Kleinen Cafés am Wiener Franziskanerplatz bejubeln nicht nur die Stammgäste, sondern es darf auch zum Anlass genommen werden, über Qualität und Funktionalität, über Raffinesse und Zeitlosigkeit wirklich gelungener Architektur nachzudenken.

„Seit 50 Jahren“, sagt Hanno Pöschl, seinerzeit der Bauherr des winzig kleinen Cafés und immer noch sein Betreiber, „geh ich dort rein und denk mir jedes Mal: Heast, ist das ein schönes Lokal!“ Mit dieser Empfindung ist er nicht allein, doch wenn es von Beginn an nur schön und nicht auch klug durchdacht gewesen wäre, das süße Kind in der Wiener Innenstadt, hätte es die Jahrzehnte wohl nicht so unverwelkt überstanden. Tatsächlich ist es Hermann Czech gelungen, in einen verwinkelten, 400 Jahre alten Bestand ein, er möge den Ausdruck bitte verzeihen, Schmuckkästchen zu integrieren. Jedes Detail, jeder Einbau, jedes Material und jede Farbe steht sowohl im Dienst der Funktionalität für diejenigen, die die Kaffeehausmaschinerie bedienen und am Laufen halten, als auch für die Gäste, deren Rücken etwa von exakt kalkulierten Lederpolsterschwüngen gehalten, deren Blicke von Wandspiegeln in die Weite gelenkt werden.

Dabei entstand das Lokal, das heute in seiner Dichte wie in das alte Bestandsgemäuer hineingegossen wirkt, in mehreren Etappen. 1970 übernahm Hanno Pöschl als 20-Jähriger den ersten, ursprünglichen Gastraum. Der war lediglich 27 Quadratmeter klein, von zwei ungleichen Kreuzgewölben höhlenartig überspannt und hatte vormals einen Branntweiner, dann vorübergehend ein Nachtlokal beherbergt. Czech beließ die alten Holzlamperien der Sitznischen, verpasste ihnen einen glänzenden Anstrich, entwarf eine funktionale, kleine Schank und stattete den Raum mit einem umlaufenden Gesimsprofil aus, auf dem die Gäste ihre Gläser abstellen konnten.

Drei Jahre später ergab sich die Möglichkeit einer Erweiterung, als auf der Seite des Franziskanerplatzes die ebenfalls winzig kleine Räumlichkeit einer ehemaligen Fleischhauerei verfügbar wurde und an das Café angeschlossen werden konnte. Die Deckengewölbe beider Räume verlaufen auf demselben Niveau, der Fußboden des neu zu bespielenden Raumes liegt jedoch um 60 Zentimeter höher. Czech nutzte den architektonischen Geländesprung, den andere möglicherweise als Hindernis betrachtet und eliminiert hätten, perfekt aus. Er konzipierte den oberen Bereich des Kleinen Cafés für sitzende Gäste. Sie befinden sich auf Augenhöhe mit den stehenden Besuchern des unteren Bereichs und auch des Barpersonals, was einen eigenartigen Reiz entfaltet und das Gefühl verstärkt, man sitze oder blicke in ein Schatzkästchen aus undefinierbarer Zeit. Entlang beider Seiten befinden sich ledergepolsterte Sitzbänke mit bequem geschwungenen Rückenlehnen, deren Vorbild Czech in den Polstersitzen von Kutschen in der Schönbrunner Wagenburg fand. Zum Raffiniertesten in diesem Raum zählt Czechs Spiel mit den nicht sehr tiefen, bereits vorhandenen Nischen in den unter dem Gewölbe zurückversetzten Wänden. Mit scheinbar massiven, tatsächlich aus Abbruchsteinen auf Gehrung geschnittenen Marmorpfeilern unterschiedlicher Färbung werden die über den Sitzbänken mit Spiegeln ausgestatteten Wände in der Vertikalen zu Nischen unterteilt, für die horizontale Teilung sorgt der darüber befindliche Einbau des hölzernen Stauraums.

Nur wer genau hinschaut, bemerkt, dass jeder Sturz dieser vermeintlichen Mauerung einen leichten Schwung aufweist, eine flache Parabel, deren Kante mit einer Zierleiste ausgestattet ist, die wie ein Seil aussieht. Wer nicht genau schaut, spürt den Schwung zumindest. Auch das Spiel der Spiegel darunter wird erst verständlich, wenn man schließlich Platz nimmt: Die Pfeiler erscheinen nun dreifach, denn Czech setzte jeweils einen quadratischen vor, einen halben direkt an die Spiegel. Auch die beiden Glühbirnen jeweils unter der Leibung erscheinen auf diese Weise vervierfacht.

Scheinbare Kleinigkeiten wie die alten Bodenkacheln, teils Bestand, teils ergänzt, Farben, die einander ideal aufwerten und in der gesamten Komposition gar nicht mehr bewusst im Einzelnen wahrgenommen werden, und dazwischen alles, was ein Kaffeehausbetrieb erfordert, auf kleinstem Raum untergebracht: „Hermann Czech ist einer dieser wunderbaren Architekten, die auch die Größe und die Gabe haben, auf die Funktionalität und auf die Bedürfnisse des Betreibers einzugehen. Man bespricht mit ihm, wie viele Gläser verstaut werden müssen und wie viele Flaschen, oder wo die Kaffeemaschine stehen soll – da lässt er sich dreinreden“, sagt Hanno Pöschl. „Und das Optische macht dann er.“

Pöschl und Czech verbindet eine lange Zusammenarbeit, aus der mehrere legendäre Wiener Lokale hervorgingen, etwa auch das Salzamt und die Wunderbar. Im Falle des Kleinen Cafés, sagt Pöschl, empfinde er sich mittlerweile weniger als Besitzer denn als „Museumsverwalter“: „Ich bringe keinen Pinselstrich an, den der Hermann nicht abgesegnet hat.“ Hermann Czech, einer der wohl intellektuellsten und gebildetsten Architekten nicht nur seiner Generation, formulierte bereits 1970 in seiner Filmdokumentation über Adolf Loos sein Credo: „Eine Architektur, die nicht auf Verzierungen, sondern auf Raumwirkungen beruht, veraltet nicht. Sie bleibt Ausdruck und Hintergrund für die widersprechenden Neigungen des modernen Menschen: Bequemlichkeit, Repräsentation, Ironie.“

Das Zitat ist in der erst unlängst publizierten, bewundernswert genauen Werkbiografie von Eva Kuß nachzulesen: „Hermann Czech, Architekt in Wien“ (Park Books) analysiert das raumgreifende Universum seiner Architekturen in ausgewählten Projekten. Die heutige Situation schätzt der 1936 in Wien geborene Architekt ähnlich, doch der Zeit gemäß ein: „Eine informelle, heterogene und undoktrinäre Architektur ist nicht mehr die Ausnahme. Es ist ein intellektueller Fortschritt, dass ein neues Weltbild nicht mehr durch formale Trends, neue ,Stile‘ und dergleichen simuliert werden kann, sondern dass Änderungen sich durch neue Bedingungen wie Digitalisierung und Klimawandel begründen oder erzwingen. Viele wollen das noch immer nicht wahrhaben, schaffen aber Rülpser und triviale Ornamentik statt Sprache.“

Apropos Änderungen: Die ewigen Gerüchte, das Kleine Café werde verkauft oder zugesperrt, versetzt Stammgäste regelmäßig in Unruhe, ja fast in Panik. Nichts da, sagt Pöschl, er höre das seit 49 Jahren, und auch diesmal sei nichts dran an dem Gerede.

Spectrum, Sa., 2020.08.15



verknüpfte Bauwerke
Kleines Café

13. Juni 2020Ute Woltron
Spectrum

Ein Stall, der wandern kann: Architektur für Hühner

Artgerechte Hühnerhaltung auf der Wiese: Der Mobei-Hühnerstall bietet ausgeklügelte Technik und den Tieren alles, was sie brauchen – inklusive Aufenthaltsraum. Zu Besuch in Rohrbach bei Ternitz.

Artgerechte Hühnerhaltung auf der Wiese: Der Mobei-Hühnerstall bietet ausgeklügelte Technik und den Tieren alles, was sie brauchen – inklusive Aufenthaltsraum. Zu Besuch in Rohrbach bei Ternitz.

Bereits im Jahr 1977 stellte der britische Schriftsteller und Kunstkritiker John Berger eine betrübliche Entwicklung in den Mittelpunkt seines berühmten und eindringlichen Essays „Why Look at Animals?“: „Überall verschwinden die Tiere.“ Seine Betrachtungen über den Umgang des modernen Menschen mit dem Tier, zumal mit dem Nutztier, lesen sich heute aktueller denn je, und die Ursache ist bekannt: „In Westeuropa und Nordamerika setzte im 19. Jahrhundert ein Prozess ein – an dessen Ende heute der korporierte Kapitalismus des 20. Jahrhunderts steht –, durch den alle Traditionen, die bisher zwischen dem Menschen und der Natur vermittelt hatten, zerbrachen.“ Der moderne Mensch verhätschelt zwar ein Haustier, doch Kuh und Schwein begegnen ihm nur noch im Kühlregal, portioniert und zerlegt, säuberlich und ohne Fell und Borsten, abgepackt und zur Ware degradiert. Ihr Leben haben diese Tiere meist dicht gepackt in Ställen verbracht, ohne je die Sonne gesehen zu haben.

Auch die Hühner, die bis in die 1970er-Jahre in ländlichen Gegenden ein allgegenwärtiger Anblick waren, sind aus dem Blickfeld Richtung Legebatterie verschwunden. Doch das ändert sich da und dort gerade, und die Wiederkehr des Huhnes im Freien ist nicht zuletzt der formidablen Erfindung des mobilen Hühnerstalls zu verdanken. Diese charmante Konstruktion verknüpft artgerechte Tierhaltung mit moderner Technologie, und alle haben was davon. Die Hühner, weil sie damit wieder ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen, Gras und Käfer picken und Gruben ausscharren können, in denen sie so gerne sandbaden und ihr Gefieder reinigen. Die Kunden, weil sie die besten aller Wieseneier geliefert bekommen. Die Landwirte, weil ihnen die kleine Stallmaschine enorm viel Arbeit abnimmt und sie mit Fug und Recht behaupten können, glückliche Hühner zu beherbergen.

Aber zuerst zum Huhn. Man kann es zwar einsperren, doch benötigt es für sein Wohlbefinden viel Platz. Es fühlt sich an der frischen Luft am wohlsten, idealerweise in einer Wiese, durch die es scharrend und pickend schreiten kann. Es braucht sehr viel Trinkwasser und eine eiweißreiche Nahrung – schließlich legt es fast jeden Tag ein Ei. Zu alledem benötigt es Sicherheit in Form eines abgeschlossenen, zugfreien Raums, in dem es nächtens auf einer Stange aufsitzt, und in dem ihm Marder und Fuchs nichts anhaben können. Das klingt einfacher, als es ist. Denn Hühner pflegen den Wiesenboden binnen kürzester Zeit mit erstaunlich kräftigen Krallen zu einer Art Wüstenei zu zerscharren – eines der Hauptprobleme der Freilandhaltung. Nackten Boden mögen Hühner nicht, sie vertragen ihn auch schlecht und werden darauf krank.

Die beiden Jungbauern Magdalena und David Posch aus Rohrbach bei Ternitz waren die längste Zeit ein Geheimtipp als Lieferanten frischer Wieseneier, doch ihre drei Dutzend Hühner, bis dahin beheimatet im Stall samt Auslauf, waren der Nachfrage nicht gewachsen. Die Lösung dieses Problems steht nun seit Februar in Form eines sogenannten Mobei-Hühnerstalls auf einer großen Wiese. Der mit ausgeklügelter Technologie bestückte Container von einem deutschen Start-up-Unternehmen beherbergt 280 Legehennen und versorgt sie mit allem, was sie brauchen.

Im oberen Geschoß befinden sich der Länge nach die Sitzstangen und die mit weichem Material ausgekleideten Legenester. Letztere sind so konstruiert, dass die Eier sanft in eine vertiefte Rinne kollern, wo sie eingesammelt werden können. Der Kot fällt durch ein Gitter auf eine auf Rollen gelagerte Plane, die das Ausmisten vergleichsweise zum Vergnügen macht. Auf Knopfdruck setzt sich der Mechanismus in Bewegung, und der Hendldreck kann an der Schmalseite des Stalls einfach aufgefangen werden. Die untere, bodennahe Etage ist mit der oberen durch eine kleine Treppe verbunden und dient als Aufenthaltsraum für die Vogelschar. Morgens öffnen sich automatisch die Klappen, sodass die Damen ins Freie schreiten können. Abends schließen sie sich ebenso automatisch wieder, wenn die Sonne untergegangen und das letzte Huhn nach Hause gegangen ist.

Für die Stromversorgung des Hühnerheims ist eine Fotovoltaikanlage verantwortlich, als Speicher dienen zwei Batterien. Notfalls kann der Stall an das Stromnetz angeschlossen werden, doch das war bisher nie der Fall. Auch das Füttern und Tränken erfolgt automatisiert. Ein Förderband transportiert das Futter in einer Rinne durch die gesamte Länge des Stalls, sodass die Hühner genug Platz haben, um zu speisen und nicht um das Futter raufen müssen. Parallel dazu verläuft die Tränke, die dank eines Ausgleichsgefäßes auch in leichter Schräglage immer Wasser spendet. Das ist unbedingt notwendig, da der mobile Stall alle paar Wochen seinen Standort auf der Wiese wechselt, damit auch sie gesund bleibt. Zu diesem Zweck erhebt sich der Container hydraulisch auf seine Räder und wird mit dem Traktor ein paar Hundert Meter ins frische Gras weitergezogen und abgestellt. Dann muss nur noch der elektrische Hühnerzaun versetzt werden, und die Damen verfügen wieder über saftig frisches Wiesengrün.

Die Eier gibt es gleich nebenan im 24-Stunden-Shop, sieben Tage die Woche. Denn was sich mit Gemüse und Obst aus eigener Produktion bereits seit einigen Jahren bewährt, funktioniert auch mit den Eiern. Magdalena Posch: „Durch die immer längeren Öffnungszeiten von Betrieben und Firmen ist es manchen nicht mehr möglich, in Ruhe Einkäufe zu erledigen. Daher wollten wir jedem die Möglichkeit bieten, rund um die Uhr frisches, saisonales Gemüse zu erwerben.“ Das Selbstbedienungsprinzip wird so gut angenommen, dass die Eier schon wieder ständig ausverkauft sind. Deshalb wird es demnächst ein paar Wiesen weiter noch einen mobilen Hühnerstall geben.

John Berger, der in seinem französischen Bergexil nur dann Besucher empfing, wenn keine agrarische Beschäftigung ihn davon abhielt, hätte das Mobei bestimmt gefallen. Noch bleibt die Ausnahme die Regel, noch hat der große alte Mann recht: „Überall verschwinden die Tiere. In den Zoos sind sie das lebende Monument ihres eigenen Untergangs geworden.“ Doch was die Zukunft der Landwirtschaft anlangt, irrt er hoffentlich, denn gerade die klugen Nahversorger, also sowohl unternehmerisch als auch mit dem Herzen denkende Leute wie die Familie Posch, könnten den Beginn einer Veränderung markieren. Möge Berger also wenigstens in diesem Detail fehlgehen, wenn er sonst schon in allem recht hat: „Der Verdrängung der Tiere folgen heute die Verdrängung und die Abschaffung der einzigen Klasse, die in der Geschichte immer mit Tieren vertraut war und sich jene Weisheit bewahrt hat, die eine solche Vertrautheit mit sich bringt: der mittlere und der kleine Bauer. Diese Weisheit besteht im Akzeptieren des Dualismus, der der Beziehung zwischen Mensch und Tier zugrunde liegt. Wahrscheinlich ist die Ablehnung dieses Dualismus ein wichtiger Faktor, dem modernen Totalitarismus den Weg zu ebnen.“

Spectrum, Sa., 2020.06.13

25. April 2020Ute Woltron
Spectrum

„Das Land“ – was ist das genau?

Stadtluft macht frei? Das war einmal. Derzeit wird Freiheit vor allem auf dem Land gesucht. Über die Zukunft eines lange Zeit vernachlässigten Raums – und Rem Koolhaas' Ideen zur „Countryside“.

Stadtluft macht frei? Das war einmal. Derzeit wird Freiheit vor allem auf dem Land gesucht. Über die Zukunft eines lange Zeit vernachlässigten Raums – und Rem Koolhaas' Ideen zur „Countryside“.

Als ob er es gewusst hätte: Ausgerechnet heuer im Februar, als sich unverhofft eine Pandemie über den Globus zu verbreiten begann, die nur Momente später die Bewohner vieler Städte für Wochen in ihre vier Wände zurückwerfen, die sich als Schockstarre über die Menschheit legen und selbst Straßenzüge in Millionenstädten leerfegen sollte, eröffnete Rem Koolhaas im New Yorker Guggenheim Museum eine Ausstellung mit dem Titel „Countryside: The Future“. Bereits vor zehn Jahren angedacht und in den vergangenen fünf Jahren von einem interdisziplinären Team erarbeitet, stellt der holländische Architekt darin jene 98 Prozent der Erdoberfläche, die Nicht-Stadt sind, ins Zentrum seiner Überlegungen. Denn was anderes als keine Stadt ist „das Land“ heutzutage? Wie kann man definieren oder benennen, was vielfältiger und unterschiedlicher nicht sein könnte?

Insbesondere in den vergangenen Wochen der erzwungenen Eremitage durften sich viele Bewohner des sogenannten Landes deutlich bevorzugt fühlen. Der Wald ums Eck, der Garten vor der Haustüre, die Landstraße noch leerer als zuvor, die eingekochte Ernte des Vorjahrs in der Speisekammer. So die idyllisch überhöhte Vereinfachung einer Situation, die dennoch vielerorts beschauliche Realität ist. Die österreichische Schriftstellerin Tanja Paar brachte die Gefühlslage der Städter auf Twitter während der Quarantäne so auf den Punkt: „Das eigentlich Spannende für mich an Covid-19 ist, dass es in der Stadt nun weniger Freiheiten gibt als auf dem Land. Dafür sind wir nicht in die Stadt gezogen.“

Rem Koolhaas, der jahrzehntelang vor allem das Getriebe der großen, dynamischen Menschenagglomerationen aus allen Perspektiven betrachtete und die Architektur immer wieder mit erfrischendem Querdenken bereicherte, etwa wenn er Themen wie „Shopping“ und wenig beachtete Elemente der Architektur eingehenden Studien unterzog, kam auf die Idee zur Ausstellung, als er über ein paar Jahre hinweg das Verschwinden der Kühe von den Bergweiden seines Urlaubsdomizils in der Schweiz beobachtete. Die Milchkühe verschwanden ebenso wie viele der ursprünglichen Dorfbewohner, dafür kamen neue Zuzügler, viele von ihnen aus der Stadt. Die strikten Regeln des Denkmalschutzes behüteten zwar die vermeintliche Ursprünglichkeit des Dorfes und seiner alten Bauernhäuser, doch, so meint Koolhaas: „Wenn man heute zwischen die Vorhänge blickt, sieht man den typischen zeitgenössischen Konsumstil: Minimalismus.“ Der sei jedoch „mit einer exzeptionellen Menge von Kissen“ ausgestattet.

Als er sich bei einem Bauern über diese Entwicklungen erkundigen wollte, etwa wohin die Kühe verschwunden waren, musste er feststellen, dass er mit einem vormaligen Atomphysiker aus Frankfurt sprach. Der Traktorfahrer auf einer Weide stammte aus Sri Lanka, und die drei Frauen auf dem Stadtplatz waren Asiatinnen, die sich um Haushalt und Kinder der Zugezogenen oder Wochenendbewohner kümmerten. Er entdeckte zudem eine Schriftstellerin, einen Steuerberater, einen Musiker im Dorf.

Die Bauern hingegen findet man längst anderswo. Aus der kleinteiligen Landwirtschaft haben sich, insbesondere in den USA, aber auch in Europa, Megabetriebe entwickelt, die computergesteuert quasi vom Tablet aus bewirtschaftet werden. Wer die Vorstellung des zeitgenössischen Bauern mit der Mistgabel in der Hand pflegt, liegt völlig daneben. Gerade noch zwei bis acht Prozent der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft. Heute produzieren vielmehr riesige Anlagen mit minimalem bis gar keinem Personalstand einen Gutteil der Sonntagsbraten für die Menschheit. Mehr als die Hälfte davon lebt in den Städten, eine rasante Entwicklung, auf die sich in der jüngeren Vergangenheit denn auch die überwältigende Mehrzahl aller Studien konzentrierte.

Doch was, will Koolhaas in seiner mittlerweile natürlich dank Corona längst geschlossenen Guggenheim-Schau fragen, ist eigentlich mit der anderen Hälfte? Das sogenannte Land könne man, so der Architekt, mit den Landkarten zu Beginn des 18. Jahrhunderts vergleichen, auf denen weite Flächen weiß und als Terra incognita ausgewiesen waren. Das Phänomen des sich leerenden Landes, verkündet er, hat wesentlich drastischere Auswirkungen als die Verdichtung der Städte, und diese intelligent zu steuern sei das Gebot der Stunde. Denn das Land sei im Begriff, sich in etwas Neues, nie Dagewesenes zu transformieren, schreibt Koolhaas im Katalog zur Ausstellung, und zwar: „In eine Arena für Genexperimente, industrialisierte Nostalgie, neue Muster saisonaler Migration, massiver Subventionen, steuerlichen Anreiz, digitale Information, von Maschinen beherrschte Landwirtschaft, Homogenisierung von Arten. Es wäre schwierig, eine ähnlich radikale Bestandsaufnahme für die Stadt niederzuschreiben.“

Im Schatten der Corona-Krise haben zahllose Architekturkritiker und Städteplaner ihre Gedanken darüber zu Papier gebracht, ob die in den vergangenen Jahrzehnten gepriesene Verdichtung der Stadt nicht eine Fehlentwicklung gewesen und rasch zu überdenken sei. Die Antwort darauf wird nicht zu finden sein, bezieht man nicht die bislang völlig vernachlässigte Umwelt der Stadt, das Land, in all diese Überlegungen ein. Koolhaas: „Unsere momentane ausschließliche Obsession mit der Stadt ist in höchstem Grad unverantwortlich, denn die Stadt lässt sich nicht verstehen, versteht man das Land nicht.“ Von dort komme Nahrung, dort liege die Industrie, dort formiere sich dank digitaler Vernetzung, Highspeed-Internet und dergleichen eine neue, natürlich völlig disperse Gesellschaft.

Nicht einzelne besonders gelungene, von vermögenden Bauherren irgendwo in die Landschaft gepflanzte Architekturen, sondern intelligente, gesetzlich verankerte Raumplanung und sinnvolle Vernetzung von Stadt und Land könnten, ja sollten den künftigen Umgang mit diesen 98 Prozent Erdoberfläche prägen. Die Vernachlässigung des ländlichen Raumes in Österreich etwa hat unterschiedliche Ursachen, ökonomische wie ideologische. So lässt sie sich in einem aus den Nöten der Nachkriegszeit geborenen, entsprechend veralteten und das Land nach wie vor diskriminierenden Finanzausgleichssystem ablesen. Die Missachtung des ländlichen Raumes könnte nach dem Schock der Krise als weit größere Herausforderung erkannt werden als die letztlich vernünftige Verdichtung der Stadt.

Es dürfte auf jeden Fall spannend werden. Möglicherweise sind wir lernfähig und stellen in einer künftigen Welt der städtischen Bevölkerung vermehrt Architekturen mit klug durchdachten Freiräumen zur Verfügung. Möglicherweise erkennen wir, dass wir erst am Anfang einer vor allem von den Möglichkeiten der digitalen Medien befeuerten Entwicklung stehen, die sinnloses Hin- und Herfahren reduziert. Möglicherweise findet die Architektur dank dieser Krise aus ihrer momentanen Belanglosigkeit und bringt sich mit ihrem chronisch unterschätzten, kostbaren Know-how in dieses weite Feld ein.

Spectrum, Sa., 2020.04.25

26. Februar 2020Ute Woltron
Spectrum

Gotik statt Gehry? Wenn Politiker Architekt spielen

Mit seinem Dekret „Making Federal Buildings Beautiful Again“ ist Donald Trump nur einer von vielen politischen Architekturberserkern, die sich berufen fühlten, Baustilvorgaben zu formulieren.

Mit seinem Dekret „Making Federal Buildings Beautiful Again“ ist Donald Trump nur einer von vielen politischen Architekturberserkern, die sich berufen fühlten, Baustilvorgaben zu formulieren.

Donald Trump ist angetreten, um Amerika wieder großartig zu machen. Jetzt greift er in politisch bewegten Zeiten zu einem beliebten Werkzeug der Macht und dreht an den Knöpfen der Architektur. Die öffentlichen Gebäude der Nation, so ist in einer jüngst an die Öffentlichkeit gelangten „Executive Order“ nachzulesen, sollen, wenn schon nicht großartig, so zumindest wieder „schön“ werden. Das sieben Seiten umfassende Dokument enthält Direktiven, in welche Richtung es künftig zu gehen hat, wenn neue Postämter, Gerichtsgebäude und dergleichen mehr gebaut werden, wenn Bestehendes vor Sanierung oder Erweiterung steht. Trump fordert für die etwa 300.000 öffentlichen Gebäude einen „traditionellen Architekturstil“ ein. Dazu zählen: „Klassischer Architekturstil und historisch humanistische Stile wie Gotik, Romanik und der Spanische Kolonialstil sowie andere mediterrane Stile, wie man sie in Florida und im amerikanischen Südwesten findet.“

Die gesamte Architektur- und Kulturwelt rund um den Globus reagierte, wie zu erwarten war: Sie spie Gift und Galle. Das Amerikanische Institut für Architektur zeigte sich „geschockt“, The Architecture Lobby erinnerte daran, dass die Verordnung bestimmter Architekturstile ein „Markenzeichen autoritärer Regime“ sei. Selbst die Denkmalpfleger des National Trust gaben sich bedenklich, die Vorgaben seien mit der tatsächlichen Bewahrung historischer Werte nicht in Einklang zu bringen. Kommentatoren landauf, landab warnten vor einem „rassistischen“ Architekturkodex, der eine weiße, männliche Elite symbolisiere und aus Zeiten stamme, in denen Frauen kein Wahlrecht hatten und Afroamerikanern keine Bürgerrechte zugestanden waren.

Dass die Architektur seit Menschengedenken ein Spielball der Macht ist, wird niemand anzweifeln, auch nicht, dass sich die Bauwut in totalitären Regimen naturgemäß am deutlichsten äußert. Doch kommt es stets auf die Perspektive an. Hillary Clinton bemühte in ihrer Abschiedsrede als scheidende US-Außenministerin 2013 ebenfalls die Metapher der Architektur, doch sie tat es, um ein künftiges politisches Weltgebilde zu besingen: „Wir brauchen eine neue Architektur für diese neue Welt; mehr Gehry als antikes Griechenland. Während in früheren Zeiten einige starke Säulen das Gewicht der Welt zu tragen imstande waren, so brauchen wir heute einen dynamischen Mix aus Materialien und Strukturen.“

Gegen „hässliche“ Architekturen

Trump hat aus seiner Ablehnung dekonstruktivistischer und brutalistischer Gebäude nie ein Hehl gemacht; die, wie er meint, „hässlichen“ Architekturen Frank Gehrys scheinen ihm besonders zu missfallen. Doch bei aller Aufregung und berechtigter Geißelung der Verschönerungspläne als absurd und reaktionär reiht sich der US-Präsident mit seinem Dekret in eine lange Reihe politischer Architekturberserker ein, wie sie auch im guten alten und jüngeren Europa zu finden waren. Schon Jean-Baptiste Colbert, Finanzminister unter Ludwig XIV., sprach Regenten aus der Seele, als er vor rund 300 Jahren meinte, nichts beweise, „in Ermangelung glänzender Kriegstaten, Größe und Geist in höherem Maße als die Errichtung von Baudenkmälern“. Als Jacques Chirac, damals Bürgermeister von Paris, den Architekten Ricardo Bofill aus dem Projekt Les Halles expedierte, nicht zuletzt, weil der Spanier als Günstling seines politischen Rivalen Valéry Giscard d'Estaing galt, verkündete er vor der Presse: „Der Architekt? Das bin ich!“ Giscard d'Estaings Nachfolger Francois Mitterrand erwies sich ebenfalls als Bauherr gigantomanischen Formats, was ihm den Spitznamen Mitterramses eintrug, obwohl er beteuerte, „nicht aus persönlichem Ehrgeiz“ zu bauen, sondern „aus Ambition für Frankreich“, und weil es eine „direkte Verbindung zwischen der Größe der Architektur, ihren ästhetischen Qualitäten und der Größe eines Volkes“ gäbe.

Es geht jedoch auch demokratischer. In den vergangenen Jahrzehnten entstanden – nicht nur in Europa – in vielen Nationen staatliche Leitfäden zur Hebung der Baukultur und Architektur, von denen der 1998 vom finnischen Parlament verabschiedete Sieben-Punkte-Beschluss „zum Schutz unseres architektonischen Erbes und zum Erhalt und zur Wertsteigerung des vorhandenen Baubestandes“ hervorzuheben ist. Er ist an Klarheit bisher unübertroffen. Jeder Bürger habe ein Grundrecht auf eine intakte Umwelt. Der Staat trägt als wichtigstes Vorbild für Nachhaltigkeit und optimiertes Bauen Verantwortung, und Architektur wurde als zentrale und sinnlich wahrnehmbare Form von Kultur honoriert.

Im Vergleich dazu nimmt sich der europäische „Leitfaden zur Architekturpolitik der Kommission“ aus dem Jahr 2009 eher kraftlos aus, greift dafür in seiner Aussage zur ästhetischen Gestaltung EU-eigener Gebäude nach Höherem. Die Kommission achte darauf, „dass das Bild, das die Fassaden und der Umfang ihrer Gebäude abgeben, unter anderem durch die Integration gekrümmter und gerader in die Höhe gerichteter Linien, die Kühnheit, Transparenz und Dynamik des europäischen Einigungswerks zum Ausdruck bringt“.

Eher Handbuch für Anfänger

Weniger kühn, eher wie ein Handbuch für Anfänger liest sich der Passus, der sich mit der Umsetzung der Projekte befasst: „Die angestrebte architektonische Qualität lässt sich leichter erreichen, wenn man auf solide, im Vorfeld ausgearbeitete Programme, auf eine präzise Verfolgung der Projektabläufe und eine systematische Nutzung der verschiedenen Instrumente zur Konfrontation der Ideen zurückgreifen kann.“ Ja wie denn sonst?

Auch wenn die vom US-Präsidenten angeordneten Architekturverrenkungen umgesetzt werden, auch wenn in öffentlichen Wettbewerben über Jurys, in denen explizit weder Künstler, Architekten, Ingenieure noch Kunst- oder Architekturkritiker und auch keine Mitglieder der Bauindustrie vertreten sein dürfen, die Bürgernähe gesucht wird: Amerikas reiche Architekturgeschichte wird damit kein Ende nehmen.

Die tatsächlichen Hindernisse auf dem Weg zu gut Gebautem sind da wie dort vielmehr alltägliche Barrieren wie überzogene Normen, steigende Baukosten- und Baupreisindizes und schwache, nicht paktfähige Bauherrschaften. Frank Lloyd Wright, Säulenheiliger der amerikanischen Architektur des 20. Jahrhunderts, bekannt für sein aus der strammen Reihe historischer Bauten tanzendes Guggenheim Museum in New York und ein Vorläufer für Gehry und Co., war nur einer der vielen Vertreter amerikanischer Baukultur, die nicht auf dem sicheren Boden des Vergangenen wandelten, sondern sich immer wieder in Richtung einer neuen Architektur für eine neue Welt aufmachten. Der Architekt, meinte er, müsse nichts weniger als ein Prophet sein, vorurteilsfrei bleiben und den Blick in die Zukunft richten. Wer nicht zehn Jahre vorausschauen könne, den solle man keinen Architekten nennen. Möglicherweise gilt das Gleiche für die Vertreter politischer Macht.

Spectrum, Mi., 2020.02.26

28. Dezember 2019Ute Woltron
Spectrum

Ein Haus auf Abwegen

Da war doch so eine Disco, in Neunkirchen, in einem Haus, wo wir uns die Nächte um die Ohren schlugen. Jahre später fand ich heraus, dass es sich dabei um das einzige von Günther Domenig konzipierte Einfamilienhaus handelte – das nie als solches diente. Nachschau in Niederösterreich.

Da war doch so eine Disco, in Neunkirchen, in einem Haus, wo wir uns die Nächte um die Ohren schlugen. Jahre später fand ich heraus, dass es sich dabei um das einzige von Günther Domenig konzipierte Einfamilienhaus handelte – das nie als solches diente. Nachschau in Niederösterreich.

Wer in den 1980er-Jahren im südlichen Niederösterreich jung und unternehmungslustig war und die Abende weder auf Garagenpartys verbringen noch vor der Glotze mit J. R. Ewing verplempern wollte, hatte bedauernswert wenige Alternativen. Entweder kannte man jemanden, der über die Gnade eines Automobils verfügte und den weiten Weg nach Wiesen ins Jazzpub auf sich nahm. Oder man setzte sich in die Bahn nach Wien und verbrachte die Nacht bis zum ersten Zug heim im U4. Lediglich eine einzige Disco mit ordentlicher Musik lag in Moped-Distanz: Das sogenannte „Top Dancing“ in Neunkirchen war das Jugendmekka der weiteren Umgebung, bis es irgendwann in den späten 1990ern zumachte.

Der Tanzschuppen war in einem Solitärgebäude untergebracht und lag inmitten eines ruhigen Wohngebiets. Da man sich der Lokalität prinzipiell nur in abendlicher Finsternis näherte und sie höchstens in der Morgendämmerung wieder verließ, konnte man für die äußeren, zudem hinter einer Mauer versteckten Kubaturen des Gebäudes kein Gefühl entwickeln. Auch dem groß dimensionierten skulpturalen Betonkamin am Rand der Tanzfläche schenkte kaum jemand Beachtung, obwohl man sich doch hätte fragen können: Was macht der da?

Heute, Jahrzehnte später, steht das Gebäude leer und ist straßenseitig betrachtet so unscheinbar wie eh und je. Zwei kubische Baukörper mit Flachdach und übermaltem Sichtbeton, ein schmaler Einschnitt wie eine Schlucht dazwischen, der zum Eingang leitet. Wohl niemandem von uns, die wir Hunderte Male hier aus und ein spaziert sind, wäre es je in den Sinn gekommen, in diesem Gebäude ein architektonisches Schmuckstück zu vermuten. Das ändert sich jedoch in der Sekunde, wenn man die Angelegenheit heute bei Tageslicht von außen und von seiner Hauptseite, dem Garten, aus betrachtet. Kubisch zu einer L-Form verschachtelte Betonkörper bilden ein stattliches Einfamilienhaus. Bekrönt wird das fein austarierte Gebäude von einer mächtigen Sichtbetonattika. Unter den Betonrippen, die sich auch nach außen in die Vordächer ziehen, liegt ein zweiseitig vollverglaster Raum mit ebendiesem großen Kamin. Tatsächlich befinden wir uns vor dem – wahrscheinlich – einzigen Einfamilienhaus, das Günther Domenigs Handschrift trägt, entstanden aus dem Geist des Brutalismus und entworfen in der Anfangszeit der Zusammenarbeit mit seinem Studienkollegen und Fußballfreund Eilfried Huth.

Ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit: Günther Domenig, 1943 in Klagenfurt geboren und 2012 in Graz verstorben, war ab den 1960er-Jahren nach Beendigung seines Architekturstudiums in Graz einer der einflussreichsten Architekten einer neuen Planergeneration. Er war als Mitbegründer und wohl wichtigster Vertreter der sogenannten „Grazer Schule“ dafür mitverantwortlich, dass der Geist internationaler Architekturströmungen, wie etwa Brutalismus und Strukturalismus, auch die Alpenrepublik erreichte, da und dort Gestalt annahm und in Form des Dekonstruktivismus später auch prominente Junge bekam. Ab 1963 unterhielten Domenig und Eilfried Huth eine Bürogemeinschaft, die sich 1973 auflöste. Das Wohnhaus in Neunkirchen muss einer ihrer ersten Aufträge gewesen sein, doch bewohnt wurde es eigenartigerweise nie.

Die Bauherren, so die Geschichte, waren mit Domenig befreundet. Die ersten Pläne stammen von 1964, die letztgültigen Einreichpläne von 1969. Warum die Auftraggeber das extravagante Haus nie bezogen, bleibt im Dunkeln, jedenfalls verpachteten sie das Gebäude nach der Fertigstellung über die Jahre an zwei Tanzklubbetreiber, und später, als die Disco endgültig zusperrte, wurde es als Kindertagesstätte und für Büros genutzt. Dann stand es einige Zeit leer und zum Verkauf. Jetzt aber befindet es sich am Beginn einer Projektentwicklung hin zu einer Mehrgenerationen-Baugruppe. Obwohl die Nutzer über die Jahre innen die eine und andere Wand hochzogen, einen weiteren kleinen Kubus an das Gebäude setzten und die diversen Geschmäcker der Jahrzehnte ihre Spuren an Oberflächenmaterialien und anderen Details hinterließen, blieb das Haus großzügig und weitgehend unbeschädigt. Sein einziger Nachteil ist die hässliche Wohnbebauung davor, die jedoch gartenseits völlig ausgeblendet bleibt.

Der Garten ist geräumig, und dieser begünstigende Umstand eröffnet die Chance für eine mögliche Neunutzung der fast schon als historisch zu bezeichnenden Immobilie. Eine behutsame Nachverdichtung könnte dem Bestand das Überleben sichern. Die Lage ist optimal, das Haus steht in unmittelbarer Nähe des großen Neunkirchner Stadtparks auf der einen und dem historischen Stadtzentrum auf der anderen Seite. Gleich ums Eck befinden sich ein Einkaufszentrum sowie das Hallen- und Freibad. Alle wichtigen Institutionen sind zu Fuß erreichbar. Derzeit wird die Idee ausgelotet, das Gebäude weitgehend in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuführen und gewissermaßen wieder in seinem brutalistischen Betonglanz erstrahlen zu lassen, allerdings ergänzt um behutsam in den Park gesetzte zusammenhängende Tiny Houses, die je nach Bedürfnis zu unterschiedlich großen Appartements geschaltet werden können. Das Hauptgebäude bildet das gemeinschaftliche Zentrum, etwa wenn die Anlage als Senioren-Wohngruppe einen neuen Frühling erfährt. Kleine, preiswerte Einheiten, ein großzügiges Klubhaus, individueller Raum für den Einzelnen und ein Gartenparadies für die Gemeinschaft.

Eine Weiterverwertung und Verdichtung wie diese wären wohl ganz im Sinne der ursprünglichen Autoren, die bereits sehr früh den „Landschaftsfraß“ durch Einfamilienhäuser geißelten und sich gegen die alles zersiedelnde „Häuslpest“ stark machten. Insbesondere Co-Autor Eilfried Huth steht für partizipative, kollektive Wohnformen und den behutsamen Umgang mit der Landschaft. Das Unterfangen könnte zudem ein Case-Study-Projekt für die Nachnutzung von Einfamilienhäusern werden, wie sie landauf, landab von in die Jahre gekommenen Einzelpersonen bewohnt werden, die an den Erhaltungskosten ihrer viel zu groß gewordenen Wohneinheiten zu knabbern haben. Das Motto lautet: Gemeinsam sind wir weniger allein. So können die Kosten der Betreuung geteilt, kann die Alterseinsamkeit vermieden werden.

Die New Design University in St. Pölten zeigte sich ebenfalls interessiert und wird das Domenig-Huth-Haus in Neunkirchen und die ihm innewohnenden Möglichkeiten einer Transformation im Rahmen einer Semester-Entwurfsarbeit analysieren. Auch haben bereits einige Investoren sowie Privatleute an dem Projekt Interesse bekundet, nicht zuletzt, weil neue Wohnformen, leistbare und nicht rein spekulative Wohnprojekte für die Immobilienindustrie im Trend liegen. Investitionen in kleine, dafür raffinierte und neu gedachte Projekte werfen immer noch bessere Rendite ab als Einlagen, die in Zeiten der Negativzinsen auf der Bank verschimmeln.

Spectrum, Sa., 2019.12.28

01. Dezember 2019Ute Woltron
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Co-Housing: Neues Wohnen im Alter

Was erwartet uns am Ende – nichts als ein Zimmer im Seniorenwohnheim? Eine Idee lautet: Co-Housing – Wohngemeinschaften. Anderswo bereits Usus, hierorts im Kommen.

Was erwartet uns am Ende – nichts als ein Zimmer im Seniorenwohnheim? Eine Idee lautet: Co-Housing – Wohngemeinschaften. Anderswo bereits Usus, hierorts im Kommen.

Die Nachrichtenlage zum Thema Alter befindet sich hierzulande in einer chronischen, ja geradezu skandalösen Schieflage. Heerscharen von Menschen haben jahrzehntelang gerackert, in diverse Töpfe eingezahlt und mitgeholfen, einen Wohlfahrtsstaat aufzubauen, um den uns die Welt beneidet. Medial werden alte Menschen jedoch so gut wie ausschließlich als eines der großen Probleme unserer Gesellschaft dargestellt. Sie sind zu viele, und sie werden immer mehr. Das Pensionssystem kracht. Die Pflege ist zu teuer und dergleichen mehr. Das mediale Bild zeichnet die Phase des Alters als ein die Gesellschaft belastendes Dauersiechtum, das unweigerlich im Pflegeheim sein Ende findet.

Das Thema Architektur für eine alternde Bevölkerung kommt in der Debatte erstaunlich selten in differenzierter oder sogar innovativer Form zur Sprache, dabei zeigt sich insbesondere hier, wie sehr gut Durchdachtes und pfiffig Gebautes das Wohlbefinden in der sogenannten dritten Lebensphase begünstigen kann. Nicht, weil Toiletten vorschriftsgemäß behindertengerecht ausgeführt sind, sich allerorten Rampen befinden oder neben dem Bett eine Notrufklingel angebracht ist, sondern weil mit fortschrittlichen, den speziellen Bedürfnissen angepassten Wohnprojekten eines der möglicherweise größten Probleme des Alters wegfällt – die Einsamkeit.

Ein besonders feines Beispiel für ein gelungenes Wohn- und Lebensmodell für Senioren entstand bereits ab 1989 in London und hat sich bis heute bewährt. Damals besuchten sechs ältere Damen einen Vortrag zum Thema Co-Housing und erfuhren, dass sich in Dänemark und den Niederlanden zusehends eine neue Kultur des Zusammenlebens älterer Menschen etablierte. Die Voraussetzung war die entsprechend angepasste Architektur. Zwar verfügte jeder Bewohner der vorgestellten Co-Housing-Anlagen über eine eigene, private Kleinwohnung, doch besonderes Augenmerk lag auf den Flächen, die man kollektiv nutzte, beispielsweise Gemeinschaftsgärten, Werkstätten, ein großer Aufenthaltswohnraum, Küche, Waschküche und andere Treffpunkte des Alltags.

Den alten Damen gefiel die Vorstellung, das Private mit dem Gemeinsamen zu verknüpfen, die Rückzugsmöglichkeit in den eigenen vier Wänden zu genießen und doch die anderen immer in der Nähe zu wissen. Sie suchten weitere Verbündete, beauftragten einen Architekten, gaben diesem präzise Angaben über ihre Vorstellungen und errichteten schließlich ein neues Zuhause, das den Titel OWCH trägt: Older Women's Co-Housing. Die Anlage im Norden Londons besteht aus 25 Wohneinheiten, 17 davon befinden sich im Eigentum, acht werden von der Damengemeinschaft vermietet und verwaltet. Männer sind willkommen, doch lediglich als Gäste erlaubt. Um sich eine Vorstellung zu machen, wie es sich in einer solchen Alterswohngemeinschaft lebt, sollte man die Videodokumentationen auf der Website des Projekts betrachten (www.owch.org.uk). Es wird gemeinsam gekocht, gegärtnert, gemalt, geturnt. Sie glaube, meint etwa eine der Bewohnerinnen, diese Art des Zusammenlebens erhalte alle länger jung. Auf die Frage, warum keine Männer als Mitbewohner zugelassen wären, zeigt sich eine andere abgeklärt: „Gäbe es hier auch Kerle, würden die möglicherweise das Kommando übernehmen wollen oder müssten betreut werden. Viele von uns waren verheiratet, und viele von uns denken: Gut, das haben wir hinter uns.“

Wie auch immer, ob rein weiblich, männlich oder bunt gemischt: Fest steht, dass nach der Phase der Babyboomer im 20. Jahrhundert mit dem 21. Jahrhundert vorerst einmal das der Älteren angebrochen ist. Bis zum Jahr 2030 wird laut Prognosen fast ein Viertel der österreichischen Bevölkerung die 65 überschritten haben, erst ab 2050 könnte sich das Verhältnis wieder rückentwickeln. Die entsprechenden Wohnformen, die auf die Bedürfnisse dieser doch stattlichen Bevölkerungsgruppe zurechtgeschnitten sind, beschränken sich derzeit – noch – hauptsächlich auf die eingangs erwähnten Altenwohn- und Pflegeheime. Für Maria Brenton, eine der Gründerinnen von OWHC, war die Übersiedelung in ein Pensionistenheim keine Option. Altenwohnen, meint sie, scheine auf der Idee zu fußen, dass man plötzlich ein ganzes Leben in eine Zimmerbox packen könne und Ältere keinen Raum für Hobbys oder Familienbesuch benötigten. Das bestehende Angebot locke die Leute sicher nicht aus ihren Häusern, zumindest nicht die Rüstigen unter den Ruheständlern, auch wenn die liebend gerne in überschaubare Wohneinheiten übersiedeln würden.

Ähnliches trifft sicher auch auf die hiesige Bevölkerung zu. Insbesondere in ländlichen Gegenden sitzen viele alte Menschen allein in ihren viel zu groß gewordenen Häusern und würden gerne in kleineren, weniger aufwendig zu erhaltenden Wohneinheiten leben. Doch das Angebot an Alterssitzen ist überschaubar und qualitativ Hochwertiges oft zu teuer. Die Immobilienindustrie könnte jedoch im Begriff sein umzudenken, denn Co-Housing-Projekte gelten anderswo, etwa in Großbritannien, in der auf diesem Gebiet überaus fortschrittlichen Schweiz, vor allem aber in den skandinavischen Ländern, mittlerweile als hochinteressante und zukunftsträchtige Anlageobjekte.

Wie das Fachmagazin „A3Bau“ vorrechnet, sind österreichweit bis 2029 etwa 87.000 Wohneinheiten für betreutes Wohnen vonnöten, was einem geschätzten Investitionsbedarf im Sektor des altersgerechten Wohnens von rund 14,5 Milliarden Euro entspricht. Die durchschnittlichen Investitionskosten pro Einheit betragen etwa 167.000 Euro. Dabei könnte der Trend zum Co-Housing allen Beteiligten zum Vorteil gereichen und helfen, die dauerbeklagten Kosten von Pflege und Betreuung zu bündeln und zu reduzieren. Gemeinschaftliche Wohn- und Quartierkonzepte für die große Bevölkerungsgruppe der durchaus rüstigen Rentner würden jedenfalls dazu beitragen, auch deren Miet- und Erhaltungskosten auf ein leistbares Niveau herunterzuschrauben.

Viele Veteranen von privat organisiertem Co-Housing geben bereitwillig Tipps, was die Organisation, Planung und Umsetzung solcher Projekte anlangt, welche Finanzierungs- und Beteiligungsformen möglich sind, und worauf bei den Vorgaben für die Architekten dringend zu achten ist. Parallel dazu beginnt auch die Immobilienwirtschaft an Angeboten zu feilen, und Architekten rücken das dritte Lebensalter ebenfalls aktiv in den Fokus der Aufmerksamkeit. Etwa die Salzburger Architektin Ursula Spannberger, die dem „Neuen Wohnen 70+“ einen neuen Impuls verleihen will. Auf ihrer Website schreibt sie treffend: „Wir, die nächste Generation, haben andere Vorstellungen vom Älterwerden. (...) Wir wollen mittendrin bleiben und nicht nur dabei sein. (...) Wir wollen die Freiheit nach dem langen Erwerbsleben genießen, noch einmal die Welt erobern. Und wir wollen möglichst lange selbständig leben, auch dann, wenn wir einmal Hilfe brauchen sollten.“

Spectrum, So., 2019.12.01

04. Oktober 2019Ute Woltron
Spectrum

Apropos: Leistbar leben

Selbstverwaltete Wohnprojekte einst und heute: Österreichische Wohnbauarchitektur der 1970er, betrachtet aus Nutzersicht, ist Thema des Films „Der Stoff, aus dem Träume sind“. Und welche Projekte entstehen aktuell in diesem Geist? Eine Umschau.

Selbstverwaltete Wohnprojekte einst und heute: Österreichische Wohnbauarchitektur der 1970er, betrachtet aus Nutzersicht, ist Thema des Films „Der Stoff, aus dem Träume sind“. Und welche Projekte entstehen aktuell in diesem Geist? Eine Umschau.

Auch die Architektur lässt sich aus unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachten und beurteilen. Die langweiligste Perspektive für Normalsterbliche ist gewöhnlich die der Architekten, denn ihre Sprache wird kaum je verstanden. Wenn von Raumvalenzen, Auskragungen, Interventionen und Anmutungen die Rede ist, steigt der Nichtarchitekt aus, und das ist wohl eines der Kernprobleme dieser edlen Zunft. Architekten und Bauherren reden nicht selten aneinander vorbei, und die späteren Benutzer der Gebäude werden gleich gar nicht gefragt.

Die Filmemacherin Lotte Schreiber und der Architekt Michael Rieper haben nun den Spieß umgedreht und einen Film über Architektur vorgelegt, der vor allem die Perspektive der Bewohner einnimmt. „Der Stoff, aus dem Träume sind“ legt zwar den Fokus auf die Geschichte selbstverwalteter Wohnprojekte, wie sie ab den 1970er-Jahren vereinzelt in Österreich entstanden. Doch die Aussagen der Bewohner von damals und heute lassen sich durchaus auf den zeitgenössischen Wohnbau umlegen, egal, ob privatwirtschaftlich oder kommunal, denn die Bedürfnisse waren und sind grundsätzlich dieselben.

Zuallererst kommt mit dem seinerzeit von der Kollegenschaft belächelten, heute längst wiederentdeckten Harry Glück doch ein Architekt zu Wort, damals noch in jugendlicher Vitalität. Sein großdimensioniertes Projekt „Wohnpark Alterlaa“ verfolgte das Konzept des „gestapelten Einfamilienhauses“, und das zur großen Zufriedenheit seiner Bewohner. Glücks 40 Jahre alte Analyse zum Wohnbau klingt keineswegs veraltet: „Wir sind zur Überzeugung gekommen, dass diese monotonen und kasernenhaft wirkenden Wohnstrukturen von den Leuten zwar angenommen werden, weil sie keine andere Möglichkeit haben, eine Wohnung zu finden, dass die Menschen diese eher kasernenhaften Strukturen aber bewusst oder unbewusst als degradierend empfinden.“

Das Stichwort „Möglichkeit“ gibt fortan den Ton oder besser den Film an. Ab den 1970ern fanden sich immer wieder Leute zusammen, die gemeinschaftlich geplante, finanzierte und verwaltete Alternativen zu den anonymen Blockverbauungen in Angriff nahmen. Die Gründe dafür waren Unzufriedenheit mit dem Wohnungsmarkt und die Schwierigkeit, sich ansprechenden Wohnraum leisten zu können. Es entstanden, nicht ohne basisdemokratische Mühen, kollektiv geplante und finanzierte Wohnhausanlagen wie etwa das „Projekt Kooperatives Wohnen in Raaba“ und die zwischenzeitlich zu einem Wahrzeichen der Stadt Graz gereifte „Terrassenhaussiedlung“. Der Film überwindet die Zeitsprünge mit einem charmanten Mix aus Super-8-Format von damals und aktuellen Aufnahmen der Veteranen und in den Projekten aufgewachsenen Nachkommen. Zu sehen sind etwa Archivfilme mit bärtigen jungen Männern, die in Schlaghosen Baugruben abschreiten, mit tatkräftig schaufelnden Frauen und jeder Menge Kindern, die mit Begeisterung in der Erde wühlen. Es weht der Geist der Post-Hippie-Ära, und der ist nicht verflogen, er hat sich lediglich modernisiert, wie historische und aktuelle Interviews mit Initiatoren, Planern und Bewohnern der vorgestellten Projekte unter Beweis stellen.

All diesen Wohnanlagen ist eines gemeinsam: Nicht das Formale, möglicherweise architektonisch Schöne steht im Vordergrund, sondern die individualisierte, auf die Bedürfnisse der Bewohnerschaft zugeschnittene Wohnform mit Gärtchen, begrünten Balkonen und vielen gemeinschaftlich genutzten Flächen, in denen Kinder in einer geregelten Freiheit aufwachsen können, wie es sie heute nicht einmal mehr im Dorf gibt. Das gewaltigste der vorgestellten Projekte ist und bleibt die Terrassenhaussiedlung der Werkgruppe Graz, deren Verwirklichung mit 531 Wohneinheiten und 24 unterschiedlichen Wohnungstypen wahrlich eine Mammutoperation gewesen sein muss.

Es stellt sich die Frage, ob ein ähnliches Projekt unter heutigen Bedingungen, den teils absurd verschärften Normen und den nicht zuletzt dadurch explodierenden Baukosten, realisierbar wäre. Einen gut durchdachten Versuch unternahmen die Architekten Katharina Bayer und Markus Zilker, alias „Einszueins Architektur“, mit ihrem 2013 fertiggestellten „Wohnprojekt Wien“ auf dem Nordbahnhofgelände. Das vielfach ausgezeichnete Niedrigenergiehaus mit 40 Wohneinheiten wird von den Einwohnern selbst verwaltet und besticht durch ein ausgeklügeltes System von Gemeinschaftsflächen wie Mehrzwecksaal, Werkstätten, Musikraum, Gemeinschaftsbibliothek, Gemüsegärten, Carsharing. Ein solches Projekt zu stemmen bedeutet unendlich viele Debatten, drei Jahre Planungszeit, Kompromisse und gewolltes soziales Miteinander, und das ist nicht jedermanns Sache. Auch die Verpflichtung, allmonatlich eine bestimmte Stundenanzahl in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, würde wohl nicht jeder eingehen wollen.

Dennoch tragen all die im „Stoff, aus dem Träume sind“ gezeigten Architekturen eine Botschaft in sich, die allgemeingültig ist: Wir brauchen neben unseren individuellen privaten Wohnungsrefugien dringend auch die räumliche Möglichkeit zusammenzukommen und zu kommunizieren. Dass in manchem kollektiven Wohnprojekt allerdings noch weitere, durchaus politische Dimensionen stecken, demonstrierte eine Gruppe junger Linzer, denen es gelang, ein in Deutschland bereits seit Jahren erprobtes, nachgerade subversives Modell in die österreichische Gesetzes- und Vorschriftslandschaft zu übertragen.

Im Fall des bestehenden 1930er-Jahre-Wohnhauses „Willy*Fred“ geht es um mehr als die gelebte Gemeinschaft, Leistbarkeit und Autonomie. Mittels Crowdfunding und privater Kredite konnten die Eigenmittel für die Bewilligung eines gemeinsamen Kredits aufgebracht werden. Mit 6,35 Euro Miete pro Quadratmeter wird das Haus rückfinanziert. Doch auch wenn der Kredit dereinst Geschichte sein wird, so werden die Mietzahlungen weiterlaufen und in einen Topf für weitere autonom verwaltete Gebäude einbezahlt werden. Als Solidaritätsbeitrag in ein wachsendes System, das sich gegen die sogenannte „Verwertungsspirale“ von Immobilien stemmt. Diese Häuser stehen fürderhin nicht mehr zum Verkauf, sie sind dem Immobilienmarkt bewusst entzogen.

„In Wirklichkeit“, sagt Architekt Markus Zilker von „Einszueins Architektur“, „geht es um leistbares Leben, nicht nur um leistbare Architektur.“ Wie es sich über Jahrzehnte in diesen Projekten lebt, was man daraus gelernt hat, wie groß die Zufriedenheit derjenigen ist, die für solche Wohnformen geeignet sind, all das zeigt Schreibers und Riepers Film auf. Er gibt jedoch auch viele Denkanstöße, die dem zeitgenössischen Wohnungsbau mit all seinen in jeder Hinsicht viel zu eng gewordenen Normen und Grenzen gut tun würden.

[ Am 11. Oktober feiert „Der Stoff, aus dem Träume sind“ Premiere auf dem Filmfestival Rotterdam. Weitere Termine unter www. derstoff.at. Auch „Urbanize!“, das „Internationale Festival für urbane Erkundungen“ in Wien (9. bis 13. Oktober), ist heuer dem Thema Wohnen gewidmet (www.urbanize.at). ]

Spectrum, Fr., 2019.10.04

07. September 2019Ute Woltron
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Der Moment ist jetzt!

Chaotische Strukturen, verstopfte Elendsviertel, schlechte Infrastruktur: Afrikas Megacityswachsen seit 20 Jahren explosionsartig an – Industrialisierung und erhöhte Produktivität bleiben aber aus. Davon hängt die ökologische Zukunft des Planeten ab.

Chaotische Strukturen, verstopfte Elendsviertel, schlechte Infrastruktur: Afrikas Megacityswachsen seit 20 Jahren explosionsartig an – Industrialisierung und erhöhte Produktivität bleiben aber aus. Davon hängt die ökologische Zukunft des Planeten ab.

Die Geschichte der Urbanisierung des Globus gleicht einem Wettrennen. Etwa um das Jahr 1800 überschritt die bis dahin sehr gemächlich wachsende Weltbevölkerung erstmals die Milliardengrenze. Gerade einmal drei Prozent der Menschheit lebten damals in Städten. In den folgenden 200 Jahren stieg die Erdbevölkerung bekanntlich explosionsartig an. Sie beträgt laut UNO derzeit etwa 7,7 Milliarden Menschen, und ebenso explosionsartig erfolgte die Verstädterung. Mittlerweile lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in der Stadt. Tendenz immer noch stark steigend.

Europa hat diese Entwicklung hinter sich und ist damit befasst, alte Strukturen zu optimieren und neue Stadtgebiete behutsam zu implementieren. Die großen Zentren der atemberaubenden Urbanisierung liegen nun in Asien, Südamerika und in Afrika – um genau zu sein im sogenannten Subsahara-Afrika. Der große Unterschied zur europäischen Landflucht und Stadtentwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts besteht in der unvergleichlich größeren Menge an Menschen, die täglich in diese Städte strömt.

Daressalam in Tansania beispielsweise verzeichnete im Jahr 2014 einen Zuzug von durchschnittlich 48 Menschen pro Stunde. In Addis Abeba, Äthiopien, waren es 23, in Lagos, Nigeria, 26. Damit liegt Afrika mit einem städtischen Bevölkerungszuwachs von jährlich 1,06 Prozent nach Asien mit 1,47 Prozent in Sachen Urbanisierung gleich an zweiter Stelle. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass sich die Stadtbevölkerung Afrikas in nur zwei Jahrzehnten, zwischen 1995 und 2016, von 236 Millionen auf 500 Millionen mehr als verdoppelt hat. Bis 2040 dürften Studien zufolge jährlich weitere 20 Millionen Stadtbewohner dazukommen.

Glaubt man Wissenschaftlern und Stadtforschern, erleben wir momentan eine zwar immense, doch enden wollende Entwicklung. Für den Ökonomen Nicholas Stern und den Stadtforscher Dimitri Zenghelis, beide von London School of Economics (LSE), ist diese globale Urbanisierung ein „kurzes, in der Menschheitsgeschichte einzigartiges Phänomen“, das sich jedoch in relativ naher Zukunft wieder entschleunigen dürfte. Zugleich ist dieser Moment aber in vielerlei Hinsicht elementar, denn ein kluger, vorausschauender Städtebau wird die ökologische Zukunft des Planeten maßgeblich mitbestimmen. Investitionen in saubere, funktionierende Städte sind einer der Schlüssel dazu, doch die meisten der afrikanischen Megacitys zeigen derzeit gerade auf, wie das Gegenteil davon entsteht.

In Addis Abeba etwa beträgt der Anteil der in informellen Siedlungen lebenden Menschen knapp 70 Prozent, in Luanda, Angola sind es etwa 75 Prozent. Im Schnitt lässt sich sagen, dass etwa zwei Drittel der afrikanischen Stadtbevölkerung in slumartigen Quartieren leben. Während die Urbanisierung in anderen Weltgegenden stets mit Industrialisierungsprozessen und einer Steigerung der Produktivität einherging, lässt dieser Effekt in Afrika derzeit noch auf sich warten, und dafür ist die chaotische Struktur der Städte nicht allein, doch maßgeblich mitverantwortlich. Um einen positiven Kreislauf in Schwung zu bringen, braucht es Dichte, intelligente Verkehrskonzepte, verlässliche Eigentums- und Landnutzungsrechte. In Städten konzentrieren sich Geld, Know-how, Geschwindigkeit. Deshalb ziehen gut organisierte Megastädte Unternehmen und multinationale Konzerne an.

Doch all diese Faktoren sind in den wenigsten Städten Afrikas gegeben. Sie sind vielmehr chaotisch strukturiert und überfüllt. Die Menschen siedeln seit jeher in die Stadt, um Arbeit zu finden. Doch schlechte Verkehrsinfrastrukturen bedeuten auch schlechte Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen für die millionenstarke Arbeitsfront, die an den Stadträndern wohnt. Mangelnde Erschließung und fehlender öffentlicher Nahverkehr zwingen die Bevölkerung zudem dazu, ihre informellen Quartiere auch in der Nähe ihrer Arbeitsplätze aufzuschlagen, was verstopfte, unübersichtliche Elendsviertel in innerstädtischen Lagen zur Folge hat. Zugleich werden die Freiflächen der Stadt oftmals zu wenig genutzt. So blieben bisher mehr als 30 Prozent der zentrumsnahen Flächen beispielsweise von Harare und Maputo unbebaut, weil es keinen funktionierenden Immobilienmarkt, unklare Nutzungs- und Eigentumsrechte und auch keine Anstrengung der Stadtregierungen gibt, das Land sinnvoll zu entwickeln. Anstatt die Städte klug zu erschließen und an richtiger Stelle zu verdichten, entstehen zudem allerorten sogenannte Leap-Frog-Städte, also Siedlungen außerhalb der eigentlichen Stadt, was enorme großflächige Zersiedelung bedeutet.

Institutionen wie etwa die Weltbank sehen in der mangelhaften Erschließung, in der Fragmentierung und den damit verbundenen hohen Lebenshaltungskosten die maßgebliche Bremse für dringend benötigte Investoren. Tatsächlich befinden sich zwei der teuersten Städte für Auslandsentsendungen von Fach- und Führungskräften in Afrika. N'Djamena im Tschad liegt an zehnter, Luanda in Angola gar an erster Stelle.

Eine gut funktionierende Stadt ist von niedrigen Transportkosten, einem dynamischen Arbeitsmarkt, der Ballung von Wissen und Innovation geprägt. Doch das in den vergangenen Jahrzehnten beschleunigte, derzeit wieder gebremste Wachstum der afrikanischen Volkswirtschaften beruht hauptsächlich auf Gewinnung und Export von Rohstoffen. Auch deshalb bleibt der Anteil der verarbeitenden Industrie am BIP im Schnitt bei niedrigen zehn Prozent, wohingegen der Anteil des Dienstleistungssektors fast 60 Prozent beträgt. Der Grund dafür: Die Profiteure der Rohstoffgewinnung konzentrieren sich in den Städten und ziehen Heerscharen unterbezahlter, meist gering qualifizierter Dienstleister an.

Die großen Vorgaben, was eine Stadt funktionieren lässt, sind klar dargelegt. Erstens: Wo Städte über ihre organisatorischen Grenzen weit hinausgewachsen sind, müssen die Stadtgrenzen neu definiert werden, um die Megacitys in ihrer Gesamtheit steuern zu können. Zweitens: Wichtige Entscheidungsinstanzen, die etwa Stadtplanung, Verkehr, Umweltpolitik, Energie steuern, müssen in den Kompetenzbereich der Stadt und nicht des Staates fallen, um effiziente Maßnahmen setzen zu können. Drittens: Städte müssen legislativ in der Lage sein, Geld aufzustellen, um diese Maßnahmen auch umsetzen zu können.

Die Frage, wie sich die Städte Afrikas entwickeln werden, betrifft nicht zuletzt uns alle, denn die ökologische Zukunft des Planeten wird in den Städten entschieden. In Afrikas Megacitys, so meinen die Experten unisono, werden jetzt die Weichen gestellt beziehungsweise sollten sie jetzt gestellt werden. Nicht zuletzt ist der Schutz der Umwelt zu einem vorrangigen Thema geworden. Jeder bangt um den Fortbestand der Regenwälder, um das Überleben der Artenvielfalt und blickt besorgt der Klimaveränderung entgegen. Ein ähnliches Interesse an den Umständen menschlicher Existenz ist nicht zu beobachten, obwohl das eine mit dem anderen Hand in Hand geht.

Spectrum, Sa., 2019.09.07

16. August 2019Ute Woltron
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Meister seiner Zukunft

„Mon univers“: Nach der Renovierung des Pavillon Le Corbusier in Zürich durch Arthur Rüegg und Silvio Schmed lässt eine Ausstellung die Besucher in des Architekturgiganten Lebens- und Gedankenwelt eintauchen. Unbedingt eine Reise wert!

„Mon univers“: Nach der Renovierung des Pavillon Le Corbusier in Zürich durch Arthur Rüegg und Silvio Schmed lässt eine Ausstellung die Besucher in des Architekturgiganten Lebens- und Gedankenwelt eintauchen. Unbedingt eine Reise wert!

Die Architekturgeschichte neigt, wie auch Kunst und Literatur, zu einer gewissen Götzenbildung. Während die Zeit verfliegt, beweisen die herausragenden Werke der jeweiligen Epochen zwar Bestand, und man bewundert sie und ihre Urheber, hinterfragt sie jedoch kaum mehr mit der Gründlichkeit, die ihnen gebührt. Doch zwischen dem Werk und seinem Erschaffer liegt das meist unbekannte Universum eines ganzen Lebens, und wenn es einer Ausstellung gelingt, die Besucher tatsächlich auf eine Zeitreise mitzunehmen, sie eintauchen zu lassen in den Kosmos eines großen Geistes, erscheinen auch dessen Werke plötzlich in einem neuen, unverhofft klaren Licht.

Edouard Jeanneret alias Le Corbusier (1887 bis 1965) ist ein solcher Götze am Firmament der Kulturgeschichte. Man kennt die wichtigsten Gebäude des schweizerisch-französischen Architekturgiganten des 20. Jahrhunderts. Man kennt seine Stahlrohrmöbel, vielleicht das eine oder andere Wandbild, das er gemalt hat. Man weiß, dass er den Städtebau neu zu denken versuchte, dass er den freien, fließenden Grundriss propagierte und die aufgelösten Räume und Wände. Vielleicht kennt man auch seinen berühmten Ausspruch: „Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper.“

Doch wie der Mann mit der charakteristischen schwarzen Brille, die heute noch jeder zweite Architekt demonstrativ auf der Nase trägt, die Schachzüge seines „großartigen Spiels“ anlegte, um sich „Baukörper“ auszudenken wie die beiden Wohnhäuser der Siedlung Weissenhof in Berlin, die ikonische Villa Savoye in Poissy, die mehr als eigenwillige Kirche in Ronchamp, die gewaltigen Betonarchitekturen im indischen Chandigarh oder die Wohnmaschinen der Unités d'Habitation, bleibt doch selbst für Architekturaffine großteils im Dunklen.

Le Corbusier hat der Architektur unbestritten einen nachhaltigen Drall vermittelt. Auch wenn seine gigantomanischen städtebaulichen Projekte heute fragwürdig erscheinen, so hat er mit zahllosen Projekten, Schriften, Theorien die Welt der Architektur verändert. Die Eröffnung seines allerletzten Bauwerks im Jahr 1967 hat er zwar knapp nicht mehr erlebt, doch genau dort, im Pavillon Le Corbusier in Zürich, kann man noch bis November in seine Gedanken- und Lebenswelt eintauchen, und das in zweierlei Hinsicht. Da ist zum einen das als Ausstellungspavillon entworfene Gebäude, beauftragt, finanziert und errichtet von der heute 90-jährigen Kunstmäzenin Heidi Weber. Kunst, Architektur und Leben sollten darin als „Synthese der Künste“ zu einer Einheit verschmelzen. Da der Zahn der Zeit mächtig an der Stahl-Glas-Architektur genagt hatte, wurde das Haus am Zürichsee, laut Corbusier „das kühnste, das ich je gebaut habe“, von den Architekten Arthur Rüegg und Silvio Schmed nun gründlich, doch mit wohltuendem Fingerspitzengefühl restauriert und erst vergangenen Mai neu eröffnet. Es ist eines dieser Gebäude, in dem jedes Detail sitzt, in dem man durch die Räume wandelt und alles genießt: Die klug konzipierten schmalen Lüftungsfenster, die wohlüberlegten inneren und äußeren Durchblicke, die gestaffelten Raumhöhen, die Rampen und Treppen, den luftig überdachten Dachraum, wo selbst die Regenrinnen ein raffiniertes Spiel mit dem Wasser treiben. Kurzum: Der Pavillon atmet an all seinen Ecken und Enden, in jedem Türgriff, in allen Materialien und Formen den Geist eines unverschämt souveränen Meisters seiner Zunft. Das allein schon wäre eine Reise nach Zürich wert, doch im Untergeschoß liegt im einsickernden Dämmerlicht der Oberlichten der eigentliche Schatz vergraben: Die Ausstellungskuratoren Arthur Rüegg und Christian Brändle breiten hier das private Universum des Architekten aus. Le Corbusier war ein großer Sammler scheinbar unbedeutender Dinge. Er hortete beispielsweise besonders geformte und von Adern durchzogene Steine, Knochenstücke, Muscheln und Schnecken. Von seinen Reisen brachte er Keramikobjekte mit, Skulpturen, irdene Gefäße, auch Industrieware wie besondere Ziegel oder Glaselemente. Er sammelte Ansichtskarten, malte, zeichnete, fotografierte und filmte zeitlebens, wurde selbst von Fotografen wie dem Schweizer Reneé Burri und dem Ungarn Gyula Haláz alias Brassaï in vielen Lebenslagen dokumentiert. Letzterer erinnerte sich später an seinen ersten Besuch in Le Corbusiers Pariser Altbauwohnung zu Beginn der 1930er-Jahre. Er habe, so meinte er, ein ultramodernes Apartment erwartet, mit riesigen Fensteröffnungen und nackten, weißen Wänden, wie sie der Architekt seinen Auftraggebern damals bereits verpasste: „Man kann sich meine Überraschung vorstellen, als ich ein reichlich chaotisches Apartment betrat, mit eigenartigen Möbeln und einer merkwürdigen Sammlung von Krimskrams.“

Brassaïs Fotografien zeigen den Architekten inmitten dieser überwältigenden Ansammlung von Objekten, der Arbeitstisch vergraben unter einem Chaos von Papieren, Büchern, Artefakten, die Wände voll gehängt mit Malereien und Fotografien. Klugerweise hatte der kinderlose Le Corbusier sein umfangreiches Œuvre, Schriften, Pläne, Bilder, Sammlungen, bereits zu Lebzeiten in eine Stiftung eingebracht. Aus der großartigen Sammlung dieser Fondation Le Corbusier konnten die Kuratoren nun also schöpfen. Dank einer geschickten, weil zielgenauen und nicht überwältigenden Auswahl der Dinge und Artefakte, die ihn selbst faszinierten und in seinem Denken beeinflussten, taucht der Betrachter nun direkt in Corbusiers Vorstellungswelt ein und bekommt einen Begriff davon, zumindest eine Ahnung, welche Kräfte ihn formten und in welche Richtung sein Interesse in der Betrachtung der belebten und unbelebten Welt ging.

Eine der interessantesten Abteilungen der Schau ist denn auch die Projektion zahlreicher Schwarz-Weiß-Fotografien und kleiner Filme, die den Betrachter in die Lage versetzen, die Welt durch Le Corbusiers Auge zu sehen. In einer Zeit lang vor der allgegenwärtigen digitalen Verewigung des Moments filmte er das Spiel von Licht und Schatten in windbewegten Fenstergardinen und Meereswellen, fotografierte auf Schiffsreisen unzählige Ankerwinden, Taue und immer wieder die Hutzen genannten, geschwungenen Kopfteile der marinen Lüftungskamine. Eines seiner Fotos zeigt drei sorgsam aufgestellte und zueinander arrangierte Knochensegmente unbekannter großer Tiere. Im Zusammenspiel und im Schlagschatten wirken sie auf den ersten Blick wie ein hochmodernes skulpturales Gebäudeensemble. Solche Einblicke sind es, die Le Corbusier, über den man so viel gelesen, dessen Gebäude man durchwandelt hat, über den man fast alles zu wissen glaubt, plötzlich auf eine andere Weise nahe und verständlich, ja fast wieder lebendig machen.

Spectrum, Fr., 2019.08.16



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22. Juni 2019Ute Woltron
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Kühle Adern durch die Stadt

Es wird nicht reichen, Fassaden überwuchern zu lassen. Vielmehr muss das Gesamtkonzept Stadt passen. Über vertikale Wälder, Gestaltung von Luftschneisen und die Sinnhaftigkeit großer Parkanlagen: Stadtklima in Zeiten sommerlicher Hitzerekorde.

Es wird nicht reichen, Fassaden überwuchern zu lassen. Vielmehr muss das Gesamtkonzept Stadt passen. Über vertikale Wälder, Gestaltung von Luftschneisen und die Sinnhaftigkeit großer Parkanlagen: Stadtklima in Zeiten sommerlicher Hitzerekorde.

Das vergangene Jahr war nicht nur hierzulande das heißeste in der 252 Jahre alten Messgeschichte, knapp gefolgt von 2017 und 2016, und wenn der Juni so weitermacht wie bisher, wird auch er den Rekord brechen und als bisher wärmster seiner Art in die Statistik eingehen. Die Produzenten von Klimageräten, die Betreiber von Freibädern und die Eisverkäufer mögen sich über die tropische Witterung freuen, doch insbesondere die Stadtbewohner stöhnen zunehmend unter der Sommerhitze.

Bis zu zwölf Grad beträgt der Temperaturunterschied zwischen Wien und dem vergleichsweise grünen Umland, und Grün ist auch schon das Stichwort: Wo Bäume wachsen, wo unversiegelte Flächen Wasser speichern und in Form kühlen Dunstes wieder abgeben, wo ausreichend Grün wuchert, bleiben die Temperaturen erträglich. Wo die Sonne Milliarden Kubikmeter Beton und Asphalt erwärmt, wo mangels Durchlüftungsschleusen die Hitze gewissermaßen stecken bleibt und auch der Sonnenuntergang keine Kühlung verschafft, wälzt sich die Bevölkerung schlaflos durch die Tropennächte und fragt sich, wie man sich denn davor schützen könnte. Sowohl die Architektur als auch Städtebau und Raumplanung suchen nach Antworten darauf, doch nur gemeinsam, gewissermaßen vom Einzelobjekt über die Freiräume und die großen Stadtstrukturen gedacht, werden sie das Problem in den Griff bekommen.

Ein Extrembeispiel dafür, wie sich eine Großstadt ihr eigenes Klima schafft, ist die brasilianische Megacity São Paulo. Wenn die Sonne wochenlang auf das Häusermeer knallt, steigen enorme Massen erhitzter Luft auf. Darunter bildet sich ein Sogeffekt, der die feuchten Luftschichten des nahe gelegenen Atlantiks ansaugt, was bisher nie dagewesene Wolkenbrüche und Überschwemmungen zur Folge hat. Das viel kleinere, grünere Wien beispielsweise ist in einer vergleichsweise günstigen Lage, da sich mit dem Wien- und dem Donautal natürliche Durchlüftungsschneisen durch die Stadt ziehen, doch in manch dicht bebautem Viertel ist davon nichts zu spüren.

Planer wie etwa der italienische Architekt Stefano Boeri sehen das Heil der künftigen Stadt in der aufwendigen Begrünung von Gebäuden. Sein 2014 fertiggestellter Mailänder „Bosco Verticale“, was so viel bedeutet wie „Vertikaler Wald“, mag als prototypisches Testobjekt beeindrucken, funktioniert jedoch nur, weil sowohl für die Errichtung als auch für die Bespielung der beiden Wohntürme mit zahlreichen Sträuchern und Bäumen genug Geld zur Verfügung stand. Auf je 27 Geschoßen wuchert hier tatsächlich ein ansehnliches Wäldchen, doch was so simpel anmutet, ist mit großem konstruktivem und haustechnischem Aufwand verbunden. Außerdem sorgen für die Erhaltung der Tausenden Sträucher, Hecken und Bäume nicht die Bewohner der Luxusapartments, sondern zwei angestellte Gärtner, die übrigens recht rüstig sein dürften, da sie sich gelegentlich an den Fassaden abseilen müssen, um am Hausgrün fachkundig Hand anzulegen.

Der Wiener Stadtbaudirektor Thomas Madreiter kann dieser Art der Stadtklimaverbesserung zwar viel abgewinnen, meint aber, nur das Zusammenspiel aller zur Verfügung stehender Maßnahmen wäre zielführend: „Wenn uns die wirklich urbane Stadt und nicht etwa eine ausgedehnte Gartenstadt ein Anliegen ist, werden wir alle Register ziehen müssen.“ Raumplanung und Städtebau werden sich künftig überlegen müssen, wie die Baukörper klug gestaffelt anzuordnen und Grünräume miteinander zu verbinden sind, dass Frischluftströme wie kühle Adern durch den Stadtkörper fließen. Die Objektplanung, sprich: die Architektur, wird nach weniger aufwendigen Lösungen jenseits der Luxusimmobilie à la Bosco Verticale suchen müssen, damit auch der weniger betuchte Stadtbewohner frisch über den Sommer kommt.

Die simple, jahrhundertealte Erfindung des außen liegenden Sonnenschutzes, früher Fensterladen genannt und in jedem mediterranen Dorf eine Selbstverständlichkeit, wäre hier beispielsweise in einer modifizierten, zeitgemäßen Form ein vergleichsweise unaufwendiger Anfang. Denn das Nachrüsten und Kühlen von Gebäuden mittels elektrisch betriebener Klimageräte kann nur die schlechteste, weil energieverschleißendste aller Lösungen sein. Stand in den vergangenen Jahren vor allem der Schutz vor der Kälte im Vordergrund, so sieht sich die Baubranche nun vor der nicht weniger relevanten Herausforderung, vielmehr die Hitze aus den Häusern auszusperren. Was macht man als Passivhausbewohner, wenn die Raumtemperaturen im super gedämmten Apartment ins Unerträgliche steigen?

Ein Beispiel: Anhand eines gemeinsam von Smart City Wien und Siemens untersuchten, nach allen Regeln der Haustechnik optimierten Testobjekts fand man heraus, dass alle im Winter erzielten positiven Effekte von Dämmung, Wärmepumpen und dergleichen mehr im Sommer zunichte gemacht werden, wenn bei der Planung die Gebäudekühlung kein Thema war. Tatsächlich wurde die Energieeinsparung des Winters in besagtem Fall durch den Stromverbrauch des Sommers bei Weitem überkompensiert, weil sich die hitzegeplagten Bewohner der Reihe nach mit Klimageräten versorgten, um das Raumklima in erträgliche Temperaturbereiche zu zwingen.

Es wird nicht reichen, die eine oder andere Fassade mit Kletterpflanzen überwuchern zu lassen, was wesentlich aufwendiger ist, als man annehmen sollte. Vielmehr muss das Gesamtkonzept Stadt passen. Laut Studien wirken etwa viele kleine Grünflächen, klug in das Stadtgefüge gestreut, deutlich besser in Sachen Kühlung als wenige große Parks. Die Entsiegelung zubetonierter Flächen, wo immer möglich, sowohl in Straßenräumen als auch in Gebäudehöfen, sowie deren Bepflanzung mit robustem, dem Stadtklima gewachsenem Grünzeug wird also eine der elementaren Maßnahmen darstellen. Auch fachgerecht begrünte Dächer tragen nachweislich zur Verbesserung des Stadtklimas bei, doch wird man sich von dem Gedanken verabschieden müssen, dass solche Maßnahmen, obwohl nach Möglichkeit lowtech, nichts kosten.

Pflanzen, Wasser, Erde, das alles wiegt außerordentlich schwer und erfordert bauliche Aufrüstung. Auch wird der durchschnittliche Stadtbewohner nicht in der Lage sein, Fassaden- oder Dachgrün entsprechend zu pflegen, was wiederum Fachpersonal erforderlich machen wird. Das angenehmste Kleinklima bieten an heißen Sommertagen die großformatigen, reich bewachsenen Höfe der sogenannten Superblocks des Roten Wien. Manch moderner Wohnbau wirkt dagegen wie ein Heizkörper, der die Umgebung auch nächtens warm hält. Madreiter dazu: „Unsere Gesellschaft wird sich darauf einstellen müssen, Gebäude so zu planen und zu errichten, dass sie die entsprechende Kühlleistung zurückgeben.“ Wie das mit möglichst geringem technischem Aufwand, etwa mittels Bauteilkühlung, erfolgen kann, wird ein Schlüsselthema der Zukunft sein.

Spectrum, Sa., 2019.06.22

16. Juni 2019Ute Woltron
Die Presse

Wilhelm Holzbauer - Der Fürst tritt ab

Wilhelm Holzbauer war wohl der mächtigste Architekt der österreichischen Nachkriegszeit. Er war pragmatisch und erfolgreich, charmant und gefürchtet, und ein Architekturlehrer, der eine ganze Planergeneration ge- und befördert hat.

Wilhelm Holzbauer war wohl der mächtigste Architekt der österreichischen Nachkriegszeit. Er war pragmatisch und erfolgreich, charmant und gefürchtet, und ein Architekturlehrer, der eine ganze Planergeneration ge- und befördert hat.

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27. April 2019Ute Woltron
Spectrum

Was macht eine Stadt lebenswürdig?

Erstmals leben mehr Menschen in urbanen Strukturen als in ländlichen. Was macht eine Stadt lebenswürdig, wie existieren Menschen neben- und miteinander? Fragen anlässlich der Kür Rio de Janeiros zur Welthauptstadt der Architektur.

Erstmals leben mehr Menschen in urbanen Strukturen als in ländlichen. Was macht eine Stadt lebenswürdig, wie existieren Menschen neben- und miteinander? Fragen anlässlich der Kür Rio de Janeiros zur Welthauptstadt der Architektur.

Die Unesco, jene Organisation der Vereinten Nationen, die unter anderem seit 1972 als Verwalterin des „Welterbes der Menschheit“ amtiert, hat erstmals in ihrer Geschichte eine gesamte Stadt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt: Für das kommende Jahr wurde die brasilianische Metropole Rio de Janeiro zur „Welthauptstadt der Architektur“ gekürt. Die Wahl erfolgte gemeinsam mit dem Internationalen Architektenverband UIA und wird fortan alle drei Jahre wiederholt. Die UIA wird künftig in der jeweiligen Metropole ihren Weltkongress abhalten und hat sich vorgenommen, neue kommunikative Formate für die Zusammenarbeit zwischen Städteplanern, Politik, Stadtverwaltung und der Stadtbevölkerung zu entwickeln.

Die Unesco ihrerseits hat zwar bereits zuvor Ensembles, also ganze Stadtteile wie etwa die Wiener Innenstadt, zum Weltkulturerbe erklärt, doch nun setzt sie in Zeiten der größten Landflucht der Menschheitsgeschichte ein wichtiges Zeichen. Erstmals leben mehr Menschen in urbanen Strukturen als in ländlichen. Was bedeutet das – nicht nur für die jeweiligen Bewohner, sondern für uns alle? Eine ökologisch sinnvolle Gestaltung der großen Städte ist nicht zuletzt einer der Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel, doch die Fragestellung reicht viel tiefer. Was macht die Lebens- und Liebenswürdigkeit einer Stadt aus? Wie existieren Menschen auf engstem Raum gut neben- und miteinander, und welche Rolle spielt darin die Architektur? Ja, was ist Architektur überhaupt, und was heißt eigentlich „Stadt“?

Was anderswo durch Häuser, Straßen, Plätze definiert wird, ist in Rio ein Spektakel aus Meer und Strand, Berg, Fels und Regenwald und dazwischen hineingestreuten Stadtteilen. Nirgendwo auf der Welt kombinieren sich Architektur und Natur zu reizvolleren Ensembles als in dieser topografisch begnadeten Metropole. Kaum ein Fleckchen, von wo man nicht ein Stück Regenwald sieht, und in Dachgärten und Parks flirren Kolibris und suppentellergroße Schmetterlinge. Hier ist deutlicher lesbar, wie ein glückliches Zusammenspiel zwischen Landschaft, Natur und Architektur funktionieren kann. Dieser Rio-Effekt trifft jeden, der zum ersten Mal hier ist. Er ist eine Art positive Watschen, ein optischer Wachkuss, ein Moment der Erkenntnis des Dreidimensionalen. Er passiert bereits auf dem Weg vom Flughafen in Richtung Copacabana, ganz plötzlich und in einer ganz bestimmten Kurve der Avenida Infante im Stadtteil Flamengo. Dann, wenn auf einen Schlag der Zuckerhut, die Bucht von Botafogo und der Corcovado im Blickfeld erscheinen und jedem Rio-Anfänger erst einmal den Atem rauben. Eine dreidimensionale Postkarte in Lebensgröße erstreckt sich zur Linken, und zur Rechten breitet Christus seine Arme über der Stadt aus.

Wir EU-Europäer kennen lediglich mit London eine echte Megacity mit acht Millionen Einwohnern. Schon die nächstgrößte Stadt Europas, Berlin, ist mit rund 3,5 Millionen Einwohnern im internationalen Vergleich ein mittelgroßes Städtchen. Insbesondere in Asien, Afrika und Südamerika explodieren die Metropolen nachgerade, und Rio de Janeiro ist mit rund 13,3 Millionen Einwohnern nicht einmal halb so groß wie etwa Tokyo, Jakarta oder Delhi.

Unesco-Generalsekretär für Kultur, Ernesto Ottone R, begründet die Entscheidung für Rio als erste Welthauptstadt der Architektur mit der enormen Bandbreite und Qualität ihrer Bauten, sowie den Aktivitäten in den Bereichen Architektur, Kunst und Kultur, die herausragend seien. UIA-Präsident Thomas Vonier ergänzt: „Wir wollen aufzeigen, wie Architekten mithilfe lokaler Stadtregierungen und Communitys eine Schlüsselrolle dabei spielen können, Lösungen aufzuzeigen, die der Gemeinschaft dienen.“

Die Leistungen der brasilianischen Moderne sind bekannt. Ab den 1930er-Jahren prägte eine junge Planerriege, allesamt Kommunisten oder zumindest in der Wolle gefärbte Sozialisten rund um Oscar Niemeyer, Lúcio Costa, Lúcio Moreira, Carlos Leão, Affonso Eduardo Reidy und Ernâni Vasconcellos die luftig-leichte Betonarchitektur der Stadt. Nie sollte vergessen werden, dass häufig soziale Aspekte bei der Planung im Vordergrund standen. Affonso Eduardo Reidy etwa entwickelte sich zum talentierten Wohnbauer. Seine großformatigen Wohnanlagen für die weniger betuchte Bevölkerung Rios schmiegen sich wie Schlangen an die Topografie der steilen Berge. Zwei der herausragenden Beispiele sind die Siedlungen São Vicente und Pedregulho. Letztere liegt heute mittlerweile in einer Gegend der Verwahrlosung, die man besser nicht allein und ohne Landeskundigen aufsucht.

Ebenfalls verwahrlost, gleichwohl nicht so gefährlich ist der ehemals prachtvolle Park rund um Reidys Hauptwerk, das Museum für moderne Kunst. Das Gebäude schwebt gewissermaßen in Betonstützen eingehängt am Ufer jener Bucht neben dem Zuckerhut, die man von Ansichtskarten kennt. Auch anhand dieser Architektur lässt sich eine spezifische Qualität der brasilianischen Moderne festmachen: Außen- und Innenräume, Plätze, Grünflächen – sie alle weisen spielerisch-geometrische Bezüge zueinander auf und bilden so ein Gesamtkunstwerk. Im Park- und Gartenarchitekten Roberto Burle Marx hatten die Betonkonstrukteure einen kongenialen Partner gefunden. Marx war es auch, der der Copacabana die unverwechselbare ornamentale Grafik in schwarz-weißen Schlangenmustern verpasste.

Doch Rio ist bekanntlich auch eine Stadt krasser sozialer Gegensätze und gilt als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung wohnt außerhalb der berühmten Prachtviertel der Südzone sowie in den Favelas, informellen Siedlungen, die sich meist an steile, kaum bebaubare Berghänge schmiegen. Manche von ihnen wurden von den Einwohnern zu höchst lebenswerten Vierteln ausgebaut, andere sind Slums, in denen eine bitterarme Bevölkerung in für uns Europäer unvorstellbaren Verhältnissen lebt.

Als der Architekt Paulo Mendes da Rocha, genannt Paulinho, 2006 als zweiter Brasilianer nach Oscar Niemeyer den Pritzker-Preis erhielt, solidarisierte er sich mit den anonymen Baumeistern der Elendsviertel, die mittlerweile große Teile der ehemals so ehrgeizigen Architektur- und Stadtprojekte umwuchern. Er pries die „Courage unseres Volkes“, das sich seine eigenen Lösungen suche und nicht warte, bis wieder jemand komme und eine Stadt auf dem Reißbrett entwerfe. So stehen denn auch die anlässlich der Olympischen Spiele und der Fußball-WM entwickelten Viertel in der Kritik vieler Cariocas, die sich weniger ein Museum von Santiago Calatrava als vielmehr eine Verbesserung ihrer Infrastruktur gewünscht hätten. Die Idee, mit Architektur der Welt Kraft, Schönheit und Freude zu vermitteln, ist in der ersten Welthauptstadt der Architektur jedoch in vielerlei Hinsicht gelungen, und es wird nicht einfach werden, die Vorlage von Rio de Janeiro zu toppen.

Spectrum, Sa., 2019.04.27

09. März 2019Ute Woltron
Die Presse

Das Wasserklosett - die beste Erfindung, seit es Verdauung gibt

So unauffällig, so alltäglich und so notwendig: das Wasserklosett – die beste Erfindung, seit es Verdauung gibt. Über die abwechslungsreiche Geschichte der Sanitärarchitektur.

So unauffällig, so alltäglich und so notwendig: das Wasserklosett – die beste Erfindung, seit es Verdauung gibt. Über die abwechslungsreiche Geschichte der Sanitärarchitektur.

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26. Januar 2019Ute Woltron
Spectrum

Sehnsuchtsort Hütte: Vom Glück im Kleinen

Sie bietet eine versteckte Welt, ein Zwergen-Elysium im Abseits: die Hütte. Über einen Sehnsuchtsort, an dem der Mensch ungestört arbeiten, eine Auszeit nehmen, Dreck machen oder faul sein kann.

Sie bietet eine versteckte Welt, ein Zwergen-Elysium im Abseits: die Hütte. Über einen Sehnsuchtsort, an dem der Mensch ungestört arbeiten, eine Auszeit nehmen, Dreck machen oder faul sein kann.

Der irische Literaturnobelpreisträger George Bernard Shaw lebte zuletzt in der kleinen britischen Ortschaft Ayot Saint Lawrence, wo er eine mit allen Annehmlichkeiten ausgestattete Arts and Crafts Villa inmitten eines Parks bewohnte. Die meiste Zeit zog er sich jedoch in eine Art winziges Hüttenbüro zurück, das er selbst entworfen hatte. Shaws kleine Schreibstube lag verborgen am Ende des Gartens, der flach gedeckte Kubus ist heute in den National Trust eingegliedert. Er sieht wie ein Werkzeugschuppen mit großzügigen Fenstern aus und verfügt über eine ausgeklügelte Basis in Form einer Drehscheibe, die es dem Schriftsteller erlaubte, das Hüttchen mittels kräftigen Rucks beliebig nach dem Sonnenstand auszurichten. Auf den wenigen Quadratmetern unbedingter Privatheit konnte er sich gründlicher von der Welt abschotten als irgendwo sonst. Raffiniert, wie er war, nannte er sein Gartenexil „London“. Wenn jemand in der Villa anrief und nach ihm fragte, musste keiner lügen, wenn die Antwort lautete, er sei nicht da, sondern in London.

Ob Schreib- oder Komponierstube, ob Werkstatt, minimalistisches Feriendomizil oder Meditationshäuschen – die Hütte ist ein Sehnsuchtsort, an dem der Mensch ungestört eine Auszeit nehmen, arbeiten, Dreck machen oder einfach faul sein kann. Sie ist eine versteckte Welt, ein Zwergen-Elysium im Abseits. Künstler, Schriftsteller, Maler, Komponisten zogen sich seit jeher in die Abgeschiedenheit von meist wenig komfortablen, doch mit dem Luxus der Einsamkeit und Stille gesegneten Gartenhüttchen zurück. Der Schriftsteller Dylan Thomas fand in einer umgebauten Garage seine Ruhe, Virginia Woolf in ihrer „Writing Lodge“, Martin Heidegger in einer Berghütte im Schwarzwald, Gustav Mahler in seinem Komponierhäuschen in Krumpendorf am Wörthersee.

Auch der Schweizer Architekt Le Corbusier zog phasenweise die Ruhe eines Ein-Raum-Häuschens an der französischen Riviera dem Trubel der Pariser Großstadt vor. Sein 13 Quadratmeter kleines „Le Cabanon“ sitzt auf einem Felsen über dem Meer. Von außen macht der Blockbau nicht viel her, doch das Innenleben ist mit Holzmöbeln und Einbauten so raffiniert funktional konzipiert wie eine Schiffskajüte.

Über eine ähnliche architektonische Brillanz auf kleinstem Raum verfügen zwar die wenigsten Gartenhütten, doch das tut ihrer Beliebtheit keinen Abbruch. Insbesondere die Briten zelebrieren die kleine Auszeit in den winzigen vier Wänden außerhalb des eigentlichen Wohngebäudes seit jeher. Seit 2001 prämiert der Publikumswettbewerb mit dem Titel „Shed of the Year“ die originellsten Gartenhütten in verschiedenen Disziplinen, vom ökologisch vorbildlichen Hüttchen über historische Gartengebäude bis zu kurzerhand in den Garten ausgelagerten Bürohäuschen. „Shed of the Year“-Gründer Andrew Wilcox hatte den Wettbewerb ins Leben gerufen, als er selbst ein Gartenrefugium andachte und nach Ideen suchte. Die Refugien sind meist ein Sammelsurium aus wiederverwendeten Materialien, wie Teilen von Schiffen und Autokarosserien, alten Fenstern und Ziegeln. Ausgediente Telefonzellen kommen genauso zum Einsatz wie riesige vormalige Industriegefrierschränke, Armeecontainer oder historische Eisenbahnwaggons. Manche sind an Kitschigkeit kaum zu überbieten, doch viele sind gemütliche und pfiffige kleine Rückzugsorte.

Auch wenn selten Architekten mit der Planungsaufgabe einer Gartenhütte betraut werden, so gibt es doch Ausnahmen. Die Londoner Gianni Botsford Architects wurden etwa gebeten, einen Pavillon im Garten eines Privathauses in Zürich zu entwerfen, der nichts anderem als der „altmodischen Kunst des Rauchens“ gewidmet sein sollte. Ein schlichter Kubus aus lichtdurchlässigem, weil mit Glasfasern veredeltem Beton bietet den Qualmern auf acht Quadratmetern Schutz vor der Witterung und zugleich die kontemplative Aussicht in den Park.

Bewährte Hüttenbauer sind auch die niederländischen Künstler und Architekten rund um Joep van Lieshout. Sie schweißten etwa aus abgewrackten Booten geschnittene Stahlplatten als „Wohneinheit“ mit dem Titel „Vostok Cabin“ zusammen und statteten sie mit Holzofen und Möbeln aus wiederverwertetem Holz aus. Die französische Designertruppe Dansmonarbre hat sich überhaupt auf die Konstruktion pfiffiger Baumhäuser verlegt. Eines ihrer raffinierten Projekte, „The Hermitage“, ist ein Kubus aus Lärchenholz, der wie ein überdimensioniertes Vogelhaus in einem riesigen Baum hängt und sich rundum mit aufklappbaren Wand- und Deckenelementen völlig öffnen oder hermetisch abschließen lässt.

Die Prager Uhlik Architekti wiederum stellten für einen Waldbesitzer, der sich einen Ort der Ruhe und Kontemplation wünschte, ein kompaktes, teils schräg wie ein Ausguck in die Luft ragendes Holzhüttchen direkt auf tonnenschwere Findelsteine. Raumhohe Verglasungen holen den Wald und sein Getier in den kleinen Raum, können jedoch zur Gänze mittels Klappwänden geschlossen werden. Das Innere des Waldhäuschens ist ebenfalls fein ausgeklügelt. Eine raumbreite Treppe dient zugleich als Liege- und Sitzlandschaft und als Stauraum.

Eines der wohl verrücktesten Verstecke ist eine bewohnbare Skulptur des Bureau A aus Genf in den Schweizer Alpen. Ihr Name „Antoine“ ist angelehnt an einen fiktiven Charakter des Schriftstellers Charles-Ferdinand Ramuz, der in einer Kurzgeschichte den armen Kerl nach einem Felssturz sieben Wochen unter den Steinen verbringen lässt, bevor er sich endlich befreien kann. Antoine, die Hütte, ist zuinnerst ein Holzhäuschen, das rundum mit Beton umhüllt wie ein Fels auf einem Steilhang in der kargen Alpenlandschaft sitzt.

Die Flucht vor dem Zivilisationstrubel in unkonventionelle und je nach Bauvorschrift recht frei konzipierte Miniaturgebäude ist freilich nicht neu. Auch Henry David Thoreau wird nicht der Erste gewesen sein, der sich in eine Waldhütte zurückzog. Gut tat es ihm aber: „Ihr glaubt, dass ich mich selbst arm mache, indem ich mich von den Menschen zurückziehe, aber in meiner Einsamkeit habe ich mir ein seidenes Gewebe wie eine Schmetterlingspuppe gesponnen, und gleich einer Nymphe werde ich in Bälde als ein vollkommeneres Wesen hervorgehen, einer höheren Gesellschaft würdig.“

Spectrum, Sa., 2019.01.26

07. Dezember 2018Ute Woltron
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Das alte Autohaus auf dem Wienerberg

Eine alte Werkstatt zeigt vor, wie wohltuend der Gestaltungswille guter Architekten auf Industriegebäude wirken kann – und das sogar über Jahrzehnte. Ein Besuch in der Werkhalle des Autohauses Liewers auf dem Wienerberg.

Eine alte Werkstatt zeigt vor, wie wohltuend der Gestaltungswille guter Architekten auf Industriegebäude wirken kann – und das sogar über Jahrzehnte. Ein Besuch in der Werkhalle des Autohauses Liewers auf dem Wienerberg.

Der Wienerberg ist eines der mächtigen Portale, mit denen die Bundeshauptstadt einen bedeutenden Teil ihrer motorisierten Pendler begrüßt. Allmorgendlich brandet hier ein Blechstrom aus dem Süden an, teilt sich an der Stadtgrenze in die Charybdis Südosttangente und die Skylla Triester Straße, und egal welchen der beiden Nebenarme man wählt, findet man sich verlässlich im Stau wieder. Zumindest die im Schritttempo den Wienerberg via Triester Straße überwindende Pendlerschar hat demzufolge reichlich Zeit, das dortige Baugeschehen zu verfolgen. Kräne und Baugruben allerorten, der Stadtteil entwickelt sich rasant. Bis 2028 wird die U-Bahnlinie 2 bis hierher ausgebaut, was den Standort mächtig aufwerten wird.

Noch ist es aber nicht so weit, und so bietet sich, auf dem Gipfel angekommen, die Gelegenheit, zur Linken das eben restaurierte und mit neuem Inhalt gefüllte Philips Gebäude von Karl Schwanzer zu bewundern. Der kühne und allgemein bekannte Stahlbetonbau aus den 1950er-Jahren ist jedoch nicht das einzige fast schon historische Architekturjuwel inmitten zeitgenössischer Architektur. Gleich gegenüber zur Rechten liegt, wie eine prächtige glasflügelige Libelle, ein ebenfalls in dieser Zeit entstandenes Gebäude. Im Gegensatz zu den neuen Türmen und dem renommierten „Schwanzer“ findet es jedoch kaum Beachtung.

Es handelt sich um die Werkhalle des Autohauses Liewers, und die ist ein echtes Prachtstück alter Industriearchitektur. Sie ist eine der letzten jener schönen Gebrauchsarchitekturen, die zwischenzeitlich landauf, landab großteils missachtet, abgerissen und durch vergleichsweise schäbige Blechboxen ersetzt wurden. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wenn die Grundstückspreise steigen, wenn rundherum die Hochhäuser in den Himmel wachsen und die Rendite die Stadtkonturen formt, stellt sich unweigerlich die bange Frage: Wie lange darf sie hier noch stehen, die elegante, zweiflügelige Libelle, und wird einmal jener traurige Tag kommen, an dem an ihrer statt eine neue Baugrube klafft?

Erfreulicherweise ist dieser Tag nicht in Sicht, denn sowohl die Geschäftsleitung als auch die Mitarbeiter des Unternehmens wissen sehr genau, was sie an dieser Perle haben. Die Doppelhalle präsentiert sich innen wie außen in wohlpoliertem, geradezu perfektem Zustand. So sieht ein geliebtes altes Haus im Idealfall aus. Geputzt und sauber und dennoch behutsam mit den modernen Errungenschaften der Haustechnik ausgestattet, ohne maßgebliche Eingriffe in die Bausubstanz. Zart dimensionierte, geschwungene Stahlbetonträger fassen jeweils die beiden hohen Räume. In den aus Beton gegossenen, betont feingliedrigen Kassettendecken zersplittert der Schall und verliert sich. Nicht nur an den Fassadenfronten, auch in den Übergängen zwischen niedrigem Mittelteil und den beiden höheren Gebäudeteilen links und rechts lassen Verglasungen viel Licht herein. Tatsächlich gibt es Glas wo immer möglich und nötig in Form von Lichtbändern und Oberlichten.

Die miteinander verbundenen Hallen dienen als Werkstatt und Spenglerei, und sie sind seit den 1950er-Jahren unverändert in vollem Betrieb. Keine moderne Halle, sagt Geschäftsführer Michael Zinniel, könne dieser hier das Wasser reichen. Ideales Raumklima, gute Akustik, sehr viel Tageslicht und darüber hinaus diese raue Schönheit einer ihrem Zweck vollständig entsprechenden Architektur, wobei als Zweck offensichtlich nicht nur die Unterbringung von zu reparierenden Autos im Vordergrund stand, sondern auch ein angenehmes Ambiente für diejenigen, die hier tagaus, tagein arbeiten.

Geplant hatte die Liewers-Hallen mit angeschlossenem, ebenfalls gut erhaltenem Büro- und Verwaltungstrakt seinerzeit der damals noch junge Architekt Rudolf Vorderegger. Ursprünglich aus Linz stammend, hatte er bei Oswald Haerdtl an der Hochschule für angewandte Kunst studiert, wo zur selben Zeit Karl Schwanzer als Assistent wirkte. Warum Vorderegger so in Vergessenheit geraten konnte, wird ein Rätsel bleiben. Immerhin zeichnete er 1951 für das erste italienische Espresso Wiens verantwortlich, das mittlerweile völlig umgebaute und letztlich damit in seinem Flair vernichtete Café de l' Europe. Außerdem setzte er sich wenig später beim kleinen Wettbewerb zur Gestaltung der Aida-Filiale am Opernring gegen seinen renommierten Kollegen Karl Schwanzer durch und wurde in Folge der Hausarchitekt des Wiener Konditorimperiums. Zumindest die Aida-Filialen sind heute legendär, wenn auch nicht ihr Architekt.

Die alte Liewers-Werkstatt zeigt jedenfalls vor, wie wohltuend der Gestaltungswille guter Architekten insbesondere auch auf Gebäude für Industrie und Gewerbe wirken kann, und das gegebenenfalls über viele Jahrzehnte hinweg. Im Vergleich dazu können die abscheulichen zeitgenössischen Speckgürtelzonen rund um die Städte, die mit ihren hässlichen, genormten und überall das gleiche schäbige und verwechselbare Bild zeichnenden Billighallen vormals schöne Landschaften verschandeln, sowohl städtebaulich als auch formal nur als Niederlage bezeichnet werden. Sie sind lediglich eines: mit dem Auto gut erreichbar.

Das Automobil, das natürlich auch in den Liewers-Hallen im Mittelpunkt steht, hat Städte und Landschaft erobert und geprägt wie kaum eine andere Erfindung der Moderne, sieht man vom Stahlseil ab. Diese nur scheinbar unwesentliche Schöpfung war wiederum die Voraussetzung für Transport und Geschwindigkeit in die Vertikale. Denn erst das Stahlseil ermöglichte es der Architektur, mittels Aufzügen größere Höhen zu überwinden und Gebäude in den Himmel schießen zu lassen.

Der anfängliche Enthusiasmus der Architekturwelt für das Auto hat sich indes aus den bekannten Gründen abgekühlt, denn wer heute bei Verstand ist, staut nicht mit Gestank und Abgas nach Wien, sondern fährt mit der Bahn. Größen wie Le Corbusier in Europa und Frank Lloyd Wright in den USA ließen ihre Begeisterung für das Automobil seinerzeit jedoch noch ungebremst in unterschiedlicher Weise in ihre städtebaulichen Überlegungen einfließen. Zudem entstanden ab den 1920er-Jahren teils großartige Autoarchitekturen in Form von ausgeklügelten und sich elegant in städtische Ensembles einfügenden Garagen sowie avantgardistischen Tankstellen mit fliegenden Dächern.

Heutige Tankstationen unterscheiden sich nicht in ihrer Gestaltung, sondern nur durch das Logo auf dem Dach voneinander. Auch hier bestätigen wenige Ausnahmen die Regel. So knüpft, um nur ein Beispiel zu nennen, die Tankstelle von Atelier SAD, Adam Jirkal und Jerry Koza, aus dem Jahr 2011 im slowakischen Matúškovo mit modernem Pep und traditioneller Pilzüberdachung an historische Vorbilder an. Architektur leisten sich Autoproduzenten wie Porsche, BMW & Co. dort, wo es darum geht, ihre Produkte in den diversen Autowelten und Automuseen ins Rampenlicht zu rücken. Möge die schlichte, wunderbare Halle von Rudolf Vorderegger sie alle überleben.

Spectrum, Fr., 2018.12.07

10. November 2018Ute Woltron
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Bauen? Normen! Irrsinn!

Über Architektur zu sprechen ist heute ein philosophisches Privatvergnügen, Bürokratie und Vorschriften nehmen überhand – und übrig bleiben die Architekten. Zum Ist-Zustand des Bauwesens und zur Zukunft einer aussterbenden Zunft.

Über Architektur zu sprechen ist heute ein philosophisches Privatvergnügen, Bürokratie und Vorschriften nehmen überhand – und übrig bleiben die Architekten. Zum Ist-Zustand des Bauwesens und zur Zukunft einer aussterbenden Zunft.

Die Baukonjunktur brummt. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind voll. Nur eine Branche profitiert davon nicht, obwohl sie der Kern jedes Baugeschehens sein sollte: Die Architekten befinden sich im Würgegriff von industriegesteuerten Normen und Sicherheitsvorschriften, und sie gehen in Bürokratie unter. Konzerne und Manager haben den Bauherrn ersetzt, und wo kein Anspruchspartner mit Willen zur Qualität regiert, wo sich die Verantwortung für ein Projekt in der Masse von Controllern, Projekt- und Facility-Managern verliert, bleibt die Architektur auf der Strecke.

Der Architekt als Generalist, bei dem alle Fäden zusammenlaufen, der ein Projekt von A bis Z durchdenkt und optimiert, ist, auch aufgrund der zunehmenden Komplexität von Gebäuden, Geschichte. Ein paar wenige reiten zwar noch auf diesem Dinosaurier in Richtung Sonnenuntergang, doch alle wissen, dass sich die Branche in einem massiven Wandel befindet. Der betrifft letztlich nicht nur die Planer, sondern uns alle, die wir in dieser neu gebauten Umwelt unter dem Joch der Kleinkariertheit werden leben müssen. Christoph Chorherr von den Grünen führt ein Beispiel an: „Gnade uns Gott, würden wir heute die Ringstraße bauen!“ Laut der gängigen Vorschriften bräuchte sie eine Lärmschutzwand. Dafür gäbe es die Baumalleen nicht, weil sie der Feuerwehr im Weg stünden, und die Fassaden, so Chorherr, wolle man sich lieber gar nicht erst vorstellen. Auch an innovative, von der Freude an der Herstellung von bestmöglichem Wohnraum getragene Projekte, wie etwa der Maßstäbe setzende, 1993 fertiggestellte Wohnbau der Architekten Henke und Schreieck in der Wiener Frauenfelderstraße, wäre dieser Tage nicht einmal mehr zu denken. Marta Schreieck: „Kein Mensch würde sich da drübertrauen. Heute geht es vielmehr um Raumminimierung, um unendlich viele Zwei-Zimmer-Wohnungen mit Abstellraum und um Gewinnoptimierung, die Architekturqualität ist anscheinend egal.“ Für zukunftsweisende Entwicklung bleibe kein Raum.

Eine Flut an Normen, die das Bauen enorm verteuern, Auftraggeber, die jegliche Haftungen dafür an die Architekten abschieben, das Damoklesschwert der Juristerei stets über dem Haupt. Architekt Klaus Kada meint, über Architektur zu sprechen sei mittlerweile ein „philosophisches Privatvergnügen“ geworden. „Juristen, Banker, Manager, Versicherer sitzen überall, quatschen überall drein und haben von nichts Ahnung.“ Und sie schaffen einen Wust an unnötiger Bürokratie. Allein im Zuge eines einzigen Wohnbauprojekts in Wien habe er über 6500 E-Mails bekommen: „Die Bearbeitung jedes einzelnen kostet ein Büro gut 40 Euro, doch wenn du auch nur eines liegen lässt, dann haben sie dich schon irgendwo in der Haftung, weil du es widerspruchslos genehmigt hast. Mit Schriftverkehr und Herumtelefonieren verbrätst du fast das ganze Honorar.“ Überhaupt sei die gängige Meinung, Architekten würden sich goldene Armaturen verdienen, lachhaft. Kada: „Eine Architektenstunde kostet so viel wie die eines Automechanikers, doch dort regt sich keiner auf. Wir Architekten sind Hartz-IV-Typen.“ Andere verdienen bei deutlich weniger Aufwand erstaunlich viel mehr an dem Geschäft mit Gebäuden. Jakob Dunkl von Querkraft Architekten: „Wenn wir feststellen, dass ein von uns geplantes Haus zum Verkauf steht und allein der Makler mehr für die Vermittlung bekommt als wir für die gesamte Planung, ist das schon verwunderlich.“

Das Bezahlungssystem befinde sich in Schieflage, hoch qualifizierte Mitarbeiter würden unangemessen entlohnt, Direktaufträge seien inexistent. Dunkl: „Wir machen für zwei, drei Projekte 30 Wettbewerbe, das ist der helle Wahnsinn. Wenn ich hingegen einen Rechtsanwalt anrufe, verlangt der allein für den Erstkontakt 400 Euro, das kann ja nicht sein.“ Die Juristerei, darüber sind sich alle einig, nehme aufs Unangenehmste überhand. Schuld daran, so der Vorarlberger Architekt Johannes Kaufmann, seien letztlich wir alle, die wir zu einer „Hosenscheißergesellschaft“ verkommen wären, keinerlei Eigenverantwortung mehr zeigten und stets einen Schuldigen brauchten. „Der Kampf um qualitätsvolle Architektur“, so Kaufmann, der sich als Vorarlberger im Gegensatz zu der im Osten der Nation tätigen Architekturwelt zumindest noch kulturbewusster Bauherren erfreuen kann, müsse über die absurd ausufernden Normen geführt werden. Für Christoph Chorherr ist der Untergang der verantwortungsbewussten Bauherrschaft zwar immer noch das größere Problem, doch auch er empfindet den Normenwahn als Irrsinn. Vor allem, weil „ein jahrzehntelang politisch überhaupt nicht gesteuertes Normungsinstitut als privater Verein“ dafür zuständig ist: „In dieser Ausgeburt des Kapitalismus sitzen vor allem Lobbyisten verschiedener Unternehmen, die unter der Flagge der Sicherheit auf allen Ebenen eine Norm nach der anderen durchboxen. Und alles, was das Bauen teurer macht, ist für irgendjemanden ein Geschäft.“

Kaufmann meint, es werde im vermeintlichen Dienst an der Sicherheit „mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, und zwar in jedem Gewerke, von der Brandsicherheit bis hin zum Schallschutz: „Es ist alles so dermaßen hochgeschraubt worden in den vergangenen 20 Jahren, das ist unvorstellbar, und es beeinflusst die Baukosten natürlich enorm.“ Decken werden aufgrund verschärfter Schallschutzvorschriften dicker, Fundamente wegen der Normen in Sachen Bodenmechanik unendlich viel aufwendiger als früher, von Wärmedämmung ganz zu schweigen. Kollegin Elke Delugan-Meissl sieht nur noch Sicherheits-, doch keine Wohlfühl- und Qualitätsnormen und schon gar keine Passion für Letztere: „Wer als Architekt keinen Namen hat, wird wie der letzte Dillo behandelt, du fühlst dich wie ein Zulieferer, du bist nur noch einer von vielen am Tisch.“ Dabei müsse Architektur fraglos wirtschaftlich sein, doch „jeder will mitschneiden, und am Ende des Tages bleibt für uns bei voller Verantwortung vom Kuchen wenig für die Planung über“.

Der Eisenstädter Architekt Klaus-Jürgen Bauer wirft ein weiteres Argument in den Ring: „Der normale Handwerker – eine aussterbende Spezies übrigens – hat gegen den Pfuscher, der in der Regel zumindest um die Differenz Mehrwertsteuer billiger ist, keine Chance auf dem Markt.“ Diese Klage führen viele. Vor allem für Wiener Baustellen müssen Architekten nicht selten früher Selbstverständliches detailliert in Pläne einzeichnen, weil oftmals ungelerntes Personal zugange ist, das keine Texte lesen kann. Bauer sieht, wie alle anderen auch, das Problem als eines unserer Gesellschaft: „Sorgfalt und Behutsamkeit brauchen Zeit, und die wird nicht bezahlt.“ Ob der Stellenwert des Architekten abgenommen habe? „Wenn die Zukunft unseres Bauens bedeutet, großmaßstäbliche Industrieanwendungsobjekte herzustellen, dann braucht man dafür keinen Architekten in unserem Ausbildungssinn, sondern eine Planungsmaschine, die geölt im Hintergrund läuft.“

Spectrum, Sa., 2018.11.10

08. September 2018Ute Woltron
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Wenn Fische Burgen bauen

Die Baubionik – die technische Umsetzung biologischer Prinzipien – eröffnet dank ausgefeilter Computerprogramme ungeahnte Möglichkeiten. Das Konzept ist nicht neu: Ihre Anfänge führen ins 19. Jahrhundert zurück.

Die Baubionik – die technische Umsetzung biologischer Prinzipien – eröffnet dank ausgefeilter Computerprogramme ungeahnte Möglichkeiten. Das Konzept ist nicht neu: Ihre Anfänge führen ins 19. Jahrhundert zurück.

Der Unterwasserfotograf Yoji Ookata hatte bereits die vergangenen 50 Jahre seines Lebens damit verbracht, die Unterwasserwelt vor den Inseln seiner Heimat Japan zu erforschen, als er vor fünf Jahren auf eine vorerst unerklärliche, doch wunderschöne Absonderlichkeit stieß. Er war im Süden des Inselstaats vor einem abgelegenen Eiland getaucht und hatte dort in etwa 25 Meter Wassertiefe ein kreisrundes Ornament im Sandboden entdeckt.

Die unerklärliche Unterwasserarchitektur war mit zwei Meter Durchmesser recht groß. Zwei zerfurchte Sandwälle umringten mit überraschender geometrischer Präzision eine ebenso akkurat designte kreisförmige Innenzone. Hier im Zentrum war der Sand zu ruhigeren welligen Dünen aufgeworfen, und die Furchen der höheren Wälle und die Täler zwischen den Dünen waren eindeutig zum Zentrum der mysteriösen Angelegenheit orientiert.

Niemand hatte je zuvor diese Sandkreise wahrgenommen, keiner wusste, woher sie stammten und welche Kreatur ihr Baumeister war. Der Fotograf legte sich auf die Lauer und löste das Rätsel gemeinsam mit einem Filmteam und viel Geduld. Tatsächlich erwies sich ein winziger Fisch als Architekt der Sandkonstruktion: ein männlicher, nur wenige Zentimeter langer Kugelfisch. Er arbeitet etwa eine Woche rund um die Uhr, bis das flüchtige Schloss im Sand vollendet ist, und gräbt dafür den Ozeanboden unermüdlich mit seinen Flossen um. Der Kugelfisch baut auf diese Weise ein Liebesnest. Hat er Pech, zerstört die Strömung die Konstruktion vorzeitig. Hat er Glück, kommt zur passenden Zeit ein Kugelfischweibchen des Weges geschwommen und erblickt das schöne Haus mit dem erwartungsvollen Fischbräutigam im Zentrum. Wenn es ihr gefällt, schwimmt sie herab, lässt sich in der Mitte nieder und legt Eier in den Sand, die er dann befruchten darf.

Die eben erst entdeckten Sandkreise sind so präzise und schön gearbeitet, dass ihr Anblick unweigerlich Erinnerungen an den deutschen Zoologen Ernst Haeckel und dessen eindrucksvolle Darstellungen von Plankton, Medusen und winzigen Strahlentierchen wach werden lässt. Haeckel, 1834 in Potsdam geboren, 1919 in Jena gestorben, prägte den Begriff „Ökologie“. Er war ein Verehrer von Alexander von Humboldt und Charles Darwin, und seine prächtigen Zeichnungen von „Kunstformen der Natur“ sowie von „Kunstformen aus dem Meer“, publiziert 1899 und 1904, sollten sich als einflussreich für Architektur- und Kunstgeschichte und Jugendstil erweisen. Als etwa der französische Architekt René Binet die großformatige, aus Stahl gearbeitete Eingangsarchitektur samt Ticketschaltern für die Weltausstellung 1900 in Paris entwarf, die auch das Tor in ein neues Jahrhundert darstellen wollte, nahm er sich Haeckels Grafiken mikroskopisch kleiner Meeresorganismen, sogenannter Strahlentierchen oder Radiolarien, zum Vorbild. Die „Porte Monumentale“, schrieb er an Haeckel, sei bis ins Detail „von Ihren Studien angeregt“.

Auch Kunsthandwerker bedienten sich am reichen und bis dahin nie gesehenen Formenvokabular der Kleinstfauna und -flora. Der französische Glas-Großmeister Emíle Gallé arbeitete dank Haeckels Naturformen als Vorlage neue „Feinheiten und Kurven in das Glas“. Designer und Architekten schöpften aus dem „großen Labor der Natur“, wie Binet meinte, und zogen die teils bizarren Geometrien von Quallen, winzigen Wimperlingen und anderen Lebewesen für Lüster, Tapetenmuster und opulente Lichtschalter heran.

Die Natur als Vorbild für Gebäude, Konstruktionen, Tragwerke und Ornamente zu verwenden war damals, am Beginn des 20. Jahrhunderts, freilich keine bahnbrechende Neuigkeit. Schon die Griechen hatten sich an Pflanzenformen bedient und beispielsweise das korinthische Kapitell als steinernes, reich gezacktes Akanthusblatt mit der Architektur verwachsen lassen. Die gesamte Architekturgeschichte ist voll von Beispielen dekorativer Verwertung natürlicher Formen, von Romanik über Rokoko bis hin zur zeitgenössischen Architektur. Die Schweizer Herzog & de Meuron bedruckten beispielsweise die wandbildenden lichtdurchlässigen Polycarbonatplatten des Verpackungs- und Vertriebsgebäudes für den Kräuterzuckerlhersteller Ricola Anfang der 1990er-Jahre mit der historischen Fotografie eines Schafgarbenblattes.

Richtig spannend wird der Pas de deux zwischen Technik und Biologie, wenn sich die Architektur an bereits von der Natur vollbrachten Lösungen orientiert und sich davon inspirieren lässt. Auch dafür gibt es Beispiele sonder Zahl. So war die Konstruktion des Eiffelturms in Paris der Leichtbauweise eines menschlichen Oberschenkelknochens nachempfunden. Der Schweizer Architekt Le Corbusier wiederum sammelte lebenslang Muscheln, Schnecken und anderes Meeresstrandgut und verwendete diese marine Archiv als Quelle für Eingebung und Formsuche. Sein berühmter „Modulor“ weist, wenn die richtigen Punkte miteinander verbunden werden, exakt die Spiralform einer Seeschnecke auf.

Als weiterer Pionier biomorpher Bauformen gilt der deutsche Architekt Frei Otto, Mitbegründer und Initiator der multidisziplinären Forschungsgruppe „Biologie und Bauen“ der TU-Berlin. Für seine berühmten, mit leichtesten Konstruktionen große Weiten überspannenden Dachhäute, angewandt etwa im Fall der riesigen Zeltdachlandschaft des Münchener Olympiaparks von 1972, experimentierte er mit Drahtmodellen und Seifenlauge, um die Minimalflächen zu eruieren. Für das Tragwerk des Turms der 1961 eingeweihten Kirche in Berlin-Schönow orientierte er sich wiederum am Skelett von Kieselalgen.

Auch der Brite Norman Foster nahm eine natürliche Struktur zum Vorbild für eines seiner berühmtesten Gebäude: Das in der Fassade verlaufende Tragwerk des 2004 eröffneten, 180 Meter hohen und aufgrund seiner Form „Gurke“ genannten Hochhauses in London entspricht dem röhrenförmigen, überaus raffinierten Skelett des in der Tiefsee heimischen Gießkannenschwamms. Ein Einkaufs- und Bürokomplex in Harare wiederum wurde mit einem Lüftungssystem in Form von zusammenhängenden Schächten ausgeführt, das man Termitenbauten abgeschaut hatte.

Der zeitgenössischen Baubionik, so der gängige Begriff für die Abstraktion von Prinzipien der Biologie samt Umsetzung in Technologie, stehen mittlerweile mit ausgefeilten Computerprogrammen, neuen Materialien, Fertigungstechniken und anderen Errungenschaften bisher ungeahnte Möglichkeiten zur Verfügung. Und obwohl derzeit ganze Gebäude den Bionik-Stempel aufgedrückt bekommen, auch wenn ihn nur Details darin verdienen, darf man künftig Spannendes erwarten.

Apropos Details: Der Kugelfischarchitekt bemüht auch scheinbar Überflüssiges. Wenn die Sandburg fertiggestellt ist, sucht er den Meeresgrund nach Muscheln ab, platziert sie überlegt und setzt damit seinem Werk Krönchen auf.

Spectrum, Sa., 2018.09.08

11. August 2018Ute Woltron
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Das wussten schon die Römer

Recycling in der Architektur: Kubaturen von gestern dienten seit je als Steinbrüche für Neues. Was in Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs vergessen wurde, ist heute wieder relevant – umgesetzt dank der Initiative von Privaten und Architekten.

Recycling in der Architektur: Kubaturen von gestern dienten seit je als Steinbrüche für Neues. Was in Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs vergessen wurde, ist heute wieder relevant – umgesetzt dank der Initiative von Privaten und Architekten.

Als im Jahr 1775 mit der Gloriette das prominenteste Gebäude der Schloss Schönbrunn in Wien angeschlossenen Gartenanlage errichtet werden sollte, erreichte den beauftragten Architekten ein Schreiben von Kaiserin Maria Theresia hochselbst. Die sparsame Monarchin hatte sich an das damals bereits leer stehende Schloss Neugebäude in Simmering erinnert und dekretierte: „Es befindet sich zu Neugebau eine alte Galerie von steinernen Säulen und Gesimsen, welche nichts nutzet.“ Man möge, hieß es weiter, „solche von dort abbrechen lassen und nacher Schönbrunn bringen lassen“.

Sowohl Galerie als auch Säulen, Stierköpfe und andere historische Bauteile wurden von Steinmetzen bearbeitet und in den neuen „Ruhmestempel“, in dessen Speisesaal Kaiser Franz Joseph sein Frühstück einzunehmen pflegte, integriert. Man stelle sich zeitgenössische Auftraggeber vor, die ihren Architekten ähnliche Ansinnen zutrügen und sie aufforderten, bestehende Gebäude zumindest in Teilen in neue Architektur einzufügen.

Die meisten Vertreter der Planergilde wären wohl, gelinde gesagt, empört. Tatsächlich jedoch ist das Thema Wiederverwendung von Bauteilen sowie Baumaterialien so alt wie die Architekturgeschichte selbst. Es war in Zeiten von Industrialisierung, Wirtschaftsaufschwung, Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft dank vermeintlich unerschöpflicher Ressourcen nur in Vergessenheit geraten. Doch erst vergangene Woche beging die Menschheit, oder der Planet, je nach Perspektive, den sogenannten Welterschöpfungstag, an dem laut Berechnungen des „Global Footprint Network“ alle natürlich verfügbaren Ressourcen für das Jahr aufgebraucht sind. Ab nun lebt die Menschheit sozusagen auf Pump.

Zu dieser Ausbeutung des Planeten trägt die Bauwirtschaft einen guten Teil bei. Seit der Recycling-Baustoffverordnung 2016 müssen zwar unter anderem Abbruchmaterialien getrennt gesammelt werden, um eine qualitätsvolle Verwertung zu gewährleisten. Doch viele Materialien landen nach wie vor auf Deponien, etwa weil sie verklebt sind und nicht sortenrein zerlegt werden können.

Zukunftsorientierte Planer stellen diese Art der Verschwendung aktiv infrage. Als Vorreiternation kann Belgien genannt werden, wo 80 bis 90 Prozent von Bau- und Abbruchabfällen recycliert werden. Doch ein großer Anteil findet zerschreddert und zerkleinert als Füllmaterialien etwa im Straßenbau Verwendung, und das, so findet jedenfalls das 2005 gegründete Brüsseler Büro Rotor, greift zu kurz.

Das interdisziplinäre Team befasst sich mit den Möglichkeiten der Wiederverwendung und hat sich dabei auf Elemente moderner Bürogebäude spezialisiert. Qualitätsvolle Bauteile wie abgehängte Decken, Beleuchtungskörper, Steinbeläge, mobile Trennwände und dergleichen mehr müssen, so Rotor, nicht auf der Deponie landen, sondern können behutsam und nach architektonischen Kriterien an anderer Stelle wiederverwendet werden.

Ein Beispiel dafür stellt die 1971 vom renommierten belgischen Innenarchitekten Jules Wabbes gestaltete Innenausstattung eines Brüsseler Bankgebäudes dar. An die 230 Tonnen an Granitböden, Wandverkleidungen, Stahltüren, Holzelementen, Metalldecken, Möbeln und anderes wurden abgebaut, wanderten zur Reinigung oder in Restaurierwerkstätten und landeten schließlich in neuen Gebäuden.

Dabei wurde streng kalkuliert. Was kostet der Ausbau? Wie ist der Zustand der Materialien? Welchen funktionalen und symbolischen Wert besitzen sie? Idealerweise regelt, so das Büro Rotor, in einer nicht allzu fernen Zukunft ein rechtlicher Rahmen diese Art der Wiederverwertung, insbesondere im Fall öffentlicher Gebäude. Erst wenn die Vermögenswerte der einzelnen Bauteile und Einrichtungselemente in Zahlen daliegen, wird das Interesse steigen, sie in größerem Rahmen wieder in den Stoff- und Materialkreislauf einzuschleusen.

Die Wiederverwertung von Bauteilen war, wie erwähnt, über Jahrtausende nicht nur üblich, sondern teils sogar gesetzlich verankert. Im spätantiken, 438 veröffentlichten Codex Theodosianus regelte ein Kapitel den Umgang mit öffentlichen Gebäuden. Nur solche, die nicht mehr zu retten waren, durften überhaupt zerstört werden, und das nur unter der Voraussetzung, dass möglichst viele ihrer Baumaterialien und Bauteile einer Wiederverwendung zugeführt wurden.

Bereits zuvor hatten die Römer aus Abbruchmaterialien Beton hergestellt, und seit ewigen Zeiten waren verfallene Gebäude gewissermaßen als Steinbrüche für Neues verwendet worden. Wozu Holzbalken wegwerfen, wenn sie an anderer Stelle wieder eingebaut werden können? Wozu umständlich und kostenintensiv neue Ziegel brennen, wenn alte vorhanden sind und nur geputzt werden müssen? Private sind auf diesen Trend längst aufgesprungen. In diversen Internetforen tun sich regelrechte Börsen für Antiquitäten der anderen Art auf: Historische Sternparkettböden werden hier genauso feilgeboten wie Werkstattfenster, gebrauchte Stahlträger oder Betonrohre.

Einen verwandten Weg schlagen Architekten wie die Deutschen Dirk Hebel, Werner Sobek und Felix Heisel ein. In einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Bauwelt“ fordern sie, den Begriff Abfall durch das Wort Materialressource zu ersetzen, und wie sich das in die Tat umsetzen lässt, demonstrieren sie im Schweizer Dübendorf. Dort befindet sich das Forschungsgebäude Nest, für das die drei die „Experimentaleinheit Urban Mining & Recycling“ geplant und umgesetzt haben.

Alle zur Herstellung eines Gebäudes benötigten Ressourcen, so ihr Postulat, müssen „vollständig wiederverwendbar, wiederverwertbar oder kompostierbar sein“. Material darf niemals verloren gehen, es ist lediglich eine Zeit lang in einem Gebäude gebunden, um später in den Materialkreislauf wieder zurückzukehren. Tragwerk und große Teile der Fassade bestehen denn auch aus Holz, wofür übrigens die österreichische Zimmerei und Tischlerei Kaufmann in Reuthe zuständig war.

Im Innenausbau kommen ausschließlich seriell verarbeitete Bauprodukte zum Einsatz, die nach dem Lebenszyklus des Gebäudes „sortenrein und rückstandsfrei in ihre unterschiedlichen Stoffkreisläufe zurückgeführt werden können“. Die Architekten orten auch bei Baustoffproduzenten ein zwar noch langsames, doch deutliches Umdenken. So kommen beispielsweise wieder Armaturen auf den Markt, die zerlegt und repariert werden können und nicht, wie derzeit gang und gäbe, weggeworfen werden müssen, weil irgendwo im Inneren eine nicht austauschbare Dichtung den Geist aufgegeben hat.

Möglicherweise befinden wir uns in der Morgendämmerung einer neuen Architekturära, die Häuser nicht lediglich in dämmende Sondermüllpullover packt, sondern endlich weiter denkt als über den Wärmedurchgangskoeffizienten hinaus.

Spectrum, Sa., 2018.08.11

07. Juli 2018Ute Woltron
Spectrum

Østerrike am Fjord

In der unberührten Natur Norwegens ließ sich einst ein junger Mann nieder, der in Ruhe in dieser Umgebung denken wollte. Heute wird sein Haus dank einiger Idealisten wiederaufgebaut. Der Name des ehemaligen Besitzers: Ludwig Wittgenstein.

In der unberührten Natur Norwegens ließ sich einst ein junger Mann nieder, der in Ruhe in dieser Umgebung denken wollte. Heute wird sein Haus dank einiger Idealisten wiederaufgebaut. Der Name des ehemaligen Besitzers: Ludwig Wittgenstein.

Am Ende des Sognefjords in Norwegen liegt ein 200-Seelen-Dörfchen mit Namen Skjolden. Dahinter erstreckt sich, spektakulär in die schroffe Berglandschaft gebettet, ein See, an dessen Ende wiederum eine steile Felswand aufragt. Links und rechts rauschen Wasserfälle zu Tal. Der eine oder andere Raubvogel kreist über dem Wald. Gelegentlich bimmelt irgendwo ein Glöckchen, wenn ein Schaf ein paar Schritte tut. Ansonsten herrscht die Stille reiner Natur.

Die längste Zeit waren die Schafe hier allein und unter sich, aber hin und wieder passierte es doch, dass jemand zu Besuch kam. Leute aus fernen Ländern schnürten ihre Wanderschuhe und schlugen sich durch das Dickicht hinauf auf besagte Felswand. Sie folgten einem kaum erkennbaren Pfad. Oben angelangt, 30 Meter über der Wasserfläche, lag ihr Ziel: eine Fundamentplatte, aus Steinen aufgeschichtet, etwa sieben mal acht Meter groß, zur Felskante hin zwei Meter hoch.

Ein Zitat des Wiener Architekten Adolf Loos besagt: „Wenn wir im Walde einen Hügel finden, sechs Schuh lang und drei Schuh breit, mit der Schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst, und es sagt etwas in uns: Hier liegt jemand begraben. Das ist Architektur.“

Auch in diesem Fundament über dem See Eidsvatnet liegt etwas begraben, doch zum Glück nicht jemand, sondern vielmehr ein Teil der Geschichte eines Mannes, der hierherkam, um im „stillen Ernst“ der Landschaft zu denken und zu schreiben: Bis zum Jahr 1956 stand an dieser Stelle das erste Haus von Ludwig Wittgenstein.

Der wichtigste österreichische Philosoph des 20. Jahrhunderts war, damals 24 Jahre alt und seit zwei Jahren bei Bertrand Russell am Trinity College in Cambridge eingeschrieben, im Sommer des Jahres 1913 nach Norwegen gereist, um in größtmöglicher Einsamkeit und Stille zu denken und zu schreiben. Die Gegend gefiel ihm so, dass er, kaum wieder ins quirlige Cambridge zurückgekehrt, beschloss, sich in Norwegen niederzulassen.

Noch im selben Jahr plante er ein kleines Holzhäuschen auf dem Fels über dem See. Insgesamt fünf Jahre seines Lebens sollte er in Norwegen verbringen, und selbst in den Monaten vor seinem Tod im Jahr 1951 hatte er den Wunsch, wieder in die Waldeinsamkeit zurückzukehren, doch dazu war es zu spät. Er vermachte das Haus einem ortsansässigen Freund. Etwa vier Jahre stand es leer, dann wurde es abgebaut, die Hölzer wurden über den gefrorenen See transportiert und in Form eines neuen Häuschens wiedererrichtet.

Nur das Fundament blieb, und, zumindest bei manchen Wittgenstein-Anhängern, die Erinnerung an den Ort, an dem der Philosoph an seinem Frühwerk, dem „Tractatus logico-philosophicus“, formulierte. „Ich kann mir nicht vorstellen“, schrieb er Jahre später, „dass ich irgendwo anders so hätte arbeiten können wie hier. Das ist die Stille und vielleicht auch die wunderbare Landschaft – ich meine ihren stillen Ernst.“

Seit vergangenem Mai ist, zumindest vorübergehend, Schluss mit besagter Stille. Eine internationale Gruppe von Professoren – Philosophen, Architekten, Städteplaner – hat die Aufgabe in Angriff genommen, Wittgensteins norwegische Denkerstätte wiederaufzubauen. „Möglicherweise hätte ihm das missfallen“, sagt mit Harald Nils Røstvik, Professor für Architektur an der Universität Stavanger, einer der Projektinitiatoren, „aber er hätte sicher die Idee gemocht, dass junge Leute hier zum Nachdenken und Arbeiten zusammenkommen.“ Gut 90 Prozent der ursprünglichen Baumaterialien sind erhalten, die Hölzer, die Dachziegel, selbst die Fenster. Die fanden die Wittgenstein-Rechercheure sorgfältig gestapelt in einem alten Schuppen. Ein Bauer hatte sie Mitte der 1950er-Jahre jenem Mann abgekauft, der aus dem demontierten Häuschen sein Sommerhaus baute, der mit den traditionell österreichischen Fenstern, in Norwegen eher unüblich, jedoch nichts anfangen wollte. Mehr als ein halbes Jahrhundert lagerten sie da. Nun werden sie vor Ort im Rahmen diverser Seminare von Studenten der Universitäten Cambridge, Manchester, Berlin, an denen Wittgenstein selbst seinerzeit studiert hat, säuberlich geputzt, restauriert und, den Ergebnissen langjähriger wissenschaftlicher Studien folgend, zu dem zweigeschoßigen Häuschen über dem See wieder zusammengesetzt.

Das Ziel: den Ort zum einen wieder begeh- und besichtigbar zu machen, zum anderen eine kleine Denkerstätte zu schaffen, die von Philosophen, Studierenden und Interessierten benutzt und wertgeschätzt werden kann. Ein bescheidenes Besucherzentrum ist ebenso geplant wie der Wiederaufbau des alten Bootshauses und des vom technisch versierten ehemaligen Maschinen- und Flugzeugkonstrukteurs Wittgenstein raffiniert gebauten Wasseraufzugs in Form einer Seilwinde hinunter zum See.

Das Haus war bescheiden, spartanisch, klein. Im Erdgeschoß ein Arbeitsplatz, ein Herd zum Kochen und Heizen, eine in das Fundament eingelassene kühlende Speisekammer, eine außen gelegene simple Duschmöglichkeit. Im Obergeschoß ein langer Balkon, die Schlafstatt, der Giebel, anders als in Norwegen üblich, auf den See gerichtet.

Der vormals überwucherte steile Pfad hinauf ist zur Hälfte saniert und abgesichert, für den restlichen Weg fehlt derzeit noch das Geld. Die Wittgenstein-Stiftung in Skjolden hat international mit Mühe Sponsoren aufgetrieben, die Mitglieder arbeiten unentgeltlich, die Studenten finanzieren sich ihre Reisen selbst. Leute wie der Schriftsteller Jostein Gaarder und Jon Fosse beteiligen sich, doch bis zum Ziel der, wie Rostvik schätzt, höchstens 800.000 Euro Projektsumme, ist der Weg noch steil. Dennoch soll das Haus kommendes Jahr fertig sein.

Es mutet befremdlich an, dass diesem Projekt an einem Ort, den die Einheimischen bis heute Østerrike nennen, bis dato keinerlei österreichische Zuwendung jedweder Art zuteil wurde. Den vormaligen Botschafter in Oslo schien es nicht zu interessieren, doch mit seinem Nachfolger Wilhelm Maximilian Donko könnten die Häuschenbauer möglicherweise einen tatkräftigeren Verbündeten zur Seite haben. Er sei kein Architekturspezialist, meinte er, doch werde er sich das Projekt nun genauer anschauen.

„Die Arbeit an der Philosophie ist, wie vielfach die Arbeit an der Architektur, eigentlich mehr die Arbeit an einem selbst, an der eigenen Auffassung, daran, wie man die Dinge sieht und was man von ihnen verlangt“, schrieb Wittgenstein. Österreich hat 1975 das international vielbewunderte Haus in Wien, das der Philosoph für seine Schwester gebaut hatte, an Bulgarien verkauft. Das war schon schändlich genug. Vielleicht ergibt sich nun eine winzige Wiedergutmachung, eine kulturelle Rehabilitation. Des Landes, nicht des Philosophen.

Spectrum, Sa., 2018.07.07

23. Juni 2018Ute Woltron
Spectrum

Eine fruchtbare Romanze

Es war einmal eine kleine Villa an der Copacabana, im Besitz der Republik Österreich – ein letztes Monument der Moderne. 2012 wurde das „Rosa Haus“ verkauft, heute steht dort das Hotel Emiliano – ein würdiger Nachfolgebau samt innovativem Sonnenschutzsystem.

Es war einmal eine kleine Villa an der Copacabana, im Besitz der Republik Österreich – ein letztes Monument der Moderne. 2012 wurde das „Rosa Haus“ verkauft, heute steht dort das Hotel Emiliano – ein würdiger Nachfolgebau samt innovativem Sonnenschutzsystem.

Wo, wenn nicht in der Architektur, kann man sich anschaulicher auf die Suche nach der verlorenen Zeit begeben, kann dem Geist untergegangener Epochen unmittelbar nachspüren und so das Gestern mit dem Heute gedanklich verknüpfen? Nicht alle alten Häuser sprechen eine sympathische Sprache, aber manche von ihnen doch, und meistens erzählen sie uns grundlegende Geschichten. Sie berichten aus der Zeit, in der sie gebaut wurden, von den Menschen, die sie in Auftrag gaben, die sie bewohnten, und von den Architekten, die sie entwarfen.

Lange Zeit besaß die Republik Österreich eines dieser Kleinodien - eine schmale Villa, die seit Mitte der 1920er-Jahre am Strand der Strände stand, direkt vorne an der Wasserlinie der Copacabana in Rio de Janeiro. Ab 1929 waren darin abwechselnd die österreichische Gesandtschaft, die Botschaft und zuletzt das Generalkonsulat untergebracht. Im Jahr 2012 verkaufte die Republik im Rahmen des allgemeinen Familiensilberverscherbelns schließlich auch das „Rosa Haus“ am anderen Ende der Welt an einen Immobilieninvestor. Der legte dafür wenig überraschend die stattliche Summe von 11,87 Millionen Euro auf den Tisch, weil es ihm natürlich nicht um das historische Gebäude ging, sondern um die etwa 1000 Quadratmeter Grund und Boden, auf dem es inmitten dichtester Bebauung stand.

Als der Architekt Julio de Abreu Junior das Häuschen für den 1865 auf dem Gebiet des heutigen Tschechien geborenen, nach Brasilien ausgewanderten Kaffee-Exporteur Hugo Ornstein plante, war die Avenida Atlântica gerade einmal ein Sträßchen, und die Atlantikwellen schäumten noch ungebändigt weit hinauf an den Strand. Die heute weltberühmte Skyline war noch nicht einmal als Ahnung vorhanden. Lediglich die historistische Prunkarchitektur des damals ebenfalls gerade fertiggestellten Hotels Copacabana Palace deutete auf eine möglicherweise glamouröse Zukunft dieses gottgeküssten Stadtstreifens zwischen Meer und Granitfelsen hin. Im Vergleich zum schnörkelreichen Hotelkasten war das zweigeschoßige Häuschen eine Winzigkeit, und doch war es etwas Besonderes. Denn im Gegensatz zu dem bereits zu seiner Entstehungszeit der Vergangenheit huldigenden Copacabana Palace, heute übrigens immer noch das erste Haus am Platz, war es als eines der ersten an der Strandpromenade dem neuen Zeitgeist der Moderne verpflichtet. Als zierlicher kleiner Kubus, rosa angepinselt, stand es da, hielt sozusagen fast hundert Jahre lang als eines der ersten, später als letztes verbliebenes Monument der Moderne die Stellung, wie ein Zwergenhäuschen zwischen all den Hochhäusern, die es über die Jahrzehnte von allen Seiten mächtig zu beschatten begannen.

Sein vormaliger Besitzer und Bauherr Hugo Ornstein, ein offenbar umtriebiger, kunstsinniger Geselle, der zum Generalkonsul der österreichischen Republik ernannt wurde, starb 1936. Laut dem Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes stand die Immobilie bereits ab 1931 im Bundeseigentum, doch die Wertschätzung verlor sich über die Jahre. Und da es Immobilieninvestoren gewöhnlich nicht um die Architektur der Moderne geht, sondern um Filetstücke im Fleisch der Stadt, wurde das Häuschen abgerissen. Nun ist es endgültig Vergangenheit, und seine Geschichte wird sich im Treibsand der Zeit verlieren.

So weit der Nostalgieausflug ins Gestern, doch nun zurückgehüpft ins Heute: Obwohl brasilianische Kunst- und Architekturhistoriker sowie viele Bewohner der Copacabana den Verlust des charmanten Rosa Hauses betrauern, erwidert den Jammer zumindest eine erfreulich qualitätsvolle Architektur. Die Baulücke zeigt sich mit Würde und Eleganz mit einem Gebäude befüllt, das seinerseits nicht auf die Vergangenheit vergisst, sondern dem bereits Gedachten, Geplanten und für gut Befundenen in zeitgenössischer Interpretation huldigt.

Das Hotel Emiliano, davon ist sein Architekt, der US-Amerikaner Chad Oppenheim, überzeugt, befindet sich in der „bei Weitem schönsten Stadt der Welt“. Sein Entwurf sei „das Resultat einer Liebesbeziehung zu Rio“, der Stadt, die „das harmonische Zusammenspiel zwischen Mensch und Landschaft zelebriert“. Die Romanze erwies sich als fruchtbar. Die eigenwillige, doch gar nicht eitle Fassade des Hotels schmiegt sich harmonisch zwischen die benachbarten Wohnhäuser aus den 1950er-Jahren und nimmt dabei eine Idee auf, die Le Corbusier seinerzeit perfektionierte, jedoch in Rio erstmals in den 1930er-Jahren in einem gemeinsam mit Lucio Costa, Affonso Eduardo Reidy, Roberto Burle Marx und am Rande auch Oscar Niemeyer geplanten Ministeriumsgebäude ins historische Zentrum der Stadt stellte.

Die geschickt strukturierte Fassade des Palácio Gustavo Capanema schirmt sein Inneres mittels fixer vertikaler Betonscheiben sowie vorgesetzter, beweglicher, horizontaler Lamellen gegen die Tropensonne ab. Dieses Brise Soleil genannte System sorgt mit wenig Aufwand für Kühle, und Chad Oppenheim interpretierte es für das Hotel Emiliano mit vertikal verschiebbaren, geschoßhohen Fassadenpaneelen um. Die Gäste können die vorgesetzten Scheiben nach individuellen Bedürfnissen einstellen, was der Fassade eine fröhliche Lebhaftigkeit verleiht. Zwölf Geschoße beherbergen 90 Hotelzimmer sowie die erforderlichen Infrastrukturen wie Konferenzräumlichkeiten, Bars und – für ein Fünfsternehaus an der Copacabana unerlässlich – eine prachtvolle Pool- und Dschungellandschaft auf dem Dach. Für die elegante Innenausstattung zeichnet der brasilianische Architekt Arthur Casas verantwortlich, und auch der verneigt sich mit zeitgenössischem Knicks vor seinen Vorgängern, allen voran vor Landschafts- und Gartenarchitekt Roberto Burle Marx, der der Copacabana in den 1970er-Jahren ihr charakteristisches Pflastermuster gab.

Casas mixte klassisches brasilianisches Möbeldesign gekonnt mit eigenen Entwürfen, legte Bedacht auf lokale Materialien wie Hölzer und Steine und holte die Wellenlandschaft der Berge und Strände Rios mit geschwungenen Wandelementen und tropisch überwucherten Wänden in das Gebäudeinnere. Chad Oppenheim sagt, gemeinsam wollten sie die „Essenz Rios einfangen“ und die Gäste mit allem verwöhnen, was die Stadt zu bieten hat, mit „ihrem Geist, der Lebenslust ihrer Einwohner, der Liebe zur Natur und den majestätischen Ausblicken“. Auch am anderen Ende der Copacabana hat sich eine der raren Baulücken aufgetan und wird eben mit einem luxuriösen Wohngebäude befüllt. Der Entwurf dazu stammt von der 2016 verstorbenen Architektin Zaha Hadid. Auch in diesem Gebäude sind Anklänge an das seinerzeit in Rio etablierte Brise-Soleil-Prinzip erkennbar – wenngleich in exaltierter, doch etwas eitler Manier.

Spectrum, Sa., 2018.06.23

19. Mai 2018Ute Woltron
Spectrum

Karl Schwanzer: Avantgardist in der engstirnigen Nachkriegszeit

In den 27 Jahren, in denen er sein Architekturbüro führte, entstanden an die 600 Projekte; viele davon in eine Zukunft gedacht, die damals in Österreich noch gar nicht angebrochen war. Zum 100. Geburtstag eines begeisternd Begeisterten.

In den 27 Jahren, in denen er sein Architekturbüro führte, entstanden an die 600 Projekte; viele davon in eine Zukunft gedacht, die damals in Österreich noch gar nicht angebrochen war. Zum 100. Geburtstag eines begeisternd Begeisterten.

Manchmal tauchen Menschen im Zeitengewühl auf, die sind so voll Kraft und Ideen, dass sie sich freischwimmen und – zumindest für eine Zeit lang – den gewaltigen Strudeln und Strömungen des Geschehens eine neue Richtung geben können. Ein solcher Mensch war der Wiener Architekt Karl Schwanzer. Da die Architektur jedoch eine vergleichsweise unbedankte, ja missachtete Disziplin ist, üblicherweise mehr geschimpft als gelobt und bedauerlicherweise oft völlig missverstanden, geriet er weitgehend in Vergessenheit.

Kommenden Dienstag jährt sich Karl Schwanzers Geburtstag zum 100. Mal, und kommende Woche wird, 43 Jahre nach seinem Tod, endlich sein umfangreicher Nachlass dem Wien Museum und damit einer Institution übergeben, die ihn würdigen und in entsprechendem Rahmen der Öffentlichkeit präsentieren kann. Auf diese noch zu planenden, doch mit Sicherheit bevorstehenden Ausstellungen dürfen wir uns freuen. Denn die heute aus dem Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit fast verschwundene Architektenpersönlichkeit im Großformat legte von den 1950er- bis Mitte der 1970er-Jahre gewissermaßen das Fundament, auf dem eine neue, unbedingt der Zukunft und nicht der Vergangenheit verpflichtete österreichische Architektur aufbauen konnte.

Möglicherweise kennt man Karl Schwanzer noch als den Architekten des Philipps-Hauses auf dem Wienerberg und der Wiener Universität für angewandte Kunst, als den Erbauer der Münchner BMW-Zentrale und des sogenannten Zwanzigerhauses neben dem Wiener Hauptbahnhof. Tatsächlich ist Schwanzers Œuvre jedoch gewaltig, wenn auch zu einem guten Teil nur noch in Plänen und Fotografien erhalten: In den 27 Jahren, in denen er sein Architekturbüro führte, entstanden an die 600 Projekte, die es wieder zu entdecken gilt – viele davon erstaunlich modern, in eine Zukunft gedacht, die damals in Österreich noch gar nicht angebrochen war.

Seine wahrscheinlich größte Leistung vollbrachte er aber als Architekturlehrer in den 15 Jahren, in denen er an der Technischen Hochschule in Wien als Professor für Entwerfen mit seinem legendären blauen Buntstift die kommende Planerriege disziplinierte und zu äußersten Leistungen anspornte. Schwanzers Persönlichkeit ist Legende – seine Zornausbrüche, sein Aufbrausen, aber auch seine Sachlichkeit und sein Zulassen von Ungewohntem, Neuem. Sein Lehrstuhl wurde zu einem Kristallisationspunkt für avantgardistisches Denken in einer engstirnigen Nachkriegszeit. Er prägte mit brachialer Energie und einer unbedingten Begeisterung für ein neues Bauen eine ganze Architektengeneration, deren Kinder und Enkel auch heute noch, oft unbewusst, von seinem Geist profitieren.

„Wir haben zu ihm aufgeschaut“

„Wie man ihn so vergessen konnte, ist ein Rätsel und ein Zeichen größter Ignoranz“, sagt etwa Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au. Die Architektur begehe stets den Fehler, nicht auf den Schultern ihrer Vorgänger stehen zu wollen, zu glauben, alles neu erfinden zu müssen, und beginne dessentwegen immer wieder von vorne. Schwanzer praktizierte tatsächlich das genaue Gegenteil: Er holte die Weltarchitektur nach Wien, präsentierte sie seinen Studenten, ließ Experimente zu, ja verlangte sie nachgerade, und verpflichtete Freigeister und Querdenker wie den legendären Günther Feuerstein als Assistenten.

„Er war ein Gott“, stellt sein ehemaliger Student und Mitarbeiter Peter Holzer fest: „Wir haben zu ihm aufgeschaut wie zu einem Messias.“ Als er auftauchte, so meint Holzer, sei ein Raunen durch die Hörsäle gegangen, in denen bis dahin die ultrakonservative Baumeistertradition der Vorkriegszeit den miefigen Ton angegeben hatte. Der Architekt Timo Huber erinnert sich an Schwanzer als „wuchtige Persönlichkeit, groß und schwer und sehr neugierig“, und beschreibt die Technische Hochschule von damals als „grauen Haufen“: „Da hat es in den Köpfen vieler Professoren noch nach faschistischem Gedankengut gestunken, und plötzlich ist einer dahergekommen, der das alles weggewischt und uns ganz neue Welten eröffnet hat.“

Schwanzer ließ seinen Studenten den frischen Wind der Internationalität um die neugierigen Nasen wehen und brachte ihnen darüber hinaus pragmatische Grundsätze des Architekturschaffens bei: Wie schauen sinnvolle Organisationsstrukturen von Architekturbüros aus? Wie wickelt man Großprojekte mit größtmöglicher Professionalität ab? Welche Strategien zur Durchsetzung von Projekten führen zum Erfolg?

Vor allem Letzteres, so Wolf Prix, habe er von ihm gelernt. Als Schwanzers Wettbewerbsprojekt für den Neubau der BMW-Zentrale in München, vom Volksmund liebevoll Vierzylinder genannt, auf der Kippe stand, weil sich kein Mensch vorstellen konnte, wie man in runden Räumen würde arbeiten können, mietete er kurzerhand ein Filmstudio, baute ein Büro als Kulisse naturgetreu nach, setzte Komparsen an die Schreibtische und ließ einen Film drehen. Den präsentierte er den BMW-Granden, ließ sie virtuell durch ihr neues Gebäudereich spazieren, überzeugte sie damit und bekam im Dezember 1967 den Zuschlag, eines der bis heute wichtigsten Nachkriegsgebäude Deutschlands zu bauen.

Als er von der Beauftragung erfuhr, war er gerade auf dem Weg in den Hörsaal. „Heute“, rief er seinen Studenten zu, „ist Weihnachten!“ Wolf Prix war dabei, und er merkte sich diesen Moment gut. Als er sich gut 30 Jahre später in der gleichen Situation wiederfand und erkannte, dass auch der nun entscheidende BMW-Vorstand allein aufgrund der Pläne keine Vorstellung vom Coop-Himmelb(l)au-Projekt für die neue BMW-Welt bekam, mietete auch er eine Fabrikhalle, ließ ein Großmodell bauen und filmen, bekam den Auftrag und richtete wenig später seinen eigenen Studenten posthum Schwanzers Grußbotschaft aus: „Niemals sollst du aufgeben, die Auftraggeber zu überzeugen!“

Schwanzer selbst hatte immer schon gewusst, dass er Architekt werden wollte. Bereits als Kind, so schrieb er in seinem 1973 erschienenen Buch „Architektur aus Leidenschaft“, war es eine seiner liebsten Beschäftigungen, „Traumschlösser“ zu zeichnen. Im Alter von 16 Jahren entwarf er ein Häuschen für die Familie. „Es war etwa die Zeit der Werkbundausstellung in Wien, durch die mir Architektennamen – wie Le Corbusier, Neutra, Josef Hoffmann und andere – erstmals bekannt wurden.“ Nach seinem Studium heuerte Schwanzer beim damals sehr erfolgreichen Architekten und Architekturlehrer Oswald Haerdtl an und arbeitete sowohl in dessen Büro als auch als sein Assistent an der Hochschule für angewandte Kunst. Haerdtl vertraute dem Jungspund offenbar, denn er schickte ihn bereits 1946 nach Paris, um dort den Pavillon für eine österreichische Messebeteiligung zu bauen, nahm ihn mit zum Schweizer Werkbund, zur Architekturausstellung in Chicago, auf die Architekturbiennale in Venedig, ermöglichte es ihm, erste internationale Anker auszuwerfen und wichtige Kontakte zu knüpfen.

„Das Reisen“, so erinnert sich Schwanzers Sohn Martin, „war zeitlebens extrem wichtig für ihn, und er kam immer mit neuen Ideen zurück.“ Unterwegs sei er ein ganz anderer Mensch gewesen – neugieriger, lustiger, aufgeschlossener, lockerer. „Doch schon im Anflug auf Wien, wo all die Sachzwänge auf ihn warteten, hat sich der Vater wieder stark verändert.“ Diese Lust am Internationalen, am Spielerischen konnte Schwanzer vor allem als Architekt temporärer Architekturen gekonnt ausleben. Zu den im Nachlass dringend zu entdeckenden Kleinodien zählen seine zahlreichen Messe- und Pavillonarchitekturen, die er, wiederum seiner Zeit weit voraus, von professionellen Fotografen dokumentieren ließ.

Gut in Erinnerung sind zwar seine Pavillons für die Weltausstellungen, etwa der von 1958 in Brüssel, der mit dem Grand Prix d'Architecture ausgezeichnet und später als Zwanzigerhaus im Wiener Schweizergarten wieder aufgestellt wurde. Doch in den von Martin Schwanzer und Mirko Pogoreutz nun jahrelang sortierten, geordneten und digitalisierten Unterlagen finden sich erstaunliche, bisher kaum je gesehene Messearchitekturen, die dringend wieder hervorgekramt und veröffentlicht werden müssen.

Wenig bekannte Geschäftslokale

Eine entsprechende, voluminöse Publikation mit diesen historischen Fotografien, so Martin Schwanzer, ist in Arbeit und wird in nicht allzu ferner Zukunft präsentiert. Darin ebenfalls zu sehen: Schwanzers Möbelentwürfe, wenig bekannte, doch hochelegante Geschäftslokale, öffentliche Bauten wie Kindergärten, Kirchen, Wohnanlagen und Pensionistenheime sowie Extravagantes wie die Botschaft in Brasília und schlichte, doch beeindruckende Industriebauten wie das Zementwerk in Mannersdorf.

Erst wenn Schwanzers Werk in seinem breiten Spektrum zur Gänze ausgeleuchtet daliegt, werden eine umfassende Analyse, eine wissenschaftliche Aufarbeitung und gründliche Würdigung möglich sein. Bis dahin bleibt er zumal in der Erinnerung seiner Schüler quicklebendig. Etwa als respektgebietender Professor, der im akkuraten Anzug samt Stecktuch in eine wilde, aufblasbare Skulptur von Coop Himmelb(l)au kriecht und sich dort drinnen von diversen Gerüchen umströmen lässt. Als eleganter Chauffeur seines weißen Lancia-Coupés, mit dem er sich mit quietschenden Reifen ungeniert auf dem eigentlich autofreien Hof der Hochschule einparkt. Als, wie es Architekt Laurids Ortner ausdrückt, „wilder Mann, der Polierpläne zum Frühstück frisst und abends fertige Häuser ausspuckt“. Und als einer, dem scheinbar nichts zu blöd war, wenn es um das Ausloten von Neuem ging.

Als Timo Huber und die Kollegen der Gruppe Zünd-Up das Entwurfsprogramm für eine Tiefgarage zum Anlass nahmen, bereits 1969 auf die Problematik des Autoverkehrs in Kombination mit der Faszination des Motors hinzuweisen, baten sie Schwanzer kurzerhand zu ihrem „Great Vienna Auto-Expander“ in die Tiefgarage am Hof. Dort erläuterten sie das Projekt, Schwanzer stellte sachliche Fragen, es entspann sich eine gute Diskussion, während rundherum 40 Harley-Davidsons mitsamt bärtigen Lenkern in Lederjacken Aufstellung nahmen. Unter dem „Röhren des Jahrhunderts“ nahm der Professor schließlich würdevoll auf einer der Maschinen Platz und drehte mit dem Fahrer eine Runde.

Karl Schwanzer nahm sich 1975 das Leben, doch seine Lehre und sein Werk werden auch künftig, nun möglicherweise wieder verstärkt, weiterwirken.

Spectrum, Sa., 2018.05.19

30. April 2018Ute Woltron
Die Presse

Wie Beton Monster schuf und zum Tanzen anfing

Eine großartige Erfindung der Menschheit ist zu Unrecht in Verruf: der Beton und die Architekturexperimente, die er ermöglicht. Über die Beduinen als Pioniere, ein Monster im alten Rom – und warum hauchzarte Betonbauten eine Sache des Klimas sind.

Eine großartige Erfindung der Menschheit ist zu Unrecht in Verruf: der Beton und die Architekturexperimente, die er ermöglicht. Über die Beduinen als Pioniere, ein Monster im alten Rom – und warum hauchzarte Betonbauten eine Sache des Klimas sind.

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Kulturzentrum Mattersburg

15. Juni 2016Ute Woltron
Die Presse

Kieslers Vision: Spannungen im freien Raum

„Friedrich Kiesler. Lebenswelten“ gibt einen ansehnlichen Überblick zum Werk des Künstlers. Die Ausstellung lässt die erstaunlich zeitgemäße Denk- und Arbeitsweise eines avantgardistischen und eigenwilligen Geistes nachvollziehen.

„Friedrich Kiesler. Lebenswelten“ gibt einen ansehnlichen Überblick zum Werk des Künstlers. Die Ausstellung lässt die erstaunlich zeitgemäße Denk- und Arbeitsweise eines avantgardistischen und eigenwilligen Geistes nachvollziehen.

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26. Mai 2016Ute Woltron
Die Presse

Die Architektur sucht ihre Rolle in der Welt

Bei der 15. Architektur-Biennale steht der Umgang mit Krisen aller Art im Vordergrund. Der österreichische Pavillon zeigt Interventionen in drei Flüchtlingsunterkünften Wiens, die nach der Schau weiterleben sollen.

Bei der 15. Architektur-Biennale steht der Umgang mit Krisen aller Art im Vordergrund. Der österreichische Pavillon zeigt Interventionen in drei Flüchtlingsunterkünften Wiens, die nach der Schau weiterleben sollen.

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31. März 2016Ute Woltron
Die Presse

Die Kalligrafin der Architektur: Zaha Hadid ist tot

Die britisch-irakische Architektin Zaha Hadid hat die Schönheit der arabischen Schriftzeichen in ihre expressiven Gebäude übersetzt. Sie erlag am Donnerstag im Alter von 65 Jahren einem Herzinfarkt.

Die britisch-irakische Architektin Zaha Hadid hat die Schönheit der arabischen Schriftzeichen in ihre expressiven Gebäude übersetzt. Sie erlag am Donnerstag im Alter von 65 Jahren einem Herzinfarkt.

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Hadid Zaha M.

05. September 2015Ute Woltron
Spectrum

Mehr Ort als Haus

Wer durch das verglaste Portal in eines der großzügigsten und schönsten Foyers der Bundeshauptstadt tritt, wird sofort von der Geschichte des Ortes umfangen. Ein Spaziergang durchs altehrwürdige Wiener Funkhaus – samt Hinweis auf einen neuen Text-Bild-Band.

Wer durch das verglaste Portal in eines der großzügigsten und schönsten Foyers der Bundeshauptstadt tritt, wird sofort von der Geschichte des Ortes umfangen. Ein Spaziergang durchs altehrwürdige Wiener Funkhaus – samt Hinweis auf einen neuen Text-Bild-Band.

Dem Funkhaus in der Wiener Argentinierstraße mit einer Beschreibung gerecht werden zu wollen ist ein kühnes Unterfangen – denn was beschreibt man? Die Architektur? Die Stimmung, die das Haus in sich trägt? Die Mediengeschichte, die hier geschrieben, oder besser, produziert wurde? Das Funkhaus ist ein charismatischer, eigenwilliger Ort, ein Stück Geschichte der Republik Österreich. Seit 80 Jahren atmen diese Mauern journalistische Professionalität und Kultur. Im Funkhaus gingen und gehen die Größen des Kulturgeschehens ein und aus. Dirigenten, Musiker, Schauspieler, Philosophen und Literaten geben einander täglich die Türklinke in die Hand, um sich interviewen zu lassen, an Livesendungen teilzunehmen oder um diversen Programmen ihre schönen Stimmen zu leihen.

So hat sich in dem Gebäude eine einzigartige Aura entwickelt. Man spürt sie nicht nur in der lässigen Bespielung des Hauses, etwa mit historischen Radio-Artefakten aller Art. Man spürt sie auch an den Menschen, anden Journalisten und Gästen, kurzum an den „Bewohnerinnen und Bewohnern“, die den Geist des Gebäudes pflegen. Wer durch das verglaste Portal in eines der großzügigsten und schönsten Foyers der Bundeshauptstadt tritt, wird von der über die Zeiten in die Gegenwart getragenen Geschichte des Ortes augenblicklich umfangen.

Hell, geräumig, mit poliertem Stein, Metall und Holz ausgeführt, an der Flanke mit einem prachtvollen Treppenaufgang ausgestattet, der die in den oberen Geschoßen gelegenen Studios und Redaktionsräume auf das Freundlichste mit dem halb öffentlichen Besucherbereich im Erdgeschoß verbindet, zeigt das Gebäude innen eine erstaunliche Transparenz, die man angesichts der strengen Fassade in der Argentinierstraße nicht vermuten würde. Und es ist immer etwas los, ein Kommen, Gehen, Verweilen – das Haus ist fast rund um die Uhr Zentrum unterschiedlichster Begegnungen.

Möglicherweise ist das der Kern dessen, was seinen Reiz ausmacht: die unverschämt praktische Lage im Herzen der Stadt und die in Schönheit und Würde gealterte Architektur, die in hellen Stiegenhäusern, in Gängen, auf Podesten und selbst noch auf den Hintertreppen jene nonchalante Großzügigkeit ausstrahlt, die in so vielen modernen Büroschachtelställen erfolgreich erstickt wurde. Wo andernorts Begegnungen in fensterlosen, nach minimalistischen Bauvorschriften dimensionierten Kaffeeküchen stattfinden, in meist charakterlosen Sitzungsräumen, läuft man sich im Funkhaus ständig über den Weg. Für Journalisten, die davon leben, sich auszutauschen, Informationen schnell weiterzugeben und zu einem Beitrag oder einer Sendung zu formen, ist diese Art der Kommunikationsmöglichkeit ideal.

Im Vergleich zu einem zeitgenössischen Nutzbau nimmt sich dieses herrlich kantige Haus tatsächlich aus wie eine stimmgewaltige und ihr Fach über alle Oktaven hinweg souverän beherrschende Koloraturdiva gegen ein Schlagersternchen: Gediegenheit in Glas, Stein, Metall gegen Wegwerfplastik. Insbesondere in den öffentlich zugänglichen Räumen beherrscht das Gebäude die große Geste, weshalb diese Teile auch zu Recht unter Denkmalschutz gestellt sind.

Im Gegensatz zu Denkmälern allerdings, denen man ihren ursprünglichen Zweck entzogen hat und die in traurig musealer Staubigkeit dem Ende aller Tage entgegendämmern, ist das Funkhaus ein lebendiger, benutzter Ort geblieben. In fußläufiger Nähe zur Wiener Innenstadt gelegen, ist die Adresse Argentinierstraße 30a beliebte Anlaufstelle für Veranstaltungen – im Großen Sendesaal, im RadioCafe, im Studio 3 und im Klangtheater. Der im Erdgeschoß gelegene Große Sendesaal ist dabei Herzstück des Hauses. Vor und nach Veranstaltungen und Konzerten treffen einander nebenan im RadioCafe Journalisten, Musiker, Künstler. Die Architektur unterstützt diesen Austausch, ja, ermöglicht ihn erst.

Das Funkhaus wurde als „Radiokulturhaus“ im Jahr 1938 als erstes seiner Art in Österreich fertiggestellt. Damals war es der modernste Radiobau seiner Zeit, heute ist es der Urahn aller Sendegebäude des ORF. Den 1935ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewannen zwar die Architekten Heinrich Schmid und Hermann Aichinger. Den Vorsitz der Jury hatte allerdings mit Clemens Holzmeister einer der durchsetzungskräftigsten Architekten seiner Zeit inne. Er war letztlich derjenige, der dem Wettbewerbsprojekt den letzten Schliff verpasste und den Auftrag schließlich sogar selbst übernahm.

Die heutige Architekturkritik würde das Bauwerk als Monument der frühen Moderne bezeichnen, als wuchtigen Gebäudeblock, der geschickt in das Stadtgewebe eingenäht wurde. Die Hauptfassade ein Stück von der Straße zurückzusetzen war eine kluge Entscheidung, denn auf diese Weise wurde ein geräumiger Vorplatz ausgebildet, der die Bedeutung des Gebäudes zu unterstreichen scheint und der einmal mehr eine Begegnungsfläche für hier Ein- und Ausgehende bildet.

Ursprünglich befand sich auch zwischen den beiden Hauptgebäuden ein geräumiger Hofplatz. Als das Haus in den 1970er-Jahren aus allen Mauerritzen zu platzen drohte, entschloss man sich zu einem Erweiterungsbau (1979–1983) an dieser Stelle. Ausgeführt wurde die Ergänzung großen Formats vom Holzmeister-Schüler Gustav Peichl. Ihm gelang es,die alte Bausubstanz geschickt mit der neuen zu verknüpfen. Der viergeschoßige Erweiterungsbau ist in jedem Stockwerk mit dem Bestand verzahnt. Verglaste Verbindungsgänge sorgen für möglichst kurze Wege zwischen Redaktionen und Newsroom.

Obwohl Peichl seine Innenräume mit der ihm damals eigenen postmodern angehauchten Architektursprache formulierte, verbeugte er sich in der Fassadengestaltung mit erstaunlicher Bescheidenheit vor seinem Lehrer. Er nahm die modulare Fensteranordnung des Bestandes auf, unterbrach die Monotonie jedoch mit einer Reihe halbrunder Fenster und gliederte so das Neue respektvoll in das Alte ein.

Wesentlicher Grund für den die Zeiten überdauernden Charme des Funkhauses sind die zahlreichen gut durchdachten und schön gearbeiteten kleineren Elemente, die wunderbaren Geländer in den Stiegenhäusern, die unterschiedlichen Beleuchtungskörper und viele weitere Details, die man im Einzelnen wohl selten beachtet, die jedoch in Summe ein elegantes und liebenswürdiges Ensemble bilden.

Die Fotografin Hertha Hurnaus hat das Funkhaus mit der Kamera porträtiert wie eine Persönlichkeit und ebendiese vielen Details und Materialien, die Lichtspiele und Atmosphären eingefangen. Als Spaziergang durch dieses hoffentlich noch lange quicklebendige Haus sollte das Buch „Funkhaus Wien“ auch verstanden werden.

Spectrum, Sa., 2015.09.05

06. Juni 2014Ute Woltron
Die Presse

Venedig: Wenig Architekten, viel Architektur

Rem Koolhaas hat eine Architekturbiennale kuratiert, auf der das übliche schrille Stargetue der Branche fehlt. Die „Presse“ führte er durch seine „Elements of Architecture“, in der man viel über Dächer, Heizungen, Klos etc. lernen kann.

Rem Koolhaas hat eine Architekturbiennale kuratiert, auf der das übliche schrille Stargetue der Branche fehlt. Die „Presse“ führte er durch seine „Elements of Architecture“, in der man viel über Dächer, Heizungen, Klos etc. lernen kann.

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05. Juni 2010Ute Woltron
Der Standard

Wir fahren. Bis ans Ende der Welt

Wenn ein Autobauer wie Audi internationale Architekten nach der Mobilität der Zukunft befragt, darf man sich nicht wundern, wenn nachher wieder nur Autos rauskommen.

Wenn ein Autobauer wie Audi internationale Architekten nach der Mobilität der Zukunft befragt, darf man sich nicht wundern, wenn nachher wieder nur Autos rauskommen.

Keine Frage, alles ist High Class hier. Alles toll organisiert. Alle sind ganz aufgeregt und aufgekratzt: Audi, eine der Supermarken der deutschen Industrie, hat zur ersten Präsentation des soeben ins Leben gerufenen Audi Urban Future Award nach London geladen. Die Endergebnisse sollen dann im Rahmen der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig gezeigt werden.

Aber erst einmal will man der Medienwelt einen Eindruck der allerersten Überlegungen der sechs aus aller Welt zusammengeklaubten Architektenteams zum Thema Mobilität und Stadt der Zukunft liefern. Die deutschen Organisatoren des Awards, Stylepark, haben Alison Brooks Architects, London, BIG - Bjarke Ingels Group, Kopenhagen, Cloud 9, Barcelona, Diller Scofidio+Renfro, New York, Jürgen Mayer H., Berlin und Standardarchitecture, Peking ausgewählt.

Die von den Architekten zu beantwortenden Fragen lauten laut Hochglanzbooklet so: „Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Erlaubt nachhaltige Mobilität überhaupt noch individuelle Fortbewegung? Werden die Menschen ihre mobilen Ansprüche zurückschrauben?“

Rupert Stadler, der diese Fragen zur Einstimmung formuliert hat, ist als selbstbewusster Audi-Boss von Zweifeln jedweder Art selbstredend verschont. Sein Unternehmen hat im ersten Quartal dieses Jahres einen operativen Gewinn von 478 Millionen Euro erzielt. Der Erfolg gibt ihm also recht, zumindest wenn das Bewertungstool für Erfolg, so wie üblich, die Bilanz ist. Und deshalb gibt Stadler, bevor es eigentlich so richtig losgeht mit dem an die Architekten dekretierten Nachdenken darüber, ob es tatsächlich überhaupt Automobile sein werden, die uns in der Zukunft von A nach B transportieren, sicherheitshalber gleich selbst die Antworten:

„Wir bei Audi sind überzeugt: Das Zeitalter der individuellen Mobilität hat gerade erst begonnen. In vielen aufstrebenden Märkten erfüllen sich immer mehr Menschen erstmals den Traum eines eigenen Automobils. Und in den westlichen Ländern wollen die Menschen auf die gewohnten Freiheiten, die die individuelle Mobilität ihnen schenkt, nicht verzichten.“

Der Wahrheitsgehalt des zweiten Teils dieser Antworten ist unbestritten. Der erste das an Arroganz grenzende Wunschdenken des erfolgsgewohnten Industriekapitäns und zugleich der Albtraum dieser Welt. Der Kfz-Bestand weltweit wird heuer die Milliardengrenze überschreiten, insbesondere in Asien verzeichnet man Wachstumsraten von knapp unter 50 Prozent. Bis 2030, so die für Autobauer wie Audi naturgemäß erfreulichen, für den Rest der Menschheit jedoch eher grimmigen Prognosen, sagen einen Kfz-Bestand von bis zu drei Milliarden voraus. In Indien wird sich der Bestand privater Pkws verdreifachen, in China verzehnfachen.

Worüber, stellt sich also die Frage, reden wir heute hier im schönen London überhaupt? Darüber, wie Städtebau, Architektur, Mobilität künftig ausschauen sollen, wollen wir überleben? Oder darüber, wie Audi in den Hoffnungsmärkten Indien, China, Brasilien künftig noch mehr Autos verkaufen kann?

Denn dass einer der Schlüssel zu einer ökologisch intelligenteren Zukunft die Verbannung des Automobils gerade aus den Städten ist, in denen mittlerweile mehr als 50 Prozent der Menschheit leben, steht in Kreisen derjenigen, die nicht gerade vom Autoverkaufen leben, außer Zweifel. Und die Zunft der Architektur gehört normalerweise zu jenen, die dieses Anliegen propagieren. Warum zitiert denn auch die Hochglanzbroschüre so reichlich aus exakt jenen Fachpublikationen, die diese Thesen wissenschaftlich fundiert aufbereiten? Welch eigenartigen Spagat versucht man hier aufs Parkett zu legen?

Tatsächlich einen, der noch nicht so recht gelingt. Doch bis zur Biennale sind es ja noch drei Monate, und bis dahin werden sich die Architekten noch manch hübsches Rendering, manch elegante Animation einfallen lassen.

Doch jetzt legen sie einem architekturlastigen Publikum im prächtigen Royal Institute of British Architects erste Überlegungen zum Thema dar. Alison Brooks, die zwar offensichtlich besorgt ist über die automobile Zukunft, sich aber doch nicht dazu überwinden konnte, diese Besorgnis in der erforderlichen Radikalität zu formulieren, will die Automobile verkleinern und zu einem Bestandteil der Gebäude machen. Bjarke Ingels, dem der Ehrgeiz wie stets aus jeder Pore trieft, setzt auf „die Stadt des schadstofffreien, geräuschlosen und fahrerlosen Autos“, kann uns aber doch noch nicht so recht sagen, wie er die erreichen will.

Enric Ruiz-Geli von Cloud 9 begibt sich auf die Suche nach dem „einfühlsamen Auto“, einem „Airbag-Auto+Personen“ und befragt heute Achtjährige nach ihren Zukunftsvisionen. Und so weiter und so fort. Die Architekten erfinden das Auto neu. Eigentlich hätten sie sich was über die neuen Städte, die neuen Lebensweisen, die neuen Medien, Netzwerke überlegen sollen. Stattdessen scheitern sie am Problem „Erst Henne oder Ei?“. Denn, wie Stadler süffisant anmerkt: „Wie Autobauen geht, wissen wir selbst.“

Einer der sich darin besonders gut auskennt, ist Audis Chefdesigner Wolfgang Egger. Er spricht viel von Emotion. Sagt Sätze wie: „Wir investieren in die emotionelle Erlebbarkeit der Technologie.“ Keine Frage, wer sich's aussuchen kann, wird lieber einen Audi fahren als einen Tata.

Und darum geht's hier - und um nichts anderes. Wozu aber dann bitte rundherum die Weltverbesserungskarosserie?

Der Standard, Sa., 2010.06.05

19. Dezember 2009Ute Woltron
Der Standard

Archäologie des Alltags

Ilse Helbich schildert in ihrem Buch „Das Haus“, wie ein altes Gebäude und eine alte Frau, eine Städterin und das Land, zueinanderfinden.

Ilse Helbich schildert in ihrem Buch „Das Haus“, wie ein altes Gebäude und eine alte Frau, eine Städterin und das Land, zueinanderfinden.

Sie ist 65 Jahre alt, als sie beginnt, das Land zu erforschen. Allein und im Auto: „Wenn einer dann Zeit zwischen den Fingern hat, leere Stunden, kann man anfangen, herumzufahren.“

Die Zeit zwischen den Fingern. Man kann sie zerbröseln, oder man kann sie in die Hand nehmen. Im besten Fall kann man etwas daraus formen. Etwas für sich. Doch was?

Ilse Helbich hat über diese Formarbeit an der Zeit, an sich selbst - und an einem sehr alten Haus ein wunderbares kleines Buch geschrieben. Das Haus, erschienen im Literaturverlag Droschl, schildert nur vordergründig die anspruchsvollen Renovierungsarbeiten an einem fast schon aufgegebenen Gemäuer.

Denn was ist dieses Haus, das sie auf einem ihrer Streifzüge im Kamptal findet, und das verlassen und halb verfallen mitten im grünen Dschungelfilz eines jahrelang sich selbst überlassenen Gartens steht: Ist es das Kloster, das es einmal war? Ist es die Thurn & Taxis'sche Poststation späterer Jahre? Ist es das umgebaute Wohnhaus samt Wirtschaftsgebäude einer grässlichen neueren Zeit, in der man alte Fenster durch großformatige Glotzscheiben ersetzt und die feinen Proportionen der Innenräume durch Zwischenwände und anderen Unfug verletzt hat? Das Haus trägt die Jahresringe der Jahrhunderte, und sie haben ihm nicht gutgetan. Es steht da mit eingeschlagenen Zähnen und blinden Augen. Aber irgendwo ist da noch eine Persönlichkeit, die sich unter abbröckelndem Putz und zwischen den Wänden verbirgt.

Ilse Helbich lebt in dieser Zeit in Wien, sie fährt immer wieder hinaus aufs Land, zu diesem Haus, merkt, dass sie sich bereits in seinen Mauern und in ihren eigenen Bildern davon verirrt hat: „Am Grunde aller Stunden lag breit und war nicht zu überspringen das ungewisse Bild eines Hauses, das der Zwilling des vernachlässigten war, das sie jetzt immer besser kennenlernte.“

Ein Wrack von einem Haus

Irgendwann beschließt sie wider jede Vernunft, dieses Wrack von einem Haus zu kaufen und zu „retten“. „Wahrscheinlich würde jeder vernünftige Käufer das kranke Gebäude erst abreißen lassen, um es dann durch ein moderneres kleineres Haus zu ersetzen.“

Das wäre deutlich einfacher, doch was wäre dieses neue Haus? Ein Heim oder nur eine Bleibe? Was ist ein Haus überhaupt? Das, als was es uns erscheint, oder das, was wir in ihm sehen wollen? Helbich gibt auf diese scheinbar banalen Fragen gleich zu Beginn ihres unkonventionellen Textes die Antwort, die sie selbst natürlich erst nach vielen Jahren kennt, wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, wenn sie längst schon in diesem Haus wohnt.

Sie wollte, so schreibt sie, das Haus aus den „entfremdenden Verstellungen“ herausschälen, zu seiner, wie sie hofft, „reinen Gestalt, die ganz die seine ist“. Doch letztlich wird auch dieser Zustand nur ein flüchtiger, vorübergehender sein, denn das wiederhergestellte Haus ist zuletzt auch das Spiegelbild dessen, was die Bauherrin in ihm gesehen hat, und auch das nur auf gewisse Zeit. Das fertiggestellte Haus, wie es schließlich „da steht, ist ihr Haus gerade so, wie es aus seiner eigenen Macht lebt“.

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Es pflastern ihn beispielsweise diverse Architekten und Bauunternehmer, weil als Germanistin, Verlagskauffrau und Publizistin hat man selbstverständlich null Ahnung, wie und wo man überhaupt beginnen soll.

Die zu Hilfe gerufenen Architekten entwerfen stets kühner werdende Wohntürme, Balkone und Verbindungsbrücken. Die Baufirmen legen unverständliche Anbote und demonstrieren auch ein wenig Überheblichkeit. Die Bauherrin kommt sich neben den Fachleuten meist dumm und unbeholfen vor. „Das gefällt ihr nicht.“ Ilse Helbich beschreibt diese totale Verlorenheit und Unsicherheit der Laiin vor den nicht selten arroganten Fach-Männern auf eine Art und Weise, wie sie jeder angehende Architekt, jede angehende Architektin nachlesen sollte.

Denn Bauen ist nicht zuletzt Übersetzungsarbeit zwischen den Disziplinen und Menschen - ein schwieriges Stück Arbeit für alle Beteiligten. Helbich beschließt nach langer Suche, mit ein paar ausgewählten Profis, die schließlich ihr Vertrauen gewonnen haben, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Die Pläne sind weniger die Architektenzeichnungen als zuallererst die alten Fotos vom Haus, die gefunden wurden.

Dann der Startschuss: Es fallen die Zwischenwände, die Fenster werden ausgebrochen, es kracht und staubt. Im vormals stillen Haus bricht laute Hektik los. Die Autorin beschreibt ihr einigermaßen hilfloses Umherirren zwischen all den Bau-Männern, schließlich ihren Entschluss, eigenhändig zumindest den Garten in Angriff zu nehmen, um ebenfalls Aktivität demonstrieren zu können. Sicherheitshalber im allerhintersten Winkel des Areals, weil da kann ihr keiner zuschauen:

„Dort stand sie mit den neuen Geräten hilflos in all dem Schlingenden und Stechenden, das ihr bis zu den Hüften reichte. (...) Sie fing irgendwo an, sie riss, geschützt durch schwere Handschuhe, alles aus, was ihr in den Weg kam, Haufen von bösartigem Grünzeug lagen bald hinter ihr; als sie sich umschaute, waren jedoch von ihrer Rodungsarbeit kaum Spuren zu sehen.“

Helbich muss einen sehr guten Polier gehabt haben, einen, der alte Häuser mag. Der legt in einem Nebengebäude ein „Böhmisches Platzl“ frei, freut sich daran, lässt die Maurer tagelang Ziegel bürsten und Fugen verschmieren. Hebt für diese für die Arbeiter zermürbende Zeit sogar das strikte Bier-Verbot auf der Baustelle auf.

Verborgene Schächte

Viele dieser Geschichten vom im wahrsten Sinne liebevollen Umgang mit zum Teil störrischer und erst zu erkundender alter Bausubstanz erzählt die Autorin. Sie tut es aus der Sicht eines völligen Nicht-Bau-Menschen, der sich aber hingebungsvoll in das Werk hineinspürt, nichts falsch machen will, viel recherchiert, viel selbst dabei lernt - und das macht einen Teil des Reizes dieses Buches aus.

Wenn etwa scheinbar sinnlose Löcher in Kellerwänden zugemauert werden, der Keller aber wenig später zu muffeln und zu feuchteln beginnt und die Erkenntnis reift, dass mit diesen Löchern ein kluges, von keinem erkanntes Luftschachtsystem verschlossen wurde, dann hat das Haus eben wieder eines seiner unzähligen Geheimnisse preisgegeben.

Andere bleiben rätselhaft, aber auch das ist Teil der Geschichte, dass man eben nicht immer alles wissen oder erklären kann.

Genau so zäh und zurückhaltend ist allerdings auch die Landbevölkerung. Die ist tatsächlich noch schwieriger zu erkunden als das Haus. Es dauert Jahre, bis der Stadtfrau von manchen Landmenschen gestattet wird, hinter die Fassade zu blicken. Trotz alledem bleibt sie eine Zugezogene, eine Fremde. Auch als die große Überschwemmung das Dorf heimsucht, ihres sowie die Häuser der Nachbarn überschwemmt, und sie tatsächlich mehr Hilfe empfängt, als sie geben kann. Sie ist gern gemocht hier, aber sie wird nie ganz dazugehören.

Ilse Helbich ist heute 86 Jahre alt, sie lebt nach wie vor in diesem schönen, eigenwilligen Haus, das ihr gehört und von dem sie weiß, dass es „ein Haus von eigenen Gnaden“ ist: „Was sie wohl anderswo nicht ausleben konnte, hat sie ins Haus gegeben, und den Garten zu einem Stück ihrer selbst gemacht.“

Der Standard, Sa., 2009.12.19

05. Dezember 2009Ute Woltron
Der Standard

Pilotprojekt in Pink

Die scheinbar harmlose kleine Sanierung einer Bipa-Filiale in der Wiener Kärntner Straße könnte mächtig Vorbildwirkung haben. Denn hier wurde nicht „thermisch saniert“, sondern gesamtheitlich energieeffizient optimiert.

Die scheinbar harmlose kleine Sanierung einer Bipa-Filiale in der Wiener Kärntner Straße könnte mächtig Vorbildwirkung haben. Denn hier wurde nicht „thermisch saniert“, sondern gesamtheitlich energieeffizient optimiert.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, sagte Aristoteles. Daran ist bis heute nicht zu rütteln, und auch in Zeiten des Klimawandels ist es gescheit, die alte Weisheit zur Anwendung zu bringen.

Ein prächtiges Beispiel dafür ist die Sanierung von Gebäuden: Soll sie Sinn machen, geht es um die präzise Gesamtkomposition der Einzelmaßnahmen - und die ist erheblich komplizierter, als sich das Häuptlinge der Politik ausmalen.

Die tragen dieser Tage das Wort „Gebäudesanierung“ wie Wohltäter im Mund. Einerseits um zu demonstrieren, wie sehr ihnen die Klimapolitik der Nation am verantwortungsvollen Herzen liegt. Andererseits aber um die Reihen der nervös werdenden Bauindustrie rasch mit versprochenen Konjunkturpaketen zu befrieden.

Doch Geld und Dämmstoffe allein können die Welt nicht retten. Konzepte müssen her - und hier ist die Unternehmerschaft zum Teil bereits einen mächtigen Schritt weiter als die auf Heizwärmebedarf und andere Schlagworte, vor allem aber auf die hurtige Beauftragung der Bauindustrie fixierten politischen Staatsbaumeister.

Nur ein Beispiel dafür ist die eben abgeschlossene Sanierung einer Bipa-Filiale in der Wiener Kärntner Straße. Ein scheinbar kleines Projekt, doch es trägt alle Ingredienzien in sich, um zum Kristallisationspunkt für Folgeprojekte vieler weiterer Shops zu werden. Nicht nur jener von Bipa, sondern auch von solchen der Konkurrenz. Denn die schläft bekanntlich nie.

In der Filiale Kärntner Straße der Rewe-Tochter ging es nicht nur um das bestmögliche Verpacken eines Geschäfts, um den Heizwärmebedarf zu senken. Man bemühte sich vielmehr um die Perfektion der Gesamtenergieeffizienz. Und genau das muss das Ziel aller Maßnahmen sein, auch der politischen Zielvorgaben, die in diesem Bereich besser heute als morgen gesetzt werden. Die EU peilt das zwar an, doch die Umsetzung ist nicht in Sicht.

Nochmals das Zauberwort: Gesamtenergieeffizienz. Sie errechnet sich, vereinfacht gesagt, nicht nur aus der erforderlichen Heizwärme, sondern inkludiert auch jeglichen weiteren Energiebedarf im System Gebäude wie zum Beispiel Strom.

Im konkreten Fall ging der Sanierung denn auch eine gründliche Analyse der Ist-Situation voraus, und es wurde offenbar, dass nicht das Heizen, sondern der Stromverbrauch, insbesondere die Kühllasten, eigentliches Thema war. Ineffiziente Beleuchtung beispielsweise frisst nicht nur viel Strom, sie produziert auch Wärme. Werden alte Leuchten gegen neue mit weit höherem Wirkungsgrad getauscht, reduziert das zugleich die in den Sommermonaten anfallenden Kühllasten, über die - noch - viel zu wenig geredet wird.

Dazu kamen die thermische Sanierung, der Einbau eines Wärmetauschers, ein intelligentes Be- und Entlüftungssystem und noch allerlei Detailoptimierungsmaßnahmen, die, perfekt von Konsulenten wie den Bauphysikern Schöberl & Pöll aufeinander abgestimmt, in Summe ein System ergeben, das den Heizwärmebedarf um 85 Prozent, den Stromverbrauch um rund 37 Prozent senkt und die Energieausweis-Effizienzklasse auf A+ hebt. Rewe-Vorstand Werner Wutscher, dessen Reich neben Bipa auch Billa, Penny und Merkur mit insgesamt 2577 Filialen in Österreich umfasst: „Nachhaltigkeit ist in der strategischen Planung des Unternehmens ein elementarer Grundsatz, doch jedes Projekt wird sauber berechnet, denn es muss auch die ökonomische Komponente erfüllen, wir haben schließlich nichts zu verschenken.“

Einer der Hintergründe ist also nicht allein der Klimaschutz, sondern auch das Energie- und damit Geldsparen bei rasch steigenden Energiepreisen. Deren hurtige Aufwärtsentwicklung verkürzt die Amortisationszeit naturgemäß.

Diese ist im Falle des Bipa-Pilotprojekts allerdings nicht zuletzt deshalb erträglich, weil rund ein Drittel der umweltrelevanten Investitionskosten (195.479 Euro) vom Klima- und Energiefonds als Mustersanierung gefördert wurde, was zu einem weiteren Zauberwort überleitet:

Musterprojekte unterschiedlicher Provenienz müssen her, und sie müssen dringend seriös über längere Zeiträume hinweg analysiert und evaluiert werden. Denn die zur Verfügung stehenden Technologien können, nur in Summe angewandt, ehrlich analysiert werden, sollen sie im Zusammenspiel langfristig die rechten Resultate liefern. Jede Kinderspielzeugzulassung in der EU erfolgt nach strengeren Kriterien als die derzeitige massive Umrüstung unserer gebauten Um- und Lebenswelt.

Rewe, die bis dato rund 200 ihrer Österreich-Filialen einer Optimierung unterzogen hat, will genau diese präzise Analyse. Und um die Angelegenheit in Schwung und in der Folge dank breitgestreuter Erfahrungswerte auch die Sanierungskosten und damit die Amortisationszeiten zu senken, bedarf es eben gezielter und nicht gießkannenmäßig verplätscherter Förderungen.

Klimafonds-Geschäftsführer Ingmar Höbarth nimmt darauf Bezug: „Der hohe Mulitplikatorfaktor war ein wichtiges Auswahlkriterium für die Förderung dieses Projekts, denn durch Best-Practice-Beispiele wie dieses können weitere Sanierungstätigkeiten dieser Art wesentlich vorangetrieben werden.“ Österreich verfügt über eine hervorragend aufgestellte - private -Industrie und Konsulentenschaft, die sich auch ohne politische Beförderung in den vergangenen 25 Jahren in Sachen Gebäudeoptimierung in das internationale Spitzenfeld katapultiert hat. Dazu kommen Forschungsprogramme wie das Haus der Zukunft, das seit nunmehr zehn Jahren Pionierarbeit auf diesem Gebiet leistet.

Die Politik, die für letztgenanntes Programm nicht zuletzt die Weichen gestellt hat, wäre schlecht beraten, würde sie nun, von der „Krise“ aufgeschreckt, im Eiltempo durchziehen wollen, was tatsächlich noch ein wenig Experimentier- und Nachdenkzeit erfordert, um perfekt und breit wirksam zur Anwendung zu kommen.

Apropos breite Wirksamkeit: Auch hier wird in manch Politikeraussage der Apfel mit der Birne verglichen. Man suggeriert gerne, der Gebäudesektor wäre der große Klimaschänder, weshalb jetzt sofort oder besser noch vorgestern saniert werden müsse. Das stimmt so nicht. Der Anteil von Raumwärme an den nationalen Treibhausgasemissionen (THG) beträgt laut Klimaschutzbericht 2009 des Umweltbundesamtes „nur“ 12,6 Prozent und ist als einziger Sektor rückläufig (minus 23,1 Prozent seit 1990). Nimmt man hingegen den Endenergieverbrauch her, bewegt sich der Gebäudesektor bei bedenklichen 32,6 Prozent (Stand 2004 laut Energieagentur, inklusive Raumheizung, Klimaanlagen, Beleuchtung, EDV).

Und wenn schon Klartext geredet wird, wäre es beispielsweise auch herzerwärmend, würde die Politik mit ähnlichem Energieaufwand den übelsten aller Klimaschänder bekämpfen wollen, nämlich den Verkehr. THG-Anteil: 27,6 Prozent, Tendenz heftigst steigend.

Allein die THG-Emissionen des Schwerverkehrs stiegen von 1990 bis 2007 um sagenhafte 180 Prozent. Die Gebäudesanierung allein, so wichtig und begrüßenswert sie ist, wird uns also nicht retten.

Handlungsbedarf lautet das Zauberwort in diesem Fall. Aber wer will das schon angesichts einer maroden, tatsächlich vom Betriebsrat regierten Bundesbahn und mit einer mächtigen Frächterlobby im Genick aussprechen. Die Politik jedenfalls nicht.

Der Standard, Sa., 2009.12.05

31. Oktober 2009Ute Woltron
Der Standard

Ihr seid nicht allein

Wenn selbst die Industrie Architektur und Städtebau als Schlüssel zu einer ökologisch sinnvolleren Zukunft erkennt, beginnen sich die Kreise endlich zu schließen. Eine Analyse

Wenn selbst die Industrie Architektur und Städtebau als Schlüssel zu einer ökologisch sinnvolleren Zukunft erkennt, beginnen sich die Kreise endlich zu schließen. Eine Analyse

Vergangenen Montag lud der deutsche Elektronikriese Siemens gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Berlin zum „Future Dialogue“. Die Fragestellung: „Wie können Wissenschaft, Wirtschaft und Politik enger kooperieren und gemeinsam die entscheidenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen?“

Bemerkenswert waren nicht nur ein paar hochkarätige Referenten, sondern vor allem der Umstand, dass den Bereichen Städtebau und Architektur ein vorderster Rang eingeräumt wurde. Das ist die viel gedemütigte und von Politik und Kommerz gleichermaßen gegängelte Szene der Planerinnen und Planer wahrlich nicht gewohnt. Doch jetzt ist die Zeit offenbar reif, das spiegelglatte Parkett von Wirtschaft und Politik, von Geld und Macht zu betreten und sich aktiv einzumischen in den lebenswichtigen Diskurs darüber, wie es mit diesem prachtvollen Planeten weitergehen soll.

Die Architektur hat wie kaum eine andere Disziplin das Zeug dazu. Architekten, allerdings nur exzellent ausgebildete, denken nie in Häusern, sondern in Systemen. Sie werden darauf gedrillt, für komplexeste Anforderungen schlüssige Lösungen zu entwerfen, in deren Zentrum immer der Mensch, der Nutzer und seine Bedürfnisse zu stehen haben. Diese nur durch beste Schulung und lange Übung perfektionierte Gabe, systemisch zu denken und die unterschiedlichsten Faktoren zu einem ökonomisch wie ökologisch sinnvollen Ganzen zusammenzuspannen, ist das eigentliche Kapital der Architektur. Denn das kann, in dieser Ausprägung, sonst kaum jemand.

Die Architekturszene selbst hat es jedoch in den vergangenen Jahren größtenteils nicht vermocht, das zu vermitteln. Architekturkongresse sonder Zahl befassten sich zwar exakt mit den relevanten Problemen unserer Zeit, kochten jedoch trübselig im eigenen Saft, während auf den großen Immobilienmessen glanzvoll mit Milliardenprojekten jongliert wurde, die mit Architektur gewöhnlich etwa so viel zu tun haben wie Meinl European Land mit Anlegerinteressen.

Aus diesem Grund ist die Bemühung des Berliner Zukunftsdialogs, endlich Wirtschaft, Forschung, Politik und Architektur auf höchstem Niveau zusammenzuspannen, gar nicht hoch genug zu rühmen.

San Francisco zeigt den Weg

Eine überzeugende Performance lieferte etwa Paul Pelosi als Präsident der Umweltkommission von San Francisco. Die Bekämpfung des Klimawandels beginne in den Städten, meinte er eindringlich. Vor etwa 15 Jahren habe man in seiner Stadt damit begonnen, alles unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, vom kommunalen Einkauf bis hin zu Architektur und Städtebau. Heute ist San Francisco nachweislich eine der „grünsten“ Städte der USA. Die Treibhausgasemissionen liegen knapp 20 Prozent unter den Werten der 90er-Jahre. Die Kioto-Vorschriften wurden nicht nur erreicht, sondern unterschritten. Wie geht das?

Ein Beispiel: Wenn früher große Bauvorhaben ausgeschrieben wurden, so Pelosi, hätte der Billigstbieter gewonnen. Heute würde man gründlicher, weil langfristig, nachrechnen. Sparen Gebäude Energie, macht es nichts, wenn die Herstellungskosten ein wenig höher liegen. Denn, so Pelosi, damit sänken die Betriebskosten, die Investoren würden langfristig mehr sparen, als sie zusätzlich investiert haben: „Und das ist es, womit du deine Anleger glücklich machst.“

So etwas ist lediglich eine Facette in einem großen System und funktioniert nicht über nationale Dekrete. Ansätze wie dieser gehen von den Städten selbst aus. Setty Pendakur, Stadtplaner und Experte für Urbanisierungsthemen in Entwicklungsländern, verlieh dem Nachdruck: „Überall wo Regierungen involviert sind, dauert alles Jahre.“ Außerdem könne keine Stadt mit der anderen direkt verglichen werden. Jede Stadt, jede Region muss ihre eigenen Probleme analysieren und eliminieren.

San Francisco beispielsweise hat zwar das öffentliche Verkehrssystem massiv verbessert, leidet jedoch immer noch unter zu hohem Individualverkehr. Die Leute arbeiten im Zentrum, wohnen in den Außenbezirken. „Angesichts des Pendlerproblems haben wir den Unternehmen die Frage gestellt, wie oft die Leute tatsächlich ins Büro kommen müssen oder ob nicht Fahrten gespart werden können dank Internet und Videokonferenzen.“ Das Prinzip lautet: Wer verursacht, muss dafür zahlen. Pelosi: „Wir richten die Gesetzeslage strikt danach aus.“

Das mag zwar die einen schmerzen, freut aber die vielen anderen. Denn abseits aller politischen Querelen und im ewig selben Kreise bleibender Pirouetten der Regierenden formiert sich sehr wohl langsam, aber sicher eine große und starke Zivilgesellschaft, die letztlich die Nase voll hat von nie eingelösten Versprechen, und die aktiv daran mitzuarbeiten beginnt, Städte nach den Bedürfnissen der Bevölkerung umzupolen.

Nackter ziviler Protest

Wenn beispielsweise rund um den Globus zigtausende Menschen jedes Alters aus der Wäsche schlüpfen und den nackten Protest auf die Fahrräder schwingen, dann mag das nur eines von vielen kleinen, aber deutlichen Signalen für die herrschenden Kasten sein, dass es irgendwann reicht, dass Systeme verändert werden sollen - und nicht Individualbefindlichkeiten.

Unternehmen wie Siemens tun ihrerseits gut daran, in genau diesen Drive zu investieren. Sie tun das freilich nicht nur aus Nächstenliebe. „Die Green Technology ist die Zukunftshoffnung für Siemens“, gab sich Vorstandsvorsitzender Peter Löscher überzeugt. Große Chancen lägen in den jetzt gerade aufstrebenden Märkten, aber gerade auch in der Befriedigung der Bedürfnisse des einzelnen Konsumenten.

Beispiel: Wenn jeder Haushalt dank moderner Technologie jederzeit ablesen kann, wie viel Energie er gerade verbrät, werden sich Bewusstseinszustände und damit Gewohnheiten verändern. San Francisco hat derlei Tools bereits im Einsatz. Bei hohem Stromverbrauch leuchtet zu Hause das Warnlicht auf.

Ob die Zukunft tatsächlich im Umpolen erdölgetriebener Individualmobilität hin zum Elektroauto liegt, ob Sonnenstrom aus Afrika wirklich die optimale Lösung für Europas Energieprobleme darstellt, muss dabei allerdings diskutiert werden. Fest steht jedoch, dass nur ein vernetztes, gekoppeltes Know-how diese Welt in der uns bekannten Form wird retten können. Die Architektur, vor allem die Art und Weise, wie Städte gebaut, optimiert, verändert werden können, ist hier eine Schlüsseldisziplin. Mehr als die Hälfte der Menschheit wohnt in der Stadt. Wie gehen wir mit Mobilität um? Wie setzen wir die unglaublichen Möglichkeiten moderner Kommunikationstools ein? Wie gestalten wir, ressourcenschonend und langfristig gedacht, die Lebensräume für alle, ganz Alte wie ganz Junge?

Referenten wie der geschwätzige Daniel Libeskind haben dazu zwar nichts beizutragen, doch die Architekturszene besteht nicht nur aus Stararchitekten. Die besten der Branche abseits medialer Vexierspiegel zu finden und mit ihnen den Dialog zu führen wird Teil der Herausforderung sein.

Dennis Meadows, US-Ökonom und vielzitierter Autor der 1972 veröffentlichten Studie „Die Grenzen des Wachstums“, warnte vor jeglichem nicht gründlich Geplantem: „Alles was kurzfristig gedacht ist, geht erwiesenermaßen langfristig schrecklich schief.“ Auf dem Weg in eine ökologischere Zukunft würden sicher auch Fehler gemacht: „Doch gerade deshalb ist es wichtig, dass wir künftig in einer Gesellschaft leben, die Fehler akzeptiert und daraus lernt. Dafür müssen wir unsere Regierungen fit machen.“ Alle Bemühungen, die Treibhausgasemissionen in den Griff zu bekommen, allein auf Technik zu reduzieren, seien jedenfalls zum Scheitern verurteilt.

Was langfristig verändert werden muss, sind die großen Systeme, die Städte, unsere Lebensweisen und Gewohnheiten. Die Architektur mit ihren besten Denkern ist ein elementarer Teil des Teams. Wenn die Industrie das erkannt hat, wenn die Politik vernünftig mitzieht, sind wir bereits wieder einen Schritt weiter.

Der Standard, Sa., 2009.10.31

10. Oktober 2009Ute Woltron
Der Standard

Paradigmenwechsel: Jetzt

Der in Berlin tätige Architekt Wilfried Wang plädiert für eine völlige Veränderung im Selbstverständnis des Berufsstandes, diese soll helfen, die Herausforderungen der Ökologie zu meistern.

Der in Berlin tätige Architekt Wilfried Wang plädiert für eine völlige Veränderung im Selbstverständnis des Berufsstandes, diese soll helfen, die Herausforderungen der Ökologie zu meistern.

Eine Menge Arbeit stehe Architektinnen und Architekten bevor, sagt Wilfried Wang. Doch wird die in Zukunft „heterogener, vielfältiger und alles andere als mit einfachen geometrischen Formornamenten zu bewerkstelligen sein.“

Zwar herrsche nicht nur in Alltagspolitik, sondern auch in Fachkreisen der Bauwirtschaft der Glaube vor, intelligente Technologie allein könne den westlichen Lebensstandard erhalten. Doch tatsächlich bedürfe es eines radikaleren und weitreichenderen Paradigmenwechsels, sagt Wang, der am Montag in Wien auf Einladung der Ögfa einen Vortrag dazu halten wird.

Standard: Wie soll dieser Paradigmenwechsel aber ausschauen?

Wang: Das Bild, das wir Architekten uns selbst geben, das neu gebaute Architekturwunderzeichen auf der grünen Wiese, das wird in Zukunft immer weniger der Realität entsprechen. Eine einfache Betrachtung dazu: Auch wenn wir pro Jahr bis zu ein Prozent der gesamten Bausubstanz durch Neubauten ersetzen, sind wir erst in 100 Jahren so weit, dass die Gesamtsubstanz höhere technische Standards aufweist. Wir müssen uns vielmehr verstärkt dem Bestand widmen, anstatt abzureißen und neu zu bauen.

Standard: Das bedeutet thermische Sanierung und Umrüstung hin zu Passiv- oder zumindest Niedrigenergiestandards. Ist das zum einen machbar, zum anderen tatsächlich das einzig Zielführende? Derzeit ist nachgerade ein politischer Hype in diese Richtung ausgebrochen.

Wang: Man könnte folgenden Lackmustest anwenden und sagen: Gut, liebe Politiker, ihr sagt uns, die Welt sei durch Technik zu retten. Dann machen wir doch die Probe aufs Exempel. Rüsten wir zudem alle Bauten, die darüber verfügen könnten, mit geothermischen Anlagen, Fotovoltaik und Solarthermie aus, sodass sie bis zu 50 Prozent des Eigenbedarfs abdecken könnten. Wie aber reagieren die Energieversorgungsunternehmen darauf, wenn sich die Republik auf den Weg macht, deren Bedarf um die Hälfte zu kürzen?

Standard: Man darf davon ausgehen, dass ihnen das nicht gefällt. Doch abgesehen davon: Derzeit hat man den Eindruck, die EU-Politik schere die gesamte Bausubstanz sicherheitshalber über einen Kamm. Die Forderung, alle öffentlichen Gebäude, egal welcher Bauzeit, auf Passivstandard zu bringen, mag nur ein Indiz dafür sein.

Wang: Unterschiedliche Bautypen aus verschiedensten Jahrhunderten und Jahrzehnten stellen unterschiedlichste Fragen, also muss man auch sehr differenziert an sie herangehen. Es ist nicht jede Maßnahme überall bauphysiologisch sinnvoll, das haben Leute, die behutsam mit denkmalgeschützten Bauten umgehen, klar aufgezeigt. Dumme technische Vorschriften sind leider dazu geeignet, baukulturelle Unterschiede glattzubügeln. Bürokraten haben für solche Fragen kein Gespür.

Standard: Während hinter vorgehaltener Hand sehr viel Kritik an den Dekreten geübt wird, bleibt ein öffentlicher Aufschrei der Architektur allerdings aus.

Wang: Die Architektenschaft war immer schon sehr schwach in Lobbyarbeit. Viele glauben an den Passivstandard, und dagegen spricht ja auch nichts. Andererseits hat sich die Architektenschaft in vielen wichtigen Belangen wie Schlachtvieh verhalten, etwa zum Thema Architekturwettbewerb. Dank der EU-Servicedirektive gibt es den im europäischen Raum so gut wie nicht mehr. Die Architektenschaft reiht sich im Dienstleistungsbereich gleichrangig ein mit Schlossern, Installateuren und anderen Betrieben, während sich Hochschullehrer, Anwälte oder Ärzte rausgenommen haben. Das heißt, wenn es um kulturelle Werte geht, lassen wir Architekten uns behandeln wie Malermeister. Da ist an unsere Kammern und Vertreter schon die Frage zu stellen: Warum habt ihr das zugelassen?

Standard: Architektur im besten Sinne, also Baukultur abseits von Ikonen und Pfauenfedern, war erstaunlicherweise niemals Thema der EU-Gremien. Es stimmt verdächtig, wenn eben diese Gremien nun europaweit suggerieren, man könne die Welt mit Architektur retten, während etwa die österreichische Bahn derzeit den Güterverkehr von der Schiene auf die Straße verlegen will. Darf man da nicht getrost von krasser Unverhältnismäßigkeit sprechen?

Wang: Wenn wir Architekten uns jetzt zum Instrument dieser Nachhaltigkeitstechnik machen, werden wir wieder versagen. Der Funktionalismus hat gezeigt, dass die Lösung über die technische Schiene nicht der einzige zielführende Weg ist. Wir haben in der Vergangenheit als Architektenschaft der Standardisierung, der Industrialisierung und Normierung das Wort geredet. Was ist aber dabei herausgekommen? Es sind die schrecklichsten Wohnbauten aller Zeiten in den ödesten Verhältnissen entstanden. Wenn man jetzt 90 Jahre Bauhaus feiert und nicht auf diese Probleme hinweist, dokumentiert das einen großen Fehler im Bewusstsein der Architekten. Ich kritisiere diesen Mangel an Diskurs, denn affirmatives Gerede bringt nichts mehr. Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass die Probleme weit größer sind und eben nicht nur mit optimierten Heizgeräten und Dämmstoffen bewerkstelligt werden können. So einfach ist das leider nicht, doch die komplizierteren Umstände sind immer die unbequemeren.

Standard: Welche Rolle kann aber die Architektur tatsächlich spielen?

Wang: Wenn die Architektenschaft Nachhaltigkeit grundsätzlich befürwortet und den Klimawandel einschränken will, bedeutet das, dass wir uns künftig viel mehr um den Bestand kümmern müssen als um den Neubau. Tatsächlich gibt es in den meisten Ländern ohne Bevölkerungswachstum keinen Bedarf an Neubauten. Von Demografen wird für Deutschland ein Bevölkerungsrückgang bis 2050 von 82 auf 72 Millionen Menschen vorausgesagt. Zwar gibt es allerorten eine Steigerung des Wohnraums pro Kopf, in der Nachkriegszeit lag er bei 18 Quadratmetern, derzeit halten wir bei knapp 40. Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass die Bevölkerungsdichte bei derselben Bebauungsdichte um mehr als 50 Prozent fällt. Das hat enorme Auswirkungen auf Einzelhandel, Nahrungsmittelversorgung, Industrialisierung. Die Baukultur kann davon nicht unabhängig betrachtet werden.

Standard: Wie lautet Ihr Credo hinsichtlich der Baukultur dazu?

Wang: Mein Plädoyer lautet: Wir müssen unsere Gewohnheiten ändern, nicht die Technik. Die kann helfen, aber zuallererst müssen wir unsere lange eingespielten Wertevorstellungen ändern, und zwar auch diejenigen, die wir Architekten als Berufsstand mit uns tragen und zudem immer noch medial verbreiten lassen. Der Traum vom Häuschen im Grünen mit den zwei Autos, mit denen die Kinder in die Schule gefahren werden, wo man mit dem großen Wagen einkaufen fährt, ist uns als kultureller Fuß- abdruck eingeimpft worden. Wem kann man das auch verwehren?

Standard: Nimmt die Ausbildung auf derlei Fragestellungen hinreichend Bedacht?

Wang: An den Hochschulen sind Werkvorträge von interessanten Architektinnen und Architekten zu hören, es wird Architekturgeschichte unterrichtet - doch es ist eine Architekturgeschichte der Neubauten. Was mit Gebäuden tatsächlich über die Jahrhunderte passiert, wird in den wenigsten Vorträgen thematisiert. Wir brauchen aber eine realistischere, ganzheitlichere Betrachtung des Umgangs mit Bausubstanz, denn wir werden es künftig mehrheitlich mit Umbauten und Renovierungen zu tun haben, nicht mit Neubauten. Das fehlt komplett an den Hochschulen. Sanieren und Umbauen ist eben nicht so attraktiv wie der Neubau.

Standard: Welchen Rat würden Sie jungen Architektinnen und Architekten mit auf den Weg geben?

Wang: Ich würde ihnen sagen, setzt euch mit Dingen auseinander, die vor Ort bereits seit längerem existieren. Schaut euch beispielsweise die Materialien und Details an, die sich am besten bewährt haben und die nicht aus großen Distanzen herbeigekarrt werden müssen. Schaut euch an, was etwa an Bauteilen vorhanden ist und was man gegebenenfalls wiederverwerten kann. Es gibt sehr wohl Leute, die sich überlegen, wie Baukultur angelehnt an lokale Traditionen und Materialien entstehen kann. Doch das wird selten angewandt und wird stets ein wenig anrüchig mit Heimatstil und ähnlichem verwechselt. Intelligente Ausrichtung von Bauten in klimatischer und topografischer Hinsicht gibt es jedoch bereits seit Jahrtausenden. Hätte man sich darauf besonnen, sähe die Welt anders aus.

Standard: Eine elementare Rolle bei der Treibhausgasreduktion kann erwiesenermaßen ein intelligenter Städtebau spielen. Welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie dort?

Wang: Der Städtebau ist eine schwierige Frage, weil Veränderungen nachträglich nur zäh durchzuführen sind. Doch auch hier kommt man zu Lösungen. Wir arbeiten etwa gerade in Texas daran, wie der öffentliche Nahverkehr dichter ausgebaut werden könnte, und das geschieht immerhin in einer Gegend, in der in der Vergangenheit ein eher anderes Leitbild geherrscht hat. Doch auch dort hat man erkannt, dass das System Auto so nicht aufrechtzuerhalten ist.

Standard: Ein Fazit?

Wang: Wir können nicht so tun, als hätten wir immer wieder die Chance abzureißen und neu zu bauen. Das Weg kann also nicht über Neubauten führen. Nicht die Lösung des Einzelprojektes ist das Thema, sondern die anderen 99,5 Prozent.

[ Wilfried Wang führt mit Barbara Hoidn ein Architekturbüro in Berlin und ist an der University of Texas at Austin Professor für Architektur. Der Vortrag „Paradigmenwechsel“ findet am 12. 10. um 19.00 Uhr im Project Space - Kunsthalle Wien statt. ]

Der Standard, Sa., 2009.10.10



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Wang Wilfried

19. September 2009Ute Woltron
Der Standard

Verpackt für alle Ewigkeit

Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben, heißt es. In exakt diese Richtung drängt auch die Panikmache, alte Häuser mit thermischen Sanierungen umzubringen. Ein Beispiel von Ute Woltron.

Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben, heißt es. In exakt diese Richtung drängt auch die Panikmache, alte Häuser mit thermischen Sanierungen umzubringen. Ein Beispiel von Ute Woltron.

Wir leben in unsicheren Zeiten, und alle fürchten sich. Die einen davor, den Job zu verlieren; die anderen vor dem Moment, in dem sie zugeben müssen, dass sie die Steuern trotzdem erhöhen werden. Alle fürchten sich vor der Klimaveränderung, und die meisten vor dem Ausbleiben der wundervollen Erdgaslieferungen aus dem Osten.

Auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnhaussiedlung in der Wiener Peter-Jordan-Straße 145-149 beobachten das große und das kleine Weltgeschehen mit aufmerksamem Interesse. Vielleicht beobachten sie es sogar noch ein wenig bedachtsamer als manch andere, denn viele von ihnen sind emeritierte oder noch aktive Universitätsprofessoren, und die sind normalerweise auf Zack. Einige leben bereits seit 35 Jahren hier - in einer ruhigen, durchgrünten Wohnanlage in Boku-Nähe, gebaut in den Jahren 1970 bis 1973 für Universitätsangestellte.

Derzeit fürchten sich diese guten Leute allerdings vor ganz anderem: Ihre aus vier gestaffelten Zeilen bestehende Behausung soll demnächst thermisch saniert werden. So will das der krisengeschüttelte Zeitgeist, so will es die Buwog. Sie besitzt nunmehr 51 Prozent der Wohneinheiten. Ihr gegenüber steht eine Phalanx von Hausbewohnern, die nicht sanieren will, und das aus gutem Grund. Sie haben ihre Wohnungen über die Jahre abbezahlt und gekauft. Die Wohnqualität ist gut. Hier will man bleiben. Hier will man alt werden. Und solche Gefühle hegt man nicht, wenn man in schludrig gemachten Wohnställen zu Hause ist.

Die vier Häuser, die vom ehemaligen Wohnbauprofessor der TU-Wien, Reinhard Gieselmann stammen, sollen also eingepackt und mit dicken Schichten expandiertem Polystyrolhartschaumstoff und mit neuen Fenstern dicht gemacht werden. Das, so wurde vom gebäudeverwaltenden Unternehmen Rustler verkündet, würde den Heizwärmebedarf um bis zu 70 Prozent reduzieren und damit einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten. Das hört sich fürs Erste ja gar nicht schlecht an.

Doch Stichwort Beitrag und Leistung: Die Beiträge, welche die Wohnungsbesitzer ihrerseits zur geplanten Sanierung leisten sollen, belaufen sich pro Wohnungseigentümer im Schnitt auf rund 70.000 Euro - trotz der derzeit hohen Förderungen für thermische Wohnhaussanierungen: Geschenktes Förderungsgeld, das nicht abholen zu dürfen gegebenenfalls wiederum die Buwog sowie ihr Gebäudeverwalter schmerzlich befürchten. Damit auch auf dieser Seite ein bisschen Angst herrsche.

Wenn aber Professoren der Wirtschaftsuniversität derart viel Geld für eine Wohnung zusätzlich lockermachen sollen, die sie bereits gekauft haben, wollen sie für gewöhnlich doch recht genau wissen, ob dem Return on Investment eine gewisse Garantie zugrunde liegt. Wenn sie dann mit bauphysikalisch kundigen Professoren der Technischen Universität dieselbe Interessenlage teilen, beginnen alle sogleich ihr Expertenwissen hervorzukramen und ausgesprochen penible Berechnungen anzustellen.

Sicherheitshalber ein paar Mal und von diversen Gutachten unterfüttert, denn das Resultat der privaten Forschungsarbeit brachte folgendes Ergebnis zutage: Bei der Annahme des siebenjährigen Mittels an erforderlichem Heizaufwand, abzüglich Warmwasseraufbereitung und bei Annahme des bis dato scheußlichsten Höchstölpreises ergaben sich, je nach den vorgeschlagenen Sanierungsvarianten, Amortisationszeiten von 100 beziehungsweise 120 Jahren. Die Lebensdauer einer mit EPC-Platten sanierten Fassade wird in der Fachwelt übrigens mit rund 25 Jahren angesetzt. Die ganze Angelegenheit scheint also eine Fehlinvestition, um nicht zu sagen ausgemachter Blödsinn zu sein.

Diesen Wissensstand brachten Wohnungseigentümer sowie Mieter in einer Versammlung der Gebäudeverwaltung freundlich zur Kenntnis. Man bekam ungnädig zur Antwort: Was wirtschaftlich sei und was nicht, das bestimme sie.

Möglicherweise befinden wir uns exakt hier an einem springenden Punkt: Wer „bestimmt“ tatsächlich, was „wirtschaftlich“ ist? Wer, was Sinn macht, im Dienste des Klima- und Umweltschutzes? Häuser einpacken und Heizenergie sparen klingt so herrlich simpel, dass die EU bis 2018 das Null-Energie-Haus gleich zum Standard erklären will. Derlei diktatorischer Schwachsinn kann tatsächlich nur den dumpfen Sitzungskammern der Politik entquellen.

Kein vernünftiger Mensch hat freilich das Geringste gegen optimale Dämmungen und Wärmebedarfsreduktion einzuwenden. Doch wäre es fein, würde die Kirche im Dorf gelassen. Denn Dämmungen und Haustechnik, wie sie derzeit allerorten so eifrig verordnet werden, machen im Hintergrund gerade im großformatigeren Wohnbau exorbitant viele Scherereien. Über den Schimmelbefall in superdichten Innenräumen redet man eben nicht gern, genauso wenig wie über Keime, die nicht penibel gewartete Lüftungssysteme in die Raumluft ventilieren. Schon gar nicht redet man über Wartungskosten und die bei superdichten Häusern anfallenden Kühllasten an sonnigen Tagen.

Was sie hier machten, sagten unlängst gleich drei für ihre Passivhausarchitekturen nicht unbekannte Architekten händeringend zum Standard, sei der dekretierte Schwachsinn. Laut sagt man das aber lieber nicht. Sonst ist man ja gleich ein Öko-Schwein, außerdem gehen dann die Aufträge flöten.

Wer bestimmt also, was „wirtschaftlich“ ist? Sind es tatsächlich kühle Berechnungen, die alle ökologischen Rucksäcke, Primärenergieinhalte und Lebenszykluskosten und auch alle bauphysikalischen Folgewirkungen des Einpackens beinhalten? Oder ist es eine prachtvoll gut organisierte Industrie, die allerhöchstes Interesse daran hat, die gebaute Welt unter Zuhilfenahme öffentlicher Förderungsgelder mit Erdölraffinerieprodukten wie Polystyrol und Co zu einem bewohnten Sondermülldepot für kommende Generationen zu machen. Wer wird denn das alles dereinst entsorgen?

Und wo ist die Anwaltschaft für eine exzellent gemachte Architektur wie die von Reinhard Gieselmann? Die Wohnanlage in der Peter-Jordan-Straße ist nur scheinbar schlicht. Sie hat fein-skulpturale Qualitäten, die sich über die Fassade, ihre Vorsprünge und sehr genau durchdachte Fensterauslassungen nach innen entwickeln. Da geht es um Zentimeter, um Details, um Verblechungen und auf den Millimeter genau eingepasste Loggientüren. Die innere Qualität des Hauses wurde vom Architekten bereits in der Fassade definiert. All das würde durch ihr geplantes Aufdoppeln völlig zunichtegemacht.

Für derlei Eingriff bedarf es keiner Baubewilligung. Es reicht das Förderansuchen, eine Bauanzeige, die Machtposition des 51-Prozent-Mehrheitseigentümers und die Sanierungsmassenhysterie. Mieter und Wohnungsbesitzer, die in überwältigender Mehrheit gegen die geplante Fassadenvernichtung Sturm laufen, überlegen nun, den zivilrechtlichen Weg einzuschlagen. Weil vor Angst gestorben auch tot ist. Gut möglich, dass dieses Projekt zum Präzedenzfall wird.

Der Standard, Sa., 2009.09.19

25. Juli 2009Ute Woltron
Der Standard

Pfuschen auf höchstem Niveau

Es hat Gründe, warum Großprojekte regelmäßig schiefgehen: Sie wurzeln in einem weder Sachzwängen noch dem öffentlichen Interesse verpflichteten System. Versuch einer Analyse.

Es hat Gründe, warum Großprojekte regelmäßig schiefgehen: Sie wurzeln in einem weder Sachzwängen noch dem öffentlichen Interesse verpflichteten System. Versuch einer Analyse.

Österreich hat wieder ein paar Bauskandale. Doch wie es in diesem Land üblich ist, erfolgt die Debatte darüber zwar mit großem Getöse, bleibt aber tunlichst an den Fassaden kleben. Wer will schon bis unter die Fundamente graben?

Weder die Politik noch die Bauindustrie haben an einer kühlen Analyse, warum große Projekte wie der Skylink immer wieder im Kosten- und Vergabechaos münden, gesteigertes Interesse. Denn ein unseliges Gleichgewicht der Kräfte hält dieses im Kern kranke System statisch ausgewogen aufrecht.

Große Infrastrukturprojekte wie Flughäfen, Hauptbahnhöfe, Krankenhäuser zu entwickeln und umzusetzen ist ein ausgesprochen schwieriges Geschäft, das nur dann friktionsfrei funktioniert, wenn ein paar grundlegende Voraussetzungen gegeben sind. Es funktioniert dann jedenfalls nicht, wenn die Politik im Hintergrund Bauherr spielen will.

Denn die Politik versteht von diesem Geschäft nichts. Sie sollte die Finger davon lassen und sich auf ihr eigenes Kerngeschäft konzentrieren. Das besteht unter anderem darin, Ziele zu definieren und die besten Fachleute mit der Umsetzung zu beauftragen.

Doch genau an dieser Stelle, noch vor Baubeginn, zeigt sich in der Konstruktion der erste Riss. Wenn die Ziele nicht lauten, etwa die besten Spitäler, Flughäfen, Autobahnen oder Schulen zu bauen, sondern sich bereits in der Konzeptionsphase hauptsächlich damit beschäftigen, welche Unternehmen oder Grundstücksbereitsteller zum Zug kommen sollen, führt sich die Sache ad absurdum.

Dietmar Wiegand ist Professor für Projektentwicklung und Projektmanagement an der Technischen Universität Wien und als Deutscher nicht in dieses österreichische Gleichgewicht der Kräfte eingesponnen. Er sieht die Sache also unbefangen und ortet den Kern des Übels unter anderem im Trend, verstaatlichte oder halbverstaatlichte Unternehmen zu schaffen, diese aber gleichzeitig mit einem privatwirtschaftlichen Auftrag auszustatten.

„Das widerspricht allen volkswirtschaftlichen Theorien. Niemand wird behaupten, dass sich Staatsunternehmen genau dort einbringen sollen, wo der Markt ohnehin funktioniert.“ Das sei das Thema einer zentralen Debatte, die jetzt auch angesichts der Finanzkrise, der Ressourcenkrise und der Klimakrise auf höchstem Niveau geführt werden müsse, und zwar möglichst schnell. Und da reiche es nicht, so Wiegand, die Diskussion darauf zu beschränken, ob irgendwo Vorstände ausgewechselt werden sollten oder nicht.

Ein Beispiel: „Die Asfinag könnte den Auftrag haben, eine Autobahn zu bauen, natürlich so günstig wie möglich. Doch sie könnte den zusätzlichen Auftrag erhalten, ihren Beitrag zur Baukultur und zur Regionalentwicklung zu leisten.“ Es mache keinen Sinn, all diese Leistungen in Wirtschaftsförderunternehmen und Baukulturausschüssen zu zerfasern. „Wenn der Auftrag von Anfang an intelligent ist, wird die Sache wesentlich effizienter.“

Es könnte den Regierenden beispielsweise auch ein Anliegen sein, die schönsten, ökologischsten und auch neuesten pädagogischen Konzepten entsprechenden Schulen zu bauen. Vielleicht einmal ein herausragendes Case-Study-Projekt nicht nur zuzulassen, sondern auch mit der entsprechenden Begeisterung zu befördern. Doch Österreich ist ganz im Gegensatz dazu eine Nation, die eben beschlossen hat, die Mieten für ihre Schulgebäude zwei Jahre lang nicht zu bezahlen.

Nur wo der Wille dazu ist, findet sich auch der rechte Weg. Doch wo ist der Wille? Oder besser - in welche Richtung deutet der Wille, so er überhaupt erkennbar ist?

Wie undurchdacht und willkürlich hierzulande das elementare Thema Infrastruktur behandelt wird, zeigt prächtig das Beispiel ÖBB vor. Erstaunlicherweise ist etwa nirgendwo gesetzlich festgehalten, nach welchen Kriterien die Bundesbahn mit ihrem enormen - mittlerweile aber bereits ausgedünnten - Immobilienvermögen umzugehen hat. Während beispielsweise im BIG-Gesetz geschrieben steht, dass Immobilien nach öffentlich ausgeschriebenem Höchstbieterverfahren veräußert werden dürfen, kann die ÖBB walten wie es beliebt. Nicht zuletzt der Rechnungshof hat das wiederholt aufs Schärfste kritisiert.

Doch diese Botschaft blieb - aus welchen Gründen auch immer - ungehört. Bei bösartiger Interpretation könnte man argwöhnen, es ändere sich am System deshalb nichts, weil sich auf diese Weise Weichen stellen lassen oder bestimmte Gruppen profitieren. Bei freundlicher Interpretation darf man immer noch behaupten, dass die korrekte Bewirtschaftung des Staatsvermögens Politiker nicht interessiert - oder man es bedauerlicherweise nicht besser weiß.

Stichwort Unbelecktheit: Auch die Architekten- und Ingenieurszene hat streckenweise Nachholbedarf in Sachen Professionalisierung. Es gibt zu wenige ausgebildeter Projektentwickler und Projektmanager. Die TU-Wien versucht dem gemeinsam mit der Immobilienstiftung und über den erst vor zwei Jahren etablierten Lehrstuhl, den Wiegand innehat, einen neuen Impuls zu verpassen.

Wiegand: „Es braucht dringend eine Verbesserung der Ausbildung. Die Studierenden müssen eben auch mit der Tatsache konfrontiert werden, dass ein Grundstück einen Eigentümer hat, der ebenfalls bestimmte Interessen verfolgt, dass Bauen Geld kostet und Investoren aus Geld mehr Geld machen wollen, ob mir das gefällt oder nicht.“ Das hört die Ziviltechnik freilich äußerst ungern. Das sei zwar bedauerlich, kontert Wigand, aber: „Wenn ich mit dem Geld anderer arbeite, muss ich mich auch mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen beschäftigen und auch in diesem Bereich kreativ sein.“ Erst die superb ausgebildete Planer- und Konsulentenmannschaft ist des Bauherrn rechter Partner. Doch auch die bringt nichts weiter, wenn der vom Geschäft nichts versteht. Also wird die Architekten- und Ingenieurkammer ab Herbst mit der TU-Wien einen Kurs für Führungskräfte anbieten, wie komplexe Bauvorhaben zu managen sind.

Doch am Ende aller Tage liegt die Letztverantwortung immer beim Bauherrn selbst. Der sollte zuallererst genau wissen, was er eigentlich will. Erst dann sollte er über transparente Verfahren die besten Fachleute für sein Projekt ins Team holen und dafür Sorge tragen, dass das sogenannte technosoziale System innerhalb dieser Mannschaft funktionieren kann wie ein Uhrwerk. Eine alte Bau-Regel besagt: Jeder Handgriff kostet ein paar Tausender. Jeder falsche Handgriff das Doppelte. Fazit: Pfuscher haben weder auf Baustellen, noch auf Chefsesseln und schon gar nicht in politischen Schlüsselpositionen Platz.

Der Standard, Sa., 2009.07.25

17. Juli 2009Ute Woltron
Der Standard

Julius Shulman 1910-2009

Zum Tod des einflussreichsten Architekturfotografen des vergangenen Jahrhunderts

Zum Tod des einflussreichsten Architekturfotografen des vergangenen Jahrhunderts

Sein bekanntestes Foto zeigt ein fast zur Gänze aus Glas gebautes Haus von Pierre Koenig. Es scheint über dem schachbrettartigem Lichtermeer von Los Angeles zu schweben. Hinter einer gläsernen Wand sitzt ein weißgewandetes Fräulein artig exakt in der Bildmitte und nimmt einen Cocktail. Den Rahmen bildet die schwarze Nacht.

Der Kalifornier Julius Shulman war der wichtigste Fotograf dieser neuen Westküstenarchitektur, die ab den 1930er-Jahren unter anderem mit den Exilösterreichern Richard Neutra und Rudolf Schindler begann und die mit den sogenannten Case-Study-Häusern einen Höhepunkt fand. Der damals 22-jährige Hobbyfotograf hatte zum Spaß eines von Richard Neutras Häusern geknipst, weil es ihm gefiel. Diese außergewöhnlichen Bilder waren wiederum dem damals noch völlig unbekannten Architekten aufgefallen und begründeten eine langjährige Zusammenarbeit.

In der Folge wurde Shulman zum wichtigsten Fotografen für Leute wie Frank Lloyd Wright, Albert Frey und John Lautner. Seine Arbeiten sind unverkennbar: Traumwandlerisch sichere Spielereien mit Licht und Schatten, mit Geometrien, mit kleinen Akzenten wie passenden Kleidungsstücken der abgebildeten Bewohner. Shulman war ein Meister im Erkennen der Charakteristik einer Architektur, und die fing er mit seinen Arbeiten ein.

Anfangs arbeitete der später hochbezahlte und gefragte Architekturfotograf noch ohne Honorar. Er wollte damals, sagte er einmal zum Standard, „die Geschäftsbeziehungen zu den Architekten nicht mit störenden finanziellen Fragen belasten“ .

Die lange und sorgfältige Betrachtung eines Bauwerks, meinte er, sei das Wichtigste für ihn, schließlich wolle er mit seiner Arbeit jener der Architekten gerecht werden.

Der am 10. Oktober 1910 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborene Shulman starb nun im Alter von 98 Jahren in Los Angeles.

Der Standard, Fr., 2009.07.17



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Shulman Julius

20. Juni 2009Ute Woltron
Der Standard

Nachdenken. Ganz einfach.

Die Architekten Jabornegg & Pálffy sind eine Liga für sich. Ab nächster Woche führen sie das in einer Ausstellung im Münchner Architekturmuseum vor

Die Architekten Jabornegg & Pálffy sind eine Liga für sich. Ab nächster Woche führen sie das in einer Ausstellung im Münchner Architekturmuseum vor

Die Welt ist alles, was der Fall ist, und dieser Satz von Ludwig Wittgenstein lässt sich auch in der Welt der Architektur zur Anwendung bringen. Denn was ist Architektur?

Mittlerweile alles, was der Fall ist - zumindest möchte das eine große, von unendlich vielen Begehrlich- und Eitelkeiten gespeiste Marketing-, Medien- und PR-Maschinerie die geneigte Öffentlichkeit glauben lassen.

Sie hat in den vergangenen Jahren die Disziplin erfasst und begonnen, die Architektur gnadenlos nach ihrem Diktat vor sich herzutreiben. Selbst manch kunstvoll ausgepinselte Nasszelle - landläufig Klo genannt - ward in dieser Epoche des Marktschreierischen zum architektonischen Meisterwerk erklärt.

Die Selbst- und Fremdbespiegelung der Architektur zeigt dabei Rückbezüglichkeit: Die Architektur begann ihr eigenes Image im Dienste der Vermarktbarkeit in bunten Bildern mitzuplanen. Das Bild wurde wichtiger als das, was es abbildet. Ein Spiegel im Spiegel.

„Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen“, sagt Wittgenstein, und im Falle der Architektur von Christian Jabornegg und András Pálffy fällt dieser Vergleich vergnüglich aus. Die Spaziergänge durch ihre Architekturen machen einmal mehr bewusst, dass Architektur vor allem die Kunst des Dreidimensionalen ist und keine Abbildung dem Raumempfinden auch nur irgendwie gerecht werden kann.

Wie sie den Raum erspüren, die Wege lenken, die Materialien einsetzen; wie bedächtig sie die Inhalte dieser Räume abwägen und zu den entsprechenden Formen finden, zeugt von einer großen Ruhe und jenem langen Atem, der Architektur von dem einfach Hingebauten so grundlegend unterscheidet.

Die beiden Wiener Architekten haben, ohne die breitere Öffentlichkeit davon ständig in Kenntnis zu setzen, in den vergangenen zwanzig Jahren ein außergewöhnliches OEuvre hingelegt. Tatsächlich zählen ihre Arbeiten wie etwa der Umbau der Wiener Schöllerbank, das Museum Judenplatz, die Überdachung des Passionsspielhauses Oberammergau und die Freilegung der mittelalterlichen Gemäuer von Stift Altenburg zum Feinsten, was die heimische Architekturszene zu bieten hat.

Man kann darüber spekulieren, ob die selbstgewählte Medienabstinenz der beiden die Qualität der solchermaßen in Ruhe und Reflexion entstandenen Arbeiten nicht geradezu befördert hat. Doch jetzt, befand Winfried Nerdinger, der unter anderem als Direktor des Architekturmuseums der Technischen Universität München überlegt tätig ist, sei der Abstinenz schon auch einmal Genüge getan.

Kommende Woche eröffnet in München also die erste große Jabornegg-&-Pálffy-Ausstellung. Doch auch die entzieht sich weitestgehend multimedialem Geflimmer. Sie zeigt vor allem eines: die Architektur als Modell. Denn mit Abbildungen muss man, wie gesagt, vorsichtig sein. Das Modell aber ist eine alte, erprobte Diszi-plin für sich, die Architektur in ein nach eigenen Gesetzmäßigkeiten lesbares Medium transponiert. 32 Modelle von 28 Projekten sind zu sehen - Riesendinger , präzise von der eigenen Crew des Architekturbüros in monatelanger Feinarbeit aus Lindenholz und Metall herausgearbeitet. Die Schau trägt den Untertitel Bauen im Bestand, denn gerade in dieses schwierige Gebiet haben sich Jabornegg und Pálffy im Speziellen vertieft. Ein altes Haus kann man zu Tode restaurieren. Man kann es aufschminken und mit Krücken mühselig in die Gegenwart hinken lassen. Man kann ihm aber auch mit radikalem Respekt begegnen: Die Kunst, sich vor altem Gemäuer nicht nur ehrfürchtig zu verneigen, sondern aus historischen Bauten das Beste hervorzustreichen und mit dem Neuen zu verheiraten, ist dann geglückt, wenn sich die Elemente gegenseitig bedingen und verstärken. Veranschaulicht wird das beispielsweise im Fall Museum Judenplatz mit den unterirdischen Ausstellungsräumen für die Grabungsfunde der dort freigelegten Synagoge. Dort vermählen sich die verschiedensten Bauzeitalter zu einem schlüssigen Ganzen. Noch nicht gebaut, doch vielversprechend ist auch der Wettbewerbsgewinn für die Erweiterung von Schloss Esterházy in Eisenstadt. Der geplante Zubau dockt behutsam an den Bestand an, erweitert diesen um diverse Ausstellungsräume und macht zudem durch Einschnitte und Durchgänge eine wesentlich flexiblere Bespielung der bestehenden historischen Räumlichkeiten möglich. Bei der gerade in Bau befindlichen Waygood Gallery im britischen Newcastle upon Tyne werten die Architekten ein denkmalgeschütztes Industriegebäude durch chirurgisch präzise Ein- und Aufbauten zu neuen Ausstellungsräumen und Ateliers auf.

Im Nachhinein betrachtet wirken die Architekturen von Jabornegg & Pálffy stets so logisch und einfach, und gerade darin besteht ihre große Raffinesse. Wie das geht? „Lang Nachdenken“, sagt Jabornegg. „Einen Zwang, nach dem Eines geschehen müsste, weil etwas anderes geschehen ist, gibt es nicht“, sagt Wittgenstein: „Es gibt nur eine logische Notwendigkeit.“ Die zu erkennen und umzusetzen, haben die beiden perfektioniert.

[ Jabornegg & Pálffy. Bauen im Bestand. 25. 6.- 27. 9., Pinakothek der Moderne, zur Ausstellung erscheint im Verlag Niggli ein Katalog ]

Der Standard, Sa., 2009.06.20



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01. Juni 2009Ute Woltron
Der Standard

Sieht uns jemand?

Ein Zerrbild vormals guter Sitte ist nicht nur im Parlament zu beobachten. Manche Bauherren pfeifen derzeit ebenfalls auf jede Moral

Ein Zerrbild vormals guter Sitte ist nicht nur im Parlament zu beobachten. Manche Bauherren pfeifen derzeit ebenfalls auf jede Moral

...wenn es um ihre Partner, die Architekten, geht. Drei Beispiele.

Über den Verfall von Sitte und Moral haben bereits die alten Weisen der chinesischen Qin-Dynastie gejammert. Das war vor immerhin mehr als 2000 Jahren, also sollte man sehr vorsichtig mit derlei Begriffen und Wertigkeiten umgehen. Doch ohne ein Mindestmaß guter Sitte und Moral - wie auch immer man die für sich definiert - lebt es sich doch sehr schwer miteinander, so viel steht fest.

Das bemerken derzeit unter anderem gar nicht wenige Architektinnen und Architekten, die mit ihren Bauherrschaften Scherereien haben, wie sie vor einigen Jahren zwar auch schon vorkamen, aber nicht in derartiger Häufung wie jetzt eben.

Das in Mode kommende Prinzip funktioniert folgendermaßen: Ein Bauherr schreibt einen Wettbewerb aus, eine Jury entscheidet über den Gewinner, und der wird in der Folge nach einigen Verhandlungen mit den Planungsleistungen beauftragt. Das Architekturbüro beginnt zu arbeiten, streckt jede Menge Leistung vor, weil naturgemäß in Phasen abgerechnet wird, und die müssen erst einmal vorbeigehen und mit den zuvor definierten Leistungen dokumentiert werden, bevor Architektenhonorare auf Konten wandern.

Während die Architekten also aus einem Wettbewerbsprojekt ein zu bauendes machen, die Planung bis in Details verfeinern und komplettieren, was selbstredend einen enormen Aufwand darstellt, überlegen mitunter die Bauherren insgeheim bereits, wie sie die lästigen I-Tüpferlreiter samt deren Feilens um Perfektion wieder loswerden könnten. Denn die Planungen liegen ja jetzt schon im Groben vor. Und die Baufirma der Wahl wird da schon was draus machen, und zwar ohne zu fackeln und ohne sich mit den Feinheiten lang aufzuhalten.

Hochburg Kärnten

Ähnliches passiert offenbar gerade - neben einigen anderen auch - den Wiener Architekten Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs, alias the next ENTERprise. Die hatten das Pech, vor knapp drei Jahren einen Wettbewerb im schönen Bundesland Kärnten zu gewinnen, dem von allen Bundesländern der Ruf vorauseilt, in Sachen Korruption und Selbstherrlichkeit unangefochtener Bundesmeister zu sein.

Nachdem the next ENTERprise den von der Villacher Freibad GmbH. ausgelobten Wettbewerb zur Neuerrichtung der Erlebnistherme Warmbad Villach Neu gewonnen hatten, wurden sie mit der Planung des Projektes beauftragt. Diese erfolgte in steter Absprache mit den Verantwortlichen der Gemeinde, die mit 53,7 Prozent Mehrheitseigentümerin der Gesellschaft ist, aber auch mit Vertretern der Resteigentümer Kärntner Tourismus Holding G.m.b.H. (34 Prozent) sowie Thermenhotel Karawankenhof GesmbH. & Co KG (12,3 Prozent).

Letzteres Hotel liegt gleich neben dem zu errichtenden Frei- und Hallenbad, wodurch synergetische Effekte für die Gäste zu erwarten sind, weil die über eigens zu planende Zugänge das neue Bad selbstverständlich nutzen werden. Denn Public Private Partnership scheint in Villach großgeschrieben. Es herrscht eine muntere gegenseitige Beteiligung diverser Thermen- und Thermenhotelgesellschaften und den Teilgesellschaftern Georg Lukeschitsch und Susanna Mayerhofer sowie der Freibad GmbH. Also reden alle mit. Wahrscheinlich zahlen auch alle ganz vorbildlich anteilig am Projekt mit, doch Genaueres entzieht sich freilich unserer Kenntnis.

Die Architekten vollendeten also den Bauherrenwünschen entsprechend die Planungen des sehr anspruchsvollen und deshalb den Namen Architektur verdienenden Projektes bis hin zur abgeschlossenen Ausführungs- und Detailplanung sowie der Erstellung der Leistungsverzeichnisse. Doch die Bauherrschaft zeigte sich zunehmend unzufrieden, stellte wiederholt Nachforderungen, die die Architekten lieferten. Doch schließlich bekamen sie einen Brief von den Auftraggebern. Darin traten diese vom Vertrag zurück, ohne die noch ausstehenden Honorare zu bezahlen, und gaben als Begründung an, ein nicht näher genannter „allgemein beeidigter gerichtlich zertifizierter Sachverständiger“ habe unter anderem zahlreiche technische Mängel und das Fehlen von Details festgestellt. Weder Gutachten noch Gutachter sind den Architekten bekannt.

Häuser bauen statt streiten

Ein kleiner Exkurs an dieser Stelle: Die Beschreitung des Rechtsweges ist gewöhnlich etwas, dem man auszuweichen versucht. Vor allem Architekten sind nicht gerade bekannt dafür, ihre Auftraggeber leichtfertig zu verklagen. Schließlich sitzen die meistens auf längeren Ästen, die noch dazu nicht selten von hauseigenen Rechtsabteilungen gut gestützt werden. Außerdem will man weniger streiten als gute Häuser bauen.

Die Wiener beschlossen dennoch, diese Causa erstmals einem guten Anwalt zu überantworten. Denn die saloppe Weigerung, die ausstehenden vereinbarten Honorare zu bezahlen, wäre sowohl moralisch als auch finanziell schwer verdaulich. Zudem müssen sie ein Projekt abschreiben, an dem sie drei Jahre ihres Arbeitslebens verschlissen haben.

Ebenfalls in Kärnten, genauer in Velden, machten auch die Wiener Kollegen András Pálffy und Christian Jabornegg erstaunliche Erfahrungen. Auch sie gewannen im Jahr 2004 einen Wettbewerb, und zwar das Hotel- und Appartementprojekt Schloss Velden. Auf der Homepage der Auftraggeberin, der Kärntner Hypo Alpe-Adria steht heute zu lesen: „Insgesamt wurden in das Projekt Hotel & Residenz Schloss Velden rund 127 Millionen Euro investiert.“

Die Architekten selbst schlossen mit einer Tochtergesellschaft der Bank allerdings einen Vertrag über einen Kostenrahmen von lediglich 37,3 Millionen Euro für das Projekt ohne Inneneinrichtung ab, denn zwischenzeitlich hatten die Auftraggeber beschlossen, die Ausstattung der Innereien einem anderen Team zu übertragen.

Abgesehen von den offenbar undurchsichtigen Finanzfragen, die das Gesamtprojekt aufwirft - etwa wie sich die leicht errechenbare und trotz Abzugs der Grundstückskosten von 22 Millionen immer noch erkleckliche Differenz genau aufschlüsselt - blieb man den Architekten aus dem bestehenden Vertragsverhältnis ein Nettohonorar in der Höhe von rund 93.000 Euro schuldig. Da sich das Architektenhonorar allerdings von der Bausumme ableitet, dürfte es sich, würde man ehrlich rechnen, um wesentlich mehr handeln. Da auch Jabornegg & Pálffy wenig Talent zum Duckmäusertum haben, wurde soeben eine Klage gegen die Auftraggeber eingebracht, um die ausstehenden Honorare einzufordern.

So weit zwei Beispiele aus Kärnten. Doch auch in der Bundeshauptstadt sind ähnliche Spielformen unterschiedlicher Moral- und Sittenauslegungen zu beobachten. So geschehen beispielsweise im Fall eines Verhandlungsverfahrens, das die Stadt Wien vertreten durch das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser zu Jahresbeginn ausgelobt hatte. Titel des Verfahrens: „Generalplanerleistungen für Zubau und Sanierung Pensionistenwohnhaus Liebhartstal II“ im 16. Bezirk.

Eine fachkundige Bewertungskommission befand das Projekt der Architekten Delugan Meissl in einer zweiten Runde und nach einem Hearing als jenes, das den Zuschlag erhalten solle. Doch dies schien den Auslobern nicht so recht zu passen. Es wurden umfangreiche Nachweise von den Architekten gefordert, wie etwa einer über die „Bedienbarkeit von Fensterelementen“. Derlei Nachweis ist zumindest in der Fachwelt bis dato unbekannt. Die Architekten argumentierten in einem Schreiben, dass die genaue Überarbeitung ohnehin im Rahmen der fortschreitenden Planung erfolgen würde. Daraufhin, so Petra Rindler von der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Pflaum, Karlberger, Wiener, Opetnik, „wurde das Projekt mit der Begründung ausgeschieden, dass die vom Auftraggeber geforderten Anforderungen nicht erfüllt wurden.“

Diese Vorgangsweise, so die Anwältin, sei allerdings unzulässig und rechtswidrig: „Planer müssen ohnehin schon kosten- und zeitintensive Leistungen im Rahmen eines Wettbewerbes erbringen, es muss daher gewährleistet sein, dass die in den Ausschreibungsbedingungen geforderten Leistungen nicht später ausgeweitet werden können.“ Denn: „Eine solche Vorgangsweise würde die Teilnahme an Wettbewerbsverfahren für Planer noch weniger kalkulierbar machen.“

Architektenausbooten als Mode

Als Nichtjurist ist man versucht zu sagen, dass die Architekten den Auftraggebern aus welchen Gründen auch immer ganz einfach nicht geschmeckt haben. Das Resultat ist jedenfalls der bereits erfolgte Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie ein gerade laufendes Verfahren vor dem Vergabekontrollsenat Wien. Weil auch Delugan Meissl eher zu den Streitbaren als zu den Duckmäusern gehören.

Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen: Die Unmoralischen unter den Bauherren - denn selbstverständlich gibt es viele lobenswerte andere - versuchen mit fadenscheinigen Begründungen Architekten auszubooten, und die Mittel zum Zweck sind mannigfaltig. Das Haupttransportmittel ist jedoch stets der Anwurf - das Schlechtmachen von Leistungen. Die Architekten befinden sich plötzlich in der Rolle der Angegriffenen, in der undankbaren Position derjenigen, die sich verteidigen müssen. Die Auftraggeber engagieren in solchen Momenten auch gern Projektsteuerer, scheinbar um zu vermitteln, tatsächlich aber gelegentlich, um die nicht selten dubiosen Geldflüsse in die gewünschten Richtungen zu lenken.

Fazit: Die Architekten haben in diesem Land keine Lobby. Das ist der wahre Jammer. Es hört sie keiner. Sie müssten noch viel lauter schreien. Denn nicht nur sie selbst bleiben unter Umständen auf der Strecke, sondern auch das, was man Baukultur nennt, und was unser aller Umwelt maßgeblich prägen könnte. Wenn alle wollten. Das wäre moralisch. Jetzt und für die folgenden Generationen.

Der Standard, Mo., 2009.06.01

16. Mai 2009Ute Woltron
Der Standard

Die neuen Freiheiten warten noch

Der Schweizer Architekt Ernst Hubeli über Raumplanung und Energieverschleiß und die Sinnhaftigkeit eines gesunden Hedonismus

Der Schweizer Architekt Ernst Hubeli über Raumplanung und Energieverschleiß und die Sinnhaftigkeit eines gesunden Hedonismus

Die Zersiedelung der Steiermark gilt, wie Sie sagen, im gesamteuropäischen Raum als Paradebeispiel dafür, wie man's nicht machen soll. Was bedeutet dieser - übrigens auch in anderen Teilen Österreichs beobachtbare - Zersiedelungsirrsinn energiepolitisch?

Ernst Hubeli: Die steirische Agglomeration ist das Beispiel für eine maßlose Zersiedlung. Das Verhältnis von Infrastrukturaufwand - Straßen, Netze, Unterhalt, Energie - und Zeitverbrauch - zur Bevölkerungsdichte bricht alle Rekorde - im negativen Sinn natürlich. Noch fataler ist: Während im restlichen Europa ein klarer Trend besteht, neue Bauzonen zu verbieten, opfert die steierische Raumpolitik weiterhin Freiland - mit der Begründung, die Abwanderung aufzuhalten. Das ist so, als ob man den Klimawandel mit einem erhöhten CO2-Ausstoße bekämpfen wollte.

Die steirische Raumpolitik sollte sich mit dem befassen, was bereits ein reales Szenario ist: die Stadtrückwanderung. Nach Graz sind über 10.000 Menschen in den letzten zwei Jahren zurückgezogen, was ja eine Chance ist, den Rückbau der Zersiedelung aktiv zu einem Thema zu machen und zu überlegen, wie man die Ex-Agglomeriten für das urbane Leben begeistern könnte.

Stichwort Politik: Warum kriegt diese europaweit das Zersiedelungsproblem ganz offensichtlich nicht in den Griff? Liegt das an Unfähigkeit oder Unwilligkeit?

Hubeli: Bisher wurde die Zersiedelung mit Landschaftszerstörung gleichgesetzt, was eine Verharmlosung ist, insofern, als man darüber streiten kann, was als Zerstörung gilt und was nicht. Heute geht es nicht um landschaftliche Geschmacksfragen, sondern um die Tatsache, dass die realen Kosten der Zersiedelung, inklusive der Folgekosten, schlicht nicht mehr finanzierbar sind - es fehlt die „Kohle“: das Geld und billige Energie. Und billige Energie wird in den nächsten 20, eher 40 Jahren nicht zu haben sein. Bestenfalls mit einem Anteil von sechs bis zehn Prozent.

Und der Verschleiß an Infrastruktur, Raum, Boden, Luft, Unterhalt und Zeit hat die Lebensqualität verschlechtert. Mit anderen Worten: die volkswirtschaftlichen und anderen Kollateralschäden setzen neue, strukturelle und engere Grenzen vom Siedlungswachstum. Das bereits in den 60er- und 70er-Jahren diskutierte Nullwachstum kann ein Realszenario werden.

Die Zersiedelung wurde bisher bezahlt?

Hubeli: Durch eine stillschweigende Subventionierung. Die realen, volkswirtschaftlichen Kosten der Zersiedelung entsprechen einem Benzinpreis um acht Euro und einer Pkw-Steuer um 1500 Euro. Selbst mit subventionierter Mobilität findet heute ein Rückbau statt. Die Stadtrückwanderung findet nicht nur in der Steiermark, sondern auch in den nordamerikanischen und europäischen Agglomerationen statt - erzwungenermaßen, weil die Lebensweise in stark zersiedelten Gebieten für viele, tendenziell für den gesamten Mittelstand, nicht mehr bezahlbar ist. Die zeitliche Dimension vom Rückbau besteht in der Pragmatik: Je später er realisiert wird, umso teurer wird er. Ökonomische Zwänge und nicht Gutgemeintes sind - auch historisch gesehen - der Motor für solche und ähnliche Veränderungen. Die Umwelt hat allerdings den Vorteil, dass sie auch ohne Kapital existieren kann, während Kapital mit sich allein wertlos ist.

So ist das Energie- und Zersiedelungsthema nicht nur „grüne“ Politik. Aber wo stehen die normalen Bürger und die Agglomerationsbewohner?

Hubeli: Zur politischen Ökonomie der Umwelt gehört das gewöhnliche Alltagsleben. Aus diesem Zusammenhang verstehe ich mich als Urbanist. Und als solcher bin ich an einem hedonistischen Alltagsleben interessiert und ein Feind von vorauseilender Bevormundung wie überflüssigen Pflichterfüllungen. Das heißt auf die Umweltproblematik bezogen: Man sollte sie nicht nur bejammern und sparen, sondern in ihr auch neue Chancen und Möglichkeiten sehen.

Welche?

Hubeli: Die Stadtflucht in den 70er- Jahren hatte ihre verständlichen Gründe: Die Städte waren unwirtlich, teuer, verkehrsüberströmt, und die grüne Agglomeration erschien attraktiver: Nicht die Stadtluft macht frei, sondern die Aggloluft. Heute müssen sich gerade die Agglomerationsbewohner fragen, ob das noch stimmt. Die Sehnsucht nach dem Leben wie der Landadel ist in der mittelständischen Wirklichkeit ja ein mickriges, hühnerfarmähnlich aufgereihtes Einfamilienhäuschen, mit einem Mutter-Kind-Ghetto-Alltag, wo die jungen grünen Witwen vereinsamt unter dem Apfelbaum Romane von Paulo Coelho verschlingen.

Dieses „Ideal“ erzwingt ja geradezu Sehnsüchte nach einem anderen Alltagsleben. Vor allem, wenn man bedenkt, welche Lebensentwürfe heute möglich sind, seit es keine Landeier mehr gibt. Mit den neuen Netzwerken haben sie sich die Welt erschlossen und die Stadt entdeckt. Digital navigierend flirten sie mit dem Abenteuer um die Ecke, das Downtown zu einer freinächtigen Bartour werden kann.

Die Entwicklung der Agglomeration und der Städte hat also auch damit zu tun, wie wir leben und leben wollen?

Hubeli: Wie wir ohne Selbstzerstörung angenehm leben können. Es braucht dazu keine Weltverbesserungsmodelle oder Pastoren - eher eine Kursänderung. In den letzten 50 Jahren folgt die Stadt- und Agglomerationsentwicklung dem Primat der Verkehrsplanung - nach dem Motto: zuerst Straßen bauen, dann Häuser. Das hat zu einer Angebots- und nicht zu einer Nachfrage- und Bedarfsplanung geführt. Dahinter steht - besser: stand - eine mächtige Öl- und Autoindustrie, die an vielen Straßen und an einer Politik interessiert war, welche die Folgekosten des Pkw-Verkehrs weder auf die Pkw-Steuer noch auf die Pkw-Preise und das Benzin schlagen.

Auch wenn Frau Merkel immer noch den Tränen der Deutschen Autoindustrie erliegt - der Kniefall hilft nicht weiter, so wenig es sich lohnen kann, in ein Auslaufmodell zu investieren. Und daraus kann man nur lernen: Die von Energie- und Autolobby gelenkte Verkehrspolitik war unbelehrbar und konnte sich - was nun geschah - nur selbst zerstören. Ein Teil dieser Industrie wird freilich überleben, aber nur, indem sie sich vom Kopf auf die Füße stellt. Wie zum Beispiel Shell. Der Weltkonzern hat in eine Forschung investiert, die klärt, wie das Leben mit viel weniger Verschleiß aussehen könnte. Das ist auch Ausdruck davon, dass kein Profi mehr an die angebliche Alternative, an die Substitution endlicher Ressourcen glaubt.

Wenn es um das „Energiesparen“ in baulicher Hinsicht geht, erleben wir derzeit EU-weit eine klare Objektfixiertheit. Auch Normen und Vorschriften bleiben kläglich an Einzelobjekten hängen, und Begriffe wie Städtebau oder Raumordnung kommen in den Debatten so gut wie (noch) nicht vor. Was wäre die bessere Planung?

Hubeli: Zuerst Raum- und dann Verkehrsplanung. Dann wird man sofort erkennen, dass eine gewisse Bebauungsdichte nötig ist, damit sich die Investitionen in die Infrastruktur überhaupt lohnen. Zudem kann es ja kein Lebensziel sein, möglichst lange Wege hinter sich zu bringen. Das heißt: keine Trennung von Funktionen, sondern ein möglichst nahes Nebeneinander von allem, was man so braucht im Alltag.

Auch Wohnen und Erholen muss nicht um Meilen oder Länder getrennt sein. Der Freizeitverkehr hat heute einen Anteil von fast 40 Prozent vom Gesamtverkehr, was einer Massenflucht vom steinernen Wohnen ins Räkeln im Grünen oder Azurblau entspricht. Abgesehen davon, dass die Mobilität viel teurer wird, hat diese Trennung ja nur Nachteile.

Auch in New York wohnen die Leute am liebsten am Central Park. Und das muss nicht zwangsläufig exklusiv und teuer sein. Es gibt Städte, die sich in den letzten Jahren perforiert haben - etwa Leipzig -, um das Leben in der Stadt angenehmer und vielfältiger zu machen.

Das bedeutet noch lange nicht, dass man den Urlaub zu Hause verbringen muss. Aber je weiter weg, ist ja nicht automatisch umso besser. Vor allem in der Zukunft nicht. Der Flug zum Indischen Ozean wird bald einen doppelten Monatslohn kosten, was sich auch deshalb nicht lohnt, weil man bestenfalls noch zuschauen kann, wie die Malediven im Meer versinken.

Wenn es um quantitative Effizienz geht, dann ist die Berechnung von Tom Kurt aufschlussreich: Jemand, der in Houston lebt, verbraucht dreimal mehr Energie als jemand, der in Siena lebt, ohne dass sich der Lebensstandard wesentlich unterscheidet. Es geht also - im Fachjargon - um Gesamtbilanzen: Was braucht es an Energie, Wegen, Zeit, Unterhalt, Reparaturen, Frust und Lust, sich im Alltag zu bewegen?

Sind die Ökostädte ein Modell?

Hubeli: „Ökostädte“ wie etwa Masdar in Abu Dhabi sind autofreie Luxusenklaven. In der Regel nur durch die Wüste oder die Wildnis erreichbar - mit dem Privatjet oder mit einem SUV (Sportunterhaltungsvehikel) -, was unter dem Strich einen ökologischen Fußabdruck ergibt, der energiefressender ist als jede gewöhnliche Zersiedelung, die abgesehen davon nicht neu gebaut werden muss.

Können Sie auf die Potenziale telekommunikativer Netze näher eingehen?

Hubeli: Mit den Netzen hat sich die Standortabhängigkeit von Branchen, Funktionen und Nutzungen stark relativiert. So kann „Stadt“ fast überall entstehen und auch wieder verschwinden. Und sie kann sich auch immateriell verdichten. Man sollte die Netzwerke in ihrer Wirkung aber nicht überschätzen. Sie sind nicht „wichtiger“ als das Gegenständliche. So können wir ja nicht den ganzen Tag auf den Bildschirm starren. Im Gegenteil. Je mehr wir medial glotzen, desto größer wird der Wunsch, in urbane Welten einzutauchen.

Wir leben gleichzeitig in virtuellen und realen Welten?

Hubeli: ... die sich gegenseitig beeinflussen. So hat sich die Lesart der Städte und Räume verändert. Der Flaneur ersetzt den Navigator. Bevor wir in die Stadt abtauchen, werden die Orte und Ereignisse navigiert, was natürlich die Auswahlmöglichkeiten erhöht. Mit anderen Worten: Auch die alte Stadt ist nicht mehr die alte Stadt. Auch wenn sie weiter existiert, wird sie anders gelesen - als ein Netzwerk aus Ereignissen, Dörfern und Landschaften. Wobei alle Dörfer städtisch sind, egal ob sie in der Stadt oder außerhalb lokalisiert sind.

Ich gehe davon aus, dass sich im Städtebau und in der Architektur auch andere Denkfiguren durchsetzen werden. Man wird nicht mehr Häuser und einzelne Objekte entwerfen, sondern Situationen, Szenarien und Städte in der Stadt.

Wer hat bei den angesprochenen Themen bereits die Nase vorn?

Hubeli: In Holland und Dänemark werden Projekte realisiert, welche die alte europäische Stadt mit ihrer Metropolitanisierung überlagern - also eine Verdichtung nach innen. In Amsterdam und Kopenhagen kann man sich das bereits anschauen. Die Resultate sind zwiespältig, weil bloße Verdichtung ja kein Gewinn sein muss.

In Zürich entwickeln wir ein Szenario mit gleichzeitiger Verdichtung und Auflockerung - im städtebaulichen Sinn eine Nachverdichtung mit einem spezifischen Thema - mit kostengünstigem Wohnungsbau nach dem Motto von Tucholsky „Vorne den Kudamm, hinten die Nordsee“ bzw. „Vorne die Stadt, hinten ein Park“, was das Image von der reichen, eher monoton homogenen Stadt aufweichen kann. In der Schweiz gibt es auch diverse Projekte für eine konzentrierte Zersiedelung.

Möglicherweise für Europa richtungsweisend ist das gerade entstehende Konzept für Reininghaus in Graz. Auf 55 Hektar wird die nächste Stadt radikaler als in Holland gedacht. Es werden keine Wohnblöcke, Bürotürme und Eventcities gebaut, sondern es wird urbaner Lebensraum geschaffen, der zwar geplant, aber unfertig bleibt, der sich immer neu oder weiter entwickeln kann, wo Möglichkeiten und Unbekanntem Raum geboten wird, wo das Urbane neu und zugleich so verstanden wird, wie es heute wirklich ist: ein ewiges Gedankenexperiment.

Persönliche Frage: Können Sie nachvollziehen, warum wir dermaßen nachlässig mit unwiederbringlichen Ressourcen wie Landschaft und Natur umgehen?

Hubeli: Die Gesellschaft hat eine narzisstische Episode durch- und ausgespielt, was immerhin die Erkenntnis gebracht hat, wo die Grenzen liegen, wenn Individualisierung ohne Sozialisierung stattfindet. Die sogenannte Postmoderne hat insofern keine neuen Freiheiten generiert, sondern neue Zwänge. Oder anders gesagt: Die neuen Freiheiten warten noch, bis sie das Glück findet, das eben nur aus Gemeinschaften entstehen kann - eine Einsicht, die übrigens die Glücksforschung teilt wie der Philosoph Robert Pfaller, der im narzisstischen Selbstverwirklichungsstress einen Beuteverzicht sieht.

[ Der Kongress „Stadt statt Energie“ findet am 20. Mai ab 8.30 Uhr im Loft Graz-Reininghaus, Reininghausstraße 11a, statt. Anmeldung und Infos unter www.isv.tugraz.at/stadt2009 ]

Der Standard, Sa., 2009.05.16



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Hubeli Ernst

02. Mai 2009Ute Woltron
Der Standard

Viele Teilchen machen das Ganze

Im spanischen Badeort Sitges trafen einander allerlei Experten, um im Rahmen der Real Corp über die Zukunft der Stadt vorzutragen.

Im spanischen Badeort Sitges trafen einander allerlei Experten, um im Rahmen der Real Corp über die Zukunft der Stadt vorzutragen.

„Cities - Smart, Sustainable, Integrative“ lautete die Überschrift zur diesjährigen Real Corp, die vergangene Woche im spanischen Sitges gleich ums Eck von Barcelona an vier Tagen über diverse Rednerbühnen ging.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der zum 14. Mal stattfindenden Konferenz für Architekten und Raumplaner kamen aus aller Welt in das propere Badeörtchen gereist, um sich im lokalen Design-Zentrum auszutauschen. Die Themen kreisten allesamt in größeren und kleineren Radien um die Frage, wie Städte mit den heutzutage zur Verfügung stehenden Technologien und Wissensständen verbessert und zukunftstauglich gemacht werden können.

Diese Zukunftstauglichkeit ist selbstverständlich einer der Knackpunkte unser aller Fortkommens. In der kompliziertesten aller Disziplinen, dem Städtebau und den unendlich vielen Verantwortlichkeiten, die dazugehören, geht es nicht nur darum, für das Zusammenleben sehr vieler Menschen stimmige Rahmenbedingungen zu schaffen oder zumindest zu ermöglichen, es geht naturgemäß auch immer stärker um die Organisation der bestmöglichen Verwendung von Ressourcen.

Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt bekanntlich mittlerweile in Städten, in wenigen Jahrzehnten werden es bis zu 70 Prozent sein, wird von der Uno prognostiziert. Gerade in Städten können also pflegliche Prozesse wie Energiesparen und Treibhausgasreduzieren besonders effizient in Angriff genommen werden. Oder besser: könnten - denn der Weg zur ökologisch intelligenten großen Stadt scheint in Anbetracht explodierender Megacitys in Asien samt fortschreitender privater Motorisierung doch noch recht weit zu sein.

Doch Manfred Schrenk, der stets wohlgelaunte und Optimismus versprühende Corp-Häuptling und Geschäftsführer des in Schwechat beheimateten CEIT, Central European Institute of Technology, ließ gleich zu Beginn der Konferenz keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die unerwartetsten Entwicklungen dennoch innerhalb kürzester Zeit Raum greifen können. Zum Beweis schmiss er ein Foto seines Elternhauses aus den 80er-Jahren auf die Leinwand, gleich dahinter machte der Eiserne Vorhang Richtung Tschechoslowakei mit mächtig Stacheldraht und Warnhinweisen dicht. Auf dem Folgebild aus heutigen Tagen war nicht einmal mehr ein Grenzbalken zu sehen, sondern eine nationenverbindende Straße. Die Möglichkeiten sind also unendlich, sie müssen nur erkannt, genutzt, in die Tat umgesetzt werden.

Die vor allem von Universitäten und wissenschaftlichen Institutionen herbeigereisten Corp-Teilnehmer referierten denn auch über unterschiedlichste Themen, deren Spektrum von der Organisation von Bürgerbeteiligungen über intelligente Nahtransportsysteme, Potenziale innerstädtischer Grünflächen, avancierte computerunterstützte Planungsmethoden, Ökologisierung bis hin zur Präsentation ganzer neuer Stadtteile wie beispielsweise des ehemaligen Flugfelds Aspern in Wien reichte. Die Strategien und Konzepte, um die urbane Zukunft zu planen, sind vorhanden. Doch wie bringt man sie rasch zur Anwendung?

Einer der Hauptredner der Corp kam aus Großbritannien, hieß Greg Clark, und der befasst sich hauptberuflich mit ebendieser Frage: Was macht Städte zu erfolgreichen Städten? Sein Vortrag war offensichtlich einer, der sich an politischen Machtklötzen in der Vergangenheit bereits ein wenig zurechtgeschliffen hatte, doch wer seine Zeit damit verbracht hat, hauptberuflich mehr als hundert Städte nach allen Richtungen zu analysieren, dürfte dazu berufen sein, folgende Thesen zu propagieren.

Denn über die Kriterien, die eine erfolgreiche Stadt ausmachten, so Clark, herrsche international Konsens: Sie muss zuallererst für die Bewohnerinnen und Bewohner verkehrstechnisch exzellent erschlossen sein und eine gute Umweltperformance zeigen. Die erfolgreiche Stadt ist ein Hort hervorragender Ausbildungsstätten, und mit diesen breitgestreuten unterschiedlichen Fachkenntnissen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner ist die Stadt auch ein Ort, an dem Innovation und Kreativität zu Hause sind.

Diese schätzt zum Beispiel das Unternehmertum außerordentlich, ohne welches auch keine erfolgreiche Stadt ihr Auslangen findet. Des Weiteren wichtig sind laut Clark die industrielle Struktur, Kostenbasis, Transparenz von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und - last, but not least - gestalterische Identität und markante Gebäude. „Eine erfolgreiche Stadt“, so der Brite, „zieht die Menschen an. Wir haben im Zuge unserer Forschungen keine einzige erfolgreiche Stadt gefunden, die nicht Leute von außen reingeholt hätte.“

Die Krise ist die Chance

Doch wie wirkt sich nun die sogenannte Krise auf die Realisierungschancen all dieser löblichen Ansätze aus? Diese sei, so Clark, tatsächlich eine einzigartige Herausforderung für all jene, die in den Städten das Sagen hätten.

„Diese Krise ist jetzt die Chance, großangelegte Veränderungen vorzunehmen.“ Reorganisationen beispielsweise, die in fetteren Zeiten aufgrund ewig währender Meinungsfindungsprozesse aufgeschoben worden seien, könnten nun dank des deutlich empfindlicheren kommerziellen Drucks beschleunigt durchgeboxt werden. Vor allem aber müssten sich Städte Prioritäten setzen, also ein identifikationsstarkes Profil erarbeiten und in allen Belangen umsetzen.

So weit die Theorie. Doch wie es in der Praxis ausschaut, das referierte ein paar Tage später in Wien ein Mann, der diese mit allen Abgründen und Schluchten nur allzu gut kennt. Der deutsche Architekt Dieter Koppe hat im Laufe einer langen, bewegten Karriere große Projekte wie zum Beispiel die Münchener Allianz Arena gemeinsam mit Kollegen wie Herzog & de Meuron gestemmt. Am Institut für Gestaltung der TU-Wien hielt er auf Einladung von András Pálffy einen exzellenten Vortrag darüber, was dem Standard die Gelegenheit bot, sozusagen architekturmetaphysisch ein wenig nachzubohren. Etwa die Frage, ob sich die Rahmenbedingungen für Architektur in der jüngeren Vergangenheit verschlechtert hätten, weil als alleiniges Ziel die Rendite gelte, beantwortete Koppe mit einem klaren Ja: „Seit etwa zehn Jahren hat sich die Situation komplett verändert, und das hängt mit den Auftraggebern zusammen. Begriffe wie langfristiges Planen und Denken sind nicht mehr vorhanden.“

Schuld daran sei die Schnelllebigkeit von Vorständen in Unternehmen und Konzernen, die sich in den immer kürzer werdenden Phasen ihres Wirkens ausschließlich an ökonomischen Werten orientierten, wodurch die Architektenschaft überlegter und kluger Bauherren verlustig gegangen sei. „Das Resultat dieser Entwicklung“, so Koppe, „ist desaströs.“

Doch auch er sieht in der „Krise“ nun die Chance, dass man sich durch die Verknappung der Mittel wieder auf längerfristiges Denken und umsichtigere Planung ver-legt. „Dass in einer Verknappung durchaus eine Chance liegt, das kann man beweisen“, sagte er und führte als Beispiel ein Projekt in Luxemburg mit den Architekten vom Atelier 5 an. Die Bauherrschaft hatte das Bauvorhaben aus Gründen liquider Engpässe hintangestellt, jedoch gemeint, wenn man die Kosten um 25 Prozent reduzieren könne, würde man dennoch den Startschuss geben.

Koppe: „Tatsächlich ist das Gebäude in letzter Konsequenz noch viel besser geworden, als in der ersten Planung.“ Doch für derlei Prozesse braucht das Planerteam vor allem eines: Zeit. Und: eine schlanke, entscheidungsfreudige Mannschaft, die persönliche Verantwortung für gute Architektur zu tragen bereit und imstande ist. Architektur ist Teamsache, aber nur für wirklich Persönlichkeitsstarke.

Infos zur Konferenz sowie Zusammenfassungen der einzelnen Vorträge gibt es unter www.corp.at.

Der Standard, Sa., 2009.05.02

02. Mai 2009Ute Woltron
Der Standard

Jedem Bundesland sein bestes Haus

Am Mittwoch wurde im Architekturzentrum Wien der diesjährige Preis „Das beste Haus“ verliehen. Aus insgesamt 124 Einreichungen wählte eine zehnköpfige...

Am Mittwoch wurde im Architekturzentrum Wien der diesjährige Preis „Das beste Haus“ verliehen. Aus insgesamt 124 Einreichungen wählte eine zehnköpfige...

Am Mittwoch wurde im Architekturzentrum Wien der diesjährige Preis „Das beste Haus“ verliehen. Aus insgesamt 124 Einreichungen wählte eine zehnköpfige Jury jeweils ein Siegerprojekt pro Bundesland aus. Der Fokus fiel dabei auf ein möglichst klares Konzept. „Das durch seine Luxuriösität beeindruckende Einfamilienhaus - riesig, teuer und in bester Lage - bedarf keiner Fürsprache durch einen Preis“, sagt Juryvorsitzende Gabriele Kaiser, „besonderes Augenmerk verdienen jene Entwürfe, bei denen scheinbare Nachteile zu besonderen Lösungen Anstoß gaben.“

Die neuen Prämierungen sind: Stampflehmhaus von Boltshauser Architekten AG und Martin Rauch (Vorarlberg), Haus Meyer von Holzbox ZT GmbH (Tirol), Haus 47° 40' 48"N /13° 8' 12"E von Maria Flöckner und Hermann Schnöll (Salzburg), Einfamilienhaus in Stocking von Andreas Karl (Steiermark), Rundbogenhaus in Klagenfurt von Winkler+Ruck Architekten (Kärnten), Haus HP von Schneider & Lengauer Architekten (Oberösterreich), Haus am See von Katja Nagy (Niederösterreich), Hofhaus Millergasse von Froetscher Lichtenwagner (Wien) sowie Haus in Weiden am See von Andreas Doser und Andrea Dämon (Burgenland).

Die von der s Bausparkasse und dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur gestiftete Preissumme beträgt 6000 Euro pro Projekt.

Der Standard, Sa., 2009.05.02



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Das beste Haus 2009

15. April 2009Ute Woltron
Der Standard

Der Mönch vom Heiligen Berg

Der Schweizer Architekt Peter Zumthor wird Pritzker-Preisträger

Der Schweizer Architekt Peter Zumthor wird Pritzker-Preisträger

Schmal und steil führt der Weg hinauf in das Schweizer Alpendorf Haldenstein, wo die Klause des Peter Zumthor (65) steht. Dort lebt und arbeitet der in Basel geborene Architekt, umgeben von einer Mitarbeiterschar von nie mehr als 20 Jüngern - ein kleines Architekturbüro, das seit 1979 besteht und nur wenige Projekte umsetzt, doch jedes einzelne davon vom großen Atem der Ewigkeit beseelt. In dieser von Alpengipfeln umsäumten Einsamkeit empfängt Zumthor Bauherren aus aller Welt. Die reisen an wie Pilger, um von ihm die Absolution in Form exquisiter Architektur zu erlangen. Denn Zumthor kann sich mittlerweile aussuchen, für wen er baut, und nur Auserwählte erhört der asketische, bescheiden lebende Baumeister.

Zum Beispiel die Bauern aus dem deutschen Mechernich. Die kamen mit der Bitte um eine Kapelle für den heiligen Bruder Klaus. Zumthor schichtete über hundert schwere Baumstämme auf einem Feld zu einem rohen Turm übereinander, ließ die Bauern einen Monat lang Tag für Tag eine Schicht Beton auftragen, fackelte schließlich die Baumstämme im Inneren bedächtig drei Wochen lang ab, sodass schließlich eine rohe Betonhöhlung entstand. Auf dem Boden eine Schicht geschmolzenen Bleis, oben eine Kreisöffnung, durch die Licht und Regen fallen.

Für Weihestätten wie diese ist der Schweizer berühmt. Selbst sein bekanntestes Werk, die Therme in Vals (1996), geriet zu einer Art Sakralraum für Wasser und Verinnerlichung. Für die nur wenige Zentimeter hohen Quarzitblöckchen, die das Gebäude auskleiden, ließ er exakte Verlegepläne zeichnen. Denn die Seele des Materials ist Zumthor heilig.

Eigentlich hat er das Tischlerhandwerk gelernt, bevor er Architekt wurde. Präzision, Materialtreue sowie ein schlafwandlerisches Gespür für Raum sind sein Kapital. Das stellte er auch mit dem Kunsthaus Bregenz (1997) unter Beweis: ein kantiger Betonkern, umhüllt von transluzentem Glas, ein kostbarer Schrein für die Kunst. Zumthor arbeitet abseits jeder Mode, jedes Gags. Er ist eigentlich ein Relikt einer bereits untergegangen geglaubten Zeit. Wer zu ihm kommt, will Architektur, die für die Ewigkeit gemacht scheint.

Ende Mai wird Zumthor, der Hohepriester der raffinierten Einfachheit und der materialgewordenen Kontemplation, in Buenos Aires den Pritzker-Preis und damit die mit Abstand renommierteste Auszeichnung für Architektur entgegennehmen. Dann wird er sogleich wieder in sein Alpendorf zurückkehren.

Der Standard, Mi., 2009.04.15



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Zumthor Peter

11. April 2009Ute Woltron
Der Standard

Stadt ohne Seele

Das Erdbeben in Sizilien vor 41 Jahren: Bis heute haben sich im Städtchen Gibellina die Wunden nicht geschlossen. Sie werden das auch nie tun.

Das Erdbeben in Sizilien vor 41 Jahren: Bis heute haben sich im Städtchen Gibellina die Wunden nicht geschlossen. Sie werden das auch nie tun.

Am Abend des 14. Januar 1968 begann im Westen Siziliens die Erde zu beben. Erst ganz leicht. Ein paar schwache Erdstöße. Die meisten Leute, durchwegs Ziegenbauern und Weinbauern, verließen dennoch ihre Häuser in den jahrhundertealten Städtchen aus Stein und verbrachten die Nacht sicherheitshalber im Freien. Denn 60 Jahre zuvor hatte es drüben im Osten, auf der anderen Seite Siziliens, ein Erdbeben gegeben, das sich mit 75.000 Toten in der kollektiven Erinnerung eingegraben hatte.

Die Menschen saßen auf den Hügeln rund um ihre Städte in den Weinbergen und auf den Feldern und warteten. Eine kalte Nacht. Um drei Uhr morgens wussten sie, dass das erste Beben nur ein Vorbeben gewesen war. Innerhalb von 30 Sekunden zerbröselten vor ihren Augen Städte wie Salaparuta, Montevago, Salemi und Gibellina zu Sand und Geröll.

Diese Siedlungen waren bis zu 900 Jahre alt gewesen. Von Menschen gemachte, mit Menschen gewachsene Geschichte. Als sie zerbarsten, zersprangen nicht nur die Häuser, es zersprangen auch Gemeinschaften - und nichts sollte je wieder so sein, wie es einmal gewesen war.

Joerg Burger zeichnet in seinem Film Gibellina - Il terremoto in zeitversetzten Momentaufnahmen die Geschichte einer dieser kleinen Städte und deren Menschen nach. Denn in Gibellina sollte nach der Katastrophe etwas Besonderes entstehen, dort sollte die Kunst die Leute mit ihrem Schicksal versöhnen, sollte sie mit der zeitgenössischen Reißbrettarchitektur anfreunden, die ihre neue Heimat hätte werden sollen. Doch dieses Experiment, angetrieben von einem charismatischen Bürgermeister, der das Gute wollte, jedoch eine andere, schleichende Katastrophe damit provozierte, ist heute, vier Jahrzehnte nachdem die Erde gebebt hat, missglückt.

Das alte Gibellina - das war ein prachtvolles Bergdorf gewesen, mit mittelalterlich schmalen, gewundenen Gassen, mit einer Kirche, wie man sie sich würdiger und prunkvoller nicht vorstellen kann, mit Häusern, die dicht an dicht aneinandergebaut die Steinmauern miteinander teilten.

In Gibellina stand nach der Nacht des 15. Januar 1968 kein einziges Haus mehr. Burger führt uns mit Archivaufnahmen zurück in die Tage nach der Katastrophe. Schutthalden. Nur ein paar wackelige Mauerreste stehen noch. An manchen hängen noch gerahmte Fotografien von ganz alten Leuten unter dem jetzt freien Himmel. Die Lebenden stehen dazwischen, haben leere Gesichter, sogar die Kinder können nichts tun als starren.

Knapp 40 Jahre später sitzen alte Männer auf weißen Plastiksesseln im neuen Gibellina auf der Straße und erzählen von dieser Nacht und von den Jahren, die darauf folgten. Sie tragen dunkle Anzüge und dezent gemusterte Krawatten, schauen jetzt so aus wie die Ahnen auf den Fotos, damals an den geborstenen Wänden. Das neue Gibellina ist glatt und modern, es wurde 14 Kilometer vom alten Ort entfernt errichtet. Doch bis die Menschen in ihre neuen Wohnungen ziehen konnten, sollten 14 Jahre vergehen.

Zuerst verbrachten sie ein halbes Jahr in Zelten, dann übersiedelten sie in ein Barackenlager aus Blechhütten. Mit dem Bau der neuen Stadt ließen sich die dort in Rom mächtig Zeit. Die meisten Hilfsgüter erreichten diejenigen, für die sie bestimmt waren, nie. Die für den Neubau von Häusern bereitgestellten Gelder versickerten im Land der Mafia und der Geschäftemacher in dubiosen Kanälen.

Doch weil Gibellinas Bürgermeister Ludovico Corrao mit allen Wassern gewaschen und ausnehmend lästig war, entstand das neue Gibellina schließlich doch. Von römischen Architekten und Stadtplanern auf dem Reißbrett entworfen, eine Stadt aus der Retorte wie seinerzeit Brasilia, nur natürlich viel kleiner und nicht in Form eines Flugzeugs angelegt, sondern in Form eines Schmetterlings.

Wer noch nicht - nach Turin, Mailand, Amerika oder Australien - weggegangen oder ausgewandert war, siedelte dort ein. Das waren damals Anfang der 80er-Jahre rund 8000 Menschen. Nur 4500 von ihnen sind bis heute geblieben. Die Jungen, die sind alle weg. Die großzügigen Piazze und Straßenzüge sind leer. Die Häuser und Gassen sind vergammelt, aus allen Ritzen wuchert das Unkraut. Das synthetische Gibellina wurde nie zu einer neuen Heimat, zu fremd sind die gebauten Strukturen, zu kalt, zu unmenschlich. Die 14 Jahre im engen, primitiven Barackenlager, sagt ein Gemüsehändler, seien tatsächlich viel glücklichere gewesen, man könne das glauben oder nicht. Man habe aufeinander Rücksicht genommen, habe eine Gemeinschaft gehabt. Doch hier würde jeder in seinen vier Wänden verschimmeln, sich einbunkern, die Kommunikation der Menschen untereinander sei in dieser Architektur einfach verlorengegangen. „Diese Stadt“, sagt ein anderer ihrer Bewohner, „ist eine Fremde in ihrem eigenen Umfeld. Eine Stadt, wo es enorm viel Platz - und enorme Trostlosigkeit gibt.“

Das war manchen von Anfang an klar gewesen, wie zum Beispiel dem Bürgermeister Corrao, der die Stadt von 1969 bis 1994 regierte. Mit Kunstwerken aller Art wollte er das neue, moderne Gibellina zum einen lebenswert, zum anderen zu einer touristischen Attraktion machen und damit nicht zuletzt eine Einnahmequelle im Armenhaus Italiens erschließen.

Tatsächlich stehen allerorten die Produkte teils durchaus namhafter Künstler herum. Sie morschen vor sich hin wie die Häuser und Gehsteige. Gewaltige Metallgebilde, die verrosten, seltsame brunnenartige Konstruktionen, riesenhafte Sterne, die sich über die Einfahrtstraße spannen, Inschriften, kühle Platzgestaltungen. Doch alles ist menschenleer und tot. Eine Geisterstadt, gespickt mit den Kunstprodukten von Menschen, die keine Ahnung von Ziegen und Weinreben haben, und die möglichst schnell wieder abgehauen sind von hier.

Eine alte, wackelige Filmaufnahme, schon in Farbe gedreht, zeigt einen Hochzeitszug in der alten Stadt, als die noch stand. Der Himmel ist so blitzblau und blankgeputzt wie Braut und Bräutigam darunter. Die Stadt wirkt wie ein Organismus, in dem die Häuser und die Menschen und deren Aktivitäten einander ergänzen und bedingen. Ein Organismus, der sich über Generationen zurechtgeschliffen und immer wieder erneuert hat, kann durch keine neue Struktur ersetzt werden. Das ist, als ob man ein neues Herz einpflanze, das aber immer wieder abgestoßen werde, weil es eben nicht das eigene, echte sei, sagt der Pfarrer der neuen Gemeinde. „Wir haben eine Stadt ohne Seele geschaffen“, sagt der amtierende Bürgermeister Vito Bonanno.

Die Kirche war das erste gewesen, was man sich nach dem Beben sehnlich gewünscht, auf deren Errichtung man ungeduldig gewartet habe. Doch ein paar Wochen vor ihrer Eröffnung stürzte das Dach ein. Das war 1972. Seither steht die Baustelle. „Ich sage es glasklar, dass ich in dieser Kirche niemals eine Messe lesen werde“, konstatiert der Pfarrer heute, er liest die Messe in der Schule und im Gemeindezentrum. Wie früher sitzen Frauen und Männer getrennt.

Doch - Frauen? Welche Rolle spielen die eigentlich? Wir begegnen in diesem Film so gut wie ausschließlich Männern. Männer haben diese Stadt gemacht. Männer haben die Kunstwerke gemacht. Männer haben die Politik gemacht. Männer haben die Plätze auf den Straßen in den weißen Plastiksesseln zu ihren Plätzen gemacht. Die Männer reden, während die Frauen irgendwo sind, jedenfalls verschwunden, hinter dem Herd wahrscheinlich.

Die einzige Frau in diesem Film ist die Pensionistin Antonia Civella, die im verwilderten „Botanischen Garten“ gerade einen großen Korb Maulbeeren pflückt. Damit die Familie etwas zu essen habe. Von den 200 Euro Pension, die ihr Mann bekomme, könnte man gerade die Zigaretten bezahlen. Der Baum, der gibt jedenfalls mehr her als alle Kunstwerke, die hier in der Gegend herumstehen. Was die produzieren, ist Rost, und den kann man nicht essen. Unter manchen von ihnen können wenigstens Ziegen grasen.

Einer der Künstler ist zurückgekommen, um sein zerfallenes Werk wieder zusammenschrauben zu lassen. Was es darstellt, ist nicht klar. Es sieht aus wie ein Hybrid aus dem Wrack eines bruchgelandeten Flugzeugs und dem Kadaver eines gestrandeten Wals.

Wenn die Arbeiter den Presslufthammer anwerfen, hält sich der Künstler die Ohren zu, singt dabei für sich ein Lied. Und er macht die Augen zu.

Das Experiment Gibellina ist gescheitert. Auch noch so viele autistische Kunstwerke haben die Seele dieser Stadt nicht einzufangen vermocht. Doch die Kunst für dieses Scheitern verantwortlich zu machen, wäre allzu billig. Ihr kann man nicht aufbürden, was die Architektur, der misslungene Städtebau den Menschen versagt.

Die Leute hier, sagt ein Mann im Laufe des Filmes, die seien eben noch nicht so weit gewesen, für die Kunst und die Häuser. Gut möglich, dass vielmehr die Architekten und Städtebauer noch nicht so weit waren, als sie für Wein- und Ziegenbauern Klein-Brasilia auf das Papier warfen.

Das wahrscheinlich einzige „funktionierende“ Kunstwerk befindet sich übrigens dort, wo früher die alte Stadt stand. Der Italiener Alberto Burri errichtete ab 1981 über den Ruinen ein gewaltiges Monument aus Beton. Eine großartige Arbeit. Die Häuserblöcke wurden zu etwa hüfthohen Monolithen ausgegossen, dazwischen entstanden die ehemaligen Gassen.

Durch die gehen mitunter die Alten. Dort, sagen sie, ist die Stelle, an der mein Haus gestanden ist. Dort haben wir gewohnt. Dort waren wir zu Hause.

[ „Gibellina - Il Terremoto“, ab 17. April im Filmhaus Kino, Spittelberggasse 3, 1070 Wien, www.stadtkinowien.at; www.sixpackfilm.com ]

Der Standard, Sa., 2009.04.11

04. April 2009Ute Woltron
Der Standard

Die Nacht wird lang und kalt

Die Krise hat Developer, Bauindustrie und Architektur längst erreicht. Reduzieren, Reparieren, Recyklieren könnte einer der Wege hinaus sein.

Die Krise hat Developer, Bauindustrie und Architektur längst erreicht. Reduzieren, Reparieren, Recyklieren könnte einer der Wege hinaus sein.

Zuerst ein paar aktuelle Stimmen aus der internationalen Architektur- und Developerwelt:

„Ich zweifle keine Minute daran, dass wir ein neues Zeitalter äußerster Entbehrungen erreicht haben“, sagt Chris Johnson, Chef für Europa und den Mittleren Osten bei Gensler, der größten Architekturfirma mit 31 Niederlassungen weltweit. Dem Vernehmen nach wurden in den vergangenen Monaten zehn Prozent der rund 2600 Gensler-Mitarbeiter gekündigt.

„Die meisten Architekten werden sich verzweifelt darauf konzentrieren müssen, ihre Leute, Miete, Versicherungen und erst recht ihre Kredite zu bezahlen, so sie nicht ohnehin bereits allein arbeiten oder mit einem gutbezahlten Job an einer Universität gesegnet sind“, meint nüchtern Neven Sidor, Partner in der britischen Architekturschmiede Grimshaw.

„Klar, Architekten hatten jetzt eine Zeitlang einen Heidenspaß, aber alles ist schrecklich schiefgelaufen. Jetzt geht es um Arbeitslosigkeitsprogramme, um zu überleben. So schaut's nämlich aus“, unkt Richard Barkham, Direktor bei Grosvenor, einem weltweit agierenden Developer.

Die Zahl arbeitsloser Architekten steigt weltweit alarmierend an. Waren in Großbritannien im Februar 2008 ganze 150 auf Jobsuche, so waren es im heurigen Vergleichsmonat bereits 1290. In Nordirland hat jeder fünfte Architekt mittlerweile seinen Job verloren. Noch gravierender die Situation in Deutschland: Allein in Berlin waren mit Ende März 1702 Architektinnen und Architekten arbeitslos gemeldet.

Die Auswirkungen der Krise sind glasklar ablesbar, und der Trend wird sich, darüber sind alle einig, nicht so bald umkehren. Weltweit werden Projekte zurückgestellt oder ganz gestrichen, im besten Fall werden sie redimensioniert. Betroffen sind alle, insbesondere aber die großen Architekturfirmen, wie eben Gensler, SOM, Foster, Atkins, um nur ein paar der Überflieger zu nennen, die in den vergangenen Jahren in die Goldgruben von Taiwan, Schanghai, Dubai einflogen und dort mächtig schürften. Frank Gehry, der eben seinen 80. Geburtstag begangen hat, dürfte ebenfalls nicht in Feierlaune gewesen sein. Er musste in den vergangenen Wochen die Hälfte seiner Mitarbeiter auf die Straße setzen, weil mehrere Großprojekte auf Eis gelegt wurden.

Auf Klondike folgt Armageddon, sagt man in den Großbüros. Und angesichts dieser Szenarien der internationalen Architekturwelt darf auch hierzulande nachgefragt werden, wie die Aktien der vergleichsweise natürlich viel kleineren und ganz anders aufgestellten heimischen Architekturbüros stehen.

Die Prognose lautet: Warm anziehen. Die Nacht wird lang und kalt. Die baubezogenen Konjunkturpakete, das rechnete unlängst Andreas Gobiet, Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich, Burgenland, vor, werden bedauerlicherweise das Kraut nicht fett machen. Bei einem Bauproduktionswert von zuletzt rund 17 Milliarden Euro in Hoch- und Tiefbau nehmen sich die veranschlagten 875 Millionen und somit 1,7 Prozent für die nächsten drei Jahre vergleichsweise schlank aus. Doch: weit besser als nichts. Zumindest die östlichste der vier Länderkammern hat nun für ihre Mitglieder ein Maßnahmenprogramm zur Bewältigung der Krise ausgearbeitet. Zum einen können Architekten und Planungsbüros ihre internen Strukturen in Form einer Betriebsberatung von Profis durchleuchten lassen. Zum anderen läuft über die Austria Wirtschaftsservice, kurz AWS, ein Förderprogramm zur Stärkung der betrieblichen Finanzierung an.

Diese Maßnahmen sind begrüßenswert, sie werden dennoch das, was man gemeinhin Strukturbereinigung nennt, nicht aufhalten. Noch gibt es nach Auskunft der Kammer hierzulande bis auf wenige Ausnahmen keine Büros, die akut ums Überleben kämpfen. Doch auch grundoptimistische Naturen können nicht davon ausgehen, dass dieser Zustand über die kommenden zwei Jahre bestehen bleibt.

Lediglich extrem gut organisierte, schlank aufgestellte und flexibel agierende Architekturbüros werden Überlebenschancen haben. Denn Fett anzusetzen hatten wahrlich bereits in den vergangenen Jahren die wenigsten von ihnen die Gelegenheit.

Obwohl die Situation für die einzelnen Planerinnen und Planer natürlich grimmig ist, darf der sogenannten Krise insgesamt dennoch Positives abgewonnen werden. Der internationale Wahnsinn des Schneller, Höher, Schriller ist vorerst vorbei. Die Architektur hat unter Umständen jetzt Zeit und findet gegebenenfalls auch Gehör bei den Großmächtigen, wieder zu universelleren, durchdachteren und insgesamt intelligenteren Planungen zurückzukehren. Reduzieren, Reparieren, Recyklieren mag die neue Devise lauten. Den Bestand evaluieren, sichern, verbessern. In neuen Projekten alles, was an ökologisch Sinnvollem einplanbar ist, mit entsprechender Planungszeit und Analyse zur Anwendung bringen. Im Idealfall nehmen sich Politik und Kapital die Architektur als Partner. War alles schon da. Auch in Zeiten anderer Krisen. Erfordert aber Paktfähigkeit von beiden Seiten.

Der Standard, Sa., 2009.04.04

21. Februar 2009Ute Woltron
Der Standard

Der Raum spielt mit

Wenn „Revanche“ ins Rennen um den Oscar geht, haben ein paar Nebendarsteller mitgeholfen: grandios gewählte Drehorte, Projektionsräume der österreichischen Seele.

Wenn „Revanche“ ins Rennen um den Oscar geht, haben ein paar Nebendarsteller mitgeholfen: grandios gewählte Drehorte, Projektionsräume der österreichischen Seele.

„Bekannte“, so schrieb der Kunstpsychologe Rudolf Arnheim in seinem Klassiker Kunst und Sehen, „erkennen wir aus großer Ferne schon an den elementarsten Proportionen oder Bewegungen.“

Wir erkennen sie auf einen Blick. Ob wir sie mögen oder nicht.

In Götz Spielmanns wunderbarem Film Revanche begegnen wir gleich einer ganzen Reihe von Bekannten - alten, jungen, hässlichen, schönen. Doch handelt es sich dabei nicht um Menschen, sondern um Räume. Um Häuser und Orte. Um Archetypen der österreichischen Bauseele, die wir so genau kennen, dass es mitunter wehtut.

In Räumen wie diesen sind wir alle irgendwann einmal gewesen, sind gegebenenfalls mit ihnen aufgewachsen, vielleicht sogar vor ihnen geflohen. Sie begrüßen uns auf der Leinwand wie alte Bekannte.

Denn jedem der menschlichen Charaktere, die diesen Film so präzise austariert tragen, ist das entsprechende Ambiente quasi auf den Leib geschneidert - und wie die Personen und ihre unterschiedlichen Lebenswelten miteinander verschmelzen, wie das eine das andere nachgerade bedingt und prägt, ist bis in das kleinste Detail meisterlich umgesetzt.

Wir sehen Alex in seiner schmuddeligen, hilflos kärglichen Junggesellenwohnung in Wien. Wir sehen den alten Bauern in seiner abgewirtschafteten, aber funktionierenden Kate im Waldviertel. Wir begegnen dem jungen Polizisten und seiner Frau in ihrem neuen, grauenhaft kleinbürgerlichen Haus auf dem Land, in dem die Leere des himmelblau ausgemalten Kinderzimmers wie eine Anklage zwischen den beiden steht.

Wir sehen schließlich die blutjunge ukrainische Hure Tamara. Sie ist die Einzige, die nicht in diesem Land aufgewachsen ist, die mit all diesen Räumen, ob in der Stadt oder auf dem Land, scheinbar nichts zu tun hat und der diese Räume deshalb auch nichts anhaben können, weil sie nicht mit ihnen verwurzelt ist, keine gemeinsame Geschichte mit ihnen hat.

Sie bewegt sich durch die plüschig roten Bars, durch die verspiegelten kalt-blauen Gemächer des Freudenhauses und durch die typischen grindigen Billighotelzimmer, in denen man den Lurch unter dem Bett förmlich riechen kann, als ob sie in Wirklichkeit nicht dazugehörte.

Sie ist nur dann ganz in ihrem eigenen, für uns aber nicht sichtbaren Raum, wenn sie nach Hause telefoniert. Irgendwie bleibt Tamara, die Hure, die einzige Unschuldige in diesem Spiel, das schließlich ausgerechnet sie das Leben kostet.

Und alle anderen bleiben dann zurück - festbetoniert in ihren Lebenswelten, die sich untereinander langsam vermengen, wenn die handelnden Personen jeweils in die Räume der anderen eindringen und dort ihre Kreise zu ziehen beginnen.

Die charakteristischen anonymen Architekturen als Archetypen spielen also ausnehmend wichtige Nebenrollen in diesem Film - und Kamera und Schnitt geben uns Betrachtern die Ruhe und das exakt richtige Timing, um in diesen Räumen quasi selbst ein bisschen Aufenthalt einzulegen.

Einen nicht nur räumlichen Fixpunkt nimmt dabei der Bauernhof des Großvaters von Alex ein. Dorthin kehrt er aus der Stadt zurück, nachdem er alles verspielt hat, was ihm wert war.

„In der Stadt“, sagt der alte Bauer, mit einer Härte, die zu der ihn umgebenden Landschaft gehört, „wirst entweder arrogant, oder du wirst ein Lump.“

Doch was das Land seinerseits mit den Menschen macht, das steht im Drehbuch ebenfalls deutlich zwischen den Zeilen zu lesen.

Dieser abgewirtschaftete alte Hof wird plötzlich zu einem Bindeglied zwischen den handelnden Personen und Zeiten. Er wirkt wie ein gerade noch existierendes Relikt einer eigentlich schon untergegangenen oder gerade verschwindenden Welt. Die ist so österreichisch wie das, was diese verblassende Epoche gerade abzulösen im Begriff ist.

Und das sind eben die Blaue-Lagune-Pseudovillen, wie der Polizist und seine Frau eine gleich nebenan auf die grüne Wiese gestellt haben: Räume von der Stange, völlig charakterlos und austauschbar und zu Tausenden in der zersiedelten Landschaft Niederösterreichs anzutreffen.

Räume, die sich die Menschen gewissermaßen zwanghaft über ihr eigenes Leben stülpen und die irgendwann einmal wichtiger werden, als das Leben selbst. Weil das Haus als in Beton und Ziegel, in Einbauküche und Vorgarten geronnener Lebensentwurf etwas ist, das eingehalten werden muss, koste es, was es wolle.

Gefunden hat all diese perfekten Kulissen die Set-Designerin Maria Gruber. Die Grazerin wurde für die Ausstattung von Revanche zurecht bereits mit Preisen ausgezeichnet.

Sie hat sich wochenlang auf die Suche nach diesen Häusern begeben, ist halb Niederösterreich abgefahren, hat dutzende Protz-Villchen und Bauernhöfe inspiziert, um dann schließlich die gewählten Drehorte gemeinsam mit ihrer Crew zu perfektionieren - vom Kaffeehäferl bis hin zum Sofa, vom Ofen samt Wasserschiff bis zum alten, zerschlissenen Vorhang.

Der Bauernhof beispielsweise ist eine Meisterleistung. Der stand, so sagt Maria Gruber, bereits einige Jahre leer, war aber teilweise noch möbliert.

Was bereits eingebrochen und abgebröckelt war, wurde restauriert, die Schablonenmalerei an den Wänden ergänzt. Die dazugehörigen Kartonscheiben fand sie noch auf dem Dachboden.

Alles passt hier, bis hin zur Resopalplatte des Tisches, deren Kühle diejenigen, die bei ihren Großeltern je an einem solchen saßen, förmlich unter der Handfläche zu spüren vermeinen.

Wie jeder gute Film nimmt Revanche sein Publikum mit auf eine Reise. Manchen wird es passieren, dass sie nach dem Film aus dem Kinosaal hinausgehen und die Stadt, ihre Straßen und ihre Häuser mit anderen, wacheren Augen sehen. Und natürlich auch das Land mit den alten Bauernhäusern und den neu in die Landschaft gestickten Kleinvillen. Für nichtösterreichische Betrachter muss das alles ausgesprochen exotisch wirken. Uns hingegen ist es bekannt bis an die Schmerzgrenze.

Lediglich ein kleiner Einwand zur Schlussszene sei erlaubt: Im Herbst, wenn die Äpfel reif sind, singt die Amsel nicht mehr. Die singt nur bis Juli. Das zumindest wissen die Landmenschen noch.

Der Standard, Sa., 2009.02.21

19. Februar 2009Ute Woltron
Der Standard

„Die Stadt muss völlig neu gedacht werden“

Die Debatte um Energieeffizienz im Gebäudesektor strotzt vor grundlegenden Missverständnissen. Die Reduktion der Heizenergie ist nur ein Faktor, und der wird auch noch krass überbewertet.

Die Debatte um Energieeffizienz im Gebäudesektor strotzt vor grundlegenden Missverständnissen. Die Reduktion der Heizenergie ist nur ein Faktor, und der wird auch noch krass überbewertet.

Wenn derzeit allerorten über Energieeffizienz debattiert wird, wird irrtümlicherweise stets ausschließlich über den Heizbedarf in Gebäuden geredet. Das scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, wenn man beachtet, dass rund 40 bis 50 Prozent des weltweiten Energiebedarfs auf den Gebäudesektor entfallen. Die restlichen 50 Prozent teilen sich Verkehr und Industrie.

Doch diese Betrachtungsweise, die sich aktuell im Übrigen auch in jeder Menge Normen bis hin zu EU-weit gültigen Dekreten niederschlägt, ist aus vielen Gründen bei weitem zu kurz gegriffen.

Denn zum einen stellt die Energie, die auf Heizwärme entfällt, nur einen Anteil am tatsächlichen Energieverbrauch von Gebäuden dar. Schließlich muss auch jede Menge Energie für Lüftung, Kühlung etc. aufgewendet werden.

Zum anderen ist der vielstrapazierte Begriff „Energieeffizienz“ eben nicht gleichzusetzen mit Energiesparen, sondern bezeichnet vielmehr das Verhältnis zwischen energetischem Input und Output. Im Gebäudekontext ist damit das Verhältnis zwischen Raumklima und der Quantität der Energiemenge gemeint, die zugeführt werden muss, um dieses aufrechtzuerhalten.

Fehlende Gesamtberechnung

Brian Cody, Vorstand des Instituts für Gebäude und Energie der Technischen Universität Graz, steht den derzeit politisch so beliebten Dekreten aller Art äußerst skeptisch gegenüber: „All diese Energieausweise und Pässe messen lediglich den Energiebedarf, also wie viele Kilowattstunden ein Gebäude verbraucht.“

Doch diese Rechnung, so Cody, sei sehr simpel gestrickt. Denn eine Vielzahl von mindestens ebenso relevanten Faktoren werde schlichtweg nicht berücksichtigt, eine Gesamtberechnung fehle. Zum Beispiel werde kaum je zwischen Quantitäten und Qualitäten von „Energie“ unterschieden: „Thermische Energie und elektrische Energie haben ganz andere Qualitäten, und während Elektrizität eine hochwertige Energieform darstellt, die aufwändig zu erzeugen ist, ist thermische Energie für Raumwärme eine niederwertige Energieform.“

Doch das alles wird ständig missverständlich miteinander vermischt. Ein Beispiel: Die so vehement propagierten Niedrigenergie- und Passivhäuser haben zwar einen erfreulich geringen Wärmeenergiebedarf, doch wenn man genau hinschaut, sind sie als System sehr kritisch zu hinterfragen.

Denn zuerst einmal müssen sie gebaut werden - und allein bei der Herstellung von dreifach verglasten Fenstern, von supergedämmten Bauteilen, von Haustechnikzentralen und mechanischen Lüftungssystemen wird exorbitant viel Energie verbraten, die sich später wundersamerweise allerdings in keiner „Effizienzberechnung“ wiederfindet. Eine Studie über Doppelfassaden, die Codys Institut durchführte, zeigte beispielsweise, dass es rund 25 Jahre dauert, bis die Energie, die für die Produktion dieser Fassade aufgewendet wurde, über die reduzierten Betriebskosten wieder eingespielt sei.

Cody: „Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man ein falsches Ergebnis bekommt, wenn man die Herstellungsenergie nicht mitberücksichtigt.“ Doch es gibt noch weitere vernachlässigte Aspekte. Vor allem die derzeit so gut wie ausschließlich objektbezogene Betrachtung energetischer Maßnahmen - also das Einpacken einzelner Häuser - macht in Summe als Pauschallösung wenig Sinn.

Das mit erheblichen Energiemengen produzierte superenergieeffiziente Einfamilienhaus auf der grünen Wiese, das von seinen Bewohnern täglich mit dem Pkw angesteuert wird, ist letztlich eine Farce. Wer vielmehr eine ganzheitliche Betrachtung anvisiert, landet sehr schnell bei größeren Strukturen, und zwar beim System Stadt. Und das, so Cody, „muss völlig neu gedacht werden“ (siehe auch Interview Seite 18).

Für das international vielbeachtete Energieforschungsprogramm von Verkehrs- und Wirtschaftsministerium - „Energie der Zukunft“ - erforscht beispielsweise derzeit ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Architekten, Ingenieuren, Verkehrsplanern und Soziologen, die energetischen Strukturen von Dienstleistungsunternehmen.

Denn Lebens- und Arbeitswelt haben sich im vergangenen Jahrzehnt dramatisch verändert, und in welcher Form städtebauliche Strukturen diesen Veränderungen entsprechen könnten, wie Bürogebäude neu gedacht werden, Wohnhäuser neu ausgeformt werden könnten, dürfte der Knackpunkt für künftige Entwicklungen nicht zuletzt auf dem Energiesparsektor werden. Nur wer in gesamten Systemen denkt, wird sinnvolle Lösungen finden. Und wer, wenn nicht Architekten und Ingenieure, wären dazu aufgerufen, als hochqualifizierte Fachleute der Politik gemeinsam Lösungen zu präsentieren. Auf dem internationalen Markt passiert das längst.

Architekten und Ingenieure schließen sich zu Unternehmen zusammen und planen in China, Taiwan, den Emiraten energetisch optimierte Stadtteile, während sich die EU in Wärmekoeffizienzdebatten verzettelt.

Das schnelle Verpacken morscher Gemäuer mit tonnenweise Dämmmaterial, das nicht zuletzt der Kategorie Sondermüll zuzuordnen ist, der im Übrigen auch irgendwann einmal entsorgt werden muss, hat jedenfalls mit zukunftsweisenden Strategien in Sachen Energieeffizienz herzlich wenig zu tun. Die thermische Sanierung ist nur ein Faktor in einem wesentlich komplizierteren Spiel. Doch dass dieses funktioniert, wenn man lang und gut und interdisziplinär nachdenkt, beweisen unter anderem die in Systemen und eben nicht nur in Einzelmaßnahmen denkenden Energieregionen, von denen es in Österreich erfreulicherweise eine Menge gibt.

Der Standard, Do., 2009.02.19

13. Februar 2009Ute Woltron
Der Standard

Millionengrab Küniglberg

Das Feststellungsverfahren über den Denkmalschutz des ORF-Zentrums ist eingeleitet. Übersiedeln wird die Anstalt wohl dennoch. Ihr bleibt wenig anderes übrig.

Das Feststellungsverfahren über den Denkmalschutz des ORF-Zentrums ist eingeleitet. Übersiedeln wird die Anstalt wohl dennoch. Ihr bleibt wenig anderes übrig.

Die in den vergangenen Jahren von unterschiedlicher Seite immer wieder gestreute Meldung, das ORF-Zentrum auf dem Wiener Küniglberg stehe bereits unter Denkmalschutz, war falsch. Wie der Standard berichtete, wird ein entsprechendes Feststellungsverfahren für die letztgültige Unterschutzstellung des Roland-Rainer-Baus eben eingeleitet - und damit gilt die Unterschutzstellung ab sofort.

Der entsprechende Bescheid wird demnächst an den Grundstücks- und Immobilienbesitzer ORF gehen. Die Dauer des Verfahrens ist nicht absehbar, es kann sich gegebenenfalls um Jahre handeln. Denn: Der ORF hat nun erstmals offiziell die Möglichkeit, im Zuge des Verfahrens seinerseits Gutachten über Bauzustand und Benutzbarkeit des morschen Gemäuers vorzulegen - und weder das eine noch das andere entspricht zeitgemäßen Standards.

Die Einleitung des Verfahrens, das von der MA 19 initiiert wurde, macht Sinn und erklärt sich laut Planungsstadtrat Rudolf Schicker auf Anfrage des Standard folgendermaßen: „Wir brauchen Rechtssicherheit darüber, welche Möglichkeiten der Veränderung auf diesem Areal überhaupt gegeben sind.“

Die mit einer Bruttogeschoßfläche von 150.000 Quadratmetern nachgerade gigantische Anlage ist größtenteils rund 40 Jahre alt und bautechnologisch mehr als überholt. Und: Sie entspricht auch in Architektur und innerer Gebäudelogistik in keiner Weise einem zeitgenössischen Medienunternehmen. Die Burg am Berg hat ihre Lebenszeit bei weitem überschritten, so avanciert ihre Architektur zur Zeit ihrer Entstehung auch gewesen sein mag.

Eine Generalsanierung des Gebäudes würde an die 80 Millionen Euro verschlingen - eine Summe, die vom ORF auf Anfrage weder dementiert noch bestätigt wurde, die sich aber nach gängigen Indizes leicht errechnen lässt. Die dem Standard vorliegenden Studien dokumentieren jedenfalls eine Mängelliste, die schier endlos ist.

Sie beginnt beim Tragwerk, das aktuellen Normen nicht entspricht, weil die Auflager der tragenden Struktur nach heutigen Kriterien viel zu kurz dimensioniert sind. Das setzt sich fort bei einer Betondeckung von gerade einem Zentimeter, was über die Jahre die Bewehrungseisen formschön rosten, den Beton abplatzen ließ.

Rost und abplatzender Beton

Dabei wurde noch nicht einmal eingerechnet, dass die der EU-Norm angepasste Erdbebennorm im Falle einer Generalsanierung zu berücksichtigen wäre. Der Bereich Küniglberg wurde von Zone 1 auf Zone 3 gewertet, nachzuweisen wären also zumindest dreifache Horizontallasten - ein konstruktives Ding der Unmöglichkeit, soll das Gebäude in seiner baulichen Charakteristik dem Denkmalschutz entsprechend erhalten bleiben.

Weiters im Argen liegen Haustechnik und Wärmedämmung, Brandschutz sowie Belastbarkeit der Decken; und dass die Gebäudehülle an mehreren Stellen immer wieder Lecks aufweist, sollte ebenfalls noch Erwähnung finden.

Das Gutachten eines Schweizer Unternehmens empfahl bereits vor einiger Zeit, die Nutzlast sicherheitshalber auf zwei Kilonewton (entspricht etwa 204 Kilogramm) pro Quadratmeter zu reduzieren, was laut ORF aufgrund der logischerweise im Gebäude befindlichen Maschinerien und technischen Infrastrukturen eher schwierig werden dürfte. O-Ton einer ORF-Führungskraft: „In längstens fünf Jahren erreichen die Schäden eine kritische Größe, dann müssen wir bis zu den Grundfesten absichern, um die Substanz zu erhalten. Die Angelegenheit wird zu einem Fass ohne Boden und steuert in ökonomische Dimensionen, die nicht finanzierbar sind.“

Aus diesem Grund ist der ORF längst auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück, auf das mithilfe einer Errichtungsgesellschaft ein maßgeschneidertes Haus hingestellt und vom ORF gemietet werden könnte. Dieses wäre mit 80.000 Quadratmetern de facto nur noch halb so groß wie die Burg und würde pro Jahr allein an Betriebskosten rund drei Millionen Euro sparen.

Kleine Berechnung: Bei einem günstigen Zinssatz von fünf Prozent, auf 25 Jahre gerechnet, ließe sich mit dieser Differenz bereits die Errichtung des halben Gebäudes finanzieren. Fazit: Wenn der ORF nach betriebswirtschaftlichen Kriterien agiert - oder vielmehr, wenn ihn Politik und Stiftungsräte agieren lassen - siedelt er besser heute als morgen in eine adäquate Neubehausung um.

Von den 14 derzeit beäugten Grundstücken ist nach wie vor jenes im Bereich Baumgasse, St. Marx, das am probatesten erscheinende, nicht zuletzt weil die Stadt Wien dort einen Mediencluster plant und den ORF an diesem Standort als Flaggschiff mehr als begrüßen würde. Finanzstadträtin Renate Brauner äußerte sich unlängst sehr entgegenkommend zu einer Neuansiedlung: „Wir würden das sehr gerne unterstützen.“

Auch Stadtchef Michael Häupl hält einen Umzug des ORF in das „Media Quarter“ für „vernünftig“, und Rudolf Schicker rundet die stadtpolitisch traute Einigkeit folgendermaßen ab: „Um eine rasche Lösung zu ermöglichen, würden wir, was Widmung und Baubewilligung anlangt, deutlich hilfreich sein.“

Was aber geschieht mit der Burg am Berg? Ein denkbares, aber unangenehmes Szenario: Der ORF siedelt aus, engagiert einen Wachdienst und überlässt das Haus ansonsten seinem Schicksal. Die Umwidmung in ein Pensionistenheim schließt Schicker aus: „Der Bedarf ist bis 2030 gedeckt.“ Er kann sich jedoch eine Nutzung als Bürobau oder als Hotel vorstellen, merkt aber vorsichtig an, dass die Angelegenheit jedenfalls „schwierig wird“.

Gewinn kann der ORF aus der Latifundie kaum schlagen: Ein Abriss der Anlage würde fast so viel kosten, wie das Grundstück wert ist. Nur wenn eine neue Flächenwidmung eine hohe Verdichtung zuließe, bliebe bei einer Veräußerung ein- geringer - Gewinn übrig.

Der Standard, Fr., 2009.02.13



verknüpfte Bauwerke
ORF Zentrum Küniglberg

17. Januar 2009Ute Woltron
Der Standard

„Design für die reale Welt“

Endlich: Victor Papaneks revolutionäres, teils visionäres und in seinen Grundsätzen zeitloses Buch liegt in deutscher Übersetzung vor.

Endlich: Victor Papaneks revolutionäres, teils visionäres und in seinen Grundsätzen zeitloses Buch liegt in deutscher Übersetzung vor.

Vor knapp 40 Jahren wurden folgende Passagen von einem Mann zu Papier gebracht, der behauptete, es gäbe zwar Berufsgruppen, die mehr Schaden anrichteten als Designer - aber viele seien es nicht:

„Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass erwachsene Menschen sich hinsetzen und ernsthaft elektrische Haarbürsten, strassbesetzte Schuhlöffel und Nerzteppichböden für Badezimmer entwerfen, um dann komplizierte Strategien auszuarbeiten, wie man diese erzeugen und an Millionen Menschen verkaufen kann.“

Sehr viel scheint sich auf diesem Gebiet also innerhalb der vergangenen vier Jahrzehnte nicht geändert zu haben. Doch es geht noch weiter: „In einer Umwelt, die visuell, physisch und chemisch vermurkst ist, wäre es der größte Gefallen, den die Architekten, Industriedesigner, Planer usw. der Menschheit tun könnten, wenn sie einfach zu arbeiten aufhörten.“ Das Buch, dessen Vorwort diese erstaunlich angriffslustigen Passagen entnommen sind, erschien erstmals 1970 und gilt heute noch als eines der einflussreichsten Bücher, die je über Design geschrieben wurden. Über ein Planen, Bauen, Konstruieren, Designen wohlgemerkt, das stets den Menschen in seinem sozialen, ökonomischen und ökologischen Umfeld zum Mittelpunkt hat, ein Design, das nachgerade selbst aktiv Verantwortung für Mensch und Umwelt übernimmt, und zwar gleichrangig für Erste wie Dritte Welt.

In „Design for the Real World“ malte der Architekt und Designer Papanek in kräftigen Farben seine Vision vom vernünftigen Umgang mit Produkten und Bauten: „Design muss zum innovativen, kreativen und interdisziplinären Instrument werden, das den wahren Bedürfnissen der Menschen gerecht wird. Es muss sich mehr an der Forschung orientieren, und wir dürfen unseren Planeten nicht länger mit schlecht gestalteten Objekten und Bauten verschandeln.“ Und - derzeit aktueller denn je: „Wir haben gelernt, große Autos als Benzinfresser zu betrachten; auf ähnliche Weise gilt es nun, unsere Häuser als die Raumfresser zu sehen, die sie sind.“ (aus dem Vorwort zur Ausgabe 1984)

Eine deutsche Fassung dieses Opus, das mittlerweile mehrere Generationen von Architektur- und Designstudenten begleitet hat, hatte es zwar zu Beginn der 70er- Jahre gegeben, doch zum einen war die längst vergriffen, zum anderen war Papanek selbst mit der damaligen Übersetzung nie einverstanden gewesen.

Jetzt, zehn Jahre nach seinem Tod im Jänner 1999, liegt die von ihm noch teils akkordierte Neuübersetzung vor. Verantwortlich dafür sind Florian Pumhösl, Thomas Geisler, Martina Fineder und Gerald Bast, also eine hochkarätige Truppe der Universität für angewandte Kunst.

Man darf sich dafür bedanken - zumal dem Folianten nicht zuletzt „eine biografische Annäherung an eine unbekannte Kultfigur“ beigefügt ist, sowie eine angemessen kritische Auseinandersetzung mit Papanek und dessen Thesen.

Die Herausgeber überprüfen quasi den Zeitlosigkeitsgehalt der papanekschen Aussagen und kommen, wie Martina Fineder beispielsweise, zu dem Schluss: „Im Designbereich erfährt Design for the Real World, und somit Victor Papanek, ja fast automatisch seine Aktualisierung, weil die großen Problemgebiete, die er anspricht, heute präsenter sind denn je, vor allem medial.“

Angewandte-Rektor Gerald Bast sieht nicht zuletzt die Verantwortung all jener Ausbildungsstätten durch Papaneks Schrift angesprochen, die Architekten und Designer hervorbringen: „Er stellte sowohl als Lehrer als auch als Designer in bewundernswerter Konsequenz immer wieder die Kardinalfrage: Worin liegt der Beitrag des Designs und der DesignerInnen im Wettbewerb der Ideen für die Zukunft unserer Gesellschaft?“ Im vorliegenden Buch sind dafür eine Fülle von Beispielen angeführt.

Der berühmteste Entwurf Papaneks, gemeinsam mit einem Studenten entwickelt, ist sicherlich sein Radioempfänger für die Dritte Welt: Den konnte jeder, der wusste, wie es funktioniert, selbst aus einer mit Paraffin gefüllten Getränkedose, einer handgemachten Antenne, einem Nagel, einer Tunneldiode und einem „Ohrstöpsel“ zusammenbauen. Kostenpunkt 1966: Etwa neun Cent.

Da Papanek kein Schreiber, sondern ein Diktierer war, ist sein Ausdruck von brachialer Vitalität. Das Buch ist also kein diszipliniert-wissenschaftliches Werk, sondern die mit Energie und Überzeugung quasi hinausgesungene Botschaft: Lasst uns, verdammt nocheinmal, gründlich nachdenken, bevor wir Ressourcen verschwenden, bevor wir sündig teuren, gleichwohl schlecht funktionierenden angeberischen Schwachsinn produzieren, und denken wir, bitte, darüber nach, wie wir die Lebensumstände mehrerer Milliarden Menschen in den Drittweltländern durch Innovation, Design, Architektur schnell, preisgünstig, sinnvoll verbessern können.

Victor Papanek wurde 1923 in Wien geboren und emigrierte als 15-Jähriger mit seiner Mutter nach New York. Er studierte Kunst und Architektur an der Cooper Union, arbeitete ab den späten 40er-Jahren bei Frank Lloyd Wright in Taliesin, verlegte sich ab Mitte der 50er-Jahre auf „Engineering & Product Design“ am MIT. Er lehrte an Universitäten weltweit, wurde für seine angriffige Designkritik von der Industrial Designers Society of America erst ausgeschlossen, später zum „guiding light“ rehabilitiert. In Österreich hätte er immer gern gelehrt. Dazu ist es bedauerlicherweise nicht mehr gekommen.

[ Victor Papanek, „Design für die Reale Welt. Anleitungen für eine humane Ökologie und sozialen Wandel“, Reihe: Edition Angewandte, € 39,95/ 424 Seiten, Springer, Wien/New York, 2008. ]

Der Standard, Sa., 2009.01.17

10. Januar 2009Ute Woltron
Der Standard

Die schönen Blumen der Macht

Die Debatte, ob Architekten für fragwürdige politische Systeme bauen dürfen, ist relativ jung - die Tatsache, dass sie es tun, so alt wie die Baugeschichte selbst.

Die Debatte, ob Architekten für fragwürdige politische Systeme bauen dürfen, ist relativ jung - die Tatsache, dass sie es tun, so alt wie die Baugeschichte selbst.

In den vergangenen Monaten hat die Frage, was in dieser schönen Welt als gut und als böse zu betrachten sei, gezwungenermaßen allerlei Ernüchterung und Umdeutung erfahren, und wenn man jetzt im Nachhinein - oder besser, mittendrin - eines ganz genau weiß, dann wenig mehr, als dass alles noch viel komplizierter und über alle Grenzen hinweg miteinander verschlungener ist, als man je angenommen hätte. - Weil selbst im vermeintlich Guten unweigerlich viel Böses versteckt sein kann.

In einer Zeit, in der über Nacht gefeierte Helden der Ökonomie als fettgefressene Böcke geoutet werden, die sich selbst zum Gärtner gemacht und außerdem die Weiden nachhaltig versaut haben, in Zeiten also, in denen ein heilloses Geschrei um den Niedergang jeglicher Wertesysteme ertönt, welchselbige ganz offensichtlich grundlegend und beileibe nicht nur in pekuniärem Sinn wertberichtigt gehören, nimmt sich die Debatte um die Moral in der Architektur doch ein klein wenig fadenscheinig aus.

Die aufgeworfene Frage in den einschlägigen Feuilletons lautet derzeit jedenfalls: Dürfen „westliche“ Architekten für fragwürdige politische Systeme bauen, oder machen sie sich dadurch nicht untolerierbarer moralischer Vergehen schuldig? Der großformatige Stein des Anstoßes steht als Chinesisches Nationalstadion in Peking, trägt den Spitznamen „Vogelnest“ und ist das zweifelsohne interessanteste Gebäude, das im vergangenen Jahr fertiggestellt und der Welt medial zur Kenntnis gebracht wurde.

Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die Architekten dieser technischen Fingerübung, die vergangenen Sommer zur Ikone der Olympischen Spiele Pekings wurden, mussten sich in der Folge recht häufig den Vorwurf anhören, als Büttel eines ganz üblen diktatorischen Systems hergehalten zu haben.

Die Schweizer begegneten den Anwürfen in großer Gelassenheit mit dem Argument, dass eine Vermittlung zwischen den Kulturen erstens notwendig sei, zweitens nicht zuletzt über Architektur erfolgen könne, und dass drittens all diejenigen, die nunmehr die moralische Keule schwingen würden, durch reines Nichtstun auch nicht eben zur Verbesserung der Welt beitrügen.

Auch Kollege Rem Koolhaas aus Rotterdam steht schwer unter kollegialem Beschuss, seit er dem staatlichen chinesischen Fernsehen CCTV ein kolossales neues Headquarter verpasst, das übrigens ebenfalls in Peking entsteht.

Ob er nicht innere ethische Konflikte mit sich selbst auszutragen habe, wenn er einen Staatsfunk gebäudemäßig befördere, der Milliarden von Menschen durch manipulative Berichterstattung unterdrücke, wurde er wiederholt gefragt.

Seine Antwort war stets lapidar: Das chinesische Politsystem ändere sich derzeit so schnell, meinte der kühle Holländer, dass der Staatsfunk wahrscheinlich schon privatisiert und die Unterdrückung des Volkes bereits Vergangenheit sein werde, wenn das CCTV-Gebäude einmal vollendet sei.

Diese Koolhaas'sche Kalkulation dürfte sich allerdings nicht ausgehen, das konstruktiv gewagte und den Begriff „Hochhaus“ betont neu interpretierende Konstrukt soll heuer eröffnet werden. Es hat jetzt bereits gute Chancen, zum meistdebattierten Gebäude des Jahres 2009 zu werden.

Der Yen, der Euro und der Dollar, schrieb Koolhaas noch vor wenigen Jahren in seinem „Harvard Guide to Shopping“, seien die zeitgenössischen Regime, unter denen wir alle ohne Aufbegehren und Angst leben würden. Möglich, dass er sich mit den letzten Attributen ein wenig verschätzt hat, im Grunde aber hat er natürlich recht, wenn der Begriff des Regimes ein wenig weiter als nach überkommenen Definitionen gesteckt werden darf.

Und die Architekten? Die haben stets die schönsten und sichtbarsten Blumen der Macht hervorgebracht, und das über Jahrtausende hinweg. Es wurden Pyramiden gebaut und Paläste, Tempel und Kirchen, und ob die Bauherren Staats- oder Kirchenmänner waren, Bankdirektoren oder die Hochobersten multinationaler Luxuskonzerne, ist letztlich egal: Die Baumeister, zumindest die erfolgreichsten ihrer Zunft, zählten immer zu den Bütteln im Gefolge der Macht, was per se ja nicht zwingend unmoralisch sein muss, sondern in der Natur dieses mit Geld doch stets sehr eng verknüpften Geschäftes liegt.

Ein wesentlicher Unterschied zu früheren Epochen lässt sich allerdings ausmachen. Die Baumeister selbst sind nunmehr aus der Anonymität herausgetreten und zu „Stararchitekten“ geworden - zu medial vielbespiegelten Ikonen und damit zu angreifbaren Größen aus Fleisch und Blut.

Und: Der globale Transfer von architektonischem Know-how hat sich gerade im vergangenen Jahrzehnt exorbitant beschleunigt und in zuvor architekturmäßig vom „Westen“ gerade einmal müde belächelte Weltgegenden verschoben.

Als im Jahr 1996 das höchste Gebäude auf dem Erdenrund plötzlich nicht mehr aus den USA herausragte, sondern mit Trara in Kuala Lumpur eröffnet wurde, hielt die Architekturwelt für eine Schrecksekunde inne und schaute betroffen über die Grenzen der Ersten in eine andere, unbekannte, gefährlich neue Welt: Eine nach arrogant westlicher Wahrnehmung quasi von Bloßfüßigen besiedelte Stadt hatte Chicago den Rang als führende Hochhausstadt abgelaufen, und es war klar, dass man auf eine neue Epoche zusteuerte.

Mit dem Bau der Petronas-Türme hatte der damalige Premierminister Malaysias, Mohammed Mahatir, treffsicher das angepeilte Ziel erreicht: Mit einem aufsehenerregenden Gebäude auf der internationalen Landkarte Revier zu markieren und als Machtgröße wahrgenommen zu werden.

Der Architekturzirkus hat die Konsequenzen gezogen und ist sofort nachgefolgt. Er tourt jetzt durch Asien, China, den Nahen Osten. Er wird sich weiterdrehen und Blüten treiben - wie gehabt.

Die Baumeister selbst sind aus der Anonymität herausgetreten und zu „Stararchitekten“ geworden - zu medialen Ikonen und damit zu angreifbaren Größen aus Fleisch und Blut.

Der Standard, Sa., 2009.01.10

13. Dezember 2008Ute Woltron
Der Standard

Versteckerlspielen im Paragrafenwald

Wolf D. Prix würde im nächsten Leben lieber Rechtsanwalt für Planer werden als Architekt. Vorher muss allerdings die Europäische Zentralbank gestemmt werden

Wolf D. Prix würde im nächsten Leben lieber Rechtsanwalt für Planer werden als Architekt. Vorher muss allerdings die Europäische Zentralbank gestemmt werden

Vor drei Jahren gewann Coop Himmelb(l)au den Wettbewerb für ein neues Hochhaus der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt: Ein gigantisches Projekt, ein avancierter Entwurf - und nicht zuletzt ein Kristallisationspunkt für Neid und Häme unter den Kollegen, die dieses Ding allesamt sehr gern gebaut hätten.

Als vergangenen Sommer mit Züblin nur ein einziger Anbieter auf die Ausschreibung für Generalunternehmer ein Anbot legte und den zuvor von den Wiener Architekten mit rund 500 Millionen Euro kalkulierten Preis auf kolportierte 1,6 Milliarden pushte, raschelte es nur so im deutschen Blätterwald. Das Projekt sei zu kompliziert, hieß es, und - eine derartige Architektur, das habe man immer schon gewusst, könne eben nur um völlig abartige Summen errichtet werden.

Die Zentralbank legte eine Denkpause ein. Coop Himmelb(l)au blieben derweil cool. Denn, wie Wolf D. Prix sagt: „Wir konnten nachweisen und durch Marktrecherchen feststellen, dass unsere Kostenrechnung plus/minus dennoch richtig war.“ Die EZB beauftragte in der Folge die Wiener Architekten mit der Ausführungsplanung und mit einer neuerlichen Ausschreibung. Die wird im Laufe des kommenden Jahres allerdings nicht als Gesamtpaket für Generalunternehmer, sondern in Häppchen erfolgen, also auf die einzelnen „Gewerke“ verteilt. Nachvollziehbar und nachkalkulierbar.

Prix: „Ende 2009 wird es eine Entscheidung der Bank geben, wenn es uns gelingen wird, die Kosten zu halten - woran aber kein Zweifel besteht. Dann gäbe es Anfang 2010 den Baubeginn und die Fertigstellung 2013/14.“

Wie kann es allerdings in den Berechnungen der Bauindustrie zu einer derartigen Kostensteigerung kommen? Und warum bietet überhaupt nur ein einziges Unternehmen an? Prix verweigert aus gutem Grund bei laufenden Verhandlungen jegliche Aussagen über das spezielle EZB-Verfahren, außerdem seien die kolportierten 1,6 Milliarden sowieso falsch.

Doch generell lassen sich ein paar Faktoren heraussezieren, die derlei Preisexplosionen plausibel machen - und die vielleicht in Betracht gezogen werden sollten, bevor Kostensteigerungen immer und ausschließlich den Architekten in die Schuhe geschoben werden. Beispiele dafür gibt es genug. So wirft man etwa derzeit den gewöhnlich überaus korrekten und des Kalkulierens durchaus mächtigen Schweizern Herzog & de Meuron die Kostenexplosion ihrer Elbphilharmonie im Hamburger Hafenviertel vor.

Doch in Wirklichkeit ist das Spiel weitaus komplizierter als die simple Annahme, Architekten würden sich eben chronisch verrechnen. Dass es tatsächlich völlig untransparent abläuft, hat gleich mehrere Gründe: Nicht zuletzt liegt das an den verschlungenen Strukturen einer mächtigen, politisch normalerweise sehr gut abgefederten Bauindustrie.

Zur Erinnerung: Gerade die Bauwirtschaft ist diejenige, mit der Volkswirtschaften in Krisenzeiten bis zu einem gewissen Grad abgepuffert werden können. Außerdem befasst sie sich mit einer für Außenstehende so gut wie nicht nachvollziehbaren, nicht kontrollierbaren Materie.

Auf der anderen Seite sitzen Auftraggeber, die ab einer entsprechenden Größe selbstverständlich über mit allen Wassern gewaschene Rechtsabteilungen verfügen, deren Auftrag es ist, jedes auch nur erdenkliche Risiko zu minimieren, wenn nicht zu eliminieren. Jeder Anbieter, der diesen von den Paragrafenfuchsern geschnitzten ungeheuerlichen Vertragswerken entsprechend kalkuliert, lässt seinerseits erst einmal eine Heerschar der eigenen Juristen das Feld durchkämmen.

Schließlich und endlich sind alle Beteiligten - bis auf die Architekten natürlich - von derartigen Sicherheitswällen in Form von Auf- und Zuschlägen und unsichtbar hineingerechneten Sicherheitsspannen umgeben, dass die Kosten zu gewaltigen Gebirgen angewachsen sind. Generalunternehmer schlagen ihre Spannen auf die Subunternehmer, ein insgesamtes Spannen-Addieren findet statt, das eben in ordentlich Summen mündet.

Prix bestätigt das, und meint zudem: „Man kann die Preise selbstverständlich darüber hinaus noch mit allem Möglichen weiter erhöhen, zum Beispiel indem man unmöglich kurze Bauzeiten verlangt.“ Und: „Dazu kommt, dass in unserer Gesellschaft das I-win-Prinzip zum obersten Gebot geworden ist - sprich: Je toller man den anderen übers Ohr haut, desto größer ist das eigene Heldentum. Das Ausbalancieren von gemeinsamem Erfolg ist nicht mehr das Ziel - und bei solchen Großprojekten schon gar nicht.“

Doch gewinnen wollte doch immer schon jeder. Was hat sich also verändert im turbokapitalistischen System? Prix ist überzeugt: „Die frühere Handschlagqualität zwischen Architekt und Handwerker, die eine für beide gute Situation darstellte, weil beide etwas davon hatten, die hat sich aufgehört. Durch den Turbokapitalismus und die Ich-AGs ist das völlig verlorengegangen.“

Dazu kommt, dass die rechtliche Situation es oftmals verbietet, dass Architekten und Anbieter gemeinsam an der Lösung einer technischen Herausforderung arbeiten, bevor die Anbote gelegt werden. Auch das erhöht oftmals die Preise enorm. Wie man sich als Architekturbüro gegen all diese Tendenzen stellt und dennoch nicht verliert, liegt für Prix ebenfalls auf der Hand: „Ich denke, das Einzelkämpfertum, also der geniale Architekt, der ganz allein alles kann, das ist endgültig vorbei. Man muss lernen, die Aufgaben wie in einem guten Fußballteam zu verteilen. Als guter Architekt ist man dann halt der Zidane, der den tollen Querpass schlägt, der zum Ziel führt. Aber dass das einer allein schaffen kann - unmöglich!“

Die Verteidigung würden die Juristen stellen. Allein am EZB-Projekt arbeiten derzeit an die 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Prix: „Das sind nicht nur Architekten, sondern eine Vielzahl von Konsulenten, wie Bauphysiker, Haustechniker, die koordiniert, gemanagt werden müssen. Das ist eine hochkomplexe Aufgabe.“ Und die Juristen? - "Klar! Die arbeiten ordentlich mit."Auf die Frage, ob er selbst, so er noch einmal 18 wäre, wieder Architektur studieren würde, sagt er: „Nein. Ich würde Rechtsanwalt für Architekten werden. Weil die mehr verdienen.“

Der Standard, Sa., 2008.12.13



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06. Dezember 2008Ute Woltron
Der Standard

Jørn Utzon 1918-2008

Eine Huldigung des dänischen Architekten, der Australien mit einem grandiosen Gebäude ein architektonisches Gesicht gab - und der selbst an dieser Aufgabe ebenso grandios scheiterte.

Eine Huldigung des dänischen Architekten, der Australien mit einem grandiosen Gebäude ein architektonisches Gesicht gab - und der selbst an dieser Aufgabe ebenso grandios scheiterte.

Vergangene Woche starb Jørn Utzon. Er war 90 Jahre alt. Er starb in der Nacht auf Sonntag im Schlaf in seinem Haus auf Mallorca, wo er die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte.

Mit einem einzigen Gebäude hat sich der Däne einen Platz im Olymp der Unsterblichen gesichert. Er selbst hat es gleichwohl nie betreten: das Sydney Opera House.

Die Geschichte dieses Gebäudes und die Lebensgeschichte des eigenwilligen Ausnahmearchitekten waren miteinander verflochten wie ein Zopf, den nur Schicksalsgöttinnen schlingen können. Denn das Haus machte den Dänen weltbekannt, doch seine unendlich mühsame Entstehungsgeschichte verfolgte ihn letztlich bis ans Ende seiner Tage.

1956 gewann der damals junge und unbekannte Architekt völlig überraschend den weltweit ausgerufenen Wettbewerb für ein neues Opernhaus in Sydney. Sein Entwurf war atemberaubend, die Jury, der unter anderem der Finne Eero Saarinen angehörte, war hingerissen. Wie ein elegantes Segelschiff mit einer Kaskade weißer, gewagt geblähter Segel hatte Utzon das Haus direkt an der Wasserkante des Hafens von Sydney vor Anker gehen lassen. Eine Architektur scheinbar außerhalb von Zeit und Raum.

Ganz Australien befand sich damals in einer Art Operntaumel, hatte das Land doch mit Joan Sutherland aus dem kulturellen Nichts eine weltberühmte Operndiva hervorgebracht. Während oben im Norden der städtische Erzrivale Melbourne gerade die Olympischen Spiele zelebrierte, fasste in New South Wales die gerade am Ruder befindliche Labor-Partei den Entschluss, der Weiße der kulturellen Landkarte mittels eines ordentlichen Opernhauses endgültig zu entfliehen.

Die Bauarbeiten begannen 1958. Mit dem dänischen Titan der Konstruktion, Ove Arup, holte man sich den Besten seiner Zunft mit an Bord. Denn Utzons Design reizte die Möglichkeiten des technisch Machbaren bis zum Letzten aus. In einer Zeit vor dem Computer als Hilfsmittel musste jedes Detail händisch gezeichnet, musste die komplizierte Tragstruktur des Gebäudes mühsam in unendlich vielen Schritten berechnet werden.

Konstruktive Probleme in Kombination mit einer ans Störrische grenzenden Kompromisslosigkeit Utzons prägten die erste Bauphase. Parallel dazu kam die Liberale Partei ans Ruder und damit Bob Askin, ein Mann, der laut Thomas Keneally, dem australischen Autor von Schindlers Liste, „eher an zeremoniellen Eröffnungen illegaler Kasinos in Sydney interessiert war als an den schönen Künsten.“

Hatte Utzon bis dahin die Bauherrschaft hinter sich gewusst, so schlug ihm nun heftiger Gegenwind ins Gesicht. Die Überschreitung der Baukosten und seine Unwilligkeit, Planungsänderungen vorzunehmen, weil er damit seinen Entwurf entwertet sah, führten zu einem Dauerkonflikt, den der Architekt 1966 wütend beendete, indem er ein Flugzeug bestieg und Australien verließ, um während seines gesamten Lebens nie wieder in das Land Down Under zurückzukehren.

Als die Oper in Sydney 1973 schließlich von der Queen höchstselbst eröffnet wurde, lud man den Architekten zur Eröffnungsgala ein. Er kam nicht. Als ihm das Royal Australian Institute of Architects im selben Jahr die Goldmedaille für Architektur umhängen wollte, akzeptierte er diese Auszeichnung zwar, doch bei der Zeremonie glänzte er durch Abwesenheit.

Zwischenzeitlich war das Opernhaus durch alle Gazetten und Medien dieser Welt gegangen, war als Wunder der Technik und der Architektur gepriesen worden, und zwischenzeitlich hatte man auch in Sydney erkannt, dass man hier einen Volltreffer gelandet hatte. Die Stadt, eigentlich ganz Australien hatte plötzlich ein Wahrzeichen bekommen, das in der Folge zu einer der bekanntesten und meistfotografierten Architekturikonen der Welt avancieren sollte. Die Offiziellen der Stadt suchten um Versöhnung an. Doch Jørn Utzon blieb, wo er war, nämlich fern.

Das Opernhaus wurde in seinem Inneren damals nicht getreu den Plänen des Dänen ausgeführt. Auch das wollte man in späteren Jahren wiedergutmachen. Utzon nahm den Auftrag zwar an, doch er selbst kam nicht, um die Baumaßnahmen vorzunehmen. Er schickte vielmehr seine Söhne, die ebenfalls als Architekten arbeiteten. Und als er 1998 zu seinem 80. Geburtstag die Ehrenbürgerschaft Sydneys verliehen bekam, musste sich der Bürgermeister persönlich mit dem Goldenen Stadtschlüssel auf die weite Reise von Australien nach Dänemark machen. Denn Jørn Utzon blieb wieder, wo er war.

Ob er sich mit seinem Stolz, mit seiner Kompromisslosigkeit eine große Architektenkarriere vertan hat - wer mag das sagen? Diejenigen, die ihn kannten, beschreiben ihn jedenfalls als Einzelgänger, als jemanden, dem die Form, das Projekt, die architektonische Aufgabe stets wichtiger waren, als das Geschäft.

Jørn Utzon hatte nie die Ambition, ein florierendes, mächtig Gewinn abwerfendes Architekturunternehmen zu führen. Und wenn er Auszeichnungen zugesprochen bekam, vergaß er nicht anzumerken, Architekten wären besser bedient mit Aufträgen als mit Goldplaketten. Fotos und Filmaufnahmen zeigen einen charismatischen Mann, der so, wie er aussah, genauso gut auf eine Kinoleinwand gepasst hätte.

Sydney blieb zwar ein Lebenstrauma, doch Utzon zeichnete später dennoch für ein paar weitere Gebäude verantwortlich, die seinen Ruf als Ausnahmetalent abseits aller gängiger Moden und Ismen festigten - zum Beispiel eine Kirche im dänischen Bagsvaerd (1976) und die National Assembly (1983) in Kuwait.

Jørn Utzon wurde 1918 in Kopenhagen geboren, er studierte ebendort an der Royal Academy of Fine Arts und arbeitete im Architekturbüro des Finnen Alvar Aalto, bevor er sich 1950 mit einem eigenen Architekturbüro in Kopenhagen selbstständig machte. 2003 bekam er für sein Lebenswerk mit dem Pritzker-Preis die renommierteste Auszeichnung verliehen, die es für Architekten gibt.

Das Opernhaus von Sydney blieb bis heute Ikone. Wer Bilder von Australien in seinem Gedächtnis abruft, sieht unweigerlich die strahlend weißen, geblähten Segel am blauen Meer unter blauem Himmel.

„In einem Hafen voller Schiffe liegt es als unser kultureller Schoner“, schrieb der australische Schriftsteller Thomas Keneally im vergangenen Jahr in einem Essay über das Opernhaus in Sydney: "Seine Fracht ist Ibsen, Strindberg, O'Neill, Mozart, Händel, Bach, the Wiggles und Captain Feathersword. Wenn Leute aus Sydney von ihrer Stadt erzählen, erwähnen sie stets „die Segel“ des Opernhauses. Das bedeutet, sie verstehen seine Botschaft. Sie befinden sich auf einer Reise, wie ihre Vorfahren. Sie schätzen den Ort dafür, dass er sie daran erinnert. Ich kann immer noch nicht wirklich fassen, dass dieses Opernhaus tatsächlich existiert."

Der Standard, Sa., 2008.12.06



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29. November 2008Ute Woltron
Der Standard

Der Maßstab

Architekturkritiker Friedrich Achleitner wird Ehrenmitglied der Wiener Secession

Architekturkritiker Friedrich Achleitner wird Ehrenmitglied der Wiener Secession

Lediglich sechs Ehrenmitglieder hat die KünstlerInnenvereinigung Wiener Secession im Laufe ihrer Geschichte in ihre Mitte gebeten, das siebente wird am Dienstag aufgenommen: Friedrich Achleitner - Architekt, Schriftsteller, Lehrer und Gründervater der österreichischen Architekturkritik.

Diese Ehrung wird jenem zuteil, der sich „außergewöhnliche Verdienste für die Kultur der Gegenwart“ erworben hat. Achleitner wurde - für die streitbaren Secessionsmitglieder ungewöhnlich - einstimmig auserkoren. Abseits aller Institutionen ist diese kompakte Persönlichkeit des heimischen Kunst- und Kulturbetriebs mit bewundernswerter Beharrlichkeit ihren Weg gegangen. Sehr oft ganz allein.

Doch was heißt hier Kulturbetrieb. Achleitner war nie nur ein Rädchen in einem bestimmten Getriebe. Er war sich selbst stets Maschine und Antrieb genug, um durch Widerstände durchzuackern, bis dato nichtgepflügte Felder urbar zu machen.

Ohne Friedrich Achleitner hätten viele wichtige öffentliche Debatten um Architektur und die dazugehörige Kultur in diesem Land nicht stattgefunden. Ohne ihn hätte die Wiener Gruppe in den 50erJahren eine bedeutende Dimension weniger gehabt. Ohne den Mann mit der Corbusierbrille gäbe es kein Archiv der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts.

Kurzum: Achleitner hat im Laufe seines langen produktiven Lebens ein vielschichtiges Werk produziert, von der Literatur über die Lehre bis hin zu einem der wichtigsten Güter einer für Soziales sowie Kulturelles aufgeschlossenen Gesellschaft: verständlich zu machen, was ge- und belebte Architektur für die Menschen leisten kann.

1930 geboren, in Oberösterreich aufgewachsen, besuchte er die Hochbaugewerbeschule in Salzburg. Eigentlich wollte er Maler werden, hatte schon als Bub auf dem Fahrradpackelträger immer den Skizzenblock mit, weil er gerne Bauernhäuser skizzierte. Doch es hieß: „Werd Baumasta, kannst aa zeichnen!“

Gemeinsam mit den Schulkollegen Wilhelm Holzbauer, Hans Puchhammer, Friedrich Kurrent und Johann Gsteu haute er 1950 endlich nach Wien ab und studierte bei Clemens Holzmeister Architektur.

Schreiben wurde ihm schließlich wichtiger als Zeichnen. Gemeinsam mit H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener gründete er die Wiener Gruppe und mischte die miefige Wiener Szene der 50er Jahre auf.

Nebenbei begann er über Architektur zu schreiben. Erst unter Pseudonym in der Abendzeitung, bald schon in der Presse. Seine Kritiken und literarischen Abhandlungen über Architektur sind Legende. 1985 bekam er den Staatspreis für Kulturpublizistik. In seiner Rede sagte er, was heute noch gilt: „Architektur entstand überall dort, wo sich Einzelne gegen den Trott oder die Ignoranz ihrer Organisation durchsetzen konnten, meist in dem Bewusstsein oder der Gewissheit, damit ein persönliches Risiko einzugehen.“

Er selbst gilt dafür als eines der erfreulichsten Beispiele. Das klare Wasser, das er predigte, das hat er selbst immer getrunken.

Der Standard, Sa., 2008.11.29



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29. November 2008Ute Woltron
Der Standard

An ein paar Schräubchen drehen

Der Wiener Wohnbau ist gut, er soll aber noch besser werden. Ein Gespräch mit dem Wohnbaustadtrat und den beiden neuen Grundstücksbeiräten.

Der Wiener Wohnbau ist gut, er soll aber noch besser werden. Ein Gespräch mit dem Wohnbaustadtrat und den beiden neuen Grundstücksbeiräten.

Seit 1989 gibt es in Wien einen Grundstücksbeirat, der die Aufgabe hat, Wohnbauprojekte, „für die Förderungsmittel beansprucht werden, einer Qualitätsprüfung zu unterziehen“. Ausgelotet werden planerische, ökonomische und ökologische Qualitäten.

Mit Dietmar Steiner (Architekturzentrum Wien) und der Architektin Bettina Götz hat dieses Schlüsselinstrument ab Beginn 2009 einen neuen Vorsitzenden und eine neue Stellvertreterin. Denn Wohnbaustadtrat Michael Ludwig peilt sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Offensive in seinem Ressort an. Wie soll sich also der Wohnbau, die unbestritten wichtigste Bauaufgabe, in der Bundeshauptstadt künftig entwickeln?

Michael Ludwig: Wir müssen entsprechend den demografischen Veränderungen an ein paar Schräubchen drehen. Vor allem die soziale Dimension des Wohnbaus ist elementar. Wir haben künftig verstärkt die Frage zu beantworten, wie sich gesellschaftliche Veränderungen im sozialen Wohnbau umsetzen lassen.

Standard: Welche Veränderungen zeichnen sich ab?

Ludwig: Die Menschen werden erfreulicherweise älter, die Familienstrukturen und Arbeitsgewohnheiten ändern sich, der Bedarf nach flexiblem Wohnraum steigt. Wir sind angehalten, auf diese Entwicklungen verstärkt zu reagieren.

Stichwort Wirtschaftskrise: Wird der Wiener Wohnbau Teil eines Konjunkturpakets?

Ludwig: Wien arbeitet tatsächlich gerade an einer Investitionsoffensive. Der Wohnbau, sowohl Neubau als auch Sanierung, soll dabei eine große Rolle spielen. Zudem gehen wir davon aus, dass die Wiener Bevölkerung wachsen wird. Seit drei Jahren gibt es erstmals wieder Geburtenüberschüsse, es gibt nach wie vor Zuwanderung - verstärkt aus EU-Staaten -, und die Bevölkerung wird zunehmend älter.

Was bedeutet das ausgedrückt in Zahlen und Wohneinheiten?

Ludwig: Wir haben bisher rund 5000 Wohnungen pro Jahr errichtet, wir wollen diese Zahl auf 7000 steigern. Parallel zur Neubauoffensive wollen wir im Bereich der Sanierung Schwerpunkte setzen und in den nächsten Wochen eine Sanierungsverordnung verabschieden, um vor allem auch im privaten Bereich Anreize zu schaffen. Denn im geförderten Wohnbau wurden bis dato 70 Prozent aller Häuser thermisch saniert - im privaten Bereich sind es erst 15 Prozent.

Sowohl Bauen als auch Mieten kosten Geld. Wohnbau ist ein elementares Steuerinstrument für die soziale Durchmischung einer Stadt. Welche Pläne gibt es in dieser Hinsicht?

Bettina Götz: Österreich ist eines der wenigen Länder Europas, die das Instrument des sozialen Wohnbaus überhaupt kennen. Gerade Wien definiert sich städtebaulich über qualitativ hochwertigen Wohnbau. Doch unsere Wohnbauförderung funktioniert nur so lange gut, solange Baulücken in gewachsenen Strukturen gefüllt werden. Doch wenn es um Stadterweiterung geht, um größere flächendeckende Strukturen, dann stößt die Förderung rasch an ihre Grenzen.

Welche Probleme ergeben sich in gänzlich neu geplanten Stadtteilen?

Götz: Mit reiner Wohnraumförderung kann man keine funktionierende Stadt bauen. Nur mit neuen Inhalten und neuen Programmen und mit der Einbeziehung des öffentlichen Raumes entsteht benutzbare neue Architektur. Wir brauchen neue Inhalte und neue Programme.

Ludwig: Diese Fragen der Vernetzung wollen wir stärker aufbereiten, wir müssen mittelfristig über Ressorts hinausgehende Konzeptionen andenken. Das ist durchaus als Schwerpunkt gedacht.

Dietmar Steiner: Der Wiener Wohnbau hat unbestritten ein hohes, international herzeigbares Niveau. Im überwiegenden Teil der Welt hat Wohnbau mit Architektur absolut nichts mehr zu tun, da erfolgt reine Bedarfsdeckung. Die einzige Qualitätskontrolle ist eben die Wohnbauförderung, und die bietet die Chance der intensiven Zusammenarbeit mit der Wohnbauforschung und in der Folge des gezielten Einsatzes architektonischer Intelligenz.

Götz: Vieles lässt sich derzeit im modernen Wohnbau, wie ihn die Förderung erlaubt, aber nicht umsetzen, und genau daran müssen wir arbeiten. Wir haben das Problem, gerade in Stadterweiterungsgebieten nur sehr schwer andere Nutzungen unterzubringen. Wenn es im Erdgeschoßbereich nur mehr Mietergärten und Garageneinfahrten gibt, ist der Anschluss an den öffentlichen Raum auf ewig vertan.

Steiner: Umgekehrt kann man bemerken, dass es auch in innerstädtischen Lagen verstärkt verdichteten Flachbau geben sollte. Junge Familien wurden lang genug hinaus in den Speckgürtel der Stadt getrieben.

Architekten berichten stets von Auflagen und Normen und ungeheuerlichen ökonomischen Zwängen, die den geförderten Wohnbau für Planer so schwierig machten.

Steiner: In bestimmten Fragen, etwa was Lärmschutz und bautechnische Ausbildung von Details anlangt, haben wir die Grenze dessen, was wirklich notwendig ist, tatsächlich überschritten.

Götz: Die Schallschutzanforderungen an Innenhöfe sind beispielsweise dieselben wie auf der Straßenseite. Das ist unsinnig und teuer. Doch das gesamte System sollte neu durchdacht werden. Untersuchungen über Nutzbauten in Wien haben gezeigt, dass auf 40 Jahre gerechnet die Baukosten einen Anteil von gerade einmal 15 Prozent ausmachen. Der Rest setzt sich aus Erhaltungskosten und Betriebskosten zusammen. Das zeigt, wie unwesentlich die Errichtungskosten letztlich in der Gesamtbetrachtung von Gebäuden sind. Könnten die nur um ein paar Prozent erhöht werden, würde das einen enormen qualitativen Sprung bedeuten.

Ludwig: Exakt. Die Frage der Nachhaltigkeit von Wohnbauten in dieser Kostenrelation zu sehen ist enorm wichtig. Denn das Entscheidende ist: Was kostet ein Gebäude langfristig in der Erhaltung?

Was aber nicht heißen darf, dass ab sofort nur noch Wohnhäuser im Passivstandard gebaut werden.

Steiner: Wir wissen aus allen Untersuchungen, dass ein erheblicher Teil der Einsparung nur mit dem Engagement der Nutzer selbst realisierbar ist. Nicht alles, was technisch herstellbar ist, wird auch entsprechend genutzt.

Ludwig: Obwohl wir mittlerweile zehn große Passivhausprojekte fertiggestellt haben, bin ich dagegen, diesen Standard für alle Wohnhäuser verpflichtend zu machen. Das soll den Bewohnerinnen und Bewohnern überlassen bleiben, wofür sie sich entscheiden. Auch ist es durchaus möglich, mit Niedrigenergiestandards den klimaschutzrelevanten Kennziffern zu entsprechen. Man muss den Einsatz der Mittel in Relation setzen, das gilt für Neubau genau so wie für Sanierung.

Der geförderte Wohnbau ist nicht zuletzt ein wichtiges Instrument zur Steuerung der Sozialstruktur einer Stadt und ihrer Viertel. Wie wollen Sie in Zukunft Ghettoisierungen entgegenwirken, wie wir sie aus anderen europäischen Städten kennen?

Ludwig: Durch attraktive Angebote. Wir haben in Wien eine gute Mischung aus Subjekt- und Objektförderung. Wir müssen auch jenen, die es sich eigentlich nicht leisten können, attraktiven Wohnraum bieten können. Dabei ist es wichtig, dass Angebot und Nachfrage in einem guten Verhältnis stehen, und das muss zeitgerecht erfolgen. Es muss allen sozialen Gruppen möglich sein, im geförderten Wohnbau die entsprechende Wohnung zu finden, sodass man nicht schon allein anhand der Wohnadresse feststellen kann, welchen sozialen Hintergrund ein Mensch hat.

Steiner: Das ist allerdings ein politischer Prozess, der in Wien lange Tradition hat und bereits in den 20er-Jahren begonnen hat. Zum Beispiel mit der Adresse Karl-Marx-Hof im 19. Bezirk.

[ Der WienerWohnbaustadtrat Michael Ludwig peilt trotz „international
herzeigbaren Niveaus“ eine qualitative wie auch quantitative
Offensive seines Ressorts an.

Architektin Bettina Götz ist neue stellvertretende Vorsitzende des Wiener Grundstücksbeirat. Sie sieht auf den Wiener Wohnbau auch Herausforderungen zukommen.

Dietmar Steiner ist neuer Vorsitzender des Grundstücksbeirats. Er setzt auf „gezielten Einsatz von architektonischer Intelligenz“ - jetzt auch für den Wiener Wohnbau. ]

Der Standard, Sa., 2008.11.29

21. November 2008Ute Woltron
Der Standard

Cineastische Gedankenräume

Heinz Emigholz' Film über Adolf Loos ist ein kontemplativer Spaziergang durch Architektur

Heinz Emigholz' Film über Adolf Loos ist ein kontemplativer Spaziergang durch Architektur

„Die Architektur projiziert einen Raumentwurf in die dreidimensionale Welt“, sagt Heinz Emigholz, „Der Film nimmt diesen Raum und übersetzt ihn in zweidimensionale Bilder, die uns in der Zeit vorgeführt werden.“

So könne der Betrachter im Kino Neues erleben, und zwar „einen Gedankenraum, der uns über das Gebäude meditieren lässt“.

Tatsächlich ist Emigholz' Film über Adolf Loos eine dermaßen kontemplative, betont langsame Angelegenheit, dass man spätestens nach einer Viertelstunde in eine Art Trance der langsamen Bilder verfällt.

Gezeigt werden 27 noch existierende Gebäude des österreichischen Architekten (1870-1933) in peniblen, nur scheinbar fotogleichen Stills. Denn wer genau schaut, sieht Lampenschirme in feinem Lufthauch pendeln und Zweige hinter den Fenstern im Wind schwanken.

Auch Blätterrauschen und Vogelgezwitscher sind gelegentlich vernehmbar, denn die spezifischen Soundarchitekturen rund um und in den präsentierten Häusern wurden eingefangen und den Filmsequenzen hinterlegt.

Raffinierte Raumwelt

Loos Ornamental ist eine sicherlich eigenwillige Arbeit, die nicht ungeteilte Begeisterung hervorrufen dürfte. Doch der Film vermag es tatsächlich, seine Betrachter einzusaugen und in die raffinierte Formen-, Raum- und Materialwelt des Adolf Loos zu schleusen.

Die Häuser werden in logischer Konsequenz in der Chronologie ihrer Entstehung gezeigt. Zu sehen ist natürlich der heutige Zustand mit allen Wunden und aller Patina, die ihnen die Zeit verpasst hat.

Doch in der zwar entschleunigten, aber konzentrierten Masse an Interieuransichten beginnen auch Nicht-Loos-Kenner die Qualitäten dieser fantastischen Architektur zu spüren. Das mag in der Tat der „Gedankenraum“ sein, den Emigholz mit seinem Film entstehen lassen will.

Man schließt gewissermaßen Bekanntschaft mit den eleganten Holzmeublagen, die als ein- oder mitgebaute Elemente die Architektur stets mitbestimmen, mit Steinflächen, Maserungen, Spiegeln.

Der Weg durch das Werk von Adolf Loos beginnt im Café Museum, führt in Wohnhäuser und Villen und endet mit dem Grabmal des Architekten auf dem Wiener Zentralfriedhof. Von Heinz Emigholz stammen nicht nur Konzept und Regie, er ist auch für Kamera und Schnitt verantwortlich - und damit quasi dem Gesamtkunstwerk im Loos'schen Sinn verpflichtet. Hervorzuheben sei zu guter Letzt die offensichtlich präzise Recherche sowie die Beharrlichkeit, mit der der Deutsche in Gebäude vordrang, die der Öffentlichkeit gewöhnlich nicht zugänglich sind: ein Spaziergang durch Reales im Virtuellen.

Der Standard, Fr., 2008.11.21

31. Oktober 2008Ute Woltron
Der Standard

Die Familie Laokoon und ihre Schlangen

Die diversen Würgegriffe, in der sich die Architektur zurzeit befindet, waren zwar nicht das Hauptthema des ersten World Architecture Festivals in Barcelona - aber das wichtigste. Ein Szenebericht.

Die diversen Würgegriffe, in der sich die Architektur zurzeit befindet, waren zwar nicht das Hauptthema des ersten World Architecture Festivals in Barcelona - aber das wichtigste. Ein Szenebericht.

Paul Finch ist ein Kämpfer. Der Herausgeber des traditionsreichen britischen Magazins Architectural Review kämpft für das Gute in der Architektur, und jetzt gerade schaut er aus, als ob er die Mutter aller Schlachten hinter sich hätte.

Oder vor sich - so genau weiß man das nicht. Das World Architecture Festival in Barcelonas Kongresszentrum hält in der Halbzeit. Finch hat dieses Get-together von knapp tausend Architekten aus aller Welt vergangene Woche quasi im Alleingang organisiert. Er hat einen bestechenden Cocktail aus Superstars und Developern, aus Architekturtheoretikern und Praktikern gemixt und mit einem Präsentationsstakkato der neuesten Architekturen aus aller Welt gewürzt. Er hat das Recht, jetzt rund um den Bart ein wenig zerzaust zu wirken.

722 Projekte aus 63 Ländern wurden eingesandt und ausgestellt, analysiert, in Kategorien gefasst, juriert. Die besten davon werden gerade von ihren Architektinnen und Architekten vor großem Publikum im Detail vorgestellt. Am Ende soll das World Building of the Year stehen.

Finch moderiert, der Saal ist proppenvoll, die Jury sitzt mit auf dem Podium und stellt Fragen. Oberster Scharfrichter ist der US-Grande Robert A. M. Stern. Er redet nicht viel, aber was er sagt, sitzt wie der Schnitt eines Skalpells. Jurykollege Charles Jencks (USA) hat dagegen den Mund dauernd offen, was dem restlichen Gremium, bestehend aus Cecil Balmond (Arup, London), Richard Burdett (London School of Economics) und Suha Ozkan (Türkei), Zeit gibt, um nachzudenken und die präziseren Fragen zu stellen.

Wer heute zwar anwesend ist, aber nicht dort oben, sondern im blaugetüpfelten Hemd und mit der frischen Aura einer eben geschälten Kastanie in der ersten Reihe sitzt, ist Norman Foster. Der darf nicht, wie geplant, mitjurieren, weil eines seiner Projekte in die Endrunde gekommen ist. Dafür nimmt er wohlgelaunt an den gewissermaßen nebenbei stattfindenden Diskussionsrunden des Festivals teil. Und so spannend die Präsentationen der Architekturprojekte auch sein mögen: Die Highlights des Kongresses sind genau diese Vorträge und Gespräche dazwischen, die sich irgendwann in stets engerem Kreis um eine Frage zu drehen beginnen: Welche Rolle spielen wir Architekten heute eigentlich? Und was tun wir, damit wir als eigenständige Branche weiterbestehen können?

Denn das Schlachtfeld der Architektur hat sich in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren dramatisch verändert. In der globalisierten Schlangengrube findet ein Ringen ohne Ende statt. Zwischen Auftraggeber einerseits und Architekt andererseits - den eigentlich wichtigsten Partnern in diesem Spiel - hat sich eine regelrechte Industrie aus Developern, Investoren, Fonds, diversen Public-Private-Partnerships und What-nots breitgemacht, die das Optimierungspotenzial von Projekten oftmals ausschließlich in Zahlen- und Kostenkolonnen und der gekonnten Reduktion derselben sieht. Sprich: Die Architekten sitzen derzeit ein wenig klamm wie die Kaninchen vor gleich mehreren Anakondas und überlegen, wie diesen Würgegriffen denn beizukommen sei.

„Exakt darum geht es hier“, sagt Paul Finch in einer seiner klitzekleinen wohlverdienten Pausen zum Standard: „Dieses Festival soll aufzeigen, dass die Architekten in diesem Spiel nicht Zuschauer, sondern aktive Mitspieler sind, und zwar als eine eigene, ernstzunehmende Branche.“ Und wer zwar das Übel wittert, wie seinerzeit der Trojaner Laokoon die Griechen im hölzernen Pferd, sich aber nur auf mahnende Worte beschränkt, anstatt in Windeseile die eigenen Kräfte zu stärken, der wird auf kurz oder lang erwürgt.

Gerade die Briten und die Amerikaner haben das längst erkannt. Die großen „Architekturfirmen“, wie sie dort heißen, holen sich die besten Finanzjongleure, Projektmanager, Juristen und Techniker aller Sparten ins eigene Team. Damit ein Gleichgewicht der Kräfte herrscht, und damit man auch als Architekt ungestraft das Maul aufreißen und mitreden darf, wenn die Anakondas den strengen Blick aufsetzen. Und - damit Architektur entsteht, die ihren Namen verdient und sich nicht auf das schlichte Übereinandertürmen von Beton und Glasflächen reduziert.

Denn wirklich gute Architektur hat immer irgendeinen weltverbesserischen Ansatz, daran mag rütteln wer mag. Ob sie besseren Lebens- und Arbeitsraum schafft oder ob sie die zwingenden energetischen Probleme unserer Zeit aufgreift - gute Architekten denken eben nicht nur in Zahlenkolonnen, sondern in Menschen und Benutzern, in Arbeitsprozessen und Stadtsystemen, in Umweltthemen und Zukunftsszenarien. Aber das kann, wenn man's richtig anstellt, gut kalkuliert und glaubhaft in die Sprache der Geldmenschen übersetzt, auch ein gutes Geschäft sein.

Es beginnt wieder eine Diskussion, und Charles Jencks bleibt seiner Rolle als Lästermaul treu. „Wenn sogar Architekturfirmen wie SOM, die 50 Jahre lang nichts als hermetische Boxen gemacht haben, plötzlich auf ökologische Nachhaltigkeit setzen, dann sollte uns das was sagen“, wirft er in die Runde. Kollege Suha Ozkan pflichtet ihm bei. Die globale Ikonografie der Architektur würde künftig sehr stark von diesem Thema geprägt sein, nicht zuletzt aus folgendem Grund: „Wir fürchten uns. Alle. Und wenn nicht für uns, so für unsere Kinder und Enkel.“

Doch dass die Architekten einerseits als Weltenzerstörer gehandelt werden, weil sie überall ihre hässlichen Klötze hinsetzen, und andererseits als Weltenretter auftreten sollen, die nun ruck, zuck das Heil in Form energieoptimierter Häuser bringen, mag in dieser Runde keiner angehen lassen. Denn gerade einmal drei bis fünf Prozent aller weltweit gebauten Häuser gehen auf das Konto von Architekten. „Warum“ poltert Jenks, „sollen die dann eigentlich immer für alles verantwortlich sein?“ „Genau“, wirft Norman Foster mit feinem Lächeln ein, „die Richtung muss die Politik angeben, erst dann können die Architekten folgen.“

Foster hat zu diesem Thema viel zu sagen, weil er ist gewissermaßen die Königskobra unter den Planern - eine extrem auratische und elegante noch dazu. Der 72-jährige zum Lord geadelte Arbeitersohn hat sie alle in der Tasche, Investoren genau so wie Politiker und Developer. Foster & Partners produzieren mit mehr als 900 Mitarbeitern erstens einen Honorarumsatz von 190 Millionen Dollar (2007), und zweitens liefert diese präzis getunte Maschinerie weltweit Qualität, die vom Allerfeinsten ist und immer wieder Standards setzt, auch in technologischer Hinsicht. „Doch bleiben wir besser realistisch“, meint der Brite: „Im Vergleich zu den anderen in diesem Gewerbe sind wir Architekten, auch wenn wir Büros mit an die 1000 Mitarbeitern haben, gerade einmal Peanuts.“

Stimmt, sagt Suha Ozkan - und deshalb solle man keineswegs auf die vielen hervorragenden, aber weniger bekannten Kollegen vergessen, die nicht auf der „Payroll der globalen Szene“ stünden und trotz allem vorzügliche Arbeit leisteten. Foster: „Zum Teufel, wir sind uns alle einig - was für eine langweilige Debatte!“

Doch für Abwechslung ist sogleich gesorgt, denn nun muss endlich das World Building of the Year aus den letzten Finalisten herausdestilliert werden. 17 Projekte sind übriggeblieben. Die Jury erstreckt sich über den gesamten letzten Tag. Am Abend gibt es eine große Show im Kongresssaal, mit Fanfaren und Trommelwirbel, mit Multimediascreens und Trophäenüberreichungen in den einzelnen Kategorien. Und den großen Preis bekommt aus diesem, im übrigen unglaublich männerlastigen Pulk das Projekt zweier Frauen: Die Luigi Bocconi Universität in Mailand - geplant, durchgeboxt, gebaut von den Grafton Architects aus Dublin. Die freuen sich, manch anderer, der sich bereits im Finale wähnte, knirscht mit den Zähnen.

Und dann beginnt, wie es sich gehört, ein ordentliches Fest, und alles strömt zu Sekt und Brötchen und Gesprächen. Paul Finch taucht in der Menge unter und ward nicht mehr gesehen. Er kann zufrieden sein, diese Schlacht hat er bravourös geschlagen. Nächstes Jahr soll die zweite Runde des World Architecture Festivals stattfinden. Viele Architekturstudenten waren hier, haben aufmerksam zugehört, haben von den Besten der Branche ein paar elementare Regeln des Spiels erklärt bekommen, in dem sie bald mitmischen wollen. Es gibt viele Ebenen, auf denen es sich lohnt, für gute Architektur zu kämpfen.

Der Standard, Fr., 2008.10.31

15. Oktober 2008Ute Woltron
Der Standard

„Architektur muss wieder mehr Spaß machen“

Der japanische Architekt Toyo Ito bekommt in Wien den Friedrich-Kiesler-Preis - und hält einen Vortrag

Der japanische Architekt Toyo Ito bekommt in Wien den Friedrich-Kiesler-Preis - und hält einen Vortrag

Nach Frank O. Gehry, Cedric Price, Olafur Eliasson u. a. erhält heute Toyo Ito (67) den mit 55.000 Euro dotierten Friedrich-Kiesler-Preis für Architektur und Kunst von Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny überreicht.

Er habe sich, so der japanische Architekt zum Standard, bereits Ende der 1960er-Jahre mit Friedrich Kiesler auseinandergesetzt, dessen Arbeiten aber erst unlängst anlässlich der Preisverleihung wieder eingehender studiert: „In der Art, wie Kiesler mit Körper und Sinnen in seinen Räumen umgegangen ist, fühle ich mich seinem Denken durchaus sehr nahe.“

Toyo Ito zählt zu den bekanntesten Architekten Japans. Seine Gebäude zeichnen sich nicht nur durch die in diesem Land traditionell atemberaubend präzise Materialverarbeitung, sondern auch durch neue, überraschende Konstruktionen aus.

Die außergewöhnlichen Raumkonzeptionen, die sich daraus ergeben, zählen zum Feinsten und Avantgardistischsten, was die zeitgenössische Architektur zu bieten hat. Eines der raffiniertesten Beispiele ist Itos 1986 eröffnete Mediathek in Sendai, Japan: Ein vermeintlich einfacher Kubus wird von 13 Gitterröhren unterschiedlichen Durchmessers durchstoßen und getragen und gleichzeitig mit Licht und allen erforderlichen Installationen versorgt.

Die Mediathek setzt ein meisterliches Exempel dafür, dass Architektur über geeignete Räume neue Handlungs- und Kommunikationsformen ermöglicht, ja geradezu herausfordert. Und eben darum geht es dem Japaner: Architektur ist für ihn nichts weniger als die Übersetzung von kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen in das Medium des Bauens.

„Im übergeordneten Sinn“, so Ito, „ist die Architektur Teil der sozialen Ordnung, im besten Fall macht sie diese sichtbar.“

Außerdem glaube er, dass Architektur prinzipiell wieder mehr Spaß machen müsse: „Die Menschen suchen danach, speziell was öffentliche Gebäude anlangt.“ Gemeint sei damit allerdings nicht die weitverbreitete oberflächliche Spektakelarchitektur, sondern die tatsächliche räumliche Abbildung gesellschaftlicher Prozesse.

Ito: „Man muss als Architekt versuchen zu verstehen, was gerade passiert, dann noch einen Schritt weitergehen und auch in der Architektur eine neue Ordnung finden.“ Es reiche nicht, wenn Häuser lediglich interessant ausschauen.

Im Fall der Mediathek habe er persönlich den unbedingten Glauben an die Benutzer von Architektur zurückgewonnen, denn vom Eröffnungstag an sei das Gebäude angenommen worden.

Weitere bekannte Projekte des Japaners sind etwa das TOD's-Gebäude in Tokio, dessen Hülle an die Struktur dort heimischer Bäume erinnert. Internationalen Ruhm brachte ihm aber vor allem der 1986 eröffnete, temporär konzipierte Turm der Winde in Yokohama: ein gläserner Zylinder mit oszillierenden Lichtelementen, die auf Windstärke und -richtung reagierten, und der 1990 wieder abgerissen wurde.

Er fühle sich all dem, was die Natur biete, sehr nahe, und er wolle in seinen Arbeiten keineswegs zu expressiv sein, sagt der Architekt. „Wir können etwas gemeinsam erfahren, die Leute, die meine Architektur benutzen, und ich selbst.“

Toyo Ito wird heute um 19 Uhr im Audi Max der TU Wien einen Vortrag mit Titel Generative Order halten. In der Kiesler Stiftung ist bis 13. 2. die Ausstellung Fluid Space zu sehen. Der Kiesler-Preis wird seit 1998 biennal abwechselnd von Republik und Stadt Wien vergeben. Er wurde auf Wunsch von Kieslers Witwe Lillian 1997 etabliert.

Der Standard, Mi., 2008.10.15



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03. Oktober 2008Ute Woltron
Der Standard

Schnittiger Bolide aus Fels

Günther Domenigs Steinhaus in Steindorf am Ossiacher See wurde nach mehr als zwei Jahrzehnten tatsächlich fertiggestellt. Am kommenden Sonntag, zu Mittag, wird es mit einem großen Fest eröffnet.

Günther Domenigs Steinhaus in Steindorf am Ossiacher See wurde nach mehr als zwei Jahrzehnten tatsächlich fertiggestellt. Am kommenden Sonntag, zu Mittag, wird es mit einem großen Fest eröffnet.

Ob er auf das Fest kommen wird, steht noch nicht fest. Viele Leute werden da sein, viele Ansprachen und Huldigungen internationaler Architekturgrößen wird es geben, Live-Musik aus Kuba wird die Stimmung befördern. Doch Günther Domenig, 74 und einer der kantigsten Architekten Österreichs, hat sich in letzter Zeit eher rargemacht. Er hat mit heurigem Sommer sein Steinhaus fertiggebaut, sein Lebenswerk vollendet - und es ist, als ob er mit der Vollendung dieses Kraftakts all das, wofür er steht, jetzt freigibt an die Welt. Es ist wie ein Loslassen, ein Hinausschicken seiner selbst in die Weltenläufe.

Das anfangs heftig umstrittene, von Anrainern und Gemeindehäuptlingen so ungern gelittene Stück wilder freiheitsliebender Architektur, an dem der in Kärnten geborene Architekt seit den frühen 80er-Jahren für sich gearbeitet hat, wird nicht allein sein Haus sein. Der mit keinen gängigen Maßstäben der Architekturkritik auslotbare Bau wird öffentlich genutzt werden: Als Seminarstätte für internationale Architekturschulen, als exquisiter Tagungs- und Veranstaltungsort für Unternehmen, die das Denken ihrer Mitarbeiter in etwas andere Richtungen lenken wollen.

Dafür eignet sich das Gebäude bestens, in allen Ecken, Kanten, Kurven und Niveaus legt es bloß, dass alles ganz anders gedacht und gemacht werden kann, als der Mainstream vorgibt. Es hat in sich eine Art Raserei, die am besten live erlebt werden muss. Es wirkt wie eine spektakuläre Landschaft aus Fluchten, Schluchten, Felsen und Höhlen, gemacht aus Beton, Stahl und Glas. Nackt, ohne Farbe, ohne jedes Vertuschen. Räume und Geschoßebenen fließen ineinander, üben eine Sogwirkung auf die Betrachter aus, der sich keiner entziehen kann.

Schockierend radikal

Das Steinhaus ist wie ein Architektur gewordener Bolide, wie die in eine andere Dimension transformierte Geschwindigkeit und Bewegung. Man mag es expressionistisch nennen oder dekonstruktivistisch. Tatsächlich ist es „ein Spiegelbild von Domenig selbst“, wie es der kalifornische Architektur-Superstar Thom Mayne ausdrückt: „Indem es ihm gelingt, eine Brücke zwischen Poesie und räumlicher Erfahrung zu schlagen, verlässt Domenigs Architektur die nüchterne Sachlichkeit und lädt uns zum Träumen ein.“

„Die Menschen“, sagt Domeninig, „sind nicht viereckig. Sie denken und fühlen nicht viereckig. Sie bilden auch als Gesellschaft nicht Gruppen von Stapelware.“ Welcher Architekturschule er sich zugehörig fühle, fragte ihn der Standard einmal. Er antwortete: „Das ist mir im Prinzip wurscht. Ich habe mich nie besonders für Architekturgeschichte interessiert oder daraus Ansätze bezogen. Ich mache einfach meine Arbeit.“

Im Falle des Steinhauses machte er sie ohne die normenden Kräfte einer Bauherrschaft. Die Baustelle am Ossiacher See war stets Experimentierfeld und Labor für den charismatischen Mann. Als Architekt, so meint er, würde man für Klienten arbeiten, deren Wünschen und Bedenken man kritisch oder als Erfüllungsgehilfe begegnen könne: „Ein Künstler hingegen bestimmt die Dimension des Inhalts allein. Letzteres erlebe ich mit meinem Steinhaus.“

International bekannt wurde er Anfang der 70er-Jahre mit der für ihre Zeit schockierend radikalen Z-Filiale in der Wiener Favoritenstraße. Weitere Meilensteine sind das T-Mobile Haus an der Wiener Südosttangente, vor allem aber das großartige NS-Dokumentationszentrum in Nürnberg.

Domenig unterrichtete an der TU-Graz, machte Bühnenbilder und Skulpturen, blieb ein brachialer, sympathischer Einzelgänger.

[ Steinhaus-Eröffnungfest, Steindorf/Ossiacher See, Uferweg 31, 5. Oktober, 12.30 Uhr. ]

Der Standard, Fr., 2008.10.03



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13. September 2008Ute Woltron
Der Standard

Odyssee in den Weltenräumen

Die 11. Architekturbiennale in Venedig eröffnet dieses Wochenende: Sie führt perfekt vor Augen, wie diese vormals kompakte Disziplin auseinanderdriftet, um sich in unterschiedlichsten Galaxien neu zu manifestieren.

Die 11. Architekturbiennale in Venedig eröffnet dieses Wochenende: Sie führt perfekt vor Augen, wie diese vormals kompakte Disziplin auseinanderdriftet, um sich in unterschiedlichsten Galaxien neu zu manifestieren.

Einem wirklich guten Gebäude liegt vor allem eines zugrunde: ein klares, durchdachtes Konzept. Und wenn dieses gedankliche Konstrukt robust und in sich hundertprozentig schlüssig ist, kann nicht mehr viel schiefgehen.

Doch exakt diese gedankliche Entschlossenheit fehlt der Architektur zusehends. Zwischen bunten Renderings und künstlerischen Installationen, zwischen investitionsschweren Kommerzkatastrophen und Ökologiebemühungen wurde die Idee, was Architektur denn tatsächlich sei, ja welche Aufgabe sie zu erfüllen habe, oftmals zu schalem Nichts zerrieben. Wirklich gute Projekte blieben Ausnahme.

Die Architekturbiennale in Venedig führt diesen Prozess klar vor Augen. Nie zuvor war eine Schau zerrissener, waren die Unterschiede des jeweils Demonstrierten größer. Doch das ist gut so, jetzt lichtet sich das Chaos, der kathartische Moment der Klarheit dämmert herauf. „Out there. Architecture beyond buildings“ - unter diesem Motto rief Biennale-Chef Aaron Betsky in der von ihm selbst kuratierten Abteilung die architektonische Elefantenrunde zu Getröte auf. Frank Gehry, Zaha Hadid, Asymptote, Ben van Berkel und all die anderen Mitglieder der wohlbekannten Architektenfamilie dürfen sich selbst präsentieren und zeigen, was man bereits hundertfach von ihnen gesehen hat.

Coop Himmelb(l)au sind auch dabei. Ihre aus den 60er-Jahren ins Heute katapultierte Feedback-Installation verstärkt den Herzschlag der Besucher zu einer Art akustischem Kammerflimmern, was seinen Reiz hat und bei den Besuchern noch am besten ankommt. Ganz neu ist es nicht.

Spannende Länderpavillons

Betskys Promi-Parcours bleibt eine autistisch-arrogante Machtdemonstration der Arrivierten, denen der Rest der Menschheit herzlich wurst scheint. Und wenn Greg Lynn Plastikspielzeug vermeintlich im Dienste des Recyclings zu unmöglichen Möbelkonstruktionen morpht, dann wendet sich der Gast mit Grausen anderem zu.

Wie die Länderpavillons mit dem Thema umgehen, ist großteils erfreulich. Eine schallende Ohrfeige verpassen etwa die Russen dem Architekturzirkus, der gerade ihr Land zu verwüsten droht: Sie stilisieren ihren Pavillon zu einem Schachspiel der Architektur hoch. Auf den roten Feldern die russischen Architekten, auf den weißen die ausländischen Stars, die Terrain erobern wollen. Als Schiedsrichter fungieren die Developer und Investoren. Eine lebensnahe Schlacht, die durch wunderbare Land-Art-Projekte von Nikolaj Polissky im Untergeschoß poetisch-zynisch abgefedert wird.

In den Pavillons zeigt sich, dass klare, durchdachte Konzepte, so unterschiedlich sie sein mögen, der Weg zum Ziel der Erkenntnis sind. Meisterlich die Japaner: Ein weiß ausgepinselter, zart mit Bleistift behandelter Innen-, feine Glaspavillons im Außenraum, Pflanzengerank dazwischen veranschaulichen subtil, wie Architektur, Topografie, Natur als Einheit betrachtet werden können.

Die Mexikaner thematisieren eindringlich anhand von Interviews mit illegalen Siedlern sowie Planern, wie Menschen in diesem Land um Wohnraum ringen, und wie die sinnvolle Unterstützung durch Architektur/Infrastruktur funktionieren kann.

Sie liefern ein Beispiel für eine gelungene, weil knappe multimediale Installation, während andernorts sinnlose Farbspektakel und Soundgetöse die Betrachter nur verwirren. An Klarheit ebenfalls kaum überbietbar sind die Chinesen: Sie schicken die Besucher durch eine Abfolge großformatiger Fotografien, die kommentarlos die Wachablöse zwischen alter chinesischer Architektur und neuen Großprojekten zeigen.

Auch die Dänen verzetteln sich nicht lang mit hirnerweichenden Intellektualitäten, sondern werfen die Frage auf, wie es denn mit dieser irre gewordenen Welt in Sachen Ökologie und Klima weitergehen soll. Welchen Beitrag können Architekten und Städtebauer dazu leisten? Schließlich wird Kopenhagen im kommenden Jahr die UN-Klimakonferenz beherbergen. Der Österreich-Beitrag, kuratiert von Bettina Götz, zeichnet sich durch eine gelungene räumliche Interpretation des schwierig zu bespielenden Pavillons aus. Gezeigt werden Arbeiten von Josef Lackner, von Pauhof - jeweils besonders konzeptorientierte scharfe Denker - sowie eine Reihe von Interviews mit Architektinnen und Architekten zum Thema Wohnbau.

Klare Konzepte

Letzterer wird Anfang Oktober anhand eines international besetzten Symposiums im Pavillon breiter debattiert, denn dieser Erneuerungsprozess soll nicht in Venedig formschön enden, sondern sich zuhause konkret fortsetzen.

Fazit: Diese Biennale zeigt auf, dass die Architektur längst nicht mehr als die eine, kompakte Disziplin funktioniert, sondern gewaltig diversifizieren muss, will sie künftig weder als Appendix des Kunstbetriebs noch als Spielball finanzkräftiger Investoren ihr Auslangen finden.

Mit Optimismus kann man eine Professionalisierung in verschiedene Richtungen orten, sie bleiben aber Teil des architektonischen Universums. Die elementare Aufgabe ist der Städtebau und die Suche nach großen, funktionierenden Konzepten. Klare Themen bearbeiten, sich nicht in Formalismen verlieren, das Leben der Menschen verbessern: Es geht wieder aufwärts mit der Architektur.

Der Standard, Sa., 2008.09.13

21. Juni 2008Ute Woltron
Der Standard

Landmark per Diktat?

Eine Calatrava-Direktvergabe wäre rechtlich fragwürdig

Eine Calatrava-Direktvergabe wäre rechtlich fragwürdig

Kommenden Mittwoch soll der Wiener Gemeinderat darüber entscheiden, ob der spanische Architekt Santiago Calatrava mit einem Fußgängersteg am Wienerberg direkt und ohne vorgeschaltetes Wettbewerbsverfahren beauftragt werden kann.

Die Idee, die Brücke als „Kunstwerk“ zu titulieren und damit das Bundesvergabegesetz zu umschippern, stammt vom Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker.

Der lernte den Spanier im vergangenen Jahr in New York kennen und ließ damals bereits über die Rathauskorrespondenz verkünden, er hoffe, Calatrava „schon demnächst“ für ein Wiener Projekt gewinnen zu können.

Doch die Idee der Direktbeauftragung stößt nicht nur bei Architekten und Ingenieuren auf Unverständnis.

In einer dem Standard schriftlich vorliegenden Rechtsansicht von Petra Rindler von der Wiener Anwaltskanzlei Pflaum Karlberger Wiener Opetnik, heißt es: „Es geht der Stadt Wien bei diesem Bauwerk selbstverständlich vorrangig um einen allen Regeln der Technik sowie den baurechtlichen Bestimmungen entsprechenden Brückenbau und nicht um ein Kunstwerk, das vielleicht zufällig auch begeh- und befahrbar ist.“

Brücke ist kein Kunstwerk

Zur selben Ansicht gelangte vergangenen Herbst bereits ein spanisches Gericht im Falle einer Calatrava-Brücke in Bilbao.

Rindler ist in die Vergabematerie derzeit gut eingearbeitet, sie hatte auch jene Architekten vertreten, die erst vor kurzem über das Bundesvergabeamt das ÖBB-Hauptbahnhof-Verfahren aushebelten.

Sie bezieht sich in ihrer Rechtsansicht auf ein von Anwalt Walter Schwarz im Auftrag der Stadt Wien erstelltes Rechtsgutachten, das dem Standard ebenfalls vorliegt und einen Planungsauftrag an Calatrava „für gut argumentierbar“ befindet.

Schließlich, so Schwarz, sei die Situation „mit anderen Vergaben im künstlerischen Bereich durchaus vergleichbar“: Operndirektor Ioan Holender wolle immerhin auch Nina Stemme als Brünhilde, und Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol dürfe sich ein von Josef Kern gestaltetes Porträt für das Parlament wünschen.

Gefahr eines Präzedenzfalls

Fazit: „Da sich die Beweggründe der Stadt Wien qualitativ nicht von denen des Herrn Holender oder des Herrn Khol unterscheiden“, müsse eine Direktvergabe möglich sein.

Die Grüne Gemeinderätin Sabine Gretner ortet in Schickers Wünschen eher einen „Mitterand-Effekt“ und sieht eine „klare Umgehung der Vergabegesetze“ sowie „die Gefahr eines Präzedenzfalls, der weiteren Vergaben dieser Art Tür und Tor“ öffne: „Die Idee der Direktvergabe reiht sich nahtlos in die Vergabepannen Wiens, wie Bahnhofcity und Prater.“

Andreas Gobiet, Präsident der Kammer der Architekten- und Ingenieurkonsulenten Wien, Niederösterreich, Burgenland, pocht ebenfalls auf einen Wettbewerb.

Es gehe immerhin um eine „optimale Lösung für die Stadtbewohner und nicht um prominente Architektennamen“. Und: „Ein Politiker kann nicht einfach hergehen und diktieren, er mache ein Projekt halt so, wie er glaube, immerhin wird mit Steuergeldern agiert.“

Rindler kommt in ihrer Rechtsschrift ebenfalls zur Ansicht, vergaberechtlich habe die Funktionalität und die Nutzung eines Bauwerks - in diesem Fall einer Brücke - samt Einhaltung der Bauordnung rechtlichen Vorrang, „und nicht, ob die darüber hinaus vielleicht auch ein Kunstwerk ist.“

Vera Layr aus Schickers Büro zum Standard: „Wir möchten in Wien ein Landmark von Calatrava haben, das ist der Wunsch der Stadt. Wir stehen dazu, und da fährt die Eisenbahn drüber.“

Der Standard, Sa., 2008.06.21

07. Juni 2008Ute Woltron
Der Standard

Willkommen in Arkadien

Die Stadt ist der Raum zwischen Häusern und Mauern - aber wem gehört der? Denen, die ihn erobern.

Die Stadt ist der Raum zwischen Häusern und Mauern - aber wem gehört der? Denen, die ihn erobern.

Der amerikanische Architekt und Künstler Vito Acconci lieferte von all den unzähligen Definitionen, was denn nun der „öffentliche Raum“ sei, eine der treffendsten, wenngleich auch pessimistischsten. Was man in Städten als öffentlichen Raum bezeichne, meinte er, sei von den Behörden geplant: „Was gebaut wurde, ist eine Produktion: ein Spektakel, das das Unternehmen oder den Staat verherrlicht - beziehungsweise beide gleichzeitig. Der Raum ist also nur an die Bevölkerung verliehen, nur geborgt - an Menschen, die als eine organisierte Gesellschaft, als Angehörige des Staates und als potenzielle Konsumenten angesehen werden.“

Tatsächlich - der öffentliche Raum ist, nach „westlicher“ Sichtweise, die große Spielwiese politischer und wirtschaftlicher Kräfte, ein langsam rollendes überdimensionales Billboard, an dem sich die jeweiligen Machtverhältnisse nur allzu genau ablesen lassen: Unternehmensarchitekturen auf entgegenkommend gewidmeten Bauparzellen hier, grelle Markenlogos da, Shoppingmalls dort, Geschäftsarkaden und Überdachungen auf vom Kommerz eroberten Freiflächen, auf denen früher, vor Urzeiten sozusagen, vielleicht einmal die Kinder dem Fetzenlaberl nachgesprintet sind. Dieser Raum zwischen den Häusern wird besetzt, erobert, definiert, und es hängt von der Potenz und der Weitsicht der jeweiligen Stadtplanung ab, wer dieses Match gewinnt - oder ob es im Idealfall ex aequo für Wirtschaft und Bevölkerung ausgeht.

Denn „borgen“ sollte sich Letztere gar nichts müssen - der öffentliche Raum sind wir alle, nicht die von Acconci ins Spiel gebrachte „Behörde“. Woran es in überregulierten Stadtgebilden mangelt, ist höchstens die Erkenntnis dessen.

Zweites Heim

Ein paar Beispiele: Als die spanische Franco-Diktatur im Jahr 1975 endete, war die Rückeroberung des öffentlichen Raumes für die Bevölkerung eine der ersten Maßnahmen, die landauf, landab ganz bewusst gesetzt wurden - von Großstädten ebenso wie von kleinen Gemeinden.

Beth Gali, Architektin in Barcelona, meint dazu: „Man wollte damals den Bürgerinnen und Bürgern zuallererst das zurückgeben, was ihnen lange genommen worden war: Öffentlichkeit. Die offenen Räume der Stadt sollten als eine Art zweites Heim begriffen werden, als Wohnzimmer für alle.“

Die spanischen Freiraum- und Landschaftsplaner, die derzeit wohl besten international, hatten sowohl genug Zeit als auch genug öffentliche Mittel, um dieses anspruchsvolle Feld der Architektur zu einer außergewöhnlichen Kultur zu entwickeln. Und die funktioniert vorzüglich: Kaum ein Platz, ein Freiraum, der nicht rund um die Uhr aktiv belebt ist. Mitten in Barcelona stehen Parcours für Skater zur Verfügung, die Stadtmöblierung ist von feinstem Design, allerorten kann man sich auf Bänken und anderen sinnig gestalteten Sitzgelegenheiten niederlassen, den Freiraum benutzen und genießen, ohne sofort einen Spritzer oder einen Kaffee konsumieren zu müssen.

Wie es ausschaut, wenn nicht die Öffentlichkeit, sondern einzelne Unternehmerinteressen im Vordergrund stehen, lässt sich - ein anderes Extrembeispiel - an Mumbais „Slum“ Dharavi derzeit trefflich ablesen: Was hundert Jahre lang sumpfiges Niemandsland war, wurde von der zuziehenden ländlichen Bevölkerung zu einem regelrechten Stadtteil aufgebaut. Das Land war öffentlich, es musste nicht „erobert“ werden, da die längste Zeit kein anderer daran auch nur das geringste Interesse hatte.

Doch Mumbai wächst, die Immobilienpreise klettern, der Lebensraum von an die 400.000 Menschen wurde unlängst international von einer willfährigen Stadtregierung an die Bestbieter verschachert. Dieser von der Öffentlichkeit mühsam eroberte Raum wird bald von Cricketstadien und Bürotürmen zubetoniert sein, von Shoppingoasen und Lifestylerestaurants. Die Einwohner Dharavis werden abgesiedelt, sprich vertrieben.

Ganz anders agierten die sozialistischen Häuptlinge der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, allen voran Bürgermeister Enrique Peñalosa. Um den wilden Zuzug der Landbevölkerung städtebaulich in den Griff zu bekommen, zogen sie durch jene Areale der voraussichtlichen Besiedelung vorsorglich breite Fahrradwege. Damit strukturierten sie nicht nur die künftige Stadt mit ringförmig angeordneten unbebauten Zonen, sondern schufen auch Freiflächen für die Leute einerseits, für Infrastrukturmaßnahmen andererseits.

Ähnliche Projekte, die die kreativen Kräfte der Zivilbevölkerung aktiv als Motor nutzen, gibt es beispielsweise auch in Mexiko-Stadt.

Der südamerikanische Kollege Gilberto Kassab wiederum hatte als Bürgermeister von São Paulo vor zwei Jahren die, wie er meinte, „optische Verschmutzung“ der brasilianischen Megacity durch Reklametafeln und Leuchtanzeigen dermaßen satt, dass er von 2007 an ein Werbeverbot verhängte. Das sei „einer der seltenen Siege des öffentlichen gegen privates Interesse“, jubelte nicht nur der Schriftsteller Roberto Pompeu de Toledo. Die Bevölkerung, so die Stadtregierung, habe einfach klargemacht, dass sie den Plakat- und Inseratirrsinn nicht mehr länger dulden wolle, und dem habe man nun mit dieser Radikalmaßnahme entsprochen.

Letztes Beispiel: Als der Künstler und Aktivist Edi Rama im Jahr 2000 zum Bürgermeister von Albaniens Hauptstadt Tirana gewählt wurde, war eine seiner ersten Handlungen die Initiative eines Kunstprojekts, mittels dessen er dem grauen Stadtkonstrukt ein buntes, farbenfrohes Fassadenkleid verpasste. Er ließ zudem tausende Parkbäume pflanzen und eine funktionierende Stadtbeleuchtung installieren. Einfache Maßnahmen, die griffen: 2004 wurde er zum „World Mayor“ gewählt, gefolgt übrigens vom Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Andrés Manuel López Obrador.

Flucht ins Subversive

Zu guter Letzt eine Kritik, die nicht als ein Jammern über das Elend in Palästen missverstanden werden sollte: Die gewachsenen, funktionierenden und so ungeheuer saturierten europäischen Städte müssen aufpassen, dass sie nicht zu überregulierten Orten der Fadesse und des wohlgesteuerten Konsumdumpfgummitums verkommen. Wo jeder Türgriff Bauordnungen und Reglements unterliegt, regt sich bald gar nichts mehr.

Und wenn der öffentliche Raum zur Shoppingmall verkommt, bleibt nur noch die Flucht ins Subversive. Die subtilsten Duftmarken in den Städten setzen dann illegale Künstler wie der britische Schablonen-Graffiti-Meister Banksy. Oder jener Sprayer, der sich irgendwann vor geraumer Zeit in Wien beglückenderweise an der Ecke Freyung/Renngasse betätigt hat. Dort stand plötzlich über Nacht, klein und zierlich an die Wand gesprüht, ein Zebra auf dem Eckstein des Hauses und betrachtete die Passanten.

Jemand war da gewesen, jemand hatte ein paar Quadratdezimeter Raum erobert - und etwas blieb da. Und die, die vorbeigehen und es bemerken, fangen vielleicht an, darüber nachzudenken, wem die Stadt, ihre Räume, ihre Fassaden wirklich gehören.

Als die spanische Franco-Diktatur endete, war die Rückeroberung des öffentlichen Raumes für die Bevölkerung eine der ersten Maßnahmen, die landauf, landab gesetzt wurden.

Der Standard, Sa., 2008.06.07

24. Mai 2008Ute Woltron
Der Standard

Wie man den Phönix anlockt

Ein Kinofilm über Architektur: Herzog & de Meurons Olympiastadion für Peking spielt die Hauptrolle in „Bird's Nest“, der demnächst auch hierzulande anläuft.

Ein Kinofilm über Architektur: Herzog & de Meurons Olympiastadion für Peking spielt die Hauptrolle in „Bird's Nest“, der demnächst auch hierzulande anläuft.

„China“, sagt Michael Schindhelm, „ist eine Provokation: die älteste Kultur der Welt, politisch ein für uns Westler undurchschaubares Gelände, wirtschaftlich die kommende Weltmacht.“ Und: „Keine andere Nation macht deutlicher, dass unsere Gesellschaftskonzeption nicht universell ist und wir uns an Konkurrenten gewöhnen müssen, von denen wir immer noch wenig wissen und die wir kaum verstehen.“

„Verstehen wollen“ gehöre für ihn aber zu den Grundantrieben, warum ihn etwas interessiere - und deshalb hat der deutsche Theater- und Filmmann gemeinsam mit Regisseur Christoph Schaub in den vergangenen vier Jahren einen Dokumentarfilm über die Entstehung eines komplizierten Gebäudes unter schwierigen Bedingungen gedreht: Das Olympiastadion der Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron in Peking. Architektur in Film zu übersetzen ist eine harte Aufgabe, weil die Kameralinse zwar Bilder, nie aber die dritte Dimension und das Raumgefühl einfangen kann. Doch Bird's Nest, so der Filmtitel, nähert sich dem Gebäude ohnehin vielmehr über die persönlichste Schiene der Architektur: über die Menschen, die sie ausgedacht haben und schließlich bauen. Und über die Menschen, die sie benutzen werden.

Der Film, der ab 6. Juni in den heimischen Kinos zu sehen sein wird, entspricht in seinem vernetzten Aufbau der Architektur seines Hauptdarstellers. Schaub und Schindhelm verweben die Bilder des gebauten und belebten Peking mit den Bildern der architektonischen Vision, mit den Modellen, und mit den Aufnahmen der wachsenden Baustelle.

Das erzählende Traggerüst bilden aber die Gespräche mit den beiden Architekten, die Interviews mit grashalmfein lächelnden Baufirmenbossen und die Momentaufnahmen der Hektik, der Freude und der Verzweiflung im Architekturbüro vor Ort. Und an exakt diesen Punkten legen die Filmemacher einerseits die Spannungen und Querkräfte frei, die zwischen Europäern und Chinesen laufen, und andererseits die Drehmomente, die Projekte so schnell zum Kippen bringen können, und von denen die der Architektur- und Bauwelt Fernstehenden so gar keine Ahnung haben können. Die aber eben wichtig sind, um die Angelegenheit zu verstehen.

Zum Beispiel jener Moment, in denen die grashalmfein Lächelnden den Architekten erklären, dass das Baubudget nun doch um 230 Millionen Euro gekürzt werde. „Wir können die europäischen Klos durch chinesische ersetzen, die kosten nur ein Achtel“, sinniert ein Mitarbeiter. Wir können das enorme Schiebedach ersatzlos streichen, sagen schließlich die Architekten. Man müsse mit der Baufirma gewissermaßen ein wenig dealen, meint Pierre de Meuron, aber nur dort, wo es konstruktiv-architektonisch zu verschmerzen sei. Dass die Schweizer selbst die längste Zeit ohne Vertrag, also auf gut Glück gearbeitet haben, macht die Angelegenheit auch nicht gemütlicher.

Um die chinesische Geschäfts- und Lebensphilosophie in allen Momenten richtig zu interpretieren, engagierten sie sicherheitshalber den chinesischen Architekten und Künstler Ai Weiwei - einen Dolmetsch zwischen den Welten. Einen solchen hätte zum Beispiel auch der französische Kollege Jean Nouvel schon vor der Wettbewerbsabgabe für das Olympiastadion im Jahr 2003 bitter nötig gehabt.

Denn Nouvels Stadionentwurf hatte eine grüne Glaskuppel zum Abschluss, und hätte Weiwei oder ein anderer Eingeweihter nur einen Blick darauf getan, so hätte er dem Architekten folgende zu erwartende Assoziationskette erläutern können: Die Kuppel erinnert an eine Schildkröte. Schildkröten verheißen in der chinesischen Volksmeinung nichts Gutes. Und wenn die Schildkröte noch dazu grün ist, steht sie für eine Frau, die ihrem Mann Hörner aufgesetzt hat. Nicht genügend, danke, setzen.

Die gebänderte, verschlungene Stahlkonstruktion hingegen, die sich Herzog & de Meuron unter anderem von den Craquelé-Glasuren alten chinesischen Porzellans abgeschaut haben, erinnert an ein Vogelnest. Vogelnester kommen gut an in China. Nicht nur in Suppen. Ein vielgebrauchter Spruch sagt: Du musst ein Nest bauen, wenn du den Phönix anlocken willst. Und genau das will China auch. Es will die ganze Welt anlocken.

Dass es unmoralisch sei, für ein Regime wie das chinesische zu bauen, hat man Herzog & de Meuron vorgeworfen. Das sei eine arrogante und unüberlegte Ansicht, kontert Pierre de Meuron ganz ruhig. „Wir glauben nicht an eine kulturelle Globalisierung“, sagt er, und tatsächlich zählen die Schweizer zu jenen Architekten, die sich Ort, Lage, Kultur, Landschaft, in der ein Gebäude entstehen soll, jeweils sehr gründlich anschauen und diese Studien in ihre Entwürfe einfließen lassen.

Man hat den beiden auch einen Hang zum Dekorativen vorgeworfen, ein gewisses Fassadenkünstlertum ohne Inhalt. Angesichts der präzisen Erklärungen im Film, warum das Vogelnest genau so ausschaut, wie es eben ausschaut, mag es demnächst diesbezügliche Meinungsumschwünge geben.

„Auf eine seltsame Art und Weise“, sagt Jacques Herzog an einem Punkt des Filmes mehr zu sich selbst als zur Kamera, „wissen wir nicht immer, was wir tun.“ Es könnte sein - nicht immer, aber mitunter -, dass genau an dieser Stelle das Bauen aufhört und die Architektur beginnt.

[ Kinostart: 6. Juni. http://verleih.polyfilm.at ]

Der Standard, Sa., 2008.05.24



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Chinesisches Nationalstadion

17. Mai 2008Ute Woltron
Der Standard

Jenseits kann alles sein

Die Architekturbiennale Venedig verspricht heuer alles und nichts, kuratiert wird sie jedenfalls erstmals von Aaron Betsky.

Die Architekturbiennale Venedig verspricht heuer alles und nichts, kuratiert wird sie jedenfalls erstmals von Aaron Betsky.

Unlängst war Aaron Betsky, der diesjährige Direktor der Architekturbiennale Venedig, im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) zu Gast, um über „Architektur jenseits von Gebäuden“ zu referieren. Denn genau dieses Thema verhängt der US-Amerikaner und langjährige Leiter des Rotterdamer Architekturinstituts NAI heuer von September bis November über die Traditionsschau in der Lagunenstadt.

Ein etwas seltsames Thema, das alles und nichts sein kann: „Out There: Architecture Beyond Buildings“.

„Ich dachte eigentlich“, meinte Betsky zum Standard , „ich hätte die Architektur schon hinter mir.“ Schließlich leitet der eloquente Mittfünfziger seit knapp zwei Jahren das renommierte Cincinnati Art Museum - und Kunst und Architektur sind gegebenenfalls doch nicht so ganz eins.

Aber als ihn vergangenen Dezember ein Anruf des ebenfalls gerade hastig installierten Biennale-Präsidenten Paolo Baratta ereilte, der auf der anderen Seite des Telefonkabels händeringend erklärte, er brauche jemanden, der ihm die wichtigste Architekturschau der Welt kuratiere, und zwar schnell, konnte der gebauchpinselte Betsky auch schlecht „Nein danke“ sagen.

Eine sehr überstürzte Angelegenheit alles in allem, was mit inneritalienischen Kunst- und Politwickeln zusammenhängt. „Tatsächlich haben wir sehr wenig Zeit“, gibt Betsky zu, „ich habe noch am Telefon zu Baratta gesagt, eine Biennale sei ebenso eine Performance wie eine Ausstellung, wir sollten also glatt eine Architekturschau ohne Architektur machen.“

Es sei sowieso stets ein wenig mühsam, Häuser in Häusern zu präsentieren, und er selbst stelle sich seit vielen Jahren außerdem immer wieder die Frage, was Architektur sein könne, wenn man sie von den Zwängen und Normen der gelebten Wirklichkeit befreie.

Was wiederum ganz stark in Richtung Künstlichkeit, wenn nicht gar Kunst geht - und die Frage nach sich zieht, warum dieser nicht zwingend originelle Ansatz ausgerechnet in den Giardini und im Arsenale zur Anwendung kommen muss, wo zwischen den Architekturbiennalen sowieso jeweils deren Kunstschwestern das Sagen haben.

Doch zu früh gemeckert ist schnell verstummt, deshalb ein kurzer Abriss des zu Erwartenden. Betsky will, dass die Besucher „in ein Bad von Images eintauchen“, in eine multimediale Traumwelt aus alten und aktuellen Science-Fiction-Filmen, aus utopischen Architekturentwürfen diesseits und jenseits der Architekturbürozeichentische und Computer.

„Ich will, dass die Menschen verstehen, wie sich jeder von uns die Welt anders zu denken vermag, als sie wirklich ist. Ich hoffe, das Ergebnis davon wird die Erkenntnis sein, dass alles möglich ist.“

Betsky mischt frische junge Architekturkräfte mit den eher schon älteren Hasen wie Frank Gehry, Zaha Hadid, Herzog & deMeuron, Coop Himmelb(l)au et al, die entweder alte Ideen oder neue Installationen zeigen. Er lässt die Besucher gemeinsam mit Base-Jumpern die Stadtwelten erfühlen und bringt die MTV-Ästhetik als architektonischen Faktor mit ins Spiel. Irgendwie hat man den Eindruck, er ergreife von allem, was zu kriegen sei, ein wenig, um es sodann mit der Spange einer etwas frei interpretierbaren, um nicht zu sagen: kräftig hingebogenen Theorie einzufangen.

Architektur sei nicht gleich Bauen, sagt er, sondern all das Denken und Theoretisieren rundherum, das Abbilden und Zeigen von Architektur, bis hin zu den Gesprächen über Gebautes. Und die fertiggestellten Häuser selbst seien allzu oft nur noch die Grabmäler einer vormals vielleicht brillanten architektonischen Idee, die an all den Normen und Zwängen, an den ewigen Preisdrückereien und Energie- effizienzdebatten ihre Strahlkraft ausgehaucht hätten.

Dieser Eindruck mag völlig richtig sein, aber möglicherweise tut sich an exakt dieser Stelle eine interessante Kluft in der Denkweise innerhalb der Architektenschaft auf. Die einen, so könnte man das interpretieren, meinen, die Umstände wären sowieso immer so dermaßen widrig, dass Architekturmachen heutzutage so gut wie unmöglich und sogar so etwas wie eine Zumutung sei. Die anderen, die übrigens keineswegs alle zwingend auf dem Trampelpfad der Pragmatik unterwegs sein müssen, meinen, die Architektur sei aber doch auch eine Disziplin des gerade noch Möglichen, was man eben jeweils auszureizen habe.

Wenn Betsky ein wenig verträumt zum Ausdruck bringt, er selbst habe beispielsweise über die italienische Architektur noch am meisten aus den Filmen Michelangelo Antonionis gelernt, so mag das auf ihn zutreffen. Doch wenn es schon um Architektur gehen soll, auf der Architekturbiennale, so könnte man als ausnehmend inspirierende Lehrmeister beispielsweise auch Architekten wie den Briten Cedric Price hervorkramen.

Nur so zum Beispiel, aber ganz unbedingt sogar: Denn Cedric Price war exakt einer derjenigen, die schon allein anhand der Konstruktion einer Zigarre Montecristo No 2 das Wesen alles Architektonischen zu erklären imstande waren. Die Zeppelinform der gesegneten Montecristo, so sagte er kurz vor seinem Tod im Jahr 2003 zum Standard, sei immer dieselbe und sehr einfach. Doch dank der variabel wählbaren Querschnitte samt deren unterschiedlichen Durchmessern könne die Rauchintensität gewissermaßen individuell angesteuert werden.

Price war fleischgewordener Vertreter einer Architecture Be-yond Buildings, aber er war dabei total realitätsbewusst und jeglicher architektonischer Jammerei zutiefst abgeneigt. Kein klar denkender Mensch, so meinte er, seine Zunft vernichtend, käme auf die Idee, Waffen, Helikopter oder Flugzeugträger von selbstverliebten Architekten designen zu lassen, „denn diese Dinger müssen perfekt, sofort und ununterbrochen funktionieren, sonst werden Kriege verloren.“

Jede Generation, sagte Price, brauche ihre eigene Architektur. Zeit, Geschwindigkeit, Veränderung, Bewegung seien Begriffe, die in der Schnellebigkeit dieser Epoche auch von der Architektur nicht unter den Tisch gekehrt, missachtet werden dürften. Als Denkmalschützer für die Erhaltung eines Kulturzentrums in London eintraten, das er gebaut hatte und das er bewusst nur für einen bestimmten Zeitrahmen konzipiert hatte, schritt er entrüstet ein und forderte das Recht dieses Gebäudes auf seinen zeitgerechten Abriss.

Cedric Price, wie gesagt, ist nur einer von denjenigen, die Architektur auch jenseits von Gebäuden gedacht haben, aber die eigentliche Disziplin dabei nicht aus den Augen verloren. Und genau das macht einen außerordentlich wichtigen Unterschied aus, allein den zu demonstrieren schon ein Biennale-Thema für sich wäre.

Selbstverständlich werden wir alle Anfang September gern und erwartungsvoll nach Venedig reisen. Aber ein bisschen bang darf einem heuer davor schon auch sein, oder?

Der Standard, Sa., 2008.05.17

06. Mai 2008Ute Woltron
Der Standard

Styropor für die Ewigkeit

Das Feine am neuen Eingang zum Wiener Wurstelprater: Man kann ihn umgehen - was aber gar nicht notwendig ist, denn die stümperhafte Klischeeorgie dort ist weltweit einzigartig und als solche würdig, genauer betrachtet zu werden.

Das Feine am neuen Eingang zum Wiener Wurstelprater: Man kann ihn umgehen - was aber gar nicht notwendig ist, denn die stümperhafte Klischeeorgie dort ist weltweit einzigartig und als solche würdig, genauer betrachtet zu werden.

Was für ein Segen, dass sich die Erneuerungsbestrebungen der Wiener Vizebürgermeisterin Grete Laska (SPÖ) für den Prater letztlich doch nur auf den Eingangsbereich beim Riesenrad konzentriert haben. Dort türmt sich jetzt eine schaumrollenhafte Kulissenarchitektur zu einem Entree, wie es die Welt wahrlich noch nicht gesehen hat - und eigentlich auch nie sehen wollte.

Doch die Angelegenheit, die wie eine ungewollte Verulkung einer Designeroutlet-Fassadenarchitektur aussieht, bleibt kompakt und ein in sich geschlossener Mikrokosmos. Damit wird sie verschmerzbar, weil für die Besucher aktiv vermeidbar.

Das, was den Prater tatsächlich ausmacht, bleibt glücklicherweise von diesem hässlichen Appendix verschont. Und an dem so gut wie unbeschreiblichen Konzentrat an Abgeschmacktheit lässt sich mit wundervoller Klarheit ablesen, wie hilflos die Stadt Wien mit ihren ungehobelteren Zonen umgeht, wenn sie diese - zum Beispiel für das EM-Fußballpublikum von Welt - zu neuem Glanz aufpolieren will.

Einfassung für das Wilde

Der Prater ist und war seit jeher ein ärgerlich wilder, unpolierter Edelstein am Revers der Stadt - und dem wollte man nun eine ordentliche Fassung verpassen, endlich eine deutlich ablesbare offizielle Grenze setzen: Da hört das seriöse Stadtleben auf, hier fängt diese von vornherein verdächtige Zwischenwelt halbseidener Vergnügungen an. In Wirklichkeit ist es natürlich genau umgekehrt.

Das Entree präsentiert sich dem vom Praterstern kommenden Betrachter zuerst in Form von zwei Portalhäusern erstaunlich ungeschickten Formats, zwischen die eine Art Otto-Wagner-Brücke gespannt zu sein scheint. Doch wen oder was die trägt, bleibt ungewiss, wiewohl jedes einzelne gestaltende Element hier weder Inhalt noch Zusammenhang erkennen lässt.

Die Häuser sind in zu hellem Schönbrunner Gelb gepinselt und zwischen grünen Kunststofffenstern mit allerlei schnörkeliger Fassadenmalerei ausgestattet.

Irgendjemand hat hier im Fiebertraum unzählige Elemente längst untergegangener Wiener Hochkulturen zu einer gräulichen Stilmasse verdaut und ausgekotzt. Ein paar Brocken Barock hier, ein wenig Jugendstil da, ein Klacks Klassizismus dort, zusammengepanscht und zusammengepickt mit ha-ha-lustigen k. u. k-Reminiszenzen auf Plakattafeln.

An den Pseudostukkaturen des Durchgangs sind die ersten Lastwägen bereits hängengeblieben, aus Pseudo-Wagners Brückenbauch quellen jetzt schon die Gedärme der Putzträger und die Styroporeingeweide. Apropos: So schleißige Verarbeitung billigster Materialien sah man noch nie. Auf der runden Platzmitte hinter dem Tor befindet sich ein Oktogon mit einer nur fast aus Bronze gegossenen Figur. Hier apert bereits der Styroporkern aus dem angeschrammten Podest, das so tut, als sei es massiv und für die Ewigkeit gemacht. 32 Millionen Euro wurden hier verbraten - eine Meisterleistung in Sachen unnötiger Investition ins Schäbige.

Wer den Unterschied zwischen Prater und der vorgeblendeten Stil-umnachtung mit Händen greifen möchte, begebe sich zum prächtigen alten Grand Autodrom. Das hat man, um dem neuen Ensemble gesamtheitlich zu huldigen, versteckt und eingepackt. Hinter einer neuen, mit dem Titel „Chauffeur Schule“ bepinselten Spanholzfassade glänzt da ewiges Chrom, leuchten rote Neonschriften, duftet der alte, geölte Autodromboden unter prächtig mit gefälteltem Nirosta verkleideten Stützen.

Wann wird diese Stadt begreifen, welch Charme und ungeheures Potenzial gerade im Wilden, Ungehobelten steckt? Man muss den neuen Pratereingang als das Nichts begreifen, das den echten Prater nun doch nicht umbringen wird.

Der Standard, Di., 2008.05.06

26. April 2008Ute Woltron
Der Standard

Vollgas in der Wüste

Der Bauboom in den Vereinigten Arabischen Emiraten rast ohne Speedlimit von einer Etappe zur nächsten. Die Architekten und Ingenieure dieser Welt stehen vor den Boxenstopps der Scheichs Schlange, um auf den Immobilienexpress aufspringen zu dürfen.

Der Bauboom in den Vereinigten Arabischen Emiraten rast ohne Speedlimit von einer Etappe zur nächsten. Die Architekten und Ingenieure dieser Welt stehen vor den Boxenstopps der Scheichs Schlange, um auf den Immobilienexpress aufspringen zu dürfen.

His Excellency Mohamed Ali Alabbar ist wohlgelaunt, als er zum Mikrofon greift. Vor dem Podium sitzt ihm eine raunende Menschenmenge von etwa 900 zu Füßen, mindestens 890 von ihnen sind Männer. Architekten, Ingenieure, Gebäudetechniker. Die kommen aus England, Australien, Südafrika, Spanien, Russland, China und dem Rest der Welt.

Die Gästeliste des 8. Weltkongresses des Council on Tall Buildings and Urban Habitat (CTBUH) liest sich wie das Who's Who der internationalen Bauindustrie: Atkins, Aarup, SOM, Schirmer, Terry Farrell, Make Architects und Co. Das sind die, die die wirklich großen Dinger in die Landschaft stellen. Weit weg von Europa, in China, Taiwan, Russland - und natürlich in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Hier am Arabischen Golf, so rechnete die International Herald Tribune unlängst vor, werden derzeit Immobilienprojekte im Wert von insgesamt 2 Billionen Dollar abgewickelt, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die in der Menschheitsgeschichte einzigartig ist. Wir befinden uns in einem der Hotspots dieser Weltgegend - in Dubai. Der Kongresssaal ist in 15 Metern Höhe mit exquisiten arabischen Mustern in Holz und Messing dekoriert. Draußen bläht ein Sandsturm die bodenlangen Cocktailtischtücher aus Damast, drinnen kräuselt die Klimaanlage sanft die makellos weißen Gewänder des Scheichs.

Es sei ihm eine Freude, so beginnt er, die prominente Gästeschar begrüßen zu dürfen, und er lade sie alle ein, sich am großen Traum von Dubai zu beteiligen. Denn träumen würden andere auch. Doch hier in den Emiraten seien vor allem diejenigen willkommen, die nach dem Aufwachen den Traum dann auch wahrmachen würden.

Mohamed Ali Alabbar ist einer jener mächtigen Männer, die den Mund durchaus so voll nehmen dürfen. Als Chairman von Emaar, einem der größten Immobiliendeveloper der Welt, dirigiert er, wenn er will, mit einem Fingerschnippen mehr Geld, als eine durchschnittliche österreichische Baufirma pro Jahr umsetzt.

Zur Freude aller

Der smarte Emirati mit den fein ziselierten Gesichtszügen macht auch absolut kein Hehl daraus, dass er sich seiner privilegierten Position sehr bewusst ist. Einer der Träume, so sagt His Excellency, sei es vor ganz wenigen Jahren beispielsweise gewesen, nichts Geringeres als das höchste Gebäude der Welt in Dubai zu errichten. Und das stehe nun, zur Freude aller, in Form des Burj Dubai tatsächlich hier. „The Börtsch“, wie die zumindest 700 Meter hohe Hochhausnadel von der Bauszene genannt wird, soll nach einer Bauzeit von knapp fünf Jahren 2009 eröffnet werden. Über die exakte Höhe schweigt sich sowohl Auftraggeber Emaar als auch das Projektteam von SOM derzeit noch aus, lieber redet man über die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der dieses technische Bravourstück hochgezogen wurde - und über das fast noch erfreulichere Tempo, mit dem die Appartements verkauft wurden, noch bevor das Gebäude überhaupt erste Formen angenommen hatte.

Innerhalb von zwei Tagen, so heißt es, sei der Turm ausverkauft gewesen. Die Penthäuser sollen um Summen von je 15 Millionen Dollar zu haben gewesen sein.

Was Dubai und in zunehmendem Maße auch der Rest der Vereinigten Arabischen Emirate derzeit an Projekten vorlegen, ist atemberaubend. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein nächstes Mega-Ding angekündigt, ein abgeschlossener Immobiliendeal medial abgefeiert wird.

Man verliert schier den Überblick. Zaha Hadid allein hat ein halbes Dutzend Großbauvorhaben in den Emiraten am Köcheln. Darunter ein schwungvolles Opernhaus und mehrere Bürotürme für Dubai, sowie einen gigantischen Kulturkomplex mit Titel Performing Arts Centre, der sich in welligen Betonmassen über die Ufer Abu Dhabis ergießen wird. Ebenfalls in Abu Dhabi ist Pritzker-Kollege Frank Gehry zugange - der erprobte Guggenheim-Architekt baut dort eine Mega-Filiale für den US-Museumskonzern. Norman Foster ist selbstverständlich auch da wie dort aktiv. In Dubai entsteht der Welt höchstes Wohnhaus, das Index Building, in Masdar die erste - angeblich - völlig CO2-neutrale Stadt der Welt.

All die anderen geplanten Häuser, Türme, Komplexe, Stadtteile und Zentren an dieser Stelle anzuführen ist unmöglich, erwähnt sei lediglich noch Rem Koolhaas, der gemeinsam mit Büropartner Reinier de Graaf soeben einen geräumigen neuen Stadtteil für Dubai vertraglich unter Dach und Fach gebracht hat.

Wenn de Graaf über Dubai spricht, bringt er den wohlkalkulierten Wahn des dortigen Geschehens vorzüglich auf den Punkt. In den Vereinigten Arabischen Emiraten, so der Tenor, steht und fällt alles mit den herrschenden Clans. Die stellen die Regierungen, ihnen gehören praktischerweise sowohl die Immobilien-Developerunternehmen als auch die Baufirmen. „Es ist nicht so“, ätzt de Graaf, „dass sich diese Herrschaften alle so ähnlich schauen. Es sind tatsächlich immer dieselben.“

Dieser Umstand eliminiert selbstredend lästige Bewilligungsverfahren und andere bürokratische Hindernisse, und in Kombination mit Heerscharen von Billigstarbeitskräften aus Indien, Pakistan, China, die buchstäblich eine Art Sklavenkaste in diesem brutalen Szenario bilden, ergeben sich für Grundstücksbesitzer, Baufirmen und Entwickler Gewinnmargen, die tatsächlich im Land der Träume angesiedelt scheinen.

Irgendwo dazwischen agiert die Kaste der importierten internationalen Bau-Intelligenzia. Die verdient auch nicht schlecht, weil Steuern müssen keine bezahlt werden. Doch im Spannungsfeld zwischen kapriziösen Auftraggebern und den straffesten Zeitplänen der gesamten Bauwelt werden Architekten und Ingenieure hart auf die Probe gestellt. In Dubai, sagen sie, baue man im Schnitt etwa doppelt so schnell wie in Europa oder den USA.

„Wir arbeiten hier mindestens zwölf Stunden pro Tag und sechs Tage die Woche“, sagt ein Brite, der für ein internationales Unternehmen die Akustik von feudalen Hotellobbys und den geräumigsten Shoppingmalls der Welt optimiert. „Es ist wie ein Goldrausch“, sagt ein Neuseeländer, der für globale Hotelketten neue Architekturkonzepte entwirft und sich vor vier Jahren in Dubai niedergelassen hat. Warum ausgerechnet Dubai? Are you crazy? Was soll die verrückte Frage: „Jeder, der auch nur irgendwie in der Architektur- oder Bauindustrie tätig und bei klarem Verstand ist, kommt hierher, um mitzumachen!“

Seit nunmehr 15 Jahren ist Dubai als Vorreiter der Region dabei, sich selbst zu erfinden. Immer wieder war angesichts der Turbo-Großbaustelle von einer Immobilienblase zu hören, die alsbald grandios zerplatzen würde. Doch diese arrogant-westlichen Prognosen dürften sich in nächster Zukunft nicht bewahrheiten. Im Gegenteil. Büroflächen sind in Dubai dermaßen knapp, dass man als potenzieller Käufer viel Geld allein dafür zahlen muss, um rechtzeitig auf die Interessentenlisten zu kommen - und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gebäude bestenfalls erst als Renderings existieren.

Die Strategie der Emiratis ist glasklar: Im Herbst des Erdölära positionieren sie ihr Herrschertum als Steueroase, als Wirtschaftsdrehscheibe und als Konsum- und Tourismuszentrum im ruhigen und sicheren Herz- und Filetstück einer außerordentlich krisengebeutelten Region. Wer kann, der parkt sein Geld lieber hier in den goldenen Emiraten als in Pakistan, im Irak, im Iran. Die Architektur ist dabei Tresor und Transportmittel zugleich.

Dazu kommt, dass jeder Konzern, der Geschäfte in diesem Teil der Welt machen will, in den Emiraten den idealen Stützpunkt dafür findet. „Hier funktioniert alles nur über persönlichen Kontakt. Wer seinen Geschäftspartnern und Auftraggebern nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber sitzt, hat keine Chance“, sagt der Manager eines Softwarekonzerns.

Alles in Dubai dreht sich um Geld und Geschäft. Jeder nascht mit. Und geschenkt kriegt von denen, die hierherkommen, keiner was.

Sehr finster

Doch am unteren Ende der Skala wird das schrille, grelle Dubai sehr schnell sehr finster, weil hinter den glitzernden Hochhaus-, Hotel- und Shoppingkulissen ist diese Stadt letztlich nichts anderes als eine ungeheure Sklavenstadt. Importierte Arbeiterscharen aus den ärmsten Regionen der Welt rackern sich bei Temperaturen jenseits der 40 Grad auf den Hochhausbaustellen nicht selten zu Tode. Indische Taxifahrer jagen livriert, aber schweißgebadet zwölf Stunden täglich dem vorgeschriebenen Kilometerkontingent nach, weil sie sonst ihren Bonus verlieren. Auch wenn sie ihn erreichen, verdienen sie gerade einmal so viel, dass sie sich das Zimmer leisten können, das sie mit sechs anderen teilen.

Auf die Frage, warum sie nicht nach Goa, nach Karnataka, nach Kerala zurückgingen, geben alle dieselbe Antwort: weil es dort gar keine Arbeit gibt.

His Excellency Mohamed Ali Alabbar bedauert, dass die Baustelle des Burj bis dato drei Menschenleben gekostet hat. Wir lernen aus unseren Fehlern, sagt er: „Wir werden die Unterkünfte und Arbeitsbedingungen weiter verbessern. Immerhin stehen wir erst am Anfang.“

[ Heute Samstag, in Radio Österreich 1, „Stadtporträt Dubai - Die Metropole aus dem Nichts“ von Wolfgang Ritschl, Peter Waldenberger und Ute Woltron. Diagonal - Radio für Zeitgenossen, 26. 4., Ö1, 17.05 bis 19.00. ]

Der Standard, Sa., 2008.04.26

05. April 2008Ute Woltron
Der Standard

Das Röhren des Jahrhunderts

Oder der explosive Versuch der 60er-Jahre, die Architektur von der Schwerkraft zu befreien.

Oder der explosive Versuch der 60er-Jahre, die Architektur von der Schwerkraft zu befreien.

Das Jahr 1968, so sagt man, habe in Österreich eine heiße Viertelstunde gedauert. Das mag so gewesen sein, doch auf die Architektur trifft diese Bemerkung nicht zu. In dieser Szene brodelte es schon lange vor dem gern zitierten Stichjahr, und es köchelte auch noch lang danach weiter.

Die Architektur ist eine herrliche Disziplin, weil sich in ihr, von Außenstehenden weitestgehend unbemerkt, die ganze Welt verdichten und neu mischen kann. Die Architektur ist die Lehre von den Menschen, der Technik, der Fantasie, von den Kräften und Gegenkräften, von der Natur und ihren Gesetzen - und die Labore, in denen diese Zutaten von bärtigen und häufig auch mittels halluzinogener Substanzen befeuerten Studenten gerade in den 60er-Jahren experimentell neu vermengt wurden, waren vor allem die Zeichensäle der Technischen Hochschulen.

Da bestimmte Gemische ab einem gewissen Verdichtungsgrad zu explodieren pflegen, kann man, wenn man unbedingt will, auch eine Art hiesigen Höhepunkt des architektonischen 68er-Geschehens festmachen. Dieser wurde im Frühsommer des Jahres 1969 erreicht, als die Wiener Architekturstudentengruppe Zünd-Up ein Entwurfsprogramm für ein fiktives Parkhaus am Karlsplatz zum Anlass nahm, nicht nur die Aufgabenstellung selbst infrage zu stel-len, sondern auch die Benimmregeln des starren universitären TH-Betriebs gewissermaßen in einem grandiosen Getöse demonstrativ zu versenken.

Michael Pühringer, Timo Huber, Hermann Simböck und Bertram Mayer inszenierten damals, um die einschlägige Terminologie zu strapazieren, ihre Entwurfsabgabe als Happening in der Tiefgarage Am Hof in der Wiener Innenstadt. Dort hatten sie eine einigermaßen groteske Maschinerie mit dem Titel „The Great Vienna Auto Expander“ aufgebaut und zur akustischen Untermalung einen Harley-Davidson-Motorradclub um geschlossenen Auftritt bei hochtourig aufheulenden Motoren gebeten.

Als der Professor der Technischen Hochschule, Karl Schwanzer, zur Abnahme der Arbeit in der ungewöhnlichen Lokalität erschien, wurde Gas gegeben, und „Das Röhren des Jahrhunderts“ erfüllte die Tiefgaragenhallen. Schwanzer ließ sich zu einem Motorradtrip durch die Garagenunterwelt überreden - ein Würdenträger im grauen Anzug überließ sich am Sozius einem Wilden auf der Maschin' - Welten, Generationen, Geisteshaltungen wurden gemischt, und die Aktion ging selbstverständlich in die Architekturgeschichte nicht nur dieser erzkonservativen Stadt ein.

Doch die Zünd-Ups waren nicht die ersten Zündler. Auch sie hatten, wie jeder vor und nach ihnen, Wegbereiter. Einer davon war beispielsweise Friedrich Achleitner, und der war schon in den 50er-Jahren höchst aktiv. Er war zum einen der Architekt in der „Wiener Gruppe“, und er brachte zum anderen mit seinen scharfen Kritiken in der Tagespresse eine neue Dimension in die Architekturwahrnehmung der Allgemeinheit - ein Faktor, der überhaupt nicht hoch genug ein- und geschätzt werden kann.

Auch Friedensreich Hundertwasser spielte mit seinem Verschimmelungsmanifest aus dem Jahr 1958 eine wegbereitende Rolle für die späteren „68er“, als er die Fadesse und Fantasielosigkeit der grauen Nachkriegsmoderne anprangerte und den Einzug neuen Lebens in die Häuser einforderte. Doch die Radikalsten unter der Avantgarde waren wahrscheinlich Walter Pichler und Hans Hollein. Sie waren nämlich beide eine Zeitlang auf der damals noch großen, weiten Welt unterwegs gewesen, in Frankreich, in den USA, hatten andere Luft durch ihre Nüstern strömen lassen und brachten einen ungewöhnlich frischen Wind mit nach Hause in die miefige heimische Szene.

Sie schrieben zum Beispiel schon ein paar Jahre vor 1968 herrlich provokante Manifeste. Hollein ließ die Welt etwa wissen: „Architektur ist eine Angelegenheit der Eliten (...), ist elementar, sinnlich, primitiv, schrecklich, gewaltig, herrschend. (...) Architektur ist zwecklos.“ Walter Pichler tönte ebenso streitbar: „Architektur ist Verkörperung der Macht und Sehnsüchte weniger Menschen. Sie ist eine brutale Sache, die sich der Kunst schon lange nicht mehr bedient. (...) Die Stadt der Elite wird getragen von den Behausungen der Massen.“ Heute, über 40 Jahre später, haben sie immer noch völlig recht.

Einer, der die Hexenbottiche der Architekturlabore der 60er-Jahre stets mit neuen Ingredienzien versorgte, war selbstverständlich Günther Feuerstein. Am Institut von Karl Schwanzer hielt er ab 1963 Seminare, die sich lieber mit Experiment und Zukunft auseinandersetzten als mit der ewigen Betrachtung der Geschichte und der baukünstlerischen Vergangenheit.

Unter seiner Pflege entstanden in der Folge Gruppen wie Haus-Rucker-Co, Zünd-Up, Missing-Link und Coop Himmelb(l)au. Er vernetzte auch die Wiener mit der Grazer Szene, wo beispielsweise Raimund Abraham seine verdichteten Stadtvisionen virtuos zu Papier brachte.

Feuersteins Saat ist ganz gut aufgegangen. Eine ganze Reihe der heute erfolgreichsten Architekten der Nation saß damals in seinen Seminaren, und gerade Feuersteins Drang, alle möglichen Grenzen zu sprengen und den Blick auch über Kontinente und Meere in andere Weltgegenden zu lenken, hat sie beflügelt.

Um die Bedeutung zu verstehen muss man sich bewusst machen, dass es in dieser Zeit noch keinen internationalen Architekturmagazinmarkt gab und das Fernsehen gerade erst seine ersten Schwarz-Weiß-Flimmerer tat. Jeder, der sich heute an diese Zeit zurückerinnert, erzählt, wie unerhört aufregend und köstlich es war, in den von einzelnen Reisenden importierten Architekturheften zu blättern und die neuesten Arbeiten der fernen Kollegenschaft zu studieren. Diese Hefte gingen von Studentenhand zu Studentenhand und wurden regelmäßig in institutionalisierten Kaffeehausrunden heiß debattiert.

Apropos internationale Kollegenschaft: In Illinois saß zum Beispiel Buckminster Fuller ab 1968, wie auch Feuerstein in Wien, mit seinen Studenten in der freien Natur und ließ sie dort Kuppelkonstrukte und pneumatische Gebilde eigenhändig errichten. Die Wiener Studenten betrachteten sicherlich auch irgendwann die Abbildungen seiner geodätischen Kuppeln, wie etwa jene des US-Pavillons für die Expo '67 in Montreal. Wahrscheinlich diskutierten sie auch über die großartigen Villen des kalifornischen Einzelgängers John Lautner und über die bunten Kunststoffwelten des dänischen Ausnahmedesigners Verner Panton. Sie sahen sich die Entwürfe der Londoner Archigram an und nickten wahrscheinlich zustimmend ein paar Jahre später, als Richard Rogers und Renzo Piano mit dem Centre Pompidou quasi ein Post-68er-Architekturmanifest in den strengen Raster von Paris setzten. Mit demonstrativ sichtbaren Versorgungssträngen und mächtig betontem Demokratiegehabe.

Andere Druckverhältnisse

Was ist von dieser 68er-Architektengeneration geblieben? Alles. Weil im Kosmos nichts verlorengeht. Die Ideen wurden weitergesponnen, alles hat sich ein bisschen entfernt, verdünnt, ist auseinandergedriftet.

Wenn man die Herren Michael Pühringer, Timo Huber und Hermann Simböck auf einer Archivaufnahme betrachtet, wie sie im Sommer des Jahres 1969 gerade „The Great Vienna Auto Expander“ über den Stubenring Richtung Tiefgarage schieben, schauen sie genauso aus wie Architekturstudenten der 80er, der 90er oder von heute. Architekturstudenten sind meistens erkennbar, man kann gar nicht genau sagen, woran das liegt, aber es ist so. Die Druckverhältnisse in den Zeichensälen, die sind jedoch ganz andere geworden. Die Älteren werfen den Jüngeren mitunter Verrat an Idealen vor, sagen, der Nachwuchs würde jetzt die Früchte jener Äcker ernten, die sie damals erst urbar gemacht hätten. Das ist jedoch ein unfairer Vorwurf, dem man jedem machen könnte, und der kein Gemisch je so verdichten wird, dass es wieder einmal zur kreativen Explosion kommt.

Der Standard, Sa., 2008.04.05

01. April 2008Ute Woltron
Der Standard

Widerstand des Filigranen

Los Angeles/Paris - Der Franzose Jean Nouvel (62) wird im Juni den diesjährigen Pritzker-Preis (100.000 Dollar/63.307 Euro) und damit die weltweit wichtigste...

Los Angeles/Paris - Der Franzose Jean Nouvel (62) wird im Juni den diesjährigen Pritzker-Preis (100.000 Dollar/63.307 Euro) und damit die weltweit wichtigste...

Los Angeles/Paris - Der Franzose Jean Nouvel (62) wird im Juni den diesjährigen Pritzker-Preis (100.000 Dollar/63.307 Euro) und damit die weltweit wichtigste Auszeichnung für Architektur entgegennehmen: das Pendant zu den Nobelpreisen in den Wissenschaften. Er sei erfreut, meinte der stets in rabenschwarze Montur gekleidete Nouvel, nun ebenfalls Mitglied des Pritzker-Klubs zu sein, dem so gute Freunde wie Frank Gehry, Zaha Hadid und Renzo Piano angehören würden.

Der Architekt machte erstmals 1987 mit dem Institut du Monde Arabe in Paris international Furore: Das zarte Gebäude am Pariser Seine-Ufer ist ein räumlich-technisches Meisterwerk und glänzt vor allem mit seiner Hightech-Fassade. Filigrane Metallblenden verengen und weiten sich je nach Sonneneinstrahlung und interpretierten zugleich meisterlich die Formensprache der arabischen Kunst.

Das Haus entspricht Nouvels Credo gegen jeden Stil: Er verwahrt sich gegen die Uniformität und Gleichmacherei der zeitgenössischen Architektur und will seine Projekte jeweils an den Ort, den Zweck, den Auftraggeber angepasst sehen. Seine Architektur, so sagt er, sei „eine Art Résistance gegen die Uniformisierung der Welt“.

Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählt die großzügig mit Glasfassaden ausgestattete Stiftung Cartier in Paris (1994), der auffällig gurkenförmige, bunte Torre Agbar in Barcelona (2003) und das Museé du Quai Branly in Paris (2006). Jean Nouvel unterhält sein Büro in Paris, er arbeitet jedoch weltweit. In Katar baut er gerade ein Hochhaus, in Kopenhagen eine Konzerthalle, und er ist auch in Wien aktiv: In der Praterstraße entsteht ein Hotel-Bürohaus für Uniqa.

Die Jury aus sieben Mitgliedern, unter ihnen die renommiertesten Architekten sowie Historiker und Wissenschafter, würdigte „die Kohärenz, die Fantasie und vor allem einen unersättlichen Drang nach kreativen Experimenten“ im Werk von Jean Nouvel. Jury-Präsident Peter Palumbo sprach überdies von einer „neuen Herangehensweise“, die der Pritzker-Preisträger 2008 unter Beweis gestellt habe.

Der Standard, Di., 2008.04.01

27. März 2008Ute Woltron
Der Standard

Drei Positionen zur Architektur

Drei „Positionen“ schickt die vergangenen Jänner von Kunstministerin Claudia Schmied ernannte Kommissärin Bettina Götz vom Architekturduo Artec zur 11....

Drei „Positionen“ schickt die vergangenen Jänner von Kunstministerin Claudia Schmied ernannte Kommissärin Bettina Götz vom Architekturduo Artec zur 11....

Drei „Positionen“ schickt die vergangenen Jänner von Kunstministerin Claudia Schmied ernannte Kommissärin Bettina Götz vom Architekturduo Artec zur 11. Architekturbiennale unter dem Titel „Before Architecture - Vor der Architektur“ in die Giardini. „Position eins“ sind ausgewählte Arbeiten des 2000 verstorbenen Tiroler Architekten Josef Lackner. „Position zwei“ gilt den erfrischenden Projekten von Pauhof Architekten. „Position drei“ wird eine multimediale Installation zum Thema Wohnbau sein. Lackner, so Götz, habe immer gezeigt, dass gute Architektur auch aus ganz einfachen Bauaufgaben entstehen könne. Sein konzeptuelles Arbeiten habe stets den Raum zum Hauptthema gehabt.

Pauhof hingegen würden mit ihren Interpretationen klarmachen, dass „Architektur nicht Dienstleistung ist, sondern langfristiger Mehrwert für die Gesellschaft sein muss“. Der Wohnbau, so die Architektin, sei „ein Riesenthema“, das derzeit allerdings vernachlässigt würde. Götz: „Auf diesem Gebiet ist seit den 60er-Jahren zu wenig passiert, das muss alles neu gedacht und niedergeschrieben werden. Es ist hart an der Zeit, dass wieder experimenteller Wohnbau gemacht wird.“

Um die Thematik auszuloten, wird der deutsche Architekturtheoretiker und Soziologe Werner Sewing sieben heimische Architekten quasi mit dem Blick des Außenstehenden investigativ befragen. Diese Interviews werden auf Bildschirmen erlebbar gemacht.

Besonderen Wert legt die Kommissärin auf die begleitende Publikation, denn: „Die Bedeutung der Biennale verschiebt sich, es geht mehr um Inhalte, um den Austausch, um Kommunikation, und deshalb muss etwas Handfestes, etwas, womit man auch später arbeiten kann - wie eben ein sehr gut gemachter Katalog - von den Besuchern mitgenommen werden können.“ Zudem plant sie ein international besetztes Wohnbau-Symposium im Oktober. Das soll vor Ort im österreichischen Pavillon stattfinden. Bei einem knappen Gesamtbudget von brutto 400.000 Euro müssen Sponsoren aufgetrieben werden.

Die Gesamtschau der diesjährigen Biennale wird vom Niederländer Aaron Betsky kuratiert, der als Direktor des Netherlands Architecture Institute fungierte und derzeit dem Cincinnati Art Museum als künstlerischer Leiter vorsteht. Seinen Titel gab der wegen interner italienischer Wirbel ebenfalls erst kürzlich ernannte Biennale-Chef unlängst mit „Out There. Architecture Beyond Building“ bekannt.

Die Biennale von Venedig gilt als die weltweit renommierteste Architekturschau. Sie ist von 14. September bis 23. November geöffnet.

Der Standard, Do., 2008.03.27

23. März 2008Ute Woltron
Der Standard

Das weltweite Häusermeer

Die britischen Stadt- und Architekturdenker Ricky Burdett und Deyan Sudjic, Herausgeber des eben erschienenen Buches „The Endless City“, über Potenziale und Schwächen der Megacity

Die britischen Stadt- und Architekturdenker Ricky Burdett und Deyan Sudjic, Herausgeber des eben erschienenen Buches „The Endless City“, über Potenziale und Schwächen der Megacity

Das 21. Jahrhundert beginnt mit dem Zeitalter der Stadt: Mit diesem Phänomen setzt sich das Urban Age Programm der London School of Economics gemeinsam mit der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft der Deutschen Bank seit einigen Jahren intensiv auseinander. Bis dato wurden sechs Städte interdisziplinär untersucht - New York, Schanghai, London, Mexiko-Stadt, Johannesburg, Berlin - folgen werden etwa Mumbai (ehemals Bombay) und São Paulo. Mit dem Buch The Endless City, herausgegeben von Ricky Burdett und Deyan Sudjic, liegt nun eine erste Zusammenfassung der Erkenntnisse vor.

Der Ausgangspunkt: Erstmals leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Um 1800 waren es erst zwei Prozent, hundert Jahre später zehn, 1950 bereits 30 Prozent. Bis 2050, schätzt die UNO, werden drei Viertel aller Menschen Städter sein. Sie werden zum Teil in Stadtgebilden leben, die 30 Millionen und mehr Menschen beheimaten. Eine Vision, die in Asien und Teilen Afrikas und Südamerikas bereits Gestalt annimmt - und zwar in Windeseile. Pro Stunde erhöht sich die Bevölkerungszahl Mumbais um 42 Menschen, die von Lagos um 58.

Mit traditionellen städtebaulichen Mustern ist diesen rasch wachsenden Megaagglomerationen nicht mehr beizukommen. Der britische Architekturkritiker Deyan Sudjic betont, dass nur durch Kooperation zwischen Planern, Wirtschaft und Stadtpolitik menschengerechte Lösungen gefunden werden können: „Die Stadt ist zur wichtigsten Frage unserer Zeit geworden - und das haben auch die Politiker erkannt: Wir befinden uns in einer Ära sehr aktiver Bürgermeister, doch das Problem ist, dass Politiker immer weniger Zeit haben als alle anderen. Die wollen schnell Baukräne am Horizont sehen - und das ist kaum je der sinnvollste Weg. Zuerst müssen die unterschiedlichen Kräfte, die Städte formen, an einen Tisch gebracht, die Probleme müssen aus allen Perspektiven betrachtet werden. Es geht darum, zu verstehen, dass eine Stadt die Summe von gebauter Qualität, gesetzlichen Grundlagen und ökonomischen Investitionen ist - und eben nicht nur von einem dieser Bereiche geformt wird.“

Tatsächlich beginnen Städte heute - in der sogenannten globalisierten Welt - wieder eine Rolle einzunehmen, die ihnen bereits zu Beginn der Menschheitsgeschichte zukam: Megacities sind oft einflussreicher als die Nationalstaaten, in denen sie sich befinden - und sie haben mehr Einwohner als manche europäische Nation. Für Ricky Burdett, den Leiter des Urban-Age-Programms der London School of Economics sind sie die Kraftwerke der Weltwirtschaft schlechthin. Ein Beispiel: „Der Gesamtumsatz von London ist genauso groß wie der von ganz Saudi-Arabien, das Gleiche gilt für Tokio und bis zu einem gewissen Grad auch für New York. Es spielt also eine wichtige Rolle, wie sehr diese Städte mit der ökonomischen DNA der Staaten, in denen sie sich befinden, verknüpft sind. Dazu kommt, dass die globalen Flüsse von Kapital, Menschen und Informationen durch Städte geschleust werden.“

Stadtluft macht frei

Genau das ist die Biosphäre, in der sich die Global Player der Weltwirtschaft wohlfühlen. In Städten verdichten sich Geld, Know-how, Geschwindigkeit: Deshalb ziehen gut organisierte Megastädte Unternehmen und multinationale Konzerne an. Deshalb wandern Hunderttausende, ja Millionen in Städte wie Mumbai, Mexiko-Stadt oder São Paulo ein. Jeder, sagt Sudjic, hat diese Vision von der Stadt als Geldmaschine, von der Stadtluft, die frei macht: „Leute ziehen in die Stadt, weil sie dort einfach mehr Auswahlmöglichkeiten haben, das zu tun, was sie wollen. Und die erfolgreichsten Städte sind die, die den Menschen die meisten Möglichkeiten bieten. Eine Stadt muss so gebaut sein, dass sie ununterbrochen Veränderung und Flexibilität erlaubt - solche Städte bieten ein besseres Leben als jene, die sich dieser Möglichkeiten berauben.“

Die Ghettos der Reichen

So gesehen haben die Städtebaumodelle des 20. Jahrhunderts mit ihren großformatigen Satellitenenklaven ausgedient. Monokulturen wie vielgeschoßige Apartmentblöcke sind zu unflexibel - solche Strukturen sind genau die Art von Architektur, in der sich kein neues urbanes Leben entwickeln kann. Burdett ist vom direkten Zusammenhang zwischen städtebaulicher Form und sozialem Wohl überzeugt.

Die Mischung, die Vielfalt macht den Unterschied: „Bedauerlicherweise ist genau die Art Stadtlandschaft, wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden ist, der Beweis dafür. Denken Sie daran, wie viele Wohnviertel gesprengt werden mussten, weil sie entweder soziale Probleme verursacht oder zumindest dazu beigetragen haben. Das lag an ihrem Design, ihrer Unfähigkeit, sich mit der Stadt und ihrer unmittelbaren Umgebung zu vernetzen.“ Diesen Monokulturen stehen die Ghettos der Reichen gegenüber, die sich - auch in der westlichen Welt - zunehmend in gepflegten Gated Communities hinter hohen Mauern und Stacheldraht einschließen, sagt Burdett. „Insgesamt sind das die Bedingungen, von denen wir wissen, dass sie im Laufe der Zeit die Segregation von Menschen mit unterschiedlichem ethnischen, ökonomischen und religiösen Hintergrund provozieren. Aber es geht auch anders, wenn man an Barcelona denkt - oder an Teile Wiens, wo Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ganze Viertel mit Gebäudetypologien entstanden, die den unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen dienen können. Und zwar mit einer Architektur, in der soziale Unterschiede nicht in Stein gemeißelt sind. Ich bin davon überzeugt, dass das richtige Design einer Stadt mit Sicherheit zur Bildung einer integrierten, besser funktionierenden Gesellschaft beiträgt.“

Aber - wie lässt sich Stadt in diesem Sinn umsetzen? Wo sind die neuen Ansätze, die neuen Ideen? Wie wird Stadt morgen, übermorgen gebaut?

Sudjic: „Mitunter ist es beunruhigend, zu sehen, wie wenige Ideen es letztlich dazu gibt, wie man eine Stadt formen sollte. Doch wenn Leute Ideen haben, die zu funktionieren scheinen, verbreiten sich die wie Lauffeuer rund um die Welt. Bilbao erfindet sich radikal neu, baut ein Guggenheim Museum - und plötzlich wollen alle neue Landmarks. Der Bürgermeister Londons führt eine erfolgreiche City-Maut ein, also will das der Bürgermeister in New York auch. Es hat den Anschein, als wären wir hungrig nach Ideen, und die Städte brauchen tatsächlich Lösungen und Antworten.“

Heikle Planung

Eine der Fragen, die beantwortet werden muss, ist beispielsweise die der sogenannten „Informal Settlements“, also jener Stadtteile, die von neuankommenden Bewohnern in atemberaubender Geschwindigkeit und scheinbar unstrukturiert hochgezogen werden. Die Arroganz der reichen Welt missversteht diese Stadtteile oft als Slums, in denen das Verbrechen, und sonst gar nichts daheim ist. Burdett: "Unangenehmerweise gibt es das weitverbreitete Vorurteil, das Informelle gehe Hand in Hand mit Kriminalität, und alle illegalen Taxifahrer in Mexiko-Stadt würden ununterbrochen auch mit Drogen dealen - doch das ist absolut nicht der Fall. „Viele Beispiele haben, ganz im Gegenteil, gezeigt, dass sich gerade Informal Settlements schneller in Städte integrieren als Wohnblockghettos und sich zu vitalen, prosperierenden Vierteln entwickeln können.“ Sudjic: „Noch in den 60er-, 70er-Jahren hat man informelle Strukturen als halblegale Außenstädte betrachtet, als großes Problem, das in irgendeiner Weise gelöst werden müsse. Doch mittlerweile weiß man, dass diese Gebilde den Menschen nicht nur Lebensraum geben, sondern tatsächlich wie Maschinen funktionieren, die ganz Arme zu nicht ganz so Armen machen“.

Für die ungeplanten Zuwanderer zu planen, sagt Burdett, sei eine heikle Angelegenheit und produziere oftmals nur größeres Elend: „Wir können heute diese Siedlungen nicht mehr abreißen, wie wir es noch vor hundert Jahren beispielsweise in Manchester getan haben. Die Lösung besteht vielmehr darin, auf sensible Art und Weise einzugreifen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort zu verbessern und die Strukturen so zu stärken, dass sich diese Systeme selbst regulieren können.“

Was erwarten sich die Herausgeber von Urban Age und der nun vorliegenden Publikation? Deyan Sudjic ist zuversichtlich: "Das Wichtigste und Spannendste ist es, in den jeweiligen Städten all jene zusammenzubringen, die für Planung, für das politische System, die Architektur, die ökonomische Seite und all die Zwischenräume mitverantwortlich sind und damit die unterschiedlichen Standpunkte und Interessenlagen zu vereinen. Das ist ein mächtiges Virus, das sich ausbreiten wird. Ich denke, das ist exakt der Geist, der die Arbeit von ,Urban Age' trägt. Hin und wieder erscheint ein Buch, das die Sichtweise der Menschen ändern kann. Ich glaube wirklich, dass „The Endless City“ wieder einen Wendepunkt im Denken markieren kann."

[ „The Endless City“, € 59,95 / 512 Seiten, Verlag Phaidon, Berlin 2008 ]

Der Standard, So., 2008.03.23

15. März 2008Ute Woltron
Der Standard

Wozu den krummen Weg gehen?

Der Entscheid des Bundesvergabeamtes in Sachen ÖBB-BahnhofCity betrifft auch eine Vielzahl anderer Unternehmen - wenn man sich denn an Gesetze halten will. Eine Analyse zur Vergabekultur

Der Entscheid des Bundesvergabeamtes in Sachen ÖBB-BahnhofCity betrifft auch eine Vielzahl anderer Unternehmen - wenn man sich denn an Gesetze halten will. Eine Analyse zur Vergabekultur

In der heimischen Architektur- und Bauszene rumpelt es derzeit mächtig, es scheinen neue Zeiten anzubrechen. Kurz zum Anlassfall:
Vergangene Woche hebelte das Bundesvergabeamt auf Antrag von insgesamt 49 nationalen und internationalen Architektinnen und Architekten den von der ÖBB veranstalteten, lediglich auf acht Teilnehmer reduzierten Architekturwettbewerb BahnhofCity auf dem Areal des ehemaligen Südbahnhofs in Wien mit eindeutigem Entscheid aus.

Die Begründung lautete: Auch die ÖBB-Immobilienmanagement GmbH, eine Tochtergesellschaft des Konzerns, die sich selbst gern als privatwirtschaftlich agierendes „Enkerl“ der Republik bezeichnet, ist als öffentliche Auftraggeberin an das Bundesvergabegesetz gebunden und muss daher, wie gesetzlich vorgesehen, einen europaweit öffentlichen Architekturwettbewerb veranstalten.

Das Einzige, was an diesem seit Wochen mit enormer Spannung erwarteten Entscheid erstaunt, ist das zum Teil ungläubige Erstaunen, das er nun auslöst.

Diese Verwunderung darüber, dass eine Gesellschaft, die eindeutig zu hundert Prozent im Eigentum des Bundes steht, sich halt auch eindeutig an das Bundesvergabegesetz zu halten hat, was nun richterlich beschieden wurde, lässt zwei Schlüsse zu.

Erstens: Gegebenenfalls hat man seitens der Wettbewerbsauslober, um es vorsichtig auszudrücken, die sachliche Unabhängigkeit und politische Neutralität der Instanz Bundesvergabeamt doch ein wenig unterschätzt und bis zuletzt an eine schwammigere Bereinigung der leidigen Angelegenheit quasi unter Freunden geglaubt.

Zweitens: Das Bundesvergabegesetz wird anscheinend von breiten Teilen öffentlicher Auftraggeber ohnehin lediglich als sportliche Hürde betrachtet, die nur dazu da ist, mehr oder weniger elegant übersprungen zu werden.

Denn die ÖBB ist mit ihrem Versuch, die BahnhofCity unter von ihr ausgewählten Architektennamen zu vergeben, beileibe kein Einzelbeispiel. In den vergangenen Jahren haben ähnlich konstruierte Tochtergesellschaften öffentlicher Unternehmen in Ländern und Gemeinden, zwischen Vorarlberg und dem Burgenland, mit einer an Unverfrorenheit grenzenden Selbstverständlichkeit das Vergabegesetz immer wieder umgangen - und außer höchstens hinter vorgehaltener Hand vorgebrachtem Murren innerhalb der Architektenschaft hat sowieso keiner etwas dazu gesagt.

Wo kein Kläger, da kein Richter

Denn: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und wenn keiner mit Kapperl, Blaulicht und Strafbefugnis am Straßenrand steht und die Raser einbremst, sind alle bald fröhlich mit 180 unterwegs, und diejenigen, die sich an die einer logischen Sinnhaftigkeit ja verpflichtete Verkehrsordnung halten, stehen irgendwie blöd da.

Im Falle des ungleich komplizierteren Spiels Wettbewerbswesen ist jedoch bis auf die Bundesvergaberichter keine Sheriffflotte weit und breit unterwegs, die für eine allseitige Einhaltung der geltenden Rechtsordnung sorgen könnte. Auch scheint es zynisch, dass die Vergaberichter überhaupt erst nach Aufforderung prüfend aktiv werden dürfen.

Die Architekten- und Ingenieurkammer als jene Instanz, die den besten Überblick haben müsste, ist selbst nicht einmal dazu befugt, das Bundesvergabeamt mit der Überprüfung fragwürdiger Verfahren zu bemühen. Und von den Planern und Planerinnen, die dazu sehr wohl berechtigt sind, schlägt niemand den Weg in die Vergabebehörde gern und leichtherzig ein.

Erstens ist eine Eingabe schon zu Beginn mit erheblichen Kosten verbunden, zweitens handelt man sich als potenzieller Geschäftspartner logischerweise nur ungern den Ruf eines aufsässigen Querulanten bei den Baugelderverwaltern ein.

Doch das könnte sich nun, da der Präzedenzfall endlich ausjudiziert und das Ergebnis schwarz auf weiß für jedermann nachzulesen ist, ändern.

Das Betätigungsfeld ist groß: Von den Landesimmobiliengesellschaften über die entsprechenden immobilienverwaltenden Gemeindegesellschaften, von Krankenhausbauern, Sozialversicherungsträgern, Asfinag bis hin zur Wienholding - all diese Unternehmen agieren mit öffentlichen Geldern und dürften künftig, so sie nicht ohnehin vorbildlich handeln, was ja auch vorkommt, verstärkt damit befasst sein, das Bundesvergabegesetz doch etwas genauer zu studieren.

Die Bundesimmobiliengesellschaft hat als eines der größten dieser Unternehmen jedenfalls zuletzt im Standard bereits klar deklariert, wie gehabt das Instrument des öffentlichen Wettbewerbes selbstverständlich weiterhin zum Einsatz bringen zu wollen.

Möge diesem Beispiel auch von anderer Seite Folge geleistet werden.

Die Geldsummen, die bei genauer Einhaltung der Gesetzeslage via ordentlich administrierte Verfahren vergeben werden müssten, lassen sich nur schwer beziffern, es handelt sich jedoch in jedem Fall um sehr viel. Im Kapitel „Volkswirtschaftliche Bedeutung der baukulturellen Qualifizierung - Zahlen/Daten/Fakten“ des im Vorjahr präsentierten Baukulturreports steht jedenfalls als Messlatte nachzulesen:

„Derzeit wird nur mehr rund die Hälfte der Infrastrukturinvestitionen innerhalb des Sektors Staat durchgeführt, die andere Hälfte bereits außerhalb der öffentlichen Budgets durch Sondergesellschaften, PPP-Modelle oder andere neue Finanzierungsformen.“ Und: „Die Investitionen der ausgegliederten Gesellschaften sind von 1843 Millionen Euro im Jahre 2000 auf 2725 Millionen 2005, oder um die Hälfte innerhalb von fünf Jahren gestiegen.“

Die Bruttoinvestitionen des Staates inklusive Ausgliederungen betrugen im Jahr 2005 laut Finanzministerium 5509 Milliarden Euro. Für dasselbe Jahr listet die Architektenkammer insgesamt 134 Wettbewerbe auf, von denen gerade einmal 75 „betreut“ waren, also gegebenenfalls (!) nach Bundesvergabegesetz veranstaltet wurden.

Das deutet doch auf eine massive Schieflage hin. Warum sie besteht, lässt sich relativ leicht erklären, und es gibt gleich mehrere Gründe dafür:

Abgesehen von jenen Entscheidungsträgern, die ganz bewusst offene Wettbewerbe umgehen, gibt es jede Menge andere öffentliche Bauherren, die schlichtweg keine Ahnung von der Materie haben. Wer nicht ständig mit Architektur, Vergabe und Bauen zu tun hat, ist naturgemäß völlig überfordert, wenn ein größeres Gebäude zur Errichtung ansteht. Dieses Los trifft etwa Bürgermeister, die Schulen, Gemeindezentren et cetera als oberste Bauinstanz zu verantworten haben.

Wenn eine Gemeinde nicht durch glückliche Fügung einen baukulturaffinen Häuptling hat, wird die Angelegenheit bereits ein wenig kritisch.

Und: Das Vergabewesen ist eine komplizierte Materie, in der sich nur wenige Experten wirklich gut auskennen. Um einen Wettbewerb gut und wasserdicht auszuschreiben und zu administrieren, bedarf es exzellenter Fachleute. Ein guter Verfahrensbetreuer muss sowohl exakt über die unterschiedlichen Paragrafendschungel der Vergabegesetze und der Wettbewerbsordnung Bescheid wissen als auch über die räumlichen und funktionalen Bedürfnisse der späteren Gebäudebenutzer sowie deren Übersetzung in dreidimensionale Formen, sprich in Architektur.

Von solchen Experten, die letztlich zu den wichtigsten Bauherrenberatern gezählt werden können, gibt es hierzulande nur eine Handvoll.

Bleibt noch die Frage offen, warum sich diejenigen, die es eigentlich besser wissen müssten, vor öffentli- chen Ausschreibungen zieren. Ihre Argumente sind immer dieselben: EU-weite Wettbewerbsverfahren seien teuer, sie würden zu lang dau- ern und die großen „Namen“ der Architektur würden sich an solchen Verfahren sowieso nicht mehr beteiligen.

Jeder einzelne Punkt ist widerlegbar. Die Wettbewerbsvorbereitung ist für geladene und öffentliche Verfahren gleich aufwändig, wenn man sie ernstnimmt, was man tunlichst sollte, denn mit der Ausschreibung bestimmt der Auftraggeber den genetischen Code und damit auch die Qualität des architektonischen Entwurfs, den er bekommen wird.

Bei professioneller, straffer Organisation sind öffentliche Verfahren auch bei Einhaltung aller Fristen rasch abhandelbar. Und auch namhafte Büros scheuen sich keineswegs, an seriösen Wettbewerben teilzunehmen.

Des Weiteren lässt das Bundesvergabegesetz die Möglichkeit des Bewerbungsverfahrens offen, mit dem die Bauherrschaft den Kreis der wirklich zu jurierenden Projekte ohnehin eingrenzen kann.

Intelligenz, Know-how, Sorgfalt

Würden tatsächlich alle infrage kommenden Gebäude öffentlich ausgeschrieben, so würde sich auch die derzeit mitunter absurd hohe Teilnehmerzahl pro Wettbewerb reduzieren, weil sich nicht alle Architekturbüros kollektiv auf wenige Verfahren stürzen müssten, wie das derzeit der Fall ist.

Zuletzt aber noch eine Klarstellung: Wettbewerbeveranstalten allein ist noch kein Garant für gute, nachhaltige, menschenwürdige Architektur. Man kann auch die schleißigsten Verfahren gesetzestreu ausloben, aber warum sollte man? Bauen kostet viel Geld. Je intelligenter, sorgfältiger und weitsichtiger es in Architektur angelegt wird, desto besser. Warum sich der Möglichkeit begeben, das Know-how der gesamten europäischen Architekturlandschaft anzuzapfen?

Das Bundesvergabegesetz wird von breiten Teilen öffentlicher Auftraggeber lediglich als sportliche Hürde betrachtet, die nur dazu da ist, mehr oder weniger elegant übersprungen zu werden.

Der Standard, Sa., 2008.03.15

16. Februar 2008Ute Woltron
Der Standard

Licht und Schatten

Die Moderne Tel Avivs ist nichts Geringeres als eine architektonische Sensation. Wer noch nicht dort war, kann sich nun anhand einer Ausstellung im Wiener Architekturzentrum davon überzeugen

Die Moderne Tel Avivs ist nichts Geringeres als eine architektonische Sensation. Wer noch nicht dort war, kann sich nun anhand einer Ausstellung im Wiener Architekturzentrum davon überzeugen

Diese Stadt ist eine einzige eigenartige, bittersüße Zeitreise für architekturgeschulte Menschen, gerade wenn sie aus Wien kommen. Die Häuser. Die Menschen. Die Geschichte - und die Geschichten dazwischen.

Man schlendert über die Boulevards, vorbei an lila Wolken blühender Bougainvilleahecken - und dahinter sieht man die von der Mittelmeersonne rasierklingenscharf in Licht und Schatten geschnittenen weißen Fassaden einer Moderne in den blauen Himmel ragen, wie wir sie hierzulande nur aus den Architekturgeschichtsbüchern kennen. Ein nicht enden wollender Genuss. An jeder Straßenkreuzung, in jeder Gasse eine neue kleine architektonische Sensation aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Stünde nur eines dieser Häuser in Wien - man würde ihm huldigen und es zu einem Museum, zu einer architekturtouristischen Ikone machen. Vielleicht aber auch nicht, vielleicht wäre man selbst heute noch zu blöd dazu.

Liegt es an der eigenen Ignoranz, dass man von der Existenz dieser israelischen Bauhaus-Moderne erst seit ein paar Jahren überhaupt Kenntnis hat?

Sicherlich. Oder haben wir das andererseits schlichtweg nicht gelernt, damals an der Uni, zwischen Corbusier, Gropius und Bauhaus Weimar, Bauhaus Dessau? Eine heikle Frage, und sie wäre weniger heikel, läge Tel Aviv beispielsweise in Südafrika und nicht in Israel.

Eines der vielen Straßencafés von Tel Aviv. Eine lustige alte Dame, klein und dick und mit Goldrandbrille. Nur eine von vielen Zufallsbekanntschaften in dieser kommunikationsfreudigen Stadt. Nach einer Viertelstunde fließt das Englische plötzlich ins Wienerische - Vienna? Oh! Sie kommen aus Wien! Dort komm ich auch her. Aus dem achten Bezirk.

Ein altes Haus, eine große Wohnung und die hohen Flügeltüren zwischen den Zimmern, das Rattern der Straßenbahn draußen, der Kastanienbaum vor dem Fenster, daran wird man sich immer erinnern.

Was ist Architektur? Die brillan-ten Formen- und Materialspielerei-en räumlich ausnahmetalentierter Selbstvermarkter, mit deren Hochglanzabbildern wir heute ununterbrochen optisch gespeert werden - so lange, bis vor lauter Speerlöchern kein Inhalt mehr zu sehen ist?

Oder ist Architektur tatsächlich viel mehr - ein Stück Erinnerung, ein Teil der eigenen oder gar nationalen Existenz, etwas, das die Menschen, die darin leben, mitformt und dauerhaft prägt.

Architektur für ein Kollektiv

Oder, im besten Fall, eine kollektive Angelegenheit, und die Kunst, große Mengen verschiedenster Materie zu einem logischen, zusammenhängenden Stadtgebilde zu formen, in dem Menschen, ihren menschlichen Bedürfnissen entsprechend, leben können? Offene Räume, geschlossene Räume. Räume der Bewegung, des Aufenthalts, des Konsums, der Kommunikation, der Stille. Räume für ganz Junge und ganz Alte, für jene, die arbeiten und für jene, die miteinander oder allein ihre Freizeit verbringen.

Angesichts der vielschichtigen Architektur der Moderne Tel Avivs beginnt man jedenfalls wieder einmal zu grübeln, welch seltsame Richtungen die Kunst des Bauens mitunter eingeschlagen hat, seit gemeinsame Zielrichtungen verlorengingen. Etwa jene, die doch irgendwann einmal den Menschen ins Zentrum gestellt hatten.

Wie es zum Beispiel Tel Avivs erster Bürgermeister Meir Dizengoff tat. Ab 1911 war er hier der oberste Stadtplaner, später Bürgermeister bis zu seinem Tod im Jahr 1937. Er beauftragte 1925 den schottischen Biologen und Stadtsoziologen Patrick Geddes damit, einen städtebaulichen Masterplan für die extrem schnell wachsende Siedlung am Mittelmeerstrand zu erstellen.

Die deutsche Kunst- und Architekturhistorikerin Ita Heinze-Greenberg schreibt im Katalog zur Tel-Aviv-Ausstellung, die ab kommender Woche im Wiener Architekturzentrum zu sehen ist: „Wichtigste Charakteristika seines Bebauungsplans waren ein fein abgestimmtes, hierarchisch gestuftes Straßennetz, das von breiten Hauptstraßen bis zu ruhigen Wohnstraßen reichte, sowie die Einführung sogenannter Home-Blocks. Innerhalb dieser (...) befanden sich halböffentliche Einrichtungen wie Kindergärten oder Waschräume sowie gemeinschaftliche Grünanlagen. Rasen-, Tennis- oder Spielplätze sollten durch rosen- und weinüberwachsene Passagen miteinander verbunden werden. Diese über Nachbarschaftseinheiten geschaffene soziale Infrastruktur machte sicherlich die Stärke des Geddes-Plans aus.“

30.000 Einwohner zählte damals die in den 1880ern gegründete Siedlung, die ab 1909 Stadt war, und sie wuchs rasch. Für 100.000 Einwohner plante Geddes, doch schon 1935 siedelten 120.000 Menschen hier. Heinze-Greenberg: „Unter den aus Mitteleuropa, hauptsächlich Deutschland, stammenden Einwanderern befanden sich auffallend viele - meist junge - Architekten.“ Und viele von ihnen hatten an den besten Architekturschulen Europas ihr Handwerk gelernt.

Die unzähligen Baustellen Tel Avivs wurden ab den späten 20er-Jahren zu Experimentallabors für diese junge Architektengarde, und in einem neuen Klima und unter völlig neuen kommerziellen und politischen Bedingungen entstand eine ganz eigene Architektur der Moderne.

Fast alles davon ist erhalten, rund 4000 Gebäude, und die bilden das Fleisch dieser Stadt. Die klare, unerhört elegante Architektursprache des Bauhaus wandelte sich hier zu ei-nem eigenen mediterranen Dialekt. Schnurgerade Balkone, eingeschnittene oder ausgestülpte Stiegenhäuser, Kuben und Zylinder - gemeinsam mit klug dimensionierten Vorgärten und Höfen, mit Durchgängen und Durchblicken, die oft unter aufgestelzten Hausteilen durchführen, bilden all diese Elemente ein großes, lebenswertes Ganzes.

Jeremie Hoffmann, Direktor des Denkmalamts von Tel Aviv, meint, dass diese Klarheit der Architektur oftmals als Ausdruck der Befreiung der neuen Siedler von der traditionellen jüdischen Lebensweise interpretiert werde, als Symbol eines Bruchs mit der Vergangenheit und als Manifest des Aufbruchs in eine neue Gesellschaft. Doch nicht alle Israelis stehen oder standen solchen Ansichten stets ausschließlich positiv gegenüber.

Unesco-Weltkulturerbe

Nichtsdestotrotz: Nachdem die weiße Stadt Tel Aviv ihr Erbe aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lange genug vernachlässigt hatte und die Mauern zu bröckeln begannen, besannen sich vor allem lokale Künstler und Architekten ab den frühen 80er-Jahren langsam wieder der Architektur und machten deren Bedeutung schrittweise auch öffentlich zum Thema. Ausstellungen wurden organisiert, Symposien veranstaltet, Forschungsgruppen installiert.

Im Jahr 2003 wurde die „White City of Tel Aviv“ schließlich in die Unesco-Liste des Weltkultur- und Naturerbes der Menschheit aufgenommen. Das gesamte Areal umfasst rund 140 Hektar im Stadtzentrum, der Großteil der Häuser stammt aus den Jahren zwischen 1930 und 1948. Ein umfassender Sanierungsplan reguliert die seit einigen Jahren laufenden Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten. Es ist wieder schick geworden, im alten Zentrum Tel Avivs zu wohnen.

Doch die Stadt wächst weiter, und die Business-Hochhäuser rücken in bedrohliche Nähe. Es wird wieder einer kollektiven Anstrengung und wieder einer neuen Bewusstseinsbildung bedürfen, um die nächste Gefahr abzuwenden.

Der Standard, Sa., 2008.02.16

19. Januar 2008Ute Woltron
Der Standard

„Klare Entscheidung wäre ein Erdbeben“

Der Wiener Hauptbahnhof sorgt bereits für Aufregung, bevor noch mit dem Bau begonnen wurde. Der STANDARD lud vier Experten ein, um über die Auswirkungen dieses spektakulären Aufbegehrens der Architekten gegen den Trend, Wettbewerbe in geladener Form zu organisieren. Ute Woltron moderierte.

Der Wiener Hauptbahnhof sorgt bereits für Aufregung, bevor noch mit dem Bau begonnen wurde. Der STANDARD lud vier Experten ein, um über die Auswirkungen dieses spektakulären Aufbegehrens der Architekten gegen den Trend, Wettbewerbe in geladener Form zu organisieren. Ute Woltron moderierte.

STANDARD: Was bedeutet die Vergabeamtsentscheidung für die gesamte Bauszene?

Walter Stelzhammer: Im Moment warten alle wie gebannt darauf. Die Entscheidung ist für den gesamten Berufsstand ungeheuer wichtig. Sie wird nicht nur die Position der ÖBB, sondern aller öffentlichen Auftraggeber neu definieren.

Christoph Stadlhuber: Egal wie die Entscheidung fällt, die BIG wird weiterhin öffentlich ausschreiben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir über offene EU-weite Wettbewerbe die besten Ergebnisse bekommen.

Adolf Krischanitz: In Österreich gab es immer eine hochstehende Wettbewerbskultur, und es ist problematisch, wenn sich der öffentliche Bauherr verstärkt über Abwicklungsgesellschaften aus diesem System herausnimmt. Der Architektenberuf ist ohnehin einer der existenziell problematischsten überhaupt. Für Jüngere ist es extrem schwierig, zum Zug zu kommen. Der Wettbewerb ist das Mittel, um an öffentliche Aufträge heranzukommen.

Sabine Gretner: Die Auswirkungen werden enorm sein. Das ÖBB-Verfahren zeigt die Haltung der öffentlichen Hand gegenüber der Baukultur und ihren Rückzug aus der Verantwortung.

STANDARD: Warum ist die EU-weite Ausschreibung offenbar ein Schreckgespenst für manche Bauherren?

Stelzhammer: Man hat Angst, die falschen Preisträger zu kriegen.

Krischanitz: Das kommt aus dem Omnipotenzanspruch gewisser Bauherren, die jedes Risiko, auch im Positiven, ausschließen wollen: Es könnte ja ein Projekt dabei sein, mit dem kein Mensch rechnet, das aber trotzdem irrsinnig klass ist. Die versuchen die Ergebnisse von Beginn an so hinzubiegen, dass es ihnen in den Kram passt.

Gretner: In der Stadt Wien arbeitet man in den letzten Jahren zudem stark mit Branding. Dazu braucht man internationale Namen, weil man Stadtteile besser verkaufen kann, wenn der Masterplan von Norman Foster stammt, auch wenn der nicht realisierbar ist.

Stadlhuber: Die Gefahr bei geladenen Wettbewerben besteht auch darin, dass in der Jury eher darüber diskutiert wird, welcher Architekt genommen werden soll, als welches Projekt. Aber eben das Projekt sollte im Vordergrund stehen, nicht die Planer.

STANDARD: Welche Institutionen wird die Entscheidung betreffen?

Gretner: Es gab allein in Wien in den vergangenen Jahren viele Ausgliederungen. Eine klare Entscheidung wäre ein Erdbeben!

Stadlhuber: Es wird den gesamten öffentlichen Bau in Österreich betreffen. Es gibt kaum mehr Gebietskörperschaften mit Liegenschaftseigentum. Die sind meistens in BIGs, LIGs und GIGs - Bundes-, Landes- und Gemeindeimmobiliengesellschaften - ausgelagert.

STANDARD: Von welchem unter Umständen betroffenen Bauvolumen reden wir eigentlich?

Stelzhammer: Von Milliarden.

Krischanitz: Viel auf jeden Fall. Doch komischerweise sind Gesamtbaukosten meistens weit weniger interessant als Architektenhonorare. Tatsächlich ist das momentane Wettbewerbssystem selbstausbeuterisch bis zum Exzess. Im Schnitt muss man zehn Wettbewerbe machen, bevor man einen gewinnt, und die muss man alle finanzieren. So kommst du als Architekt nie zu Rücklagen, weil du sofort wieder alles in Wettbewerbe investieren musst. Diese Basis wird durch geladene Verfahren noch einmal verschlechtert, und insofern glaube ich, dass es nur mehr Wahnsinnige sind, die diesen Beruf ausüben.

STANDARD: Welche Wettbewerbsart ist dann eigentlich anzustreben?

Krischanitz: Offene Wettbewerbe mit vorgeschalteter Bewerbung, die Jury kann entscheiden, wer mitmacht, und automatisch wird ein gewisser Prozentsatz von Jungen automatisch einbezogen.

Stelzhammer: Die ÖBB hätte wie die Erste Bank am Nachbargrundstück genau so ein Verfahren mit vorgeschalteter Bewerbung ausloben können. Warum hat sie das nicht getan?

STANDARD: Kluge Bewerbungsverfahren sind also die Lösung, die erfordern allerdings bewusste Bauherren, die ihre eigenen Kriterien definiert haben.

Krischanitz: Exakt. Über die Nachhaltigkeit von Gebäuden wird kaum geredet, das wird dann halt irgendwie gemacht. Aber das ist zu kurz gedacht.

Gretner: Noch dazu in einer Zeit, in der die Betriebskosten heftig steigen.

Stelzhammer: Das Wettbewerbssystem wäre ja an sich brauchbar, und es soll auch dem Auftraggeber vorbehalten bleiben, welche Verfahrensart er wählt. Das Bundesvergabegesetz bietet den Handlungsspielraum, aber wir Architekten müssen mitreden können, wie weit der geht. Manche Anwaltskanzleien haben sich geradezu auf diese Zwischengrauzonen spezialisiert und reizen sie bis zum Letzten gegen die Architektenschaft und die Architektur aus.

Krischanitz: Mir kommt vor, dass man in Österreich, aber auch in Deutschland etwas hinten ist. Schweizer Ausschreibungen sind wesentlich präziser. Hierzulande sitzen auch in der Jury oft Leute, die sich nicht genug auskennen. Es ist alles ein bisschen schlampig geworden in Österreich: Man weiß eh, wen man einlädt, und möglicherweise auch, wer gewinnen soll. Das ist ein übler Umgang mit Ressourcen, der aber für uns Architekten ganz entscheidend ist. Die Wettbewerbskultur braucht wieder eine Aufwertung.

Gretner: Es geht aber auch um den enormen Wert von guter Architektur für die Allgemeinheit. Architekten werden immer noch zu sehr als Künstler gesehen, doch was Architektur und Städtebau für uns alle bedeutet, darüber herrscht zu wenig Aufklärung.

Stadlhuber: Noch eine Frage: Warum unterscheidet man überhaupt so extrem zwischen Öffentlichen und Privaten? Gerade das aktuelle Beispiel BahnhofCity zeigt an einem Standort, dass ein privates Unternehmen, die Erste Bank, einen öffentlichen Wettbewerb veranstaltet, aber ein - gegebenenfalls - öffentliches Unternehmen umgeht das. Ich hoffe, dass die nun entbrannte Diskussion zu einem Plädoyer für den offenen Wettbewerb führt. Das sollten dann tunlichst auch die Privaten erkennen. Die Erkenntnis, dass der sinnvoll ist, muss greifen, denn durch Zwang allein kommt nie was Ordentliches zustande.

STANDARD: Die ausgegliederte BIG gilt immer noch als „Staatsmacht“ des Bauens, sie muss aber privatwirtschaftlich agieren und Geld verdienen. Inwieweit hat sie das Backing ihres Eigentümervertreters, des Wirtschaftsministers, die Baukultur über offene Wettbewerbe hochzuhalten?

Stadlhuber: Das ist absolut kein politisches Thema. Wir müssen das Geld, das wir ausgeben, zurückverdienen, und wenn's geht ein bisschen mehr dem Finanzminister abliefern. Da wehren wir uns nach Möglichkeit, weil wir das Geld in der Immobilie, im Bestand zu halten versuchen. Die Argumente könnten bei der BIG allerdings die gleichen sein wie bei den ÖBB. Denn wenn wir mit unseren Mietpreisen mit der Konkurrenz nicht mithalten können, geht der Mieter woanders hin.

STANDARD: Erbringt das den Beweis, dass es mit offenen Wettbewerben genauso möglich ist, wirtschaftlich zu agieren?

Stadlhuber: Ganz sicher. Was das Verfahren anlangt, hoffe ich jetzt auf eine rasche Entscheidung, die nicht in die Instanzen geht.

Gretner: Ich will die Politik aber keinesfalls aus der Verantwortung nehmen. Dieses Verfahren übt erstmals wirklich Druck aus. Jetzt wird mit juristischen Mitteln über Bauqualität entschieden.

Stelzhammer: Meine Botschaft an Stadtrat Schicker, der sich ja aus der Jury zurückgezogen hat, lautet: Wenn er nun die rechtskonforme Ausschreibung unverzichtbar nennt, dann ist für mich als Standesvertreter klar, dass er sich ab sofort hundertprozentig für die Sache einsetzen wird. Ich fordere ihn daher auf, das im Rahmen dieses Nachprüfungsantrages zum ÖBB-Verfahren auch zu tun.

Krischanitz: Neben all den juristischen Spitzfindigkeiten gibt es eine moralische und kulturelle Verantwortung - und da frage ich mich, wie so etwas überhaupt passieren kann.

Der Standard, Sa., 2008.01.19



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Hauptbahnhof & Bahnhof City Wien

17. Januar 2008Ute Woltron
Der Standard

ÖBB stoppt Vergabe bei Hauptbahnhof

Der Wettbewerb um die BahnhofCity am Wiener Hauptbahnhof wurde von den ÖBB am Mittwoch vorläufig gestoppt. Drei Architekturteams kamen dennoch in eine zweite Runde. Ob die allerdings tatsächlich stattfinden kann, muss erst das Bundesvergabeamt entscheiden.

Der Wettbewerb um die BahnhofCity am Wiener Hauptbahnhof wurde von den ÖBB am Mittwoch vorläufig gestoppt. Drei Architekturteams kamen dennoch in eine zweite Runde. Ob die allerdings tatsächlich stattfinden kann, muss erst das Bundesvergabeamt entscheiden.

Während das Bundesvergabeamt die Überprüfung des umstrittenen ÖBB-Verfahrens BahnhofCity Wien bereits eingeleitet hat, wurden am Montag und Dienstag die Entwürfe der acht geladenen Architekturbüros juriert. Wie der Standard gestern berichtete, war der Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SPÖ) am Montag erst nicht zur Sitzung erschienen, um dann am Dienstag kurzfristig und völlig überraschend als Juror zurückzutreten.

Ein Sieger wurde noch nicht gefunden, die Projekte von Behnisch Architekten, Stuttgart, Feichtinger Architekten, Paris, sowie Hans Hollein, Wien, gehen in einer zweiten Runde in die Überarbeitung. Allerdings, so ÖBB-Sprecherin Bettina Gusenbauer, gebe es dafür erst dann den Startschuss, wenn das Bundesvergabeamt seine Überprüfung abgeschlossen habe. Der Entscheid ist in sechs Wochen zu erwarten, die Frist läuft ab Antragsstellung.

Großes Erstaunen hat Rudolf Schickers Rückzieher aus dem Verfahren nicht nur bei der ÖBB hervorgerufen. Der oberste Planer der Stadt ließ via APA am Dienstag ausrichten, er könne sich als Juror nicht für ein Verfahren zur Verfügung stellen, dessen Rechtsgrundlage unklar sei. Dem Standard ließ Schicker auf Anfrage mitteilen, das ÖBB-Verfahren würde „außerhalb des Einflussbereiches der Stadt Wien geführt“, und: „Die rechtliche Beurteilung der Frage, wer ein öffentlicher und wer ein privater Auslober ist, entzieht sich der Entscheidungsfindung der Stadt.“

„Blitzrückzieher“

Diese Aussage erstaunt zumal die ÖBB, denn in der Ausschreibung ist der Auslober explizit als „ÖBB Immobilien in Kooperation mit der Stadt Wien“ angegeben.

Erbost über Schickers Blitzrückzieher zeigte sich via Aussendung auch die Vorsteherin des vierten Bezirks, Susanne Reichard (ÖVP), die ebenfalls Mitglied der Jury war. Schicker betreibe „einen Eiertanz par excellence“ und, so weiter: „So ein Verhalten ist eines Planungsstadtrates unwürdig.“ Denn: „An welchen Vorgaben sollen sich die Bezirke nun orientieren, wenn das ganze Projekt in Schwebe ist.“

Die Reaktionen innerhalb der Architektenschaft lassen ebenfalls nicht auf sich warten. Man werde, so ein am Verfahren beteiligtes Büro internationalen Formats, die ÖBB mit Sicherheit auf Schadenersatz klagen, sollte sich das Verfahren als nicht rechtsmäßig erweisen. Es gehe nicht an, dass man auf gut Glück einen Verfahrensweg wähle, der sich dann unter Umständen als gesetzeswidrig erweise.

Dietmar Feichtinger, als einer der drei Überarbeiter in Warteposition, sagte zum Standard: „Angenehm ist die Situation für uns natürlich nicht.“ Sollte aber festgestellt werden, dass die ÖBB tatsächlich öffentlich hätten ausschreiben müssen, habe er mit dem Antrag der Kollegen „kein Problem“. Hans Hollein meinte, er sei „davon ausgegangen, dass dies ein korrektes Verfahren ist“. Vom Architektenteam Behnisch war keine Aussage zu bekommen, außer, dass man über die Situation zu wenig im Bilde sei.

Derzeit läuft übrigens am Wiener Nordwestbahnhofgelände ein ebenfalls von den ÖBB Immobilien gemeinsam mit der Stadt Wien (MA21) ausgelobtes Verfahren, das eine „Städtebauliche Leitidee“ für das künftig zu entwickelnde Areal zum Ziel hat. Auch dieses Verfahren wird mit neun geladenen Teams durchgeführt, wird allerdings nicht zu einem konkreten Bau führen und befindet sich vergabetechnisch im Unterschwellbereich, muss ergo nicht EU-weit ausgeschrieben werden.

„Wir werden trotzdem aus diesem Verfahren aussteigen“, meinte Wolf Prix von den dazu geladenen Architekten Coop Himmelb(l)au auf Anfrage des Standard, denn das Vergabechaos, das sowohl bei den ÖBB als auch in der Stadtplanung zutage trete, habe sein Vertrauen in die Güte deren Architekturwettbewerbe einmal mehr erschüttert.

Und noch ein weiteres Verfahren dürfte auf der Kippe stehen: Am von der Stadtplanung ausgeschriebenen PPP-Modellwettbewerb für die Bildungseinrichtung am Nordbahnhof haben gerade drei der acht Architektenteams ihre Beteiligung zurückgezogen, da laut deren Aussage sowohl Ausschreibung als auch Verfahrensprozess die Herstellung architektonischer Qualität völlig unmöglich machten.

Der Standard, Do., 2008.01.17



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12. Januar 2008Ute Woltron
Der Standard

Architektenaufstand gegen die ÖBB

Ein internationales Architektenkonsortium lässt das Expertenverfahren Bahnhof City der ÖBB vom Bundesvergabeamt überprüfen. Es soll festgestellt werden, ob für den neuen Stadtteil um den künftigen Hauptbahnhof ein EU-weiter Wettbewerb hätte ausgelobt werden müssen.

Ein internationales Architektenkonsortium lässt das Expertenverfahren Bahnhof City der ÖBB vom Bundesvergabeamt überprüfen. Es soll festgestellt werden, ob für den neuen Stadtteil um den künftigen Hauptbahnhof ein EU-weiter Wettbewerb hätte ausgelobt werden müssen.

Das im Herbst von der ÖBB-Immobilienmanagement GmbH ausgelobte „Expertenverfahren Bahnhof City“ auf dem Wiener Südbahnhofareal, zu dem lediglich acht Architektenteams geladen wurden, geht demnächst in die Juryentscheidung. Ob allerdings die gewählte exklusive Verfahrensart rechtens war, wird in den kommenden Wochen das Bundesvergabeamt zu entscheiden haben.

Nachprüfungsanträge

Denn am Freitag brachten insgesamt 50 österreichische und internationale Architekten bei der Kontrollbehörde Anträge auf Nachprüfung der Ausschreibung ein. Mit dabei sind etwa die norwegischen Snohetta AS, die sich mit dem Bau der Bibliothek von Alexandria einen Namen gemacht haben und derzeit unter anderem das 9/11-Memorial auf Ground Zero errichten. Ebenfalls darunter befindet sich Volkwin Marg vom Hamburger Büro Gerkan, Marg und Partner, die im Vorjahr mit großem internationalem Aufsehen den ersten Urheberrechtsprozess eines Architekturbüros gewinnen konnten - pikanterweise gegen die Deutsche Bundesbahn im Falle des Berliner Hauptbahnhofs.

Den Architekten geht es darum, endlich klar festzustellen, ob Unternehmen wie die zu hundert Prozent im Staatseigentum stehenden ÖBB und somit auch deren Immobilientochter in Sachen Architekturwettbewerbe dem Bundesvergabegesetz (BVergG 2006) unterliegen, oder, wie die ÖBB-Immo-GesmbH selbst von sich behauptet, rein privatwirtschaftlich agieren dürfen.

Laut BVergG müssen öffentliche Auftraggeber ab einem Schwellenwert von 206.000 Euro EU-weite, öffentliche Wettbewerbsverfahren ausloben, an denen sich alle befugten Architekten beteiligen dürfen. Dieser Schwellenwert wird weit überschritten: Auf dem Wiener Südbahnhofgelände soll in den kommenden Jahren neben dem neuen Hauptbahnhof ein neuer Stadtteil entstehen. In einem der Hochhäuser soll die ÖBB-Zentrale untergebracht werden.

Das umstrittene Verfahren wurde in Absprache mit der Wiener Stadtplanung ausgeschrieben und erst durch Berichte im Standard öffentlich bekannt gemacht. Darauf hin war Architekt Georg Pendl Ende Dezember als Juryvorsitzender zurückgetreten.

Dass die Gewinne der ÖBB-Immo-Gesellschaft unter anderem in die ÖBB-Infrastruktur Bau AG fließen, die wiederum für Errichtung sowie Finanzierung des neuen Hauptbahnhofs zuständig ist, ist für Petra Rindler von der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Pflaum, Karlberger, Wiener, Opetnik, die die Antragssteller vertritt, nur einer der Beweispunkte dafür, dass hier von einem öffentlichen Auftraggeber das Vergabegesetz eindeutig umgangen wurde.

Chaos der Beliebigkeit

Ein Nachprüfungsverfahren dieser Art hat Präzedenzcharakter. Denn derzeit herrscht gerade auf dem Architekturwettbewerbssektor ein nie zuvor dagewesenes Chaos der Beliebigkeit. Einer der Gründe dafür: Das Bundesvergabeamt darf überhaupt nur aktiv werden, wenn es dazu per Antrag aufgefordert wird. Das ist zum einen kostenpflichtig, zum anderen äußerst aufwändig, zum Dritten scheuen die Architekten naturgemäß den Konflikt mit potenziellen Auftragspartnern.

Unter den heimischen Antragsstellern befinden sich namhafte Architekten wie etwa Adolf Krischanitz, Volker Giencke, Szyszkowitz Kowalski, Max Rieder, Hermann Czech - und auch die Architekten Domenig & Wallner. Pikantes Detail am Rande: Als geladene Wettbewerbsteilnehmerin hatten die ÖBB noch im November die Bürogemeinschaft Domenig, Eisenköck angeführt, die jedoch schon längst nicht mehr existiert. Günther Domenig, einer der bekanntesten Architekten der Nation, hatte von seiner angeblichen Teilnahme erst von jenen Kollegen Kenntnis erlangt, die das Verfahren nun überprüfen lassen.

Der Standard, Sa., 2008.01.12



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07. Dezember 2007Ute Woltron
Der Standard

Und in den Wolken die Frauen

Architektur, sagt Oscar Niemeyer, sei nicht so wichtig. Was wirklich zähle, seien Freundschaft, Frauen, Strand, Fußball. Kommende Woche wird der Architekt Brasílias 100 Jahre alt

Architektur, sagt Oscar Niemeyer, sei nicht so wichtig. Was wirklich zähle, seien Freundschaft, Frauen, Strand, Fußball. Kommende Woche wird der Architekt Brasílias 100 Jahre alt

Vor 20 Jahren saß Oscar Niemeyer wie gewöhnlich abends in seinem Stammlokal Nino's an der Copacabana und ließ mit alten Freunden den Arbeitstag bei guten Speisen und Getränken ausklingen, als ein Mann das Strandrestaurant betrat.

Der bemerkte die fröhliche Architektenrunde und begann lautstark die „braunhäutigen Sozialisten und Kommunisten“ zu verhöhnen. Niemeyer erhob sich bedächtig, bezahlte seine Rechnung, trat an den Tisch des politisch offenbar gänzlich anders gesinnten Gastes - und betonierte ihm eine.

Damals war er 80. Der andere war halb so alt und doppelt so groß. Und genau das habe ihn in Rage gebracht: Die Herablassung des Stärkeren dem Schwächeren gegenüber. Dagegen war er zeitlebens schon angetreten.

Kommenden Samstag wird Oscar Niemeyer 100. Die Architekturwelt wird ihn als den letzten der großen Modernen feiern, der noch unter uns weilt. Ein Dinosaurier, ein Relikt, Zeuge einer untergegangenen Zeit, seit 1945 Mitglied der Kommunistischen Partei, Ausnahmearchitekt, Lebemann, Carioca.

„Ich habe meine Architektur mit Mut und Idealismus gebaut“, resümiert er in seinen Memoiren Curves of Time (eben als Jubiläumsausgabe bei Phaidon erschienen, € 9,95), „aber auch immer in dem Bewusstsein, dass das, was im Leben zählt, Freundschaft ist, und der Versuch, diese ungerechte Welt zu einem besseren Ort zu machen.“

Zu einem besseren Ort - nicht mehr und nicht weniger. Und in vielen seiner ganz außergewöhnlichen Projekte ist das dem kleinen Mann aus Rio de Janeiro auch gelungen.

Niemand vor und nach ihm hat dem Stahlbeton eine derart kühne Leichtigkeit und Eleganz zu verpassen vermocht wie Niemeyer.

Seine Häuser scheinen auf geschwungenen Stützen zu schweben, seine Kirchen mit zarten Stahlbetonstreben den Himmel zu umarmen. Jedes Projekt ist eine große, in feinen Beton gegossene Skulptur und eine technische Meisterleistung der Sonderklasse.

Der leichtfüßigere Corbusier

Le Corbusier und Oscar Niemeyer - die beiden waren die unerreichten Betonmeister unter den Baukünstlern. Doch der Brasilianer war stets der leichtfüßigere von den zweien - und möglicherweise auch der menschenfreundlichere.

Als Niemeyer Anfang der 50er-Jahre den Wettbewerb für das UNO-Hauptgebäude in New York gewann, zitierte ihn der um 20 Jahre ältere Schweizer, der sich ebenfalls am Wettbewerb beteiligt hatte, unmittelbar nach der Jurysitzung zu sich. Man redete. Schließlich bauten sie das Haus gemeinsam.

Niemeyer schreibt in Curves of Time, dass Le Corbusier nie gerne über dieses gemeinsame Projekt gesprochen habe: "Aber ich erinnere mich daran, wie er mich viele Jahre später beim Lunch in seiner Wohnung eine Weile anstarrte und dann sagte „Du bist sehr großzügig“. Ich denke, dass er sich damals verspätet an jenen Morgen in New York erinnert hat."

Doch letztlich steht außer Zweifel, dass sich die beiden Formenkünstler gegenseitig beeinflussten, und dieser Pas de deux begann Mitte der 40er-Jahre, als die ganz junge brasilianische Architektenavantgarde eben diesen Le Corbusier mit dem Zeppelin nach Rio einflog, um von ihm zu lernen. Das Resultat war das gemeinsam geplante Gebäude für das Ministerium für Bildung und Erziehung im Zentrum Rios, das als gebautes Manifest der brasilianischen Moderne par excellence gilt.

„Wir wollten dem Rest der Welt zeigen, dass wir Brasilianer keine Wilden waren, die mit buntem Federschmuck vor Fremden Tänze aufführen“, meinte Niemeyer unlängst in einem Interview - und diese neue, ganz andere Architektur sollte zugleich auch das gebaute Manifest der noch jungen, aufstrebenden Republik Brasilien werden.

Man darf nicht außer Acht lassen, dass damals die Architektenzunft der USA und Europas gerade den rechten Winkel zum strengsten Maß aller Dinge erklärt hatte. Doch damit hatte Niemeyer noch nie etwas anfangen können.

Die Zutaten seiner Entwürfe entnahm er vielmehr der begnadeten Topografie seiner Heimatstadt Rio - den steilen Granitformationen, die dieser Stadt den bizarren Rahmen geben, den elegant geschwungenen cremeweißen Sandstränden, dem Dschungelfilz, der jeden noch freien Quadratmeter zwischen den Häusern mit Grün ausfüllt. Und - natürlich den Kurven der Frauenwelt, die Niemeyer stets mit großer Hingabe zu studieren pflegte. Bis heute hängt über seinem Schreibtisch im Architekturbüro direkt an der Copacabana ein Bild äußerst spärlich bekleideter wohlgestalter Damen, und darauf angesprochen meint er: „Das ist es, was mich lebendig hält.“

Pampulhas und Brasília

Diese geschwungenen Formen erprobte er zuerst in Belo Horizonte, wo er den Stadtteil Pampulhas aus zierlichen, gekonnt aneinandergefügten Einzelbauten zusammensetzte, und er exportierte sie wenig später in das hinterste Hinterland Brasiliens, wo der 1956 gewählte Präsident Juscelino Kubitschek die neue Hauptstadt Brasília aus dem Dschungelboden stampfen ließ.

Der Masterplan für dieses Wahnsinnsprojekt stammte von Lúcio Costa, die Bausteine von Niemeyer. Doch so imposant und architekturgewaltig die Anlage auch sein mag - sie blieb letztlich das absurde Monument eines fortschrittsgläubigen Größenwahns, eine riesenhafte, menschenleere Geisterstadt, die nie wirklich zum Leben erweckt werden konnte. Er selbst könne nicht sagen, warum er immer diese großen, öffentlichen Gebäude designt habe, schreibt Niemeyer: „Aber weil diese Häuser nicht immer der sozialen Gerechtigkeit dienten, habe ich zumindest versucht, sie schön und spektakulär zu machen, sodass die Armen sie betrachten und ihre Freude daran haben können. Als Architekt war das alles, was ich tun konnte. (...) Als wir die Cieps (Anm.: Schulgebäude in Rio) bauten, waren wir froh darüber, dass die Kinder der Armen sie mochten, als ob diese Gebäude ihnen Hoffnung gaben, eines Tages Zugang zu dem zu haben, was nur den Reichen vorbehalten ist.“

Die Zeit der Militärdiktatur verbrachte Niemeyer in Paris, baute dort die Zentrale der Kommunistischen Partei, baute eine Universität in Algerien, hatte Heimweh, betrachtete die Wolkenformationen, wie er es schon auf den langen Autofahrten zwischen Rio und Brasília stundenlang getan hatte: „Sie formten Kathedralen, Monster und - viel öfter, weil ich danach Ausschau hielt - wunderbare luftige Frauenkörper.“

Der Standard, Fr., 2007.12.07



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07. Dezember 2007Ute Woltron
Der Standard

Der Raum, die Zeit, die Unendlichkeit

Die Kiesler-Stiftung feierte ihr zehnjähriges Bestehen mit einem Symposion

Die Kiesler-Stiftung feierte ihr zehnjähriges Bestehen mit einem Symposion

Eine große Menge vor allem sehr junger Menschen strömte kürzlich in das Architekturzentrum Wien, wo die Friedrich-Kiesler-Stiftung zu einem Symposium geladen hatte. Anlass war das zehnjährige Bestehen der Institution, die den Nachlass des Grenzgängers Kiesler (1890-1965) auf lebendige Art pflegt.

Das Thema lautete „Modelling Space“. Die Frage, welche Rolle Kieslers seinerzeit avantgardistisches Raumdenken im heutigen Architektur- und Kunstschaffen spielt, wurde unter anderem von Olafur Eliasson, Hani Rashid und Ben van Berkel beantwortet.

Doch zuvor rang die Kunsthistorikerin Antje von Graevenitz im Rahmen ihres Vortrags über Kieslers Entwurf für ein galaktisches Leben auf Erden mit den irdischen Unbilden von Diaprojektion und Mikrofon, was ihren Ausführungen über den Raum und die Unterschiede zwischen Grenzenlosem und Unendlichem eine konfus-sympathische Note gab. Es bedurfte der vorzüglichen Moderation Elke Krasnys, ihre Rede in der Endlichkeit zu verankern.

Denn selbstverständlich drängten die Architekten auf die Gelegenheit, ihre aktuellen Projekte anzupreisen. Hani Rashid vom New Yorker Architekturbüro Asymptote bombardierte das Publikum mit Bildern seiner tatsächlich raumgewordenen Entwürfe. Doch verschlungene Shops in New York und Wohntürme für Abu Dhabi im Sieben-Sterne-Segment samt Swimmingpool pro Wohneinheit hinterließen einen leicht schalen Nachgeschmack, den Olafur Eliasson durch eine spontane Show-Einlage nicht vertrieb, sondern quasi geschmacksverstärkte.

Er sei, so sprach er, sprachlos anbetrachts dieser Werke und voll der Bewunderung. Doch er selbst beschäftige sich derzeit angesichts der Rasanz des allgemeinen Tempos, das mitzuhasten er nicht gedenke, vielmehr mit der Kunst, die Zeit zu verlangsamen. Sodann durchschritt er den Bühnenraum in gekonnter Zeitlupenhaftigkeit und Rashid saß ein wenig betreten unter seinen Hochhausrenderings.

Ein kathartischer Moment, in dem der Geist Kieslers durch Zeit und Raum zu wehen schien: Denn innezuhalten und die kommerzielle Hysterie, die uns alle umgibt, aus anderer Perspektive zu betrachten ist der leichtfüßigeren Kunst freilich eher zugestanden als der Architektur. Ben van Berkel legte sodann eine Werkschau seiner Neuigkeiten vor und demonstrierte die komplizierte Verschmelzung von Räumen anhand seines beeindruckenden Mercedes-Museums in Stuttgart.

Um Grenzen und Gemeinsamkeiten zwischen Kunst und Architektur weiter auszuloten, plant die Kiesler-Stiftung ab März in ihren Räumen eine Ausstellung von und über die britischen Architekten Future Systems. Das New Yorker Drawing Center wird 2008 Kiesler-Zeichnungen zeigen. Im Kunsthaus Bregenz wird Eliasson 2009 den Rahmen für die Ausstellung „Kiesler zwischen Kunst und Architektur“ spannen. Ein endloses Thema, unendlich weit gefasst.

Der Standard, Fr., 2007.12.07

01. Dezember 2007Ute Woltron
Der Standard

Räume wie Schmetterlingsflügel

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Diese Behauptung sollte angesichts der mit Worten gemalten Architekturen in alter und neuer Literatur dringend überdacht werden.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Diese Behauptung sollte angesichts der mit Worten gemalten Architekturen in alter und neuer Literatur dringend überdacht werden.

Passionierte Leserinnen und Leser kennen das Gefühl der Auflösung des Hier und Jetzt. Sie wissen, dass sie gewissermaßen zwischen Buchdeckel schlüpfen, in einem Roman verschwinden können.

Sie durchwandeln Räume, von denen andere geträumt haben, sie gehen als unsichtbare Beobachter durch Städte, Länder, Architekturen.

Das Beamen in eine andere Dimension, an einen anderen Ort - die Literatur hat es längst erfunden.

Und selbstverständlich baut das Lesen im Laufe der Zeit Landschaften und Topografien in den Köpfen, lässt Gebäude, Kontinente, neue Galaxien entstehen - und Gefahr droht diesen fantastischen, kostbaren Gebilden tatsächlich nur dann, wenn sich reale Bilder anmaßen, sie zu übertünchen. Stichwort Literaturverfilmung.

Fiktive Bauten und Städte

Der Architektur in der Literatur war im vergangenen Jahr in München eine Ausstellung gewidmet, die dem Thema entsprechend unweigerlich auch in Buchform erscheinen musste - zum Glück für all jene, die sie versäumt haben.

Architektur wie sie im Buche steht. Fiktive Bauten und Städte in der Literatur (Verlag Pustet, € 49,-) hat eine längere Vorgeschichte. Das Projekt entstand an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität München, wo die Studierenden dazu aufgefordert waren, jeweils ein literarisches Werk auf dessen Architekturgehalt zu analysieren und nach Möglichkeit diese Architekturen in Modellen und Plänen in die Dreidimensionalität der stofflichen Wirklichkeit zu transponieren.

Diese Seminare waren ein großer Erfolg und bei den Studentinnen und Studenten sehr beliebt.

Winfried Nerdinger, Herausgeber des Buches und Direktor des Architekturmuseums der TU-München, fasst in seinem Vorwort das Anliegen zusammen: "Dass poetische Räume wie zarte Schmetterlingsflügel beim Anfassen durch Architekten „verletzt“ werden und von ihrem Zauber verlieren, ist möglich, vielleicht sogar unvermeidlich. Aber die Materialisierung der poetischen Luftschlösser kann auch helfen, tiefer in die Räume und Welten der Dichter einzudringen, und sie kann beitragen, sich besser in den Labyrinthen fiktiver Bauten zu orientieren."

Sodann zitiert er gleich den Schmetterlingsliebhaber unter den Literaten, Vladimir Nabokov. Der schreibende Lepidopterologe hatte in seinen Legende gewordenen Literaturvorlesungen stets betont: „Der Leser muss wissen, wann und wo er seiner Vorstellungskraft Zügel anlegen muss. Das tut er, indem er versucht, die Welt deutlich zu erkennen, die der Autor vor ihm ausbreitet. Wir müssen Dinge sehen und hören, müssen uns bildlich die Räume vorstellen, in denen Gestalten eines Autors leben, ihre Kleidung und die Art, wie sie sich geben. Die Augenfarbe der Fanny Price in Mansfield Park und die Einrichtung ihres ungeheizten Zimmerchens sind wichtig.“

Nabokov selbst besaß die Gnade, Räume und deren Atmosphären mit wenigen Worten auf das Plastischste zu skizzieren, und wenn sein Pnin, um nur ein Beispiel zu nennen, spätnachts und alleingelassen die blaugrüne Glasschüssel im Schaum des Abwaschwassers versenkt, dann sieht man nicht nur den matten Glanz seiner Glatze im Schein der Glühbirne über der Abwasch, sondern spürt im Dunkel rund um ihn die stumme Einsamkeit seines schäbigen Gastprofessorenmobiliars.

Die Architekturanalysten der TU-München schwärmten also quer über alle Kontinente der Literatur aus und nahmen Maß an virtuellen Gebäuden aller Art.

Sie bauten das Rosenhaus aus Adalbert Stifters Nachsommer im Modell nach, was dank der bedächtig-präzisen Beschreibung seines Autors nicht sonderlich schwierig war.

Sie rekonstruierten die Wohnung des Gregor Samsa, in der Franz Kafka ihn im Roman Die Verwandlung zum Käfer werden ließ. Sie entwickelten verschiedene Varianten des Wohnkegels, wie ihn sich Thomas Bernhard in Korrektur für die Schwester des Naturwissenschafters ausgedacht hatte. Sie nahmen sich - natürlich - der Unsichtbaren Städte Italo Calvinos und anderer Stadtvisionen teils altertümlichen Datums an.

Und da man, wenn man einmal begonnen hat, sich in eine Materie wirklich tiefgründig zu versenken, nur schwer Halt machen kann in diesem Sog, wurden auch reale, von Dichtern aufgegriffene und modifizierte Orte zu einem abenteuerlichen Teil der Reise. Die wohl bekannteste literarische Verortung stammt aus Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

Angelika Corbineau-Hoffmann über das Städtchen Combray, das wie eine Vision der Erinnerung aus der Kindheitsvergangenheit aufersteht, wenn der Erzähler das Aroma seiner in den Tee getauchten Madeleine kostet: „Für Combray wie für Saint-Hilaire gilt: Sowohl der Gebäudekomplex der Stadt als auch die Kirche sind nicht erfunden, sondern real, aber doch so sehr Zeichen und Ausdruck des Werkes, in dem und für das sie stehen, dass die Grenzen zwischen Realem und Fiktivem verschwimmen. Die Architektur, eines der zentralen Themen in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, bringt zur Anschauung, ja macht geradezu greifbar, wie sehr die Gebäude der Literatur Gebilde aus Begriffen sind, Architekturen der Vorstellung.“

Wie manche Autoren fiktive Architekturen tatsächlich aufgezeichnet oder den Aufbau ihrer Romane zu Papier gebracht haben, wird in einem eigenen, gut bebilderten Kapitel behandelt.

Denn dass Heimito von Doderer seine kompliziert konstruierten Werke auf dem Reißbrett in eine schlüssige Geometrie zu bringen pflegte, dürfte bekannt sein. Doch wer hatte zum einen bereits das Vergnügen, diese tatsächlich im Faksimile betrachten zu dürfen - und wer wusste zum anderen, dass Thomas Mann das Haus der Buddenbrooks in Grundrissen aufgezeichnet hat?

Auch von Theodor Fontane gibt es eigenhändig gezeichnete Pläne, zum Beispiel vom Hof Hradscheks in Unterm Birnbaum, und William Faulkner hat eine detaillierte Karte von Yoknapatawpha County, dem fiktiven Schauplatz vieler seiner Romane und Kurzgeschichten in schwarzer und roter Tinte auf braunes Papier gepinselt.

Franz Kafka meinte: „Manches Buch wirkt wie ein Schlüssel zu fremden Sälen des eigenen Schlosses.“ Die erforscht und erobert man am besten ganz allein. Deshalb ist es oft mit Gefahren verbunden, diesen Schlüssel anderen zu überlassen und sich beispielsweise platte Literaturverfilmungen persönlich besonders geschätzter Werke anzuschauen.

Abrissbirne Filmprojektion

Denn die „echten“ Bilder legen sich unweigerlich über die fantastischen Gebilde der Imagination und überlagern sie auf ewig.

Das Buch Architektur wie sie im Buche steht wiegt 568 Seiten schwer und erhebt dennoch keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Science- Fiction beispielsweise blieb fast völlig ausgeklammert. Aber egal: Die fantastischen Welten eines Philip K. Dick, der Earthsea-Kontinent der Ursula K. Le Guin, die genial beschriebene Architektur der Raumstationen des Frederik Pohl liegen geduldig zwischen den Buchdeckeln. Öffnen. Abtauchen. Durch Literaturarchitektur wandeln. Wunderbar.

Der Standard, Sa., 2007.12.01

20. November 2007Ute Woltron
Der Standard

Väter der Luftburg

Die Arbeiten der Architekten- und Künstlergruppe Haus-Rucker-Co, „Live again“ im Lentos zu sehen, werfen die Frage auf, was uns Radikalansätze der 70er-Jahre heute noch zu sagen haben.

Die Arbeiten der Architekten- und Künstlergruppe Haus-Rucker-Co, „Live again“ im Lentos zu sehen, werfen die Frage auf, was uns Radikalansätze der 70er-Jahre heute noch zu sagen haben.

Es ist mittlerweile auch schon wieder 37 Jahre her, dass die Herren Günter Zamp Kelp, Klaus Pinter und Laurids Ortner alias Haus-Rucker-Co das Wiener Museum des 20. Jahrhunderts mittels einer für die damalige Zeit ganz außergewöhnlichen Ausstellung mit Besucherrekordmengen befüllten.

Live-Wohnen im Museum hieß die Schau im Jahr 1970, für deren Dauer die jugendlich frechen Ausstellungsmacher ins Museum zogen, um in den Ausstellungsräumen auch gleich öffentlich zu wohnen.

Das Museum wurde als „Friedhof der Kunst“ abgelehnt und solchermaßen aktiv mit Architektur-Kunst-Happening belebt.

Für die Live again-Schau im Lentos, die vergangene Woche eröffnet wurde und bis Mitte März kommenden Jahres läuft, hat man nun die damals gezeigten Exponate zwischen Kunst und Architektur aus diversen internationalen Kunstsammlungen herausgeklaubt und wiedervereint.

Oder nachgebaut - wie etwa das vordergründig spektakulärste Objekt, ein pneumatisches Riesenbillard, in dem die zeitgenössische Besucherschaft hüpfen kann wie die 20er-Haus-Klientel dazumals.

Fortschrittseuphorisch

Dass die Haus-Rucker - 1967 konstituiert und 1992 voneinander gegangen - nicht nur mit vom Rückenwind der fortschrittseuphorischen 60er-Jahre getrieben frischen Schwung in die Kunst- und Architekturdebatten des Nachfolgejahrzehnts brachten, sondern selbst mit Kreativkraft ordentlich Wind produzierten, steht außer Frage.

Doch fast vier Jahrzehnte sind seither vergangen. Heute wirkt die damalige Rabaukenhaftigkeit unweigerlich museal-zahm und Objekte wie der Mind Expander ziemlich vorgestrig.

Es wäre auch „naiv“, so die künstlerische Leiterin des Lentos, Stella Rollig, die aktuelle Schau als „Modell neuer und alternativer Handlungsformen“ präsentieren zu wollen. Man könne vielmehr anhand dieser historischen Arbeiten aktuelle Fragen aufwerfen, etwa was Aufgabe und Status des zeitgenössischen Museums anlange.

Im Katalog heißt es zu diesem auszulotenden Delta zwischen den Zeiten: „Vielleicht betrifft die wesentlichste Veränderung die nahezu vollkommen erreichte Ausrottung dessen, was einmal als Euphorie für Visionen existiert hat. 2007: keine Euphorie, nirgends Visionen.“

Kann es sein, dass sich die Katze hier in den Schwanz beißt? Eine die Institution Museum hinterfragende, sehr alte Ausstellung wird auf museale Weise wiederbelebt, um die Funktion des zeitgenössischen Museumsbetriebs zu hinterfragen.

Auch die Zitate der Gruppe von dazumals lesen sich heute rotzig-pubertär und sagen uns letztlich überhaupt nichts mehr.

So formulierte Laurids Ortner im Jahr 1972 Folgendes: „Was Architektur ist, habe ich noch nie gewusst oder wieder vergessen. (...) Architekten werden verpflichtet, ihre Häuser in einen großen Müllverwerter zu rücken. Einfach hinein rücken. Und all diese Architekten, die Häuser so rücken, wären Hausrucker. Ja Hausrucker!“

Der Standard, Di., 2007.11.20

17. November 2007Ute Woltron
Der Standard

Vergabe nach Beliebigkeit

Zwei aktuelle Wettbewerbe auf dem Zentralbahnhofsgelände in Wien veranschaulichen die Absurditäten des aktuellen Architektur-Vergabewesens, die Zahnlosigkeit der Architektenkammer und die Architekten-Aversion der Wiener Stadtplanung. Eine Analyse.

Zwei aktuelle Wettbewerbe auf dem Zentralbahnhofsgelände in Wien veranschaulichen die Absurditäten des aktuellen Architektur-Vergabewesens, die Zahnlosigkeit der Architektenkammer und die Architekten-Aversion der Wiener Stadtplanung. Eine Analyse.

Der Sündenfall erfolgte bereits vor zwei Jahren - und keiner hat damals laut aufgeschrien.

Niemand hat energisch genug und öffentlich die Frage gestellt, wie es denn sein kann, dass die Planung eines der wichtigsten neuen Gebäude der Bundeshauptstadt Wien, nämlich des ab 2012 den Südbahnhof ersetzenden Zentralbahnhofs, vergeben werden konnte, ohne zuvor den bewährten Prozess eines öffentlichen Architekturwettbewerbs zu durchlaufen. Doch das war nur der Anfang einer sich fortsetzenden, durchaus hinterfragenswerten Entwicklung.

Die Architektur des Bahnhofs wird von den ÖBB lediglich als notwendiges Beiwerk erachtet, als Anhängsel der - logischerweise EU-weit ausgeschriebenen - Infrastrukturmaßnahmen Schiene & Co, und das offensichtlich in trautem Einvernehmen mit der Wiener Stadtplanung.

Es handle sich dabei ja „nur um ein Dach“ und diverse Shopping-Zonen, meint der für die Projektentwicklung Bahnhofsoffensive zuständige ÖBB-Manager Norbert Steiner im Gespräch mit dem Standard. Das Gesamtpaket Zentralbahnhof wiege knapp 700 Millionen Euro schwer, der Anteil der Gebäude daran betrage „nur“ etwa 100 bis 110 Millionen.

Das Architektenteam Wimmer, Hotz, Hoffmann wurde von den im Verfahren siegreichen Bahnhofserrichtern quasi aus dem Hut gezaubert und im Paket mitgeliefert.

Auch ist für den Bahnhof die ÖBB-Infrastruktur Bau AG zuständig, nicht deren Tochter, die ÖBB-Immobilienmanagement GmbH. Letztere kümmert sich vielmehr um die Verwertung der zehn Millionen Quadratmeter Bundesbahn-Grundstücksflächen, und rund um den alten Süd- und Ostbahnhof tut sich hier ein weites Betätigungsfeld auf.

Auf diesen ÖBB-Gründen entsteht in den kommenden Jahren nichts Geringeres als ein neuer Stadtteil für die Bundeshauptstadt, mit Wohnquartieren, Bürogebäuden, Schulen, Kindergärten, Parks.

Was für eine Chance für Wien, welch großartige Herausforderung für Planer, Architekten, Städtebauer. In anderen europäischen Metropolen installiert man in solchen Fällen sofort mit der entsprechenden Begeisterung hochqualifizierte interdisziplinäre Projektteams, um die unterschiedlichen Interessenlagen von Grundstücksbesitzern, Investoren, Nutzern etc. zu bündeln und auf einen gemeinsamen, nicht zuletzt auch der Stadt dienlichen Nenner zu bringen.

In der Folge ruft man über präzise formulierte internationale Wettbewerbe die gesamte Planerintelligenz Europas auf, die besten, innovativsten und kreativsten Vorschläge zu unterbreiten. Was die im Übrigen praktischerweise gratis zu tun pflegen. Und ja - ein solches Verfahren erfordert großen Einsatz seitens der Organisatoren, es ist aufwendig, braucht entsprechende Zeit. Doch vorausgesetzt Ausschreibung und Juryzusammensetzung sind hervorragend, werden auch die Resultate erstklassig sein.

In Wien ist die Stimmung zwischen Stadtplanung einerseits und Architekturschaffenden andererseits aber an einem historischen Tiefpunkt angelangt. So kam es, dass bereits der städtebauliche Masterplan und damit die wichtigste Weichenstellung für den neuen Stadtteil in einem nicht öffentlichen Expertenverfahren gefunden wurde, zu dem ÖBB und Gemeinde gemeinsam lediglich eine ausgewählte Handvoll Architekten eingeladen hatten. Ob das die Basis für zukunftsgerichtete Stadtentwicklung sein kann, ist mehr als fragwürdig.

Fragwürdige Stadtentwicklung

Doch zum Verständnis im Detail: Die Grundstücke gehören den ÖBB, 120 der 700 Zentralbahnhofsmillionen müssen über die Verwertung derselben aufgebracht werden. Die restlichen 480 stammen aus Bundesmitteln (Rahmenplan), 60 erhofft man sich von der EU (TEN-Förderung), 40 kommen von Wien.

Nicht zuletzt deshalb sieht sich die ÖBB-Immobilientochter, die eben diese 120 Millionen auftreiben muss, als privatwirtschaftlich agierendes Unternehmen, das somit nicht dem Bundesvergabegesetz unterliegt und demzufolge auch nicht öffentlich über EU-weite Wettbewerbe ausschreiben muss. Dass sie das natürlich könnte, wenn sie wollte, steht wieder auf einem anderen Blatt.

Die ÖBB und damit auch ihre Grundstücke stehen zu 100 Prozent im Eigentum der Republik, sie gehören weder den neuerdings so immobilienkundigen ÖBB-Häuptlingen noch den so investorenfreundlichen Stadtplanern, also sollte man annehmen dürfen, dass mit diesem kostbaren Tafelsilber gemeinschaftlich in einer wenigstens andeutungsweise wettbewerbsgerechten Art und Weise umgegangen wird.

Doch solcherlei Rechts- und Moralverständnis sind offenbar komplett aus der Mode gekommen, und sicherheitshalber wurden zwei - bis dato unter Verschluss gehaltene - Gutachten erstellt, die den ÖBB, so behaupten sie selbst, die Freikarte für privatwirtschaftliches Agieren ausstellen. Eines davon stammt von Eduard Saxinger, mittlerweile Vizepräsident des ÖBB-Holding-Aufsichtsrats.

Und da sowohl die Architektenschaft als auch deren Standesvertretung offenbar von mümmelgreisartiger Zahnlosigkeit sind, wird die Angelegenheit nicht hinterfragt, ja es sitzt sogar deren Bundeskammerpräsident Georg Pendl in der Jury des nächsten ÖBB-Immo-Wettbewerbs. Vom Standard befragt, plagen ihn allerdings mittlerweile bereits Bedenken, ob hier wirklich alles mit rechten Dingen zugehe.

Versierte Vergabejuristen wie Christian Fink, der sowohl für die Kammer als auch im Bundesvergabeamt tätig war, glauben jedenfalls nicht an die wasserdichte Absolution vom Bundesvergabegesetz, und selbst ÖBB-Mann Steiner scheint nicht ganz wohl bei der Sache zu sein, zumal er meint, dass im Falle einer Überprüfung zumindest mit empfindlichen Verzögerungen zu rechnen sei.

Eine entsprechende Überprüfung müsste das Bundesvergabeamt durchführen, doch, so deren Vorsitzender Michael Sachs, dürfe man in der Sache nur ab dem Moment aktiv werden, in dem ein Antrag vorliege. Den gibt es aber nicht, und wo kein Kläger, da kein Richter.

Geladenes Expertenverfahren

Deshalb haben die ÖBB nun ein weiteres „Expertenverfahren“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit am Kochen, das die Bebauungsvorschläge für jenen Zwickel des Geländes vorsieht, der zwischen neuem Bahnhof und Gürtel liegt.

Eingeladen wurden acht Teams, und in einem der Gebäude - just dem mit 100 Metern höchsten - soll unter anderem die ÖBB-Konzernzentrale untergebracht werden, was auch nicht eben auf rein privatwirtschaftliche Belange hindeutet.

Doch gleich neben dem nun solchermaßen von einem öffentlichen Unternehmen privat entwickelten Areal zeigt Immorent, die Immobilientochter der Erste Bank, vor, wie Immobilienentwicklung auch funktionieren kann. Wenn man will.

Sie hat den ÖBB den Grund abgekauft, und eben für das neue Headquarter der Erste Bank ein EU-weites Bewerbungsverfahren ausgeschrieben. Seit dieser Woche stehen die Namen jener 15 Büros fest, die von einer hochkarätigen Jury aus 200 Bewerbern zur weiteren Entwurfsarbeit ausgewählt wurden. Darunter finden sich Caruso St. John Architects (London), Niels Torp (Oslo), Ingenhoven (Düsseldorf), Burkhard Meyer sowie Marcel Maili und Markus Peter (Schweiz). Die Riege der Österreicher setzt sich aus der Oberliga zusammen: Henke Schreieck, Adolf Krischanitz, Pauhof, Klaus Kada, Ortner & Ortner und Baumschlager Eberle.

So viel zum Argument von ÖBB und Stadtplanung, man könne über internationale Verfahren keine namhaften Architekten akquirieren.

Der Standard, Sa., 2007.11.17

27. Oktober 2007Ute Woltron
Der Standard

Das gerade noch Mögliche bauen

Mit Helmut Richter zieht sich einer der wichtigsten Architekturlehrer der vergangenen zwei Jahrzehnte von der universitären Tribüne zurück.

Mit Helmut Richter zieht sich einer der wichtigsten Architekturlehrer der vergangenen zwei Jahrzehnte von der universitären Tribüne zurück.

Nach 16 Jahren verlässt Helmut Richter seine Lehrkanzel an der Abteilung für Hochbau 2 der Technischen Universität Wien. Das stimmt viele schmerzlich.

Über 500 Diplomarbeiten (Rekord) hat er betreut, noch mehr Studentinnen und Studenten beeinflusst und noch viel mehr Menschen mit seinen ganz außerordentlichen Architekturen beeindruckt.

Unzählige Schnurren erzählt man sich über den 1941 in Graz geborenen Architekten. Er selbst sagt: „Es gibt keine apodiktischen und allgemeingültigen Sätze in der Architektur.“ Außer vielleicht folgende, die zumindest auf die Architektur anwendbar sind und von Richters Mitarbeitern so oft gehört werden, dass sie sie auswendig herunterbeten können:

„Gesetze sind dazu da, hinterfragt zu werden.“
„Ästhetik ist eine Frage der Gewohnheit.“
„Ein Raster darf gebrochen werden.“
„Schmutziges Glas ist durchsichtiger als Beton.“
„Querdurchlüftung ist unverzichtbar.“
„Es gibt ein Leben außerhalb der Architektur.“

Anlässlich seines Abschieds von der TU-Wien entstand, organisiert von den Kolleginnen und Kollegen des Hochbauinstituts, „Ein Buch für Helmut Richter“. Die folgenden Zitate stammen daraus.

Zvi Hecker
Architekt, Berlin

Helmut Richter ist meiner Meinung nach ein klassischer Architekt. Nicht, weil er Tempel baut, sondern weil ein klassisches Problem der Architektur im Zentrum seiner Arbeit steht: Der Mensch.

Alfred Berger
Architekt, Wien

Als ich Mitte der 80er-Jahre Helmut zum ersten Mal traf, wehte im kleinen Büro am Fleischmarkt ein frischer und internationaler Wind, wie sonst kaum in Wien. Es roch nach Aufbruch, nach Stahl, Leichtbau und kühnen Konstruktionen - und das in einer ganz eigenen sinnlich-poetischen Weise, die weit über den damals hochkommenden Hightech hinausging.

Als ich Helmut 1990 mein erstes Siegerprojekt für eine große Sporthalle ganz in Stahl und Glas zeigte, sagte er: „Alfred, ich beneide dich.“ Ich erzähle das hier, weil in dieser knappen Aussage eine Anerkennung zum Ausdruck kam, zu der nur jemand fähig ist, der junge Kollegen nicht als Gegner, sondern als Mitstreiter sieht. Solch persönliche Größe ist in der ständig wetteifernden Welt der Architektur sehr selten.

Friedrich Achleitner, Autor,
„Der Achleitner“

Wenn Robert Musil schloss, dass es zu unserem Wirklichkeitssinn auch einen Möglichkeitssinn geben müsse, so bezieht Helmut Richter wohl seine Kraft aus einem stark entwickelten Möglichkeitssinn. Richters Welt des Möglichen ist aber keine abgehobene, utopische Welt, sie ist eine gerade noch mögliche, eine in Reichweite der Wirklichkeit stehende und eine die Wirklichkeit herausfordernde. Aus dieser Spannung bezieht er auch seine produktiven Konflikte mit dem Bauen, das, wie wir wissen, eine in die Konvention abgesunkene Wirklichkeit mehr schätzt, als eine durch Möglichkeiten verunsicherte.

Werner DePauli-Schimanovich,
Lektor Informatik, TU-Wien

Über das Lokal Kiang I: Zwei Wochen lang saß Richter im noch unfertigen Lokal und starrte vor sich hin - sehr zum Leidwesen von Thomas Kiang, der eigentlich bald eröffnen wollte. Doch Richter ließ den Raum auf sich einwirken, um so die beste Architektur dafür zu finden. Das vielfach preisgekrönte Ergebnis war dann ein rot-blau eingepackter Saal mit aufsteigender Decke - wie eine Startbahn am Flughafen.

(...)

Als ich ihn das erste Mal sah, hatte er riesige schwarze Ringe um die Augen, weil er so wenig schlief. Einige Leute meinten, dass er stark depressiv und suizidgefährdet sei. Aber andere, sehr enge Freunde von ihm, verrieten mir, dass er einfach die ganzen Nächte über Architektur nachdenkt und daher nie schläft.

Lothar Heinrich,
Bauingenieur, Wien

Glas ist das bestimmende Element im Werk Richters. Im Büro am Fleischmarkt, winzig, ein ehemaliges Kloster, hing beim Eingang ein Satz von Le Corbusier: „Jeder Mensch hat das Recht auf Licht.“ In den von Licht durchfluteten Glasbauten Richters wurde dieses Wort Realität.

Als Mitarbeiter im Büro Vasko konnte ich bei nahezu allen Projekten als Tragwerksplaner mitwirken. In der engen, finsteren Kammer des Büros am Fleischmarkt entstand in einem intensiven und mit der Zeit innigen Dialog jene Architektur, die durch zwei Gedanken Richters geleitet wurde: „Es gibt keine apodiktischen und allgemeingültigen Sätze in der Architektur. Es gibt kein ästhetisches Argument, es gibt nur ein ästhetisches Postulat.“

Diether Hoppe,
Architekt, Professor TU-Wien

Als ein Student eine Sprungschanze für die Diplomarbeit entwickeln wollte, riet ihm Helmut Richter, vorerst einmal Skispringer zu werden, um zu wissen, worum es geht. Der Student hat den Rat befolgt und hat sowohl eine sehr realistische Diplomarbeit geliefert, als auch dann seine Sprünge auf der 90-m-Schanze perfektioniert.

Cuno Brullmann,
Architekt, Professor TU-Wien

Diese klare Haltung hat Helmut auch seinen Studenten vermittelt. Seine berühmten „Richterübungen“ haben zum Ziel, aus Konstruktion und Architektur eine Einheit zu machen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst sparsam umzugehen. Er hasst Formalismus und unnötige Theorie. Sein Experimentierfeld ist die Baustelle. (...) Die „Richter-Diplome“ sind zu einem Phänomen an der TU geworden. Er brachte es fertig, aus den Studenten das Letzte herauszuholen. Einige der von ihm betreuten Diplome sind wahre Meisterwerke.

Gerd Erhartt, Jakob Dunkl,
Architekten, Wien

Wir beide habe zirka drei Jahre bei Helmut Richter gearbeitet. Zitat Helmut Richter: „Es gibt ein Leben außerhalb der Architektur.“ Klingt nebensächlich, ist aber ein besonders wichtiger Punkt. Wir lernten es, uns ausgiebig zu entspannen. Ein liebgewonnenes Ritual war das Mittagessen im Kiang und der anschließende Besuch im Kaffeehaus der Frau Schmohl, direkt neben dem Büro.

Jan Tabor,
Architekturtheoretiker, Wien

Eines Tages traf ich wieder mit Helmut im Café Schmohl zusammen, das sich im Nachbarhaus seines Büros befindet, um mit ihm, wie des öfteren, zu frühstücken. Er war schon da, hielt das Magazin profil in der Hand und war leicht, sozusagen sarkastisch verstimmt. Aber verstimmt. Auch er möchte einmal Star-architekt genannt werden, sagte er. Noch nie wurde er Stararchitekt genannt. Er sagte es sarkastisch auf seine spezifische Art, aus Erfahrung wusste ich, wenn er sarkastisch auf seine spezifische Art spricht, dann meint er das, auf seine spezifische Art auch ernst.

(...)

Richter zähle, so sagte Peter Cook in Bratislava, zu den bedeutendsten Architekten auf der Welt, in Österreich sei er allein der bedeutendste.

Von Bratislava nach Wien sind es nur 60 Kilometer. So besteht doch die Hoffnung, dass Cooks völlig richtige Ansicht in absehbarer Zeit doch auch nach Wien gelangen könnte.

Juliana Aigner,
Institutssekretärin hb2, TU-Wien
Helmut Richter wird hier nicht ersetzbar sein.

[ Ein Buch für Helmut Richter, 2007, herausgegeben von der Technischen Universität Wien, Wegweisungen 11, ISBN 978-3-9501497-7-7 ]

Der Standard, Sa., 2007.10.27



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20. Oktober 2007Ute Woltron
Der Standard

Prachtroben für die neue Zeit

Moskau erfindet sich gerade neu. Das hat durchaus Tradition, doch derzeit erfolgt der Aufbruch in eine opulente Vergangenheit

Moskau erfindet sich gerade neu. Das hat durchaus Tradition, doch derzeit erfolgt der Aufbruch in eine opulente Vergangenheit

Moskau ist das riesigste Stadtgebilde Europas, und auch im Detail ist alles so riesig hier, dass man meinen möchte, die Architekten und Straßenbauer dieser Prachtmetropole hätten den Häusern und den Boulevards Anabolikaspritzen verpasst und Architektursteroide in den Beton gemischt, um alles ins Unermessliche wachsen zu lassen.

Zwischen diesen gewaltigen Kubaturen und stadträumlichen Weiten verlieren sich die Menschenzwerglein unter riesigen Fellmützen im ersten Blizzard dieses Winters. Am vergangenen Wochenende verwischt der Schnee alle Konturen, und auf den achtspurigen Straßen steht der Verkehr so gut wie still. Aber das ist ganz normal. Bei einem jährlichen Autozuwachs von zehn Prozent ist auch der nirgendwo gigantischer als im neuen, alten Moskau.

Doch was ist hier eigentlich alt und was ist neu? So genau lässt sich das in der 860 Jahre alten Hauptstadt der Russischen Föderation mit ihren zehn Millionen Einwohnern auf den ersten Blick nicht mehr sagen.

Moskaus größte Kirche, beispielsweise, steht auf einer Anhöhe über der Moskwa, und sie ist, wie viele Gebäude der Stadt, keines von beidem. Tatsächlich steht ihre Geschichte exemplarisch für die Transformationen, die Moskaus Bausubstanz immer wieder durchgemacht hat.

1883 wurde hier an dieser Stelle die erste Christi-Erlöser-Kathedrale eingedenk des Sieges Russlands gegen Napoleon Bonaparte eingeweiht. Doch kaum ein halbes Jahrhundert später, 1931, ließ Stalin das Gotteshaus feierlich in die Luft jagen, um an seiner statt einen Tempel für die Sowjetunion zu errichten: Mit gigantischen 415 Metern Höhe hätte der Palast der Sowjets alle Gebäude dieser Welt in den Schatten stellen sollen, doch er gedieh nie über seine Fundamente hinaus. Zu sumpfig der Boden, zu knapp das Geld, zu gewagt die Konstruktion.

Also baute man die Grundfesten bis 1960 kurzerhand zu einem auch winters beheizten Freibad um, dessen wohlig dampfumnebelte Wärme heute jedoch auch nur noch eine Erinnerung ist. Denn wieder 30 Jahre später, in der Morgendämmerung einer abermals neuen Zeit, beschloss man, die alte Kirche auferstehen zu lassen - und hier steht sie nun, weiß und drall wie eine aufgeblasene Hochzeitstorte.

Nur wer genau hinschaut bemerkt, dass das Ding, das da auf alt und historisch tut, neu und die Fassadenelemente zum Teil nicht aus Marmor sondern aus Kunststoff sind. Und weil sich Vergangenheit und Gegenwart in dieser Stadt aufs Prächtigste mischen, steht gleich davor auf einem 60 Meter hohen Schiff in Bronze gegossen und mit kühner Weitblickpositur seit kurzem Peter der Große auf einer Insel im Fluss.

Dass er, der Moskau bekanntermaßen nicht sonderlich mochte, spanische Kleidung des 15. Jahrhunderts trägt, liegt daran, dass die Skulptur ursprünglich Christoph Kolumbus hätte gewidmet sein sollen, dann aber kurzerhand zum Zarendenkmal transformiert wurde. Doch das fällt auch ohne Schneesturm kaum jemandem auf.

Das Denkmal stammt von Surab Zeretli, der auch die künstlerische Oberleitung des Kirchenbaus innehatte - und abgesehen davon ist er ein guter Freund des Moskauer Oberbürgermeisters Juri Michailowitsch Luschkow. Der regiert seit 1992 und macht aus seiner Vorliebe fürs Opulente in der Architektur keinen Hehl. Er befindet sich damit in bester Gesellschaft. Denn der neue Reichtum Moskaus schlägt sich allerorten in gelacktem Prunk nieder, in einer Architektur, die mit großem Aufwand rekonstruiert, was gleich nebenan in Gestalt tatsächlich historischer Gemäuer zermorscht und niederbricht.

Oder gleich abgerissen und ersetzt wird: „Restaurieren durch Demolieren“ nennen das die Moskauer, und auf die Frage nach so etwas wie Denkmalschutz erntet man fröhliches Gelächter. Offensichtlich, so heißt es dann, gebe es Leute, die außerhalb dieser Gesetze stünden, doch Genaueres wolle man dazu lieber nicht öffentlich sagen.

Auf den Straßen, die der Bürgermeister regelmäßig befährt, um seinen Amtstätigkeiten nachzugehen, seien moderne Häuser - oder solche, denen man ihre Jugendlichkeit ansehe - jedenfalls unerwünscht, und die solcherlei glatte Modernismen bewilligenden Beamten hätten dann schon mit Anrufen des unerfreuten Stadtobersten zu rechnen.

Ganz anders verhält es sich natürlich - nur eines von vielen Beispielen - mit der Kasan Kathedrale am Eingang zum Roten Platz. Die steht brandneu quasi zuckerübergossen wieder da, wo ihre Vorgängerin vor über 70 Jahren abgerissen wurde, und kein Mensch erkennt auf den ersten Blick, dass es sich um eine Rekonstruktion handelt. Auch das Portalgebäude zum Roten Platz ist eine prächtig neue Wiederauferstehung seines Vorgängers des 17. Jahrhunderts - und irgendwie ist man spätestens ab jetzt versucht, die unzähligen Fassadenstaubnetze vor den Gerüsten der gerade neu entstehenden Häuser heimlich zu lüften, in der Erwartung, weitere alte Neuigkeiten dahinter zu entdecken.

Gleich vor dem Kreml in der Twerskaja Nummer 3, dem Beginn der teuersten Einkaufsstraße der Metropole, sind die Fassadennetze bereits abmontiert: Vor drei Monaten öffnete dort mit dem Ritz Carlton das teuerste Hotel der Stadt seine historisierenden Pforten. Die Fassade prunkt in geschwungenem Historismus und schaut uralt, nur halt gerade frisch restauriert aus. Drinnen glänzen neben schimmerndem Intarsienmobiliar Marmor und Gold und die Pretiosen der Gästinnen um die Wette, und alles ist so gediegen neureich gefälscht, dass einem das Architekturherz in der Seele erfriert.

Doch da war doch was in der russischen Architekturgeschichte! Da gab es doch ein einziges Mal und nur für einen Augenblick eine Sternstunde der Befreiung von all dem Prunk und Protz, der eben so mächtig und unwahrhaftig wiederkehrt. Will man sich daran überhaupt nicht mehr erinnern?

In den ersten zehn Jahren nach der Revolution bauten junge Architekten mit konstruktivistischer Architektur die Häuser für eine neu gedachte Menschheit. Die Arbeiterclubs und Fabriksgebäude, die Busbahnhöfe und Wohnhäuser dieser russischen Avantgarde waren an Klarheit, Logik und Schlichtheit nicht zu übertreffen - und es liegt ausschließlich an der Abgeschlossenheit der Welt, in der sie entstanden, dass diese wundervollen Häuser, die allesamt gerade den Weg alles Irdischen gehen, im allgemeinen Architekturbewusstsein nicht mindestens so hoch gehandelt werden wie die besten Bauten der „westlichen“ Moderne. Doch die berückende Schönheit dieser Architektur versteht nur, wer verstehen will, wer bereit ist, sich darauf einzulassen - und Gold und Plüsch betören allzu leicht die anderen.

Mit klaren Linien und geraden Schnitten lässt sich nichts verbergen, lässt sich nicht schummeln, bleiben Gestalt und Idee transparent. Das ist gemeint, wenn man von der Ehrlichkeit in der Architektur spricht. Mit Stalins Moskauer Generalplan war damit bereits ab den 30er-Jahren wieder Schluss, weil auch die Stalin-Ära ihre Prunkarchitektur verlangte. Und das ganz neue Moskau zieht wieder ganz alte Kleider an und hüllt sich in die pelzverbrämten Prachtroben seiner Zarenvergangenheit. Nichts auf dieser Welt zeigt die Moden der Macht, der Politik und des Geistes der Zeit deutlicher als die Architektur.

Der Standard, Sa., 2007.10.20

08. Oktober 2007Ute Woltron
Der Standard

„Brücken zwischen gestern und heute“

Der Londoner Architekt David Chipperfield verhilft zwei Großkaufhäusern in Österreich (Wien und Innsbruck) zu neuen Fassaden. Eben gewann er den wichtigsten Architekturpreis Englands. Mit Ute Woltron sprach er über den Erklärungsbedarf von Architektur.

Der Londoner Architekt David Chipperfield verhilft zwei Großkaufhäusern in Österreich (Wien und Innsbruck) zu neuen Fassaden. Eben gewann er den wichtigsten Architekturpreis Englands. Mit Ute Woltron sprach er über den Erklärungsbedarf von Architektur.

David Chipperfield, 53, vermittelt auf eine ruhige Art Autorität und Authentizität. Diese Eigenschaften spiegeln sich auch in seiner Architektur wider. Er verbindet klassische Formen mit Leichtigkeit und Modernität, wie im Falle des Literaturmuseums im deutschen Marbach. Dafür erhielt er am Samstag den Stirling-Preis des Royal Institute of British Architects. Chipperfield arbeitet derzeit an 30 Projekten weltweit. Am wenigsten baut er noch in England.

Standard: Sie sind hierzulande derzeit gleich mit zwei Projekten sehr präsent.

Chipperfield: Sie sind nicht völlig losgelöst voneinander zu betrachten. Nachdem wir den Wettbewerb für Peek & Cloppenburg in Wien gewonnen hatten, fragten die Innsbrucker Bauherren, die ein Problem mit ihrer Fassade hatten, bei Cloppenburg an. Der empfahl mich zu engagieren.

Standard: Hierzulande wird jedes Stück Architektur heftig diskutiert, vor allem, wenn es in heiklen Ensembles wie der Wiener Innenstadt entsteht. Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie hier am Herzen der Nation operieren?

Chipperfield: Wir sind geübt darin, über Architektur zu diskutieren. Zum einen sollte man dazu in der Lage sein, Architektur zu erklären, also zu vermitteln, dass es sich nicht um eine obskure Angelegenheit von Insidern handelt. Zum anderen muss ein Projekt Qualitäten beinhalten, die von den Leuten erkannt und geschätzt werden. Nicht, weil man ihnen das einredet, sondern weil die Projekte eine Kontinuität haben, Erinnerungen wecken, Sinn machen. Dialog sollte vielleicht nicht immer auf nervösem Niveau in den Zeitungen stattfinden, aber er ist wichtig.

Standard: Was werden die Leute am Peek-&-Cloppenburg-Geschäft mögen?

Chipperfield: Wir wollen ein Kaufhaus nach menschlichem Maßstab bauen. Also haben wir gemeint: Warum soll es keine großen Fenster geben? Warum soll es nicht wie ein Gebäude des 19. Jahrhunderts funktionieren? Die Fenster sind eine Art zivilisierendes Element für großformatige Gebäude. Es wird also ein ziemlich klassischer, sogar archaischer Bau werden, dessen Qualität aus dem Fassadenstein und den Fensterproportionen geschöpft wird.

Standard: Ein Architekturamalgam aus gestern und heute also.

Chipperfield: Daran sind wir interessiert: An Kontinuität, am Lernen von der Geschichte bei gleichzeitiger Fortentwicklung. Wir wollen die Geschichte nicht wiederholen, aber diese Brücke zwischen gestern und heute bauen.

Standard: Offenbar mag man diesen Ansatz in Kontinentaleuropa, wo Sie deutlich mehr bauen als auf der Insel.

Chipperfield: Die Architekturdebatte in England ist tatsächlich nicht so gut. Sie wird emotional geführt und ist meistens von Uninformiertheit gekennzeichnet. Ein anderes Problem ist: In England haben wir kaum Wettbewerbe.

Standard: Tatsächlich? Die Londoner Projekte für Olympia 2012 werden doch über Wettbewerbe vergeben?

Chipperfield: Nicht wirklich. Am Wettbewerb für das Hauptstadion konnten sich nur Architekten beteiligen, die schon 20 Stadien gebaut haben. Die einzigen echten Wettbewerbe sind die für die Schwimmhalle, das Velodrom und für Wohnungen.

Standard: Auch sonst sind keine Wettbewerbe in Sicht?

Chipperfield: Wettbewerbe in England laufen eher auf der Ebene von Interviews als auf Basis von Entwürfen. Die Investoren wollen herausfinden, ob sie mit dir zusammenarbeiten können. Ich habe ein Jahr lang in Graz unterrichtet, in der Zeit gab es etwa 30 Wettbewerbe. Im selben Jahr hatten wir nur einen in England! Der Grund dafür ist, dass wir kein öffentliches System haben. Das hat Margaret Thatcher umgebracht. Wir haben ein dereguliertes System, was England zwar zu einem wirtschaftlich interessanten Platz macht, weil Thatcher damit eine Art Freiheit kreiert hat. Doch diese Freiheit drückt sich vor allem in kommerziellen Projekten aus. Es gibt sehr wenig Wohnbau und kaum öffentliche Projekte - und wenn es sie gibt, werden sie von Developern entwickelt.

Standard: Klingt schrecklich.

Chipperfield: Finanziell betrachtet mag das gut sein, aber für die Architektur ist die Situation eher schwierig.

Standard: Ist das der Grund dafür, dass Sie so gerne auf dem Festland bauen und Ihr Berliner Büro mehr Mitarbeiter beschäftigt als das in London?

Chipperfield: Ja. Wir haben hart an Wettbewerben in Deutschland gearbeitet, das Projekt Museumsinsel in Berlin war enorm wichtig für uns.

Standard: Seit 1997 feilen Sie am Masterplan, das Eingangsgebäude ist fertig, doch die Debatten um Ihre Berlin-Projekte waren auch nicht ohne.

Chipperfield: Ich halte es für elementar, dass Architekten erklären können, was sie tun, und das ist mitunter auch gut für sie selbst. Denn es gibt Momente, da kommst du drauf, dass du es gar nicht kannst, und dann bemerkst du, dass andere Recht haben könnten.

Standard: Wie reagieren Sie darauf?

Chipperfield: Man wird auf sich selbst zurückgeworfen. Man kann nicht immer alle überzeugen, aber zumindest kann man vermitteln, dass man mit Ernsthaftigkeit und Integrität arbeitet.

Standard: Vor Ihrer Selbstständigkeit ab 1984 haben Sie bei den Hightech-Gurus Norman Foster und Richard Rogers gearbeitet. Formal erkennt man das in Ihrer Architektur nicht - was haben Sie bei den beiden gelernt?

Chipperfield: Viel. Professionalität, Genauigkeit und Detailsorgfalt. Außerdem haben die beiden das integrierte Team erfunden. Statiker, Kostenkontroller, Ingenieure waren immer projektbeteiligt. Und zumindest zu der Zeit, als ich dort gearbeitet habe, waren beide soziale Idealisten. Rogers und Foster wollten ihren Gebäuden eine soziale Dimension verleihen. Rogers Centre Pompidou ist die gebaute Idee einer neuen Gesellschaft und einer für alle offen stehenden Kultur. Rogers und Foster waren Kinder des 68er-Jahres, und letztlich ist das Centre Pompidou ein Hippie-Projekt.

Standard: Wie bringen Sie einen ähnlichen sozialen Ansatz in ein Gebäude wie den Pavillon des America's Cup in Valencia, das Sie für die ausgesuchte Geldelite gebaut haben?

Chipperfield: Stimmt, doch die Vorgabe beinhaltete auch, mit diesem Gebäude zugleich ein Symbol für die Stadt zu bauen. Einer der Gründe, warum wir den Wettbewerb gewonnen haben, war, dass wir die unteren Plattformen für die Öffentlichkeit geöffnet haben. Sowohl die Stadt als auch die Leute vom America's Cup mochten die Idee, und das Gebäude ist heute sehr beliebt. Das wäre es nicht, wenn es sich lediglich um eine Box für die Elite handelte.

ZUR PERSON: David Chipperfield, 1953 in London geboren, studierte Architektur an der Kingston School of Art. Er unterhält Büros in London, Berlin, Mailand und Schanghai. Zu seinen bekanntesten Gebäuden zählen u. a. das River and Rowing Museum in Henley-on-Thames (GB) und das Figge Arts Museum in Davenport (USA).

Der Standard, Mo., 2007.10.08



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29. September 2007Ute Woltron
Der Standard

Der Raum zwischen den Bildern

Die Architekten Pauhof betrachten Alfred Hitchcock in der Ausstellung „The Wrong House“ im belgischen Kulturzentrum deSingel durch die Linse der Architektur.

Die Architekten Pauhof betrachten Alfred Hitchcock in der Ausstellung „The Wrong House“ im belgischen Kulturzentrum deSingel durch die Linse der Architektur.

Die besten Lehrer sind diejenigen, die ihren Schülern Fragen stellen und sie damit gleich weiter auf die Suche nach den Antworten schicken. Weil was man selber findet, das gehört einem - und außerdem sind derlei geistige Schnitzeljagden ja stets etwas hirnerfrischend Spannendes.

Im ganz besonders hübschen belgischen Städtchen Antwerpen ist seit vergangener Woche eine erfreulich aus allen Rahmen fallende Ausstellung zu sehen, die ihre Besucher auf exakt eine solche Reise mitnimmt. Allein der Titel der Schau wirft bereits allerlei Fragen auf. Er lautet mysteriös: „Alfred Hitchcock & Pauhof. The Wrong House“.

Doch was hat der berühmte Meister cineastisch produzierter Schweißausbrüche mit den österreichischen Architekten Pauhof zu schaffen? Warum und wie verbünden sich hier die Lebenden und der längst Verblichene für oder gegen ein falsches Haus? Und überhaupt - wie kann ein Haus falsch oder gar das Falsche sein?

Wer sich noch bis 25. November im Antwerpener Kulturzentrum deSingel auf die Suche begibt, findet die Antworten zwischen bewegten und stehenden Bildern, zwischen Geräuschen und Musikfetzen, zwischen Licht und Dunkel, Grau und Bunt, zwischen Modellen und Plänen. Die Ausstellung schafft es, Architektur und Kino, also imaginäre und tatsächliche Räume, auf eine sehr elegante Art miteinander zu verweben und damit beiden Materien eine neue Stofflichkeit zu verschaffen.

Doch um begreiflich zu machen, wie das funktioniert, muss erst einmal das Konzept ein wenig durchleuchtet und durch die Linse der unkonventionellen Ausstellungsmacher betrachtet werden: Das Zentrum aller Überlegungen bildet ein hier erstmals vorgestelltes Buch mit eben diesem Titel „The Wrong House“. Darin befasst sich der belgische Kunsthistoriker Steven Jacobs mit Alfred Hitchcocks (1899- 1980) unübersehbarer Affinität zur Architektur, denn die ist gewissermaßen als eine stets anwesende Darstellerin in all dessen Filmen zu betrachten.

Jacobs analysiert bis ins kleinste Detail, wie der Regisseur mit Räumen und den entsprechenden Stimmungen arbeitet, wie sich der ehemalige Set-Designer Hitchcock als nunmehriger Set-Chef die kräftige Symbolsprache der gebauten Umwelt zu seinen Zwecken untertan macht. Seine Darsteller irren durch dramatische Stiegenhäuser und labyrinthartige Strukturen, sie werden von Schatten gejagt und von Schattengespinsten in die Enge getrieben. Fenster werden zu Schlüssellöchern, durch die man beobachtet, ohne beobachtet zu werden. Türklinken, Gesimse, Portale, Türme - all diese architektonischen Details spielen in Hitchcocks Filmen subtile, stumme Hauptrollen.

Und die starke Architektur des deSingel spielt im Falle dieser Ausstellung ebenfalls kräftig mit. Das Haus ist prächtig - ein wundervolles Stück Moderne, gebaut in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts vom belgischen Architekten Léon Stynen, erweitert von demselben in den 80er-Jahren. Klare Strukturen, gekonnte Fenster-Licht-Inszenierungen, Innenhöfe, Kino- und Konzertsäle bilden den gebauten Rahmen um die Ausstellung.

Zur Gestaltung hat sich Kurator Moritz Küng nicht von ungefähr die österreichischen Architekten Wolfgang Pauzenberger und Michael Hofstätter geholt. Alias Pauhof zählen die beiden zu denjenigen, die eine besonders dramatische, zugleich aber klare Architektursprache beherrschen. Wenn in den kommenden Wochen die Besucher in den großen Kinosaal eilen, um diverse Vorträge und Hitchcock-Klassiker zu sehen, werden sie also von Pauhof in den um den Saal liegenden Gängen und Vorräumen gekonnt darauf eingestimmt.

Es ist eben die Stärke dieser Schau, dass Pauzenberger und Hofstätter die Zwischenzonen mit allen Mitteln der Architektur bespielen und so darauf aufmerksam machen, dass Architektur eben nicht nur aus Mauern, Fenstern und Fußböden besteht: Sie strukturieren das Eingangsfoyer mit nur auf den ersten Blick einfachen, fast monolithischen schwarzen Einbauten, die mit Rampen und Podesten wie hineingegossene Skulpturen wirken.

Dazwischen und darauf wurden elegant diverse Modelle von Pauhof-Architekturprojekten inszeniert, ergänzt durch großformatige Fotos sowie Filme, die die Besucher durch Pauhof-Gebäude führen. Die Spange, die eine Verbindung über einen langen leeren Gang zum zweiten Foyer schafft, das nun eine Art Kino-Café ist, bildet die Geräuschkulisse diverser Hitchcock-Filme. Denn auf der einen Seite ist zu hören, was auf der anderen auf einer Leinwand in bewegten Kinobildern zu sehen ist: Eine 90-minütige Collage aus Filmen wie Notorious, The Birds, Vertigo, Rear Window und natürlich North by Northwest, in dem die Architektur des fiktiven Vandamm House an Dramatik nicht zu überbieten ist.

Im Kino-Café befindet sich ebenfalls eine architektonisch-cineastische Collage zwischen Schein und Sein: Den Filmausschnitten, die in mehreren Fernsehmonitoren zu sehen sind, sind die in Grundrissplänen rekonstruierten entsprechenden Architekturen zugeordnet. Auf diese Weise können sich die Besucher ein ins Konkrete gezeichnetes Bild der Häuser machen, die den Rahmen zu Streifen wie Rebecca oder Psycho bilden.

Im Gegensatz zu anderen Ausstellungen, die oftmals bemüht sind, Zusammenhänge allzu plakativ darzulegen, überlässt diese Inszenierung die Besucher sozusagen sich selbst. Man könnte behaupten, sie würden selbst zu Darstellern in einem mysteriösen dreidimensionalen Film, in dem unterschiedliche Räume durchwandelt, erspürt, erobert werden müssen. Die Fragen werden in den Räumen zwischen den Bildern und dem Abgebildeten beantwortet, aber suchen muss man diese Antworten schon selbst.

Ein bisschen Nachdenken schadet dabei nie. So bildet etwa eine Zusammenstellung von drei Pauhof-Modellen eine fiktive Stadtlandschaft aus Podesten, Flächen, Rampen, die allerdings bei genauerer Betrachtung irgendwie verzerrt und unwirklich erscheint. Man kommt nicht gleich drauf, warum, doch der Grund dafür ist simpel: Die Architekturmodelle sind zwar in jeweils unterschiedlichen Maßstäben gebaut, gehören also so auf keinen Fall zueinander. Die verbindende Menschenstaffage, bestehend aus kleinen Modellmenschen, bleibt jedoch über das Gesamtensemble verteilt maßstabsgleich. Der Mensch ist sozusagen seine eigene Kinoleinwand, auf der sich der Raum, die Architektur abbildet.

Viel spannender geht's also nicht, wenn Architektur vermittelt werden soll. Diverse internationale Kunstinstitutionen haben denn auch schon Interesse angemeldet, „The Wrong House“ zu übernehmen, so etwa das Kunstmuseum in Nicolae Ceausescus absurd überdimensioniertem Regierungspalast in Bukarest.

Das Wiener Filmmuseum wird sich übrigens ebenfalls demnächst des großen Regisseurs annehmen. Die Retrospektive „Alfred Hitchcock. Das Gesamtwerk“ läuft von erstem Dezember bis zweiten Februar im architektonisch dafür äußerst stimmigen Kino-Ensemble im Albertina-Gebäude. Filmmuseums-Chef Alexander Horwath hat ebenfalls Interesse am Thema Hitchcock und Architektur angemeldet, die Antwort auf die Frage, in welcher Form das stattfinden wird, folgt.

Der Standard, Sa., 2007.09.29

29. September 2007Ute Woltron
Der Standard

Schuhschachtel auf Stöckeln

Das Megaprojekt Wien-Mitte geht jetzt in Bau - Fast zwei Jahrzehnte Debatten rund um dieses Gebäude haben der Architektur mehr geschadet als genützt. Das Resultat ist dicht gepackte Fassadenfront an einem Ort, der einer der quirligsten Wiens hätte werden können. Eine Analyse.

Das Megaprojekt Wien-Mitte geht jetzt in Bau - Fast zwei Jahrzehnte Debatten rund um dieses Gebäude haben der Architektur mehr geschadet als genützt. Das Resultat ist dicht gepackte Fassadenfront an einem Ort, der einer der quirligsten Wiens hätte werden können. Eine Analyse.

Die derzeit vorliegenden Renderings und Visualisierungen dessen, was in den kommenden drei Jahren in Wien-Mitte aus dem Stadtboden wachsen soll, zeigen vor allem eines überdeutlich: Hier wurde der Kubikmeter umbauten Raumes erfolgreich zum Maß aller Dinge erhoben. Die Frage, wie viele Quadratmeter verwertbarer Fläche in diesen prominenten, zentral gelegenen Baublock gepackt werden können, wurde aller Wahrscheinlichkeit nach vorzüglich beantwortet.

Die architektonische Ausführung jedoch blieb quasi ein unvermeidbares Übel, und da nützt es auch nichts, wenn die verantwortlichen Architektengemeinschaft nun diverse neckische Tricks mit dezenten Fassadenfältelungen zur Anwendung bringen wollen. Angesichts dieser leicht verkanteten Schuhschachtel auf Stöckeln, deren tatsächliche Fassadenbeschaffenheit derweil noch offen ist, darf immerhin die Frage gestellt werden, wozu man in den vergangenen 17 Jahren diverse Architekturwettbewerbe abgehalten hat, wenn das nun das optimale Resultat sein soll.

Schwieriger Bauplatz

Der Bauplatz Wien-Mitte ist außer Zweifel aus verschiedensten Gründen ein äußerst schwieriger. Zum einen muss der darunter gelegene hochfrequentierte Bahnhofsknoten bedient werden. Zum anderen zwingen die Auflagen des innerstädtischen Weltkulturerbes jede höherfliegende Planung in die Knie. Die wahre Problematik verbirgt sich allerdings im Zahlenwerk, das die Investoren hinter den Kulissen zu bewältigen haben: Wie viel genau die B.A.I. der ÖBB für das Grundstück bezahlt hat, weiß keiner. Um die 140 Millionen Euro dürfte es sich schon gehandelt haben.

B.A.I.-Chef Thomas Jakoubek meinte dazu im Juli 2005 als der Deal unterschrieben wurde lediglich lakonisch, es sei „zu viel“ gewesen. Zu teurer Grund muss hier also möglichst dicht ausgenutzt werden, um nicht zum Verlustgeschäft zu geraten. Immerhin geht es gerüchteweise um rund 400 Millionen Euro Gesamtprojektkosten, doch zur städtebaulichen Zier des Grätzels gereicht dieses Konstrukt sicher nicht.

Langeweilig und vorgestrig

Auch ein vormals anvisierter lebendiger Nutzungsmix, in dem unter anderem Hotels und Wohnungen samt Terrassen sowie Restaurants und Cafés mit Aussicht vorgesehen waren, hat sich auf Büros und Shopping reduziert. Langweilig und für eine moderne große Stadt vorgestrig. Fazit: Die B.A.I. investiert, wie es ihr gutes Recht ist, in die Rendite. Die Stadtplanung hat sich zwar ein- aber wenig zusammengebracht und das vom ungeduldig werdenden Bürgermeister Häupl vergangenen Herbst grantig zur „Herzensangelegenheit“ deklarierte Shop-Büro-Bahnhofsprojekt schließlich abgesegnet.

Aus all diesen Gründen hatten alle Architekten, die im Zuge des immerhin bereits vor 1990 gestarteten Planungsrennens immer wieder über diverse Wettbewerbshürden gehetzt wurden, letztlich nie eine Chance, hier zu gewinnen. Neumann + Partner und Ortner + Ortner, das Siegerteam des Wettbewerbs von 1990, geht dank wasserdichter Verträge nun fast zwei Jahrzehnte später ins Ziel. Ihre Planungen basieren auf dem späteren städtebaulichen Wettbewerbsprojekt der Kollegen Henke-Schreieck. Viel mühsamer geht Architekturmachen nicht.

Künstler sollen retten

Damit wenigstens irgend ein Pep in die Angelegenheit kommt, wurden nun weltbekannte Künstlerinnen und Künstler gebeten, die Angelegenheit innen und außen mit Kreativität ins Zeitgenössische zu pushen. Ob und was Leuten wie Olafur Eliassohn und Louise Bourgeois dazu einfallen kann, dürfte immerhin spannend werden.

Der Standard, Sa., 2007.09.29

26. September 2007Ute Woltron
Der Standard

„Wozu diese verdammte Architektur?“

Mit dem Guggenheim-Museum im baskischen Bilbao wurde Frank Gehry Ende der 90er-Jahre weltberühmt. Ute Woltron klärte er darüber auf, dass er sich nie als Dekonstruktivist betrachtet hat und dass er auch nicht die Welt mit Architektur zu retten gedenkt.

Mit dem Guggenheim-Museum im baskischen Bilbao wurde Frank Gehry Ende der 90er-Jahre weltberühmt. Ute Woltron klärte er darüber auf, dass er sich nie als Dekonstruktivist betrachtet hat und dass er auch nicht die Welt mit Architektur zu retten gedenkt.

Standard: Hat Spitzenarchitektur heute überhaupt noch die Absicht, die Welt zu einem besseren Ort zu machen?

Gehry: Angesichts der Probleme in Afrika, Indien, Afghanistan und so weiter ist die Idee, Architektur als Kunstform verstehen zu wollen, zu vernachlässigen. Man sollte meinen, dass erst die humanitären Probleme dieser Welt gelöst werden müssen. Dann hat auch die Architektur ihre Berechtigung als Teil der kulturellen Nahrung, die wir alle suchen. Doch für Menschen in Armut ist das Luxus, sie suchen vielmehr Wege, um zu überleben.

Standard: Das aus dem Mund eines weltberühmten Architekten zu hören ist erstaunlich.

Gehry: Sie wollen doch wissen, wer diese verdammte Architektur überhaupt braucht?

Standard: Ich hätte die Frage anders gestellt, aber ja, was soll das alles?

Gehry: Ich sag's ja. Wären wir Architekten alle nette Leute, würden wir dem Peace Corps beitreten und hinausziehen, um all diesen Menschen zu helfen. Genau das sollten wir tun. Doch wir tun es nicht. Mein Freund Bono von U2 versucht es, und auch Bob Geldorf. Aber ich bin nicht sicher, ob ihr Weg der richtige ist. Sie verwenden ihren Ruhm, und da schwingt immer auch ein Teil Selbstzweck mit, deshalb mache ich so etwas nicht.

Standard: Die Immobilienindustrie ist weniger vornehm. Die schmeißt die Menschen aus den Slums und entwickelt neue Stadtareale für Unternehmen und Reiche.

Gehry: Das kann man natürlich kritisieren, doch gibt es auch positive Effekte wie im Falle des Guggenheim in Bilbao. Ich hätte das nie erwartet, doch das Gebäude hat Jobs geschaffen, es bringt Geld in die Region, weil Leute aus aller Welt anreisen, um es zu sehen. Und es hat dort wieder eine Art Selbstbewusstsein etabliert, das verloren gegangen war. Architektur kann also durchaus ein Katalysator sein. Sie löst nicht die Probleme der Armut und des Hungers, aber sie kann sie mildern. Ich habe keinen Gott-Komplex und gebe mich dem Glauben hin, ich könne die Welt retten, aber jeder sollte seinen Beitrag leisten.

Standard: Die Frage, welche Rolle die Architektur generell spielen kann, beantworten Sie damit aber nicht.

Gehry: Ich halte den Ansatz des Dalai Lama für absolut richtig. Er sagt, das Wichtigste sind Mitgefühl und Warmherzigkeit. Würde jeder danach handeln, wäre die Welt letztlich eine andere.

Standard: Sie haben einmal gesagt, Sie seien von Architektur besessen und wollten Ihren Beitrag für diese Welt leisten.

Gehry: Das ist nur das halbe Zitat. Ich habe in diesem Zusammenhang auch gesagt, ich will mich selbst als Architekt finden - das ist die wichtigere Stelle.

Standard: Darin sind Sie offensichtlich erfolgreich. Neben Oscar Niemeyer gibt es kaum einen anderen Architekten, dessen Häuser derart eindeutig einer persönlichen Handschrift zuordenbar sind.

Gehry: Das stimmt nicht, denken Sie an Mies van der Rohe oder Le Corbusier.

Standard: Die Rede ist hier von den Lebenden, nicht von den Toten.

Gehry: Na gut, aber Zaha Hadid ist ebenfalls unverwechselbar, vielleicht sogar auch Coop Himmelb(l)au. Ich arbeite intuitiv, ich habe kein vorgefertigtes Konzept. Ich reagiere auf Menschen, Situationen, Zeit, Ort, Budget, und dann entsteht ein Gebäude. Ich will die Leute mit meiner Arbeit weder entzücken noch aufregen. Ich will Häuser für einen spezifischen Nutzen an einem spezifischen Ort machen, und ich bin froh darüber, dass die meisten von ihnen brauchbar sind.

Standard: Sie haben allerdings auch Kritiker. Die meinen etwa, es ginge Ihnen nur um gewagte, aufregende Formen.

Gehry: Bilbao ist auch dafür ein gutes Gegenbeispiel. Es ist ein Museum, das die Künstler mögen, doch manche Kuratoren halten es für unbrauchbar. Ebendiese Kuratoren bauen dann selbst Museen, die dann aber tatsächlich komplett unbrauchbar sind. Nehmen Sie das neue Museum of Modern Art in New York her. Das ist ein Desaster für die Kunst.

Standard: Wenn wir schon beim Sticheln sind: Ein weiterer Vorwurf besagt, Sie würden ein und dasselbe Haus immer wieder bauen.

Gehry: Zeigen Sie mir, wo. Wo habe ich mich wiederholt? Auch die Kritik, ich würde mich lediglich in Formen ergehen, stimmt nicht. Ich lege größten Wert auf das Funktionieren meiner Architektur, und alle Häuser dienen unterschiedlichen Zwecken.

Standard: Lassen Sie uns über den Dekonstruktivismus sprechen.

Gehry: Ich habe damit nichts zu tun. Sogar der wichtigste Theoretiker des Dekonstruktivismus, Jacques Derrida, hat mir die Absolution erteilt: Er hat zugestimmt, dass ich nicht dazugehöre.

Standard: Landläufig gelten Sie jedoch als der Berühmteste von ihnen.

Gehry: Als ich mein Haus in Santa Monica umgebaut habe, habe ich alte Teile weggenommen und mit neuen Teilen ersetzt, und irgendjemand hat das aufgegriffen und gemeint: Mr. Gehry ist Dekonstruktivist. Aber ich pflege diese Art der Philosophie nicht. Man hat mich in diese Ecke gestellt. Ich habe nicht dagegen protestiert. Es ist mir egal.

Standard: Sie sind mit Kulturbauten bekannt geworden. Eine der schwierigsten Aufgaben für Architekten ist jedoch der Wohnbau. Haben Sie sich dem je gewidmet?

Gehry: Ich habe natürlich auch Wohnbauten gemacht, die freilich nicht so bekannt sind. Tatsächlich arbeite ich eben wieder an einem, und auch der wird sicher nicht öffentlich als Architekturikone gefeiert werden, und das ist auch gut so. Denn ich will kein Statement damit abgeben, sondern einen guten Ort für Leute machen, die dort wohnen werden. Tatsächlich höre ich jetzt schon die Kritiker, wie sie sagen: Jetzt bringt er überhaupt nichts mehr zusammen, wo bleibt das Ikonische?

Standard: Als junger Architekt haben Sie eine Österreich- Verbindung gepflegt und im Büro des emigrierten Victor Gruen gearbeitet, der als Erfinder der Shoppingmall in die Geschichte eingegangen ist.

Gehry: Ich war fünf Jahre bei ihm. Ein sehr netter Mann, ein Träumer. Als er 1960 versuchte, wieder in Österreich Fuß zu fassen, hat er mich gefragt, ob ich mitkommen und eines seiner Büros führen will. Aber damals war ich bereits am Abflug und bereit, allein zu arbeiten.


Zur Person:
Frank Gehry, 1929 in Toronto geboren, zählt zu den bekanntesten Architekten weltweit. Er studierte an der USC in Los Angeles Architektur und eröffnete in dieser Stadt auch 1962 sein heute weltweit tätiges Architekturbüro. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen das Guggenheim-Museum in Bilbao, die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, das „Fred and Ginger“-Bürogebäude in Prag sowie sein eigenes Wohnhaus in Santa Monica.
Gehrys eigenwillige, verschraubt-geschwungene, betont plastische Architekturformen, die oft durch Verkleidungen mit metallischen Oberflächen betont werden, gelten als unverwechselbar. Bereits 1989 erhielt er den Pritzker-Preis für Architektur zugesprochen. (uwo)

Der Standard, Mi., 2007.09.26



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Gehry Frank O.

15. September 2007Ute Woltron
Der Standard

Architekturblüten als Modetüten

Oder dreht sich der Shopping-Architektur-Trend doch gerade wieder in Richtung Understatement um?

Oder dreht sich der Shopping-Architektur-Trend doch gerade wieder in Richtung Understatement um?

Rechtzeitig bevor der vorweihnachtliche Einkaufswahnsinn jenen, die eigentlich gar nicht so gerne einkaufen, das städtische Leben für mehrere Monate zur Qual macht und die anderen wiederum in ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung legitimiert, widmen wir uns den schönsten, teuersten, exklusivsten und hysterischsten Designs, die die Welt der Geschäftslokale heutzutage zu bieten hat: Den Shops für das Gewand, in Wien kurzerhand die „Panier“ genannt.

Die alte bundeshauptstädtische Bezeichnung für das Outfit ist freilich eine völlig unmodische und dadurch umso treffendere. Die Panier besteht stets aus allerlei Zutaten, sie geht am Körper ihres Trägers eine individualistische Einheit ein. Egal was getragen wird, ob kartoffelsackartiges Understatement, Second-Hand-Eleganz oder nach sündigen Investments riechendes Markenzeug - die Geschmacksrichtung der Panier verrät einiges über das darunter befindliche menschliche Trägermaterial.

Mit diesen persönlichen Gelüsten zu spielen ist natürlich eine der Künste, derer sich die Modeindustrie seit jeher auch in Sachen Shops und Architektur bereitwillig annimmt. In den vergangenen zehn Jahren erfuhr dieser Trend eine erstaunliche Intensivierung: Jede große, international agierende Marke leistete sich vor dem Hintergrund medialen Getöses so genannte Flagship-Stores oder gleich ganze Shop-Häuser, quasi um ihre Botschaft dreidimensional und mit großem Aufwand in den Stadträumen zu positionieren.

Prada, Chanel & Co investierten mächtig in Architektur, und sie verpflichteten die namhaftesten Architekten dieser Welt dafür: Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron verpassten Prada mehrere aufregende Stadt-Outfits, Ron Arad nahm sich Yohji Yamamotos an, Toyo Ito arbeitete für Tod's, Renzo Piano für Hermès, Sanaa für Dior, um nur eine kleine Auswahl zu erwähnen.

Die Kunsthistorikerin Ruth Hanisch hat die schrillsten Architekturblüten dieser Epoche in ihrem schönen Buch mit dem Titel „Absolutely Fabulous!“ zu einem kräftigen Bouquet gebunden (Verlag Prestel, 2006, 29,95 Euro). Gezeigt werden darin die aufwändigen Bemühungen der Architekten, der kostbaren Einzigartigkeit ihres jeweiligen Auftraggebers mittels Exklusivität mal Originalität gerecht zu werden.

Pradas coole Weltläufigkeit demonstrieren zum Beispiel die wie auf Kleiderbügeln aufgehängten Flatscreens zwischen den wohlfeilen Fummeln, die mit Nachrichten und anderen Digitalmitteilungen die Kundschaft auch während des Shoppings in der Dependance in Los Angeles mit lebenswichtigen Informationen versorgen. Emporio Armanis Laufstegdominanz hingegen spiegelt sich im von Massimiliano Fuksas und Doriana O. Mandrelli konzipierten Shop in Hong Kong wider. Dort wurde der Catwalk in knallrotem Lack und in Spiralen und Rampen als gestaltender Star der Architektur quer durch die Räumlichkeiten geführt.

In Roberto Cavallis Mailand-Shop von Rota & Partner ringeln sich dafür an Kitschigkeit kaum überbietbare leuchtende Schlangen über die Schaufensterscheiben großformatiger Aquarien, hinter denen die bunten Farben von Korallenfischlein anmutige Mäander ins Türkisblau zeichnen dürfen.

Fad wird den Architekten dieser Welt also nicht, wenn sie solchermaßen aus dem Vollen schöpfen dürfen. Doch die ärgste Shop-Hausse dürfte derweilen vorüber sein. Denn erstens haben die meisten Marken mittlerweile ihre Shops und Häuser hinreichend aufgemotzt, sich gewissermaßen die eigene Panier verpasst, und zweitens scheint der ganz neue, heiße Trend bereits wieder in eine völlig andere, um nicht zu sagen in die Gegenrichtung zu gehen.

Guerilla-Shops nennt sich diese, und eine ihrer Erfinderinnen ist Rei Kawakubo, die legendäre Gründerin des Labels Comme des Garcons. Schon vor einigen Jahren begann sie, mit ihrer Mode in Hinterhoflokalen und aufgelassenen Fabriksarealen Billigquartiere zu beziehen. Vorhandenes wurde geputzt, gestrichen und als Präsentationsumfeld für Designerware genutzt. Ablaufdatum inklusive. Denn mit den neuen Kollektionen verabschiedete man sich gleich wieder und wanderte in neue Billig-Lokale aus. Die Geschwindigkeit der Architektur passt sich solchermaßen der Schnelllebigkeit der Mode an.

Auch andere Trendsetter, wie etwa die Schweizer Taschenmanufaktur Freitag, deren Arbeitsmaterial Lastwagenplanen ist, pfiffen auf polierte architektonische Exaltiertheit. Für ihren Shop in Zürich ließen sie von den Architekten Spillmann Echsle gebrauchte Schiffscontainer übereinanderstapeln. Und auch diverse Turnschuhfabrikanten werden dem flippigen Street-Life-Stil ihrer Kundschaft gerecht, indem sie ihre Geschäftslokale wie billige Garage-Sales inszenieren.

Den einen Kunden mag die kompliziertere Rezeptur munden, den anderen die vermeintlich simplere - am Ende verfolgen sie alle dasselbe Ziel: ihre Marke zu positionieren, mit Identität zu spicken und möglichst viel davon zu verscheppern. Mit den Architekturoutfits asiatischer Textilfabriken hingegen, also den Wurzeln, aus denen die Architekturblüten ihre Kraft saugen, hat sich bis dato kaum jemand eingehender beschäftigt, doch die sind wieder eine andere Geschichte.

Der Standard, Sa., 2007.09.15

08. September 2007Ute Woltron
Der Standard

Jung, frisch, wienerisch

Die Ausstellung Yo.v.a, Young Viennese Architects, zeigt einen Überblick über die Architekturproduktion der Nachwuchsriege der Bundeshauptstadt.

Die Ausstellung Yo.v.a, Young Viennese Architects, zeigt einen Überblick über die Architekturproduktion der Nachwuchsriege der Bundeshauptstadt.

Vergangenen Mittwochabend eröffnete in der Kunsthalle/Project Space am Wiener Karlsplatz eine Ausstellung mit ausnehmend fröhlichem, durchwegs jungem Publikum. Die Alten unter ihnen waren auch irgendwie jung - zumindest fühlten sie sich so -, und unter den Jungen waren - nach landläufigem Verständnis - auch ein paar schon nicht mehr ganz so Taufrische.

So ist das nämlich, wenn man sich im Kreise von Architektinnen und Architekten befindet, die im Alter ab 45 langsam aufhören, zu den ganz Jungen zu zählen. Die Ausstellung „Young Viennese Architects“ bietet, wie der Name bereits verkündet, einen Querschnittsblick auf die lebendige Szene ebendieser noch nicht alten Wiener Architekten.

Die Schau, zu sehen bis 26. September, ist das Resultat eines von Planungsstadtrat Rudolf Schicker vor knapp zwei Jahren ausgerufenen Wettbewerbs. Die Stadtplaner lösten damit ein in der „Wiener Architekturdeklaration“ festgeschriebenes Versprechen ein, das den jungen Wiener Architekturschaffenden eine gezielte Förderung angekündigt hatte.

Schicker im Ausstellungskatalog: „Wien hat mit seiner Geschichte und seiner Lage im Zentrum Europas einzigartige Voraussetzungen. Daraus resultieren sicher einige Spezifika der jungen Wiener Architekturszene: Ihre Vielschichtigkeit, ihre Innovationskraft, ihre Fähigkeit zur konstruktiven Kritik, aber auch ihre Offenheit und Buntheit.“

Tatsächlich. Die Bundeshauptstadt kann sich alle zehn Finger abschlecken, eine sehr ordentliche Riege kämpft hier erstens um architektonische Qualität und zweitens, wie gewohnt, ums kommerzielle Überleben. Wenige Aufträge, viele Architekten, doch dieser Schlüssel ist ohnehin sattsam bekannt. Rüdiger Lainer sprach denn auch als der Vorsitzende der Jury, die aus den 42 Einsendungen 15 zu präsentierende Architektenteams ausgesucht hatte, aus, was Sache ist. Bauträger und Developer, so meinte er, sollten sich hierher in die Kunsthalle begeben, um sich ein Bild vom Potenzial der jungen Architektenschaft zu machen. Und „Listen“, wie eben die hier erstellte, würden künftig eine immer wichtigere Rolle spielen.

Bewerben konnten sich alle Architekturmenschen (unter 45), die bereits zumindest ein Projekt in der Bundeshauptstadt gebaut haben. Unter den Ausgesuchten, die im Übrigen im Schnitt 39 Jahre jung sind, befinden sich einige schon etablierte und namhafte Büros, aber auch noch weniger bekannte.

Die an Fantasienamen nicht arme Liste in alphabetischer Ordnung lautet: 000y0 Architekten, AllesWirdGut, Arquitectos, Caramel, feld72, gaupenraub +/-, gerner gerner plus, heri&salli, pool, ppag popelka poduschka architekten, querkraft, RAHM architekten, Klaus Stattmann, Treusch architecture und Michael Wallraff.

Die Ausstellung, so Schicker, werde künftig alle zwei Jahre ergänzt werden. Die Stadtplanung wird heuer für nächstes Jahr wieder einen Wettbewerbsaufruf starten und eine ausgeweitete Ausstellung - wie bereits die aktuelle - auf Wanderschaft durch Österreich und teils auch das benachbarte Ausland schicken.

Anhand der gezeigten Projekte lässt sich die Breite des Feldes ermessen, auf dem Architektur zur Anwendung gebracht wird - oder besser - gebracht werden kann. Wenn man will. Alles da, vom Zaun über das Wohnhaus bis hin zum Veranstaltungszentrum.

Ein wenig problematisch ist die offenbar von den Organisatoren vorgegebene Ausstellungspräsentation, da sie in ihrer herkömmlichen Zig-Zag-Stellwand-Fadesse doch ein wenig altertümlich daherkommt, was schade ist. Gerade junge, kreative Kräfte hätten hier wahrscheinlich eine etwas zeitgemäßere Präsentation des Themas erstens zusammengebracht und zweitens verdient. Ein bisschen eigenartig ist es auch, wenn die Stadtplanung nicht auf eine ähnliche, breiter angelegte Initiative des Architekturzentrums Wien zurückgreift.

Die „Emerging Voices“ hatten vor einigen Jahren ebenfalls die junge Architekturszene zum Inhalt, und die hatte den unschätzbaren Vorteil, dass sie die einzelnen Büros im Detail bis hin zu umfangreichen Publikationsmappen vorstellte.

Doch es soll nicht zu viel gemeckert werden, der Katalog zur Young Viennese Architects-Ausstellung ist tadellos. Um den Ball nun an die jungen Architekten selbst zurückzuspielen. Was halten die vom Arbeiten in Wien? Wolfgang Haas hat für die Publikation eine Umfrage gestartet und etwa auf die Frage betreffend Auftragssituation unter anderem folgende Antworten bekommen: „Wien bietet wenig Aufträge, aber viel Gerede rundherum.“ Die Stadt sei „ein Wohlfühlumfeld trotz wirtschaftlichem Unerfolgreich-Seins“.

Es wäre natürlich ungerecht, an dieser Stelle einzelne Büros hervorzustellen, deshalb gibt es an dieser Stelle keine Charakterisierung der dispersen bunten Truppe. Ganz junge Architekten, die Fuß fassen wollen in dieser unendlich schwierigen, mühsamen, von Fremdkräften oft arg geknechteten Branche, brauchen neben einer vorzüglichen Ausbildung vor allem eines: Durchhaltevermögen, ein gut entwickeltes Ego und Leute, die ihnen ihre ersten Aufträge anvertrauen. Das sprichwörtliche neue Badezimmer für den Onkel, der kleine Zubau zum Haus der Tante können Meilensteine werden. Die hier Präsentierten haben das aber schon hinter sich.

Der Standard, Sa., 2007.09.08

25. August 2007Ute Woltron
Der Standard

Träume über Städte

Im Buch „Die Grüne Schachtel“ führt Bogdan Bogdanovic durch seine Metaphysik, und das ist unverkennbar die eines Architekten

Im Buch „Die Grüne Schachtel“ führt Bogdan Bogdanovic durch seine Metaphysik, und das ist unverkennbar die eines Architekten

Ein Zitat: „Architektur der Schatten als ehemalige Schönheit der Welt. Architektur als nostalgische Vergänglichkeit der Schönheit. Wem und warum habe ich so heiß ewige Liebe geschworen? Der Architektur oder den Erbauern von Illusionen, den Erbauern künftiger, erst noch zu werdender Schatten?“

Bogdan Bogdanovic hat in den dunkelsten Stunden Belgrads - verbarrikadiert in seiner Wohnung und von Slobodan Milosevics Schergen verfolgt - Träume und Gedankenfetzen eingefangen, auf Zettel geschrieben und in eine leere Waschpulverschachtel gesteckt. Eine mit grüner Tapete beklebte Box mit Schlitz. Ein Eingang, kein Ausgang. Die Fenster der Wohnung - mit Büchern zu Wänden gemacht. Kein Einblick von außen, feine Sehschlitze von innen: „Mein Beobachtungsposten in der Bibliothek, ein enger Spalt zwischen den in den Fenstern aufgetürmten Büchern.“

Vergangene Woche feierte der Architekt, Urbanist und ehemalige Bürgermeister Belgrads seinen 85. Geburtstag. 1993 war er nach Wien ins Exil gegangen, hier hatte er viel später diese Box endgültig geöffnet, ihren Inhalt befreit, nochmals studiert. Vielleicht wie Pandora, die ihre Büchse ein zweites Mal aufmachen musste, damit auch die darin eingesperrte Hoffnung in die Welt kommen konnte.

„Die grüne Schachtel. Das Buch der Träume“ ist bei Zsolnay erschienen. Es führt seine Leser in Höhen und Tiefen, in Himmel und Höllen der persönlichen, verschachtelten Metaphysik Bogdanovics. Es ist kein Buch über Architektur, doch die Architektur der Städte, der Gedanken und der Ahnungen ist der Baustoff, aus dem dieses wunderbare Buch gemacht ist.

Ein Zitat aus einer Zeit der Wirklichkeit, als Bogdanovic noch als Bürgermeister mit den Mitteln der Architektur Belgrad und damit einen Teil der Welt verbessern wollte: „Ich initiierte und kontrollierte die ersten Vorbereitungen für einen neuen urbanistischen Generalplan. Belgrad hatte bereits mehr als eine Million Einwohner und fühlte sich im Rahmen des veralteten Plans unwohl wie ein schon großer Bengel in Kinderkleidung. Der Zustand der urbanistischen Praxis erforderte neue Leute und neue Ideen. (...) Etwas habe ich nicht gewusst, was ich aber hätte wissen können, oder ich habe es irgendwann gewusst und später aus dem Blick verloren, nämlich die eine einfache Wahrheit, dass Städte nicht in dichterischen Spielen erbaut werden, sondern in den brutalen Kämpfen und Kriegen der verborgenen Kräfte und Interessen, die sie in Gang setzen.“

Das Resultat eines internationalen Wettbewerbs war viel versprechend. Aber er „enthüllte mir etwas, was ich schon lange geahnt hatte, und zwar, dass es in unserer verrückten Welt viele inspirierte Architekten gibt, die, besonders in unreifen Gesellschaften, Geiseln unsichtbarer Clans sind“. Denn: „Schon bald wurde deutlich, dass die Obstruktionen mächtiger Interessengruppen die schönen Ideen nur in eine weitere tragische Geschichte von einem nicht erbauten oder vielleicht nicht erbaubaren Turm verwandeln würden.“

Mythos und Dichtung erzählen diese Geschichte seit ewigen Zeiten. „Was der Baumeister am Tag hat erbaut, das zerstörten die Feen in der Nacht ...“ Bogdanovic kramt in der serbischen Volksdichtung, er erzählt von der „Verdammnis unglückseliger Erbauer, über die verdammten Meister unvollendeter und nicht zu vollendender wunderschöner Gebäude“. Denn: „Wir alle sind in hohem Maße auf metaphysische Art vom Bauen - um des Bauens willen und leider auch von der Zerstörung um der Zerstörung willen - besessen.“

„Träume über Städte und Städte in Träumen. Das eine oder das andere? Manchmal eine kaum merkliche Möglichkeit der Abgrenzung.“ In seiner „Dorfschule für Philosophie der Architektur“ hatte Bogdanovic 1982 gemeinsam mit Studenten und Dorfleuten einen Turm aus Gerümpel und altem Mobiliar aufgetürmt. „Als wir das nicht erbaubare Bauwerk einigermaßen zusammengebastelt hatten, verbrannten wir es an diesem schönen Aprilabend und entledigten uns so des stümperhaften Werks auf die einfachste Art.“ Und den Bauern war die Asche, die davon übrig blieb, für die Frühjahrsdüngung ihrer Äcker willkommen.

[ Bogdan Bogdanovic: Die grüne Schachtel. Buch der Träume
Zsolnay Verlag, Wien 2007, 331 Seiten, 23,50 EUR ]

Der Standard, Sa., 2007.08.25



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Architektur der Erinnerung
Architektur der Erinnerung

04. August 2007Ute Woltron
Der Standard

In der Mitte der Mensch

Der Architekt Johann Georg Gsteu beging dieser Tage seinen 80. Geburtstag.

Der Architekt Johann Georg Gsteu beging dieser Tage seinen 80. Geburtstag.

Wenn jemand gerade sein achtes Lebensjahrzehnt vollendet hat, darf man behaupten, er gehöre der alten Garde an. Das trifft auch auf Johann Georg Gsteu zu, obwohl man das auf den ersten Blick kaum wahrhaben wird. Wer in kurzen Hosen sonnenverbrannt durchs Leben federt, ist nicht alt. Aber die alte Garde, die stimmt trotzdem, man muss ihm nur zuhören.

Und zuschauen. Denn Gsteu verlässt das Haus bis heute nicht ohne Bleistift und Radiergummi in der Hosentasche. Auch er zählt zu denjenigen, die dem fast schon karikaturhaften Bild des ewig skizzierenden Architekten gerecht werden. „Warten S', ich muss das aufzeichnen!“ Und dann genügen ein paar präzise Striche, um das Wesen und den Charakter von Projekten quasi röntgenologisch klar darzulegen - und irgendwie hat dieses gekonnte grafische Herunterbrechen der so ungeheuer komplizierten Materie Architektur auf logische Prinzipien etwas ausgesprochen Tröstliches in einer Zeit, die ganz anders geworden ist im Laufe einer fast sechs Jahrzehnte währenden Architektenkarriere.

Gsteu, 1927 in Hall in Tirol geboren, gehört einer ganz bestimmten, die Nachkriegsarchitekturgeschichte dieses Landes prägenden Generation an. Große Namen. Alte Bande. Alle sprechen sie eine sehr ähnliche Sprache, und es wäre ausgesprochen vermessen, würde die heute so erfreulich tüchtige jüngere Generation nicht genau zuhören. Denn vieles dessen, was die spezifische Qualität der zeitgenössischen heimischen Baukünstler und Baukünstlerinnen ausmacht, wurde von Leuten wie Gsteu bereits vor Jahrzehnten definiert.

Im Mittelpunkt steht der Mensch und seine Bedürfnisse. Zu Beginn stehen Aufgabenstellung und die Rahmenbedingungen. Dazwischen stehen Überlegungen, wie alle Parameter in eine schlanke, unaufwändig, funktionierende und bautechnisch gute Form gebracht werden können. Am Ende steht ein Gebäude, das technisch, formal, funktional möglichst viel kann.

Kristallisationspunkt für diese Art Architektur zu machen war kurz nach Kriegsende die Akademie-Klasse von Clemens Holzmeister. Gsteu: „Dort waren wir alle beieinander - der Wilhelm Holzbauer, der Friedrich Kurrent, der Fritz Achleitner, der Hans Puchhammer und ich. Wir sind vorher auch schon miteinander in die HTL gegangen. In der Holzmeister-Klasse waren dann auch noch der Johannes Spalt und der Gustav Peichl. Jedenfalls haben wir alle ziemlich zugleich Diplom gemacht.“

Clemens Holzmeister, so Gsteu, habe ihnen zumal professoral die Ernsthaftigkeit des Berufs beigebracht. „Aber wir waren froh, dass er nicht immer da war.“ Warum? Weil ihn dann zum Beispiel andere gestandene Architekten wie Erich Boltenstern vertraten - und: „Weil wir dann die internationale Szene studieren und alles aufarbeiten konnten, was vor dem Krieg gebaut worden war.“

Für Holzmeister sei das kein Thema gewesen, für die Jungen, Hungrigen sehr wohl. Vor allem dem etwas älteren Johannes Spalt verdanke man unglaublich viel: „Der Spalt war wie ein wissender Motor. Wir sind an den Wochenenden ständig gemeinsam unterwegs gewesen und haben uns alles angeschaut, haben alles analysiert und dann darüber debattiert. Der Spalt hat immer gesagt - Hast du das schon gelesen? Nein? Lies erst, und dann reden wir darüber! Wir haben in der Bibliothek nach Informationen gesucht, aber es gab kaum etwas.“

Also wurden Bücher und Zeitschriften importiert und von englischsprachigen Freunden übersetzt. Die jungen Architekten studierten die schwedische Moderne, den Schweizer Siedlungsbau, die großen österreichischen Emigranten wie Richard Neutra, die Bauten von Josef Hoffmann, Adolf Loos, Josef Frank. „Nachdem jeder von uns ein kaltes Zimmer gehabt hat, in dem das Wasser im Krug gefroren ist, sind wir fast jeden Abend im Kaffeehaus beieinander gesessen, das war fast so etwas wie eine Notgemeinschaft. Aber es war phantastisch.“

Die erste Arbeit unternimmt Gsteu gemeinsam mit Friedrich Achleitner. „Wir haben gemeinsam sein Heimathaus aufgebaut, das abgebrannt war.“ Die beiden gehen eine Bürogemeinschaft ein und arbeiten fünf Jahre zusammen. Achleitner sagt ihm dann: „Du, ich geh jetzt andere Wege, ich fang zu schreiben an.“ Zwischen 1956 und 1958 bauen sie aber gemeinsam noch die Rosenkranzkirche in Hetzendorf um. „Der Pfarrer hat damals gemeint, er wolle keine Roserlkirche haben, wenn es sich um eine Rosenkranzkirche handelt. Wir waren froh, so einen Bauherren zu haben, sonst hätten wir das nicht so radikal umsetzen können.“

Anfang der 60er-Jahre gewinnt Gsteu den Wettbewerb für das Seelsorgezentrum am Baumgartner Spitz in Wien und realisiert dort bis 1965 ein noch radikaleres Konzept: Ein nicht in eine bestimmte Richtung orientierter Raum entspricht architektonisch den Grundaussagen des Konzils von 1962. Gsteu: „Das Wesentliche war für mich, dass die Kirche aus vier Bauteilen besteht, die nur durch Glas und Sprossen miteinander verbunden sind. In der Architekturgeschichte hat sich immer etwas zu einem Spitz oder zu einer Kuppel bewegt, und außen wurden die Kräfte abgeleitet. Doch hier steht jeder einzelne Teil für sich allein.“

Überhaupt - neue Wege zu gehen war immer wichtig und Triebkraft: „Ich habe immer versucht, das zu ändern, was mir bei anderen, gegebenen Situationen als unbefriedigend aufgefallen ist. Bei Wohnbauten waren das die finsteren Gänge oder die nicht gut genutzten Ecken.“

Bis heute entstanden so rund dreißig ausgeführte Projekte, zuletzt etwa erst im Vorjahr die raffinierte Müllsammelstelle am Meidlinger Markt in Wien, die sich hydraulisch öffnen lässt und selbst in der Nacht dank ihrer durchbrochenen Lochblechhaut wie eine urbane Stadtskulptur wirkt. Eine ganz ähnliche Sprache, die der Technik und der Reduktion, sprechen auch Arbeiten wie der 1997 fertiggestellte Nordsteg bei der Nordbrücke auf die Donauinsel oder die fünf Stationen der Wiener U-Bahn-Linie 6.

Der Beruf des Architekten, so Gsteu, habe sich in den vergangenen Jahren im Vergleich zu früher enorm verändert: „Der Druck von allen Seiten ist ein Wahnsinn, es ist unvergleichlich ärger geworden.“ Wenn Bürokratie, Vertrags- und Terminkorsett zu den Hauptentwerfern werden, bleibt die Architektur auf der Strecke.

„Wir leben momentan in einer Übergangszeit, in der man die Tür aufmachen muss, weil alles ausgelaugt ist. Da kommt natürlich frische Luft herein, aber auch Mief. Vieles dessen, was derzeit gebaut wird, ist mir zu persönlich, zu eitel. Ich glaube, dass diese betont originellen Sachen, für die man irgendwelche Preise kriegt, nicht halten werden. Es gehört eine gewisse neutralere Behandlung her. Ich denke, dass eine gute Stangenbekleidung in der Architektur gefragter ist als der Maßanzug. Doch diese Zeiten müssen wir überdauern, damit wieder etwas Neues kommt.“

Der Standard, Sa., 2007.08.04



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Gsteu Johann Georg

14. Juli 2007Ute Woltron
Der Standard

Warum so langweilig ?

Bis dato ist in der freien Gestaltungswelt virtueller Gegenwelten wie Second Life designerisch kaum etwas los, was sich aber ändern dürfte.

Bis dato ist in der freien Gestaltungswelt virtueller Gegenwelten wie Second Life designerisch kaum etwas los, was sich aber ändern dürfte.

Tatsächlich - der Banalität sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Derzeit breitet sie sich in den unendlichen Sphären der virtuellen Gegenwelt aus, zum Beispiel in „Second Life“ (SL). In einem Universum, in dem eigentlich alles möglich sein sollte, in dem Schwerkraft, eindringende Feuchtigkeit und andere Gestaltungshürden keine Rolle spielen und jedes Ideenmaterial zu Verfügung steht, klotzen Multis wie Mercedes Benz, BMW oder IBM ihre Unternehmensrepräsentanzen in einer Kunstglas- und Kunstbetonfantasielosigkeit in den dreidimensionalen Computerraum, wie es langweiliger nicht geht.

Autos kreisen auf Präsentationstellern, die Showräume entsprechen in ihrer Fadesse der wirklichen Wirklichkeit, an den Wänden hängen fade Poster und Plakate - warum, fragt man sich nach spätestens zehn Minuten, soll man sich das, was im Speckgürtel der Vorstadt schon eine optische Zumutung ist, daheim am PC noch einmal geben? Nur weil man hier durch die Räume fliegen kann? Nur wenige Ausnahmen bestätigen bis dato die Regel - und um die zu finden und einer quasi virtuell-architekturkritischen Bewertung zu unterziehen, hat der in München lebende österreichische Architekt und Künstler Stephan Dösinger einen SL-Award ausgerufen, der erstmals beim Linzer Ars Electronica Festival im heurigen September präsentiert wird (Näheres dazu unter www.sl-award.com).

Dösingers Fragestellung und These: "Warum sind so viele Menschen fasziniert und gleichzeitig befremdet von der virtuellen Welt in „Second Life“? Wird hier eine trügerische Alternative zur physischen Realität, dem so genannten „First Life“, suggeriert? Was, wenn dieses Metaverse SL ein unheimliches Spiegelbild zur Wirklichkeit ist? Könnte es sein, dass ein Kommentar Walter Benjamins von 1929 zur zentralen Metapher unserer kulturellen Grundsituation geworden ist? „Blicken zwei Spiegel einander an, dann spielt der Satan sein liebstes Spiel und öffnet die Perspektive ins Unendliche.“ Allerdings, Satanas ist hier rege aktiv und befördert der Menschen liebstes Spiel, und zwar das der Selbstdarstellung. Auf die Gestaltung des virtuellen Gegen-Ichs, also der so genannten Avatare, wird offensichtlich allergrößter Wert gelegt. Liebevolleres Design als in Sachen Klamotten, Haartracht und Bodyshaping sieht man in SL selten. Und eine Vielzahl der im Vergleich dazu völlig fantasielosen Architekturen dient der Präsentation schlüpfriger Inhalte: Sexshops und Lustpavillons, wohin der Mausklick zielt.

Dass das nicht immer so sein muss, beweisen wie so oft die Kreativküchen von Universitäten und deren freigeistig-jugendliche Studenten. Zum Beispiel die des Royal College of Technology in Stockholm. Die analysierten die SL-Welt und fanden zu interessanten Thesen. Die Freiheiten und auch die Leere dort, so meinte sie etwa, seien so überwältigend, dass die User unweigerlich mit sofortiger Befüllung reagierten. Um der virtuellen Verschandelung einen Gegenentwurf vorzusetzen und die Möglichkeiten des virtuellen Raums auszuloten, gründeten sie das weltweit größte virtuelle Architekturbüro LOL Architects. Denn wie Erfindungen wie die Fotografie, des Films, des Telefons, des PCs und schließlich des Mobiltelefons Wahrnehmung und Definition von Räumen und Öffentlichkeit verändert und verschoben haben, so werden auch Internetplattformen wie SL die tatsächliche Realität beeinflussen.

Noch einmal Stephan Dösinger in seinem Aufsatz für die Ars Electronica: „In welcher Realität befindet man sich mit dem iPod im Ohr, wo der akustische Raum vom physischen Raum entkoppelt ist? In welchem Raum befindet man sich, wenn man ein Computerspiel spielt, sich im Internet bewegt oder SL als 3-D-Telefon benutzt? Es scheint, als ob sich überall dort, wo sich physische mit medialen Räumen kreuzen, neue Räume entstehen. Es sind Räume, die einmal anwesend, einmal abwesend, aber meist mobil sind und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten über die Kontinente vagabundieren, bis sie zerplatzen wie eine Seifenblase - am Ende eines Ferngesprächs auf der Autobahn. Nennen wir sie Bastard Spaces!“

Was Österreich anlangt, so bildet es sich eben als „Erlebniswelt“ in SL ab, gestaltet von der Web-Agentur Second Horizon. Riesenrad und Donauturm sind bereits online, weitere Attraktionen sollen folgen. Und auch die Österreichische Sportwettengesellschaft tipp3 plant derzeit einen Auftritt: Im September dieses Jahres wird der virtuelle Spatenstich für ein Stadion erfolgen, das bis zur Euro 08 fertig gestellt sein soll.

Die Sportwetter rufen nun alle kreativen Geister auf, sich an der Ideenfindung zu beteiligen, was über den Blog www.tipp3.at/tipp3arena erfolgen kann. „Moderne architektonische Erkenntnisse“ sollen mit den „Wünschen und Bedürfnissen der Fußballfans kombiniert werden“, auf dass ein „Musterstadion in der virtuellen Welt“ entstehe, das „durchaus Anregung und Vorbild für neue, reale Stadien sein soll“.

Also: Architektinnen und Architekten, Studentinnen und Studenten - ran an die virtuelle Materie!

Der Standard, Sa., 2007.07.14

10. Juli 2007Ute Woltron
Der Standard

Baukulturreport: Schmieds neuer Architekturpreis

Wien - Es sei der Beginn einer „breiten Sensibilisierung für das Thema Baukultur“, meinte Kulturministerin Claudia Schmied (SP) am Montag anlässlich der...

Wien - Es sei der Beginn einer „breiten Sensibilisierung für das Thema Baukultur“, meinte Kulturministerin Claudia Schmied (SP) am Montag anlässlich der...

Wien - Es sei der Beginn einer „breiten Sensibilisierung für das Thema Baukultur“, meinte Kulturministerin Claudia Schmied (SP) am Montag anlässlich der Präsentation des Baukulturreports. Sie glaube an die Begeisterungsfähigkeit der Menschen und wünsche sich nun „eine breite öffentliche Diskussion“ über die vorliegende Studie, in der die nicht immer erfreuliche Situation der Baukultur Österreichs umfassend analysiert wird.

Im Rahmen ihres Ressorts will Schmied künftig bereits in der Lehrerausbildung „Akzente setzen“. Vor allem aber soll sich die Baukultur bereits anhand hervorragender, den sich ändernden Lehrplänen angepasster Schulgebäude manifestieren.

Als „zugegebenermaßen kleinen Beitrag“ bezeichnete die Ministerin den Baukulturaward, der ab 2008 vergeben werden soll und mit 5500 Euro dotiert ist. Ob und wie und wann der Baukulturreport, der eine klassische Querschnittsmaterie behandelt, ressortübergreifend diskutiert wird, bleibt noch offen.

Der Standard, Di., 2007.07.10

09. Juli 2007Ute Woltron
Der Standard

Planloses Bauen kommt teuer

Der am Montag veröffentlichte Baukulturreport fordert von der Bundespolitik ein nationales Architekturprogramm

Der am Montag veröffentlichte Baukulturreport fordert von der Bundespolitik ein nationales Architekturprogramm

Im internationalen Vergleich ist die Baukultur in Österreich so gut wie kein Thema für die Bundespolitik. In einer Nation, in der die Bürgermeister immer noch die höchste Baubehörde darstellen, wird täglich eine Fläche von rund 22,5 Hektar ohne nachhaltige übergeordnete Planung verbaut, was sich beispielsweise an der krassen Zersiedelung der Landschaft unschwer ablesen lässt.

Neben Flächen fressenden Einfamilienhausteppichen wachsen vor allem im ländlichen Raum nach wie vor kommunale Wohnsiedlungen aus dem Boden, deren architektonische Qualitäten mehr als fragwürdig sind. Und geht es der Politik um neue Schulkonzepte, so bleibt die Frage, in welchen Häusern die denn umgesetzt werden könnten, so gut wie ungestellt.

Architekturqualität, Flächenbewirtschaftung, Raumplanung - all diese direkt miteinander verknüpften Faktoren laufen ungeordnet und chaotisch auseinander.

Nach monatelanger guter Ablagerung in ministeriellen Schubladen wird am Montag endlich der erste Österreichische Baukulturreport der Öffentlichkeit präsentiert. In kompakter Form erläutert er diese Zusammenhänge. Als Hebamme des bis dato geheim gehaltenen Papiers agiert Kulturministerin Claudia Schmied. Das Interesse der anderen Ressorts hielt sich in Grenzen, Architektur und Bauen wird von der Politik immer noch als ausschließlich kulturelle Leistung verkannt.

Exakt diesem Irrglauben will der Baukulturreport nun entgegenwirken. Die in sechs Bänden von Fachleuten diverser Disziplinen verfasste Studie befasst sich explizit nicht mit schönheitschirurgischen Einzeleingriffen durch Architektur, sondern mit dem volkswirtschaftlichen Nutzen, der durch politisch klug regulierte Planungs- und Bauleistungen erzielt werden könnte.

Dieses Rechenspiel beginnt im Großen mit der Raumordnung und endet im Kleinen beim privaten Bauherren. „In keinem vergleichbaren Staat Europas herrscht auf nationaler Ebene ein derartiges Vakuum an siedlungspolitischer Kompetenz wie in Österreich“, schreibt etwa Raumplaner Reinhard Seiß.

Zersiedelung

Die ausgeprägte Zersiedelung verursache allein für die Errichtung und Erhaltung von technischen Infrastrukturen wie Straßen und Versorgungsleitungen Mehrkosten von 150 Millionen Euro pro Jahr. Dazu kämen soziale Folgekosten, die in Streusiedlungsgebieten rund 23 mal höher seien als in kompakten Siedlungskörpern.

Etwa die Hälfte aller neu errichteten Wohnungen sind frei stehende Einfamilienhäuser. Sie bedingen 87 Prozent des Flächenverbrauchs für neue Straßen. „Bedenkt man, dass gleichzeitig etwa ein Sechstel des Bauflächenbedarfs durch Flächenrevitalisierung gedeckt werden könnte, so erschließen sich politische Handlungsspielräume, die es zu nutzen gilt“, schlussfolgern im Kapitel „Nachhaltigkeit“ die Architekten Renate Hammer und Peter Holzer.

Apropos: Zwei Drittel des heimischen Baubestandes sind bauphysikalisch minderwertig, die Raumwärmeerzeugung ist für etwa 16 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. In zeitgemäß geplanten und ausgestatteten Neubauten, aber auch in adaptierten bestehenden Häusern lässt sich der Heizwärmebedarf auf ein Fünftel bis, im Extremfall, auf ein Zehntel reduzieren, was angesichts des Umstandes, dass Österreichs Energieaufkommen zu knapp 70 Prozent von Importen gedeckt wird, ebenfalls von volkswirtschaftlichem Interesse sein dürfte.

Doch die Bundespolitik macht - derweil - noch keine Anstalten, all diese elementaren Bausteine zu einem ressortübergreifenden nationalen Gesamtkonstrukt zusammenzufassen, wie es in anderen Nationen üblich ist. Seit sieben Jahren ist man beispielsweise allein schon damit befasst, die derzeit noch länderweise geordneten Bauvorschriften einer bundesweiten Vereinheitlichung zuzuführen. Mögliches Einsparungspotenzial laut einer Studie der Vereinigung industrieller Bauunternehmungen Österreichs: zehn bis 15 Prozent der Wohnbaukosten.

Diese und noch viele weitere Aspekte liegen nun in kompakter Aufbereitung vor - samt einer Vielzahl konkreter Vorschläge, wie Verbesserungen auf politischer Ebene umzusetzen seien. Initiiert wurde der Baukulturreport allerdings nicht seitens der Regierung, sondern von den Planern und Planerinnen selbst: Nach einer im Jahr 2004 von Architekten und Zivilingenieuren erwirkten parlamentarischen Enquete zum Thema Baukultur hatte das Parlament das Bundeskanzleramt schließlich mit der Beauftragung einer entsprechenden Studie betraut. Als Organisatorin trat die Arge Baukulturreport auf. Die legte die Studie wie vertraglich vereinbart bereits im Herbst vergangenen Jahres vor, allein es fand sich geraume Zeit regierungsweit niemand, der die Drucklegung zu finanzieren bereit war.

Derzeit existiert das Konvolut in einer Auflage von nur 600 Stück, weshalb die Arge Baukulturreport nun eine Online-Version mit Downloadmöglichkeit freigeschaltet hat.

Bürgerrecht auf intakte Umwelt
Finnland hat das ehrgeizigste Programm für Erhalt und Wertsteigerung des Baubestand

Internationale Vorbilder, wie das Baugeschehen nach ökonomischen und ökologischen Kriterien vorausschauend ablaufen kann, gibt es genug. So leistet man sich etwa in Großbritannien die Organisation Cabe, die die gesamte Regierung ressortübergreifend und projektbezogen berät. Schottland verfügt über eine „Architecture Policy Unit“ und hat etwa den Schulbau zum nationalen Anliegen erklärt. In Frankreich gilt ein eigenes „Architekturgesetz“ und in Deutschland formiert sich eben eine „Bundesstiftung Baukultur“ mit durchaus anspruchsvollen Zielen.

Am ehrgeizigsten ist Finnland. 1998 verabschiedete das Parlament einen Sieben-Punkte-Beschluss, in dem die Mechanismen von Architektur, Baukultur und Wirtschaft glasklar dargelegt werden. Das Architekturprogramm formuliert die Richtlinien „zum Schutz unseres architektonischen Erbes und zum Erhalt und zur Wertsteigerung des vorhandenen Baubestandes“. Es schreibt jedem Bürger das Grundrecht auf eine intakte Umwelt zu. Es ortet den Staat selbst als wichtigstes Vorbild für Nachhaltigkeit und optimiertes Bauen. Und es deklariert Architektur als zentrale und sinnlich wahrnehmbare Form von Kultur.

Weiters verankert es verpflichtend die fächerübergreifende Vermittlung von Baukultur im Ausbildungssystem und bekennt sich ausdrücklich zu Forschung und Experiment. Es geht so weit, „die Übereinstimmung der Qualifikation mit den Erfordernissen des jeweiligen Bauvorhabens“ von „allen am Planungsprozess Beteiligten“ zu fordern.

Um dieses Programm zur Anwendung zu bringen, wurde ein System von „Regionalarchitekten“ ins Leben gerufen, die den Gemeinden beratend zur Seite stehen. Denn: „Die ganzheitliche Kontrolle über den Planungs- und Bauprozess vom Entwurf bis zur Ausführung ist ein wesentlicher Teil im System der Verantwortlichkeiten, Kontinuität ist eine Vorbedingung für eventuelle Haftungsregelungen nach Beendigung des Bauvorhabens.“ Die finnische Regierung hält es für elementar, „dass diesen Gesichtspunkten bei der Weiterentwicklung des Bausektors besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird“.

Bleibt abzuwarten, ob ein ähnliches Streben nach Verantwortlichkeit und Kontinuität in Österreich politisch machbar sein wird.

Der Standard, Mo., 2007.07.09

23. Juni 2007Ute Woltron
Der Standard

Penelope webt weiter

Als Kalifornier weiß der Architekt Eric Owen Moss, mit welchem Schmäh man das Publikum nehmen muss - hier wie dort.

Als Kalifornier weiß der Architekt Eric Owen Moss, mit welchem Schmäh man das Publikum nehmen muss - hier wie dort.

Eric Owen Moss ist ein zaundürrer Bursche Mitte der 60, ein schlauer Fuchs und schwer zu greifen. Diese Woche war er in Wien zu Gast, unter anderem, um im Museum für angewandte Kunst (MAK) einen Vortrag mit dem schön verwirrend geschlungenen Titel „Too much is not enough“ zu halten. Wären wir, was wir selbstverständlich nicht sind, nämlich bösartige Lästermäuler, könnten wir diese These direkt auf Moss' Architektur anwenden: Viel zu viel, aber ist das wirklich genug? So einfach kann man es sich freilich nicht machen, also los:

Unter den Gebäuden der Architekturströmung, die man gemeinhin Dekonstruktivismus nennt, sind die Konstrukte des 1943 in Los Angeles geborenen Architekten sicherlich die krausesten. Also ehrlich: Manche seiner Werke sind wirklich absurd, das muss man sagen dürfen. Stahlteile biegen sich zu wirren Knäueln. Glasflächen schmelzen in kunstvollen Schichtungen quer über- und durcheinander. Duchdringungen, Auskragungen, Faltungen, wohin man blickt. Das Neue kombiniert er oft mit alter Bausubstanz, mit Industrie- und Gewerbearchitekturen aus Epochen, als das Sheddach noch Avantgarde war und Fensteröffnungen so etwas wie einen Rhythmus aufwiesen.

Moss bemächtigt sich dieser alten Gemäuer auf eine völlig unbefangene Weise. Er spaltet sie, zum Beispiel im Falle des „Queens Museum of Art“ in New York (2001), und lässt durch den gewonnenen Freiraum eine Art Lavastrom aus gekrümmtem Glas rinnen. Er bemächtigt sich ihrer, indem er etwas, das man als architektonischen Hausschwamm oder Spaltpilz bezeichnen könnte, und das ebenfalls großteils aus Stahl und Glas konstruiert ist, aus der Fassadenkante hervorwuchern lässt, wie im Falle eines seiner bekanntesten Projekte, des „Umbrella“ in Culver City (1996).

Angesichts dieser aberwitzig komplizierten Konstruktionen dürften die Mitarbeiter der ausführenden Unternehmen regelmäßig in den kreativen Halbwahnsinn getrieben werden, doch darauf angesprochen gackert Moss nur kurz und erfreut auf, um sofort wieder in die professionelle Show-Man-Rolle zu schlüpfen, die zeitgenössische Architekturprimadonnen heutzutage einmal besser, einmal schlechter beherrschen. Er als Amerikaner zählt diesbezüglich zu den Besseren, und er ist noch dazu Kalifornier, wo die Show ein überlebensnotwendiges Mittel zum Zweck ist.

Klar! Diese Konstruktionen seien zweifelsfrei nicht ohne, doch immer wieder könne bewiesen werden, dass so gut wie alles in der Architektur möglich sei - und das ist, zum Beispiel, einer der Erklärungsansätze seiner Arbeiten.

Die experimentelle Architektur, so der smarte Los Angelino, habe sich in den vergangenen Jahrzehnten im Pakt mit einer gleichermaßen experimentierfreudigen Industrie anzufreunden begonnen. Noch vor zwanzig Jahren, da stand man gemeinsam mit ein paar anderen, die die Architektur ebenfalls weiterentwickeln und zu einer neuen Formensprache bringen wollten, noch ziemlich aufgeschmissen da, was Bauherren, Investoren und ausführende Unternehmen anlangte. Mittlerweile, so Moss, sei es überhaupt nicht mehr schwierig, weltweit Auftraggeber zu finden, die in das Experiment, in das Außergewöhnliche investieren wollten.

Warum? Weil Architektur Orte markieren und unverwechselbar machen kann. Im flachen Einheitshausgebräu von Los Angeles zum Beispiel ist diese Tatsache für Investoren Anreiz genug. Moss' wichtigster Bauherr ist Frederick Semitaur Smith, der vor langer Zeit ein groß angelegtes Investment in Culver City mitten in L.A. in Angriff nahm: Er wollte ein heruntergekommenes Viertel, das allerdings strategisch perfekt in der Stadt lag, neu entwickeln. Das Mittel zum Zweck war Architektur, und zwar jene der Aufsehen erregenden Art. Er griff sich mit Eric Owen Moss den perfekten Partner.

Mittlerweile plant - oder designt er Projekte weltweit: etwa für Almaty, Kasachstan, einen multifunktionalen 126.000-Quadratmeter-Komplex, für Guangzhou in China ein Museum, das er als „Berg mit vier Spitzen“ charakterisiert, für St. Petersburg eine Erweiterung des Mariinskij-Theaters.

Auf die Frage, ob sich manch Dekonstruktivistenkollege durch die ewige Wiederholung desselben Themas nicht langsam in Fadesse auflöse, meint er, man müsse das schon auch verstehen: „Man arbeitet an diesen Lösungen, braucht Jahre, um sie zu finden, dann wird es immer einfacher und logischer, und dann verwendet man diese Formen eben weiter.“

Genau das will er allerdings in seinem OEuvre explizit vermeiden. Und um mit seinen Ansatz mit dem europäischen, diesenfalls mit dem Wiener Publikum in Austausch zu treten, befleißigt er sich der in dieser Weltgegend - zumindest noch teilweise - hochgehaltenen Kultur humanistischen Gedankenguts und spinnt die „Theorie der Penelope“, umgemünzt auf Architektur, weiter: Die hatte in Erwartung ihres Gemahls Odysseus bekanntlich zu einem Trick gegriffen, um sich die Freier vom Hals zu halten. Sie hatte begonnen einen Teppich zu weben. Sobald der fertig sei, so ihr Versprechen, würde sie einen der potenziellen, aber unerwünschten Freier zum Mann nehmen. Was sie untertags webte, trennte sie in der Nacht wieder auf. Man müsse, so Moss, die Architektur ähnlich begreifen und stets von vorn beginnen.

In einer Stadt wie Los Angeles, die sich an allen ihren vielen und ausgedehnten Ecken und Enden neu definiert, neu strukturiert und völlig neu aufsetzt, funktioniert das recht gut. Doch selbst ein Experimentierwüterich wie Moss würde das gleiche Prinzip auf eine Stadt wie beispielsweise Wien nie anwenden. Wien, so sagt er, sei stabil, habe sich gefunden, habe eine klare Identität. Natürlich könnten auch hier experimentellere Gebäude dem einen oder anderen Stadtteil gut tun, doch in Maßen bitte. Begrüßenswert sei jedoch der internationale Austausch, den man hier seit geraumer Zeit pflege - zum Beispiel im MAK oder in der Architekturabteilung der Universität für angewandte Kunst. Dort gebe es mit MAK-Chef Peter Noever und Architektur-Häuptling Wolf D. Prix jene Penelopen, die dazu beitrügen, Wien ein wenig lebendiger zu machen.

Der Standard, Sa., 2007.06.23

16. Juni 2007Ute Woltron
Der Standard

Ruhe bitte

Kommende Woche müssen die Vögel ihre Schnäbel halten, wenn im niederösterreichischen Schlosspark von Grafenegg die wohl außergewöhnlichste Freiluftbühne der Nation mit einem Festkonzert eröffnet wird.

Kommende Woche müssen die Vögel ihre Schnäbel halten, wenn im niederösterreichischen Schlosspark von Grafenegg die wohl außergewöhnlichste Freiluftbühne der Nation mit einem Festkonzert eröffnet wird.

Die Nacht des kommenden Freitag wird nur unwesentlich länger sein als die des Vortags, welchselbige auf den 21. Juni fällt und somit die kürzeste des Jahres ist. Mit anderen Worten: Es wird am Freitag, wenn das Festkonzert in Grafenegg beginnt, noch lange genug hell sein, um die neue Freiluftbühne der Architekten-ARGE the next ENTERprise + Land in Sicht in allen Schattierungen des Sonnenuntergangs und der Dämmerung ausgiebig betrachten zu können.

Währenddessen darf gelauscht werden: den Klängen des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich, den Sangeskünsten von Genia Kühmeier, Johan Botha und Bryn Terfel, der Virtuosität der Herren Julian Rachlin an Violine und Viola und Rudolf Buchbinder am Klavier, und sie alle - nicht zu vergessen - werden gelenkt vom Dirigenten Alfred Eschwé. Was für ein prächtiger akustischer Blumenstrauß für die Eröffnung eines Gebäudes!

Das Ambiente selbst ist ebenfalls spektakulär - nicht zuletzt, weil wir uns ausgerechnet in Niederösterreich befinden. Denn dieses schöne Bundesland ist, was qualitätsvolle zeitgenössische Architektur anlangt, vergleichsweise ein wenig im Hintertreffen, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Doch hier soll keineswegs wieder einmal die Rede sein von den unverständlicherweise immer noch allerorten emporwachsenden übelsten Wohnsilos der Nation und anderem zeitgenössischen Grauen, sondern von einem Stück engagierter Kultur, das hiermit vollendet ist.

Die Openair-Bühne trägt den Namen Wolkenturm und befindet sich inmitten des historischen Schlossparks von Grafenegg, nicht allzu weit von Wien. Dieser Park selbst liegt wie eine grüne Wolke in der Glätte weiter Felder, und wenn man sich auf der sympathisch schmalen Landstraße nähert, kann man das neue Gebäude zwischen den hohen alten Bäumen erst nur erahnen. Denn es versteht sich als Teil des Ganzen, es will den Park nicht dominieren, sondern mit dieser kunstvoll seit Jahrhunderten gepflegten Landschaft verschmelzen und darin einen neuen, zeitgenössischen Höhepunkt bilden. Deshalb ist es nicht höher als die höchsten Bäume, es ist sozusagen ein Transformierter der ihren.

Das Projekt ging als Kooperation zwischen „Privat“ und „Öffentlich“ über die Bühne; Public Private Partnership nennt man das dieser Tage. Seine Bauherren sind die Hausherrenfamilie Metternich-Sándor, die Grund und Infrastruktur bereitstellte, und das Land Niederösterreich, das die Investitionsmittel lieferte. Der Standort ist fürstlich, das Schloss ein historistischer Augenschmaus, der Park nicht enden wollend, die Location - um in die Sprache des Kulturmanagements zu schlenkern - mehr als hoffnungsvoll. Ab heurigem Sommer wird es hier ein neues Musikfestival unter der künstlerischen Leitung Rudolf Buchbinders geben, bis 2008 wird ein weiterer Konzertsaal am Parkesrand fertig gestellt sein und das niederösterreichische Tonkünstler-Orchester seine neue Sommerresidenz beziehen.

Der Wolkenturm wird also nicht lange auf Besucher warten, und wer freien Sinnes und frohen Gemütes ist, wird eine große Freude an ihm haben. Und wer sich an dieser Stelle lieber einen laubsägeziselierten Parkpavillon traditioneller Provenienz gewünscht hat, ist in anderen Orten Niederösterreichs ohnehin der Qual der Wahl ausgesetzt.

Man nähert sich dem Konstrukt zu Fuß über sanfte Wege und bemerkt alsbald, dass hier ordentlich in der Erde gewühlt wurde. Die Besuchertribünen sind teils eingegraben, die Ränder laufen in grünen Hängen in die Parklandschaft aus. Den Besucherstrom leiten gewissermaßen breite Kanäle in das Halbrund, dessen Zentrum der Turm und die von ihm umfangene Höhlung des Bühnenraumes bildet.

Ein Großteil des Gebäudes ist aus Beton gegossen, und Fachleute werden interessiert an den scharfen Verkantungen und Ecken zu fummeln beginnen - denn die sind ein Kunststück für sich. So leicht und wolkenflockig das Teil nun im Park steht, so aufwändig und kompliziert ist seine Konstruktion.

Es empfiehlt sich, bereits ein Weilchen vor dem Konzert einzutreffen, um die Bühnenlandschaft zu umrunden, die unterschiedlichen Blickbezüge und -achsen zu studieren und die Freiluftbühne von nah und fern genau zu betrachten. Das ist im Übrigen auch jenen unbenommen, die außerhalb der Konzerttermine hierher kommen, um beispielsweise ein Picknick zu veranstalten oder einfach in die Baumwipfel zu starren. Denn der Wolkenturm ist an den meisten Tagen des Jahres als Element des Parks sich selbst genug. Er wird nicht ständig bespielt, steht aber allen Besuchern offen. Das gilt allerdings nicht für sein Innenleben, in dem sich Künstlerzimmer, Klavierdepots und andere dienende Räumlichkeiten befinden, die man im Hintergrund für konzertante Tätigkeiten benötigt.

Wie die Qualitäten der Akustik beschaffen sind, wird sich erst am Abend der Eröffnung erweisen. Doch gröbere Sorgen sollte man sich ohnehin nicht machen müssen, da das wohl renommierteste europäische Akustik-Unternehmen, Müller-BBM aus Bayern, die Akkorde der architektonischen Komposition begleitet hat. Eine schwierige Aufgabe, denn die Künstler müssen ohne technische Verstärkung zur Geltung kommen, noch dazu im Freien und vor dem nicht geschlossenen Volumen von 1650 Sitzplätzen.

Die ARGE the next ENTERprise + Land in Sicht heißt aufgeschlüsselt mit Namen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs sowie Thomas Proksch und hatte den Auftrag im Rahmen eines Wettbewerbsverfahrens zugesprochen bekommen. Marie-Therese Harnoncourt erklärt, wie sie an den Entwurf herangingen: „Wir mussten eine ohnehin an dieser Stelle bestehende Mulde nur noch etwas auskratzen und die Topografie mit künstlichen Hügeln, wie sie im Landschaftsgarten Tradition haben, verstärken.“ Die extravagante Form des Turmes ergab sich aus einer Analyse der Blickachsen, etwa zwischen dem Tor und dem Schloss. Harnoncourt: „Wir haben Bezugsfelder aufgebaut und dadurch Liniengeflechte erhalten, die in die dritte Dimension transformiert wurden.“

Bereits im 19. Jahrhundert hatten die englischen Landschaftsgärtner genau damit gearbeitet: mit strukturierenden Baumgruppen und Wiesenfreiräumen, mit Pavillons und anderen Blickbezügen. So betrachtet setzen Grafenegg und Niederösterreich mit einem avantgardistischen Akzent eine jahrhundertealte Tradition fort, die anderswo in gelackter Historie längst abgestorben ist.

Der Standard, Sa., 2007.06.16



verknüpfte Bauwerke
Wolkenturm – Freiluftpavillon Schlosspark Grafenegg

19. Mai 2007Ute Woltron
Der Standard

Wann, wenn nicht jetzt

Anlässlich der Verleihung des Mies-van-der-Rohe-Architekturpreises der EU entspann sich in Barcelona eine Debatte über Sein und Schein - und die wird immer heftiger.

Anlässlich der Verleihung des Mies-van-der-Rohe-Architekturpreises der EU entspann sich in Barcelona eine Debatte über Sein und Schein - und die wird immer heftiger.

Vergangenen Montag wurde in Barcelona der 10. Architekturpreis der EU übergeben. Schauplatz war einmal mehr Mies van der Rohes zeitlos eleganter Weltausstellungspavillon, das Publikum erschien selbstverständlich großteils in architektonischem Schwarz und frisch gegossen, weil eben ein Hagelgewitter die Stadt überwältigt hatte.

Der Mies-van-der-Rohe-Award geht heuer in sein 20. Jahr, er wird biennal vergeben, wiegt 50.000 Euro und gilt als die wichtigste Auszeichnung für gute Bauten innerhalb der Europäischen Union. Das gab Anlass, die Preisverleihungszeremonie ein wenig breiter anzulegen, unter anderem gewürzt mit einer Podiumsdiskussion über die Sinnhaftigkeit der Auszeichnung selbst.

Doch zuerst zu den Gewinnern: Die kommen heuer aus Spanien, heißen Luis M. Mansilla und Emilio Tunón, sind hierzulande so gut wie unbekannt und haben in der Stadt León ein Museum für zeitgenössische Kunst mit Namen Musac gebaut. Das Gebäude, so die Begründung der Jury, sei vor allem wegen seines räumlichen Raffinements und die sich dadurch ergebende Raum- und Wegeführungsökonomie sowie die behutsame Implantation in ein gewachsenes Stadtgefüge als richtungsweisend für die künftige europäische Architektur zu bewerten. „Allein von Bildern und Plänen aus betrachtet“, so Richard Burdett als Vorsitzender des Gremiums, „heißt das Ding nicht viel. Niemand hätte anfangs gedacht, dass das Projekt auch nur in die engere Wahl kommen würde.“ Doch durch diese Räume müsse man gehen, um das System und seine Intelligenz zu begreifen, denn Architektur allein als Image, als Bild zu betrachten, habe sich noch immer als unzulänglich erwiesen.

Womit wir mitten in einem der Hauptthemen wären, die das Panel der vorhin erwähnten Podiumsdiskussion beschäftigten, und das allen Architekten wohl bekannt ist: Worum muss es in der Architektur gehen? Um gut fotografierbares Image, um das Ikonische - oder um Inhalt?

Gerade am Mies-Preis dürfte sich das vorzüglich festmachen lassen. Denn hinter der Organisation stecken nicht nur die EU und die Mies-Foundation, sondern auch allerlei potente Sponsoren aus Bankenwesen und Industrie. Und so nimmt es keinen wunder, dass so mancher Eingeweihte am Rande der Festivität an den seinerseits diesbezüglich durchaus gelassenen Juryvorsitzenden Burdett herantrat, um scherzend quasi beiläufig einzuflechten, dass dieser hier mit Sicherheit sein letzter Auftritt als Jury-Chef gewesen sei. Mit Ben van Berkels Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart oder Zaha Hadids Phaeno-Experimentierlandschaft in der VW-Stadt Wolfsburg, ja damit wären die Sponsoren hoch zufrieden gewesen. Ein urbanes Projekt im spanischen Hinterland zu wählen, sei jedoch gewissermaßen ein Akt der Subversion.

Wie unappetitlich! Doch die Architekten funktionieren letztlich genau nach demselben Schema, also hat keiner dem anderen viel vorzuwerfen. Durch die Familie der weltbekannten Planer und Planerinnen ziehen sich tiefe Klüfte, über die hinweg man sich mit Geifer, Spott und Neid beflegelt. Dabei geht es nicht um Glaubenskriege, welche denn die bessere Architektur sei, sondern um Schulen, Freundschaften, Verbindlichkeiten - und um Aufträge.

Doch das scheint seit jeher ähnlich gewesen zu sein, weshalb wir uns detailliertere Ausführungen sparen, weil sie außerhalb der Szene ohnehin keinen interessieren. Viel interessanter und aufschlussreicher waren hingegen die Auftritte der offiziellen Prominenz aus der Politik, die, wie üblich, an in Floskeln gegossener Unbedarftheit nicht zu überbieten waren. Architektur wurde wieder einmal als Kunstform vorgeführt.

Die unter anderem auch für die offenbar noch als Randthema erachtete Architektur zuständige EU-Abgesandte demonstrierte ihr gründliches Desinteresse durch gelangweiltes Fußwippen und Den-Park-durch-Glasscheiben-Betrachten, während die neben ihr auf dem Podium versammelte Architektenschaft um Diskussionsinhalte rang. Zu Wort gekommen hob sie freundlich lächelnd zumalen die EU-weit steigende Bedeutung der „Creative Industries“ hervor, die immerhin im Schnitt mittlerweile 2,7 der Bruttoinlandsprodukte ausmachten.

Ja - und? Was hat das denn mit Architektur zu tun? Alles Werbegrafik, oder was? Wenn die EU-Architekturpolitik, so sie überhaupt über Preis-Sponsorentum hinausgeht, die Architektur in diese Ecke stellt, liegt sie komplett daneben. „Ich werde diese Debatte nun wie ein Investor anlegen“, witzelte denn auch Diskussionsleiter Burdett süffisant, „und kurzerhand auf einen 50-Prozent-Abschlag pochen. Die Redezeit wird ab sofort von fünf auf zweieinhalb Minuten herabgesetzt.“

Denn das ist die Sprache des Bauens heute, die jeder sprechen muss, der Fundamente in die Erde kriegen will. Und das ist das Thema, das die Architektur als Teil der Bauindustrie (jawohl) auch zu einem guten Teil zu interessieren hat, wenn nicht nur Häuser gebaut, sondern vernünftiger, sparsamer, funktionierender - und zuletzt auch noch „schöner“ Lebens- und Arbeitsraum geschaffen werden soll.

Ohne gute Auftraggeber, meinte etwa Ellen van Loon, Partnerin von Rem Koolhaas, sei da wenig auszurichten. Doch gerade auf dem privaten, nicht-kommunalen Sektor, so Burdett, habe man mittlerweile genau erkannt, dass Architektur als Investment zu betrachten sei, das in vielen, auch kommerziellen und in Geld zu messenden Bereichen als gut funktionierendes Betriebsmittel anzusehen sei. Tatsächlich wären heutzutage immer mehr Investoren schon allein aus kühl-betriebswirtschaftlicher Kalkulation heraus dazu bereit, für die Entstehungskosten um zehn bis im Extremfall 30 Prozent tiefer in die Tasche zu greifen. Ja, bitte, mehr davon.

Um einen zugegebenermaßen etwas abgedroschenen, aber bildhaften Vergleich anzustellen: Ein Haus kann wie ein vielleicht ganz prominent anzuschauender Oldtimer daherkommen, oder wie ein spritfressender Angeberbolide - jeder klar Denkende wird sich aber viel eher ein ökonomisch optimiertes, sparsames Gefährt zulegen, das noch dazu schnittig in der Kurve liegt und über ein verlässliches Navigationssystem verfügt.

Bei Gebäuden zahlen sich derlei Investitionen über den Lebenszyklus betrachtet in jedem Fall aus, wenn die internen Abläufe wie geschmiert funktionieren, die Betriebskosten niedrig bleiben und noch dazu die Atmosphäre dank geringerer CO2-Belastung aufatmen kann. Etwa 70 Prozent des CO2-Ausstoßes sind Immobilien anzulasten. Wann, wenn nicht jetzt, müssen Bauindustrie, Investoren - und die Politik darauf reagieren. Dass die Architektur in Kooperation mit einer guten Bauindustrie und verantwortungsbewussten Auftraggebern diese schwierige Aufgabe zu stemmen imstande ist, hat sie hinlänglich bewiesen.

Bleibt noch der Hinweis auf den ebenfalls am Montag verliehenen Preis für die besten Nachwuchsarchitekten Europas. Die kommen aus einem ganz jungen EU-Mitgliedsland, und zwar der Slowenien, heißen Matija Bevk und Vasa J. Perovic und haben der Mathematikfakultät der Universität in Ljubljana einen gekonnten Aufbau verpasst. „Wir sind glücklich über den Preis“, meinten die beiden, „wir wollen aber nicht vergessen, auf unsere Auftraggeber und die vielen Kollegen in unserem Land hinzuweisen, die alle um Qualität bemüht sind, was, wie wir genau wissen, nur gemeinsam geht.“

„Warum nur“, fragte sich Richard Burdett am Rande des Geschehens, „kriegen Preise wie dieser so große mediale Aufmerksamkeit, während die eigentlichen Anstrengungen und Leistungen der Architekten keinen so wirklich zu interessieren scheinen.“

Der Standard, Sa., 2007.05.19



verknüpfte Auszeichnungen
Mies van der Rohe Award 2007

28. April 2007Ute Woltron
Der Standard

Bonbon für den Gürtel

Die alte Stollwerck-Fabrik in Wien wurde revitalisiert. Die Zutaten: privates Engagement, genaue Grundlagenstudie und eine kräftige Prise Liebe zum Projekt.

Die alte Stollwerck-Fabrik in Wien wurde revitalisiert. Die Zutaten: privates Engagement, genaue Grundlagenstudie und eine kräftige Prise Liebe zum Projekt.

An manchen Ecken Wiens kann man noch ablesen, wie es - wie man so leichthin sagt - früher einmal war. Wie sich in der Stadt das Arbeiten und Wohnen mischten, als kleine Gewerbebetriebe und große Fabriken nebeneinander existierten und gemeinsam Leben und Erscheinungsbild eines Grätzels formten. Solche Gegenden sind geprägt von Hinterhöfen und Arbeitsrampen, von großen und kleinen Industriegebäuden, man sieht unterschiedlich hohe Bebauungen und riecht Duftmelangen von Schmieröl, verarbeitetem Metall und frischen Backwaren.

Eine dieser Ecken Wiens befindet sich im Bereich um den Gaudenzdorfer Gürtel, die Margaretenstraße und die Wienzeile. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war diese Gegend, wie man heute sagen würde, ein Stadtentwicklungsgebiet ersten Ranges. Der Reihe nach entstanden teils sehr großformatige Gebäude, wie die Hauptfeuerwache und die prächtige Zentralberufsschule, die das Stadtbild dort bis heute durchaus günstig dominieren. In der Mitte als herausgeputztes Krönchen: Otto Wagners Stadtbahnstation.

Ein weiteres bemerkenswertes Haus befindet sich am Gaudenzdorfer Gürtel Nummer 43-45 und wurde seinerzeit von der renommierten und wegen ihrer süßen Produkte sehr beliebten Kölner Schokoladefabrik der Gebrüder Stollwerck als Lager- und Bürogebäude errichtet. Als Architekt zeichnete Rudolf Krausz verantwortlich. Als gewohnt profilierter Kenner der heimischen Architektur des 20. Jahrhunderts beschreibt Friedrich Achleitner das Haus der „Schokoladefabrik“ so: „Ein besonders schöner, klar konzipierter Eisenbetonbau aus der frühen Pionierzeit, bei dem bereits die reine Struktur zum bestimmenden Element der Fassade wurde.“ Tatsächlich: wenig Zuckerguss über puristischen Zutaten.

Neuerdings leuchtet besagte Fassade aus der langen Gürtelfront frisch herausgeputzt deutlich hervor: Nach vielen Jahren eher grau-traurigen Vergammelns präsentiert sich das gesamte Ensemble nun restauriert und mit neuem, flott-urbanem Leben befüllt. Aus der alten Zuckerl- und Schokoladefabrik entstand ein angenehm ungeschleckter, undesignter Gewerbebau, in dem Filmunternehmen, Künstlerinnen und Künstler, Fotografinnen, Galeristen und Theatermenschen ihren Werkestätigkeiten nachgehen.

Auch derjenige, der als privater Investor die Revitalisierung verantwortet, residiert mit seinem Unternehmen hier: Walter Asmus hat als Projektentwickler deutliche Liebe zu Architektur und Baugeschichte bewiesen, er hat das alte, verrottete Gebäude jahrelang gewissermaßen umstreift und darum geworben, bis die Zeichen schließlich günstig standen und er es um 2,9 Millionen Euro (plus Nebenkosten) erwerben und um weitere 1,5 Millionen revitalisieren konnte. Zuletzt hatte das Ensemble der Handelskette Adeg gehört, die ihrerseits aufgekauft wurde und ihren Immobilienbesitz neu organisierte, und es ist durchaus als Glücksfall zu werten, dass hier ein privater Liebhaber alter Gemäuer zugriff und nicht eines jener großen Immobilienunternehmen, die vorzugsweise mit Abrissbirnen und Bürohausplanungen zugange sind.

Denn dieses Haus hätte ganz leicht abgerissen werden können. Es steht nicht unter Denkmalschutz, und es ist auch nicht eines dieser brillanten, auffälligen Industriejuwele, die Baugeschichte geschrieben haben. Aber es ist ein ausgesprochen charmantes Beispiel ganz früher Eisenbetonarchitektur jener Prägung, wie es nur noch wenige in Wien gibt. Gut, dass es erhalten wurde, und gut, dass es nicht umgebaut, sondern lediglich von den Ablagerungen und Einbauten vieler Jahrzehnte befreit wurde.

Auf 5000 Quadratmeter Nutzfläche stehen nun prächtige Gewerbelofts mit den charakteristischen Eisenbetonstützen und -trägern im großzügigen Raster zur Verfügung. Die Belichtung - und das ist einer der Hauptvorzüge der Anlage - erfolgt fast überall von zumindest zwei Seiten. Den einzigen Wermutstropfen stellen die Fenster der Gürtelfassade dar: Die alten Industriefenster wurden seinerzeit bereits von Adeg ausgetauscht, was bedauerlich, aber unabänderlich ist, doch auch mit den neuen, zwar nicht so schönen, aber zugegebenermaßen praktischeren Fenstern kann man durchaus leben.

Walter Asmus, der selbst kein Architekt ist, bewies Sorgfalt und gutes Gefühl im Umgang mit der Substanz: Bevor er überhaupt Hand an das Zuckerlhaus legte, setzte er sich mit dem Denkmalamt in Verbindung und beauftragte den Kunsthistoriker und architekturgeschichtlich mit der Entstehungszeit bewanderten Markus Kristan mit einer umfassenden Recherche. Der fand unter anderen zahllosen interessanten Details etwa heraus, dass auch Josef Plecnik im Jahr 1910 einen Fassadenentwurf geliefert hatte, der aber wegen zu radikaler Modernität behördlich abgelehnt worden war.

Die Lofts selbst wurden „nackt“ an ihre Nutzer verkauft (Quadratmeterpreis je nach Lage von 900 bis 1350 Euro) und in Eigenregie ausgestattet. Alle sozusagen öffentlichen Details, wie das alte Eingangsportal oder das geräumige Stiegenhaus samt historischen Geländern sowie die gesamte Gebäudesubstanz wurden ohne Schnickschnack nach Möglichkeit in ihren Originalzustand versetzt und natürlich mit zeitgemäßer Haustechnik versorgt. Man ging so weit, alle aufgefundenen alten Steinfliesen, die zu erhalten waren, einzeln abzulösen und im Stiegenhaus neu zu verlegen. Auch der vormals völlig zugemüllte Keller wurde ausgeräumt, von Zwischenwänden befreit und zu einer Garage umfunktioniert.

Das gesamte Projekt kam übrigens ohne einen Cent Förderungsmitteln aus, dafür genehmigten die baubewilligenden Behörden etwas geräumigere Balkone im Hofbereich, wo sie im Übrigen ohnehin keine Menschenseele im Geringsten irritieren. Apropos: Auch die Dachzonen erhielten jene Art von begrünbaren Dachterrassen, für die private Stadtgärtner Morde zu begehen bereit sind. Das oberbelichtete Dachgeschoß mit seinen, wie Markus Kristan es nennt, „an Kleiderbügel erinnernden“ Eisenbetonträgern ist jetzt, vom Müll befreit und sauber geputzt, ein Zuckerl von einem Saal. Und ganz unten wird demnächst in einem ebenfalls klaren, großen, unkapriziösen Raum die Kinderoper Piccolino eine neue Aufführungsstätte beziehen.

Kurzum: Hier ist, abseits von Trubel und Architekturtrara, von Stadtentwicklungs- und Bauindustriegetöse, von privatem Willen und Risiko getragen, ein schönes und engagiertes Projekt fertig geworden, an dem nicht nur seine Benutzer, sondern auch alle, die täglich am Gürtel daran vorbeistauen, eine Freude haben können

Der Standard, Sa., 2007.04.28



verknüpfte Bauwerke
City Lofts in der Schokoladenfabrik

31. März 2007Ute Woltron
Der Standard

Herzstücke am Fließband

Pulsierendes Shopping-Leben in alten Stadtzentren verspricht Europas größter Mall-Bauer ECE. Wo historische Substanz fehlt, wird sie - wie eben in Braunschweig - ruck, zuck rekonstruiert. Nächste Stationen: Innenstadt Graz und Westbahnhof Wien

Pulsierendes Shopping-Leben in alten Stadtzentren verspricht Europas größter Mall-Bauer ECE. Wo historische Substanz fehlt, wird sie - wie eben in Braunschweig - ruck, zuck rekonstruiert. Nächste Stationen: Innenstadt Graz und Westbahnhof Wien

Die historische Stadt - sie ist unser europäisches Erbe. Und ja! - wir sind unendlich stolz darauf. Denn wir sind ein Kulturkontinent, und aus der Höhe dieses Erbes pflegen wir arrogant herabzublicken auf die amerikanische Mall-Unkultur an den Peripherien der US-Städte, auf diese traditionslosen Shoppingtempel stumpfen Fritten- und Fetzenkonsums.

Denn wir Europäer sind ganz anders, wir shoppen nicht in Tempeln, sondern in Schlössern - oder der zumindest in Konstruktionen, die vorgeben, solche zu sein.

Wie zum Beispiel in Braunschweig, einer Stadt großer Tradition und provinzieller Gegenwart. Dort wurde vergangenen Donnerstag eines der absurdesten Projekte der europäischen Baugeschichte eröffnet: Wo einst das klassizistische Stadtschloss stand, erhebt sich nun, in Sandstein rekonstruiert, dessen Fassade. Ein denkmalpflegerisches Fiasko. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein gewaltiges Shopping-Zentrum mit etwa 35.000 Quadratmetern, knapp 15.000 weitere Quadratmeter sind feigenblattartig städtischen Kultureinrichtungen wie der Stadtbibliothek vorbehalten. Die zuständigen Stadtplaner schwärmen reichlich unverfroren von der Symbiose zwischen Hochkultur und Kommerz.

Dabei war das Projekt von Beginn an höchst umstritten. Eine „skandalöse Vermischung von Kulissenarchitektur und Kommerznotwendigkeiten“, ortete wutschnaubend der Kunsthistoriker Nikolaus Bernau, ein „Königreich namens Konsum“ der Zeit-Architekturkritiker Hanno Rauterberg. „Ganz Europa lacht über uns“, sagt der Braunschweiger Architekt Holger Pump-Uhlmann.

Das Unternehmen, das hier im Dienste der Rendite Rekonstruktionsarchäologie betrieb, ist Europas größter Shoppingmall-Spezialist. Die Hamburger ECE Projektmanagement G.m.b.H. & Co. KG setzt nach eigenen Angaben mit 90 Malls und 9200 Mietpartnern 10,4 Milliarden Euro um. 20 weitere Projekte befinden sich in der Pipeline. Dazu gehören zwei in Österreich: Graz soll bis 2009 mit der StadtGalerie in der Annenstraße ein „neues Herzstück“ bekommen, und in Wien wird die ECE die „Projektoptimierung und Vermietung“ des denkmalgeschützten Westbahnhofs übernehmen. Geplanter Start ist 2008. Die City-Arkaden in Klagenfurt wurden bereits im Vorjahr eröffnet.

ECE-Boss Alexander Otto, 39-jähriger Spross der gleichnamigen Handelskette, bezeichnet die Shoppingmall zu Braunschweig nun als „eines der spektakulärsten Wiederaufbauprojekte in Deutschland“ und will die Kulissenschieberei als „neues Wahrzeichen“ der Stadt und als „Schloss für alle Bürger“ verstanden wissen. Eine Shoppingmall hinter schamlos gefälschten Fassaden als Wahrzeichen im Herzen der historischen Stadt zu empfinden bedeutet den kulturellen Niedergang der Sonderklasse.

Den Hamburger Einkaufsprofis ist - auf den ersten Blick - kaum ein Vorwurf zu machen. Sie gehen höchst erfolgreich und professionell ihrem Geschäft nach. Erstaunlich ist allerdings, wie bereitwillig sich Stadtplaner und Stadtverantwortliche dem Kommerzdenken unterwerfen. Denn sie handeln mit einem Gut, das sie lediglich verwalten, das ihnen aber nicht gehört: mit der Aura und der Authentizität der oftmals über Jahrhunderte gewachsenen Stadt. Sie operieren quasi mit der Axt am offenen Herz.

So sieht das auch eine ganze Riege von Architekten, Stadtplanern und Kunsthistorikern, die angesichts des heuschreckenartigen Abgrasens der Innenstädte vor Kurzem das ausgesprochen empfehlenswerte Buch Angriff auf die City (Verlag Droste) herausgebracht haben.

Mitherausgeber, der Architekt Walter Brune, der Erfahrung mit behutsam implantierten Einkaufszonen im gewachsenen Ensemble hat und deshalb genau weiß, worum es geht, schreibt darin: „Auch die Investoren, die euphorisch erklären, sie wollten mit ihren Projekten die Innenstädte beleben, sind nichts anderes als Pharisäer, die in Wirklichkeit genau das Gegenteil des Gesagten verursachen, und sie wissen dies. Um ihre Konzerne immer größer wachsen zu lassen, werden die Zentren der Innenstädte skrupellos von guten Einzelhandelsgeschäften leergefegt.“

Unappetitlich sei, so Brune, auch die Strategie der öffentlichen Meinungsbildung über Anzeigenkampagnen, also die „geübte Praxis, in einer örtlichen Zeitung über einen Zeitraum von zwei Jahren nach der Eröffnung bis zu 500 ganzseitige Anzeigen für eine positive Berichterstattung zu schalten“. Denn: „Auch teure Anzeigenkampagnen gehören immer zum Handwerk der Projektentwicklung.“ Gegenüber der Wochenzeitschrift Die Zeit meinte der 80-jährige Architekt: „Ich bin ein Wissender, und ich bin wütend. Die Politiker machen Städte, die in 1000 Jahren gewachsen sind, in wenigen Jahren kaputt.“

Tatsächlich hat sich anhand anderer neuer innenstädtischer „Herzen“ erwiesen, dass traditionelle Einkaufsstraßen nach deren Implantation deutliche Pulsverlangsamungen erfahren mussten. Nach der Eröffnung des ECE-„Schlosspark-Zentrums“ in Schwerin musste laut einer Studie der Universität Greifswald der umliegende Einzelhandel Umsatzeinbußen von durchschnittlich 39 Prozent hinnehmen. Die Leerstände in der Innenstadt verdoppelten sich innerhalb von zwei Jahren auf 6800 Quadratmeter.

Es erstaunt nicht weiter, dass die Otto-Tochter die Publikation „Angriff auf die City“ als Frontalattacke auf sich selbst empfand und mit einer stattlichen Riege von gleich zehn Anwälten gegen eine Anwältin des Verlags zur Klage schritt. Von 58 strittigen Punkten bekam man jedoch lediglich in sieben Recht. Teilweise handle es sich dabei allerdings um Sachverhalte, die sich während der Drucklegung verändert hatten, gibt Mitherausgeber und Architekt Holger Pump-Uhlmann zu bedenken. In seinem Kapitel über das Braunschweiger Stadtschloss schreibt er: „Die Bebauung des Schlossparks mit einem 800.000 Kubikmeter großen Bauvolumen sprengt den vorhandenen städtebaulichen Maßstab Braunschweigs und beeinträchtigt die Wohn- und Lebensqualität der in Parknähe lebenden Menschen.“ Das gesamte Bauunterfangen war von diversen Prozessen begleitet, die jedoch allesamt abschlägig behandelt wurden, was, wie der Architekt meint, das „Rechtsempfinden vieler Bürger der Stadt schwer verletzt“ habe. Laut einer Umfrage im Jahr 2005 hatten sich 71 Prozent der Braunschweiger gegen das Projekt ausgesprochen, lediglich zwölf Prozent befürworteten es. Die Studie, so Pump-Uhlmann, wurde wohlweislich unter Verschluss gehalten.

Übrigens hatte es zu Beginn sogar einen Architekturwettbewerb für die Braunschweiger-Schloss-Expedition in die Vergangenheit gegeben, den die renommierten Architekten Grazioli-Muthesius gewannen. Heute ist von ihnen nirgendwo mehr die Rede.

Wie die Zukunft des denkmalgeschützten Wiener Westbahnhofs ausschauen wird, dessen Umfeld ebenfalls nach den Resultaten eines längst gelaufenen Wettbewerbs entwickelt werden soll, bleibt derweil offen. Neumann & Steiner hatten mit ihrem Entwurf überzeugt, laut Heinz Neumann laufen die Gespräche mit der ECE derzeit bereits auf Hochtouren und seien als „höchst professionell“ zu bewerten.

Abschließend darf bemerkt werden, dass die von der Architekturgilde oft als zu rigid, zu streng, zu altmodisch beurteilten heimischen Denkmalschützer tatsächlich nicht kräftig genug unterstützt werden können. Denn wenn schon nicht die Stadtplaner, so haben wenigsten sie bis dato dafür gesorgt, dass ähnliche Fiaskos, wie sie manche bundesdeutsche Stadtzentren in jüngerer Vergangenheit hinnehmen mussten, vermieden wurden.

Der Standard, Sa., 2007.03.31

24. März 2007Ute Woltron
Der Standard

Einer für alle, alle für einen

Architektur und Städtebau müssen Res publica, also Gemeinschaftssache, bleiben

Architektur und Städtebau müssen Res publica, also Gemeinschaftssache, bleiben

Es sei alles sehr schwierig, hat Fred Sinowatz am Zenit seiner politischen Karriere einstmals geseufzt, und kein anderer Satz ist glaubhafter, wenn es um Politik geht. Politik - das ist bekanntlich in humanistischer Übersetzung die „Stadt“, die „Gemeinschaft“, und Architektur und Städtebau sind ein vitales Element dieses Zusammenlebens.

Um die Stadt zu bauen, zu pflegen, zu erneuern braucht man zum einen Geld, zum anderen Know-how - und um das alles sinnvoll zu kombinieren, müssen unbedingt klug gesteckte und von beiden Seiten einzuhaltende Spielregeln gelten. Für Letztere ist die Politik zuständig, doch die, so meinen die Architekten als Know-how-Träger dieser Tage, würde sich den globalisierten neoliberalen Erosionen des Kapitals immer bereitwilliger beugen.

Ein konkreter Anlass für den Unmut in der Planerzunft ist ein Interview, das Wiens Planungsstadtrat Rudolf Schicker eben der Fachzeitschrift Architektur&BAUforum gegeben hat und das, so Vertreter der Kammer der Architekten sowie der IG-architektur, in mehreren Punkten allzu sehr als Kniefall vor dem Investorentum zu verstehen sei. Die städtebauliche Deutungshoheit des Immobilienmarktes, so heißt es in einem bei Redaktionsschluss noch nicht veröffentlichten Papier, habe stellenweise ein bedrohliches Ausmaß angenommen, die Gesetze des Kommerzes würden denn auch stärker denn je im Stadtbild hervortreten.

Vor allem sorgt aber die Ankündigung des Wiener Planungschefs, fünf dringend anstehende Schul- und Kindergartenneubauten in Eigenplanung umzusetzen, für heftigen Unmut. Dem Standard gegenüber erklärte Schicker diesen Entschluss damit, dass man die Planungskompetenzen in den eigenen Reihen (also in der MA19) stärken und gewissermaßen schulen wolle, denn: „Es macht doch Sinn, wieder einmal zu schauen, was die Planer, die Architekten in der 19er selber können.“

Man wolle damit keineswegs das Planungshonorar einsparen, sondern an der Qualitätssicherung arbeiten, damit jene im Magistrat, „die den anderen Architekten Rat geben sollen, auch selber wieder die Erfahrung machen, wie das funktioniert“. Schicker: „Ich habe immer Schwierigkeiten damit, wenn einer bei Aufgaben, die er nie selbst bewerkstelligt hat, das G'scheiterl spielt. Ein bisschen Berufserfahrung sollte da sein, also das Wissen und die Erfahrung im Magistrat, wie man eine Bauführung macht und was alles passieren kann, bis das Projekt steht.“

Dagegen ist nichts einzuwenden, doch warum diese Erfahrung ausgerechnet in so heiklen und anspruchsvollen Bauaufgaben wie Schulen und angeschlossenen Kindergärten gesammelt werden soll, konnte Schicker nicht ausführen. Und auch der Chef der Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Georg Driendl, ist eher ratlos: „Im Schulbau geht es darum, Kindern eine Umgebung zur Verfügung zu stellen, die für das ganze Leben prägend ist. Gerade in diesem Bereich sollte also ein verantwortungsvoll agierender Politiker die Spitzen der Planungszunft zurate ziehen und diese Projekte nicht einer Abteilung überlassen, die so etwas nie zuvor gemacht hat.“

Die Umsetzung selbst übernimmt die MA39, denn gleichzeitig, so Schicker, wolle man „testen, wie qualitätsvolle Architektur zu günstigen Kosten herstellbar“ sei. Und genau diese Aussage dürfte die Architektenzunft besonders wurmen, denn um eben diese qualitätsvolle Architektur zu erschwinglichen Preisen herzustellen - was sozusagen die Kernaufgabe fähiger Architektinnen und Architekten ist - braucht es vor allem eines: den präzisen Auftrag und paktfähige Auftraggeber. Die werden allerdings häufig vermisst.

Während manche Fraktion der Architekten und der Kammer nun auf öffentliche Konfrontation drängt, will Georg Driendl lieber den moderaten und seit der Erfindung der „Polis“ probaten Weg der Kommunikation einschlagen. Man habe den Vertretern der Stadt immer wieder die Zusammenarbeit angeboten, meint er, zum Beispiel was Wettbewerbsvorbereitungen, aber auch rasche Lösungen von dringend anstehenden Aufgaben anlange, wie etwa der nun erforderlichen Schulprojekte.

Auch wenn Rudolf Schicker nun fast störrisch meint, die Kammer habe „sehr wichtige und wertvolle Aufgaben, aber Entscheidungen, die die Stadt betreffen, trifft sie schon selber“, so ist das zum einen eine undemokratische Äußerung, und zum anderen wäre es doch klug, dieses Angebot anzunehmen und sich rasch an einen Tisch zu setzen. Denn gemeinsam gefundene Lösungen sind die besseren und die haltbareren.

In seinem Artikel „Alternativen statt Korrekturen“ beschreibt der französische Attac-Chef Jacques Nikonoff in größerem, jedoch ebenso auf Städtebau, Architektur und Immobilienindustrie zutreffendem Zusammenhang den zunehmenden Konkurrenzkampf um Wirtschaftsstandorte: „Viele Lokalpolitiker haben sich mit dieser Logik abgefunden und betreiben statt einer Ausweitung der Demokratie nur noch die Verwaltung dieser Zustände.“ Doch sei es vielmehr „entscheidend, das Phänomen der Globalisierung genau zu verstehen, denn nur so wird man ihm mit geeigneten und realistischen Strategien beikommen“. In diesem Zusammenhang sei es hilfreich, „den Begriff der ,Alternative' zu präzisieren“. Und zwar gemeinsam.

So, wie die Wiener Stadtplanung nun in Eigenregie Erfahrungen sammeln will, die viele und vielfach unterbeschäftigte Architektinnen und Architekten längst haben, so könnten laut Nikonoff die anderen wiederum „viel von den Politikern lernen. Denn diese sind mit den Arbeitsweisen der Institutionen am besten vertraut und kennen zumindest durch ihr Aktenstudium den realen Alltag aus einer Nähe, zu der man nicht ohne Weiteres Zugang bekommt.“

Beste Devise also: Einer für alle, alle für einen - und dieser eine ist die Architektur für uns alle.

Der Standard, Sa., 2007.03.24

24. März 2007Ute Woltron
Der Standard

Internationalität gefragt

Das Peek-&- Cloppenburg-Haus in Köln stammt von Renzo Piano, das in der Kärntner Straße wird entweder David Chipperfield, Richard Meier, Raphael Moneo oder Edouardo Souto de Moura bauen.

Das Peek-&- Cloppenburg-Haus in Köln stammt von Renzo Piano, das in der Kärntner Straße wird entweder David Chipperfield, Richard Meier, Raphael Moneo oder Edouardo Souto de Moura bauen.

Gut geheim gehalten wurde die Vorbereitung für ein Projekt, das zu den interessantesten Architekturunterfangen der näheren Zukunft werden könnte: Ein geladener Wettbewerb für ein neues Kaufhaus der deutschen Kette Peek & Cloppenburg in der Wiener Kärntner Straße wird kommenden Mittwoch entschieden. Den Block zwischen Himmelpfortgasse und Johannesgasse werden entweder David Chipperfield (London), Richard Meier (New York), Raphael Moneo (Madrid) oder Edouardo Souto de Moura (Porto) mit einem „Weltstadthaus“ bestücken.

Peek & Cloppenburg sind für anspruchsvolle Architektur bekannt, sie haben etwa bereits mit Renzo Piano in Köln ein ausgezeichnetes Kaufhaus gebaut. Warum für das Wiener Projekt keine hiesigen Architekturgrößen eingeladen wurden und warum es keinen offenen Wettbewerb gab, begründet Jurymitglied Rudolf Schicker so: „Es handelt sich um ein privates Investment, aber Cloppenburg war bereit, unseren Wünschen nach einem geladenen Verfahren entgegenzukommen. Wir haben in unserer Stadt viele gute Architekten, aber relativ wenige aus dem Ausland bauen hier. Wir haben also gemeinsam beschlossen, dass es Sinn macht, nur Ausländer einzuladen.“

Ob es Widerstände seitens der - auch in architektonischer Hinsicht konservativen - Bezirksvorstehung geben könnte, sei nicht abschätzbar, man kenne die Projekte noch nicht. Doch, so Schicker, sei das eine „interessante Situation“ und auch nicht frei von „sportlichem Reiz“. der Standard wird über das Siegerprojekt natürlich berichten.

Der Standard, Sa., 2007.03.24

27. Januar 2007Ute Woltron
Der Standard

Viktor Hufnagl 1922-2007

Am Dienstag starb mit dem Architekten Viktor Hufnagl eine Persönlichkeit, die die österreichische Architekturwelt stark geprägt und in Richtung internationaler...

Am Dienstag starb mit dem Architekten Viktor Hufnagl eine Persönlichkeit, die die österreichische Architekturwelt stark geprägt und in Richtung internationaler...

Am Dienstag starb mit dem Architekten Viktor Hufnagl eine Persönlichkeit, die die österreichische Architekturwelt stark geprägt und in Richtung internationaler Modernität getrieben hat.

Hufnagl war keiner, der am Detail klebte, für ihn war das übergeordnete Konzept eines Gebäudes oder eines Stadtteils ausschlaggebend. Vor allem sein völlig neues Konzept der Hallenschule, das er etwa in Weiz und in Wörgl umsetzte, machte ihn auch international bekannt. Die in den 70er-Jahren entstandenen Schulgebäude machen sein Anliegen deutlich: Sie fassten in ihrer räumlichen Offenheit, Helligkeit und Luftigkeit moderne pädagogische Prinzipien in Architektur und ließen so neue Unterrichtszugänge erst zu.

Museen und Parlamente, so hatte er stets gemeint, seien die Bauaufgaben des 19. Jahrhunderts gewesen, die wichtigen Anliegen heute seien die Bildungs- und Wohnbauten.

Neben dem Schulbau war denn auch der Wohnbau das zweite wichtige Thema des Architekten. Als eine seiner besten Arbeiten gilt die Wohnhausanlage in der Wiener Gerasdorfer Straße. Im Fall der großformatigen Siedlung am Schöpfwerk war er für das städtebauliche Konzept verantwortlich, das Projekt wurde jedoch durch den späteren Bau der knapp daneben verlaufenden Südosttangente und nicht zuletzt durch fehlgeschlagene Belegungspolitik in der Folge diskreditiert.

Hufnagl war mit vielen Künstlern befreundet, unter anderem eng mit Thomas Bernhard. Er stammte aus dem Salzkammergut, hatte bei Clemens Holzmeister studiert und sich in Wien niedergelassen, wo er ab den 60er-Jahren die Architekturdebatte mitbestimmte. Nach einem offenbar inspirierenden Vortrag von Le Corbusier gründete er 1965 kurzentschlossen die Österreichische Gesellschaft für Architektur, er initiierte und gestaltete wichtige Bau-Ausstellungen und zog nicht zuletzt in seinem Büro namhaften Nachwuchs heran, wie etwa Hermann Czech, Albert Wimmer, Otto Häuselmayer und Manfred Nehrer.

Letzterer über seinen ehemaligen Chef: „Er war ein liebenswürdiger, wortgewaltiger Humanist und ein Universalist, der sich mit allen Aspekten der Architektur und der Gestaltung intensiv befasst hat. Es war sicher einer der Großen, der hier abgegangen ist.“

Der Standard, Sa., 2007.01.27



verknüpfte Akteure
Hufnagl Viktor

20. Januar 2007Ute Woltron
Der Standard

Gute Nacht Baukultur

Auch für diese Regierung ist die Kultur des Bauens kein Thema. Wenn die Architektur nur Kunst und das Bauen lediglich Wirtschaft ist, kann alles nur schief gehen. Aber noch könnte umgedacht und gemeinschaftlich agiert werden.

Auch für diese Regierung ist die Kultur des Bauens kein Thema. Wenn die Architektur nur Kunst und das Bauen lediglich Wirtschaft ist, kann alles nur schief gehen. Aber noch könnte umgedacht und gemeinschaftlich agiert werden.

Um zu zeigen, wie umfassend das Thema Architektur und Bauen betrachtet werden sollte, ein aktuelles Beispiel aus Großbritannien: Dort werden, wie überall in den reichen Ländern, die Leute immer fetter. Das ist nicht nur ungesund, sondern volkswirtschaftlich betrachtet auch teuer. Ein Vorschlag, wie dem zumindest entgegengewirkt werden könnte, stammt nun von der „Commission for Architecture and the Built Environment“, kurz CABE, die als Gouvernment Advisory Board die britische Regierung umfassend in Sachen Planen und Bauen berät.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass Stadtteile und Gebäude, die fußgängerfreundlich sind, von den Menschen sehr wohl angenommen werden. Autos bleiben stehen, Leute gehen. Planer und Auftraggeber, so CABE, sollten also dringend dazu aufgefordert werden, attraktive Fuß- und Radwege in ihren Projekten zu berücksichtigen. In Bürogebäuden muss es künftig mehr Abstellplätze für Fahrräder geben, Stiegenhäuser sollten keine versteckten Feuertreppen, sondern benutzbare Vertikalverbindungen sein, adäquat gestaltete städtische Freiräume sollten zur Bewegung im Freien anregen. „Wir wollen das Verhalten der Menschen verändern“, so eine CABE-Sprecherin gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian, „doch das ist sehr schwierig, wenn die gebaute Umwelt sie dazu erst gar nicht ermutigt.“

Dieses Beispiel, das im Übrigen durch Statistiken und Case-Studies untermauert ist, soll veranschaulichen, dass es in der Architektur nicht um Kunst geht oder um gebaute Schönheit für viel Geld. Es geht vielmehr um das maß- und zielvolle Planen der Umwelt, in der wir alle zu Hause sind und die ein kompliziertes, vernetztes System darstellt, an dem beileibe nicht nur Architektinnen und Architekten mitplanen.

Schon allein aus diesem Grund ist es völlig unverständlich, dass eine Nation wie Österreich auf diesem wichtigen Gebiet nicht einmal andeutungsweise einen Plan aufzuweisen hat. Die Baukultur, für die in grauer Vergangenheit immerhin einmal ein eigenes Ministerium zuständig war, wurde im Regierungsprogramm in Form eines einzigen, kurzen, unverbindlichen Satzes dem Bildungs- und Kunst-Ressort zugeschoben und steht dort nun verloren als Randbemerkung neben den (zu Recht) verheißungsvoll wieder aufstrebenden Sparten Film, Theater, bildende Kunst etc.

Dabei handelt es sich um ein verhängnisvolles, hierzulande jedoch mittlerweile traditionsreiches Missverständnis: Architektur gilt als gebauter Luxus, sie wird betrachtet als Spielerei, als Liebhaberei und Angeberei für Leute und Unternehmen, die sich das leisten wollen. Kurzum: Der Begriff Architektur ist mittlerweile so pervertiert und auf Formspielerei reduziert, dass er nichts Geringeres als mit sofortiger Wirkung abgeschafft und durch Gehaltvolleres ersetzt gehört. Durch den Begriff Baukultur zum Beispiel.

Tatsächlich wäre die österreichische Bauwirtschaft mitsamt allen Fachbereichen als kulturträchtiges Gesamtes zu betrachten - und sofort stellt sie eine außerordentlich zugkräftige Maschine dar. Rund 30 Milliarden Euro werden jährlich in den Bau investiert, was einem Anteil von 11,7 Prozent der Gesamtwirtschaft entspricht. In der Bauwirtschaft arbeiten rund 8,2 Prozent aller Erwerbstätigen, und rechnet man alle vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche mit ein, ist dieser Sektor einer der wichtigsten Wirtschaftsbereiche und Arbeitgeber überhaupt.

In einer Studie des Wifo, die Teil eines bis dato unveröffentlichten nationalen „Baukulturreports“ ist, steht geschrieben: „Bauinvestitionen sind nicht nur bedeutend für Wachstum und Beschäftigung, sie sind auch ein entscheidender Faktor für den Wirtschaftsstandort und prägen die Lebensqualität und das kulturelle Umfeld eines Landes. Abgesehen vom hohen wirtschaftlichen Beitrag am Bruttoinlandsprodukt beeinflusst die Bauwirtschaft auch nachhaltig das Gesellschaftsleben.“ Und: „Im Gegensatz zu anderen produzierenden Wirtschaftsbereichen wirkt sich das Bauwesen langfristig auf die Umwelt und die sozialen und kulturellen Lebensbedingungen aus.“

Dazu kommt: „Die Bauwirtschaft ist wesentlich an der Vermögensbildung beteiligt. Rund 70 Prozent des gesamten Anlagevermögens Österreichs sind Bauten, die von der Baukultur und Bauarchitektur wesentlich geprägt sind.“

Im Regierungsprogramm steht nichts darüber zu lesen, wie mit diesem Anlagevermögen umgegangen werden soll, wie es verbessert, ausgebaut, optimiert werden könnte, und es ist geradezu eine Verhöhnung der gesamten Planerschaft und letztlich der sich täglich im gebauten Umfeld bewegenden Bevölkerung, wenn dafür im Bereich Wirtschaft zum Zwecke der touristischen Ankurbelung „die Schaffung eines Museums über die Geschichte der Habsburger im Schloss Schönbrunn“ sowie eine „Weiterführung des alpinen Schutzhüttenprogramms“ vorgesehen ist.

Der Architekt Georg Driendl, Häuptling der mächtigsten Architektenkammer Wien, Niederösterreich, Burgenland, nimmt das alles gelassen „zur Kenntnis“, meint aber: „Wenn jeder Bereich so dermaßen unkontrolliert und unkoordiniert abläuft wie das Bauwesen, na, dann Gute Nacht.“

Vor knapp zwei Jahren hatten die Planer und Planerinnen dieses Landes einen ersten Anlauf unternommen, im Rahmen einer parlamentarischen Enquete die Regierung ein wenig aufzurütteln und für die Thematik affin zu machen. Das Parlament beauftragte sodann immerhin das damals für Architekturbelange noch zuständige Bundeskanzleramt mit der Anfertigung einer breit angelegten Studie - des vorhin bereits erwähnten so genannten „Baukulturreports“. Das Bundeskanzleramt delegierte, eine ARGE Baukulturreport nahm die Arbeit auf, eine Vielzahl von Experten recherchierte, und vergangenen November wurde die rund 300 Seiten starke Expertise in säuberlich gelayouteter, bebilderter und mit Tabellen gespickter Form übergeben. Allerdings nicht dem Auftraggeber Bundeskanzleramt, sondern der im Wirtschaftsministerium für Tourismusbelange zuständigen Sektionschefin Elisabeth Udolf-Strobl - denn der für Kunst und auch Architektur im BKA verantwortliche Staatssekretär Franz Morak war bekanntlich mittlerweile wahlbedingt in statu abeundi.

„Der Baukulturreport ist sehr schön und gut geworden“, sagte Udolf-Strobl nun dem Standard gegenüber, wie allerdings damit weiterverfahren werden solle, könne sie noch nicht sagen. Sie erwarte jedoch, dass „derjenige Ressortchef, der zuständig sein wird“, das Thema bei Gelegenheit wieder aufgreifen werde.

Nur: Wann, wenn nicht jetzt bietet sich die Gelegenheit? Und: Wer ist zuständig? Derweil niemand. Doch das war nicht immer so. Dem in Nachkriegs- und Wiederaufbauzeiten erforderlichen Bautenministerium folgte nach dessen Abschaffung zumindest eine eigene Sektion im Wirtschaftsministerium (mit legendär persönlichkeitsstarken Sektionsleitern), die nach Auslagerung der bundeseigenen Gebäude in eigene Gesellschaften (BIG, Burghauptmannschaft) ersatzlos gestrichen wurde.

Im Baukulturreport wird denn auch die dringende Schaffung einer eigenen Stabstelle für planerische Belange aller Art gefordert. So könnte etwa ein Staatssekretariat Anlaufstelle für Standesvertretungen, Gebührenordungen etc. sein, denn zu tun gäbe es genug. Wer koordiniert etwa buchstäblich staatstragend die dringend erforderliche Vereinheitlichung der neun unterschiedlichen Bauordnungen, die die Nation wahrlich nicht notwendig hat?

Doch noch ist nicht aller Legislaturperioden Abend, und wenn die Bundesregierung, wie sie propagiert, im Dienste der Verbesserung der Lebensumstände der Menschen angetreten ist, werden sich alsbald klar denkende Politiker dieses fruchtbaren, wirtschaftskräftigen, zukunftsstrotzenden Gebietes lustvoll annehmen.

Der Baukulturreport liegt vor. Er ist kein Jammerpapier einer handverlesenen Gruppe frustrierter Architekten, sondern ein konstruktives Konvolut, das mit einer ganzen Reihe von Empfehlungen und Verbesserungsvorschlägen aufwartet. Er müsste nur erstens gedruckt, zweitens veröffentlicht, drittens gelesen, viertens verstanden und fünftens in kleinen, energischen Schritten gemeinsam umgesetzt werden.

Georg Driendl als Architektenvertreter steht nicht allein da, wenn es für ihn „unverständlich“ ist, „dass sich niemand in der Regierung um die Baukultur als Gesamtheitliches kümmert.“ Denn: „Wenn man in dieser Materie arbeitet, weiß man, dass alles zusammenhängt, vom Straßenbau, der Bahn, dem Wohn- und Industriebau bis hin zum Einfamilienhaus.“ Und sogar dem Gesundheitssystem, wie die britischen Kollegen eben vital vorhüpfen.

Der Standard, Sa., 2007.01.20

16. Dezember 2006Ute Woltron
Der Standard

Eine Frage der Wertschätzung

Die Schlüsselübergabe des von Adolf Krischanitz und Alfred Grazioli geplanten Museum Rietberg in Zürich war lediglich ein Formalakt - allerdings einer der kulturpolitischen Spitzenklasse, der allem Hohn spricht, was hier zu Lande in Sachen Bau, Kunst und Politik abgeht.

Die Schlüsselübergabe des von Adolf Krischanitz und Alfred Grazioli geplanten Museum Rietberg in Zürich war lediglich ein Formalakt - allerdings einer der kulturpolitischen Spitzenklasse, der allem Hohn spricht, was hier zu Lande in Sachen Bau, Kunst und Politik abgeht.

Schauplatz Zürich: Am Nachmittag des vergangenen Donnerstags versammelten sich 300 Menschen unter waschseideblauem Herbsthimmel vor der Villa Wesendonck in Zürich-Enge. Das Mitte des 19. Jahrhunderts ohne Rücksicht auf etwaige (und nie eingetretene) finanzielle Verluste gebaute Haus für den Industriellen Otto Wesendock und seine Frau Mathilde liegt anmutig hoch über der Stadt. Allein der Blick auf den Zürichsee ist - und zwar genau im Sinne des Wortes - unbezahlbar, die alten Baumriesen des wohlgepflegten Parks stehen wie alles hier unter strengem Denkmalschutz.

Die Menschen waren deutlich freudig erregt. Grüazis flogen hin und her, im Festzelt an der Flanke des Hauses wurde Wein eingekühlt und weiße Tischwäsche ausgebreitet, es erschien ein aufgeregt rotbackiger Zeremonienmeister und verkündete, dass es nun gleich ernst würde: Die neuen Museumsräumlichkeiten könnten unter der Führung der Architekten erstmals besichtigt werden, und das sei ein feierlicher, ein wunderbarer Moment.

Als der österreichische Architekt Adolf Krischanitz und sein Schweizer Projektpartner Alfred Grazioli vor drei Jahren den Wettbewerb zur Erweiterung des seit 1952 in der Villa untergebrachten Museum Rietberg gewannen, dachten alle mit dem traditionellen Denken der österreichischen Baukulturatmosphäre Geschlagenen, es würde sowieso mindestens ein Dutzend Jahre verstreichen, bis man das Projekt realisiert werde besichtigen können. Wenn es überhaupt je gebaut würde! Doch Schau- und Bauplatz ist eben die Schweiz, und dass die Uhren hier anders ticken, hat Tradition.

Aber wie anders, nämlich mit Freude, Genuss und Wertschätzung der Umgang mit Architektur, mit Planern, mit Kulturpolitik - und natürlich auch mit Geld gepflegt werden kann, ist atemberaubend. Denn das uns hier zu Lande umgebende politische Hickhack umwabert unser aller Denken mittlerweile in einer derart niveaulosen Dichte, dass jeder Blick in klarere Gefilde die Erbärmlichkeit der derzeitigen österreichischen Entscheidungträgerschaft auf allen Ebenen schlagartig und äußerst schmerzhaft vor Augen führt. Und die Baukultur ist einer der unbestechlichen Maßstäbe jeder Nation, sie gibt dreidimensional Auskunft darüber, wie die Aktien des Landes stehen.

Kathrin Martelli, die das Hochbaudepartement der größten Stadt der Schweiz leitet, erklomm das Podium. Sie verlieh ihrer sichtbaren Freude Ausdruck, dieses Projekt vollendet zu sehen: Es sei von den Parteien einstimmig befürwortet worden, von Stadt, Kanton und Investoren finanziert, von vorzüglichen Architekten geplant und umgesetzt und von einem engagierten Museumsdirektor getragen. Doch damit sei es noch lange nicht getan, noch andere Projekte seien notwendig, um den Wirtschafts- und Kulturstandort Zürich zu sichern und aufzuwerten. Man wolle sie alle ehebaldig in Angriff nehmen. „Doch wenn ich jetzt die gesamte Liste aufzuzählen beginne“, scherzte die energische Dame, „ist der Wein verdunstet, den wir ja eigentlich gleich trinken wollen.“

Sodann ergriff mit Elmar Ledergerber der vitale Stadtpräsident Zürichs wohlgelaunt das Wort. Er bedankte sich ebenfalls nicht zuletzt nachdrücklich bei den Architekten und vergaß auch nicht zu betonen, dass alle Investitionen in wichtige Kulturbauten selbstverständlich nicht zuletzt im Dienste der Rendite stünden. Denn jedes eingesetzte Fränkli würde - das sei erwiesen - dreifach wieder zurückrollen: „Die Gäste kommen ja nicht nur hierher, um sich das Museum anzuschauen und reisen aus Zürich gleich wieder ab.“ Und er sei gerne dazu bereit, die mit Beweisen und Statistiken gespickten Berechnungen auch der Regierung in schriftlicher Form quasi aufmunternd zu unterbreiten. Die 300 geladenen Gäste wandten der alten Villa nunmehr den Rücken zu und betrachteten das gegenüber gelegene schlanke und vollständig aus Glas konstruierte Solitärgebäude - die neue Schwelle zum Eingang in die vollständig unter der Erde untergebrachten Erweiterungshallen.

Krischanitz und Grazioli haben mit diesem Museum eine feine Spange zwischen Zeiten und Kulturen gespannt. Das Museum Rietberg beherbergt eine der wichtigsten Asiatica-Sammlungen der Welt, und dass den kostbaren Buddhas und Elefantengöttern vergangener Epochen das Tageslicht abträglich ist, geriet hier zum Vorteil. Auf zwei Ebenen gräbt sich das Museum nun in den Berg und unterhöhlt unsichtbar bis in eine Tiefe von fast 15 Metern die alte Villa und das vorgelagerte Gelände.

Der neue Eingang führt durch den Glassolitär, der, dem Museumsgegenstand entsprechend, kultisch-mysteriös als Schwelle in metaphysische Dimensionen ausgeformt wurde. Ein irisierendes, weil mehrschichtiges und sich dadurch bei Bewegung fast verflüssigendes Muster aus grünen, in das Glas eingebrannten Dreiecken leitet sich von der Kristallstruktur des Smaragds ab und schafft die entsprechende Atmosphäre. Im dahinter gelegenen Foyer stäubt durch eine Decke aus zweieinhalb Zentimeter dicken Onyx-Steinplatten cremefarbenes Licht in den Raum, die hintere Wand wurde vom Künstler Helmut Federle zu einem altarartigen Monument aus Beton geformt.

Zwei Stiegenhäuser erschließen die beiden ausgedehnten Ausstellungsebenen unter der Erde: Eines führt hier im Foyer hinab in die Unterwelt, das zweite leitet die Besucher auf der gegenüber gelegenen Seite hinauf direkt in die traditionellen Ausstellungsräume der Villa. Beide sind in unendlich sorgfältiger Tischlerarbeit wie große Möbelstücke - oder Instrumente - in Eichenholz ausgeführt. Jeder Schritt in diesen Resonanzkörpern ist wohltönend wie die gemessenen Tritte japanischer Priester in uralten Tempeln. Die Treppenwände sind luftige Holzgitter, durch feine, versenkte Messinggitter fließt honigfarbenes Licht auf die Stufen.

Die Ausstellungsebenen sind nach einem Eins-zu-drei-Raster gegliedert. Um je eine große zentrale Halle pro Geschoß gruppieren sich Themenräume für die jeweils gezeigten Exponate. Sanftes Licht spielt auch hier eine wesentliche Rolle: Zum einen dringt es durch eine zart gefältelte Decke aus weißen Polycarbonat-Elementen, die aussieht, als habe sich ein Riese mit der japanischen Kunst des Origami spielerisch die Zeit vertrieben. Zum anderen haucht das diffuse Hell der sensationellen Farbgebung der Wände Leben ein. Petrolgrün, Dunkelrot, Sandfarben, Anthrazit, Kobaltblau, jeder Raum ein dezenter Solitär. Die Farben wurden in aufwändigen Prozeduren und in drei Lasurschichten aufgetragen, was ihnen eine ganz eigenartige Körperhaftigkeit verleiht - und was die meist goldschimmernden Exponate, die erst in den kommenden Wochen hierher übersiedeln werden, mit Sicherheit grandios zur Geltung bringen wird. Apropos: Die Kostbarkeiten bekommen maßgefertigte gläserne Schreine. Deren Scharniere sind so winzig, dass man sie erst bemerkt, wenn man an der Nase hingeführt wird.

Auch die Ausstellungsräume der Villa Wesendonck wurden von den beiden Architekten einer Sanierung unterzogen und mit ebensolchen Farblasuren aufgefrischt. Dieser Part war zwar nicht im ursprünglichen Auftrag vorgesehen, doch Museumsdirektor Albert Lutz ist einer jener verschmitzten Schweizer, die den Wert guter Arbeit nicht nur anerkennen, sondern auch in Geld verwandeln können. Gerüchteweise tat sein Charme bei so mancher Mäzenatin Wunder, die im Herbst ihres Lebens ihre Asiatica-Sammlungen dem Museum vermacht hatte. Der Dank dafür sei groß, habe Lutz bedächtig gemeint, jedoch sei es eine Schande, dass das alte Museum zu klein, der Ausbau so teuer sei und dessentwegen den nunmehr übergebenen Prachtstücken ein würdiger Präsentationsrahmen versagt bleibe. Woraufhin nicht nur die Sammlungen, sondern zusätzlich auch noch Gelder für die Museumserweiterung gespendet wurden.

So stammen denn auch 16 der investierten 46 Millionen Franken von Privaten und Unternehmen, den Rest teilten sich Stadt (26 Mio.) und Kanton (vier Mio.). Mit den neuen 1300 Quadratmetern hat sich die Ausstellungsfläche mehr als verdoppelt. Man erhofft sich künftig bis zu 150.000 Besucher jährlich aus aller Welt, bereits in den vergangenen Jahren hatte sich die Zahl von 10.000 auf 90.000 erhöht. Am 18. Februar kommenden Jahres werden die neuen Säle des Museum Rietberg mit einer Schau früher buddhistischer Kunst Japans der Öffentlichkeit präsentiert.

Da Stadtpräsident Ledergerber nicht nur Reden schwang, sondern am Rande der Feierlichkeiten auch diplomatische Gesprächsrunden durch die Gästeschar drehte, wollte er unter anderem wissen, ob sich Architekt Adolf Krischanitz in Wien derselben hohen Wertschätzung erfreue wie in Zürich. Hier sei er hoch angesehen mit seiner „wienerischen“ Architektur, die doch anders sei als die der Schweizer Architekten, ein bisschen wärmer nämlich, und im Umgang mit den Materialien so gekonnt.

Die Wahrheit wäre undiplomatisch gewesen, deshalb lautete die Antwort schamüberhaucht: Ja. Allerdings mit dem Zusatz: Von der Vergabe-, Abwicklungs- und Bauherrenkultur, wie sie in der Schweiz eine vollkommene Selbstverständlichkeit darstellt, könnten österreichische Architekten im eigenen Land noch lange, lange träumen.

Der Standard, Sa., 2006.12.16



verknüpfte Bauwerke
Museum Rietberg

09. September 2006Ute Woltron
Der Standard

Die Stadt ist groß. Die Stadt wächst

Auf der seltsamsten Architekturbiennale, die Venedig je gesehen hat, demonstriert die Baukunst vor allem eines: Hilflosigkeit angesichts der Probleme der rasant wachsenden Metropolen. Ute Woltron aus Venedig „Architektur und Gesellschaft“ lautet der Titel der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig, und nichts weniger als Manifeste für die Städte des 21. Jahrhunderts hatte Richard Burdett, der britische Direktor der renommiertesten Architekturschau, eingefordert.

Auf der seltsamsten Architekturbiennale, die Venedig je gesehen hat, demonstriert die Baukunst vor allem eines: Hilflosigkeit angesichts der Probleme der rasant wachsenden Metropolen. Ute Woltron aus Venedig „Architektur und Gesellschaft“ lautet der Titel der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig, und nichts weniger als Manifeste für die Städte des 21. Jahrhunderts hatte Richard Burdett, der britische Direktor der renommiertesten Architekturschau, eingefordert.

Die Hauptausstellung befindet sich wie gewohnt im Arsenale. In den Gemäuern vergangener Jahrhunderte präsentiert Burdett 16 Megacitys von heute. Den Sprung in mögliche Visionen eines Morgen schafft er nicht.

Der Weg führt geradlinig durch São Paulo, Mexico City, London bis nach Mumbai und Schanghai. Statistiken über Bevölkerungswachstum, Einwohnerdichte, Einkommensverhältnisse pflastern farbenfroh die lange Tour. In Sound-Trommeln darf man verinnerlichen, wie es dort hupt, plaudert und klingelt. Flugbilder transportieren die Besucher über endlose Häusermeere. Standbilder zeigen Slums, Wohnsilos, Hochhäuser.

Am Ende des Weges steht die Erkenntnis, dass uns Burdett mit großem Aufwand erklärt, was wir bereits wussten: Die Stadt ist groß. Die Stadt wächst. Wohin? Das wiederum wissen wir leider nicht.

So tadellos und vorbildlich die statistische Aufarbeitung des Phänomens Stadt sein mag: Die eingeforderten Konzepte, wie Architektur und Städtebau mit diesem enormen Wachstum umgehen könnten, welche Parameter künftig wichtig sein werden, welcher Instrumente man sich bedienen könne - die blieben aus. Was bleibt, ist vielmehr die Frage: Wo findet eigentlich „Architektur“ mit dem möglicherweise aus der Mode gekommenen Ansatz, die Lebensumstände der Menschheit zu verbessern, großformatig überhaupt noch statt?

Kein Wunder, dass die Vertreter dieser hehren Zunft am Ende der Städtetour nicht selten fassungslos ins Freie taumeln. Der französischen Architektin Odile Decq etwa entfuhr mit einer Bemerkung die Vernichtung der eigenen Branche: „Diese Ausstellung demonstriert nichts anderes, als dass Architektur nicht mehr gebraucht wird.“ Das mag ein voreiliger Schnellschuss sein, denn ein paar Kanäle weiter zeigen die Länderausstellungen in den Pavillons der Giardini zumindest vereinzelt, wie sich Architekten sinnvoll in das Turbogeschehen einbringen können.

So hat sich etwa das kleine Dänemark mit dem großen China zusammengetan, wo sich immerhin 1,3 Milliarden Menschen in einer gewissen Aufbruchsstimmung befinden. Baute man für sie ruck-zuck Städte nach „westlichem“, also ökologisch desas-trösem Vorbild, bedeutete das eine Umweltverpestung des Globus binnen kürzester Zeit. Die Chinesen wissen darüber Bescheid. Kaum eine andere Nation forscht intensiver an ökologisch vertretbaren Konzepten, und da internationaler Know-how-Transfer nicht nur den Aktienmarkt beschleunigt, tun sie sich mit thematisch Bewanderten, wie den Dänen, zusammen, um konkrete Stadtplanungen in Angriff zu nehmen.

Ansonsten sind die meisten der Länderschauen anstrengende Collagen unendlich vieler Bildchen und Images. Deutschland beschränkt sich in akkurater Präzision auf die Demonstration, wie die gewachsene europäische Stadt mittels Einsprengseln zeitgenössischen Bauens herausgeputzt wird. Langweilig.

Küche und Koch

Ein fröhliches, gleichwohl seit den 60ern auch nicht sonderlich originelles Statement liefert Frankreich: Der Pavillon wurde zur Villa erklärt, in der bis zu 25 Leute in Kojen hausen, auf Dachaufbauten saunieren und duschen können, das Zentrum bildet die Küche mit Koch samt Gehilfen. Nett - aber so what?

Großbritannien überfordert seine Besucher mit einer wütenden Bilder- und Informationsflut über die Stadt Sheffield, anhand derer die Modifikationen der ehemaligen Arbeiterstadt und die Einfluss nehmenden Faktoren demonstriert werden. Immerhin.

Österreich hat das Pech, am Ende des Areals einen Pavillon bespielen zu müssen, den kaum jemand findet und der derzeit aufgrund überalterter, zeitgerecht vor Eröffnung den Geist aufgebender Tor-Rollläden nur über den Hintereingang betretbar ist. Letzteres stellte sich aber als Glücksfall heraus, denn der engagierteste Beitrag, das „Netz“ von Gregor Eichinger, befindet sich eben hier, im hinteren Teil des Hauses: Digital perfekt aufbereitet wird demonstriert, dass „Stadt“ mehr ist als Häuser und Stromkabeln, dass neue Netzwerke verschiedenster Art den Globus umspannen und die herkömmlichen städtischen Strukturen in den Köpfen der Menschen in Auflösung begriffen sind.

Friedrich Kieslers Raumstadt-Modell und Hans Holleins Flugzeugträger in den nunmehr hinteren Bereichen dürfen als ergänzende Weg-bereiter dieses Die-Dinge-anders-Denkens und des Vernetzens betrachtet werden. Und das ist auch das Fazit dieser Schau: Ohne massive interdisziplinäre Anstrengung verliert die Architektur ihre Berechtigung und ist tatsächlich tot. Die leere, fesche Hülle, sie hat ausgedient. Das Baumaterial der Zukunft wird erst durch das Bündeln von soziologischem, ökologischem, technischem Know-how entstehen.

Der Standard, Sa., 2006.09.09

02. September 2006Ute Woltron
Der Standard

Fernsteuerung für den Hundenapf

Ein Schweizer hat sein gesamtes Anwesen digital fest im Griff: Ein Blick in eine mögliche Zukunft häuslicher Technologien

Ein Schweizer hat sein gesamtes Anwesen digital fest im Griff: Ein Blick in eine mögliche Zukunft häuslicher Technologien

Man muss wissen, dieser Mann ist orthopädischer Chirurg. Ein Mann absoluter Präzision also, jemand, der für die reibungslose Geschmeidigkeit von Abläufen aller Art zuständig ist und dafür mikroskopisch genaue Arbeiten zu verrichten pflegt.

Andreas Bänziger (44), von dem hier die Rede ist, ist noch dazu jemand, der die sich ständig verbessernden ökonomisierenden und rationalisierenden Tugenden moderner Technologien begrüßt wie andere die neue Herbstmode. Mit dieser kühl überlegten Kombination aus Medizinwissen, Technikverständnis und Software-Know-how hat der Schweizer seine Unternehmen gegründet und offenbar einiges an Geld verdient.

Einen Teil davon, umgerechnet etwa die satte Summe von vier Millionen Euro, hat er nun in ein Haus gesteckt, das dermaßen auf Technologie zurechtgeschnitten ist, dass es wahrscheinlich ausschließlich von ihm selbst bewohnt werden kann - und von seinem Hund natürlich. Doch das Haus bietet andererseits Ausblick auf die ungeahnten Möglichkeiten der Technik, die künftig modernes Wohnen durchaus standardisiert prägen könnten.

Wir befinden uns auf 1000 Meter Seehöhe im putzigen Appenzellerland, wo die Kühe, die die Milch für die gleichnamige Käsespezialität geben, wie frisch gewaschene Ansichtskartenmotive auf den Weiden stehen. Auf den etwa eineinhalb Stunden Fahrtzeit von Zürich hierher war es so gut wie unmöglich, irgendeinen Unrat auf den säuberlichen Straßen zu entdecken, und die Häuschen, die auf steilem Hang die Nachbarschaft zu Bänzigers Villa bilden, sind ebenfalls makellos postkartentauglich.

Dazwischen: ein modernes Gebilde. Viel geradliniger Sichtbeton, in Schichten übereinander getürmt. Hinter großen Glasscheiben lässt sich schon von außen die freiliegende Holzkonstruktion des Daches ablesen. Ein Pool im Hintergrund, daneben ein Teich, vorne viel Hang und kein Stämmchen Unkraut im Rasen. Angeblich heißt das Haus hier in der Nachbarschaft das „James Bond Haus“. Das trifft technologisch durchaus zu, ist was das Architektonisch-Formale anlangt jedoch eine Versündigung wider die tatsächlichen James-Bond-Häuser, deren bemerkenswerteste Exemplare vom gottbegnadeten Betonskulpteur John Lautner in den 70ern geformt worden waren.

Andreas Bänziger hat keinen Architekten zurate gezogen, sondern als Mensch der Kontrolle sein Haus selbst bis in das kleinste Detail entworfen. Seine vielfärbigen Entwurfspläne sehen aus wie die Schaltpläne eines kleinen Atomkraftwerks, denn hier regiert eine unsichtbare, sich durch alle Ecken und Flächen ziehende Technologie. Die stammt fast ausschließlich von den dänischen Reduktionskünstlern Bang & Olufsen, denen der Schweizer Kunde auf rund 1000 Quadratmetern Nutzfläche ein geräumiges Hightech-Experimentierfeld bietet. Beleuchtung, Jalousien, Heizung, Zutritt, Bewässerung - alles wird via Computer überwacht und gesteuert.

Dass das Haus selbst Niedrigtechnologiestatus hat, versteht sich von selbst. Erdwärme wird abgezapft, die Lüftung erfolgt kontrolliert, geheizt wird über die Böden. Doch auch alle weiteren vitalen Funktionen dieser Wohnmaschine sind digitalisiert und auf Knopfdruck steuerbar. Wenn Herr Bänziger des Morgens wahlweise vom TV- oder Radiogerät erweckt wird, hat ein auf die Weckzeit programmierter Mechanismus bereits die Raumtemperatur des Badezimmers kontrolliert und auf optimale Konditionen hochgefahren.

Steht ein morgendliches Bad auf dem Programm, so befindet sich der Whirlpool in befülltem Zustand, sobald der Hausherr seinen Frühstückskaffee zu sich genommen hat. Auch die dafür erforderliche Espressomaschine ist digital mit dem System vernetzt und via Laptop programmierbar, was zur Folge hat, dass die Tassen exakt bis fünf Millimeter unter den Rand befüllt werden.

Ist zwischenzeitlich auch der Hund erwacht, so darf er sich eines erfrischenden Morgentrunkes erfreuen, ohne dafür sein Herrchen schwanzwedelnd auffordern zu müssen. Denn ein vollautomatischer Wassernapf, eingelassen in dunklen polierten Granit, befüllt sich automatisch dank eines Bewegungssensors, wenn sich das Tier nähert.

Sollte überraschend Besuch an der Haustüre läuten, während der Hausherr noch in der Wanne sitzt, so kann er mittels Fernbedienungsknopfdruck auf einem TV-Schirm von De-luxe-Handtuchgröße kontrollieren, wer da vor der Türe steht.

Etwa zur gleichen Zeit kontrolliert das System im Garten die Temperatur des Teichwassers, denn die bunten Kois darinnen fühlen sich bei etwa 15 Grad Celsius am wohlsten. Ist diese Temperatur überschritten, ergeht ein automatisches Mail an den Gärtner, er möge anreisen und kühlend einschreiten.

Leider, so Bänziger, sei der Milchmann bis dato noch konservativerer Haltung verhaftet. Der habe noch kein Mail, er müsse also angerufen werden, wenn die Milch ausgehe. Er verfügt jedoch über einen Code, mit dem er - wie übrigens auch der Fleischhacker - eine Apparatur neben der Haustür betätigen kann. Mittels Knöpfchendruck öffnet sich dort eine Zulieferungstür zu einem Kühlschrank, in dem die Ware abgeliefert wird. Kehrt Herr Bänziger von Reisen heim, dreht sich die Konstruktion und die gekühlten Waren können von innen entnommen werden.

Nach getanem Tagwerk mag das Heimkino Entspannung bringen. Herr Bänziger bedient auf seiner B&O-Fernbedienung abermals nur einen Knopf - und das Büro verwandelt sich vollautomatisch in einen Kinosaal mit Soundsystem, um das der Mann von hiesigen Landkinobetreibern zähneknirschend beneidet würde. Rollos fahren herunter, die Lichter gehen langsam aus, eine Leinwand fährt aus der Decke, ein versenkter Super-Beamer schickt perfekte Bilder durch den Raum.

Das alles, behauptet Bänziger, diene ausschließlich der Vereinfachung des Lebens und des Komforts. Mit sinnlosen Spielereien habe er nichts am Hut. Ist er unterwegs, so kann er das gesamte Haus übrigens über sein Mobiltelefon steuern. Stammt die Hardware von B&O und aus Dänemark, so sitzt der Home-Server-Programmierer in Zell am See und heißt Christoph Mayr. Die Wunder der Technik - sie sind ohne Grenzen.

Der Standard, Sa., 2006.09.02

02. September 2006Ute Woltron
Der Standard

Biennale: Die Jungen

Eine zusätzliche Schau präsentiert in Venedig die junge heimische Architektengarde

Eine zusätzliche Schau präsentiert in Venedig die junge heimische Architektengarde

Über die großen Beiträge von Friedrich Kiesler, Hans Hollein und Gregor Eichinger, die Kommissär Wolf D. Prix für die Ende kommender Woche eröffnende Architekturbiennale Venedig bereit hält, haben wir bereits berichtet.

Abseits der Giardini wird jedoch zusätzlich dazu in logischer Ergänzung die Ausstellung mit Titel „Rock Over Barock. Young and Beautiful: 7 + 2“ die Nachwuchsarchitekten des Landes einer größeren Öffentlichkeit präsentieren.

Mit dabei sind Artec, Urs Bette, Delugan Meissl associatetd Architects, the next ENTERprise architects, Klaus Stattmann, stiefel kramer, Wolfgang Tschapeller, + 2. Sophie Grell und Tercer Piso arquitectos.

Zu sehen war besagte Schau bereits im Kunsthaus Muerz sowie in der Architekturgalerie Aedes in Berlin, und Prix schrieb darüber im Vorwort des Katalogs: „Bewusst oder unbewusst folgen junge Architekten in ihrem Sinne zeitrichtig den barocken Spuren der Raumsequenzen - und verändern sie.“

„Rock Over Barock“ zeige, dass es so etwas wie eine „österreichische, wenn man so will, Tradition gibt, die über verstreutes Einzelkämpfertum hinausgeht“, und für den Kommissär ist das die gemeinsame Lust, den Raum neu zu interpretieren und zu zelebrieren.

Für den hinter den Kulissen für alle Beteiligten stets anregend agierenden Reiner Zettl handelt die Ausstellung von „Mündigkeit“. Er beschreibt in seinem begleitenden Text zur Biennale die Ansätze der Jungen Wilden der 60er-Jahre als Versuch, die neue Intensität und Bühnenpräsenz damaliger Rockstars in Architektur umzuwandeln - und „wie in barocken Deckenfresken“ schien dabei „nur der Himmel die Grenze“ zu sein.

Zettl weiter: „Eine Generation später (...) stellt die Ausstellung ,Rock Over Barock' die Frage, wie die Arbeiten junger Architektinnen und Architekten spezifisch auf das Barock Bezug nehmen.“

Gute Beispiele dafür sind etwa der zurecht oft publizierte, utopisch anmutende Dachaufbau von Artec auf einem alten Stallgebäude in Raasdorf oder das Haus RAY 1 von Delugan Meissl Associated Architects, das ebenfalls auf ein bestehendes Wohnhaus gesetzt wurde. Fließende Räume, rasante Linien, gewagte Verschnitte inklusive. Ähnlich avantgardistisch das Seebad Kaltern von the next ENTERprise architects, das wie ein - ausnahmsweise formal gelungener - Themenpark inszeniert wurde. Eine geballte Ladung junger Architektur für die Lagunenstadt.

Der Standard, Sa., 2006.09.02

25. August 2006Ute Woltron
Der Standard

Biennale: Das Netz

Gregor Eichinger definiert die neue Stadt als Netzwerk unsichtbarer Adressen.

Gregor Eichinger definiert die neue Stadt als Netzwerk unsichtbarer Adressen.

Wenn die Stadt gleich „Raum, Form, Netz“ ist, dann ist es schließlich an der Zeit, sich mit ihrem eigentlichen Ursprung auseinanderzusetzen: mit dem Menschen. Denn egal, welch unterschiedliche Formen die Stadt in ihrer vieltausendjährigen Geschichte jeweils angenommen hat - die Baupläne nahmen ihren Ursprung in den Köpfen ihrer Bewohner und beileibe nicht nur in jenen der vermeintlichen Spezialisten wie Architekten, Städteplaner und Investoren.

In Gregor Eichingers Stadt-Bild lösen sich die Grenzen endgültig auf. Er definiert zum einen die Architektur als physisches, greifbares Netzwerk, als matrixartiges Gebilde von Straßen, Nummern, Versorgungsleitungen, darüber hinaus aber auch als virtuelles Netzwerk unterschiedlichster Beziehungs-und Kommunikationssys- teme, die das Interagieren zwischen Menschen erweitert haben.

Seine These: In einer, wie man sagt, „globalisierten“ Welt sind die wichtigsten Adressen nicht mehr die Postanschriften, sondern E-Mail-Accounts, Mobiltelefonnummern und somit wir selbst geworden. Wir sind heute adressierbar, egal, wo wir uns aufhalten, und die Stadtteile und Viertel dieser neu gedachten Städte sind die jeweiligen persönlichen und sozialen Netzwerke, die Menschen ungeachtet jeglicher geografischer Dimension und ihres momentanen Aufenthaltsortes untereinander bilden und in steter Aktivität halten.

Eichiger visualisiert diesen Ansatz in Form eines Kommunikationsraumes, der zugleich die Ur-Bauhütte und die Ur-Bar symbolisiert, also jene Keimzelle menschlichen Interagierens, in der die Stadt als Netzwerk seit jeher ihren Ursprung nimmt. Das Design dieser Raumsynapse im dritten Zimmer des österreichischen Pavillons ist Nebensache. Wichtiger sind die Informationen, die hier abrufbar sind, um in den Köpfen ihrer Besucher hinausgetragen und weiterverbreitet zu werden. Das Informations-Superspreader-Gebilde ist zeitgleich auch Bar, Café, Wirtshaus, weil über Reden und Kommunizieren kommen die Leut' z'samm. Eichinger: „Die Ur-Bar ist Kommunikations-Spot: der Ort, wo man sein Netzwerk und somit seine persönliche Stadt erweitern kann.“

In diesem Sinne ist der traditionelle Österreicher-Empfang zum Biennale-Auftakt heuer auch eine von Eichinger inszenierte Fete, die „Improve your own Network Party“ heißt und nach der offiziellen Pavillon-Eröffnung steigt.

Der Standard, Fr., 2006.08.25

19. August 2006Ute Woltron
Der Standard

Biennale: Die Form

Hans Holleins „Flugzeugträger“ (1964) als Schritt in neu gedachte Städte.

Hans Holleins „Flugzeugträger“ (1964) als Schritt in neu gedachte Städte.

Der österreichische Beitrag der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig trägt den von Kommissär Wolf Prix ausgerufenen Titel „Stadt = Form, Raum, Netz“ und setzt sich, wie berichtet, aus mehreren Beiträgen zusammen. Vergangene Woche befassten wir uns mit Friedrich Kieslers Raum-Denken. Dieses Mal stellen wir Hans Holleins Form-Visionen vor, die, so die Biennale-Organisatoren, „die fragilen Strukturen Kieslers in massive, erdnahe Stadtknoten verwandelt“, also eine Weiterentwicklung der Kieslerschen Raumwelten in konkrete, mit Funktionen aufmunitionierte Formwelten bedeutet.

In einem der beiden Haupträume des seinerzeit von Josef Hoffmann gebauten Österreich-Pavillons - der im Übrigen für heutige Ausstellungskonzeptionen deutlich überaltert und auch dank peniblem Denkmalschutz nicht mehr tauglich erscheint - wird der international wohl bekannteste Architekt dieses kleinen Landes als wichtigstes Artefakt ein großformatiges Modell seines „Flugzeugträgers“ aus dem Jahr 1964 zeigen.

Holleins Super-Schiff aus den wilden 60ern symbolisiert nach wie vor einen architektonischen Aufbruch in ein neues Zeitalter, der erst einmal in den Köpfen stattfinden muss, um später modifiziert und konkretisiert in eine neue Realität umgesetzt werden zu können.

Der Biennale Folder erklärt: „Seine Verwendung eines Schiffes als Modell für die räumliche Komplexität und Ökonomie der Stadt erinnert an Le Corbusier, der 1923 in der Ästhetik des Ozeandampfers die Befreiung von überholten Bildern in der Architektur feierte.“ Und: „Die Verpflanzung eines Flugzeugträgers auf die grüne Wiese setzt diesen Realismus fort und gibt darüber hinaus einen im Sinne der Pop Art auch ironischen Kommentar zur Beziehung von Stadt und Natur. In der Verdichtung der Stadt auf ein mobiles Objekt findet Hollein den Ausdruck ihrer Energie.“

In einer mit dem Künstler Walter Pichler gemeinsam bestrittenen Ausstellung 1963 schrieb Hollein im Manifest, Architektur sei „elementar, sinnlich, primitiv, schrecklich, gewaltig, herrschend.“ Und: „Architektur ist eine Angelegenheit der Eliten.“ Keine Frage, die Architektur ist meist die Folgeerscheinung von Macht - jedoch welche Rolle die vermeintlichen Eliten heute spielen bzw. spielen könn(t)en, bliebe zu überprüfen.

Der Standard, Sa., 2006.08.19

12. August 2006Ute Woltron
Der Standard

Ernst Hiesmayr 1920 - 2006

Am vergangenen Wochenende starb der Architekt Ernst Hiesmayr. Ein Nachruf

Am vergangenen Wochenende starb der Architekt Ernst Hiesmayr. Ein Nachruf

Das Bild, das vielen von Ernst Hiesmayr ewig in Erinnerung bleiben wird, zeigt ihn in einem weißen Arbeitskittel, umringt von Studentinnen und Studenten der Technischen Universität Wien. Er überragte groß und dürr, mit weißem, vom Fahrtwind seiner raschen Schritte durchzausten Haarkranz die Szenerie. Die Stimmung um ihn: wach, kreativ und fast immer fröhlich.

Ernst Hiesmayr, dem Wien das Juridicum im ersten Bezirk verdankt, war ein wunderbarer Professor, weil er der Architektur mit echter Leidenschaft verpflichtet war, weil er die Kunst des Bauens liebte - und weil er seine Studenten wirklich mochte.

Seine Korrekturstunden waren Genuss und lehrreiches Spektakel. Er erschien, schaute mit blauem Bunsenbrennerblick erfreut in die Runde, weil jetzt gleich wieder über die Wunder der Architektur debattiert würde, riss sodann energisch Skizzenpapiere und Pläne an sich, ließ sich Entwürfe geduldig erklären, machte auch die täppischsten von ihnen nie herunter, erklärte vielmehr eindringlich, wie man alles besser machen könne - und warum dieses und jenes effizienter, logischer, eleganter lösbar sei.

Mit großen Architektentatzen pflegte der „Hies“ oder „Hias“, wie er je nach Provenienz seiner studentischen Zöglinge genannt wurde, die dicksten und weichsten Zeichenstifte zu führen, die der Zeichenbedarfsmarkt gerade bereithielt. Denn feinen Druckbleistiften, die allzu schwachbrüstige Skizzen hervorbrachten, begegnete er mit jenem Argwohn, den man giftigen Insekten entgegenzubringen pflegt.

Diese dicken Grafitstifte hingegen waren das Skalpell des Ernst Hiesmayr: Mit ihnen setzte er vitale Striche in die meist noch lebensschwachen Skizzenkonstruktionen der angehenden Architektenschaft, und wenn er damit statischen Missständen zu Leibe rückte und Konstruktionsmängel behob, so benötigte er lediglich ein paar präzise Linien - und die führte er mit der Güte des Wissenden, der sich daran erfreut, anderen etwas Wichtiges beibringen zu können.

Mit Ernst Hiesmayr (86) starb vergangenes Wochenende eine liebenswerte und kraftvolle Persönlichkeit der österreichischen Architektur, die zumalen jenen wert und teuer war, denen die Kunst des Bauens abseits von Mode, Markt und Schreierei wichtig ist. „Ehrliche Architektur“ nennt man in Architektenkreisen das, was Hies vertrat - eine Architektur, die nicht nach Modemagazin riecht, sondern nach Beton, Stahl, Holz und Vernunft duftet.

1920 wurde er in Innsbruck geboren, schon als Schüler zog es ihn auf Baustellen, wo er sich seine Material-, Konstruktions- und Praxisorientiertheit früh aneignete. In Graz studierte er schließlich Architektur, 1967 promovierte er an der TU-Wien. Ein Jahr später übernahm er den Vorsitz des Instituts für Hochbau - traditionell das Fundament jeder soliden Architekturausbildung. Von 1975 bis 1977 war er Rektor der TU-Wien. Sein Hochbau-Institut leitete er bis 1991, mit 71 Jahren musste er schließlich mit großem Bedauern altersklauselbedingt den Hut nehmen. Sein eigenes Büro in Wien führte er bis zu seinem Tod weiter. Auszeichnungen und Ehrungen erhielt er sonder Zahl bis hin zum Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

Das Lebensprojekt Hiesmayrs war sicherlich der Bau des Juridicums der Universität Wien in der Innenstadt. 1968 nahm er es in Angriff, 1984 vollendete er es. Das moderne Haus im historischen Ambiente rief in der ringstraßenkonservativen Anrainerschaft keine große Zuneigung hervor, es bildet jedoch nach wie vor einen der sympathischsten, authentischsten und auch zeitlosesten Stadträume des ersten Bezirks aus: städtebaulich bravourös gedacht, konstruktiv äußerst anspruchsvoll gemacht.

Wenn sich Studenten heute über Platzmangel beklagen, so ist ihnen unter anderem entgegenzuhalten, dass Hies nur durch ausgetüftelte, schwierigste Entwurfs- und Konstruktionsmaßnahmen ein zusätzliches Geschoß hatte herausschinden können - und eben dieses über eine Aufgabe Hinausdenken und noch bessere, als eigentlich vom Bauherren verlangte Lösungen zu finden, das war eine der Meisterschaften des Ernst Hiesmayr.

Den Architekten Hiesmayr vom Lehrer Hies getrennt zu betrachten wäre Unsinn, denn er war immer beides, und seine Bauherren - waren sie klug genug - lernten und reiften an ihm. Architekt Gerhard Kratochwil, der viele Jahre für und mit Hies gearbeitet hat, erinnert sich an oft ewig währende Planungs- und Verfeinerungsprozesse, denn: „Solange er von einer Lösung nicht absolut überzeugt war, gab er die Pläne nicht frei.“ Dabei verachtete er modische Gags und Schlenker, denn er betrachtete sich selbst als „Vertreter der klassischen Moderne - vielleicht den Letzten“.

„Er war ein genialer Vereinfacher“, sagt Architekt Rudolf Prohazka, der ebenfalls mit Hiesmayr über viele Jahre zusammenarbeitete, „er hat das Rückführen auf das Wesentliche perfekt beherrscht, und in seinen Gebäuden wird man nirgendwo verwinkelte, verkrampfte Lösungen finden.“ Und: „Eine seiner tragenden Eigenschaften war sein Humor: So ernst konnte die Lage gar nicht sein, dass er nicht einen humorvollen Aspekt hätte herausfiltern können.“

Neben diversen Einfamilienhäusern widmete sich der Architekt so unterschiedlichen Bauaufgaben wie etwa einem Wirtschaftsförderungsinstitut in Dornbirn, einem Villenhotel in Wien, einer Hauptschule bei Bregenz, einem Chemiehochhaus für die TU-Wien.

„Er hat zugegriffen mit seinen Architektenpratzen“, sagt der Bildhauer Karl Prantl, „und was er angegriffen hat, das ist etwas geworden.“ Prantls Atelierhaus für ihn selbst und seine Familie war eine der letzten großen Arbeiten Hiesmayrs gewesen. Der Künstler knapp und bündig über seinen Freund: Hiesmayr habe Charakter gehabt - und über wenig andere könne er dasselbe sagen.

Sein Architekturbüro hatte der Tiroler in den letzten Jahren langsam in die Hände seiner Mitarbeiter übergeben, die nach und nach ihre eigenen Unternehmen gründeten, jedoch den Büroräumlichkeiten und vor allem ihrem Lehrer gerne verhaftet blieben. „Es ist mir lieber, ihr seid's im Haus und ich hab' Kontakt zur Jugend, als ihr seid's irgendwo und ich hock' allein hier“ hatte er gemeint. Nachsatz: „Und wenn's mich braucht's, dann sagt's es.“

Vor vier Wochen hatte der betagte Architekt Mitarbeiter und Weggefährten in der ihm eigenen spontanen Art quasi über Nacht zusammengerufen: Er wollte sich nach Vorarlberg zurückziehen und in einer fröhlichen Runde von Wien Abschied nehmen. Wir erlauben uns an dieser Stelle im Namen all seiner Studenten unsere Hochachtung auszudrücken: Herr Professor, wir danken.

Der Standard, Sa., 2006.08.12



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Hiesmayr Ernst

12. August 2006Ute Woltron
Der Standard

Biennale: Der Raum

Friedrich Kieslers „Raumstadt“ von 1925 erreicht 2006 die Biennale von Venedig

Friedrich Kieslers „Raumstadt“ von 1925 erreicht 2006 die Biennale von Venedig

Die Idee, eine der wichtigsten Arbeiten eines bereits 1965 verstorbenen Architekten als einen der Meilensteine des Architekturdenkens auf der Architekturbiennale in Venedig zu präsentieren, ist nicht so abwegig und gestrig, wie sie manchen erscheinen mag.

Gerade Friedrich Kieslers avantgardistische Auffassung von Raum und Unendlichkeit und seine theoretischen Abhandlungen darüber sind in der zeitgenössischen Architektur, ob bewusst oder unbewusst, ein wichtiges Thema, und es ist ausgesprochen lohnend, heutige Standpunkte und Erkenntnisse mit jenen gegenzuschneiden und zu überprüfen, die bereits vor über 70 Jahren gedacht wurden.

Der 1890 in Czernowitz geborene Friedrich Kiesler war 35 Jahre alt, als er vom Architekten Josef Hoffmann beauftragt wurde, im Rahmen der Pariser Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes ein Ausstellungssystem für Theaterentwürfe und Bühnenmodelle zu entwerfen. Während die damals gezeigten Exponate in der Klamotte der Geschichte untergetaucht sind, ist die Tribüne, die sich Kiesler dafür ausdachte, zu einem Stück Architekturgeschichte geworden.

Dieter Bogner, der nun den Kiesler-Bereich für den Österreich-Pavillon in Venedig kuratiert, schreibt darüber: "Das von Kiesler entwickelte temporäre Ausstellungssystem, das er als „Raumstadt“ bezeichnete, fand ein auch in Paris breites Presseecho und entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten zu einer Architekturikone des 20. Jahrhunderts."

Die Installation befand sich in einem Raum des Pariser Grand Palais, er verwendete dafür schlichte Holzstäbe und horizontal sowie vertikal verlegte Flächen. Kiesler deklarierte die Konstruktion als Vision einer im Raum schwebenden Megastadt.

Dieter Bogner: "Die Konstruktion wurde vom Boden abgehoben als schwebende Installation in den weitgehend abgedunkelten, mit schwarzem Tuch ausgekleideten Raum gesetzt. Dadurch evozierte Kiesler den Eindruck eines unbegrenzten, „endlosen“ Raums, ein zentrales Thema seines gestalterischen Schaffens."

Auf der Biennale wird diese Raumstadt nun zumindest in Teilen nachgebaut und wieder begeh- und erfahrbar gemacht.

Der Standard, Sa., 2006.08.12

05. August 2006Ute Woltron
Der Standard

Raum. Form. Netz.

Wolf D. Prix über das Thema der bevorstehenden 10. Architekturbiennale in Venedig und über den Beitrag, den Österreichs Architektur zur Stadtentwicklung leisten kann.

Wolf D. Prix über das Thema der bevorstehenden 10. Architekturbiennale in Venedig und über den Beitrag, den Österreichs Architektur zur Stadtentwicklung leisten kann.

Der Brite Richard Burdett (50) ist der Chef der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig. Er hat als Leitthema der Schau nichts Geringeres als ein neues Manifest für die Städte des 21. Jahrhunderts ausgerufen. In der Hauptausstellung will er das Phänomen großer Menschenagglomerationen anhand von 16 Mega-Citys veranschaulichen, und auch die 50 an der international wohl renommiertesten Architekturausstellung beteiligten Nationen wurden dazu aufgerufen, in den jeweiligen Länderpavillons der Venezianischen Giardini die Entwicklung der Stadt zu thematisieren.

Der Moment, in dem rund die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten daheim ist, wurde bereits erreicht. In 50 Jahren wird laut UNO-Experten der Anteil der Stadtbewohner auf 75 Prozent gestiegen sein. Jetzt, so Burdett, sei es hoch an der Zeit, sich Strategien für die Zügelung und Strukturierung dieses Mega-Wachstums zu überlegen, um die Städte der Zukunft menschengerecht wachsen zu lassen.

Der österreichische Biennale-Beitrag wird von Wolf D. Prix als Kommissär präsentiert. Der Mitbegründer von Coop Himmelb(l)au findet das Thema zeitgerecht und treffend - doch er weiß auch, dass er mit der von ihm gewählten Befüllung des Hoffmann-Pavillons durchaus kontroversielle Debatten auslösen könnte. Doch das ist ihm nur recht so.

DER STANDARD: Was kann die Architektur eine Miniaturlandes wie Österreich zu einer Weltausstellung der Architektur beitragen, die sich mit Stadträumen und Bewohnermassen von bis zu 35 Millionen Einwohnern wie im Falle des Großraums Tokio befasst?

Wolf D. Prix: Ich untersuche schon seit Langem, was das Spezifische am österreichischen Architekturdenken sein könnte, also worin wir uns von anderen Architekturebenen in anderen Ländern unterscheiden. Ich denke, dass man durchaus mit ironischer Kritik an die doch sehr technologischen oder soziologischen Aspekte der Burdett-Überlegungen herangehen kann, und da lag der Schluss nahe, dass wir diesmal keine Architektenpräsentation machen, sondern einen Themenpavillon. Der befasst sich mit der Stadt, und er heißt auch so: Stadt ist - Raum - Form - Netz.

Wie machen Sie das in Venedig dingfest?

Prix: Die Stadt ist nicht als Unikat oder fertiges Stück zu sehen, sie ist vielmehr ein prozesshafter, komplexer, sich ununterbrochen wandelnder Vorgang. Das hat etwas mit der Form zu tun und mit dem Raum - und das Verbindende und Entscheidende ist das Netz.

Der Pavillon wird von drei Architekten bespielt: Friedrich Kiesler steht für den Raum, Hans Hollein für die Form und Gregor Eichinger für das Netz.

Prix: Das ist schlagwortartig zusammengefasst für das, was tatsächlich das Phänomen einer Stadt ausmacht, und hier wird verdeutlicht, wo die österreichische Architektur maßgebliche und fast führende Exponenten hat. Es ist wichtig, dass man die visionären Raumideen Kieslers auch abseits seines ohnehin bekannten endlosen Hauses präsentiert. Für die Auseinandersetzung von Form und Stadt in extremem Profil haben wir den Flugzeugträger von Hans Hollein aus den 60er-Jahren ausgewählt. Und der perfekte Netzwerker ist Gregor Eichinger, das hat er mit vielerlei Aktionen und Aktivitäten bewiesen. Als Ansatzpunkt einer ironischen Kritik an den festgesetzten technokratischen Paradigmen von Städteplanung haben wir zudem ein Porträt von Wien zusammengetragen, das weit über Flächenwidmung hinausgehen soll und als Ausgangspunkt einer neuen Raumwidmung dienen kann, und zwar im Sinn der atmosphärischen Widmung einer Stadt. Das Wohlfühlen kann nicht im Flächenwidmungsplan beschrieben werden, da gehören andere, weniger technokratische, sondern vielmehr emotionale Paradigmen in die Städteplanung eingeflossen. Das wird im Beitrag „Vienna Intensities“ von Bärbel Müller und Andrea Börner zu sehen sein.

Zusätzlich wird in der Stadt auch eine Ausstellung jüngerer österreichischer Architekten gezeigt.

Prix: Nachdem man weiß, dass neu, jung und schön immer zieht, haben wir die „Rock over Barock“-Ausstellung als Ergänzung des österreichischen Architekturprofils nach Venedig geholt.

Sie beweisen damit eine zeitliche Kontinuität, die man allerdings auch kritisieren kann. Kiesler ist seit immerhin 40 Jahren tot, Hans Hollein ist, trotz unbestrittener Meriten, auch nicht mehr der Jüngste. Denken Sie da nicht ein bisschen rückwärts gewandt?

Prix: So kann man das natürlich überhaupt nicht sehen. Sie gehen auf die Namen los und nicht auf die Inhalte.

Gegen keinen Einzigen ist auch nur das Geringste einzuwenden, ich versuche nur Ihre Argumente gegen den Vorwurf der Gestrigkeit zu ergründen, der sicher auftauchen wird.

Prix: Dieser Vorwurf wird kommen, das ist mir total bewusst, und es macht mir auch Spaß, dass diese Ausstellung für viele ein rotes Tuch sein wird. Doch wichtig sind die Ideen, die in diesen Projekten stecken. Ich sage, es geht nicht um Kiesler, sondern um den Raum, es geht nicht um Hollein, sondern um die Form, und letztlich geht es um das prozesshafte Verflechten dieser Begriffe mit Neudefinitionen einer neuen paradigmatischen Raum- und Flächenwidmung. Ob das gelingt und verständlich wird, werden wir sehen. Ich möchte auch über diese Zusammenhänge während oder nach der Biennale ein Symposium veranstalten, weil es das nachhaltige Ziel ist, ein Buch über Stadt als Raum Form Netz herauszubringen. Ich betrachte diese Biennale als Ausgangspunkt einer Entwicklung einer Diskussion, die wahrscheinlich im krassen Gegensatz zu den geäußerten Thesen der Hauptausstellung stehen wird.

Was ist dazu jetzt schon zu sagen?

Prix: Ich bin jetzt schon gespannt, wie Burdett sein Thema präsentieren wird. Es ist jedenfalls hochinteressant, etwa zu erfahren, dass 80 Prozent der Londoner gar nicht in London geboren wurden. Ich halte es auch für wichtig zu wissen, dass in Wien mehr neu gebaut als niedergerissen wird oder dass Wien doppelt so viele Kinoplätze hat wie etwa Berlin. Da bekommt man plötzlich ein ganz anderes Bild von der Stadt.

Ist diese interdisziplinäre Annäherung an Architektur und Stadt die Aufforderung an Stadtplaner und Politiker, die Entwicklung anders zu denken als derzeit üblich?

Prix: Es ist der Aufruf, auf die eigentlichen Qualitäten zurückzugreifen. Es geht um die Bewusstwerdung der Qualitäten, die Wien zu einer interessanten Stadt machen. Ich halte Burdetts Idee für sehr gut, nicht Abstraktes wie etwa die Moral der Architektur etc. darzustellen, sondern zu fordern: Wir brauchen ein Manifest für die neue Stadt! Die Stadtentwicklung ist mit Sicherheit das kommende Thema in der Architektur. Man sieht ja allerorten, dass man das nicht beherrscht. Dass man mit einer solchen Ausstellung Diskussionspunkte und Entwicklungslinien einleiten kann, halte ich für gut und legitim. Die vergangenen Biennalen haben eher Personalen gezeigt und sich weniger mit den übergeordneten Zusammenhängen befasst.

Daran kann man die Frage anschließen, ob das Format der Ausstellung, also diese einzelnen Länder-Schauen, überhaupt noch zeitgemäß ist?

Prix: Das Format ist total überholt.

Warum hält man dann noch daran fest?

Prix: Weil die Biennale natürlich auch ein Jahrmarkt der persönlichen Eitelkeiten ist. Dem kann man sich nicht entziehen: Heutzutage wird die Person wichtiger als das, was diese Person vertritt. Ein bekannter Architekt eröffnet ein neues Gebäude, man schlägt die Zeitung auf, und dort sitzt er riesengroß abgebildet, im Hintergrund das Gebäude - winzig klein, und was er oder sie anhat ist wichtiger als die Qualität des Gebäudes, um das es eigentlich geht. Doch auch dieser Trend wird medial irgend wann einmal zu Ende gehen. Die Gesichter werden wieder hinter die Gebäude zurücktreten.

Das Bundeskanzleramt nominiert seine Venedig-Kommissäre traditionell sehr spät, auch das Budget ist immer knapp: Wie kann man mit wenig Geld in kurzer Zeit Ordentliches zustande bringen?

Prix: Das ursprüngliche Budget von 400.000 Euro habe ich inzwischen kräftig erhöht, und mit Elisabeth Gehrer sowie Pulides Sponsoren für die Produktion der beiden großen Projekte von Hollein und Kiesler aufgetrieben. Die Modelle werden anschließend dem MAK übergeben und im MAK-CAT-Flakturm zu sehen sein. Trotzdem wäre es besser gewesen, vor November gefragt zu werden und ein Jahr Vorlauf zur Verfügung zu haben, aber es ist Usus, dass die Kommissäre so kurzfristig ernannt werden und auf ihre eigenen Konzepte zurückgreifen. Für mich ist die Biennale jedenfalls eine hervorragende Gelegenheit, um das österreichische Architekturprofil wieder einmal und noch stärker herauszuarbeiten. Und nochmals: Auch wenn man sich auf den Kopf stellt, da gehören Hollein und Kiesler dazu, und es werden auch Raimund Abraham, Günther Domenig und Walter Pichler dazugehören, mit all den jungen Ansatzpunkten, die sie mit sich bringen.

Der Standard, Sa., 2006.08.05

17. Juli 2006Ute Woltron
Der Standard

Die Welt ist meine Vorstellung

Ein Besuch beim Bildhauer Walter Pichler: Er beherrscht die schwierigste aller Künste -die der Selbstbestimmung. Und mit seinem jüngst erschienen Buch "Skulptur Architektur"versucht er nun sein Werk so zu zeigen, wie er es durch die eigenen Augen sieht.

Ein Besuch beim Bildhauer Walter Pichler: Er beherrscht die schwierigste aller Künste -die der Selbstbestimmung. Und mit seinem jüngst erschienen Buch "Skulptur Architektur"versucht er nun sein Werk so zu zeigen, wie er es durch die eigenen Augen sieht.

St. Martin - Der Mensch kann tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will. Gesegnet die, die wollen können. Walter Pichler (69) ist einer ihrer begnadetsten Vertreter.

Jetzt will er also, dass wir seine Arbeit durch seine Augen betrachten. Welche Erkenntnis wir daraus ziehen, überlässt er freilich uns allein. Denn einerseits stört ihn, „dass alles aufbereitet und den Menschen hinterhergetragen werden muss“. Andererseits ist er so unabhängig von unserer Meinung, wie ein Mensch nur sein kann.

„Ich steh in der Früh auf“, sagt er, „und geh in die Arbeit. Dann leg ich mich hin, steh wieder auf und geh in die gleiche Arbeit.“

Walter Pichler ist Künstler, doch er lebt die Antithese zum gängigen Kunstmarkt. Man kann davon ausgehen, dass ihn das vergnügt. "Ich finde, dass es sehr wichtig ist, auch das noch ein bisschen anders zu machen, als es vorgeschrieben oder gerade Mode ist. Ich finde, dass Kunst anders gehandhabt gehört, wenn sie ihre Wirkungsweise behalten soll. Sonst wird sie Handelsware und man selbst enthebt sich seines aufständischen Potenzials."Er habe die „Fremdartigkeit“ stets als etwas Elementares empfunden. Was man tue, könne „gar nicht fremd genug sein, um eine andere Haltung zu demonstrieren und nicht das kommerzielle System zu kopieren“.

Zeichnungen: Späne

Pichlers eigentliches Werk, seine Skulpturen und Plastiken, die Häuser, die er im südburgenländischen St. Martin dafür baut, sind unverkäuflich, die gehören nur ihm. Wohlfeil sind lediglich die Skizzen und Grafiken, die er anfertigt, um zum Kern seiner Arbeit vorzudringen, sich dem Wesen des Werkes zu nähern.

Diese feinen, aber kräftigen Zeichnungen sind die Späne, die bei der Arbeit abfallen und gleichzeitig diese Arbeit finanzieren. Und wenn man sie, wie vom Künstler aufgetragen, in seinem Buch Skulptur Architekturbetrachtet, muss man Auge und Hirn frei machen, die Schimären der heutigen bunten Bilderflut verscheuchen, um zu verstehen.

Dann erkennt man, warum diese Bilder aus der heutigen Zeit der Renderings und Computeranimationen zu fallen scheinen: Pichler zeichnet in Axonometrien und nie in Perspektiven. Er zeichnet die Dinge, wie sie sind, und nicht, wie sie erscheinen. Er hat sich selbst - und nicht seine Rezipienten - zum Nullpunkt, zum Koordinatenursprung erklärt, und das gibt ihm die Freiheit, in dem eigenen Gefängnis, in dem jeder Mensch sitzt, daheim zu sein und das zu tun, was er will.

Werkstatt: Zentrum

Während die Kunstwelt also von einer Biennale zur nächsten Ausstellung hetzt, während der Wert von Kunst nach marktdiktierten Geldmaßstäben gemessen wird und die meisten Künstler ihre Produkte eben diesen Märkten andienen und sich damit der Fremdbestimmung unterwerfen, befindet sich Pichler dort, wo er sich am wohlsten fühlt: in seiner Werkstatt.

Sie bildet gewissermaßen das Zentrum des Ensembles aus skulpturbeherbergenden Häusern, das er im vergangenen Vierteljahrhundert rund um ein altes Bauernhaus in St. Martin geschaffen hat. Kurz vor Fertigstellung ist etwa das „Haus für die zwei Tröge“, deren Kerne zwei große alte Wasserbecken bilden, die der Künstler vor Jahren im Waldviertel gefunden hat.

Die kreisrunden Monumente aus Granit hat er mit einander überschneidenden Mauerzylindern umfasst und mit einem Glas-Holz-Dach überdeckt, sie sollen künftig über eine komplizierte Skulptur von metallenen Rinnen und Überläufen vom Regenwasser der Dächer gespeist werden.

Das Haus steht exemplarisch für Pichlers Herangehensweise: Jeder Kubikmillimeter ist geplant, durchdacht, macht Sinn - im Großen wie im Kleinen. Die weiß getünchten Zylinder sind so makellos glatt ausgeführt, dass der Mittagsschatten der Dachkante exakte Kegelschnitte auf die Außenflächen wirft und somit Teil des Gesamten wird. Das Rinnensystem ist so fein und ausgeklügelt, dass es von stärkeren und schwächeren Regenschauern unterschiedlich bespült wird. Und wenn ein deftiges Sommergewitter über St. Martin niedergeht, kann Pichler, wenn er Lust dazu hat, die Tröge zum Überlaufen bringen und das gesamte Konstrukt in sternförmigem Wasserspiel innerlich überfluten.

Tempel und Hütte

Es gehe ihm auf die Nerven, sagt er, dass seine Arbeiten in Publikationen stets monumentaler und archaischer ausschauten, als sie tatsächlich seien: „Klar, wenn ich was mache, dann wird es immer irgendwie feierlich und wie ein Tempel. Darum versuche ich die Kombination mit der Holzhütte oder dem Geräteschuppen. Das profanisiert das dann wieder. Aber ich habe nichts gegen Feierlichkeit, und es kann ruhig auch schön sein, das macht mir nichts.“

Tatsächlich dockt das Haus für die zwei Tröge am Holzschuppen an, in dem die vier verschiedenen Holzarten fein säuberlich in jeweils einer Ecke gestapelt sind, mit denen Pichler seinen alten Kochherd im Wohnhaus befeuert. Sprisselholz für die Eierspeis, Buchenscheitel für langwierigere Kochprozesse. Der Wasserzulauf zu den Trögen führt durch den Dachstuhl, er ist über eine Leiter zu erreichen. Dort oben, am anderen Ende des Stegs, steht, ebenfalls von einem Glasdach geschützt, die „bewegliche Figur“. Lebensgroß, jedes polierte Metallglied bis in die Finger beweglich, die Schädeldecke die eines unbekannten Toten.

Im Kopf, da spielt sich alles ab, die Projektionen, die Synthesen, das Wollen. Die Welt ist meine Vorstellung. In den polierten Schädeldecken aus Messing, die in einem anderen Haus auf Pichlers Anwesen auf einem Holzgerüst quasi aufgebahrt liegen, erkennt der Betrachter plötzlich sein eigenes verzerrtes Spiegelbild.

Walter Pichler geht von Haus zu Haus, er trägt einen Schlüsselbund wie ein Kerkermeister, sperrt Tore auf, rückt Türflügel in den richtigen Winkel. Er betrachtet seine Weihestätten. Draußen zwitschern die Vögel, rattern irgendwo in der Ferne Traktoren. Drinnen ist es still, das Licht wird über geschlitzte Mauerkanten und -ecken indirekt in die Räume gelenkt. Nur die Vögel sollten draußen bleiben, die scheißen auf die Schädel und hinterlassen Ätzflecken im makellosen Messing.

Weitere Behausungen für Plastiken sind geplant: Ein exakt nach der Sonne ausgerichtetes „Haus für die drei Flächen“, ein "Haus für den Grat und die Schlucht"und die „Passage“- ein aus gegossenen Betonteilen konstruierter Lichtkäfig, der aus identischen Elementen zusammengesteckt wird.

Er sei, so Pichler, kein Architekt, die Räume müsse er machen, weil sich das zwangsläufig für seine Plastiken so ergebe: "Das Hauptaugenmerk liegt auf den Innenräumen. Außen sollen sie möglichst anständig ausschauen und keinen Wirbel machen. Nur das Haus für die zwei Brunnen, das ist nicht ganz normal. Da haben die Bauern gesagt: Jetzt dreht er durch, der Pichler, jetzt fängt er an zu wirtschaften und baut sich einen Silo."Soll er. Er ist der Chef. In diesen Silos befindet sich halt kein Grünfutter, sondern das Persönlichkeitsuniversum eines der maßgeblichsten Künstler der Gegenwart.

[ Walter Pichler „Skulptur Architektur“, Verlag Jung und Jung, 260 Seiten, 72,- ]

Der Standard, Mo., 2006.07.17

15. Juli 2006Ute Woltron
Der Standard

Alles fließt

Der österreichische Architekt Dietmar Feichtinger schließt mit einer Fußgängerbrücke über die Seine eine städtebauliche Lücke in Paris. Was so einfach aussieht, ist ein komplizierter Schachzug in einem großen Spiel, das Stadt heißt.

Der österreichische Architekt Dietmar Feichtinger schließt mit einer Fußgängerbrücke über die Seine eine städtebauliche Lücke in Paris. Was so einfach aussieht, ist ein komplizierter Schachzug in einem großen Spiel, das Stadt heißt.

Paris trägt dieser Tage Hitze, Besuchermassen und Souvenirstände auf den Trottoirs. Die Pariserinnen zeigen ein sommerliches Faible für neckische Ballerina-Schühchen in Gold oder Silber, die unzähligen Turnschuhtouristen der Prachtstadt kaufen lieber T-Shirts mit Eiffelturmaufdrucken. Vier Stück für 15 Euro. In kurzen Lärmpausen, wenn die Autos vor der Ampel zum Stillstand kommen, ist am Ufer der Seine ganz fein die Glocke von Notre Dame zu hören. Ihr Bimmeln klingt wahrscheinlich genau so, wie es schon vor 700 Jahren geklungen hat.

Damals wurden die kräftigen Kaimauern entlang des Flusses errichtet, der Paris ein Rückgrat gibt und den Besuchern von heute die historisch-romantische Fotokulisse. Die Seine bildete jahrhundertelang die kommerzielle Hauptschlagader der Stadt, ihre Häfen lagen nur wenige Kilometer flussaufwärts an den Ufern des heutigen 12. und 13. Arrondissements. Der Fluss brachte Wein, Getreide und andere Handelswaren, und die Verkehrsströme auf dem Wasser mündeten in das Adernnetz von Straßen und Brücken.

„Alles fließt und nichts bleibt, es gibt kein eigentliches Sein, sondern nur ein ewiges Werden und Wandeln“, besagt die Flusslehre Platons, und dieser ewige Wandel drückt sich gerade in Paris so plastisch in alter und neuer Architektur aus. Insgesamt 37 Brücken aus den unterschiedlichsten Epochen verbinden das linke mit dem rechten Seine-Ufer, und die jüngste von ihnen wurde vergangenen Donnerstag in fröhlichem Zeremoniell eröffnet.

Die Passerelle „Simone de Beauvoir“ ist, wie ihr Name sagt, den Fußgängern vorbehalten. Sie schließt in eleganten Schwüngen die städtebauliche Lücke eines groß angelegten Planes, den seinerzeit noch François Mitterrand, der bis dato letzte herrschaftliche Baumeister Frankreichs, befohlen hatte.

Dort, wo früher am einen Ufer der Wein gelagert, am anderen das Mehl gemahlen worden war, sollte ein neuer Stadtteil entstehen, um die urbane Balance zwischen der Defense im Westen, dem historischen Zentrum in der Mitte und eben diesem neuen Wohn- und Büroviertel im Osten herzustellen.

Den Paukenschlag dazu setzte der Pariser Architekt Dominique Perrault knapp an den Seine-Wassern mit dem Gebäude der Französischen Nationalbibliothek. Auf der anderen Flussseite entstand - sehr zum Missfallen der Beamtenschaft, die bis dahin feudal im Louvre residiert hatte - der gewagte Machtriegel des neuen Finanzministeriums. Knapp daneben wurde eine großzügige Parklandschaft angelegt, an deren Rand Frank O. Gehry ein neckisch-geschwungenes Gebäude setzte, das heute die Cinématheque Française beherbergt.

Rund um diese Initialpunkte entstanden in den vergangenen 20 Jahren eine Vielzahl von Wohn- und Bürohäusern, denen nur noch eines fehlte: der Verbindungsweg über die Seine, der bereits zu Mitterrands Zeiten im Stadtentwicklungsplan vorgesehen und von den neuen Bewohnern des Viertels sehnsüchtig erwartet worden war.

Der seit 17 Jahren in Paris ansässige Architekt Dietmar Feichtinger gewann 1999 den Brückenwettbewerb mit einer Konstruktion, die nun, da sie fertig gestellt ist, ganz selbstverständlich und einfach aussieht, tatsächlich aber unerhört raffiniert und kompliziert angelegt ist.

Die zierliche Brücke (Baukosten netto: 17,5 Millionen Euro) erreicht das Land immerhin auf vier verschiedenen Niveaus: Sie führt direkt auf den Platz, den die vier Türme der Bibliothek bilden, sie leitet die Passanten auf der gegenüberliegenden Seite in den Parque de Bercy, und sie bindet Fußgänger wie Radfahrer an das sechs und acht Meter tiefer liegende Niveau der Straßen entlang der Seine an.

Die 194 Meter lange und 12 Meter breite Konstruktion spiegelt den inneren Kräfteverlauf wider: Einander überlagernde Hänge-und Bogenkonstruktionen aus Stahl wurden hier hauchzart ausgeführt und an den Ufern verankert, sie kommen erfreulicherweise ohne Stützen im Flussbereich aus, weil die Kräfte in den Randankern sozusagen raffiniert im Kreis gelenkt werden. Das ist insofern von Vorteil, als nun zwischen den beiden massigen, jeweils mit vier Pfeilern im Flussbett abgestützten Nachbarbrücken ein Bassin entsteht - bestens geeignet für Motorbootregatten und andere feuchtfröhliche Amüsements.

Die Passerelle Simone de Beauvoir bildet dafür die luftige Aussichtstribüne. Inmitten der Seine formt sie einen überdachten Platz, der auch für temporäre Installationen, Ausstellungen und andere Events geeignet ist - und der noch dazu Aussicht auf das atemberaubende Panorama der Seine-Stadt bietet: Im Hintergrund ragen die wie abgeschnitten wirkenden Turmrümpfe von Notre Dame aus dem Häusermeer, ist der Wipfel des Eiffelturms zu sehen und auch ein Stückchen von Montmartre.

Dietmar Feichtinger hatte all das vor Augen, als er die Brücke entwarf: „Die große Perspektive, die hat man nur auf dem Fluss, nur hier gibt es diese Offenheit, die weite Sicht und den großen Blick auf den Himmel.“ Warum vom Wettbewerb bis zur Fertigstellung ganze sieben Jahre vergingen, ist leicht erklärt: Erst hatte ein Sturm, der mit an die 160 Stundenkilometern über Paris gebraust war, nicht nur ein paar Dächer abgedeckt, sondern in der Folge auch die Brückenbauvorschriften verschärft. Dann gab es sowohl hier an der Seine als auch in London Probleme mit Schwingungen und Resonanzen auf neuen Fußgängerbrücken. Doch alle Probleme konnten gelöst und die Idee in Form gebracht werden.

Die Stadt entwickelt sich immer wieder aus sich selbst, nimmt Altes auf, modifiziert es zu Neuem, wandelt sich ständig, bleibt nie gleich. Staatspräsident Georges Pompidou, beispielsweise, hatte in einer anderen Zeit, in der die Geschwindigkeit des Automobils die alten Städte zu zerschneiden begann, die Uferzonen der Seine zu Schnellstraßen ausbauen lassen. Heute versucht man deren Rückbau, und an den Wochenenden gibt man den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt zurück, was man ihnen damals genommen hat: Der Verkehr wird umgeleitet, die Straßen werden zu Flaniermeilen. Auf alten, zu Cafés, Clubs, Discos umgebauten Schleppkähnen und Leuchtschiffen regt sich jede Menge Leben, und im Sommer wird seit einigen Jahren tonnenweise Sand auf den Promenaden aufgeschüttet, weil dann werden die Seine-Ufer zur Paris Plage, zum Strand von Paris.

Noch sind die neuen Stadtteile des 12. und 13. Arrondissements nicht ganz fertig gestellt, noch fehlt es ein wenig an urbaner Quirligkeit, doch auch das wird sich in absehbarer Zeit ändern. Die riesigen Lagerhallen in der Nähe des Gare d'Austerlitz sollen von den Architekten Jakob and Mac Farlane zu einem Mode-Shopping-Komplex umgebaut werden, weitere Projekte befinden sich in Planung. Es gibt kein eigentliches Sein, sondern nur ein ewiges Werden und Wandeln.

Der Standard, Sa., 2006.07.15



verknüpfte Bauwerke
Passerelle Simone de Beauvoir

08. Juli 2006Ute Woltron
Der Standard

Türme im Dialog

Der französische Architekt Dominique Perrault zeigt im Wiener Architektur- zentrum Großprojekte für St. Petersburg, Seoul, Madrid - und auch für Wien: Auf der Platte entsteht ab kommendem Jahr das höchste Haus Wiens.

Der französische Architekt Dominique Perrault zeigt im Wiener Architektur- zentrum Großprojekte für St. Petersburg, Seoul, Madrid - und auch für Wien: Auf der Platte entsteht ab kommendem Jahr das höchste Haus Wiens.

Dominique Perrault ist unter den hoch gehandelten Architekten dieser Welt ein vergleichsweise stiller, angenehmer Star. Der 53-jährige Franzose tritt ohne großes Getöse auf, pafft ruhig seine obligatorische Architektenzigarre, schaut nebstbei angenehmerweise wie George Clooneys kleiner Bruder aus und erklärt seine Architektur mit vernünftigen, nachvollziehbaren Argumenten.

Dieser Tage weilt er in Wien, denn im Architekturzentrum Wien (Az W) ist eben eine große Personale angelaufen, die Perraults künftige Werke veranschaulicht. „Meta-Buildings“ zeigt Videos und Dokumentationen von vier international angesiedelten Großprojekten, die allesamt noch in Arbeit sind, doch anhand derer Perrault demonstrieren will, was er ist: „Ein französischer Architekt, der in Europa arbeitet und auf der ganzen Welt baut.“

Warum die Schau in Wien gezeigt wird, liegt auf der Hand: Für den in den vergangenen Jahren entstandenen neuen Wiener Stadtteil auf der Platte am Donauufer hat Perrault zwei Hochhäuser entworfen. Die Donaucity bekommt mit diesen Doppel-Türmen quasi das I-Tüpfchen in die Skyline gesetzt: Einer der beiden Türme wird 215 Meter (56 Geschoße) hoch über die Szenerie ragen und somit zum derzeit höchsten Gebäude Wiens avancieren, der zweite Turm bringt es auch immerhin noch auf etwa 160 Meter (45 Geschoße) Höhe. Inhalt: Hotels, Büros, hochklassige Wohnungen, Cafés, Restaurants und was man sonst noch alles für urbane Lebenssituationen braucht. Geplanter Baubeginn: Sommer nächsten Jahres. Angepeilte Fertigstellung des höheren Turmes ist 2010, je nach Marktsituation wird der zweite Turm ein bis zwei Jahre später fertig gestellt sein.

Wie sehen die Dinger also aus? Perrault: „Stellen Sie sich einen Block vor, einen Block, der in zwei Teile geschnitten ist - und den Raum zwischen den beiden Türmen: das ist das neue Tor in den Stadtteil. Es geht nicht nur darum, einen Turm zu bauen, und noch einen zweiten dazuzustellen, sondern es geht um den Dialog zwischen den beiden Häusern, und den Ort, an dem sie stehen. Alles soll ein Gefühl der Offenheit für die Stadt vermitteln. Das ist die Idee.“

Vor dieser nunmehr finalen Idee gab es allerdings bereits eine andere, und zwar die, den zweiten Turm von den Schweizer Kollegen Jacques Herzog und Pierre de Meuron planen zu lassen. Doch die hatten den „Dialog“ mit Perrault nicht bewerkstelligt, waren zu solitär und architekturstarmäßig geblieben und schließlich kurzerhand vom Bauherren WED verabschiedet worden. Deren Chef Thomas Jakoubek sieht die Angelegenheit unemotional, obwohl doch einiges an Planungsgeld und Zeitverlust zu beklagen sein dürfte: „Die beiden Einzelobjekte waren zwar schon völlig durchgeplant, da aber das Resultat nicht überzeugt hat, haben wir es schmerzlicherweise doch verworfen und einen Neuanfang gemacht.“

Der dürfte sich langfristig bezahlt machen. Die neuen Doppeltürme sind solide, anständige Hochhäuser, sie sind nicht zickig-exaltiert, sondern wie aus einem Guss in die Szenerie gepflanzt. Sie werden aller Wahrscheinlichkeit nach der Plattenbebauung jenen optischen und formalen Anker geben, den die Platte dringend braucht, um zu einem eigenständigen Charakter zu kommen. Doch alles braucht seine Zeit - kein neues, funktionierendes Stadtviertel wurde über Nacht aus dem Boden gestampft, wenn die Sockel- und Erdgeschoßzone jetzt auch noch mit Sorgfalt und Überlegung in das Umfeld eingepasst werden kann, wird alles gut gehen.

Perrault hat auch in Wien, wie überall, wo er baut, ein Partnerbüro, das sich mit den lokalen Gegebenheiten auskennt: Die Kollegen Hoffmann und Janz sind sozusagen die dringend benötigte architektonische Verankerung vor Ort, denn Perrault ist, so ruhig er scheint, in einer Art Dauerlauf rund um den Globus unterwegs.

In Seoul baut er derzeit das EWHA Woman's University Campus Center. Geplante Fertigstellung des enormen Areals für 20.000 Studentinnen ist 2007, und - wie man das von Perrault kennt - ein Teil des Gebäudes ist in der Parklandschaft eingegraben. Dieser Kunstgriff ist das Markenzeichen des Architekten. Er hat ihn bereits in Berlin angewandt, wo er ein Radstadion und eine Schwimmhalle teils versenkte, und auch jenes Projekt, das ihn als erst 36-jährigen Architektur-Jungspund über Nacht bekannt machte, entspricht diesem Konzept: Die Französische Nationalbibliothek in Paris.

Perrault erklärt, warum er mit dem traditionellen Architektur-Kanon von Fassade, Dach, Fenster, Portal nichts am Hut hat, sondern Gebäude vielmehr als städtische Landschaften versteht, die multifunktional nutzbar und von allen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt in irgendeiner Weise verwendbar sind: Jede errichtete Mauer, so meint er, wäre ein autoritärer Akt, der den Raum zerschneide, und den man sich daher ganz genau überlegen müsse.

Die Idee, den Menschen eine architektonische Landschaft zu bieten, nimmt auch in St. Petersburg gerade Form an. Das neue Mariinsky-Theater, das 2009 fertig gestellt sein soll, ist eine wilde Konstruktion neben dem bereits bestehenden Theater, ein Parcours durch Säle, Foyers, Cafés, umhüllt mit einer Art Netz. Und - es ist das erste mit öffentlichen Geldern finanzierte Gebäude Russlands, das nach demokratischen Wettbewerbsprinzipien entsteht.

Geht es nach Perrault, so sollen die Menschen, die das Haus immerhin mit Steuergeldern finanzieren, auch etwas von der Architektur haben, wenn sie nicht gerade einer Opernaufführung beiwohnen: „Jeder zahlt Steuern für öffentliche Gebäude, aber wenn du kein Ticket hast, keine Eintrittskarte, dann bleibst du draußen. Wenn ich also ein Gebäude wie die Oper in St. Petersburg baue, will ich, dass alle Leute davon profitieren: Man soll hineingehen können, einen Kaffee trinken, ein Meeting haben und Ausstellungen anschauen. Man muss nicht unbedingt Eintritt zahlen, aber ich kann mein eigenes persönliches und intimes Gefühl dem Haus gegenüber entwickeln - denn es ist nicht verschlossen, es gibt öffentliche Zonen, ich kann durchgehen.“

Das vierte im Az W gezeigte Projekt ist das Olympische Tennis-Stadion in Madrid (Fertigstellung: 2008), das ebenfalls in eine bestehende Parklandschaft integriert wird und von einem luftdurchlässigen Metallgewebe umspannt ist, auf dass sich die Parklandschaft atmosphärisch bis in das Gebäudeinnere fortsetze.

Dominique Perrault verkörpert den vagabundierenden Weltarchitekten par excellence. Er unterhält überall, wo er baut, Büros mit lokalen Partnerarchitekten, reist stets und ständig, versteht es dabei aber, die Solidität der europäischen Architekturkultur als wichtiges Exportgut zu vermarkten: „Die Idee dieser Ausstellung ist es, große und wichtige Projekte miteinander zu vergleichen. In Osteuropa, Südeuropa, Russland, Asien. Wir wollen damit zeigen, wie wir arbeiten - nicht in einem internationalen Stil, sondern in unserem Stil, mit dem wir unsere Kultur erhalten.“ Ohne Partner, das weiß er, wäre er lediglich die Pfauenfeder, die sich Investoren und Auftraggeber an den Hut zu stecken pflegen: „Ich habe ein fantastisches Leben, denn ich bin nicht allein. Die Idee, Architekten sollten allein entwerfen, ihre Projekte allein durchziehen, ist dumm und langweilig. Ich mag das nicht. Ich ziehe es vor, zu reisen, mit anderen Leuten auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten und gemeinsam Neues zu erschaffen.“

Der Standard, Sa., 2006.07.08

07. Juli 2006Ute Woltron
Der Standard

Prämiert: Ausgezeichnete Architekturabwicklung

Am Donnerstag wurde erstmals der hochdotierte „österreichische Bau-Preis“ vergeben

Am Donnerstag wurde erstmals der hochdotierte „österreichische Bau-Preis“ vergeben

Insgesamt 227.000 Euro ist der Immobilien Privatstiftung der neue und mit Abstand bestdotierte Bau-Preis Österreichs wert: Die vor sechs Jahren gegründete Stiftung will ihre Erträge in die Förderung des Immobilienwesens investieren, dazu gehört nicht nur die architektonische Planung von Projekten, sondern vor allem auch deren präzise, kostentreue und innovative Umsetzung in Zusammenarbeit mit Planern und Fachleuten der Bauzunft.

Zur Teilnahme eingeladen waren „in Österreich niedergelassene freiberufliche Architekten und Ingenieurkonsulenten mit innovativen und ökonomisch anwendbaren Lösungen“. Die Preise wurden in drei Kategorien vergeben.

In der Gruppe der Projekte, die in Zusammenwirken mit anderen technischen Sparten zustande kamen, räumten der Künstler Hans Kupelwieser und die Rechenmeister vom Werkraum Wien gemeinsam den Hauptpreis (40.000 Euro) für die vor zwei Jahren eröffnete Seebühne in Lunz ab.

Das Projekt, das eine Gemeinschaftsproduktion von Gemeinde Lunz und Kulturabteilung der Niederösterreichischen Landesregierung ist und rund 270.000 Euro gekostet hat, stellt tatsächlich eine der gelungensten Symbiosen von Kunst, Architektur und innovativer Technologie dar. Die Seebühne dient unter Tags als Erweiterung des Lunzer Seebades und kann als abgetreppte Liegefläche von den Badegästen benutzt werden. Des Abends wird die Konstruktion mittels einer hydraulischen Hebevorrichtung zur Überdachung einer Tribüne. Eine schwimmende Plattform auf dem See dient als Bühne für Theateraufführungen und Konzerte. Die Konstruktion ist ausgesprochen raffiniert ausgeführt und konnte nur durch das perfekte Zusammenspiel von Kupelwieser und den versierten Ziviltechnikern von Werkraum Wien umgesetzt werden.

In der Kategorie „Institute und Fakultäten“ gewann Ardeshir Mahdavi vom Institut für Architekturwissenschaften der TU Wien den Hauptpreis (40.000 Euro) für das Projekt „Gebäude, die mitdenken“. In der Kategorie Diplomanden und Dissertanten wurden insgesamt zehn Preisträger mit 6.000 bis 9.000 Euro bedacht. Eine Schriftenreihe wird die Projekte dokumentieren.

Der Standard, Fr., 2006.07.07

01. Juli 2006Ute Woltron
Der Standard

Unsere Monster haben wir alle

Schöne Bücher, unkonventionelle Bücher, verdienstvolle Bücher: Das ALBUM serviert das traditionelle architektonische Sommerlesemenü mit Schmankerln aus aller Welt und allen Architekturbereichen.

Schöne Bücher, unkonventionelle Bücher, verdienstvolle Bücher: Das ALBUM serviert das traditionelle architektonische Sommerlesemenü mit Schmankerln aus aller Welt und allen Architekturbereichen.

Rabe, Ziege und Nasobem - oben formschön zu betrachten - sind nur drei der Geschöpfe, die im Kopf der Grazer Architektin Karla Kowalski Form annehmen und die sie beglückenderweise eigenhändig und mit außerordentlichem Können in Ton und Glasur manifestiert. Partner Michael Szyszkowitz liefert die architektonischen Stelzen und Ständer dazu, auf dass auch im Skulpturalen ein gemeinschaftliches Gesamtkunstwerk entstehe. Zu sehen sind diese „Monster“, wie Kowalski ihre gezeichneten und geformten Geschöpfe nennt, in einem der heitersten Bücher über das so breite Thema Architektur, das seit Längerem erschienen ist. Kowalski sagt uns im Vorwort: „Michael Szyszkowitz und ich, wir sind Architekten - und Menschen dieses Schlages sind im Verhältnis zu ihren Sehnsüchten in ein ziemlich hartes Korsett gespannt. Deshalb machen wir auch Dinge, die abseits liegen.“

Dass ihre über viele Jahre hinweg entstandenen Zeichnungen, Skizzen, Fantasiegeschöpfe nicht ganz abseits der Architekturwelt angesiedelt sind, dass Architekten im besten Fall eben ihre ganzheitlichen, komplizierten und formenstarken Innenwelten unterschiedlich ausleben, erfreut auch den großen, alten Architekturschreiber Manfred Sack. Er meint: „Wie angenehm zu sehen, dachte ich, dass die beiden Grazer in Zeiten, da kaum jemand Zeit zu haben scheint, sich die Zeit für diese zauberhaften Märchenfiguren genommen haben - ich nehme an, weil ihnen das lebensnotwendig ist, eine Fantasiequelle, wie man sie doch auch braucht, um das Erfinden beim Finden von architektonischen Realien, von Wohnhäusern also, von Schulen und Büchertürmen, von Universitäten, Umspannwerken, Toren, kurz und gut: um das Fabulieren nicht zu verlernen.“ Kluge Texte, gute Bilder - ein rundum empfehlenswerter Band. Monster und andere Wahrheiten. Bildergeschichten von Karla Kowalski, herausgegeben von Werner Durth, jovis, € 51,20.

Wolfgang Förster wiederum widmet sich in seiner Publikation Wohnen im 20. und 21. Jahrhundert (Prestel, € 51,40) dem elementarsten Thema der Architektur überhaupt: dem Wohnbau, und der ist und bleibt die - meist unbedankte und unterbezahlte - Königsdisziplin der Planerzunft. Dass Förster zumalen den sozialen Aspekt dieses Architekturthemas in den Mittelpunkt rückt, ist ihm in den Elendszeiten architektonischer Eitelkeit und Arroganz, in der Penthouse- und Museums-Medienspiegeleien das Maß aller Dinge zu sein scheinen, nicht hoch genug anzurechnen.

Er skizziert einen wertvollen Abriss der Wohnbaugeschichte und setzt genau dort an, wo anzusetzen ist: bei den Bedürfnissen der Nutzer, bei städtebaulichen und - vor allem natürlich politischen Entwicklungen, wie etwa der verhängnisvollen Privatisierung des öffentlichen Raumes im Großbritannien der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Zitat Margaret Thatcher: „There is no such thing as society.“ Die jüngere Geschichte hat die Eisenlady Lügen gestraft. Förster: „Der Jahrtausendwechsel ist auch von einer weitgehenden Desillusionierung in Bezug auf städtebauliche, architektonische und technische Experimente im Wohnungsbau gekennzeichnet - ein Ende der Utopien? Nicht unbedingt. Eindeutig feststellbar sind allenfalls widersprüchliche Entwicklungen: Einerseits zieht sich die Architektur auf ihre ursprüngliche Aufgabe, den Bau von Einzelobjekten, oft von Solitären ohne Bezug zu ihrer wenig attraktiven Umgebung, zurück; andererseits entstehen in einer neuerlich auftretenden antiurbanen Haltung Gated Communities, die eine zunehmende gesellschaftliche und sozialräumliche Polarisierung widerspiegeln.“

Gezeigt und besprochen werden ältere und neue Wohnbauprojekte aus aller Welt, wie etwa der hier zu Lande weitestgehend unbekannte, fantastische Wohnblock „Pedregulho“ aus den frühen 50er-Jahren von Affonso Eduardo Reidy für die nicht so betuchte Bevölkerung im Hinterland Rio de Janeiros.

Wolfgang Förster, zuständig für diverse Städtebauprojekte der EU, gelingt mit diesem Buch ein rares Kunststück: Ein nicht nur ansehens-, sondern auch lesenswertes Architekturbuch herauszubringen, das jeder Mensch, der für Menschen Wohn- und Lebensräume baut, ganz genau gelesen haben sollte. Förster: "Die Götter und ihre Häuser mögen wechseln - Wohnungsbau kann dagegen als der „rote Faden“, das Kontinuum in der langen Geschichte der Architektur betrachtet werden."

Mit dem in der Redaktion bedenklich schwankenden Turm übereinandergestapelter und allesamt natürlich prächtiger Publikationen über besagte Museen und andere tolle Kommerzbauten erschlagen wir Sie an dieser Stelle also nicht, sondern verweisen vielmehr auf ein Buch zu einem weiteren grundlegenden Thema, nämlich der Landschaft - und der Hege und Pflege derselben.

Fieldwork. Landschaftsarchitektur Europa ist die erste Publikation in einer Reihe, die ab nun im Dreijahresrhythmus erscheinen soll (Birkhäuser, € 61,60). Herausgegeben wird das dicke, große, wissenschaftlich durch allerlei Studien abgefederte Buch von der Stiftung Landscape Architecture Europe (LAE), die damit den Zweck verfolgt, nicht nur interessante Landschaftsprojekte vorzustellen, sondern auch dringend notwendige Standards auf diesem Weg zu definieren.

Vierzig von Juroren ausgewählte Landschaftsarchitekturen werden besprochen - nach Meinung von Meto J. Vroom, dem LAE-Vorsitzenden, sind das immer noch zu wenige, doch: „Der Leser ist gebeten, sich zu gedulden, bis mehrere Bände erschienen sind, die den angestrebten repräsentativen Querschnitt landschaftsgestalterischer Entwürfe aus ganz Europa darstellen.“ Ein Understatement, denn der Fächer ist breit aufgeschlagen, und in übersichtlichem, beglückend unkapriziösem Layout wird dargelegt, was Landschaftsarchitektur so alles sein und leisten kann. Parks, Kinderspielplätze, Pausenhöfe und Außenräume von Büro- und Wohnhäusern werden ebenso thematisiert wie Deponielandschaften, Lärmschutzanlagen, Uferbefestigungen oder Straßenraumgestaltungen.

Hansjörg Küster beschreibt die Landschaft als Kulturprodukt: „Die Kenntnis der Geschichte der Landschaft und jeder Versuch, Zusammenhänge zu erhellen, die zum Entstehen eines Lebensraumes beigetragen haben, sind wichtig für die Bewahrung der Vielfalt der Landschaften. (. . .) Sicher ist die intensive Beschäftigung mit der Geschichte der Landschaft die Voraussetzung für eine moderne Ökologie, einen vernünftig gestalteten Naturschutz und eine zeitgemäße europäische Landschaftsarchitektur.“ Auch in der Stadt.

Der Standard, Sa., 2006.07.01

17. Juni 2006Ute Woltron
Der Standard

Aus für Mozart

In Salzburgs neuem „Haus für Mozart“ ertönen dieses Wochenende erstmals die Melodien des Unsterblichen. Sie werden sich wie tröstliche Klangschleier über die Unvollkommen- heiten der Sterblichen legen.

In Salzburgs neuem „Haus für Mozart“ ertönen dieses Wochenende erstmals die Melodien des Unsterblichen. Sie werden sich wie tröstliche Klangschleier über die Unvollkommen- heiten der Sterblichen legen.

Wer Wolfgang Amadeus Mozart wirklich war, werden auch seine Biografen nie wirklich ergründen. Was bleibt, ist die Musik - und sein Talent, mit leichtfüßiger Brillanz die unterschiedlichsten Genres mit noch höheren Sprüngen - und schelmischem Gelächter - zu durchhüpfen als alle anderen.

Das ist eine Gabe, die im vergleichsweise schwerfüßigen Adagio der Architektur natürlich nicht so leicht umzusetzen ist. Die einen Bauleute beherrschen den Kanon des Wohnbaus, die anderen die Fuge des Industriebaus. Doch wenn Architekten nach eigenen Worten den Anspruch erheben, ein „Haus für Mozart“ zu bauen, erwartet man ein Präludium der Sonderklasse, eine leichte, bezaubernde Fingerübung, eine Architektur, die ihre Besucher schon vor Konzertbeginn auf jenes Entzücken einstimmt, das die zu ihrer Zeit avantgardistische Musik des Unsterblichen auch heute noch auszulösen imstande ist.

Wilhelm Holzbauer und François Valentiny wissen beide, dass ihnen diese Übung in Salzburg misslungen ist. Doch schuld daran sind nicht nur die beiden Kompositeure des Konzerthauses. Schuld sind auch die unzähligen Nebendirigenten, die mit ihrem Kleingeist der Architektur stets verbissen den falschen Takt aufzwingen und die womöglich in Salzburg zahlreicher anzutreffen sind als anderswo.

Der Umbau des Kleinen Festspielhauses zu einem „Haus für Mozart“ wurde von den Akteuren nie als das begriffen, was er hätte sein können: nämlich die von vielen lange ersehnte Chance für diese so prachtvolle kleine Stadt, endlich in der Gegenwart anzukommen, ein neues, wundervolles Kleines Festspielhaus zu bauen und das alte, nie gut gewesene Ungetüm von Clemens Holzmeister nach einer kurzen Gedenkminute in die Luft zu jagen.

Doch jede Gehsteigkante der Salzburger Altstadt, jedes Geschäftsschild, jede Auslage stinkt nach Anbiederung an die jüngere und ältere Vergangenheit, mit der man die Touristenhorden nach Strich und Faden abzuzocken sucht. Die Edeltouristen Salzburgs sind seine Festspielgäste. Ihnen ist das „Haus für Mozart“ zugedacht, nicht dem Komponisten selbst, und sie bekommen nun die zeitgenössische Variante der Anbiederung serviert: einen von außen wirklich nur als unansehnlich zu bezeichnenden Bau, der innen brav, aber ohne Bravour seine Funktion erfüllt. Sie bekommen einen Architektur gewordenen Werbeslogan - und es wird niemanden sonderlich bekümmern.

Das „Haus für Mozart“ ist das Resultat vielschichtiger historischer Missinterpretationen, das Produkt menschlicher Anmaßung und bürokratischer Kompromisse: Da wäre einmal Wilhelm Holzbauer, ein erwiesenermaßen solider, in manchen Arbeiten sogar hervorragender Architekt, der nie verhehlte, dass er selbst sich für den einzig Würdigen hielt, Clemens Holzmeisters ursprüngliche Festspielhaus-Architektur als dessen Schüler umzubauen, und der über genug Charisma, Charme und Überzeugungskraft verfügte, dieses Hohelied architektonischer Ahnenfolge den Entscheidungsmächtigen so lange vorzusingen, bis sie selbst daran glaubten. Dann wäre da eine mächtige Fraktion von Stadtbildfanatikern, denen der Zeitgenosse Holzbauer zwar egal, der gute, verblichene Holzmeister dafür umso teurer war und die einen Neubau an dieser Stelle nie gebilligt hätten.

Doch von der alten Holzmeister-Fassade, deren Erhaltung eines der wichtigsten, wenn auch fadenscheinigsten Argumente für Holzbauers Projekt gewesen war, ist absolut nichts übrig geblieben.

Tatsächlich befindet sich dort, wo man ein Haus umbauen wollte, jetzt ein Neubau, der sich in die unsichtbar gewordene Kubatur eines scheinbar übermächtigen Vorgängerbaus zwängt. War schon Holzmeisters Festspielhaus-Vorderfront eine eher gequälte Angelegenheit, so hat sich die Qual nun gewissermaßen zeitgenössisch multipliziert.

Ohne auf die Querelen des fragwürdig gebliebenen Vergabeverfahrens nochmals einzugehen: Holzbauer erzwang damals einen Sieg, den er später nur verlieren konnte; und wenn er nun mit seinem ehemaligen Erzrivalen und nunmehrigen Verbündeten François Valentiny durch die neue Architektur schlendert, dann ist es, als ob sie beide endlich wüssten, dass ein schneller Sieg auch eine dauerhafte Niederlage bedeuten kann.

Die Fassade", sagt Valentiny vorsichtig, „ist nicht nur unser Produkt.“ „Tatsächlich!“, witzelt Holzbauer, „Man müsste zur Architektur auch die Altstadtkommission befragen, denn die hat schließlich mitentworfen.“ Frei von Talent, wie man sieht, denn die graue Front aus gestocktem Beton mit ihrem Balkon, den braun umrandeten Fensterscharten und einem an Sozialwohnbauten der Vergangenheit gemahnenden Geländer ist an Einfallslosigkeit nicht zu überbieten. Was ein großes „Stadtfenster“ hätte werden sollen, wurde auf drei Fensteröffnungen aufgerastert, weil man sich offenbar vor zu großen Glaselementen in Salzburg fürchtet.

Das alte Holzmeister-Foyer mit den Fresken wurde restauriert, von hier aus verfügt man sich zu den sinnvollerweise neu geschaffenen zusätzlichen Zugängen zur Felsenreitschule und in das geräumige Stiegenhaus des neuen „Hauses für Mozart“.

Die neue Treppenanlage ist sehr schwer, sehr monumental. Warum die Brüstungen alle so massiv und fett ausgeführt seien? Holzbauer: „Weil wir gerne fette Brüstungen haben. Wir wollten hier keine Kaufhausatmosphäre.“ Das hohe Stiegenhaus ist mit golden lackierten Aluminiumpaneelen in einer Wellenform ausgekleidet, um die Akustik im Zaum zu halten. Dahinter blinken die bunten Glassteine des heimischen Glassteinindustrieadels und werfen funkelnde Sponsorenlichtspritzer in den ansonsten betont nüchternen Raum.

Auf drei Ebenen geht es von hier in den Saal, in dem Mozarts Musik die Hauptrolle spielen wird. Keine Frage, Parkett und Ränge sind wohlgeordnet, jeder der 1.650 Sitz- und der 60 Stehplätze bietet besten Ausblick auf die Bühne. Da Holzbauer selbst Konzerthauserfahrung hat und ein vorzüglicher Akustiker mit von der planenden Partie war, dürfte der Saal sicherlich auch die erforderlichen musikalischen Qualitäten aufweisen.

Der architektonische Raumklang selbst ist ein Akkord aus golden gestrichenen Türen und Lisenen, aus rosa Stukkolustro-Flächen (Kunstmarmor) und Holztönen. Ein tadelloser Saal, der weder alt noch neu wirkt, weder mondän noch elegant, und der deshalb charakterlos bleibt wie die billigen Klavierimporte aus Asien, die den uralten Klavierbauvirtuosen Europas fröhlich globalisierend den Lebensfaden abschneiden.

Doch Wilhelm Holzbauer hat Recht, wenn er sagt, dass man den Saal erst beurteilen möge, wenn er mit Menschen befüllt sei. Tatsächlich: Wenn dann schließlich im Sommer das Haus offiziell eröffnet wird, wenn sich die Festspielprominenz zum alljährlichen Stelldichein findet, verschwindet die Architektur ohnehin als Kulisse hinter dem Salzburger Edeltourismus. Ein Haus für Mozart, hineingekrampft in eine Stadt, die er selbst verachtete: „Ich hoffe nicht, dass es nötig ist, zu sagen, dass mir an Salzburg sehr wenig und am Erzbischof gar nichts gelegen ist und ich auf beides scheiße.“

Der Standard, Sa., 2006.06.17



verknüpfte Bauwerke
Kleines Festspielhaus - Umbau

03. Juni 2006Ute Woltron
Der Standard

Der Zeitgeist heißt Sport

Das Stadion ist die Linse, die das große Geschäft mit Sport und Leidenschaft konzentriert. Die Arenen der Zukunft werden die neuen Wahrzeichen der Städte werden.

Das Stadion ist die Linse, die das große Geschäft mit Sport und Leidenschaft konzentriert. Die Arenen der Zukunft werden die neuen Wahrzeichen der Städte werden.

Brasilianisches Fußballmeisterschaftsfinale im Sommer 1980: Die Nacht hat knapp 40 Grad. Die Straßen von Rio de Janeiro sind menschenleer: Flamengo tanzt gegen Fluminense. Das Maracana ist zu diesem Zeitpunkt das größte Fußballstadion der Welt. Unten auf dem Rasen laufen 22 austrainierte Männer im Flutlicht dem Ball nach. Wir hier oben sind 200.000 Stimmen stark. Zweihunderttausend Menschen, gut 20.000 mehr, als das Stadion eigentlich fassen dürfte, sind hergepilgert, um Kickern wie Zico zu huldigen, wenn sie Tore schießen.

Der Fla-Flu von 1980 bleibt Legende. Erstens, weil Flamengo, der Club der Schwarzen und der Arbeiter, wieder einmal die Wohlstandsburlis von Fluminense paniert und vierfacher brasilianischer Meister wird. Zweitens, weil später nie wieder eine derartige Menschenmasse live dabei sein wird, wenn Fußball gespielt wird.

Live, das bedeutet heute vor dem Fernseher zu sitzen. Damals hieß es, dabei gewesen zu sein. Die Welt der Stadien und des Sports verändert sich rasant, und die nackten Betonarenen - wie es das Maracana (1950) damals eine war - sind Vergangenheit. Sie gehören, so der Australier Rod Sheard, der ersten, quasi archaischen Generation von Stadien an. Heute, ein Vierteljahrhundert später, steuern wir bereits auf die fünfte Stadien-Generation zu. Doch der Reihe nach.

Rod Sheard ist einer der Leithammel von HOK Sports Architects, dem weltweit führenden Sportarenenbauer mit Zentralen in Kansas, London, Brisbane: 350 Mitarbeiter stark, seit 28 Jahren auf dem Sportstättenmarkt aktiv, bis dato haben die HOK-Architekten und Ingenieure rund 800 Projekte realisiert. Er selbst gilt als die Spürnase für neue Trends in Sachen Sportstadien, und um Investoren, Clubs und Stadtregierungen die Sinnhaftigkeit des Archetyps Stadion verständlich zu machen, hat er die Fünf-Generationen-Theorie ausgearbeitet und unter anderem in dem Buch The Stadium. Architecture for the New Global Culture (Periplus Editions, 2005) niedergeschrieben. Denn der Sport, so Sheard, ist die neue globale Währung. Sieg bringt Gewinn, und kein anderer Gebäudetypus konzentriert mehr Aufmerksamkeit auf sich als das Stadion.

Die erste Stadiengeneration etablierte sich ab Ende des 19. Jahrhunderts und war nichts anderes als die große Auffangschüssel für möglichst viele Zuschauer. Das Fernsehen war noch nicht erfunden, der Sport finanzierte sich über den Ticketverkauf. Die Stadien waren groß, aber unbequem. Eines der schönsten Beispiele: Pier Luigi Nervis Stadio Communale in Florenz (1932), eine hochelegante Betonschüssel, in der Sprache der Moderne gegossen.

Als ab den 50er-Jahren das Fernsehen in den Wohnzimmern Einzug hielt, gab es für die Fans keine gesteigerte Veranlassung mehr, sich auf die kalten, zugigen Ränge zu begeben. Die Stadien mussten, wollten sie wieder Zuschauer anlocken, in ein Mindestmaß an Komfort investieren. Die zweite Generation zeichnete sich also durch vorher unbekannte Features wie ordentliche Toilettenanlagen, Würstelstände und Bierbuden aus. Die extravaganteste Ausformung dieser Stadiongeneration bauten Frei Otto und Günther Benisch 1972 mit dem netzüberspannten Olympiastadion in München.

Doch dann tauchte mit Disneyland eine neue, familienfreundliche Massenunternehmung auf, von der sich die Stadienbauer mit einiger Zeitverzögerung einiges abschauen konnten. Das Stadion schlug in den 80er-, 90er-Jahren seinen Weg in Richtung Themenpark ein, wo nicht nur dem Sportevent gehuldigt, sondern Familienausflug veranstaltet werden konnte. Erforderlich dafür: bequeme Sitze, Überdachungen, Beleuchtung, Restaurants, Shops - und maßgeblich erhöhte Sicherheit.

Die vierte Stadiongeneration ist jene, die wir in den kommenden Wochen während der Fußball-WM über TV-Bilder genüsslich konsumieren werden: Das Stadion ist zu einer Linse geworden, einer Lupe, die das Geschehen im modernen Hexenkessel einfängt und via TV-Satellit und Internet ohne Zeitverzögerung rund um den Globus auf Knopfdruck wieder ausspuckt. Das Stadion der vierten Generation ist ein hoch technologisiertes, enormes Fernseh- und Medienstudio, ein multifunktionales Gebäude mit Lounges, Restaurants, Veranstaltungshallen, VIP-Zonen. Ein 365 Tage pro Jahr bespieltes Sportkraftwerk, mit dem mächtig Geld produziert wird.

Die Allianz Arena in München von Herzog & de Meuron ist der derzeitige Prototyp dafür, und typisch für einen Prototyp zeigt er noch gröbere Schwächen. Die haben mit der durch die kalte Architektur gestörten Symbiose zwischen Fans und Kickern zu tun. Nach dem Eröffnungsmatch 2005 schrieb Dirk Kurbjuweit im Spiegel: „In der Allianz Arena hat sich die Welt des Geldes vom Rest abgeschottet. In den alten Stadien waren die VIPs Gäste in der Welt der Fans, die das ewig Heikle ihrer sozialen Lage in Leidenschaft umsetzen konnten. Die Allianz Arena mit ihren Logen, Lounges, Business- und Sponsoren-Bereichen sowie der Ladenzeile macht die Fans allmählich zu Gästen in der abgeklärten Welt der VIPs. Anders gesagt: Sie werden zu stürmischen Clowns im Fußballzirkus, zum Teil eines Unterhaltungsprogramms für die Business-Class.“ Und Fußballjournalist Stefan Erhardt beschrieb in Der tödliche Pass die Stimmung der Fans nach dem Match: „Drückt eure Kohle ab, und verschwindet, aber plötzlich! So die Botschaft. Die Botschafter: die Arenen-Erbauer, die Arenen-Betreiber, die grauen und dickfleischigen Beutelschneider des Profit-Fußballs.“

Doch die fünfte Stadion-Generation, so Rod Sheard, wird die Arena wieder zurück in die Städte, zu den Menschen bringen. Live wird - auch - wieder vor Ort sein: „Das ist das Schlüssel-Kriterium. Sie müssen das Stadion im Idealfall bequem zu Fuß erreichen können. Wenn sie es nach ihrer Einkaufstour innerhalb von 10 bis 15 Minuten zu Fuß erreichen können, dann liegt es perfekt in der Stadt. Sonst funktioniert das nicht.“ Und: „Die Konkurrenz des Fernsehers muss aufgehoben werden.“ Der Trend geht also immer mehr dahin, die Stadien zu verkabeln, um an jeden Sitz ein Signal senden zu können. Der Stadionsitz der Zukunft wird ein Hightech-Tool der Sonderklasse sein, mit TV-Schirm wie im Flugzeug, um Wiederholungen sehen und auch Wertungen abgeben zu können.

Und: Die Stadien werden zu den großen Landmarks, den Wahrzeichen der Städte werden. Den längsten Schritt dorthin hat man mit dem neuen Wembley Stadion in London getan. Die Gemeinschaftsproduktion zwischen Norman Foster und HOK Sports liegt wie eine prächtige Perle in der Schale der Stadt. Die Dachkonstruktion des gewaltigen Ovals wird von einer markanten, weithin sichtbaren Bogenkonstruktion getragen, die Dachhaut selbst lässt sich verschieben, auf dass linder englischer Regen das Grün wahlweise netze oder die Besucher trocken halte. Das Wembley fasst 90.000 Besucher und ist, wie Pelé sagt, „die Kirche des Fußballs“.

Rod Sheard: „Die tollsten Gebäude der Geschichte haben immer den jeweiligen Zeitgeist reflektiert. Und heute heißt dieser Zeitgeist Sport.“ Vier wunderbare Wochen stehen uns bevor, Deutschland, wir kommen!

Der Standard, Sa., 2006.06.03

30. Mai 2006Ute Woltron
Der Standard

Betonkünstler und Kommunist

Der brasilianische Architekt Paulo Mendes da Rocha erhält heute den Pritzker-Preis. Seine Sprache ist die des nackten, skulpturalen Stahlbetons, den er - wie sein Landsmann Oskar Niemeyer - mit unvergleichlicher Eleganz zu formen versteht.

Der brasilianische Architekt Paulo Mendes da Rocha erhält heute den Pritzker-Preis. Seine Sprache ist die des nackten, skulpturalen Stahlbetons, den er - wie sein Landsmann Oskar Niemeyer - mit unvergleichlicher Eleganz zu formen versteht.

Istanbul - Außerhalb seines Heimatlandes Brasilien ist er so gut wie unbekannt, und es ist ausgesprochen bedauerlich, dass Paulo Mendes da Rocha erst jetzt, im Alter von 77 Jahren, mit der Verleihung des Pritzker-Preises ins internationale Architekturbewusstsein rückt. Heute bekommt er in Istanbul den renommiertesten Architekturpreis der Welt überreicht. Nach Oscar Niemeyer ist er der zweite Brasiliner, der den von der Hyatt Foundation gestifteten und mit 100.000 US-Dollar dotierten so genannten Nobelpreis der Architektur erhält.

Paulo Mendes da Rocha ist einer jener Architekten, die dem großen Tropenland diese unverwechselbare, unerhört kräftige Architektur verpasst haben, die als brasilianischer „Brutalismus“ bekannt ist. Seine Sprache ist die des nackten, skulpturalen Stahlbetons, den die Brasilianer allerdings mit einer Leichtigkeit und Eleganz zu formen im Stande sind, wie kaum andere.

Unmittelbar nach seinem Studium in Sao Paulo gewann Rocha den Wettbewerb für einen großen Sportkomplex in Sao Paulo, 1969 baute er den brasilianischen Pavillon für die Expo in Osaka. Sein jüngstes herausragendes Werk ist ein Skulpturenmuseum, ebenfalls in Sao Paulo. Derzeit arbeitet er an einem urbanistischen Konzept für die Universität von Vigo in Nordspanien, ansonsten war der national gut beschäftigte Brasilianer kaum international tätig.

Paulo Mendes da Rocha, der über seine Architektur ungern spricht und sich selbst gern Paulinho (Paulchen) nennen lässt, kam 1928 in der Hafenstadt Vitória zur Welt. Er verbrachte einen Teil seiner Kindheit auf der damals noch idyllischen, heute in der Kloake der Guanabara-Bucht versinkenden Insel Paquetá in Rio de Janeiro. Seit den 50er-Jahren lebt er in Sao Paulo, das, wie Rio, zu einem monströsen, nicht mehr überschaubaren Stadtmoloch ausufert.

Wie auch Oscar Niemeyer (99) ist Paulo Mendes da Rocha Kommunist. Beide alten Herren werden nicht müde, die brasilianischen Stadtentwicklungen aufs Schärfste zu geißeln. In einem Ö1-Interview meinte der Preisträger unlängst, die brasilianischen Städte seien auf einem gefährlichen Weg in den Abgrund.

Die eigentlich bessere Architektur als jene des kommerziell getriebenen, die soziale Apartheid verstärkenden Wildwuchses seien die Slums, die sich beständig ausbreiten: „Ich mag die Favelas sehr, sie sind intelligenter Urbanismus. Lobenswert ist die Courage unseres Volkes, selbst in dieser Form die Stadt mitzubauen. Die Leute sagen, ich warte nicht, bis die Stadt fertig ist, ich kampiere schon daneben. Die Menschen dort haben Selbstvertrauen. Sie manifestieren klar und politisch scharf: Wir wollen hier bleiben, wir wollen Lebensqualität, wir haben Wünsche und Hoffnungen.“

Der Standard, Di., 2006.05.30

13. Mai 2006Ute Woltron
Der Standard

Es werde Licht

In den Kellern des Stifts Klosterneuburg lagern nicht nur vorzügliche Weine, sondern auch historische Architekturschätze, die Architekt Georg Driendl nun gehoben und öffentlich zugänglich gemacht hat.

In den Kellern des Stifts Klosterneuburg lagern nicht nur vorzügliche Weine, sondern auch historische Architekturschätze, die Architekt Georg Driendl nun gehoben und öffentlich zugänglich gemacht hat.

Das Stift Klosterneuburg ist eine fast tausendjährige Institution, die Geistliches und Weltliches ausgesprochen erfolgreich in sehr alten Mauern vereint. Die Augustiner-Chorherren sind neben diversen anderen Aktivitäten immerhin für 25 Stiftspfarren zuständig, während der dem Stift zugehörige, von Nichtgeistlichen gelenkte Wirtschaftsbetrieb jährlich rund 22,5 Millionen Euro umsetzt.

Ein Gutteil davon verdankt man dem bekannten Wein, der in den Klosterneuburger Kellern reifen darf. Es geht hier also um eine Geschichte zwischen Himmel und Höhle, und vor allem Letztere dürfte sich in nächster Zeit gesteigerter Besucheraufmerksamkeit erfreuen.

Denn das Stift Klosterneuburg verfügt nicht nur über die markante, hoch aufragende Architektur aus dem Barock, sondern auch über eine Kellerwelt, die sich viele Geschoße tief unter dem Stift in den Erdboden gräbt. Es handelt sich hierbei um historisches Gelände: Bereits die Römer hatten exakt an dieser Stelle im ersten Jahrhundert ein hölzernes, später gemauertes Kastell errichtet, dessen Grundfesten erhalten blieben, und Klosterneuburg selbst war nachweislich schon im fünften vorchristlichen Jahrtausend besiedelt.

Im Vergleich dazu sind die Kellergewölbe des Stiftes zwar jugendlichen Alters, doch mit rund 270 Jahren auch nicht mehr die Jüngsten - und sie sind prachtvoll: Hohe, geräumige Gewölbe ziehen sich hier auf verschiedensten Ebenen durch die Unterwelt. Das Stift ist sozusagen ein eingegrabenes historisches Hochhaus.

Noch vor einem Jahr war die Schönheit ihrer Kellerwelt selbst den Hausherren gänzlich verborgen gewesen. Denn jahrhundertelang hatten eilfertige Kellerer hier immer wieder Decken eingezogen, Gänge abgemauert, Böden aufgeschüttet, Weinflaschen und Gerümpel gelagert. Die Keller waren finster, muffig, unansehnlich - und sie waren in Konzeption und Großzügigkeit an keiner Stelle mehr spürbar.

Als sich das Stift Ende 2004 dazu entschloss, einen Teil der Keller zu einem Besucherzentrum samt Ausstellungsräumlichkeiten zu adaptieren, wurde ein kleiner, geladener Architektenwettbewerb veranstaltet, an dem auch der Wiener Architekt Georg Driendl teilnahm. Der ging, wie er sagt, zwecks Vorbereitung der Planungen durch die finsteren Höhlen und erkannte plötzlich: „Moment! Da steckt mehr dahinter als ein vergammelter Lagerkeller. Da gibt es eine Logik, die hinter Paletten und Regalen und Mauern seit langer Zeit verschüttet ist.“

Nachdem die Räume im Architekturbüro virtuell dreidimensional simuliert worden waren, kam diese Logik erstmals wieder ans Licht. Driendl gewann den Wettbewerb mit einem Konzept, das genau darauf gründet: Licht ins Dunkel zu bringen.

Die Analyse ergab, dass durch das simple Öffnen vermauerter Nischen das Tageslicht bis in tiefste Ebenen sickern könne, dass diese abweisende, finstere Unterwelt quasi himmlische Qualitäten bekäme, wenn die vor 270 Jahren von den Barockbaumeistern festgelegten architektonischen Gebote endlich befolgt würden.

Es spricht für den fortschrittlichen, nachgerade jugendlichen Geist der Chorherren, dass sie dieses Konzept freudig begrüßten und das Wagnis eingingen, den Architekten mit der Wiederfreilegung zu beauftragen. War man ursprünglich davon ausgegangen, lediglich ein paar Räume säuberlich auszupinseln und mit allerlei musealen Exponaten und Wein-Degustationsmöglichkeiten zeitgemäß auszustatten, so entwickelte sich der Umbau zu einem Abbau größeren Formats. „Herr Architekt - Volldampf!“, hatte der Propst gemeint, und bei solcherlei Zitaten vermeinen Architekten gemeinhin die Engelein singen zu hören.

Insgesamt 22.000 Tonnen Schutt, Mauerwerk, Decken und andere Einbauten wurden im Laufe des vergangenen Jahres entfernt. Driendls Team und die Fachleute des Bundesdenkmalamtes analysierten sorgfältig jeden Zentimeter Unterwelt und machten so manche Entdeckung wie zum Beispiel einen völlig unbekannten, irgendwann einmal abgemauerten Verbindungsgang zu den Weinkellereien, der allein die Größe eines Turnsaals hat.

Die beeindruckendste Freilegung erfolgte in jenem Raum, der fast 300 Jahre lang als Lagerstätte für Weinkartonagen darauf warten musste, seiner Bestimmung als Entree zugeführt zu werden: Die so genannte „Sala terrena“ fungiert nunmehr, nachdem eine eingezogene Decke entfernt und die abgemauerten Fenster geöffnet wurden, als großzügiger Empfangsraum für die Besucher. Acht Atlanten scheinen breitschultrig die Gewölbeschübe zu stützen, hüftabwärts sind sie unvollständig, das Mauerwerk ist unverputzt - ein seltsamer, nur durch die Geschichte verständlicher Bruch.

Denn das heutige Stiftsgebäude ist lediglich Fragment einer fast größenwahnsinnig anmutenden Gesamtkonzeption, die sich Kaiser Karl VI. nach dem Vorbild des spanischen Escorials eingebildet hatte. Hier wollte der Herrscher seine Sommerresidenz aufschlagen. Genächtigt hat er immerhin ein Mal hier, doch lang bevor das Werk hätte vollendet werden können, starb er. Nach seinem Tod 1740 dürften die mit der Ausführung - und der Finanzierung - betrauten Klosterneuburger Kirchenmänner verstohlen aufgeatmet haben, denn Karls Tochter und Nachfolgerin, Maria Theresia, hatte kein Interesse an diesem Prachtpalast. Der Bau wurde sofort eingestellt, lediglich einer der vier geplanten Höfe wurde in der Folge noch fertig gebaut.

Steht man heute in der unvollendet gebliebenen „Sala terrena“, vermeint man fast, das Fallen der Meißel und anderer Steinmetzutensilien nach dem kaiserlichen Abgang zu hören - und gerade das ist die hervorragende Qualität des Driendl'schen Projektes: Hier wurde nichts beschönigt oder fertig gemacht. Hier, auf der größten zeitgenössischen Barockbaustelle der Welt, wurde Unvollendetes unvollendet gelassen.

Die Atlanten überblicken einen fast leeren Raum, in dem sich lediglich die notwendigsten Einbauten für den Empfang der Besucher befinden. Das sind etwa zwei Möbel aus Edelstahl, die einerseits als Kassa und Informationspult, andererseits als Möbel für Weinverkostungen fungieren. Interessantes Detail am Rande: Die als gebrochenes Unendlich-Zeichen ausgeführten Konstruktionen wurden von einer türkischen Werft angefertigt. Die weniger freundlichen türkisch-österreichischen Beziehungen der Vergangenheit sind auch Thema des Ausstellungsweges, der von hier in die unterirdischen Gewölbe führt.

Das Licht geleitet die Besucher dabei. Verspiegelte Edelstahl-Lamellen in den neuen „Sala terrena“-Fenstern lenken es in den dahinterliegenden Saal, der ebenfalls von einer Zwischendecke befreit wurde. Von hier aus gehen die Besucher durch lange, durch Nischen strukturierte Gänge. Immer wieder lecken helle Sonnenstrahlen über die Gewölbe, dazwischen bleibt die Szenerie schummrig, und durch dieses Licht-Schatten-Spiel bekommen die Räume eine, man möchte fast sagen, spirituelle Qualität.

Zwischen dem neuen, grauen Terrazzo-Boden und den alten Mauern verlaufen schmale Lichtbänder, die dem schweren Gemäuer eine gewisse fröhliche Leichtigkeit verleihen. In den Nischen selbst befinden sich - von Kurator Dieter Bogner fein zusammengestellt - die Ausstellungsexponate.

Das Zusammenspiel zwischen Ausstellungsmacher, Architekt und Bauherren kann bei diesem abenteuerlichen Projekt, das letztlich eine Reise in die Vergangenheit war, kein einfaches gewesen sein, doch scheint man sich gut vertragen zu haben. Denn das Konzept passt. Moderne Medientechnik steht hier mit lässiger Selbstverständlichkeit neben kostbaren Kulturschätzen. Driendl und die Bau-Chorherren erlebten gewissermaßen eine Erleuchtung und die Bestätigung ihres Tuns, als zu guter Letzt die Statue des niederösterreichischen Landespatrons in eine Nische gehievt wurde. Draußen kam gerade die Sonne hinter einer Wolke hervor und goss ihr Licht genau im rechten Moment durch eines der wiedergeöffneten Fenster in den Keller auf den Heiligen herab.

Mit dem Besucherzentrum ist allerdings hier nur ein Teil der Stiftsumbauten beschrieben: Architekt Heinz Tesar hat ebenfalls mächtig gearbeitet und der Anlage ein Biowärme-Werk, Weinlager, Bus- und Pkw-Garage für Besucher verpasst. Auf dem Dach der Garage befindet sich nunmehr der Pfad zum Besucherzentrum, er führt durch einen neuen, 15.000 Quadratmeter großen Park. Seit 2001 haben die Chorherren in die Modernisierung ihrer traditionsreichen Stätte insgesamt 34,2 Millionen Euro (inklusive 7,5 Millionen Förderungen) investiert.

Angesprochen werden soll mit den Erneuerungen vor allem die Jugend, die die nunmehr erhellten Pfade unter dem Stift gerne besuchen werde. Außerdem spricht die Bibel: "Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor.

Der Standard, Sa., 2006.05.13



verknüpfte Bauwerke
Besucherzentrum Stift Klosterneuburg

06. Mai 2006Ute Woltron
Der Standard

Warten auf den Bus

Eine Ausstellung über estnische Wartehäuschen erfrischt den Blick auf das nur vermeintlich Banale: Was ist ein Ort, was ist ein Raum, was ist eigentlich Architektur?

Eine Ausstellung über estnische Wartehäuschen erfrischt den Blick auf das nur vermeintlich Banale: Was ist ein Ort, was ist ein Raum, was ist eigentlich Architektur?

Improvisation, meinte der französische Philosoph und Begründer der Dekonstruktion, Jacques Derrida, irgendwann einmal in einem Interview, sei „nicht einfach“. Im Gegenteil: „Sie ist das Schwierigste überhaupt.“ Denn: „Viele Vorschriften sind in unseren Köpfen, in unserer Kultur vorgeschrieben. Man ist im Grunde verpflichtet, den stereotypen Diskurs zu reproduzieren.“

Improvisation ist auch ein schwieriges Thema für Architekten. Ununterbrochen werden ihre Produkte an Standards, Maßstäben, Normen, Konventionen, Schulen und Ismen gemessen. Der Diskurs schiebt alles, was neu daherkommt, sofort in Schubladen, kategorisiert, inventarisiert, vergleicht und wertet. Für Improvisation bleibt da wenig Raum.

Und auch die Rezipienten tun das Ihrige. Begriffe wie zum Beispiel „schön“ sind in der Architekturkritik verpönt, weil wir Architekturmenschen alle scheint's viel zu belesen und mit historischen Fakten zugepflastert sind, um uns die Blöße geben zu können, Architektur auch anders als über Form, Funktion, Konstruktion, Materialität und „Wert“ beschreiben zu können. Und in diesem Spiel sind alle irgendwie gefangen: die Bauherren, die Architekten, die Medien. Die Architektur ist bedeutungsaufgeladen wie nie zuvor.
Ob diese allgemeine Wichtigtuerei dem Bauen wirklich gut tut, sollen andere beurteilen. Doch gelegentlich tauchen Ausstellungen oder Publikationen auf, die sich um den hochkultivierten Mainstream nicht zu kümmern scheinen, die einen abseitigeren und damit erfrischenden Blick auf die Welt des Gebauten tun - und eine solche wird ab kommender Woche im Architekturzentrum Wien zu sehen sein.

Die Schau befasst sich nicht mit architekturweltbewegenden Dingen, wie etwa avantgardistischen Strömungen des internationalen Museumsbaus, sondern mit Buswartehäuschen in Estland. „STOP! Warten auf den Bus“ ist eine jener Ausstellungen, die keine Antworten gibt, sondern Fragen stellt. Der junge Architekt Markus Steinmair, ihr Verfasser, formuliert die so: „Was zeichnet einen Ort aus, was macht seine Attraktivität aus? Was brauchen wir, um uns wohl zu fühlen? Wann ist ein Ort sehenswert?“ Mit diesen Fragen steht nicht die Architektur im Mittelpunkt, sondern ihre Benutzer, die Menschen. Und das ist gut so.

Steinmair war im Sommer 2003 als Teilnehmer eines Kulturfestivals nach Estland gereist, dabei war ihm die Vielfalt der dort in der Landschaft oft unvermittelt herumstehenden Buswartehäuschen aufgefallen. Er begann, die teils wüsten, in jedem Fall originellen Konstrukte zu fotografieren. Schließlich verbrachte er drei Monate in Estland, reiste über Landstraßen, durch nordische Wälder, redete mit Wartenden, versuchte herauszufinden, wie diese Vielfalt der Stationen und ihre unterschiedlichsten Gestaltungsvarianten zu erklären seien.

Er brachte nicht nur an die 600 Fotos von rund 400 Bushäuschen, sondern auch viele Geschichten mit nach Hause. Eine dieser Geschichten handelt beispielsweise von einem Wartehäuschen, das sich an der Einfahrt zu einem Bauernhof befindet: Es besteht aus zwei Türen und ein paar Brettern, die miteinander den Unterstand bilden, den der Sohn der alten Bauern für seine Eltern gezimmert hat, auf dass die geschützt auf den Bus warten können.

Sigrid Hauser von der TU-Wien, bei der Steinmair über seine Wartehäuschen mittlerweile eine Diplomarbeit verfasst hat, schreibt im Vorwort des Ausstellungskatalogs (der zugleich ein Reisebegleiter durch Estland ist) über diese familiäre Haltestelle: „Angeblich hält der Bus auch an dieser privaten Stelle an, angeblich mögen die Eltern diesen Platz. Am jeweiligen Ort haben diese Bauten architektonische, landschaftliche, soziale und politische Bedeutung - im Rahmen der künstlerischen Präsentation sind sie Kunstobjekte, und als solche tragen und ertragen sie Bedeutungen unermesslicher Art.“

Eine andere Geschichte handelt von einer Frau, die Steinmair auf dem Bänkchen einer Haltestelle angetroffen hatte. Die Station war in Form eines Schiffes ausgeführt. Die Frau erzählte dem zugereisten Architekten, dass sie zwar nicht mit dem Bus fahre, doch auf dem täglichen Spaziergang mit ihrem Hund hier gerne innehalte, um auszuruhen und den Blick in die Landschaft zu genießen. Früher, so meinte sie, sei das Schiff stattlich mit Anker und gläsernen Bullaugen ausgerüstet gewesen, doch die Zeit habe daran genagt, sie hätte gemeinsam mit ihrer Familie zwar gewisse Renovierungsarbeiten an der Haltestelle durchgeführt, jedoch bis zu einem neuen Anker habe man es bedauerlicherweise nicht gebracht.

Für Steinmair sind die estnischen Bushäuschen „nicht nur Haltestelle und Witterungsschutz, sondern auch soziale Treffpunkte, Informationsstelle, Anschlagtafel und Plakatwand, sie sind Postamt, Kaffeehaus, Litfaßsäule und Schlafplatz in einem.“ Und sie sind in einem Land, das mit rund 30 Einwohnern pro Quadratkilometer nur dünn besiedelt ist, „Identifikation stiftende Elemente in der Landschaft“.

Wer hat sie gebaut? Steinmairs Recherchen ergaben, dass die meisten Häuschen aus den 70er- und 80er-Jahren stammen, also noch aus der Zeit vor der Unabhängigkeit. Gebaut wurden sie von Gemeinden und Anrainern, und zwar im besten Sinne der Improvisation. Sie sind aus jenen Baumaterialien gemacht, die eben zur Verfügung standen, und sie wurden individuell an den Ort angepasst, für den sie entstanden. Dabei nahm man Rücksicht auf die Richtung des Windes und der Sonne, auf die Aussicht und auf erforderliche luxuriöse Extras wie etwa mehrere kleine Räume für die unterschiedlichen Ansprüche der jeweils Wartenden. Ohne industrielle Vorfertigung und ohne Norm.

Noch einmal Sigrid Hauser, deren Vorwort mehr als lesenswert ist: „Erzählen uns diese Fotoserien Geschichten oder berichten sie Geschichte, präsentieren sie uns die Gegenwart oder verweisen sie auf die Zukunft? Das Foto als Dokument bezeugt, dass die Architektur jedenfalls da gewesen ist. (. . .) Außerhalb des Bildes geschieht Bewegung, Veränderung, Verlust. Etwas von dieser Unwiederbringlichkeit erinnert uns an unsere Stationen auf unseren Wegen, an diese Orte, in denen wir auf unserer alltäglichen Jagd nach der vorauseilenden Zeit stehen bleiben, anhalten, warten müssen. Wir haben Geschichte erlebt, sagen die Bauten auf diesen Fotos, wir können viele Geschichten erzählen.“

Und das ist etwas, was der zeitgenössischen Architektur oftmals auf mysteriöse Weise fehlt - wahrscheinlich gerade weil sie sich so sehr darum bemüht.

Der Standard, Sa., 2006.05.06

08. April 2006Ute Woltron
Der Standard

Grün ist des Lebens goldner Baum

Die Landschaft verstädtert - doch wer kümmert sich um die Räume zwischen den Häusern? Die Zunft der Landschafts- und Gartenarchitektur wird künftig einiges zu tun haben, politischer Wille vorausgesetzt.

Die Landschaft verstädtert - doch wer kümmert sich um die Räume zwischen den Häusern? Die Zunft der Landschafts- und Gartenarchitektur wird künftig einiges zu tun haben, politischer Wille vorausgesetzt.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat es soeben amtlich gemacht. „Im Grün“, schrieb er in das Garten-Poesiealbum der ÖVP, „ruhen Gelassenheit und Harmonie, und die Buntheit der Blüten und Früchte erinnert an die Vielfalt des Lebens.“ Der Regierungschef offenbarte sodann nicht ohne Schmelz: „Auch meine Freunde und ich haben solche Kraftoasen, die wir als Herzensanliegen hegen und pflegen.“

Herzensanliegen sind wichtige Dinge. Doch abseits privater Lustgärtchen, deren Hege und Pflege - etwa mittels gekonnten Rosenschnitts, wie ihn Nationalratspräsident Andreas Khol so fotogen im Buch Garten. Leben. Gartentipps von Wolfgang Schüssel und Freunden vorexerziert - frei von öffentlichem Interesse ist, liegt ein weites und streckenweise durchaus ödes Land Österreich. Die Vielfalt des Lebens gestattet es, an dieser Stelle eine Ausweitung der Harmonie zwischen den Häuserfronten anzudenken: eine raumgreifende Ausweitung, die auch vor denjenigen, die von den nunmehr geouteten Gartenpoeten der Bundesregierung regiert werden und keine privaten Kraftoasen eignen, nicht Halt macht.

Fakt ist: Es gibt eine Welt zwischen Häusern und Privatgärten, die heißt Freiraum und stellt ein weites Betätigungsfeld für Landschaftsplanung, Landschafts- und Gartenarchitektur - und nicht zuletzt die Politik als diejenige, die den Rahmen dafür steckt, dar. Denn im besten Fall endet die Architektur nicht mit den Außenmauern von Bürotürmen und Wohnanlagen, sondern setzt sich in Wegen, Plätzen, Erholungszonen, in Kinderarealen und Jugendlichenrefugien und anderen sinnvoll gestalteten und benutzbaren Freiräumen fort.

Doch Achtung: Die Rede ist hier nicht von partiellen feschen Stiefmütterchenrabatten, sondern von einer nutzergerechten, praktischen, pflegeleichten und durchgrünten Gestaltung großer und nach Möglichkeit zusammenhängender Landschaften, die in anderen Ländern als ausgeweitete Wohnzimmer der Stadt- und auch Landbewohner bewertet werden. Diese Kultur des gut gestalteten Freiraums hat sich Österreich derzeit noch nicht einmal annähernd flächendeckend erarbeitet. Die wichtige Disziplin der Freiraumplanung und -architektur ist politisch und gesetzlich völlig unzureichend verwurzelt, was sich langfristig radikal ändern muss, will das sich städtisch verdichtende Land abseits der touristisch gepflegten Trampelpfade nicht im verhüttelten Gstättenwesen verstrüppen.

Zum Umdenken aufgerufen sind allerdings nicht nur die ohnehin offenbar kollektiv dem Grünfieber erlegenen Gesetzesgeber, sondern auch Auftraggeber wie etwa Wohnbauer und deren Architekten: Die Grünräume zwischen den Häusern funktionieren nur, wenn Raumplaner und Gartenarchitekten wie in den Niederlanden, Spanien und auch Deutschland von Beginn an bei der Planung von Wohnanlagen, neuen Stadtteilen et cetera mitmischen und gemeinschaftliche Konzepte noch vor Spatenstich das Ziel des Unterfangens darstellen.

Die Wiener Landschaftsplanerin Anna Detzlhofer ortet zwar ein in letzter Zeit „gesteigertes Anforderungsprofil“ in Sachen Grünraum, vermisst aber den „politischen Druck“ sowie die öffentliche Debatte zur Thematik: „Gärtnerisch ausgestalten heißt für die meisten Bauträger immer noch: eine Wiese anlegen und drei Büsche pflanzen.“ Was fehle, seien den einzelnen Bauplätzen übergeordnete Konzepte, auf dass sich - nur zum Beispiel - sinnvolle zusammenhängende Wegenetze ergeben.

Auch Kollegin Karin Standler meint: „Die Politik hat großteils noch kein Auge für die Problematik.“ Man sei einfach „noch nicht so weit“, weshalb sie selbst ihre Aufträge in öffentlichen Räumen aktiv suche, indem sie Defizite ausmache und bis hin zur Finanzierung und Realisierung mit den offiziellen Stellen verhandle. „Architektur und Landschaftsarchitektur“, so Standler „werden immer noch getrennt voneinander betrachtet, was einen groben Irrtum darstellt. Dieses additive Denken - erst entsteht die Architektur, dann folgt die Landschaftsarchitektur - hat keine Zukunft, und es bringt nichts, wenn Architekten wenige Tage vor Abgabe eines Entwurfs Landschaftsplaner darum bitten, halt ein paar Bäume in den Plänen einzuzeichnen.“

Landschaftsplanerin Doris Haidvogl schlägt in dieselbe Kerbe: „Die Bauträger sind mittlerweile draufgekommen, dass sich jedes Projekt besser verwerten lässt, wenn, salopp formuliert, grüne Dinger herumstehen.“ Und die jungen Kollegen von „bauchplan“ formulieren ihr Anliegen so: „Wir verstehen unsere Aufgabe darin, auf unterschiedlichsten Maßstabsebenen Raum für die Nutzung durch den Menschen zu strukturieren und zu gestalten, um Lebensqualitäten aufrechtzuerhalten, zu implizieren, zu verbessern.“

Das Leistungsspektrum der Profis ist ein außerordentlich breites. Es reicht von der Planung von Privatgärten bis hin zur Gestaltung von Straßenräumen und Parkflächen, Wanderwegen, Fitnessanlagen im Grünen. Sie können mit Flächen für Arten- und Biotopenschutz genau so umgehen wie mit ebenjenen oft so grässlich hilflos bewachsenen Freiflächen rund um Wohnbauten und öffentliche Gebäude. Sie wissen, wo welche Pflanzen gedeihen, wie man Erdbewegungen managt, welche Grünanlagen viel, welche weniger Arbeit machen - und entsprechende Kosten erfordern.

Während hier zu Lande Wohnbauträger im Schnitt magere 30 Euro Herstellungskosten pro Quadratmeter Grünfläche veranschlagen, liegt der Vergleichswert in Deutschland bereits bei rund 100 Euro. Was die Erhaltung anlangt, ist Doris Haidvogl pragmatisch: „Betonierte Flächen müssen auch gekehrt und schneegeräumt werden.“ Ein echtes Problem stellt allerdings der Vandalismus im öffentlichen Raum dar, gegen den kaum ein Kraut gewachsen ist. Doch, so Detzlhofer: „Ein gewisses Ausmaß an Gestaltung schafft auch Verhaltenssicherheit.“

Für Landschaftsarchitekten hat die Gegend Zimmer, in denen sich die unterschiedlichsten Menschen mit unterschiedlichsten Aktivitäten aufhalten. Um diese Botschaft unters Volk zu bringen, gibt es diverse Aktivitäten: Erst vergangenes Wochenende fand in Wien der internationale Kongress „Grow“ statt. Am 27. April gibt es an der Universität für Bodenkultur ein Symposium mit Titel „X-LArch 2 - landscape-X-periments“, initiiert vom Institut Landschaftsarchitektur. Und ebenfalls von der Zunft selbst angeregt wurde der erste international ausgeschriebene Garten-Preis „private plots & public spots“ (siehe auch Natur auf Seite 21). Maßgebliche Unterstützung erhielten die Initiatoren seitens der in Sachen Natur bereits erfreulich aktiven Niederösterreichischen Landesregierung.

Der Standard, Sa., 2006.04.08

25. März 2006Ute Woltron
Der Standard

Im Schaufenster

Vorarlberg ist und bleibt ein anderer Kontinent in der Architekturlandschaft, vor allem auch weil die meisten Bürgermeister im Ländle zu Architekturspezialisten herangereift sind

Vorarlberg ist und bleibt ein anderer Kontinent in der Architekturlandschaft, vor allem auch weil die meisten Bürgermeister im Ländle zu Architekturspezialisten herangereift sind

Eigentlich wollten wir an dieser Stelle eine österreichweite Rundschau zu den besten, schönsten, maßvollsten Kommunalbauten antreten, um einmal jene Bürgermeister in den Vordergrund zu rücken, die dafür Verantwortung tragen.

Immerhin bilden Rathäuser, Kindergärten, Feuerwehrstationen, Kulturzentren und andere Gemeindebauten eine Art kulturellen Infrastrukturgerüsts, das wie ein Maßstab wirken kann - um das Wort Vorbildwirkung nicht übermäßig zu strapazieren.

Eine umfassende Recherche ergab eine große Anzahl erfreulich hochwertiger Objekte, sie enthüllte allerdings auch die Tatsache, dass schätzungsweise nur jedes zehnte davon eben nicht in Vorarlberg steht.

Vorarlberg also. Schon wieder. Das gelobte Land der Architektur. Warum aber? Wer, wenn nicht die Stadtväter und -mütter, kann darüber als höchste Bauinstanz Auskunft erteilen. Die Frage lautete also: Wie, Herr Bürgermeister, gehen Sie an die Sache in Ihrer Gemeinde heran? Oder: Warum zum Teufel haben die meisten Gemeindechefs in Vorarlberg offensichtlich gründlich verinnerlicht, dass Architektur nicht nur aus Wänden, sondern aus Inhalten besteht? Und wie schaffen sie es, diese Erkenntnis auch umzusetzen?

Die Angesprochenen zeigten allesamt freundliche Nachsicht, obwohl sie die Frage offensichtlich etwas primitiv deuchte.

Bürgermeister Josef Mathis beispielsweise erklärt in wenigen schnörkelfreien Sätzen, dass Vorarlberg eben über mehrere wichtige Grundparameter für das Entstehen guter Architektur verfüge: Es herrschten äußerst liberale Baugesetze, es lebten hier viele gute, frische Architekten und Handwerker, das Land befinde sich zudem in einer engen nachbarschaftlichen Situation zur Schweiz und zu Deutschland und stehe dadurch ständig im Schaufenster - und in Erkenntnis all dieser positiven Elemente sei es nur logisch, dass man sie als dafür Verantwortlicher baukastenartig optimal zusammensetze.

Mathis steht der Gemeinde Zwischenwasser vor. Bei einer Einwohnerzahl von immerhin 3200 Bürgerinnen und Bürgern leistet man sich dort seit 1992 einen Fachbeirat für Architektur. Ehrenamtlich? „Natürlich nicht“, sagt der Gemeindechef, „ich würde ja auch nicht umsonst arbeiten.“ Zwei Architekten begutachten gemeinsam mit dem Bauausschuss etwa alle sechs Wochen neue Bauvorhaben. Mathis: „Das System hat sich absolut bewährt, man kann das mittlerweile an der Gemeinde ablesen. Es passiert häufig, dass Projekte, die nicht entsprechen, die etwa mit dem Gelände falsch umgehen, zur Überarbeitung zurückgeschickt werden.“

„Architektur ist das Spiegelbild der Gemeinde“, steht im Leitbild. Raumplanung und Ökologie gehören dazu. Zwischenwasser hat Bau-und Bauhoffnungsland rückgewidmet, was natürlich nicht friktionsfrei, aber, wie Mathis erläutert, für die optimale Entwicklung der Gemeinde unerlässlich war. Die Bürger von Zwischenwasser haben gemeinsam eine Fünf-kW-Fotovoltaikanlage errichtet, Schwimmbad und Volksschule werden solar beheizt, neue Kommunalprojekte werden ausschließlich über Wettbewerbe vergeben.

Ortswechsel. Wie es um die Ordnung im neuen Zeughaus der Freiwilligen Feuerwehr von Mellau steht, dokumentiert die Live-Webcam, die von den Florianijüngern vor Ort installiert wurde. Die Architektur des Hauses stammt von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller. Das Projekt ist das Resultat eines Wettbewerbs.

Ob sich dieses Prinzip bewährt habe, so die Frage an Bürgermeisterin Elisabeth Winke. „Ich kenne gar nichts anderes, wenn es um öffentliche Gebäude geht“, meint sie, nicht ohne Erstaunen. Man müsse sich eben eine kompetente Person für die Ausschreibung suchen und loslegen. Das Feuerwehrhaus sei allerdings noch von ihrem Vorgänger initiiert worden, ihm gebühre die Ehre.

Much Untertrifaller weist auf einen weiteren wichtigen Baustein des Vorarlberger Architekturkonstruktes hin: „Die Architektur selbst wird nicht infrage gestellt, die Bürgermeister gehen kein Risiko ein, wenn sie zeitgenössisch bauen, denn hier schimpft niemand über moderne Architektur.“

Die Architektin Marta Schreieck sieht das so: „Die Vorarlberger Bürgermeister haben sich ein beeindruckendes Fachwissen über Architektur angeeignet. Da kann man nur sagen: Hut ab! Außerdem geht es ihnen nicht nur um einzelne Projekte, sondern um städtebauliche Überlegungen und damit die ganzheitliche Sicht.“

Schreieck war selbst beispielsweise Mitglied des Gestaltungsbeirates der Gemeinde Feldkirch, als dort ein bestehendes, gemeindeeigenes Wasserkraftwerk neu errichtet werden sollte. Der Gestaltungsbeirat erinnerte die Stadtväter daran, dass auch einer solch hoch technoiden Angelegenheit dringlich architektonische Gestaltung zu verleihen sei. Das Resultat war ein Wettbewerb, die Architekten Bettina Götz und Richard Manahl (Artec) gewannen ihn, das Kraftwerk Hochwuhr ist samt „Kunst am Bau“ von Peter Sandbichler und der Landschaftsplanung von Auböck und Karasz ein kapitales Prachtstück seiner Gattung geworden.

Diese Sorgfalt in der Gestaltung von Objekten unterschiedlicher Funktion ist, wie man sieht, raum- und lebensqualitätsprägend. Natürlich entsteht auch in Vorarlberg durchaus Schlechtes, wiewohl in den anderen Bundesländern manch Gutes aus Fundamenten wächst.

Doch kristallisiert sich ein ganz wichtiger Faktor für gute Architektur klar heraus: Wenn Bürgermeister über die Weltoffenheit verfügen, einem Gremium von Fachleuten Glauben schenken zu können, wenn ein höchst ausgebildetes Team von Architekten, Raumplanern und anderen Spezialisten als Berater ernst genommen wird, steigt der Qualitätspegel augenblicklich.

Gestaltungsbeiräte haben in Vorarlberg lange Tradition, und erfreulicherweise beginnen viele - auch kleinere - Gemeinden außerhalb des Ländles sich dieses sinnigen Instruments zu bedienen. Auch hier gelten wichtige Grundregeln: Ehrenamtlich funktioniert gar nichts. Die Arbeit der Berater und Beraterinnen ist wichtig, sie hat bezahlt zu werden. Die Bestellung erfolgt nach einem Rotationsprinzip, die jeweils Aktiven sind vom lokalen Baugeschehen für die Phase ihrer Beiratstätigkeit natürlich ausgeschlossen. Was passieren kann, wenn sie es nicht sind, dürfte andernorts bewiesen worden sein.

Marc Anders ist gemeinsam mit Erwin Rinder für die Abteilung Infrastruktur der Gemeinde Lauterach zuständig. Auch hier wirkt ein Gestaltungsbeirat. „Alle Projekte, ob kommunal oder privat, werden begutachtet“, so Anders. Das passiert am Vormittag, Architekten und Bauherren sind dabei. Und damit etwas weitergeht, tagt im Anschluss zackig der Bauausschuss. Im Leitbild der Gemeinde steht niedergeschrieben: „Die hohe Lebensqualität der Wohngemeinde Lauterach soll durch bewusste und maßvolle Bauvorhaben auf lange Sicht erhalten bleiben.“ So einfach ist das, nur - tun muss man etwas dafür.

Der Standard, Sa., 2006.03.25

11. März 2006Ute Woltron
Der Standard

Wirbst du schon, oder lebst du noch?

Georg Franck über das harte Ringen um Beachtung, über mediale Aufmerksamkeit als architektonisches Startkapital und über die Unsäglichkeit von Architektenrankings

Georg Franck über das harte Ringen um Beachtung, über mediale Aufmerksamkeit als architektonisches Startkapital und über die Unsäglichkeit von Architektenrankings

Es sei wichtiger geworden, in welchem Medium ein Projekt erscheine, als wo das Haus stehe, meint Georg Franck. In seinem jüngsten Buch Mentaler Kapitalismus analysiert der Professor für digitale Methoden in Architektur und Raumplanung an der TU-Wien unter anderem die Mechanismen eines hochkompetitiven, immer aggressiver werdenden Architekturmarktes, der nicht zuletzt von Bauherren und Medien angeheizt wird.

Das „Bauen fürs Feuilleton“ (© Karin Tschavgova) hat Methode, die offensive PR-Politik gehört mittlerweile zum Geschäft, Erfolg hat oft, wer zusätzlich am schönsten laut schreit - und ob das den Architektinnen und Architekten passt oder nicht, steht bedauerlicherweise längst nicht mehr zur Debatte.

DER STANDARD: Ist die aktive Selbstvermarktung unerlässlicher Teil der architektonischen Produktion geworden?

Georg Franck: Seit Giorgio Vasari müssen Künstler nebenbei auch für Anerkennung sorgen, also dafür, dass sie rezipiert werden. Wenn dieser Teil des Jobs aber in den Vordergrund tritt und zu einem richtig harten, professionellen Geschäft wird, dann wird's sehr unangenehm, und zwar für alle Beteiligten.

Befördert die steigende Architektur-PR die Architektur-Produktion?

Franck: Ich habe eher den Eindruck, dass dieser kollektive Drang irgendwie aufzufallen, irgendwie in die Medien zu kommen, der Qualität der eigentlichen Produktion abträglich ist. Man kann das fast schon als Konkurrenz um den Quadratmillimeter Publikationsfläche bezeichnen. In jeder Bewerbung, in jedem Lebenslauf von Architekten sieht man immer vor allem die Publikationen. Da kann man unten fast schon einen Strich ziehen und die Summe zusammenrechnen.

Das tut man ja auch: Es gibt internationale Architektenrankings, in denen die „Besten“ jene sind, die die meisten medialen Erwähnungen verbuchen konnten.
Franck: Das ist absolut verheerend. Es gibt Ähnliches auch bei Literaten und Künstlern. Dabei handelt es sich um reines Quotendenken.

Man kann es in Ihrer Diktion auch als Teil der Profitrate sehen. Die mediale Aufmerksamkeit ist Teil des Gewinns und zugleich neues Startkapital.
Franck: Absolut - und die Publikationslisten sind die äußere Form der Kapitalisierung.

Oder der Aktienindex, wie man will.
Franck: Tatsächlich, man tut so, als würden hier die Kurswerte von Assets notiert, denn die werden genau so gehandelt.

Mittlerweile gibt es kaum noch Architekturbüros, die sich keine eigene PR-Abteilung oder zumindest PR-Beauftragte leisten. Können Architekten, die sich dem Medienspiel entziehen wollen, überhaupt noch ihr Auslangen finden?
Franck: Das ist das Problem! Die Verweigerung ist riskant. Man kann zwar Glück haben und eben doch Wettbewerbe gewinnen, Bauherren finden. Auch wenn es stimmen sollte, dass sich - sehr - langfristig die Qualität durchsetzt und die kurzfristige Wichtigtuerei wieder verschwindet, so muss doch auch festgehalten werden: Langfristig Karriere innerhalb der Architekturgeschichte machen nur Werke oder Architekten, die irgendwann Mode waren. Wenn also Architekten meinen, sie bräuchten die Medien nicht, dann sind wahrscheinlich saure Trauben mit im Spiel.

Was hat diesen medialen Architektur-Hype der vergangenen zehn Jahre verursacht?
Franck: Es hat damit zu tun, dass die Architektur sich selbst geöffnet hat. Noch in den 70er-Jahren kämpften die Architekten auf einsamen, avantgardistischen Posten für etwas, das die große Masse sowieso nicht verstand.

Das riecht nach elitärem Denken.
Franck: Nur in dem Sinn, als es auf Originalität, Authentizität und Innovation ankam - das waren die wichtigen Kriterien. Es war eine Architektur für Architekten: Andere Architekten sollten Augen machen, Kritiker, die selbst zum inneren Cercle gehörten, sollten die Projekte beachten und darüber berichten.

Das erinnert an die Defilees der Haute Couture: Die gezeigten Kleider werden vom Fachpublikum für gut oder schlecht befunden, aber anziehen kann sie niemand.
Franck: Genau. Und aus eben diesem Grund ging das den Bach runter. Diese Art des Umgangs mit Architektur war nicht dazu geeignet, die enorme Masse von Gebäuden, die produziert werden musste, in Form zu bringen. Irgendwann haben selbst die Anhänger dieser Auffassung ihre Ziele in dieser Produktion nicht mehr erkannt und das Ruder herumgeworfen. Eine der neuen Richtungen war es, die Architektur populär zu machen.

Das war jene Zeit, in der etwa Aldo Rossi damit begann, für Alessi neckische Espressokocher zu designen.
Franck: War das nicht Michael Graves?

Der auch. Alessi hat damals so gut wie alle großen Namen eingekauft.
Franck: Graves ist dann jedenfalls bald bei Disney als Auftraggeber gelandet. Insgesamt war das Resultat eine Architektur, die nicht nur populär wurde, sondern gleitend in einen richtiggehenden Populismus überging.

Das heißt, die architektonische Haute Couture ließ sich in die Niederungen der Markenartikler herab?
Franck: So ist es, und interessanterweise kommt die Idee der Marke ja aus der Kunst. Alle Künstler müssen darauf achten, eine Marke zu werden. Der Übergang von der elitären Marke zur populären war der wesentliche Schachzug: Die Architektur hatte sich geöffnet, sie wurde ein populäres Medium, und dieses Angebot vonseiten der Architektur wurde vom Markt nur allzu begierig aufgesogen.

Nunmehr sind wir bei Rem Koolhaas und seinen Prada-Shops gelandet.
Franck: Oder in Bilbao bei Frank Gehrys Guggenheim. Bilbao wurde ein paradigmatisches Beispiel für eine ganze Architekturepoche. Dabei hatte es zuvor bereits Jorn Utzons Opernhaus in Sydney gegeben, das ebenfalls zu ei- ner Ikone wurde, aber noch eine Ausnahme- erscheinung und seiner Zeit voraus war.

Dennoch ist es nach wie vor das meistfotografierte und meistpublizierte Gebäude der Welt und hat seinen Architekten in den Olymp der Unsterblichen katapultiert.
Franck: Das ist überhaupt eines der interessantesten Themen: Wenn ein Gebäude einmal in den Parnass aufgestiegen ist und zum Kanon der Klassiker gezählt wird, dann wird es dort auch bleiben. Dieser Katalog der klassischen Werke ist etwas vom Stabilsten in unserer Kultur überhaupt.

Zeichnet sich im Phänomen der zeitgenössischen Architekturstars ebenfalls Stabilität ab? Wird es in zwei Jahrzehnten wieder ArchitekturSuperstars geben, oder werden sie, wie die Supermodels der 80er- und 90er-Jahre, Ausdruck einer bestimmten Epoche bleiben und sich in der Inflation von Sternchen verlieren?
Franck: Wer hätte Alvar Aalto oder Jorn Utzon je als Stararchitekten bezeichnet, obwohl sie Stars waren? Ich würde meinen, der Begriff des Stararchitekten und der Dekonstruktivismus sind ein Begriffspaar. Die Dekonstruktivisten sind die gehypten Supermodels der Architektur. Man berichtet über sie nicht nur, weil sie Architektur machen, sondern auch, weil sie so berühmt sind.

Was allerdings jetzt nicht als Qualitätsdebatte missverstanden werden darf.
Franck: Überhaupt nicht. Unter ihnen gibt es große Könner. Doch die Masse der Architekten, die durch Publikationen in den vergangenen zehn Jahren bekannt wurden, ist inzwischen enorm gewachsen. Einerseits gibt es Nachfrage unter den Investoren nach dieser auffälligen Publikationsarchitektur, andererseits befinden wir uns möglicherweise bereits in einer Inflationsphase. Vielleicht wird man schon bald keine Hochglanzarchitektur mehr sehen können.

Was auffällt, ist die grundsätzlich affirmative Haltung dem Gezeigten gegenüber. Es wird kaum je Kritik geübt. Sind die Hochglanzfotos der Architekturmagazine zu den Manifesten der zeitgenössischen Architektur geworden?
Franck: Ich befürchte, dass Sie damit den Nagel auf den Kopf treffen.

Das bedeutet aber, dass der Mehrwert, den gute Architektur bei genauer Analyse aufweist, von allen Beteiligten, von Investoren und Architekten, zugunsten medialen Schicks und damit der Verwertbarkeit auf dem Markt der Anerkennung und Popularität in den Hintergrund gedrängt wird - und zwar zulasten der Nutzer?
Franck: Ja. Das ist verhängnisvoll und hat die Tendenz, sich auszuweiten, etwa wenn es um den Umgang mit historischen Gebäuden geht, wo nur noch der touristische Blick und damit wieder eine andere Art der Verwertung zählt.

Die Extrovertiertheit, das Erfolgsheischen und die Eitelkeit, die der Markt mittlerweile von der Architektur verlangt, münden irgendwann in eine narzisstische Grundhaltung, die sich dann unweigerlich in der Architektur widerspiegeln muss.
Franck: Das ist das Bedrückende daran. Dieses harte Geschäft um Beachtung und Auffallen, das allerorten, und nicht nur in der Architektur zu beobachten ist, rührt unser wirklich Innerstes: das, was wir von uns selbst halten dürfen. Die Abhängigkeit unserer Selbstwertschätzung von der äußeren Wertschätzung ist etwas, was früher kaum thematisiert wurde. Das wurde nicht an die große Glocke gehängt. Doch in dem Moment, in dem klar wird, dass man seinen Selbstwert optimieren, die Ich-AG mit Ellenbogen vorwärts boxen muss, weil man sonst auf der Strecke bleibt, entsteht eine allgemein ganz unangenehme Atmosphäre. Das zeigt sich etwa darin, dass wir mit Werbung zugemüllt werden - und das setzt sich bis in unsere gebaute Umwelt fort.

[ Georg Franck: „Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes“. € 224,20/288 Seiten, Edition Akzente, Hanser, 2005 ]

Der Standard, Sa., 2006.03.11

25. Februar 2006Ute Woltron
Der Standard

Die Architektur hat viele Feinde

Der russische Bauernsohn Konstantin Melnikow revolutionierte Form und Raum und wurde als Kind der Revolution schließlich selbst gefressen

Der russische Bauernsohn Konstantin Melnikow revolutionierte Form und Raum und wurde als Kind der Revolution schließlich selbst gefressen

Ich weiß: Ich bin in diesem Jahrhundert dazu berufen, das absterbende Gespür wieder zu beleben und neu in der Architektursprache zu reden." Konstantin Melnikow (1890-1974) wusste nicht, dass ihm für diese Aufgabe nur der Augenblick zwischen zwei Wimpernschlägen der Geschichte gegönnt sein würde, doch diesen kurzen Zeitraum von etwa zehn Jahren nutzte er traumwandlerisch aus.

Melnikow war Russe, Sozialist, Architekt. Als der Stalinismus sein Regime über die UdSSR zu spannen begann, erstickte er darunter auch die Formgeber der ersten Revolutionsjahre. Melnikow war eine der Speerspitzen dieser kraftvollen russischen Avantgarde gewesen, den Rest seines Lebens sollte er zurückgezogen, mit Arbeitsverbot belegt und mit Hunger geschlagen in seinem Haus in Moskau verbringen.

Zurzeit erinnert eine Ausstellung im Wiener Ringturm an Melnikows Werk. Modelle seiner Entwürfe, nachgebaut von Studenten von vier europäischen Universitäten, veranschaulichen die fast naturgewaltigen Formenkünste des Mannes, der die Architektur stets als Ausdruck der „modernsten Formen unserer Zeit“ aufgefasst hatte.

Kaum jemand weiß heute noch, dass die Wiener Architektur- und Kunstszene bereits Anfang der 70er-Jahre die Gnade eines Blickes auf Melnikows Universum erfahren durfte - und es ist nicht spekulativ zu behaupten, dass sie davon nicht unbeeinflusst blieb.

Wie es damals zu der überhaupt ersten Melnikow-Ausstellung im Westen kam, kann eine betagte, quicklebendige Dame in der Wiener Innenstadt erklären. In ihrem Wohnsalon gibt es nicht nur vorzüglichen türkischen Kaffee samt Zigaretten, sondern auch eine silbern gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografie. Sie zeigt einen alten, schmalen, dunklen Mann. Er trägt ein weißes, gehäkeltes Häubchen auf dem Kopf und sitzt sehr aufrecht in einem seltsamen Raum. Das Licht fällt durch ein sechseckiges Fenster. Es scheint sehr still um ihn zu sein.

Die Aufnahme des damals etwa 82-jährigen Melnikow in seinem mittlerweile legendären Wohnhaus in Moskau stammt von keinem Geringeren als dem französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson. Eva Auer, besagte Dame, hatte die Fäden geknüpft, die richtigen Menschen im richtigen Moment in der Geschichte zusammengebracht.

Sie selbst war in den 60er- und 70er-Jahren als Ehefrau des österreichischen Kulturattachés in Moskau stationiert, und da sie selbst Künstlerin, Malerin, also eine Wissende war, wusste sie, als sie in der UdSSR ankam, dass hier irgendwo einer lebte, der Melnikow hieß und seinerzeit Revolutionäres gebaut hatte. Melnikow hatte für die neue sowjetische Weltordnung den rechten Winkel verzerrt, Räume und Wände gefaltet, Architekturen wie Maschinen konstruiert und beweglich gemacht.

Eva Auer erzählt, wie sie vier Jahrzehnte später durch die Straßen Moskaus ging, auf der Suche nach dem Haus mit den sechseckigen Fenstern. Als sie schließlich davorstand, sagt sie, war es „wie ein Schlag“. Melnikow war vorsichtig, er war scheu geworden. Er öffnete der Künstlerin seine Pforten nur zögerlich, doch schließlich ließ er die Frau aus dem Westen eintreten in sein Universum, denn man hatte sich als seinesgleichen erkannt.

Eva Auer hatte in Paris bei Fernand Léger studiert und dort noch die Schwingungen gespürt, die von den russischen Avantgardisten, den Konstruktivisten und Kunstrevolutionären der 20er-Jahre hinterlassen worden waren. Erst als sich die Vertrautheit zu Melnikow zu einer Freundschaft verdichtet hatte, erlaubte der Architekt der Wienerin Unerhörtes: Sie durfte über einen längeren Zeitraum hinweg heimlich mit der Diplomatenpost ihres Mannes Fotografien und Pläne aus Melnikows Archiv in den Westen schmuggeln. Er ging damit ein ungeheures Risiko ein. Sie ebenfalls.

So wie zuvor Cartier-Bresson brachte Eva Auer auch Monsignore Otto Mauer, den Gründer der Galerie St. Stephan, in Melnikows Haus. Am 6. Februar 1974 eröffnete in der Wiener Avantgarde-Galerie die Ausstellung der stückweise in den Westen verfrachteten Exponate. Sie waren nur bis zum 2. März zu sehen. Melnikow starb im November desselben Jahres. Zuvor hatte Eva Auer noch einen weiteren Kontakt geknüpft - zum Architekturautor Frederick Starr, der 1978 die erste Monografie herausbrachte: Melnikow - Solo Architect in a Mass Society.
Melnikow wurde 1890 als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Der Besitzer jener Firma, in der er als Laufbursche arbeitete, erkannte offenbar sein gestalterisches Talent und finanzierte ihm die Ausbildung an der Moskauer Fachschule für bildende Kunst und Architektur. Er schloss das Studium 1917 ab: „Ich bekam den Titel eines Architekten und trat in ein Metier ein, das vor dem Abgrund stand. Warum erwecken meine Arbeiten solch starke Neugier, die sich mit Besorgnis mischt? Warum entstehen Abneigung und Angst vor der Ungewöhnlichkeit dieser Arbeiten? Und warum entsteht ein Gefühl der Frische, wenn man sie besser kennen lernt?“

Melnikow baute in der Folge Arbeiterwohnungen, Arbeiterklubs und entwarf Monumente. 1925 gestaltete er gemeinsam mit Alexander Rodtschenko den sowjetischen Pavillon für die Weltausstellung in Paris, der mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde und ihm internationale Berühmtheit verschaffte. Er blieb für einige Zeit mit seiner Familie in Paris, kehrte allerdings als „russischer Mensch mit russischem Glauben“ bald wieder nach Moskau zurück.

Zuvor hatte er noch ein Projekt für die Pariser Stadtverwaltung entwickelt, das nun in der Ringturm-Ausstellung der Wiener Städtischen Versicherung als Modell zur längeren Betrachtung und Analyse einlädt: In dem monumentalen und zugleich so eleganten Entwurf für ein Parkhaus für Pariser Taxis (1925) lässt sich Melnikows unerhörtes räumliches Talent ablesen. Das Konstrukt liegt scherenartig auf einer Seine-Brücke, die Rampen rasen durch den Baukörper, alles ist Bewegung, alles ist Geometrie.

Zurück in Moskau, durfte der Architekt noch ein paar fruchtbare Jahre verbringen. In dieser Zeit baute er auch sein Wohnhaus (1927-1929), das mit seinen gewagten zylindrischen Geometrien, den sechseckigen Fenstern, den gemauerten Betten und seiner ganz seltsamen Raumatmosphäre heute zu den Ikonen der modernen Architektur zählt.

Ab den 30er-Jahren fielen die russischen Konstruktivisten in Ungnade, Melnikow wurde eine knappe Pension zugewiesen, bauen durfte er nicht mehr. Eva Auer sagt heute, die Wertschätzung des Westens sei ihm egal gewesen, er habe vielmehr bis in das hohe Alter auf eine Rehabilitierung in seiner Heimat gehofft, aber auch diese Hoffnung habe er irgendwann einmal fahren lassen.

„Die Architektur“, hatte Melnikow gesagt, „hat viele Feinde, die andere Künste nicht haben: die Technik, die Grafik, den Alltag, die Dienstleistungen und die Millionen von Rubel.“ Vor allem Letztere bedrohen heute das Melnikow-Haus. Der Grund, auf dem es steht, ist kostbar, die Architektur selbst in schlechtem Zustand.

Eine Gruppe engagierter internationaler Architekten und Künstler versucht seit geraumer Zeit, das Gebäude ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und zu retten. Einer der Initiatoren ist MAK-Chef Peter Noever. Die offizielle Deklaration zur Rettung und Erhaltung des Hauses wurde etwa von Zaha Hadid, Daniel Libeskind, Rem Koolhaas und David Sarkysian, dem Direktor des Architekturmuseums Moskau, unterzeichnet.

80 Jahre nach Vollendung des Hauses beginnt nun ein Wettkampf gegen Zeit und Geld: Vor zwei Wochen starb Melnikows Sohn Wiktor. Er hatte bis zuletzt in seinem Elternhaus gelebt.

[ Die Ausstellung „Moskau - Melnikow. Architektur
und Städtebau von Konstantin Melnikow 1921-1937“ ist bis 13. 4. im Wiener Ringturm zu sehen. ]

Der Standard, Sa., 2006.02.25

04. Februar 2006Ute Woltron
Der Standard

Raumklänge im Schlosspark

Neue Architektur soll den Kulturstandort Niederösterreich aufwerten: Bei Schloss Grafenegg entstehen eine Konzerthalle und eine Openair-Bühne - und Landeshauptmann Erwin Pröll entdeckt das Zeitgenössische.

Neue Architektur soll den Kulturstandort Niederösterreich aufwerten: Bei Schloss Grafenegg entstehen eine Konzerthalle und eine Openair-Bühne - und Landeshauptmann Erwin Pröll entdeckt das Zeitgenössische.

Niederösterreich ist derzeit eher für seine „Ortsbildpflege“ bekannt als für qualitätsvolle zeitgenössische Architektur. Kaum ein Dorf in diesem schönen Bundesland, das ohne liebliche Pflasterung, den herausgeputzten vormaligen Dorfbrunnen samt Schmiede- eisenzierrat sowie den traditionellen Balkonblumenwettbewerb mit der Nachbargemeinde auskommen muss.

Neu Gebautes hingegen erfreut sich hier zu Lande vergleichsweise geringerer politischer Aufmerksamkeit. Die niederösterreichische kommunale Wohnbaukultur beispielsweise ist in ihrer Niveaulosigkeit international konkurrenzlos - doch das könnte sich jetzt unter Umständen langfristig zu ändern beginnen. Denn einerseits sorgen immer wieder private Bauherren für Qualitätseinsprengsel und lokale Aufbruchstimmungen (Stichwort Winzerarchitekturen zum Beispiel). Andererseits ist Architekturkultur auf jeder Ebene politisch durchaus steuerbar, und Landeshauptmann Josef Pröll zeigt sich als lernfähiger Mann.

Eben entdeckt er - und wer hätte das je für möglich gehalten - die Architektur als Standortfaktor. „Dem Land Niederösterreich“, so sprach er dieser Tage, „ist es ein Anliegen, Denkmalpflege und modernes Bauen in Einklang zu bringen.“ Anlass für diese Aufbruchsrede war ein ansehnliches, weit gedachtes Projekt, das sich Niederösterreich gemeinsam mit der hier ansässigen Familie Metternich-Sándor leisten will.

Letztere besitzt mit Schloss Grafenegg den Traum jedes Tourismusmanagers: ein Prachtschloss wie aus Zuckerwerk gesponnen, umgeben von einem Park, der selbst den britischen Hochadel durchwandlungswürdig deuchte, all das gut an das Verkehrsnetz angebunden und nicht weit ab der Bundeshauptstadt Wien gelegen.

Grafenegg ist jetzt schon ein wichtiges Zentrum niederösterreichischer Kulturaktivitäten, bis 2007 will man das gräfliche Anwesen zu einem internationalen Kulturstandort aufrüsten. Die Trägermittel zum Zweck sind die zeitgenössische Architektur und die Musik. Die Realisierung erfolgt über Private Public Partnership.

Wenn also in zwei Jahren das neue Grafenegger Musikfestival unter der künstlerischen Leitung von Rudolf Buchbinder startet, wird es über zwei neue, ansehnliche Bühnen gehen: Die Dortmunder Architekten Schröder Schulte-Ladbeck haben einen Konzertsaal entworfen. Die Wiener ARGE the next ENTERprise- architects+Land in Sicht haben den prachtvollen Schlosspark unter die Lupe genommen und einen Konzertpavillon zur Pflanzung vorgesehen. Die Familie Metternich-Sándor stellt die Grundstücke zur Verfügung, Niederösterreich wird 13 Millionen Euro in die Baulichkeiten investieren. Keine gewaltige Summe, aber wohl platziertes Investment.

Zum ersten Projekt, dem Konzertsaal: Die deutschen Architekten Schröder Schulte-Ladbeck konnten bereits mehrere von Musikwelt und Publikum gleichsam bejubelte Konzertsäle realisieren, in Grafenegg setzen sie zwischen die alte Reitschule und die Schlosstaverne leicht verdreht letztlich nichts anderes als die bewährte musikvereinsartige Schuhschachtel - was nicht abwertend klingen soll, denn das Implantat sitzt geschickt.

Gläserne Gänge verbinden den Solitär mit dem historischen Bestand, der Besucherfluss für die insgesamt 1200 Zuhörer wird über drei Ebenen gelenkt. Ein weiter, überdachter Foyerbereich sorgt für trockene Ohren vor und nach dem Konzert, wenn es zu sommerlichen Regengüssen kommt - und im Saal selbst wird es nicht mehr, wie bis dato in der alten Konzerthalle des Schlosses üblich, die bereits traditionellen mikroklimabedingten und gefürchteten Schweißausbrüche bei Musikern und Musikkonsumenten geben.

Das zweite Projekt befindet sich - ebenfalls als Solitär - im Park und stellt eine Openair-Bühne dar. Der Entwurf kann nicht losgelöst von der Parklandschaft betrachtet werden, die von Thomas Proksch (Land in Sicht) genau analysiert wurde, denn 2008 wird hier auch die niederösterreichische Landesgartenschau stattfinden.

Der Grafenegger Schlosspark ist über die Jahrhunderte gewachsen, seine barocken Strukturen wandelten sich zu einem im 19. Jahrhundert hochmodernen Landschaftspark im englischen Stil. Das etwa 30 Hektar große Areal zeichnet sich vor allem durch seinen vielfältigen Baumbestand aus, der nicht nur eine Art Baumsammlung darstellt, sondern in Baumgruppen bei den Parkbesuchern landschaftliche Ahaerlebnisse hervorrufen soll, wie es sich für einen Landschaftspark gehört.

In dieses gewachsene und von Thomas Proksch nun behutsam zu revitalisierende Ensemble pflanzen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs (the next ENTERprise) ein Konstrukt, das letztlich die zeitgenössische Interpretation eines Gartenpavillons darstellt und im besten Sinne des Modewortes „multifunktional“ ist. Denn im Idealfall wird ein solches Lust-Bauwerk auch dann benutzt, wenn gerade kein Konzert stattfindet. Der Park ist ganzjährig geöffnet, und Harnoncourt findet: „Der Pavillon soll nicht nur für Konzerte genutzt werden, er soll auch ein Ort sein, wo man sich gerne hinsetzt und sein Jausenbrot auspackt.“ Die Freiluftbühne für klassische Musik muss mit natürlicher Akustik auskommen, sie bildet also sowohl einen akustischen als auch perspektivischen Raum.

Die Architekten konzipierten also, getreu den Prinzipien des Landschaftsgartens, eine Abfolge von Topografien: Eine Schneise führt in das in der Landschaft abgesenkte Freiluftauditorium, der Blick fällt auf eine Art Bühnenturm, der die Höhe des umliegenden alten Baumbestandes aufnimmt. Harnoncourt: "Uns war die Veränderung des Räumlichen sehr wichtig, die sich durch die Bewegung der Besucher durch den Park ergibt. Der obere Teil des Turmes ist akustisch wirksam, wiewohl beide Projekte, Saal und Pavillon, von den Münchener Akustikexperten Müller-BBM für die zu erwartenden Konzerte optimiert werden.

Beide Projekte sind Wettbewerbsergebnisse und sprechen eine deutliche, im Heute verstandene Sprache. Joachim Rössl als Leiter der Gruppe Kultur der Landesregierung unterstreicht diese Notwendigkeit: „Um im internationalen Kulturangebot bestehen zu können, brauchen wir internationale Qualität. Der Denkmalschutz darf nicht als tote Materie verstanden werden, sondern muss mit Zeitgenössischem kombiniert werden.“

Die umtriebige niederösterreichische Kulturabteilung ist unter anderem für Österreichs innovativste und meistbeachtete „Kunst im öffentlichen Raum“ verantwortlich, und Rössl weiß genau, dass der Kulturstandort Niederösterreich in einem großräumigen Konkurrenzfeld zu betrachten ist, das sich über Wien bis nach Prag, Salzburg, München zieht. Man will Kulturtouristen zum längeren Verweilen auffordern und zu diesem Zweck die Achse Schallerburg, Kulturbezirk St. Pölten, Kunstmeile Krems über Grafenegg bis nach Wien verlängern. Rössl denkt strategisch-raumplanerisch: „Weder Wien noch Niederösterreich werden die internationale Qualität allein schaffen, das funktioniert nur gemeinsam.“ Landeshauptmann Pröll unterstützt diese klugen Pläne mit der ihm innewohnenden Verve und befindet, dass „die neue Architektur der Qualität der bestehenden Bauwerke adäquat ist“.

Man kann ihn dafür nicht hoch genug loben, den Landesvater. Jetzt auch noch ein deutlicher architekturqualitätssteigernder Schlenker in Richtung Wohnbau - und Niederösterreich wird noch schöner.

Der Standard, Sa., 2006.02.04



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Auditorium Grafenegg
Wolkenturm – Freiluftpavillon Schlosspark Grafenegg

01. Februar 2006Ute Woltron
Der Standard

Rettungschance für Juwele moderner Architektur

Die Bedeutung von Baudenkmälern der jüngeren Vergangenheit sickert ins öffentliche Bewusstsein: Wien überlegt den Ankauf einer Josef-Frank-Villa. Und eine Ausstellung zeigt, wie das 20er Haus gerettet werden könnte.

Die Bedeutung von Baudenkmälern der jüngeren Vergangenheit sickert ins öffentliche Bewusstsein: Wien überlegt den Ankauf einer Josef-Frank-Villa. Und eine Ausstellung zeigt, wie das 20er Haus gerettet werden könnte.

Eine der interessantesten und architekturhistorisch wertvollsten Villen der europäischen Moderne steht derzeit in Wien zum Verkauf - und diesmal sieht es so aus, als ob die öffentliche Hand zugreifen und das Objekt in jenen Rang heben wolle, der ihm zusteht.

Die Villa Beer von Josef Frank aus dem Jahr 1930 könnte als - auch im internationalen Vergleich - außergewöhnliches Zentrum für Architekturforschung und Architekturtourismus genutzt werden, sobald sie sich in öffentlichem Besitz befindet.

Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat den Kauf des derzeit noch in Privatbesitz befindlichen Wohnhauses bereits vergangenen Sommer zur Chefsache erklärt und persönlich die MA 69 mit den Kaufverhandlungen beauftragt.

Unruhe über Verkauf

Das denkmalgeschützte Objekt im 13. Wiener Gemeindebezirk ist laut Schätzgutachten der Gemeinde rund 2,5 Millionen Euro wert, die Differenz zu den von den Besitzern geforderten 3,5 Millionen wird, so Planungsstadtrat Rudolf Schicker zum STANDARD, derzeit ausverhandelt. Schicker ist zuversichtlich: „Ich denke, dass wir klar kommen werden.“ An die Öffentlichkeit sei man vor Kurzem deshalb gegangen, „weil Unruhe im Bezirk über den Verkauf entstanden war“. Schickers MA 19 hat gemeinsam mit dem Architekturzentrum Wien und dessen Chef Dietmar Steiner einen detaillierten Bespielungsplan für das Gebäude ausgearbeitet, denn der Ankauf macht nur dann Sinn, wenn die weitere Nutzung auf betriebswirtschaftlich fundierten Grundfesten ruht und das Verhältnis der Betriebskosten zu den Einnahmen in einem für die Stadt akzeptablen Verhältnis steht.

Die mit 800 m² Wohnfläche großzügig auf vier Ebenen dimensionierte Villa ist laut Friedrich Achleitner die bemerkenswerteste Wohn-Architektur der Zwischenkriegszeit in Wien, sie wird von der internationalen Fachwelt zu den wichtigsten Bauten des 20. Jahrhunderts in Europa gezählt - und sie ist nicht zuletzt auch zeitgeschichtlich von Brisanz.

Der jüdische Architekt Josef Frank plante das Haus 1930 „wie eine Stadt, mit Straßen und Wegen, die zwangsläufig zu Plätzen führen“. Frank emigrierte 1934 nach Schweden, wo er 1967 starb. Seine Auftraggeber Margarethe und Julius Beer, ebenfalls jüdischer Herkunft, flüchteten bereits ein Jahr zuvor in die USA.

Die Eltern der derzeitigen Besitzer erwarben das Anwesen rechtmäßig 1941, und es kann als außerordentlicher Glücksfall gewertet werden, dass sie die Qualitäten der Villa erkannten und bis ins Detail erhielten. Das Haus befindet sich also in tadelloser baulicher Verfassung und so gut wie in seinem Originalzustand, was allein Seltenheitswert hat.

Europaweit sind tatsächlich nur eine Hand voll ähnlicher Objekte erhalten: Tschechien hat die Villa Tugendhat von Ludwig Mies van der Rohe in Brünn für die Öffentlichkeit geöffnet. Die Stadt Prag hat Adolf Loos' Villa Müller restauriert und mit einer Dauerausstellung über den Wiener Architekten bestückt. In Paris steht die Villa la Roche von Le Corbusier zur Besichtigung offen, und das Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht von Gerrit Rietveld wird ebenfalls als Architekturmuseum genutzt.

Als möglicher Betreiber der Villa Beer bietet sich das Architekturzentrum Wien an, da man über langjähriges Know-how sowie die nötigen internationalen Kontakte verfügt, um das Baujuwel professionell nutzen und auch vermarkten zu können, denn der europäische Architekturtourismus boomt.

Frank hatte im Exil nicht nur als Architekt, sondern auch als Stoff- und Möbeldesigner für das Stockholmer Einrichtungshaus Svenskt Tenn großen Erfolg. Das Unternehmen produziert seine Entwürfe nach wie vor und wäre - laut ersten Kontakten - an einem Standbein in Wien höchst interessiert. Derzeit ist der Frank-Nachlass zerstreut, einzig die hervorragende Monografie der Kunsthistorikerin Maria Welzig gibt einen Überblick über das Werk des hier zu Lande lange Zeit fast vergessenen Architekten.

[ Maria Welzig, Josef Frank 1885-1967, Verlag Böhlau, Wien ]

Der Standard, Mi., 2006.02.01



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Haus Beer

28. Januar 2006Ute Woltron
Der Standard

Hybridautos für Amerika

Der kalifornische Architekt Thom Mayne senkt in amerikanischen Regierungsgebäuden den Erdölverbrauch und fordert US-Richter auf, Kafka zu lesen, wenn er für sie bauen soll. Denn: Strategisches Denken in der Architektur ist angesagt.

Der kalifornische Architekt Thom Mayne senkt in amerikanischen Regierungsgebäuden den Erdölverbrauch und fordert US-Richter auf, Kafka zu lesen, wenn er für sie bauen soll. Denn: Strategisches Denken in der Architektur ist angesagt.

Die Vereinigten Staaten von Amerika konnten ihre Sympathiewerte in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen nicht uneingeschränkt steigern - Leute wie der Kalifornier Thom Mayne (62) verkörpern geradezu bilderbuchartig die erfreuliche Gegenthese zum offiziellen Amerika, also jenen zu oft in den Polemiken vergessenen kritisch-wachsamen, innovativen Teil der amerikanischen Bevölkerung.

Dieser Tage weilt der Architekt, der 1972 in Los Angeles das Architekturbüro „Morphosis“ gründete, in Wien, um im Rahmen eines Postgraduate-Lehrgangs der Universität für angewandte Kunst angehenden Architekten und Architektinnen das zu vermitteln, was in der Spitzenarchitektur in Zukunft verstärkt benötigt wird: Durchsetzungs- und Überzeugungsvermögen, in allen Phasen des Entstehungsprozesses von Architektur.

Die Architekturstudenten der Angewandten kommen derzeit also in den Genuss, gleich von zwei Pritzkerpreis-Größen geschult zu werden. Von der raumfüllenden Zaha Hadid, die Entwurfsprogramme bis in atomare Gefilde zerlegt, und von Mayne, der den Rest des Universums in seine Überlegungen mit einzubeziehen gewohnt ist. Weitere Architekturgrößen unterschiedlicher Provenienz werden im Laufe des Semesters folgen.

Initiator der Intensivschulung „Urban Strategies“ ist Angewandte-Architekturchef Wolf D. Prix, der sich - der Wiener Neidgesellschaft zum Trotz - durchaus etwas auf diese Versammlung der internationalen Spitzenarchitekten im Dienste seiner Schülerinnen und Schüler einbilden kann.

Planung ist eines, sie umzusetzen ein ganz anderes, beides muss man können, will man gute Arbeit liefern. Wer, wenn nicht die renommiertesten Architekten der Welt können davon ein Lied singen, und wer, wenn nicht Prix, kann diesen Chor harmonisch an der Angewandten vereinen.

Thom Mayne beispielsweise produziert eine Architektur, die formal so jenseits der üblichen Investorenkisten ist, dass man sich auf den ersten Blick schon fragt: Was will dieser Mann? Und wie ist es ihm gelungen, diese Häuser umzusetzen? Stellt man diese Fragen ihm selbst, so erhält man präzise Antworten, und zwar auf jedes Detail, auf jedes architektonische Element seiner markanten und unverwechselbaren Gebäude.

Architekten, meint er, würden wie Regisseure funktionieren: Sie dirigieren eine Fülle verschiedenster Anforderungen, Bauherrenwünsche, Materialqualitäten. Architekten müssten all die unterschiedlichen Aspekte im Auge behalten, zu einer funktionierenden Form komponieren und sich zugleich darüber im Klaren sein, dass die Architektur nur die eine Hälfte eines Gebäudes darstelle. Die andere ergebe sich durch die Nutzer, die das Haus bespielen und für sich erobern.

Mayne behauptet, dabei durchaus traditionsbewusst und keineswegs der böse Bube zu sein, als der er gehandelt werde: „Mir geht es nicht darum, etwas zu verändern, sondern, strategisch denkend, das Beste aus den Gegebenheiten zu machen.“ Für die Stadtregierung San Franciscos baut er beispielsweise ein großformatiges Verwaltungsgebäude. Zwei Drittel des Hauses werden ohne Klimaanlage auskommen, was in den energieverschwenderischen USA etwa so üblich ist wie zweisprachige Ortstafeln in Kärnten. Die dadurch eingesparten zwölf Millionen Dollar wandern in eine intelligente Fassade, mit der Differenz der Energiekosten könnten 600 Häuser versorgt werden.

In Amerika, meint Mayne süffisant, spiele die Erdöl-Liga derzeit eine nicht ungewichtige Rolle, weshalb es ihn besonders freue, ein Regierungsgebäude anderen energetischen Maßstäben angepasst zu haben. „Hey, ich bin in den Sechzigerjahren aufgewachsen“, sagt er, „und Sie fragen mich ernsthaft, was ich zur derzeitigen politischen Situation dieses Landes sage?“

Doch, die Frage ist ernst gemeint, und die Antwort darauf kommt wieder in aller Deutlichkeit: Schändlicherweise habe eine bestimmte Minorität in den vergangenen Jahren die Macht an sich gerissen, das Land unter sich aufgeteilt und in zwei deutliche Lager gespalten. „Das wird sich wieder ändern“, so Mayne mit erfrischendem Optimismus, und bis dahin demonstriere er anhand seiner Gebäude, dass die Architektur sehr wohl ein Statement abgeben könne - sogar jene, die er für die Regierung baue.

Als sich etwa ein durchaus dem konservativen Lager zuzuordnender Richter aus Oregon ein neues Gerichtsgebäude wünschte, legte der erst einmal eine Skizze eines vorgestrig-klassizistischen Gebäudes als Idealvorstellung auf Maynes Zeichentisch. Säulen und Tympanon und so. Der Architekt nickte nur bedächtig, um dann das zu leisten, was er in Wien den Studenten gerade beizubringen versucht: Überzeugungsarbeit.

Er entwarf ein geschmeidiges, in mehreren Baukörpern strukturiertes, den inneren Abläufen des Gerichts entsprechendes Konstrukt, breitete die Skizzen vor den ungnädigen Augen des Richters aus und meinte: „Das ist eine der unendlich vielen Möglichkeiten. Wenn Sie sie nicht mögen, kann ich genauso gut eine andere finden.“ Nur logisch und funktionierend müsse sie sein.

Das Endprodukt besteht nach wie vor aus sechs Teilkörpern, der Richter hat in der Zwischenzeit Kafkas Prozess gelesen - weil Mayne ihn dazu aufgefordert hatte - und es hat, wie der Architekt meint, ein „shift of tradition“ stattgefunden: alte Formen, alte Traditionen, in eine neue, zeitgemäße Architektursprache gekleidet.

Maynes Architekturen, um auf seine Gestaltqualitäten zu sprechen zu kommen, wirken wie knospende, sich eben entfaltende Organismen. Er arbeitet vor allem in den Fassaden mit intelligenten Schichtungen, zieht etwa die Außenhaut des Gebäudes solchermaßen über die Struktur, dass sich geschützte Zonen ergeben, die als Foyer und als öffentlicher Raum wirksam werden.

Sein vor etwa zwei Jahren fertig gestelltes Caltrans-Verwaltungsgebäude - ebenfalls ein öffentliches Haus - in Los Angeles, Downtown, demonstriert diesen Ansatz vorbildlich. Gerade in LA, wo sich niemand um öffentliche Räume kümmert, hat dieses Bemühen um städtebauliche Kleinareale für die Öffentlichkeit besondere Brisanz und nachgerade Aufforderungscharakter an die politische Führung. Ein von Mayne mitinitiiertes Kunstprojekt von Keith Sonnier, das in Lichtströmen die Verkehrs- und Freeway-Metropole raffiniert reflektiert, unterstreicht, dass der konstruktive, insistente Diskurs mit der Bauherrschaft gelingen kann, wenn die richtigen Argumente auf den Tisch gelegt werden.

Thom Mayne, so offen und konstruktiv er in Verhandlungen mit seinen Auftraggebern sein mag, ist andererseits auch dafür bekannt, den Kompromiss nur bis zu einem gewissen Punkt einzugehen. Selbstverleugnungen verweigert er sich, so manches Projekt hat er letztlich nicht mitgetragen. Der Pritzkerpreisträger des vergangenen Jahres wirkt wie jemand, der Condoleezza Rice ein solarbetriebenes Auto verkaufen will. Dass er seine Überzeugungen gnadenlos auch selbst lebt, beweist das Hybridauto, das in seiner eigenen Garage steht.

„Je älter ich werde“, sagt er, „desto mehr Energie habe ich, desto mehr drängt es mich weiterzutun.“ Gerade das Unterrichten, der Umgang mit den Studentinnen und Studenten und damit das ständige Eintauchen in die Welt der Jungen halte ihn frisch, wachsam und nicht zuletzt optimistisch.

Der Standard, Sa., 2006.01.28

22. Januar 2006Ute Woltron
Der Standard

Die Form bleibt das Rätsel

Gerhard Garstenauer über Qualitätsmerkmale der Architektur und über Blähungen, die entstehen, wenn nur aus dem Bauch heraus gebaut wird.

Gerhard Garstenauer über Qualitätsmerkmale der Architektur und über Blähungen, die entstehen, wenn nur aus dem Bauch heraus gebaut wird.

Er blieb, was er immer bleiben wollte: Architekt in Salzburg. Doch was Gerhard Gartenauer (80) in seinem Aktionsradius baute, hatte Klasse und Gültigkeit - weit über die Grenzen des Bundeslandes und seiner Generation hinaus. Vor allem seine Planungen für das Gasteinertal waren bahnbrechend und nachgerade visionär. Vielleicht kamen sie zu früh.

STANDARD: Was ist Architektur?

Gerhard Garstenauer: Für mich ist Architektur kein Willkürakt, sondern ein Akt der Sinnverwirklichung. Die Frage nach Sinn und Wesen der Aufgabe muss im Vordergrund aller Überlegungen stehen. Das kann ich bis zum heutigen Tag verifizieren, indem ich die Qualitätsmerkmale bloßlege. Architektur darf keiner Mode, keiner Laune gehorchen. Alle diese Dinge habe ich versucht, durch konsequente methodische Vorgänge beim Entwerfen abzubauen. Das geht so weit, dass ich für fast jede Aufgabe vorab eine schriftliche Formulierung vorgenommen habe. So kam es, dass meine Einstellung zur Architektur von dieser Art ist. Sie gehorcht keinen Launen.

STANDARD: Gelten Ihre Grundsätze auch nach 45 Jahren des Architekturschaffens noch?

Garstenauer: Ich bin konsequent dieser Meinung, weil ich die Architektur für eine echte Disziplin halte, die nicht aus dem Bauch heraus entwickelt werden kann. Wie der Wortstamm schon sagt, geht das mit Blähungen einher, mit übertriebenen Interpretationen einer Gefühlsseite. Diese Aus-dem-Bauch-heraus-Definitionen führen permanent zu Auswüchsen, die wir sehr kritisch betrachten sollten. In meiner Generation befindlich habe ich eine konkrete Beziehung zur klassischen Moderne und zur historischen Architektur und bin sehr empfindlich in der Frage der modischen Interpretation von architektonischen Aufgaben, für die es zahlreiche Beispiele gibt.

STANDARD: Welche Qualitätsfaktoren machen Sie dingfest?

Garstenauer: Es geht um Merkmale, an denen man ablesen kann, ob es sich wirklich um Architektur handelt: Ein verlässliches Hilfsmittel ist die Konstruktion. Sie ist das konstituierende Element der Gestaltung schlechthin. Wir sind keine Bildhauer, wir sind keine Maler, wir konstruieren. Ob es die ägyptischen Pyramiden sind, die griechischen Tempel oder eine gotische Kathedrale - es sind Konstruktionen, die Dauerhaftigkeit haben. Was man etwa heute an griechischen Tempeln sieht, ist das, was bleibt: Idee, Konstruktion, Material. Dass das früher ganz anders ausgesehen hat, wissen wir natürlich. All das ist verschwunden, und trotzdem stehen diese herrlichen Dinge da. Konstruktion ist allerdings auch ein belastetes Schlagwort, weil man darunter landläufig die sterile Erfüllung statischer Prinzipien versteht. Doch darum geht es nicht.

STANDARD: Hat sich der Sinn in der Architektur nicht deutlich verschoben?

Garstenauer: Für mich nicht. Architektur bleibt immer die gleiche Grundproblematik. Wenn man ein Haus baut, muss man einen Sinn damit verbinden, es handelt sich ja nicht um eine Spielerei. Das Kontinuum, das durch alle Zeiten gleich bleibt, sind die Werte der Sinnverwirklichung und die Konstruktion, die Proportion, die Idee. Das sind die Grundmerkmale des architektonischen Agierens. Ich habe stets Ausschau gehalten nach Qualitätsmerkmalen in Hinblick auf die Form. Was natürlich das Höchste ist, aber den meisten ein Rätsel bleibt.

STANDARD: Sie haben sehr früh, gerade was die Konstruktion anlangt, radikale Ideen verwirklicht - durchaus Ideen, die heute von der ganz jungen Generation vermeintlich erfunden werden. Sehen Sie sich als Avantgardist?

Garstenauer: Ich beobachte seit zwei Jahrzehnten, wie in der jungen Architektengeneration die Fähigkeit abnimmt, die Tätigkeit an diesen Qualitätsmerkmalen zu orientieren. Es hat nichts eine ordentliche Konstruktion! Da wird man verführt von den Dekonstruktivisten, die mit der Konstruktion nur das Dekonstruieren gemein haben. Ich habe mir viele internationale Beispiele angeschaut. Ich halte das meiste davon für Willkürakte. Die Architekten können die einfachsten Sachen nicht konstruieren, weil sie nicht mit Sinn und Wesen der Aufgabe vertraut sind, sondern sie spekulieren, wie sie sich in der Gesellschaft mit außergewöhnlichen Merkmalen positionieren können - als besonders modern, als besonders der Form verbunden, und das ergibt in meinen Augen sonderbare Ergebnisse.

STANDARD: Der rote Faden in der Architektur scheint derzeit die Eitelkeit zu sein?

Garstenauer: Es gibt keine ernst zu nehmende Fortsetzung architektonischen Agierens im historischen Zusammenhang. Die vorhin angesprochene Konstruktion muss natürlich in das übrige architektonische Gestaltungsfeld eingebunden sein, das von Aufgabe, Material, Proportion, Funktion geprägt ist. Das sind ewige Werte, die man an jeder noch so banalen Aufgabe nachweisen kann.

STANDARD: Sie selbst haben Architektur gelehrt und als einer der Ersten immer wieder darauf gepocht, dass Architektur aktiv vermittelt werden muss.

Garstenauer: Das ist alles unbeachtet geblieben. Die Planungsmethodik, das kennt man nicht in architektonischen Kreisen.

STANDARD: Sie hatten ein etabliertes Architekturbüro in Salzburg. Eine fruchtbare Kooperation mit Ihren Mitarbeitern war Ihnen wichtig?

Garstenauer: Ab einem gewissen Alter ja: weil ich Synthetiker bin und so die Dominanz des Chefs wegfällt. Die Architektur ist eine typische Synthesedisziplin, in der die Elemente des einen mit jenen des anderen zu einem Höheren gebracht werden sollen. Ganz allein kann man als Architekt nicht leben, das ist zum Verhungern. Ich habe es versucht, aber das war unmöglich. Erst musste ich ja den Leuten alles ausreden, was sie an Vorstellungen eines Hauses hatten. Stellen Sie sich vor! Ich war hier einer der Ersten, die Flachdächer gebaut haben. Was ich da mitgemacht habe, kann ich gar nicht sagen.

STANDARD: Wie haben Sie sich durchgesetzt?

Garstenauer: In einem Fall habe ich es letztlich aufgegeben, obwohl ich einige durchgesetzt hatte. Ein Haus zum Beispiel wurde von Wüstenrot nicht finanziert, weil es eben ein Flachdach hatte. Da musste ein Satteldach drauf.

STANDARD: Hat sich an dieser konservativen Haltung in Salzburg mittlerweile etwas geändert?

Garstenauer: Nein. Im Gegenteil. Die Öffentlichkeit ist so verunsichert, dass sie jeden Blödsinn gutheißt und sich keiner Nein zu sagen traut, weil man fürchtet, als hinterwäldlerisch und konservativ abgestempelt zu werden. Die klare Sicht ist für uns Architekten schon nicht einfach, deshalb verüble ich es den Leuten auch nicht, wenn sie Qualität nicht erkennen. Ich finde auch, dass die Sicht auf die zeitgenössische Architektur medial völlig danebengeht. Es werden die falschen Projekte gezeigt und die falschen Merkmale herausgestellt. Es ist ja auch schwierig. Man fängt eben nicht an mit: Das gefällt mir, das gefällt mir nicht. Diese Argumentation verachte ich.

STANDARD: Welche Kräfte haben Ihre Qualitätskriterien geformt?

Garstenauer: Eine gewisse Leitfunktion hatte Konrad Wachsmann. Er hat uns den Wert einer Konstruktion beigebracht. Er hat sich damit allerdings vor allem auch ästhetisierend auseinander gesetzt, und sein Ästhetizismus war mir anrüchig. Wir haben Fachwerke gezeichnet und diskutiert, am Ende kam fast ein Bauwerk heraus. Eines der Projekte habe ich kritisiert, weil dort Nullstäbe drinnen waren, die keinerlei konstruktive Bedeutung hatten.

STANDARD: Sie haben sich bereits mit zeitgenössischer alpiner Architektur auseinander gesetzt, als noch der Stadl Standard war. Derzeit geht das Bauen für den Bergtourismus eher in Richtung Design, Stichwort Zaha Hadid. Können Sie damit etwas anfangen?
Garstenauer: Hadid macht das sehr geschickt, sie positioniert sich außergewöhnlich. Aber mich interessiert etwas, das weiterführend ist und nicht nur heute gilt. Dekoratives Übergewicht ist mir suspekt.

STANDARD: Wie begründen Sie diese, sagen wir, Exaltiertheit in der Architektur?

Garstenauer: Sie ist nichts anderes als die Sucht nach dem Neuen, die es immer gab, und darum werden die absurdesten Register gezogen. Ich sehe diese Masse der Architekten vor mir. Sie starren alle auf das Außergewöhnliche, auf die Stars. Jeder möchte so einer werden. Ich bin auch nicht ganz frei davon, aber ich habe mich immer selbst - und die Form - diszipliniert.

STANDARD: Ihre Architektur ist jedenfalls für österreichische Verhältnisse außergewöhnlich . . .

Garstenauer: Sie ist es gewesen. Meine Tätigkeit ist Geschichte. Sie reicht 45 Jahre zurück.

STANDARD: Geschichte ist auch Ihre Gasteiner Architektur, die weltbekannt wurde. Wie konnten Sie sie durchsetzen?
Garstenauer: Das war von Glück und Zufällen geprägt und stand in direktem Zusammenhang mit dem damaligen Gasteiner Bürgermeister. Aber noch 14 Tage vor der Eröffnung des Felsenbades kam der Gemeinderat auf die Baustelle. Man sagte: Herr Architekt, die Betonkist'n da können Sie sich am Hut stecken. Ich habe gemeint: Reden wir nach der Eröffnung weiter.

STANDARD: Clemens Holzmeister hat dann eine euphorische Eröffnungsrede gehalten, das Felsenbad machte Sie schlagartig international bekannt.

Garstenauer: Er war erregt, weil keiner zuvor so einen Felsraum gesehen hatte. Es wurde ein Welterfolg, nach einem Jahr hatten wir den millionsten Besucher. Ich wurde international eingeladen, Professuren wurden mir ange- boten.

STANDARD: Sie haben in der Folge Kongresshaus, Gondeln, Berg- und Talstationen in Sportgastein geplant und mit den kugelförmigen Stationen dem gesamten Tal ein Image gegeben.

Garstenauer: Jetzt ist eigentlich fast alles total ruiniert. Das Felsenbad ist umgebaut zu einer Scheußlichkeit, und die Naturschutzbehörde hat vor einigen Jahren die Gemeinde per Bescheid dazu aufgefordert, die Kugeln, die sie zuvor selbst kommissioniert hatte, entfernen und durch Blockbauten mit Satteldach ersetzen zu lassen, weil sie nicht in die Landschaft passen. Ich konnte gar nichts machen. Nur eine davon steht noch, weil jemand meinte, das wäre doch das Wahrzeichen von Gastein. Ein Unternehmer wurde für die Entsorgung bezahlt. Er hat eine der Kugeln wieder aufgestellt - als Verkaufsraum. Und ein Kunsthistoriker hat eine der alten Gondeln in einem Heustadel unter Gerümpel gefunden. Die hängt jetzt als Relikt in der Halle der neuen Stubnerkogelbahn. Damit die Leute wissen, wie das früher ausgeschaut hat.

STANDARD: Sie waren Ihrer Zeit voraus.

Garstenauer: Sicher.

STANDARD: Wie gehen Sie mit einer derartigen Missachtung um?

Garstenauer: Ich führe sie auf Ungebildetheit zurück. Information ist alles. Architektur muss man lernen wie Zeichnen, Schreiben, Rechnen. Schon in der Schule muss das beginnen. In der Presse muss es sich fortsetzen. Aber all das findet nicht statt.

STANDARD: In einer Ihrer Schriften erwähnen Sie Richard Neutra, den Sie kannten. Sie zitieren aus einem Brief, in dem er seine Überlegungen zu einer Rückkehr nach Österreich darlegt. Er schreibt, er werde hier nicht geschätzt, doch er könne nur weitermachen, wenn er geschätzt werde. Haben Sie selbst genug Anerkennung erfahren?

Garstenauer: Ich bin zufrieden. Je älter ich werde, umso weniger Leute schätzen meine Arbeit, aber dafür ist die Akzeptanz derjenigen, auf die es mir ankommt, umso intensiver.

Der Standard, So., 2006.01.22



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Garstenauer Gerhard

07. Januar 2006Ute Woltron
Der Standard

Die Welt ist, was der Fall ist

Der Wahn des multimedialen Jubiläumfeierns erreicht 2006 einen Höhepunkt. Das Jahreszahlenklauben hat die Architektur bisher kaum erfasst, was an dieser Stelle nachgeholt wird.

Der Wahn des multimedialen Jubiläumfeierns erreicht 2006 einen Höhepunkt. Das Jahreszahlenklauben hat die Architektur bisher kaum erfasst, was an dieser Stelle nachgeholt wird.

Herrlich ist die Welt, wenn Ordnung herrscht und Übersicht gewahrt werden kann, wenn sich Ereignisse und Phänomene in Zahlen, Daten, Fakten gießen lassen und unverrückbare Wahrheiten feststehen.

Die Welt ist alles, was der Fall ist, behauptete Ludwig Wittgenstein im Tractatus Logico-Philosophicus, und obwohl der in Österreich gebürtige Philosoph sein Werk erst im Jahr 1918 der Vollendung zuführte, könnte der Satz genauso gut aus dem Jahr 1916 stammen, weil er schließlich der erste des Opus und somit dessen Beginn war. Damit wäre das berühmte Zitat heuer genau 90 Jahre alt - eigentlich ein Grund für groß angelegte Feiern.

Doch halten wir uns nicht mit unwissenschaftlichen Spekulationen auf, sondern konzentrieren wir uns auf jene Jubiläen, die verbuchtermaßen tatsächlich der Fall sind. Niemandem kann in den vergangenen Monaten beispielsweise entgangen sein, dass eines davon seit 250 Jahren feststeht. Wolfgang Amadeus Mozarts Geburt hat für die heimische Kulturindustrie den unschätzbaren Vorteil, dass sie in Salzburg und somit in Österreich stattfand, noch dazu am 27. Jänner, womit sich vorzüglich ein Mozartjahr konstruieren und am Rande auch vermarkten lässt.

Im Schatten der zu erwartenden Klangwolken erlauben wir uns dennoch darauf hinzuweisen, dass auch die Baukunst gelegentlich Jubiläen feiern könnte, wenn man wollte. Nicht zuletzt sind Architektur und Musik verwandte Künste. Der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling beispielsweise (der, nebenbei bemerkt, im Vorjahr 230 Jahre alt geworden wäre, was keinen sonderlichen Widerhall in der Weltöffentlichkeit zur Folge hatte) behauptete, Architektur sei „erstarrte Musik“, für Kollegen Arthur Schopenhauer war die Baukunst ebenfalls nichts anderes als „gefrorene Musik“.

Beginnen wir also die wert- und wertungsfreie ALBUM-Architektur-Jubiläumsparade mit einem musikalisch-architektonischen Event, der sich heuer immerhin zum 570. Male jährt: 1436 wurde der von Brunelleschi vollendete Dom zu Florenz zu den Klängen einer Motette Guillaume Dufays eingeweiht, deren kompositorische Strukturen nichts Geringeres als die Proportionen des zu bejubelnden Bauwerkes zur Grundlage hatten. „Nuper rosarum flores“ heißt das Stück übrigens, und wer, wes Alter auch immer, sich in die fast überirdisch schöne Proportionslehre der Renaissance in musikalischer Form vertiefen möchte, dem sei die - heuer übrigens genau ein Dutzend Jahre alte - CD „Utopia Triumphans“ des Huelgas Ensembles eindringlich ans Herz gelegt.

Ob Ludwig Mies van der Rohe Klavier oder Geige spielte, ob er überhaupt musikalische Leidenschaften an den Tag legte, kann an dieser Stelle nicht ergründet werden. Eines steht jedoch fest: Deutschlands berühmtester Baukünstler des 20. Jahrhunderts wurde heuer vor exakt 120 Jahren in Aachen geboren. Von etwaigen Feierlichkeiten zu diesem Anlass ist derzeit noch nichts bekannt, offenbar entspricht man posthum dem Leitsatz dieses epochalen Vertreters der Moderne, der da lautete: „Weniger ist mehr.“

Auch Tirol könnte, wenn es gedächte, heuer einen großen Sohn der Heimat ehren: Clemens Holzmeister erblickte daselbst und ebenfalls im Jahre 1886 das Licht der Berge. Macht wiederum einen runden 120er für einen, der tatkräftig das architektonische Geschehen mitbestimmte und dank seiner großen und erfolgreich tätigen Schülerzahl weit über seinen Tod hinaus beeinflusste. Unnötig zu erwähnen, dass er der Kreateur des Salzburger Festspielhauses war, womit sich der Kreis zu Mozart elegant schließt.

Ein weiteres Architekturjubiläum dürfte in den USA, im Speziellen in New York, heuer sehr wohl, wenn auch in kleinerem Rahmen mit oder ohne Musik begangen werden. Der im Vorjahr verstorbene Tyrann der dortigen Szene wäre heuer 100 Jahre alt geworden: Philip Johnson. Verehrt und verhasst, man wird seiner gedenken, und zwar noch lange.

Bereits 1978 starb der gebürtige Venezianer Carlo Scarpa - auch er kam 1906 zur Welt und wäre somit heuer runde 100. Seiner dankbar eingedenk könnten nicht nur die Vertreter der Architektur sein, sondern auch Designer und Leute, denen die Architektur immer noch ein raffiniertes, modifiziertes Produkt gediegenen Handwerks ist.

Themen- oder besser Gliedmaßenwechsel: Ob das Fußballspielen tatsächlich von den Chinesen vor 2300 Jahren erfunden wurde oder doch von den Azteken Mittelamerikas, darüber streiten die Experten noch. Doch auch aus diesem Themenkreis lassen sich interessante Zahlen- und Datumsspielereien herleiten, auch wenn die Geburtsstätte des „modernen“ Fußballs mit England feststeht. Während also Deutschland seinen Stolz über die prächtigen, der kommenden Fußballweltmeisterschaft harrenden Stadien nur ungern verhehlt, steht das älteste Fußballstadion Südamerikas in Uruguay. Dort wurde auch die erste WM 1930 ausgetragen und auch gleich von den Gastgebern gewonnen.

Das könnte ein Omen für Deutschland sein, das zwar sein erstes Spiel gegen Costa Rica und damit unter Umständen gegen mittelamerikanische Azteken-Nachfahren machen wird, sich derzeit in kultureller Hinsicht aber eher noch für das sich bald rundende Todesjubiläum Heinrich Heines rüstet, weil man den Ticos fußballerisch sowieso nichts zutraut. Denn Friedrich Schiller, der zur Freude seiner Verleger 2005 seit 200 Jahren tot war, ist mittlerweile wieder Staub von gestern. Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen. Die Verlagswelt stürzt sich also jetzt eben hurtig auf Heinrich Heine, denn der wird es 2007 immerhin auf 150 Jahre Abgang bringen.

Bis dahin sind es zwar noch ein paar Wochen hektischer Vorbereitungen und Gesamtausgabedruckens, doch ein dergleichen forsches Vorpreschen in Jubiläumsangelegenheiten beflügelt auch unseren Weg in das bevorstehende Architekturjubiläumsjahr 2007.

Es wird ein wunderbares Jahr: Edouard Jeanneret, alias Le Corbusier, heuer erst 119, wäre dann 120 Jahre alt geworden. Sein brasilianischer Kollege Oscar Niemeyer wird - und alle hoffen bei guter Gesundheit und der ihm innewohnenden Carioca-Fröhlichkeit - an der Copacabana den 100. Geburtstag feiern. Ziemlich sicher ohne Mozart, dafür mit Samba und Fußballschauen, weil das seine, für einen Brasilianer quasi standesgemäße und offen deklarierte Leidenschaft ist. Fast genau 1100 Kilometer weiter wird man in Brasília den nunmehr exakt ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Baubeginn der Hauptstadt begehen.

Bis dahin kann Günther Domenig 20 Jahre Werkestätigkeit an seinem Steinhaus feiern, Adolf Krischanitz seinen 60er begehen, der Karl-Marx-Hof den 80-jährigen Planungsbeginn verzeichnen, Tadao Ando 65 Jahre alt werden, die Architekturbiennale Venedigs das Dutzend voll machen, und es kann darüber hinaus des 50-jährigen Todesjubiläums Josef Hoffmanns gedacht werden. Zu guter Letzt bleibt auch der Architekten liebster, weil der strengen Linie in Schwarz verpflichteter Mode-Macher Helmut Lang von Jubiläen nicht verschont: Er wird heuer 50.
Wir gratulieren allen herzlich.

Der Standard, Sa., 2006.01.07

17. Dezember 2005Ute Woltron
Der Standard

Anleitung zum Glücklichsein

Das hässliche Stichwort lautet: Baukostenüberschreitung. Nur die Verhinderung derselben führt zum Ziel, und das heißt gute Architektur, glückliche Bauherren, zufriedene Architekten.

Das hässliche Stichwort lautet: Baukostenüberschreitung. Nur die Verhinderung derselben führt zum Ziel, und das heißt gute Architektur, glückliche Bauherren, zufriedene Architekten.

Da wir an dieser Stelle ohnehin stets das Hohelied der Architektur zu singen pflegen, dürfen wir ausnahmsweise auch einmal auf die schrilleren Zwischentöne zu sprechen kommen, die - gar nicht selten - den Produktionsprozess des Architekturmachens begleiten.

Selbstverständlich geht es um Geld - und da der Spruch, dass jeder Handgriff auf der Baustelle einen Tausender kostet, völlig richtig ist, geht es normalerweise um schmerzlich viel Geld.

Die Anleitung zum Unglücklichsein hat den Titel Baukostenüberschreitung: Die grässliche Vision der Kostenexplosion ist der Hauptgrund, warum beispielsweise private Häuslbauer nur ungern Architekten engagieren. Sehr schade, weil gute Architektur nicht teurer sein muss als schlecht Gebautes, doch, bei aller Liebe zur Baukunst: Verdenken kann man es ihnen nicht. Unzählige Häuslbauer- und Investorenleichen pflastern den Weg der Architektur.

Eine der legendärsten Entgleisungen, um großformatig in das Thema einzusteigen, lieferte etwa der geschmeidige und hochangesehene britische Architekturindustrielle Norman Foster: Für die zum Glück mit fetten Rücklagen gesegnete Hongkong Shanghai Bank plante er dereinst ein spektakuläres Hochhaus, das in weiterer Folge Architekturgeschichte schrieb, dessen Errichtung sich allerdings in den Büchern des zuvor reichen Bankunternehmens so empfindlich niederschlug, dass es erst fast Bankrott machte und dann Jahre brauchte, um sich davon wieder zu erholen. Das Haus war mit 500 Millionen US-Dollar veranschlagt gewesen, tatsächlich wurden 1,3 Milliarden verbraten.

Auch das neue Kanzleramt in Berlin, dem Volksmund nach seinem Bauherren als Kohlosseum bekannt, kostete statt der prognostizierten 399 Millionen Mark um 115 Millionen mehr. Und die steirische Therme Loipersdorf I, um ein heimisches Beispiel zu zitieren, ging mit Baukosten von satten 500 Millionen Schilling anstelle der angepeilten 80 ebenfalls als Horrorszenario in die Geschichte ein. Diese Liste von Blut, Schweiß und Tränen ließe sich beliebig fortsetzen, wovon wir aber absehen.

So recht Verlass scheint also auf die planende Zunft kostentechnisch nicht zu sein. Darauf deuten auch die sich seit geraumer Zeit häufenden Anrufe völlig devastierter Bauherren in der STANDARD-Architekturredaktion hin, die zwar über neue, in Hochglanzarchitekturmagazinen abgebildete Prachthäuser verfügen, diese aber ehebaldigst loswerden wollen, um ihre Bankberater vom Gang zum Gerichtsvollzieher abzubringen.

Das alles ist äußerst ärgerlich für alle Beteiligten: Für die Bauherren sowieso, aber auch für jene Architektinnen und Architekten, die im Gegensatz zur überwältigenden Mehrheit ihrer Kolleginnen und Kollegen der Kalkulation und seriösen Baukostenermittlung mächtig sind. Wir wissen, dass wir uns mit dieser Behauptung wütenden Anfeindungen seitens der Planerzunft aussetzen werden, doch die Beweislage ist bedauerlicherweise eindeutig.

Ebenso klar ist aber auch folgendes: Die Bauherren selbst spielen ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle in diesem Spiel. Denn was passiert, wenn sich jemand mit einem professionellen Planer ein Haus baut: Es werden Träume zur Verwirklichung gebracht. Winfried Kallinger von der Kallco drückt das so aus: „Das Bauen ist extrem emotional besetzt, hier beginnen Verdrängungsmechanismen zu wirken, der Bauherr wird zum Opfer seiner selbst, weil er diese Träume realisieren will - und zwar wann, wenn nicht jetzt.“

Meistens haben die Auftraggeber absolut keine Ahnung von den Bauprozessen, die sich zwischen Traum und Wirklichkeit, also der Vision und dem Endprodukt Haus, abspielen, und wenn die Baustelle einmal im Betrieb ist, nützt das Erwachen nichts mehr, dann galoppieren die Kosten dahin.

Doch werden ein paar grundsätzliche Gebote befolgt, müssen Baukostenüberschreitungen keineswegs sein. Hier also der Versuch einer Anleitung zum Glücklichsein für Häuslbauer und Architekten, denn: Erquickung hast du nicht gewonnen, wenn sie dir nicht aus eig'ner Seele quillt:

Erstes Gebot: Wer ein Haus bauen will, sollte zuerst den exakten Kostenrahmen abstecken, der tatsächlich zur Verfügung steht. Das ist die absolute, leistbare, die Lebensqualität nicht schmälernde Höchstsumme, die sich aus Bank, Omi & Co und Eigenkonto ergibt.

Zweites Gebot: Erst wenn diese Summe feststeht, und keine Sekunde früher, sollte der nähere Kontakt zu den Architekten der Wahl erfolgen. Der optimale erste Satz lautet: Diese Summe steht zur Verfügung, kein Cent mehr.

Drittes Gebot: Ohne exakte Angaben darüber, was das Haus leisten soll, wie in dem Haus gelebt wird, welche Qualitäten Priorität haben, können die besten Architekten keine guten Entwürfe liefern. Also: Klare Zielvorgaben sind die erste Pflicht der Auftraggeber.

Viertes Gebot: Spätestens bei der Ablieferung eines Vorentwurfs sind Ziviltechniker laut Honorarordnung dazu verpflichtet, eine Kostenschätzung samt Kostengliederung abzuliefern. Die Architekten sind sodann einem hochnotpeinlichen Verhör zu unterziehen, ob diese Kosten auch eingehalten werden können.

Fünftes Gebot: Sollten sich in dieser Phase bereits Überschreitungen des Budgets abzeichnen, muss eine sofortige Weichenstellung in die Gegenrichtung erfolgen. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Möglichkeit dazu da. Später geht absolut nichts mehr, an Türklinken und Waschbecken zu sparen bedeutet den berühmten Tropfen auf den heißen Stein.

Sechstes Gebot: Steht der Entwurf, so empfiehlt es sich dringend, einen externen, unabhängigen Ziviltechniker mit der Überprüfung der Kostenschätzung zu beauftragen. Das wird je nach Projektgröße 20 bis 25 Ingenieurstunden erfordern und entsprechend 2500 bis 3000 Euro kosten. Doch dieses Geld ist bestens investiert.

Siebentes Gebot: Niemals sollte man auf eine Reserve von rund zehn Prozent im Baubudget vergessen. Man wird sie mit ziemlicher Sicherheit in Anspruch nehmen.

Achtes Gebot: Das Kostenverfolgungsmanagement laut ÖNORM 1801 ist einzufordern. Nur wer zu knapp hintereinander liegenden Stichtagen weiß, wie viel Geld verbraucht ist, und ob man damit im Plan liegt, wird ruhig schlafen.

Neuntes Gebot: Seriöse Architekten, so sie mit dem Gesamtpaket beauftragt sind, werden, wenn man das von ihnen quasi als Nagelprobe verlangt, eine Kostengarantie abgeben, die sich innerhalb eines Rahmens von fünf bis zehn Prozent bewegt. Überschreitungen haben Honorarkürzungen zur Folge.

Zehntes Gebot: Auch wenn Bauherren zwischendurch dazu neigen, mit ihren Architekten freundschaftliche Verhältnisse einzugehen, sollten Aktennotizen über Baubesprechungen etc. den Bauprozess begleiten. Denn: Wenn es um das Geld geht, ist jedem das Hemd näher als der Rock.

Wer diese einfachen und effizienten Maßnahmen als unsympathisch und kleinkrämerisch empfindet, sollte entweder kein Haus bauen oder sicherheitshalber um Gehaltserhöhung ansuchen. Wer sie befolgt, wer ausreichend mit seinem Architektenpartner kommuniziert, seine Träume im Griff behält, etwaige Reduktionen derselben verkraftet und ein, zwei Jahre seines Lebens mit emotionalen Höhen und Tiefen ungeahnter Intensität verbringen will, wird ein hervorragendes, maßgeschneidertes, glücklichmachendes Haus bekommen. Und niemand, der das haben will, sollte davor zurückschrecken.

Der Standard, Sa., 2005.12.17

03. Dezember 2005Ute Woltron
Der Standard

Ich bin mächtig und ungeliebt

Wilhelm Holzbauer im Gespräch mit Ute Woltron über den sonderbaren Beruf des Architekten, über die turbokapitalistische Globalisierung der Architektur und über das Perverse am Prinzip Wettbewerb.

Wilhelm Holzbauer im Gespräch mit Ute Woltron über den sonderbaren Beruf des Architekten, über die turbokapitalistische Globalisierung der Architektur und über das Perverse am Prinzip Wettbewerb.

Er wusste bereits als Volksschüler, dass er Architekt werden wollte - und was der Salzburger wirklich will, das setzt er durch. Holzbauer gilt heute als einer der bekanntesten Architekten Österreichs. Heuer wurde er 75 Jahre alt - Zeit also, um Lebenswerk und Autobiografie in ein Buch zu binden.

Standard: Sie haben in 50 Jahren rund 500 Projekte entworfen. Können Sie heute sagen, was Architektur ist - Kunst, Dienstleistung oder doch hauptsächlich Geldverdienen?
Wilhelm Holzbauer: Am allerwenigsten ist Architektur Geldverdienen. Das weiß jeder, der damit zu tun hat. Die Struktur der Tätigkeit ist nicht dazu angetan, Geld zu verdienen. Und nachdem ich meinen Pragmatismus in der Haltung zur Architektur immer wieder betont habe, bin ich nach wie vor der Meinung, dass sie in erster Linie Dienstleistung ist. Wenn die Architektur in die höheren Sphären der Kunst reichen will, werde ich skeptisch. Natürlich ist die Architektur eine eigenartige Branche: Der Architekt soll Geschäftsmann und PR-Profi sein, Rechnen soll er können und Zeichnen auch, er muss dazu in der Lage sein, Computer zu bedienen, und braucht einen analytischen Geist, um große Raumprogramme in Formen zu bringen. Der Architekt ist sozusagen ein Compositeur.

STANDARD: Architekten müssen alles können?
Holzbauer: Hans Hollein sagt, alles ist Architektur. Und die Coops sagen, Architektur muss brennen.

STANDARD: Was sagen Sie?
Holzbauer: Das steht ohnehin im Buch. Ich zitiere Auguste Renoir, der meinte, er hätte sich immer dagegen gewehrt, ein Revolutionär zu sein.

STANDARD: Sie sind kein architektonischer Revolutionär, dafür aber einer der bekanntesten Architekten Österreichs. Führen Sie das auf die Qualität Ihrer Architektur oder auf Ihr Talent für Eigenmarketing zurück?
Holzbauer: Ich betrachte das so nicht. Ich wollte von Beginn an hauptsächlich bauen. Johannes Spalt, Friedrich Kurrent und ich haben gemeinsam nach dem Studium viele Ausstellungen organisiert. Aber ich habe immer gemeint, wir müssten auch für uns etwas machen und nicht immer nur archivarisch arbeiten. Das war einer der Gründe für meine Trennung von der „Arbeitsgruppe 4“. Ich habe daraufhin sehr viele Wettbewerbe gezeichnet. Die ersten Direktaufträge kamen erst spät.

STANDARD: Sie sind also als junger Architekt über Wettbewerbe ins Geschäft gekommen?
Holzbauer: Ausschließlich, mit einer Ausnahme, dem Bildungshaus Sankt Virgil.

STANDARD: Rudolf Burger tituliert Sie in seinem Vorwort als Architekten der Beständigkeit, der im Gegensatz zur heutigen Spektakelarchitektur stehe. Hat Beständigkeit noch Wert? Dreht sich die Großwetterlage in der Architektur wieder?
Holzbauer: Die wird sich immer wieder drehen, auch wenn man einmal draufkommt, dass eine Straße aus Häusern von Daniel Libeskind, Zaha Hadid, Frank Gehry ein reiner Horror wäre. Mir scheint, als ob die Moderne, die aus einer Übersättigung des Historismus gewachsen ist, jetzt in eine Rokoko-Phase einträte. Jeder Stil zeigt am Ende eine exorbitante Explosion von Räumen, Formen. Doch damit habe ich nichts zu tun. Ich bleibe bei dem, was ich glaube zu können. In 50 Jahren wird wieder alles anders sein.

STANDARD: Wie denn?
Holzbauer: Da wird alles vielleicht wieder sehr einfach werden. Selbstverständlich! Man wird nicht immer mit diesen Dingern leben wollen. Es wird eine unglaubliche Übersättigung geben, genau so wie mit dem Postmodernismus. Mit dem ging's schnell zu Ende, weil der noch weniger Basis hatte. Es wird sich alles totlaufen, und da bleibe ich lieber beständig.

STANDARD: In einer Zeit, in der sich große Städte große Architekten als Aufputz leisten, sind Sie eher lokal aktiv geblieben und nie an diese Weltspitze vorgedrungen. Warum?
Holzbauer: Ich würde keineswegs sagen, dass ich das aktiv vermieden hätte. Ich hätte nichts dagegen, wenn jeden Tag Anrufe mit Aufträgen aus aller Welt kämen. Aber ich würde es ehrlich gesagt nicht mehr machen wollen. In diesem Rad möchte ich nicht mitlaufen. Ich halte das generell für keine gute Entwicklung. Leute wie Rem Koolhaas oder Zaha Hadid sind Marken geworden wie Zara oder H&M.

STANDARD: Wo liegt der Auftrag der heutigen Architekten? Architekturmarkenartikel werden, oder sich doch sozial im Dienste der Benutzer zu engagieren?
Holzbauer: Das soziale Engagement war ein wesentliches Element des Beginns der Moderne, und das geht konstant verloren. In den 20er-Jahren gab es Ausstellungen wie etwa jene über das Haus für das Existenzminimum - da waren alle großen Leute dabei. Davon ist nichts übrig geblieben. Aber das ist die logische Folge von schrankenlosem Kapitalismus und Globalismus. Die Architektur koppelt sich davon überhaupt nicht ab und macht in dieser Globalisierungsmethodik genauso mit.

STANDARD: Sie sind ein mächtiger Architekt . . .
Holzbauer: Bin ich nicht!

STANDARD: Doch!
Holzbauer: Das hat der Alfred Worm einmal gesagt. Aber gerade eben - ein Gegenbeispiel - bin ich wieder aus dem Bauherrenpreis rausgeflogen. Ich bin vielleicht mächtig, aber ich bin auch in höchstem Maße ungeliebt.

STANDARD: Warum?
Holzbauer: Vielleicht weil man denkt: Jetzt ist er eh schon so alt, jetzt soll er eine Ruhe geben. Das ist eine österreichische Tendenz - und, ehrlich gesagt, wir haben das auch nicht anders gemacht, als wir jung waren. Das war genau dasselbe. Ich erinnere mich, wie wir gesagt haben: Der Haertl und all die Alten, die haben schon so viel gebaut, jetzt kommen wir dran. Aber ich bin all dem mit meinen drei Juniorpartnern sowieso entkommen. Mit ihnen beginnt eine neue Phase.

STANDARD: Heißt das, Sie ziehen sich aus dem Geschäft zurück?
Holzbauer: Nein, gar nicht, ich arbeite auf einer anderen Basis natürlich weiter, aber ich muss nicht mehr persönlich zu allen Besprechungen gehen.

STANDARD: Sie sind ein einflussreicher Mann, man hört in den höchsten Kreisen der Macht auf Sie. Haben Sie immer nur in eigener Sache agiert oder Ihren Einfluss auch in den Dienst der Architektur gestellt?
Holzbauer: Natürlich. Auch das ist in den Medien weitestgehend untergegangen. Aber ich war wesentlich an der Gründung des Salzburger Gestaltungsbeirates beteiligt und war neun Jahre im Fachbeirat. Ich habe damals schon versucht, in die Breite zu wirken.

STANDARD: Sie sind Schüler von Clemens Holzmeister, haben lange selbst unterrichtet und eine ganze Reihe namhafter Architekten hervorgebracht. Kann man Architektur überhaupt lehren?
Holzbauer: Ich glaube schon. Ich wollte aus den Studenten g'standene Architekten machen, die wissen, wie das Handwerk funktioniert. Ich habe sie ab und zu auch utopische Projekte entwerfen lassen, aber im Wesentlichen habe ich sehr realistische Aufgaben gestellt. Ich habe, wie schon Holzmeister, nie jemandem meinen Stempel aufgedrückt, sondern versucht, herauszukristallisieren, was die Leute eigentlich wollen, und sie dann in dieser Richtung unterstützt.

STANDARD: Der Wettbewerbskampf unter den Architekten ist enorm, der Honorardruck fiaskös - wie geht es der Branche?
Holzbauer: Die Honorare sind tatsächlich eine Katastrophe. Dieses Nichtbezahlenwollen von Leistung ist eine unglaubliche Dummheit, und es wird immer ärger. In Kenntnis der Situation heute weiß ich nicht, ob ich noch einmal Architekt werden wollte. Es war auch für uns nicht leicht in der Nachkriegszeit, aber heute ist es noch viel schwieriger geworden. Die generelle Architektursituation ist nicht erfreulich.

STANDARD: Sie, als einflussreicher Architekt . . .
Holzbauer: Ich bin nicht einflussreich, Sie reiten dauernd darauf herum.

STANDARD: Gut - wären Sie ein einflussreicher Architekt: An welchen Hebeln müsste man drehen, um das den Auftraggebern klar zu machen?
Holzbauer: Ein Beispiel: Festspielhaus Salzburg. Wir dürfen dort die Baukosten von 23 Millionen um keinen Euro überschreiten. Ich kann noch so appellieren und versuchen begreiflich zu machen, dass wir überall an Materialien sparen und das Billigste verwenden müssen. Aber das rührt die nicht. Fünf Millionen mehr, und wir könnten das Haus mit Anstand fertig machen. Dem gegenüber steht allerdings ein Festspielbudget 2006 von 51 Millionen Euro. Das ist pervers. So viel dazu, ich wäre einflussreich.

STANDARD: Stichwort Festspielhaus: Warum wollten Sie dieses Projekt mit allen Mitteln an sich reißen?
Holzbauer: Weil es mehrmals kurz vor einer Beauftragung gestanden ist und mir eine Herzensangelegenheit war und weil die Bedingungen des Wettbewerbs äußerst problematisch waren. Das ausschlaggebende Stichwort war dann dieses verächtliche „Mozart in den Keller“. Das kam von Valentiny, clever wie er ist - und Schüler von mir.

STANDARD: Da sind Sie böse geworden.
Holzbauer: Sagen wir einmal so. Da bin ich stur geworden. Ich bin ein emotioneller Mensch, und ich habe beschlossen herauszufinden, ob ich mich durchsetzen kann.

STANDARD: Sie konnten. Wollen Sie immer noch behaupten, Sie wären kein mächtiger Mann?
Holzbauer: Natürlich. Gewonnen hat ja mein Anwalt. Der war gut. Er hat mich auch viel Geld gekostet.

STANDARD: Verstehen Sie sich mit François Valentiny wieder, mit dem Sie das Projekt nun gemeinsam abwickeln?
Holzbauer: Na sicher. Wir lieben uns.

STANDARD: Was sagen Sie zu den Vorwürfen, Sie und Gustav Peichl würden sich gegenseitig bei Wettbewerben bevorzugen?
Holzbauer: Mit Hand aufs Herz: Da ist nichts dran. Wir konnten uns in der Holzmeister-Schule gar nicht ausstehen. Später gab es keinen Kontakt, der kam erst nach und nach wieder. Ich weiß schon, dass man das im Falle der Nationalbank behauptet hat, aber angesichts der anderen Projekte: Meines war wirklich das beste.

STANDARD: Glauben Sie an das Prinzip Wettbewerb, wie es momentan gehandhabt wird?
Holzbauer: Nein, und das liegt an der EU. Unglaubliche Dinge passieren: Wie ist es möglich, dass etwa Norman Foster mit dem Bau des Wembley Stadions oder Santiago Calatrava mit einem Opernhaus in Valencia direkt beauftragt werden? Alles wird mit EU-Geldern und ohne Wettbewerb gebaut. Die scheren sich einen Dreck darum. Wir, wir scheißen uns an. Für alles muss ein Wettbewerb her. Auch die Verhandlungsverfahren sind eine Willkür sondergleichen - eine perverse Geschichte.

STANDARD: Zurück zu Ihren eigenen Projekten: Welche waren Ihre wichtigsten?
Holzbauer: Das hängt immer mit der Beziehung zum Bauherrn zusammen, ich hatte das Glück, ein paar zu haben, die fantastisch waren. Im Falle des Landhauses Bregenz etwa oder der Universität Salzburg.

STANDARD: In letzterem Fall hatten Sie allerdings auch nur den zweiten Wettbewerbsplatz gewonnen.
Holzbauer: Ich gebe es zu.

STANDARD: Wie kommt es, dass doch Sie gebaut haben?
Holzbauer: Weil ich das wollte. Stimmt. Da war ich vielleicht doch mächtig.

Der Standard, Sa., 2005.12.03



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19. November 2005Ute Woltron
Der Standard

Die Architektur stellt nur das Bühnenbild

Der Soziologe und TU-Wien-Professor Jens S. Dangschat im Gespräch mit Ute Woltron über städtebauliche Monokulturen, architektonische Arroganz und die soziale Verantwortung von Architektur.

Der Soziologe und TU-Wien-Professor Jens S. Dangschat im Gespräch mit Ute Woltron über städtebauliche Monokulturen, architektonische Arroganz und die soziale Verantwortung von Architektur.

der Standard: Gibt es eine Verantwortung der Architektur und des Städtebaus für unterschiedliche soziale Entwicklungen?
Jens Dangschat: Nein, aber es ist wichtig, über diesen Themenkreis nachzudenken, denn es gibt zumindest indirekte Zusammenhänge. Beginnen wir mit der Anspruchshaltung von Städtebau und Architektur, wenn die Sonne scheint: Dann hat man oft den Eindruck, man könne durch die Art der städtebaulichen Gestaltung und der Architektur nicht nur etwas Gutes für die Menschen tun, sondern die Gesellschaft damit auch prägen.

Das begann bereits mit der Gartenstadtidee, mit der man für die industrielle Gesellschaft bessere Rahmenbedingungen schaffen wollte. Das gilt aber auch für den sozialistischen Wohnbau, für den experimentellen Wohnbau, und das gilt ebenso für Stadtverwaltungen, die versuchen, über Sanierungen Gesellschaftsreparatur zu betreiben. Es ist also immer wieder die Intention da, mit dem Bauen die Gesellschaft positiv zu beeinflussen. Umgekehrt aber, wenn solche Dinge wie in Frankreich passieren, sagen Architekten und Stadtplaner: Wir sind's nicht gewesen.

DER STANDARD: Wer oder was ist es dann?
Dangschat: Hier sind wir bei gesellschaftlichen Entwicklungen angelangt. Denn gesellschaftliche Strukturen bilden sich in den unterschiedlichen Stadträumen ab. Die Frage lautet also: Warum gibt es bestimmte soziale Konstellationen in bestimmten städtebaulichen und funktionalen Settings und in anderen nicht. Wenn man sich dabei nur auf die architektonische Formensprache, die vermeintliche Qualität der Gebäude und auf ihr Umfeld bezieht, dann greift man zu kurz. Die Rolle der Architektur ist nur die eines Bühnenbildes. Was auf der Bühne gespielt wird, hat sie nicht in der Hand. Aber natürlich legt ein bestimmtes Bühnenbild eher etwas nahe als ein anderes. Man muss sich also die sozial-räumlichen Prozesse anschauen: Welche Leute wohnen hier, und warum? Was passiert über den Wohnungsmarkt und die kommunale Belegungspolitik? Was passiert in diesen Quartieren, die man soziale Brennpunkte nennt?

DER STANDARD: Klassentrennung?
Dangschat: Natürlich. Wir gehen immer davon aus, dass Chancengleichheit besteht, doch sie besteht immer weniger. Das hat mit der Architektur überhaupt nichts zu tun, das Problem ist, dass die brüchigen Biografien sich an bestimmten Orten konzentrieren oder konzentriert werden. Das sind die städtebaulich schlechtesten Orte, die vom Wohnungsmarkt am wenigsten gewünschten, das sind die aufgegebenen Stadtteile. Es handelt sich bei solchen Gebieten entweder um schlecht oder nicht sanierte Altbaugebiete oder um Großsiedlungen, beide mit städtebaulichen und architektonischen Problemen versehen. Denn diese Großsiedlungen haben, seit sie gebaut wurden, eine erhebliche Umwertung erfahren.

DER STANDARD: Damals galten sie allerdings als ambitionierte Meilensteine des Städtebaus.
Dangschat: Das waren tatsächlich alles Vorzeigeprojekte in den 70er-Jahren: engagierte Architektur und bewusst inszenierte städtebauliche Anlagen, von denen man behauptete, sie seien die neue Form des Wohnens und Bauens. Die Architekten meinten: So wohnt der Mensch, dem wir Naturnähe geben und der mit dem Nahverkehr dennoch in relativ kurzer Zeit in der Stadt zur Arbeit fahren kann. Allerdings hat man nie zuvor in der Geschichte so monostrukturell gebaut wie in den vergangenen 50 Jahren. Man hat dabei völlig übersehen, dass man erstmals keine Stadtteile, sondern spezialisierte Viertel baute, und es stellt heute ein großes Problem dar, dass man mit der Trennung der Funktionen auch gesellschaftliche Zusammenhänge zerrissen hat, was sich allenfalls durch aufwändige Verkehrssysteme wieder miteinander verbinden lässt. Diese monostrukturellen Gebiete können unter Umständen innerhalb kürzester Zeit umgewertet werden. Sie verlieren schnell an Image und Attraktivität, es entstehen Leerstände, und die werden in der Regel mit noch größeren „Hinkebeinen“ der Gesellschaft aufgefüllt, die oft Probleme mit sich selbst haben und sich untereinander weitere Probleme machen.

DER STANDARD: Provokant formuliert: Gelegentlich nehmen die Architekten an, die Menschheit bedürfe noch einiger evolutionärer Schritte, um gewisse Architekturen wertschätzen zu können?
Dangschat: Ich behaupte, die Architekten nehmen Differenzierungen wichtig, die ein normaler Bürger überhaupt nicht wahrnimmt. Es ist also fraglich, ob die Bewohner nicht ganz andere Qualitätsansprüche haben als die Städtebauer. Ich stehe der Frage, was denn nun gute Architektur sei, sehr skeptisch gegenüber. Da gibt es sogar innerhalb der Architektenschaft eine erhebliche Diskrepanz im Diskurs, der dann nicht selten mit der Aussage endet: Ein guter Architekt weiß schon, was gute Architektur ist.

DER STANDARD: Ein klassisches Totschlagargument.
Dangschat: Ein Totschlagargument, sinnleer und eigentlich arrogant. Wir bräuchten wissenschaftliche Erhebungen, um besser zu wissen, von welchen Gruppen welche Art der Wahrnehmung und Differenzierung des gebauten Raumes wie bewertet wird. Dann kommt noch dazu, dass die Architekten seit einiger Zeit einen intensiven Diskurs betreiben, in dem es sich nur noch um die Namen der einzelnen Architekten dreht. Wenn ein Norman Foster etwas baut, dann ist das unantastbar und einfach gut. Das ist reines Marketing, das dann eine weitere problematische Ebene gewinnt, wenn Städte um diese Namen zu wetteifern beginnen und alle eine Hadid, einen Gehry, einen Foster und was weiß ich noch haben wollen. Diese internationale Szene schwebt über allem, und daran orientieren sich die Städte mit ihren Inszenierungen der „Neuen Stadt“. Dort konzentriert sich das Engagement der Architektur und des Städtebaus.
DER STANDARD: Letztlich sind selbst Architekturheroen wie Le Corbusier mit ihren großformatigen Stadtvisionen gründlich gescheitert.
Dangschat: Das erste solcher Häuser, die in Frankreich abgerissen wurden, war ein Corbusier-Gebäude in Lyon.

DER STANDARD: Andererseits gibt es bekennende Corbusier-Freaks, die heruntergekommene Quartiere sanieren.
Dangschat: Das sind Leute, die Corbusier grundsätzlich gut finden und total begeistert sind von seiner Architektur. Sie sagen: Aus diesen Mauern atmet der Geist des Genius. Andere Teile desselben Ensembles sind heruntergekommen und ganz anders belegt oder stehen leer. Die Leute, die dort wohnen, interessieren sich für Corbusier herzlich wenig.

DER STANDARD: Gibt es heute weniger soziales Engagement innerhalb der Architekturszene denn je?
Dangschat: Es gibt einen gewissen Anteil unter den Architekten, der wieder stärker über gesellschaftliche Verantwortung nachdenkt. Das sollte bereits in die Aufgabenstellungen des Entwerfens an den Universitäten einfließen. Es darf keine Architekturproduktion per se geben. Wir brauchen ein anderes Verständnis, natürlich muss man an erster Stelle das Kerngeschäft der Architektur beherrschen, es muss aber darüber hinaus auch andere Qualifikationen und Verantwortlichkeiten geben. Sonst besteht die Gefahr, dass autistische Werke entstehen, die losgelöst sind vom Ort, von der Stadtstruktur, von der Zeit.

DER STANDARD: Sozusagen Pfauenfedern ohne Pfau.
Dangschat: Wenn ich nicht weiß, wo die Feder am Vogel sitzt, kann ich nicht beurteilen, ob sie gut ist.

DER STANDARD: Die Architektur ist also doch zur sozialen Verantwortung zu ziehen?
Dangschat: Ja. Man muss aus Architekten keine Soziologen machen, aber sie sollten wenigstens lernen, den Ort zu verstehen und zu analysieren, in den sie intervenieren: Was ist bereits da? Was wird gebraucht? Worauf muss man Rücksicht nehmen? Wenn Meinhard von Gerkan in China, das derzeit gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen ist, auf etwa 600 Baustellen Städte errichtet wie in den 70er-Jahren, baut er seine eigene Vorstellung dessen, wie sich Gesellschaft organisieren soll. Das ist frech, extrem unreflektiert und frei jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung. Das sind städtebauliche Strukturen der Vergangenheit.

DER STANDARD: Wie schätzen Sie die Situation in Wien ein?
Dangschat: In Wien haben wir Stadtteile, etwa auf der Platte, wo man versucht, über Hochhäuser mit einer bestimmten Modernitätssprache auf europäischem Niveau mitzuhalten. Wenn man jedoch beispielsweise nach Simmering fährt, sieht man, wie grau und trist Wien an manchen Ecken ist und wie frustriert die Leute dort sind. Für mich stellt zum Beispiel das letzte Wiener Wahlergebnis einen Indikator für die Problematik dar: Man müsste genauer betrachten, wie die Orte auch städtebaulich aussehen, wo sich die blaue Wählerschaft konzentriert. Für mich ist diese Wählerschaft stark von der Erfahrung, zumindest aber von der Befürchtung geprägt, gesellschaftlich abgehängt zu werden. Zu viele glauben, dass wir in Wien noch immer in einer integrierten Gesellschaft leben, in der der Generaldirektor neben seinem Chauffeur wohnt. Doch das stimmt absolut nicht mehr. Wir haben zwar noch gemischte Quartiere, aber mittlerweile auch Gebiete, die einfach vergessen und abgehängt sind. Es gibt schon Gemeindebauviertel, in denen enormer Frust herrscht - diese Landschaft Wiens sollte man sich genauer anschauen.

DER STANDARD: Was heißt das für die Zukunft?
Dangschat: Momentan verändert sich die Gesellschaft rasant, das hat zu tun mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Viele Menschen kommen da nicht mehr mit. Sie empfinden, es wird alles schlechter, unsicherer, die Familien bröckeln, die Sicherheit am Arbeitsplatz ist nicht mehr da, und die Nachbarn werden auch immer seltsamer. Die Garantien des vorwiegend traditionell-sozialdemokratisch geprägten Milieus bröckeln von allen Seiten. Das macht unsicher. In dem Moment, in dem Bewegung am Wohnungsmarkt einsetzt, verstärkt sich auch in Wien ein raumwirksamer Selektionsprozess. Noch taucht dieses Problem nicht massiv auf, da die Bevölkerungszahlen relativ stabil sind. Doch wenn Wien seine Belegungspolitik nicht kontrolliert, vor allem auch in Bezug auf Neo-Österreicher, handelt die Stadt unverantwortlich, weil sie dazu beiträgt, die latenten Konflikte zu verschärfen.

Der Standard, Sa., 2005.11.19

12. November 2005Ute Woltron
Der Standard

Architektonische Partnerschaften

Mit den Bauherrenpreisen würdigen die Architekten das Engagement ihrer Auftraggeber

Mit den Bauherrenpreisen würdigen die Architekten das Engagement ihrer Auftraggeber

Einmal jährlich ehrt die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs ihre wichtigsten Verbündeten - die qualitätsbedachten Auftraggeber. Der „Bauherrenpreis“ geht also an jene, „die sich als BauherrIn oder AuftraggeberIn und MentorIn der Planung in besonderer Weise verdient gemacht haben“. Heuer waren das:

Die Kallco Bauträger GmbH, die natürlich ein Team ist, dem allerdings mit Winfried Kallinger ein Baumanager vorsteht, der besonders hartnäckig - mit Erfolg an - die Güte der Architektur glaubt. Die Kallco bekommt den Preis für Carl Pruschas MQ West, mit dem die letzte Baulücke des Wiener Museumsquartiers geschlossen wurde. Die Jury, bestehend aus den Architekten Marcel Meili (Zürich), Bettina Götz (Wien) und Walter Angonese (Kaltern) sowie dem Hotelier und Bauherrenvertreter Robert Falch (St. Anton) würdigte die schwierigen Rahmenbedingungen dieses Projektes, die „Carl Pruscha und Bauherr Callco mit Bravour gemeistert haben“.

Auch die Franz Binder GmbH aus Fügen im Zillertal hat sich wiederholt als vorzügliche Auftraggeberin erwiesen, so etwa mit dem nun ausgezeichneten Feuerwerk von Helmut Reitter. Die Juroren: „Helmut Reitter und die Firma Binder haben wieder einmal bewiesen, dass ,Industriearchitektur' ganz im Sinne der besten Beispiele aus der Zwischenkriegszeit - nicht länger nur Terrain von gestaltlosem ,engineering' sein muss, sondern dass mit gegenseitigem Respekt eine authentische Architektur entstehen kann.“

Die Sanierung und Erweiterung eines Einfamilienhauses, das von raumhochrosen einer intensiven Behandlung unterzogen wurde, brachte der Familie Grabher in Dornbirn ebenfalls einen Bauherrenpreis ein, und zwar weil die Architekten gemeinsam mit den Auftraggebern folgendes mit dem Bestand von Architekt Gunter Wratzfeld anstellten: „Es entsteht ein reizvoller Dialog zwischen der - nach wie vor äußerst zeitgemäßen und leistungsfähigen - Architektur aus den 60er-Jahren und dem neuen Zubau, der den Qualitäten des Hauses noch neue hinzufügt, ohne Anbiederung.“

Mit der Spar Handels-GmbH (Graz) kommt nun - nach den an dieser Stelle dringend zu erwähnenden super-Supermarkt-Pionieren M-Preis - eine weitere Handelskette mit guten Architekturen löblich ins Gerede. Gemeinsam mit Riegler Riewe hat man in Leibnitz einen Eurospar errichtet, der, so die Juroren, „von der kaum überbietbaren Ökonomie einer einzigen entwerferischen Geste eines Daches geprägt“ ist. „Dass ausgerechnet Supermarktketten Architektur zum Kern ihres Marktauftrittes entwickeln“, wurde im Juryprotokoll ebenfalls erfreut zur Kenntnis genommen.

„Das überzeugende Zusammenspiel von Konstruktion, Material und dem sich daraus generierenden Raum“ war einer der Gründe für die Nominierung des Art for Art House, das die Theaterservice GmbH, Dr. Josef Kirchberger von Gerhard Steixner (alle Wien) bekam. Die Architektur des Gebäudes lässt derart viele Nutzungsmöglichkeiten zu, dass, so die Juroren, die Bauherren beschlossen, „das Gebäude, welches zwar als Büro konzipiert und gebaut wurde, nun als multifunktionales Fertighaus auf dem Markt anzubieten“.

Und auch die Innsbrucker Immobilien GmbH bekam für die Sanierung und den Umbau des Sudhaus Adambräu in Innsbruck eine der begehrten Auszeichnungen überreicht. Die Architekten Thomas Giner + Erich Wucherer, Andreas Pfeiffer und Rainer Köberl haben in diesem Gebäude von Lois Welzenbacher (1927) neue Räumlichkeiten für das Archiv für Baukunst und das aut. architektur und tirol geschaffen - und genau hier ist auch die Ausstellung der Bauherrenpreise seit Freitag zu sehen. Allerdings nur kurz: Bis 26. November.

Der Standard, Sa., 2005.11.12



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ZV-Bauherrenpreis 2005

12. November 2005Ute Woltron
Der Standard

Zwischen den Häuserfronten

Welche Rolle spielt die Architektur in den Unruhen der Pariser Vorstädte?

Welche Rolle spielt die Architektur in den Unruhen der Pariser Vorstädte?

Die „Plattenbauten“ an der Pariser Peripherie werden dieser Tage von den Medien gerne als „Brutstätten“ der Unruhen gegeißelt. Zu Unrecht. Nicht die Architektur selbst ist mies, sondern der Umgang mit ihr und damit mit ihren Bewohnern.

Die allgemein unter dem Begriff Banlieue zusammengefassten Vorstädte der französischen Metropole entstanden aus kleinen Gemeinden, die im Laufe der Zeit zu einem großen Vorstadtteppich zusammenwuchsen. Die Bebauung stammt aus den unterschiedlichsten Epochen. Die derzeit immer wieder gezeigten Bilder von den „grands ensembles“ - also den großformatigen, hohen, meist sehr schlank konstruierten Wohnhaussiedlungen - entstanden in den Sechziger- und Siebzigerjahren, als die Einwanderungswellen sämtlichen zur Verfügung stehenden Wohnraum überschwemmten.

Diese Wohnviertel wurden keinesfalls als Plattenbauten ausgeführt, wie immer wieder berichtet wird, sondern stellten durchaus vernünftige Wohnungen für die erste Einwanderergeneration dar, die bis dahin buchstäblich in Wellblechhütten gehaust hatte. Der in Paris lebende und erfolgreich tätige österreichische Architekt Dietmar Feichtinger meint: "Dieses Bild der Gettoisierung ist falsch, es gibt hier keine flächendeckenden Plattenbausiedlungen wie etwa in der DDR. Wenn ich an den „grands ensembles“ vorbeifahre, bin ich eigentlich immer eher erstaunt über ihre Qualität."

Bernhard Buchberger, der ebenfalls seit Jahren in Paris ein Architekturbüro unterhält und vor allem in der Banlieue baut, ergänzt: „Diese Quartiere wurden damals als echter Fortschritt wahrgenommen, weil die Leute endlich Wohnraum mit Badezimmern und der entsprechenden Infrastruktur hatten. Das Problem ist nur: Diese Infrastruktur existiert mittlerweile nicht mehr.“

Manche dieser „grands ensembles“, so Buchberger, wären heute noch verhältnismäßig gut gepflegt, andere hätte man so gut wie aufgegeben. Was nützt die beste Architektur, wenn die Geschäfte aus den Sockelzonen ausziehen, wenn es in nächster Nähe kaum Schulen gibt, wenn keine Supermärkte zur Verfügung stehen, wenn die jugendlichen Einwohner dieser Klein-Bezirke auf verwahrlosten Freiflächen maximal Fußball spielen und Drogen dealen können?

Feichtinger: „Der Wohnwert hängt immer von der Umgebung ab, und die ist teils extrem vernachlässigt. In der Erdgeschoßzone passiert überhaupt nichts mehr, die Jugendlichen verbringen ihre Abende in den versifften Gängen der Häuser, weil es keinen Ort mehr gibt, wo sie sich sonst aufhalten könnten, es ist ihnen stinkfad - und jetzt im Moment halt ein bisschen weniger.“

Tatsächlich beginnen sich in manchen Zonen der Pariser Vorstadt die Szenen wieder zu durchmischen, meinen beide Architekten übereinstimmend. Aufgrund der extrem hohen Wohnungs- und Mietpreise in den innerstädtischen Lagen ziehen seit einigen Jahren vermehrt Jungfamilien, Künstler, Architekten, Kreative in die auch weniger gut beleumundete Banlieue.

Alte Lagerhallen und Fabriken werden zu Wohnungen und Lofts ausgebaut, die etwas finanzkräftigere Klientel zieht die Infrastruktur nach, Geschäfte sperren wieder auf. In der Pariser Vorstadt, so viel steht fest, hat nicht die Architektur versagt, sondern die französische Sozialpolitik, die Feichtinger nur als „katastrophal“ bezeichnen kann. Buchberger: „Die Bebauungsart dieser ,Barre' wurde zwar jetzt zum Symbol für die sozialen Probleme. Doch die hängen nicht mit der Struktur der Architektur zusammen, denn es gibt ganz ähnliche, sehr gut funktionierende Siedlungen in sehr reichen Gegenden - doch die sind besser gepflegt.“

Der Standard, Sa., 2005.11.12

05. November 2005Ute Woltron
Der Standard

Aufragend, aufregend!

Die öffentliche Debatte über den Umgang mit Nazi-Architekturen kommt spät. Den Auftakt dazu gab die Volkstheaterposse rund um ein vermeintliches „Führerzimmer“.

Die öffentliche Debatte über den Umgang mit Nazi-Architekturen kommt spät. Den Auftakt dazu gab die Volkstheaterposse rund um ein vermeintliches „Führerzimmer“.

Die Nation hatte jüngst wieder einmal Gelegenheit, ihre Souveränität im Umgang mit der eigenen Vergangenheit anhand eines Schaustücks zu überprüfen. Ort der Inszenierung war das Volkstheater, als Hauptdarsteller agierte dessen neuer Direktor Michael Schottenberg, der Inhalt des Stückes befasste sich zumalen mit der Requisite:

Nicht ohne die Scheinwerfer der Öffentlichkeit sorgfältig auf sein Haus gelenkt zu haben, ließ der Volkstheaterdirektor im vermeintlich heiligen Zorn die schlichten hölzernen Verkleidungen eines neben der Direktion gelegenen Zimmers abreißen. Der Grund: Die Räumlichkeit stand im Geruche, seinerzeit im Jahr 1938 in der Erwartung des „Führers“ besonders sorgfältig ausgestattet worden zu sein.

Für seinen kleinen Akt der Denkmalschändung, verkündete der erzürnte Direktor öffentlich, sei er auch bereit, „eine Woche Gefängnis“ auf sich zu nehmen - denn das gesamte Volkstheater (1888/89 erbaut, 1938 sowie 1981 generalsaniert), und somit auch das „Führerzimmer“, steht unter Denkmalschutz.

In dem darauf folgenden Theaterwirbel fiel es offenbar vielen schwer, zwischen Schaustück und Realität zu unterscheiden, die Debatte war an Unsachlichkeit kaum zu überbieten, im Schaum der moralischen Aufwallungen verlor selbst die Politik in Person von Planungsstadtrat Rudolf Schicker die Weitsicht. Er verkündete, Schottenbergs Entscheidung, Bundesgesetze zu missachten, in diesem Fall zu begrüßen, ja zu unterstützen.

Zwischen den Fronten stand - und steht immer noch - das Bundesdenkmalamt. Das hatte sich vom Stadtrat unterschwellig braune Ten- Fortsetzung auf Seite A 2
Aufragend, aufregend!

Fortsetzung von Seite A 1
denzen vorwerfen lassen müssen. Schließlich sei hier ein Nazi-Relikt eben wegen seiner Provenienz unter Schutz gestellt worden, und eine Diskussion müsse jetzt endlich her.

Dass diese Debatte in den Reihen der etwas kühler und durchaus sorgfältiger agierenden Denkmalpfleger- und Architektenschaft seit Jahrzehnten geführt wird, und zwar international, scheint den Akteuren der Volkstheaterposse entgangen zu sein. Denn die Kriterien für die Unterschutzstellung von Objekten und Gebäuden sind klar definiert und im ersten Paragrafen des im Jahr 1999 novellierten Denkmalschutzgesetzes nachzulesen: Objekte werden aus „künstlerischen und/oder kulturellen“, aber eben auch aus „geschichtlichen Gründen“ unter Denkmalschutz gestellt.

Da der Nationalsozialismus unleugbar Teil der österreichischen Geschichte ist, sind auch Architekturen und Artefakte aus ebendieser, immer noch so gerne aus dem öffentlichen Bewusstsein verscheuchten Zeit mit exakt diesen Kriterien zu bewerten. Die Generalkonservatorin des Denkmalamtes, Eva-Maria Höhle, erklärt: „Wenn Objekte aus der NS-Zeit unter Schutz gestellt werden, dann nicht zuletzt deshalb, weil damit Denkanstöße für die Zukunft erhalten werden.“ (Siehe Interview unten)

Tatsächlich arbeitet das Denkmalamt laut Höhle bereits seit knapp zwei Jahren an der österreichweiten Erfassung von NS-Architektur. Höhle: „Wir hatten vor, nach der genauen Erfassung und Analyse ein Kolloquium zu diesem Thema zu machen, weil wir auch die Zeithistoriker einbinden wollten. Im Anschluss hatten wir vorgesehen, diese Problematik öffentlich ins Bewusstsein zu rücken. Letzteres ist jetzt wohl nicht mehr notwendig.“

Und noch eine weitere Tatsache wird öffentlich akzeptiert werden müssen: Spätestens seit Helmut Weihsmanns umfassender NS-Architekturanalyse Bauen unterm Hakenkreuz (erschienen 1998) ist auf vielen und sehr klein bedruckten Seiten nachzulesen, dass sich die Bautätigkeit des Dritten Reichs in der „Ostmark“ beileibe nicht auf die Errichtung der „Hermann Göring Werke“ in Linz, der Flaktürme in Wien oder die Konzeption von Autobahnen quer durch das Land beschränkte.

Tatsächlich ist ganz Österreich mit einer Vielzahl von Wohnanlagen, Industrie- und Verkehrsbauten aus dieser Epoche bestückt - und selbstverständlich hat das Bundesdenkmalamt den öffentlichen Auftrag, die markantesten, qualitätsvollsten und ihre Entstehungszeit am besten dokumentierenden Objekte zu analysieren und gegebenenfalls als Zeugen der Vergangenheit zu konservieren. Höhle: „Denkmale, egal welcher Epoche, sind immer aus der Geschichte in unsere Gegenwart ragende Dokumente mit einer direkten Mitteilungskraft, wie sie kein anderes Medium hat.“ Wer das nicht wahrhaben will, müsste halb Österreich wegreißen, müsste sofort die Salzburger Festung schleifen, alle Burgruinen vernichten und auch den Erhaltungswert der Hofburg überdenken.

In Deutschland hat man die Debatte über die NS-Architektur jedenfalls längst geführt, erste Unterschutzstellungen erfolgten bereits in den 70er-Jahren, und auch vor markanten Eingriffen in die großformatigen Nazi-Machtarchitekturen schreckte man nach ausführlichen, sich durchaus über Jahrzehnte hinziehenden Diskussionen nicht zurück. Günther Domenigs Dokumentationszentrum in der unvollendet gebliebenen Kongresshalle des gewaltigsten und architektonisch gewalttätigsten NS-Architekturrelikt, dem Nürnberger Parteitagsgebäude, steht hier exemplarisch für einen klugen und durchaus auch symbolträchtigen Umgang mit dieser noch jungen, „in unsere Gegenwart ragenden“ Vergangenheit: Der Grazer Architekt ließ das Gebäude unverändert, er schoss lediglich einen Pfahl zeitgenössischer Substanz durch das massive alte Gemäuer, riss es auf und legte in genau diese Wunde die Dokumente der NS-Vergangenheit.

Das Wiener „Führerzimmer“ hat Hitler übrigens nie betreten. Es ist laut Höhle nicht unwahrscheinlich, dass für die Ausstattung immerhin Josef Hoffmann verantwortlich war. Und der war, so Friedrich Achleitner, mit ziemlicher Sicherheit kein Nazi - wie übrigens viele andere Architekten auch, die damals ihrem Beruf nachgingen.

Der Standard, Sa., 2005.11.05



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05. November 2005Ute Woltron
Der Standard

„Das Urteil spricht erst die Geschichte“

Friedrich Achleitner über Qualitäten und Fragwürdigkeiten nationalsozialistischer Architektur

Friedrich Achleitner über Qualitäten und Fragwürdigkeiten nationalsozialistischer Architektur

der Standard: Kann man den Begriff „NS-Architektur“ prinzipiell auf Gebäude aus den Jahren von 1938 bis 1945 reduzieren?
Friedrich Achleitner: Sicher nicht. Für mich ist die nationalsozialistische Architektur ein Phänomen des Historismus des 19. Jahrhunderts: Man bediente sich historischer Formen und adaptierte diese für die eigenen politischen Zwecke. Damit kann architektonische Qualität erzeugt und gleichzeitig missbraucht werden. Architektur kann man nicht nur inhaltlich und ideologisch bewerteten. Es gibt immer auch einen autonomen Kern, in dem die Qualität des Gebauten einfach ein Faktor ist. Es gibt etwa genauso grausliche klassizistische Gebäude wie feine, kultivierte und hochinteressante. Das Urteil spricht meist erst die Geschichte.

Welche Bauaufgaben lassen sich in der NS-Zeit unterscheiden und über welche architektonischen Qualitäten verfügen sie?
Achleitner: Es gibt drei Bereiche: Wohnbau, Industriebau und Parteibauten. Der NS-Wohnbau hat die Ideen von Heimatschutz- und Gartenstadtbewegung fortgesetzt, die sich ab der Jahrhundertwende entwickelt hatten, was allerdings nicht mit dem „Heimatstil“ verwechselt werden sollte. Dabei handelte es sich um eine kritische, durchaus positive Auseinandersetzung mit dem Geist des Liberalismus und der Industrialisierung (Gründerzeit), und das war eigentlich eine moderne Bewegung, die sich der bürgerlichen (biedermeierlichen) Baukultur annahm. Die Nazis haben sie später vereinnahmt und für ihre Ziele missbraucht. Das Ergebnis sind etwa die Werkssiedlungen der „Hermann-Göring-Werke“ oder die „Südtiroler-Siedlungen“, heute noch brauchbare und von den Bewohnern geschätzte Wohnanlagen. Die Qualitäten liegen in der Schaffung von Wohnidyllen und in der Betonung des Handwerklichen im Bauen. Sie sind also auch als zynische Kaschierungen der damaligen politischen Wirklichkeit zu verstehen.

Die „modernste“ Architektursprache zeigt jedoch der NS-Industriebau.
Achleitner: Viele Architekten, die keine Nazis waren, sind auf diesem Gebiet gewissermaßen untergetaucht, um „anständigen“ modernen Industriebau zu machen. Dort konnten sie ihre funktionalistischen Träume verwirklichen. Es gab ja auf diesem Gebiet auch die fortschrittlichsten Entwicklungen, was etwa Standardisierung und Bautechnologie angeht. Wenn Leute heute behaupten, „nicht alles war schlecht unterm Hitler“, dann sind auch solche Phänomene damit gemeint. Dass dahinter eine aggressive Rüstungsindustrie und Weltherrschaftsfantasien standen, vergisst man natürlich.
Die meistbeachteten Nazi-Architekturen sind die politischen Machtbauten. Wie beurteilen Sie
deren Qualität?
Achleitner: Dazu gibt es nicht viel zu sagen. Architekten wie Albert Speer haben diese Machtarchitekturen mit den Mitteln des Klassizismus ins Maßstablose gesteigert und im Detail vergröbert.

Wie soll man heute mit solchen Relikten umgehen?
Achleitner: Günther Domenig hat in Nürnberg gezeigt, wie man zu solchen Monstern architektonisch Stellung nehmen kann, ohne ihre Erbärmlichkeit zu vernichten. Hier verhindert ihre Erhaltung eine falsche Mythenbildung. Ich meine, man sollte der Geschichte ins Auge schauen. Ihre Vernichtung ist jedenfalls die archaischste, die primitivste und auch die gefährlichste Form, damit umzugehen, weil dadurch falsche Mythen entstehen.
Wie man mit architektonischen Zeitzeugen umgeht, hängt natürlich auch von der Wertigkeit der Gebäude ab. Es ist ein Unterschied, ob man die Flaktürme abreißt oder die Ausstattung eines Zimmers wegräumt. Gebäude sind historische Quellen. Als Objekte gehören sie einfach zu unserer Geschichte. Und die beste Information ist immer noch das Sichtbare.

Der Standard, Sa., 2005.11.05



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05. November 2005Ute Woltron
Der Standard

„Bauen unterm Hakenkreuz“

Helmut Weihsmanns Enzyklopädie der NS-Architektur ist aktueller denn je.

Helmut Weihsmanns Enzyklopädie der NS-Architektur ist aktueller denn je.

Das bereits 1998 erschienene Buch Bauen unterm Hakenkreuz. Architektur des Untergangs stellt die derzeit wohl aufwändigste und am besten recherchierte Analyse nationalsozialistischer Architektur in Deutschland und Österreich dar.

Der Autor Helmut Weihsmann, geboren 1950 in Wien, ist Architekt, Architekturhistoriker und Journalist. Für das fast 1200 Seiten starke Nachschlagewerk recherchierte er drei Jahre, über die NS-Architekturforschung stellt er im Vorwort fest: „Die bislang praktizierte Überbetonung großer, repräsentativer Bauprojekte verengte den Blick zu sehr auf einige wenige Persönlichkeiten und Zentren der Bautätigkeit während der NS-Herrschaft und versperrte damit bestimmte Sichtweisen sowie profunde kausale Zusammenhänge in der Bauwirtschaft und Baupolitik.“

Weihsmanns Kapitel über Österreich dokumentiert, dass ab 1938 auch hier zu Lande wesentlich mehr gebaut wurde, als man annehmen möchte. Der Autor listet alle Objekte geografisch geordnet auf und stellt diesen Listen jeweils kurze Analysen der Städte, der Betriebe, der Bautypen, der geplanten, aber auch der nicht realisierten Bauvorhaben sowie der handelnden Personen voran.

Bauen unterm Hakenkreuz ist ein akribisches Werk, das auch Architekturfachleute überraschen dürfte und die ideale Basis für die Erhebung von Nazi-Bauten in Österreich darstellt.

Der Standard, Sa., 2005.11.05



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29. Oktober 2005Ute Woltron
Der Standard

Klasse ist überall

Mithilfe engagierter Eltern, Pädagogen, Planer und Sponsoren wurde aus einem Ensemble alter Industriehallen in Wien eine außergewöhnliche Oberstufenschule. Sie versteht sich allerdings lieber als Lernzentrum.

Mithilfe engagierter Eltern, Pädagogen, Planer und Sponsoren wurde aus einem Ensemble alter Industriehallen in Wien eine außergewöhnliche Oberstufenschule. Sie versteht sich allerdings lieber als Lernzentrum.

Als die Architekten Cornelia Schindler und Rudolf Szedenik auf den Plan gerufen wurden, stand das Projekt gewissermaßen konkret in seinen Umrissen fest. Diese Umrisse waren: drei alte Industriehallen im 14. Wiener Gemeindebezirk aus den unterschiedlichsten Epochen, ergänzt durch Ein- und Zubauten aus allen Zeiten. Leerstehend.

In diese Hallen, das hatte das Kollektiv einer außergewöhnlichen „Oberstufenschule“ beschlossen, werde man einziehen, um rund 100 Jugendliche auf die Externistenmatura vorzubereiten. Die „W@lz“, gegründet 1999, versteht sich als „Lernzentrum“. Unterrichtet - oder vielmehr gelehrt wird projektbezogen und beileibe nicht nur innerhalb des Schulgebäudes.

Gemeinsam mit den Mentoren, die anderswo Klassenvorstand heißen, und mit der Leiterin und Gründerin der W@alz, Renate Chorherr, wurde im ersten Schritt ein präzises Raumprogramm für das Schulhaus als Zentrum aller Aktivitäten ausgearbeitet, dessen Umsetzung möglichst kostenschonend erfolgen sollte - denn das Geld war ausgesprochen knapp.

Sobald sich diese Inhalte zu den Umrissen gesellt hatten, wurde entworfen. „Unser oberstes Kriterium“, so Szedenik „war es, den historischen Bestand so wenig wie möglich zu verändern.“ Alle Einbauten sollten als solche spürbar und damit auch die Volumina der Hallen weiterhin erlebbar bleiben.

Der Entwurf der Architekten durchwanderte also Hüllen und Umrisse, fügte nur die notwendigsten Einbauten hinzu und nutzte zugleich auch alle Zubauten, die im Laufe der Jahre eher achtlos hier entstanden waren. Szedenik und Schindler ließen etwa die schönste und älteste der drei Hallen so gut wie unangetastet: Dieser Bauteil war Ende des 19. Jahrhunderts im für die damalige Zeit typischen Backstein-Industrie-Stil entstanden und stellt heute eine fast zwölf Meter hohe, schön angealterte Räumlichkeit dar, die sich vorzüglich für Theaterinszenierungen und andere Festivitäten eignet.

In der angeschlossenen, nur um weniges jüngeren Halle, die ihrerseits in einen nicht sehr attraktiven 60er-Jahre Bau mündet, sollte das eigentliche Zentrum der Schule, also die „Klassen“ und andere Unterrichtsräume untergebracht werden.

Diverse Entwürfe, so die Architekten, scheiterten schlichtweg an den Herstellungskosten. Erst als die Bundesforste mittels großzügigen Sponsorings das Baumaterial - selbstverständlich Holz - zur Verfügung stellten, konkretisierte sich der Entwurf und wurde plötzlich locker, weich, fließend und in sich logisch.

Durch die hohen Räume ziehen sich nun Galerien und Stiegen, alles ist rund um einen kommunikationsfreundlichen Hauptraum angeordnet, der den Blick auf die Dachkonstruktion frei lässt und von oben tagesbelichtet ist. Trotz der Großzügigkeit und Übersichtlichkeit ist die Halle gut ausgenutzt: An den Wandseiten sind viele Räume unterschiedlichster Größe auf unterschiedlichen Niveaus angeordnet.

Sie dienen zum Teil als „Stammklassen“ oder „Heimräume“ für die einzelnen Jahrgänge, doch die Jugendlichen können sich je nach Bedarf auch allein oder in Gruppen in kleinere und mittelgroße Arbeitsräume sowie in die Computerräume zurückziehen, um dort in Ruhe an ihren jeweiligen Projekten zu feilen. Auch jeder der fünf Mentoren verfügt über einen eigenen Arbeitsraum, um sich vorbereiten oder Gespräche führen zu können. Die Pausenräume sind mit gemütlichen, zusammengeschnorrten Sofas ausgestattet. Pausenglocke gibt es in der W@lz übrigens keine: Wer zu spät kommt, hat sein eigenes Zeitmanagement noch nicht im Griff und lernt es eben über den Peinlichkeitseffekt.

Dank des geringen Gewichts des gesponserten Baumaterials musste die Statik des Bestandes nicht verändert werden, was wieder Kosten sparte. Szedenik: „Wir haben die neuen Elemente wie ein Kartenhaus in der vorhandenen Hülle aufgebaut.“ Fehlte noch ein Speisesaal. Der kam in das Kellergeschoß der letzten Halle aus den 60er-Jahren, das zum Glück wegen eines Geländesprungs Erdgeschoßqualität hat und noch dazu mit den Vorzügen eines sonnig-luftigen Vorplatzes aufwarten kann.

Damit auch alle Ecken und Winkel des Ensembles ausgenutzt wurden, adaptierten die Architekten zu guter Letzt auch noch den ehemaligen Speiseraum des Industrie-Ensembles zu einer Kunstwerkstatt, die ihrem Namen gerecht wird: Hier kann getrost gehobelt, geknetet, Kunst und Dreck gemacht werden.

Seit knapp zwei Monaten ist das Lernzentrum nun in Betrieb. Eröffnet wurde naturgemäß mit einem Fest, um den kollektiven Kraftakt zu würdigen. Einer der Hauptkoordinatoren und -motoren des Projekts W@lz war Christoph Chorherr (Grüne), der sich nebenberuflich monatelang um Sponsoring, Verträge - etwa mit dem sehr unterstützend agierenden Liegenschaftseigentümer, dem Wiener Wirtschaftsförderungsfonds - und Baumaterialauftreibung befasste. Die Architekten, deren Tochter die W@alz seit vier Jahren besucht, arbeiteten ebenfalls unentgeltlich, und auch das Wiener Ingenieurbüro Vasko+Partner stellte statische Berechnungen und Bauleitung gratis zur Verfügung.

Das Vasko-Team entwickelte mit der Zeit sogar außergewöhnliche Qualitäten im Aufspüren wiederverwertbarer Bauelemente: Es organisierte etwa aus anderen Sanierungsprojekten einen Großteil der Beleuchtungskörper, die andernorts weggeworfen wurden, hier aber hochwillkommen waren. Der Mann der W@lz-Köchin betätigte sich wiederum als Tischler und baute alle neuen Türstöcke, andere Eltern taten das ihre, und wenn es nur Putzarbeiten waren.

„Das Ganze ist eine faszinierende Geschichte“, meint Szedenik nun, da das Werk vorerst abgeschlossen ist, „und man muss schon sagen, dass es von Beginn an von einer wunderbaren Naivität getragen war, sonst hätte man sich das wohl nicht angetan.“ Die Baukosten betrugen insgesamt 800.000 Euro, für Szedenik „ein Scherz für ein Projekt dieser Größe“.

Abschließend ein paar Bemerkungen zum Lernzentrum selbst: Die W@lz ist eine private Organisation, das Schulgeld beträgt 408 Euro pro Monat, neben den Mentoren gibt es gut vier Dutzend Personen, die Projektarbeit leisten. Auf der Walz sind die Lehrlinge, deshalb wird viel gereist, denn das Klassenzimmer ist letztlich die ganze Welt.

Der Standard, Sa., 2005.10.29



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15. Oktober 2005Ute Woltron
Der Standard

Linz liegt am Schwarzen Meer

Linzer Kunststudenten machten einen alten Lastenkahn flott und reisten mit dem „Flagship Europe“ auf der Donau dem neuen alten Europa des Ostens entgegen.

Linzer Kunststudenten machten einen alten Lastenkahn flott und reisten mit dem „Flagship Europe“ auf der Donau dem neuen alten Europa des Ostens entgegen.

Die Wiener Architektin Elsa Prochazka hatte mit ihren Studenten der Kunstuniversität Linz ein schnelles Jahr durchmessen. Ein zu schnelles, zu hektisches. Es war an der Zeit, fand sie, das Tempo zu drosseln. Eine Reisegeschwindigkeit von rund acht Stundenkilometern schien angemessen - ein Schiff musste her.

Prochazka unterrichtet an der Linzer Uni Raum & Designstrategien, und da Linz an der Donau liegt, gab es schiffmäßig zwei Möglichkeiten der Fortbewegung: flussaufwärts in den erforschten Westen. Oder flussabwärts, dem neuen, bis dato lediglich von expansionsfreudigen Unternehmen genauer analysierten Osten entgegen. Die Wahl fiel nicht schwer. Die Expedition setzte sich das Schwarze Meer zum Ziel, weil auf dem Weg dorthin weniger erforschte Perlen wie Bratislava, Budapest, Osijek und Belgrad am Donaustrand liegen. Expeditionsdauer: zwei Monate.

Prochazka versammelte ihre Studentinnen und Studenten um sich und erklärte ihnen die wichtigste Strategie, die jedem großen und gewagten Projekt zugrunde liegt, und die einen wesentlichen Teil der Lehre darstellt: Nur gemeinschaftlich würde man dieses Unterfangen realisieren können.

Rund 50 Studenten und ein Dutzend Lehrender organisierten sich: Die einen trieben Geld auf (rund 200.000 Euro), die anderen begaben sich auf die Suche nach einem Schiff (gechartert). Genehmigungen mussten eingeholt, der genaue Anlegeplan abgesteckt, die noch unbekannten Kollegen längs der Donau, die ebenfalls Ziel der Reise waren, aufgetrieben und kontaktiert werden.

Das anfangs so absurd anmutende Abenteuer, von dem zu Beginn keiner gewusst hatte, ob es überhaupt möglich gemacht werden könne, ging tatsächlich los, als mit dem Schiff „Negrelli“ ein geeignetes Transportmittel gefunden war. Baujahr 1966. Rund 66 Meter lang. Zehn Meter breit. Ein träger, alter Lastenkahn mittlerweile undefinierbaren Anstrichs, der für Schottertransporte und acht Passagiere zugelassen war.

Da das Thema Raum & Designstrategien lautete, schritten die Studenten erst eigenhändig an den Umbau und die behördliche Umwidmung des Schiffes zu einer temporären Außenstelle der Universität: Der Kahn musste zudem für 60 Personen adaptiert werden, und das bedeutete harte Arbeit, denn für Professionisten aller Art fehlte selbstverständlich das Kapital.

Es wurde also heftig geschweißt, gestrichen und gebaut. Dort, wo sich normalerweise Schotterhaufen türmen, entstanden einfache Kajüten aus Containern. Auch die Schiffstechnologie wurde perfektioniert, schließlich benötigte man unterwegs Frischwasser, Brauchwasser, eine Schiffsküche samt Proviant, ein Medien- und Fotolabor, eine Werkstatt. Parallel dazu entwickelten die Studenten individuelle Entwurfsprogramme, die sie während der Reise umsetzen sollten, packten schließlich Kameras, Zeichenmaterial, Computer und andere Expeditionsutensilien ein und verabschiedeten sich von den Angehörigen.

Am 1. Mai dieses Jahres legte die „Negrelli“ in Linz ab, und ab diesem Moment reduzierte sich die Reisegeschwindigkeit auf das Wellengeplätscher am Donauufer, auf die langsam vorbeiziehende Landschaft und auf die Einblicke in Länder, die geografisch zwar so nah, dem Rest Europas aber noch fern sind.

Dem Schiff begann sein Ruf bald vorauszureisen: Die Linzer Professoren und Studenten wurden an den diversen Anlegestellen in Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien von den lokalen Künstlern, Architekten, Designern freudig begrüßt. Sie wurden in Universitäten, Architektur- und Designerateliers und Galerien geführt, sie knüpften zahllose Kontakte und tauschten Informationen aus, die im Sog der normalen Geschwindigkeit westlicher Lebensart gern über Bord gehen.

Anfang Juni erreichte die Expedition Flag- ship Europe das Schwarze Meer. Das Web-Logbuch berichtet: „6. 6.: es ist vollbracht. die donau verschwindet im meer. sprachlos im endorphinrausch am ziel - endstation einer reise.“

Diese Eintragung war natürlich voreilig, denn die Endstation der Reise ist keineswegs in Sicht: Zwar tuckerte das Schiff genau zwei Monate nach seiner Abfahrt wieder in Linz ein, doch die Aufarbeitung der Expedition ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Studentenprojekte werden finalisiert, die multimedialen Dokumentationen der Reise aufgearbeitet, vor allem aber werden die zahlreichen Kontakte in die künftigen neuen EU-Mitgliedsstaaten intensiviert und ausgebaut. Prochazkas Studenten haben tatsächlich eine rege Reisetätigkeit zu den Kollegen im Osten aufgenommen.

Sie selbst meint, sie hätte die Länder am Ende der Donau zuvor durch den Filter farbloser und schlechter Ost-Fotografien verinnerlicht gehabt, das Bild der Wirklichkeit sei jedoch bunt, intensiv und großteils wunderschön.

Am 2. November wird das Projekt Flagship Europe im Technischen Museum Wien ab 19.30 Uhr erstmals groß präsentiert, auch die künstlerischen Projekte der Studenten werden dort zu sehen sein. Und da das Leben, wie manche sagen, ein langer Fluss ist, könnte die Reise auch mit dem Schiff weitergehen, denn mittlerweile hat die EU an dem Projekt offiziell Interesse bekundet.

Die Grenzen bleiben indes nur halb durchlässig: Rumänische Studenten etwa, die nun gerne nach Linz kommen würden, müssen eine Kaution von 100 Euro pro Tag hinterlegen. Unleistbare Summen also. Jetzt sind die Länder donauaufwärts zu entsprechenden Expeditionen durch den Dschungel der Bürokratien aufgerufen.

Der Standard, Sa., 2005.10.15

01. Oktober 2005Ute Woltron
Der Standard

Ganz oben sind wir noch nicht

Wie kann - und will - die Politik die Qualität von Architektur und Städtebau fördern? Eine partei- und nationenübergreifende Analyse vor der Wiener Wahl.

Wie kann - und will - die Politik die Qualität von Architektur und Städtebau fördern? Eine partei- und nationenübergreifende Analyse vor der Wiener Wahl.

Die Qualität der gebauten Umwelt ist ein nationales Anliegen und muss somit im Programm jeder Partei eine prominente Rolle spielen. Die bevorstehende Wiener Landtagswahl war denn auch Anlass für die unabhängige Plattform für Architekturpolitik und Baukultur, eine Umfrage unter den fünf wahlwerbenden Parteien Wiens zu starten und deren Architekturgesinnung im Detail auf den Prüfstand zu stellen.

Das macht insofern Sinn, als von einer nationalen Architektur- und Planungspolitik derzeit nicht einmal ein Ansatz zu erkennen ist und Wien auf diesem Gebiet möglicherweise eine Vorreiterrolle spielen könnte. Doch dazu später mehr, erst ein Blick auf das Architekturlabor Bundeshauptstadt:

Von den fünf bereits im Sommer ausgesandten, umfangreichen Fragebögen an die Spitzenpolitiker kamen vier ausgefüllt zurück, lediglich die Antworten der FPÖ fehlten - zumindest bis zum STANDARD-Redaktionsschluss.

Wie die Architektur-Szene erwartete, legten die SPÖ und die Grünen ihre architektonischen Grundsätze detailliert dar. Die Antworten von ÖVP sowie BZÖ hingegen blieben weitestgehend schwammig und unpräzise, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier unter kräftigem Einsatz der ohnehin gängigen Architekturfloskeln der stets ein wenig aufmüpfigen Architekturszene freundlich nach dem Munde geredet wurde.

Während die Grünen unter anderem eine deutlich verstärkte, ressortübergreifende Strategie fordern und eine aktive, umfassende Förderung von Baukultur vermissen, legte die SPÖ in Person von Planungsstadtrat Rudolf Schicker vergangenen Mittwoch mit der brandneuen „Wiener Architektur Deklaration“ im Architekturzentrum Wien offensiv die Grundsatzhaltung der SPÖ-regierten Bundeshauptstadt zur Baukultur auf den Tisch. Die darin verankerten Prämissen lauten: „Qualität in Planen und Bauen; Transparenz in Leitbildern, Zielen und Verfahren; Diskursbereitschaft“.

Die versammelte Architektenschaft honorierte den Ansatz der Stadtplanung, die eigenen Qualitätsstandards schriftlich festzuhalten, mit vorsichtiger Freundlichkeit. Doch wie so oft verirrte sich die anschließende Debatte in Details und Mikrothemen. Man kann den Architekten den Vorwurf nicht ersparen, dass sich jede Diskussion um Baukultur augenblicklich um die Befindlichkeit der Architekten selbst und ihre ökonomische Misere zu drehen beginnt - doch diese Umstände sind bekannt: Wo aber sind die Ansätze der Architekten selbst, sie zu ändern? Wo ist eine starke, kluge, politisch gewandte Standesvertretung, die sich für die Anliegen dieser überaus wichtigen kreativen Szene mit Nachdruck einsetzt und endlich bundesweit laut und deutlich aufschreit, und zwar dort, wo die Mechanismen der Macht an den entscheidenden Hebeln drehen?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die zunehmend krasser werdende Unterbezahlung von Architekturleistungen und die geringe Anzahl von Architekturwettbewerben sind wichtige und dringend zu behandelnde Themen. Die Stadt Wien aber, als Beispiel, kann diese Symptome gegebenenfalls lindern - wenn sie will. Sie wird jedoch die Ursachen nicht beseitigen können, denn die sind eindeutig auf Bundesebene und in der Standesvertretung der Architekten selbst zu suchen.

Denn für die Republik Österreich, wie sie derzeit regiert wird, findet Architektur irgendwo und irgendwie statt, und dass Bauen mit Architektur verwechselt wird, lässt sich an jeder Straßenecke gräulich ablesen. Das Wirtschaftsministerium, das als einziges wirksame Maßnahmen setzen könnte, zeigt leider kein aktives Interesse an der Baukultur und hat sich aus seiner Verantwortung weitestgehend zurückgezogen. Wie unendlich schade.

Vielleicht, denn Hoffnung ist immer, kann das Beispiel jenes Landes, das unter anderem gerade wieder als das wettbewerbsstärkste der Welt eingestuft wurde, die Bundespolitik ein wenig aufrütteln und zum Nachdenken anregen:

Die finnische Regierung hat 1998 ein Architekturprogramm beschlossen, das bisher weltweit beispiellos ist und in knappen sieben Punkten die Mechanismen von Architektur, Baukultur und nationalem Verständnis - und nicht zuletzt der nationalen Wirtschaft im Zusammenspiel mit der Architekturproduktion - in unerhörter Klarheit darlegt.

Der ehemalige finnische Ministerpräsiden Paavo Lipponen fasste die Resultate dieser finnischen, parlamentarisch beschlossenen Architekturdeklaration 2004 im Rahmen der Alpbacher Architekturgespräche bedächtig in einen Satz: Die Architektur, so meinte er, sei Finnlands wichtigster Beitrag zur Weltkultur geworden.

Wie haben sie es also angelegt, die nördlichen Kollegen? Sie erstellten erst einmal eine gründliche Analyse zum Thema, was Architektur denn eigentlich sei. In Zahlen, also der Sprache der Wirtschaft, ausgedrückt, liest sich das so:

Zwei Drittel des finnischen Volksvermögens besteht aus Gebäuden, 15 Prozent aller Arbeitskräfte sind in der Bauindustrie beschäftigt. Der Bausektor erwirtschaftet rund 18 Prozent des nationalen Bruttoinlandsproduktes. Die Instandhaltungskosten eines Gebäudes während seiner Lebensdauer betragen ein Vielfaches der ursprünglich investierten Bausumme. Architekturqualität trägt damit unmittelbar zum Wert des Volksvermögens bei. Und - damit noch ein bisschen über den Tellerrand geblickt wird, weil der internationale Wettbewerb ja in aller Munde ist: Der finnische Bausektor ist Teil des europäischen Marktes. Durch einen hohen Qualitätsstandard werden Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit in allen Marktsegmenten gestärkt.

Dem finnischen Wirtschaftsminister muss das wie Honig die Kehle runterrinnen, und der sinnvolle Einsatz der Mittel, quasi der Return on Investment, wird bereits im zweiten Satz des Programmes festgehalten. Diese Architekturpolitik, heißt es da, formuliert Richtlinien zum Schutz unseres architektonischen Erbes und zum Erhalt und zur Wertsteigerung des vorhandenen Baubestandes, darüber hinaus schafft sie Voraussetzungen für die Unterstützung architektonisch hochwertigen Bauens sowie für die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des finnischen Bausektors.

So weit zu wirtschaftlichen Zielsetzungen. Doch das Programm kann noch viel mehr. Es schreibt jedem Bürger, jeder Bürgerin eine intakte Umwelt als Grundrecht zu. Es ortet den Staat selbst als wichtigstes Vorbild für Nachhaltigkeit und optimiertes Bauen. Es deklariert die Architektur als zentrale und sinnlich wahrnehmbare Form von Kultur. Es verankert die fächerübergreifende Vermittlung von Baukultur im finnischen Ausbildungssystem - das bekanntlich dem österreichischen auch einiges voraushat. Es bekennt sich explizit zu Forschung und experimentellem Planen und Bauen. Es fordert - von allen am Planungsprozess Beteiligten - die Übereinstimmung der Qualifikation mit den Erfordernissen des jeweiligen Bauvorhabens. Es legt den Wettbewerb, der in Finnland eine über 100 Jahre alte Tradition hat, als Vergabestandard fest.

Damit diese insgesamt 24 von den finnischen Parlamentariern abgesegneten Beschlüsse, die im Übrigen ressortübergreifend anzuwenden sind, nicht nur in der Hauptstadt greifen, wurde unter anderem ein staatlich finanziertes System von „Regionalarchitekten“ ins Leben gerufen, die auch in den entlegensten Gemeinden auf Qualität zu achten haben und wichtige beratende Funktionen ausüben.

Und noch ein weiterer Punkt wird definiert, der hier zu Lande im Augenblick über die interne Debatte nicht hinauskommt: Die ganzheitliche Kontrolle über den Planungs- und Bauprozess vom Entwurf bis hin zur Ausführung ist ein wesentlicher Teil im System der Verantwortlichkeiten, Kontinuität ist eine Vorbedingung für eventuelle Haftungsregelungen nach Beendigung des Bauvorhabens. Die finnische Regierung hält es für wichtig, dass diesen Gesichtspunkten bei der Weiterentwicklung des Bausektors besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Eine geballte Ladung Engagement und Initiative wurde hier von einem Land vorgelegt, das, nebenbei bemerkt, vor ein paar Jahrzehnten einfach beschlossen hat, eine Designnation zu werden - und das heute einer der Weltmarktführer auch auf diesem Sektor geworden ist. Offenbar muss man wollen, um zu können.

An denen, die das auch in Österreich tun, nämlich das Wollen, mangelt es nicht. Wenn das Wollen jetzt auch noch die richtigen Kanäle erreicht, wenn Leute wie die Vertreter der Plattform für Architekturpolitik tatsächlich bis zur Bundespolitik vordringen und wenn die Politik das Wollen lernt, geht's steil bergauf.

Der Standard, Sa., 2005.10.01

10. September 2005Ute Woltron
Der Standard

Der Bergfex ist die Heizung

Die außergewöhnlichste Berghütte Österreichs krönt den Hochschwab: Das neue Schiestlhaus ist Passivtechnologie pur und war konstruktives Bergabenteuer. Serie Holz, letzter Teil.

Die außergewöhnlichste Berghütte Österreichs krönt den Hochschwab: Das neue Schiestlhaus ist Passivtechnologie pur und war konstruktives Bergabenteuer. Serie Holz, letzter Teil.

Freitag vergangener Woche erreichte ein außergewöhnlicher Ansturm den Gipfel des Hochschwab. Er kam in Schüben und in Form wohlgelaunter Bergfex-Scharen, die bei munteren Plaudereien wie die Gämsen von allen Seiten über Stock und Stein dem Gipfel zuhüpften. Pünktlich zu Mittag verzog sich der Nebel, dafür ballte sich alles, was Bergschuhe und Goretexjacken trug, zu einer kompakten, mit Jausenbroten und Thermosflaschen ausgerüsteten Menschenschwade zusammen.

Die Erwartungen waren groß, das neue ÖTK-Gipfelhaus des Hochschwab stand zur Eröffnung. Das lag zwischen den Menschenmassen gewissermaßen still in der Sonne und ging der Beschäftigung des Sonnenenergieeinfangens nach: Das Schiestlhaus ist die moderne Supervariante einer Berghütte, es funktioniert wie ein kleines Kraftwerk und liegt dabei auf einer Seehöhe von unwirtlichen 2154 Metern.

Die großteils hölzerne Konstruktion ist als Passivhaus ausgeführt, was bedeutet: Die Energie, die es zum Betrieb benötigt und die anderswo aus ökologisch verabscheuungswürdigen Dieselaggregaten kommt, generiert es mittels Sonneneinstrahlung, Sonnenkollektoren und der Abgabe der Wärme von Personen, die sich im Haus aufhalten. Nur im Härtefall wird Energie mittels eines rapsölbetriebenen Blockheizkraftwerks im Kellergeschoß zugeschossen.

Dieser Standard ist schon in flachen Landen nicht ganz einfach herzustellen, doch ein solches Haus im Hochgebirge zu bauen bedeutet Extremhandwerk und leidenschaftlichen Einsatz aller Beteiligten für Umweltschutz und Ökologie. Denn der Berg ist ein witterungsmäßiger Schweinehund und selbst im Hochsommer nicht zu unterschätzen. Seine Gipfel umtosen Winde, die mit Geschwindigkeiten von über 200 Stundenkilometern daherkommen und in denen man sich maximal kriechend fortbewegen kann. Außerdem verhängen Nebel, Schnee und Hagel blitzschnell jegliche Sicht, und wer dann nicht gut ausgerüstet ist, dem gnade der Berggott.

Zudem führen naturgemäß weder Straßen noch Lastenseilbahnen in die Höh', und aus diesem Grund verfügt derzeit eine ganze Truppe von Handwerkern, Architekten und anderen Fachingenieuren über äußerst stramme Wadeln. Die Extrembaustelle war nur zu Fuß erreichbar, den steilen Anstieg schaffen auch Geübte nur in mindestens drei Stunden. Baumaterialien und vorgefertigte, hochwärmegedämmte Wand- und Deckenelemente wurden in rund 1500 Hubschrauberflügen angeliefert, was nur bei guter Witterung möglich war.

Das Schiestlhaus ist, zumindest in seinen oberirdischen Teilen, fast ausschließlich aus Holz konstruiert. Die Form ist kompakt und streng nach Süden orientiert. Dort befindet sich eine beeindruckende Solaranlage, die einen Teil der Fassade bedeckt, die restliche Gebäudeeinhüllung besteht aus unbehandeltem Lärchenholz. Das wird bald schön silbergrau abwittern, wie es sich für eine Berghütte gehört, und stellt den optimalen Fassadenschutz dar. Architekt Martin Treberspurg, der gemeinsam mit den Kollegen Marie Rezac, Karin Stieldorf und Fritz Oettl die ARGE solar4alpin und somit das Kern-Planerteam bildete: „Holz war die beste Lösung, weil wir befürchteten, dass der Sturm zum Beispiel Blech wie Sardinendosen aufrollen könnte.“

Auch der Innenbereich des hochtechnologisierten Schutzhauses ist freundlich hölzern. Bis zu 70 Bergfexe können hier in ausgesprochen gut gestalteten Räumen im Obergeschoß übernachten, die sonst so unangenehmen vielstöckigen Betten sind bei geringstem Aufwand vorzüglich designt. Ein großer Gastraum bietet voll verglasten Panoramablick auf die demnächst zu bezwingenden Gipfel. Wenn man vielleicht etwas bemeckern darf, so ist das die blaue Lasur der Holzoberflächen, die eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre, aber über derlei Geschmacklichkeiten sollen die Wandersleute bei Zirbengeist streiten.

Den Hightechbereich der Anlage, der Temperatur, Zu- und Abluft kontrolliert, werden sie allerdings kaum je zu Gesicht bekommen, denn der befindet sich im betonierten Sockel des Hauses. Dort schaut's aus wie in einer Raffinerie. Die Schaltpulte gleichen den Cockpits von Düsenjets. Beglückenderweise ist der Hüttenwirt gelernter Maschinenbauer und somit fortgeschritteneren Bedienungsanforderungen gewachsen. Treberspurg: „Er muss das Haus im Schlaf beherrschen, er ist gewissermaßen der Pilot hier.“

Der Start dieses Projektes geht unter anderem auf eine viel beachtete Entwurfsarbeit an der TU Wien zurück: Die damalige Studentin Marie Rezac träumte vor sechs Jahren fern ihrer Tiroler Heimat im nebelverhangenen Flachland von einer solarbetriebenen Berghütte. Über die Programmlinie „Haus der Zukunft“ des Verkehrs- und Technologieministeriums fanden schließlich die Passiv-Spezialisten der ARGE zusammen, denn nur durch die Bündelung von Vision, Erfahrung und Spezialkompetenz konnte das Projekt letztlich abheben. Auch die Mitarbeiter der ausführenden Unternehmen leisteten volle Arbeit - nach vielen, vielen schweißtreibenden Aufstiegen.

Bleibt noch der Einsatz des Geldes: Die Baukosten von 1,6 Millionen Euro kamen vom ÖTK (Österreichischer Touristenklub), dem die Spitzentechnologie kräftig fördernden Ministerium (bm:vit), dem Land Steiermark sowie der Gemeinde Wien. Das Interesse der Länder an einem Schutzhaus, das Fäkalien und Abwässer biologisch reinigt, das Regenwasser nutzt und somit Hubschrauber-Versorgungsflüge auf ein Minimum drosselt, war insofern groß, als der Hochschwab eines der wichtigsten Trinkwasserreservoirs der Republik darstellt. Das alte Schiestlhaus mit seiner Senkgrube und anderen Umwelt-Unarten war aus diesen Gründen nicht immer in Betrieb, doch die Unberechenbarkeit des Hochgebirges erfordert eine funktionierende Schutzhütte, will man die Kraxler nicht extremen Gefahren aussetzen.

Die nahmen das neue Alpendomizil jedenfalls erfreut in ihre Routenpläne auf. Die „moderne“ Form dieses Hauses auf dem Gipfel mag dem einen oder anderen noch etwas ungewohnt sein, doch das Innenleben wird formal wie funktional überzeugen. Treberspurg: „Es war ein Abenteuer. Ich bin froh, dass nix passiert ist.“ Rezac; „Schade, dass es vorbei ist.“

Der Standard, Sa., 2005.09.10



verknüpfte Bauwerke
Schiestlhaus

19. August 2005Ute Woltron
Der Standard

Unter Wasser

Dieser Hochsommer eignet sich wie wenige zuvor zum ausgedehnten Architekturbuch- Schmökern vor dem Kamin. Hier ein paar Lektüre-Tipps von Ute Woltron

Dieser Hochsommer eignet sich wie wenige zuvor zum ausgedehnten Architekturbuch- Schmökern vor dem Kamin. Hier ein paar Lektüre-Tipps von Ute Woltron

Kurz vor dem sich seit Frühling ohnehin beständig ankündigenden Herbst mit seiner traditionellen Architekturbuchschwemme erlauben wir uns, auf ein paar ausgewählte Zwischendurch-Publikationen hinzuweisen, die etwaige letzte Urlaubstage erwärmen könnten.

Sehr passend erscheint etwa das Buch Water House (Felix Flesche und Christian Burchard, Verlag Prestel, engl., € 41,10). Die Autoren zeichnen darin den Traum vom „Leben im symbiotischen Verhältnis mit der Natur“ - insbesondere dem Wasser versteht sich - anhand verschiedenster realisierter oder lediglich geträumter Wasserarchitekturen nach.

Water House ist denn auch eine jener seltenen gelungenen Mischungen aus architektonischen Visionen und handfesten Architekturen, die anderswo oft etwas bemüht und konstruiert daherkommen. Burchard und Flesche unternehmen mit ihren Lesern jedoch stringente Zeit- und Genrereisen, sie machen bei den traditionellen schwimmenden Häusern Kanadas genauso Halt wie bei Jules Verne, Richard Buckminster Fuller, auf 70er-Jahre James-Bond-Filmsets und Jean-Michel Ducancelles wahrhaftiger „Aquasphere“.

Floating Homes gibt es so gut wie überall, wo es Meere, Seen, Flüsse gibt. Die Nase vorn haben einmal mehr die wasserreichen Niederländer mit so eleganten Strukturen wie etwa Hermann Hertzbergers Watervilla Middelburg. Die Protzvariante aquatischer Architektur entsteht derzeit wenige Kilometer vor der Küste Dubais in Form mehrerer künstlicher Inseln in Palmen- und Kontinentenform. Die größte der Inseln wird immerhin 7000 Villen Platz bieten, über deren architektonische Gestaltung allerdings besser geschwiegen werden sollte.

Ebenfalls kreuz und quer gedacht und deshalb höchst empfehlenswert ist der Band Tropical Architecture (Wolfgang Lauber, Verlag Prestel, engl., € 71,-). Auch hier unternimmt der Autor mit seinen Lesern ausgedehnte Reisen - diesmal in die heißen und schönen Gefilde dieser Welt. Wolfgang Lauber vergleicht traditionelle Konstruktionen und Baustile mit jenen, die von Kolonisatoren in die Tropen gebracht wurden. Er stellt also vermeintlich simple Bambus- oder Lehmarchitekturen modernen Bautypen gegenüber und untersucht die Sinnhaftigkeit der jeweiligen Konstruktionen in Afrika, Südamerika und Asien.

Das Bauen in den Tropen, meint er, bedeute die Auseinandersetzung mit extremen klimatischen Bedingungen wie hoher Luftfeuchtigkeit, Hitze, starker Sonneneinstrahlung: „Die traditionelle vernakuläre Architektur der Tropen hat über einen langen Zeitraum hinweg intelligente Bauformen, Raumfolgen und Konstruktionsmethoden sowohl für Wohnen und Arbeiten als auch für kulturelle und religiöse Zeremonien entwickelt.“

Lauber beschreibt nun spannend, detail- und kenntnisreich, inwieweit die Ankunft der europäischen Zivilisation zu einem Kollaps der Architekturtraditionen der so genannten Dritten Welt geführt hat und wie sich andererseits die so genannte moderne Architektur die über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende erprobten Erkenntnisse der Einheimischen in der Folge zunutze machte.

Einen ähnlich subtilen Ansatz hat das Buch Himalayan Vernacular (Carl Pruscha, Schlebrügge. Editor, engl., € 32,-). Der Wiener Architekt Carl Pruscha hat, bevor er Professor und schließlich Rektor der Universität für bildende Künste in Wien wurde, zehn Jahre in Nepal verbracht und im Auftrag der Unesco die nepalesische Regierung in architektonischen und städtebaulichen Fragen beraten.

Hier präsentiert er nicht nur eindringlich das Anliegen, die gefährdeten traditionellen Wohn- und Lebensformen dieser Region zu schützen, er zeigt auch anhand mehrerer Case-Studies in Nepal, Bhutan und Tibet auf, wie das funktionieren könnte. Irgendwie scheint Pruscha dieses Talent zum Einfachen und dennoch wunderbar Funktionierenden zurückimportiert zu haben, was man vor allem seinen restauratorischen Arbeiten (siehe etwa Semper Depot) anmerkt.

In seinem Vorwort zu „Himalayan Vernacular“ argwöhnt der renommierte indische Architekt Charles Correa Ähnliches: „Ich weiß nicht, wie viel von all dem Carl mitzunehmen vermochte, als er bedauerlicherweise vom Himalaya zu den Alpen zurückging. Aber ich weiß, dass sich die Architekten Nepals alle an ihn und seine Arbeit erinnern.“

In einer völlig anderen Weltgegend hat sich zu einer völlig anderen Zeit die Autorin Dine Petrik herumgetrieben. Sie war in der Gegend der Bibliotheca Alexandrina - unterwegs auf Weltwunderboden (Verlag Sonderzahl, € 14,-) und hat anhand dieses, man könnte sagen, Remake eines Weltwunders, die verwirrende und bewegte Geschichte der Region zu einem essayistischen, persönlich gefärbten Reise-Architektur-Geschichtsband gemacht.

Petrik beschreibt die historische und architektonische Dichte auch anhand diverser Begebenheiten. So schildert sie etwa, wie „im Sommer 1997 beim Bau einer neuen Straße ein Pferd samt Wagen plötzlich vom Erdboden verschluckt“ wurde: Es hatte bei diesem Sturz gewissermaßen die Katakomben von Kom el-Schukafa wiederentdeckt, die heute von Archäologenteams erforscht werden. Die moderne Gegenwelt zeigt sich beispielsweise anhand der 2002 eröffneten alexandrinischen Bibliothek von Snohetta. Für Petrik ist sie „eine Riesenscheibe, die aus dem Wasser zu steigen scheint.“

Mit einer Vergangenheit anderer Art befasste sich der Grazer Architekt Günther Domenig, als er dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg vor drei Jahren ein Dokumentationszentrum verschaffte, für das er 2004 u.a. den Goldenen Löwen der Architekturbiennale Venedig bekam. In Günther Domenig - Recent Work (Matthias Boeckl, Verlag Springer Wien New York, € 59,80) ist dieses nur eines von erstaunlich vielen jüngeren Projekten des charismatischen und äußerst produktiven Bau-Mannes.

Der kalifornische Architekt Thom Mayne stellt sein Vorwort unter den Titel „Aufbruch aus dem Zusammenbruch“ und meint darin über den Kollegen: „In seinem Werk geht es letztlich um eine Beziehung zum Ende, zum Endgültigen, zu einem Ort, wo der Verfall eine Quelle der Erneuerung ist. (...) Ich habe ihn persönlich tiefer verstanden, nachdem ich ihn in seinem Steinhaus besucht habe. Energie, eine üblicherweise nicht sichtbare Eigenschaft, wird in diesem Werk greifbar, wie der Konflikt als dessen Ausgangsmaterial greifbar wird.“

Apropos Günther Domenig: Druckfrisch liegt auch ein Buch über das T-Center St. Marx vor (Domenig, Eisenköck, Peyker; Liesbeth Waechter-Böhm, Verlag Birkhäuser, € 30,40), das Waechter-Böhm unter dem Titel „Ein Saurier hebt ab“ als „das ungewöhnlichste“ und „spektakulärste“ Bürohaus landauf, landab bezeichnet. Wir widersprechen keinesfalls.

Zu guter Letzt noch eine warme Empfehlung für ein Buch, das irgendwie ein bisschen zwischen den Zeiten hängt. Zum einen, weil sich der Architekt, um den es geht, vor mittlerweile auch schon wieder 30 Jahren aus bis heute unerfindlichen Gründen das Leben nahm. Zum anderen, weil die hier superb von Fotografin Sigrid Neubert in Szene gesetzten Architekturen großteils nicht nur modern, sondern sogar zukunftsweisend wirken.

Unter dem fast brutal knappen Titel Schwanzer (Herausgegeben von Leonie Manhardt, Verlag Springer Wien New York, € 45,-) werden drei Bauten des heute zwar keineswegs vergessenen, aber irgendwie dennoch nicht laut genug gewürdigten Wiener Architekten und Architekturlehrers Karl Schwanzer vorgestellt: ein Wohnhaus in Wien (1962), die BMW-Bauten in München (1973) - natürlich inklusive des berühmten „Vierzylinders“- sowie die österreichische Botschaft in Brasilia (1975).

Im Anhang kommen auch Karl Schwanzers Schüler zu Wort. Rüdiger Lainer meint etwa: „Karl Schwanzer war der einzige österreichische Stararchitekt der Nachkriegszeit, eine Persönlichkeit, die sowohl national als auch international neue Territorien der Architektur zu entdecken imstande war.“ Und Heinz Neumann, der bei Schwanzer nicht nur studiert, sondern auch gearbeitet hat, erinnert sich an die Nachtschichten, mit denen der Architekt seine jungen Kollegen nicht selten verblüffte: „Meist fand man am Morgen auf dem Zeichentisch neue Ansatzpunkte der Arbeit, unzählige Handskizzen und Bemerkungen, die jeden Fehler durchschaut hatten. Er war für jede Frage offen, die oft weit über architektonische Themen hinausging. Noch heute bedaure ich, dass ich ihm aufgrund seines kurzen Lebens nicht mehr Fragen stellen kann.“

Solchermaßen mit Lektüre ausgestattet, sollten die letzten Regentage vor den ersten Nebelwochen tadellos zu überstehen sein.

Der Standard, Fr., 2005.08.19

16. Juli 2005Ute Woltron
Der Standard

Ohne Maß und Ziel kein Plan

Die kleine Großstadt Wien bekommt in den nächsten Jahren noch ein paar hohe Häuser in den Stadtfrack geflickt. Internationale Architekturstars geben sich dabei etwas zickig.

Die kleine Großstadt Wien bekommt in den nächsten Jahren noch ein paar hohe Häuser in den Stadtfrack geflickt. Internationale Architekturstars geben sich dabei etwas zickig.

„Von vorn betrachtet sieht ein Haus meist besser als von hinten aus“, wagte bereits Wilhelm Busch anzumerken. In der zeitgenössischen Architekturproduktion ist diese „Hinterseite“ des Hauses der Planungsprozess, der natürlich auch seine hübschen, aber auch seine komplizierteren Seiten zeigen kann. Das Ringen von Investoren und Nutzern, von Architekten und Bauherren um Quadratmeterpreise und Mietvereinbarungen bereits während der Planungsphase wird kaum je dokumentiert, obwohl gerade dieser Prozess die spätere Architektur aktiv mitformt. Das Zusammenspiel ist äußerst kompliziert, schlecht ausgetragene Reibereien und missliche Kompromisse setzen sich im Gebauten fort wie genetische Defekte.

Wien bekommt beispielsweise in den nächsten Jahren eine Reihe neuer Hochhäuser verpasst. Derzeit sitzen drei internationale und berühmte Architekten an Plänen für Tower in der Donaucity und am Donaukanal. Jean Nouvel wird, wie bereits im STANDARD berichtet, für die Uniqa-Versicherung einen Büro-Hotel-Geschäftsbau in Nachbarschaft zu Hans Holleins Generali-Gebäude am Donaukanal errichten. Sein Landsmann Dominique Perrault baut ein Wohn-Büro-Hochhaus in der Donaucity, die Schweizer Kollegen Herzog & de Meuron stellen einen zweiten Turm gleicher Nutzung daneben auf.

DER STANDARD zeigt hier erstmals die lang erwarteten Visualisierungen der beiden neuen WED-Türme, die nicht zuletzt die Stadtsilhouette prägen sollen - und zwar gemeinsam, quasi in Absprache miteinander. Dominique Perrault, dessen wettbewerbsprämierter Masterplan für die Donaucity im Jahr 2002 das ursprüngliche städtebauliche Leitbild für dieses derzeit größte und wichtigste Stadtentwicklungsaral ablöste, darf den höchsten Turm bauen: Der hier vorgestellte 200 Meter hohe Entwurf ist nach Angaben von WED-Chef Thomas Jakoubek in etwa der 50. Der von Herzog & de Meuron (160 Meter) immerhin schon der 30. Warum? „Weil es eine Herausforderung für uns ist, mit beiden Architektenteams, die wir für sehr gut halten, eine unseren Anforderungen entsprechende Lösung zu finden“, sagt Jakoubek, und zu diesen Anforderungen zählt eben auch die kombinatorische Qualität des Hochhaus-Ensembles.

Dass der Immobilienmanager schwierige Projekte erfolgreich abwickeln kann, hat er unter anderem mit Günther Domenigs viel beachtetem T-Center an der Tangente unter Beweis gestellt. Die architektonische Skulptur Domenigs prägt die Stadtlandschaft dort auf äußerst wohltuende Weise, die Baukosten explodierten wider Erwarten vieler nicht, und das Haus ist solchermaßen konzipiert, dass etwaige Nachnutzungen laut Jakoubek keine gröberen Probleme darstellen werden.

Auch die Superstars Perrault und Herzog & de Meuron müssen im Dienste der Stadtansicht und natürlich auch der Vermietbarkeit ihre Entwürfe nun pfleglich aufeinander abstimmen, doch eine Tendenz zur Zickigkeit ist in der Gilde der Weltberühmten offenbar Trademark, und es entbehrt nicht einer gewissen Peinlichkeit, wenn die einen den Entwurf des anderen aus Visualisierungen einfach digital wegradieren. Worüber sich Jakoubek im Übrigen hinwegsetzt, denn erstens ist Architektur immer auch öffentliches Anliegen, und zweitens wird vonseiten der Investoren viel Geld dafür in die Hand genommen. Perraults Turm ist mit rund 120 Millionen Euro veranschlagt, der von Herzog & de Meuron mit etwa 100 Millionen.

Auch wenn die Architekten zu einem Miteinander finden sollten, bleibt die Donaucity-Bebauung doch dispers, zerrissen und als Stadtraum reichlich unattraktiv. Jakoubek verweist auf die Bemühungen der WED, Plätze, Wege, Straßen zu optimieren, man möge das Endresultat abwarten, sobald die letzten Lücken geschlossen seien. Perraults Entwurf könnte Ende 2006 in Bau gehen, der Nachbarturm je nach Marktsituation rund zwei Jahre später.

Wie man mit dem Projekt eines Kollegen allerdings bestens Umgang pflegen kann, bewies Kollege Jean Nouvel unlängst mit seinem Wettbewerbssieg für das Hotel-Büro-Projekt der Uniqa am Donaukanal. Der Franzose, der den Bauplatz und seine Umgebung bereits im Rahmen des von Hans Hollein gewonnenen und realisierten Wettbewerbs für den Generali-Tower genauestens studiert hat, lieferte eine Fingerübung erster Güte ab. Sein Entwurf bildet - und zwar in äußerst kommunikativer Manier mit dem Nachbarturm - ein attraktives, sehr fein konzipiertes Portal zum zweiten Wiener Gemeindebezirk. Oder auch zur Innenstadt, wie man will.

Nouvel nahm Holleins Fassadenschräge geschickt in seine Planungen auf, ordnete den Mikro-Stadtraum elegant nach funktionellen Kriterien und hielt sich dabei strikt an die vorgegebene Ausschreibung. Die Uniqa verfügt als Bauherrin über vorzügliche Architekturexperten, denen man den Spaß an der Sache anmerkt. Sie pflegt eine rege Kommunikation mit den Wiener Planungschefs - und obwohl stets gemeckert wird, in Wien ginge architektonisch überhaupt nichts weiter, zeigt sich diese Kooperation deutlich fruchtbar. Jean Nouvel ist ein eigensinniger Architekt, der bereits ein paar Meisterwerke abgeliefert hat - das Institut du Monde Arabe in Paris beispielsweise - und es wird spannend sein, die weitere Genese dieses 4-Stern-Plus-Hotelgebäudes an der Kante zur sorgfältig behüteten Wiener Innenstadt zu verfolgen.

Wie die Landmarkbildung in der Donaucity voranschreiten wird, lässt sich dagegen noch nicht genau vorhersagen, weshalb wir uns an dieser Stelle präzisere Interpretationen der vorliegenden Entwürfe versagen. Nur so viel: Perraults grob in Triangeln facettierter Turm ist derweilen noch auf der Suche nach der Eleganz des Bank of China-Hochhauses eines I.M.Pei. Und Herzog & de Meurons Nachbar braucht dringend eine sinnvolle Fassadengestaltung, will man ihn nicht der totalen Uninspiriertheit zeihen. Doch Jakoubek meint, alles sei derzeit im Flusse und die Kommunikation mit den Planern äußerst intensiv. Was bleibt, sind die Vorgaben: „Die Häuser müssen funktionieren, sie müssen gut ausschauen und sie müssen zur Landmarkbildung in der Donaucity maßgeblich beitragen. Diese Anforderungen werden von Architekten im Allgemeinen selten bis nie verstanden, aber wir geben die Hoffnung nicht ganz auf.“ Selbstdarstellungstendenzen mancher Architekten seien „nicht zu übersehen“, doch schließlich würden die Investoren das „Letztrisiko der ganzen Geschichte“ tragen.

Ob die Universität für angewandte Kunst ebenfalls in ein neues Haus von Coop Himmelb(l)au in der Donaucity übersiedeln wird, soll ein derzeit laufendes Standortbegutachtungsverfahren klären. Eine Kooperation mit der Kunsthalle Wien und einem neuen „Haus der Kulturen“ wird gemeinsam angedacht.

Der Standard, Sa., 2005.07.16

09. Juli 2005Ute Woltron
Der Standard

Die Zeit ist wichtiger als der Ort

Kommende Woche eröffnet im Wiener Palais Eskeles die Ausstellung „Jüdische Identität in der zeitgenössischen Architektur“

Kommende Woche eröffnet im Wiener Palais Eskeles die Ausstellung „Jüdische Identität in der zeitgenössischen Architektur“

Als man Peter Eisenman, den Architekten des im vergangenen Mai in Berlin eröffneten Holocaust-Mahnmals, fragte, ob er an der zeitgleich stattfindenden Ausstellung „Jüdische Identität in der zeitgenössischer Architektur“ teilnehmen wolle, lehnte der Sohn emigrierter deutsch-französischer Juden das ab.

Dem STANDARD gegenüber argumentierte der Amerikaner damals so: „Als man Barnett Newman in den 50er-Jahren bat, an einer Ausstellung jüdischer Maler teilzunehmen, sagte er, er glaube nicht an so etwas wie jüdische Identität in der Malerei. Ich erinnerte mich daran und sagte jetzt dasselbe: Ich glaube nicht, dass es so etwas wie jüdische Identität in der Architektur gibt.“

Diese Ausstellung des Jüdischen Historischen Museums Amsterdam macht nun ab kommendem Mittwoch Station im Jüdischen Museum Wien - und es ist schade, dass Eisenman seine Teilnahme verweigerte. Denn die Kuratoren und Autoren der Schau kamen nach sorgfältigen Recherchen letztlich zu keinem anderen Schluss als er selbst.

„Es gibt viele jüdische Architekten“, schreibt etwa Samuel D. Gruber, Direktor des Jewish Heritage Research Center in Syracuse, im Ausstellungskatalog, "aber im Prinzip gibt es keine „jüdische“ Architektur. Bis zum frühen 19. Jahrhundert wurden sämtliche europäischen Synagogen von Nichtjuden errichtet, und heute bauen jüdische Architekten in offenkundig nicht jüdischen Kontexten. Richard Meier hat im Auftrag des Vatikans jüngst eine Kirche in Rom fertig gestellt. Man sollte nicht überrascht sein, dass ein Jude eine Kirche in Rom baut: Vor Jahrzehnten baute ein Jude - Louis I. Kahn - die Hauptstadt eines muslimischen Landes - Bangladesh."

Dennoch orten die Kuratoren der Schau, die Historikerin Angeli Sachs und Edward van Voolen, ebenfalls Historiker und Rabbi, in der zeitgenössischen Architektur eine „jüdische Avantgarde“, die sich weltweit vor allem in drei Bauaufgaben herauskristallisiert: in Museen, in Synagogen und Gemeindezentren und in Schulbauten. „Worauf dieser Begriff am ehesten anwendbar ist, ist die Berücksichtigung jüdischer Kultur und Religion, Symbole oder der hebräischen Schrift im architektonischen Entwurf.“ Und weiter: „Zum Teil sind diese avantgardistischen Projekte mit der Architektursprache des Dekonstruktivismus verbunden, die besonders geeignet scheint, die Diskontinuität der Geschichte, ihre Brüche, Einschnitte und Deformationen anschaulich auszudrücken. Aber sie ist nur eine unter vielen Möglichkeiten.“

Tatsächlich manifestiert sich gerade in jüngerer Vergangenheit eine, wenn man will, erstarkende jüdische Identität in interessanten musealen Bauten, in neu konzipierten Gedenkstätten und Gemeindezentren. Der Holocaust bleibt gezwungenermaßen stets präsent, doch die Erinnerung an diesen radikalsten Bruch in der Geschichte der Juden hat neue Orte und Räume definiert. Die an Konzentrationslager angeschlossenen Gedenk- und Ausstellungsräume bleiben, sie bleiben auch wichtig. Doch die neueren jüdischen Museen haben sich von diesen Orten abscheulichster Geschichtsschreibung gelöst und stehen als Solitäre da.

Daniel Libeskinds Jüdisches Museum Berlin, 1999 fertig gestellt, ist eines der eindringlichsten und bekanntesten Beispiele dafür. Wie man den zerrissenen, skulpturalen Bau deuten mag - als Blitz oder, wie Libeskind selbst, als etwas, das sich „zwischen den Linien“ abspielt - bleibt den Betrachtern überlassen. Es ist jedenfalls eine meisterlich in Szene gesetzte Leere, die das Haus bereits vor seiner Bespielung zu einem Anziehungspunkt für hunderttausende Besucher machte.

Die Juden hätten in der Feier des Sabbats und ihrer religiösen Feste „Kathedralen in der Zeit“ und nicht im Raum errichtet, zitiert van Voolen in einem klugen Aufsatz den Philosophen Abraham Heschel. Und über Jahrtausende sei in der jüdischen Religion und Tradition die Zeit - gedeutet und aktualisiert - wichtiger gewesen als der Ort. Doch irgendwie kann die Architektur auch die Zeit in Räume fassen, und ein gelungenes Beispiel dafür befindet sich mitten in Wien.

Bei den Grundierungsarbeiten für Rachel Whitereads Mahnmal auf dem Judenplatz war man auf Reste der mittelalterlichen Synagoge gestoßen. 1421 hatten sich darin achtzig Gemeindemitglieder eingeschlossen, waren tagelang belagert worden und hatten schließlich Selbstmord begangen, indem sie sich selbst verbrannten. Die Architekten Christian Jabornegg und András Palffy umschlossen den Ort mit einem Raum, der sich völlig zurücknimmt und nur durch einen unterirdischen Gang erschlossen ist.

Ein ganz ähnliches Konzept verwirklichten Etan Kimmel und Michal Eshkolot in der Jerusalemer Altstadt mit dem Davidson-Besucherzentrum: Das liegt bis zu acht Meter tief im historischen Stadtboden versenkt und offenbart Fundstücke aus der Periode des zweiten Tempels, der byzantinischen Herrschaft sowie der Zeit der ersten Omajjaden.

Ebenfalls in Jerusalem entsteht derzeit in Altstadtnähe ein „Museum der Toleranz“, mit dem das Simon Wiesenthal Center „die Versöhnung und den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern“ fördern will. Frank O. Gehry, 1928 als Frank Goldberg in Kanada geboren, entwarf dafür einen gewaltigen, dispersen Gebäudekomplex, der in Jerusalem keineswegs unumstritten ist.

Aus finanziellen Gründen bis dato unvollendet bleibt Daniel Libeskinds aufregender Entwurf aus dem Jahr 2000 für ein Jüdisches Museum in San Francisco. In die historische Backsteinhalle eines Kraftwerks, das nach dem Erdbeben von 1906 errichtet wurde, um die Energie für den Wiederaufbau zu liefern, setzte der polnisch-amerikanische Architekt mit wüster dreidimensionaler Bildsprache die hebräischen Buchstaben des Wortes „Chai“, was so viel bedeutet wie „Leben“.

Mindestens ebenso interessant wie die immer zahlreicher werdenden Museumsarchitekturen sind die neuen Synagogen und Gemeindezentren. Der Tessiner Architekt Mario Botta beispielsweise hatte noch nie in seinem Leben eine Synagoge betreten, als er eingeladen wurde, die Cymbalista-Synagoge samt angeschlossenem Gemeinde- und Kulturzentrum in Tel Aviv zu entwerfen. Im Gegensatz zu den Dekonstruktivisten arbeitete er mit strengen Symmetrien. Zwei kräftige Türme markieren diese Doppelsynagoge, die laut NZZ-Architekturkritiker Roman Hollenstein „eine doppeltürmige Burg des Glaubens“ darstellt, mit dem Botta „sich selbst übertroffen“ habe.

Dritter Schwerpunkt der Schau sind die Schulen und Ausbildungsstätten, und hier wurde die Ausstellung für Wien um einen eigenen Raum erweitert: Die Schülerinnen und Schüler der von Adolf Krischanitz 1999 in den Augarten gepflanzten Lauder-Chabad-Schule reflektieren in Zeichnungen und kleinen Kunstwerken, wie sie im täglichen Gebrauch mit ihrem Schulhaus und ihren Lieblingsplätzen darin umgehen. Und gelebte Architektur ist natürlich das Jüdische Museum in der Dorotheergasse 11 selbst - das Palais Eskeles, subtil adaptiert und in Szene gesetzt von den Architekten Eichinger oder Knechtl.

[ „Eine Zeit zum Bauen. Jüdische Identität in zeitgenössischer Architektur“, Jüdisches Museum Wien, 13. 7. bis 4. 9. Zur Ausstellung erscheint ein vorzüglicher Katalog im Verlag Prestel (59,- €). Info unter www.jmw.at ]

Der Standard, Sa., 2005.07.09

07. Juli 2005Ute Woltron
Karin Krichmayr
Der Standard

Event- und Freizeitzone Donaukanal

Ab diesem Sommer soll der Wiener Donaukanal zum Verbindungsglied zwischen Innenstadt und Leopoldstadt ausgebaut werden. Die Infrastruktur kommt von der Stadt, die Investitionen von privaten Betreibern - und die setzen auf Freizeit, Spaß und Urlaubsfeeling.

Ab diesem Sommer soll der Wiener Donaukanal zum Verbindungsglied zwischen Innenstadt und Leopoldstadt ausgebaut werden. Die Infrastruktur kommt von der Stadt, die Investitionen von privaten Betreibern - und die setzen auf Freizeit, Spaß und Urlaubsfeeling.

Bemühungen seitens der Stadt, den Donaukanal zu neuem Leben zu erwecken, gibt es seit Langem. Die Stadtplanung versucht aus Gründen der Budgetschonung seit zwei Jahren vor allem privaten Investoren den Weg zum kleinen Wiener Wasser zu ebnen und die nötigen Infrastrukturen bereitzustellen. Die Projekte sind freilich kleinformatig und temporär, die großen Architekturwürfe bleiben - noch - in der Minderzahl.

In diesem und kommenden Sommer wird der Donaukanal erstmals in fast gesamter Länge mit diversen Freizeit-, Gastronomie- und Fun-Einrichtungen bespielt. Was als Ossi Schellmanns „Summerstage“ begann, hat quasi Junge bekommen.

Bereits eröffnet ist die „Strandbar Hermann“ im Bereich des Hermannparks neben der frisch sanierten Urania. Kommenden Samstag wird auf der gegenüberliegenden Kanalseite im Bereich der ehemaligen Umweltmeile der Stadtstrand „Adria Wien“ zum Sonnenbaden, Relaxen und Sporteln einladen.

Gerold Ecker, der schon mit seiner „Expedit-Bar“ kulinarische Akzente gesetzt hat, will mediterranen Flair in die Bundeshauptstadt zaubern, die Wiener Adria wird täglich zur Steckerlfisch-, Tanz- und Kurzurlaubszone.

Eckers Folgeprojekt soll laut Donaukanal-Koordinator Bernhard Engleder kommenden Sommer finalisiert werden: Ein Badeschiff mit Titel „Riviera“ will die Idee der Strombäder der Jahrhundertwende wieder aufleben lassen. Das Schiff wird samt Schwimmbecken, Sonnendeck und diversen Gastro- und Freizeiteinrichtungen zwischen Aspern- und Schwedenbrücke vor Anker gehen.

Ebenfalls in Planung befindet sich ein Kulturschiff namens „MS Supamira“, das grenzüberschreitenden Kulturaustausch anpeilt. Ein ehemaliges Frachtschiff wird beim Hermannpark seine Hauptanlegestelle haben, jedoch auch Stationen entlang der Donau befahren können. Mit an Bord gehen Theateraufführungen, Konzerte und Ausstellungen.

Die Planungen für ein drittes Schiff stammen von Architekt Boris Podrecca, auf dem Wellnessschiff wird es ein umfassendes Angebot für Entspannung, Fitness und leibliche Genüsse geben. Ankerpunkt ist die dem Schützenhaus Otto Wagners gegenübergelegene Kanalseite. Das Schützenhaus selbst, so Engleder, könnte zu einem Alt-Wiener-Kaffeehaus adaptiert werden, Gespräche mit der Burghauptmannschaft als Hausherrin laufen.

Fest steht, dass das Szenelokal Flex mit einem vorgelagerten gläsernen Pavillon samt Kaffeehausbetrieb bis 2006 erweitert wird, die Planungen von Architektin Carola Stabauer befinden sich in der Einreichphase.

Wiener „Rialto“

Der Donaukanal ist eines der Kerngebiete des Step05, vor allem die Verbindung zwischen Innenstadt und zweitem Bezirk soll laut Stadtplanung forciert werden. Als wichtiges Element nannte Planungsstadtrat Rudolf Schicker dem STANDARD gegenüber eine von Michael Satke gemeinsam mit den Architekten Eichinger oder Knechtl projektierte multifunktionale Brücke im Bereich Schwedenplatz. Ein Wiener „Rialto“ würde die Bezirke fußläufig verknüpfen und gleichzeitig als Shopping-und Gastromeile neues Leben mitten auf den Kanal bringen.

Die Aufwertung des bis dato städtebaulich vernachlässigten Schwedenplatzes erfolgt schrittweise: Ab 2006 werden Schnellboote von hier aus regelmäßig zwischen Wien und Bratislava verkehren und die beiden Kernstädte der Großregion auf dem Wasserweg verbinden. Markante Architektur entsteht auf der Gegenüberseite mit Jean Nouvels Hotelturm für die Uniqa. Stromaufwärts befindet sich Zaha Hadids SEG-Wohnhaus im Finale und wird Ende 2005 in Betrieb gehen.

Der Standard, Do., 2005.07.07

02. Juli 2005Ute Woltron
Der Standard

Hauptrolle: Der See

Hans Kupelwiesers Seebühne in Lunz begründet die neue Gattung der allwettertauglichen Robust-Hybrid-Maschine

Hans Kupelwiesers Seebühne in Lunz begründet die neue Gattung der allwettertauglichen Robust-Hybrid-Maschine

Nein, Lunz am See in Niederösterreich ist nicht, wie allerorten gelästert wird, Österreichs Kälteloch Nummer eins. Das befindet sich deutlich ein paar Kilometer außerhalb des schönen Örtchens, behauptet jedenfalls Lunzens Bürgermeister Martin Ploderer, der das sehr genau nimmt, weil er erstens viele Gäste in seinem Ort willkommen heißt und weil er zweitens Lehrer ist.

Da man sich allerdings von Witterungen aller Art in Lunz sowieso nie beeindrucken ließ, finden hier sommers seit acht Jahren die „Wellenklänge“ statt - ein kleines, stets fein besetztes Kulturfestival am Rande des dopplerglasfarbenen, kühlen Sees. Der ist einer der Hauptakteure. Ein See, wie er im Bilderbuch steht. Kleine Fischlein drehen Spiralkreise über Glitzersand. In den Pioniertagen der Wellenklänge saßen die Zuschauer noch an seinem Rand im Gras. Auf Schiffen und Flößen glitten die Musiker und Akteure durch die Fluten. Die Stimmung war schon damals gut, doch die Zeiten der klammen Hintern sind mithin vorbei.

Wenn Freitag kommender Woche (8. Juli) die diesjährigen Lunzer Sommerspiele eröffnen, werden die Besucher ohne Pölsterchen und Decken im Strandbad - dem traditionellen Austragungsort - erscheinen, weil sie nun in einem ganz außergewöhnlichen Konstrukt am Wellenrand Platz nehmen können. Luxuriös, sozusagen. Viele von ihnen werden sich außerdem schon eine Weile vor Programmbeginn einfinden, um keinesfalls ein kleines Vorspektakel zu versäumen, das nicht selten vom Bürgermeister höchstelbst eingeleitet wird: Herr Ploderer versenkt mit geübtem Griff eine handelsübliche Wasserpumpe im See, wirft sie an, und nach etwa einer Viertelstunde beginnt sich die neue Seebühne Lunz langsam aufzufalten wie das Dach eines Cabriolets.

Was vorher eine abgetreppte, zum Sonnenbaden bestens geeignete Randbefestigung zum Wasser war, entwickelt sich geräuschlos zum kleinen, überdachten Theater. Der See spielt auch in diesen Momenten die Hauptrolle: Seine Wasser befüllen einen geräumigen Tank, das Gewicht von rund 15 Kubikmetern Seenass hebt das vorher völlig unscheinbare Tribünendach in die Höh und gibt die darunter gelegenen, geschützten Sitzplätze frei.

Der Konstrukteur dieser einfachen, aber sehr raffiniert gemachten Maschinerie ist der in Lunz beheimatete Künstler Hans Kupelwieser. Doch Väter und Mütter hat das außergewöhnliche Projekt gleich mehrere. Da wäre etwa Suzie Heger zu nennen, die Kuratorin der Wellenklänge. Oder Katharina Blaas, die Leiterin der Abteilung Kunst im öffentlichen Raum der niederösterreichischen Landesregierung. Nicht zu vergessen der Bürgermeister Martin Ploderer und so manch anderes Gemeindemitglied, und auch Kupelwiesers Mitarbeiter Günther Dreger sowie die Rechenmeister vom Werkraum, die viele Stunden mit der Optimierung der Dachkonstruktion verbrachten: Gemeinsam hat man diesen Kraftakt gestemmt, als klar wurde, dass die Wellenklänge ein Erfolg sind, Lunz klimatisch aber nicht Palermo ist und eine Art Wetterschutz vonnöten sei.

Um zu einer guten, dem Festivalcharakter entsprechenden Lösung zu kommen, organisierte die Kulturabteilung der Landesregierung nach den vom Verein Wellenklänge wohl durchdachten Angaben einen geladenen Kunstwettbewerb, den Hans Kupelwieser gewann. Heger: „Wir hätten am liebsten gleich alle Entwürfe gehabt, aber die Entscheidung fiel für Kupelwieser, weil die Skulptur, die er entworfen hat, so schön war.“

Kupelwieser wandte gleich mehrere Kunstgriffe bei dem Projekt an. Zum einen erweiterte er - für Lunzer und Sommerfrischler gleichermaßen erfreulich - das Strandbad, indem er einen steilen, gebüschbewachsenen Hang am Ende des Areals zum Bauplatz erklärte. Er nutzte die Hangneigung optimal aus und platzierte dort eine geräumige Betontreppe. Ist das Seebühnendach geschlossen, ergibt das besagte Sonnendeck-Situation.

Denn die Dachkonstruktion liegt schützend über den Sitzstufen, von der Stahlträgerkonstruktion ist nichts zu sehen, die Kunststoffoberfläche ist leicht gesandet, auf dass keiner ausrutscht. Der Tank, der das Konstrukt hebt, liegt am oberen Dachende, Hydraulikstempel puffern die Kräfte, damit das Heben und Senken sachte vonstatten geht. Von dort oben führt ein lackierter Stahlsteg bis über die Seeoberfläche, wenn das Wasser wieder abgelassen, das Dach gesenkt wird, gibt es einen feschen Wasserfall.

Die Seebühne Lunz ist ein klassischer Hybrid, und zwar in wettertauglich robuster Ausführung: Sie ist mehrfach nutzbar in allen Teilen. Das Sonnendeck ist gleichzeitig Dach, der Wasserfallsteg ist auch Sprungturm für Kinder und jugendliche Gemüter, er kann zugleich Bühne für Aufführungen aller Art werden, und die Summe aller Teile ergibt eine Skulptur, die den Ort zeitgenössisch markiert, sowie eine äußerst wartungsarme Maschinerie.

Apropos Aufführungen: Wo liegt eigentlich das Zentrum der Angelegenheit, die Bühne selbst? Sie schwimmt auf vier luftgefüllten Aluminiumkammern direkt auf dem See und ist über zwei Stege erreichbar. Was, wenn es doch einmal regnen sollte, was selbst in Lunz gelegentlich doch vorkommen soll? Dann fährt ein zusätzliches Flugdach aus, und zumindest die Vorbühne kann weiter trocken bespielt werden.

Suzie Heger: „Diese schwimmende Bühne ist für Theaterleute das allergrößte Fressen. Es ist lustig, Auf- und Abgänge per Boot zu machen, die Musiker nähern sich einzeln auf Schiffen, und der See trägt dabei jeden Ton. Die Seebühne hat eine herrliche Akustik, wir spielen unverstärkt, man hört die feinsten Klänge, weil in diesen Trichter der Tribüne hineingespielt wird.“ Großstädtische Kunst auf das Land zu transportieren, sagt Heger, hätte sie gereizt, als sie damals nach Lunz kam, und die konzentrierte Stimmung hier am See bekomme durch die Stille und das Wasser tatsächlich eine zusätzliche Dimension.

Das Projekt hat laut Kupelwieser 270.000 Euro gekostet, die großteils vom Land, aber auch von der Gemeinde und privaten Sponsoren aufgebracht wurden. Kupelwieser betont den „Goodwill“, der von allen Seiten bekräftigend auf die Realisierung einwirkte und an dem auch die Bevölkerung durchaus teilhat. Die wenigen kritischen Stimmen, die für diese - letztlich geringe - Summe lieber einen Güterweg oder Ähnliches in Angriff genommen hätten, verstummen jetzt laut Heger. Die Leute aus dem Ort würden vielmehr unentgeltlich aus Spaß an der Sache mitarbeiten und beispielsweise Traktoren für Requisitentransporte etc. zur Verfügung stellen.

Im Herbst, wenn sich Lunz wieder nur an den Rand des österreichischen Kältelochs zubewegt, wird die schwimmende Bühne entkoppelt, unter Trara und Volksfest zu ihrem Unterwasser-Ankerplatz verschippert und viele Meter tief versenkt. Stichwort Frostgefahr. Der See schützt sie, weil ohne ihn würde hier, wie gesagt, nichts funktionieren.

Der Standard, Sa., 2005.07.02



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25. Juni 2005Ute Woltron
Der Standard

Die Zukunft ist das Neue

Eine Lehre der Strategie für Architekten gibt es ab Herbst an der Angewandten

Eine Lehre der Strategie für Architekten gibt es ab Herbst an der Angewandten

Architektur zu planen ist eines, die schönen Pläne auch in die Realität umzusetzen ein ganz anderes: Viel zu oft zerbröseln prämierte Entwürfe im unbarmherzigen Getriebe des bauwirtschaftlichen Geschehens - und da die Hoffnung auf Barmherzigkeit ein frommer Wunsch bleiben wird, müssen die Architektinnen und Architekten künftig fit gemacht werden für den Turbo-Schleudergang, den jede Realisierungsphase darstellt.

Die Situation der Planer ist letztlich grotesk, und das Spiel läuft stets nach demselben Schema ab: Nehmen wir einen großen, internationalen Wettbewerb her. Ab dem Moment, in dem der Bauherr die Pläne auf seinem Tisch zur gefälligen Betrachtung ausbreitet, beginnen normalerweise auch Umplanungs- und Einsparungsüberlegungen einzusetzen. Da das Geschäft der Architektur mittlerweile ein außerordentlich diversifiziertes ist, liegen selbstverständlich auch detaillierte Kostenschätzungen neben den Entwürfen.

Das Vertrauen in kommerzielle Berechnungen von Architekten ist traditionell äußerst bescheiden - oft ist das Misstrauen unberechtigt, aber so manches schwarze Schaf hat diese Weide in der Vergangenheit zertrampelt und Bauherren nachgerade in den Abgrund getrieben. Deshalb werden sicherheitshalber unabhängige Gutachter eingesetzt, die das gesamte Bauvorhaben nochmals durchrechnen - gegen ordentliche Honorare, versteht sich, was auch völlig in Ordnung ist.

Ab dann laufen, sagen wir, „informelle Gespräche“ der großen ausführenden Unternehmen im Hintergrund. Angebote trudeln ein, die liegen meistens erstaunlich weit über den Kostenrechnungen - und die Architekten strichlieren und planen im Akkord und im Dienste der Einsparungen um. Denn sie sind vertraglich mit der Erreichung des Kostenziels gegängelt, weshalb die oft monatelang von vielen Mitarbeitern durchgeführten Umplanungen im Honorar nicht enthalten, also gratis sind.

Tatsächlich arbeiten die Architekten dabei nicht selten vor allem der internationalen Bauindustrie zu. Denn die sich schließlich ergebende Differenz bleibt, um es ganz vorsichtig auszudrücken, gewöhnlich nicht allein im Säckel des Auftraggebers. Kurzum: Der Architekten unentgeltliche Mehrleistung spart den einen Geld und beliefert die anderen zugleich damit.

Obwohl es äußerst schwierig ist, dergleichen Absprachen nachzuweisen, laufen auf europäischer Ebene gerade die ersten Prozesse an. Es wäre wundervoll, an dieser Stelle konkrete Beispiele anführen zu können, doch über laufende Verfahren darf nicht berichtet werden - und die Angst der Architekten ist groß.

Sie wissen, dass sie das schwächste Rädchen im Getriebe sind und dass allein der durch unwirsches Fingerschnippen eines Investors ausgelöste Luftzug so manchen in den Konkurs wehen könnte. Es sind ja schon ganz andere Kaliber diesen bösen Weg gegangen, denken sie: Leute wie Rem Koolhaas zum Beispiel, oder Frank Gehry.

Geht man davon aus, dass gute Architektur Grundlage für Lebens- und Arbeitsqualität ist, somit direkt unser aller Leben beeinflusst, und dass die (verantwortungsvollen) Architektinnen und Architekten auch noch diesem Auftrag nachzuhinken versuchen, kann dieser Zustand also als sehr ärgerlich bezeichnet werden.

Leute wie Gehry oder Koolhaas haben aus ihren Schlappen gelernt und ihr Geschäft auf andere kommerzielle Füße gestellt. Der eine verkauft höchst erfolgreich Software für Architekten, der andere beliefert große Markenartikler mit Konzepten. Nebenbei machen sie gelegentlich auch noch Architektur. Die Szene ist, wie man bemerkt, durchaus weltweit in Veränderung begriffen.
Um auch die hiesigen Studentinnen und Studenten auf ihre spätere Arbeitssituation in den turbokapitalistischen Mühlen vorzubereiten, bietet die Architekturfakultät der Universität für angewandte Kunst ab kommendem Wintersemester einen über drei Semester laufenden Post-Graduate-Lehrgang mit Titel „Urban Strategies“ an.

Die Riege derer, die in Wien Erfahrungsberichte vortragen werden, ist prominent: Neben dem letzten Pritzker-Preisträger Thom Mayne (USA) kommen des Weiteren Eric Owen Moss (USA), Jeffrey Kipnis (USA), Charles Correa (Indien), Mario Coyula-Cowley (Kuba), Patrik Schumacher (Großbritannien), Bart Lootsma (Holland) und Raimund Abraham (mittlerweile USA). Zugelassen sind Absolventen der Studienrichtungen Architektur, Landschaftsarchitektur und Design. Eine Bewerbung kann noch bis 13. August erfolgen, die Kosten betragen 5000 Euro pro Semester.

Angewandte-Architektur-Vorstand Wolf Prix (Coop Himmelb(l)au): „Wir wollen Architekten so ausbilden, dass sie auch in Zukunft noch als Architekten arbeiten können. Das Rollenbild ändert sich. Architekten müssen als Strategen ausgebildet werden, sie müssen sich erst darüber klar werden, was sie erreichen wollen, und dann lernen, wie sie ihre Pläne auch tatsächlich realisieren und umsetzen können.“

Zitat aus dem inhaltlichen Konzept des neuen Post-Graduate-Lehrgangs: „Die Stadt ist wesentliches Handlungsfeld gegenwärtiger Architekturproduktion. Strategien meint eine Synthese aus Forschung, Entwurf und Intervention. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Untersuchung gewohnter Verhaltensmuster, und auch die Reflexion der eigenen Position soll es möglich machen, die vielfältigen Interessen und Kräfte des urbanen Feldes in ihrer ökonomischen, technologischen und organisatorischen Bestimmtheit für die Projektarbeit fruchtbar zu machen.“ Das Ziel heißt: „Anleitung zur Selbstständigkeit durch eine offen geführte Auseinandersetzung mit Zielen und Methoden, die prinzipiell alles zur Diskussion stellt: Rollenbilder und Handlungsmuster, Wertehierarchien und Entscheidungsstrukturen, ebenso wie neue Geometrien und Figuren.“

Mit einer weiteren Vortragsreihe externer Spezialisten ist die Angewandte unter dem Titel „Architektur und Politik“ auf diesem Gebiet bereits seit Kurzem aktiv. Gelegentlich aufflackernde Vorwürfe, Prix würde der Architekturschule den „Dekonstruktivismus-Stempel“ aufdrücken, empfindet er als „amüsant“: „Diese Kritiker, die glauben, die Architekturprofessoren der Angewandten würden alle die gleiche Schiene fahren, sind mit Blindheit geschlagen.“

Wie es mit Strategieplänen etwaiger Zusammenlegung der Architekturschulen von Angewandter und der Universität der bildenden Künste ausschaut, wird am Dienstag bekannt gegeben.

Der Standard, Sa., 2005.06.25

22. Juni 2005Ute Woltron
Der Standard

Baubesprechung Vergabekrise

Die Architekten wollen die strikte Trennung von Planung und Ausführung im neuen Bundesvergabegesetz verankert sehen. Prominente Unterstützung erhielten sie gestern seitens der Bauindustrie.

Die Architekten wollen die strikte Trennung von Planung und Ausführung im neuen Bundesvergabegesetz verankert sehen. Prominente Unterstützung erhielten sie gestern seitens der Bauindustrie.

Zu einem außergewöhnlichen Schulterschluss zwischen Bauindustriellen und Architektenvertretern kam es gestern anlässlich eines Pressegesprächs zur bevorstehenden Novelle des Bundesvergabegesetzes, das die Vergaben der öffentlichen Hand regelt.

Georg Pendl, Bundesvorsitzender der Architekten (Kammer), hatte dazu eingeladen und unter anderem Porr- bzw. Strabag-Chef Horst Pöchhacker und Hans Peter Haselsteiner auf das Podium geholt - beide waren vor Kurzem noch die Hauptrivalen im eher wirren Totalunternehmer-Vergabeverfahren um das EM-Stadion in Klagenfurt.

Bis Ende Jänner 2006 muss das derzeit gültige Bundesvergabegesetz (BvergG 2002) renoviert und im Sinne der neuen EU-Vergaberichtlinie adaptiert werden. Auch angesichts der sich ständig mehrenden Einsprüche bei Vergabesenaten aller Art konstatierte Pöchhacker, man könne hier zu Lande nicht von einer „Vergabekultur“, sondern höchstens „von einer Vergabekrise“ sprechen. Man möge die Novelle dafür benützen, um die zu lösen.

Die Architekten, traditionell kollektiv in Sachen politischer Versiertheit und Lobbying eher unterbelichtet, wollen ihre Anliegen endlich aktiv einbringen und führen drei entscheidende Punkte an, die sie gerne in der Novelle verankert wüssten. Erstens: Die „bewährte österreichische Tradition“ (Pendl) der Trennung von Planung und Ausführung sollte dringend erhalten bleiben. Die EU lässt es ihren Mitgliedstaaten frei, diese in den nationalen Gesetzen zu verankern. Jetzt - oder nie wieder - besteht die Chance, das auch zu tun.

Zweitens: Die Bestellung von „unabhängigen“ Preisrichtern für die Jury-Gremien, die in oft tagelangen Sitzungen die eingereichten Wettbewerbsbeiträge beurteilen und dem Bauherrn das beste Projekt zur Ausführung empfehlen, sollte gesetzlich festgelegt sein. Drittens: Auch für die Zusammensetzung der Bewertungskommissionen für Verhandlungsverfahren, die bis dato vom Auslober nach Gutdünken bestückt werden können, wünschen sich die Planer und Planerinnen gesetzliche Bestimmungen. Ein Drittel der Kommissionsmitglieder, die über die Befähigung von Bewerbern für die Teilnahme an einem Verfahren urteilen, so Pendl, „sollte vom Fach sein“.
Hans Peter Haselsteiner betonte zwar, dass eine Totalübernehmerschaft, also die Gesamtvergabe von Planung und Ausführung in einem Paket „nachweisbar und anhand zahlreicher Projekte erwiesenermaßen billiger“ sei.

Bewertungskriterien

Er plädierte dennoch überraschenderweise energisch „für eine strikte Trennung zwischen diesen unterschiedlichen Leistungen“. Denn: „Die Vermischung von objektiven und subjektiven Kriterien stellt immer ein großes Problem dar.“ Künstlerisch-kreative Leistung, wie eben das Planen und Entwerfen von Architektur, müsse einer anderen Bewertung unterliegen als Beton-, Stahl- und Fundamentkostenvergleiche.

Wie gebaut wird, wenn lediglich die Kosten im Vordergrund stehen, so der Bauindustrielle, könne man bedauerlicherweise landauf, landab betrachten, und er persönlich wünsche sich „als Staatsbürger“ durchaus auch für private Bauherren restriktivere Vorschriften.

Horst Pöchhacker stimmte Haselsteiner prinzipiell zwar zu, würde aber „die Möglichkeit für eine gemeinsame Vergabe gesetzlich zumindest offen lassen und die Totalunternehmerschaft nicht gleich umbringen“. Er meinte: „Mein Angebot an die Architekten lautet: miteinander nachdenken.“

Gerhard Buresch, Konsulent und Ex-Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft, wies auf einen weiteren elementaren Faktor im Baugeschehen hin: Er plädierte für mündige, verantwortungsbewusste Auftraggeber, denn „hinter der Palette von Vorschriften lässt sich Eigeninitiative und Mut zauberhaft verstecken. Die öffentlichen Auftraggeber brauchen Persönlichkeiten, die dazu bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.“ Und das bedinge ein Weiteres, nämlich die politische Rückendeckung.

Der Standard, Mi., 2005.06.22

18. Juni 2005Ute Woltron
Der Standard

Klee im Feld

Renzo Pianos „Paul Klee Zentrum“ in Bern bleibt bei aller Form nur Fassung

Renzo Pianos „Paul Klee Zentrum“ in Bern bleibt bei aller Form nur Fassung

Üblicherweise darf man gespannt sein, wenn Renzo Piano (68) baut. Der Genueser Architekt ist immer wieder für Überraschungen gut, er segelt herausfordernd durch die verschiedensten Raum- und Formenwelten, gibt dabei keinen wirklich erkennbaren Kurs vor, verankert aber regelmäßig erstaunliche und markante Architekturen an den schönsten Orten dieser Welt.

Piano hat einige Meilensteine gesetzt und sogleich wieder hinter sich gelassen: das Centre Georges Pompidou in Paris, das er 1977 gemeinsam mit Richard Rogers in jugendlichem Übermut und gedärmartig freiliegenden Strukturen vollendete; das monumental-schnittige Stadion San Nicola in Bari, das als Betonarena für die Fußballweltmeisterschaft 1990 entstand; der riesige, auf einer künstlichen Insel gelegene Flughafen Kansai in Osaka, der 1994 eröffnet wurde.

All diese und auch seine anderen Häuser sind verblüffend unterschiedlich, man weiß nie, wohin des Weges der vitale Architekt ziehen wird. Zuletzt zog es ihn jedenfalls in das verträumte, um nicht zu sagen verschlafene Städtchen Bern in der Schweiz. Dort liegt die gebürstete und selbstverständlich prachtvolle Altstadt in hübscher Topografie und unter dem Schutze der Weltkulturerbe-Bewahrer konserviert an gewundener Flussidylle. Pelargonienorange oben auf den historischen Fensterbänken. Chlorduft unten auf den klinisch reinen Gehsteigen.

Die Landschaft rund um Bern ist nicht minder idyllisch, vor langer Zeit waren die sanften Geometrien und Farbschattierungen der Felder und Hügel Inspiration für einen großen Sohn dieser Heimat, nämlich für den Maler Paul Klee (1879 bis 1940). Für dessen bis dato in mehrere Sammlungen und Stiftungen zersplittertes künstlerisches Lebenswerk wünschte man sich ein gemeinsames Dach, und Renzo Piano - das gaben die Grundstück und Geld spendenden Mäzene Maurice und Martha Müller vor - möge der Architekt des Museums sein.

Dieser Tage wird das „Paul Klee Zentrum“ nach dreijähriger Bauzeit eröffnet. Es liegt zwischen Weizenfeldern und Wiesen eingebettet und ist das Ergebnis einer vorbildlichen Public Private Partnership: rund 105 Millionen Schweizer Franken schwer, und, wie in der Schweiz üblich, erst nach Befragung und Abstimmung der lokalen Eidgenossinnen und Eidgenossen errichtet.

Man würde nun gerne in eine lobende Hymne einstimmen und das Haus entsprechend besingen, aber angesichts der Architektur bleiben die Jubeltöne in der Kehle stecken. Irgendwie bleibt hier alles glatt und langweilig, und in und um die drei Stahlwellen, die Piano wie eine Skulptur in das sanfte Hügelrollen gesetzt und großteils eingegraben hat, will keine rechte Stimmung aufkommen. Schwierig zu beschreiben, warum das so ist - denn jedes Detail für sich trägt die Handschrift großer Sorgfalt und architektonischen Könnens. Doch der Gesamtkomposition fehlt das Wichtigste - die Eigenresonanz, die persönliche Schwingung, der Charakter.

Die vom bewährten Ove Arup berechnete Konstruktion ist der pure Aufwand: Eine komplizierte Abfolge wellenförmiger Stahlträger, die ein wenig geneigt sind und mit allerlei Druckstreben und Zugbändern gehalten werden, formen drei Hügel aus. Die tauchen abwechseln in Luft und Erde ein. Das Zentrum hat somit nur eine Fassade, es besteht ansonsten von außen betrachtet lediglich aus Dachwellen, die sich nach hinten in den Getreideacker graben wie die Sandwürmer in Frank Herberts „Wüstenplanet“: An sich eine nette Idee, doch was eine Landschaftsskulptur hätte werden sollen, oder, wie Piano meinte, „ein Ort, und kein Museum“, bleibt kraft- und ausdruckslos.

Die Konstruktion ist hier mit der Idee davongaloppiert. Zu wenig skulptural wirkt die Angelegenheit, obwohl sie doch vor allem auch Skulptur sein will. Mit zu vielen Sonnenschutzsegelchen und Lamellen verkleckert ist die Glasfront, um sich vom Edelstahlschimmer der Dachhaut entsprechend abzusetzen. Und auch die Innenräume entsprechen den Erwartungen nicht: Die so aufwändig angelegte Form des Gebäudes ist nach dem Betreten recht bald nicht mehr spürbar, und man beginnt sich fast ärgerlich die Frage zu stellen, was das alles eigentlich bedeuten soll, welchen Zweck diese fast verkrampft wirkende Gestaltungswut eigentlich verfolgt.

Erst beim Anblick der wundervollen Arbeiten Paul Klees im tageslichtfreien Zentralraum im Mittelhügel beginnt eine jener zeitlosen Reisen, die der Besuch in einem guten Museum sein sollte. Hier kann man sich verlieren, hier spaziert man durch die von Kurator Tilman Osterwold betont großzügig gestaltete Ausstellungslandschaft. Hier hat die Kunst diese feine, entrückte, uneitle Aura, die das Haus so gerne hätte und die Piano erstaunlicherweise nicht entstehen lassen konnte.

Vielleicht hat er sich hier einfach zu viel vorgenommen und sich zu manieriert vor dem Künstler Paul Klee verneigt. Sogar der Acker rund um das Zentrum darf laut Vorgaben des Architekten nur nach bestimmten Linien gepflügt und besät werden, um den Gesamteindruck zu unterstreichen.

Derzeit umrahmt Wintergerste das künstliche Ensemble. Debatten, wie man des Unkrauts Herr werden könne, verliefen ergebnislos. Mohn- und Kornblumen tupfen subversiv reizende Farbflecken in die Szenerie. Klee hätte möglicherweise seine Freude an ihnen gehabt. „Kunst gibt nichts Sichtbares wieder, sondern macht sichtbar“, hat er jedenfalls einmal gemeint.

Der Standard, Sa., 2005.06.18



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Zentrum Paul Klee

16. Juni 2005Ute Woltron
Der Standard

Nachhilfeunterricht in Sachen Architektur

Dienstagabend war der niederländische Architektursuperstar Rem Koolhaas, Chef des Rotterdamer Architekturbüros OMA, auf Einladung des Museums für angewandte...

Dienstagabend war der niederländische Architektursuperstar Rem Koolhaas, Chef des Rotterdamer Architekturbüros OMA, auf Einladung des Museums für angewandte...

Dienstagabend war der niederländische Architektursuperstar Rem Koolhaas, Chef des Rotterdamer Architekturbüros OMA, auf Einladung des Museums für angewandte Kunst (MAK) für einen flüchtigen Moment in Wien, um einen Vortrag zu halten. Das Gerangel um die Karten nahm popkonzertartige Ausmaße an, im Publikum saßen die heimischen Architekturleuchten versammelt, unter ihnen Hans Hollein und Wolf Prix. Wer weit gehend fehlte: Politiker und sonstige „Entscheidungsträger“.

Schade, denn gerade sie adressiert der Niederländer vorrangig: Er geht in seinen Vorträgen bevorzugt auf die unterschiedlichsten Faktoren ein, die Architektur entstehen lassen und letztlich Inhalt und Form von Städten und Gebäuden bestimmen. „Die Architekten bekommen jede Menge Aufmerksamkeit“, meinte er in Anspielung auf den Starrummel rund um prominente Baukünstler, „aber sie werden nicht ernst genommen“.

Koolhaas analysiert die Welt gern mittels Diagrammen und schneidet die unterschiedlichsten Faktoren gegeneinander, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Er zeigte etwa auf, dass die als Kurve dargestellten Museumserweiterungen der letzten 15 Jahre exakt der Entwicklung der Wallstreet-Indices entspricht.

Er demonstrierte die exponentialen Erfolgskurven von Stars übers Lebensalter und stellte die flachen Kürvlein renommierter Architekten dazu. Es reiche nicht, auf Auftraggeber zu warten, sagte er zum STANDARD, die Architekten müssten sich heutzutage ihre Auftragsgebiete selbst erarbeiten. Aus diesem Grund hat Koolhaas eine eigene Division gegründet, die Feldforschung betreibt und etwa im Auftrag der EU-Kommission das europäische Selbstverständnis samt seiner Typo- und Ikonografie analysiert. Koolhaas' Flagge des vereinten Europa bringt alle Fahnenfarben der Mitgliedstaaten in vertikaler Schichtung unter. Was übrig bleibt, ist ein Strichkode.

Der Standard, Do., 2005.06.16

11. Juni 2005Ute Woltron
Der Standard

Holz-Zeit

Wie bereits in Teil 1 unserer vierteiligen Holz-Serie erörtert, hat sich Holz als Baumaterial längst von seinem vormaligen Alpenhütten-Rustikal-Image befreit...

Wie bereits in Teil 1 unserer vierteiligen Holz-Serie erörtert, hat sich Holz als Baumaterial längst von seinem vormaligen Alpenhütten-Rustikal-Image befreit...

Wie bereits in Teil 1 unserer vierteiligen Holz-Serie erörtert, hat sich Holz als Baumaterial längst von seinem vormaligen Alpenhütten-Rustikal-Image befreit und in den vergangenen 15 Jahren einen erstaunlichen Modernisierungsschub erfahren. Dass man aus diesem - nach Expertenmeinung - ökologischsten aller Baustoffe ausgesprochen poetisch-ästhetische und noch dazu sehr große und technisch höchst anspruchsvolle Konstruktionen in die Landschaft setzen kann, stellen Architekten und Holzspezialisten gemeinsam immer wieder weltweit unter Beweis.

Eines der aufsehenerregendsten Konstrukte der jüngeren Vergangenheit befindet sich auf der Insel Nouméa, Neukaledonien, und stammt vom Renzo Piano Building Workshop. Zehn bis zu 28 Meter hohe „Hütten“ bilden hier das Jean-Marie Tjibaou Cultural Center - ein kleines Dorf, in dem die Kultur der Polynesier sowohl in Architektur als auch Bespielung im Mittelpunkt steht. Die von den schlichten, doch raffiniert konstruierten Holzbehausungen der dort ansässigen Bevölkerung inspirierten Häuser des Teams rund um den italienischen Architekten Renzo Piano stellten eine konstruktive Herausforderung dar und präsentieren sich nun als eine sehr lebendige Melange traditioneller Baukunst der Kanaken und europäischer Ingenieurskunst. Holz und Seile aus Stahl tanzen hier zwischen Palmen, Strand und Meer ein exotisches Ballett. Wenn der Wind über die Küste fegt, beginnen die hoch aufragenden Holzelemente zu summen.

Dieser Pas de deux von Entwurf und statischer Berechnung, von feiner Architektur und kunstvoller Tragwerkskonstruktion kann nur gemeinsam von Bauingenieuren und Baukünstlern getanzt werden. Holz ist und bleibt ein ganz besonderer Stoff, der nur nach sorgfältiger Berechnung und Optimierung der inneren Kräfte, Drücke und Momentenläufe zu stimmigen Tragwerken assembliert werden kann. Die entfalten dann aber auch eine ganz eigene Ästhetik und entwickeln, wenn man will, im Gegensatz zu Stahlkonstruktionen einen irgendwie lauschigeren, nicht so kalt-technoiden Charme.

Einer der Holzarchitektur-Vorreiter dieser Holz-Neuzeit ist Konrad Merz von Merz, Kaufmann und Partner, die Bauingenieurbüros in Dornbirn und Altenrhein unterhalten und regelmäßig mit internationalen Holzbaupreisen bedacht werden. Sie zeichneten etwa verantwortlich für den französischen Pavillon für die Expo 2000 von Françoise-Hélène Jourdá, mehrere weit gespannte Messehallen von vonGerkan Marg und Partner, die Holzhalle für Jenbach von Josef Lackner und Hermann Kaufmanns Reithalle in St. Gerold.

Der Holzbau ist auch eine Mentalitätsfrage", konstatiert Merz. Während etwa in den USA gut 90 Prozent aller Wohnhäuser seit jeher aus Holz gemacht seien und auch die Japaner Holzhäusern traditionell den Vorzug gäben, stünde man hier zu Lande erst am Anfang der Entwicklung. Holz im Einfamilienhausbau holt zwar auf, doch die interessantesten Holz-Projekte sind derweil noch die eher großformatigen: Hallen für Industriebetriebe beispielsweise oder Reithallen, Brücken, Messe- und Ausstellungshallen. Hermann Kaufmann nennt als die derzeit noch wichtigsten, weil verständigsten Bauherren die Sägewerksbesitzer. Denn die, so der Architekt, „kennen sich mit Holz einfach gut aus und wissen, was das Material kann“. Sägewerkshallen, die noch vor wenigen Jahren zumeist in Stahl ausgeführt wurden, präsentieren sich immer öfter als elegante und ihrem Inhalt wohl besser entsprechende Holzhallen.

Merz meint, dass vor allem die Fortschritte in der Fertigungstechnik und die erst durch moderne Computertechnologie ermöglichten superpräzisen Zuschnitte der einzelnen Elemente in Sachen Holzbau befördernd gewirkt haben. Zudem kommen seit einiger Zeit auch neue, großformatige Plattenelemente zum Einsatz, die der konstruktive Holzbau in den vielen Jahrtausenden zuvor in dieser quasi monolithischen Form nicht kannte.

„Holzbau“, so Merz, „ist traditionell ein Bauen mit Stäben. Jeder Teil, jeder Stab hat seine Funktion als Haupt- oder Nebenträger, doch diese neuen Elemente können noch viel mehr. Sie werden etwa als Decken- oder Wandelemente eingesetzt, sie tragen, steifen aus, umhüllen.“ Diese neuen Möglichkeiten würden mittlerweile von vielen Architekten und Konstrukteuren genutzt, denn, so Merz, wenn Konstruktion und Witterungsschutz sauber gemacht seien, wäre Holz genauso langlebig wie jeder andere Baustoff auch.

Die Optimierung des konstruktiven Holzbaus ist dabei noch lange nicht abgeschlossen, weitere Möglichkeiten sollen ausgenutzt werden. Hermann Kaufmann sieht hier vor allem im Bereich kostengünstiger Wandelemente eine noch nicht geschlossene Marktlücke. Was die Primärkonstruktion, also das Tragwerk anbelange, so Kaufmann, könne Holz mit Stahl mittlerweile locker preislich mithalten, Holzwände bleiben im Vergleich zu billigen Sandwich-Stahlwänden noch teuer: „Wir sind aber gerade am Nachdenken, wie wir auch dieses Problem lösen können.“

[ der Standard ist Medienpartner des von proHolz gemeinsam mit der Stadt Wien ausgelobten, heuer erstmals vergebenen Holzbaupreises wienwood 05. Der Einreichschluss naht mit 11. Juli: Alle Details und Anforderungen sind unter www.wienwood.at abrufbar. ]

Der Standard, Sa., 2005.06.11

04. Juni 2005Ute Woltron
Der Standard

Speed

Unsere Zeit und unsere Umwelt sind nicht so beschaffen, dass Pathetik und heroische Gesten in Form reiner Architektur angebracht wären", steht im letzten...

Unsere Zeit und unsere Umwelt sind nicht so beschaffen, dass Pathetik und heroische Gesten in Form reiner Architektur angebracht wären", steht im letzten...

Unsere Zeit und unsere Umwelt sind nicht so beschaffen, dass Pathetik und heroische Gesten in Form reiner Architektur angebracht wären", steht im letzten Kapitel eines Buches geschrieben, das vor über einem Vierteljahrhundert auf amerikanischfreundliche Brutalität die Stadt, die Wirtschaft, die Reklame, die Architektur und den sich daraus ergebenden bunten Brei geißelte.

Learning from Las Vegas erschien 1978 und ist auch heute noch eine der faszinierendsten Architekturpublikationen der letzten Jahrzehnte - und sie ist aktueller denn je. Darin rechneten die Architekten Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour allerdings weniger mit der von Werbung, Plakaten und Logos überfrachteten Geschäftsstadt selbst ab, als mit der Architekturkollegenschaft, die sich im Dienste des vermeintlich Hehren, Großen und Wahren gegen diesen offensichtlichen Ausdruck der Kommerzialisierung empörte, aber kaum brauchbare - und, wie man als Architekt zu sagen pflegt, „anständige“ Alternativangebote zuwege brachte.

„Verdummung und Manipulation sind keineswegs das Monopol hemdsärmeliger Geschäftemacher“, behaupteten Venturi&Co schon damals provokant, „es gibt sie auch bei anderen.“ So etwa bei „kulturellen Interessensvertretern und den Stadtbild-Beiräten“, die „ihr einschüchterndes Prestige in die Waagschale werfen, um eine gegen die Werbezeichen gerichtete Gesetzgebung und Verschönerungsaktionen durchzusetzen“. Und bei den Architekten selbst, die sich, so die Autoren, „im großen und ganzen nicht so sehr mit dem beschäftigen sollten, was eigentlich sein sollte, sondern mit dem, was ist - und damit, wie man es anpacken muss, diese Realität hier und jetzt zu verbessern“.

Die vermeintliche Überfrachtung der zeitgenössischen Stadträume mit Reklame und Werbebotschaften aller Art ist letztlich der Status quo eines Prozesses, der bereits mit den ersten Stadtgründungen einsetzte. Stadt war immer schon der Ort intensivster Kommunikation, und die trägt jeweils das Gesicht ihrer Zeit. Was früher Hieroglyphen, römische Aufschriften, romanische Unholdskulpturen, mittelalterliche Zunftzeichen waren, ist heute Unternehmenslogo, Product-Image, Shopfassade.

Die Architektur war immer Büttel der Macht, und Pyramiden, Paläste, Villen, Triumphbögen, Kathedralen und andere Tempel aller Art trugen das, was sie darstellten, stets mehr als deutlich und demonstrativ in die Stadträume. Dass Shopping zum Götzen unserer Zeit geworden ist, wissen wir nicht erst, seit der holländische Architekt Rem Koolhaas uns in gewichtigen Publikationen und Ausstellungen gekonnt und gut vermarktet darauf hinwies. Dass die Architektur heute zu langsam sei, um mit den rasanten Modifikationen der Geschäftswelt und deren Repräsentanzen mitzuhalten, ist ebenfalls eine Idee, auf die Koolhaas bereits in „Learning from las Vegas“ gestoßen sein dürfte.

Architektur sei ein verschwommenes Amalgam althergebrachten Wissens und zeitgenössischer Anwendung, behauptet der Holländer, eine linkische Art, die Welt zu betrachten, und ein inadäquates Medium, sich ihr zu nähern. Jedes einzelne Projekt würde in seiner Abwicklung Jahre in Anspruch nehmen - viel zu viel Zeit also, um mit den ständigen Veränderungen, die derweil abseits der Baustellen passierten, Schritt halten zu können.

Dennoch gäbe es - jedenfalls außerhalb der Profession selbst - noch eine „vage Erinnerung an eine Hoffnung“, die die Baukunst seit jeher vermittelte: die Hoffnung, dass „diesem gewalttätigen Strom an Informationen, der uns täglich überspült, so etwas wie Gestalt, Form und logische Zusammenhänge auferlegt werden könnte“.

Geht es nach Wolfgang Koelbl, beginnen sich superdichte Stadtgefüge ab einem gewissen Punkt einfach selbst zu regulieren. Der Architekt beschreibt in der sehr lesenswerten Publikation Tokyo Superdichte, erschienen 2000, einen Extremfall der Urbanität - einen Knotenpunkt in der japanischen Hauptstadt, der täglich von 3,4 Millionen Passanten frequentiert wird: „Superdichte ist beschleunigte Stadt, beschleunigt auf die Höhe der Kommerz- und Entertainmentindustrie und auf die Mainstreambedürfnisse einer Fun-Gesellschaft ausgerichtet. Die Aufgabe der versammelten Attraktionen besteht darin, aus möglichst vielen Passagieren oder Umsteigern Kunden zu machen.“

Und weiter: „Was zuerst als Extremvariante einer Stadt anmutet, entpuppt sich Schritt für Schritt als das Gegenteil, als Nicht-Stadt. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Superdichte überhaupt nur funktionieren kann, wenn sie alles vermeintlich Städtische abwirft und zu einem reinen Zustand der Intensität wird, wie man ihn sonst nur aus Kunst, Musik, Medien kennt. Die Stadt entledigt sich ihrer selbst.“

Was bedeutet das alles aber nun für eine lang gewachsene und noch relativ geruhsame Stadt wie Wien? Fest steht, dass Investoren und Geschäftsleute auf die Antworten der Architekten nicht lange zu warten geruhen. Wollen die also die „vage Erinnerung an eine Hoffnung“ einlösen und sich aktiv damit beschäftigen, „wie man es anpacken muss, diese Realität hier und jetzt zu verbessern“, müssen sie vor allem eines lernen: Geschwindigkeit.

Wer Architektur und Plakatkommunikation der Einkaufsstraßen und Shoppingcitys mit ihren „geschwätzigen Fassaden“ (Venturi & Co) tatsächlich verbessern will, muss die Hektik und den Konkurrenzdruck der turbokapitalistischen Zeit mit einplanen, um „diesem gewalttätigen Strom an Informationen, der uns täglich überspült, so etwas wie Gestalt, Form und logische Zusammenhänge“ aufzuerlegen.

Und die Moral? Wer befasst sich mit den ethischen Komponenten all dieses Kommerz- Wahnsinns? Wer kann noch davon ausgehen, dass die Architektur das Gute und Schöne in die Welt bringen will? In Learning from Las Vegas heißt es zu Beginn: „Wir blicken zurück auf Geschichte und Tradition, um der Zukunft gewachsen zu sein. Ebenso können wir auch nach unten blicken, um emporzusteigen. Sich eines Urteils zunächst zu enthalten, kann durchaus der richtige Weg sein, um später zu einer differenzierteren Einschätzung kommen zu können. Auf diese Weise ist es möglich, von allem zu lernen.“

Der Standard, Sa., 2005.06.04

23. Mai 2005Ute Woltron
Der Standard

Exoberösterreichischer Architekturliteratenjubilar

Angeblich ist Friedrich Achleitner vor sieben Jahren in Pension gegangen, den Ruhestand hat er aber, wie DER STANDARD damals bereits erahnte, nie wirklich...

Angeblich ist Friedrich Achleitner vor sieben Jahren in Pension gegangen, den Ruhestand hat er aber, wie DER STANDARD damals bereits erahnte, nie wirklich...

Angeblich ist Friedrich Achleitner vor sieben Jahren in Pension gegangen, den Ruhestand hat er aber, wie DER STANDARD damals bereits erahnte, nie wirklich angetreten: zum Glück.

Heute, Montag, feiert der überzeugte Exoberösterreicher, der 1930 in Schalchen zur Welt kam und die erste Möglichkeit zur Flucht nach Wien ergriff, den 75. Geburtstag. Gefeiert wurde das bereits am Freitag im Architekturzentrum Wien, das Achleitners umfassendes Archiv der österreichischen Architektur im 20. Jahrhundert (mit mehr als 20.000 erfassten Objekten) horten darf. Eingeladen hatte der Zsolnay-Verlag, der Achleitners publizistische-literarische Arbeiten verwaltet.

Achleitner blieb auch nach seiner vermeintlichen Pensionierung eine Institution, und obwohl sich der Gründervater der heimischen Architekturkritik nicht mehr so oft zu den Themen der Baukunst äußert wie früher einmal, beglückte er die Szene der Lesenden zum Beispiel im Jahr 2000 mit seinen einschlafgeschichten.

Er könne eigentlich keine Geschichten erzählen, meinte er damals in einem Interview für die Literaturzeitschrift Wespennest - naja, selbst Friedrich Achleitner darf gelegentlich irren. Mit den einschlafgeschichten - gelungenen, fein-frechen Hirn- und Fingerübungen - setzte er den Aktionismus der Wiener Gruppe, deren Gründungsmitglied er war, in einer neuen Zeit literarisch raffiniert fort.

Holzmeister-Schüler

Achleitner, der gelernte Architekt und Holzmeister-Schüler, schrieb damals in den späten 50er-Jahren Dialektgedichte. Wenig später begann er in der Tageszeitung Die Presse die Architekturkritik neu zu definieren, und um 1965 nahm er seine rastlosen Durchwanderungen der österreichischen Architekturlandschaften auf, er analysierte Städte, Dörfer, Häuser sonder Zahl - und studierte nebenbei in so gut wie allen Konditoreien des Landes die unterschiedlichen Qualitäten der Cremeschnitten, für die er eine gewisse Schwäche hegt.

Bis 1998 lehrte er an der Wiener Universität für angewandte Kunst Geschichte und Theorie der Architektur. Seit er pensioniert ist, hat er wieder mehr Zeit für die Arbeit: Erwartet wird jetzt sein Architekturführer für Wien.

Der Standard, Mo., 2005.05.23



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Achleitner Friedrich

14. Mai 2005Ute Woltron
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Dickschädlige Tüftler

Roland Hagenbergs subtile Interviews und Fotos zeichnen überraschende Bilder japanischer Architekturzeitgenossen.

Roland Hagenbergs subtile Interviews und Fotos zeichnen überraschende Bilder japanischer Architekturzeitgenossen.

Als der österreichische Fotograf und Autor Roland Hagenberg den japanischen Architekten Hiroshi Naito in seinem Atelier in Tokio besuchte, um ihn zu interviewen und zu fotografieren, bemerkte er zu seinem Erstaunen, dass die Fenster in Naitos Office nur einfachverglast waren. Ob ihn, einen Architekten, das nicht störe, fragte er den Japaner erstaunt. In Europa gebe es Einfachverglasung aus Gründen der Energiehaushaltung so gut wie überhaupt nicht mehr.

Naito antwortete milde Folgendes: „Ich stimme mit Ihnen in dieser Frage nicht überein. Sie beziehen sich auf eine sehr westliche Vorstellung von moderner Architektur, die sich im Grunde damit befasst, eine Box zu konstruieren und deren Inneres zu kontrollieren. In dieser von Kontrolle regierten Architektur verwenden die Menschen Airconditioners, Heizungen und Doppelverglasungen. Das mag Energie sparend sein, aber nicht ökologisch. Wirklich ökologische Architektur sollte sich zu den Außenräumen öffnen, und in diesem Zusammenhang könnte ich einen neuen Stil sehen, der sich für das 21. Jahrhundert entwickelt.“

Es stimme auch, fuhr Naito fort, dass viele „Westerner“ dächten, die japanischen Wohnstandards wären niedrig, die Wohnungen zu klein. Doch Japanern wäre der Maßstab traditionell nicht so wichtig wie die Art und Weise, mit der Häuser mit ihrer Umgebung kommunizierten, sich nach außen öffneten.

Hoppla. In einer Architektur- und Medienwelt, die von glatten Bildern und geschliffenen Projektbeschreibungen geprägt ist, kommt Hagenbergs kleine, ausgesprochen schön gemachte Publikation 14 Japanese Architects (Details siehe Tokioräume) mit Zitaten wie diesem einigermaßen kantig daher. Ständig stolpert man bei der Lektüre über Aussagen, die scheinbar Grundsätzliches in der Architektur lässig hinterfragen und die gehörig zum Nachdenken anregen.

Tadao Ando, zum Beispiel, einer der elegantesten Planer des Inselreiches, antwortet auf die Frage, wie er dem elementaren Gefühl der Angst begegne, so: „Ich war früher Boxer. Boxen kann töten. Ich konnte nicht essen. Ich konnte nicht schlafen. Ich übergab mich. Ich lebte in ständiger Angst, also meditierte ich. Heute, als Architekt, fühle ich immer noch Angst. Kann ich große Ideen entwickeln, wundervolle Pläne zeichnen und dann in eindrucksvolle Gebäude umsetzen? Und all das allein, in Einsamkeit. Was, wenn das Gebäude schlecht wird? Bekomme ich dann noch eine Chance? Und wenn nicht, was wird aus meinen Mitarbeitern? Als Boxer habe ich gelernt, dass ich allein entscheiden, handeln und die Verantwortung tragen muss. In diesem Sinne ist das Leben eines Boxers und eines Architekten ähnlich.“

Unter den 14 Architektinnen und Architekten, die Hagenberg über mehrere Jahre hinweg auf Baustellen, in ihren Büros und in fertig gestellten Architekturen aufgesucht, interviewt und fotografiert hat, finden sich Berühmtheiten wie Arata Isozaki, Kenzo Tange, Shigeru Ban, Toyo Ito. Doch auch die hier zu Lande weniger bekannten Planer spinnen in den Gesprächen mit dem Autor interessante Gedankengebäude, die sich wie eine Bandstadt aneinander reihen und durchaus andere Zugänge zum Planen, Bauen und Leben veranschaulichen.

In Japan, sagt Kazuyo Sejima (SANAA), würden die zeitgenössischen japanischen Architekten als Internationalisten angesehen. Im Ausland hingegen preise man ihre charakteristisch japanische Handschrift. Kisho Kurokawa wiederum erläutert die japanische Aggression, mit der Elemente fremder, womöglich bewunderter Kulturen traditionell einverleibt und modifiziert werden: „Wir verdauen es, aber wir bleiben dabei japanisch.“

Arata Isozaki erklärt, dass Architektur nicht zu dominant und schön sein dürfe, weil sonst die Menschen darin ihr eigenes Leben nicht ausreichend entwickeln könnten. Und Hiroshi Naito sagt: „Wenn ich ein Gebäude fertig gestellt habe, dann lasse ich es gehen. Es stört mich nicht, wenn die Leute es auf eine andere Art nutzen, als ich ursprünglich geplant hatte, oder wenn sie es verändern, um sich darin komfortabler zu fühlen.“

Jedes der 14 Interviews ist spannend, erfrischend und überraschend. Und auch die dazugehörigen Fotos sind höchst individuell und ungewöhnlich. Hagenberg erlegt ohne Belichtungsmesser und ohne viel Tamtam Augenblicke, „Sekunden, in denen der Charakter eines Menschen brach da liegt“. Ando, beispielsweise, würde viel Wehmut und Sanftmut vermitteln, „die ständig mit seiner Boxerseele ringen, denn gleichzeitig hat man den Eindruck, er will dir eins in die Fresse hauen, weil du ihm als Interviewer die Zeit stielst“.

Hagenberg beobachtet die japanische Architekturszene seit 1995 genau, er meint: „Hier sind dickschädlige Tüftler am Werk, die mit vier Stunden Schlaf pro Tag auskommen, Tiefschläge von Kunden, Baulöwen und Politikern einstecken, nur um ihre Universen realisieren zu können. Der Andrang von Jungarchitekten, die bei einem der Stars arbeiten wollen, ist so groß, dass fast alle umsonst arbeiten - und dann auch unter dem Arbeitstisch schlafen.“

Seit drei, vier Jahren würden die Baukünstler hier plötzlich wie Popstars gehandelt: „Sie erscheinen auf Covers von Modemagazinen, die Grenzen zwischen Fashion und Architektur sind gefallen.“

Gleichzeitig kommt jeder einzelne der Interviewten irgendwann einmal auf das Thema Natur zu sprechen, die in der japanischen Architektur trotz des allgegenwärtigen und nirgendwo kunstvoller verarbeiteten Baustoffs Beton stets gegenwärtig ist. Hiroshi Naito erinnert sich an seinen Großvater, der täglich frühmorgens - auch bei Minusgraden - eiskalte Bäder im Freien zu nehmen pflegte, um sich abzuhärten. Und Jun Aoki träumt von einem neuen, fantastischen Material, das ihn schützen könne wie eine Haut, das sich anpasse, je nach Gegebenheit hart oder weich wäre, wärmend oder kühlend, das sich zu einem kleinen Raum ausdehnen würde, vielleicht sogar in eine Psychosphäre, die ihn vor negativen Emotionen abschirme. „Die Möglichkeiten“, sinniert er, „sind endlos wie die Natur selbst, in der Pflanzen und Tiere ihre eigenen Schutzmechanismen über Jahrmillionen entwickelt haben.“

Der Standard, Sa., 2005.05.14

04. Mai 2005Ute Woltron
Der Standard

Kopf des Tages: Günther Domenig

Ein Bildhauer unter den Architekten - nun ausgezeichnet mit dem „Großen Österreichischen Staatspreis für Kunst“

Ein Bildhauer unter den Architekten - nun ausgezeichnet mit dem „Großen Österreichischen Staatspreis für Kunst“

Auch wenn er es herunterzuspielen pflegt: Günther Domenig freut sich über die Auszeichnungen, die nun, da er 70 und somit ein Architekt im besten Alter ist, auf ihn herniederrieseln wie milder Sommerregen. In Venedig bekam er vergangenen Sommer anlässlich der Architekturbiennale den Goldenen Löwen - „irgend so a Viech“ - für sein Dokumentationszentrum in Nürnberg überreicht. In Wien verlieh man ihm das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Nun bekommt er noch den Großen Österreichischen Staatspreis für Kunst zugesprochen. Und der ist, wie er meint, „endlich einmal auch mit Geld verbunden“.

Viel Ehre und 30.000 Euro also für den Kärntner, der sein Architekturbüro bereits in den 60er-Jahren in Graz etablierte und mit einer keineswegs unsympathischen Brachialität Architektur zu machen begann. Domenig ist dabei einen sehr klugen Weg gegangen, weil er über die taktische Gabe verfügt, seine jeweiligen Talente zu dosieren und von Projekt zu Projekt gekonnt auszuspielen. Zum einen ist er ein formal Hochtalentierter, eine Art Bildhauer und Skulpteur unter den Planern. Zum anderen verfügt er über genug Bodenhaftung, um die Architektur als Dienstleistung zu verstehen. Dafür holte er sich, das muss ebenfalls gesagt werden, immer wieder die richtigen Büropartner. Sein T-Mobile-Haus an der Wiener Südosttangente beispielsweise ist eines der ganz wenigen Wiener Architektur-Landmarks jüngeren Datums - doch hätten hier Zeichen- und Rechenstift gegen- und nicht miteinander skizziert, das Gebäude wäre nie realisiert worden.

Bekannt wurde Domenig mit der für die frühen 70er-Jahre schockierenden Z-Bankfiliale in Wiens Favoritenstraße, in der er eine radikale Wurschtigkeit Konventionen betreffend in Form von Gebäudeinnereien wie Rohren und anderen Installationen an den Tag und in die Fassade legte.

Selbstbefreiungsaktionen wie diese prägen seinen Weg: Mit dem Dokumentationszentrum in Nürnberg (2001) rechnete er mit seiner eigenen Vergangenheit als Nazi-Kind ab, indem er das ehemalige Reichstagsgebäude mit einem scharf strukturierten Stahl-Glas-Pfahl durchschoss. An seinem „Steinhaus“ am Ossiacher See baut er mittlerweile seit Jahrzehnten eigenhändig, quasi mit Beton unter den Fingernägeln und jegliche rechte Winkel missachtend.

Domenig unterrichtete an der TU Graz, baute an dem mit, was man heute „Grazer Schule“ zu nennen pflegt, machte Bühnenbilder und Skulpturen und blieb dabei auf eine seltsam kommunikative Art Einzelgänger.

Er ist Künstler, wenn er für sich arbeitet, Architekt, wenn Dienstleistung gefordert ist. Und dass er beides elegant kombinieren kann, macht seine Sonderstellung in der Architektur und in der Kunstszene aus.

Der Standard, Mi., 2005.05.04



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Domenig Günther [der 2012 verstorbene Domenig]

30. April 2005Ute Woltron
Der Standard

Lebensräume

Am 1. Mai dieses Jahres wäre der Wiener Architekt Roland Rainer 95 Jahre alt geworden. Vor einem Jahr ist er gestorben. Er wird vermisst, der alte Mann....

Am 1. Mai dieses Jahres wäre der Wiener Architekt Roland Rainer 95 Jahre alt geworden. Vor einem Jahr ist er gestorben. Er wird vermisst, der alte Mann....

Am 1. Mai dieses Jahres wäre der Wiener Architekt Roland Rainer 95 Jahre alt geworden. Vor einem Jahr ist er gestorben. Er wird vermisst, der alte Mann. Irgendwie war er eine Art architektonischen Gewissens in einer Zeit, in der das Grelle, Dekorative gelegentlich zu wichtig genommen, die Fassade zur bedeutendsten Visitkarte des Hauses wird. Rainers Grundsätze - vor allem den Wohnbau betreffend - waren streng, kosmopolitisch und richteten sich stets strikt nach den Bedürfnissen der Nutzer. Seine durchgrünten Siedlungen haben zwar bis heute Vorbildwirkung, doch seine Lehre muss aktiv weitergetragen, verbreitet und an die zeitgenössischen Lebenswelten angepasst werden.

Zum 90er bekam der Ehrenbürger der Bundeshauptstadt denn auch von Stadtplanung und Kammer ein Geburtstagsgeschenk in Form des Rainer-Stipendiums. Die diesjährige Neuauflage anlässlich seines 95ers stellt eine Ausweitung der Idee dar und ist ein „Internationaler Roland-Rainer-Ideenwettbewerb“, der weltweit ausgeschrieben und mit einem Preisgeld von insgesamt 27.000 Euro dotiert ist.

Rainers Lebensthema bleibt im Zentrum: Architekten und Absolventen sind aufgerufen, neue Stadtquartiere anzudenken, neue Wohn-, Lebens, Arbeitsformen im städtischen Raum in Architektur zu gießen. Es handelt sich also um einen Theorie-Wettbewerb auf der Suche nach dem Ideal. Doch laut noch nicht veröffentlichtem Ausschreibungstext „strebt das Verfahren die Auszeichnung von realisierungsfähigen Vorentwürfen für ein Stadtquartier an“. Und: „Auch wenn das Verfahren zuerst auf Ideen zielt, verstehen sich die Auslober dazu, das Projekt des Gewinners nach Abschluss so aufzubereiten und zu veröffentlichen, dass eine bauliche Umsetzung erleichtert wird.“ Der STANDARD wird über den Wettbewerbsstart, Ausschreibung und Termine demnächst ausführlicher berichten.

Parallel dazu ruft das Roland-Rainer-Komitee „die Notwendigkeit der Errichtung eines Roland-Rainer-Lehrstuhls, eines Roland-Rainer-Archivs und eines Roland-Rainer-Platzes in Erinnerung. Rainers einzigartige Architekturgesinnung muss als Herausforderung für das Baugeschehen für heute lebendig bleiben.“

Der Standard, Sa., 2005.04.30



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Rainer Roland

29. April 2005Ute Woltron
Der Standard

Lasset uns hoffen

Die Masse des in Österreich Gebauten ist als katastrophal zu bezeichnen. Kleinodien wie die „besten Häuser“ haben zwar Vorbildwirkung, doch der kräftigste Impuls in Richtung Qualität müsste von den Kommunen selbst ausgehen.

Die Masse des in Österreich Gebauten ist als katastrophal zu bezeichnen. Kleinodien wie die „besten Häuser“ haben zwar Vorbildwirkung, doch der kräftigste Impuls in Richtung Qualität müsste von den Kommunen selbst ausgehen.

Österreichweit werden pro Jahr laut Statistik etwa 17.000 private Ein- und Zweifamilienhäuser fertig gestellt. Statistiken über deren architektonische Qualitäten fehlen.

Der eben verliehene Architekturpreis „Das beste Haus“, der die vorzüglichsten Einfamilienhäuser bundesweit auszeichnet, wird hier zwar keine flächendeckende Abhilfe schaffen, aber doch ein Schlaglicht auf die qualitativ bemerkenswerteren, also architektonisch engagierteren Privatdomizile werfen - was angesichts der sonstigen flächendeckenden Abscheulichkeiten in Sachen Privatwohn- und andere Häuser höchst begrüßenswert ist.

Lasset uns ehrlich sein: Zieht man von der Summe des Gebauten in Österreich die nicht oft und genug zu lobenden Leistungen der hier wacker für die Sache der Baukultur streitenden Planergilde ab, so blickt man auf ein außerordentlich weites, grässliches Meer letztlich unverantwortlich übler Häuser, deren Existenz durch nichts berechtigt ist.

Die Häuslbauer stellen zwar die in Summe wichtigste Bauherrenschaft der Nation, und die wenigsten von ihnen engagieren Architektinnen und Architekten - doch wer soll es ihnen verübeln, wenn die meisten Bürgermeister als höchste Bauinstanzen und Regionalkaiser ihrer Verantwortung Hohn spotten und in den von ihnen höchstselbst beauftragten und bewilligten Gemeindeaufgaben kulturelle Niederlagen am Fließband in Baumaterialien gießen?

Ausnahmen bestätigen selbstverständlich die Regel, doch von diesen ist hier ausnahmsweise eben nicht die Rede. Diesmal picken wir uns nicht die Rosinen aus dem Kuchen, sondern bemeckern die überwältigende, alles verkleisternde Masse des misslungenen Teiges.

Lasset uns also träumen: Jeder Bürgermeister, jede Bürgermeisterin wird - am besten gleich vom Nationalrat - zu einem zumindest einwöchigen Architekturgrundkurs verpflichtet und unternimmt - am besten noch vor Amtsantritt - eine Bildungsreise zu den besten und sinnvollsten Gemeinde-Häusern Österreichs. Denn, um nicht ungerecht zu sein, gelungene Beispiele für Rathäuser, Gemeindesäle, Volksschulen etc. finden sich allemal, doch eben noch nicht in befriedigender Dichte und Verbreitung.

Und weiter: Jede Genossenschaft wird gesetzlich dazu verpflichtet, für die im Rahmen von Förderungen errichteten Wohnhäuser zumindest ein kleines Gutachterverfahren abzuhalten. Zuwiderhandlung wird mit saftigen Strafen geahndet. Denn was sich auf diesem Sektor in ländlichen Regionen, also auf 98 Prozent des Bundesgebietes, abspielt, grenzt an menschenverachtende, um nicht zu sagen halbkriminell auftragsschachernde Machenschaften. Auch hier gibt es natürlich Ausnahmen. Aber nur wenige.

Die Produkte, in denen schließlich Menschen wohnen und Kinder aufwachsen müssen, zum Beispiel solche, für die das Einfamilienhaus auf der Parzelle ein unfinanzierbarer Traum bleibt, zeichnen sich im Schnitt durch Hässlichkeit aus, gepaart mit stupiden Grundrissen und völliger Absenz jeglichen Anspruchs auf zeitgenössische Wohnkultur.

Wenn dann auch noch zumindest jeder Bezirk auf eine Art energischen, best ausgebildeten Gestaltungsbeirat zurückgreifen könnte, der sein Fachwissen in Sachen Baukultur, Nachhaltigkeit, Ökologie - und Ökonomie - im Dauereinsatz und mit dekretgestütztem Nachdruck zur Anwendung brächte: Österreich wäre binnen Kurzem das Schlaraffenland guter Architektur, ohne bedeutend mehr Geld dafür auszugeben - und an dieser Oase würden sich über kurz oder lang auch zehntausende Häuslbauer laben: Stichwort Vorbildwirkung. In anderen Ländern, siehe Finnland, funktioniert so etwas ja auch.

Damit befinden wir uns sogleich wieder bei den nunmehr von s Bausparkasse, dem Staatssekretariat für Kunst und Medien sowie dem Architekturzentrum Wien in Zusammenarbeit mit den regionalen Architekturinstitutionen ausgezeichneten Häusern, ihren Planern und Planerinnen und den Bauherren und Baudamen. Zu sehen sind die neun Projekte - jeweils eines aus jedem Bundesland - seit gestern im Architekturzentrum Wien. Sie haben alle Folgendes gemeinsam: Sie wurden von Fachleuten, also Architektinnen und Architekten, für private Bauherrschaften geplant und errichtet. Und nein, hier gibt es keine goldenen Armaturen und Carrara-Marmorverkleidete Garagen für das Viertauto, sondern gut in die jeweiligen Landschaften eingefügte, mit sinnvollen Grundrissen ausgestattete Häuser. Sehr individualistisch - aber das soll ja ein Schaden nicht sein. Die Architekten sind übrigens im Schnitt sehr jung, auch das ist begrüßenswert.

Franz Morak, der sich hier offensichtlich für Baukultur ins Zeug legt, meint: „Die Beteiligung des Bundes an diesem neu ins Leben gerufenen Architekturpreis der s Bausparkasse stellt eine wichtige Erweiterung des Förderspektrums im Bereich der Architektur dar. Gerade bei den Einfamilienhäusern war es bisher kaum möglich, nachhaltige Initiativen zu setzen. Dieser Preis soll dazu einen Impuls liefern und bei den Bauherren das Bewusstsein schaffen, dass ein Architektenteam das Bauen erleichtert, kostengünstiger macht und Qualität garantiert.“

Sehr gut - nachhaltige Initiativen, bundesweit: Na bitte, wenn wir da jetzt nicht ein paar zusätzliche Vorschläge gemacht haben? Lasset uns hoffen, lasset uns träumen, lasset uns viel, viel gute Architektur machen.

Der Standard, Fr., 2005.04.29

16. April 2005Ute Woltron
Der Standard

Der Holzweg ist das Ziel

Der sympathische Baustoff Holz bekommt nun auch in Wien einen Architektur- Preis, was Anlass für eine kleine Serie über Holz und Baukunst im ALBUM ist

Der sympathische Baustoff Holz bekommt nun auch in Wien einen Architektur- Preis, was Anlass für eine kleine Serie über Holz und Baukunst im ALBUM ist

Die schöne Stadt Wien zeichnet sich nicht nur durch wohlgepflegte Architekturen verschiedensten Alters aus, sie ist zudem eine der an Wald und Grün reichsten Großstädte der Welt. Tatsächlich steht die Bundeshauptstadt in der Waldbesitzerstatistik Österreichs überraschenderweise gleich an zweiter Stelle - nach den Bundesforsten, die natürlich die überwältigende Mehrheit der heimischen Wälder hegen, pflegen und bewirtschaften.

Angesichts dieser faktischen Kombinationen lag es nahe, die Themen Holz und Architektur auch auf städtische Art enger miteinander zu verknüpfen. Denn aus dem allgemein als äußerst sympathisch eingeschätzten Baustoff lassen sich - wie man nicht erst seit den mittlerweile viel gerühmten Vorarlberger Innovationen auf diesem Gebiet weiß - nicht nur Parkettböden legen, sondern auch sehr gut Häuser verschiedenster Größe bauen. Warum also nicht auch in Wien?

Ein erster Schritt in diese Richtung erfolgte bereits 2001. Damals trat im April eine Novelle der Wiener Bauordnung in Kraft, die erstmals in Österreich die Errichtung von bis zu fünf Geschoßen hohen Gebäuden in Holzmischbauweise zuließ. Laut des im Rahmen des vom Wirtschaftsministerium betriebenen Förderprogrammes „Haus der Zukunft“ gab es im Anschluss und nach den ersten solchermaßen konstruierten Häusern auch gleich eine von Hochkarätern erstellte Studie über diese neuen Hochbauten, die zu folgender Erkenntnis kam:

Der konstruktive Holzbau kann mit den marktgängigen Betonmassivbauweisen ökonomisch mithalten, er bekommt in Teilbereichen sogar wesentlich bessere Noten. Zitat: „Pauschal gilt im Holzbau, dass durch die Verwendung großer Elemente Kosten gespart werden können.“

Ohne an dieser Stelle die komplizierten statischen Erklärungen anzuführen, gilt auch, dass auf gewisse Art ausgeführte Holzkonstruktionen das Gebäudeverhalten in Erdbebenfällen wesentlich verbessern, was etwa im Lichte der neuen, von der EU geforderten Erdbebenrichtlinie nicht zu vernachlässigen ist. Und: Die Erreichung der genormten Schallschutzanforderungen sowie des Brandschutzes ist ebenfalls gewährleistet.

Besondere Aufmerksamkeit erfordert allerdings die „feuchtetechnische Performance“, die im Einfamilienhausbau leichter in den Griff zu bekommen ist als im mehrgeschoßigen Wohnbau. Wer all diese Informationen im Detail studieren will, wird auf der Website www. hausderzukunft.at mehr erfahren.

Ein Fazit der Studienverfasser lautet jedenfalls: Die geänderte Bauordnung „eröffnet dem Holzbau Gebäudekategorien des verdichteten Wohnbaus, für die es bisher in Österreich und im deutschsprachigen Raum kaum Beispiele gibt. Neue Kenntnisse und Erfahrungen bei der Planung und Errichtung mehrgeschoßiger Holzbauten sind erforderlich. Im Mietwohnbau können sich derartige Bauweisen allerdings nur dann durchsetzen, wenn das Preis-Leistungs-Verhältnis dem der marktführenden Ziegel-Stahlbeton-Bauweise entspricht.“

Das leuchtet ein, muss aber differenziert betrachtet werden. Vor allem die Holzaußenwände sind im Schnitt immer noch teurer als ihre Massivkollegen, was unter anderem an den Gesetzen der Marktwirtschaft liegt. In Ostösterreich gibt es noch wenig Nachfrage und wenig versierte Anbieter. Dennoch spricht einiges für mehr Holz am Bau, selbst wenn die stets betonten ökologischen und nachhaltigen Tugenden dieser natürlichen Ressource jetzt einmal vernachlässigt werden.

Zum einen garantiert industrielle Vorfertigung von Gebäudeelementen wie Wänden, Decken etc. ein rascheres Bauen. Zum anderen ist Holz leicht und dazu ein schlechter Wärmeleiter - es lassen sich mit diesem Material also in Kombination mit mineralischen Dämmstoffen sehr schlanke, gleichzeitig aber sehr gut wärmedämmende Außenwände produzieren. Eine nur etwa 23 Zentimeter dicke Holzaußenkonstruktion dämmt so gut wie eine vergleichsweise plumpe, über 50 Zentimeter dicke Massivwand. Für die, die's genau wissen wollen, die Rede ist von einem U-Wert von 0,19. Der Architekt Markus Geiswinkler, der gemeinsam mit Kinayeh Geiswinkler eines der ersten Holz-Mischbau-Häuser Wiens „Am Hofgartl“ (Neues Leben, 2003) gebaut hat, stellt nun folgende Kalkulation an: Durch dünnere Außenwände wird die innen nutzbare (Netto)fläche von Wohnbauten vergrößert - und genau die ist Richtmaß für Förderungen, die sich in logischer Konsequenz ebenfalls erhöhen. Durch die optimale Wärmedämmung der Wand, so Geiswinkler weiter, lassen sich zudem die Fensterflächen vergrößern, was durch die erhöhten Förderungsmittel wiederum leistbar wird.

Während das Hofgartl-Projekt auf Durchmischung von tragenden Betonelementen und dazwischengeschalteten Holz-Leichtbauteilen setzt, pflanzte der Grazer Architekt Hubert Riess im Falle der bald fertig gestellten Wohnhausanlage in der Spöttelgasse (Sozialbau) sozusagen eine Voll-Holz-Konstruktion auf ein massiv ausgeführtes Sockelgeschoß.

Die Vielfalt der möglichen Anwendungen ist groß, vor allem Massiv- und Leichtbaukombinationen lassen künftig reizvolle Lösungen erwarten, und um dies zu fördern, hat proHolz Austria, die Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Forst- und Holzwirtschaft, nun in Kooperation mit der Stadt Wien und dem Architekturzentrum Wien einen Holzbaupreis ausgelobt (nähere Informationen siehe Kasten).

Mit dem wienwood 05, der im Oktober erstmals vergeben wird, soll zum einen natürlich der Holzbau in Wien gefördert werden, zum anderen aber werden vor allem auch die Anstrengungen von Architekten, Holzspezialisten und Bauherren gewürdigt, die sich auf diesem spannenden und technisch sicherlich noch weiter zu entwickelnden Gebiet als Pioniere verdient machen.

Die Größe der von den Forstbetrieben Wiens bewirtschafteten Flächen beträgt übrigens 42.400 Hektar, seit 1956 wurden 500 Hektar neuer Waldfläche aufgeforstet, wer einen Größenvergleich anstellen mag: Die Wiener Innenstadt ist 300 Hektar groß.

Der Standard, Sa., 2005.04.16

16. April 2005Ute Woltron
Der Standard

Holzräume

Holzbaupreise gibt es in Österreich, seit Vorarlberg als erstes Bundesland seine hervorragenden Holzbauer, die auch international als Pioniere auf diesem...

Holzbaupreise gibt es in Österreich, seit Vorarlberg als erstes Bundesland seine hervorragenden Holzbauer, die auch international als Pioniere auf diesem...

Holzbaupreise gibt es in Österreich, seit Vorarlberg als erstes Bundesland seine hervorragenden Holzbauer, die auch international als Pioniere auf diesem Gebiet angesehen werden, mit einem Preis würdigt. Der wurde 1997 erstmals vergeben. Es folgten - bis auf das Burgenland - alle weiteren Bundesländer, nun also auch Wien. Die Auszeichnungen werden im Zwei-Jahres-Rhythmus verliehen.

Der heuer ins Leben gerufene wienwood 05 soll bewusstseinsbildend wirken „für die Verwendung von Holz als modernem, zeitgemäßem und nachhaltigem Baustoff im urbanen Bereich“ und vor allem eine breite Öffentlichkeit für das Thema interessieren. Bewerben können sich sowohl Architekten als auch Bauherren und Holzbau-Unternehmen. Einreichschluss ist der 11. Juli, alle Details und Anforderungen sind unter www.wienwood.at abrufbar.

DER STANDARD wird als wienwood-Medienpartner im Oktober alle Siegerprojekte im Detail präsentieren und schon vorab über die großen internationalen Holzbauer, die traditionellen Holzbaunationen sowie über den Stand der Holzbauarchitektur Österreichs, auch weit außerhalb der Grenzen Wiens, berichten.

Der Standard, Sa., 2005.04.16

02. April 2005Ute Woltron
Der Standard

Die Alpträume des Sigmund F.

Schon Adolf Loos forderte die neue, selbständige Frau. Zeitgenosse Sigmund Freud fürchtete sich noch vor ihr. Jetzt ist sie endgültig da - und die Architektur wird endlich gleichgeschlechtlich.

Schon Adolf Loos forderte die neue, selbständige Frau. Zeitgenosse Sigmund Freud fürchtete sich noch vor ihr. Jetzt ist sie endgültig da - und die Architektur wird endlich gleichgeschlechtlich.

Sigmund Freuds heute heiter zu lesende Thesen über die Beschaffenheit des weiblichen Geschlechts sowie dessen vermeintliche Neigung zu hysterischen Zuständen schlugen sich seinerzeit tatsächlich in Architektur nieder. Die Architektin Sabine Pollak beschreibt das in ihrem jüngst erschienenen Buch Leere Räume. Weiblichkeit und Wohnen in der Moderne (Sonderzahl) sehr anschaulich.

Architektur war und bleibt Spiegel der Gesellschaft. Deshalb ist heute die Frage, inwieweit die zeitgenössische Architektur Rücksicht auf die Bedürfnisse und Ansprüche zeitgenössischer Frauen nimmt, viel interessanter als Freuds entrückte Thesen - die Schreibtischladen und eigentlich überhaupt so gut wie alles zu Genitalien oder den Neid auf dieselben umdeuteten, und in deren Folge die Damen sicherheitshalber in die brokatgepolsterten Privatgummizellen der Jahrhundertwende befördert wurden.

Die Ansprüche der Frauen sind erheblich gestiegen, darf man erfreut feststellen, denn das Wegsperren hat sich auf Dauer als nicht machbar erwiesen, das Boudoir ging den Weg alles Weltlichen, das Herrenzimmer ebenso. Spezielle Architektur für Frauen könnte sich heute vielmehr bereits den Vorwurf der Reaktion einhandeln, viel sinniger ist es, die so genannte Gleichberechtigung auch in Wohngrundrissen Form annehmen zu lassen.

Wie reagiert also die Architektur auf die sich rasant verändernden Lebensumstände, in denen wir heute alle - Männer wie Frauen, deren freche Emanzipation natürlich der Grund für all dies ist - zu Hause sind? Tatsächlich wird kreuz und quer allein erzogen, zugleich gearbeitet, und die Kinder durchwandeln die Patchworkfamilien: Doch wie schauen die Wohnungen für diese neuartigen Familienformen aus? Wie müssen die Heimstätten der immer zahlreicher werdenden Alleinerzieherinnen beschaffen sein, die nicht nur nebenbei, sondern aus Gründen der Überlebenssicherung Vollzeit arbeiten - wenn geht, von zu Hause? Und: Werden die überhaupt schon gebaut?

Die Antwort auf all diese Fragen ist befriedigend, wenn auch noch nicht beglückend, denn vereinzelt tauchen bereits neue Wohnmodelle auf, obwohl die meisten heute auf den Markt geworfenen Wohnungen nach wie vor dem traditionellen Vater-Mutter-Zwei-Kinder-Schema entsprechen, das nach gängigen Moralbegriffen zwar das anstrebenswerte, jedoch schon lange nicht mehr das übliche ist.

Der zeitgenössische Wohnbau, sagt die Architektin Elsa Prochazka, müsse vielmehr „zielgruppenorientiert sein und die neuen Lebens- und Arbeitsbedürfnisse unter die Lupe nehmen. Wir leben schließlich heute alle mehrere Leben“. Prochazka plant derzeit denn auch in der Nähe der Alten Donau für das ÖSW ein Quartier mit 150 Wohneinheiten, das unterschiedlichste Grundrisse für diverse Lebenssituationen bereitstellen wird.

Junge, moderne, noch kinderlose Nomadinnen und Nomaden bekommen frei disponierbare Lofts, Familien mit Windelnachwuchs Atriumhäuser mit Freiflächen, Leute, deren Leibesfrüchte bereits flügge sind, eher kleinere Wohneinheiten, dafür ein breites Angebot halböffentlicher Einrichtungen, die das Leben wie in einem kleinen Hotel gestalten werden.

Ein bahnbrechender Wohnbau (frei finanziert) entstand bereits 1993 in der Wiener Frauenfelderstraße, stammt von den Architekten Henke Schreieck und zeigt immer noch vor, wie gut flexible Grundrisse mit allerlei Schiebeelementen funktionieren können. Marta Schreieck: „Die von vornherein eingerichteten Grundrisse, die jede Möblierung bereits festlegen, machen mich wahnsinnig. Wir versuchen vielmehr, nutzungsneutrale Räume anzubieten und Wohnungen so zu planen, dass sich jeder Raum gegebenenfalls auch für einen Arbeitsraum eignet. Ich glaube zutiefst nicht daran, dass Männer und Frauen dabei unterschiedliche Bedürfnisse haben.“

Einen weiteren Meilenstein setzte Bus-Architektur mit ihrer wohnbaugeförderten Wiener Compact-City (2001, SEG), die ebenfalls Arbeiten und Wohnen gekonnt miteinander vereint. Bus-Chefin Laura Spinadel: „Wir versuchen, Aufgaben lebensstilbezogen zu lösen, Grundrisse müssen atmen, sich verändern und unterschiedlich bespielt werden können. Interessanterweise werden Sonderwünsche vor allem von Frauen eingebracht, die sich zum Beispiel teilbare Kinderzimmer wünschen, damit sie arbeiten können, wenn die Kinder spielen, oder schließbare Wohnküchen, damit man das Wohnzimmer auch genießen kann, ohne das schmutzige Geschirr vor Augen zu haben.“ Mittlerweile schaffen Architektinnen und Architekten diesen Qualitätssprung also auch im geförderten Wohnbau - sofern ihre Auftraggeber Mut und Vision an den Tag zu legen bereit sind. Winfried Kallinger (Kallco) setzte beispielsweise mit den Architekten Delugan Meissl ein Wohnhaus auf die Parzelle E des Wienerbergs (2004), in dem sich auf der gegenübergelegenen Gangseite der Wohnungen wahlweise billig mietbare Räume befinden, die sich dank ISDN- und Telefonanschluss auch für Home-Offices eignen.

Kallinger: „Der Ansatz Live and Work war von vornherein unser Thema, vor allem für neue Selbständige und für Berufsformen, die es früher nicht gegeben hat. Das ist nicht unbedingt frauenspezifisch, obwohl sich diese Lösung für Frauen, die nicht unbedingt neben ihren tobenden Kindern arbeiten wollen, natürlich anbietet.“ Die Nachfrage nach diesen wohnungsnahen „Arbeitsboxen“ war laut Kallinger vorzüglich: „Wir werden in diesem Sinne weitermachen.“

Letztes Beispiel: In einem 2004 für die GPA fertig gestellten geförderten Wohnbau in der Alxingergasse, ebenfalls Wien, setzten die Architekten Bettina Götz und Richard Manahl alias Artec nicht nur technisch neue Standards, sondern statteten das Haus ebenfalls mit kleinen, zumietbaren Büros aus. Bettina Götz: „Wohnen und Arbeiten befinden sich in einem fließenden Übergang, genau so wichtig ist es aber, die Ansprüche der Patchworkfamilien umzusetzen und auf die Räume für die Kinder Rücksicht zu nehmen.“

Der Weg in diese emanzipatorische Architektur war lang, er ist auch noch nicht zu Ende gegangen, doch Leute wie etwa Adolf Loos haben einige der Entwicklungen, wenn man so will, vorausgesehen. Loos hat im Gegensatz zum alten Ignoranten Freud eigenständige Frauen gefordert, die für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen würden und dem Mann gleichgestellt wären.

Für Eva Kail von der „Leitstelle für alltags-und frauengerechtes Planen und Bauen“, Baudirektion Wien, sind diese Forderungen Arbeitsgrundlage, sie hat seit 1997 alle geförderten Wohnbauprojekte zur Begutachtung auf ihren Schreibtisch bekommen. Auch sie beobachtet einen „qualitativen und philosophischen Wandel“, der ihr allerdings nicht schnell genug vonstatten geht: Kail wünscht sich vor allem eine Evaluierung der unterschiedlichen Wohnsituationen.

Genau: Die wissenschaftliche Aufbereitung dieses Themas fehlt noch im Lande Sigmund Freuds. Weg mit der Verdrängung, denn lebensnahe Lösungen müssen nicht geträumt, sie sollten zügig gebaut werden.

Der Standard, Sa., 2005.04.02

02. April 2005Ute Woltron
Der Standard

Frauenräume

Sabine Pollaks erwähntes Buch Leere Räume ist eine rechercheintensive Abhandlung über die Rollenzuteilung der Frauen bis in die 50er-Jahre: „Die Geschichte...

Sabine Pollaks erwähntes Buch Leere Räume ist eine rechercheintensive Abhandlung über die Rollenzuteilung der Frauen bis in die 50er-Jahre: „Die Geschichte...

Sabine Pollaks erwähntes Buch Leere Räume ist eine rechercheintensive Abhandlung über die Rollenzuteilung der Frauen bis in die 50er-Jahre: „Die Geschichte moderner Architektur lässt sich als permanenter Prozess des Ausschließens von Weiblichkeit lesen. Bis zur Jahrhundertwende waren Frauen aus nahezu allen öffentlichen Räumen ausgeschlossen und in das Innere der Wohnungen verbannt.“

Auch in der Klassischen Moderne stand der „homme type“ (Le Corbusier) im Zentrum architektonischer Betrachtungen. Und als Mies van der Rohe 1951 für eine Frau, nämlich Edith Farnsworth, das berühmte, gläserne Wochenendhaus bei Chicago plante, kam es zu ideologischen Zerwürfnissen aller Art. Die Auftraggeberin zerkriegte sich mit dem Architekten, sie selbst hatte als allein stehende, selbständige Frau mit allen Konventionen gebrochen, und das Haus wurde in prominenten Medien als „Bedrohung des kommenden Amerika“ bezeichnet.

Wer genau schauen will, kann in der Architektur lesen wie in präzisen zeit- und sozialgeschichtlichen Abhandlungen. Alles ist aufgeschrieben, in Beton, Ziegel, Holz, Glas, Stahl, Luft, Licht, Farbe.

Der Standard, Sa., 2005.04.02



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Leere Räume - Weiblichkeit und Wohnen in der Moderne

23. März 2005Ute Woltron
Der Standard

Kenzo Tange 1913-2005

Der japanische Architekt, einer der letzten großen Vertreter der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts, starb mit 91 Jahren

Der japanische Architekt, einer der letzten großen Vertreter der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts, starb mit 91 Jahren

Am Dienstag starb in Tokio mit Kenzo Tange, einer der letzten großen Vertreter der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts. Der Japaner, 1913 auf der Insel Shikoku geboren, hatte ab den 1940er-Jahren die traditionelle Formensprache seiner Heimatarchitektur als einer der ersten mit westlichen Einflüssen der Moderne meisterhaft kombiniert. Der Weltruf der zeitgenössischen japanischen Architektur baut bis heute nicht zuletzt auch auf Tanges ruhigem, reduzierten und stets höchst eleganten Stil auf.

Irgendwann in den 1930er-Jahren hatte er in einer Zeitschrift die Arbeiten von Le Corbusier erblickt und darauf hin beschlossen, Architekt zu werden. Konsequenter Weise arbeitete er nach seinem Studium in Tokio im Architekturbüro des ehemaligen Corbusier-Mitarbeiters Kunio Mayekawa. Als Vorbilder gab er später stets auch noch so unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten wie Walter Gropius und Michelangelo an.

Tange erbaute sich seinen Weltruhm bereits als sehr junger Architekt, als er 1946 den Masterplan für den Wiederaufbau des zerstörten Hiroshima lieferte und an jener Stelle, an der die Atombombe eingeschlagen war, 1949 ein Friedenszentrum errichtete.

Als weiteres Hauptwerk des Architekten gilt das Olympische Stadion für Tokio aus dem Jahr 1964, das von der internationalen Architekturkritik als eines der elegantesten und hervorragendsten Gebäude des 20. Jahrhunderts gehandelt wird.

Kenzo Tange etablierte ein weltumspannend aktives Architekturbüro. Er baute in 20 Ländern, so entstanden etwa ein Anbau an das Art Museum von Minneapolis, der Königspalast in Dschidda und ein Messezentrum für Bologna. Neben zahlreichen weiteren internationalen Auszeichnungen bekam er 1987 mit dem Pritzker Preis die prominenteste Architekturauszeichnung zugesprochen.

Tange war ein betont leiser, feiner Mann, der stets in korrektem Nadelstreif auftrat und überflüssige Worte verabscheute. Neben dem heute 97-jährigen Brasilianer Oscar Niemeyer war Tange der letzte noch lebende Pionier der Architektur der Moderne des 20. Jahrhunderts.

Der Standard, Mi., 2005.03.23



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22. März 2005Ute Woltron
Der Standard

Metamorphosen eines Wanderpredigers

Der 61-jährige, in Kalifornien beheimatete Architekt und „Morphosis“-Gründer Thom Mayne wird in die Ordenschaft der Pritzker-Preis-Gewinner aufgenommen

Der 61-jährige, in Kalifornien beheimatete Architekt und „Morphosis“-Gründer Thom Mayne wird in die Ordenschaft der Pritzker-Preis-Gewinner aufgenommen

Chicago - Wenn Thom Mayne, wie am Montag verkündet, am 31. Mai in Chicago den Pritzker Preis in würdiger Nadelstreifzeremonie entgegennimmt, wird er, weil er das immer tut, scharfkantige Witze reißen. Sie werden den geschliffenen Architekturen entsprechen, die Mayne im Laufe seiner Karriere gebaut und entworfen hat, sie werden also ein bisschen bizarr, doch in sich schlüssig und vor allem ziemlich locker sein.

Der Pritzker Preis der Hyatt-Stiftung weiht seit 27 Jahren die Besten der Besten, er ist mit 100.000 Dollar ausgestattet, vor allem aber mit einem Renommee, dem keine andere Auszeichnung auf dem Gebiet der Architektur nahe kommt. „Vision“ und „Hingabe“ aktiver Architekten an ihre Mission werden hier bewertet, Zaha Hadid war 2004 dran - und auch Mayne verkörpert beides in höchstem Maße.

Hinter der kalifornischen Lässigkeit, mit der der große, schlanke Graubart, 1941 in Waterbury (Connecticut) geboren, durch das Leben zu schlapfen scheint, steckt die kompromisslose Härte, die letztlich alle großen Baukünstler auszeichnet, und die - in Maynes Fall - nicht zuletzt in legendäre Zerwürfnisse mit Bauherren mündete.

In Jugendjahren pflegte er seinem Verständnis nach verständnislose Bauherren gelegentlich am Kragen gepackt in der Luft zappeln zu lassen. Den missratenen Betongussprodukten ausführender Unternehmen schritt er eigenhändig im Furor mit Presslufthämmern zu Leibe, und als ein Auftraggeber schüchtern anmerkte, er wünsche sich in seinem Haus eigentlich schon so etwas wie einen Schrankraum, schlug Mayne mit der Faust auf den Tisch und donnerte: „Wie viel Gewand haben Sie denn noch notwendig, zum Teufel?“

Damals wütete er als eines der beiden Häupter der 1971 von ihm gegründeten L.A.-Formation „Morphosis“ in jugendlicher Kraft: Die Dekonstruktion war noch ohne Namen, sie begann in den Studios von Leuten wie Frank Gehry und „Morphosis“ gerade Gestalt und Theorie anzunehmen. Die Box sollte aufgebrochen, neuen Formenspielen Raum gegeben werden.

Es entstanden die scheinbar „verrückten“ Einfamilienhäuser und Restaurants in Los Angeles wie die Crawford Residence oder das Kate Mantilini Restaurant, die mit Materialien spielten und neuartige Formen brachten. Wenn es gerade keine Aufträge gab, hielt man sich mit Rasenmähen und anderen Jobs über Wasser. Ko-Morphosis-Architekt Michael Rotondi behauptet bis heute, man sei mehr eine Art Garagenband gewesen.

Quasi nebenbei gründete Mayne 1972 das Southern California Institute of Architecture, das als eine der quirligsten Architekturschulen gilt. Er selbst unterrichtet an der U.C.L.A., wenn schon nicht milde, so ist er nicht mehr so wütend, und auch die Auftragsbücher sind prall gefüllt.

Für New York plant Mayne derzeit das „Riverfront Project“ in Queens, das, bei Zuschlag, die Olympischen Spiele 2012 beheimaten wird, in Oregon entsteht ein Gerichtsgebäude, in San Francisco ein Büroturm für die Stadtverwaltung: Offizielle Aufträge des konservativen Amerika für einen deklarierten Linken, der neben seinem Formentalent in zunehmendem Maße auch Ökologie und Hightech-Bauphysik in seine Entwürfe einzuarbeiten versteht - und der gelernt hat, dass Bauherren nicht immer die unwichtigste Rolle zu spielen haben.

Thom Maynes Weg vom rabiaten, vitalen Wanderprediger für die Sache der Architektur bis hin zum Pritzker-Würdenträger führte nicht selten durch kommerzielle Schluchten. Ausgerechnet ein durch einen Wettbewerbssieg akquirierter Auftrag aus Österreich half mit, eine seiner finstersten Krisen zu überstehen. 1999 baute er für die Hypobank Klagenfurt die Konzernzentrale, ein skulptural kräftiges, funktional nicht ganz unumstrittenes Stück Architektur. Doch Leute wie Mayne sind da zu Hause, wo die Luft sehr dünn wird. Kürzlich brachte er es auf den Punkt: „Wenn wir nicht dazu bereit sind, Risiken einzugehen, ist unsere Kultur bald erledigt.“

Der Standard, Di., 2005.03.22



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19. März 2005Ute Woltron
Der Standard

Jubiläum ist immer

Anlässlich des bejubelten Jahres 2005 startet das ALBUM eine kleine Serie (Teil 1) über österreichische Architekten, die Bejubelung gezwungenermaßen im Ausland erfuhren - und begibt sich zuerst auf verwischten Spuren von Emigranten in den USA.

Anlässlich des bejubelten Jahres 2005 startet das ALBUM eine kleine Serie (Teil 1) über österreichische Architekten, die Bejubelung gezwungenermaßen im Ausland erfuhren - und begibt sich zuerst auf verwischten Spuren von Emigranten in den USA.

Und gleich noch ein Jubiläum: Vor genau zehn Jahren eröffnete in der Wiener Kunsthalle am Karlsplatz eine sperrige, wenngleich sensationelle Ausstellung, deren Highlight ein wissenschaftlich erarbeiteter Katalog war: Die Schau „Visionäre & Vertriebene“, kuratiert von den einschlägig als überaus wissensreich bekannten Herren Matthias Boeckl, Otto Kapfinger und Adolph Stiller, machte eine Tür in die Vergangenheit auf, die jahrzehntelang sorgfältig verschlossen gewesen war.

Man hatte sich gemeinsam mit Historikern und anderen Spezialisten auf die „österreichischen Spuren in der modernen amerikanischen Architektur“ begeben, hatte jahrelang in Archiven gewühlt, letzte Zeitzeugen aufgestöbert und eine dicke Decke meist übel riechenden historischen Staubes abgetragen.

Was zutage kam, „war eine Menge Vergangenheit, die da die große Flucht in die Zukunft unternahm“, schrieb Adolf K. Placzek in der Vorrede, „aber auch eine Menge Zukunft, die da ihre Vergangenheit rettete; und eine Menge, die verloren gehen musste, aber wenigstens dem Gedenken nach wiederaufgerufen wurde“.

Wie viele der - zumindest - 5000 Künstler und „Kreativen“, die nach 1938 das Land verließen, Architekten waren, bleibt im Dunklen. Die meisten Spuren haben sich verloren und wurden zu einer Zeit, als man sie noch hätte aufspüren können, von der Zweiten Republik geflissentlich übergangen, um nicht zu sagen übertrampelt.

Das offizielle Österreich schenkte nur ganz wenigen der vertriebenen Architekten nach 1945 flüchtige Momente der Beachtung. Im Gegenteil: Karl Renner hatte schriftlich klargemacht, dass das „massenhafte plötzliche Zurückfluten der Vertriebenen zu verhüten“ sei.

Engstirnige Provinzialität auch in den Nachfolgegenerationen: Die Wiener Architektenkammer etwa entblödete sich im Jahr 1970 nicht, den 1938 nach New York geflüchteten Victor Gruen nach dessen Rückkehr nach Wien vor das Handelsgericht zu zitieren. Man warf ihm, der in den USA ein Planungsbüro von 300 Mitarbeitern etabliert und sich buchstäblich Weltruhm erbaut hatte, vor, die Bezeichnung „Architekt“ zu Unrecht zu führen.

Victor Gruen, den wir hier als den wohl erfolgreichsten Architekten im Exil unter vielen anderen herauspicken, war ein 165 Zentimeter kleiner, dialektisch wie fachlich mit allen Wassern gewaschener Koloss. Er zog es vor, sich auf sich selbst und nicht auf Anwälte zu verlassen, erschien persönlich vor den Wiener Richtern und entschied die Causa letztlich nonchalant für sich. Das Goldene Verdienstzeichen der Republik bekam er 1980, zwei Jahre vor seinem Tod, und zwar für sein „Amerika und Europa verbindendes Lebenswerk“.

Gruen steht exemplarisch für jene, die dem tödlichen Naziregime in der Blüte ihrer Schaffenskraft entgingen und auch die nötige Jugend und Zähigkeit besaßen, andernorts die Trümmer ihrer ersten Existenz zum Fundament einer neuen Karriere zu machen. Älteren, womöglich etablierteren Kollegen wie Josef Frank, Oskar Wlach und Walter Sobotka gelang dieser Neubeginn nur begrenzt.

Doch zurück zu Gruen: Noch im März 38 hatte er seinem Freund Jura Soyfer seine Skiausrüstung vermacht und ihn zum Wiener Westbahnhof gebracht, er selbst verließ das Land im Mai und nahm lediglich Bücher und die wichtigsten Dokumentationen seiner Architekturprojekte mit auf den Weg.

Letztere stellten die Basis für eine zweite Karriere dar, die ihn rasch zu einem der wichtigsten Planer der USA werden ließ. Gruen geht in die Architekturgeschichte nicht nur als Erfinder des Einkaufszentrums ein. Seine Arbeiten und seine brillant zu Papier gebrachten Theorien veranschaulichen die Kraft, die durch Verschmelzungsprozesse verschiedener sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Sichtweisen entsteht und die nur in Menschen zu Hause sein kann, die jene freiwerdenden Energien, die sich durch Gefälle von Unterschiedlichkeiten ergeben, intelligent in ganz Neuem aufzufangen verstehen.

Wie viele andere auch fand Gruen erst einmal in ebenfalls Emigrierten seine Auftraggeber in der Neuen Welt. Im Gegensatz zu Wlach, Sobotka, Felix Augenfeld und Hans Adolf Vetter gelang es ihm allerdings, diese Kreise rasch auszuweiten. Er wurde zum wichtigsten Städteplaner der USA, erfand die Shoppingmall (erstmals ausgeführt mit dem Northland Shopping Center, 1954), exportierte sein Können nach Asien und Europa und lieferte, 1967 nach Österreich zurückgekehrt, das bis heute innovativste Konzept zur „Revitalisierung der Wiener City“, das allerdings nur in Bruchteilen realisiert wurde. Dass Graben und Kärntner Straße heute Fußgängerzonen sind, ist jedenfalls seinem Konzept zu verdanken.

Obwohl Gruens Klientel der großen Handelsunternehmen gewissermaßen Speerspitzen des Kapitalismus darstellten, verlor er selbst nie soziale Anliegen aus den Augen. „Die Aufgaben und Probleme, denen der Architekt heute gegenübersteht, sind größer und bedeutender als je zuvor“, schrieb er 1971. „Um sie zu erfüllen, muss er erkennen, dass er es mit einem neuen Klienten zu tun hat - mit der menschlichen Gesellschaft.“

34 Jahre später liest sich erstaunlich aktuell, was er noch zu verkünden hatte: "Wenn sich eine Berufsgruppe vom zeitgenössischen Leben isoliert, so finden sich bald andere, welche die frei gewordene Lücke füllen. Genau das geschieht auf dem Gebiet der Gestaltung unserer vom Menschen geschaffenen Umwelt.

Diese Aufgabe wird nicht mehr vom Architekten wahrgenommen, sondern von Ingenieuren, von Verkehrsspezialisten, von Spekulanten, Verwaltungsberatern, Wirtschaftsfachleuten und anderen Experten, die durchwegs Scheuklappen gegen die Wissensgebiete anderer tragen. Das Ergebnis dieser zahllosen, aber unkoordinierten Bemühungen ist katastrophal. Der Architekt wird in zunehmendem Maße ausschließlich als Berater herangezogen, als „Spezialist“ für Innen- und Außendekoration."

Gruen, wie gesagt, war nur einer von vielen, die ihre Spuren in der internationalen Architekturgeschichte zogen und die zum Teil in der Publikation Visionäre & Vertriebene. Österreichische Spuren in der modernen amerikanischen Architektur (Verlag Ernst & Sohn, Berlin) so gründlich nachverfolgt wurden. Bedauerlicherweise ist das Buch längst vergriffen, eine Neuauflage ist nicht in Sicht.

Herausgeber Matthias Boeckl würde, so es Forschungsgelder dafür gäbe, eine Vertiefung und Ausweitung des Themas sofort in Angriff nehmen: Welche Spuren hinterließen Leute wie Walter Loos in Argentinien, Harry Seidler in Australien, Josef Frank in Schweden, Margarethe Schütte-Lihotzky in der Sowjetunion, Clemens Holzmeister in der Türkei? Wieder wurden hier ungerechterweise nur die Prominentesten genannt.

Jubiläen gibt es also sonder Zahl, wenn man sie schon nicht feiert, so sollte man ihrer doch wenigstens gründlich gedenken.

Der Standard, Sa., 2005.03.19

19. März 2005Ute Woltron
Der Standard

Menschenräume

„Architektur ist ein Gestaltungsprozess des sozialen Lebens der Gesellschaft. Architektur ist keine Affekthandlung eines Künstler-Architekten. Bauen ist...

„Architektur ist ein Gestaltungsprozess des sozialen Lebens der Gesellschaft. Architektur ist keine Affekthandlung eines Künstler-Architekten. Bauen ist...

„Architektur ist ein Gestaltungsprozess des sozialen Lebens der Gesellschaft. Architektur ist keine Affekthandlung eines Künstler-Architekten. Bauen ist eine kollektive Handlung. . .“ Ottokar Uhl, 1931 in Kärnten geboren, ist einer jener österreichischen Architekten, denen medial nicht wirklich jene Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die ihre Leistungen verdient hätten. Seine Kirchenbauten etwa wurden heimische Architekturgeschichte, vor allem aber seine Menschen zusammenbringenden Aktivitäten im Bereich des partizipatorischen Wohnbaus, begonnen in den 70er-Jahren, haben bis heute Vorbildwirkung für eine Architektengeneration, die sich - zumindest in Teilen - wieder verstärkt dieser Thematik widmen will. Uhls Gesamtwerk wurde vom Architekturzentrum Wien archivarisch aufgearbeitet, jetzt ist es in einer Ausstellung zu studieren, die noch bis 13. Juni im Az W läuft.

Parallel dazu erscheint die Monografie Ottokar Uhl, herausgegeben vom Az W im Verlag Anton Pustet

Der Standard, Sa., 2005.03.19

12. Februar 2005Ute Woltron
Der Standard

Schnittiger Bolide in Beton

Die Wiener Architekten Roman Delugan und Elke Meissl gewannen das Rennen um das Porsche Museum.

Die Wiener Architekten Roman Delugan und Elke Meissl gewannen das Rennen um das Porsche Museum.

Roman Delugan und Elke Meissl gehören zu jenen unter den „jungen Architekten“, die von der älteren Garde besonders eifersüchtig beäugt werden. Seit elf Jahren entwerfen die Wiener ein formidables Projekt nach dem anderen, quasi nebenbei zeichnen sie Wettbewerbe am Laufband, und ihr internationaler Ruf ist mittlerweile auch nicht mehr ohne.

Das „Hackeln wie die Berserker“, wie es Elke Meissl mit energisch-oberösterreichischem Frohmut ausdrückt, hat sich gerade aufs Lieblichste bezahlt gemacht: Innerhalb von 24 Stunden entschieden Delugan Meissl vergangenen Freitag zwei Wettbewerbe für sich. In Wien gewannen sie das geladene Verfahren für einen Fachhochschul-Campus im 10. Bezirk für 3000 Studenten. Der wichtigere Anruf besagten Tages enthielt ebenfalls Gratulationsbotschaften, er kam aus Deutschland, genauer aus Zuffenhausen bei Stuttgart.

Dort residiert die Dr.Ing.h.c.Porsche AG, die für den Bau der feschesten unter den für Normalsterbliche unerschwinglichen Boliden bekannt ist, und die sich für die traditionsreiche Geschichte dieser Prachtautos ein Museum wünscht. Der Weg dorthin führte über ein Bewerbungsverfahren, an dem 170 europäische Büros teilnahmen. Beachtenswert dabei: Die Auslober suchten sich jene zehn Architekten, die schließlich Entwürfe aufbereiten sollten, ausschließlich nach nach der Qualität der bis dato vorgelegten Architekturen aus - und nicht, wie hier zu Lande derzeit hoch in Mode, nach Umsatzzahlen, Mitarbeiternummern und anderen bürokratischen Widersinnigkeiten.

Und: In der Jury dominierten zahlenmäßig Fachpreisrichter, also Architekten, was ebenfalls Rückschlüsse auf eine intelligente Weitsicht des Auftraggebers zulässt. Ganz offenbar handelt es sich im Falle Porsches um ein Unternehmen, das die fachliche Kompetenz anderer anerkennt - auch das eine in den hiesigen Gegenden schmerzlich vermisste Tugend, denn das Fachwissen von Architekten darf, im Gegensatz etwa zu ärztlichem und juristischem Know-how, stets und ständig auch von den Unbedarftesten fröhlich angezweifelt werden.

Der Porsche-Gottoberste Wendelin Wiedeking saß jedenfalls auch in der Jury. Er zeigte sich sehr angetan vom Entwurf der Österreicher: „Dieses Konzept ist innovativ, modern und herausfordernd. Sicher wird es auch provozieren, aber auch das war ja eines der Ziele. Mit diesem Neubau werden wir an unserem Stammwerk in Zuffenhausen ein architektonisches Highlight setzen, das weit über die Grenzen von Stuttgart hinaus strahlen wird.“

Das Projekt ist, wenn man so sagen kann, typisch Delugan Meissl: Ein gekonnt „zurechtgekneteter“ Baukörper mit überzeugendem Innenleben. Von außen betrachtet wirkt der Entwurf monolithisch, klar geschnitten und skulptural, er hat trotzdem etwas von der Dynamik des 911ers, braucht dazu aber keine Rundlichkeiten, hält sich also eher an die kantig-harten 70er-Jahre-Modelle als an die neueren Boxer-Versionen. Schnittige Rasanz entfaltet das Haus in seinem Inneren. Eine verzerrte Spirale wickelt sich mit Rampen und Treppen um eine „Arena“. Die Architekten haben hier gewissermaßen die Straße in das Museum hineingeleitet, sie entwickelt sich zu weiten Boulevards, gießt sich in Piazze und bereitet dort den Boliden die rechten Ausstellungs- und Themenplätzchen auf.

Gezeigt wird die Geschichte des Unternehmens, geteilt in die Epochen vor und nach 1948, also in die Zeit Ferdinand Porsches und die Dekaden seiner Nachfolger. Im Brennpunkt der Schau stehen natürlich die Autos. Damit die bunt glänzenden Oldtimer und die wild beklebten Haudegen historischer Rennen so recht zur Geltung kommen, nimmt sich der Innenausbau des Museums betont zurück und wird in ruhigen, unaufgeregten Materialien und Farbtönen erfolgen. Im Auge dieses Rampen-und Spiralen-Zyklons befindet sich mit der „Arena“ eine prominente Räumlichkeit für Events aller Art, etwa für die Präsentation neuer Porsche-Modelle.

Das Museum verfügt des Weiteren über Mehrzwecksäle, Konferenz- und Verwaltungsräume sowie Shop, Gastronomie und ein befahrbares Dach. Die Bewegung dominiert die Architektur, und diese nimmt geschickt Rücksicht auf die langsamere Gangart des Menschen, setzt aber auch über die Straßenhaftigkeit der Rampen die Vielgängigkeit der Exponate, also der Autos, rasant in Szene.

In speediger Manier auch das weitere Procedere: Das Projekt wird noch heuer in Bau gehen, 2007 wird eröffnet, die Porsche-Bosse erwarten „deutlich über 200.000“ Museumsbesucher pro Jahr. Kosten wird diese Skulptur aus Stahlbeton rund 50 Millionen Euro.

Delugan und Meissl haben also demnächst einiges zu tun, sie wollen ihre Bürostruktur mit insgesamt zehn Leuten dennoch schmal, übersichtlich, familiär halten. Vor Kurzem erst wurden Dietmar Feistel, Martin Josst und Christopher Schweiger zu Büropartnern, weil die, so Meissl, sowieso „einen irren Input liefern und das von den Schwingungen her im Büro sehr gut funktioniert“. Andere Architekten warten mit Schritten wie diesen bis 20 Jahre nach dem eigenen Pensionseintrittsalter.

Die junge österreichische Architektengarde zieht also recht kräftig an, ergänzend sei erwähnt, dass erst im Vorjahr die Kollegen von „Querkraft“ einen nicht minder aufregenden Wettbewerbsgewinn für den deutschen Sportartikler Adidas heimholten, über den allerdings bedauerlicherweise noch keine detaillierteren Auskünfte erteilt werden dürfen. Und die fröhliche Truppe „Alles wird gut“ gewann ebenfalls vor wenigen Tagen einen landschaftsplanerischen Wettbewerb in Luxemburg auf dem 11.000-Quadratmeter-Areal eines ehemaligen Stahlwerks gegen kräftige internationale Konkurrenz. Alle diese Architekten und Architektinnen haben etwas gemeinsam: Sie sind jung, sie sind gut, sie werden diese Projekte in Absprache mit ihren Auftraggebern vorzüglich umsetzen - und sie hätten bei heimischen Bewerbungsverfahren à la Ronacher keine Chance, weil sie im Gegensatz zu Ältergedienten die „Mindestanforderungen“ nicht erfüllen. Na ja, bauen sie halt anderswo.

Der Standard, Sa., 2005.02.12

29. Januar 2005Ute Woltron
Der Standard

Vergabe bitte!

Der Wettbewerb um das Ronacher macht klar, dass die Architekten nicht dazu bereit sind, sich alles gefallen zu lassen. Der Erfolg gibt ihnen Recht - und Planungsstadtrat Schicker auch.

Der Wettbewerb um das Ronacher macht klar, dass die Architekten nicht dazu bereit sind, sich alles gefallen zu lassen. Der Erfolg gibt ihnen Recht - und Planungsstadtrat Schicker auch.

Vor ein paar Jahren gab es in Wien einen Architekturwettbewerb, bei dem so ziemlich alles schief ging, was schief gehen konnte. Die Architekten protestierten gegen das Verfahren, DER STANDARD berichtete - und die Wiener Stadtplaner und -entwickler reagierten.

Knapp ein Jahr nach diesem wahrscheinlich in die Geschichte eingegangenen Verfahren „Katharinengasse“ legten sie mit den „Grundlagen für die Durchführung von Wettbewerben auf dem Gebiet der Architektur und des Städtebaus“ (siehe www.wien.gv.at/stadtentwicklung/ wettbewerbe/index.htm) ein ansprechendes und durchaus ehrgeiziges Werk vor, das neben der gerechten und sinnvollen Vergabe von Architekturleistungen vor allem eines zum Ziel hat: Qualität und Baukultur zu unterstützen und zu fördern.

Planungsstadtrat Rudolf Schicker schrieb im Vorwort sein Bekenntnis zu diesen städteplanerischen Tugenden nieder und verkündete gleichzeitig: „Der Diskussionsprozess ist damit nicht zu Ende.“ Er behielt Recht.

Jetzt erregt ein weiteres Verfahren rund um den Umbau des Wiener Ronacher neuerlich den Unmut der Architektenschaft - und nicht nur ihren: Auch der Planungsstadtrat fand ungewöhnlich scharfe, nachgerade bissige Worte gegen den Wettbewerb, der von den Vereinigten Bühnen Wien zum Zwecke der Funktionssanierung des Musical- und Theaterhauses in der Wiener Innenstadt im Dezember ausgelobt worden war (DER STANDARD berichtete).

Er antwortete damit auf einen offenen Brief der ig architektur, in dem die Vorgangsweise der Vereinigten Bühnen heftig kritisiert worden war und meinte etwa: „Auch wir teilen die Meinung der ig architektur, dass das Verfahren einige wesentliche Mängel aufweist, die offensichtlich auf eine nicht zufrieden stellende Abwicklung des Wettbewerbs durch das damit beauftragte Büro zurückzuführen sind.“ Und: Die Stadt Wien habe sich mit der Entwicklung ihres Wettbewerbsleitfadens dazu verpflichtet, die Wettbewerbskultur in Wien zu verbessern „und vor allem die Zielsetzungen Transparenz, fairer Umgang mit Partnern, Sicherstellung der Planungsqualität bei gleichzeitiger Beachtung der Wirtschaftlichkeit in der Lösungsfindung weiterzuverfolgen“.

Das ist ein gutes Zeichen. Die Stadtplanung will sich ihre eigenen Regeln ganz offenbar nicht verwässern lassen, auch wenn sie nicht in ihrem direkten Eingriffsbereich zum Tragen kommen. Das ist das eine. Zum anderen steht das Ronacher-Verfahren exemplarisch für einen Trend, der sich unheilvoll nicht nur in Wien breitzumachen beginnt: Immer öfter geht dem eigentlichen kreativen Entwurfsprozess, dem sich Architekten und Architektinnen großteils unbezahlt im gegenseitigen Wettbewerb stellen, weil das nun einmal zu ihrem Geschäft gehört, ein so genanntes Auswahlverfahren voran. So auch im Falle des Ronacher.

Das bedeutet, der Auslober (Bauherr) lässt überhaupt nur eine ganz bestimmte Architektenklientel zu seinem Verfahren zu, und zwar diejenigen, die über große, umsatzstarke Bürostrukturen verfügen und auch die entsprechenden Referenzprojekte vorlegen können. Die Ronacher-Bewerber sollten etwa einen Mindestumsatz von zwei Millionen Euro nachweisen, was angesichts der kleinteiligen Bürostruktur der heimischen Architekten grotesk ist. Aufgrund des Protestes wurde das Umsatz-Soll wenigstens halbiert, was jedoch nur als Etappensieg gewertet werden kann.

Bösartig formuliert könnte man sagen, die üblichen Verdächtigen werden hier bevorzugt zu Verfahren eingeladen. Die ig architekten ortete in ihrem Schreiben sogar ein Protegieren „einiger weniger Großbüros unter dem Deckmantel der Qualitätssicherung“. Auch die Architektenkammer äußerte sich ablehnend.

Dass dieses so genannte „Steckdosenzählen“ in den Büros nicht unbedingt Sinn macht, beweisen die Resultate vieler Wettbewerbe, die auch ohne vorangestelltes Auswahlverfahren vorzügliche Resultate erbracht haben. Oder vielleicht sogar eben deshalb: Denn das Kreativpotenzial der jüngeren Architektenschaft Österreichs ist enorm. Warum sollte es also von vornherein ausgeschlossen werden? Was zählt, ist das Resultat, und das zu beurteilen obliegt immer noch einer (hoffentlich) fachlich und sachlich starken, energischen Jury, die das Verfahren auch im Nachhinein nicht aus den wachen Augen verliert. Ob das Siegerprojekt aus den Zeichenfedern der Renommierten oder der Noch-Unbekannten stammt, sollte eigentlich ohne Belang sein.

Planungsstadtrat Schicker hat sich zu genau diesem jungen Kreativpool immer wieder bekannt: Mit den erwähnten Grundlagen für Wettbewerbe, so meinte er, „soll auch für junge, kreative PlanerInnen der Zugang zu Planungsaufgaben erleichtert werden“.

Der Protest der Architekten hat das Ronacher-Verfahren zwar nicht in einen Idealzustand katapultiert, er hat aber demonstriert, dass eine kleine Gruppe Engagierter durchaus Bewegung erzeugen kann. Die Diskussion geht tatsächlich weiter. Die nächsten Themen, denen sich Planer, Auslober, Politiker in fruchtbarem Diskurs werden stellen müssen, sind die dräuenden Totalunternehmer- und Totalübernehmerverfahren, die Planung und Ausführung in einer Hand vorsehen.

Diese in Europa derzeit in Mode kommende Verfahrensart wird nicht nur von den Architekten äußerst kritisch beäugt. Auch Vergabespezialisten wie der Rechtsprofessor Josef Aicher meinen, gerade öffentliche Auftraggeber müssten höllisch aufpassen, wollten sie geistig-schöpferische und „ganz andere Leistungen“ im Kollektiv vergeben.

Damit die besagte Debatte weitergeht, werden am 14. 2. ab 19 Uhr im Wiesner-Hager Forum (Gonzagagasse 15, 1010 Wien) auf Einladung der ig architektur unter anderen Aicher, Schicker, Ronacher-Ausschreiber Hans Lechner, Kammervertreter Peter Podsedensek und Christian Aulinger von der ig über „Wettbewerbe und Vergabekultur“ diskutieren. Vergabe bitte, aber im Sinne der Architektur und nicht unter Bevorzugung Auserwählter.

Der Standard, Sa., 2005.01.29

28. Januar 2005Ute Woltron
Der Standard

Philip Johnson 1906 - 2005

Philip Johnson war eine der bösartigsten, faszinierendsten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Weltarchitektur. Ein Nachfolger für den Architekten und Ausstellungsmacher, der am Dienstag 98-jährig in New Canaan starb, ist nicht in Sicht.

Philip Johnson war eine der bösartigsten, faszinierendsten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Weltarchitektur. Ein Nachfolger für den Architekten und Ausstellungsmacher, der am Dienstag 98-jährig in New Canaan starb, ist nicht in Sicht.

New Canaan - Eigentlich sah der kleine, dürre Mann aus, als könne er kein Wässerchen trüben, als sei er der gute, betagte Onkel von nebenan. Kuchen und Kaffee und Rosenzucht und so. Doch Philip Johnson war der Leibhaftige - das wandelnde Böse für die einen, Gottvater für die anderen. Jedenfalls ein Scharfrichter seiner Zunft, und die hieß 98 Jahre lang Architektur.

Wie jetzt bekannt wurde, starb Johnson vergangenen Dienstag in seinem Glass House in New Canaan, Connecticut. Mit ihm starb nicht nur eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Weltarchitektur, sondern auch ein Ein-Mann-System, das über viele Jahrzehnte hinweg und über die verschlungenen Kanäle der Macht, der Kultur, der Politik meinungsbildend, vernichtend und fördernd gewirkt hatte.

Förderer, Vernichter

Der Einfluss des 1906 in Cleveland, Ohio, als Sohn sehr reicher Eltern Geborenen ist Legende. Sein Wort konnte bis zuletzt über Millionenprojekte entscheiden, seine eigenen Architekturen stießen in ihrer Unterschiedlichkeit immer wieder die Vertreter der reineren Lehre vor den Kopf; seine Ausstellungen im New Yorker Museum of Modern Art rückten wiederholt diverse noch unbekannte Architekturströmungen ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit.

Johnson protegierte denjenigen, der ihm gefiel. Und wen er dann protegierte - aus dem wurde ein Star. Er entdeckte und förderte etwa Leute wie Gehry, Eisenman, Libeskind, Hadid und - sehr lange ist es her! - Ludwig Mies van der Rohe.

Seine berühmteste Königsmacher-Ausstellung datiert zurück auf 1932, als er gemeinsam mit Henry-Russell Hitchcock die europäische Architekturavantgarde zum gemeinsamen Auftritt nach New York holte. Der Titel der dazugehörigen Publikation gab einer ganzen Architekturgeneration ihren Namen: „The International Style“. Ein halbes Jahrhundert später verkündete er an gleicher Stelle das Zeitalter des Dekonstruktivismus und machte damit auch Leute wie Coop Himmelb(l)au der Weltöffentlichkeit bekannt.

Wolf Prix sagt über ihn: „Er konnte mit seinen zynischen Bemerkungen Menschen vernichten, und wer sich vor ihm fürchtete, der starb vor Angst.“ Als Prix in Manhatten vergebens nach einem Taxi Ausschau hielt, riss dem ebenfalls wartenden Johnson die Geduld. Er sprang, damals etwa 95, mitten auf die Fahrbahn, nötigte einen Cabdriver zum Stehenbleiben, drehte sich um und sagte: „So geht das!“

Jungs in Leder

Ebenso resolut stellte er sich 1940 der dunkleren Seite seiner Karriere, als er sich öffentlich von nationalsozialistischem Gedankengut distanzierte, dem er in den 30er-Jahren durchaus wohl wollend gegenüber gestanden war. Noch später bekannte er freizügig, als Homosexueller von den „deutschen Jungs in schwarzem Leder“ einfach fasziniert gewesen zu sein.

Erst im Alter von 34 Jahren begann Johnson sein Architekturstudium, als Diplomarbeit reichte er kurzerhand ein Stadtpalais ein, das er für sich selbst gebaut hatte. Seine berühmteste Arbeit entstand 1949 mit dem Glass House in New Canaan, das eindeutig Bezug auf Mies van der Rohes Farnsworth House Bezug nimmt. Als Mies dort zu Besuch weilte, weigerte er sich allerdings, die Nacht „in einer derart unehrlichen Konstruktion“ zu verbringen und wanderte in das Gästehaus aus.

Johnsons Architektur war, im Gegensatz zu den von ihm geförderten Stilen und Ismen, nie originär und trotzdem am Pulsschlag der jeweiligen Zeit. Er wechselte seine Ausdrucksformen wie ein Chamäleon die Farbe, war erst dem Rationalismus verpflichtet, um später etwa mit dem New Yorker AT&T-Building im gotisch-klassizistischen Stilmix eine Ikone der Postmoderne zu errichten und den Pritzker-Preis heimzuholen.

Zuletzt baute er ein wüst dekonstruktivistisches Torhaus, weil ihn plötzlich die düsteren Kunstwelten eines Hermann Finsterlin zu faszinieren begonnen hatten. In dieser Tradition entstand auch Johnsons Architekturskulptur „Wiener Trio“, die 1997 im MAK zu sehen war und heute in der Nähe des Wiener Ringturms einen öffentlichen Punkt markiert. Damals sagte Johnson zum STANDARD: „Wir steuern auf eine großartige Periode in der Geschichte der Architektur zu. Das 21. Jahrhundert wird die spannendste Epoche seit der Renaissance bringen.“

Der Standard, Fr., 2005.01.28



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Johnson Philip

15. Januar 2005Ute Woltron
Der Standard

Babylonisches Manhattan

Für Wissenschafter sind Filme wie „Alexander“ schlicht Frechheiten, die Filmarchitekturen bleiben Fantasygebilde

Für Wissenschafter sind Filme wie „Alexander“ schlicht Frechheiten, die Filmarchitekturen bleiben Fantasygebilde

Wenigstens an einer historischen Tatsache besteht kein Zweifel: Das Zwischenstromland, also ein Teil des heutigen Irak, ist das, was Historiker die „Wiege der Zivilisation“ nennen. In den flachen, fruchtbaren Ebenen zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris wuchsen vor rund 6000 Jahren die ersten Siedlungen zu Stadtgröße heran. Babylon war nur eine von ihnen - und wie diese legendäre Metropole des Neolithikums sicher nicht ausgesehen hat, dürfen wir seit Ende vergangenen Jahres opulent aufbereitet im Kino betrachten.

Oliver Stones Dreistundenlangeweiler Alexander projiziert ein orientalisches Phantasyland auf die Leinwände, das Archäologen und Historiker je nach Temperament in Entsetzen oder Heiterkeit stürzt. Stones Set-Architekten und Computer-Malermeister haben volle Arbeit geleistet, sie haben tief in die Mottenkiste aller Mythen und Märchen gegriffen und sie haben sich offensichtlich in keiner Weise der Mühe unterzogen, dem historisch Verbürgten zu optischer Präsenz zu verhelfen.

Der Archäologe Fritz Krinzinger konstatiert: „Dieser Film ist streckenweise schlicht eine Frechheit.“

Den Einstieg in das Geschehen unternimmt ein sinnend über eine Terrassenlandschaft Alexandrias wandelnder Ptolemäus, der den Rahmen zur Handlung gibt, indem er sich ein paar Jahrzehnte nach Alexanders Tod (323 v. Chr.) an seinen einstigen Feldherren zurückerinnert. Dass er als nunmehr ägyptischer Pharaonenkönig einen griechischen Chiton trägt, mag verschmerzbar sein. Doch der architektonische Rahmen dieser Szenerie ist tatsächlich an Lächerlichkeit kaum zu überbieten.

Zwischen adrianischen Bogenarchitekturen, wie sie erst das zweite nachchristliche Jahrhundert Roms hervorgebracht hat, stehen dekorative, gülden gepinselte Pappmacheeskulpturen herum. Sie scheinen - wie dazumal die extraterrestrischen Papiersteinkulissen in Star Trek - sanft zu schwanken, wenn Ptolemäus sie philosophierend passiert. Und in seinen Privatgemächern hängen Gemälde an den Wänden wie in einem Pariser Künstleratelier des ausklingenden 19. Jahrhunderts.

Die Erinnerungen des Diadochenkönigs mäandern sodann durch die diversen historischen Stätten des alexandrinischen Geschehens. Da wäre zum Beispiel die Stadt Pella, der Geburtsort Alexanders in Makedonien. Hier nimmt die Kinoarchitektur Elemente der minoischen Kultur auf, die sich nach unten verjüngenden Stützen zum Beispiel, was laut Krinzinger „natürlich auch nicht stimmt, aber bitte“.

Was allerdings wirklich schmerzt, ist die cineastische Misshandlung der berühmten Kieselmosaike Pellas, die sich plötzlich als gefällige Wandornamente wiederfinden: Die Dekorationswut der Setdesigner transportierte die aus runden Kieseln kunstvoll „gemalten“ Bodenbilder kurzerhand an die Wände des Palastes, in dem Alexander die Demütigungen durch seinen Vaters Philipp zu erdulden hat. Während die Kinobesucher in der Opulenz der Szenerie schwelgen mögen, entdeckt das geschulte Auge des Historikers noch so manches unpassende Detail. Warum, so fragt sich Krinzinger beispielsweise, muss Alexanders Übermutter Olympias, von deren stets und ständig herausfordernd geschürzten Lippen wir hier absehen wollen, „tarentinischen Schmuck tragen, den es damals noch gar nicht gab?“

Einer der optischen Höhepunkte des Streifens ist natürlich der Einzug Alexanders in das soeben eroberte Babylon. Dass die bereits von Alexanders Vater erfundene Kriegsmaschinerie, vor allem die Phalanx, die Niederlage des Dareius bei Gaugamela bewirkte, bleibt ausgeklammert, weil körperdurchdringende Speere und spritzende Blutfontänen eben besser auf der Leinwand kommen. „Die raufen wie am Kirtag“, sagt Krinzinger, doch egal, es folgt der Einzug der Eroberer in die Stadt der Städte:

Ein bläulich-nebeliges Manhattan Mesopotamiens erhebt sich hier vor dem Auge des Betrachters. Kraniche umflattern den Turm zu Babel wie Bergdohlen, darunter fehlen nicht die hängenden Gärten der Semiramis, von denen heute keiner mehr sagen kann, wie sie wirklich ausgesehen haben. Krinzinger meint: „So jedenfalls sicher nicht.“ Was aller Wahrscheinlichkeit eine terrassierte Anlage in Flussnähe war, wird hier zu einer Orgie von Blumentöpfen, an den Wänden aufgehängt.

Die Archäologieprofessorin und Mesopotamien-Spezialistin Helga Trenkwalder, die seit mehr als 30 Jahren im Irak Ausgrabungen leitet, fasst ihre Meinung zu Historienfilmen wie Alexander kurz und bündig zusammen: „Ich habe es satt. Diese Filme sind meistens komplett daneben, und das ärgert uns, weil man die Architektur und die Ausstattung auch auf seriöse Art interessant gestalten könnte.“ Krinzinger pflichtet ihr bei. So habe etwa der ebenfalls im Vorjahr angelaufene Film Troja zumindest auf die neuesten digitalen Architektur-und Stadtrekonstruktionen der Wissenschaft zurückgegriffen. Der Archäologe hat - auch in seinen Vorlesungen - immer wieder Historienfilme aus diversen Epochen analysiert und kommt zu dem Schluss, dass Regisseure und Filmarchitekten in den 60er-Jahren wesentlich sorgfältiger mit der Geschichte umgegangen sind. Er ortet im Historienkino einen „Verfall der Sitten sondergleichen“.

Der Chef des Wiener Filmmuseums, Alexander Horwath, sieht die Angelegenheit gelassener: „Wenn man wollte, könnte man sicher auch im Film ein korrektes, dem Stand der Wissenschaft entsprechendes Bild zeichnen, doch es ist nicht der Mangel an Fähigkeit, dass das nicht geschieht, sondern eine bewusste Entscheidung, die letztlich viel über Hollywood erzählt.“ Filme wie Alexander wollten im Dienste der leichten Konsumierbarkeit ganz einfach gängigen Klischees und Mythen entsprechen. „Es geht hier um alternative, eskapistische, zusammengeträumte Welten, um die Vermengung von Fantasiebildern.“ Das Antik-Kino habe sich zu einem Hybridgenre aus Antik-Action-Fantasy entwickelt.

Doch - ist nicht letztlich die Geschichte der Geschichtsschreibung ebenfalls als ein Amalgam aus Fantasy, Fiction bis hin zum Fanatismus zu betrachten? Sie bleibt jedenfalls ein Mosaik aus Überlieferungen, Fundstücken und natürlich auch Mythen, die sich jede Zeit neu aufbereitet und wieder neu schreibt.

Filme wie Alexander sind da nur ein kleines Steinchen im großen Bild der kollektiven Wahrnehmung. Doch populär-unwissenschaftliche Kinobilder wie diese bleiben im Hirn irgendwie hängen. „Es gibt keine Königsregeln“, schrieb Egon Friedell 1938 in seiner Kulturgeschichte Griechenlands im Kapitel über Alexander den Großen, „sondern nur Könige, die Regeln geben.“ Auch das scheint eine historisch verbürgte Wahrheit zu sein - bis heute. []
architektur@derStandard.at

Wenigstens an einer historischen Tatsache besteht kein Zweifel: Das Zwischenstromland, also ein Teil des heutigen Irak, ist das, was Historiker die „Wiege der Zivilisation“ nennen. In den flachen, fruchtbaren Ebenen zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris wuchsen vor rund 6000 Jahren die ersten Siedlungen zu Stadtgröße heran. Babylon war nur eine von ihnen - und wie diese legendäre Metropole des Neolithikums sicher nicht ausgesehen hat, dürfen wir seit Ende vergangenen Jahres opulent aufbereitet im Kino betrachten.

Oliver Stones Dreistundenlangeweiler Alexander projiziert ein orientalisches Phantasyland auf die Leinwände, das Archäologen und Historiker je nach Temperament in Entsetzen oder Heiterkeit stürzt. Stones Set-Architekten und Computer-Malermeister haben volle Arbeit geleistet, sie haben tief in die Mottenkiste aller Mythen und Märchen gegriffen und sie haben sich offensichtlich in keiner Weise der Mühe unterzogen, dem historisch Verbürgten zu optischer Präsenz zu verhelfen.

Der Archäologe Fritz Krinzinger konstatiert: „Dieser Film ist streckenweise schlicht eine Frechheit.“

Den Einstieg in das Geschehen unternimmt ein sinnend über eine Terrassenlandschaft Alexandrias wandelnder Ptolemäus, der den Rahmen zur Handlung gibt, indem er sich ein paar Jahrzehnte nach Alexanders Tod (323 v. Chr.) an seinen einstigen Feldherren zurückerinnert. Dass er als nunmehr ägyptischer Pharaonenkönig einen griechischen Chiton trägt, mag verschmerzbar sein. Doch der architektonische Rahmen dieser Szenerie ist tatsächlich an Lächerlichkeit kaum zu überbieten.

Zwischen adrianischen Bogenarchitekturen, wie sie erst das zweite nachchristliche Jahrhundert Roms hervorgebracht hat, stehen dekorative, gülden gepinselte Pappmacheeskulpturen herum. Sie scheinen - wie dazumal die extraterrestrischen Papiersteinkulissen in Star Trek - sanft zu schwanken, wenn Ptolemäus sie philosophierend passiert. Und in seinen Privatgemächern hängen Gemälde an den Wänden wie in einem Pariser Künstleratelier des ausklingenden 19. Jahrhunderts.

Die Erinnerungen des Diadochenkönigs mäandern sodann durch die diversen historischen Stätten des alexandrinischen Geschehens. Da wäre zum Beispiel die Stadt Pella, der Geburtsort Alexanders in Makedonien. Hier nimmt die Kinoarchitektur Elemente der minoischen Kultur auf, die sich nach unten verjüngenden Stützen zum Beispiel, was laut Krinzinger „natürlich auch nicht stimmt, aber bitte“.

Was allerdings wirklich schmerzt, ist die cineastische Misshandlung der berühmten Kieselmosaike Pellas, die sich plötzlich als gefällige Wandornamente wiederfinden: Die Dekorationswut der Setdesigner transportierte die aus runden Kieseln kunstvoll „gemalten“ Bodenbilder kurzerhand an die Wände des Palastes, in dem Alexander die Demütigungen durch seinen Vaters Philipp zu erdulden hat. Während die Kinobesucher in der Opulenz der Szenerie schwelgen mögen, entdeckt das geschulte Auge des Historikers noch so manches unpassende Detail. Warum, so fragt sich Krinzinger beispielsweise, muss Alexanders Übermutter Olympias, von deren stets und ständig herausfordernd geschürzten Lippen wir hier absehen wollen, „tarentinischen Schmuck tragen, den es damals noch gar nicht gab?“

Einer der optischen Höhepunkte des Streifens ist natürlich der Einzug Alexanders in das soeben eroberte Babylon. Dass die bereits von Alexanders Vater erfundene Kriegsmaschinerie, vor allem die Phalanx, die Niederlage des Dareius bei Gaugamela bewirkte, bleibt ausgeklammert, weil körperdurchdringende Speere und spritzende Blutfontänen eben besser auf der Leinwand kommen. „Die raufen wie am Kirtag“, sagt Krinzinger, doch egal, es folgt der Einzug der Eroberer in die Stadt der Städte:

Ein bläulich-nebeliges Manhattan Mesopotamiens erhebt sich hier vor dem Auge des Betrachters. Kraniche umflattern den Turm zu Babel wie Bergdohlen, darunter fehlen nicht die hängenden Gärten der Semiramis, von denen heute keiner mehr sagen kann, wie sie wirklich ausgesehen haben. Krinzinger meint: „So jedenfalls sicher nicht.“ Was aller Wahrscheinlichkeit eine terrassierte Anlage in Flussnähe war, wird hier zu einer Orgie von Blumentöpfen, an den Wänden aufgehängt.

Die Archäologieprofessorin und Mesopotamien-Spezialistin Helga Trenkwalder, die seit mehr als 30 Jahren im Irak Ausgrabungen leitet, fasst ihre Meinung zu Historienfilmen wie Alexander kurz und bündig zusammen: „Ich habe es satt. Diese Filme sind meistens komplett daneben, und das ärgert uns, weil man die Architektur und die Ausstattung auch auf seriöse Art interessant gestalten könnte.“ Krinzinger pflichtet ihr bei. So habe etwa der ebenfalls im Vorjahr angelaufene Film Troja zumindest auf die neuesten digitalen Architektur-und Stadtrekonstruktionen der Wissenschaft zurückgegriffen. Der Archäologe hat - auch in seinen Vorlesungen - immer wieder Historienfilme aus diversen Epochen analysiert und kommt zu dem Schluss, dass Regisseure und Filmarchitekten in den 60er-Jahren wesentlich sorgfältiger mit der Geschichte umgegangen sind. Er ortet im Historienkino einen „Verfall der Sitten sondergleichen“.

Der Chef des Wiener Filmmuseums, Alexander Horwath, sieht die Angelegenheit gelassener: „Wenn man wollte, könnte man sicher auch im Film ein korrektes, dem Stand der Wissenschaft entsprechendes Bild zeichnen, doch es ist nicht der Mangel an Fähigkeit, dass das nicht geschieht, sondern eine bewusste Entscheidung, die letztlich viel über Hollywood erzählt.“ Filme wie Alexander wollten im Dienste der leichten Konsumierbarkeit ganz einfach gängigen Klischees und Mythen entsprechen. „Es geht hier um alternative, eskapistische, zusammengeträumte Welten, um die Vermengung von Fantasiebildern.“ Das Antik-Kino habe sich zu einem Hybridgenre aus Antik-Action-Fantasy entwickelt.

Doch - ist nicht letztlich die Geschichte der Geschichtsschreibung ebenfalls als ein Amalgam aus Fantasy, Fiction bis hin zum Fanatismus zu betrachten? Sie bleibt jedenfalls ein Mosaik aus Überlieferungen, Fundstücken und natürlich auch Mythen, die sich jede Zeit neu aufbereitet und wieder neu schreibt.

Filme wie Alexander sind da nur ein kleines Steinchen im großen Bild der kollektiven Wahrnehmung. Doch populär-unwissenschaftliche Kinobilder wie diese bleiben im Hirn irgendwie hängen. „Es gibt keine Königsregeln“, schrieb Egon Friedell 1938 in seiner Kulturgeschichte Griechenlands im Kapitel über Alexander den Großen, „sondern nur Könige, die Regeln geben.“ Auch das scheint eine historisch verbürgte Wahrheit zu sein - bis heute.

Der Standard, Sa., 2005.01.15

15. Januar 2005Ute Woltron
Der Standard

„Wien ist froh, wenn wir im Ausland bauen“

Coop Himmelb(l)au haben mit dem neuen Hauptsitz der EZB in Frankfurt den wichtigsten Auftrag ihrer Karriere erkämpft. Mit Wolf D. Prix sprach Ute Woltron.

Coop Himmelb(l)au haben mit dem neuen Hauptsitz der EZB in Frankfurt den wichtigsten Auftrag ihrer Karriere erkämpft. Mit Wolf D. Prix sprach Ute Woltron.

Die Europäische Zentralbank ist kein einfacher Kunde, nach hartem Wettbewerb samt monatelanger Überarbeitungsphase sprachen die Ratsherren der gewichtigen Institution am Donnerstag den Wiener Architekten Coop Himmelb(l)au (Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky) mit dem neuen EZB-Hauptsitz in Frankfurt endgültig den derzeit heißesten Architekturauftrag Europas zu. Das Gebäude wird 2009 am Mainufer im Osten der Stadt entstehen und all jene EZB-Mitarbeiter, die derzeit auf drei Standorte verteilt sind, unter ein gemeinsames Dach bringen.

STANDARD: Das EZB-Projekt war bis zuletzt wild umkämpft. Wie sieht Ihr Entwurf nach elf Monaten Überarbeitung aus?
Wolf D. Prix: Ich traue mich zu sagen, dass die Entscheidung der EZB für die Architektur und nicht für die Funktion gefallen ist. Die Aufgabe des Wettbewerbs lautete, Transparenz, Kommunikation, Effizienz und Stabilität über die Architektur zu transportieren. Wir haben das nicht illustrativ gemacht, denn wir sind keine Illustrationsarchitekten, aber in unserem Entwurf können alle diese Eigenschaften abgelesen werden. Das ist das Zeichenhafte daran. Das Haus ist eine Funktionsplastik, ein Icon und ein neuer Typ im Hochhausbau.

STANDARD: Wie sieht das Gebäude aus und welche Funktionen beinhaltet es?
Prix: In zwei verschränkten Scheiben, die 184 Meter hoch sind, werden Büros und Arbeitsräume untergebracht. Diese Scheiben sind durch Rampen und Stege miteinander verbunden, der Luftraum dazwischen funktioniert zugleich als Kommunikationszone. Im horizontalen Bauteil befinden sich Kongresssäle und Restaurants für die rund 3000 Leute, die nach derzeitigem Stand hier arbeiten werden. Darüber hinaus gibt es auch noch Sicherheitszonen, auf die man aus verständlichen Gründen nicht näher eingehen kann, die jedoch gemeinsam mit den Sicherheitsberatern genau durchgesprochen sind.

STANDARD: Um welches Bauvolumen handelt es sich?
Prix: Dazu kann ich keine Auskunft geben, es ist jedenfalls kein geringes. Wir haben, was die Konstruktion und die Nutzflächen anbelangt, zwei Varianten ausgearbeitet und durchkalkuliert - welche davon letztlich gebaut wird, werden die Diskussionen mit dem Bauherren entscheiden.

STANDARD: Wie wichtig ist dieser Auftrag für Coop Himmelb(l)au?
Prix: Es ist unser größter derzeitiger Auftrag und sicherlich ein ganz wichtiger Schritt in unserer Karriere. In Frankfurt wird keine Box entstehen, sondern ein weithin sichtbares Icon, in dem Form und Funktion synergetisch sind. Das entspricht unserer Vorstellung von Architektur.

STANDARD: Im Feld der internationalen Spitzenarchitektur ist die Luft dünn - wie hart ist der Konkurrenzkampf?
Prix: Man unterstellt der Szene stets Animositäten, doch das stimmt absolut nicht. Ich freue mich über jeden Wettbewerb, den etwa Zaha Hadid gewinnt. Ich schätze beispielsweise auch die Schweizer Kollegen Herzog und de Meuron sehr, obwohl sie eine völlig andere Architekturrichtung vertreten als wir, und auch Peter Eisenman ist großartig, sozusagen brillant spekulativ. Ich begrüße also alles, was einen Schritt in Richtung Architektur darstellt, und behaupte, dass es so etwas wie Qualitätssolidarität unter Architekten gibt.

STANDARD: Coop Himmelb(l)au baut derzeit in Lyon, München, Ohio und bald auch in Frankfurt: Wo bleiben österreichische oder Wiener-Aufträge?
Prix: Eigentlich erwarte ich einen Anruf von unserem Wiener Planungsstadtrat! Gestern hat jedenfalls ein Kollege mir gegenüber gemeint, er freue sich, dass wir diesen Auftrag nach Österreich geholt hätten. Doch während wir in Frankfurt jetzt ein Hochhaus bauen, werden wir hier zu Lande nicht einmal zu Hochhauswettbewerben eingeladen. Ich habe den Eindruck, dass Wien froh ist, wenn wir im Ausland bauen, weil dann hier in Ruhe und ungestört weiterhin das Mittelmaß erzeugt werden kann.

STANDARD: Gibt es vielleicht zu wenig Mut dazu?
Prix: Das kann natürlich so sein - als umso bemerkenswerter empfinde ich die Beauftragung aus der Ferne.

STANDARD: Die heimische Architektur steht international in gutem Renommee. Können prominente Projekte wie die EZB noch befördernd wirken?
Prix: Ich denke schon, der Auftrag ist für uns alle wichtig.

STANDARD: Sie sind nicht nur Architekt, sondern auch Architekturlehrer und Dekan der Architekturfakultät der Angewandten: Welche Bedeutung hat das für Sie?
Prix: Die Lehre ist entscheidend, Wien wird derzeit zum strategischen Fokuspunkt, viele wichtige Architekten wollen hier lehren, und ich werde sie auch holen. Doch die Stadt hat noch nicht kapiert, wie wichtig das ist - für die kommende Architektengeneration, nicht für mich.

Der Standard, Sa., 2005.01.15

08. Januar 2005Ute Woltron
Der Standard

Architekten ohne Grenzen

Baufachleute können Know-how in die Krisengebiete transportieren - aber noch nicht jetzt

Baufachleute können Know-how in die Krisengebiete transportieren - aber noch nicht jetzt

Die Frage, wie man abgesehen von Geldspenden der von der Flut betroffenen Bevölkerung Südostasiens vor Ort helfen könne, stellen sich und den Hilfsorganisationen natürlich auch zahlreiche Architekten und Architekturstudenten. Die gleich lautende Antwort der Fachleute auf Anfragen lautet: derzeit gar nicht. Bitte dringend daheim bleiben!

Freiwillige Helfer, so die Profis, würden derzeit eher im Weg herumstehen und alle Akutmaßnahmen behindern. Erst wenn die wichtigste Nothilfe geleistet sei, sagt Peter Burk, Sprecher der deutschen Organisation Architekten über Grenzen, könne an längerfristige bauliche Hilfestellungen gedacht werden.

Die Annahme, Architekten könnten bei Aufbauten von Flüchtlingslagern et cetera allerhand konstruktive Ideen sinnvoll anwenden, stellt sich - kurzfristig - als naiv heraus. Daniel Seller von Care Österreich: „Die verschiedenen Modulsysteme, die von Architekten entworfen wurden, haben sich immer als viel zu teuer erwiesen - und als unrealistisch, was das Gewicht und die Machbarkeit betrifft.“

Darüber hinaus sollten im akuten Katastrophenfall nur die erprobten „Guidelines for Emergencies“ des UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) zum Tragen kommen. Burk: „Wenn wirklich Flüchtlingslager notwendig sind und Menschen nicht an anderen Stellen wie etwa in Klöstern, Schulen, Turnhallen Aufnahme finden, dann fordert der UNHCR zu Recht weltweit Standards ein.“

Diese generalstabsmäßig ausgearbeiteten Richtlinien definieren vom Lagergrundriss bis zum einzelnen Zelt, von den Latrinen-, Abwasser- und Wasseraufbereitungsarbeiten alle Details solcher Lager genauestens, was aus Gründen der Hygiene und Logistik überlebensnotwendig ist.
So weit zum Jetzt und zu den kommenden Wochen. Dennoch können Architekturfachleute beginnen darüber nachzudenken, wie später sinnvoll zumindest in Mikrobereichen mit Know-how und einmal mehr mit Geld geholfen werden kann. Die spanische Pioniertruppe Arquitectos sin Fronteras hat vielfach vorgezeigt, dass der Know-how-Transport auch bei geringen zur Verfügung stehenden Mitteln äußerst hilfreich sein kann. Im Gefolge der Spanier haben sich diverse Schwesterorganisationen etabliert, die für unterstützungswillige Architekten probate Ansprechpartner sind.
Burk von Architekten über Grenzen: „Wir werden erst dann aktiv, wenn die erste Nothilfe abgeebbt ist und die Kamerateams wieder nach Hause gefahren sind.“ Dann wird recherchiert, welche Hilfsorganisationen längerfristig in den betroffenen Gebieten tätig sind, ob Ingenieure und Architekten gebraucht werden und wie Fachleute am besten zum Einsatz kommen.

Hilfsaktionen auf eigene Faust sind fast immer kontraproduktiv, die Organisation muss den Profis überlassen bleiben. Bevor etwa der japanische Architekt Shigeru Ban 1994 für Ruanda und 1995 für Kobe Notunterkünfte aus Kartonröhren entwickelt hatte, war er kurzerhand im UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge in Genf vorstellig geworden, um seine Ideen zu präsentieren. Er war damals übrigens noch kein Weltstar, sondern einfach ein junger Architekt mit Mut und Durchsetzungskraft.

Auch Christoph Chorherr, der gemeinsam mit Architekturstudenten der TU-Wien laufend in Südafrika etwa Unterkünfte und Schulen organisiert, sagt: „Man muss unbedingt auf lokale Strukturen zurückgreifen, denn wenn man nicht aufpasst, können Gefüge durcheinander gebracht und Schaden gestiftet werden. Trotzdem gibt es keine Universitäten, keine Architekten, die jetzt nicht ihren Beiträge leisten könnten.“ TU-Studenten des Instituts für Wohnbau und Entwerfen bauten jüngst bei Johannesburg innerhalb von wenigen Tagen ein Schulgebäude, die Errichtungszeit konnte nur deshalb so kurz gehalten werden, weil Planung und Vorbereitung hier zu Lande äußerst sorgfältig erfolgt waren.

Burk betont, dass jede Maßnahme vor allem auch an die lokale Marktwirtschaft angepasst sein müsse, und dass sich beispielsweise das Einfliegen von Fremdmaterial durchaus kontraproduktiv auswirken könne. In Mittelamerika sei etwa der einheimische Wellblechmarkt vorübergehend zusammengebrochen, als man aus karitativen Gründen „Wellblech containerweise“ dorthin verschifft habe.

Die österreichische Bauindustrie hat derweilen das vorerst einmal Vernünftigste getan und ein zweckgerichtetes Spendenkonto für ihre Mitglieder eröffnet. Porr-Chef Horst Pöchhacker: „Große Konzerne wie wir fühlen sich natürlich zu humanitärer Hilfe verpflichtet, weshalb wir unseren finanziellen Beitrag leisten werden. Doch das hat mit längerfristigem Einstieg in diese Märkte, die weit außerhalb unserer Reichweite liegen, absolut nichts zu tun.“ Abgesehen davon seien die asiatischen Bauleute bekanntlich „auch keine Dilettanten“.

Christoph Chorherr hat seinerseits angekündigt, nach angemessener Frist ein ähnliches Projekt wie das südafrikanische auch in einem der von der Flutkatastrophe betroffenen Länder in Angriff nehmen zu wollen. Unterstützung hoch willkommen.

Der Standard, Sa., 2005.01.08

24. Dezember 2004Ute Woltron
Der Standard

Hallen, Höhlen und andere Sensationen

Kindermuseen können wettmachen, was Eltern und Normen verbieten: Raum ertasten, erfahren, erleben

Kindermuseen können wettmachen, was Eltern und Normen verbieten: Raum ertasten, erfahren, erleben

Der Weg in die Erwachsenenwelt führt für Kinder - vor allem für Kinder, die in Städten aufwachsen - über Normen. Vom Sitzbankerl bis zum Krabbelbaum, vom Kindergartenkuscheleck bis zum Klassenzimmer: Alles ist genormt, alles ist abgesichert und alles ist vor allem so gestaltet, dass sich die lieben Kleinen auf gar keinen Fall wehtun können.

In dieser überbetont sicheren Welt bleibt dabei einiges auf der Strecke. Zum Beispiel die elementare Erfahrung, dass man irgendwo auch herunterfallen und sich dabei durchaus wehtun kann - oder, ganz wichtig, die Sensation sehr große und ganz kleine Räume, verschiedenste Dimensionen und Volumina zu spüren und im besten Sinne des Wortes für sich zu er-leben.

Die Kinder- und Entwicklungspsychologie weiß, dass die Erfassung des Raumes und des Dreidimensionalen eine äußerst schwierige und komplexe Angelegenheit für das sich entwickelnde Gehirn darstellt, die bereits in ganz jungen Jahren geübt und immer wieder trainiert werden muss. Hirn und Leib gehören bekanntlich zusammen, und wenn dieses wichtige Zusammenspiel nicht rechtzeitig geübt wird, können die daraus folgenden Erfahrungsdefizite später nicht mehr wettgemacht werden.

Kinder, so sagt die Museumsexpertin und ehemalige Zoom-Kindermuseum-Leiterin Claudia Haas, müssen sich die Räume vor allem „ergehen“, um sie erfassen zu können. Die Gelegenheiten dafür schwinden in der gebauten Umwelt, man hält sich zumalen in den genormten Schuhschachteln der Wohnbauten oder auf Spielplätzen auf, die wenig Freiheit für das körperliche Experimentieren und Selbsterfahren lassen.

Es gibt tatsächlich Volksschüler, die zeitlebens noch nie Waldräume, Kirchenschiffe oder andere Säle betreten haben, von den haptischen, olfaktorischen und anderen Sensationen, die Bäumeklettern, Feuerlheizen, Forellenbraten und ähnliche zivilisatorische Ungeheuerlichkeiten bieten, wollen wir hier lieber ganz schweigen.

Zurück zur Architektur: Hans Hollein etwa ist einer jener Architekten, die bewusst diese wichtigen Raumerlebnisse in die Planung von Schulen mit einbeziehen und dieses Anliegen auch immer wieder artikulieren. Doch auch für die Noch-Kleineren beginnen Kommunen und ArchitektInnen Räume bereitzustellen, die die Erfahrungswerte der Kinder deutlich bereichern können.

Vor einem Jahr wurde beispielsweise in Graz ein Kindermuseum eröffnet, dessen Architektur als vorbildlich bezeichnet werden kann. Zum einen haben die Architekten Hemma Fasch und Jakob Fuchs sehr sorgfältig recherchiert, wie es aussieht, wo Kinder sich wohlfühlen. Zum anderen hat sich Graz - bei zwar knappem Budget und einer durch das Kulturhauptstadt-Jahr 2003 enorm kurz vorgegebenen Bauzeit - ein Musterbeispiel geleistet, das für andere Städte Vorbildwirkung haben dürfte.

Das Grazer Kindermuseum empfängt seine kleinen Besucher und Besucherinnen mit einem heimeligen, betont niedrigen Raum, von dem aus allerdings sofort Einsichten in die folgenden Räume und die darin enthaltenen, aufregenden Spielmöglichkeiten getan werden können. Die einzelnen Bereiche dieses sehr offenen, barrierearmen Hauses können rasch erfasst werden, das heißt, die Kinder können sich optimal orientieren und wissen an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt genau, wo sie sich befinden.

Fasch und Fuchs haben aus sehr schwierigen Bebauungsbedingungen durch planerisches Können das optimale Raumgebilde entworfen: Das Museum entwickelt sich in verschiedenen Ebenen, es bietet sehr hohe und auch ganz niedrige Raumzonen, es holt durch großzügige Glasbänder die Umgebung des Parks, in dem es steht, ständig in das Haus herein, und es verführt seine kleinen Besucher dazu, sich auch einmal in ausgesprochen gemütlichen, niedrigen Zonen hinzuknotzen, aus dem Fenster zu schauen und vielleicht ein bisschen auszuspannen.

Das Grazer Kindermuseum kommt dem, was sich Claudia Haas unter einem idealen Kinder-Spiel-und-Ausstellungshaus vorstellt, sehr nahe. „Kinder sind heutzutage viel zu wenig allein“, meint sie zum Beispiel, und deshalb wären neben den wünschenswerten betont unterschiedlichen Raumhöhen vor allem auch Rückzugsmöglichkeiten, wie geschützte Winkel und Ecken bis hin zu höhlenartigen Räumchen sehr gefragt.

Das Wiener Pendant, das Zoom-Kindermuseum im Museumsquartier, glänzt weniger durch seine eher uninspirierten, weil vorgegebenen Räumlichkeiten, als durch seine Möblierung, die von der Architektengruppe Pool stammt, und durch die aufwändigen, sehr liebevollen Themen-Ausstellungen, die über 100.000 kleine bis mittelgroße Besucher pro Jahr anlocken.

Derlei Ausstellungsgestaltung übernehmen sehr oft Architekten, doch sind die in ihren gestalterischen Möglichkeiten einmal mehr äußerst limitiert, denn die Sicherheit jeder Installation steht deutlich im Vordergrund. Haas, die große internationale Museumsinstitutionen wie etwa den Pariser Louvre professionell berät, erinnert sich an die eher wilderen Zoom-Anfangszeiten zurück: „Wir hatten nie sonderliche Ängste, doch dass sich bei so vielen Besuchern einmal ein Kind wehtut, ist ziemlich wahrscheinlich.“ Die daraus folgenden Klagen und rechtsanwaltlichen Schritte ebenso, weshalb man eher den Weg in sicherere - und damit auch etwas langweiligere Gefilde und Ausstellungsarchitekturen einschlug.

Fazit: Institutionen wie jene in Wien und Graz sind äußerst zu begrüßen, sie können jedoch nur bedingt ersetzen, was Wald, Wiese, Baumhaus den Landkindern bieten. Wer diese Haltung der Reaktion zuschreibt, möge einmal vor Ort die Beobachtung anstellen und mit ungeübteren Stadtkindern Bäumekraxeln und Gatschhupfen gehen. Die Bewegungsarmut bis hin zur -unfähigkeit werden Alarmglocken schrillen lassen. Für Haas stellt das Eingesperrtsein in kinderungerechten Stadträumlichkeiten jedenfalls eine „ungeheure Sinnesverarmung“ dar. Räumliche und körperliche Erfahrungen gehören zur Menschwerdung wie das Sprechenlernen, also rein in Hallen und Höhlen, und getrost zurück auf die Bäume.

Der Standard, Fr., 2004.12.24



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Kindermuseum Graz

18. Dezember 2004Ute Woltron
Der Standard

Betonsteinerner Hain

Kein Denkmal, sondern ein Ort, der jeden auf sich selbst zurückwirft: Peter Eisenmans Mahnmal in Berlin.

Kein Denkmal, sondern ein Ort, der jeden auf sich selbst zurückwirft: Peter Eisenmans Mahnmal in Berlin.

Die völlig naive, nachgerade dumme Frage, ob man sich in diesem riesigen, verwirrenden „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin nicht allzu verloren fühlen könne, beantwortet der amerikanische Architekt Peter Eisenman, 72, nach einem Moment nachsichtiger Stille mit einer Geschichte. Eine ältere Frau hatte sie ihm erzählt:

Ein fünfjähriges Mädchen wird mit seiner Mutter in einen Zug gesteckt und nach Auschwitz deportiert. Der Zug hält. Die Insassen steigen aus. Gleich auf dem Bahnsteig bricht die Hölle los, wird die Mutter von KZ-Wärtern in die eine Richtung gezerrt, das Mädchen in die andere. Verwirrung, turmhohe fremde Menschen rundherum, das Mädchen kann die Stimme seiner Mutter zwar noch von irgendwo hören, aber es sieht sie nicht mehr. Es wird sie nie wieder sehen.

Dieser Moment des Verlorenseins, Alleinseins in einer Menschenmasse, die Verwirrung und Verzweiflung - dieser Moment wird nie vergehen, wird nie Vergangenheit sein, wird immer da sein für die Frau, die einmal dieses Mädchen war.

Berlin und die dazugehörige Nation Deutschland wird über sechs Jahrzehnte später, am 10. Mai kommenden Jahres, das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ der Öffentlichkeit übergeben. „Einweihung“ oder „Eröffnung“ wären für diesen anderen Moment in der deutschen Geschichte die wohl falschen Begriffe, so wie auch „Mahnmal“ oder „Denkmal“ angesichts dieses Ortes irgendwie unpassend erscheinen.

Überhaupt: Alles Offizielle, Feierliche, Zeremonielle, Kollektive passt nicht hierher in diese eigenartige Szenerie, die Peter Eisenman entworfen und in den vergangenen Jahren umrahmt von vielen Debatten, anfangs lauten und mit Fortschreiten der Arbeit immer leiser werdenden Misstönen aufgebaut hat. Jetzt, da das Denkmal fast fertig ist, hat es kaum noch Gegner, dafür ist die Neugier darauf enorm. Auf dem kleinen Aussichtplateau am Rande der Szenerie drängen sich täglich zu jeder Uhrzeit die Menschen - Berliner wie Touristen.

Im Mai, wenn man das Gelände dann erstmals offiziell betreten darf, werden zwar viele mehr oder weniger gescheite Reden geschwungen und wichtige Menschen gesehen werden. Es wird auf die schwierige und langwierige Genese des Projektes verwiesen und auf die allgemeine gegenseitige Befriedung angestoßen werden. Doch egal, wie viele Leute auch anwesend sein werden, um das Resultat dieses enormen kollektiven, höchst politischen und sehr spät doch noch gemeisterten Kraftaktes zu würdigen - im Gewirr der Stelen werden alle irgendwie verloren gehen, jeder wird für sich allein sein, und jeder wird mit diesem Gefühl für sich umgehen müssen. Ganz allein.

Das ist die wichtigste Leistung dieses Ortes mitten im Zentrum der großen und an guter Architektur so reichen Stadt Berlin: Er wirft diejenigen, die ihn betreten, die sich in die Tiefen dieses Betonstelengewirrs wagen, gnadenlos auf sich selbst zurück.

Hier wird nichts Konkretes betrachtet oder Dargestelltes studiert. Hier sind keine Inschriften zu finden. Hier wird nicht in Bildern serviert, wie schrecklich damals war, was nie wieder passieren darf.

Man versinkt vielmehr in einem Meer von 2751 scharfkantigen Betonstelen, die in sanften Wellen ihre Höhe ändern, sodass der Himmel manchmal greifbar, manchmal unendlich weit entfernt scheint. Die Wege zwischen den Stelen entwickeln sich von sanften Pfaden rasch zu tiefen Schluchten, sie folgen strengen rechtwinkeligen Geometrien, doch ganz zarte Schrägstellungen und Kippungen der Stelen sorgen für verwirrende, verunsichernde Effekte, die vor allem bei scharfem Sonnenschein für das entsprechend irritierende Licht-Schatten-Spiel sorgen. Denn vor allem die Schlagschatten, die die Stelen einander quasi stumm zuwerfen, überhöhen und verzerren die leichten Schrägen der Betonklötze zu einem surrealen Licht-Schatten-Grau-Geflirre.

Drei Fußballfelder groß ist das Stelenfeld, es ist gleich neben dem Brandenburger Tor und dem Reichstag gelegen und nur ein paar Blöcke entfernt von den sich allmonatlich verschlimmernden Architekturgräueln des Potsdamer Platzes, den man getrost als einen der unmenschlichsten und hässlichsten Orte des gesamten Erdenrundes bezeichnen kann. Doch sobald man Eisenmans betonsteinernen Hain betritt, wirkt der Verkehrslärm gedämpft. Und ist man einmal mittendrin, so hört man die Stadt nur noch leise von ferne murmeln, der Takt der eigenen Schritte und der Widerhall geben jetzt den Ton an.

Vergangenen Mittwoch wurde unter regem medialen Interesse nun die letzte der insgesamt 2751 Betonstelen versetzt. (DER STANDARD hat berichtet.) An den Betonpflasterungen der inneren Wege wird noch gearbeitet, auch an den reduzierten, im Boden versenkten Leuchten und an dem Gedenkzentrum, das unter dem Areal liegt.

Das Betreten der Noch-Baustelle war aus diesem Grund strikt verboten, selbst Peter Eisenman musste verhandlerisches Geschick an den Tag legen, um zwei Medienvertreter - unter anderem den STANDARD - in das betonene Meer schmuggeln zu können. Alle, inklusive Eisenman, gingen schon nach wenigen Schritten verloren, erst nach vielen Viertelstunden und nach Wiedererreichen der Ufer fand man einander wieder.

Wer den inneren Weg durch diese vielen Pfade und Schneisen aufsuchen will, braucht vor allem Zeit. Erst nach einer Weile beginnen der Rhythmus, das Spiel mit unterschiedlichen Höhen und Grauschattierungen und die akustischen Effekte zu wirken.

Ob er sich nicht vor Vandalismus und Sprayern fürchte? Eisenman verneint und meint, das Denkmal sei für sich stark genug, es müsse dergleichen wohl aushalten können. Es würde ihn auch nicht stören, wenn Skater die gewellten Pfade auf ihren Boards für sich entdecken sollten. Wie Berlin mit dergleichen Aktivitäten umgehen will, wird sich weisen. Die Stelen sind jedenfalls sicherheitshalber mit farbabweisenden Substanzen ausgestattet.

In der Eisenman-Ausstellung „Barfuß auf weiß glühenden Mauern“ - derzeit zu sehen im MAK-Wien und gekonnt kuratiert von Tulag Beyerle - kann man übrigens einen Mikro-Ausschnitt des Berliner Denkmals betreten und den Hauch eines Eindrucks davon gewinnen. Doch nur einen Hauch.

Der Standard, Sa., 2004.12.18



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Holocaust Mahnmal

27. November 2004Ute Woltron
Der Standard

Hundert Jahre Lässigkeit

Das Wiener Kaffeehaus Prückel ist zeitlos und trotzdem schon so alt

Das Wiener Kaffeehaus Prückel ist zeitlos und trotzdem schon so alt

Der Faktor Zeit spielt in einem ordentlichen Kaffeehaus gleich mehrere elementare Rollen, und an keinem anderen Lokal lässt sich das besser ablesen als am Café Prückel in Wien.

Dass diese Großstadtoase der Mehlspeisen und Kaffeespezialitäten, der Zeitungsberge und Aschenbecher an der Ecke Stubenring/ Wollzeile dieser Tage den hundertsten Geburtstag feiert, muss von all seinen Gästen demütig und dankbar angenommen und gewürdigt werden. Hundert Jahre Kaffee sieden, Kuchen backen, den Gästen ein atmosphärisch wie architektonisch fantastisches Interimszuhause bieten - eine Meisterleistung, die manch anderem Kaffeehausbetreiber Wiens leider nicht geglückt ist.

Der Sermon der passionierten Kaffeehaushocker der Bundeshauptstadt ist bekannt: Zu viele dieser freundlichen Traditionszufluchtsstätten verschwanden in den vergangenen Jahren. Zuletzt ging das Café Museum leidvoll von uns. Es wurde niederpoliert, filetiert und nunmehr den Touristen zum Fraß vorgeworfen. Wo Messing unter Lack versiegelt blinkt, lässt sich kein anständiger Kaffeehausmensch auf Dauer blicken. Wo Kaffeehäferln mit grünem Pseudo-Kaffeehaus-Ketten-Logo verschenkt und die Nichtraucherwelt zur Tugend erklärt wird, auch nicht. Und die zeitgenössischen Lokale, in denen man Cappuccino und Caffè latte anstelle der Melangen bestellt, mögen so schön und flippig sein, wie sie wollen - sie spielen in einer anderen Liga und müssen erst beweisen, ob sie in ihrer Zeitgeistigkeit in ein paar Jahrzehnten auch noch funktionieren.

Das Prückel hingegen hat seine Kaffeehauswürde über lange Zeitspannen hinweg bewahrt, gepflegt und immer wieder sorgfältig erneuert. Christl Sedlar führt das Lokal in dritter Generation und seit nunmehr 44 Jahren. Die Republik bewies Kaffeehausbewusstsein und honorierte das soeben mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Republik.

Selbstverständlich spielt die Architektur des Lokals eine wichtige Rolle in seiner Erfolgsgeschichte - und auch die behutsame Art, wie mit dieser Architektur in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt umgegangen wurde.

Als Christl Sedlar noch nicht die fein gezeichnete Dame war, die sie jetzt ist, sondern ein bezopfter Teenager, saß an einem ganz bestimmten Tisch und so gut wie täglich ein kräftiger, nicht besonders großer Mann zu Gast, las die Zeitungen, trank Kaffee, betrachtete mit zunehmendem Missvergnügen die etwas angealterte und reich verzierte Jahrhundertwende-Ausstattung des Lokals, die irgendwie nicht mehr in die 50er-Jahre passte.

„Sie sollten jetzt irgendwann einmal restaurieren“, sprach er sodann zu Sedlars Vater, und so kam es, dass der Stammgast und Architekt Oswald Haerdtl sein Stammlokal Prückel zu dem umbaute, was es heute noch ist: ein fast zeitlos schönes, weites Lokal, in dem jedes Detail, jeder Schirm- und Mantelständer passt, mit Stühlen und Bänken, in die man, ausge- stattet mit Zeitungen aus aller Welt, stundenlang versinken kann, ohne einen Moment der sitzfleischhaften Unbequemlichkeit zu verspüren.

Das Prückel lebt von hohen, lichtdurchfluteten Räumen, von einer großzügigen, unbeengten Anordnung der Tische und Stühle, von unkonventionellen und zugleich unaufdringlichen Farb- und Materialkombinationen - und von einer gewissen Lässigkeit, die all das nicht zu einem im Zeitloch der 50er-Jahre festgefrorenen Designtempel hochstilisieren. Geschleckt wirkt hier gar nichts, es gibt Vorhänge und wuchernde Philodendren, in den Raum ragende Mehlspeisvitrinen, Zigarettenautomaten unterschiedlichsten Alters, schöne und hässliche Uhren und wechselnde Kunstwerke im kleinen Eckzimmer im Zwickel des L-förmigen Lokals. Gelebte Wiener Kaffeehauskultur eben.

Über all dem, und in stattlicher Höhe, prangt eine rosa-weiß-gestreifte Decke. Sedlar erinnert sich noch daran, wie Haerdtl die ursprünglichen reichen Stuckaturen abschlagen und den nackten Plafond im typischen Prückel-Rosa streifig pinseln ließ. Große Heizgeräte beschleunigten den Trocknungsprozess - denn auch in den 50ern war schließlich Zeit schon Geld. Die Gäste akzeptierten den Umbau sofort, das Kaffeehaus florierte, Sitze, Wände, Boden bekamen denn bald auch wieder jene Patina, die ein Café braucht - die allerdings auch irgendwann einmal wieder zu dick aufgetragen ist.

Über drei Jahrzehnte später saß denn auch - wieder an einem bestimmten Tisch, und wieder so gut wie täglich - ein anderer Mann auf seinem Stammplatz, trank Kaffee, las die Zeitungen und blickte abermals mit zunehmendem Missvergnügen auf die mittlerweile mit Tapeten überkleisterte Decke des schon etwas abgeblättert wirkenden Etablissements. „Sie sollten jetzt irgendwann einmal restaurieren“, sagte der Architekt Johannes Spalt Ende der 80er-Jahre zu Christl Sedlar, und es war eine glückliche Fügung, dass er und nicht ein anderer sich dem Denkmalschutz verpflichtet Fühlender die Wiederherstellung des Kaffeehauses in Angriff nahm.

Spalt leistete die uneitelste Arbeit, die ein Architekt leisten kann: Er nahm seine persönlichen gestalterischen Talente völlig zurück, um die des ursprünglichen Lokaldesigners wieder zur Geltung zu bringen. Er schlüpfte gewissermaßen in eine Art Zeitloch und transportierte den Geist Haerdtls und der 50er-Jahre hinüber ins Heute.

Das gesamte Mobiliar wurde restauriert, die Polsterstühle neu bezogen, der Boden ersetzt, die Decke originalgetreu gefärbelt. Die Restaurierung erfolgte in Etappen, der Kaffeehausbetrieb blieb aufrecht, die Gerüste wanderten langsam wie schon zu Zeiten Haerdtls durch das gesamte Lokal. „Der Mann, der die Decke strich, war schließlich ganz steif von seiner Arbeit“, sagt Sedlar.

Sie weiß, was sie an dieser Architektur hat, und sie weiß auch, dass ihre Gäste „diese gewisse Atmosphäre, das fast Glatte, Zeitlose“ zu schätzen wissen. „Die Wellen der Architektur kommen und gehen“, sagt sie, „aber das Prückel hat sich noch immer gehalten.“

Tatsächlich ist das Lokal besser besucht denn je. Der Faktor Zeit wird von jenen genossen, die hier ein bisschen ausspannen, tratschen, den Prückel-Kleinen-Braunen im Glas trinken, und der Faktor Zeit wird auch von den Kellnern beachtet, die keinen Gast länger als ein paar Minuten auf die Bestellung warten lassen.

Der Standard, Sa., 2004.11.27



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Café Prückl

27. November 2004Ute Woltron
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Kunsträume

Real Estate Fakery" nannte der amerikanische Architekt John Lautner verächtlich die hilflosen Einfamilienhaus-Stilmischungen, mit denen seine Kollegen...

Real Estate Fakery" nannte der amerikanische Architekt John Lautner verächtlich die hilflosen Einfamilienhaus-Stilmischungen, mit denen seine Kollegen...

Real Estate Fakery" nannte der amerikanische Architekt John Lautner verächtlich die hilflosen Einfamilienhaus-Stilmischungen, mit denen seine Kollegen im Laufe der Zeit die Hänge von Los Angeles zupappten. Die Häuser, die er selbst für die oberen Zehntausend der Stadt baute, hatten immer nur einen Stil: den Lautners selbst. Er blieb unerreicht, einzigartig, auch heute noch, zehn Jahre nach seinem Tod. Die privaten Ausnahmevillen, die er für Filmproduzenten und Stars entwarf, spielten in diversen Filmstreifen keine geringen Rollen: In Diamantenfieber sah man das Haus Elrod, in Unter Null das unvergleichliche Haus Silvertop, Der Tod kommt zweimal spielt in der 60er-Jahre-Ikone Chemosphere, Zwei stahlharte Profis trieben im Haus Garcia ihr Unwesen. Im Wiener Mumok sieht man derzeit Lautners Haus für die Familie Sheats aus dem Jahr 1963 in einer weiteren Rolle - diesmal zugedacht von der Künstlerin Dorit Margreiter, die „Konventionen der filmischen Repräsentation“ anhand einer komplizierten, virilen Videoarbeit hinterfragen will. Die Architektur als Hauptdarstellerin, zu sehen bis 16. 1. im Mumok, Museumsquartier.

Der Standard, Sa., 2004.11.27

20. November 2004Ute Woltron
Der Standard

Was kostet die Welt

Österreichische Architekten bauen international: Bei guter Organisation und mit politischem Rückenwind könnte sich Architektur zum Exportfaktor entwickeln.

Österreichische Architekten bauen international: Bei guter Organisation und mit politischem Rückenwind könnte sich Architektur zum Exportfaktor entwickeln.

Die heimische Architekturszene hat ein Qualitätsniveau erreicht, das international gefragt ist. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass Österreichische Architekten zunehmend zu internationalen Wettbewerben und Gutachterverfahren geladen werden, sie in den USA, in China und in der gesamten EU gern gesehene Vortragsredner sind, und dass man sie als Professoren an den wichtigsten Architekturfakultäten der Welt wiederfindet.

Und: Sie holen sich zunehmend auch Aufträge im nahen und fernen Ausland. In China, in Frankreich, in Deutschland, in Südtirol, in der Schweiz. Die Liste der international Aktiven ist beachtlich: Baumschlager & Eberle, the next ENTERprise, BEHF, Heinz Neumann, Querkraft, Adolf Krischanitz, Volker Giencke, Günther Domenig, Johannes Kaufmann, Klaus Kada, Much-Untertrifaller sind nur einige von ihnen, und dass Coop Himmelb(l)au, Hans Hollein & Co schon lange Kultur- und Architekturexport betreiben, ist bekannt. Neu ist, dass die jüngere Garde aktiv nachzieht.

„Langfristig betrachtet sieht die Auftragslage im Ausland mittlerweile besser aus als in Österreich“, sagt Elke Delugan-Meissl. Kollege Georg Driendl pflichtet ihr bei: Die heimische Auftragssituation sei „eher ein Jammer“, international sehe es wesentlich besser aus. Driendl und das Büro Delugan-Meissl gehören zu jener gar nicht so kleinen Schar Architekten, die zumindest in Fachkreisen international keine No-Names mehr, sondern gern gesehene Know-how-Transporteure sind. „Architektur ist definitiv ein Exportfaktor geworden“, sagt Elke Delugan-Meissl, und dass es sich dabei nicht nur um Planungsexport handelt, rechnet der Architekt Georg Reinberg vor.

Reinberg gilt seit Jahren als einer der wichtigsten Pioniere in Sachen energieoptimierten Bauens, ein Bereich, in dem die heimische Architektenschaft sowie die dazugehörige hochspezialisierte Industrie Weltrang haben. Allein in den vergangenen Monaten hat der Wiener Architekt Vorträge zu diesem Thema in Italien, Deutschland und Tschechien gehalten, in den Iran wurde er jüngst als Konsulent für ein Umweltprojekt geholt.

„Ich bemerke eine sehr starke internationale Nachfrage dieser Thematik“, sagt er, „während das Interesse in Österreich selbst eher gering ist.“ Vor allem eines sei wichtig: „Durch Vorträge und Ausstellungen bringen wir eine Menge heimischer Firmen international ins Spiel.“ Kammerpräsident Robert Krapfenbauer ist einer der Mitgründer eines Vereins, der Arge Planungs- und Beratungsexport heißt, im heurigen Frühjahr gegründet wurde und sich genau diesem Thema künftig widmen will: „Bei Planungsleistungsexport ist ein Nachzug für die Bauwirtschaft von 1 : 7 zu erwarten.“ Sprich, für jeden Euro, der von Architekten und Ingenieuren im Ausland verplant wird, darf sich die dazugehörige Bauindustrie Auge mal Pi über 7 Folgeeuros an Aufträgen freuen. Das Wirtschaftsministerium unterstützt die Bemühungen mit einer versprochenen Million Euro, die Auszahlung lässt derweilen noch auf sich warten. Und: Ins Auge gefasst sind nicht nur Architekten und Ingenieure, sondern auch Consultants und Finanzierungsberater.

Fazit: Die Architekten müssen ganzheitlich zu denken beginnen, wollen sie auch auf politischer Ebene im größeren Rahmen mitspielen, denn auf diesem Parkett zählen ausschließlich Zahlen und Fakten als Überzeugungsmittel, will man um Exportförderungen und Unterstützungen jedweder Art einkommen. Weder die Architektenkammer noch die Wirtschaftskammer verfügen derzeit über genaueres Zahlenmaterial, was die Argumentation im Wirtschaftsministerium naturgemäß erschwert.

Dass aber auch Ausstellungen wie Biennalen die Auftragslage der heimischen Baukünstler zu verbessern imstande sind, berichtet Volker Dienst, der sich als Sprecher der „Plattform für Architektur und Baukultur“ aktiv um Architekturexport bemüht: „Wir entwickeln derzeit konkrete Konzepte und Programme für den internationalen Dienstleistungsexport im Bereich Architektur und Baukultur.“

Einer, der das als Planer bereits aktiv und erfolgreich betreibt, ist Adolf Krischanitz. Seine Projekte allein in der Schweiz wiegen rund 110 Millionen Euro schwer - bewegen sich also in Größenordnungen, die es hierzulande kaum mehr gibt. Er meint: „Ich habe nicht das Gefühl, in Österreich die Chancen zu haben, die ich bräuchte.“ Allgemein betrachtet seien die Österreicher die bunten, interessanten Vögel in der Szene, die man gerne zu Verfahren einlade, dann aber doch nicht so gerne gewinnen lasse. Die Schutzmechanismen der nationalen Architektenverbände beginnen sich langsam, aber sicher gegen ausländische Konkurrenz zu wappnen. Umso wichtiger wäre eine Unterstützung der heimischen Architekten- und Bauszene auch auf wirtschaftspolitischer Ebene.

Der Standard, Sa., 2004.11.20

16. Oktober 2004Ute Woltron
Der Standard

Fassaden, Leinwände, Oberflächen

Warum das MAK Wien seit zehn Jahren eine Dependance in LA unterhält, warum Thom Mayne seine Laudatio barfuß im Park halten musste und was der vor 50 Jahren gestorbene Architekt Rudolf M. Schindler mit all dem zu tun hat.

Warum das MAK Wien seit zehn Jahren eine Dependance in LA unterhält, warum Thom Mayne seine Laudatio barfuß im Park halten musste und was der vor 50 Jahren gestorbene Architekt Rudolf M. Schindler mit all dem zu tun hat.

Vor etwa elf Jahren reiste der Chef des Wiener Muasums für angewandte Kunst (MAK), Peter Noever, nach Los Angeles, um irgendwelche dienstlichen Dinge zu verrichten. Kurz vor dem Abflug zurück nach Wien schlug er die LA-Times auf und blieb an einem Inserat hängen: Ein Apartment House des Architekten Rudolf M. Schindler, Baujahr 1939, stünde zum Verkauf, hieß es da. Vier Wohneinheiten. Ganz gute Lage. Käufer gesucht.

Wie auch immer Noever es anstellte: Es gelang ihm, einerseits den Verkäufer in Los Angeles so lange bei Laune zu halten, bis andererseits der bürokratische Instanzenlauf in Wien absolviert und die Ankauffreigabe aller Ministerien erwirkt waren.

Seither gehört dieses „Mackey Apartment House“ Schindlers der Republik, und seither wird es regelmäßig von MAK-Stipendiaten für jeweils ein paar Monate genutzt, um in der Stadt der Images, der Bilder, des Kinos die eigene Identität noch einmal anzuschärfen und die eigenen künstlerischen und architektonischen Belange zu präzisieren.

Das ist vor zwei Wochen zehn Jahre her gewesen und war selbstverständlich Anlass, um ein Fest zu feiern. Dieses Fest ging allerdings nicht im Mackey House über die Bühne, sondern in einem ganz besonderen Ambiente, das seinesgleichen sucht: in Rudolf Schindlers eigenem Wohnhaus in West Hollywood, gebaut in den Jahren 1920 und 1921.
Rudolf M. Schindler. 1887 in Wien geboren, 1914 nach Amerika emigriert, hier zu Lande lange Zeit nur wenigen Eingeweihten überhaupt ein Begriff, erst seit den 80er-Jahren nicht zuletzt dank einer großen Ausstellung im MAK auch in Österreich wiederentdeckt als einer der eigenwilligsten und stilprägendsten Architekten Südkaliforniens - neben dem ebenfalls ausgewanderten Kollegen und Freund Richard Neutra.

Das Haus, in dem er bis zu seinem Tod lebte und auch arbeitete, ist das gebaute Manifest eines Architekten, der sich aus den räumlichen und geistigen Engen des damaligen Europa freispielte und sich in das noch verhältnismäßig leere LA begab, um dort seine Visionen Häuser werden zu lassen.

Was Schindler so interessant macht, ist sein völlig kompromissloser Ansatz, die Architektur in jedem einzelnen Detail neu zu denken, von allem Überflüssigen abzuschlanken und sich gegen alle Widerstände - die der Bauinstanzen und die in den Köpfen - durchzusetzen. Das Wichtigste dabei: Im Zentrum seiner Planungen standen der Mensch und eine neue, offene, freie Art zu leben.

Unter der Sonne Südkaliforniens fließen da die Innen- und Außenräume ineinander, kleine Höfe werden zu Wohnzimmern, gläserne Fronten und verschiebbare Wände machen Innenräume zu luftigen Patios - und die betont nüchterne, nackte Konstruktion verstärkt noch den Reiz dieser virtuosen architektonischen Fingerübung. Die auf Fotos so voluminös wirkende Architektur ist tatsächlich überraschend zart, fast klein, die Räume sind geduckt und wirken in der Realität wesentlich bescheidener als in jeder Publikation. Doch das verstärkt ihren Reiz nur noch.

Schindlers Wohnhaus befindet sich heute im Besitz der Schindler Society, die - ebenfalls dank Noevers Engagement - mit dem MAK in enger Kooperation steht und das Haus dem MAK Center for Art and Architecture zur Verfügung stellt. Hier finden Ausstellungen, Lectures, Seminare und vieles mehr statt.

Am Abend des Festes wurde klar, welchen Sinn die auf den ersten Blick abenteuerliche Unternehmung Noevers macht: Mehr als 300 Gäste sahen sich mit gut gemachten Präsentationen des zeitgenössischen österreichischen Architekturschaffens konfrontiert, die Aufmerksamkeit blieb angesichts des heimischen Architektur-Im- und Exports gespannt. Als einer der Festredner trat der Architekt Thom Mayne vor das plötzlich störrisch gewordene Mikrofon, die Rückkoppelungen brachten ihn ins Schwitzen, er entledigte sich kurzerhand seines Schuhwerks, das Mikro blieb störrisch, die Stimmung wurde noch heiterer.

Peter Noever, Franz Morak und andere wichtige Menschen fanden ebenfalls kluge Worte, die eindringlichste Ansprache hielt allerdings eine junge Architektin mit Namen Andrea Lenardin Madden.

Sie war 1996 aus Wien als MAK-Schindler-Stipendiatin nach Los Angeles gekommen, und sie war geblieben. In einer Welt, in der Fassaden und Oberflächen sowohl die Architektur als auch die Menschen prägten, meinte sie unverblümt, in der Stadt der Schönen und der Leinwände sei es wichtig, sich vielmehr Schindlers Inhalten als einem vermeintlichen „Stil“ Schindlers zu stellen. Zu leicht könne ein Stil zur Oberflächlichkeit pervertieren, zu einfach sei es, sich der Architektur über Slogans zu nähern.

Wie auch immer Moden und Stile unser aller Leben prägen: Schindlers Wohnhäuser in Los Angeles haben in der jüngeren Vergangenheit nicht nur wegen ihrer zunehmenden medialen Prominenz wieder Hochkonjunktur. Etwa 200 Häuser soll er gebaut haben, rund 100 existieren noch. Viele davon sind bis zur Unkenntlichkeit verbaut, doch die Klientel der Kreativen - Künstler, Filmemacher, Architekten - übernehmen dieses Schindler-Imperium derzeit Schritt für Schritt.

Die Häuser werden sorgfältig restauriert und nach Möglichkeit in ihre Originalzustände rückgebaut. Denn der Inhalt hinter Schindlers hölzernen, gläsernen, betonenen Oberflächen hat die Jahrzehnte überdauert, und er ist in einer Zeit des billigen, rasch hochgezogenen Condominium-Trashs aktueller und begehrter denn je.

Peter Noever, sagte der barfüßige Thom Mayne, sei mit seinem brachialen Naturell ein wichtiger Katalysator für den transatlantischen Transport solcher Inhalte. Die Schindler Society hätte ohne MAK das Haus nicht erhalten können, das MAK hätte ohne Haus kein Kommunikationspodium. Ohne Visionen bleibt jede Existenz Oberfläche, Fassade, inhaltslos

Der Standard, Sa., 2004.10.16

27. August 2004Ute Woltron
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Roland-Rainer-Platz in Wien zum Geburtstag

Vor vier Monaten verstarb Roland Rainer, einer der wichtigsten Architekten Österreichs. Kommenden Mai wäre der Wiener 95 Jahre alt geworden. Bis dahin...

Vor vier Monaten verstarb Roland Rainer, einer der wichtigsten Architekten Österreichs. Kommenden Mai wäre der Wiener 95 Jahre alt geworden. Bis dahin...

Vor vier Monaten verstarb Roland Rainer, einer der wichtigsten Architekten Österreichs. Kommenden Mai wäre der Wiener 95 Jahre alt geworden. Bis dahin will ein Roland-Rainer-Komitee, dem unter anderem die ETH-Professoren Herbert Kramel und Gregor Eichinger sowie MAK-Chef Peter Noever angehören, nicht nur Rainers Nachlass sichern, sondern sich auch für die Umbenennung eines Platzes neben dem Hauptgebäude der Akademie der bildenden Künste in Wien zum Roland-Rainer-Platz einsetzen.

In einer Resolution, die etwa an Bundeskanzler Schüssel, Bundespräsident Fischer und Wiens Bürgermeister Häupl ging, heißt es: Die „Verankerung seiner Architekturgesinnung in der Gegenwart“ sei ebenso verpflichtend, wie „sein Erbe wahrzunehmen“.

Rainer selbst war von 1960 bis 1962 Rektor der Akademie am Schillerplatz, ein derzeit vakanter Lehrstuhl zur Thematik anonymer Bau- und Wohnformen - eines der wichtigsten Themen in Rainers Lebenswerk - geht auf seine Initiative zurück. Das Komitee will sich nun für eine bessere Dotierung der Lehrkanzel sowie für eine Umbenennung in „Roland Rainer-Chair for Habitat, Environment & Conservation“ einsetzen. Dies wäre ein internationaler Profilierungsschritt für die Akademie.

Das Komitee verlangt auch die Reaktivierung des zum 90. Geburtstag Rainers von der Stadt Wien und der Architektenkammer gestifteten Rainer-Stipendiums. Es ist mit 10.000 Euro dotiert, wurde allerdings erst einmal vergeben, da es Unstimmigkeiten mit der Stadt über die von Rainer definierte Ausschreibung gab. Darin heißt es: „Weniger die äußere Form beziehungsweise die ,Architektur' sind das Ziel dieser Arbeit als vielmehr die restlose Brauchbarkeit für das Leben von heute und morgen.“

Der Standard, Fr., 2004.08.27



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Rainer Roland

23. August 2004Ute Woltron
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Das Bild der Stadt - Die Obszönität der Architektur

Die Architektur - Gespräche in Alpbach legten die Verständnis - grenzen zwischen Politik, Investorentum und Architektur offen. Was bleibt, ist die Suche nach zeitgenössischer Identität der Baukunst.

Die Architektur - Gespräche in Alpbach legten die Verständnis - grenzen zwischen Politik, Investorentum und Architektur offen. Was bleibt, ist die Suche nach zeitgenössischer Identität der Baukunst.

Alpbach - Der Titel der 4. Alpbacher Architekturgespräche lautete „Verständnisgrenzen. Architektur und Öffentlichkeit“. Die Positionen der Referenten hätten unterschiedlicher nicht sein können, was zeigt, dass das Thema gut gewählt war.

Die Architektur, behauptet der Schweizer Architekt Markus Schäfer etwa, befinde sich gerade jetzt im Umbruch. Er ortet eine neue „Gründerzeit“, und die oszilliert offensichtlich zwischen dem hilflosen Rückzug von Kommunen und öffentlichen Auftraggebern und den Protz- und Machtarchitekturen, die - von multinationalen Konzernen als Marketingmittel weltweit eingesetzt - die Städte verstärkt zu prägen beginnen.

Ohnmächtiges Ringen

Dazwischen: Denkmalschutz, Politik, Ökologie, Ökonomie in ohnmächtigem Ringen - die „Verständnisgrenzen“ wurden in Alpbach mehr als deutlich herausgearbeitet und veranschaulichten unter anderem, wie die Architektur selbst - von öffentlichen Auftraggebern allerorten im Stich gelassen - momentan verzweifelt um Identität bemüht ist.

Während der ehemalige finnische Ministerpräsident Paavo Lipponen eindringlich nationale und nationenübergreifende Architektur- und Städtebauprogramme einforderte und auf die elementaren sozialen und demokratischen Aspekte des Bauens verwies, veranschaulichte die Architekturmarketingexpertin Anna Klingmann recht affirmativ die geradezu obszöne Anmaßung, mit der die Großindustrie die Architektur weltweit als Machtmittel einzusetzen imstande ist. Wenn Marken wie Coca-Cola, Volkswagen und BMW dazu aufgerufen sind, ganzen Landstrichen in Sachen Identitätsfindung auf die Sprünge zu helfen, wenn die Architektur, wie Klingmann predigt, „auf das internationale Branding reagieren muss“, stellt sich schon die Frage, wo eigentlich der Mensch zwischen all diesen Logos und Marketingschlagworten bleibt.

Slums und Paläste

Der Grüne Christoph Chorherr formulierte diese Frage denn auch, indem er nach den beliebig addierbaren Bildern milliardenschwerer Konzernpaläste unter anderem ein einziges Foto eines Slums einblendete und auf dessen ebenfalls beliebige Addierbarkeit hinwies. Mittlerweile lebt immerhin fast die Hälfte der Menschheit in minderwertigen Quartieren.

Um die Verbesserung solcher Lebensumstände kümmern sich vor allem von engagierten Professoren dazu aufgerufene Architekturstudenten. Einflussreiche Architekturgrößen wie Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron bauen unterdessen im Dienste der eigenen Publicity luxuriöse, hochtechnologisierte Verkaufsmaschinerien für Markenartikler wie Prada & Co.

Architektur-Branding

Das Branding in der Architekturszene ist längst erfolgt, die großen Namen sind selbst zu Architekturmarkenartikeln geworden, die Architektur hat sich von sozialer Kompetenz weitestgehend verabschiedet, und dass es ein bisschen unappetitlich wird, wenn die Kunden in der klimatisierten LCD-Umkleidekabine des Prada-Shops am Rodeo Drive in LA via Bildschirm ihre Rückenansicht realtime präsentiert bekommen, während es in den Wellblechhütten der Slums sommers auf die 70 Grad Celsius zugeht, versteht sich eigentlich von selbst.

Doch auch das „alte Europa“ muss aufpassen, will es nicht seines traditionellen Architektur-Wertekanons völlig verlustig gehen. Wenn der Denkmalschützer Wilfried Lipp das Bild der alten, gewachsenen Stadt gewahrt und vor schlechter Investorenarchitektur geschützt sehen will, dann ist er mit dieser „Suche nach dem verlorenen Bild“ nicht allein. Der Welt-Redakteur Rainer Haubrich verwies in seinem Referat ebenfalls auf den „Aspekt der Schönheit“ der Stadt, der etwa am Potsdamer Platz in Berlin dem Großinvestorentum geopfert worden sei.

Die Wege aus diesem Dilemma versuchte Paavo Lipponen aufzuzeichnen: 1998 formulierte die finnische Regierung als weltweit erste ein Programm ihrer Architekturpolitik, das „Architektur und Lebensqualität“ ins Zentrum rückt. Lipponen beschwor die politische Verantwortung der Regierungen: „Städteplaner müssen sowohl das öffentliche als auch das wirtschaftliche Interesse im Auge behalten, doch sie dürfen sich dem Druck des schlechten Geschmacks und der Habgier nicht beugen.“ Und: Auch auf die Unterprivilegierten sei Bedacht zu nehmen: „Sie brauchen dringend bessere Lebensumstände und damit eine bessere Architektur.“

Der Standard, Mo., 2004.08.23

21. August 2004Ute Woltron
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Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Athen ist in seiner Hässlichkeit, in seinem Lärm und dem ewigen Abgasgestank eigentlich keine uncharmante Stadt. Die Architekturen sind unendlich schlampig...

Athen ist in seiner Hässlichkeit, in seinem Lärm und dem ewigen Abgasgestank eigentlich keine uncharmante Stadt. Die Architekturen sind unendlich schlampig...

Athen ist in seiner Hässlichkeit, in seinem Lärm und dem ewigen Abgasgestank eigentlich keine uncharmante Stadt. Die Architekturen sind unendlich schlampig und improvisiert, städtebauliche Konzepte sind so gut wie nicht erkennbar - und trotzdem hat dieser Stadtmoloch einen eigenen, virilen Reiz des Unvollkommenen, sehr Menschlich-Lebendigen.

Die Fernsehbilder, die dieser Tage die Bildschirme von Kap Hoorn bis Wladiwostok überflimmern, zeigen reichlich wenig vom Alltagsleben der griechischen Millionenstadt. Jetzt dominieren Athletenkörper, sportliche Höchstleistungen und gebannte Zuschauermassen das Bild - und ein über all dem schwebendes Konstrukt, das gewissermaßen das architektonische Pendant zu den physischen Spitzenleistungen darunter darstellt.

Schon auf den ersten Blick wird klar: Der spanische Architekt Santiago Calatrava war als Erster hier, er hat als Erster seine Chance erkannt. Er hat schneller, stärker und höher reagiert als die verschlafenere Weltarchitektenschaft, und er hat die Bilder seiner Architektur publicityträchtig mit einem Schlag in das kollektive Bewusstsein der sportinteressierten Weltbevölkerung katapultiert. Eine Meisterleistung.

Die kühn geschwungene Überdachung der Tribünen des Athener Olympiastadions trägt so eindeutig Calatravas Handschrift, dass es fast schon amüsant ist: Zwei jeweils 304 Meter lange Bögen überspannen das Stadion aus den 80er-Jahren. Sie dienen Stahlseilen als Träger und Befestigung, die wiederum die Polykarbonat-Paneele der abgehängten Dachflächen darunter halten. Diese weisen ebenfalls eine leichte Schwingung auf und spenden den wohltuenden Schatten, den 75.000 Zuschauer im sowohl sportlich als auch jahreszeitlich heißesten Monat des Jahres wohl bitter nötig haben. Was insgesamt sehr zart und elegant konstruiert wirkt, wiegt über 17.000 Tonnen und überdeckt rund 10.000 Quadratmeter, was 95 Prozent der Sitzplätze entspricht.

Calatrava kann zufrieden sein. Während die Sportler sich noch im Wettkampf üben, darf sich der Architekt zurücklehnen und freudig-entspannt dutzendfach pro Tag die Fernsehbilder seines Stadiondaches betrachten. Seinen Wettkampf hat er bereits hinter sich, und dass er ihn gewonnen hat, steht fest.

Als Athen im Chaos der Olympia-Vorbereitungen gerade total zu versinken drohte, war der Spanier in seiner stillen Art plötzlich aufgetaucht und hatte mittels einer Ausstellung seiner Arbeiten den Chaoten dort gezeigt, was denn so möglich sei in der Welt der Architektur. Man kam, sah, staunte. Und ernannte ihn prompt zum Chefarchitekten der Olympischen Spiele.

Calatravas Oeuvre ist kein kleines, und bescheiden ist es auch nicht. Mit seinen Bahnhöfen und Brücken machte sich der 1951 in Valencia Geborene bereits in den 80er-Jahren einen Namen. Vor allem die elegante SBB-Station in Luzern galt der internationalen Architekturkritik als erfrischendes, neues Meisterwerk, das einen anderen Wind in die damals träg vor sich hin dümpelnde Postmoderne brachte. Über leere Auftragsbücher konnte sich der Spanier in der Folge nie wieder beklagen. Er baute Brücken in Mérida, Bilbao und in Kanada, Bahnstationen in Lissabon und Berlin, den Flughafen von Lyon, eine Konzerthalle in Teneriffa. Derzeit arbeitet er an der Verkehrsstation des neuen World Trade Centers in Manhattan und drückt gleichzeitig seiner Heimatstadt Valencia mit diversen noch in Bau befindlichen Gebäuden seinen Stempel auf.

Tatsächlich hat der Architekt und Bauingenieur stets einen eigenwilligen Einzelgängerweg beschritten, der sehr rasch in eine der charakteristischsten - aber auch in eine der umstrittensten Handschriften mündete, die es in der zeitgenössischen Weltarchitektur derzeit gibt. Calatrava hat immer schon bewusst Konstruktion und Bauingenieurskunst in den Vordergrund gerückt und mit Stahl und Beton gefällige Gebilde geschnürt. Sie gaben tadellose Landmarks und Stadtsilhouetten ab, ihre statische Sinnhaftigkeit wurde von den trockeneren Spezialisten der Zunft allerdings meist heftig hinterfragt.

Auch das am höchsten Punkt 80 Meter emporragende Olympia-Dach Athens wäre selbstverständlich bei gleicher Funktionalität in wesentlich bescheidenerer Form zu bewerkstelligen gewesen. Man hätte dann wohl auch nicht die kolportierten 200 Millionen Euro dafür bezahlen müssen. Der Stahl der Dachkonstruktion, so ätzen seine Kritiker, sei hauptsächlich damit beschäftigt, das eigene Gewicht zu tragen.

Das mag wohl stimmen, doch trifft diese Aussage auch auf Calatravas architektonische Vorbilder zu. Denn die den Blick prägenden Kirchen seiner Jugend sind, kühl statisch betrachtet, ebenfalls hauptsächlich damit beschäftigt, über Strebewerke den Schub der Gewölbelasten abzufangen. Und - um noch weiter in die Geschichte hinabzusteigen und sich wieder nach Athen zu begeben: Die griechische Tempelarchitektur selbst, diese gewaltige Blüte einer ganzen Zivilisation, war in dieser Form nur deshalb entstanden, weil den Griechen das entsprechende Bauholz ausgegangen war. Die Übersetzung der diesem Material gemäßen Konstruktionen in Marmor, der eigentlich denkbar ungeeignet dafür war, hat überdauert und gilt heute als Weltwunder.

Calatravas Olympia-Konstrukt spielt freilich weder formal noch konstruktiv in dieser Liga mit. Es ist nichts anderes als eine telegene Landmark, das perfekt vorzeigt, wie ein gewisser Zweig der Architektur heutzutage im Markenartikelgeschäft mitzumischen versteht. Wer hier reüssieren will, muss sehr früh aufstehen, jahrelang hart trainieren und zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle sein.

Calatrava hat das immer schon gewusst. Eines seiner ersten Projekte war 1983 ein kleines Vordach für das Postamt in Luzern. Ein paar Quadratmeter nur, doch die stehlen mit geschwungenen Blechen dem ansonsten schlichten, vernünftigen Gebäude bis heute eitel die Schau.

Der Standard, Sa., 2004.08.21



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10. Juli 2004Ute Woltron
Der Standard

Rollen im Rapsfeld

Mit ihrem Betriebsgebäude für einen Rolltorfabrikanten treten die Architekten ARTEC den Beweis an, dass Gewerbearchitektur preiswert und trotzdem auf höchstem Niveau sein kann.

Mit ihrem Betriebsgebäude für einen Rolltorfabrikanten treten die Architekten ARTEC den Beweis an, dass Gewerbearchitektur preiswert und trotzdem auf höchstem Niveau sein kann.

Die Architekten Bettina Götz und Richard Manahl, alias ARTEC, haben vor einiger Zeit mit einem wunderbar absurden Konstrukt als Versatzteil eines niederösterreichischen Haufen-Bauernhofs den Beweis erbracht, dass ihnen auch das Bauen auf dem Land liegt. Der aluminiumblitzende Aufbau auf einen mehrhundertjährigen Stall, der die Denkerklause der Hofbesitzerin und Autorin darstellte, war eine wichtige Fingerübung: frech, innovativ, selbstbewusst, trotzdem der Umgebung verpflichtet, quasi die Neuinterpretation einer gewachsenen Dachlandschaft. Ausgezeichnet - auch mit Architekturpreisen.

Jetzt haben sich die Vorarlberger mit Wiener Büro anhand eines neuen Projekts eine andere Art Land vorgenommen, und zwar die Industrie- und Gewerbezone der Stadtränder. Kaum wo entsteht unter rasantem Verschleiß vormals fruchtbarer Äcker Hässlicheres und Unintelligenteres.

Doch es geht auch ganz anders: Das ARTEC-Betriebsgebäude für den Rolltorproduzenten Efaflex vor Baden bei Wien ist wieder eine dieser Fingerübungen, die nicht nur kunstvoll ausgeführt wurde, sondern in eine ganz bestimmte Richtung zeigt. Denn Gewerbearchitektur kann markant sein, ohne in marktschreierische Hysterie zu verfallen, sie kann intern logistische Qualitäten aufweisen, ohne ein Vermögen zu kosten, und sie kann die Unternehmensphilosophie elegant widerspiegeln, wenn die rechten Planer am Werk sind.

Im Falle des Unternehmens Efaflex heißt das Motto Geschwindigkeit: Man produziert die schnellsten Rolltore der Welt. Das Firmenlogo springt als Raubkatze, das Produkt selbst schnalzt auf Knopfdruck in flüchtigen Momenten zu formschönen Röllchen.

Diese zum Sprung geballte Kraft und Spannung drückt nun auch das neue Haus aus, in dem neben Büros eine geräumige Halle für die Assemblage der Tore untergebracht ist. Die stahlumhüllte Form ragt zum Eingang hin aus dem Ackerboden, die internen Spannungen werden unsichtbar in tiefe Fundamente abgeleitet, die Besucher und Mitarbeiter betreten das Haus unter dem sich daraus ergebenden schützenden Vordach, das immerhin fast zwölf Meter auskragt.

Es ist sofort klar, wie hier die Organisation funktioniert: Oben wird gedacht, geplant, Geschäft gemacht. Unten werden die Tore nach Maß zusammengebaut und über die hintere Zufahrt zum Kunden transportiert - durch ein geräumiges Efaflex-Tor, versteht sich.

Götz und Manahl sind Tüftler und Denker, ihre Konstruktionen passen immer, die technische Ausführung ist stets State-of-the-Art. Das allein würde jedoch noch keine Architektur produzieren. Was die beiden also besonders macht, ist ihr Proportionsinstinkt. Der wird vor allem im Inneren des Gebäudes sofort spürbar. Die Treppe aus Sichtbeton vom Foyer hinauf in das Büro etwa sitzt perfekt und zentimetergenau in die Tragkonstruktion eingepasst, die allerorten sichtbar und spürbar ist. (Die Statik des Hauses stammt übrigens von Oskar Graf.)

Der Büroteil, die kleine Teeküche, die Durchblicke in die Arbeitshalle, die Glaslamellenfenster - alles befindet sich im schmalen Bereich der dem Menschen angenehmen Dimension und Proportion. Kein Quadratmeter zu viel, kein Kubikmeter zu wenig.

Durch Glaswände abgeschirmte Zellen für die Vieltelefonierer, eine geräumige offene Schreibtischlandschaft für diejenigen, die sich untereinander austauschen müssen, damit die Geschäfte reibungslos laufen. Die Büros sind im Firmenorange gehalten, die schlichten, praktischen Möbel von ARTEC entworfen, vom Tischler preisgünstiger gemacht als alles, was man so von der Stange kaufen könnte, und jederzeit nach Bedarf erweiterbar.

Alle Stückerln spielt auch die Haustechnik: Die mächtige Decke wurde als Hohlkastenprofil ausgebildet, sie fungiert mit Doppelboden gleichzeitig als Heizungs- und Kühlelement. Der Sonnenschutz verläuft zwischen den Gläsern, weil die Winde des Badener Flachlandes alles andere zerzausen würden. Eine Spezialität sind auch die querlüftenden horizontalen Glaslamellenfenster an den Seiten (ein Schweizer Produkt der Firma Fieger, das noch Furore machen dürfte).

Der Innenausbau der Wände erfolgte über Platten, die aus Gips und Holzfasern gegossen wurden und eine angenehm rohe Atmosphäre schaffen, die gut zu den bloßliegenden und lediglich durch Anstrich feuerfest gemachten Druck-Zug-Elementen der Stahlkonstruktion passen.

Fazit: Das Efaflex-Betriebsgebäude ist die kluge und keineswegs überkandidelte Antwort eines intelligenten Unternehmers und seiner Architektenpartner auf die grausam anonymisierte Gewerbevorstadt. Hier wurde mit den angemessenen Mitteln von knapp 600.000 Euro (Nettobaukosten) angemessene Architektur gemacht. Wer glaubt, mit billigen Standardhallen auch nur annähernde betriebsin- und externe Qualitäten herstellen zu können, sollte sich vor Baubeginn vor Ort vom Unterschied überzeugen.

Der Standard, Sa., 2004.07.10



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Efaflex Betriebsgebäude

03. Juli 2004Ute Woltron
Der Standard

Es brennt

Günther Domenig wird 70 und ist immer noch beste Architekturavantgarde. Sein hierzulande kaum bekanntes Dokumentationszentrum in Nürnberg ist neben dem Steinhaus sein wahrscheinlich stärkstes Werk.

Günther Domenig wird 70 und ist immer noch beste Architekturavantgarde. Sein hierzulande kaum bekanntes Dokumentationszentrum in Nürnberg ist neben dem Steinhaus sein wahrscheinlich stärkstes Werk.

Als der jugendliche Egon Erwin Kisch ausgeschickt ward, seine erste Reportage zu schreiben, wandelte er noch in Finsternissen. Es war Nacht, es brannte eine Mühle - und er wusste nicht, wo beginnen. Da erblickte er den Starreporter der damaligen Zeit. Der saß oben auf einem Feuerwehrwagen, und alle Brandlöscher, die Mühlenbesitzer, das Volk rundum kamen von der Feuersbrunst zu ihm geeilt, um ihm zu berichten. Und er saß da oben, nahm die Nachrichten entgegen und schrieb und schrieb. Kisch näherte sich ihm verschämt und frug, was denn hier so abgehe. Der Ältere beugte sich langsam zu dem noch gar nicht rasenden Reporter hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: „Es brennt!“.

Als die noch jugendlichen Coop Himmelb(l)au bei Günther Domenig in die Lehre gingen, frugen sie ihn, was das denn sei, die Architektur. Da beugte sich der Ältere zu den Jüngeren hinab und flüsterte ihnen zu: „Architektur muss brennen!“. Und sie bauten ein kühnes Konstrukt und ließen es in Flammen aufgehen.

Heute ist die Aktion „Flammenflügel“ im Hof der TU Graz Teil des Mythos, der die Himmelblauen umgibt, und auch Günther Domenig, damals Vorstand der Grazer Architekturfakultät, blieb Zündler, Lehrender, Raubein, beste Architekturavantgarde. Ein Künstler, der Architekt sein kann. Ein Architekt, der den schwierigsten, weil den ganz eigenen Weg gegangen ist.

Am 6. Juli wird der Grazer, der in Klagenfurt geboren wurde, 70 Jahre alt. Seine Architektur zeigte und zeigt stets vor, dass es auch ganz anders geht im Baugeschäft, dass das Haus zur Skulptur werden kann, zur Landmark, und dass räumliche Qualitäten die funktionalen keineswegs aufheben.

Domenig hat ein paar Meilensteine in die Landschaft gesetzt, den Pavillon der Schwimmhalle für die Olympischen Spiele in München 1972 oder die wüste Z-Bank in der Favoritenstraße mit ihrer aufgeworfenen Metallfassade und den bloß liegenden Installationsgedärmen. Zuletzt klotzte er eine „liegende Skulptur“ in Form des mächtigen T-Centers an die Flanke der Wiener Südosttangente.

Doch die neben seinem eigenen, dem Steinhaus am Ossiacher See, wahrscheinlich persönlichste Arbeit des Architekten ist hierzulande kaum bekannt. Zum 70er stellt das Album Domenigs Dokumentationszentrum des Nationalsozialismus in Nürnberg vor, das vor knapp zwei Jahren eröffnet wurde und das, wie er selbst meint, neben dem Steinhaus sein wichtigstes Werk ist. Unter anderem, weil Domenig mit diesem Bau seine eigene Vergangenheit als Kind des Nationalsozialismus endgültig abfackelte.

Um das Haus zu beschreiben, muss man erst einen Spaziergang durch Nürnberg tun, das ein mittelalterliches Prachtstädtchen war, bevor Hitler es 1936 zur Stadt der Reichsparteitage erklärte. Heute ist der Schmerz der jüngeren Vergangenheit in jeder Hausecke, in jedem Fachwerk der einstmals wunderschönen Altstadt spürbar - gerade weil man ihn loswerden, wegschminken, wegbauen will.

Nürnberg ging in den letzten Kriegstagen im Bombenhagel der Alliierten unter, und die Nürnberger sind immer noch krampfhaft bemüht, ihre ältere Vergangenheit mittels der Architektur wieder auferstehen zu lassen: Sie schließen die großen Baulücken zwischen den wenigen wirklich alten Häusern mit Imitationen der Vorgestrigkeit: auf historisch getrimmtes Fachwerk zwischen Stahlbetonbauten. Nachgeschmiedete Innungszeichen längst untergegangener Handwerksbetriebe in den engen Gässchen.

Die jüngere Vergangenheit liegt nur wenige Kilometer vor den ehemaligen Stadttoren des Mittelalters, und sie liegt hinter einem dichten Kranz von Bäumen verborgen wie Dornröschens Schloss. Vogelgezwitscher. Menschenleere. Das Tausendjährige Reich - hier hat es Wurzeln geschlagen, und hier ist es, in Architektur geronnen, als schauerliches Mahnmal stehen geblieben - Hitlers Kongresshalle, in deren Hof Hunderttausende dem „Führer“ hätten huldigen sollen, liegt als gewaltiges Hufeisen in einer menschenleeren Parklandschaft: 60 Meter hoch, 275 Meter lang, 265 Meter breit. Ungeliebt von den Nürnbergern, besucht fast ausschließlich von Touristen und Schülern, die hier Geschichte hautnah studieren wollen.

Mit Domenig gewann 1998 der ideale Planer den internationalen Gestaltungswettbewerb für die schwierige Aufgabe, dieser übermächtigen Naziarchitektur mit einer eigenen, nicht minder selbstbewussten Formensprache entgegenzutreten. Denn einerseits brachte der Architekt sein außergewöhnliches Formgefühl und Raumtalent mit, und andererseits stand er mit einer zwar vergangenen, doch vielleicht noch nicht ganz bewältigten Kindheit vor den strengen Achsen und Symmetrien der Hitlermacht.

Domenigs eigene Kindervergangenheit, die vom Nationalsozialismus geprägt war und die er nicht zuletzt über seine aufmüpfige Architektur und seine Ehrerbietung den großen, oft jüdischen Architekten des 20. Jahrhunderts gegenüber abgeschüttelt hatte: Da stand sie plötzlich wieder. Er begegnete ihr in seinem ureigenen Metier - der Architektur. Und jetzt zerfetzte er sie endgültig.

Die Formensprache des Totalitären, Absoluten ist die Symmetrie, die Achsialität, die Masse: Domenig riss das Haus an einer Kante auf und schoss einen schrägen, eleganten Pfahl aus Stahl mit Leichtigkeit und Eleganz durch dieses gleichgeschaltete Heer aus Stein und Materie. Er erlegte das Haus gewissermaßen, denn von außen sieht man lediglich den Einschuss, doch der zieht sich innen quer durch und macht den Besuchern die einzelnen Räume, die er durchschneidet, über Ein- und Durchblicke gewissermaßen untertan.

Wie raffiniert Domenig mit relativ geringem Aufwand der Naziarchitektur die Nase zeigt, veranschaulicht der Umgang mit der Substanz, die weitestgehend unberührt blieb. Die Außenfassaden der Kongresshalle etwa suggerieren, dass hier mit Stein für die Ewigkeit gebaut wurde. Domenigs fein polierte, schräge Schnitte quer durch die Wände offenbaren kommentarlos, dass die steinerne Schminke tatsächlich nur wenige Zentimeter dünn ist und sich schlichter Ziegel dahinter verbirgt.

Domenig riss eine Wunde in die Substanz, die sich nicht mehr schließen wird. Die Besucher steigen heute durch diesen klaffenden Riss in das Haus ein - nicht mehr durch Hitlers Prachtportale. Der Bestand wird durch den stählernen Pfahl neu interpretiert und so zum wichtigsten Exponat. Die Videos marschierender Soldaten bleiben letztlich Staffage.

Architektur, die einmal „gebrannt“ hat, flackert heute in einem neuen Licht. Domenig hat mit seiner eigenen eine andere Architektur durchdrungen und neu interpretierbar gemacht.

Das ist die andere Art, mit der Vergangenheit umzugehen. Architektur kann brennen, ohne zu zerstören. Und sie kann leuchten, wenn einer sie baut, der selbst brennt.

[ Ö1 „Diagonal“ zur Person Günther Domenig:
CD, MC erhältlich unter 01/50170-374 oder audioservice@orf.at ]

Der Standard, Sa., 2004.07.03

03. April 2004Ute Woltron
Der Standard

Ich Architekt Du Politiker

Die parlamentarische Enquete zum Thema Baukultur könnte ein Startschuss gewesen sein, wenn die Architekten Politik sprechen lernen. Noch können sie es nicht.

Die parlamentarische Enquete zum Thema Baukultur könnte ein Startschuss gewesen sein, wenn die Architekten Politik sprechen lernen. Noch können sie es nicht.

Es war Dienstag, der 30. März, als die heimischen Architekten für einen Wimpernschlag der Geschichte das österreichische Parlament eroberten. Sie kamen, sahen - und verloren. Denn die Politik ist ein Kampf, und gewinnen kann nur, wer perfekt gerüstet in die Wortgefechte geht.

Doch um diese Einstiegspessimismen gleich ein wenig abzuschwächen: Der Weg ist eingeschlagen, er wird weitergegangen werden. Man wird von der Schlappe profitieren und argumentative Aufrüstung betreiben. Hoffentlich. Es ist höchste Zeit.

Zur Sache: Eine Gruppe Engagierter hatte es zuwege gebracht, eine parlamentarische Enquete zum Thema „Architekturpolitik und Baukultur in Österreich“ zu erwirken: Einen vollen Parlamentstag lang konnten Architekten und Fachleute im Plenarsaal des Hohen Hauses ihre Anliegen vortragen. Ein Meilenstein immerhin, denn dergleichen war noch nie.

Eine Hand voll wohlmeinender Nationalratsabgeordneter und eine Heerschar Architekturleute bevölkerten denn auch den Saal, als Punkt neun Uhr Nationalratspräsident Andreas Khol die Anwesenden sowie „das Regierungsmitglied“ Staatssekretär Franz Morak in seine Begrüßungsformel einschloss. Es folgte ein Vormittag des Referatevortragens, doch irgendwie war es, als ob die Ansprachen der Architektur in eine hohle Gasse schallten, als ob sich hier Insider gegenseitig ihres Insiderwissens versicherten, denn die Regierungsbank blieb bar der Regierungsmitglieder, und diejenigen, die man eigentlich ansprechen wollte, blieben auch bis Nachmittag fern.

Das Referat Dietmar Steiners etwa, das gewissermaßen einen vorzüglichen Grundkurs in „Architektur in Österreich heute“ darstellte, hätte jedem Politiker ein bisschen auf die Sprünge geholfen, der irgendetwas mit Kultur, Wirtschaft, Kunst zu tun hat. „Nicht die Architekten zersiedeln und verschandeln das Land“, meinte er etwa, sondern wir alle seien „für dieses Desaster verantwortlich“. Dass die heimische Baukultur das internationale Spitzenfeld längst erobert hat, wissen die Architekten selbst am besten, sie hätten es hier gerne denjenigen erzählt, die die Rahmenbedingungen stecken.

Sie hätten gerne gehört: Ihr seid super, wir helfen euch, noch besser zu werden. Wir werden dafür sorgen, dass ordentliche Raumordnungen Platz greifen, dass die Vergabeverfahren sauber und im Sinne guter Planung reguliert und dass die unseligen, allerorten aufkeimenden Totalübernehmerverfahren zugunsten der Vergabetrennung von Planungs- und Bauleistungen gekippt werden. Wir werden uns auch darum kümmern, dass die Deckungsbeiträge der Architektenleistungen nicht wie derzeit meist unter null liegen. Wir werden gemeinsam mit euch darüber nachdenken, mit welchen Instrumenten Häuselbauer, Wirtschaftstreibende, Bürgermeister und überhaupt alle in die richtige Bahn gebracht werden können, die zielgenau zu sorgfältigem, ökologischem, nachhaltigem und damit sinnvollem Bauen führt.

Doch wer irgendwohin will, braucht einen Plan. Und der fehlte dieser Truppe höchst kreativer Wirrköpfe vollkommen.

Als am Nachmittag der sehnlichst erwartete Minister Martin Bartenstein auf der Regierungsbank Platz nahm, trugen gerade die ausländischen Experten ihre Förderungsmodelle vor. Reine Zeitverschwendung: Genau jetzt hätten die Architekten Punkt für Punkt ihre Anliegen vortragen und gleich genial ausformulierte Lösungsvorschläge aus den Aktenkoffern ziehen müssen. Doch sie sprachen ein paar Binsenweisheiten, der Minister antwortete knapp, verwies auf die Freiheit des Marktes und entschwand. Ratlosigkeit blieb zurück.

Doch was ebenfalls blieb, waren Leute wie die Grüne Eva Glawischnig, die eigentlich die Aufgabe der Architekten übernahm, indem sie auf politischer Ebene nicht nur ein „radikales Bekenntnis zu Qualität und zeitgemäßer Architektur als Indikator für eine moderne Gesellschaft“ einforderte, sondern vor allem konkrete Verbesserungsvorschläge einbrachte: Die öffentliche Hand möge alle Instanzen durchforsten und verpflichtende Leitlinien ziehen. Raumplanung und Wohnbauförderung seien zu reformieren, die Raumordnung sei auf nationale Ebene zu heben, eine Zukunftskommission für künftige Architekturpolitik könne den Weg weisen.

Auch Christine Muttonens (SPÖ) Ansatz war konstruktiv und zugleich aufmunternd: „Wir stehen am Beginn des Prozesses, man muss diese Veranstaltung als Startschuss für eine breite Diskussion sehen.“

Jüngere Architekten wie Doris Purtscher, Jakob Dunkl und einige andere sehen das auch so: Durch vernünftiges Miteinander-Reden kommen die Leut' zusammen. Wenn die Architekten konkret werden, werden auch die Politiker zuhören. Wer weiß, wie die Dinge funktionieren können, hat die Bringschuld, es jenen klar zu machen, die die Letztverantwortung dafür tragen. Die österreichischen Architekten sind im Bauen Weltmeister. Wenn sie jetzt auch noch die Bausteine der Politik zu schlichten lernen, hat das ganze Land gewonnen.

Der Standard, Sa., 2004.04.03

20. Februar 2004Ute Woltron
Der Standard

Zeitlosigkeit heißt die Avantgarde

Ein gediegenes Shopkonzept ist in jedem Fall besser als flippige Architekturschminke, meint Architekt Adolf Krischanitz, und sei die noch so teuer gemacht

Ein gediegenes Shopkonzept ist in jedem Fall besser als flippige Architekturschminke, meint Architekt Adolf Krischanitz, und sei die noch so teuer gemacht

der Standard: Was muss ein Geschäft können, um gut zu funktionieren?

Krischanitz: Ich denke, dass man im Prinzip vom Interieur eines Geschäftes in Ruhe gelassen werden will. Einkaufen bedeutet für die einen Stress, für die anderen Entspannung, und in beiden Fällen ist man darauf angewiesen, eine gewisse Distanz zur Geschäftsarchitektur zu entwickeln. In forcierter Umgebung kann man nicht entspannt shoppen. Das ist ähnlich wie mit Hotelzimmern: Dort kann ich wohnen, wenn da Möbel drinnen stehen, die mich in Ruhe lassen. Hart wird es in schlecht gemachten Designerhotels, weil mich da jede Ecke aufregt.

Werden sich die flippigen Läden, wie sie im Moment „in“ sind, Ihrer Meinung nach rasch überleben?

Es ist eine theoretische Annahme, dass ein Geschäft für kurze Zeit gut funktioniert, wenn die Ware und der Inhalt übereinstimmen. Das sind genau jene Dinge, die nicht altern können, und die Geschäftsleute müssen das Interieur alle paar Jahre auswechseln. Sie tun es dann aus Kostengründen trotzdem nicht, denn diese neuen Läden sind keineswegs billig gemacht. Doch Material und Konzept, die eigentlich nicht altern dürften, tun es trotzdem, und irgendwie wirken diese Läden sehr rasch wie Menschen, die nicht würdig altern und permanent auf jung tun, ohne es noch zu sein.

Stichwort Übereinstimmung von Ware und Inhalt: Wie kann ein Shop vernünftig damit umgehen?

Jede Architektur spielt irgendetwas. Das war auch schon zu Zeiten des Bauhauses so, als das Interieur so tat, als ob es maschinell erzeugt sei, tatsächlich aber Handarbeit war. Dieses Spiel ist also immer da, es kommt darauf an, wie es gespielt wird. Wenn ein Geschäftsinhaber sich selbst rasch seinen Laden zusammenstellt und darin preiswerte Ware verkauft, schaut das ganz anders aus, als wenn ein Designer plötzlich Billigladen spielt. Mir gefällt es besser, wenn ein solcher Shop wirklich in jeder Hinsicht billig gemacht ist. Das ist ein Konzept, das etwa in New York häufig angewandt wird, oder wie es auch für Wein & Co bis zu einem gewissen Grad angedacht war.

Sie haben für das Pelzhaus Liska ein elegantes Geschäft am Wiener Graben gebaut und dafür sicher den „State of the Art“ recherchiert. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?

Ich habe mir relativ viele Läden angeschaut, hatte aber oft Schwierigkeiten, ein zweites Mal gern hineinzugehen, weil sich die verschiedenen Ideen doch schnell verbrauchen. Der zweite Blick war meistens ziemlich ernüchternd. Das grundsätzliche Problem ist folgendes: Die heutige Zeit ist so schnelllebig, die Trends sind so unübersichtlich, dass man als Gestalter nie sicher sein kann, ob man mit dem vermeintlichen Schritt vorwärts nicht zwei zurück geht.

Könnte Zeitlosigkeit die Antwort darauf sein?

Ich denke, das geht in die richtige Richtung. In dieser komplexen Zeit ist das Avantgardistische nicht mehr ortbar, es geht viel eher darum, zu speziellen Lösungen zu kommen, die nicht um jeden Preis originell sind, sondern dem speziellen Ort eine spezifische Qualität zu geben. Das kann örtlich, städtebaulich und architektonisch gedacht sein. Design und Interieur sind ziemlich austauschbar, das übergeordnete Konzept muss passen.

Funktionieren alte, traditionelle Geschäfte gegebenenfalls sogar besser als die neuen Superschuppen?

Alle gut funktionierenden Innenstadtgeschäfte Wiens treten diesen Beweis an. Im Knize von Adolf Loos kann man heute noch sehr gut teures Gewand verkaufen, das Konzept funktioniert besser denn je. Ich glaube nicht an die Fortschrittseuphorie. Zeitlosigkeit ist das, worauf ich setzen würde, weil alles andere könnte ich gar nicht. Der architektonische Rahmen ist das Entscheidende, wenn der stimmt, kann designmäßig alles Mögliche drinnen stehen. Diese Details sind austauschbar, das Grundkonzept muss stimmen, und das ist wahrlich nicht allzu oft der Fall.
Interview: Ute Woltron

Der Standard, Fr., 2004.02.20

03. Januar 2004Ute Woltron
Der Standard

Das Haus der Jäger und Sammler

Eichinger oder Knechtl verstrickten Kunst, Architektur, Design zu einem sehr privaten und in jedem Detail außergewöhnlichen Wohnhaus für die Künstler Anna Heindl und Manfred Wakolbinger: Ein Wohngebilde zwischen Zeiten und Welten.

Eichinger oder Knechtl verstrickten Kunst, Architektur, Design zu einem sehr privaten und in jedem Detail außergewöhnlichen Wohnhaus für die Künstler Anna Heindl und Manfred Wakolbinger: Ein Wohngebilde zwischen Zeiten und Welten.

Die Sesshaftwerdung ist ein Evolutionsschritt, der für manche nur schmerzhaft zu vollziehen ist - oder andersherum: einer, der in modernen Nomadenzeiten für viele wieder an Schmerzhaftigkeit zu gewinnen scheint. Doch wie auch immer: Anna Heindl und Manfred Wakolbinger sind sowieso nicht von dieser Zeit und dieser Welt, sie bewegen sich in einer eigenen Zone dazwischen, und dort haben sie sich nun - gut versteckt und für Nicht-Eingeweihte unerreichbar - niedergelassen.

Die beiden umgibt eine Aura des Jäger-und-Sammlerhaften, irgend etwas, das eher blattgrün und erdbraun ist als neonfarben. Beide sind Künstler, beide nicht von der ewig ringenden, lautstark selbstzerfleischenden Art, sondern von einer eleganteren, ruhigen, vielschichtigen. Heindls Schmuckobjekte sind wie edelstein- und metallgewordene Lebewesen, Wakolbingers Skulpturen wirken auch eher lebendig als tonnenschwer, und seine Unterwasserfotos zeigen das, was Millionen von Tauchern übersehen, wenn sie zivilisationsblind durch die Korallenmeere hasten: Das Leben zwischen den Ritzen, das Kleine, Bizarre, Absurde abseits der bedauernswerten, vom touristischen Sensationsinteresse umschwommenen Wal- und Hammerhaie.

Was kann das also für ein Haus sein, das sich diese beiden bauen? Wie wohnen die Jäger und Sammler, die eigentlich in Galerien, Ateliers, Museen und in der Ferne daheim sind? Sie wohnen gut versteckt auf einem nach langer Pirsch entdeckten Grundstück an einem See irgendwo bei Wien. Bäume, Felder, geduckte Häuslein hinter Gebüsch, viel Himmel, Wolken, Wasser. „Dieses Grundstück“, sagt Wakolbinger, „hat vier Jahrzehnte auf uns gewartet.“

Während Architekt Gregor Eichinger damals Grund, Boden, Sonneneinfall, Hauptwindrichtung prüfte, tauchten Heindl und Walkolbinger zur Erkundung der Unterseelandschaft ab und trafen die nachbarschaftlichen Karpfen und Hechte. Dann einigte man sich vorort auf die Anforderungen an das zu planende Haus: Ein offener Wohnbereich, ein Schlaf-, ein Badezimmer, ein separates Gästehäuschen. Alles andere blieb Zwischenwelt, den Kunstfertigkeiten der Architekten Eichinger oder Knechtl überlassen - und den Künstlern: Den anonymen, deren Produkte man aus Afrika, Asien mitgebracht hatte, den befreundeten, die das Gebäude würden bespielen dürfen, und nicht zuletzt sich selbst.

Knapp zwei Jahre später steht es, mit Terrassen und gut durchdachten Außenzonen für jede Tages- und Jahreszeit ausgestattet, und mit einem Zubau für Gäste (Ausführungsplanung: Johannes Kaufmann) ergänzt, fixfertig auf dem Seegrundstück: Ein aufmerksames Haus, doch das bemerkt man erst innen. Die Fenster schneiden Bildausschnitte in die Landschaft, und Spähscharten. Geschlossenheit zum Weg, Offenheit zum See. Konstruktiv betrachtet ist es eine stützenfreie Stahlbetonröhre, die der Länge nach auf drei Betonscheiben liegt und auf allen Seiten ein wenig auskragt. Außen ist sie samtig glatt mit Alucobond (biegbare Aluplatten mit Kunststoffkern) verkleidet und witterungsfest gemacht, innen liegt die raue Betonoberfläche unbehandelt nackt.

Innen, das ist erst einmal der große hohe Raum, der das gesamte Obergeschoß bildet und durch Fenster, Kamin, zwei Niveausprünge jeweils an den Enden sowie einen eingeschobenen Lift- und WC-Block gegliedert wird. Ein enormer Wohn-Arbeits-Koch-Raum. Der Beton schafft eine warme, heimelige Atmosphäre. Ein paar Kübel Farbe an den Wänden hätte hier alles zerstört. Doch die Farbe darf in diesem Haus an anderer Stelle und in anderer Form subtiler zu ihrem Recht gelangen.

Zum Beispiel als großformatiges Wandbild, von Franz Graf eigens für die raumhohe Schiebewand zur Küche hin gemacht. Oder als von Eva Schlegel für die gläserne Eingangsfront erdachte doppelte und raffinierte Intervention. Oder als wandverkleidende Stoffbahnen im unteren Bereich, wo das Badezimmer und das Schlafzimmer - eigentlich ein einziger, durch ein gläsernes Regal geteilter Raum - seeseitig hinter Glas liegen: Wunderbare Muster, erdige Farben, Stoffe aus Indonesien und Afrika. Peter Kogler entwarf den Vorhangstoff, der, wenn zugezogen, vor dem vollverglasten Bad-Schlafbereich zu einer glatten, rosaweißgrauen Schlierenwand wird.

Eichinger oder Knechtl boten zu all dem die perfekte Hülle und konnten zudem in diesem Haus ihr Verständnis von Raum- und Möbelkunst voll ausspielen: Die Aufzugskabine wurde zum Vorraum, durch den man das WC oben betritt. Die Türen im Badezimmer unten werden zu Kastenelementen, die Glasregale zu Fenstern, je nach Position der Türflügel. Eine Bibliothek verschwindet auf Rollen im Podest, das den erhöhten Arbeitsplatz im Hauptraum bildet. Türen werden in Holzpaneelen unsichtbar. Ein gläsernes Stiegengeländer ist zugleich Vitrine für schwere Kupferskulpturen von Manfred Wakolbinger. Der offene Kamin wird doppelt verglast zum spektakulären Schaufenster auf dem See. Alles hat einen zweiten Sinn, einen neuen Dreh, doch nie aufgesetzt und immer mit Funktion erfüllt.

Die verwendeten Materialien: Bei 200 Grad dunkelgebackenes Buchenholz, Glas, Beton, Stoffe, gebürsteter Stahl, Aluminium, Rauleder. Eine Kombination von ganz Rohem mit auf höchster Ebene Veredeltem. Dieses Haus am See konnte nur durch perfekte Symbiose zwischen Bauherren und Architekten entstehen: Es ist das extrem private Refugium zweier Künstler, nach außen geschlossen, nach innen so weit wie die ganze Welt, an keiner Stelle nervös. Irgendwie zwischen den Zeiten.

[Ausstellung: Manfred Wakolbinger. Bottomtime
MAK Stubenring 5, 1010 Wien, bis 22.2.04]

Der Standard, Sa., 2004.01.03



verknüpfte Bauwerke
Haus am See

20. Dezember 2003Ute Woltron
Der Standard

Die Mentalität der Alpenfurchen

Eine vorweihnachtliche Architekturbuchauswahl - rückbesinnlich und vorausblickend

Eine vorweihnachtliche Architekturbuchauswahl - rückbesinnlich und vorausblickend

Der Zeichner Paul Flora erinnert sich an einen Freund: „Das Spiel der Erhaschung öffentlicher Aufträge, die geheimen Flüsse der Beziehungen hat er zwar durchschaut, aber leider nicht beherrscht. Als ernsthafter und gescheiter Mensch war er kein Kollaborateur der Gemütlichkeit und gewöhnlicher Dummheit, kein Liebhaber der Spaßkultur.“

Floras Erinnerung gilt dem verstorbenen Tiroler Architekten Josef Lackner, dem das Architekturforum Tirol als Herausgeber soeben ein melancholisch-schönes Buch gewidmet hat. Lackner, gestorben 2000, war bekanntlich eine schroffe Persönlichkeit, seine Architekturen sind dementsprechend, publizieren wollte er sie eigentlich nur ungern, weil vom großen Gerede und Geschreibe hielt er nie wirklich viel.

Doch Josef Lackner. Bauten und Projekte. 1950-2001 (Verlag Anton Pustet, € 49,-) ist eine klassische, klare Architekturpublikation geworden, in der - wahrscheinlich ganz im Sinne Lackners - die schlüssig präsentierte Arbeit des Architekten an erster Stelle steht. Ganz hinten wird das Buch weicher, weil hier, unter dem schlichten Titel „Nachrede“, die Lacknerianer zu Wort kommen dürfen: seine Studenten, Freunde, Anhänger. Kollege Reinhard Honold, der an der TU-Innsbruck studierte, schreibt einen bezeichnenden Nachruf: „Lackner ist nicht tot. Im Gegenteil: jünger als die Jungen, selbstbewusst, eigenständig, frech und heiter. Dabei unangreiflich alltagstauglich. Jedenfalls eine lang anhaltende Herausforderung. Ich beneide ihn um sein gelebtes Verständnis für die Mentalität der Alpenfurchen bei gleichzeitig freigeistiger Weltoffenheit. Ihn können die Berge nie behindern, und auch nicht das Tal. Ich will ihn gerne freundlich grüßen.“

Freigeistig und weltoffen kommt auch eine ganz andere Publikation jüngeren Datums daher, die allerdings dem Architektur-Kunst-Stadt-Spaß großen Freiraum einräumt, um nicht zu sagen, insgesamt einen solchen darstellt. Thomas Redl und Heidulf - „von Kärnten“ - Gerngross haben sich mit ST/A/R (zu haben z.B. bei Buchhandlung Morawa, Wien, € 5,- oder im Abo unter www.star-wien.at) eine „Europäische Zeitung für den direkten kulturellen Diskurs“ ausgedacht, „ein primäres Medium, eine Struktur für schöpferisch Tätige“.

Das Heft ist dick, das Spektrum der Beitragenden groß, die Aufbereitung provokant bis lässig, das Durchblättern und Verweilen anstrengend, aber lohnend, zumal hier ein Kunst-und-Publikationen-Recycling stattgefunden hat, das vieles zusammenfasst, was eigentlich ohnehin irgendwie zusammengehört.

Eine interessante Kombination findet sich sogleich auf Seite fünf des Sternenblattes, hier kommen nämlich untereinander die doch etwas konträren Charaktere Gustav Peichl und Roland Rainer zu Wort. Die Gesprächsausschnitte stammen aus dem - ebenfalls neuen, und ebenfalls an dieser Stelle empfohlenen - Buch Die Architektur und ich von Maria Welzig und Gerhard Steixner (Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar, € 29,90), das „eine Bilanz der österreichischen Architektur seit 1945, vermittelt durch ihre Protagonisten“ ziehen will.

Die darin enthaltenen Texte erschienen als Serie in Architektur & Bauforum, die Zusammenfassung der Interviews mit (u.a.) Ernst Hiesmayr, Friedrich Achleitner, Ottokar Uhl, Günther Domenig lesen sich im Durchlauf noch besser, weil untereinander vergleichbar. Harry Glück zum Beispiel, von der Architekturkritik nicht immer wertfrei behandelt, kann hier seine Wohnhäuser treffsicher und wortgewaltig analysieren und verteidigen. Er habe „im Neckermann-Format die Lebensqualitäten der Oberschicht auch der breiten Masse zugänglich“ gemacht. Und Harry Seidler referiert über die „spaciousness of things“. „Heutzutage“, so meint er, „gibt es da endless possibilities, da geht es weiter, aber es geht nicht zu der Schachtel zurück.“

Der Standard, Sa., 2003.12.20

13. Dezember 2003Ute Woltron
Der Standard

Hauslandschaften und Bücherwelten

Neue Architekturbücher für Insider, Outsider und alle dazwischen

Neue Architekturbücher für Insider, Outsider und alle dazwischen

Es ist stets sehr angenehm, die Welt von gescheiten Menschen in geordneter und systematisierter Form serviert zu bekommen, und Architekturbuchautoren sind traditionell Meister dieser Kunst. Deshalb heute eine kleine vorweihnachtliche Dreierauswahl: Ein systemisches Lebenswerk, eine Genealogie der Landschaft und ein Wohnweltentwurf für die Zukunft.

Den Beginn macht die Lebensgeschichte, oder gewissermaßen die Architekturgeschichte, die der Wiener Roland Rainer geschrieben hat. Sein Gesamtwerk umfasst Möbel, Häuser, Stadtteile, Städtebau, also den Mikro- wie Makrokosmos der Architektur, und jetzt, im Alter von 92 Jahren, hat er seine wichtigsten Arbeiten und Überlegungen in ein Buch gebunden.

Roland Rainer. Das Werk des Architekten (Springer Wien New York, 49,80 €) zeigt Bekanntes wie die Wiener-Stadthallen-Ikone, aber auch kleinere, feine Arbeiten, wie die weitestgehend unbekannte Arbeitersiedlung in Ternitz aus den späten 50er-Jahren: Perfekte Grundrisse, minimalistisch, hochfunktional und heute noch so gern bewohnt wie damals. Buchpräsentation: 15.12., MAK-Säulenhalle, 19 Uhr. Die Laudatio hält Rainer-Schüler Mark Mack, der heute in Los Angeles lebt und arbeitet.

Der schottische Universitätsprofessor Michael Spens ist ebenfalls ein Denker in großen und kleinen Formaten. Er greift immer wieder das Thema Landschaft auf, und in seinem neuesten Werk Modern Landscapes (Phaidon, 75,- €) systematisiert er es zu vier kompakten Kapiteln: Parks, Architektur als Landschaft, Gartenlandschaften, Urbane Interventionen. Vom ganz Grünen bis zum grün Gesprenkelten sozusagen.

Die dazugehörigen Beispiele sind gut gewählt, gut präsentiert, knapp aber informativ beschrieben. Ein tolles Buch für alle, die Architektur als Teil ihrer Umgebung und umgekehrt verstehen und sich ein paar gelungene Beispiele dafür anschauen wollen, wie Könner wie Glenn Murcutt, Tadao Ando oder Jacqueline Osty Innen- und Außenräume zum Ganzen werden lassen.

Zu guter Letzt ein Privatissimum: Wohnkonzepte für die Zukunft (Callwey, 49,95 €) heißt ein von Paco Asensio herausgegebener Band, der - trotz des dazu nachgerade einladenden Themas - wohltuend zurückhaltend gelayoutet ist. Der Inhalt: Neue Einfamilienhäuser in neuen Formen und Materialien a la Shigeru Ban & Co.

Doch auch zeitgenössisch revitalisierte Altbestände werden gezeigt, wie etwa ein gekonnt von Marques & Zurkirchen umgebauter Stall im schweizerischen Bergün, oder ein von Jo Crepain raffiniert ummantelter Wasserturm im belgischen Brasschaat, dessen vormaliges Freiluftstiegenhaus nunmehr zum Wohnraum auf fünf Geschoßen wurde. Auch viele Österreicher sind mit an Bord auf dem Weg in die Zukunft: Baumschlager & Eberle, die noch jungen, aus dem Architekturteich aber herausragenden Pool Architekten aus Wien, die schon etablierten und preisgekrönten Artecs. Letztere glänzen mit ihrem mittlerweile sattsam bekannten Stall-Dach-Ausbau im niederösterreichischen Raasdorf. Zeitgenössisch, aber zeitlos. Die Geschichte eines Ortes, so der Autor, sei häufig Ausgangspunkt der architektonischen Überlegungen, viele Häuser das Ergebnis einer konkreten Geschichte. Selbstverständlich - aber nur die wirklich guten.

Der Standard, Sa., 2003.12.13

29. November 2003Ute Woltron
Der Standard

Viele Millimeter können ein Kilometer sein

Architektur ist eine Frage des Maßes, und zwar in jeder Hinsicht. Das Fertigteil-Reihenhaus der Architekten u.m.a. ist auf den Millimeter geplant und zugleich passgenau in den großen Raster der individuellen und gesellschaftlichen Möglichkeiten gesteckt - visionär, gewissermaßen.

Architektur ist eine Frage des Maßes, und zwar in jeder Hinsicht. Das Fertigteil-Reihenhaus der Architekten u.m.a. ist auf den Millimeter geplant und zugleich passgenau in den großen Raster der individuellen und gesellschaftlichen Möglichkeiten gesteckt - visionär, gewissermaßen.

Was Architektur sei, frug Leopold Gerstl, legendenumrankter Professor an der Technischen Universität Innsbruck, seinerzeit in den frühen 80er-Jahren seine Studenten gelegentlich unvermittelt und mit der ihm innewohnenden Inbrunst.

Also. Los. Architektur. Was ist das? Rufzeichen.

Der Professor lauschte sodann ein Weilchen dem studentischen Gestammel, um die Antworten schließlich mit chronisch grafitverschmiertem Hemdsärmel vom Tisch zu wischen: Architektur, das sei Luft, in die Erde geblasen. Die Menschen, das seien die Würmer, die darin herumkröchen. Die Welt und die Architektur sei etwas, das ganzheitlich betrachtet gehöre - und überhaupt, alle Maße unter einem Kilometer hätten letztlich nicht zu interessieren.

Das Maß. Behalten wir es zur Sicherheit in Erinnerung. Ein Kilometer besteht schließlich auch aus vielen Millimetern, doch dazu später.

Gerstl verließ Innsbruck, ging nach Israel. Seine Studenten zerstreuten sich, erreichten Biennalen, gewannen Preise, blieben jedenfalls dieser absurden Disziplin der Architektur treu, bauten, rangen mit Normen, mit Bürgermeistern und anderen Genehmigungen aller Art stiftenden Instanzen. Wurden, wie es sich für Architekten jenseits der 40 gehört, langsam erwachsen, die meisten jedenfalls.

Ernst Unterluggauer, zum Beispiel, erlebte seine architektonische Mannwerdung, wenn man das so ausdrücken darf, in den vielen, vielen Jahren, in denen er gemeinsam mit 23 Bauherren und -frauen eine basisdemokratisch tadellose Konstruktion in die Hügel Innsbrucks setzen wollte. Zum Zwecke des Wohnens, versteht sich, gekuppelt und in der Reihe. Die Bemühungen erstreckten sich, um in Gerstls Terminologie zu bleiben, über viele Kilometer, von denen so mancher leer blieb. Denn alle gleichermaßen zu befriedigen und zu befrieden, das dämmerte Unterluggauer nach mehr als einem halben Jahrzehnt, erwies sich als unmöglich.

„Ich bin letztlich am Interessenkonflikt gescheitert“, sagt er, „Ich wollte das Rad neu erfinden, und ich habe es eben nicht neu erfunden.“ Schließlich standen da 23 Wohneinheiten für ebenso viele Individualisten auf dem Hang in Igls, und die vermeintlichen Individualbehausungen sahen alle schon ziemlich ähnlich aus. Das konnte nicht der Sinn der Übung gewesen sein.

Schluss, sagte Unterluggauer denn auch. Wenn schon nicht das Rad, so werde er etwas anderes erfinden, dabei aber der Vision, kostengünstig, schnell und für viele zu bauen, treu bleiben. Standardisiert, industriell vorgefertigt. Häuser, die in wenigen Tagen fixfertig auf der Wiese stehen.

Was ist Architektur? Luft und Hülle? Bauzeit, Geld, Baugrund, Ökologie, Nachhaltigkeit? Alles, lautete die Antwort, zumal im verdichteten Flachbau. Denn das Platz verschleißende Einfamilienhaus befindet sich in Anbetracht der ökonomisch desaströsen Landschaftsverhüttelung nur noch scheinbar in der Zeit seiner Blüte.

Gemeinsam mit den Bürokollegen Djordje Milosevic und Zaid Al Khafaji (zusammen: u.m.a.) begann Gerstls Exstudent vor vier Jahren also an einem Fertigteil-Reihenhaus zu planen, das all diese Tugenden in sich vereinen und trotzdem der Individualität seiner Bewohner zu entsprechen imstande sein sollte.

Das Produkt dieser Überlegungen steht als Prototyp nun fixfertig da. Garantierter und bis zu den Steckdosen durchkalkulierter Kostenpunkt: 990 Euro netto pro Quadratmeter (exklusive Fundamentplatte). Eine Petitesse im Vergleich zu anderen Fertigteilhäusern, und - Achtung, Unterschied! - als Reihenhaus gedacht.

Das UMA-Haus präsentiert sich auf den ersten Blick als schlichte Box. Zumindest zweigeschoßig, die Schmalseiten großzügig dreifach verglast, in verschiedenen Größen erhältlich. Die Innenräume offen, weit, den jeweiligen Bedürfnissen ideal anpassbar.

Was so schlicht, simpel und logisch daherkommt, ist tatsächlich das Resultat augetüfteltster Planungsarbeit. In diesem mittlerweile patentierten Konstrukt ist nichts, absolut nichts dem Zufall überlassen. Das tragende Element bilden Stahlrahmen, in den Wänden hohl geführt, in den Decken als I-Träger. Der Raster von 3,60 Meter erlaubt alle wandbildenden Materialien samt Dampfsperren et cetera in den üblichen Normgrößen zu verwenden, damit Abschnitte und in weiterer Folge Geld gespart wird.

Innen gibt es (grob gesprochen) Gipsfaserplatten, dann eine fette Steinwollewärmedämmung und OSB-Fassadenplatten, die mit allerlei Mustern bedruckt werden können. Die Decken sind aus Holz, die Treppe ist aus Stahl, die Balkone und innen gelegenen Oberflächenmaterialien sind optional, das Bad wird mitgeliefert, die Küche müssen sich die späteren Nutzer selbst aussuchen.

Die Häuser sind energetisch optimiert, also Niedrigenergiearchitekturen, in der - noch visionären - Optimalvariante sogar Energieerzeuger: Die Sonne könnte genug Strom für die Elektroautosteckdose am Parkplatz liefern. Die gesamte Haustechnik ist ausgeklügelt, alle Erfordernisse für Heizung, Stromanschlüsse, EDV, Telefon laufen in Kabeltassen in den Wänden. Steck-und andere Dosen werden dort montiert, wo man sie gerade haben will. Wenn gewünscht, regelt ein Bussystem Raumtemperaturen, Lüftung, Beleuchtung und den außen liegenden Sonnenschutz.

Trotz dieser millimetergenauen Konzeption wurde dem alten Visionär und Lehrer Gerstl, dem eher die kilometermäßige Übersicht ein Anliegen war, letztlich Genüge getan, weil der große Überblick hier mitgeholfen und die Architektur mitgeformt hat.

Die Häuser sind preiswert und Platz sparend zu errichten, innerhalb einer Woche fixfertig aufgestellt und ökologisch-energetisch auf dem Letztstand der Technik. Auch das Argument, sie könnten als Stahlkäfige abgetan werden, gilt für Unterluggauer nicht: „Blödsinn. In jeder Stahlbetondecke ist mehr Stahl drinnen als im ganzen UMA-Haus.“

Apropos Stahl: In den Schmieden der Firma Scholl in Tattendorf, wo hoch technisierte Stahlgeräte und andere innovative Tüfteleien ausgedacht werden, fanden die Architekten die idealen Partner. „Die sind verrückt“, sagt Unterluggauer, „wir haben sofort gewusst, hier sind wir richtig.“ Ebendort in der Produktionshalle steht der UMA-Prototyp, und dort findet auch am 4. Dezember die Haustaufe samt Einweihungsfest statt.

Kleine Anmerkung zum Schluss: Die Idee, rasch assemblierte Häuser aus Stahlrahmen zu schrauben, hatte unter anderen bereits der französische Ausnahmekonstrukteur Jean Prouvé, und auch Richard Buckminster Fullers genialische metallene Hauskonstrukte sollten nicht unerwähnt bleiben. Das UMA-Haus ist dagegen atmosphärisch eine bürgerlichere, zahmere Variante dieser Bemühungen. Seine Raffinesse liegt in der Technik und im Ausschöpfen der modernsten Materialmöglichkeiten. Vielleicht - hoffentlich - beschert ihm das mehr Akzeptanz als seinen schillernden, in die Architekturgeschichte eingegangenen Vorgängern.


[ UMA-Haustaufe:
Stahlbau Scholl, Tattendorf, Pottendorferstraße 77,
Donnerstag, 4. Dezember, ab 19 Uhr 30.
Infos unter uma@uma-architekten.at; www.uma-fertighaus.com]

Der Standard, Sa., 2003.11.29

04. Oktober 2003Ute Woltron
Der Standard

Eine Frage des Stils

Wenn Roland Rainer plant, steht der Mensch und nicht Zeitgeisteitelkeit im Mittelpunkt. Einen der wohl wichtigsten lebenden Architekten Österreichs zu übergehen, wie im Falle der „Revitalisierung“ seiner Stadthalle in Wien, ist stillos und fahrlässig. Eine Bestandsaufnahme der Respektlosigkeit

Wenn Roland Rainer plant, steht der Mensch und nicht Zeitgeisteitelkeit im Mittelpunkt. Einen der wohl wichtigsten lebenden Architekten Österreichs zu übergehen, wie im Falle der „Revitalisierung“ seiner Stadthalle in Wien, ist stillos und fahrlässig. Eine Bestandsaufnahme der Respektlosigkeit

Roland Rainer war zeitlebens ein Streitbarer, Unbequemer. Einer, der seinen Kopf durchsetzte, weil er sich der Qualitäten seines Denkens immer sehr bewusst war. In einem Land wie Österreich kommen Verhaltensweisen wie diese traditionell nicht besonders gut an, doch das macht nichts, solange die Häuser so gebaut werden können, wie sie geplant wurden.

Roland Rainer hat der Nation tatsächlich ein paar wunderbare Architekturen geschenkt. Viele Menschen, die sie benutzen, die in ihnen wohnen, arbeiten, ihre Freizeit genießen, wissen gar nicht, wer ihr Autor ist. Doch auch das spielt keine Rolle. Der Architekt, die Architektin muss nicht immer im Vordergrund stehen. In Rainers Architektur spielten jedenfalls immer die Benutzer die Hauptrolle, und weil er auch formal einer der Besten war, kann man ihn heute getrost als einen der wichtigsten Planer der Republik bezeichnen.

Es gibt Momente im Leben der Menschen und der Häuser, da spielt der Architekt sehr wohl die tragende Rolle. Zum Beispiel, wenn eine an sich perfekte, vielleicht etwas abgenutzte, abgearbeitete Architektur revitalisiert gehört. Mit der Wiener Stadthalle hat Roland Rainer der Bundeshauptstadt in den späten Fünfzigerjahren eine vorzügliche Gebrauchsarchitektur beschert, die sich mittlerweile über vier Jahrzehnte bewährt hat.

Die Stadthalle sei eigentlich ein Berg, sagt einer ihrer regelmäßigen Besucher. Ein Nicht-Architekt im übrigen. Sie sei trotz ihrer Größe immer ein Ort der Geborgenheit für ihre Gäste, eine kleine Heimat für kurze Zeit. Die Sicht sei von allen Grotten und Höhlen aus herrlich, man könne auch alles wunderbar hören, die Stadthalle sei im Laufe der Jahrzehnte zum großen, väterlichen Freund und Kumpel der Wiener geworden. Rau, einfach, elegant ist das Haus. Multifunktional im besten, heute wieder modernen Sinn.

Viele Jahre, viele Konzerte, viele Sportveranstaltungen und anderes, was man heute Event zu nennen pflegt, haben ihre Spuren hinterlassen. Vor allem die Ausstattungsteile des schönen Hauses zeigten Ermüdungserscheinungen, was nicht weiter verwundert. Gehalten haben die Sessel, Lampen und anderes Mobiliar ohnehin viel länger, als man angenommen hätte. Auch das ist als Pluspunkt für den Planer zu verbuchen, denn der hat all das seinerzeit mit Bedacht und formalem Können entworfen.

Vor wenigen Wochen versteigerte Sotheby's nun in London einen einzelnen metallenen Garderobeständer. Der Bestbieter zahlte 5600 Euro dafür. Das Objekt stammte ursprünglich aus der Stadthalle. Vor einiger Zeit war es in Wien auf dem Mist gelandet. Leute, die seinen Wert erkannten, holten es wieder heraus. Mit dutzenden anderen. Einige davon werden in Museen wandern.

Die Stadthallenbetreiber hatten den scheinbaren Krempel hinausgeworfen, weil sie sich dazu entschlossen, das Haus zu revitalisieren - was zweifelsfrei ihr gutes Recht ist. Doch den Weg zu Roland Rainer, der das Gebäude kennt wie kein anderer, und der in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder am gesamten Stadthallen-Komplex geplant hat, wollte offenbar niemand gehen. Nicht die Auftraggeber, nicht die revitalisierenden Architekten, nicht das Denkmalamt, nicht die Stadtväter. „Mich hat keiner je kontaktiert“, sagt der große alte Mann der Architektur, der mit heute 93 Jahren vor Auftragsgeiz gefeit ist, sein Lebenswerk aber geschändet weiß.

Wenn schon die offenbar völlig unkundigen Auftraggeber jegliches Feingefühl vermissen ließen, so hätte man doch zumindest seitens der nun planenden Kollegen die soziale und fachliche Kompetenz erwartet, den Grandseigneur wenigsten ein mal in seinem Atelier aufzusuchen. Denn in Pension befindet sich Roland Rainer noch lange nicht.

An ein Monument, wie es die Stadthalle mitsamt ihrem Urheber Rainer darstellt, ohne jegliche Nachfrage Hand anzulegen, zeugt von Ignoranz und Respektlosigkeit jenen gegenüber, die bereits zu einer Zeit die Fundamente des aktuellen Architekturgeschehen Österreichs legten, als die meisten der heute aktiven Architekten noch nicht einmal geboren waren.

Auch die offiziellen Stellen der Stadt stellen sich taub, stumm, unwissend. Stadthallen-Aufsichtsrat und MA51-Chef Ferdinand Podkowicz weiß lediglich, dass das Haus einer, wie er meint, „optischen Aufbesserung“ unterzogen wurde. Die Beurteilung der „optischen Aufbesserung“ darf den Betrachtern der auf dieser Seite gezeigten Bilder überlassen werden. Roland Rainer äußert im ALBUM-Interview jedenfalls Bedenken grundlegender Art.
Roland Rainer: Wie man sieht, hat man in der Sprache aller architektonischer Details das Gegenteil dessen gemacht, was uns damals vorschwebte. Wir hatten sehr einfache Sessel, jetzt stehen dort samtgepolsterte Stühle in Pink und Altgold. Ich bedaure aber vor allem, dass der Umraum der Stadthalle stark verändert wird. Es gab einen Wettbewerb für die dort gerade errichteten Erweiterungen.

Waren Sie dazu eingeladen?
Rainer: Nein. Ich hatte zwar alle Planungen dafür fertig gestellt, doch man wollte eben einmal etwas anderes machen. Dagegen ist nichts zu sagen. Doch es gibt eine Gesamttendenz, die dem zuwider steht, was wir uns für den Umraum der Halle vorgestellt haben. Das wichtigste Element war der Märzpark mit seinen alten Bäumen. Die sind verschwunden, ebenso eine Plastik von Fritz Wotruba, weil dort nun eine Straßenkreuzung sein soll. Und was die Revitalisierung angeht, frage ich mich, welche Gründe es gibt, alles zu ändern. Ist ein Gebäude deshalb, weil es eine Zeit lang steht, reif für die Zerstörungssanierung? Die Stadthalle ist immerhin auf der ganzen Welt berühmt dafür, wie gut sie funktioniert.
Wurde auch in die Substanz eingegriffen?
Rainer: Es hat den Anschein. Man hat zumindest gesehen, dass andere Bleche und Farben da sind, was vor allem für die akustisch höchst wirksame, sehr kompliziert gemachte Decke problematisch ist. Die Decke ist abgestuft, die verschiedenen Stufen hatten verschiedene Oberflächen. Die Halle war akustisch einwandfrei ausgebildet. Doch man wird sehen, was zu hören sein wird. Es ist nicht angenehm, wenn eine Sache, die eine Neuerfindung war, von anderen umgebaut wird.
Auch Ihre Möbel haben offenbar ausgedient.
Rainer: Diese Rosa-Gold-Symphonie ist das Gegenteil dessen in Ausdruck und Stil, was die Stadthalle ist. Unsere Möbel waren neutral und streng. Warum? Weil die Stadthalle eine Mehrzweckhalle für eine sehr breite Öffentlichkeit ist und nicht für eine kleine elitäre Schicht gemacht wurde. Die Möblierung war ein Bestandteil dieser Gesinnung und eine architektonisch wichtige Aussage. Ich wollte mit meinen Möbeln nicht repräsentieren, alles war in jeder Hinsicht praktisch. Die Sessel etwa waren gut stapelbar und hatten durch ihre Lochung überdies eine akustische Wirkung. Doch man spricht in der Kulturnation Österreich überhaupt nicht mehr von Stil, sondern nur von Kubikmetern. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo man als Einzelner überhaupt nichts mehr machen kann. Das ist der Grund, warum ich nicht gekämpft habe.
Und was halten Sie von der neuen Innengestaltung?
Rainer: Sie scheint mir Spielereien zu sein, die ich nicht verstehe, weil ich ihren Sinn nicht kenne. Die Architekten müssen erläutern, in welchem Punkt sie damit einen Fortschritt erreicht haben. Wenn überhaupt Architekten dabei waren. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das eher irgend ein Hauspersonal gemacht hat.
Als öffentliches Gebäude müsste die Halle denkmalgeschützt sein. Wurden Sie von dieser Seite jemals kontaktiert?
Rainer: Nein. Mich hat niemand je kontaktiert. Tatsächlich, jemand hätte anfragen müssen. Es ist zumindest ungewöhnlich, sich einer solchen Aufgabe zu stellen, ohne den planenden Architekten wenigstens zu kontaktieren. Dieser Rosa-Gold-Stil ist vielleicht etwas, das einer gewissen bürgerlichen Schicht Wiens zusagt. Daher passt er jetzt. Aber viel schlimmer ist: So, wie man innen die Möbel bewusst zerstört hat, so zerstört man nun das Umfeld. Doch über das, was jetzt geschieht, sollten wir die Nachwelt urteilen lassen. Ich selbst werde es nicht mehr erleben.

Der Standard, Sa., 2003.10.04

22. September 2003Ute Woltron
Der Standard

Space-Barbies Sarkophag

„Friendly Alien“ nennen die Architekten Peter Cook und Colin Fournier ihr Kunsthaus Graz, das kommenden Samstag zwar noch nicht fertig ist, aber sicherheitshalber eröffnet wird - und bereits heftige Kontroversen auslöst. Vom Galaktischen, sagt Ute Woltron, blieb kaum eine Spur, der Extraterrestrische verröchelte beim Eintritt in die irdische Biosphäre an seiner Eigenlast.

„Friendly Alien“ nennen die Architekten Peter Cook und Colin Fournier ihr Kunsthaus Graz, das kommenden Samstag zwar noch nicht fertig ist, aber sicherheitshalber eröffnet wird - und bereits heftige Kontroversen auslöst. Vom Galaktischen, sagt Ute Woltron, blieb kaum eine Spur, der Extraterrestrische verröchelte beim Eintritt in die irdische Biosphäre an seiner Eigenlast.

Graz ist ein sehr erdnahes Städtchen. Nicht zu groß, nicht zu klein. Alt und schön gewachsen, die neuen Architekturen fast immer sorgfältig und gut gemacht. Die Leute: Lustig, vital, freundlich.

Einen „Freundlichen Außerirdischen“ wollten sie denn auch in ihrer Mitte aufnehmen, ein Kunsthaus der besonderen Art. Unternommen hatte man bereits mehrere Anläufe, die Zeit wurde langsam knapp. 2003 stand im Zeichen der Kunst und der Kultur, der Außerirdische sollte rechtzeitig in diesem festlichen Jahr landen, als einer der Höhepunkte gewissermaßen. Die freundlichen Grazer begannen zu hudeln, der Außerirdische zu trudeln, das Resultat steht nun bruchgelandet am Murufer, und das ist nicht schön anzuschauen.

Das Kunsthaus Graz, entworfen von den britischen Architekten Peter Cook und Colin Fournier, ausgeführt von einer ganzen Planer-, Architekten- und Krisenmanagementriege, ist in jetzt quasi fertig gestelltem Zustand nur noch die Ahnung der Idee, die einmal dahinter steckte.

Diese Idee des Fließenden, Transluzenten, des Raumgewoges und des Amorphen ging zugrunde, weil man die wichtigsten Faktoren jedes Transportes durch den Raum in der Alien-Euphorie außer Acht ließ: die der Zeit, der Kosten und nicht zuletzt der Möglichkeiten.

Als die beiden Architekten im April 2000 den Architekturwettbewerb Kunsthaus Graz mit ihrem spektakulären bläulichen Blasengebilde gewannen, erklärte Colin Fournier dem STANDARD gegenüber noch hoffnungsfroh: „Die Form und das Design des Objektes sind eigentlich simpel, dafür haben wir alle Raffinesse in die Haut gelegt.“

Bedauerlicherweise erwiesen sich diese Raffinessen als optimistische Gedankenspielerei, aber als nicht umsetzbar. Jedenfalls nicht bis 2003. Bei gleichzeitiger Beibehaltung simpler Form und simplen Designs blieb dabei freilich recht wenig übrig.

Material und Konstruktion dieses Gebäudes hätten eins sein sollen: Die Hülle war als mehrschichtiges, in sich gekrümmtes Laminat geplant, als Haut, die in bis zu 100 Quadratmeter große Stücke hätte gegossen werden sollen, ein Material, aus dem normalerweise Segelyachten gebaut werden. Fournier damals: „In dieses Material können auch innen und außen Displays eingegossen werden sowie alle erforderlichen Leitungen.“ Transluzent hätte diese Haut sein sollen, oder dann wieder blickdicht, jedenfalls veränderbar, auch in ihrer Farbe.

Nichts dergleichen hat die Landung des Hauses überlebt. Die Gnade des Fernblicks vom anderen Murufer und des Herbstes, der die Blätter noch nicht abgeworfen hat und damit sanft die Sockelzone verhüllt, lässt noch hoffen. Das quallige Konstrukt fügt sich vom Schlossberg aus betrachtet recht interessant in die umgebende alte Dachlandschaft ein. Doch jeder Schritt näher offenbart größere Qual.

Die vormals so elegant geplante Haut wurde zur Schuppenoberfläche fragmentiert. 1280 in sich gekrümmte Acrylglasscheiben, von denen keine der anderen gleicht, bedecken den Leib. Keine Frage, hier wurde aufwändigste technische Meisterarbeit geleistet, doch was bringt sie? Hinter dieser Schicht schichtet es sich weiter, und zwar in Stahl und Folie und anderen Materialien, sodass die Innenräume zu zappendusteren Höhlen degradieren.

Der Alien wird in sich zum Troglodyt. Da nutzen auch die so genannten „Nossels“ nichts, diese fetten schneckenfühlerartigen Ausstülpungen in der Dachhaut. Wozu die gut sind, kann heute eigentlich keiner mehr so recht sagen, denn auch am wolkenlosen, strahlenden Herbsttag fällt kaum Licht in den darunter liegenden Ausstellungsraum. Die angekündigten Nossel-Spielereien mit allerlei Linsen, die das Licht bündeln und je nach Bedarf hätten disziplinieren sollen, wurden aus Geldmangel nicht umgesetzt.

Doch schon bevor der Besucher in dieses kleine Reich der Finsternis eindringt, springt ihn erst einmal die formale Katastrophe des Sockelbereichs nachgerade mit Wut an. Was oben blasenartig rundlich in Acryl quillt, ruht unten auf scharf facettiertem Glas. Auf der dem Murufer abgewandten Seite wächst der Sockel erst in gebogenen Stahlplatten empor, mündet in plane Glasscheiben, wächst zur Blase aus - der gebaute Beweis dafür, dass die Not nicht immer zur Tugend wird. Irgendwie wirkt das Ganze so, als ob Space-Barbie auf einem Sarkophag kalter deutscher Bankarchitektur zu Grabe getragen würde.

Immerhin hat man sich bemüht, die Blase auch im Foyer spürbar zu machen: Sie setzt sich über den Köpfen der Besucher fort, eine lange Rolltreppe führt in ihr Inneres. An dieser Stelle hält man erstmals inne und hofft angesichts der offen liegenden Acrylschuppen, dass die Stadt Graz ein eigenes Kunsthaus-Budget für die laufenden Wartungsarbeiten eingerichtet hat.

Denn wie diese Dinger innenflächig zu putzen sein werden ist eine interessante Frage für sich. Und unter den Außenschuppen befinden sich Hunderte Leuchtstoffröhren, die das Konstrukt abends zum Glühen bringen sollen. Ihre Lebensdauer ist mit sieben Jahren begrenzt. Auswechseln kann man sie nur, indem die Platten abmontiert werden - ein enormer Aufwand beim Glühbirnenwechseln.

Von diesen düsteren Gedanken umwölkt gleitet man über die Rolltreppe gemächlich in den ersten Ausstellungsraum, über den es wenig zu sagen gibt. Die Blase ist hier nicht spürbar, die Innenwände wurden mit dunkelgrauen, in Dreiecken aufgerasterten Stahlgewebepaneelen überzogen. Für eine echte Innenhaut reichte einmal mehr das Geld nicht. Eine verloren wirkende, ebenfalls dreieckige Fensteröffnung stellt den einzigen Bezug zur Grazer Außenwelt dar. Sie zu schließen und das Ding in eine Black Bubble zu verwandeln dürfte kein Problem darstellen.

Über den oben gelegenen Ausstellungsraum gibt es letztlich ebenfalls wenig zu sagen. Ein bisschen rundlich, absolut düster, alles grau in grau und stahlnetzbespannt. Bis auf die Nossels. Wo die sich auszustülpen beginnen, endet die Bespannung. Hier liegen die Stahlrippen kläglich offen. Was soll man sagen, das Geld hat nicht gereicht.

Dem Besucher bleibt wenig mehr als die Flucht in den - nur von innen betrachtet - einzig schönen Raum. Der heißt Chillout-Zone und befindet sich murseits als schmale Glasnadel in die Blase eingeschoben über den Baumwipfeln. Der Blick ist fantastisch, Graz eine Pracht. Hier kann verweilen, wer von Kunst und Blaseninnerem genug hat. Kaffee gibt's keinen, die Bar ist anderswo. Und so fesch der Raum mit Blick von innen ist: Von außen betrachtet ist die „Nadel“ in der Blase formal unverständlich, überflüssig, störend.

Peter Pakesch wird als Intendant des Joanneum das neue Haus nun denn bespielen. Er habe Erfahrung mit schwierigen Räumlichkeiten, meint er, und er freue sich auf die Herausforderung. Die Grazer werden in ihrem Kunsthaus sicherlich manch schöne Ausstellung betrachten dürfen, doch diese Möglichkeit hätten sie in anders gestalteten Häusern mindestens ebenso gut gehabt. Wahrscheinlich sogar besser.

Was die Baukosten anbelangt, so bewegte man sich trotz konstruktiver Herausforderungen sonder Zahl im vorgegebenen Rahmen, nach derzeitiger Sicht belaufen sie sich auf 37,5 Millionen Euro (netto und vor Schlussrechnung).

Fazit: Das Experiment Kunsthaus wurde durchgeführt, gelingen wollte es nicht. Konzept und tatsächliche Umsetzung klaffen zu weit auseinander, das Visionäre in der Architektur blieb außerirdisch, es zerschellte an den Grenzen irdischer Umsetzbarkeit. Darum wird Graz von Bilbao, dessen Effekt man sich so erhoffte, wohl weit entfernt bleiben.


[Ute Woltron ist Kommunikationsleiterin der Bundesimmobiliengesellschaft BIG.]

Der Standard, Mo., 2003.09.22



verknüpfte Bauwerke
Kunsthaus Graz

23. August 2003Ute Woltron
Der Standard

Bravo, bravissimo

Aufgemerkt: Dieses Haus auf dem Dach wird international Aufsehen erregen. Was aber wichtiger ist: Hier entstand ein Stück perfekter Architektur - und reinen Herzens kann man solches nicht oft behaupten. Das eigene Haus der Architekten Roman Delugan und Elke Meissl über den Dächern Wiens.

Aufgemerkt: Dieses Haus auf dem Dach wird international Aufsehen erregen. Was aber wichtiger ist: Hier entstand ein Stück perfekter Architektur - und reinen Herzens kann man solches nicht oft behaupten. Das eigene Haus der Architekten Roman Delugan und Elke Meissl über den Dächern Wiens.

Roman Delugan und Elke Meissl trinken Campari-Soda, unter anderem weil es in Wien gerade heißer ist als in Süditalien. Das belebende Rot steht den beiden gut, sie wirken einigermaßen ermattet, so als ob sie eine gemeinschaftliche Geburt hinter sich hätten. Was voll den Tatsachen entspricht.

Man sitzt luftig hoch über den Dächern der Bundeshauptstadt. Rundherum in Spielzeuggröße deren Elemente: Flaktürme, Mariahilfer Graben, Votivkirche, AKH. Man bekommt von hier heroben Lust, die Bauteile aufzugreifen, zu durchmischen, eine neue Variante dieser Metropole aufzubauen. Architektur und Städtebau werden scheinbar leichte, spritzige Angelegenheiten.

Campari-Soda hilft bei solchen Spielereien natürlich, und hilfreich ist auch das ungeheuerliche Gehäuse, in dem man sich gerade befindet, aus dem man hinunterlugt auf die schöne Stadt, weil es selbst eine Fingerübung der Leichtigkeit und Lässigkeit ist. Ein mikroskopischer Baustein feinster Schleifart, der sich perfekt in das System des großen Schemas Stadt einpasst.

Doch zuerst der Mikroblick von unten: vierter Bezirk, Mittersteig, ein Haus aus den 60er-Jahren. Man kann es sich vorstellen, es handelt sich um eine kahle Angelegenheit der Vernunft und, quasi kristallografisch gesprochen, des dreifachen rechten Winkels. Auf diesem kubischen, vormals flach gedeckten System lagert neuerdings eine vielwinkelige architektonische Flunder. Ein stählernes Skelett, mit Aluhaut über-, von eleganten Räumen fließend durchzogen. Unverständlich und amorph auf den ersten Blick, doch bei näherer Betrachtung in sich derartig logisch, dass es ein seltenes Vergnügen ist.

Man erreicht das Innenleben des Hauses auf dem Haus über einen im letzten Geschoß auskragenden Stiegenhausblock und betritt sodann den Villenaufbau durch einen langen, schmalen und sanft ansteigenden Trichtergang. Der öffnet sich zu einem wogenden Räumemeer, dessen Klippen, Kanten, Ufer die Produkte der übergeordneten abschleifenden Kräfte der Architektur sind, die da wären: die Bedürfnisse der drei Benutzer, die technischen Vorgaben der Bebauungsgesetze;,die natürlichen Regeln der über das Firmament ziehenden Sonne, die unerhörten Blickbezüge auf die zu Füßen liegende Stadt - und das Ganze sozusagen gewürzt mit dem Salz der Architektur, nämlich dem unbedingten Willen zur Perfektion auch noch im allerletzten Detail.

Dieses Haus kommt so gut wie ohne Möbel aus, denn es ist in sich Möbel. Das beginnt bereits im Eingangsbereich, wo sich eine Wand lindwurmartig schuppt, weil sich dahinter Schränke befinden. Die Schuppenwölbungen sind die Schranktürgriffe. Das setzt sich fort im Hauptraum dahinter, der sich in zwei Ebenen über die gesamte Hauslänge zieht. Hinten und vorne Glas, eine zweizeilige Küche ist eingeschoben, eine Zeile scheint zu fliegen, die andere klebt an der Außenwand. Geschickte Niveauschachtelungen (und statisch-konstruktive Raffinessen, berechnet von den kreativen „Werkraum“-Konstrukteuren) erzeugen ein dynamisches, trotzdem entspanntes Raumklima. Gläserner Durchblick überall - das Glas hier ist nicht nur Fenster, sondern auch tragendes Element. Zum Beispiel im Bereich unter einer großen schwarzledernen Liegelandschaft, die ebenfalls zu schweben scheint.

Roman Delugan und Elke Meissl nehmen ihren Campari-Spritzer im Moment noch einen Niveausprung höher am Essplatz ein. Zwei enorme Glasschiebetüren übers Eck sind geöffnet, die Terrasse davor wird zum Wohnzimmerelement, aber wo endet der Raum eigentlich? Keine Brüstung, kein Geländer, nur Blick in Sicht. Wie das funktioniert? Ein langes, schmales Nirosta-Schwimmbecken zieht sich hier über die gesamte Terrassenlänge, das Wasser leckt über die Kante, es wird unsichtbar in einer Saumrinne aufgefangen und den filternden Qualitäten einer verborgenen Anlage zugeführt - die Brüstung liegt unter Wasser.

Das Verbergen funktioniert überhaupt prächtig in diesem Haus: Die meisten Wände sind, wie im Vorraumbereich, zugleich unsichtbare Schränke. Türen verschwinden auf Rollen in Wänden. Dort wo sie sich herkömmlich drehen lassen, wurden die Beschläge unsichtbar versenkt. Schalter und Stecker wurden aufs Minimum reduziert, Lichtknöpfe mitunter Cent-klein in Stahlplättchen ausgeführt. Die gesamte Technik ist unter dem 90-Zentimeter-Niveausprung untergebracht, durch stählerne Düsen bläst Kühle in die Räume.

Zwei Schlafzimmer hat das Haus, eines für die Eltern, eines für das Kind. Die beiden Badezimmer sind integriert und designerische Meisterstücke für sich. Das Elternbad beispielsweise ist ein monolithischer schneeweißer Kunststoffblock samt Wanne, Becken, versenkten Lichtbändern, von hinten erleuchteten Screens. In der weißen Wand, noch einmal, Stauraum zum Saufüttern, aber keine Griffe, alles öffnet sich auf sanften Druck.

Das elterliche Bett (schneeweiß, was sonst?) wächst schräg aus der vollverglasten Außenwand, auf dass der Blick auf die Stadt im richtigen Winkel erfolge. Wer sogar seine Ruhestätte städtebaulich aufbereitet, hat lang und gründlich nachgedacht. Dahinter stecken ein Jahr Planung, ein Jahr Bauzeit und noch ein paar lange Monate peniblen Innenausbaus, weil sogar das Ablageregal, einem Eigenentwurf folgend, mehrere Tischlergenerationen fast dem Wahnsinn anheim gab. Auch das Regal ist schneeweiß, denn Weiß, Kirschholzrot, Schwarz sind die Farben, mit denen umgegangen wurde.

Mit diesem Haus über dem Mittersteig haben sich die Architekten, wie man so schön sagt, selbst verwirklicht und ihren architektonischen Grundsätzen das eigene Denkmal gesetzt. Von den dazu nötigen Geldern will man lieber nicht reden, der Preis der Arbeit dürfte aber entgolten werden: Delugan und Meissl sind junge, nichtsdestotrotz bereits jetzt international vom Fachpublikum beachtete Architekten. Dieses raffinierte und außergewöhnliche Projekt wird unweigerlich durch die internationale Medienlandschaft reisen, erste Architekturtouristen stellten sich bereits ein, bevor das Ding überhaupt fertig war.

Zum Abschluss eine kleine Reminiszenz: Vor nunmehr einigen Jahrzehnten baute ein einzelgängerischer Architektureigenbrötler namens John Lautner für kalifornische Millionäre ein paar Villen, die zu den bezauberndsten Architekturspielereien der Welt gehören. Sie waren weniger dem Intellekt als dem Solarplexus verpflichtet und räumlich atemberaubend. All die klugen Architekturspielereien der jüngeren Vergangenheit, mit Möbiusschleifen, Computerblasen et cetera, können diesen herrlichen, zugegebenermaßen unglaublich teuren Häusern bis heute nicht das Wasser reichen. Delugan und Meissl haben mit ihrem Entwurf zumindest eine thematische Annäherung geschafft, und dass Lautner einer ihrer Lieblinge ist, lässt sich am Schwimmbeckenrand ablesen. Nach langer Zeit ausnahmsweise wieder einmal ein sinnvoller, gleichwohl modifizierter US-Import. Bravissimo, und weiter so!

Der Standard, Sa., 2003.08.23



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12. Juli 2003Ute Woltron
Der Standard

Häuser, unterwegs

Eine wie immer ungerecht kleine Auswahl architektonischer Publikationen aus der großen Fülle des aktuellen Architekturbuchsommers, vorgestellt von Ute Woltron

Eine wie immer ungerecht kleine Auswahl architektonischer Publikationen aus der großen Fülle des aktuellen Architekturbuchsommers, vorgestellt von Ute Woltron

Das Titelfoto ist natürlich ein Geniestreich: Es wirkt wie aus der Perspektive eines Halbtoten aufgenommen, der gerade ohne Proviant und Wasser eine Wüste durchrobbt hat, die sich auf dem Mond zu befinden scheint. Bäuchlings liegt er in zu Stein gebackener Krume - es ist entweder arktisch kalt oder saharaheiß, was weiß man - und weit vorne steht ein Haus unter aquamarinblauem Himmel.

Diese Villa dort in der Ferne scheint unerreichbar. Eine Fata Morgana der Zivilisation. Eine Architektur der letzten Rettung. Ein zipfelig schroffer Hort des Wassers, Essens, des Schattens und freundlicher Gastgeber.

Dieses Haus könnte irgendwo stehen. An einem salzigen Meer, in der trockenen Weite des amerikanischen Südwestens, in der Fantasie eines Sciencefiction-Autors. Glücklicherweise befindet es sich tatsächlich in einer der lieblichsten Gegenden Österreichs, nämlich dem Burgenland. Gebaut wurde es von Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski, und mittlerweile ist das Gelände drumherum grün, saftig, freundlich.

Die Grazer Architekten haben das Titelfoto zu ihrer Publikation Idea and Form. Häuser von Szyszkowitz+Kowalski (€ 66,82/Birkhäuser) klug gewählt, denn es drückt klar aus, was das Buch will: Das Einfamilienhaus als „Territorialkunst“ vorstellen, als „Zuneigung zu einem Stück Leben“, wie Karla Kowalski es nennt. Dazu passt auch, dass der Autor des Bildes unbekannt bleibt, als MitarbeiterIn des Büros, als Teil einer monolithischen Architekturbüro-CI, die sich allerdings der Planung und Ausführung besonderer Hausindividualisten verschrieben hat.

Vorgestellt werden diese Solitäre von Architekturprofessorin Karin Wilhelm. 18 Häuser sind es insgesamt, alle markant und sehr eigenwillig. Das Buch über die Wohnhäuser des etablierten Duos ist eine ausgewogene Melange aus Bildern, Skizzen und nicht zu opulenten Texten. Peter Blundell Jones geleitet den Leser in seinem Vorwort mit folgenden Worten in den Szyszkowitz-Kowalski-Kosmos: „Sie führen uns vor Augen, dass Architektur auch heute noch einfallsreich, überraschend, persönlich, mitreißend und irritierend sein kann - alles, nur nicht öde.“

Auch unser zweiter Architekturbuchkandidat legt bereits auf den Umschlagseiten viel versprechend vor, was von ihm zu erwarten ist: eine Reise durch Zeiten, Länder, Architekturen. Vier Fotos, vier Architekturwelten.

Die üppige Barocktreppenanlage im portugiesischen Braga führt hinauf zur Kirche des „Guten Jesus des Berges“ (Bom Jesus do Monte), ein gewaltiger Pilgerpfad, von einem guten Dutzend steinerner Heiliger gesegnet. Darunter ein kühles Manifest der Moderne, der Deutsche Pavillon von Mies aus dem Jahr 1929. Die Rückseite: ebenfalls weihevolle Formenopulenz. Über den Felsen von Niterói, der Schwesterstadt Rio de Janeiros, schwebt ufohaft Oscar Niemeyers Kunstmuseum. Darunter ein Blick in die Große Moschee Córdobas, das maurische Monument des 9. und 10. Jahrhunderts.

Harry Seidler, australischer Architekt mit Wiener Ursprung, hat die Welt umrundet, eine subjektive Auswahl an beispielgebenden Häusern und Stadtanlagen ausgewählt und gemeinsam mit dem Verlag Taschen zu einem fetten kleinen Wälzer verarbeitet. The Grand Tour (€ 20,60/Taschen) ist ein eigenwilliger Architekturführer, dessen österreichischer Teil vor allem Historisches wie Schönbrunn, Hallstadt und Ringstraße offeriert, aber wenigstens mit Rachel Whitereads Holocaust-Mahnmal am Wiener Judenplatz endet.

Vom nächsten Cover schaut uns ein Mann entgegen: Hager, nicht mehr jung, alles an ihm spitz und streng, schwarzer Rollkragenpullover. Hinter ihm ein milchigweißes Konstrukt. Friedrich Kiesler: Endless House 1947-1961 (€ 25,50/Hatje Cantz) heißt das gemeinsam vom Friedrich-Kiesler-Zentrum Wien und dem Museum für Moderne Kunst Frankfurt herausgegebene Werk. Skizzen, mit Schreibmaschine getippte Texte, alte Fotos, vergilbte Zeitungsartikel und eine Menge guter zeitgenössischer Texte: Wer je in Kieslers amorphes Konstrukt abgrundtief eintauchen wollte - jetzt endlich bietet sich eine Gelegenheit dazu.

Auch Gerhard Garstenauer. Interventionen (€ 41,-/Verlag Anton Pustet) erweckt mit dem Unkonventionellen auf der Titelseite Neugierde. Im blauen Himmel fliegt ein Hubschrauber über den verschneiten Alpenkamm, er trägt ein kugeliges Stabwerk durch die Lüfte, das - längst gelandet - als eine der wunderbarsten Alpenstationen des österreichischen Berglandes Architekturgeschichte geschrieben hat.

Die Skiliftstationen des Salzburger Architekten in Sportgastein aus dem Jahr 1972 sind für Garstenauer „Architektur in einer Art Niemandsland“. Für die Skitouristen sind sie seit jeher Landmark, Zufluchtsstätte, Panoramastation. Für die Gasteiner waren sie ein Schritt in Richtung Tourismusmoderne, die mit dem eigentlichen Kapital, dem Berg, vernünftig und ein wenig kokett zugleich Umgang pflegte. Jedenfalls fernab jeder touristischen Anbiederung. Bedauerlich nur, dass dieser frische Architekturwind von rückschrittlicheren Geistern nicht immer pfleglich behandelt wurde.

Garstenauers umfangreiches Werk, für Dietmar Steiner „Bestandteil der Kulturgeschichte im Allgemeinen“ und „wesentlicher Bestandteil der österreichischen Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, wurde in dieser Publikation gründlich aufgearbeitet. Was fehlt? Ein sofortiger Wiederaufbau des geschändeten Skilifts auf dem Kreuzkogel. Möge der Hubschrauber bald wieder kreisen.

Jetzt zu den heute so beliebten Minimalisten. Wir sehen es gleich, ein verwaschenes, oranges Lichtfeld in schwarz-grüner Fassade ziert zurückhaltend die Titelseite von Minimal Architecture (Ilka & Andreas Ruby, Angeli Sachs, Philip Ursprung, € 41,60/Verlag Prestel).

Darinnen die Essenz dessen, was in den vergangenen Jahren als reduziert, eben minimalistisch, gepriesen wurde. Die Beispiele stammen aus der ganzen Welt und von Leuten wie Tadao Ando, Herzog & de Meuron, Lacaton & Vassal, sogar Zaha Hadid ist laut diesem Buch angeblich gelegentlich zu Reduziertem fähig. Mit dabei ist auch Adolf Krischanitz mit seiner Neue-Welt- Schule und der neuen Kunsthalle Karlsplatz.

Ob der plakative Begriff Minimal Architecture tatsächlich auf alle hier gezeigten Projekte anzuwenden ist, mag die Leserschaft selbst entscheiden.

Der UmBau 20 (Institut für Architekturtheorie TU Wien, Österreichische Gesellschaft für Architektur, € 10,90/edition selene) schaut grafisch aus wie immer. Er befasst sich diesmal mit Moral und Architektur, wobei der Begriff Moral sicherheitshalber durchgestrichen ist, was bereits auf den Inhalt schließen lässt.

Der ist, wie gewohnt, fundiert, von internationaler Schreiberherkunft und streckenweise erfrischend provokant. Robert Kaltenbrunner publiziert etwa einen schönen Essay über den Mythos vom politikfreien Raum, und Christian Kühn thematisiert, mikro-makro, zwei umfehdete Wien-Projekte, und zwar die Altargeschichte der Augustinerkirche sowie Wien-Mitte.

Zuletzt eine ebenfalls optisch sehr zurückhaltende Angelegenheit von Liesbeth Waechter-Böhm. austria west. tirol vorarlberg. neue architektur (€ 35,90/Birkhäuser) ist der begleitende Band zur gleichnamigen Ausstellung, die vor kurzem international auf Tour geschickt wurde. Aufgearbeitet wird darin die jüngere - und erstaunlich dichte Architekturgeschichte Westösterreichs. Das Titelblatt bleibt dabei weiß wie westösterreichischer Alpenschnee, der frisch beschrieben werden will.

Der Standard, Sa., 2003.07.12

07. Juli 2003Ute Woltron
Der Standard

Wo der „göttliche Funke“ geblieben ist

Nicht jeder Meister muss ein guter Lehrer sein, doch wenn er es ist, überlebt er sich selbst: Ein Treffen in Memoriam Ernst A. Plischkes brachte seine angegraute Schülerschaft nach 30 Jahren wieder zusammen: Ein besonderes Klassentreffen, beobachtet von Ute Woltron

Nicht jeder Meister muss ein guter Lehrer sein, doch wenn er es ist, überlebt er sich selbst: Ein Treffen in Memoriam Ernst A. Plischkes brachte seine angegraute Schülerschaft nach 30 Jahren wieder zusammen: Ein besonderes Klassentreffen, beobachtet von Ute Woltron

"Ich finde, dass wir uns den Puritanismus
ersparen können. Wir haben im deutschen Sprachraum einen Meister Eckhart gehabt,
wir wissen vom „göttlichen Funken“, das Genie Beethoven ist ohne metaphysische Realität nicht zu erklären. Unsere Aufgabe ist es, den göttlichen Funken entweder wach zu halten oder ihn anzuzünden. Daraus ergibt sich das Spannungsfeld zwischen der Realität und der metaphysischen Welt, zwischen dem Utilitarismus und der Architektur, wie ich sie sehe."
Ernst A. Plischke in einer Vorlesung am 25.10.1965

Der Tag war alt, der Abend heiß, als vergangene Woche allerlei gekämmtes und geschneuztes Volk der Kunsthalle Essl in Klosterneuburg zuzuströmen begann. Alsbald surrte es in allen Gängen, das Summen wies in eine Richtung und konzentrierte sich oben im Café und in der daneben gelegenen Ausstellungshalle.

Einige Kunsttouristen, die den Genuss der aktuellen Schau dort gerade bei Kuchen und Spritzern verdauten, wurden von den Massen aufgeschreckt. Sie konnten mit Erstaunen beobachten, wie sich weißbärtige Männer den Weg durch die sich vergrößernde Menschenmenge bahnten, aufeinander zuliefen und in die Arme fielen. Andere standen einander sinnend gegenüber und versuchten kichernd die Namen des jeweiligen Gegenübers aus der Erinnerung hervorzukramen. Über drei Jahrzehnte lagen zwischen ihnen, aber die waren rasch weggewischt.

Auch viele Frauen waren dabei, in schönen künstlerischen Gewändern und mit seligen Lächeln in den Gesichtern. Kurzum, die Angelegenheit war von Fröhlichkeit durchdrungen und hatte etwas ausgelassen Schulausflughaftes, irgendetwas, das mit Alter, Zeit, Generation kaum etwas zu tun hat, obwohl die Bärte, wie gesagt, grau, die Häupter meist kahl waren.

Tatsächlich war hier ein Klassentreffen der besonderen Art im Gange, und der, dem es galt, tauchte plötzlich wie ein Geist aus der Vergangenheit auf, sein Bild flackerte übermenschengroß über eine Leinwand und verschwand gleich wieder. „Soundcheck“, murmelte der Techniker. „Da ist er ja!“ riefen die Anwesenden.

Ernst Anton Plischke - Architekt, Emigrant, Lehrer - hätte an diesem heißen 26. Juni seinen hundertsten Geburtstag begangen, hier in Klosterneuburg war er 1903 zur Welt gekommen, 1992 war er in Wien gestorben. Dieses Treffen mit anschließendem Symposium hatten seine Schüler organisiert: Jene Ex-Studenten, Ex-Assistenten und heutigen Architekten in der Schweiz, in Israel, der Türkei und auch Österreich, denen er in den Jahren von 1963 bis 1973 an der Wiener Akademie der bildenden Künste als „Meister“ beigebracht hatte, dass Architektur mehr als Form ist, und dass ihr Inhalt durchaus von jenem „göttlichen Funken“ erhellt zu sein habe, der sich an der Reibung zwischen Metaphysischem und Utilitaristischem entzünde.

Gerne hatte der Prinzipientreue und dabei doch gelegentlich das Mystische Predigende im Hörsaal die 700 Jahre alten Worte des Meister Eckhart zur Manifestierung seiner Thesen zu Hilfe genommen: „Nicht als ob man seinem Innern entfliehen oder entfallen oder untreu werden sollte, sondern gerade in ihm und mit ihm und aus ihm soll man wirken lernen...“

Doch was innen und was außen ist, ist nicht nur eine Frage der Architektur, sondern auch der Lehre, und so streuen wir eigenmächtig an dieser Stelle ebenfalls ein Eckhart-Zitat ein: „Wenn ein Meister ein Bild macht aus Holz oder Stein, so trägt er das Bild nicht in das Holz hinein, sondern er schnitzt die Späne ab, die das Bild verborgen und verdeckt hatten; er gibt dem Holz nichts, sondern er benimmt und gräbt ihm die Decke ab und nimmt den Rost weg, und dann erglänzt, was darunter verborgen lag. Dies ist der Schatz, der verborgen lag im Acker, wie unser Herr im Evangelium spricht.“

Als Friedrich Kurrent, ehemals Plischkes Assistent, das Podium betrat, verstummte dieser vom Meister gehobene Architektenschatz, oder, wie Kurrent meinte, „die hier versammelten, heute in der Blüte ihres Schaffens stehenden Architekten“. Das Bauliche sei nach Plischkes Rückkehr aus der Neuseeländischen Emigration zu kurz gekommen, das ihm gebührende Alterswerk sei ihm versagt geblieben, und so sei sein eigentliches Vermächtnis die Schule, die er durch seine Lehrtätigkeit gegründet habe. Hermann Czech, Luigi Blau, Alessandro Alverá, Eberhard Kneissl, Georg Friedler, Dietmar Steiner, Elsa Prochazka sind nur ein paar, die daraus hervorgegangen sind.

Plischke war bereits in Jugendjahren ein außergewöhnlich erfolgreicher Architekt gewesen. Einige seiner Bauten zählen zum Besten, was hierzulande entstanden ist, das Arbeitsamt Liesing etwa oder das Haus Gamerith am Attersee. Beide Gebäude hatte er errichtet, bevor er dreißig Jahre alt war. Nationalsozialismus und Krieg wehten ihn nach Neuseeland, die dort entstandenen Plischke-Architekturen sind bei uns kaum bekannt. Das offizielle Österreich wusste den Architekten nach seiner Rückkehr nicht zu würdigen, Aufträge blieben aus.

Seine Häuser aus der Vorkriegszeit wurden jedoch, wie man so sagt, zu Ikonen der Moderne. Walter Stelzhammer spürte schon als im Attersee badender Bub „das Außergewöhnliche“ in Plischkes Sommerhaus für die Familie Gamerith und begab sich 1970 nach Wien, um beim „Meister“ zu studieren. An diesem Abend, dreiunddreißig Jahre später, bestieg auch er das Podium und präsentierte der „Plischke-Gemeinde“ die Idee eines dreijährig zu vergebenden Preises: „Als Anreiz aus der Plischke-Ecke für die ins Beliebige abgleitende Architekturszene.“ Nicht Personen, sondern Häuser sollten damit ausgezeichnet werden, denn auch für Plischke habe stets nur das Resultat gezählt.

Schließlich füllte zum Abschluss der Veranstaltung posthum der alte Mann selbst den Raum. Drei Jahre vor seinem Tod von Gregor Eichinger und Christian Knechtl gefilmt betrat er die Leinwand und geißelte sofort seine Zunft: „Als ich jung war, war die Sachlichkeit die Mode. Das war der Tod der Architektur, weil man damit viele andere Qualitäten ausgelassen hat.“ Mit umgekehrten Vorzeichen würde er wohl die Moden der heutigen Zeit abtun, die gelegentlich anstelle „göttlicher Funken“ nur ephemere Feuerwerke zu versprühen imstande sind. Doch war das nicht immer so?

Plischkes Vermächtnis lebt weiter, und damit auch Nicht-Schüler daran teilhaben dürfen, haben ihm seine Ex-Studenten im Verlag Anton Pustet ein Andenken in Buchform gestiftet: In „Ernst Anton Plischke. Architekt und Lehrer“ (129 Seiten, 25,-€) analysieren sie Leben und Werk, und erinnern sich an die Lehre des „Meisters“. „Sie müssen Ihre Bauten auch nach zwanzig Jahren gerne besuchen“, hatte er etwa gesagt. Seine Schüler waren nach über dreißig Jahren jedenfalls gern zum seinem Andenken gekommen.

Der Standard, Mo., 2003.07.07

30. Juni 2003Ute Woltron
Der Standard

Dienstleisten und Wertschöpfen

Am 1. Juli tritt das Bundesvergabegesetz 2002 endgültig österreichweit in Kraft. Experten erläutern, was das neue voluminöse Paragrafenwerk, das bereits jetzt vor einer Novelle steht, für die Architektur bedeutet.

Am 1. Juli tritt das Bundesvergabegesetz 2002 endgültig österreichweit in Kraft. Experten erläutern, was das neue voluminöse Paragrafenwerk, das bereits jetzt vor einer Novelle steht, für die Architektur bedeutet.

1Paragrafen, zehn Anhänge, insgesamt 150 Seiten Gesetzestext: Das Bundesvergabegesetz 2002 ist, da sind sich auch Experten einig, ein ziemliches Bröckerl niedergeschriebener Judikatur. Das Werk regelt, dem vorgeschriebenen EU-Recht folgend und jeweils national interpretiert und aufbereitet, die Vergabe öffentlicher Aufträge.
Doch inwieweit nimmt das Gesetz, das somit über allen Wettbewerbsordnungen und Richtlinien steht, Rücksicht auf die komplizierten und naturgemäß stets mit einer gewissen Subjektivität behafteten Vergaben von architektonischen Planungen? Da Architekten keine Juristen und Juristen keine Architekten sind, hat das ALBUM sicherheitshalber Experten beider Disziplinen nach ihrer Meinung befragt.

Georg Pendl ist Kammerchef der Architekten und in Wettbewerbs- und damit auch Vergabebelangen spezialisiert. Christian Fink hat in der Vergangenheit als Jurist der Architektenkammer stets Fingerspitzengefühl bewiesen, was ihn schließlich in das Bundesvergabeamt katapultierte. Er gibt in diesem Gespräch seine persönliche vergaberechtliche Sicht wieder.

Beide sind sich letztlich einig: Gesetze hin, Gesetze her. Saubere Vergaben beginnen mit sorgfältigen Ausschreibungen und mindestens ebenso verantwortungsvoll geführten Verfahren, und beides kann nur dann zustande kommen, wenn auch die Auftraggeber über die gesamte Dauer der Genese eines Bauwerks Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen.


Architektur und Klopapier

Kommt in den Gesetzestexten des neuen BVergG das Wort „Architektur“ überhaupt vor?

Georg Pendl: Nein.

Wie kommt das?

Pendl: Alles dreht sich um die Vergabe von Dienstleistungen, auf EU-Ebene „Intellectual Services“ genannt. Diese Richtlinie behandelt einen Versicherungsvertrag oder einen Bankkredit gleich wie das Planen von Häusern. Die Vergabe von Architektur wird also der Bestellung von Klopapier gleichgestellt.

STANDARD: Zumindest das Wettbewerbswesen scheint ziemlich straff geregelt zu sein?

Pendl: Das ist die einzige Besonderheit - das explizite Erwähnen des Wettbewerbs, allerdings ohne auf die Architektur einzugehen. Doch man konnte schon bisher mit dem bestehenden Vergabegesetz ordentliche Architekturwettbewerbe durchführen. Das Problem ist: Wer keinen Wettbewerb machen will, kann jetzt im Rahmen von Verhandlungsverfahren vergeben und muss sich an keine sonstigen Regeln halten, die die Vergabe sinnvoll machen. Die kreative Dienstleistung stellt nur eine Untergruppe von vielen dar und geht auf die spezifischen Erfordernisse der Architektur zu wenig ein.

Die Architekten der Bundesrepublik haben ihre Belange erfolgreich in die deutsche Variante des Gesetzes hineinreklamiert. Warum ist das den österreichischen Kollegen nicht gelungen?

Pendl: Es gibt die klassische Stellungnahmsmöglichkeit, und die ist gemacht worden. Was danach passiert ist, kann ich nicht beurteilen.

Erkennen Sie auch irgendwo positive Aspekte?

Pendl: Natürlich, man muss auch etwas Gutes daran lassen. So gelten jetzt auch unter dem Schwellenwert (200.000 Euro, Anm.) die gleichen Regeln. Der Unterschied zwischen Über-und Unterschwellenwert ist die EU-weite Bekanntmachung. Das zwingt etwa die Gemeinden, bei vielen kleineren öffentlichen Projekten die Regeln des Vergabegesetzes einzuhalten. Doch prinzipiell: Wenn jemand sinnvolle, an der Qualität orientierte, nachhaltige Verfahren und Vergaben durchführen will, kann er's heute nicht schlechter und besser.

Die Architektenkammer bemüht sich ihrerseits, die Verfahren zu verbessern, und organisiert Kurse für Juroren und Wettbewerbsvorbereiter. Macht das Sinn?

Pendl: Die Jurorenausbildung halte ich für schwachsinnig. Wesentlich ist die Ausbildung für Wettbewerbsvorbereiter, weil der Vorprüfer, der die Jury begleitet, letztlich derjenige ist, der rechtlich firm sein muss, der überprüfen muss, ob die Unterlagen passen, die Fragestellungen realistisch, die Kosten abgeprüft sind. Er trägt eine unheimliche Verantwortung, auch bezüglich des Ergebnisses.

Es ist wichtig, hier zu einer Liste mit guten Leuten zu kommen. Es ist problematisch, wenn Leute ausschreiben, die noch keine Wettbewerbserfahrungen gesammelt haben. Es macht keinen Sinn, wenn akademische Hausmeister, heute gern Facility-Manager genannt, ausschreiben, weil sie keine Ahnung von Architektur haben.

Stichwort Facility-Management: Könnte es sein, dass künftig hauptsächlich der Preis entscheiden wird?

Pendl: Das muss nicht sein, wenn jemand die Vergabe nach Qualitätskriterien entscheidet. Die ausgegliederte Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) führt ja auch Wettbewerbe durch, die nicht so übel sind.

Öffentliche Auftraggeber könnten sich allerdings noch mehr als bis dato dem Rechnungshof verpflichtet fühlen und Billigstbieter wählen.

Pendl: Das stimmt. Der Rechnungshof hat tatsächlich manchmal seltsame Ansichten. Prinzipiell gilt aber schon das Bestbieterprinzip.

Wie lautet Ihr Fazit?

Pendl: Es bleibt letztlich eine politische Entscheidung, ob man sich in Richtung Qualität bewegt. Auch mit dem neuen Gesetz werden schlechte Verfahren mit schlechter Vorbereitung und schlechter Jury schlechte Architektur produzieren. Das Heil ist der Wille, nicht die Vorschrift.


Problem Rechtsschutz

Welche Änderungen kommen auf die Architektur zu?

Christian Fink: Die wichtigste betrifft die geistig schöpferischen Dienstleistungen, da das Gesetz grundsätzlich auch im Unterschwellenwertbereich gilt und damit die Ö-Norm A2050 ablöst. Das Gesetz sieht sieht als gebotene Vorgehensweise des öffentlichen Auslobers Besonderheiten für geistig schöpferische Dienstleistungen hinsichtlich der Wahl des Vergabeverfahrens vor: Die sind im Vergleich zu den materiellen privilegiert, der öffentliche Auslober hat mehr Freiraum, weil sie treuhänderischen Charakter beinhalten. Dienstleister gelten somit als Treuhänder des öffentlichen Auftraggebers, sie müssen sozusagen überlegen, was das Beste wäre.

Inwieweit werden geistig schöpferische Dienstleistungen bevorzugt?

Fink: Bis 30.000 Euro Planungshonorar ist eine Direktvergabe nun grundsätzlich möglich, sprich, ich suche wen, der es kann, und beauftrage ihn direkt. Bei anderen Dienstleistungen ist das nur bis 20.000 Euro erlaubt. Bis zum Schwellenwert von 60.000 Euro kann man mit drei Bietern in Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Bekanntmachung treten. Bei anderen Dienstleistungen geht das nur bis 40.000 Euro. Und eine Besonderheit: Wer glaubhaft versichern kann, dass sich ein Wettbewerb aus verschiedensten Gründen nicht rentiert, kann bis zu einem Planungshonorar von etwa 160.000 Euro mit nur einem Bieter und ohne öffentliche Bekanntmachung in ein Verhandlungsverfahren treten.

Verhandlungsverfahren klingt nach Vergabe über den Preis.

Fink: Es ist nicht ausdrücklich im Gesetz, jedoch in den Erläuterungen festgeschrieben, dass man bei der Vergabe geistig schöpferischer Leistungen immer nur das Bestbieterprinzip anzuwenden hat und diese nicht im offenen Verfahren über den Preis ausschreiben kann. Man muss also immer verhandeln, weil ein Ergebnis nie von vornherein feststehen kann. Das war früher nicht so klar formuliert.

Inwieweit sind Architekturwettbewerbe überhaupt Thema des Gesetzes?

Fink: Trotz Ansinnens der Vertretung der Ziviltechniker hat man es verabsäumt, auf die Spezifika eines Planerwettbewerbes Bedacht zu nehmen. Anders als in Deutschland sind keine speziellen Bestimmungen dafür vorgesehen. Man hat zum Beispiel dem Wunsch, die Jury vorweg bekannt geben zu müssen, nicht entsprochen, was eine Kardinalforderung der Architekten war. Auch eine Juryzusammensetzung mit Überwiegen der Fachpreisrichter ist nicht vorgesehen. Laut EU-Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie muss lediglich ein Drittel der Jury über dieselbe Qualifikation verfügen wie die Teilnehmer. Man hat hier also lediglich die Mindestanforderungen der EU übernommen. In Deutschland ist offensichtlich das Thema planerische Qualität und Architekturwettbewerb ein größeres Ding, weil man ausdrücklich neben den allgemeinen Regeln Standards mit eigenen Bestimmungen vorgesehen hat. In Österreich wurde alles über einen Leisten geschlagen.

Welche Änderungen gibt es im Rechtsschutzbereich?

Fink: Überspitzt ausgedrückt ist das BVergG nach Meinung vieler eher ein Rechtsschutzverhinderungsgesetz, es werden ungleich höhere Anforderungen an den einzelnen Vergaberechtsschutzsuchenden gestellt: Es können nur mehr bestimmte Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers angefochten werden, es sind genaue Fristen für Beeinspruchungen vorgesehen. Wer die versäumt, hat keine Möglichkeit mehr, Einspruch zu erheben. Im Oberschwellenbereich handelt es sich um 14 Tage, darunter um zehn Tage. Prinzipiell schrecken Bieter erst einmal davor zurück, sofort zu den Vergabekontrolleinrichtungen zu rennen. Doch jetzt bleibt kaum mehr Zeit, um zu überlegen, was aus meiner Sicht praktisch sehr problematisch sein kann. Außerdem wurden Pauschalbeträge für die Inanspruchnahme für Vergabekontrolleinrichtungen eingeführt. Im Oberschwellenbereich sind das bei Dienstleistungsaufträgen 1600 Euro pro Antrag, unterhalb sind es 800 Euro. Früher musste man pro Eingabe lediglich ein paar Stempelmarken kleben. Es gibt demzufolge weniger Anträge als zuvor.

Das Gesetz scheint nicht optimal ausgereift zu sein, würde es sonst bereits jetzt vor einer Novelle stehen?

Fink: Es ist tatsächlich sehr umfangreich, und viele Köche - die einzelnen Länder, Ministerien, Wirtschaftskammer etc. - haben mitgemischt. Es gibt also viele Bruchstellen, die man durch die praktische Anwendung bereits erkannt hat und mit Herbst in einer Novelle entfernen will. Abgesehen davon ergibt sich Reformbedarf durch verschiedene Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, der manches anders sieht. Zu nennen ist etwa die Frage der Bekämpfbarkeit des Widerrufes. In Österreich kann derweilen nur Schadenersatz begehrt werden, EU-Europa sagt aber, dass ein erwiesenermaßen unsauberes Vergabeverfahren zur Gänze neu aufgerollt werden kann.

Der Standard, Mo., 2003.06.30

23. Juni 2003Ute Woltron
Der Standard

Klarer Schnitt im Stadtgarten

Eine Gartenbau- Berufsschule in Wien von atelier 4 architects verbindet Ökologie, Ökonomie und gut durchdachtes Bauen zu einem architektonischen Schaugärtchen ohne blumigen Kitsch.

Eine Gartenbau- Berufsschule in Wien von atelier 4 architects verbindet Ökologie, Ökonomie und gut durchdachtes Bauen zu einem architektonischen Schaugärtchen ohne blumigen Kitsch.

Die Stadt Wien hat nur ein paar U-Bahn-Minuten vom Zentrum entfernt erstaunlich ländliche Gegenden zu bieten. So zum Beispiel am Rande des hoffnungsfrohen transdanubischen Stadtentwicklungsgebietes rund um die UNO-City. Dort wachsen nicht nur Türme, sondern auch Brennnesseln am Straßenrand, es gedeihen wohlgepflegte Privatgärten rund um die kleinere Einfamilienhausvariante der Architektur - und im Bereich des Donizettiwegs gibt es sogar so etwas wie ein großes Feld.

Mitten auf diesem Feld steht neuerdings ein markantes Gebäude, in dem jährlich über 600 Lehrlinge aus Wien und dem Rest Österreichs in die Geheimnisse des Gartenbaus und der Floristik eingeführt werden. Die Berufsschule wurde soeben feierlich eröffnet, für die Architektur zeichnet atelier 4 architects verantwortlich, die bürgerlichen Namens Peter Erblich, Zachari Vesselinov, Manfred Hirschler und Peter Scheufler heißen.

Im Anfang war also das Feld, irgendwann begann der Mensch auch zu gärtnern, und wie das alles so funktioniert mit Fruchtfolgen und Düngergaben, mit Blumenstecken und Rosenschneiden, wird hier von Fachkräften an die Jugend weitergegeben. Das Feld und der Garten bleiben Thema, auch in der Gestalt der Architektur, und die weniger sichtbaren Tugenden jedes Gärtners, nämlich mit Effizienz der Mittel und ökologischem Bedacht größtmöglichen Ertrag zu ernten, wurden in umgewandelter Form in Sachen Haustechnik eingebracht.

Weil der Garten auch ein Ort der Kommunikation ist, beginnt dieses neue Haus eigentlich schon mit seinem großen, akkurat abgetreppten Vorplatz. Eine Rampe führt parallel zum Gebäude zum Eingang, im darunter liegenden Terrassengarten stehen die von den Schülerinnen und Schülern gepflegten Blumen in Reih und Glied, der Ginkobaum, der bereits da war, darf einen besonderen Blickpunkt bieten.

Nichts Blumiges, was die straßenseitige Fassade anbelangt: Hier herrscht flächige Klarheit, an der Hinterseite gibt es reduzierte Rankgerüste für Trompetenwinden und andere Kletterer. Der Baukörper selbst wurde geschickt strukturiert, wodurch sich Einschnitte, Höfe, Freiräume in oberen Geschoßen ergeben, die man derweilen von außen allerdings nur ahnen kann. „Wir wollten eine klare Form in diese Feld- und Heckenstruktur stellen“, sagen die Architekten, die hier naturgemäß besonderen Wert auf das Zusammenspiel von Innen- und Außenräumen zu legen hatten. Immerhin dient der gesamte Feld-Garten mit Glashäusern und Lehrbeeten rund um das Haus quasi als erweitertes Freiluftklassenzimmer.

Grob gesprochen bildet der Baukörper über dem rechteckigen Erdgeschoß ein großes U, in dessen Mitte sich ein Hof und unter dessen einem Flügel sich ein überdachter Freiraum befinden. Auch innen ist man also stets ein bisschen draußen, jedenfalls nah an irgendeinem Grünraum. Dass die alle, so wie auch der Vorplatz, sehr gepflegt sind, versteht sich von selbst, und auch das Feld kommt in Form einzelner streifig angelegter Rabatte, die aussehen wie Miniaturblumenfelder, einmal mehr zu seinem Recht.

Das Gebäudeinnere selbst erschließt sich den Eintretenden ebenfalls erfrischend logisch. Ein helles, geräumiges Stiegenhaus bildet eine Art Aula und Kommunikationszentrum. An der Wand wächst, von einem besonderen Rankgerüst gestützt und mittels feuchten Vlieses mit den entsprechenden Nährstoffen versorgt, allerlei Grünzeug in die Höh', als vertikaler Schaugarten sozusagen.

Oben liegen die einzelnen Klassenräume: hell, ahorngetäfelt, freundliches, zum Teil von den Architekten entworfenes Mobiliar. In den unteren Zonen wird in großen Werkstätten das Handwerk gelernt, die interne Verwaltung und die Lehrerzimmer sind ebenfalls hier unten untergebracht. Der Turnsaal liegt vier Meter unter dem Gelände, das gesamte Haus musste in dichter Wanne gegründet werden, da die Donau nah, der Grundwasserspiegel hoch ist.

Das eigentliche Zentrum der Schule befindet sich dort, wo gearbeitet wird, wo zum Beispiel Blumenarrangements entworfen und sodann in die Tat umgesetzt werden. Den Werkstätten gegenüber befinden sich die Kühlräume, in denen die Schnittblumen bei wenigen Grad Celsius aufbewahrt werden.

In Schuldirektor Johann Dücke fanden die Architekten offensichtlich einen harten, aber herzlichen Partner, mit dem gemeinsam alle schulischen Abläufe - von der Materialanlieferung über die Verarbeitung bis hin zu den besonderen Erfordernissen der Lehre - in wiederholt verfeinerte architektonische Form gegossen werden konnte.

Auch die Haustechnik ist raffiniert ausgeführt, man nahm Bedacht auf Wärmerückgewinnung bei den Lüftungsanlagen, installierte eine Photovoltaikanlage als Fassadenelement, die zugleich der inneren Beschattung dient, und experimentierte unter dem Motto „Gute Luft für gute Schüler“ mit unterschiedlich kontrollierter Be- und Entlüftung in den Klassenräumen. Auch die Wasseraufbereitung folgt ökologischen Grundsätzen: Die WC-Spülung erfolgt etwa mittels Nutzwasser.

Die Berufsschule für Gartenbau und Floristik ist ein fein durchdachtes Haus, dem seine Nutzer näher sind als jeder architektonische Show-off. Ökologie, Ökonomie der Mittel, ein gepflegter Umgang der Menschen untereinander und mit den Pflanzen standen im Vordergrund. Architektonisches Gärtnern at its best.

Der Standard, Mo., 2003.06.23



verknüpfte Bauwerke
Berufsschule für Gartenbau und Floristik

31. Mai 2003Ute Woltron
Der Standard

Der Ort als Maschine

Für den deutschen Industriebauer Gunter Henn ist Architektur eine soziale oder organisatorische Tatsache - mit Return on Investment, versteht sich.

Für den deutschen Industriebauer Gunter Henn ist Architektur eine soziale oder organisatorische Tatsache - mit Return on Investment, versteht sich.

Vergangene Woche kam die deutsche Gründlichkeit in Person Gunter Henns nach Wien, um im Audimax der TU-Wien einen interessanten Gastvortrag über seine umfangreichen Tätigkeiten als Industriebauer zu halten. Henn erschien auf Einladung des Kollegen und TU-Industriebauprofessors Christoph Achammer im Rahmen eines jener prominent besetzten Seminare, die Achammers Vorgänger Degenhard Sommer über viele Jahre hinweg institutionalisiert hat, und die nun erfreulicherweise Fortsetzung finden.

Henn betrat die Bühne groß, hanseatisch und multimedial unterstützt, und er führte den studentisch lauschenden heimischen Architekten mit kühler Präzision und gemessenem Auf-und-Abschreiten vor, wie sich diverse Philosophien und Theorien zur Praxis manifestieren können, wenn alle wollen, dass wirklich Architektur und nicht nur ein paar flotte Wände gebaut werden. „Architektur wird nicht danach beurteilt werden, welche Räume sie schafft, sondern welche Räume sie ermöglicht“, hieß es da etwa, oder: „Es geht darum, eine Architektur der Kommunikation zu gestalten.“ Denn: „Nur die interne Selbstorganisation lässt Unternehmen überleben. Wenn alle Mitarbeiter immer alles machen würden, was die da oben sagen, wären viele Unternehmen längst tot.“ Wir können nur beipflichten.

So interessant der Vortrag des renommierten Planers auch war, er arbeitete aus der Fülle der Informationen über Faktoren wie Beschleunigung, Zeit, Real Time, Kommunikation etc. vor allem eine Tatsache ans Licht, die Österreich und Deutschland ebenso voneinander unterscheidet wie die sprichwörtliche gemeinsame Sprache: Die Bestellqualität der Auftraggeber unserer großen Nachbarn scheint eine völlig andere zu sein als hier zu Lande. Der Unternehmer als selbstbewusster Bauherr, der den Architekten als Partner, als Problemlöser, ja geradezu als Unternehmensberater und nicht als zu knechtenden Büttel betrachtet, ist eine seltene Spezies im Alpenland.

Selbstverständlich sind Henns Kunden wie beispielsweise Volkswagen und BMW Weltkonzerne, die nicht lange budgetär herumzaudern, wenn es um die Errichtung eines großen Autowerkes oder einer Think-Factory geht. Sie wissen allerdings auch, dass sie, so die Architektur gut ist, Return on Investment erwarten können. Von finanzstarken Kunden wie diesen dürfen die heimischen Planer nur träumen. Doch warum eigentlich? Vielleicht spiegelt der Umgang mit Bausubstanzen und Architekten viel tiefere Unternehmens-Un-Kulturen wider, als man annehmen sollte. Kluge Unternehmensberater sagen jedenfalls, dass man die Güte eines Betriebes bereits am Fußdackerl erkennen könne.

Doch zurück zum Rundherum: Als Henn beispielsweise ein gewaltiges Forschungszentrum für BMW bauen sollte, lautete sein Auftrag nicht: Stellen Sie uns 10.000 Quadratmeter irgendwas auf die grüne Wiese, mit soundsovielen Hallen und soundsovielen Werkstätten. Sondern: „Sorgen Sie dafür, dass sich die Produktentwicklungszeit von zehn auf vier Jahre reduziert.“ Nur eine penible Analyse des gesamten Autowerdungsvorganges konnte schließlich in die entsprechende Bausubstanz münden. Ein Optimieren des Arbeitsablaufes sei nur „räumlich, nicht organisatorisch lösbar“, so Henn, denn, egal in welcher Branche: Wenn man die Erfindergeister organisieren wolle, dann sei sofort „die Kreativität futsch“. Auch die Anwendung dieser Erkenntnis dürfte uns von unseren Nachbarn unterscheiden.

Das BMW-Entwicklungszentrum befindet sich in Bau, die Kreativität wird sich über zwei Geschosse erstrecken, in der Mitte eine Agora, wie sie laut Henn schon „in Athen die Demokratie lebendig gehalten hat“, und dort wird sich auch das täglich veränderte, verbesserte Produkt befinden. Man wird daran jeden Arbeitsschritt ablesen können. „Real Time“, sagt Henn, denn Geschwindigkeit ist zu einer der wichtigsten Tugenden unserer Zeit geworden.

Ein anderes Beispiel: Für VW baute der Architekt nicht nur die bekannte Autostadt in Wolfsburg, sondern auch die so genannte Gläserne Manufaktur in Dresden. In fast völliger Transparenz werden hier die Luxuskarossen Phaeton montiert. Die Spaziergänger draußen schauen zu, wie auf amerikanischen Bergahornparketten die Autos von Robotern und Menschen zusammengeschraubt werden. Öl fließt hier keines mehr, die Monteure tragen weiße Zwirnhandschuhe, der Boden bleibt makellos, die Anlieferung erfolgt über die Straßenbahn. Diese Aura der supercleanen Perfektion wird über die Architektur zum Markenzeichen hochstilisiert, und sie kommt so gut an, dass Peter Sloterdijk beschloss, sein Philosophisches Quartett bei laufender Produktion in diesem Haus stattfinden zu lassen. Und: Als die Semper-Oper nach der Flutkatastrophe des vergangenen Jahres nicht bespielbar war, übersiedelte das Orchester in die Fabrikshalle und konzertierte daselbst.

Henns Architekturen sind in ihrer Größe und Glattheit nicht immer unprotzig, nicht immer reizvoll, aber offenbar höchst funktional. Die Vernetzung der Welt verändere unsere Räume, meint er, und Häuser seien soziale, geformte Tatsachen. „Jedes Gebäude hat eine soziale Dimension, jede Gesellschaft hat eine räumliche Dimension.“ Und da wir uns im Zeitalter der Wissensgesellschaft befänden, müsse auch die Architektur eine des Wissens sein. Das Ermöglichen von Kommunikation der Menschen untereinander steht da an erster Stelle, denn: „80 Prozent aller innovativer Gedanken entstehen durch persönliche Kommunikation.“ Und, Zitat von Pierre Lévy: „Der Erfolg einer Gesellschaft hängt von ihrer Fähigkeit ab, im Raum des Wissens zu navigieren.“

Der Standard, Sa., 2003.05.31

26. Mai 2003Ute Woltron
Der Standard

Elite der Architekten soll Wien-Mitte planen

Neue Bedingungen, neue Kostenplanung

Neue Bedingungen, neue Kostenplanung

Eine hochkarätige Architektenriege wurde von der Wiener Stadtplanung eingeladen, einen Ausweg aus dem Schlamassel in Wien-Mitte zu finden und städtebauliche Studien für den heiklen Ort zu erstellen.

Nach Protesten der Unesco-Welterbekommission und nach Rückzug des Investors wurde das Projekt der Bahnhofsüberbauung wie berichtet gestoppt. Folglich wurde im Planungsausschuss der Stadt ein neuer Wettbewerb beschlossen, für den nun neben den heimischen Baukünstlern Klaus Kada, Ernst Hofmann sowie Dieter Henke und Marta Schreieck die international renommierten Kollegen Jean Nouvel, Christian de Portzamparc (beide Frankreich) und die Schweizer Jacques Herzog und Pierre de Meuron angefragt wurden. Die Ausschreibungsunterlagen sind derzeit in Vorbereitung und werden im Juni ausgegeben.

Das Verfahren soll nicht in konkrete Projekte, sondern in einen neuen Bebauungsplan münden. Dem Vernehmen nach dürfte sich allerdings an den geforderten Baumassen nur Unwesentliches ändern, da die ÖBB angeblich nicht dazu bereit sind, ihre Grundstücke günstiger zu verwerten - hohe Pacht, hohe Gebäude.

Die Frage ist aber, wie das Projekt angesichts hoher Pachtkosten rentabel gestaltet werden kann. Damit wurde bisher immer die Turmhöhe argumentiert - man wollte möglichst viele Büros darin unterbringen, um sie mit Profit zu vermieten. Neu ist jetzt, dass in die Planungen die Markthalle hinter dem Bahnhof einbezogen wird. Um sie eventuell ebenfalls zu verbauen und damit die fehlende Turmhöhe auszugleichen. Zwei Umstände müssen die Planer dabei bedenken: Der Grund gehört der Stadt Wien und es gibt uralte Verträge mit hohen Ablösesummen.


Bestehende Verträge

Die bisherigen Wien-Mitte-Architekten Neumann&Steiner, Lintl&Lintl, Ortner&Ortner werden in das Städtebauverfahren nicht eingeschaltet, laut Heinz Neumann geht man aber aufgrund bestehender Verträge davon aus, dass die ursprüngliche Planerriege nach Vorlage der neuen Bebauungsbedingungen wieder hinzugezogen wird.

Der Standard, Mo., 2003.05.26

24. Mai 2003Ute Woltron
Der Standard

Wettbewerbsmiseren am laufenden Band

Drei aktuelle Beispiele dafür, dass die Vergaben von Planungsaufgaben langsam in das Reich des Absurden abtrudeln.

Drei aktuelle Beispiele dafür, dass die Vergaben von Planungsaufgaben langsam in das Reich des Absurden abtrudeln.

Riegersburg

Die einen gewinnen, die anderen bauen, die Öffentlichkeit zahlt

Die Vorgeschichte ist tadellos: Die steirische Riegersburg wünschte sich eine neue Erschließung in Aufzugsform, weshalb man einen „geladenen Ideen- und Gestaltungswettbewerb für eine attraktiv-kulturelle Erschließung“ auslobte: Einstufig, nicht anonym, prominent besetzte Jury (Georg Driendl, Heinz Lang (Halle 1), Rüdiger Lainer, Dieter Bogner (siehe Seite A 2) u.a.).

Dazu neun geladene Hochkaräter, und zwar Thom Mayne, Eichinger oder Knechtl, Coop Himmelb(l)au, Szyszkowitz-Kowalsky, Günther Domenig, Propeller Z u.a.

Letztere gewannen in Arbeitsgemeinschaft mit dem Werkraum am 27. März 2000 das Verfahren. Der Auslober („Haus der Region“ und „Verein zur Förderung des Vulkanlandes“, beraten von Wolfdieter Dreibholz, also auch keinem Anfänger) erklärte sich dazu bereit, den Verfasser des erstgereihten Projekts unter noch zu vereinbarenden Bedingungen mit den weiteren Planungsleistungen zu beauftragen. Auf einer Pressekonferenz am 12. April erklärte Landesrat Gerhard Hirschmann den siegreichen Propeller Z-Entwurf zum „Leitprojekt für die ganze Region“ und sagte eine Co-Finanzierung des Landes Steiermark zu.

Bereits im Mai erfuhren die Architekten nach telefonischer Nachfrage, dass das Unterfangen derweilen auf Eis gelegt sei, denn erst nach der Landtagswahl im Oktober könne man die Finanzierung auf sichere Fundamente stellen. Danach war Funkstille.

Drei Jahre später, im März dieses Jahres, durften die Architekten zufälligerweise zu ihrem Erstaunen vor dem Fernsehapparat miterleben, wie mittels Hubschrauber Teile einer Stahlkonstruktion für eine neue Liftanlage auf die Riegersburg gehoben wurden. Am 11. Mai konnte die in der Zwischenzeit von den Kollegen Killinger und Fink ausgeführte Schrägaufzugskonstruktion der Öffentlichkeit übergeben werden.

Als Bauherr tritt nunmehr die „Riegersburg Infrastruktur Errichtungs- und Betriebs GmbH“ auf, in die das Land Steiermark am 16. September 2002 günstigerweise 2,9 Millionen Euro als (stillen) Gesellschafteranteil eingebracht hat. Die Burg selbst steht allerdings im Privatbesitz der Familie Liechtenstein, der Auftrag an Killinger und Fink, die am Wettbewerb nicht teilgenommen hatten, wurde freihändig von der Prinzessin Annemarie von und zu Liechtenstein vergeben.

Sie erklärte dem ALBUM gegenüber, sie selbst habe die nunmehrigen Planer persönlich ausgewählt, und zwar als „Privatperson“, und ja, „Landesgelder“ seien geflossen. Liechtenstein dürfte Killinger und Fink freundschaftlich zugetan sein, denn als die in Kroatien 2001 eine Hotelanlage eröffneten, spendete sie laut „Daily Bulletin“ „einen Großteil des antiken Mobiliars und der Gemälde“ für die Einrichtung.

Als Riegersburgherrin zeigte sie sich in Presseberichten nun ihrerseits „überaus dankbar“ für die politischen Geldspenden. Auf die Frage, wie hier eine „Privatperson“ freihändig mit Landesgeldern jonglieren und die Planer nach Gutdünken auswählen könne, gab sie die Antwort: „Darf man das nicht?“

Propeller Z meinen nein, sie haben ihre Anwälte mit der Sache bemüht, denn, so Kriso Leinfellner: „Bei öffentlichen Zuschüssen dieser Größenordnung müsste ein Vergabeverfahren astrein abgewickelt werden.“ Das Land selbst hat die Gelder über den Verkauf von Thermen an Gemeinden lukriert. Das Aufzugs-Bauvolumen war im Wettbewerb mit 2,5 Millionen Euro veranschlagt gewesen.


Thalia Investorendruck contra Denkmalschutz, und Bürger, die sich das alles nicht gefallen lassen wollen

An der Ecke Girardigasse und Opernring in Graz steht seit 1956 ein charmantes Gebäude, das Thalia heißt. Heute ist das 50er-Jahre Denkmal von Rudolf Vorderegger unter Schutz gestellt, ein wenig angerottet und vernachlässigt, und Zentrum eines kleinen Machtkampfes zwischen Architekten, Investoren, der Stadt und ihren Bürgern.

Das Haus, ehemals Kino, Tanzcafé und jahrzehntelang beliebter Treffpunkt von Künstlern, Architekten, Intellektuellen, stand stets in Privatbesitz, die Liegenschaft gehört der Stadt und war mittels eines Superedifikats bebaut worden. Dieses wechselte ab den 90er-Jahren wiederholt um unbekannte Summen den Besitzer und landete schließlich bei der Alpine Mayreder Bau GesmbH-Tochter Acoton.

Die veranstaltete im Winter 2001/02 ein Minimalgutachterverfahren zum Zwecke der Grundstücksverwertung mit gerade einmal drei Teilnehmern, das Heiner Hierzegger für sich entschied. Alle Grazer Architekturinstitutionen hatten zuvor lautstark einen öffentlichen Wettbewerb gefordert, das Thalia-Areal direkt neben der Oper sei städtebaulich äußerst sensibel, der alte Bau selbst eine delikate Tortenecke im Stadtmenü, jedes dort geplante Projekt erfordere also umfassende und sorgfältige Behandlung.

Die seit dem Wettbewerb vorliegenden Planungen stoßen sowohl in der Architektenschaft als auch in der Grazer Bevölkerung auf heftige Ablehnung. Der Thalia-Vorgarten soll überdacht und zur Einkaufspassage gemacht werden, über dem denkmalgeschützten Gebäude ragt ein doch eher massiver Hotelblock empor, dahinter befindet sich ein weiterer „Ziegel“ als Probebühne für die Oper. Alles in allem, so darf man sagen, handelt es sich um eine klassische Investorenarchitektur: viel verwertbare Fläche, simples Strickmuster, ordentlich ausgereizte Kubaturen.

Dagegen ist wenig einzuwenden, doch immerhin soll hier in der Schutzzone II der zum Weltkulturerbe erklärten Grazer Innenstadt gebaut werden, und zwar großformatig. Parallelen zu Wien Mitte drängen sich auf, doch in Graz machen gleich mehrere Instanzen Wind gegen das Projekt.

Das Gutachten der Altstadtsachverständigenkommission (ASVK) fiel negativ aus, kann allerdings mit einem Gegengutachten widerlegt werden. Der Bauherr engagierte also Denkmalschutzintimus Manfred Wehdorn für eine weitere Begutachtung, die sich zwar nicht negativ, aber auch nicht gerade euphorisch, also insgesamt von geschmeidiger Diplomatie zeigte.

Der Denkmalamtsbescheid des Landes fiel ebenfalls negativ aus, weshalb der Chef der Chefs, Bundesdenkmalamtsoberster Wilhelm Georg Rizzi, nach Graz zum Lokalaugenschein gebeten wurde.

Sein Bescheid wird mit Spannung erwartet, er könnte zum Zünglein an der Waage werden, denn er entscheidet über die Umsetzbarkeit der Baugenehmigung, die im übrigen bereits erteilt wurde.

Derweilen unterschrieben über 2000 Grazer Bürger gegen das Projekt, der Denkmalpflegerat ICOMOS-Österreich schaltete sich lautstark gegen das Bauvorhaben ein, der Verein Grazer Altstadt (dem immerhin Leute wie Peter Weibel und Nikolaus Harnoncourt angehören) legte Protest ein und erstattete Anzeige in Brüssel.

Die Begründung: Hier würden öffentliche Mittel zur Bebauung öffentlicher Gründe verwendet, denn die Gebäude fallen laut Vertrag im Jahr 2047 wieder in den Besitz der Stadt zurück.

Zum Verständnis: Die Stadt Graz verkauft ein Baurecht und kauft dieses sodann teilweise für die Vereinigten Bühnen (Oper) wieder zurück. Laut den Unterlagen der Projektgegner erwirbt die Stadt Graz Baurechtsmiteigentumsanteile, also die für die Vereinigten Bühnen neu errichteten Räumlichkeiten und Anlagen mit einer Bruttogeschoßfläche von knapp 2.000 Quadratmetern um einen Kaufpreis von 5 Millionen Euro, das Land Steiermark trägt 2,9 Millionen bei. Nach der Durchforstung diverser Vergabegesetze könnte angenommen werden, dass eines der so genannten Umgehungsgeschäft vorliegt, für die Österreich bei der EU-Kommission mittlerweile berühmt ist.

In einem mit 27. Jänner 2003 datierten Schreiben an Bürgermeister Siegfried Nagl (damals Finanzstadtrat) unternahm der Grazer Architekt Volker Giencke nochmals einen Rettungsversuch: „Da weder die Wettbewerbsausschreibungen noch die Auswahl der drei eingeladenen Architekten noch die Zusammensetzung der Jury den Bestimmungen der Bundesingenieurkammer der Architekten entsprochen hat, wurde dieser Wettbewerb von Anfang an beeinsprucht. Das vorliegende Projekt gibt im Nachhinein der ablehnenden Haltung der Ingenieurkammer Recht.“ Der „Frust“ unter den Architekten sei „so groß, dass sich meine Kollegen und etliche andere Kultur- und Kunstschaffende dazu entschlossen haben - sofern das irgendwie möglich sein sollte - den Bestand der Thalia zu den gleichen Bedingungen, die der jetzige Bauträger hatte, zu kaufen und zu betreiben“. Versteht sich von selbst, dass die Versuche im Sand verliefen.

Fazit: Die Stadt lässt die Verantwortung für eine ihrer sensibelsten Tortenecken fahren, engagiert einen Massenwarengroßbäcker, pfeift auf die Kunstfertigkeit aller anderer Zuckerbäcker, reserviert sich zugleich aber ein Stück des Kuchens und stellt sozusagen noch das Backrohr zur Verfügung. G'schmackig ist jedenfalls anders.


20er Haus Wie man mit voluminöser Wettbewerbsausschreibung deklariert, dass man nicht weiß, was man will

Der Brüsseler Weltausstellungspavillon von Karl Schwanzer aus dem Jahr 1958 ist zweifelsfrei eines der interessantesten Häuser der Moderne in Österreich, was nicht nur daran liegt, dass es es kaum Häuser der Moderne bei uns gibt. Schwanzers elegante, leichte Konstruktion ist ein Schmuckstück, eine Augenweide und das wohl markanteste Denkmal einer ganz bestimmten Epoche.

Derzeit gammelt es ein wenig vor sich hin, steht in Nachbarschaft zum noch vergammelteren Südbahnhof und soll künftig von der Österreichischen Galerie im Belvedere bespielt werden. Doch wie? Und womit? Und in welcher Form?

Zum Glück gibt es die stets allzeit bereite Gilde der Architekten, und die, so wollen es die verwaltende Burghauptmannschaft und die Galeristen, werden schon eine Lösung finden. Zu diesem Zweck veranstaltete man einen derzeit laufenden Architekturwettbewerb, der, nach Lektüre der entsprechenden voluminösen Ausschreibung, beim Leser ein Gefühl der endgültigen Sinnentleerung hinterlässt. Denn was man eigentlich mit diesem schönen Haus anfangen will, bleibt rätselhaft.

Für Martin Schwanzer, den Sohn des Architekten, ist die Ausschreibung ein „Musterbeispiel eines Wettbewerbs, der zur Befüllung eines Vakuums dient, und der legitimierte Missbrauch demokratischer Verhältnisse“.

Er steht mit seiner Kritik nicht allein da. Die IG Architektur hat in einer umfangreichen Aussendung Stellung zum Wettbewerb bezogen und ortet bereits im Vorfeld gravierende Verfahrensmängel: „Ein derart widersprüchliches und inhaltlich unausgereiftes Verfahren lässt kein Ergebnis auf dem der Aufgabe entsprechenden Niveau erwarten.“ Als Folge seien bereits jetzt „Beeinspruchungen und mediale Polemiken“ absehbar.

Zu den einzelnen Kritikpunkten: Es sei im „extrem detaillierten Raumprogramm“ (etwa 1.200 Quadratmeter zusätzliche Nutzflächen, drei unabhängig bespielbare öffentliche Funktionsbereiche samt Verdoppelung von Infrastruktur und Verwaltung) absolut kein inhaltliches Konzept erkennbar; die zu erbringenden besonderen „Sicherheits- und Klimaanforderungen“ brächten „gravierende Probleme mit den schlanken Strukturen des Gebäudes“; auf das städtebauliche Umfeld würde in keiner Weise eingegangen.

Doch auch juristisch-verfahrenstechnisch orten die Architekten bedenkliche Tendenzen: So stelle sich das Verfahren bei genauerer Durchsicht der Unterlagen nicht als, wie deklariert, zweistufiger, offener baukünstlerischer Wettbewerb dar, sondern als Verhandlungsverfahren; die Anonymität sei aufgrund der Eingabebedingungen schon in der ersten Stufe quasi aufgehoben, in der zweiten sowieso; es würden keine Preise zuerkannt, es sei kein Preisgeld für das erstgereihte Projekt vorgesehen, was ohnehin obsolet sein dürfte, denn „anscheinend ist auch keine Reihung der abgegebenen Arbeiten in der zweiten Phase vorgesehen“.

Fazit: Die Ausschreiber wissen offensichtlich nicht, was mit dem Haus geschehen soll und wälzen die Verantwortung auf die ideenbringenden Planer ab, die später zur Verantwortung gezogen werden können, wenn etwas nicht passt. Eine Funktions- und Nutzungsstudie John Seilers existiert zwar, „wurde aber nicht beigefügt oder sonst irgendwie einsehbar gemacht“. IG-Mann Andreas Vass: „Das Verfahren ist in Folge des neuen Vergabegesetzes kein Einzelfall, deshalb muss man jetzt etwas unternehmen.“

Am kommenden Montag um 20 Uhr (siehe www.ig-architektur.at und www.azw.at) findet im Architekturzentrum Wien eine Diskussion mit dem Titel „Die Bauherrenverantwortung des Bundes“ statt, in der das 20er-Haus ebenfalls Thema sein wird.

Der Standard, Sa., 2003.05.24

17. Mai 2003Ute Woltron
Der Standard

Federleichtes Architekturallerlei

Hat der Begriff der Leichtigkeit in der Architektur gezwungenermaßen etwas mit Gewicht zu tun? Oliver Herwig sieht in seiner Publikation „Featherweights“ die Angelegenheit weiter gespannt.

Hat der Begriff der Leichtigkeit in der Architektur gezwungenermaßen etwas mit Gewicht zu tun? Oliver Herwig sieht in seiner Publikation „Featherweights“ die Angelegenheit weiter gespannt.

Oliver Herwig ist Kunsthistoriker, Journalist und ein offenbar der Architektur zugetaner Mann. Er hat gerade ein Architekturbuch herausgebracht, dem man deutlich anmerkt, dass es von einem Nichtarchitekten geschrieben wurde.

Denn ehrlich gestanden: Das Fachidiom, das viele der einschlägigen Publikationen mit der Penetranz der vermeintlich reinen Lehre durchdringt, ist mittlerweile nicht mehr auszuhalten, geschweige denn für Laien zu verstehen. Architektur wird zur Geheimwissenschaft der Raumvalenz und anderer Unverständlichkeiten. Wie schade, dass ein uns alle umgebendes Thema so oft chronisch kalt-wissenschaftlich-wichtigtuerisch abgehandelt werden muss.

Herwig nähert sich dem gewählten Themenkreis hingegen unbeschwert, geradezu fröhlich, von der Last der Existenz noch nicht erdrückt. Er hat sich die „Featherweights“, also Federgewichte der Architektur, genauer angeschaut und unternimmt einen wunderbar kurzweiligen, zugleich fundierten Ausflug in die Architektur der Schwerelosigkeiten, der Membranen und Häute, und es ist eine Freude, dieses Buch zu durchfliegen, hier zu landen, da herniederzusinken, Zusammenhänge neu zu denken, Querverbindungen herzustellen.

Was ist Leichtigkeit in der Architektur überhaupt? Muss der Begriff in diesem Zusammenhang gezwungenermaßen etwas mit Gewicht zu tun haben? Oder beginnt die Leichtigkeit bereits in den Gedankenflügen der Konstrukteure, wenn sie Architektur neu denken wollen?

Den Anfang des Buches machen jedenfalls die „Pioniere“ der Leichtigkeit, der abhebenden Architektur. Sie nehmen gottlob ein gutes Drittel der Publikation ein, denn derweilen gilt noch der alte Spruch: Es kommt nichts Besseres nach.

Natürlich kann man über diese Ansicht streiten, aber vergleicht man - nur ein Beispiel - die einfache, konstruktiv quasi zum Weinen schöne Eleganz der betonierten Schalen eines Félix Candela aus den 50er- und 60er-Jahren (Mexiko) mit den immer eitler werdenden Post-Guggenheim-Konstrukten des zeitgenössischen Frank Gehry (weltweit), kehrt schon eine gewisse Nachdenklichkeit ein.

Herwig ortet „etwas fast Anarchisches“ in den Architekturen Candelas, Coop Himmelb(l)aus, Richard Buckminster Fullers, Archigrams, Pier Luigi Nervis, Eero Saarinens und vieler anderer mehr. Natürlich bringt der Autor hier die verschiedensten architektonischen Galaxien in gefährliche Nähen zueinander, aber genau das macht das Buch spannend, denn was ist die Welt schließlich, wenn nicht ein Haufen Galaxien, die rätselhafterweise irgendwie zusammenspielen?

Dabei hat das Buch durchaus auch einige Entdeckungen parat, beispielsweise den hierzulande weitgehend unbekannten DDR-Architekten Ulrich Müther. Der hat in den 60er- und 70er-Jahren offenbar auf höchstem Niveau mit dünnsten Torkret-Betonschalen experimentiert.

Zum Beispiel ist das hyperbolisch geschwungene Dach einer Bushaltestelle (eine Fläche Zweiter Ordnung, die sich, so man sie schneidet, aus Hyperbeln oder Parabeln zusammensetzt) nur 5,5 Zentimeter dick, insgesamt ist das Ding mit seinen herausfordernd gehobenen Flügelchen eine prächtige kleine Architekturskulptur, die man sich gerne vor Ort näher anschauen würde.

An den Ufern des ungarischen Plattensees standen - zumindest noch wenige Jahre nach dem Stacheldrahtfall - ganz ähnliche, erstaunliche Gebilde: Wartehäuschen, Unterstände, sogar Kinderspielplatzüberdachungen in feinster Torkret-Beton-Schalentechnik, wie man sie im Westen eigentlich nie gesehen hat. Vielleicht stammten auch sie von Ulrich Müther? Oder von einem Epigonen? Eine DDR- Ungarn-architekturhistorische Recherche erscheint lohnend.

Doch zurück zu den in „Featherweights“ dokumentierten Müther-Häusern: Ebenfalls aus Torkret-Beton formte der DDR-Architekt das Dach eines Touristenrestaurants in Warnemünde (1968). Es schaut zwar jetzt schon ein wenig heruntergekommen aus, beeindruckt konstruktiv jedoch mit einer Deckenstärke von gerade einmal sieben Zentimetern: wahrhaftig ein Federgewicht. Und weil sie so schön sind, die Müther-Dinger, noch ein kleines Schmankerl: Das Strandwächterhaus in Binz (Baltikum) aus den späten 70er-Jahren sieht aus wie das Bazillum aus Hoimar von Dithfurths „Im Anfang war der Wasserstoff“ - Eine flache Bubble mit rundlichen Fenstereinschnitten, frech aufgestelzt auf ein zentrales Bein.

Laut Herwig antwortet Müther, wenn man ihn nach dem Geheimnis seines Beton-Erfolges fragte, mit dem in Pommern offenbar gängigen Satz: „Arbeite hart und rede nicht viel.“

Selbstverständlich fehlen auch Frei Ottos feine gespannte Membranenkonstruktionen nicht, gezeigt werden etwa Archivaufnahmen von Arbeitsmodellen, die schließlich zu Meilensteinen wie dem Expo-Pavillon von Montreal (1967) und dem Olympiapark München (1972) führten. Experimentiert wurde damals mit Drahtgerüsten, Seifenwasser und Damennylonstrümpfen - alles Hilfsmittel, die in den Modellbauwerkstätten der Universitäten und Architekturbüros heute noch hochmodern sind.

Die zeitgenössischen Federgewichtkonstrukteure greifen selbstverständlich auf das Fachwissen ihrer Vorgänger zurück, sie haben jedoch technisch verfeinerte Hilfsmittel zur Verfügung: Kunststoffmembranen überspannen mithilfe hochtechnologisierter Spannsysteme große Weiten, wie es Klaus Latuskes Musical-Zelt in Hamburg veranschaulicht, luftgefüllte, also pneumatische Elemente halten rasch aufblasbare Hallen in Form, wie Axel Thallemers Airtecture Halle oder sein Airquarium zeigen (das RONDO berichtete).

Letzteres stellt eine Kugelkalotte dar mit einem Durchmesser von 32 Metern. Die Membran ist semitransparent, ein wassergefüllter Schlauch rundum sorgt für Verankerung. Leicht, preisgünstig, rasch auf- und abbaubar, leicht transportierbar.

Leichtigkeit, das bedeutet für Herwig auch industrielles Vorproduzieren und rasches Assemblieren vor Ort. Ein Beispiel aus den heimischen Architekturwerkstätten ist Johannes und Oscar-Leo Kaufmanns Su-Si-Holzhaus (1998), das zwar zwölf Tonnen wiegt, mit seinen Holz-Glas-Elementen dennoch leicht wirkt und alle Vorzüge intelligenter Holz- und Architekturkunst veranschaulicht. Aufgestellt ist das Ding in wenigen Tagen.

Oliver Herwig rundet sein Buch mit diversen Ausflügen in die Computerarchitekturwelt, in Simulationsuniversen und sogar in den vom Menschen eroberten Weltraum ab. Zum Abschluss der Versuch eines Federgewicht-Glossars, das die verschiedenen Möglichkeiten und Ansätze dieser mannigfaltigen Disziplin in eine Ordnung bringen will.

Ein interessantes Buch, gut zu lesen, informativ und reichhaltig; ein mit publizistischer Leichtigkeit gekonnt gespannter Bogen über Zeiten, Konstrukteure und Materialien.


[Oliver Herwig: „Featherweights. Light Mobile and Floating Architecture“, erschienen bei Prestel in englischer Sprache.€ 61,36/160 Seiten.]

Der Standard, Sa., 2003.05.17

14. Mai 2003Ute Woltron
Der Standard

Die Fülle der baulichen Hülle

Architektur aus Tirol und Vorarlberg auf der Mailänder Triennale

Architektur aus Tirol und Vorarlberg auf der Mailänder Triennale

Die westösterreichische Architekturszene hat sich in den vergangenen zehn Jahren zu einem kleinen Mekka des Architekturtourismus entwickelt, und das beileibe nicht nur national.

Die rasante, hochinteressante Entwicklung einer mannigfaltigen Baukultur auf höchstem Niveau steht im Mittelpunkt einer von Liesbeth Waechter-Böhm kuratierten Ausstellung, die in den nächsten Jahren international auf Wanderschaft geht. Die Schau „Austria West“ bringt erstmals die durchaus unterschiedlichen Szenen Tirols und Vorarlbergs unter einen Hut und macht nun auf der Mailänder Triennale Station. Sie wird heute Abend eröffnet.

Die renommierte Architekturkritikerin Waechter-Böhm organisierte einen gut gegliederten, übersichtlichen Rundgang durch die verschiedenen Landschaften und Architekturaufgaben der beiden Bundesländer. Auf dreizehn Stationen kann nachvollzogen werden, in welch raschen Entwicklungsschritten hier gearbeitet wurde. „Jahresringe“ nennt das die Kuratorin, die in diesen „zwei unterschiedlichen, reichen Szenen“ aus dem Vollen schöpfen konnte.

Sie meint: „Es gibt so viel, was auch ökologisch einen echten Beitrag darstellt, mit vorbildlichem Preis-Leistungs-Verhältnis - spannende bautechnologische Beiträge, und natürlich besticht immer wieder die formale Qualität.“ Der Wohnbau nimmt in der Schau den prominentesten Rang ein, Gewerbebauten, Architektur für Stadt und Dorf, für Jung und Alt, kleine Architektur, Tourismusbauten, regionale Besonderheiten und der „Architekturexport“ werden dokumentiert. Die handelnden Personen sind namhaft, von Henke & Schreieck über Dietrich.Untertrifaller, Baumschlager & Eberle bis zu Georg Driendl, Hanno Schlögl, Peter Lorenz u. a.

Als weitere Stationen sind Basel, Berlin, London, New York, Istanbul, Zürich und Wien anvisiert.
www.triennale.it

Der Standard, Mi., 2003.05.14

13. Mai 2003Ute Woltron
Der Standard

Häuserrauschen im Windkanal

Formfurie Zaha Hadid zeigt ab heute Skulpturen, Architekturen und andere rasante Strukturen im MAK

Formfurie Zaha Hadid zeigt ab heute Skulpturen, Architekturen und andere rasante Strukturen im MAK

Die britisch-irakische Architektin Zaha Hadid verfügt über eine jener Ausnahmepersönlichkeiten, die raumfüllend sind. Wo sie steht, vibriert die Umgebung. Hadid, groß, schwer, extravagant, ist ein Erdbeben von einer Frau, ihre Architekturen entsprechen dieser Vitalität.

In den vergangenen Wochen bekam das Wiener Museum für angewandte Kunst die Kräfte der multitalentierten Künstlerin in angewandter Form zu spüren: Im Rahmen der Ausstellung „Zaha Hadid. Architektur“ - der übrigens bisher größten Gesamtschau der prominenten Architektin - gestaltete sie ein Raumobjekt mit dem Titel Ice-Storm und erfüllte mit einem gewaltigen Morphingprodukt in Form styroporener und kunststoffüberzogener Zapfen und Wellen einen gesamten Raum.


Neue Wohnformen

Die Skulptur soll, so Kokurator Rüdiger Andorfer, als „gebautes Manifest“ verstanden werden, als eine „neue Form des Wohnens“. Doch wohnlich im herkömmlichen Sinn ist hier gar nichts. Das bizarre Ding verweist womöglich auf neue Wohnwelten, die da (wieder) einmal kommen werden; auf Räume, deren Böden, Wände, Decken sich mit Aus- und Einstülpungen zu Möbelartigem entwickeln.

Derweilen vermag das Objekt vor allem skulpturale Atmosphäre zu schaffen: Es demonstriert, wie sich ein Raum einverleiben lässt, doch auch das ist letztlich spätestens seit Friedrich Kiesler nichts ganz Neues.

Neu sind die Werkzeuge, der Computer, die Morphingprogramme - und neu ist vor allem der Wille, mit dem Raum wieder zu spielen, die letzte Dynamik aus ihm herauszuholen.

Der Eissturm ragt bekletterbar übermannshoch empor, er zieht sich über Wände und Boden, die Installation spielt mit den Effekten verschiedener Grauabstufungen und kühl temperierter Belichtungen. Der Betrachter muss genau aufpassen, ob er gerade Licht-Schatten-Spielereien auf den Leim geht oder ob die verwirrenden Grau-Schlieren wahrhaftig aufgepinselt sind.

Dieser Sturm ist ausstellungstechnisch betrachtet das Zentrum eines Taifuns. Die Schau rotiert gewissermaßen um dieses Auge und veranschaulicht anhand vieler Bilder und Modelle den Werdegang Hadids, beginnend mit den späten 70er-Jahren.

Die Anfänge, das waren atemberaubend dynamische Gemälde utopischer Architekturen, faszinierende Kunstwerke in Acryl, hauchzart auf Karton gepinselt. Hadid zerriss das Herkömmliche, stell- te ihre Häuser quasi in den Windkanal, brachte eine Rasanz in ihre Entwürfe, wie sie wohl keiner ihrer Kollegen bis dato zustande gebracht hat.


Major Paintings

„Major Paintings“ nennt sie diese Bilder auf meist schwarzem Hintergrund - und wer die Gemälde bisher nur aus Publikationen kannte, wird bei der Livebetrachtung noch neue Dimensionen darin entdecken. „Der Pinsel hat eine andere Sensibilität als der Bleistift“, sagt MAK-Chef Peter Noever, „die Gemälde vermitteln eine andere Dimension von Empfindungen und Gefühlswerten.“

Nach langen Jahren an der Spitze der Architekturtheorieavantgarde realisiert Hadid nun weltweit ein Haus nach dem anderen. In Rom baut sie ein Kunstmuseum, ein anderes in Wolfsburg; das Contemporary Art Center in Cincinnati wird im Mai eröffnet; das BMW-Zentralgebäude in Leipzig ist in Bau; die Verbauung der Wiener Stadtbahnbögen soll im Herbst begonnen werden. Und wie es ausschaut, wenn Hadid-Architektur vor Ort konstruiert wird, veranschaulichen großformatige Fotos: Die Betonschalungen der Baustelle in Wolfsburg etwa wurden millimetergenau in Form gefräst.

Mittlerweile vermischen sich in Hadids Londoner Büro die Disziplinen. Renderings werden computergeneriert - sie ähneln den Malereien, beweisen aber, dass die Maschine kaum je dieselbe Ausdruckskraft zustande bringt. Deshalb greift die Architektin immer wieder zum Pinsel. Die neuen „Major Paintings“ sind - wenn möglich - noch feiner, und sie sind ebenfalls hier zu sehen.


Formfurie

Die reduziert und gut gestaltete Ausstellung mischt gekonnt Fiktion und wahrhaftige Projekte und zeigt so den Werdegang einer durchaus polarisierenden, faszinierenden Formfurie. Sehenswert.


[„Zaha Hadid. Architektur“,
MAK, Ausstellungshalle,
bis 17. 9. ]

Der Standard, Di., 2003.05.13

03. Mai 2003Ute Woltron
Der Standard

Es wird ein Fass sein

Die Winzergenossenschaft Pöttelsdorf ist zur Domaine gereift, die burgenländische Sinnenfreude blieb zum Glück erhalten: Klaus-Jürgen Bauer installierte mit einem „Weg der Traube“ eine erfrischend spröde Architektur abseits der heute so trendigen Wein-Coolness.

Die Winzergenossenschaft Pöttelsdorf ist zur Domaine gereift, die burgenländische Sinnenfreude blieb zum Glück erhalten: Klaus-Jürgen Bauer installierte mit einem „Weg der Traube“ eine erfrischend spröde Architektur abseits der heute so trendigen Wein-Coolness.

Architektur kann teuer und schlecht, preiswert und gut, billig und genial sein. Auch die burgenländischen Weinbauern rund um Pöttelsdorf haben Erfahrungen mit den komplizierten Zusammenhängen zwischen Qualitäten und Preisen gesammelt, heute sind die Zeiten der Massenware passé, weshalb die Tröpferln der Pöttelsdorfer mit goldenen und silbernen Preisen bedacht werden, durchaus auch internationalen, und die Wertschöpfung gleich eine ganz andere ist.

Seit kurzem nennt sich das, was zuvor die Weinbau- und Vertriebsgenossenschaft namens Bismarck war, nun Domaine Pöttelsdorf, und damit die Sache nicht nur spirituell sondern auch architektonisch ein Gesicht bekommt, leistete man sich auch eine kleine bauliche Auffrischung vor Ort, die am Mittwoch eröffnet wurde.

Der Eisenstädter Architekt Klaus-Jürgen Bauer installierte rund um und im bestehenden Weingut des Kollektivs einen „Weg der Traube“: Mit geringsten Mitteln, mit viel Witz und Überlegung, und mit dem Effekt, dass nach dem Durchschreiten dieses Weges jeder geradezu nach dem Produkt giert, dessen Werdung hier veranschaulicht wurde. Sinnvollerweise endet der Weg auch im Verkaufslokal, und nur wenige verlassen es unfroh und ohne ein paar Fläschchen quasi zur Erinnerung mitgenommen zu haben.

Bauer ist einnoch junger Architekt, doch spielt er in der Liga der neuen Planer eine sympathisch störrische Sonderrolle. Er dissertierte seinerzeit an der Bauhaus-Universität Weimar mit dem Thema „Minima Aesthetica. Banalität als subversive Strategie der Architektur“, und dieser durchgeistigte Ansatz setzte sich in Pöttelsdorf in erdnaher Form voll durch.

Von luxuriös-glatt-gestylter Weingutatmosphäre keine Spur, keine Rede vom hoheitlichen Getue, das in den Hallen mancher Superwinzer herrscht. Auch sterbliche Nicht-Weinkenner, also der überwältigende Rest der Menschheit, darf hier Würde bewahren und noch dazu Grundsätzliches über die Künste und Geheimnisse des Weinmachens erfahren.

Der „Weg der Traube“ führt die Besucher neben, über und quer durch das Weingut. Den Anfang macht die Vergangenheit, die hier nicht verdrängt, sondern bewältigt wurde: Der Besucher findet sich in einem ungeheuerlich dimensionierten metallenen Weinfass von der Größe einer Dorfkirche wieder, in dem früher 650.000 Liter Massenware schwappte und Weinstein ablagerte.

Noch zu sehen ist eine Art Quirl, der den Wein gelegentlich durchmischte, auch kleine Wandauslässe, die so genannten Mannlöcher, sind noch vorhanden: Durch die schickten die alten Bauern die jungen zum Zwecke der Fass-Innenreinigung, die, so die Legenden, fast immer in üblen Besäufnissen endete, wenn die Restlacken nicht entsorgt sondern gleich vor Ort verwertet wurden.

Ein zweiter Wein-Dom hinter diesem Fass-Foyer erinnert an diese Zeit: Großformatig flimmern die schwarz-weiß-Bilder einer Wochenschau aus dem Jahr 1957 über die Leinwand, zu volkstümlichen Gstanzln kippen fröhliche Weinbauern die Vierteln, drehen mit drallen Weinköniginnen Landlerrunden und saufen, als Baby maskiert, aus Doppler-Flascherln. Die Stimmung ist ausgezeichnet, die Bauern und Bäuerinnen stehen, wie man so sagt, gesund in der Wäsch' und sind damit quasi der lebende burgenländische Beweis für die beliebte Behauptung der französischen Kollegen, dass ein paar Achterln Wein pro Tag die Lebenserwartung erheblich erhöhen.

Die zeitgenössischen Zuschauer dürfen dieses Volksfest auf abgeschnittenen Weinfässern samt changierenden Pölsterchen sitzend betrachten, bevor sie die Treppe entlang der Fasswand emporsteigen, die in die obere Zone des Eingangsfasses führt. Dort steht groß rundum geschrieben: „Gebt mir die besten Trauben, und ich mache euch den besten Wein.“ Das Zitat stammt von Kellermeister Rainer Kunz, der hier das Sagen hat und dafür sorgt, dass nur erste Traubenqualität eingemeischt wird.

Alles ist hier finster und nur spärlich in Blaulicht getaucht, doch ein paar Schritte weiter wird es gleißend hell. Den Traubengang säumen doppelt hinterleuchtete Glasbilder mit gelben, honigfarbenen, lila, blauen und reifig dunkelroten Trauben: Die wichtigsten Sorten werden erklärt, sehr appetitlich schaut das aus. Die Konstruktion des Ganges ist simpel, aus Stahl, Glas, Industriepaneelen.

Alles, was hier an Architektur appliziert wurde, ist simpel und raffiniert, ein wenig roh, preiswert, aber effizient. Man befindet sich, ohne es zu bemerken, in der Höhe und an der Außenwand der eigentlichen Produktionsstätte. Am Ende des Ganges wird der Blick frei auf die Weingärten, und hier sind auch, auf Folie großflächig abgebildet, die vielen Menschen, die in Pöttelsdorf diese Trauben pflegen und hegen: Die rund 150 Weinbauern und Bäuerinnen der Genossenschaft machen den selben Eindruck g'standener Fröhlichkeit wie ihre Ahnen aus dem 57er-Jahr.

Der Weg schlängelt sich in weiterer Folge am Haus entlang und durch das Haus durch. Finsternis und Licht, Hitze und Kühle wechseln ab, zwischendurch gibt es immer wieder Einblicke und große Fenstereinschnitte in jene Zonen, in denen tatsächlich gekeltert und am Wein gearbeitet wird.

Der Pfad kann rasch durchmessen oder genüsslich langsam ausgekostet werden, je nach Temperament. Informationstafeln erklären die Arbeit der Weinbauern und die des Kellermeisters, ein kleines Kino mit Heurigenbänken lädt zum visuellen Gustieren ein. Hier wird der vielfach preisgekrönte Universum-Film „Das Jahr im Weingarten“ in Kurzform gezeigt.

„Wir wollten ganz bewusst kein Museum machen“, sagt Architekt Bauer, denn Wein sei eine lebendige Angelegenheit, der man sich über die Sinne nähern müsse. Sehr sinnlich ist die kleine Schau-Installation auch geworden. Die Exponate sind sparsam ausgewählt und ebenfalls stets so beschaffen, dass die Sinne angesprochen werden.

Es stehen also keine Weinpressen aus dem Heimatmuseum herum, sondern etwa Barrique-Fässer mit verschiedenen Toasting-Graden, in die man hineinschnüffeln kann. An den Gangwänden simple Vitrinen mit über hundert verschiedenen Weingläsern, um zu demonstrieren, dass auch hier die Vielfalt und nicht nur die Masse regiert. Und zwischendurch immer wieder voyeuristische Blicke auf die eigentliche Produktion, auf neun Meter hohe Edelstahlfässer, auf Gärungstanks und damit direkt hinein in das Herz des Weinkellers.

Akustische Installationen begleiten den Weinwegwanderer mit Hörbildern, Gedichten, Hörspielanimationen. Man befinde sich, so Bauer, in einer Art „gläserner Fabrik“, bevor man eine Treppe hinabsteigt, um in den Weinsalon zu gelangen, wo ein Sommelier die Gäste persönlich empfängt. Je drei Weine werden hier in plüschig-opulent-kitschigem Ambiente verkostet. „Hotel Savoy gemischt mit burgenländischem Wirtshaus“, meint der Architekt.

Das Finale stellt selbstverständlich der Verkaufsraum dar, eine kühle, funktionale Weinmarkthalle, die übersichtlich und klar gestaltet ist, sodass die Verkäufer und Verkäuferinnen jeden, der den Eindruck der informationsmäßigen Hilfsbedürftigkeit vermittelt, sofort aufsuchen können.

Die neue Wein-Welt der Pöttelsdorfer ist eine witzige, gelungene Mischung aus Tradition und zeitgemäßer Perfektion, aus burgenländischer Lebenslust und weltläufiger Weinproduktionskenntnis. Hier wurde nichts „ganz Neues“ aus dem Boden gestampft, man hat sich vielmehr auf das Bodenständige und damit Wahrhaftige konzentriert und auch die Spuren der Vergangenheit nicht vorschnell weggewischt. Man hat mit vergleichsweise geringen Mitteln gearbeitet (ca. 550.000 Euro) und kann nun mit reduzierter Architektur das Beste aus einem lebendigen Ganzen präsentieren.

Damit sind sich die Burgenländer selbst treu geblieben: Sie machen vorzüglichen Wein, sie haben offensichtlich Spaß daran, und ihr neuer „Weg der Traube“ ist kein bombastischer Show-Off, sondern eine erdnahe Sinnestour durch das Weinbauen, Weinhauen, Weinmachen. Minima Ästhetica: Mitunter kann die billigste Architektur die viel bessere sein.

Der Standard, Sa., 2003.05.03



verknüpfte Bauwerke
Weg der Traube

26. April 2003Ute Woltron
Der Standard

Fingerspitzengefühl

Ein paar steirische Architekten haben sich zusammengetan, um ihren Landsleuten gute Architektur schmackhaft zu machen. Der Unterschied zu Architektur- vermittlungsversuchen anderer: Sie setzen mit Elan und Spaß dort an, wo sie wirken, nämlich bei den Bürgermeistern.

Ein paar steirische Architekten haben sich zusammengetan, um ihren Landsleuten gute Architektur schmackhaft zu machen. Der Unterschied zu Architektur- vermittlungsversuchen anderer: Sie setzen mit Elan und Spaß dort an, wo sie wirken, nämlich bei den Bürgermeistern.

Die öffentliche Hand hat viele Finger, und diese Finger pflegen das Land. Sie sollten es jedenfalls tun. Es gelingt ihnen nicht immer. Zu viele Scheußlichkeiten in Form misslungener Gemeindebauten, patscherter Feuerwehrhäuser und verkitschter Stadtplätze beweisen, dass der öffentlichen Hand ganz oft das rechte Händchen für die Architektur fehlt, doch allein das Beklagen dieses bedauerlichen Umstandes hilft keinem weiter. Im Gegenteil.

Außerdem ist mittlerweile eine Zeit des Optimismus angebrochen. Zum einen entstehen - meist von der Öffentlichkeit kaum beachtet, weil fernab der vermeintlich städtischen Zivilisation der Ballungszentren - immer öfter hervorragende Architekturen, und zum anderen hat eine neue Generation von Architekten und Architektinnen verstanden, dass die Sache der Architektur eine ist, die der Vermittlung bedarf. Und wer kann das besser erklären als die Planer selbst.

Wer einmal erlebt hat, wie plötzlich Verstehen und Mögen aufkeimen, wenn Nichtarchitekten fachkundig durch neue Häuser geführt werden, die sie anfangs mit großer Distanz betrachteten, der weiß, dass der einzige Weg zu gutem Bauen über Information und Aufklärung führt. Wer verstanden hat, was gute Architektur sein kann, wird freiwillig nie wieder schlecht bauen oder sich zumindest ein wenig besser informieren, sich ein wenig mehr anstrengen.

Schon vor einiger Zeit dachten auch die steirischen Architekten Reinhard Schafler und Peter Pretterhofer genau so, und da die beiden von tatkräftiger Zuversicht erfüllt sind, saßen sie nicht nur herum, sondern fingen einfach an. Sie überlegten, wo der Hebel angesetzt werden müsse, um tatsächlich Bewegung in die Sache zu bringen, und diese Überlegungen endeten bei den wichtigsten Bauinstanzen, den Bürgermeistern und Baudirektoren der Gemeinden auf dem Land.

Schafler und Pretterhofer baten die Herrschaften also zum Ausflug. Die öffentlichen Würdenträger bestiegen den Autobus, anfangs war man noch ein wenig steif und reserviert, doch schon bald machte sich so etwas wie fröhliche Ausflugsstimmung breit.

Man besichtigte diverse gelungene Beispiele öffentlichen Bauens, diskutierte mit Anrainern und Architekten, mit Benutzern und anderen Bürgermeistern, die diese Schaustücke solider Baukultur zu verantworten hatten. Und zwischendurch tauschte man Erfahrungen aus dem eigenen Bau-Leben aus und redete über Förderungsvarianten und Wettbewerbsverfahren.

Nicht der erhobene Zeigefinger, sondern die Demonstration des Fingerspitzengefühls stand im Vordergrund, oder, wie Schafler meint: „Wir sagen nicht, wir wüssten, wie das Bauen geht, sondern wir schauen einfach gemeinsam gute Häuser an.“ Und zwar solche, die hier in der Steiermark stehen, und nicht in den gelobten Ländern der Architektur wie etwa Tirol oder Vorarlberg.

Um diese erste Bustour nicht in der Vergessenheit zu versenken, sondern auch anderen vor Augen zu führen, begleitete Schaflers Bruder Klaus den Ausflug mit der Kamera und produzierte im Anschluss einen vorzüglichen kleinen Film. Der heißt „baustelle land“, war einer der Bausteine des steirischen Herbstes 2001, wurde von der Landesbaudirektion gefördert und selbst im prall überfüllten Wiener Votivkino gezeigt.

Der Streifen war so erfolgreich, dass nun die steirische Landesbaudirektion den Bürgermeistern nahe legt, ihn zu erwerben - quasi als Anleitung dafür, was andernorts ist und auch in ihren Einflussbreiten sein könnte. Denn auch die oberste steirische Baubehörde durchweht offenbar frischer Wind.

Im noch jungen „Leitfaden zur Abwicklung von Gemeindehochbauten“ (herausgegeben im Herbst 2002) steht als erster Satz geschrieben: „In den letzten Jahren hat sich vermehrt gezeigt, dass die Hochbautätigkeit der öffentlichen Gebietskörperschaften und Institutionen im Allgemeinen und der Gemeindehochbau im Besonderen nicht mehr den alten ,Strickmustern' der Planungsvorbereitung folgen, bzw. auch auf Grund geänderter Rahmenbedingungen (z.B. Finanzkraft, Personal- und Betriebskosten, Nachhaltigkeit) nicht mehr folgen kann.“

Und: „Die Komplexität der gesellschaftlichen Entwicklung erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Bedürfnissen in den einzelnen Gemeinden einerseits und der sorgfältigen Darstellung aller Grundlagen für eine spätere Projektentwicklung andererseits.“

Womit man sich bereits im Kern der Angelegenheit befindet. Pretterhofer präzisiert: „Für die Bürgermeister zählen Werte wie Kosten-Nutzen-Angemessenheit. Man kann ein Architekturstudium nicht mit einer Busfahrt nachholen, aber man kann den Wert der Architektur diskutieren und verstehen lernen.“ Schafler dazu: „Wir versuchen den Schluss zwischen Gemeinden, Land und Architekten zu erzeugen und Synergien zwischen den Bürgermeistern herzustellen. Mit dem Anschauen und Hineingehen in neue Gebäude lernt man, Vorurteile abzulegen.“ Vor allem die wichtige und schwierige Vorbereitungsphase eines Projektes, in der die Weichen in Richtung Qualität gelegt werden oder nicht, überfordert kleinere Bauinstanzen in den Gemeinden häufig.

Hilfestellung seitens derer, die dieses Geschäft gelernt haben und tagtäglich in größerem Rahmen ausüben, ist dringend anzuraten. Im Vorfeld müssten die Ziviltechniker beraten, so die „baustelle land“-Architekten, und nicht erst dann schadensmindernd auftreten, wenn eine schlecht durchdachte Sache schon fast baureif sei. Nur in der Anfangsphase eines Projektes kann der Bedarf optimiert und können die Kosten damit in den Griff bekommen werden.

Aufgrund des großen Erfolges wurde im heurigen Jahr das Busreisen verstärkt wieder aufgenommen: Die erste „baustelle land“-Tour fand bereits Anfang März statt, die nächste startet am 23. Mai und führt von Graz in die nördliche Steiermark. Als Veranstalter tritt nunmehr die Landesbaudirektion auf, Mitfinanzierung, Organisation und Durchführung bleiben Schafler und Pretterhofer vorbehalten.

(Anmeldung bis 5. Mai bei Kristina Posch unter der Telefonnummer 0316-877 20 56)

Das Zusammenarbeiten, sozusagen das Zusammenspannen von ziviltechnischem Fingerspitzengefühl und öffentlicher Hand, greift in der Grünen Mark also offenbar bereits ein wenig. Schafler und Pretterhofer verstehen sich allerdings nicht als „Missionare der Steiermark“, ihr „Hauptmotor ist die Freude an der Lust dran“. Denn: „Es tut einfach weh, diese Ostereier in der Gegend herumstehen zu sehen, wenn man weiß, um wie vieles besser man ein Haus hätte machen können.“

Der Standard, Sa., 2003.04.26

19. April 2003Ute Woltron
Der Standard

Stadtgärtchen in der Sonne

Wenn die Bedürfnisse der Bewohner an erster Stelle gründlicher Überlegungen stehen, kann kaum etwas schiefgehen: Eine ambitionierte Siedlung von Kinayeh und Markus Geiswinkler in Wien

Wenn die Bedürfnisse der Bewohner an erster Stelle gründlicher Überlegungen stehen, kann kaum etwas schiefgehen: Eine ambitionierte Siedlung von Kinayeh und Markus Geiswinkler in Wien

Wieder einmal dürfen wir bemerken, dass der Wohnbau, zumal der geförderte, eines der wichtigsten und zugleich schwierigsten Aufgabengebiete der Architektur ist: Die Mittel sind immer äußerst knapp, die zur Verfügung stehenden Grundstücke selten optimal, die Planungen entsprechend aufwändig und kompliziert - wenn die beteiligten Architekten ihren späteren Kunden, den Bewohnern, gute Dienste leisten wollen.

Die beiden jungen Wiener Architekten Kinayeh und Markus Geiswinkler haben am Leberberg in Wien gerade eine kleine Siedlung bestehend aus 65 Wohnungen in vier Bauteilen fertiggestellt, mit der sie große Hingabe an die Leute bewiesen, die dort einziehen werden.

Jede einzelne Wohneinheit verfügt über mindestens einen kleinen Garten in Form vollständig begrünter Terrassen oder ebenerdiger Grünflächen, denn, so die Überlegung der Planer: An die Stadtperipherie ziehen vor allem Leute mit Kindern, oder Menschen, die von Zuhause aus arbeiten können. Und die wollen gelegentlich Freiluft schnappen. Außerdem verfügt der Komplex über erdgeschoßige Behindertenwohnungen, denen ebenfalls kleine Gärten vorgelagert sind.

Der Luxus eines eigenen kleinen Grünflecks ist eine begehrte Wohnbau-Ware, die Kooperation mit der Wohnbaugenossenschaft Neues Leben scheint hier optimal gewesen zu sein: Die eigentlich vorgegebene extrem hohe Dichte der Grundstücksbebauung konnte ein wenig aufgelockert werden. Verantwortungsvoll zeigten sich also auch die Auftraggeber.

Die Geiswinklers beobachteten erst einmal, wie hier die Sonne zieht, in welchen Einfallswinkeln sie auch noch die unteren Geschoße durchleuchtet, und wo die Fenster in den einzelnen Wohnungen zu sitzen haben, um ihr überhaupt Einlass gewähren zu können. Apropos Fenster: Mit Glasflächen, Glasschiebetüren und raffinierten Lichtschlitzen wurde hier geradezu verschwenderisch Umgang getrieben, was die Siedlung von manch anderem sozialen Wohnbau wohltuend abhebt.

Die äußere Form der einzelnen Bauteile treppt sich also, den Sonnenstrahlen folgend, ab. Brüstungen sind so gestaltet, dass sich möglichst wenig Einblicke von oben in die privaten Freiflächen ergeben.

Auch konstruktiv ist das neue kleine Dorf mit Plätzchen und gemeinschaftlichen Freiflächen interessant, es handelt sich um den ersten teils in Holz ausgeführten vier bis fünfgeschoßigen Wohnbau Wiens (Bauklasse 3). Viele Wohnungen sind mit zwei separaten Eingängen so angelegt, dass sich nach Mieterwunsch Büros, kleine Werkstätten oder eigene Wohneinheiten für die erwachsen werdende Jugend ergeben können.

Auffällig auch die Fassadengestaltung: Die wurde mit silbrig schimmernden MAX-Exterior-Platten ausgeführt, einem mit Aluminiumpapier beschichteten Werkstoff aus Papier und synthetischen Harzen.

Fazit: Eine engagierte Arbeit von Leuten, denen am Wohlergehen anderer gelegen ist. Eine gekonnte Verschachtelung schöner Wohnräume, in denen das Licht eine Hauptrolle spielt. Ein vorbildliches Engagement eines Wohnbauunternehmens, das offenbar nicht auf Masse, sondern Qualität setzt.

Der Standard, Sa., 2003.04.19



verknüpfte Bauwerke
Gartensiedlung – Am Hofgartel

18. April 2003Ute Woltron
Der Standard

Sehen. Zeichnen. Bauen.

Der Architekt Carlo Scarpa ging wie ein Handwerker an seine Entwürfe heran. Das MAK zeigt Skizzen und Modelle, die er mit seinem Leibtischler Saverio Anfodillo erarbeitete

Der Architekt Carlo Scarpa ging wie ein Handwerker an seine Entwürfe heran. Das MAK zeigt Skizzen und Modelle, die er mit seinem Leibtischler Saverio Anfodillo erarbeitete

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass das, was das Museum für angewandte Kunst (MAK) seit kurzem in der Ausstellung „Carlo Scarpa. Das Handwerk des Architekten“ zeigt, einer untergegangenen Zeit angehört. Scarpa war einer der wichtigsten und originellsten Architekten des vergangenen Jahrhunderts, er arbeitete mit einer millimeterklaren Genauigkeit, von der die rasch aufgezogene, großvolumige Architektur von heute oft nur noch träumen kann. Und trotzdem ist Scarpa letztlich als einer der Avantgardisten jener Grenzgänger zwischen Design und Architektur anzusehen, die sich dieser Tage wieder in zunehmendem Maß um Präzision und Detail bemühen, also um die optimale Form auch kleiner Elemente, und das sinnvolle, elegante Aneinanderfügen verschiedener Materialien.

Vor drei Jahren erwarb das MAK das Archiv jener Kunsttischlerei, mit der Scarpa eine langjährige fruchtbare Zusammenarbeit verbunden hatte: In Saverio Anfodillo, dem Eigentümer einer traditionsreichen venezianischen Tischlerei, hatte der 1906 geborene Architekt einen perfekten Partner gefunden, mit dem er über dreißig Jahre lang zusammenarbeitete. Das Anfodillo-Archiv ist ein reicher Fundus an Modellen und Originalzeichnungen Scarpas - beide Hilfsmittel des Entwurfs waren dem Italiener stets wichtige Arbeitsinstrumente gewesen. Er selbst hatte behauptet: „Die Dinge zeigen sich mir bloß, wenn ich sie zeichne.“

Vor allem das Spätwerk Scarpas wird durch das Anfodillo-Archiv genau dokumentiert. So ist denn auch in der MAK-Schau beispielsweise die Entwicklung der von Scarpa über einen Zeitraum von zehn Jahren gestalteten Grabstätte der Familie Brion bei Asolo anhand von Holzmodellen und vielfach mit Buntstift korrigierten, übermalten Skizzen zu betrachten. Die Zeichnungen sind in der Hauptsache Konstruktionsskizzen, an deren Techno-Ästhetik architektonische Außenseiter sich wohl ein wenig gewöhnen müssen. Umso interessanter sind sie für all jene, die sich für das kleinste Detail, von der Fuge bis zur Schraube interessieren.

Diverse Holzmodelle der Schau erinnern daran, wie penibel Scarpa die Raumwirkungen seiner Konstrukte erst studierte, bevor er sie später finalisierte und in Beton goss. Apropos Beton: Bevor der in die Form schwappen durfte, suchte der Italiener erst sorgfältig die Schalungshölzer nach der besten Maserung aus, sodass, wie etwa im Falle der Tomba Brion, der Sichtbeton quasi hölzernen Charakter erhielt.

Scarpa war ein vielfach interessierter Universalist, ein moderner Renaissancemensch. Er studierte die Architekturen Frank Lloyd Wrights mit dem gleichen Interesse, mit dem er sich fernöstlicher Kunst und Baukultur widmete, und setzte verschiedene Elemente wie etwa das asiatische Rundfenster auch in seinen Gebäuden ein. Während einer Studienreise nach Japan 1978 stürzte der Venezianer schwer und starb schließlich an den Folgen dieses Unfalls.


[„Carlo Scarpa. Das Handwerk der Architektur“,
bis 14. 9. im MAK Wien, Stubenring 5, www.mak.at]

Der Standard, Fr., 2003.04.18

18. April 2003Ute Woltron
Der Standard

Der Raum als Exponat

Die Wiener Architektin Elsa Prochazka hat das Stadtmuseum Kitzbühel entstaubt und mit klarem, zeitgenössischen Museumsmobiliar frisch bestückt

Die Wiener Architektin Elsa Prochazka hat das Stadtmuseum Kitzbühel entstaubt und mit klarem, zeitgenössischen Museumsmobiliar frisch bestückt

Vor allem eines war der Wiener Architektin Elsa Prochazka wichtig, als sie den Auftrag annahm, dem Stadtmuseum von Kitzbühel ein neues Auftreten zu verschaffen: Sie wollte die vielfältige Sammlung des Touristenortes mit fast 800-jähriger Geschichte nicht in herkömmliche Vitrinen stellen, sondern die Exponate in zeitgenössisch ansprechender Museumsarchitektur präsentieren.

Das Museum Kitzbühel liegt prominent mitten in der Altstadt, ist im frisch restaurierten historischen Speicher und dem Stadtbefestigungsturm untergebracht und seit Dezember neu eröffnet. Die traditionsreiche Sammlung habe auf den ersten Blick ein wenig wie eine „Wunderkammer der Zufälligkeiten“ ausgesehen, sagt Prochazka. Die Architektin strukturierte also die Schau, teilte sie in diverse Kapitel und Abschnitte und konstruierte individuelle Schau-Möbel, in der nun die Geschichte des Ortes im Spaziergang nachvollzogen werden kann.

Einen ersten Überblick verschafft dem Besucher ein „materialisiertes Inhaltsverzeichnis“ in Form einer beleuchteten Schau-Vitrine im Eingangsbereich, wo je ein Referenzobjekt pro Sammlungsschwerpunkt Appetit auf mehr macht. Der Wandelweg durch die Historie führt erst einmal durch die Urgeschichte, man erfährt, dass der Raum Kitzbühel bereits um 1000 vor Christi ein wichtiges Kupferproduktionszentrum war. Über die Stadtgeschichte - das Kitz der Knappen und Zünfte, des Barock, der Bauern - gelangt man schließlich zu den ersten Wurzeln des Tourismus: Dem Wunderteam ist eine eigene Abteilung gewidmet, und unter Dach, in einem atelierartigen Raum, wird eine umfangreiche Sammlung von Werken des Malers und Architekten Alfons Walde gezeigt.

Prochazkas Museumsarchitektur will „eine formale Spange zwischen den unterschiedlichen Sammlungsschwerpunkten schließen“, die Materialien sind reduziert: Eisen natur, farbig gefasstes Holz und bunt emaillierte Gläser kommen zum Einsatz. „Alles sollte möglichst ohne Glassturz präsentiert werden“, so die Architektin, „um die Sinnlichkeit der Objekte erfahrbar zu machen.“ Die Installationen sehen zum Beispiel mitunter ein wenig aus wie Kristalle und simulieren Schneehänge. Fazit: „Der Raum selbst wird zum Exponat.“

Es sei ihr wichtig, so Elsa Prochazka, dass gerade in Kitzbühel, das mit seiner wunderbaren Landschaft und einem höchst kultivierten Niveau nicht umsonst zum Mythos geworden sei, bewusst werde, was das eigentliche Kapital sei, das den Tourismus nähre, nämlich „die Authentizität und nicht der zunehmende Hang zum Fake“, der sich auch hier breit zu machen beginne.

Der Standard, Fr., 2003.04.18



verknüpfte Bauwerke
Stadtmuseum Kitzbühel

09. April 2003Ute Woltron
Der Standard

Weltarchitekt und Sturschädel

Der Däne Jorn Utzon, Architekt des Opernhauses in Sydney, erhält den Pritzker-Architekturpreis. Das Werk, mit dem er berühmt wurde, hat der Einzelgänger selbst jedoch nie betreten.

Der Däne Jorn Utzon, Architekt des Opernhauses in Sydney, erhält den Pritzker-Architekturpreis. Das Werk, mit dem er berühmt wurde, hat der Einzelgänger selbst jedoch nie betreten.

Wien - Die Ehrung kommt spät, und sie kommt rechtzeitig zum Jubiläum: Vergangenes Wochenende sprach die amerikanische Hyatt-Stiftung dem mit heutigem Tag 85-jährigen dänischen Architekten Jorn Utzon den begehrten und mit 100.000 Dollar weltweit bestdotierten Architekturpreis zu.

Der Pritzker-Preis wird seit 1979 jährlich verliehen und ist die renommierteste Auszeichnung, die Architekten einheimsen können. Entsprechend erfreut gab sich der Däne, der seit Jahren zurückgezogen auf Mallorca lebt. Die Preisverleihung geht am 20. Mai in Barcelona über die Bühne, Utzons Sohn wird die Ehrung stellvertretend für den gesundheitlich angeschlagenen Vater entgegennehmen.


Starrköpfiger Ausnahmearchitekt

Jorn Utzon ist eine eigenwillige, um nicht zu sagen starrköpfige Ausnahmeerscheinung in der Architekturgeschichte des vergangenen Jahrhunderts. Sein bekanntestes Werk steht selbstverständlich im Hafen Sydneys: Kaum ein anderes Gebäude hat sich dermaßen in das visuelle Weltgedächtnis eingeprägt wie der markante, schneeweiße Schalenbau des Sydney Opera House.

Utzon selbst hat das markante und gewagte Konstrukt freilich nie betreten. Streit, explodierende Baukosten und technische Probleme sonder Zahl prägten das Baugeschehen. Mit seiner extremen Hartnäckigkeit und Starrköpfigkeit brachte der Architekt seinerzeit die Stadtväter der späteren Olympiametropole über einen Zeitraum von knapp sechzehn Jahren fast um den Verstand.

1957 begann der damals 39-Jährige mit dem Bau des muschelartigen Gebildes, unterstützt wurde er vom gleichfalls dänischen Ingenieur Ove Arup, der die gewagten Formfantastereien des Architekturkollegen konstruktiv umsetzte und dabei neben enormem Geschick auch große Geduld bewies.


Sechzehn Jahre Bauzeit

Denn im Rausch des Baugeschehens plante Utzon die ungemein komplizierte Schalenkonstruktion des Hauses wiederholt um, raufte jahrelang mit statischen Widrigkeiten, brachte die Bauingenieure zur Raserei und überwarf sich schließlich mit allen Investoren und den Stadtvätern Sydneys. Nach achtjähriger Bauzeit legte er letztendlich die Verantwortung zurück und verließ Australien im Zorn. Nach weiteren acht Jahren, man schrieb bereits das Jahr 1973, war das Opernhaus zwar immer noch nicht fertig gestellt, doch immerhin so weit gediehen, dass man es im Beisein von Queen Elizabeth eröffnen konnte.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte das Unternehmen, das ursprünglich mit sieben Millionen australischen Dollar und einer Bauzeit von vier Jahren veranschlagt gewesen war, eine Baugeschichte von 16 Jahren hinter sich und 102 Millionen versenkt, was 52 Millionen US-Dollar entspricht.


Späte Rehabilitierung

Man legte eine Atempause ein. Zum 25-Jahr-Jubiläum vor fünf Jahren hatte man sich so weit erholt, dass man Utzon einlud, die Richtlinien für die zukünftigen Arbeiten und Erweiterungen am Gebäude vorzunehmen, was er auch annahm. Trotzdem kam der Däne nie wieder nach Sydney zurück, er schickte lediglich seinen Sohn. Vor allem die Innenausgestaltung des Hauses entspricht nicht Utzons ursprünglichen Planungen, doch dementierte der Architekt, dass er daran Hand anlegen wolle.

Obwohl Utzon nach der Opernhaus-Misere diverse schöne Häuser in aller Welt vorlegte, etwa das 1991 schwer beschädigte Parlamentsgebäude von Kuwait, das Stadttheater in Zürich oder die Kirche in Bagsvaerd, erreichte keines seiner Nachfolgewerke auch nur annähernd die Popularität der Oper von Sydney. Dennoch: Der Pritzker-Preis wird für das Lebenswerk eines Architekten verliehen - und Utzons unkonventionelle Sicht der Räume und Schalen hat zweifelsohne einen gewichtigen Beitrag zum Architekturgeschehen der vergangenen 50 Jahre geleistet.

Der Standard, Mi., 2003.04.09

04. April 2003Ute Woltron
ORF.at

Keine Architekturikone

Diese Bibliothek ist wie ein gutes Buch: Der Einband ist Nebensache. Was zählt, ist der Inhalt

Diese Bibliothek ist wie ein gutes Buch: Der Einband ist Nebensache. Was zählt, ist der Inhalt

Der Wiener Gürtel ist kein Ort, an dem man gerne längere Zeit verweilt. Er ist immerhin einer der mächtigsten Verkehrskanäle der Stadt. Auf bis zu acht Spuren brandet hier der Autoverkehr an, wird gebündelt und in die umliegenden Bezirke geschleust. Ein Verkehrsmeer mit gelegentlicher Ebbe und viel häufigerer Flut. In der Mitte die Straßenbahnen. Unterirdisch fährt - im Minutentakt - die U-Bahn.

Kaum je ein Verweilen

Die Menschen hasten, in ihren Autos, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß. Es stinkt und lärmt.

Trotzdem gibt es neuerdings einen Fleck, an dem diese Verkehrsflüsse plötzlich an einen Ort der Ruhe gelangen, sich an etwas vorbeiwälzen, das einfach dasteht. Zumindest die Fußgänger halten inne. Am Urban-Loritz-Platz, mitten zwischen den Fahrbahnen, ist eine gebaute Arche vor Anker gegangen.


Bombastische Stiege

Auf den ersten Blick erscheint es völlig absurd, dass die neue Wiener Hauptbibliothek - denn nichts anderes ist dieses hoch aufragende Ding mit seinem Bug in Form einer Treppe - ausgerechnet in der Mitte des Gürtels und damit in einer der unwirtlichsten Gegenden der Stadt steht.

Auf den ersten Blick erscheint auch die Architektur des Hauses nicht sonderlich geglückt: Diese enorme, eigentlich bombastische Stiege erstreckt sich über die gesamten 26 Meter Breite des Hauses. Sie führt bis zum Dach hinauf, scheint's, in das Nirgendwo des Himmels, und bildet das Gesicht des langgestreckten, ansonsten sehr schweren, gravitätischen Konstruktes. Der hintere Teil des 144 Meter langen Ungetüms lastet auf Stützen über dem U-Bahn-Schacht. Irgendwie wirkt das Ganze unproportioniert, ungeschlacht und ein wenig deplatziert.

Funktionierender Ort

Dann allerdings erkennt man, dass das, was diese scheinbar absurde Stufenorgie von einer Treppe leisten will, von ihr auch geleistet wird: In der Frühlingssonne sitzen da StudentInnen mit Skripten und aufgekrempelten Hosenbeinen. Weiter oben ein Touristengrüppchen mit Stadtführer und Coladosen in den Händen. Ein paar Arbeiter rasten dort. Alles sehr gemütlich, obwohl links und rechts der Verkehr tost.

Dieses komische Stiegen-Haus ist jetzt schon zum Treffpunkt geworden, obwohl es erst am Dienstag kommender Woche eröffnet wird.

Der zweite Blick offenbart auch, dass hier mit den diversen Verkehrsflüssen, in deren Mitte das Haus steht, ganz klug umgegangen wurde. Das große Foyer unter der Treppe ist zwar nicht sonderlich einladend, es regelt aber über Aufzugsanlagen und lange Rolltreppen sowohl die Besucherströme der Bibliothek als auch die Passagierwellen der U-Bahn-Station, die sich unter dem Gebäude befindet. Im hinteren Bereich tingelt die Straßenbahn unter dem Haus durch, die Haltestelle befindet sich vor der Treppe - alles in allem also ein Ort, der verkehrstechnisch optimal an das Stadtleben angebunden ist.


Über der Hektik der Stadt

Wirklich reizvoll wird die Angelegenheit aber erst auf den dritten Blick. Und zwar dann, wenn man in das stille Reich eindringt, das hinter dieser Treppe liegt - in die Bibliothek. Hier wird es ruhig, der Verkehrslärm wird zu einer schwachen Ahnung, hier stehen sie in langen Regalen, die Schmöker, die papiergewordenen Überlegungen der Menschheit - die Bücher.

Die Bibliothek schwimmt über der Hektik der Stadt wie eine gelassene Arche Noah des Wissens. Der Trubel darf draußen bleiben, hier drinnen wird gelesen, studiert, werden Zeiten und Räume mit anderen Mitteln durchmessen. Der Architekt, der dieses Haus geplant hat - Ernst Mayr - muss Bücher lieben, und er muss sich darüber hinaus viele Gedanken darüber gemacht haben, wie Bibliothekare arbeiten.


Userfriendly

Die räumliche Organisation der neuen Bibliothek ist perfekt, doch was noch viel mehr zählt: Jeder, der sie noch nicht kennt, also jeder Erstbenutzer, kennt sich rasch aus. Dabei hilft ein ganz properes Leistsystem, vor allem aber die wohltuend klare Architektur.

Die erstreckt sich über drei Etagen, die allerdings fast überall über mehrgeschoßige Lufträume, Galerien und Durchblicke miteinander verbunden sind. Man hat also das Gefühl, immer überall gleichzeitig zu sein. In gemütlichen Erkern darf sich der Leser in samtig gepolsterte Pfühle begeben, um die ausgewählten Bücher zu überprüfen, CDs zu hören oder auf einem der 148 Kunden-PCs zu arbeiten.

Raffinierte Lichthöfe, also eigentlich Glasschächte, die in die Mitte des Baukörpers eingeschnitten sind, sorgen für Helligkeit auch in den tiefer gelegenen Zonen, für eine räumliche Gliederung und damit wieder bessere Orientierung.


Gelungene Lichtregie

Überhaupt spielt das Licht in diesem Haus eine tragende Rolle: Es ist allerorten nicht zu hell, aber auch nicht zu dunkel. Überall darf das Tageslicht im gerade rechten Maße hereinsickern, was einfach klingt, aber eine architektonische Herausforderung an die Planer darstellte.

Auch die haptischen Qualitäten, also die Wahl der Materialien, kann nur als gelungen bezeichnet werden. Der Fußboden ist mit Teppichfliesen in einem angenehmen Blau verlegt, die Möbel sind durchwegs aus hellem, ruhigem Ahorn gearbeitet. Ahorntäfelungen ziehen sich mehrgeschoßig über die Wände. Der Architekt hat geschickt die hölzernen Brüstungen bei Stiegen und Emporen gleichzeitig zu Regalen und Arbeitsplätzen verwandelt. Die metallenen Bücherregale sind ebenfalls an den Stirnseiten mit Ahorn verkleidet - ein kleiner Kniff, der für freundliche Gemütlichkeit sorgt.


Fazit

Diese Bibliothek macht auf Anhieb Spaß, sie ist nicht nur extrem gut erreichbar, sie lädt in ihrem stillen, gelassenen Inneren zum Gustieren und Studieren ein, sie ist eine luxuriöse Enklave der Zeitlosigkeit mitten im Vorwärtshasten. Sie ist, von außen betrachtet, nicht sehr elegant, doch es stellt sich die Frage, ob eine aufregendere, markantere Architektur, ein so genanntes Architekturzeichen, hier nicht auf Kosten des eigentlichen Zweckes dieses Hauses gegangen wäre, womit wir wieder beim Inhalt und nicht der Form landen.


[Diesen Text hat Ute Woltron für die Ö1 Sendung „Diagonal“ verfasst, die Sie am Samstag, dem 5. April, um 17.05 Uhr hören können. Mehr von Ute Woltron und der neuen Hauptbibliothek lesen Sie im aktuellen Presse-Spectrum.]

ORF.at, Fr., 2003.04.04



verknüpfte Bauwerke
Hauptbücherei Wien

04. April 2003Ute Woltron
Der Standard

Der schwierige Weg hinaus

Der Widerstand gegen Wilhelm Holzbauers Festspielhaus-Entwurf wächst. Klaus Kada, Vorstand des Salzburger Gestaltungsbeirats, erklärt im Gespräch mit Ute Woltron ausführlich, warum.

Der Widerstand gegen Wilhelm Holzbauers Festspielhaus-Entwurf wächst. Klaus Kada, Vorstand des Salzburger Gestaltungsbeirats, erklärt im Gespräch mit Ute Woltron ausführlich, warum.

Salzburg - Sowohl die Stadtväter als auch die Grünen äußern mittlerweile öffentlich schwere Bedenken gegen Wilhelm Holzbauers Festspielhauskonzept. Auch der Salzburger Gestaltungsbeirat unter dem Vorsitz von Klaus Kada, der Einsicht in die noch immer - im Detail - unter Verschluss gehaltenen Pläne erhielt, steht der neuen Architektur im Hause Clemens Holzmeisters äußerst distanziert gegenüber. Kada, einer der renommiertesten heimischen Architekten (zuletzt plante er etwa die Grazer Stadthalle), erklärt nun im STANDARD, warum.

Klaus Kada: Das grundsätzliche Problem besteht darin, dass Wilhelm Holzbauer versucht hat, das neue Kleine Festspielhaus im dem Haus, das bereits dort steht, unterzubringen. Das hat er aufgezeichnet, und die Jury hat ihm seine Pläne nicht geglaubt. Er war also nie Erstgereihter, und zwar aus dem einfachen Grund: Es geht sich nicht aus.

STANDARD: Aus welchen Gründen geht sich das nicht aus?
Kada: Dieses Haus ist für Massenveranstaltungen gemacht, und da müssen gewisse Regeln eingehalten werden. Man braucht die entsprechende Menge von Fluchtwegen und Treppen in den erforderlichen Breiten, damit die Leute rasch das Gebäude verlassen können. Auf den ersten Blick sieht es zwar so aus, als ob er dieses Problem auf die Reihe gekriegt hätte, doch auf den zweiten Blick erkennt man, dass der vorhandene Platz nicht reicht.

STANDARD: Es wurde diesbezüglich dem Vernehmen nach doch bereits heftig umgeplant?
Kada: Es gab dieses berühmte ausschlaggebende Gutachten eines Ingenieurbüros, das besagte, wenn eine gewisse bestehende Mauer verletzt würde, so würde das viel Geld kosten. Holzbauer selbst hat erst weinerlich Holzmeister beschworen und sich dann plötzlich selbst dazu entschlossen, diese Mauer gänzlich abzureißen. Er bleibt trotzdem innerhalb der alten Grenzen - und es geht sich wieder nicht aus. Auch das geplante Foyer ist zu klein, die Nottreppe ebenfalls.

Er braucht Platz in Richtung Felsenreitschule und baut dort eine Fluchttreppe ein. Ein weiterer Fluchtweg für die Saalbesucher führt hinaus auf den Max-Reinhardt-Platz. Doch da der etwas tiefer liegt, braucht er wiederum eine Treppe. Für die Fluchtwege der Galerie benutzt er das Dach der Arkaden, die er erst wegreißt, um sie dann neu aufzubauen. Er flüchtet also über das Dach hinaus und in weiterer Folge über eine Treppe, die so breit ist wie die Arkaden, also immerhin knapp sechs Meter. Diese Treppe sieht aus wie die Albertinatreppe. Sie ist aber nur ein Fluchtweg. Es wird nie jemand hinaufgehen, weshalb Holzbauer vorgeschlagen hat, eine Kette davorzuhängen.

STANDARD: Wie steht es um den tatsächlichen Haupteingang?
Kada: Der befindet sich unter einem Dach, das eher Dekoration ist und keinen Schutz bietet, mit einer Stele davor wie bei einem Einkaufszentrum. Neu ist, dass für den Fluchtweg aus dem Parkett angeblich ein Sockel quer über den Platz gebaut wird. Dass man für einen Notausgang den halben Max-Reinhardt-Platz umgestaltet, ist schon eigenartig.

STANDARD: Wie gestalten sich die Eingriffe in den Bestand Clemens Holzmeisters?
Kada: Der totale Abriss. Den sehe ich als großes Problem. Es war doch vor allem Holzbauer, der Holzmeister stets als altvorderen Himmelvater angerufen hat. Vor allem der Eingriff in die Felsenreitschule ist problematisch. Es ist schon eine harte Sache, dort eine Fluchttreppe hineinzubauen. Auch die Foyerverbindung von Kleinem Festspielhaus, Großem Festspielhaus und Faistauer-Saal ist räumlich problematisch. Immerhin ist der Saal gemeinsam mit der Malerei als Gesamtkunstwerk zu sehen, in das man keine Öffnungen machen kann, wo man sie gerade braucht.

Außerdem ist in den Plänen nichts von der erforderlichen Haustechnik zu sehen, die bei solchen Gebäuden normalerweise enorm viel Platz in Anspruch nimmt. Ich habe keine Ahnung, wo er sie hintun will.

STANDARD: Wie sieht der Gestaltungsbeirat die Fassadengestaltung?
Kada: Die Fassade ist wieder ein eigenes Kapitel. Das, was an ihr neu ist, hat leider nicht die Qualität von Holzmeisters Vorgabe. Der Krampf entsteht durch die dahinterliegende Baustruktur, die teils neu, teils Bestand ist, und hat aus Platznot Zufälligkeitscharakter. Ein zufälliges Ergebnis einer sehr traurigen Situation.

STANDARD: Langsam wird die Zeit knapp, glauben Sie, dass rechtzeitig zum Mozartjahr 2006 eröffnet werden kann?
Kada: Wenn auch nur eine Kleinigkeit passiert, geht sich der vorgelegte Zeitplan nie aus, genauso gut könnte man sagen, man glaube noch an den Weihnachtsmann. Und das Geld langt mit ziemlicher Sicherheit nicht. Es wäre ein schönes Märchen, wenn Holzbauer mit dem vorgesehenen Budget auskommen könnte.

STANDARD: Wird das Haus in dieser Form gebaut werden?
Kada: Wenn sich die Salzburger mit dieser Architektur, in der wirklich wenig Konzeptives vorhanden ist, abgeben, dann sollen sie das Haus bauen. Darüber hinaus müsste man allerdings die nationale und internationale Bedeutung dieses Hauses und des Platzes davor mitbedenken, sonst sind die Konsequenzen für Salzburg in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht traurig.

Der Standard, Fr., 2003.04.04



verknüpfte Bauwerke
Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

29. März 2003Ute Woltron
Der Standard

Gefährliche Brandung

Seit über 60 Jahren erblickt Oscar Niemeyer vor den Fenstern seines Büros vor allem eines: die Wellen des Atlantik. Nun ist dem Meister der betongegossenen Welle eine Ausstellung in Frankfurt gewidmet.

Seit über 60 Jahren erblickt Oscar Niemeyer vor den Fenstern seines Büros vor allem eines: die Wellen des Atlantik. Nun ist dem Meister der betongegossenen Welle eine Ausstellung in Frankfurt gewidmet.

Rio de Janeiro ist nicht Bibione. Wenn der Landwind über die rundlichen Granitberge und Dschungelfetzen der Stadt Richtung Meer braust, beginnen Luft und Wasser miteinander zu spielen, dann bäumen sich die Wellen haushoch und donnern schon einmal aus sechs, acht Metern Höhe auf den Strand, der einmal als der schönste der Welt galt.

Ressaca nennen die Cariocas dieses Spektakel der gefährlichen Brandung, der Strand heißt wie der Stadtteil, nämlich Copacabana, und einer der ältesten Einwohner hier ist Oscar Niemeyer. Brasilianer. Architekt. Legende. 95 Jahre alt wurde er vergangenen Dezember, und seit mehr als 60 Jahren kann er den Wellengang von seinem Büro aus beobachten. Die Wellen und die Mädchen. Und die ewigen Fußballspieler im heißen Sand.

Er selbst, so heißt es, sei der Meister der gebauten Welle und der letzte große Architekt der so genannten Moderne. Wenn er in seinem Atelier hoch über der Copa sitzt, hinter rundlich ausbuchtenden Glaswellen des Art Deco, ist er ein kleiner, fußballbäuchiger Mann. Hosenträger halten statisches Gleichgewicht zwischen Hemd und Hose, und egal, in welcher Sprache die Konversation beginnt, sehr bald mündet das Gespräch in einen wortlosen Dialog zwischen Zeichenstift und Papier. Geführt wird der von Niemeyer allein.

Er skizziert, wie nur ganz alte Architekten skizzieren können. Stehend, die Linke in der Hosentasche. Die Linie fließt aus der rechten Schulter, sie rinnt durch den Arm in den Daumen, überträgt sich auf den Stift, und Farbe und Papier werden zum Medium, das die Geschichte eines Lebens in Bildern und Architekturen erzählt.

Das große Kapitel darin heißt Brasília, die Stadt, die Niemeyer gemeinsam mit Lúcio Costa in den späten 50er-Jahren auf ein karges Hochplateau im Landesinneren gezaubert hat. Die Wellen seiner Heimatstadt Rio nahm er damals mit und goss sie in Beton, und wenn der alte Mann heute die wogenden Umrisse der Kathedrale Brasílias mit ihrer Dornenkrone malt, dann wohnt diesem Gebilde immer noch eine enorme Kraft inne, die modern, weil zeitlos geblieben ist.

Gleich neben dieser seltsamen Kirche führt eine Spindeltreppe hinunter in ein Baptisterium. An und für sich ein Detail, aus Stahlbeton gemacht und lediglich eine kleine Spielerei im großen Ganzen. Doch an den nur knapp zentimeterbreiten Schalungspuren ihrer Unterseite lässt sich heute noch mit Auge und Finger ablesen, mit welch unglaublicher Präzision, Kunstfertigkeit und Sorgfalt vor einem halben Jahrhundert hier in der Weite des brasilianischen Nirgendwo gebaut wurde.

Heute fressen sich die Metropolen Brasiliens mit atemberaubender Geschwindigkeit so gut wie planlos und schlampig gebaut ins Niemandsland vor. „Beklagenswert“ sei der Zustand der Städte, sagt Niemeyer, sie seien den „divergierenden Interessen der öffentlichen Hand und der zerstörerischen Tätigkeit der Immobilienhändler ausgesetzt.“

Er selbst hatte sein Land verlassen, sobald Brasília errichtet war: Der politische Wind hatte gedreht, die Militärdiktatur die Macht ergriffen. In Paris baute der überzeugte Kommunist und zugleich Sohn aus reichem Haus 1965 die Zentrale der Kommunistischen Partei - ein elegant geschwungenes Hochhaus neben einem fließend überdachten Plenarsaal, das Georges Pompidou zu der Äußerung verleitete, diese Architektur sei „das einzig Gute, das die Kommunisten je gemacht haben“.

Niemeyer kehrte nach Rio zurück, blieb Kommunist und geißelt nach wie vor die „bedauerlichen Ungleichheiten“ der „Klassenarchitektur, der die notwendige soziale Grundlage fehlt, was zu all ihren Mängeln führt“. Sein in Rios Schwesterstadt Niterói, das 1991 eröffnet wurde, wirkt wie ein Fluchtpunkt aus diesem städtebaulichen Schlamassel, wie ein Flugobjekt, das nur kurz hoch oben auf einem Felsen verweilt, um in eine bessere Zukunft abzuheben. Rundherum das atemberaubende Panorama der Stadt. Im Dunst der Zuckerhut. Unten schwappt das Meer die Fäkalien der Millionenstadt an das felsige Ufer. Trotzdem ist der Ort magisch, die Architektur so seltsam und kraftvoll, wie alles, was Niemeyer gebaut hat.

Le Corbusier, so geht die Legende, habe ihn heimlich bewundert und von der Höhe seines Ruhmes herab beneidet, weil der Brasilianer mit einer instinktiven Formensicherheit stets auf Anhieb die richtige Linie fand. Kennengelernt hatten sie einander 1936, als Corbusier als Berater zum Bau des Ministeriums für Gesundheit und Erziehung in Rio de Janeiro herangezogen wurde. Niemeyer seinerseits war erbost darüber, dass er nicht die weltweite Anerkennung fand wie der Kollege, und er gründete zum Ausgleich ein Architekturmagazin, das vor allem dazu da war, seine Bauten zu rühmen.

Zu seinen freien, fließenden Formen fand der Architekt bereits in jungen Jahren, als er diverse Bauten für die Stadt Pampulha entwarf. Er selbst schreibt: „Alles begann, als ich die ersten Überlegungen für Pampulha machte und bewusst den so gelobten rechten Winkel und die rationelle Architektur von Reißschiene und Dreieck ignorierte, um beherzt in die Welt der Kurven und der neuen Formen einzudringen, die uns der Betonbau ermöglicht. Und auf dem Papier, beim Zeichnen dieser Entwürfe, habe ich dann gegen diese langweilige und monotone Architektur protestiert, die so leicht zu bewerkstelligen war und sich schnell von den Vereinigten Staaten bis nach Japan ausgedehnt hatte.“

Niemeyer zeichnete und skizzierte, seine Ingenieure setzten die Ideen um. Die Ausführung, so der Architekt, habe ihn nie sonderlich interessiert, viel wichtiger seien ihm Idee und Form gewesen. Für Pampulha entstanden etwa ein Tanzrestaurant samt geschwungener, überdachter Kolonnade und die Kirche des Heiligen Franziskus. Das aus vier kühnen Betonbögen gespannte Gotteshaus war so außergewöhnlich, dass sich die Kirchenmänner jahrelang weigerten, es einzuweihen.

Obwohl die Architekturen Oscar Niemeyers konstruktiv so gewagt und ausdrucksstark sind, wirken sie nie nervös oder beunruhigend. Sie wirken auch nicht spektakulär und sensationsheischend. Sie sind der gelassene, fast lässige Ausdruck eines extrem formtalentierten Geistes, der sich intuitiv freispielte und die architektonische Entsprechung zur großzügigen Natur seines gesegneten Landes fand.

Niemeyers eigenes Wohnhaus, in dem er seit 1953 lebt, liegt gut versteckt hoch oben in den Bergen Rios. „Die Kurve ist die Natur“, sagt er in einem Interview im Katalog zur Niemeyer-Ausstellung, die derzeit im Frankfurter Architekturmuseum zu sehen ist: „Berge, Körper, Wasser. Alles fließt. Und man darf die Natur nicht immer überall gegen rechte Winkel rennen lassen. In meinem Haus, das ich mir über den Hügeln von Rio entwarf, habe ich den Pool um den Felsen herumgebaut, das Haus schwingt sich in den dichten Wald hinein. Die Natur kommt ins Haus, das Haus umfasst die Natur.“

Architekturtheorie à la Niemeyer existiert nicht. „Was wollt ihr eigentlich bei mir?“ fragte er vor einigen Jahre eine Gruppe Architekturstudenten aus Wien, die sich in sein Atelier an der Copacabana verirrt hatten: „Da unten ist der Strand, da sind die Mädchen, der Fußball, das Meer. Die können euch mehr über Archtiektur beibringen als ich.“ []


[Oscar Niemeyer. Eine Legende der Moderne.
Architekturmuseum Frankfurt, bis 11.5.
Bei Birkhäuser erscheint der gleichnamige Katalog.]

Der Standard, Sa., 2003.03.29

22. März 2003Ute Woltron
Der Standard

Die gefälligen Monstrositäten des Ingenieurs

Die Architekturen des Spaniers Santiago Calatrava erfreuen sich weltweit enormer Beliebtheit - vor allem bei Nichtarchitekten. Ab kommender Woche werden seine Arbeiten ausgerechnet im Wiener Kunsthistorischen Museum ausgestellt.

Die Architekturen des Spaniers Santiago Calatrava erfreuen sich weltweit enormer Beliebtheit - vor allem bei Nichtarchitekten. Ab kommender Woche werden seine Arbeiten ausgerechnet im Wiener Kunsthistorischen Museum ausgestellt.

Wilfried Seipel, der Generaldirektor des Wiener Kunsthistorischen Museums, muss ein quasi metaphysisches Erlebnis gehabt haben, als er - eigentlich auf der Suche nach Werken des großen Manieristen El Greco - in Athen zufälligerweise eine Ausstellung der Arbeiten des spanischen Architekten Santiago Calatrava durchwandelte. „Die Faszination, die die ausgebreiteten Objekte und Modelle auf mich ausübten, ließ sich wohl nicht verbergen“, schreibt er im Vorwort eines neuen Calatrava-Kataloges. Der wurde notwendig, weil ab kommender Woche das Kunsthistorische nun ebenfalls in den üppigen Architekturformen des iberischen Baumeisters schwelgen darf. Der faszinierte Wiener Museumsmann übernahm Teile der Ausstellung. Unter dem schlichten Titel Santiago Calatrava ist sie ab kommendem Donnerstag, dem 27. März, bis 18. Mai im Bassano-Saal zu sehen.

Keine Frage, Santiago Calatrava ist ein Star. Ein weltbekannter Konstrukteur gewaltiger und sehr oft völlig unverständlicher Gebilde. Irgendwann einmal war der Architekt, der zugleich die optimierenden Formeln des Bauingenieurwesens studiert hat, auch ein sensibler Planer, und damals konstruierte er sehr schöne und hochelegante Brücken. In Barcelona etwa, in Sevilla oder in Valencia, und für diese spannungsvollen Gebilde großer Anmut wurde er auch vielfach mit wichtigen internationalen Preisen ausgezeichnet.

Mittlerweile ist das Brückenbauen für die drei Büros, die der renommierte Planer in Valencia, Paris und Zürich unterhält, allerdings fast schon zu einem Nebengeschäft geworden. Calatrava baut nunmehr groß und international, er konstruiert großformatige öffentliche Gebäude, Museen und Bahnhöfe - und er tut es nicht einmal annähernd so gekonnt wie früher. Irgendwie scheint die Eleganz, die er im Brückenbau bewies (und häufig immer noch beweist), im Bombastischen seiner Häuser zu ersticken, sie verliert sich zwischen den gewaltigen Stahlbetonrippen, die er in kühnen Bögen durch die Lüfte spannt, und sie lebt auch in den schwülstigen Innenräumen dieser absonderlichen Gebilde nicht auf.

Im gleichen Maße, in dem seine internationale Beliebtheit bei Architekturtouristen wuchs, schrumpfte denn auch sein Ansehen innerhalb der Kollegenschaft. Calatravas Arbeiten werden zwar bewundert, was ihre technische Fertigkeit anbelangt, doch er bemüht damit eine ganz spezifische, eigentlich aufdringliche Formensprache, die sich sehr rasch abnutzt und vielfach als geschmäcklerisch und nicht zukunftweisend empfunden wird. Allerdings nur in der Fachkollegenschaft, denn bei Auftraggebern allerorten ist der Spanier derzeit begehrt wie kaum ein anderer.

Jüngst konnte er mit dem Zubau zum Milwaukee Art Museum - einer enormen vogelgerippeartigen Angelegenheit - das amerikanische Publikum im Sturm für sich erobern. Das Time Magazine erklärte Calatravas Kunsthaus zur besten Architektur des Jahres 2001. Zurzeit spannt der spanische Einzelgänger weltweit verstreut insgesamt fünf Brücken über Flüsse und Kanäle, in Argentinien, Israel, Italien, den Niederlanden und den USA. Drei weitere Bauten befinden sich ebenfalls in Planung bzw. Ausführung, und zwar Opernhäuser in Teneriffa und Valencia sowie ein Hochhaus für das schwedische Malmö. Letzteres zeigt eine erfreuliche Abkehr vom allzu Opulenten und stellt Calatravas bautechnisches Können dennoch unter Beweis: Das Hochhaus wächst geschraubt aus dem Boden, es wirkt schlank, nur ein wenig verspielt und trotzdem fröhlich-originell - und lange nicht so eitel wie viele andere seiner Bauten.

Ein Gegenbeispiel zu Malmö: Für die Weltausstellung in Lissabon errichtete Calatrava einen Bahnhof, der wohl spektakulär gemeint war, dem aber die schauerliche Aura eines Sciencefiction-Gruselfilmes anhaftet. Im ankommenden Besucher erwächst der Eindruck, durch die Skelettlandschaft eines verblichenen Aliens zu wandeln. Knochenartige Gebilde ragen quasi anklagend rundherum empor, sie wuchten mächtige Betonplatten in die Höh', allerdings nicht hoch genug, um ein erträgliches Raumklima zu produzieren. Der Lissaboner Expo-Bahnhof geriet zu einer Stahlbeton-Geisterbahn, der jeder möglichst schnell zu entrinnen trachtet, und letztlich drängt sich die Frage auf: Warum muss der Mann das Bauen um so vieles komplizierter machen, als es ohnehin schon ist?

Gerade dieses so genannte Organische in Calatravas Arbeiten, das der Architekt selbst in jedem Interview betont, das sich auch in seinen künstlerischen Skulpturen ablesen lässt, und das in der Architekturgeschichte wahrhaftig nichts Neues ist, hat es dem Wiener Museumsdirektor Wilfried Seipel offenbar besonders angetan, denn er schwärmt: „Die Affinität und Vergleichbarkeit der konstruktiven, aber auch formal gestaltenden Grundstruktur der Projekte Calatravas mit den Skeletten der Vogelwelt ist evident.“ Zum Glück verfügt man im Naturhistorischen Museum in Wien über eine reiche Sammlung an Vögeln und deren Resten, sodass die Schau nun mit den präparierten Vorbildern Calatravascher Architekturen bereichert werden kann.

Den „kleinen Beitrag zur Architekturdiskussion der Moderne in Österreich“, den Seipel zu erwirken hofft, wird diese Ausstellung selbstverständlich leisten, und auch der Ort, an dem sie stattfindet, ist gerade recht. Calatravas Pfauenfedernarchitekturen sind in einem Kunstmuseum besser aufgehoben als in einer zeitgenössischen Architekturgalerie.

Der Standard, Sa., 2003.03.22

15. März 2003Ute Woltron
Der Standard

Der Grundriss ist eine Frage des Charakters

Der Wiener Architekt Ernst A. Plischke erfährt späte, doch gründliche Würdigung. Heuer wäre der Mann, der Wien das einzige Gebäude des Internationalen Stils beschert hat, hundert Jahre alt geworden. Sein Leben: ein Emigrantenschicksal.

Der Wiener Architekt Ernst A. Plischke erfährt späte, doch gründliche Würdigung. Heuer wäre der Mann, der Wien das einzige Gebäude des Internationalen Stils beschert hat, hundert Jahre alt geworden. Sein Leben: ein Emigrantenschicksal.

Ernst Anton Plischke. Architekt. Möbelentwerfer. Emigrant. Heimkehrer. Geächteter. Einer, der schon in ganz früher Jugend ein „Star“ war, wie man dieser Tage sagen würde, doch auch einer, den die Grausamkeit seiner Zeit vertrieb, und der, als er Jahrzehnte später zurückkam, als aktiver Planer nie mehr wirklich Fuß fassen durfte.

Wien verdankt Ernst A. Plischke viel mehr als die schöne Architektur des Liesinger Arbeitsamtes (1930), denn hier in Wien hat der Architekt am Abend seines Lebens an der Akademie der bildenden Künste seine Lehre verbreitet und eine Reihe heute namhafter, solider Architekten ausgebildet. Hermann Czech, Luigi Blau, Elsa Prochazka, Walter Stelzhammer sind nur ein paar davon. Heuer wäre Plischke hundert Jahre alt geworden, und der Erinnerungsprozess an ihn, der schon vor geraumer Zeit einsetzte, manifestiert sich anlässlich des Jubiläums in einer Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen.

Plischkes Schüler werden im Juni (27. und 28.6.) anlässlich seines Geburtstags ein zweitägiges Symposium veranstalten und auch ein Buch über ihren Lehrer publizieren, das im Pustet Verlag erscheinen wird. Schon zuvor, nämlich kommende Woche, erinnern sich drei Institutionen des vielseitigen Architekten: Ab Donnerstag (20.3.) zeigt die Akademie der bildenden Künste die Schau Ernst Plischke. Das Neue Bauen und die Neue Welt, das Gesamtwerk. Einen Tag zuvor (19.3.) eröffnet das Kaiserliche Hofmobiliendepot die Ausstellung Ernst A. Plischke als Möbeldesigner, und am Freitag (21.3.) findet im Architekturzentrum Wien ein Symposium mit Titel Ernst A. Plischke und die österreichische Avantgarde in der Emigration statt. Zusätzlich erscheint im Prestel Verlag das Buch Ernst Plischke - sein Gesamtwerk von Eva B. Ottillinger und August Sarnitz (75,- €).

Plischke wurde in Klosterneuburg geboren. Er war Sohn eines Architekten und Enkel eines Tischlers, er inhalierte also quasi schon in frühester Jugend die Kultur des Bauens und des Möbelmachens. Beides manifestierte sich in seinen späteren Arbeiten. Doch zuvor studierte der junge Mann an der Kunstgewerbeschule in der Meisterklasse für Architektur bei Oskar Strnad, wo er auch Josef Frank als Lehrer kennen lernte, und in dessen Büro er - als einziger Mitarbeiter - zu arbeiten begann.

1928, gerade 25 Jahre jung, realisierte Plischke seine erste eigenständige Arbeit und gestaltete die kleine Wohnung der Keramikerin Lucie Rie. Er entwarf subtile Möbel, verkleidete Wände mit Holz, blieb dabei zurückhaltend, streng und für seine Zeit ausgesprochen avantgardistisch. (Die Einrichtung der Wohnung ist im Originalzustand erhalten und kann im Hofmobiliendepot besichtigt werden.)

Nach einem kurzen USA-Aufenthalt, der Plischke in das Büro von Louis Kahn führte, kehrte der junge Architekt nach dem Börsenkrach 1929 wieder nach Wien zurück, um mit Leichtigkeit den Anschluss an das Architekturgeschehen zu finden: Er beteiligte sich an der Werkbundsiedlung und erhielt den Auftrag, für Liesing ein Arbeitsamt zu bauen - sein wichtigstes Gebäude für Wien. Hermann Czech, Plischke-Schüler und einer der Talentiertesten im Land, wenn es um Umbauten und zeitgemäße Eingriffe in hochwertiges Bestehendes geht, hat dieses Haus restauriert und adaptiert. Er nennt es „den einzigen Bau Wiens, der vorbehaltlos dem Internationalen Stil zugerechnet werden kann“. 1934 folgte das Wohnhaus Gamerith am Attersee, es wird als das zweite hervorstechende Werk des Architekten in Österreich betrachtet.

1935 war die öffentliche Wertschätzung Plischkes noch so breit, dass man ihm den Großen Staatspreis für Architektur verlieh. Im selben Jahr heiratet der Architekt die Jüdin Anna Lang, im selben Jahr begannen die Aufträge zu versiegen, 1939 schließlich emigrierte die Familie nach Neuseeland, wohin es bereits eine kleine, doch aktive Gruppe österreichischer Emigranten verschlagen hatte. Plischke nahm auch in der neuen Heimat sofort wieder seine Tätigkeit auf, arbeitete etwa für das Ministerium für Wohnungsbau und plante diverse Wohnhäuser und Kirchen, entwarf interessante Möbel und war auch städtebaulich äußerst aktiv.

Erst lange nach Kriegsende erinnerte man sich hierzulande wieder an den so überaus talentierten, klaren Entwerfer. 1961 sprach man ihm in Abwesenheit den Preis der Stadt Wien zu. 1963 wurde er auf Treiben Roland Rainers als Nachfolger Clemens Holzmeisters an die Akademie der bildenden Künste berufen. Sein ehemaliger Student Luigi Blau, mit dem er besonders engen Kontakt hatte, charakterisiert ihn als Lehrer folgendermaßen: „Er war sehr tolerant, obwohl er, wie alle Künstler, durchaus stur war. Doch er ließ uns viel durchgehen, wenn er das Gefühl hatte, dass ein künstlerischer Wille hinter den Entwürfen steckte.“

Nach seiner Heimkehr erhielt Plischke nur wenige öffentliche Aufträge, und wenn er tatsächlich baute, behinderte man ihn mit den Mitteln der Bürokratie. Namhaft aus dieser Zeit nur seine Einfamilienhäuser, wie etwa das Haus Frey in Graz. Plischke starb 1992 in Wien. Die Renaissance seiner Wertschätzung hat er nicht mehr erlebt.

Der Standard, Sa., 2003.03.15

15. März 2003Ute Woltron
Der Standard

Architekturdialoge

Häupl: Architekten sind Künstler

Häupl: Architekten sind Künstler

Vergangenen Montag fand auf Initiative von Wiens Planungsstadtrat Rudolf Schicker im Ares-Turm ein geladenes Tete-a-Tete zwischen Politikern, Investoren, Bauträgern und Architekten statt, das sich nun institutionalisiert in regelmäßigen Abständen wiederholen soll. Ziel der Veranstaltung: Wien soll auch in Sachen Architektur Kulturhauptstadt sein. Ob sie es bereits ist oder erst werde soll, blieb derweilen unklar und wird auch Thema künftiger Diskussionen sein.

Als Ehrengast durfte Michael Häupl begrüßt werden, auf dem Podium nahmen neben Schicker und dem Stadtobersten auch noch die Architekten Boris Podrecca und Dominique Perrault Platz - Podrecca als eloquent-kompetenter Kosmopolit, Perrault als Planer von drei Hochhäusern auf der Donauplatte, auf der man sich befand. Im Publikum saßen unter anderen Hans Hollein, Heinz Neumann, Laurids Ortner, Helmut Richter, Albert Wimmer, Manfred Wehdorn, Hemma Fasch, Jakob Fuchs, Elke Delugan-Meissl, Marta Schreieck und viele andere namhafte Planer der Bundeshauptstadt. Perrault erläuterte seine Projekte, man verglich den Städtebau von Paris und Wien miteinander, man versuchte im Anschluss eine Diskussion, die allerdings nicht wirklich entbrennen wollte. Doch gut Ding braucht Weile, die nächste Runde könnte schon spannender werden.

Wichtig allerdings war Häupls Bekenntnis, nicht nur auf die architektonische Vergangenheit Wiens Bedacht zu nehmen, sondern auch an die Zukunft zu denken, auf dass die Bürger dieser schönen Stadt in vielen Jahrzehnten stolz auf das heute Gebaute sein könnten. Häupl: „Architekten sind Künstler. Wir wollen nicht nur in Musik, Literatur und bildende Kunst, sondern auch in zeitgenössische Architektur mehr investieren.“ Um diese Investitionen zu konkretisieren, dürften sich Zusammenkünfte zwischen Entscheidungsträgern und Planern günstig auswirken. Die Maulfaulheit der stets vorsichtigen Architekten ist bekannt, wenn sie aufgebrochen werden kann, werden sich die Architekturdialoge tatsächlich bewähren.

Der Standard, Sa., 2003.03.15

15. März 2003Ute Woltron
Der Standard

Welterbe „erniedrigt“ die Türme

Völlig überraschend hat sich die Bauträger Austria Immobilien vom bisherigen Projekt Wien-Mitte verabschiedet. Bis zum Schluss wurde beteuert, man wolle die Bahnhofsüberbauung realisieren. Nicht zuletzt, weil der Baubescheid vorlag. Der wird auch weiterhin genützt, kündigt der Bauträger an, um eine niedrige „Light-Version“ realisieren zu können.

Völlig überraschend hat sich die Bauträger Austria Immobilien vom bisherigen Projekt Wien-Mitte verabschiedet. Bis zum Schluss wurde beteuert, man wolle die Bahnhofsüberbauung realisieren. Nicht zuletzt, weil der Baubescheid vorlag. Der wird auch weiterhin genützt, kündigt der Bauträger an, um eine niedrige „Light-Version“ realisieren zu können.

Wien - Das war es dann also: zwölf Jahre Planung, zwei Jahre Diskussion um Höhen, Baudichte und Welterbe - jetzt das endgültige Aus. Die Bauträger Austria Immobilien (B.A.I.), ein Unternehmen der Bank-Austria-Gruppe, gibt das Projekt Wien-Mitte in seiner jetzigen Form auf: keine 97 Meter hohen Türme, kein wuchtiger Bau entlang der Invaliden-und Landstraßer Hauptstraße.

Stattdessen soll die „Light-Variante“ realisiert werden, kündigt man seitens der B.A.I. an. Ein Büro- und Geschäftszentrum beim Bahnhof Wien-Mitte soll jedenfalls gebaut werden, aber wesentlich niedriger, versichert eine B.A.I.-Sprecherin. Vor allem will man die bestehenden Baurechte nützen, denn der Investor verfügt über eine Baugenehmigung, hätte damit seit Monaten die Möglichkeit gehabt - ungeachtet sämtlicher Proteste von Politikern, Denkmalschützern und Anrainern -, mit dem Bau zu beginnen.

Nähere Details zu „Wien-Mitte-Light“ werden Anfang nächster Woche bekannt gegeben, kündigte die Sprecherin gegenüber dem STANDARD an. Die Stadt stehe einer reduzierten Projektvariante, die seit Wochen intern diskutiert wurde, jedenfalls positiv gegenüber, hört man aus dem Rathaus.

Für den wichtigsten Projektpartner kommt die Entscheidung der B.A.I. ebenfalls unerwartet. Man sei im Laufe des Freitags informiert worden, dass eine endgültige Entscheidung seitens des Investors getroffen worden sei - „aber wir warten noch auf die offizielle Verständigung“, erklärt ÖBB-Sprecher Gary Pippan. Dass sich der Projektpartner B.A.I. allerdings vom bestehenden Projekt verabschieden würde, sei nicht abzusehen gewesen, betont er. Die Österreichischen Bundesbahnen blieben jedenfalls an einer Neugestaltung des heruntergekommenen Bahnhofsareals interessiert. Man müsse jetzt abwarten, wie die neuen Detailpläne der B.A.I. aussähen.


Jahrelanges Tauziehen

Von derlei „Light“-Plänen wird auch die weitere Diskussion um das Projekt abhängen. Vor allem, ob dann in Ruhe und mit Aussicht auf Rendite gebaut werden kann. Denn der Streitpunkt war die Bauhöhe des ursprünglichen Projekts gewesen. Bis zu 97 Meter sollten die vier Türme über der Bahnhofsplatte in die Höhe ragen. Was zu immer heftigeren Protesten seitens Icomos geführt hatte, als Wiens Innenstadt am 13. Dezember 2001 den Status „Welterbe“ zuerkannt bekommen hatte. Der Unesco-Welterbebeirat sah durch das Projekt das Welterbe beeinträchtigt - und drohte Wien, das prestigeträchtige Prädikat abzuerkennen. Das Welterbekomitee empfahl schon seit Dezember 2001, die Höhe und das geplante Bauvolumen zu überdenken. Wie die Unesco über den Welterbe-Status Wiens unter den neuen Bedingungen denkt, wird sich spätestens im Juni bei ihrer Generalversammlung zeigen.

Wiens SP-Bürgermeister Michael Häupl hatte noch am Tag der Aufnahme der City in die Unesco-Liste Gespräche mit dem Bauträger aufgenommen. Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SP) nahm ebenfalls Gespräche mit dem Bauträger Austria Immobilien auf. Die Forderungen der Projektkritiker - darunter die FPÖ, Denkmalschützer, eine Bürgerinitiative und namhafte Architekten wie Gustav Peichl und Roland Rainer - nach einer Reduktion stieß bei der B.A.I. zunächst auf taube Ohren. Sogar der Bürgermeister kritisierte die Art, in der die B.A.I. Anrainer und Öffentlichkeit über ihre Pläne (nicht) informierte.

Im März 2002 wurde dann verkündet, dass die Türme wie geplant bis zu 97 Meter hoch gebaut würden. Eine Verkleinerung wurde „aus Gründen der Wirtschaftlichkeit“ abgelehnt.


Frage der Ökonomie

Kommt Wien-Mitte „light“, würde das die Welterbe-Debatte entschärfen. Offen bleiben nun verschiedene ökonomische Aspekte.

Einerseits muss die B.A.I. eine Variante der Verbauung finden, die es ihr mit dem Ko-Investor Sonae Immobiliare aus Portugal ermöglicht, vernünftige Renditen zu erwirtschaften. Bei derart guten Lagen wie jener am Verkehrsknotenpunkt Wien-Mitte gilt es, hohe Grundstückspreise und Kosten für die Infrastruktur zu kompensieren. Das bedingt mehr Stockwerke, in denen Büros und Geschäfte untergebracht und vermietet werden müssen.

Darüber hinaus sind die ÖBB Grundstückseigentümer. Sie sind ebenfalls interessiert daran, die gute Innenstadtlage gewinnbringend für sich zu nutzen. Bis dato wollen sie 700.000 Euro Jahrespacht von den Investoren. Eine Reduktion der Pachtsumme, um das Turmprojekt bei geringerer Bauhöhe rentabel zu halten? Davon will man bei den ÖBB nichts wissen. Man habe eine exquisite Innenstadtlage anzubieten, dafür sollen auch marktübliche Preise gezahlt werden. Die ÖBB würden nicht „einen privaten Investor quersubventionieren“, wurde erst kürzlich auf Wirtschaftlichkeit gepocht.

Der nächste ökonomische Aspekt ergibt sich aus den bisher geleisteten Arbeiten für das Projekt. Kolportierte „zig Millionen“ seien bereits für Planungen, Umgestaltungen, Geometer, Anwälte und Wettbewerbskosten ausgegeben worden. Das macht die Neuausschreibung eines Wettbewerbs für die „Light“-Version unrealistisch.

Architekt Heinz Neumann, von der „Arge Architekten Wien-Mitte“, will sich vorerst nicht äußern. Er geht aber davon aus, dass die bisherigen Planer - Neumann, Ortner & Ortner sowie Lintl & Lintl - auch für die Neugestaltung der Bahnhofsüberbauung verantwortlich zeichnen werden. Man habe auch bisher bloß „Aufwandsentschädigungen“ erhalten, was einem „Bruchteil“ der tatsächlich geleisteten Arbeit entspreche. Eine Neuauflage eines Wettbewerbs dürfte es also nur geben, wenn die B.A.I. sich völlig zurückziehen würde, was aufgrund der teuren Vorleistungen unwahrscheinlich ist.

Der Standard, Sa., 2003.03.15



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08. März 2003Ute Woltron
Der Standard

James Bond und andere Weggefährten

Roman Delugan und Elke Meissl mögen James-Bond-Filme. Vor allem die alten, der superben Architektur wegen . Sicherheitshalber haben sie sich nun selbst eine Art Moonraker gebaut, doch auch andere ihrer Architekturen sind filmreif, wie der geplante Aufzug auf den Mönchsberg.

Roman Delugan und Elke Meissl mögen James-Bond-Filme. Vor allem die alten, der superben Architektur wegen . Sicherheitshalber haben sie sich nun selbst eine Art Moonraker gebaut, doch auch andere ihrer Architekturen sind filmreif, wie der geplante Aufzug auf den Mönchsberg.

Die Zeit ist ein Faktor in der Architektur, über den sehr viel nachgedacht wurde, und über den man wunderbar philosophieren kann. Soll ein Haus ewig stehen bleiben? Soll die so genannte „Formensprache“, in der es errichtet wird, den Geist der Entstehungszeit vermitteln, und wenn ja, wie schaut der jeweils aus? Gibt es alte Gebilde, die heute noch zeitlos oder sogar modern sind? Und gibt es Zeitgenössisches, das schon morgen vorgestrig ist?

Roman Delugan und Elke Meissl, die beide im Vergleich zu einem Dom zum Beispiel gerade wenige Momente alt sind, arbeiten sozusagen am Puls der Zeit, ohne Hörigkeiten zu entwickeln. Die jungen Wiener Architekten suchen für ihre Häuser nach den neuesten Materialien und Technologien und arbeiten dabei Hand in Hand mit Hightechunternehmen Wenn sie entwerfen, finden sie neue Formen und Raumstrukturen, interessante und dem Bewohner nützliche Verschachtelungen, die den Mehrwert bieten, den gute Architektur so mit sich bringt.

Sie produzieren damit eine sehr selbstbewusste und trotzdem „unmodische“ Baukultur, die nicht nur für ein paar Augenblicke Bestandsberechtigung genießt, und schon das ist mehr, als man über vieles derzeit Gebautes sagen kann. Die Architekturschmiede der beiden liegt in Wien, genauer am Mittersteig, und ist von einer bestechend säuberlichen Eleganz ohne Firlefanz. Ein Architekturbüro von Leuten, die genau wissen, wo sie kein Geld auszugeben brauchen, um trotzdem picobello arbeiten zu können. Gleich gegenüber, durch Panoramafensterscheiben gut zu sehen, liegt ein glattes und unaufregendes Wohnhaus aus den 50er-Jahren. Es repräsentiert bei genauer Betrachtung genau diese Mischung aus Zeiten und Epochen, die das großstädtische Leben so interessant macht: Ganz unten residiert die Caritas. Man verkauft hier Möbel, Krempel, Allerlei aus den vergangenen Jahrhunderten. Dazwischen, wie gesagt, prangt die kahle Nacktheit, wie sie vor 50 Jahren en vogue war, und ganz oben ragt die Zukunft in Form eines gewaltigen Dachaufbaus gen Himmel.

Der ist natürlich von Delugan und Meissl, stellt deren künftiges Privatdomizil dar, befindet sich im finalen Ausbaustadium und wird, so viel ist sicher, zu einer der meistbesprochenen jüngeren Architekturen des Landes werden. Eine sagenhafte Stahlkonstruktion windet sich da über das Dach und produziert zwei durch Rampen, Innen- und Außenräume ineinander überlaufende Geschosse. Ein amorphes Ding, in dem - und das ist der Unterschied - jeder Kubik- und nicht nur jeder Quadratzentimeter genau durchdacht ist. Die Möbel scheinen aus den Wänden, Decken, Böden zu wachsen, jedes Detail ist maßgeschneidert und in diese wüste, sympathische Form eingepasst. Doch davon mehr im Frühsommer, sobald die letzten Handgriffe getan sind.

Roman Delugan und Elke Meissl pflegen ihre Architekturprodukte nicht mit schwerem Ideologiegehabe zu vermitteln, weshalb sie auch angesichts ihres neuesten Konstruktes eher von alten James-Bond-Filmen zu reden beginnen, denn die wurden seinerzeit gelegentlich in den wunderbaren kalifornischen Häusern des John Lautner gedreht. Wenn es ein Vorbild gebe, so die beiden, dann sei das dieser unvergleichliche Meister der fließenden Räume und der scheinbar ins Nichts kippenden Schwimmbadkanten hoch über dem Meer. Der heimische Lehrmeister der beiden hieß hingegen Wilhelm Holzbauer. Roman Delugan studierte bei ihm, Elke Meissl arbeitete für ihn. In Holzbauers Büro lernten sie einander kennen, und die Erinnerungen an den Wiener Lokalmatador sind für beide ausgesprochen positiv. Trotzdem machten sie sich gemeinsam rasch selbstständig, weil sie im Rahmen des Expo-Wettbewerbes den zweiten Preis für Absolventen abräumten, was erfreulicherweise mit einem Startkapital von damals 200.000 Schilling verbunden war. Es folgten aufgrund dieses Erfolges diverse Ladungen zu weiteren Wettbewerben, wie etwa jenem, der sich mit der Wohnbebauung auf der Donauplatte befasste, und der mit einem Sieg für die beiden endete. „Wir haben damals von null auf hundert ein Büro aufgemacht“, sagt Meissl, die als Projektleiterin für Holzbauer-Werke wirtschaftliche Straffheit gelernt hat und quasi den kommerziell-ökonomischen Kopf des Duos darstellt.

In rascher Folge entstanden die beiden ersten Häuser, nämlich der so genannte „Balken“ sowie das Mischek-Wohnhochhaus auf der Platte. Ersteres ist ein 180 Meter langes aufgestelztes Wohnhaus. Letzteres stellt eine Art Lehrstück dar im Umgang mit einem extrem knapp kalkulierenden Auftraggeber, ein Werk, das mit Kompromissen belastet ist, aus dem man aber den reichen Nutzen der Erfahrung ziehen durfte.

Mittlerweile sind die Architekten etwas emanzipiertere Auftragnehmer, und wenn schon nicht kompromissloser, so doch findiger in gemeinschaftlich akzeptierten und guten Auswegen aus allzu streng gerechneten Vorgaben. Ein vor kurzem fertig gestelltes Wohnhaus auf dem Wiener Paltramplatz veranschaulicht das recht gut: Die 22 Wohnungen, die hier untergebracht sind, verfügen alle über raffinierte eingeschobene Loggien, die nicht, wie anderswo, Kästchen mit Brüstung sind, sondern wie voll verglaste Terrarien den Blick auf die Stadtumgebung großzügig definieren. Dadurch ergibt sich eine neuartige, dreidimensionale Fassade, eines der Markenzeichen der Planer. Eine Photovoltaikanlage ist integrierter Bestandteil der Architektur.

Dass sie nicht nur gute Wohnbauer sind, bewiesen Delugan und Meissl mit ihrem Wiener Stadthaus in der Wiener Wimbergergasse, das mit ungeheuer komplizierten Grundrissen und auf verschiedenen Niveaus Wohnen und Arbeiten unter begrünten Dächern vereint. Dieses Konglomerat aus Funktionen und Raumhöhen wurde in diversen internationalen Medien besprochen und bis Japan publiziert. Hierzulande gelten die Architekten erstaunlicherweise trotzdem eher noch als Geheimtipp. Doch das dürfte sich nun mit einem kleineren, nichtsdestotrotz höchst prominenten Projekt in Salzburg rasch ändern.

Dort benötigt das neue Museum auf dem Mönchsberg (geplante Eröffnung Sommer 2004) eine Liftanlage, die seine Besucher von der unten gelegenen Stadt über 55 Meter Höhenunterschied auf den Berg hinauf- und wieder hinunterbefördern soll. Vor wenigen Wochen schlugen Delugan und Meissl im Rahmen eines geladenen Wettbewerbs Mitanbieter wie Zaha Hadid aus dem Rennen und wurden von einer Jury unter Vorsitz des Schweizers Luigi Snozzi zu den Siegern erklärt. Ihr Aufzugsprojekt sieht eine in sich gewundene Stahlkonstruktion vor, an der eine gläserne Kabine entlanggleitet. Wieder legte man Bedacht auf Zeiten und Epochen - in Salzburg bekanntlich kein unwichtiger Faktor - und verband gekonnt Altes mit Neuem.

Der Aufzug startet unten in einem kleinen Häuschen, das vordergründig brav die Traufenhöhe seiner Nachbarn übernimmt, die umgebenden Denkmäler allerdings insofern überlistet, als die Fassade semitransparent ausgeführt ist. Das funktioniert folgendermaßen: Ganz zuunterst ist sie blickdicht, wird allerdings nach oben hin immer transparenter, sodass die hinaufschießende Aufzugskabine bereits ab dem letzten Drittel der Fassade sichtbar wird, um dann vollends im Freien geführt zu werden. Auch die Ankunft vor dem Museum erfolgt über einen kleinen, raffinierten Kunstgriff, denn oben verläuft die stählerne Lifthalterung über einen sanfte Überhöhung, sodass die Besucher erst einen raschen Ausblick über das Museum erhalten, um dann ruhig in das Ziel, den Ausstieg, zu gleiten. Erste Bürgerversammlungen zeigten große Zustimmung für das Projekt, nur die Salzburger FPÖ maulte ein wenig, doch der tatsächlichen Umsetzung scheint nichts mehr im Weg zu stehen.

„Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren weiterentwickelt“, resümieren die Architekten, „doch wir wollen nicht modisch, sondern zeitgemäß sein.“ So wie die guten Architekturen in den Bond-Filmen. Die sind zwar alt, sie werden aber auch morgen noch nicht vorgestrig sein.

Der Standard, Sa., 2003.03.08

08. März 2003Ute Woltron
Der Standard

Bravouröses Architekturpuzzle

Wie man uneitel, funktional und sehr spannend neue Architektur in würdigen Altbestand einfügt

Wie man uneitel, funktional und sehr spannend neue Architektur in würdigen Altbestand einfügt

Architektonisch betrachtet können Umbau sowie Revitalisierung der Albertina als ausgesprochen gelungen bezeichnet werden. Die Architekten Erich Steinmayr und Friedrich Mascher haben nicht nur vorzügliche - und stille - Arbeit geleistet. Sie haben auch das Durchhaltevermögen bewiesen, das für ein sowohl technisch, administrativ als auch entwerferisch derart schwieriges Bauvorhaben nötig ist. Die Albertina hat im Laufe ihrer über 200-jährigen Geschichte viele Umbauten und Stilwechsel durchgemacht. Heute zeigt sie sich prächtig wie nie, und sie zeigt sich als feudales großstädtisches Museum auf dem Letztstand der Technologie und der Architektur.

Der Bestand wurde bis zur letzten Intarsie sorgfältig restauriert und - was die Bauaufgabe so kompliziert machte - im großen Maßstab mit den Mitteln zeitgenössischer Baukultur erweitert. Diese Erweiterungen, es handelt sich um Studientrakte und Ausstellungshallen, sind von außen kaum sichtbar. Genau das gilt manchen als Kritikpunkt: Würde sich doch das Neue im Alten verstecken. Doch das Endresultat spricht für sich. Den Architekten gelang hier das Unwahrscheinliche - sie bauten in ein altes Stadtpalais feinste neue Architektur ein, banden sie funktional klug an den Bestand an, und dass etwa die hinter Stahl und Glas hochmodern untergebrachten Restaurierwerkstätten von außen nicht einsichtig sind, stört absolut nicht.

Die Albertina steht erhöht über dem eigentlichen Stadtboden, was den Umbau, sprich die Fundierungen, erschwerte. Steinmayr und Mascher machten aus der Not eine Tugend und gruben ihre neuen Gebäudeteile bis zum festen Terrain ein. Ein beachtlicher Tiefspeicher sorgt erstmals in der Geschichte der renommierten Sammlung für ordentliche Aufbewahrung der Kunstwerke, die neuen Ausstellungshallen, also jene Teile, die die Besucher zu Gesicht bekommen werden, sind reduzierte, vernünftige Angelegenheiten, die bestens bespielbar sein sollten. Die bereits erwähnten Werkstätten erstrecken sich über vier Geschoße, sie sind trotzdem dank ausgeklügelt angelegter Lichthöfe hell, freundlich und bis zuunterst lichtdurchflutet.

Ebenfalls restauriert wurden die völlig überalterten Räumlichkeiten des gleichfalls in der Albertina beheimateten Filmmuseums, das nunmehr auch über eine neue Vorführ- und Soundanlage verfügt. Ein Umbau des Kinosaales wird im Sommer erfolgen, eine kleine Bar sowie ein Shop im ganz neu gestalteten Eingangsbereich werden ebenfalls zur Zeit geplant.

Der Albertina-Umbau ist trotz Eröffnung noch nicht ganz vollzogen, was sich vor allem fassadenseits bemerkbar macht: Etwa Hans Holleins „Welle“ unter den neuen runden Fenstern - über die man streiten kann - steht noch aus, ebenso sein Flugdach über dem Eingangsbereich. Museumsshop und Café sind Kapitel für sich, die DER STANDARD gesondert besprechen wird. Zusammenfassend lässt sich jedenfalls sagen, dass das Gesamtkonzept von Steinmayr und Mascher, also die Komposition von Alt und Neu samt der schwierigen Gebäudelogistik (Wegeführung etc.) einen erfreulichen Meilenstein der zeitgenössischen Wiener Architektur darstellt.

Der Standard, Sa., 2003.03.08



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13. Februar 2003Ute Woltron
Der Standard

„Gegner haben Jahre geschlafen“

Kritik an Wien-Mitte für Architekten Laurids Ortner unzeitgemäß

Kritik an Wien-Mitte für Architekten Laurids Ortner unzeitgemäß

Wien - Für Architekt Laurids Ortner ist die jüngste Stellungnahme von Icomos-Österreich zum Projekt Wien-Mitte lediglich eine „altbekannte Position“, die nun neuerlich „aufgekocht“ würde. Das Büro Ortner & Ortner ist Teil der Wien-Mitte-Projektgemeinschaft, der auch die Architekten Heinz Neumann sowie Lintl & Lintl angehören. Diese Planer-Konstellation steht seit 1990 fest, sie ging aus einem damals veranstalteten Architekturwettbewerb hervor.

Ortner versteht nicht, warum die Debatte um das Bauvorhaben erst im Stadium der faktischen Baureife losbrach: „Das Projekt gibt es seit einem Jahrzehnt, die Gegner haben zehn Jahre lang geschlafen und kommen jetzt drauf, dass ihnen etwas nicht passt.“ Man würde sehr wohl dazu bereit sein, „der Unesco entgegenzukommen“, es habe auch seitens der Stadtplanung „diverse Anläufe gegeben, guten Willen zu zeigen“.

Doch Fakt sei, dass eine Widmung vorliege und jede gravierende Änderung mit Unkosten verbunden sei, die schlichtweg unleistbar wären. „Die Überplattung und die Ablösemaßnahmen für die Bahn kosten so viel Geld, dass das Projekt ohnehin schon knapp an der Kippe des Leistbaren steht“, so Ortner.

Tatsächlich dürfte gut die Hälfte der mit 300 Millionen € bezifferten Bausumme auf den Grundpreis fallen: Soll dieser Kapitaleinsatz irgendwann fruchtbringend sein, so muss sehr dicht - und entsprechend hoch gebaut werden. Gustav Peichl, der seinerzeit den Juryvorsitz des Wettbewerbs führte, kritisiert genau dies: Vom ursprünglich nur 67 Meter hohen Projekt sei „nichts übergeblieben“, die Baumassen hätten sich fast verdoppelt, es gehe „um Profitdenken“. Ortner vertritt die Investorensicht: „Wenn dieses Projekt nicht zustande kommt, wird es in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren dort gar nichts geben.“

Der Standard, Do., 2003.02.13



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13. Februar 2003Ute Woltron
Der Standard

Erben und erwerben

Die Debatte um den in Wien-Mitte konzipierten Hochhauskomplex reißt nicht ab.

Die Debatte um den in Wien-Mitte konzipierten Hochhauskomplex reißt nicht ab.

Die treffsicherste Munition der Projektgegner liefert der Titel „Weltkulturerbe“, den die gleich nebenan gelegene Wiener Innenstadt trägt. Die ist schön, alt, erhaltenswürdig, keine Frage, und vor allem die Höhe der benachbarten Wien-Mitte-Häuser würde laut Projektgegnern dieser Eleganz abträglich sein. Tatsächlich ist das Scharmützel um das Weltkulturerbe, dessen Schändung und die etwaige Ab- erkennung des ehrenhaften Titels ein Sinnbild der Ohnmacht, mit der man großen Investorenprojekten in Wien begegnet.

Seit den ersten Wettbewerbsplanungen im Jahr 1990 hat sich der Bau um 30 Meter erhöht, haben sich die Kubaturen um ein Drittel vermehrt, denn der kommerzielle Druck, der auf dem heiklen Grundstück lastet, ist enorm. Fazit: Wer an dieser Immobilie irgendwann verdienen will, muss auf Fläche machen. Die Stadtplanung hat mitgezogen und entsprechend gewidmet, das Projekt ist im Laufe der Jahre groß, massig, unelegant geworden - Umstände, die seit langem bekannt sind. Erst die Erkenntnis von außen, die Innenstadt sei ein Erbe, das pfleglich zu behandeln sei, lässt nun eine Hochhaus-Gegnerschaft erstarken. Man echauffiert sich über die Höhenentwicklung und spricht geflissentlich das eigentliche Problem nicht aus: Die geplante Architektur ist kalt, brutal, unschön, weil viel zu dicht.

Wenn bloßes Kommerzdenken das Stadtbild prägt, heißt es Abschied nehmen von Architektur, denn das Erben ist eines, das Erwerben offenbar ein ganz anderes. Die Architekten haben vor dreizehn Jahren solide entworfen, die Räder der Ökonomie haben ihr Projekt zerrieben und Abscheuliches ausgespien. Ob das Weltkulturerbe gleich nebenan liegt oder nicht, sollte in der Debatte eigentlich nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Der Standard, Do., 2003.02.13



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08. Februar 2003Ute Woltron
Der Standard

Architekturblähungen aller Art

Der Grazer Architekt Bernhard Hafner hat ein Buch über seine Zunft geschrieben. Schade: Es ist zu verbittert, um wirklich böse und damit gut zu sein.

Der Grazer Architekt Bernhard Hafner hat ein Buch über seine Zunft geschrieben. Schade: Es ist zu verbittert, um wirklich böse und damit gut zu sein.

Irgendjemand hätte Bernhard Hafner freundlich, aber bestimmt beiseite nehmen und ihm einige grundsätzliche inhaltliche wie formale Regeln vermitteln sollen, bevor er sich an den Schreibtisch setzte, um sein Buch zu verfassen. Zum Beispiel hätte ihm jemand sagen müssen, dass das „Ich“ stets das unwesentlichste Element aller guten theoretischen Abhandlungen ist. Wenn dieses „Ich“, so wie hier, zum omnipräsenten Maß aller Dinge wird, bedarf es - das wäre der zweite dringlich anzuratende Tipp gewesen - allzu vieler Frage- und Ausrufezeichen, also gemeinhin Massen verbotener Hilfsmittel, um den solchermaßen geschwächten Text doch noch irgendwie anzuschärfen und in die gewollten Richtungen zu drehen.

Bernhard Hafner hat in seinem Buch Architektur und Sozialer Raum letztlich nichts anderes getan, als gehörig Dampf abzulassen - oder vielmehr Blähungen, wie er sie seinen Zeitgenossen seitenweise vorzuwerfen pflegt - und das ist, selbst in der Welt der verschrobensten Architekturabhandlungen, ein wenig zu dünn, um ernst genommen zu werden.

Die Architektenschaft ist traditionell ein Haufen raufesfreudiger Brachialpersönlichkeiten, das bringt sowohl der hochkompetitive Berufsstand mit sich als auch die schwierige, letztlich großartige lebenslange Herausforderung, seinen persönlichen und, wie man in Architektenkreisen gern sagt, „ehrlichen“ Weg zu gehen und wirklich gute, in ihrer Theorie durchanalysierte und doch mit einer gewissen Prise des Unanalysierbaren veredelte Architektur zu machen. Selbstverständlich sind die Wege dorthin mannigfaltig, sie führen in die verschiedensten Richtungen, und von den diversen auseinander liegenden Gipfeln ertönen dann die herausfordernden Schlachtrufe derjenigen, die sie erklommen haben. Mit anderen Worten: Jeder hält sein Credo für das einzig wahre, die Verächtlichkeit anderen gegenüber kennt kaum Grenzen, der Diskurs dazwischen kann ein fruchtbares Beet für alle Nachkommenden sein, die eigene Wege gehen wollen.

Doch engagierte neue Architekten, so Hafner, gibt es mittlerweile ohnehin so gut wie nicht mehr. Lauter dümmliche bis aalglatte Epigonen würden die Szene bevölkern, deren Helden offenbar schriftlich bespöttelt und verächtlich gemacht werden müssen. Ob das allein der Sinn einer Publikation sein kann, ist eine Frage, die sich von Kapitel zu Kapitel immer stärker aufdrängt.

Frank O. Gehry zum Beispiel, dessen Häuser man nun mögen kann oder nicht, ist sicher eine penetrante, doch nicht die uninteressanteste Erscheinung der Weltarchitektenschaft. Für Hafner, dessen eigene architektonische Produkte kaum je Aufsehen erregten, bleibt Gehry „Designer“ und der Produzent eines „Blechhaufens in Bilbao“ und der im Buch häufig beschworene Beelzebub einer grässlichen neuen Zeit: „So du ein ,zeitgenössischer' Architekt bist, einer, der wie ein Kork auf der Welle des Zeitgeschmacks schwimmt, mit den Lippen immer am Arsch der Mode, kannst du auch mit dem Architekten aus Venice, Kalifornien, sprechen.“ Wenn anderen, offenbar Gebenedeiteren, wie dem Autor, dieser Dialog verwehrt bleibt, bleibt auch offen, was Hafner eigentlich so abstoßend findet am Geist der Zeit. Die wenigen Helden, die er gelten lässt, heldenhafte Oldtimer wie Le Corbusier oder Louis Kahn (in dem er „einen verwandten Geist der Bemühung um die architektonische Form“ erkannte - immerhin), waren schließlich auch einmal eigenwillige Produkte des Geistes ihrer Zeit. So bleibt es Hafner, die „Mitgliedschaft im Mitläufertum der Avantgarde des Zeitgeistigen“ zu geißeln, sich über „läufige Architekten“ die „mit läufiger Hand entwerfen“ zu echauffieren und Leute wie Peter Cook zu bespucken, „der überall dort, wo es eine Blähung als Wohlgeruch eines Parfums zu verkaufen gilt, mit Methode und Engagement dabei ist“.

Zitate wie diese ziehen sich durch das gesamte Buch, kaum ein Absatz, der nicht dazu genutzt würde, andere verächtlich zu machen. Alle kommen dran, oft verschlüsselt und nicht einmal namentlich, wie etwa Helmut Richter, Hans Hollein, das Duo Domenig, Eisenköck, dann wieder deklariert und hingeschrieben wie in den Fällen Peter Eisenman, „Ms. Hadid“ oder „Hr. Prix“. Welcher Teufel Herrn Hafner hier geritten hat, bleibt unklar. Irgendwie liest sich dieses Buch wie das Wirtshaustischgranteln eines nicht mehr jungen Architekten bei ganz saurer Traube.

Nicht nur die Kollegenschaft wird abgelehnt, sondern auch der derzeit betriebene Städtebau, der Dekonstruktivismus, Architektur und Algorithmus, sprich der Computer als Entwerfer und Leute, die nicht die Gnade der späten Geburt haben und sich dennoch erlauben, ihn zu hinterfragen und zu benutzen. Hafner: „Es ist auch eine Frage des Alters - fünf bis zehn Jahre machen da schon einen Unterschied. Jemand, der sich 1968 einen Trichter vor's Maul hielt, weil er meinte, er müsse sich durch Lautstärke Gehör verschaffen, sollte heute nicht von Computern, Datenströmen und einer prozessualen Sicht reden.“ Warum er oder sie das nicht sollte, lässt die selbsternannte Instanz Hafner offen. Doch genau hier würde ein interessantes Buch eigentlich erst beginnen.


[Bernhard Hafner, Architektur und Sozialer Raum,
€ 30,20/350 Seiten, Löcker Verlag, Wien 2002.]

Der Standard, Sa., 2003.02.08

06. Februar 2003Ute Woltron
Der Standard

Intellektueller Drücker auf Zeitgeistnerven

Schon lange bevor sein beeindruckender Entwurf für die Neubebauung von Ground Zero weltweit mit medialer Euphorie bedacht worden ist, konnte der Architekt Daniel Libeskind (56) als heißester Favorit im Rennen um den prominentesten Bauplatz des Erdballes gehandelt werden.

Schon lange bevor sein beeindruckender Entwurf für die Neubebauung von Ground Zero weltweit mit medialer Euphorie bedacht worden ist, konnte der Architekt Daniel Libeskind (56) als heißester Favorit im Rennen um den prominentesten Bauplatz des Erdballes gehandelt werden.

Den Weltbürger mit Büro in Berlin umgibt genau jener Nimbus aus Intellekt, Künstlertum und Internationalität, den ein Planer braucht, um dem heiklen Ort in Manhattan gerecht zu werden - durchaus auch im medialen Sinn der späteren Verwerter einer neuen Superimmobilie.

Libeskind ist ein theoretisch gut abgefederter Kopfmensch, einer, der viel nachgedacht und eher wenig gebaut hat, doch das, was aus seinen Skizzen entstand, kann sich sehen lassen.

Erst drei Häuser hat er vollendet: Nach dem Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück (1998) gelang dem gebürtigen Polen jüdischer Herkunft mit dem spröden, skulpturalen Jüdischen Museum in Berlin (1999) der endgültige Durchbruch zur internationalen Bekanntheit. Es folgte sein nicht ganz so gut rezipiertes Imperial War Museum in Manchester (2002). Derzeit ist das kanadische Royal Ontario Museum in Planung sowie das erste nicht museale Gebäude in Form eines Shoppingkomplexes für Bern.

Libeskinds nun favorisierter Ground-Zero-Entwurf ist ein „vertikaler Weltgarten“, ein 541 Meter hohes Symbol für Frieden und Brüderlichkeit, das wie ein spitzer Zeigefinger aus der Skyline Manhattans ausbricht und so in sich selbst zum gigantischen Mahnmal und nicht zuletzt auch gleich zum höchsten Haus der Welt werden könnte. Er habe, so sagte der Architekt in Interviews, vor allem auf den besonderen Genius Loci eingehen wollen, der Unverwechselbares erforderlich mache.

Sein Zugang ist denn auch der eines Ortsansässigen: Nach kurzem Aufenthalt in Israel war die Familie 1960 in New York gelandet, seit 1965 ist Daniel Libeskind amerikanischer Staatsbürger, was ihn als globalen Denker nicht davon abhält, seit 14 Jahren sein Büro in Berlin zu unterhalten, einer Stadt, die er in Interviews als „Stützpunkt, allerdings nicht als Zuhause“ bezeichnet.

Wer mit dem zwar mediengewandten, dennoch durchaus scheuen Daniel Libeskind in Kontakt treten will, tut das am besten über seine energische Frau Nina, die ihn hinter den Kulissen managt und mit der er drei Kinder hat. Libeskind zählt dank zahlreicher Schriften und publizierter Aufsätze zu einer ganz bestimmten Architekturavantgarde, die die Niederungen der Ebene mit dem Vehikel der Theorie überwanden, um dann baulich sofort an die Weltspitze aufzusteigen. Ob er mit dem New Yorker Himmelskratzer den Olymp be-steigen darf, wird sich demnächst weisen.

Der Standard, Do., 2003.02.06

27. Januar 2003Ute Woltron
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Die Parkbank kann Büro sein

Der Pharmariese Novartis leistet sich in Basel eine kleine Forschungsstadt und verspricht sich eine neue Art des Arbeitens davon. Städtebauer Vittorio Lampugnani lieferte den Masterplan.

Der Pharmariese Novartis leistet sich in Basel eine kleine Forschungsstadt und verspricht sich eine neue Art des Arbeitens davon. Städtebauer Vittorio Lampugnani lieferte den Masterplan.

Dieser Tage präsentierte der Schweizer Pharmariese Novartis seine Jahresbilanz 2002, die einen Reingewinn von 7,313 Milliarden Schweizer Franken (4,9 Mrd. Euro) aufweist. Die Zukunft, so ließ man verlauten, gehöre der verstärkten Forschung, in diesen Bereich wolle man künftig noch mehr investieren als bisher.

Ein Teil der Investitionen wird, so will es Novartis-CEO Daniel Vasella, auch in die entsprechende Infrastruktur in Form von Architektur fließen. Man verfügt über ein gewachsenes Unternehmensviertel am Ufer des Rheins mitten in Basel. Für dieses etwas überalterte Ensemble ließ sich Vasella vom ETH-Städtebauprofessor Vittorio Lampugnani vor knapp zwei Jahren ein städtebauliches Konzept vorlegen, das eine neue interdisziplinäre Art des Arbeitens und Forschens berücksichtigen solle. Der Novartis-Chef hatte erfahren müssen, dass internationale Forscher nicht nur mit guten Gehältern, sondern auch mit dem entsprechenden Arbeitsumfeld zu ködern sind. Eine Architektur, die die Kommunikation unter diesen Kreativen des Geistes zu fördern vermöge, die sollte es werden.

Lampugnanis Masterplan ist streng, klar, fast konservativ, aber effizient. Er wurde gemeinsam mit Landschaftsplaner Peter Walker, Lichtarchitekt Andreas Schulz, Kunstmann Harald Szeemann und Alan Fletcher, für Typografie und Beschilderung zuständig, erarbeitet. Boulevards, Laubengänge, Parks und Plätze gliedern die Freizonen zwischen den Häuserblöckchen. Der Strategieplan deutet in eine ferne Zukunft: Stück für Stück soll nun das alte Ensemble abgebrochen und erneuert werden. Der erste Schritt - das Headquarter Pharma und damit das prominente Gebäude im Eingangsbereich - wird demnächst in Angriff genommen:

Im vergangenen Herbst gewann das Schweizer Team Diener und Diener Architekten gemeinsam mit dem Künstler Helmut Federle und dem Wiener Architekt Gerold Wiederin das geladene Gutachterverfahren für das erste konkrete Bauvorhaben und schlug damit andere Teilnehmer wie Dominique Perrault, Hans Kollhoff und Sanaa aus dem Rennen. Baubeginn soll im Oktober dieses Jahres sein, die Eröffnung wird für April 2005 angepeilt.

Die Architekten wollten mit ihrem Entwurf ein markantes Zeichen für den Campus setzen und nahmen sich die bunt mosaikverkleidete Universitätsbibliothek von Mexiko-Stadt zur Anregung. Das neue Pharma-Haus entspricht mit seinen Abmessungen brav dem vorgegebenen, lang gezogenen Block, nimmt sich aber innenräumlich und fassadenmäßig alle Freiheiten. Die Grundrisse sind völlig offen und lassen dem Unternehmen jeden Spielraum, die Fassade ist zweischichtig ausgeführt: Vor einer unsichtbaren Glasfront hängt ein schuppiges Geflirre zartbunter Gläser. Was von der Ferne betrachtet gewissermaßen monolithische Würde aufweist, löst sich beim Näherkommen in seine Elemente auf.

Wie er dieses erste Projekt einschätzt und wie es überhaupt zu diesem umfangreichen Zukunftsprojekt eines Konzerns kam, erklärt Mastermind Vittorio Lampugnani im Interview mit dem ALBUM.

Lampugnani: Novartis-CEO Daniel Vasella wünschte sich für das Sankt-Johann-Areal in Basel einen Masterplan, der eine städtebauliche Strategie vorgeben sollte; keine isolierte, spektakuläre Architektur. Er hat uns gebeten, ein Projekt zu erarbeiten.

Das Resultat ist eine betont strenge Angelegenheit geworden. Warum?
Stimmt. Der Masterplan ist streng, aus verschiedenen Gründen. Wir wollten einerseits einen klar erkennbaren neuen Stadtteil in Basel machen, einen städtischen Campus, und andererseits an die alte Fabrik erinnern, die auch einem prägenden geometrischen Plan folgt. Doch neben diesen nostalgischen gibt es auch pragmatische Gründe: Unter dem Areal liegt eine gigantische technische Struktur für Wasseraufbereitung und Energieversorgung, an der wir uns orientieren mussten, wollten wir etwas Realisierbares entwerfen.

Besteht in Anbetracht der monotonen Blöckchen nicht die Gefahr einer gewissen Fadesse?
Lampugnani: Der Ort wird keineswegs langweilig, wenn die Gebäude unterschiedlich sein werden. Die meisten Städte, die wir lieben, haben einen strengen Grundriss und leben von unterschiedlichen Hausstrukturen. Wir wollten kleine Bauten haben, damit für die Leute der Anreiz besteht, hinauszugehen und das Nachbarhaus zu besuchen. Außerdem bietet diese Kleinteiligkeit größere Flexibilität innerhalb einer großen Organisation, deren künftige Struktur ja nicht absehbar ist.

Wie wird das Projekt nun weiter vorangetrieben?
Lampugnani: Es wird für alle wichtigen Bauten dieser kleinen Stadt Gutachterverfahren geben, zu der jeweils hervorragende Architekten eingeladen werden. Eines ist mit dem Pharma-Hauptgebäude bereits gelaufen, weitere sind im Gange. Der erste Stadtteil entlang der Fabrikstraße im Bereich des Einganges soll innerhalb der nächsten sieben Jahre fertig gestellt sein. Der Masterplan ist dabei das Instrument, sämtliche Maßnahmen in die richtige Richtung zu lenken. Bis das Areal so aussieht, wie wir es gezeichnet haben, wird es 30 Jahre dauern.

Über das erste Projekt wurde nun via Gutachter entschieden. Entspricht das Resultat Ihren Vorstellungen?
Lampugnani: Es ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe, aber gerade das ist das Spannende. Wir wollen neue gute Ideen haben, sie müssen allerdings dem städtischen Konzept verpflichtet sein. Es soll kein Freilicht-Architekturmuseum entstehen, sondern ein Ort zum Arbeiten und Leben.

Es ist nicht besonders gängig, dass sich ein Unternehmen eine kleine Forschungsstadt leistet. Warum tut es Novartis?
Lampugnani: Die Entscheidung hängt natürlich stark mit der Person und Vision des Chefs zusammen und ist ebenso mutig wie innovativ. Doch gibt es bereits jetzt Imitatoren, die Ähnliches gestartet haben, ein Pharmaunternehmen in der Schweiz etwa, oder Siemens in München. Die Erkenntnis, dass man große Gebäudestrukturen umfassend planen muss, setzt sich durch. Neu ist hier allerdings der Umstand, dass das Unternehmen nicht als Developer auftritt, sondern diesen Schritt für sich selbst setzt. Und dass im Campus versucht wird, eine neue Art zu arbeiten mithilfe der Architektur umzusetzen. Ich stelle mir vor, dass die Leute unter den Arkaden sitzen, besprechen, Kaffee trinken, dass lebhafter und produktiver Austausch zwischen den Gebäuden herrscht, dass jemand, der etwas schreiben muss, seinen Laptop nimmt und sich in den Park zurückzieht.Das Vorhaben ist ein Experiment: architektonisch, aber auch und vor allem sozial.

Der Standard, Mo., 2003.01.27



verknüpfte Bauwerke
Masterplan Zentrum für Forschung und Entwicklung



verknüpfte Ensembles
Novartis Campus

18. Januar 2003Ute Woltron
Der Standard

Ein Hoch auf flach

Der Westbahnhof-Wettbewerb beweist, dass Baumassen nicht immer gen Himmel ragen müssen und macht damit Bürger, Stadtväter und nicht zuletzt ÖBB-General Rüdiger vorm Walde glücklich, während die Ausgliederung der ÖBB-Immobilien politisch zum Thema wird.

Der Westbahnhof-Wettbewerb beweist, dass Baumassen nicht immer gen Himmel ragen müssen und macht damit Bürger, Stadtväter und nicht zuletzt ÖBB-General Rüdiger vorm Walde glücklich, während die Ausgliederung der ÖBB-Immobilien politisch zum Thema wird.

Es war allen ein wenig bang gewesen vor diesem Wettbewerb. Zu viele Tücken birgt das schwierige Areal rund um den Westbahnhof, zu große Fehler könnten hier begangen werden und die Zukunft eines gesamten kleinen Stadtteils auf Jahrzehnte hinweg verbauen. Die ÖBB und die Stadt hatten gemeinsam ausgelobt und damit im Schulterschluss um ihre jeweiligen Interessen gerungen: Die ÖBB wollen ihre Gründe rund um den wichtigsten Personenbahnhof der Stadt lukrativ verwerten; die Gemeinde will Synergien für die umliegenden Geschäfts- und Wohnviertel haben; und die Bürger, als dritte, verborgene Macht im Spiel, wollen prinzipiell keine hohen Häuser vor die Nase geknallt bekommen.

Alles also sehr schwierig und kompliziert, und nur durch feine architektonische Überlegungen unter einen Hut zu bekommen. Immerhin geht es um die Entwicklung eines 15 Hektar großen Areals, was den Dimensionen eines stattlichen Dorfes entspricht.

Nun, da der Wettbewerb rund um den Wiener Westbahnhof geschlagen ist, schnurrt man allseits vor Behaglichkeit, und ÖBB-General Rüdiger vorm Walde kann entspannt seine langen Managerbeine unter dem gläsernen Generaldirektorentisch ausstrecken. Das High-Tech-Stück stammt noch aus den Zeiten seines Vorgängers Helmut Draxler und ist ein Designklassiker aus den Werkstätten des britischen Architekturstars Norman Foster. Vorm Walde ist der Name, den Dinger dieser Art tragen, eher wurscht. Was für ihn zählt, ist die Funktion. Im Falle des Westbahnhofes hat man seinem Ansatz voll entsprochen und noch ein wenig städtebaulichen Mehrwert darauf gelegt.

Das von einer gut besetzten Jury (Vorsitz: Rüdiger Lainer, mit dabei u.a. Laura Spinadel und András Pálffy) einstimmig gekürte Siegerprojekt stammt von den Wiener Großarchitekten Neumann+Steiner und überrascht in vieler Hinsicht. Im direkten Bahnhofsbereich sind vor allem zwei Aspekte hervorzuheben: Der alte denkmalgeschützte Westbahnhof wird in Würde und in all seiner - derzeit etwas verblassten und verhüttelten - Eleganz überleben. Die ihn umgebende neue Bebauung schafft - ohne die groteske Höhenentwicklung, vor der alle Angst gehabt hatten - einen städtebaulich klugen Rahmen. Zwei nicht allzu hohe Baukörper rahmen das alte Bahnhofsgebäude ein, rücken an die Gürtelkante vor, formen damit einen geräumigen Platz aus und sorgen mittels Einschnitten und Durchblicken dafür, dass der wichtigste Darsteller in diesem Spiel, nämlich der Bahnhof selbst, von allen Seiten in die rechte Perspektive gerückt wird.

„Unser Denkansatz“, so Architekt Heinz Neumann, „war es zum einen, die erforderlichen Flächen auch ohne Hochhaus unterzubringen, und zum anderen, aus dieser unstrukturierten Gegend einen Stadtraum zu schaffen.“ Partner Eric Steiner ergänzt: „Man musste sich entscheiden: Will man einen Bahnhof haben, oder ein Shoppingzentrum mit Bahnhofsanschluss. Neben Hochhäusern wäre das bestehende Gebäude, das ein Juwel ist, zu einem Zwergerl degradiert worden, eine Analyse hat ergeben, dass die erforderlichen Flächen auch ohne Hochhaus zu bewältigen sind.“

Das Neumann-Steiner-Konzept sieht neben Büroflächen drei Einkaufsebenen vor, die dank des Höhenunterschieds zwischen Felberstraße und äußerer Mariahilfer Straße jeweils erdgeschoßig betretbar sind. Die alte Bahnhofshalle wird unterkellert, die Erschließung für die Bahngäste optimiert. An Stelle des so genannten „Blauen Hauses“ der ÖBB, links des Bahnhofs gelegen, soll ein dreigeschoßiges Kaufhaus treten. Alle Shopping-Zonen sind direkt mit dem Bahnhof verknüpft, auf dass das Warten auf den Zug versüßt werde. Eine großzügige Glasüberdachung der Bahnsteige könnte eine geräumige, übersichtliche Bahnhofshalle mit Großstadtflair schaffen.

Weit vorausblickend stellten die Architekten auch die Weichen für das derzeit völlig heruntergekommene Areal entlang der Bahntrassen und der Felberstraße, das ein Entwicklungsgebiet für die nächsten Jahrzehnte darstellt. Wieder arbeiteten Neumann und Steiner geschickt mit Niveauunterschieden und brachten im Gefälle zwischen Straße und Trasse drei Sammelgaragen unter. Die bedienen die dort zu erwartende Wohnbebauung und schließen - als kleine Parks begrünt - auf Straßenniveau ab. Querungen der Gleistrassen für Fußgänger und Radfahrer verknüpfen die jeweiligen Stadtteile links und rechts der Westbahn, die derzeit nur über ein Verkehrsnadelöhr miteinander verbunden sind. Eine weitere neue Straße parallel zur Mariahilfer Straße könnte das kleine Viertel zusätzlich vernünftig erschließen.

Soweit das städtebauliche Grundmuster. Wie sieht der General die weitere Vorgangsweise? Zuerst, so vorm Walde, müsse man in Kooperation mit der Stadt die erforderlichen Flächenwidmungen bis 2004 durchbringen, dann könne man sich um Investoren bemühen. Interessenten gebe es zwar immer, doch erst in konkreteren Stadien könne man tatsächlich zur Tat schreiten. Die geplanten Investitionskosten belaufen sich im Bahnhofsbereich auf etwa 200 Millionen Euro, entlang der Felberstraße auf rund 170 Millionen.
Der Westbahnhof ist das bisher ehrgeizigste Projekt der von Ex-General Draxler seinerzeit ins Leben gerufenen Bahnhofsoffensive, die Nachfolger vorm Walde offenbar in ihren wichtigsten Grundzügen fortzusetzen gedenkt. Rund 1500 Stationen stehen im Besitz der ÖBB, sie werden von 183,3 Millionen Passagieren jährlich genutzt. Zwanzig der wichtigsten Bahnhöfe werden, wie seit langem geplant, in den kommenden Jahren saniert beziehungsweise neu gebaut. Die derzeitigen Polit-Überlegungen, den Immobilienschatz der Bahnen in eine eigene Gesellschaft einzubringen, würde die Pläne der ÖBB allerdings empfindlich kreuzen und stellen letztendlich nichts anderes als den Versuch dar, sich budgetär am fremden Geldsäckel zu bedienen.

Die ÖBB sind der drittgrößte Grundbesitzer der Nation, ihre Latifundien werden mit einem Wert von rund 1,2 Milliarden Euro gehandelt. Das Unternehmen erwirtschaftet seit der Privatisierung im Jahr 1994 im Schnitt ein Drittel des Gesamtergebnisses des Unternehmensbereichs Absatz aus der Immobilienverwertung. Der Verkauf von Gründen sei dabei, so Immobilien-Chef Hans Kaser, „geistlos und wohl die primitivste Lösung“, geschicktere Verwertungsstrategien wie Baurechte und Vermietung stellten die langfristig klügere Strategie dar. Ein entsprechender Deal wurde etwa in Wien-Landstraße lukrativ eingefädelt. Was die allerorten in unmittelbarer Bahnsteignähe befindlichen Flächen anbelange, so vorm Walde, „sei es klar, dass wir hier im Einzelhandelsbereich das Geld holen und Partner suchen wollen.“

Der ÖBB-Chef streicht die Vorzüge hervor: „Wir bieten vorzügliche Lagen, längere Öffnungszeiten und das Publikum.“ Um diese Wertschöpfung zu lukrieren, muss allerdings zuvor mit Investoren Handelseinigkeit bestehen, doch die bekommt man nur, wenn entsprechende Widmungen vorliegen. Ein Agieren Hand in Hand mit den Gemeinden sei also, so vorm Walde, der Schlüssel zum Erfolg, und: „Um Wert zu realisieren müssen Zeitpunkt, Nutzung und Konjunktur stimmen.“

Ganz anders als beim Westbahnhof, der lediglich saniert werden muss, stellt sich die Situation rund um Süd- und Ostbahnhof dar: Die sollen erst in ferner Zukunft zum Hauptbahnhof zusammengefasst werden - eine strategisch enorm wichtige Infrastrukturmaßnahme, die im Generalverkehrsplan erstaunlicher weise weit hinten gereiht ist. Der Südbahnhof gilt laut internationalen Umfragen als eine der miserabelsten Bahnhofsstätten Europas, obwohl die tausenden hier täglich aus-und ein gehenden Pendler die chronisch verstopfte Südautobahn massiv entlasten und wahrlich Besseres verdient hätten. Die innerstädtischen Verkehrsanbindungen sind beklagenswert, wer mit der U1 die Innenstadt erreichen will, muss sich auf Hinterwegen und durch uringetränkte Labyrinhte kämpfen, die in ihrer Grindigkeit jeder Beschreibung spotten.

Vorm Walde ist sich der Problematik bewusst und streut der Stadtplanung vorsorglich Rosen: „Wir werden in unseren Bemühungen von der Stadt außerordentlich positiv begleitet.“ Wenn nun die Tugend des Wollens zusätzlich die Würze der Geschwindigkeit erführe, könnten alle, Pendler, Anrainer, Investoren, Stadtplanung und nicht zuletzt die ÖBB, rascher glücklich werden. Das im Bereich der beiden Bahnhöfe zu entwickelnde Areal ist riesig: Satte 50 Hektar in - sobald verkehrstechnisch ordentlich angebunden - feinster Stadtlage warten darauf, wachgerüttelt zu werden.

Der Standard, Sa., 2003.01.18

11. Januar 2003Ute Woltron
Der Standard

No Na Nano

Der US-Architekt John M. Johansen, Jahrgang 1916, ist noch bei Walter Gropius zur Schule gegangen und hat an der amerikanischen Moderne mitgebaut. Jetzt prophezeit der alte Herr hellsichtig eine neue, von Nanotechnologie geprägte Architektur der fernen Zukunft.

Der US-Architekt John M. Johansen, Jahrgang 1916, ist noch bei Walter Gropius zur Schule gegangen und hat an der amerikanischen Moderne mitgebaut. Jetzt prophezeit der alte Herr hellsichtig eine neue, von Nanotechnologie geprägte Architektur der fernen Zukunft.

John M. Johansen ist, wie man in Amerika zu sagen pflegt, kein „spring chicken“ mehr. Der New Yorker hat mit seinen 86 Jahren den großen Teil seines außergewöhnlichen Architektenlebens bereits hinter sich gebracht, was ihn allerdings keineswegs daran hindert, mit geistiger Behändigkeit in eine ferne und aufregende Zukunft vorzustoßen, in der von neuen Technologien geprägte Häuser kraft tektonischer DNAs wie von Zauberhand aus dem Boden schießen, sich Gebäude samt Einrichtung selbst strukturieren und darüber hinaus ununterbrochen ihren Benutzern anpassen.

Während die heutigen Kinder der Architektur mit dem Computer allerlei Spielchen treiben und virtuelle Blobs und Bubbles in farbenfrohen Mustern generieren, denkt Johansen über die Wurzeln der architektonischen Existenz nach und gräbt die Fundamente alles Gebauten bis hin zu den Molekülen und Atomen ab. Vor allem die Nanotechnologie, so prophezeit er, würde in den kommenden hundert Jahren unser aller Leben revolutionieren - und sie würde eine neue „Spezies der Architektur“ hervorbringen, die er unter dem Begriff „Nanoarchitektur“ zusammenfasst.

Sein gleichnamiges neues Buch zu diesem Thema liest sich freilich wie ein von euphorischem Optimismus konstruierter Sciencefiction-Trip für Techniker und Baumeister - und es erinnert stark an den Nano-Bestseller Diamond Agedes amerikanischen Physikers Neil Stephenson (erschienen 1995). Doch Johansen lässt etwaigen Kritikern gegenüber die Nachsicht des Visionärs walten. Es sei schließlich stets die menschliche Vorstellungskraft gewesen, die in die Zukunft geführt habe, und viele Fiktionen des Gestern wären heute bereits Realität. Tatsächlich macht der Architekt nichts anderes, als tief in den Laboratorien der experimentellen Wissenschaft zu wühlen und die radikalsten Erfindungen dieser Zunft fiktiv in der Architektur zur Anwendung zu bringen - was reizvoll ist, und was letztlich immer schon Triebkraft für das Neue in der Kunst des Bauens war.

Hydraulik und Pneumatik sind da quasi schon alte Hüte, doch auch kinetische Strukturen, Bioengineering, Elektromagnetismus und das Herumbasteln an den molekularen Grundfesten von Baustoffen könnte, so der betagte Bau-Mann, eine neue Haute Couture der Architektur hervorbringen. Anhand einer Reihe von Entwürfen zeigt Johansen vor, wie das aussehen und funktionieren könnte. Er transportiert etwa ein federleichtes Konferenzzentrum in Blasenform per Hubschrauber auf die Dächer hoher Häuser, linkt sich mit seiner Tragstruktur in der bestehenden Statik ein und entfaltet das Konstrukt vor Ort. Er lässt Hausgebilde aus hauchfeinen, genmanipulierten Materialien wie Seerosen auf dem Meer schwimmen und molekular engineerte mehrgeschoßige Appartementhäuser wie Bäume aus dem Erdboden wachsen: Alles Fantastereien, denen allerdings reale wissenschaftliche Theorien zugrunde liegen.
„Zuerst einmal“, so relativiert Johansen, „muss gesagt werden, dass molekular-engineerte Häuser natürlich noch Theorie sind. Doch die Projekte, die ich in den vergangenen zehn Jahren konzipierte, basieren tatsächlich auf Technologien, die früher oder später realisiert werden, die Anwendung von molekularem Engineering, die Architektur einschließt, bleibt spekulativ.“ Aber irgendjemand hat immer architektonische Spekulation betrieben, und Technologiefreak Johansen meint: „Ich bin tief davon überzeugt, dass Architektur Struktur ist, und dass sie, im Unterschied zu anderen Künsten, eine dienende Kunst ist.“ So nehme man denn die neuen Möglichkeiten neuer Strukturen und denke ein wenig darüber nach.

Eine entsprechende Systemtheorie der Architektur legte Johansen bereits 1989 in einem Aufsatz dar: „Alle Funktionen, Service, Struktur, Ausrüstung und ästhetischer Effekt müssen als untrennbare Einheit entworfen werden.“ Das Haus sei nicht länger als Wohnmaschine à la Corbusier zu betrachten, sondern würde, sobald technisch machbar, selbst ein Eigenleben entwickeln.

Der Mann, der hier die Architektur systemisch definiert, ist bei uns erstaunlich wenig bekannt, gilt jedoch in den avantgardistischeren Architekturkreisen seit Jahrzehnten als eine der wichtigsten Katalysatorfiguren. Johansen graduierte 1942 in Harvard, sein wichtigster Lehrer war Walter Gropius, seine Studienkollegen hießen etwa Philip Johnson und I. M. Pei. Er zeichnete eine Zeit lang bei Marcel Breuer, verselbstständigte sich in New Canaan, baute in der Folge beachtenswerte Einfamilienhäuser der klassischen amerikanischen Moderne, wandte sich allerdings bald, Kopf an Kopf mit Denkern wie Buckminster Fuller und den Burschen von Morphosis, von der „modern box“ ab und der Erforschung neuer Technologien zu.

1907 hatte beispielsweise ein gewisser Carl Ethan Akeley auf der Suche nach einem geeigneten Material für Dinosauriermodelle ein Betonspritzverfahren mit Namen „gunite“ entwickelt, das dünnste Schalenkonstruktionen möglich machte. Johansen transportierte einige Jahrzehnte später (wie auch der ebenfalls viel zu wenig beachtete mexikanische Kollege Félix Candela) diese Technologie in die Architektur und entwarf atemberaubende Schalengebilde, die - so nimmt man an - unter anderem Friedrich Kieslers berühmten Entwurf des „endless house“ beeinflussten. Sein (nie ausgeführtes) „Spray House #2“ von 1955 nahm die heute gängigen Blob-Konstruktionen vorweg, war aber technisch ganzheitlich und damit weitaus raffinierter gedacht: Über eine tragende, wüst gedrehte und gebogene Stahlgitterkonstruktion sollte Beton gesprüht werden, die Isolierung sollte innen aufgesprayt werden, außen lag eine Plastikschicht als Wasserschutz. Wände, Decken Böden bildeten eine ganzheitliche, sanft geschwungene Oberfläche. Alle Installationen waren in der tragenden Konstruktion eingebaut. In den Schalenverschnitten lagen die Fenster. Heute, ein halbes Jahrhundert später, werden ähnliche, computergenerierte Häuser zu Architekturikonen ernannt.

Doch auch Johansens tatsächlich gebaute Architekturen entwickelten ein interessantes Eigenleben. Seine berühmtesten Werke sind die Goddard Library der Clark-Universität in Worcester, Massachusetts (1986) und das rundliche amerikanische Botschaftsgebäude in Dublin (1956), das mit seinen vorgegossenen, geschwungenen Betonelementen so radikal war, dass sich der frisch gewählte US-Präsident John F. Kennedy für seine Verwirklichung stark machen musste.

In den heutigen Zeiten des Architektur-Starrummels steht es ganz gut an, der Vordenker dieser Szene zu gedenken. Morphosis etwa gaben bereits in den 60er-Jahren Johansen als „unseren genialen amerikanischen Helden“ an. Und Morphosis-Mann Peter Cook realisiert gerade in Graz mit dem Kunsthaus eines dieser Blasengebilde, wie sie vor einem halben Jahrhundert prophezeit (und vielfach heftig attackiert) worden waren. Nicht zuletzt aus diesem Grund wäre es angeraten, John M. Johansens kleinen Ausflug in eine mögliche Architekturzukunft genau zu studieren und durchaus ernst zu nehmen. „Als experimenteller Architekt habe ich beschlossen, nach vorne zu blicken, was bedeutet, die sich neu entwickelnden Technologien kennen- und verstehen zu lernen, so radikal das auch sein möge“, schreibt er im Nachwort. Er sei sich auch dessen bewusst, dass nachfolgende Architektengenerationen der kommenden Dekaden mit erweitertem Wissen zu anderen Ausdrucksformen kommen dürften: „Mögen meine Projekte eine Ermunterung für jene sein, die mir folgen werden.“ Wenigstens den Kiesler-Preis sollte dieser Mann der Zukunft noch zu Lebzeiten erhalten.

Der Standard, Sa., 2003.01.11

21. Dezember 2002Ute Woltron
Der Standard

Der Architekt, der die Welt nicht verbessern will, bleibt Häuslbauer

Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au sprach mit Ute Woltron über das vergangene Architekturjahr, die spannende zu erwartende Entscheidung in Sachen Ground Zero und die trotz allem prosperierenden Aussichten für jene ArchitektInnen, die mit Engagement und Sturheit ihren Weg zu gehen gewillt sind.

Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au sprach mit Ute Woltron über das vergangene Architekturjahr, die spannende zu erwartende Entscheidung in Sachen Ground Zero und die trotz allem prosperierenden Aussichten für jene ArchitektInnen, die mit Engagement und Sturheit ihren Weg zu gehen gewillt sind.

ALBUM: Was hat das Jahr 2002 der Architektur gebracht?
Wolf D. Prix: Für uns persönlich war es ein sehr gutes Jahr. Wir haben nämlich vier große internationale Wettbewerbe gewonnen: das Museum in Lyon, die BMW Welt in München, das Museum moderner Kunst in Akron und die Kunstschule in Los Angeles. So etwas kommt ja nicht alle Jahre vor. Ganz im Gegenteil.

Und im Allgemeinen?
Drei Ausstellungen des letzten Jahres haben - allerdings nur wenn man sie zusammen sieht - gezeigt, welche Themen in nächster Zeit diskutiert werden. Nämlich die Arbeit am Projekt, der Hintergrund und die Oberfläche. Die Biennale in Venedig im Arsenal hat die Arbeit am Projekt gezeigt; anhand der Ausstellung „trespassing“ in der Wiener Secession wurde sichtbar, dass es Architekten gibt, die sich nicht nur nach der Decke der Auftraggeber strecken, sondern den Anspruch erheben, die wirklichen „kommenden Stimmen“" zu sein; und die experimentellen Entwurfsansätze, die man in der Grazer Show „Latente Utopien“ sehen kann, beschäftigen sich mit dem Begriff der Oberfläche. Aber nur wenn man alle drei zusammen sieht, kann man die Komplexität der Architekturentwicklung erfassen. Die Leute, die glauben, Lifestylemagazine wie Wallpaper hätten irgend etwas zur Architektur zu sagen, lesen die Architektur auf dem Dieter-Bohlen-Niveau. Diese Zeitschriften sind die Minimalisten im Geiste, weil sie zur Vermittelmäßigung der Architektur beitragen.

Die Frage, die heute allgemein gestellt wird, lautet: Hat gute Architektur überhaupt Zukunft?
Natürlich. Aber man muss aufpassen. Denn in der E-Commerce-Welt werden Personen - natürlich auch in der Architektur - rasch gebraucht und verbraucht. Man hat kaum mehr Zeit, Substanz aufzubauen. Und ich halte die Statements, wie zum Beispiel, dass Architekten keine Weltverbesserer sein dürfen, schlichtweg für dumm. Der Architekt, der die Welt nicht verbessern will, bleibt ein Häuslbauer. Wie man scheitert, wenn man zu früh zu viel Geld verdienen will und daher falsches Bewusstsein entwickelt, kann man ja in der Popmusik-Kultur lesen. Nur die Musiker, die mit Anspruch an ihre Musik herangehen, werden auch nach Jahrzehnten noch gespielt werden. Die anderen sind bloß Shootingstars.

Die heimische Szene scheint da allerdings wacker unterwegs zu sein?
Die Architekturdiskussion hierzulande spielt sich ähnlich wie in Deutschland auf einer immer größer werdenden Provinzebene ab. Die Architekturdiskussion kann man von der internationalen Theoriediskussion nicht mehr trennen. Und hier zerbrechen sich die Leute den Kopf, wer die schönste Holzhütte bauen kann und wer dazu für den Piranesi-Preis vorgeschlagen wird. Totaler Schwachsinn, wenn man sich die Piranesi-Zeichnungen genauer ansieht. Die kommenden Schritte in der Architektur sind also nicht die ökonomischen Holzverbindungen oder wie man zwei Glasplatten besonders geschickt aneinander klebt, sondern die visionären Bauten werden es sein, die den nächsten Takt in der Architektur angeben. Man wird beurteilen müssen, wie weit die Form, die Technik, die Struktur, und das Programm innovativ bewältigt wurden. Das war ohnehin schon immer der Fall. Nur hierzulande scheint man den Blick dafür verloren zu haben, und das Anheben des Mittelmaßes ist das Ziel. Dabei wird allerdings vergessen, worum es in der Architektur stets ging: nämlich um die Innovation. Gerade im österreichischen Umfeld, wo es doch so viele wirklich hochtalentierte ArchitektInnen gibt, vermisse ich eine schärfere Profilierung. Der Beurteilungsmaßstab sollte nicht das Mittelmaß sein, denn Mittelmäßigkeit trägt in sich, dass keine Spitzen entstehen dürfen.

Welche Rolle spielen die Universitäten als Architekturausbildungsstätten?
An unserer Universität, an der Universität für Angewandte Kunst in Wien haben wir mit der Berufung von Zaha Hadid und Greg Lynn einen weiteren Schritt zur Vernetzung von Wissen getan. Und ich bin sehr froh darüber, dass eine Evaluierung der drei Architekturhochschulen in Wien stattfindet. Denn eine Evaluierung sollte man nicht als Prüfung auffassen sondern sie dient zur Feststellung der Stärken und Schwächen der einzelnen Institutionen.

Wie schaut der Terminplan aus?
Die Evaluierung beginnt jetzt, die Resultate sollen im Sommersemester vorliegen. Von den drei Schulen wurde als Vorsitzender der Evaluierungskommission Peter Cook gewählt. Er wird nun sein Team zusammensetzen. Ziel ist es, die Profile der einzelnen Schulen herauszuarbeiten, denn nur so können Synergien erzeugt werden. Auch sollte der Standort Wien als Ausbildungsdrehscheibe geprüft werden, was vor allem jetzt vor der Ostöffnung Sinn macht.

Was können die Schulen überhaupt leisten?
Darauf gibt es eine provokante Antwort: Den Architekten wird es bald nicht mehr geben, weil er sich als Facilitymanager oder als Stimmungsillustrator darstellt. Diese Architekten sägen nicht nur mit der Säge sondern sogar mit der Motorsäge auf dem Ast, auf dem sie sitzen. Um noch ein kurzes Stück Zeit zu gewinnen, müssen diese Architekten Rhetorik- und Präsentationskurse belegen. Doch dann gibt es - wie ich schon immer sage - eine neue Art von Architekten, die sich als Strategen, mit mehr als nur den ökonomischen Problemen des Auftraggebers beschäftigen. Und die Investoren daran erinnern, dass sie nicht nur Verantwortung gegenüber ihrer Geldtasche haben, sondern dass sie mit ihren Bauten, mit denen sie ja die Infrastruktur der Allgemeinheit benutzen, der Allgemeinheit auch verantwortlich sind. Diese Strategiearchitekten sind zwar lästig, doch sie sind die, die den Namen „ArchitektIn“ in Zukunft wirklich noch verdienen werden, weil ihr Anspruch über reines Projekterwerben hinaus geht.

Welche Rolle spielt die Politik in der Architektur?
Die Politiker sagen zwar stets, sie stünden hinter uns. Viel besser wäre allerdings, sie würden vor uns Architekten stehen. Denn oft sind es nicht die „bösen“ Investoren, die ein exzellentes Projekt zu Fall bringen, sondern es sind die nicht nachvollziehbaren, ängstlichen, geschmacklosen politischen Entscheidungen, die Architektur verhindern.

Und welche Rolle spielen die Medien als Architekturvermittler?
In den letzten Jahren wurde Architektur in den Medien zu Tode gehypt. Sodass der Ruf nach der so genannten Normalität vom medialen Geschäftsinteresse zwar verständlich ist, man muss sich aber klar sein, dass das zu einer Provinzialisierung und Vermittelmäßigung des Anspruchs führt. Führend sind da die deutschen Medien, durchwegs von auf beiden Augen blinden Schreibern besetzt, die die so genannten Stararchitekten jahrelang in den Himmel geschrieben haben und sie nun aus medialem Verkaufsinteresse, weil es ja wieder was anderes geben muss, in Grund und Boden schreiben.

Welche Bauten des vergangenen Jahres sind als wichtig zu bezeichnen?
Von den fertiggestellten Bauten ist Hans Holleins Vulkanmuseum in Frankreich sicher ein ganz wichtiger Bau.

Welche Gebäude des kommenden Jahres werden Aufsehen erregen?
Zaha Hadids Museum in Wolfsburg wird zum Beispiel aufregend, Herzog & de Meurons Stadionbau in München und auch das Kunsthaus in Graz von Peter Cook und Fournier. Abgesehen von unseren kommenden Projekten. Sehr spannend war auch der Wettbewerb um das World Trade Center. Und obwohl ich noch nicht weiß, wer das Projekt wirklich bauen wird; hier gab und gibt es in Amerika erstmals eine Korrektur im Prozedere der Vergabe. Auch wenn der Prozess aller Wahrscheinlichkeit nach mit Investorenarchitektur enden wird: Es sind durch den Wettbewerb unübersehbare Zeichen gesetzt worden, dass Weltklassearchitektur an wichtigen Stellen absolut verlangt wird. Mein Tipp ist, und der wird hoffentlich nicht richtig sein, dass der Lokalmatador SOM vielleicht zusammen mit anderen Großbüros die wesentlichen Kubaturen hinbauen wird; Greg Lynn, Jesse Reiser, Ben van Berkel werden wahrscheinlich die Lobbies gestalten dürfen, mit Sicherheit wird Daniel Libeskind das Memorial entwerfen.

Erstaunlich aber, dass der Wettbewerb von der Bevölkerung New Yorks gefordert wurde, die der zuvor vorgeschlagenen Investorenarchitektur eine heftige Abfuhr erteilt hat.
In dieser Richtung tut sich tatsächlich etwas. Im Turbokapitalismus nennt man das Branding. Aber nicht in jedem Fall. Im Falle von BMW in München zum Beispiel geht es nicht nur darum, ein unverwechselbares Zeichen zu setzen, sondern es geht vor allem darum, Synergien zwischen Architekt und Auftraggeber zu erzeugen, die neue Art von Lösungen produzieren. Nur wenn es diese Art von Synergien gibt, kann Architektur entstehen. Und nur flotte Sprüche auf eine Kiste aufzuschreiben, macht diese noch lange nicht unverwechselbar.

Gibt es ähnliche Tendenzen bereits in Österreich?
Wir nehmen immer wieder an großen internationalen Wettbewerben teil, bei denen sich junge Architekten aus aller Welt hervorragend schlagen. Wo aber, verdammt noch einmal, ist unser Nachwuchs? Das ist eine Aufforderung an die Jungen. Entwerfen heißt nämlich nicht Verdienen, sondern Nachdenken. Denn die neue Architektur ist ein Hund, und die Architekten sind daher Hundezüchter. Ich bin immer ganz geplättet, wenn ich die Computeranimationen der jungen internationalen Hundezüchter sehe. Und ich gebe zu Bedenken, dass gerade der Computer künftig noch eine größere Rolle spielen wird als bisher. Ob das so gut ist oder schlecht, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall werden wir Architekten dieses spezifische Gebiet ausloten müssen. Das könnte zum Beispiel ein Anspruch der neuen jungen österreichischen Architekten sein.

Ein architektonisches Fazit?
Nicht der schnell vergängliche E-Commerce, auch nicht der schon beendete Denkminimalismus, sondern die Auseinandersetzung mit den Hintergründen, den Programmen und den neuen Technologien ist die Zukunft. Man wird sich daher auch in Österreich ganz genau ansehen müssen, wie innovativ die neuen Projekte entwickelt werden. Doch das kann man nicht beschreiben, bevor die Gedanken auch wirklich zur Realität geworden sind, also gebaut sind. Man wird in die fertigen Gebäude gehen müssen, um sich ein Urteil bilden zu können und sich nicht mehr auf medial gehypte Renderings verlassen dürfen. Und das visionär gebaute und nicht nur das gedachte ist der nächste Schritt in die Zukunft.

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Jubilar Wolf Prix

Wolf Prix gründete in den 60er- Jahren gemeinsam mit Helmut Swiczinsky die Architekturgruppe Coop Himmelblau, die später aufgrund heftigen Auftragseingangs zu Coop Himmelb(l)au umgenannt wurde. Die Himmelblauen zählen heute international zu den gefragtesten Baukünstlern und gelten neben Zaha Hadid, Frank Gehry und anderen zu den Wegbereitern des Dekonstruktivismus.
Wolf Prix feierte am 13. Dezember seinen 60. Geburtstag. Neben vielen anderen Gratulanten meldete sich auch der amerikanische Architekturaltmeister Philip Johnson mit einem aufmunternden „weiter so“ beim Jubilar.

Der Standard, Sa., 2002.12.21

20. Dezember 2002Ute Woltron
Der Standard

Mutige Eleganz für die neue Skyline

Die sieben in New York präsentierten Architekturentwürfe für Ground Zero demonstrieren Höhe und das Selbstbewusstsein für ein neues Wahrzeichen der Stadt.

Die sieben in New York präsentierten Architekturentwürfe für Ground Zero demonstrieren Höhe und das Selbstbewusstsein für ein neues Wahrzeichen der Stadt.

New York - Die für die Neubebauung von Ground Zero verantwortliche Lower Manhattan Development Corporation (LMDC) hat erste konkrete Entwürfe für das durch den Terroranschlag vom 11. September 2001 verwüstete Areal im Süden Manhattans vorgestellt. Die sieben Architektenteams, die nun ausgefeilte Vorschläge für den Wiederaufbau präsentieren, waren im Herbst aus einem viel beachteten internationalen Bewerbungsverfahren hervorgegangen, nachdem im Sommer erste nicht architektonische Baumassen-Studien von der Bevölkerung New Yorks energisch als zu investorenlastig abgelehnt worden waren.

Die nun vorliegenden Entwürfe stellen allerdings lediglich eine Art Ideenpool für den künftigen Letztentwurf dar, denn die Erstellung des endgültigen Masterplans, der bereits bis 31. Jänner kommenden Jahres vorliegen soll, will sich die LMDC als Hauptinvestorin nicht aus der Hand nehmen lassen. Es darf angenommen werden, dass diverse Ideen der Architekten aufgegriffen und miteinander verschmolzen werden, dass also die Beauftragung letztlich in Kooperationen erfolgen wird.

Die Vorgaben waren klar: Neben den erforderlichen Büroflächen sollten auch Memorials geschaffen werden, und der an diesem Punkt Manhattans befindliche wichtige Verkehrsknoten musste städtebaulich intelligent neu konzipiert werden. Vor allem die Höhenentwicklung am Standort der ehemals höchsten Gebäude der Stadt war lange Zentrum heftiger Diskussion. Die Antwort der Architekten fiel unisono aus: Alle Entwürfe überragen die anderen Häuser der Stadt, alle sind markant und selbstbewusst ausdefiniert, alle wollen das sein, was am 11. September zusammenstürzte, nämlich das kühne Wahrzeichen einer stolzen Stadt. Die ersten Fachkritiken zu den Entwürfen fielen durchwegs positiv aus. So zeigte sich etwa Heribert Muschamp, der prominente Kritiker der New York Verdana, von allen Projekten äußerst angetan und bezeichnete sie als „Feier des vertikalen Lebens“.

Dennoch - so fesch, so zeitgemäß die Überlegungen der Architekturstars auch sein mögen, das letzte und damit wichtigste Handanlegen wird dem Investorentum überlassen bleiben. Joseph J. Seymour, als Chef der Port Authority Sprachrohr der Besitzer des Baulandes von Ground Zero, relativierte vorsichtshalber bereits am Tag der Präsentation alle hochfliegenden Visionen: „Ob da etwas genauso umgesetzt wird, wie es jetzt präsentiert wurde, oder nicht, das kann niemand sagen.“

Fest steht allerdings, dass die Organisatoren dieses in der Geschichte wohl prominentesten Architekturwettkampfs zumindest mit offenen Karten spielen. Alle Präsentationsshows der Projekte sind im Internet bis ins Detail abrufbar, eine große Veröffentlichungskampagne mit dem Titel „Plans in Progress“ wurde initialisiert, auf dass nun, wie bereits im Sommer, eine öffentliche Diskussion über die Vor- und Nachteile der einzelnen Vorschläge in Gang komme. Am 31. Jänner wird sich zeigen, wer die Oberhand behält: das Kapital, die Architektur, oder ob - wahrscheinlich - ein Kompromiss die Lösung sein wird, der dann der Öffentlichkeit von Port Authority und der Lower Manhattan Development Corporation gemeinschaftlich präsentiert wird.

Der Standard, Fr., 2002.12.20

14. Dezember 2002Ute Woltron
Der Standard

Die Architektur und ihre Betrachter

Kurz vor Weihnachten schnürt das ALBUM sein traditionelles Architekturbücherpaket. Heuer prominent vertreten: Dicke Wälzer über Weltarchitektur und Weltendesign, weiters viele kleinere, auch österreichische Publikationen, die es in sich haben.

Kurz vor Weihnachten schnürt das ALBUM sein traditionelles Architekturbücherpaket. Heuer prominent vertreten: Dicke Wälzer über Weltarchitektur und Weltendesign, weiters viele kleinere, auch österreichische Publikationen, die es in sich haben.

Architektur gehöre bewusst oder unbewusst zum Leben jedes Menschen, stellt Patrick Nuttgens im ersten Satz seines Buches Die Geschichte der Architektur (Phaidon, € 25,95) fest. Er hat natürlich völlig Recht mit dieser simplen Aussage, und wer immer meint, er verstünde nichts von Architektur, der irrt. Denn Architektur ist alles, was uns künstlich umgibt, und jeder pflegt mit seiner Umgebung Austausch. Natürlich lässt sich dieses subjektive Wissen um das Gebaute und seine Geschichte ganz einfach mittels der entsprechenden Fachpublikationen verfeinern, und Nuttgens Buch eignet sich gerade für neugierige Einsteiger bestens dazu. Sein nicht zu dickes, aber auch nicht zu mageres Werk über die Bautätigkeit des Menschen, beginnend mit den Hochkulturen zwischen Euphrat und Tigris bis zum „Ende der Gewissheit“, nämlich der „pluralistischen Architektur“ des ausklingenden 20. Jahrhunderts, erschien zwar bereits 1997 in englischer Ausgabe, liegt nun aber frisch übersetzt und in kostensparender Paperbackversion auch auf Deutsch vor.

Wer die neuesten Trends der Architekturwelt nachschlagen will, wird mit diesem Buch zwar nicht bedient, sehr wohl aber alle diejenigen, die wissen wollen, wie sich Gebautes von den ersten Laubhütten bis zu den Domen des Glaubens im Mittelalter und jenen des Geldes im 20. Jahrhundert entwickelt haben.

Nuttgens, seinerzeit Architekturprofessor an der University of York, schreibt präzise und verständlich, enthält sich wohltuend jeder Fachterminologie und liefert damit eine Ausnahme unter den Architekturpublikationen. Er stellt bei jedem Gebäude die simple, aber treffende Frage: „Warum ist es so gebaut?“ Karten und Zeittafeln runden sein Werk ab. Nuttgens' Fazit: „Jede Form der Architektur zeigt unabhängig von ihrem Stil, wie die menschliche Erfindungskraft die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen sucht. Es geht nicht nur darum, ein Dach über dem Kopf zu haben. Zu den menschlichen Bedürfnissen gehört auch der beständig in vielen verschiedenen Formen überall auf der Welt zu spürende Wunsch nach etwas Tieferem - nach Schönheit, Dauer und Unsterblichkeit.“

Schönheit, Dauer und Unsterblichkeit sind Begriffe, die in der zeitgenössischen Architekturdiskussion zwar ungern ausgesprochen werden, die aber natürlich in raffinierter, erweiterter Form nach wie vor dieselbe Bedeutung haben. Der britische Architekturjournalist Hugh Pearman hat den monströsen Versuch unternommen, die gesamte zeitgenössische Weltarchitektur in einen Band zu fassen. Das Resultat ist der entsprechend voluminöse Wälzer mit dem Titel Weltarchitektur heute (Phaidon, € 98,80).

Pearman behandelt darin das Baugeschehen in 13 Themenkreisen, von Kunstbauten über Wohnbauten bis hin zu den neuesten Türmen und Wolkenkratzern. Der Zeitraum, den er sich gesteckt hat, umfasst grob die vergangenen drei Jahrzehnte, das Spektrum der präsentierten Häuser reicht nach Angaben des Autors „vom Radikalen bis zum Konventionellen“. Pearman vertieft sich auch in diverse Architekturtheorien, zitiert reichlich aus dem großen Wortschatz berühmter Architekten und zieht sodann seine eigenen, gleichwohl durchaus angreifbaren Schlüsse. Der Wolkenkratzer, so meint er zum Beispiel, sei die derzeit wichtigste Bauaufgabe: „Der Superturm - vielseitig verwendbar, Platz sparend und in der Lage, einen immer größeren Anteil seiner eigenen Energieversorgung selbst zu übernehmen - wird der Magnet des neuen Jahrhunderts sein. Die Erschaffung des nachhaltigen Turms - und damit die Erschaffung der nachhaltigen Stadt - stellt für die Architektur unserer Zeit die größte Herausforderung dar. Wenn sie bewältigt werden kann, wird alles andere folgen.“ Wir dürfen an dieser Stelle zumindest Zweifel äußern, angesichts einer Welt, in der die Verslumung gerade großer, hoch gebauter Städte voranschreitet, in der die Stadtflucht zumindest in der entwickelteren Welt wieder zum Thema wird.

Aber wie auch immer: Weltarchitektur heute klotzt mit 512 hochglänzend bedruckten Seiten, mit enorm viel Text und den entsprechend kleinen Fotos dazwischen. Disney-Architekturen von Michael Graves greifen hier ebenso Raum wie klassische Schönheiten, etwa Eero Saarinens eleganter, mittlerweile viel zu kleiner Flughafen in Washington, D.C., oder neuartige Architekturgebilde wie Ushida Findlays „Soft and Hairy House“ in Tsukuba, Japan. Dieses Buch wird kaum je durchgelesen, sondern eher in Häppchen studiert werden, und wer weiß, dass Architekturpublikationen wie diese eher vom Bild als vom geschriebenen Wort dominiert werden, wird sich über die aufwändigen Bildlegenden wahrscheinlich ein wenig ärgern. Warum ein grafischer Schlüssel des Rätsels Lösung birgt und warum nicht einfach unter den Bildern steht, was man gerade betrachtet, bleibt eine interessante architekturpublizistische Frage.

Im Gegensatz zu den zuvor genannten Werken ist die Publikation Designs für die wirkliche Welt (Generali Foundation, Wien, € 28,-) wahrlich kein klassisches Architekturbuch, sondern vielmehr eine publizistisch-künstlerische Melange aus Architektur, Design, Stadtrealität. Der Titel mag dem einen oder anderen bekannt vorkommen, tatsächlich ist er alt und wurde vom emigrierten österreichischen Architekten Victor Papanek erfunden, der bereits in den 60er-Jahren soziale Verantwortung, Ökologie, Architektur und Design zu einem zusammenhängenden Thema machte, der in Form eines anderen, leider vergriffenen köstlichen Werks erklärte, Wie Dinge nicht funktionieren, und der damit die seinerzeit moderne selbstverliebte Design- und Architekturwelt mit heftigem Humor angriff.

Designs für die wirkliche Welt ist der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Generali-Zentrum. Zu Anfang stand die Frage: „Inwieweit können wir unsere Lebenswelten gestalten?“ Die Antworten kamen von der österreichischen Architektin Azra Aksamija, die „anhand des Arizona Marktes, des größten Schwarzmarktes auf dem Balkan, urbane Phänomene visualisierte“. Weiters dabei: Florian Pumhösl, der Entwürfe des vorhin genannten Victor Papanek rekonstruierte, Marjetica Potrc, die aufzeigt, wie „Hightech-Probleme mit Lowtech-Lösungen“ bewältigt werden können, sowie Krzysztof Wodiczko mit „Apparaturen, die zur Benutzung durch Migranten konzipiert sind“. So weit nur ein kleiner Ausschnitt des Inhalts. Herausgeberin Sabine Breitwieser erklärt die Absicht von Ausstellung und Publikation: „KünstlerInnen beschränken sich nicht auf die ihnen von der bürgerlichen Gesellschaft zugewiesenen Gebiete der Ästhetik oder der Kunsträume, sondern beziehen sich in ihrer Arbeit immer wieder auch konkret auf die Gestaltung unseres Lebensraumes und der Lebenswelt generell. Die Interdisziplinarität, welche diese Auseinandersetzung bedingt, wird gerne als laienhafte Einmischung in fremde Fachgebiete abgetan oder - wenn daraus Vorschläge zur (Neu)gestaltung der Gesellschaft entstehen - für utopisch erklärt.“ Doch ein gewisses Maß an Utopie ist naturgemäß in jeder bahnbrechenden Architektur enthalten, und das Vermischen der Disziplinen scheint nachgerade lebensnotwendig im Zeitalter der Globalisierung.

Diesen Weg schlägt gewissermaßen auch die österreichische Architekturpublizistin Margit Ulama in ihrem Buch Architektur als Antinomie (folio, € 26,-) ein. Sie versucht, „aktuelle Tendenzen und Positionen“ im nationalen wie internationalen Architekturgeschehen zu erklären und in einen historischen Kontext zu stellen, und analysiert zu diesem Zweck die Gebäude und die Herangehensweisen an dieselben von heimischen Architekten wie Hermann Czech, Jabornegg & Pálffy sowie internationalen Bauleuten wie UN Studio, Peter Zumthor oder Herzog & de Meuron. Ulamas Fragestellung lautet: „Was ist denn zeitgemäße Architektur und wie ist darüber zu theoretisieren?“ Ihre Antworten bleiben verschlungen und abstrakt, das Buch bleibt interessanter Lesestoff für Insider und Leute, die mit der (letztlich fragwürdigen) ganz spezifischen Fachterminologie der Architekturpublizistik etwas anfangen können.

Sozusagen zum Punkt, und zwar zu einem ganz bestimmten in der Geschichte, kommt der Bildband Bauten im Style der Secession (Album Verlag, € 36,-). Wieder einmal hat Herausgeber Markus Kristan, der bereits einige schöne Loos-Bücher im Album Verlag verantwortete, in Archiven gewühlt und Historisches ausgegraben: Diesmal gewährt er uns eine Bildauswahl jener Bauten, die zwischen 1902 und 1911 in fünf großen Bänden unter dem Titel Wiener Neubauten im Style der Secession erschienen und damit auch einmal der „State of the Art“ gewesen waren. Interessant ist das Buch insofern, als hier Originalfotografien aus dieser Zeit zu sehen sind, Kristan formuliert das folgendermaßen: „Beim Betrachten der Abbildungen wird auch klar, dass die großen Ausstellungen der vergangenen Jahrzehnte, die sich mit Wien um 1900 befassten, in mancherlei Beziehung ein irreführendes Bild der Wirklichkeit gaben.“ Denn: „Die breite Masse der Bautätigkeit sah anders aus.“

Ganz anders als die gebaute Einfamilienhaustragödie in den Flachlanden Ostösterreichs beispielsweise sieht heute auch die Bautätigkeit der Tiroler Architekturzunft aus. Architekturkritiker Otto Kapfinger hat mit Bauen in Tirol seit 1980 (Anton Pustet, € 25,80) ein geradezu befreiendes kleines Büchlein hingelegt, das den Leser in guter alter Friedrich-Achleitner-Tradition an der Hand nimmt und durch diese fruchtbare Gegend für gute neue Gebäude führt. Der kleine Band passt in jede Wanderjackentasche, ist mit Plänen und Adressen gut ausgerüstet und präsentiert die einzelnen Gebäude in kurzem Text und schwarz-weißem Bild. Kapfinger beweist damit, dass interessante Architekturbücher keine Wälzer sein müssen, dass ein behutsam und intelligent gemachtes (und übrigens preisgekröntes) Layout selbst eine Art Architektur darstellt. Zu guter Letzt zeigt er mit dem Buchinhalt, dass die Tiroler Baukunst sich längst nicht mehr hinter der nachbarlich-vorarlbergerischen zu verstecken braucht. Solides Können gepaart mit Witz und Esprit zeichnet diese Häuser aus.

Der Standard, Sa., 2002.12.14

09. Dezember 2002Ute Woltron
Der Standard

Warum auch die Zigarre Architektur ist

Der britische Architektur-Querdenker Cedric Price gilt als Visionär seiner Zunft. Er predigt die Baukunst als Disziplin der Geschwindigkeit und des Wandels, in deren Zentrum stets der Mensch zu stehen hat. Heute, Montag, erhält er den Friedrich-Kiesler-Preis.

Der britische Architektur-Querdenker Cedric Price gilt als Visionär seiner Zunft. Er predigt die Baukunst als Disziplin der Geschwindigkeit und des Wandels, in deren Zentrum stets der Mensch zu stehen hat. Heute, Montag, erhält er den Friedrich-Kiesler-Preis.

Wien - Cedric Price ist einer jener Architekten, die die Welt anhand von Kleinigkeiten erklären können, so etwa am Beispiel der Montecristo No 2. Die meisten Architekten rauchen den Zeppelin unter den Zigarren deswegen, weil nur er die perfekte Form aufweise: Je nach Befindlichkeit, je nach Nervosität oder Entspannung, sagt er, könne der sich verjüngende Querschnitt beschnitten und so in seiner Rauchdurchgängigkeit vom Nutzer selbst definiert werden.

Der Benutzer: Er steht und stand stets im Mittelpunkt der Überlegungen des 68-jährigen Briten, der heute, Montag, für sein visionäres Architektur-Querdenken in Wien mit dem Friedrich-Kiesler-Preis bedacht wird. Was die mit 55.000 Euro satt dotierte Auszeichnung für ihn bedeute, werde er zwar erst im Moment der Übergabe ermessen können. Ganz sicher sei er jedenfalls „delighted“, und die Leute, die ihn dafür erwählt hätten, müssten „enorm kluge, wahrscheinlich als genial zu betrachtende Menschen“ sein.


Theorie-Ahn mit Pfiff

Price selbst ist einer der Ahnen eines ganz speziellen Nachdenkens über die Welt, die Menschen und ihre Gebäude, er ist einer derjenigen, die Funktionen und Befindlichkeiten miteinander vermischen können, denen es schon in den 60er-Jahren nicht um die Schönheit bestehender, sondern um den Gebrauchswert künftiger Formen ging - und bis heute geht. In diesem Sinne ist der verschmitzte alte Mann, der hier in Zigarrennebel eingehüllt bei roten Weinen sitzt, ein kraftvoller jugendlicher Revolutionär, der der Bauwelt immer noch mehr zu sagen hat als viele seiner jüngeren, glatten, marmordenkenden Kollegen.

Das meiste dessen, was dieser Tage gebaut würde, sei verstaubt und kraftlos; in London, Los Angeles, New York würden die gleichen schlechten Häuser emporschießen wie in Nairobi oder Schanghai. Die Architekten - egal, ob talentiert oder eher schwachbrüstig - seien allesamt viel zu eitel und mehr auf ihr eigenes Werk als auf die Benutzer bedacht. Doch das sei bereits in den 60er-Jahren so gewesen, und wenn die Zunft der Baukünstler zunehmend an Einfluss verliere, so hätte sie das ausschließlich sich selbst zuzuschreiben.

„Ich will die Angelegenheit mit den Tugenden eines guten Küchenchefs vergleichen“, sagt der Brite: „Wenn der meint, er sei ein Künstler und brauche eben zwei Stunden länger, um das Mahl zu erstellen, dann hat er schon verloren, weil kein Mensch so lange auf seine Speise warten will.“ Niemand käme außerdem je auf die Idee, Waffen, Helikopter oder Flugzeugträger von saumseligen, selbstverliebten Architekten designen zu lassen, denn „diese Dinger müssen perfekt, sofort und ununterbrochen funktionieren, sonst werden Kriege verloren“.

Zeit, Geschwindigkeit, Bewegung, Veränderung: Das sind die Begriffe, die Price als einer der Ersten schon vor vier Jahrzehnten auch in die Architektur einzuführen versuchte, was ihm anhand tatsächlich gebauter Projekte nur gelegentlich gelang, was er als Lehrer an der renommierten Londoner Architectural Association aber theoretisch ausbaute und an den Nachwuchs weitergab.

Prices Konstrukte sind allesamt Legende. So entwarf er etwa den „idealen“ Vogelkäfig für den Londoner Zoo, dessen Struktur sich je nach Windlage verändert, dachte aber gleich weiter und ersann bisher nicht realisierte Käfige, die sich mit den Vögeln im Flug in die Lüfte erheben könnten. Ebenfalls unrealisiert blieb Prices Kulturkomplex Fun Palace, der all das widerspiegelt, was dem Architekten ein Anliegen ist: Multifunktionalität und die Begabung des Gebäudes, sich ununterbrochen während der Benutzung verändern und anpassen zu können. „Kultur ist eine wesentliche Komponente des Wandels im Laufe der Zeit“, meint er: „Sie wird durch Erzeugen und Konsumieren geschaffen, nicht aber durch Identifizieren, Klassifizieren und Lagern.“

Price vertritt die Ansicht, dass jede Generation die für sie spezifische Architektur brauche, weshalb er ein vehementer Verfechter der Abrissbirne ist. Für London baute er seinerzeit ein Kulturzentrum mit Ablaufdatum: Als dieses überschritten war und sich Architekturdenkmalschützer für den Erhalt stark zu machen begannen, intervenierte der Architekt so lang bei den zuständigen Behörden, bis das Ding tatsächlich zu seinem großen Vergnügen abgerissen wurde.


Stadt als Konzentrat

Die „versteinerten“ Städte Europas seien letztlich eine Bürde, die Stadt selbst ein Konzentrat in verschiedenen Stadien, das ordentlich aufbereitet werden müsse, und auch dafür bietet Price visionäre Lösungen an: Sein Projekt Magnet City zeichnet sich durch sich stets wandeln könnende Strukturen aus, die „Beziehungen und soziale Räume loszutreten, neue Muster und Situationen auszulösen“ vermögen.

Mit Friedrich Kiesler selbst, dem der nun vergebene Preis gewidmet ist, sieht sich Cedric Price insofern ein wenig verwandt, als der, „wie mir scheint, die richtigen Fragen gestellt hat“. Es seien zwar nicht seine, Prices Fragen, doch die Denkrichtung stimme. Während Kiesler aber ein einzelgängerischer Solist gewesen sei, habe er, als alter Linker, immer die Menschen im Vordergrund seines Handelns gesehen. Die Architektur ist keine Kunst, sondern die Kunst zu entsprechen, Schutz und Freiheit zugleich zu bieten, und zwar für diejenigen, die sie verwenden. Der Architekt selbst hat eine Hintergrundfigur zu bleiben. Wenn das Werk vollbracht ist, darf er dann zufrieden eine Zigarre rauchen.


[Vortrag Cedric Price: Erste
Bank-Arena im quartier21/
MuQua, 10. 12., 19 Uhr]

Der Standard, Mo., 2002.12.09

30. November 2002Ute Woltron
Der Standard

Brunnenmarkt, aufgespritzt

Er ist eine alte Wiener Institution. Eine Revitalisierungsgruppe will ihn vorm Vergammeln retten.

Er ist eine alte Wiener Institution. Eine Revitalisierungsgruppe will ihn vorm Vergammeln retten.

Rückblick: 29. Oktober 2002: Die Luft ist dick im Kent, dem türkischen Lokal in der Brunnengasse im 16. Wiener Gemeindebezirk. Ungefähr hundert Menschen füllen den Veranstaltungsraum, Rauch schwebt über den Köpfen, bald rauchen die Köpfe selbst. Der Brunnenmarkt versiegt, wir müssen handeln, darüber sind sich alle einig, die da sind: die Händler, österreichische wie türkische, die Anrainer, die Kunden, die Magistratsbediensteten, Bezirksvertreter, Baudirektoren und Architekten. Ihnen allen liegt der Brunnenmarkt am Herzen und alle sind sie betroffen, in vielfacher Weise. Die Anrainer wollen mehr Ruhe, weniger Verkehr. Die Händler sind es leid, ihre Verkaufsbuden ewig auf- und abzubauen, das Obst und Gemüse täglich neu ein- und auszuräumen. Die Kunden wollen mehr Qualität, Angebotsvielfalt in der Gastronomie und mehr Parkplätze.

Anrainer und Händler sind heute hier, um bei diesem ersten von sechs Planungstreffen jene vier Bürgervertreter zu wählen, die künftig mit den Magistratsabteilungen 19, 21a und 32 sowie politischen Entscheidungsträgern, Bautechnikern und dem Architektenehepaar Ernst und Brigitta Maczek-Mateovics bis September 2003 das Umgestaltungskonzept erarbeiten werden.

Die Umgestaltung beruht auf drei Säulen: Zuerst wird das Marktgebiet aufgewertet, dann wird der Marktraum gestaltet, und schließlich nimmt die Gebietsbetreuung Ottakring und der Stadterneuerungsfonds die Sanierung von Häusern um den Markt in Angriff.

Szenenwechsel: Kühl ist es am Brunnenmarkt, an diesem grauen, Novembersamstag. Der Atem hinterlässt bereits kleine Wölkchen in der Luft. Wenige Kunden tummeln sich am Markt. Kürbisse buhlen in ihrem Orange mit Mandarinen und Orangen um die Wette. Frische Maroni gibt es und hie und da noch eine Flasche Sturm.

Eine Gruppe türkischer Frauen prüft mit ihren kundigen Fingern einen Haufen knackig grüner Pfefferoni. So mancher davon findet keine Gnade in ihren erfahrenen Fingern. Schließlich füllen die Frauen zwei weiße Sackerln voll, bezahlen und gehen schwatzend weiter. „Heute biiilliger Madame“, ruft der Händler am Eck einer Kundin zu, die seine Ware beäugt. Als sie die Preise liest, runzelt sie die Stirn und geht. Am Würstelstand daneben lehnt ein dicker Mann im Parka an der Budel und taucht seine Burenwurst genüsslich in den Senf. Es duftet stark nach Fett und Wurst. Zu seinen Füßen rinnt seinem dicken, schon weißschnauzigen Hund der Speichel aus dem Maul. Die Würstelverkäuferin spricht angeregt mit ihm.

Eine altere Dame zieht ihren Einkaufstrolley hinter sich her, bleibt beim Fischhändler stehen und deutet auf einen großen Karpfen, der in der ovalen wassergefüllten Plastikwanne schwimmt. Sein letztes Stündlein hat geschlagen, der Händler fischt ihn heraus. Ein geübter Schlag, ein Zucken geht durch den Fischleib, noch ein Zucken, dann nichts mehr. Der Fischhändler schneidet dem Fisch den Bauch auf, mit wenigen Handgriffen nimmt er ihn aus, wäscht und verpackt ihn für seine Kundin. Ein Kind weint plötzlich. Eine kleine Türkin will sich nicht losreißen von diesen rosaroten Barbieimitaten, die ein indischer Tageshändler anbietet. Ihr Vater hat es eilig, zieht die Kleine weg, und die Tränen fließen.

Am Samstag und auch am Freitag finden sich auch Bauern aus der Umgebung Wiens unter den üblichen 190 Händler. Zwei ältere Waldviertler Bäuerinnen reiben sich ihre Hände. Wollene Handschuhe ohne Fingerkuppen bedecken ihre rissigen Hände, die vom Wühlen in den Erdäpfeln ganz erdig sind. Ein Stammkunde plaudert mit den beiden, sie lachen alle drei, der Kunde kauft zwei Kilo speckige Erdäpfel und verabschiedet sich. Seit 20 Jahren sind die beiden schon da, das Geschäft wir immer schlechter, aber beide beklagen sich nicht. Ums Eck in der Bäckerei erzählt der Bäcker Ähnliches. Seine Mohnstrudeln, Striezeln liegen auf der gläsernen Verkaufstheke, dahinter warten Kipferln, Krapfen, Semmeln und Brotlaibe auf die Käufer. „Ich bin schon vierzig Jahre da, aber meine Buben, die wollen das Geschäft nimmer machen, das ist ihnen zu anstrengend“, sagt Hans, der Bäckermeister aus dem Weinviertel. „Ich mache es auch eher noch aus Spaß, das Geschäft ist nicht mehr so wie es früher war.“ - „Aber geh, sag das doch net“, ruft ein blonder Mann dazwischen, „zu dir komme ich immer gern, und du verkaufst nicht so schlecht.“

Zurück in der Brunnengasse: Es sind nun deutlich mehr Kunden unterwegs. Plötzlich riecht es ganz stark nach würzigem Käse, der Käsestand von Herrn Ural ist ein Blickfang. Kostproben und Käse aus Frankreich, Spanien, Deutschland, den Niederlanden, England und mehr, der Käsehit der Woche, alles ist liebevoll präsentiert. Und dann das Dach: Darauf ist ein riesiges Käseeck, daneben eine Maus im blau-weiß-gestreiften Badetrikot, die den Käse anlacht. „Ich habe mir das ausgedacht und ein Freund hat es für mich gebaut“, strahlt Herr Ural, der junge türkische Käsehändler. Er ist für den Brunnenmarkt sehr engagiert und ist auch ein wenig der Sprecher der türkischen Händler. „Meine Arbeit hier ist hart, aber ich liebe sie, mir macht es nichts aus, wie die meisten hier vierzehn Stunden und mehr am Tag zu arbeiten, um zwei Uhr früh jeden Morgen auf den Großmarkt am Rande von Wien zu fahren, um meine Ware für den Tag zu holen; und vor allem - ich liebe Käse.“

Herr Ural ist auch einer der zwei Stellvertreter der Bürgervertreterin für die Händler, Frau Christine Böhm. Die „Christel“, wie sie die eingesessenen Händler respektvoll nennen, ist seit 30 Jahren mit ihrem Gemüsestand nahe der Thaliastraße am Markt. „Schon als kleines Mädchen bin ich mit meiner Mutter auf den Markt gefahren und habe Blumen verkauft.“ Ihre neue Aufgabe kam überraschend, aber ihre engagierte, resche und zugleich warmherzige Art überzeugte damals im Kent die meisten. „Wir müssen die ,gute Kunde' wieder zurückbringen. Die Supermärkte sind eine starke Konkurrenz, aber wir müssen am Markt endlich wieder beste Qualität bieten. Wir müssen besser präsentieren, die Ware muss frisch und g'schmackig aufgelegt sein. Was wir bräuchten, wäre ein Marktmanager, der auf das achtet, der die Händler auch schult.“

Ein wenig Angst geht auch um bei den Händlern, Anrainern und Kunden. Sie befürchten, dass der Markt sein Flair durch die Sanierung verlieren könnte oder dass er einfach zu teuer wird , wie es bei anderen jüngst sanierten Wiener Märkten der Fall war. Harry Lang, Leiter der Marktabteilung 16 des Marktamtes zerstreut diese Ängste. „Die monatliche Marktgebühr von 3,92 Euro pro m² ändert sich ja nicht. Aber wir müssen handeln. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, ist der Brunnenmarkt in ein paar Jahren abgewirtschaftet. Ich bin zuversichtlich, dass wir es gemeinsam schaffen, unseren Markt wieder aufleben zu lassen.“


Der Brunnenmarkt

Der Markt ist über hundert Jahre alt und der letzte permanente Straßenmarkt Europas. Er liegt im 16. Wiener Gemeindebezirk, beginnend von der Thaliastraße im Süden bis zum Yppenplatz im Norden 800 m entlang der Brunnengasse. Drei Straßenbahnlinien, 46er, J, 44er - sind mit dem langen Markt verbunden, aber keine einzige nennt ihn als Haltestelle. Ein Gemisch aus 17 Sprachen ist hörbar. 190 permanente und 13 ambulante Verkaufsbuden, d.h. ihre Platzlizenz wird täglich neu vergeben, eifern mit 200 Geschäftslokalen um täglich 2000 Kunden. Drei Viertel davon sind Einwanderer.


Der Markt des Architekten

Das Architektenehepaar Brigitta und Ernst Maczek-Mateovics über die Umgestaltung des Brunnenmarkts im 16. Wiener Gemeindebezirk.

Der Brunnenmarkt ist unser Lebens- und Arbeitsplatz, eines Tages, als wir wieder bis spät nachts gearbeitet haben, gingen wir von unserem nahen Büro hier ins Cafe C.I am Yppenplatz. Das hatte um Mitternacht noch eine warme Mahlzeit für uns", Brigitta Maczek-Mateovics schmunzelt und nimmt einen Zug von ihrer selbst gedrehten Zigarette. Ihr Mann Ernst fährt fort: „Vor einigen Jahren haben wir den Yppenplatz im Rahmen der EU-Gürtel-Plus-Förderung nach vielen Gesprächen mit den Händlern und Anrainern neu gestaltet.“ Wo einst wackelige Holzbuden standen, prägen neue fixe, hölzerne Verkaufsräume mit großen Blenden, in harmonisch abgestimmtem Blau und Grün gestrichen, die Nord- und Südseite des Yppenplatzes. Davor sind die flexiblen Verkaufsbuden.

Das künftige Konzept, den ganzen Brunnenmarkt umzugestalten, sollen die beiden im September 2003 vorlegen. Bis dahin gibt es sechs Planungstreffen mit gewählten Vertretern der Anrainer und Händler sowie mit Vertretern der Behörden. Im März 2003 werden sie ein Zwischenergebnis veröffentlichen. Während der Umgestaltung wird der Markt nicht ruhen. Während kleinere Adaptierungsarbeiten schon bald beginnen, ist der Abschluss bestenfalls 2005 zu erwarten. „Wir wollen die Vorteile des Brunnenmarkts, sein spezielles Flair hervorheben und die teilweise Verwahrlosung und schlechte Infrastruktur wegbringen. Immer weniger Leute kaufen hier ein. Die Menschen empfinden Supermärkte als praktischer. Und dann ist die Ware am Markt nicht immer einwandfrei und nicht immer gut präsentiert. Ein Marktmanager, der auf gute Präsentation schaut, fehlt einfach. Dabei erlebe ich hier am Markt Flair, Kontakt, Genuss und Buntheit, das finde ich nicht im Supermarkt“, meint Brigitta Maczek-Mateovics.

„Es ist viel Arbeit, einen Platz, einen Markt zu gestalten“, so ihr Mann Ernst. „Es braucht Zeit, bis ich weiß, was gut, schön und zugleich funktionell für den Platz ist. Mir scheint manchmal, dass die Leute meinen, der Architekt weiß auf Anhieb, welcher Belag, welche Farben, Einbauten passen. Die sechs neuen Bäume hier am Yppenplatz zum Beispiel, haben wir nicht nur einfach so gepflanzt. Wir haben Raum, Beschattungsfläche, Bewässerungsmöglichkeiten, Kurvenradien für Lastwagen ebenso berücksichtigt wie genügend Freifläche für ein Freiluftkino oder einen Schanigarten. Und letztendlich zeigen die Bäume genau die alten Grenzen der Marktbuden an.“ Dass viele Besucher die mannigfachen Funktionen der Gestaltung zumeist übersehen, stört Ernst Maczek-Mateovics wenig. „Wichtig ist, dass die, die es benutzen, auch zufrieden sind. Und alle Übrigen haben zumindest ein ganz anderes Erlebnis, wenn sie über einen gestalteten Platz gehen, statt über eine Asphaltfläche.“

Der Standard, Sa., 2002.11.30



verknüpfte Bauwerke
Brunnenmarkt - Umgestaltung

23. November 2002Ute Woltron
Der Standard

Ohne Wille keine Vorstellung

Die Bauherren-Preise werden jünger, fescher, interessanter. Und es wird immer schwieriger, sie zu vergeben, weil gute Architektur trotz allem Hochkonjunktur hat.

Die Bauherren-Preise werden jünger, fescher, interessanter. Und es wird immer schwieriger, sie zu vergeben, weil gute Architektur trotz allem Hochkonjunktur hat.

Das ALBUM pflegt an dieser Stelle seine Leserinnen und Leser mit einem Wechselbad der Gefühle zu überschütten. Einerseits berichten wir, wie unendlich schwierig und mühsam es für alle Architekten ist - junge und erfahrenere gleichermaßen -, gute Architektur in Form von Modellen durch Investorentüren zu balancieren, Pläne unbeschadet durch die Chefetagen von Bankhäusern und Baubeamtenburgen zu schleusen, um schließlich ein gelungenes Bauwerk auf Wiesen und in Baulücken stellen zu können.

Andererseits dürfen wir, was tatsächlich Wohlgebautes anbelangt, aus einem immer volleren Reservoir schöpfen: Es gibt, landauf, landab, immer mehr gute Häuser, und zu verdanken ist das den wichtigsten Verbündeten der kreativen Bauszene überhaupt, den engagierten Bauherrinnen und Bauherren da draußen.

Alljährlich vergibt denn auch die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs die Bauherren-Preise an ihre wackersten Mitstreiter. Denn ohne Wille bleibt die Welt ohne Vorstellung dessen, was Kombinationen aus Bindemitteln und Zuschlägen, Hölzern, Metallen und Gläsern außer mediokren Bunkern und Menschenabstelllagern auch noch sein können, nämlich erfreuliche Kompositionen, Wohlklänge aus Formen, Gestalten und Funktionen, also: Architektur.

Die diesjährige Jury des Preises setzte sich aus Paola Maranta (Basel), Evelyn Rudnicki (Wien), Markus Gohm (Feldkirch), André Hrausky (Ljubljana) sowie Florian Nagler (München) bunt international zusammen. Man teilte sich die 105 eingereichten Projekte auf, beschritt sie, begutachtete noch einmal detailliert und fasste in einer Jurysitzung den Beschluss, dass sechs Preise ohne Reihung und ohne Kategorie zu vergeben seien.

Es wären dies Fred Loimer, der sich vom jungen Wiener Architekten Andreas Burghardt ein formidables Weingut in Langenlois bauen ließ, das Amt der Landesregierung Bregenz, das den Auch-auf-dem-Land-gut-bauen-Pionier Roland Gnaiger gemeinsam mit Gerhard Gruber mit der Planung des Kinderhauses „In der Braike“, Bregenz, beauftragte, des Weiteren die Kallco Projekt Bauträger Ges.m.b.H., die das dynamische Wiener Duo Roman Delugan und Elke Meissl mit der Errichtung eines Wohn-und Bürohauses in der Wiener Wimbergergasse beauftragte, die Bundes Immobilien Gesellschaft, die den Tiroler/Wiener Baukünstlern Dieter Henke und Marta Schreieck den Neubau eines Gymnasiums in der Wiener Heustadelgasse anvertraute, die Firma Trevision, die sich von den ebenfalls aus Wien stammenden Raschnachwüchslern „Querkraft“ ein neues Büro- und Produktionshaus auf die grüne Wiese vor Großhöflein stellen ließ, sowie die Gemeinde mit dem schönen Namen Zwischenwasser, die von Marte.Marte, Architekten aus Weiler, einen neuen Friedhof samt Totenkapelle bekam.

Starten wir unseren virtuellen Architekturrundgang mit dem zuletzt genannten Projekt: Kirchen und Kapellen waren seit jeher eine knifflige, sehr schwierige Aufgabe für Planer, und wenn zusätzlich noch Bedacht auf eine schon bestehende Kirche zu nehmen ist, die ausgerechnet vom alten Clemens Holzmeister stammt, ist Fingerspitzengefühl angesagt. Bernhard und Stefan Marte gewannen den entsprechenden Wettbewerb mit einem außergewöhnlichen Projekt, das zum einen sehr streng konzipiert, zum anderen fast spielerisch auszuführen war. Denn das Material, aus dem die beiden Architekten ihren Erweiterungsbau gemacht sehen wollten, war Stampflehm. Die Jury hob hervor: „Dies stellte für die Bauherrenschaft eine große Herausforderung dar. Noch nie war ein Projekt dieser Art in Stampflehm errichtet worden, und die Realisierung war nur mit einem großen Anteil an Eigenleistung der Bevölkerung möglich.“ Das Endresultat beeindruckt durch eine gewisse Archaik, eine strenge, unfrömmlerische Spiritualität, die diese schönen Räume ausstrahlen.

Die Kollegen von Querkraft fanden in ihrem Auftraggeber, dem Großbilddrucker Trevision, ebenfalls einen fruchtbaren Partner. Sie planten für ein großes leeres Grundstück neben der Autobahn eine geräumige Betriebsansiedlung in Form einer langgestreckten Halle, die teils zweigeschoßig und zuoberst mit Büros befüllt ist. Das Kernprodukt der Trevision - großformatige bedruckte Folien - fand an den Fassadenlängsseiten gleich als Werbeträger für das Unternehmen Verwendung. „Mit einfachen architektonischen Mitteln“, so urteilte die Jury, „wurden der interne Produktionsablauf optimiert, die Hallenkubatur ökonomisch genutzt und für die Mitarbeiter vielfältige Ein-, Durch-und Ausblicke geschaffen.“

Auch die Bundes Immobilien Gesellschaft BIG erwies sich für Dieter Henke und Marta Schreieck als erfahrener Bauherr, der die Qualitäten der Planungen nicht mit unnötigen Auflagen beschnitt. Die AHS in der Heustadelgasse glänzt trotz ihrer Größe durch Luftigkeit und Leichtigkeit, sie gönnt ihren Schülern vernünftige Erschließungswege und viel Licht durch großzügigste Verglasungen. Die städtebauliche Einbettung in ein heikles, kleinteiliges Vorstadtgebiet erfolgte ebenfalls mit Eleganz: Hier klotzt nichts, hier strukturiert der Bau den Raum. Die Jury befand: „Der Bauherr hat mit diesem engagierten Projekt ein hervorragendes Statement zum heutigen Schulbau abgegeben.“

Ebenfalls in Wien ist das neue Wohn- und Bürohaus der Kallco zu besichtigen. Roman Delugan und Elke Meissl haben unter der Beauftragung des offenbar verständnisreichen Winfried Kallinger ihre räumlichen Talente, gemischt mit einem witzigen Materialverständnis und einem Einfühlungsvermögen für alte Bausubstanz, gekonnt auf die Reihe gebracht. Von vorn betrachtet schaut das Haus fast streng und geschäftsmäßig aus, nach innen öffnet es sich zu freundlichen Höfen und in genau jene Kleinteiligkeit, die allzu leicht ins Süßliche übergeht, was hier allerdings vermieden wurde. Das fand auch die Jury: „Überraschend ist die Symbiose pragmatischer Strenge mit der bewegten spielerischen Poesie der Hofbebauung.“

Am anderen Ende Österreichs, in Bregenz, liegt, so die Jury, das vom Amt der Landeshauptstadt in Auftrag gegebene Kinderhaus „In der Braike“ „wie eine Oase inmitten der umgebenden Bebauung“. Auch Roland Gnaiger und Gerhard Gruber verstehen sich ausgezeichnet auf das Spiel von Außen- und Innenzonen, ihr Kinderhaus lässt es an Gemütlichkeit nicht entbehren, ohne je dabei kitschig zu wirken. Schwierige Gratwanderungen werden da beschritten, mit viel Holz und kindgemäßem Design.

Zu guter Letzt steht Fred Loimers Weingut in Langenlois zur Besprechung, das ebenfalls ganz weit entfernt ist von jeglicher Verkitschung, diesmal der weinseligen Art. Ganz im Gegenteil: Eine kühle, räumlich ganz interessante und mit enormen Schaufenstern ausgestattete Angelegenheit lädt hier zur Verkostung der guten Tröpferln ein. Besonders tunlich war der Umgang des Wiener Architekten Andreas Burghardt mit dem Umraum. Zitat der Jury: „Ein Gebäude ist entstanden, das sich trotz oder vielleicht wegen seiner formalen Konsequenz behutsam in die Umgebung einfügt, dessen Struktur und Konstruktion auf das absolut Notwendige beschränkt sind, das jedoch gerade wegen dieser Beschränkung seine räumliche Wirkung voll entfalten kann.“

Die Bauherren-Preise wurden gestern in Dornbirn vergeben, die Ausstellung ist ab heute bis 22. Dezember im Vorarlberger Architekturinstitut zu sehen und wird in der Folge nach Klagenfurt, Wien und Graz wandern. Wer nicht vorbeischauen kann, dem sei der Internetlink www.zv-architekten.at empfohlen.

Der Standard, Sa., 2002.11.23



verknüpfte Auszeichnungen
ZV-Bauherrenpreis 2002

22. November 2002Ute Woltron
Der Standard

Spannende Entspannungen

Die Wiener Architekten BEHF haben der Hamburger Reeperbahn mit einem raffiniert gestalteten Sex-Supermarkt ein neues High-Light verpasst: Reduziert, statt schrill. Kommunikativ statt intim. Zeitgemäß statt schmuddelig.

Die Wiener Architekten BEHF haben der Hamburger Reeperbahn mit einem raffiniert gestalteten Sex-Supermarkt ein neues High-Light verpasst: Reduziert, statt schrill. Kommunikativ statt intim. Zeitgemäß statt schmuddelig.

Die Wiener Architekten BEHF haben bereits einige ausgezeichnete Projekte hingelegt, und sie halten an ihrer Seriosität auch dann fest, wenn die Bauaufgabe einmal eine der ganz anderen Art ist: Ihr jüngst auf Deutschlands schillerndster Meile, der Hamburger Reeperbahn, eröffneter Sex-Megastore entwickelte sich binnen kürzester Zeit zu einem beliebten Treffpunkt für Leute jeglicher Provenienz und Nationalität. Welche designerischen Qualitäten dafür notwendig waren, und wie man sich der Schmuddeligkeit entzog, erklärt BEHF-Mitgründer Stephan Ferenczy im Interview.

DER STANDARD: Wie kommen Wiener Architekten dazu, in Hamburg einen Sex-Supermarkt zu bauen?
Stephan Ferenczy: Ich bin in Hamburg aufgewachsen und vor 17 Jahren nach Wien übersiedelt. Alte Freunde von mir haben dieses Objekt unter professionellen wirtschaftlichen Gesichtspunkten übernommen. Es gab dort drei bestehende Geschäfte mit insgesamt 1400 Quadratmetern Verkaufsfläche. Das eine war auf Videos, das andere auf Fetisch-Kleidung spezialisiert, und dann gab es noch eine Peep-Show, die man nicht weiter fortführen wollte. Deshalb wurden die Geschäfte zu einem großen Megastore zusammengelegt.

Was lässt sich über das alte und das neue Erscheinungsbild sagen?
Es gab diese Schmuddeligkeit, von er wir absolut weg wollten. Das Geschäft sollte sich und seinen Auftritt bereits äußerlich positionieren. Die Reeperbahn hat eine grellleuchtende, tivoliartige Fassadenkultur und dahinter steckt die erwähnte Schmuddeligkeit, und zwar bei jeder Art von Gewerbe. Wir brauchten klare, bereinigte Strukturen und wollten darüber hinaus zusätzliche Inhalte schaffen: Zonen, in denen man Kaffee trinken, sich mit jemandem treffen kann, in denen es Infos gibt, und wo eine gewisse Absichtslosigkeit herrscht.

Eine Institution der Begegnung also?
Kommunikation wäre auch ein schönes Wort dafür. Es hat sich gezeigt, dass nicht nur Prostituierte kommen, sondern auch viele Touristen und normale Bürger hier einkaufen. Der Shop hat immerhin bis zwei Uhr nachts offen und macht morgens um zehn Uhr wieder auf.

Was lässt sich über die Architektur sagen?
Wir haben keine speziellen Antworten für dieses doch sehr spezielle Thema gesucht, sondern eine Hardware geschaffen, die klar und bereinigt ist: Ein sauberer Betonfußboden, eine neue Erschließung, eine großflächige Fassade. Dazu gibt es die beleuchtete Fassade, die bespielbaren Flächen und Regale, in denen die Ware ohnehin aufregend ist, sowie Inszenierungszonen. Das sind Schwerpunkte, wie Sado-Maso, Gummiklamotten, Fetisch-Kleidung.

Es fällt auf, dass manche Umkleidekabinen transluzent sind, man also gut ahnen kann, was da drinnen gerade los ist.
Das Spiel mit Intimität und Exhibitionismus gehört einfach dazu. Umkleiden ist ein wichtiges Ereignis - sich zu verwandeln, sich etwas zu trauen.

Und wie schaut die Fassade aus?
Man spaziert auf der Reeperbahn in einem unglaublichen Licht-Farbe-Gewitter. Wir wollten, dass das Lokal durch eine klare, fast weiße Wolke auffallen und unmittelbar nach dem Eintreten schon einen guten Überblick bieten sollte. Es zieht nun die Leute genau dahin, wo sie sich vorstellen, sich umschauen zu wollen.

Der Standard, Fr., 2002.11.22



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16. November 2002Ute Woltron
Der Standard

Architektur oder Schlagoberstüpferl

Die Architekten wollen die Politiker in die Pflicht nehmen.

Die Architekten wollen die Politiker in die Pflicht nehmen.

Kein denkender Mensch kann Zweifel daran hegen, dass Architektur, Bauen, Städtemachen ein elementares Thema der Politik im puren Sinne des Wortes ist. Die gebaute Umwelt und ihre Qualität betrifft jeden einzelnen von uns direkt, und es ist ein grausamer Zynismus, dass Architekten von jenen, die Machtfäden in Händen halten, allzu gern und viel zu oft lediglich als Behübscher und Schlagoberstüpferlmacher betrachtet werden.

Architektur, so die Meinung der meisten Politmacher bis hin zu vielen Bürgermeistern, sei ein gewisser Luxus, ein vor den Wählern zu verantwortendes über-die-gewöhnlichen-Ansprüche-Hinausgehen. Architektur, aber das wissen nur die, die sie gut machen und noch ein paar wenige andere, beginnt vielmehr schon in den Köpfen der Entscheidungsträger, setzt sich fort in sorgfältigem Nachdenken über Häuser und Städte und in der Beauftragung derjenigen, die sich damit auskennen. Mit Material, Form, Kalkulation und den Menschen, die diese Häuser und Städte später benutzen - und die im übrigen in der Folge auch zur Wahlurne schreiten werden. Andererseits haben die Architekten in ihrer jeder Beschreibung spottenden politischen Patschertheit verlernt, ihre Qualitäten auf dem glatten Parkett der Macht so zu verankern, dass sie auch wirklich ernst genommen werden - sieht man von wenigen geschmeidigeren Ausnahmen einmal ab. Interessanterweise zieren regelmäßig gerade jene Architekten die Opernballloge der Kanzler und Präsidenten, die international Anerkennung und Aufträge fanden, hierzulande allerdings lange Jahre Hunger leiden durften.

Kommenden Montag wird all dies kräftig zur Debatte stehen, denn vor allem die junge Architektengarde will nicht länger zuschauen, wie sich die politischen Machtsüppchen in Form einheitsbreiiger Allerweltsarchitektur über die Lande ergießen, wie wichtige Bauaufgaben den guten Freunden der Mächtigen zugeschanzt und Baukulturträger ausgehungert werden. Aus diesem Grund laden die Wiener und die Tiroler Architektenkammer, die IG-Architektur und die Architekturfakultät der Wiener Akademie für bildende Künste als Plattform für Architektur und Baukultur (unterstützt auch von einer Reihe wichtiger Architekturinstitutionen) zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Architekturpolitik und Baukultur in Österreich“. Unter der Moderation von Franziska Leeb (im STANDARD für die Neuen Häuser zuständig) werden Vertreter von SPÖ, ÖVP, den Grünen und der FPÖ auch dem Publikum Rede und Antwort stehen. Auf dem Podium werden erwartet: Josef Cap (Parlamentsclubchef der SPÖ), Andrea Wolfmayr (Kultursprecherin der ÖVP), Eva Glawischnig (stellvertretende Parteiobfrau der Grünen) sowie ein/e zu Redaktionsschluss noch nicht feststehende/r Vertreter/in der FPÖ.

Zur Vorbereitung der solchermaßen geforderten Politiker wurde ein zehn-Punkte Fragenkatalog erarbeitet und vorab ausgesandt. Die Fragen beschäftigen sich 1.) mit dem künftig zur Verfügung stehenden Budget für entsprechende Architekturpolitik, (derzeit 1,6 Millionen Euro), 2.) mit dem Bekenntnis zur zeitgemäßen, qualitätsvollen Planungskultur und die entsprechenden Maßnahmen und Anreize, 3.) mit der Festlegung von Qualitätsstandards für öffentliche Bauvorhaben, 4.) mit einer gewünschten Instanz, die Architekturpolitik effizient umsetzen, Architektur quasi zur „Chefsache“ machen könnte, 5.) mit der Anerkennung von Leistungen auch durch entsprechend einzuhaltende Honorarrichtlinien, 6.) mit der Vergabe nach Wettbewerb, Qualität und nicht nur - wie so oft - ausschließlich nach Kostenfaktoren, 7.) mit einer interdisziplinär vernetzten, ganzheitlichen Planungskultur, 8.) mit der Qualität der Ausbildung, 9.) mit bildungspolitischen Maßnahmen zur Architekturvermittlung und 10.) mit der Förderung des architektonischen Nachwuchses.

Das mit Abstand ausgearbeitetste Antwortprogramm lieferten die seit geraumer Zeit in Sachen Planungspolitik äußerst engagierten Grünen, die im Gegensatz zu den anderen Parteien Fachleute in ihren Reihen aufweisen können. „Architekturpolitik“, so der nicht ganz von der Hand zu weisende Schluss, „gab es noch nie in Österreich. Unser wichtigstes Ziel ist, das zu ändern“. Und: „Es geht um das Ziel der Gesamtqualität von Planungs-, Bau- und Nutzungsprozessen als eine wahrnehmbare Integrations- und Kulturleistung der Gesellschaft.“ Die ÖVP ist sich zumindest bewusst, dass es „in Österreich eine große Anzahl hervorragender Architekten und Ingenieure“ gibt, die „ihr Know-How auch international schon unter Beweis stellen konnten“. Die FPÖ zitiert sicherheitshalber Otto Wagner, dessen Ansicht, dass „alles modern Geschaffene dem neuen Material und den Anforderungen der Gegenwart entsprechen“ müsse. Die SPÖ bekennt sich zu einer „zeitgemäßen, qualitativ hochwertigen Architektur und Planungskultur für die Bautätigkeit des Bundes“ und „tritt für die Errichtung eines Architekturrates ein, dessen Aufgabe es wäre, qualitätsorientierte Langzeitstrategien zu entwickeln und ein Architekturleitbild für den öffentlichen Auftraggeber zu erstellen. Darüber hinaus sollen die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen werden, dass der Bund als Bauherr neben wirtschaftlichen und funktionellen Kriterien auch die Förderung der Baukultur und der architektonischen Qualität als Kriterien zu beachten hat.“ All diese frommen Wünsche werden offenes Ohr bei den Bauleuten finden, und man kann davon ausgehen, dass die Plattform für Architektur und Baukultur nach den Wahlen in diesen offenbar ergiebigen Minen guten Willens nachschürfen wird.


[„Architektur und Baukultur in Österreich“, Podiumsdiskussion mit Vertretern der SPÖ, ÖVP, Grüne, FPÖ, Montag, 18.11. ab 20 Uhr im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste (Semperdepot), Wien. Alle Fragen und die Antworten der Parteien gibt es unter www.architektur-inprogress.at]

Der Standard, Sa., 2002.11.16

13. November 2002Ute Woltron
Der Standard

Naturspaziergang in Architektur

Am Donnerstag wird Hans Holleins NÖ-Landesmuseum eröffnet. Der Architekt hat Kunst und Natur in St. Pölten zu einem Haus verschränkt, das keine Architektur-, aber Publikumspreise bekommen dürfte und das Niederösterreich als Land der Wasser präsentiert.

Am Donnerstag wird Hans Holleins NÖ-Landesmuseum eröffnet. Der Architekt hat Kunst und Natur in St. Pölten zu einem Haus verschränkt, das keine Architektur-, aber Publikumspreise bekommen dürfte und das Niederösterreich als Land der Wasser präsentiert.

Hans Hollein kann prächtige Museen bauen, das hat er mehrfach unter Beweis gestellt. Kommenden Donnerstag eröffnet der Wiener wieder eines, diesmal ausnahmsweise in hiesigen Gefilden. Hollein weiß selbst, dass das Niederösterreichische Landesmuseum in Ordnung, aber nicht sein allerbestes Werk ist. Er nahm vergleichsweise knappe Budgetmittel (183 Mio. Schilling Bauherstellungskosten), mixte sie mit dem Starrsinn der Normenmacher und Baubehörden („hier wurde gespart, wo nur gespart werden konnte“), stellte seine Grundfesten auf schwarzes Machtmonopol im roten Gemeindeland und produzierte trotzdem etwas, das sich sehen lassen kann.

Über die Außengestalt des neuen Museums lässt sich zwar streiten, was wir an dieser Stelle allerdings nicht tun werden. Nur die Frage, ob die Dachwelle über dem nunmehr aus Gründen der Ersparnis gemeinsamen Eingangsbereich von Shedhalle und Landesmuseum wirklich dergestalt geschwungen sein muss, darf gestellt sein.

Innen ist das neue Werk allerdings gelungen und durchaus das, was es sein soll: ein kleines Museum eines kleinen Landes, mitten in der Provinz. Ein Haus für Schulkinder und Lehrer, für Heimatkundler, Biedermeieranhänger und Raubvogelliebhaber. Hollein versuchte die verschiedenen Inhalte der traditionellen und nun aus Wien in die angestammte Heimat übersiedelten Institution - Kunst, Geschichte, Natur des Landes - architektonisch nachzuvollziehen und dennoch in Teilen miteinander zu verschränken: Die Kunst ist in einem strengen Schrein untergebracht, die Natur wird über organisch geschlungene Pfade in einer hohen Halle abspaziert, beide Aspekte zwinkern einander über Durchblicke und Durchgänge zu: die gepinselten Baum- und Wiesenidyllen hier, die nachproduzierten Naturlandschaften dort. Hollein: „Es gibt ein bewusstes Übergreifen von Kunst und Natur, der Naturteil ist anders durchwandelbar als die Kunst. Ich habe ein Instrument geschaffen, auf dem die Kuratoren spielen können. Sie müssen sich nun aussuchen, ob sie die Geige oder das Alphorn bevorzugen.“


Letzte Schaufeltiere

Vor allem die Schulkinder, die, stets in engen Klassen-und Wohnungskästchen verwahrt, kaum je die Sensation des großen Raumes erleben dürfen, werden hier rote Bäckchen bekommen vor Begeisterung. Der Naturpfad schlängelt sich über Treppchen und Rampen großzügig durch die Halle. Der Weg ist frei wählbar. Man kann ihn unten in den Sumpflanden der Donauniederungen einschlagen oder oben im ewigen und echt nachproduzierten Gletschereis des Gebirges. Man kann zwischendurch in den Wipfeln des mächtigen künstlichen Eichenbaumes einsteigen, in dem ausgestopfte Singvöglein nisten, oder man nähert sich der Natur erst einmal über die präparierten Elche, die verblichenen, letzten Schaufeltiere ihrer Art im Land des Marchfeldes, der Donauauen und der Wachau.

Dem Architekten war vor allem die thematische Aufbereitung der großen und kleinen Wasser Niederösterreichs ein wichtiges Anliegen: „Ich wollte allerdings publikumswirksame Aquarien haben, nicht solche wie im Chinarestaurant an der Wand.“ Wenn er schon die Ausstellung nicht selbst hängen und installieren durfte (warum auch immer), was in eine gewisse Naturkundekammerhaftigkeit mündete, so konnte er sich wenigstens wassermäßig kräftig durchsetzen. Das gesamte Naturmuseum ist denn auch, die niederösterreichische Topografie, Flora und Faune widerspiegelnd, mit den verschiedensten Wasserbecken, Aquarien und Bachläufen durchzogen.

Im großen Donau-Becken ganz unten ziehen träge Karpfen, Waller, Welse, Stöhre ihre Kreise, weiter oben tummeln sich Bachforellen und Saiblingschwärme im Wildwassergekräusel des Alpenvorlandes.


Sanftes Lichtgeriesel

Die lebendigen Viecherln beleben natürlich so ein Haus voll ausgestopfter Artgenossen ungemein, die Raubvogelschar, in schöner Regelmäßigkeit an einer hohen Wand behorstet, nimmt sich dagegen eher langweilig aus. Wen das Trockene interessiert, der kann die - ebenfalls lebendige - Flora und Fauna in einer Lößwand studieren, die in Kunstoff abgegossen wurde. Mineralien, Gesteine, Versteinerungen und eine tropfende Tropfsteinhöhle samt Höhlenbärenknochen und Stalaktiten und -miten runden den Naturwanderpfad ab.

Die Kunstwelt Niederösterreichs ist dafür in strenger Geometrie beheimatet. Die Lichtführung der fünf Meter hohen Kunsthalle ist beeindruckend, sie erfolgt über eine transluzente Membran, über der die Fenster eines ebenso hohen verborgenen Raumes für jenes indirekte Lichtgeriesel sorgen, wie es sich Museumsmacher wünschen.

Der hier zu besichtigende Bilderbogen spannt sich von den Barocken Paul Troger und Franz Anton Maulbertsch über den biedermeierlichen Ferdinand Waldmüller bis zu Egon Schiele und Zeitgenossen wie Elke Krystufek, Gunther Damisch und Heinz Cibulka.

Das Niederösterreichische Landesmuseum ist, das macht sich in vielen Details bemerkbar, von einem Könner der Architektur gemacht, doch Hans Hollein kriegt dort so richtig seine Kilometer auf den Boden, wo er aus dem ganz Vollen schöpfen kann. Das durfte er hier nicht, sein leichter Ingrimm gegenüber der die Baugesetze bewachenden Beamtenschaft ist etwa angesichts der überaus aufwändigen, weil so diktierten Geländerlandschaft in der Natur-Halle nicht unverständlich.

Und als absolutes Manko bleibt noch zu bemeckern: Museumsshop und Café reduzieren sich auf eine Miniatur-Selbstbedienungszone. Auch der Provinz hätte hier die großzügigere Geste wohl zu Gesicht gestanden.

Der Standard, Mi., 2002.11.13



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Niederösterreichisches Landesmuseum

09. November 2002Ute Woltron
Der Standard

Der Berg ruft. Er schreit: Aper!

Eine Indoorpiste - outdoor auf den hohen Berg gestellt: Der Ischgler Tourismusprofi Günther Aloys und der Grazer Architekt Volker Giencke wollen dem Gebirge den Schnee das ganze Jahr über anschnallen.

Eine Indoorpiste - outdoor auf den hohen Berg gestellt: Der Ischgler Tourismusprofi Günther Aloys und der Grazer Architekt Volker Giencke wollen dem Gebirge den Schnee das ganze Jahr über anschnallen.

Da der Winter mittlerweile angeblich auch nicht mehr das ist, was er einmal war, findet in der Saison der Skifahrer und Snowboarder regelmäßig die große Suche nach dem großen Schnee statt. Der Berg ruft. Aber was sagt er uns? Aper hier. Aper dort. Albtraum.

Der Tourismusprofi Günther Aloys, der seinerzeit schon das verträumte Kaff Ischgl im Tiroler Paznauntal vom „where the hell is Ischgl“-Insidertip zum jugendlichen Massenski-und-Boarder-Ort in eine mitunter fast schon bedenkliche Wachheit gerüttelt hat, ist nicht nur ein vom Berg Gerufener. Er ist ein Rufender der Berge. Seine jüngsten Visionen manifestierten sich zu Plänen, und die erstellte der Grazer Architekt Volker Giencke. Gemeinsam wollen sie dem Berg, der letztlich ja nichts dafür kann, dass das Klima sich erwärmt, einen wetterfesten Rucksack in Form einer schönen, eingehausten Pistenkonstruktion umschnallen.

2,4 Kilometer lang könnte die sein und zwischen 25 und 60 Meter breit. Sie würde sommers gekühlt zur hochalpinen Dauerpiste und winters mit Kunstschnee befüllt zur wetterfesten gestöberfreien Zone, wenn draußen der Sturm heult. Sie würde, so Aloys, zum „großen öffentlichen Bahnhof der Begegnungen“, in dem „Sehen und Gesehenwerden stattfinden“, denn der Tourismusmanager von heute sei zum „Moderator von Beziehungsdefiziten“ geworden. Authentizität gebe es nicht mehr, die sei lediglich in der „Wahrheit und Echtheit des Augenblicks“ zu finden.

Wie auch in der Architektur: „Design und Architektur“, so der kreative Bergfex, „wird für die neue und next Generation immer mehr zur Droge. Geben wir ihnen diese Droge. Was nicht Design ist, verkauft sich nicht. Was nicht Architektur ist, ist nicht spektakulär und trifft das emotionale Zentrum des Menschen nicht mehr.“

Bevor wir uns hier allerdings über Gestalt-und Wahrnehmungsphilosophie verbreiten, schauen wir uns das Ding lieber wertfrei an: Architekt Volker Giencke hat dafür einen langen, geräumigen Schlauch mit Panoramaverglasung entworfen. Die tragende Konstruktion besteht aus im Zickzack verlaufenden Raumträgern, die sich gegenseitig stützen und für Aussteifung sorgen. Die Kosten des Pistenwurmes belaufen sich, je nach Ausstattung, auf geschätzte 180 bis 250 Millionen Euro.

Tatsächlich ist die Idee der Indoorpiste alles andere als neu. Wie DER STANDARD bereits berichtete, eröffnete in Tokio vor geraumer Zeit ein ähnliches Konstrukt seine Skilifte, auch in anderen Großstädten gibt es eingehauste künstliche Hänge, die das ganze Jahr über berutscht und befahren werden.

Doch auch diese großstädtische Idee, so Giencke und Aloys, ließe sich erheblich verbessern und optimieren und auch in großem Rahmen exportieren, weshalb gleich ein zweites Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll: die Snow-Bubble. Sie ist, was ihr Name verspricht, nämlich eine raumflächenwabernde Angelegenheit, in der „Erlebniswelten“ des Schnees und „Trainingsstätten für Kinder“ untergebracht werden können - auf durchaus steilen, quasi hochalpinen und nicht nur flachen Babyrutschhängen.

Das Indoor-Thema lautet natürlich Skifahren und Snowboarden, und dazu bedarf es einer intelligenten Außenhaut der Schneekugel. Giencke denkt und entwirft großformatige Gitterschalenkonstruktionen mit transparenten, wärmedämmenden und die Einstrahlungsenergie reflektierenden Eindeckungen, sodass indoor auch ein wenig outdoor ist, man die Ansichten von Eiffelturm, Steffl oder Central Park auch gleich ein wenig mit inhaliere.

Der Österreich-Tourismus, so Giencke und Aloys, erlebe „jährlich Einbußen von mehreren Prozent“. Ihr Konzept sei also eines der Zukunft und vor allem auf die Jugend abzielend. Giencke: „Es wird davon ausgegangen, dass es mindestens 50.000 Kinder sind, die in einer Großstadt dieser Welt potenzielle Nutzer des Snow-Bubble sein werden. Sie sollen zu jeder Jahreszeit mit Schnee in Kontakt kommen können, weil Schnee als Material emotional positiv besetzt ist.“ Hallenbäder waren ja auch einmal Vision. Also auf zum Hallenskifahren.

Der Standard, Sa., 2002.11.09

25. Oktober 2002Ute Woltron
Der Standard

„Eine Kunstform, die anwendbar ist“

Patrik Schumacher über das virtuelle und das reale Bauen

Patrik Schumacher über das virtuelle und das reale Bauen

Für Kurator und Partner von Zaha Hadid, Patrik Schumacher, stellt sich die Frage nach Kunst oder Architektur nicht: Wichtig ist das Neue und das tatsächlich Anwendbare.

STANDARD: Sie haben die Ausstellung Latente Utopien gemeinsam mit Zaha Hadid zusammengestellt. Was soll sie können?
Patrik Schumacher: Sie soll ein ästhetisches Erlebnis sein, hier soll man Architektur nicht nur über Zeichnungen oder Modelle, sondern von innen heraus erleben können.

STANDARD: Die gezeigten Gruppen sind fast alle relativ bekannt und stehen für eine ganz bestimmte avantgardistische Sicht der Architektur. Andere Sparten wurden nicht berücksichtigt. Wie haben Sie die Auswahl getroffen?
Schumacher: Latente Utopien soll einen Überblick über die Haupttendenzen der gegenwärtigen Architekturszene bieten. Gezeigt wird die experimentelle Frühphase einer Stilentwicklung mit den dazu notwendigen neuen Entwurfsmedien. Wir haben eine 3D-Situation, in die auch Interaktivität und Elektronik eingeführt werden. Am Zeichentisch geht ein solches Entwerfen nicht, per Computer kann man etwa Lichtsituationen animieren und kinetische Objekte simulieren. Die Architektur entwickelt sich in Richtung einer abstrakteren, interaktiven Welt, und was wir hier sehen, sind Fragmente davon.

STANDARD: Der Besucher spielt als Raumerfahrer eine gewichtige Rolle?
Schumacher: Es ist wichtig, das Publikum einzubeziehen. Die Besucher sollen Raumideen erfahren und ausprobieren. Architekten wie etwa Propeller Z spielen geradezu damit.

STANDARD: Trotzdem sind bei Ausstellungen dieser Art immer die Arbeiten der selben Architekten zu sehen. Warum?
Schumacher: Es gibt nun einmal nicht viele, die in dieser Sparte arbeiten, und man kann neue Leute nicht aus der Luft greifen. Wer mit diesen Dingen beschäftigt ist, der kennt die anderen, die ähnlich entwerfen, sehr rasch alle. Ereignisse wie diese Ausstellung und das Symposium sind auch eine gute Gelegenheit für Künstler, Architekten und Designer, einander zu treffen und sich untereinander auszutauschen. Ich denke, dass diese Ausstellung repräsentativ ist für das, was da momentan international abgeht.

STANDARD: Inwieweit hat diese Art, Architektur zu machen, Niederschlag in der wirklichen, gebauten Welt?
Schumacher: Leute wie Zaha Hadid und Coop Himmelb(l)au sind aufgrund ihres Alters die Ausreißer, sie zeigen aber zugleich vor, dass ihre Projekte auch gebaut werden. Alle anderen hier vertretenen Architekten sind Kinder der 90er-Jahre, und selbst sie beweisen, wie etwa Spuybroeck, MVRDV und UN-Studio, dass sie große gebaute Realitäten liefern können. Es sind darüber hinaus sehr junge Teams dabei, Leute, die unter 30 Jahre alt sind.

STANDARD: Provokant gefragt: Will die Schau eine Kunst- oder eine Architekturausstellung sein?
Schumacher: Was soll's? Gezeigt wird das Experimentieren mit neuen Medien, Materialien, Formenwelten. Es passiert das Gleiche in der Architektur wie in der Kunst auch. Es handelt sich letztlich um Kunstformen, die anwendbar werden, wie etwa die städtebauliche Simulationen von Foreign Office Architects in Yokohama oder von Zaha Hadid Architects in Singapur zeigen. Es geht aber auch um das Ausprobieren von neuen Lebensgefühlen und um eine neue Phänomenologie des Alltags.

STANDARD: Ist das neu? Oder ist das nur die Übersetzung einer alten Idee in neue Medien und mit neuen Mitteln?
Schumacher: Es gibt die Selektion und die Reproduktion, wir befinden uns in der Phase der Mutation. Die Überfülle der gezeigten Beispiele ist notwendig, um Neues, Anwendbares herausfiltern zu können.

Der Standard, Fr., 2002.10.25

25. Oktober 2002Ute Woltron
Der Standard

Polyphoner Dom in neuer Komposition

Der vielstimmige Chor einer neuen Kunst-Architektur erklingt am steirischen herbst. Die Ausstellung Latente Utopien im Grazer Joanneum besingt letztlich die Erhabenheit des Raumes ebenso polyphon wie die Renaissance- komponisten die Dombauten ihrer Zeit - nur mit anderen Mitteln.

Der vielstimmige Chor einer neuen Kunst-Architektur erklingt am steirischen herbst. Die Ausstellung Latente Utopien im Grazer Joanneum besingt letztlich die Erhabenheit des Raumes ebenso polyphon wie die Renaissance- komponisten die Dombauten ihrer Zeit - nur mit anderen Mitteln.

Es ist alles eine Frage des Mediums. Früher einmal war das Medium Nummer Eins der Liebe Gott, heute ist es - nein, nicht der Computer, sondern der Mensch selbst, der Einzelne und seine Erfahrungssucht nach sich und seinem Innenleben. Es könnte allerdings auch sein, dass es gar keinen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen gibt.

Die Ausstellung Latente Utopien, eine Koproduktion mit Graz 2003 - Kulturhauptstadt Europas, ist eines der hübschesten bunten Blätter am Kleid des heurigen Steirischen Herbstes. Hier singen die Architekten vielstimmig, aber sozusagen im gemeinschaftlichen Chor das Hohelied der Selbsterfahrung und der Transformation des Altbekannten in neue, auch mediale Dimensionen.

Jede der gezeigten Gruppen hat einen Raum oder einen Raumteil zugewiesen bekommen und mit dem allerlei angestellt: ihn verbaut, ihn mit Modellen, Tapeten, Sitzgelegenheiten et cetera komplettiert. Das Raumerleben der Besucher und damit das eigene steht hier an erster Stelle, das Etwas-mit-sich-Geschehen-Lassen, das Erfahren neu interpretierter Dimensionen - und das ist schon in Ordnung so, weil auch die Dombaumeister zu ihrer Zeit genau gewusst haben, mit welchen neuen Kniffen und nie dagewesenen Raumspektakeln ihre Kunden zu beeindrucken waren.

Die Schau der irakisch-britischen Architektur-Ausnahmeerscheinung Zaha Hadid und ihres Büropartners Patrik Schumacher, das sei vorweggenommen, ist gut geworden. Sie ist reichhaltig, vielfältig, sie bringt die wohl prominentesten Neudenker der planenden Zunft an einem Ort zusammen.

Latente Utopien zeigt die Arbeiten einer ganz bestimmten kleinen, kräftigen - nicht zuletzt auch kräftig medial unterstützten - weltweit angesiedelten, sich untereinander austauschenden Architekturtruppe endlich auch in Österreich. Doch neu, das darf bemerkt werden, ist hier kaum etwas. Aufmerksame Biennale-Besucher kennen nicht nur die Architektennamen, sondern auch diverse hier gezeigte Arbeiten, und wer Archilab in Orleans, die europäische Mutter aller solcher Veranstaltungen, besucht hat, hat eigentlich all dies bereits in verschiedenen Abwandlungen gesehen.

Der selbe Architekturtroß zieht von Land zu Land, von Ausstellung zu Ausstellung, trotzdem: Vor allem interessierte Laien werden hier einen Eindruck nach Hause in ihre geraden vier Wände mitnehmen dürfen, was Architektur auch sein kann, vielleicht einmal sein wird: Nämlich ein gekonnter Mix aus Kunst, Wissenschaft, neuer Technologie, neuer Wahrnehmungsphilosophie. Was will man mehr? Vielleicht einen neuen Titel für das Geschehen? Architunst oder Kunstitektur?

Irgendwann einmal, zwischen den Spektakeln, beginnt man sich allerdings zu fragen: Was, um Gottes Willen, denken sie eigentlich neu, diese Architekturcouturiers? Was wollen die wendigen Morpher und Computerkomponierer überhaupt? Und was wollen sie uns mit ihren aufregenden Rauminstallationen und angeblich neuen Formen eigentlich sagen?

Die Rauminterventionen deuten jedenfalls an, was wie neu gedacht werden kann. Sie zeigen auf, wie mit Material, Technik, Idee experimentiert wird, wie man mit primitiven Spiegeln und Lichtern ganz überraschende Raumeffekte erzielt, wie sich die verschiedenen Diszipline mehr oder weniger elegant zu einem Schaukabinett vermischen, und wie sie da drinnen miteinander spielen. Auch das ist letztlich keine neue Erfindung, sondern die transformierte Idee der Idee, allerdings zeitgenössisch umgesetzt, und damit haben wir ihn schon, den so genannten Fortschritt.

Als Brunelleschis revolutionärer Dom zu Florenz Anno Domini 1436 eingeweiht und mit himmlischen Spektakeln den Irdischen übergeben wurde, komponierte Guilleaume Dufay eine vielstimmige Motette („nuper rosarum flores“) zur klanglichen Untermalung dieses Ereignisses. Er transponierte dafür die Proportionen des Domes in das Medium Musik, eine damals hochmoderne Angelegenheit.

Die bis zu 16-stimmigen Chöre und Kanons der Renaissance sind architektonisch komponierte Meisterwerke, sie weben nach strengen mathematischen - freilich schon da gewesenen - Formeln und Proportionen überirdische Klangkörper, lassen sie in Türme und Erker auslaufen, malen klangliche Architekturen in den erlauschten Raum: Man hört sozusagen fast das Licht über die Emporen bis zu den Kirchenbänken hinabrieseln. Letztere gab es natürlich zu Brunelleschis Zeit noch gar nicht - auch sie waren später einmal architektonische Avantgarde in alter Architektur, womit bewiesen sei, dass alles nur eine Frage des Selbstverständnisses der jeweiligen Zeit ist.

Die Herbst-Ausstellung feiert letztlich den gleichen Triumph der Utopie, der etwas besingt, was da ist. Gezeigt wird allerdings mehr der Gesang, als das gepriesene Produkt, doch auch dagegen gibt es nicht das Geringste einzuwenden.

Es ist ein wenig zur Mode geworden, die Utopisten der Architektur zu geißeln, ihnen die Existenzberechtigung angesichts der mannigfaltigen scheinbar handfesteren Bauaufgaben dort draußen in der freien Stadtnatur abzusprechen. Doch dieses mag kurzsichtig gedacht sein. Kurator Patrik Schumacher hat auf solche Gegenstimmen die wahrscheinlich richtige Antwort: Es sei notwendig, eine Vielzahl von kreativen Köpfen rauchen zu lassen, um dann aus einer kritischen Masse neuer Ideen diejenigen Entwürfe herausfiltern zu können, die tatsächlich Anwendung in der gebauten, soliden, dreidimensionalen Architektur finden werden.

Und auch damit geizt die Ausstellung nicht. Da wäre zum Beispiel Lars Spuybroeks (NOX Architekten) Konzerthalle und Ausstellungszentrum für Lille (geplante Eröffnung 2004) zu erwähnen, eine sanft geschwungene, mit der Topographie spielende Angelegenheit, die, dem Modell nach zu schließen, ein schönes, nicht zu unruhiges und trotzdem aufregendes Haus werden dürfte. Der Computer hat beim Entwurf eine tragende Rolle gespielt. Da gibt es das via Computer hochgetunte Musée des Confluences in Nantes von Coop Himmelb(l)au, das ebenfalls gebaut werden soll und hier in Form eines großen Modells genau studiert werden kann. Die Architekten haben, um das Raumerleben darinnen zu simulieren, eine kleine rotierende Kamera eingebaut: Ihre Bilder werden auf Leinwände projiziert und vermitteln einen virtuellen Spaziergang durch eine Architektur der Zukunft.

Apropos Leinwand, heute gerne „Screen“ genannt: Des Flirrens scheint in den Latenten Utopien kein Ende sein zu wollen. Fast jeder der Teilnehmer lässt die Pixel und Farbpünktchen fliegen, dass es eine helle Freude ist. Die holländische Gruppe MVRDV, ebenfalls recht kräftig im realen Architekturgeschäft unterwegs, zeigt mittels Projektion aber Handfestes, nämlich die städtebaulichen Planspiele, die ihre selbst entwickelte Software zu errechnen imstande ist. Parameter wie Bevölkerungsdichte oder Mindestbelichtung stecken gewisse Rahmen ab, in denen sich das Gebaute zu bewegen hat: Hier wird angesichts der städtebaulichen Probleme allerorten ein intelligenter Weg in eine neue Planungszukunft eingeschlagen.

Der Computer ist nur das Produkt des Mediums Mensch, ein raffinierteres Werkzeug, vielleicht eine Art Steinmetzmeißel der Gegenwart. Wo er in Blitzesschnelle errechnet, was viele Menschen an dicht besiedelten Orten brauchen, wird die Sache spannend. Wo er eingesetzt wird, um lediglich irgendwelche scheinbar neuen Formen aus altem Material wie Styropor oder Holz zu schnitzen, geht die Spielerei leicht in Belanglosigkeit über. Der Amerikaner Greg Lynn, einer der Computerarchitekturpioniere, ist jedenfalls eine solche Enttäuschung. Seine gemorphten Teekannen für Alessi sind der evolutionär vertrottelte Pfauenradschlag der Architektur. Auch das Morphing von den ebenfalls an der Westküste Amerikas beheimateten Asymptote wird langsam wirklich fad. Viel spannender entwerfen da die Studenten der Designabteilung der renommierten Londoner AA.

Sie haben räumliche Modelle entwickelt, mit Sensoren im Ausstellungsboden verknüpft, sodass die sich je nach Besucherstrom bewegen, verwerfen, Wellen schlagen. Ideen wie diese sind auch nicht ganz taufrisch, aber hier handfest angewendet. Die graue Theorie beginnt sich zu färben, Produktentwicklungen wie diese könnten tatsächlich Niederschlag in der wirklichen Welt haben.

Während ein paar poetischere Installationen wie etwa UN-Studios holographische Simulation eines Bürotages im Architektenleben eher dem Reiche der netten Belanglosigkeiten zuzuordnen ist, lässt Reiser & Umemotos Magnetfeld-Inszenierung ein paar interessante Interpretationsmöglichkeiten zu. Hier wird anhand kleiner beweglicher und fluoreszierender Stäbchen - in ameisenhaften Massen in einer schwarzen, lichtlosen Box mittels unsichtbarer Fäden aufgehängt - aufgezeigt, dass Raum nicht nur Hülle sondern auch Inhalt ist. Die Stäbchen drehen und orientieren sich nach elektromagnetischen Feldern und erzeugen so ständig neue Raumkörper.

Zaha Hadid selbst hat sich auch etwas Vielschichtiges ausgedacht, indem sie ein gesamtes Appartement aufgedröselt an die Wand geklebt hat. Bett, Wohnzimmer, Küche, Bad - alles da, alles in Hadidscher Lässigkeit mit wenig Intervention aber dynamischer Wirkung hingeklescht.

Dass dieses den Raum und die Funktion völlig neu Denken allerdings auch mit den allergeringsten Mitteln pfiffigst zu bewerkstelligen ist, zeigt ein schlichtes, fast gemein simples Prisma aus Stahl, das sich die Österreicher Pichler & Traupmann ausgedacht haben: Dieses hohe, fette Ding befüllt einen Gelenksraum der Ausstellung, der eigentlich nichts anderes kann, als in drei weitere Räume zu führen. Das Prisma dreht sich behäbig um die eigene Achse, es gibt dabei hier den Weg frei, versperrt ihn dort, um nach getaner Pflicht lässig wieder zurückzufedern: Sehr schön, sehr einfach, sehr raffiniert.

Weiters zu sehen: Mehrere World-Trade-Entwürfe, etwa von Foreign Office Architects und Ocean North, eine witzige pneumatisch atmende Kunststoffinstallation von den Wienern Veech, ungeheuerliche Massen von Fernsehapparaten samt Videos und Renderings von allen möglichen Gruppen, Russel Lovegroves innenerleuchtetes, transluzentes Sitzmöbel aus Kunststoff, ein freches, zum Reinkriechen und Darin-Herumlungern aufforderndes Objekt von Propeller Z, Wien, ein durch Spiegelung sphärisch verzerrtes Glühpünktchenuniversum von Softroom aus London, kunststoffbeschichtete Raumzapfen aus Styropor von the next ENTERprise, Wien, und eine Sitzlandschaft der interessanten New Yorker Kolatan/ Mac Donald.

Jeder Durchwandler der aufwendig gestalteten Räume des Joanneums kann also aus dem Vollen schöpfen und seine eigenen Theorien zur dieser Art von Architektur entwerfen. Er selbst wird zum Zentrum seiner Erlebenswelt inmitten dieser Medien, die natürlich alle nur Mittel zum Zweck sind.

Das waren die Kathedralen auch schon. Sie funktionieren immer noch, egal, ob man sie Architektur oder Kunst nennt.


[ „Latente Utopien. Experimente der Gegenwartsarchitektur“, von 26.10. bis 2.3.2003, Landesmuseum Joanneum Graz. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog ]

[ Architekturmusik aus der Renaissance bietet etwa die empfehlenswerte, schon etwas ältere CD „Utopia triumphans“, Huelgas Ensemble unter Paul Van Nevel, Sony VIvarte 66 261, 18,99 EURO ]

Der Standard, Fr., 2002.10.25

19. Oktober 2002Ute Woltron
Der Standard

Weil sie es können, wollen, müssen

Die schönsten Träume von Freiheit werden im Kerker geträumt, sagte Friedrich Schiller. Die schönsten Träume von Freiheit werden gebaut, sagen die, die es gemacht haben: die verrücktesten neuen Häuser, erfunden von Freigeistern aller Art und auf der ganzen - nicht nur der reichen - Welt.

Die schönsten Träume von Freiheit werden im Kerker geträumt, sagte Friedrich Schiller. Die schönsten Träume von Freiheit werden gebaut, sagen die, die es gemacht haben: die verrücktesten neuen Häuser, erfunden von Freigeistern aller Art und auf der ganzen - nicht nur der reichen - Welt.

Architektur, das lässt sich ohne weiteres behaupten, kann zu einem Kerker werden, zu einem Wohngefängnis, zu einem Albtraum auf soundso wenigen oder auch soundso vielen Quadratmetern. Die Hasenställe für Menschen sind entwürdigend und quälend, und der Traum von einem ordentlichen Eigenheim ist immer noch der meistgeträumte, vor allem von Menschen in der Stadt.

Natürlich - es hat sich auch im Wohnbau einiges getan, die Grundrisse sind etwas besser und freier geworden, die Wohnpferche für möglichst viele auf möglichst kleinem Platz unterzubringende Menschen scheinen einer schlechteren Vergangenheit anzugehören. Doch sie stehen noch, sie werden nach wie vor bewohnt, und auch ihre Nachfolger sind nicht immer dergestalt, dass Freude am Wohnen aufkommen mag: Das Korsett der Einfallslosigkeit beginnt im Kopf der Städtebauer, der Baunormenmacher, der Investoren und schließlich der Planer, es setzt sich fort auf der Baustelle mit all ihren stahlbetonschweren Zwängen und faktischen Scheinnotwendigkeiten, und es erreicht im standardisierten Innenausbau eine oft groteske, alles gleichmachende, bevormundende Vollendung.

Dass der Mensch auch anders hausen kann - oder, und das nicht nur in Drittweltländern, auch muss - als in standardisierten Wohnboxen, macht eine erfreuliche, nachgerade fröhlich stimmende Publikation aus dem Hause Prestel klar: xtreme houses (herausgegeben und geschrieben von Courtenay Smith und Sean Topham) mag zwar nicht für jedermann die rechte Wohnlösung parat haben, doch die vielen, zum Teil köstlich abartigen Haus- und Hüllenkonstrukte, die hier weltweit gesammelt und zu einem kunterbunten Band zusammengetragen wurden, regen schließlich zu einem Überdenken des ewig gleichen Herkömmlichen an: Warum, so geht ein alter, zugegebenermaßen etwas anzüglicher Witz, pflegen Hunde so gerne an ihrem Hinterteil zu schlecken? Weil sie es können, lautet die nüchterne Erkenntnis.

Weil sie es konnten, wollten, mussten, leben diverse Wohner, die in xtreme houses präsentiert werden, in Hüllen ganz anderer Art: Weil sie sich freidachten, weil sie ihre ganz persönlichen Wohnvorstellungen aus den bekannten Schemata herauszulösen vermochten und weil sie selbst unter kräftiger Handanlegung ihre - sowohl in herkömmlichen Wohnkerkern oder unter dem fehlenden Obdach auf der Straße geträumte - Wohnfreiheit und Utopie unter Freisetzung großer Mengen von Spaß und Engagement umsetzten.

Robert Bruno zum Beispiel ist einer von ihnen. Der Mann wohnt in Texas, er genießt also die baulichen Vorzüge eher wärmerer Gefilde, weshalb er sich auch um bauphysikalische Zwänge kaum zu scheren scheint. Seit 1978 schweißt Bruno unverdrossen an einem gewaltigen Gebilde auf corbusierartigen Stelzen herum, das sich dinosaurierartig über die kargen Hänge des Landes zu erheben scheint. Über hundert Tonnen des sperrigen Materials hat er derweilen gekonnt verbogen und verbraten, unter Auslassung geräumiger Glotzscheiben und Hervorbringung gewaltiger innerer Domräume und unter strikter Missachtung jeglichen rechten Winkels. Mittlerweile ist das Werk so weit gediehen, dass Bruno sein konventionelles Zwei-Garagen-Ranchhaus gleich nebenan verlassen und den Saurier besiedeln konnte.

Im Gegensatz zu Bruno, dem rabiaten Stahltierschweißer, ist die Britin Sarah Wigglesworth Architektin. Auch ihr Haus fällt, so könnte man sagen, eindeutig aus der Reihe, in diesem Fall aus der typischen Londoner Reihenhausreihe. Wigglesworths Wohnhaus sieht aus, als hätte sie in Vorbereitung für den Bau monatelang frühmorgens in diversen Mülleimern und Abfallhalden der Stadt gewühlt, um an Gratisbaumaterial zu kommen.

Sie befüllte etwa Säcke mit einem Gemisch aus Sand, Zement und Lehm und türmte sie zu Mauern auf. Sie schaufelte Steinbrocken in Drahtkäfige und verhüllte Betonstützen damit. Sie errichtete Wände aus Strohballen, verkleidete sie mit innen mit Textilien und ließ außen deren Struktur durch Polykarbonatwellen schimmern. Das Haus in der Orchard Street wurde so zu einer kompakten, flippigen Angelegenheit, die auch aufzeigen will, dass es eben anders, mit rezyklierbaren Materialien und freigedachten Konzepten geht - bei gleicher, wenn nicht besserer Wohnqualität.

Stichwort Material und Preis: Als der Stuttgarter Maschinenbaustudent Michael Hönes im Jahr 1991 Südafrika besuchte, fielen ihm die innovativen, aus Blechdosen und Draht selbst gebastelten Spielzeuge der Kinder in den Straßen auf. Er versuchte sich selbst an einer Feuerstelle aus Getränkedosen und Draht, nahm sie in Betrieb und bemerkte sofort, dass erst ein Tisch und Sessel die Sache zur Gemütlichkeit abrunden würden. Um sich und dem Material treu zu bleiben, verwendete er als Konstruktionsstoff abermals Draht und Dosen - und fand sich bald als Zulieferant diverser Nachbarn wieder.

Feuerstellen, Möbel, Hundehütten und dergleichen entstanden, schließlich zynischerweise auch eine kleine Hütte für das Hausmädchen eines Nachbarn. Als die schließlich kurzerhand ihre fünfköpfige Familie in das Blechdosenhaus übersiedelte, machte das Beispiel unter den Einheimischen Schule. Sie entdeckten das überall in Massen gratis zur Verfügung stehende Baumaterial für sich: Die ersten Tin-Can-Häuser wurden gebaut, Konstrukteur Hönes half dabei mit Know-how, perfektionierte die Technologie und konnte seine Billighäuser, die zu willkommenen Wohnstätten der Armen geworden waren, im Jahr 2000 einem satteren Publikum auf der Weltausstellung in Hannover präsentieren.

Das Thema Shantytown und Obdachlosigkeit wird generell nicht nur in ein paar Nebensätzen alibihaft abgehandelt in xtreme houses, sondern stellt sich als wichtiger Teil der Publikation dar.

Während der Japaner Shigeru Ban seine vormals für Flüchtlinge konzipierten Papierrollenhäuser mittlerweile auch für ganz Reiche errichtet - wie im Falle des hier gezeigten naked house in reichlich modifizierter, mit Glas und edlen Materialien raffinierter gemachten Form, versteht sich -, konstruieren immer wieder auch andere geschulte Planer kostengünstige, leicht zu errichtende und zu transportierende Unterkünfte.

Da gibt es zum Beispiel Valeska Peschkes allerorten aufblasbares instant home aus Gummiplane, für das die Berlinerin auch das dazugehörige luftig gefüllte Mobiliar mitentworfen hat. Da rollt etwa Krysztof Wodiczkos homeless vehicle project wie ein überdimensionaler Einkaufswagen samt einer mitgeführten und zur Schlafstätte ausziehbaren Tonne durch die Einkaufsstraßen von New York und Boston. Und da ist auch noch Martín de Azúzas basic house-Prototyp, der wohl leichteste Schlaf-und Schutzcontainer, der je erfunden wurde. Das gute Teil wiegt so gut wie nichts und passt in eine Jeanshosentasche. Holt man es hervor, so entfaltet es sich lediglich kraft eines leichten Lüfterls, der Sonneneinstrahlung oder der Körperwärme zu einem geräumigen Kubus. Die silbrige Seite schützt vor Hitze, die güldene isoliert die Kälte. Ganz wenig kann sehr viel sein.

Eine andere, experimentelle und an der Grenze zu Aktionismus und Kunstbetrieb schrammende Art, mit Räumen umzugehen, zeigt die frische und offensichtlich ideenreiche österreichische Truppe mit dem optimistischen Titel alles wird gut anhand ihres urban sushi, einer Prototyp-Installation, die im Übrigen im Frühjahr bereits in der Mega-Künstlerhaus-Ausstellung zu sehen war: Das Leben, so sehen es die Architekten, sei ohnehin nichts anderes als ein ewiger Kreislauf, also entwarfen sie ein kompaktes Wohnrad, dem die für die Prozesse des Auf-der-Welt-Seins notwendigen Funktionen alle eingeschrieben sind - im Umdrehen, sozusagen.

Xtreme houses ist letztlich nur eine von vielen Publikationen zum Thema „Neue Häuser“, „Neue Architektur“, „Neues Planen“. Doch sie ist das mit Abstand griffigste, frechste und empfehlenswerteste Nachschlagewerk dieser Art im heurigen Architekturbücherjahr.

Hier kommen nicht die ewig gleichen, ewig toll entwerfenden, ewig im Rampenlicht einer architekturgeduldigen Öffentlichkeit stehenden Bausuperstars und Computerwürger zum Zug, sondern freigeistige Entwerfer, Selberbauer, Autodidakten und Architekten. Mit anderen Worten: Hier waren ziemlich viele Irre am Werk, und das Werk ist gut geworden.

Der Standard, Sa., 2002.10.19

12. Oktober 2002Ute Woltron
Der Standard

„Tatsächlich ist alles höchst undurchsichtig gelaufen“

Holzbauer bekommt den Auftrag für das Kleine Festspielhaus. Zurück bleiben Akten, entmündigte Juroren und die Erkenntnis, dass Architektur die nicht gelebte Demokratie bleibt.

Holzbauer bekommt den Auftrag für das Kleine Festspielhaus. Zurück bleiben Akten, entmündigte Juroren und die Erkenntnis, dass Architektur die nicht gelebte Demokratie bleibt.

Wien - Die Sitzung des Kuratoriums der Salzburger Festspiele am Donnerstagnachmittag war kurz und heftig. Nachdem eines der fünf stimmberechtigten Kuratoriumsmitglieder den Raum verlassen hatte, weil es nicht beschließen wollte, was den anderen zu beschließende Sache war - nämlich dass Wilhelm Holzbauer mit dem Umbau des Kleinen Festspielhauses betraut werden solle, hob man die Hände und schied voneinander.

Zurück bleibt der naturgemäß fröhliche Sieger Holzbauer: „Ich bin davon überzeugt, dass das Projekt so gut ist wie nie.“ Zurück bleiben die vormalig erstgereihten Architekten Robert Wimmer und Michael Zaic, die ihres Partners Franz Valentiny über das Jahr verlustig gingen, weil der in das Lager Holzbauers übersiedelt war.

Zurück bleiben die in der letzten offiziellen Runde der Bewertungskommission nach Punkten stärksten Schweizer Architekten Bétrix & Consolascio. Marie-Claude Bétrix: „In 25 Jahren habe ich nie erlebt, dass Jury, Direktorium und Kuratorium gesondert über ein Projekt entscheiden können. Was hier hinter den Kulissen gemacht wurde, ist befremdend. Die Sache schaut nicht ehrlich aus, tatsächlich ist alles höchst undurchsichtig gelaufen.“

Zurück bleibt eine offenbar entmündigte Bewertungskom-mission und deren Vorsitzender, der Schweizer Carl Fingerhuth: „Das Ergebnis erstaunt mich nicht, denn in Salzburg will das System offensichtlich Sachen beweisen, die eigentlich nicht beweisbar sind. Wie mit dem Resultat umzugehen ist, muss sich Österreich selbst ausmachen. Was hier passiert ist, ist Lokalpolitik und hat mit Architektur nichts zu tun. Ich kann nur sagen: Mein Beileid.“


Gutachten en masse

Zurück bleiben nicht zuletzt kiloweise Akten, Gutachten, Gegengutachten. Das letzte Gutachten, in Auftrag gegeben vom Salzburger Landesbaudirektor Franz Denk, gab den Ausschlag: Wilhelm Holzbauer erklomm darin im Zehntelprozentbereich - aber immerhin - die Spitze.

Sein Subunternehmer ist Franz Valentiny. Wimmer und Zaic waren lang vorher schon aus dem Rennen. Noch im Juli stellte Holzbauers Anwalt dem STANDARD gegenüber schriftlich fest, dass Wilhelm Holzbauer nie gesagt hätte, er würde mit Valentiny an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Gestern stellte Holzbauer dem STANDARD gegenüber mündlich fest, er habe mit Valentiny herrliche Monate des Planens hinter sich: „Wir haben den ganzen Sommer hervorragend zusammengearbeitet.“

Die Gnade, seine Teamkollegen Wimmer und Zaic über diese Zusammenarbeit mit Holzbauer zu informieren, hatte Valentiny erst am 23. August, dem Tag der Projektabgabe, als er um 7.50 in der Früh ein Fax schickte, in dem er die Zusammenarbeit aufkündigte und mit dieser Auflösung der Projektgruppe eine Teilnahme seiner Kollegen am Verfahren unmöglich machte.

Noch im April hatte Valentiny im STANDARD-Interview Holzbauer vorgeworfen, ein „ignoranter, schlechter“ Architekt zu sein, der „gemeinsame Sache mit einem Amt macht und ein Verfahren unnötig in die Länge zieht“. Fazit: „Holzbauer ist ein alter Mann, der nicht mehr weiß, worum es im Leben geht.“

Doch nicht nur persönliche Kehrtwendungen, vor allem juristische Finten und Paragrafenklaubereien kennzeichneten dieses Architekturverfahren. Den Beginn machte Holzbauers vergabegerichtliche Eingabe gegen das Siegerprojekt, es folgte eine zweite Bewertungsrunde, danach die Nichtigerklärung und Wiederholung dieser zweiten Bewertungsrunde.

Protokolle bekam kein Beteiligter je offiziell zu Gesicht, sehr wohl wurden aber - womöglich irrtümlich? - zur Vorbereitung der Wiederholung die Projektunterlagen gleich aller Verfahrensteilnehmer an die Architekten ausgeschickt, auf dass die vergleichen konnten, womit die anderen Erfolg und Misserfolg gehabt hatten.

Erst in zwei Wochen wird es eine Ausstellung aller Entwürfe in Salzburg geben. Diese Frist will Präsidentin Helga Rabl-Stadler, so ließ sie dem STANDARD mitteilen, tunlichst einhalten, denn zwei Wochen beträgt die Beeinspruchungsfrist der übrigen Teilnehmer.

Günther Domenig, einer von ihnen, hat bereits angekündigt, zumindest eine Aufwandsentschädigung in sechsstelligem Eurobetrag für die geleistete Arbeit einfordern zu wollen. Das Gleiche hat auch Kollege Friedrich aus Hamburg vor. Die Schweizer Bétrix und Consolascio prüfen derweilen rechtliche Schritte. Bétrix: „Wenn wir die Möglichkeit haben, sinnvoll entgegenzuwirken, werden wir das sicher tun. Doch im Moment ist alles aufgrund mangelnder Informationen sehr unklar.“

Der Standard, Sa., 2002.10.12



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Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

12. Oktober 2002Ute Woltron
Der Standard

Baldachine von Smaragd

Mathilde Wesendonck schrieb Gedichte. Richard Wagner vertonte sie. Adolf Krischanitz übersetzt die romantische Angelegenheit nun in kühle Architektur: Der Zubau zur Villa Wesendonck in Zürich spannt einen smaragdgrünen Glasarchitekturbogen zwischen den Zeiten.

Mathilde Wesendonck schrieb Gedichte. Richard Wagner vertonte sie. Adolf Krischanitz übersetzt die romantische Angelegenheit nun in kühle Architektur: Der Zubau zur Villa Wesendonck in Zürich spannt einen smaragdgrünen Glasarchitekturbogen zwischen den Zeiten.

Mathilde Wesendonck, die höhere Tochter, die Frau des Seidenfabrikanten, die Muse bedeutender Männer, dürfte ein Geschöpf der Schwärmerei und der Romantik gewesen sein.

Ihre Gedichte: Honigseim. Ihre Umgebung: die crème de la crème. Ihr Haus: eine Idylle. Ihr Leben: ein Hofhalten und Salonführen. Ihre Zeit: die Mitte des 19. Jahrhunderts. Das schöpferische Zentrum ihres Lebens war dabei die Villa Wesendonck in Zürich, doch sie war es nur für kurze Zeit.

1857 waren Otto und Mathilde Wesendonck in ihr neues Haus „auf dem grünen Hügel“ vor Zürich eingezogen, bereits 1871 verließen sie es wieder und siedelten nach Deutschland zurück. Die Zeitspanne dazwischen blieb zeitlebens Mathildens ewig Sehnen, denn hier hatte sie Richard Wagner kennen und wohl auch lieben gelernt, und hier hatte sie ihre fruchtbarste Schaffenszeit erlebt.

Heute ist die Villa des Industriellen und kunstsammelnden Wesendonck das Museum Rietberg. Es beherbergt eine der eindrucksvollsten Asiatica-Sammlungen der Welt, pflegt internationale Partnerschaften mit den großen Museen und platzt, wie man so sagt, aus allen Nähten.

Im vorvergangenen Jahr beschloss man deshalb, einen Erweiterungsbau zu versuchen, und veranstaltete zu diesem Zweck einen internationalen Architekturwettbewerb. Acht Architekten und Architektinnen wurden dazu eingeladen, nach einer Überarbeitungsphase kristallisierte sich heuer im Frühjahr das Team Alfred Grazioli, Schweiz, und Adolf Krischanitz, Österreich, als das erfolgreichste heraus.

„Sausendes brausendes Rad der Zeit. Messer du der Ewigkeit (...) Urewige Schöpfung halte doch ein, genug des Werdens, lasse mich sein“, hatte Frau Wesendonck das Fortschreiten und die Veränderung beklagt, doch das Rad der Zeit vermag durchaus elegant zu rollen, das Messer der Ewigkeit kann zierliche Schnitte tun, wenn die rechten Skalpellführer am Werk sind.

Krischanitz und Graziloi hatten ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen zu meistern: Die Villa Wesendonck, dazumals erbaut vom Zürcher Nobelarchitekten Leonhard Zeugheer, liegt heute noch als prächtiger Solitär inmitten des idyllischen Landschaftsparks, den Otto Wesendonck hatte anlegen lassen. Die alten Bäume spannen jene „hochgewölbten Blätterkronen“ und „Baldachine von Smaragd“, wie sie seine Gattin Mathilde gemeinsam mit dem nachbarschaftlich angesiedelten und von den Wesendoncks auch finanziell kräftig unterstützten Richard Wagner besungen hatte, und selbstverständlich steht alles unter Natur- und Denkmalschutz.

Ein Eingriff in dieses gebaute und über fast zweihundert Jahre gewachsene Ensemble stellt demnach ein kitzliges Gratwandern zwischen Alt und Neu dar, wenn man nicht mit den zig Tonnen Materialbewegung, die Architekturmachen mit sich bringt, das fein gesponnene Netz des Alten zertrümmern will. Das Rietberg-Projekt von Krischanitz und Graziloi beantwortet die grundlegenden Fragen des Denkmalschutzes mit großer Eleganz: Die Architekten stellen dem bestehenden Haus ein neues, kleineres gegenüber, sie erzeugen einen geräumigen Platz dazwischen, sie graben die großen neuen Ausstellungshallen in den Berg ein und verbinden die beiden Häuser unterirdisch miteinander. Das alles erfolgt in einem auf den ersten Blick strengen Raster, der die Proportionen des alten Hauses widerspiegelt, der aber letztlich gerade museale Spielereien aller Art zuläßt.

Im Vergleich zu den anderen Wettbewerbsprojekten, die von namhaften Kollegen wie Kazuyo Seijima und Ryue Nishizawa (SANAA), Shigeru Ban und Gigon/Guyer stammen, erklärt sich leicht, was den Zauber des Siegerprojektes ausmacht: Es ist trotz kompliziertester und schwierigster technischer Ausführung - immerhin muss sehr tief gegraben und das alte Haus unterfangen werden - das klarste und einfachste.

Während einige Kollegen mühsame Anbauten versuchten, die zwar für sich wunderbar sind, der alten Villenarchitektur aber nicht wirklich zu Gesichte stehen, oder während andere gleich mit Solitärgebäuden in entferntere Ecken des Parks flüchteten, die allerdings dem internen Museumsgeschehen nicht eben dienlich sind, brachten Krischanitz und Grazioli alles unter einem Dach unter.

Von oben betrachtet ist dieses Dach ein Platz, eine Leere zwischen den Gebäuden, die allerdings verbindend wirkt. Der Besucher nähert sich dem Ensemble durch den Park, er klappert je nach Absatzbeschaffenheit über asphaltierte Wege, das Holzstöckelpflaster des Platzes wird seinen Schritt jedoch dämpfen, es wird stiller werden, je näher man dem Gebäude kommt.

Der Eingang des neuen Museums führt nun nicht mehr direkt durch das Kaffeehaus, sondern befindet sich in Form eines zur Gänze gläsernen Pavillons gegenüber der Villa: Ein Baldachin von Smaragd als Entrée in eine Unterwelt, die ebenfalls mit der Vergangenheit verknüpft ist. Die Wesendoncks hatten an dieser Stelle eine der zu ihrer Zeit so modernen Grotten bauen lassen.

Das Zubauprojekt ist ebenfalls bewusst grottenhaft, doch ohne Schwanromantik. Der Versuch, ein derartig dimensioniertes Haus ausschließlich aus Glas zu konstruieren, ist einmalig. Der, wie Krischanitz es nennt, „totale Glasbau ohne jegliche konstruktive Accessoires“ soll folgende Merkmale zum Ausdruck bringen: „Zeichnung und Wahrnehmung der natürlichen Kontur durch optimale Transparenz; Respekt, Diskretion und Neutralität vor und zum Inhalt und zur Repräsentanz der Aufgabe des Museums.“ Technisch gesehen handelt es sich um lamelliertes Verbundglas, der Sonnenschutz erfolgt über Textil.

Die Unterwelt selbst erstreckt sich über zwei riesige Ausstellungsgeschoße, Stampfbetonwände erzeugen den Eindruck gewachsener Erdschichtungen, Licht- und Klimatechnik liegen an den Decken hinter Glas verborgen, zwei ebenfalls gläserne Treppen führen in den Pavillon sowie in die alte Villa. Das Raumkonzept besticht durch Einfachheit und optimale Bespielbarkeit: Ein paar Türen auf oder zugemacht verändern den Museumsparcours je nach Wunsch der Ausstellungsmacher.

Da die Schweiz, auch was ihre Bautätigkeit anbelangt, ein demokratisch ausgereiftes Land ist, wird über das Projekt im kommenden Frühjahr mittels Volksabstimmung entschieden werden. Der Denkmalschutz hat bereits volle Zustimmung gegeben, auch die Aufbringung der erforderlichen Mittel von drei Millionen Franken (viereinhalb Millionen Euro), die zu einem Drittel aus Sponsorgeldern aufgebracht werden, scheint gesichert. Baubeginn könnte im Herbst 2003 sein, 2006 will man das neue Museum eröffnen.

Mathilde Wesendonck würde wohl zufrieden sein mit der Adaptierung „auf dem grünen Hügel“, denn auch eine Restaurierung ihrer alten Wohn- und Wirkensstätte ist vorgesehen. Uns so fügt sich alles zum Ganzen, so spannt sich der gläserne Architekturbogen über die Zeiten: „Wenn Aug' in Auge wonnig trinken, Seele ganz in Seele versinken; Wesen in Wesen sich wiederfindet, Und alles Hoffens Ende sich kündet, Die Lippe verstummt in staunendem Schweigen, Keinen Wunsch mehr will das Innre zeugen: Erkennt der Mensch des Ew'gen Spur, Und löst dein Rätsel, heil'ge Natur!“

Der Standard, Sa., 2002.10.12



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Museum Rietberg

10. Oktober 2002Ute Woltron
Der Standard

Urheberrechtsklage gegen Wilhelm Holzbauer eingebracht

Salzburger Festspielhaus: Wimmer, Zaic äußern Plagiatsverdacht

Salzburger Festspielhaus: Wimmer, Zaic äußern Plagiatsverdacht

Salzburg - Am Mittwoch brachten die Architekten Robert Wimmer und Michael Zaic nach eigenem Bekunden eine Klage gegen Wilhelm Holzbauer sowie den Salzburger Festspielfonds ein, in der Holzbauer des Plagiats geziehen wird. Laut Klagsschrift habe der Wiener Architekt „Pläne, die von den Klägern stammen, verwendet. In diesen sind Planungsideen und schöpferische Leistungen enthalten, die ausschließlich von den Schöpfern stammen.“

Der Streitwert beläuft sich auf 36.000 Euro. Zudem verlangen die Kläger, die Beklagten hätten „die Verwendung von Plänen betreffend den Umbau des Kleinen Festspielhauses zu einem Haus für Mozart zu unterlassen“.

Wie DER STANDARD wiederholt berichtete, gibt es seit vergangenem Jahr im Nachfeld des Architekturverfahrens Umbau Kleines Festspielhaus Streitigkeiten zwischen den damaligen Bestbietern Hermann & Valentiny, Wimmer, Zaic sowie dem zweitgereihten Wilhelm Holzbauer. Letzterer erhob vergabegerichtlich Einspruch gegen die Gewinner und gilt nun, nach diversen juristischen Metzeleien und mit dem die Fronten gewechselt habenden Franz Valentiny als Subunternehmer, als der aussichtsreichste Umplaner.
Das dem Vernehmen nach zuletzt zwar punktestärkste Team Bétrix & Consolascio soll aufgrund des Umstands, noch nie ein Theater gebaut zu haben, nicht mehr zur Debatte stehen. Dennoch könnte, wie aus dem Festspielfonds zu erfahren war, die Entscheidung noch einmal vertagt oder das Verfahren sogar überhaupt aufgehoben werden. Denn die Klage stelle das Verfahren erneut auf juristisch schlammigen Boden.

Inzwischen hat der aufgewirbelte Schlamm auch in Architektenkreisen Wellen geschlagen. „Der Umbau des Kleinen Festspielhauses ist zur Provinzposse verkommen“, meint etwa Günther Dollnig, stellvertretender Vorsitzender der Architekten der Länderkammer Salzburg-Oberösterreich, in der aktuellen Ausgabe des Kammermagazins konstruktiv. Er merkt an, dass eine Aufhebung des Verfahrens die sauberste Lösung für alle wäre: „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“

Teilnehmer Günther Domenig stellt fest: „Wir werden auf jeden Fall Einspruch erheben, sollte es auch nur geringste Unklarheiten geben.“
Heute, Donnerstag, wird das Festspieldirektorium dem politisch besetzten Kuratorium einen Vorschlag unterbreiten. Dieser sei, so Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler gegenüber dem STANDARD, urheberrechtlich wie juristisch wasserdicht. Man hätte ein Gutachten eingeholt, nach dem keine Verletzung des Urheberrechts vorliege. Von einer Klage wisse sie nichts.

Der Standard, Do., 2002.10.10



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Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

09. Oktober 2002Ute Woltron
Der Standard

Bauen als demokratischer Prozess

Zukunftsträchtige Architekturvermittlung: Der Film „baustelle land“ von Klaus Schafler

Zukunftsträchtige Architekturvermittlung: Der Film „baustelle land“ von Klaus Schafler

Wien - Heute, Mittwoch, ist im Wiener Votivkino ein kleiner, fein gemachter Dokumentationsfilm zum Thema „Baustelle Land“ zu sehen. Er beschreibt die Genese von acht Architekturprojekten in der Steiermark und präsentiert gelungene Volksschulen, Wohnanlagen, Ärztepraxen und dergleichen mehr.

Zwischen den schönen Bildern kommen vor allem jene Leute zu Wort, die diese Projekte durch- und umgesetzt haben, also die Bürgermeister, die Architekten und nicht zuletzt auch die Bevölkerung selbst. Bauen auf dem Land ist, so der Grundtenor des Streifens, eine Angelegenheit der Demokratie, des Verstehenmachens und des gegenseitigen Zusammenraufens. Nur ein Konsens, ein Einbinden der Anrainer, und das gemeinschaftliche Erarbeiten des Werkes kann zum Erfolg führen.

Klug erdachte Projekte wie etwa die Wohnanlage in St. Martin von Josef Hohensinn zeigen anschaulich, wie segensreich das Einwirken guter Planer in eine gewachsene, kostbare Dorfstruktur sein kann, die andernorts zu oft von Fantasielosigkeit und Investorenmacht niedergebaggert wird. Die Praxis für zwei Ärzte in Neudau von Wolfgang Feyferlik demonstriert, dass Eleganz nicht am Rand der großen Stadt aufhören muss, und die Volksschule in Dobl beweist den Einfluss guter Architektur vor allem auf diejenigen, die später einmal das Sagen und auch Bauen haben werden.


Fortsetzung geplant

Apropos Pädagogik: Der Film wurde nicht zuletzt vom Land Steiermark gefördert, um den Bürgermeistern, die die wichtigste Bauinstanz darstellen, auf die architektonischen Sprünge zu helfen, außerdem wird er demnächst in Schulen quasi unterrichtend laufen. Die Idee zu baustelle land hatten die Architekten Reinhard Schafler und Peter Pretterhofer, umgesetzt wurde sie von Regisseur Klaus Schafler. An eine Fortsetzung wird bereits gedacht, ideal wäre eine Ausweitung über die steirischen Grenzen hinaus auf das gesamte Bundesgebiet.

Nach der Präsentation des Filmes heute Abend (21 Uhr) findet ein Gespräch mit dem Regisseur sowie eine Podiumsdiskussion mit Architekten unter der Leitung von Kritikerin Karin Tschavgova statt.

Der Standard, Mi., 2002.10.09

05. Oktober 2002Ute Woltron
Der Standard

Der Wienerwald kommt frei Haus

Flexible Grundrisse sind eines, flexible Häuser ein anderes: Die Architekten Miki Ionescu und Georg Baldass haben für Kaltenleutgeben Doppelhäuser entworfen, die sich allen Lebenszeiten und -bedingungen anpassen können und mit genialer Fernsicht aufwarten.

Flexible Grundrisse sind eines, flexible Häuser ein anderes: Die Architekten Miki Ionescu und Georg Baldass haben für Kaltenleutgeben Doppelhäuser entworfen, die sich allen Lebenszeiten und -bedingungen anpassen können und mit genialer Fernsicht aufwarten.

Kaltenleutgeben liegt am Rande Wiens mitten im dazugehörigen Wald, der Ort glänzt durch eine angenehme Topografie und eine vorzügliche Lage: Es ist eine ruhige Gegend hier, eine sehr schöne, ein Platz, an dem man seine Kinder im Grünen aufziehen kann und an dem man vielleicht sogar alt werden will. Die Grundstückspreise sind der Nähe zur Bundeshauptstadt entsprechend, Einfamilienhäuser werden folglich schon allein aufgrund der Bauplatzkosten zur Herausforderung für Konto und Kreditberater.

Die Wiener Architekten Georg Baldass und Niki Ionescu, alias baldassion architektur, haben sich eines der noch verfügbaren Grundstücke in Kaltenleutgeben genau angeschaut und eine architektonisch feine Lösung auch für Normalbetuchte gefunden: Sie entwarfen eine kleine Siedlung mit insgesamt sechs Objekten, die jeweils als Zweierhäuser gekoppelt sind. Pro Haus können zumindest zwei Familien Wand an Wand leben, was die Herstellungs-, Erschließungs- und letztlich auch die Betriebskosten heftig reduziert und was natürlich auch hinsichtlich der Grundstücksausnutzung kleinstädtebaulich sinnvoll ist.

Die Topografie des Südhangs wurde gekonnt ausgenutzt, sowohl vor als auch hinter den Häusern entstehen durch Abtreppung Terrassen und Gärten. Pro Wohneinheit stehen zwei Autostellplätze zur Verfügung. Trotz Citynähe ist die Anbindung an den öffentlichen Verkehr - noch - nicht optimal, wer in die Wiener Innenstadt fahren will, braucht dafür zwar nur knapp eine halbe Stunde, wird das aber mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem eigenen Auto tun.


Generationenhäuser

Das Interessanteste an diesem Projekt - das im Übrigen noch nicht realisiert wurde, sondern derweilen nur in detaillierten Plänen und Modellen vorliegt - ist allerdings das Konzept der einzelnen Wohneinheiten. Baldassion haben hier weiter gedacht, als das normalerweise im Wohnbau der Fall ist. Ihre Wohnhäuser lassen sich je nach Bedarf, je nach Familien- und Einkommenssituation, sozusagen auch je nach Lebensalter ihrer Besitzer bespielen. Multifunktionalität kann hier tatsächlich zu einer gelebten Angelegenheit werden, und das funktioniert so:

Jedes Haus verfügt über drei Geschoße und wird über einen großzügigen Wintergarten jeweils von der Seite erschlossen. Diese Eingangszone läuft über eineinhalb Geschoße, es entsteht eine Eingangshalle mit Stiege und vorgelagertem Balkon, der darüber hinaus auch eine Verbindung zum Garten bietet. Das unterste Gartengeschoß kann, so man das will, getrennt begangen werden und wird je nach Bedarf zu einer eigenen kleinen Wohneinheit. Die kann zeitweilig eventuell vermietet werden, sie kann als Großelternwohnung herhalten, oder sie bietet den erwachsen werdenden Kindern die Rückzugsmöglichkeit in eine eigene Privatheit, die geschlossene Wohneinheiten nie werden bieten können.


Raffiniertes Konzept

Die Häuser sind raffiniert, aber einfach konzipiert. Die Ver- und Entsorgungsschächte sind so angelegt, dass in jedem Geschoß ein Bad und eine Küche Platz finden können. Dazu sind die Häuser als Niedrigenergiehäuser ausgebildet, die Energiekennzahl liegt unter 35 Kilowattstunden pro m², sie verfügen also über eine besonders gute Wärme- und auch Schallisolierung, was bei Doppelhäusern unerlässlich ist und was im Wohnungsbau eigentlich der wünschenswerte Standard sein sollte.

Dem Verlangen vieler potenzieller Wohnungsbesitzer nach einer großzügigeren Raumhöhe wird man mit dem bereits beschriebenen Wintergarten als Wohnelement ebenfalls gerecht, Durchblicke von den Wohnebenen eröffnen neue Perspektiven und ein angenehmes Raumerleben. Ein Pluspunkt des Projektes ist natürlich auch die Lage sehr hoch oben am Hang, der Blick auf den bewaldeten Gegenhang kann nie durch Neubauten verstellt werden. Zudem befindet sich die kleine Siedlung am Ende einer Sackgasse, was Ruhe garantiert.

Das Projekt hat bereits eine Reihe von Interessenten gewonnen, einige Häuser sind jedoch noch disponibel. In der Planungsphase, in der man sich derzeit befindet, können die Grundrisse noch an ihre späteren Benutzer angepasst und optimiert werden. Die Wohnnutzfläche pro Einheit beläuft sich auf 125 m², dazu kommen neun m² Terrasse und fünf m² Balkon, 13 m² Keller, die Grundstücksfläche reicht von 170 bis 265 m². Die Kaufpreise liegen je nach Gartengröße und Lage zwischen 245.000 und 270.000 EURO, jeder Käufer erwirbt einen parifizierten Grundanteil der Generationenhausanlage.

Der Standard, Sa., 2002.10.05



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Doppelhäuser - Fernblick

05. Oktober 2002Ute Woltron
Der Standard

Sonnenscheibe und Computerchip

Am 16. Oktober wird die neue Bibliothek von Alexandria endlich offiziell eröffnet. Sie soll, wie ihre vor rund 2000 Jahren untergegangene berühmte Vorgängerin, das Wissen der Vergangenheit und der Zukunft an einem Ort zusammenbringen.

Am 16. Oktober wird die neue Bibliothek von Alexandria endlich offiziell eröffnet. Sie soll, wie ihre vor rund 2000 Jahren untergegangene berühmte Vorgängerin, das Wissen der Vergangenheit und der Zukunft an einem Ort zusammenbringen.

In den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts verdichtete sich die Idee: Ein paar Professoren mit Spezialgebiet Alte Geschichte spintisierten an der Universität von Kairo immer wieder herum, man müsse die alte Bibliothek von Alexandria wieder auferstehen lassen, man sollte ein neues international ausgerichtetes Zentrum der Bücher und des Wissens in der Arabischen Welt errichten: Es war ein ehrgeiziges, fast unmöglich erscheinendes Unterfangen.

Denn wie lässt sich derartig viel Geld auftreiben, das zum Bau eines solchen Gebäudes nötig ist? Wie lässt sich in Architektur gießen, was neu und trotzdem zugleich uralt ist? Und wie und womit soll die Bibliothek eigentlich bestückt werden?

Die Professoren leisteten ganze Arbeit. Sie veranstalteten Kongresse, überzeugten Regierungen und Politiker und zapften allerlei Geldhähne an. Sie trieben schließlich mit der Unesco einen wichtigen Partner auf, und sie halfen, einen der größten internationalen Architekturwettbewerbe der Geschichte ins Leben zu rufen und erfolgreich abzuwickeln. Sie bewiesen letztlich, wie seinerzeit Euklid den Satz des Pythagoras in der alten Bibliothek bewiesen hatte, dass Ideen Berge, und seien die aus Baumaterial, versetzen können.

Am Wettbewerb im Jahr 1989 beteiligten sich 520 Architekturbüros weltweit, es gewann überraschend ein norwegisch-österreichisch-schwedisches Team namens Snohetta. Ad personam sind das Kjetil Thorsen, Christoph Kapeller und Craig Dykers.

Ihr Entwurf überzeugte durch städtebauliche Großzügigkeit, die innenräumlichen Qualitäten des Großkomplexes, und nicht zuletzt durch eine sanfte, unaufdringliche Symbolik, die sich, beginnend mit der Grundrissform der Sonnenscheibe Res, bis zur Oberflächengestaltung mittels der verschiedensten Schriftzeichen durch das gesamte Gebäude zieht. 80.000 Quadratmeter bietet das Haus, verteilt auf insgesamt elf Etagen, der angeblich größte Lesesaal der Welt erstreckt sich über sieben Stockwerke, dank ausgeklügelter Schalllenkungen soll es angenehm leise in ihm sein.

Knapp 200 Millionen Dollar hat die Bibliotheca Alexandrina gekostet. Am 16. Oktober wird sie nun offiziell eröffnet - nach 13jähriger Bauzeit und unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen, und nachdem der Eröffnungstermin aufgrund der politischen Situation in Nahost bereits mehrfach hatte verschoben werden müssen. Die noch nicht aufregende Befüllung des großen Hauses mit lediglich 400.000 Büchern wurde zwar wiederholt kritisiert, doch gut Ding braucht Weile, und was noch nicht in Papier oder Papyrus vorhanden ist, lagert immerhin bereits im Internet: Hier kann auf rund 300.000 seltene Bücher und Manuskripte zugegriffen werden. Die Computerreise in die Bibliothek ist so weit nicht hergeholt: Der österreichische Architekt Christoph Kapeller hatte die Idee zum Entwurf, so sagt er, seinerzeit angesichts eines 486er-Computerchips. Der soll genau so ausschauen wie das Dach des Bibliotheksbaus. Vergangenheit und Zukunft - diese Bibliothek hat es tatsächlich in sich.

Der Standard, Sa., 2002.10.05



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Bibliothek von Alexandria

28. September 2002Ute Woltron
Der Standard

Die klügsten Köpfe für Ground Zero

Im Gefolge von 9/11 kündigt sich in New York nun eine spektakuläre Entwicklung an: Sechs Architektenteams aus aller Welt - darunter Norman Foster und Daniel Libeskind - kamen nun in die Endrunde für die Neubebauung im Süden Manhattans.

Im Gefolge von 9/11 kündigt sich in New York nun eine spektakuläre Entwicklung an: Sechs Architektenteams aus aller Welt - darunter Norman Foster und Daniel Libeskind - kamen nun in die Endrunde für die Neubebauung im Süden Manhattans.

New York/Wien - Gouverneur George Pataki war hörbar angetan von der internationalen Architektenriege, die bis November dieses Jahres konkrete Pläne für eine Neubebauung des Ground Zero vorlegen darf: „Diese Architekten und Planer gehören zu den besten und klügsten Köpfen der Welt - und New York verdient nichts Geringeres.“

Der Wiederaufbau der durch die Terroranschläge des 11. September devastierten Zone im Süden Manhattans sei „eines der wichtigsten Projekte in der Geschichte“ der amerikanischen Nation, der Terror habe die gesamte Welt erschüttert, weshalb es nun umso erfreulicher sei, dass in den ausgewählten Teams „viele verschiedene Länder zusammenkommen, um mitzuhelfen, New York City wieder aufzubauen“.

407 Architektenkonsortien waren im Sommer dem Aufruf der Lower Manhattan Development Corporation gefolgt und hatten ihre Referenzen eingeschickt, nachdem erste Vorstudien von der Öffentlichkeit brüsk als zu business-orientiert und schlichtweg uninspiriert abgelehnt worden waren. Die sechs nun von einer Jury ausgewählten und am Donnerstag präsentierten Teams gehören allesamt zu den großen Playern der Architekturszene: Alle haben Großprojekterfahrung, die meisten Fingerspitzengefühl bei Memorials und Museumsbauten bewiesen.

Prädestiniert für einen markanten Entwurf in New York scheint Daniel Libeskind zu sein, der mit dem Jüdischen Museum Berlin eines der gewagtesten Architekturexperimente der vergangenen Jahre eingegangen ist. Die Jury, der unter anderen Terence Riley und Toshiko Mori angehörten, lobte denn auch die „Tiefe seines Verständnisses und seiner Empathie, die er im Laufe seiner Karriere unter Beweis gestellt hat“.

Neben Libeskind bewarb sich als Einzelbüro lediglich der Brite Norman Foster, er stellte in seinem Bewerbungsschreiben fest: „New York verdient etwas Großartiges.“ Die Jury hob Fosters „Sensibilität“ hervor, sowie seine - für Auftraggeber höchst angenehme - Eigenschaft, ständig Preise für herausragende Architekturen einzuheimsen.

Die großen Männer Amerikas, Richard Meier, Peter Eisenman, Steven Holl und der weniger bekannte Charles Gwathmey treten gemeinsam an, in ihrer Referenzliste glänzen etwa Meiers Getty Center in Los Angeles und Holls Kiasma Museum in Helsinki.

Das Team United Architects ist international zusammengesetzt und besteht aus Reiser Umemoto, Foreign Office Architects, Greg Lynn, Imaginary Forces, Kevin Kenon, Un Studio. Hier lobte die Jury die Multinationalität der „innovativen jungen Designer und Architekten, die zu den besten der Welt gehören“.


Junge und alte Kräfte

Ebenfalls mit im Rennen ist - fast selbstverständlich - der New Yorker Lokalmatador SOM, Skidmore Owings and Merrill, der für sehr große, sehr teure Projekte steht. Zur Auffrischung des etwas angealterten Images hat man allerdings ein paar internationale Jungkräfte wie Neutelings Riedjik (Niederlande) und Sanaa (Japan) angeheuert.

Ebenfalls frisch-jugendlich das vielköpfige Team Think, dem unter anderen Shigeru Ban (Japan), David Rockwell, Rafael Vinoly (beide USA) und Jörg Schlaich (Deutschland) angehören. Sie wollen die „Erinnerung an die Opfer der Tragödie zur Inspiration für eine bessere Zukunft machen“. Nicht zum Zug kamen aus der hochkarätigen Riege weiterer sieben Semifinalisten leider das österreichische Büro Coop Himmelb(l)au, das sich gemeinsam mit dem US-Architekten Eric Owen Moss beworben hatte.

Wie das alles ausschauen wird, soll sich im November zeigen, wenn die drei besten Entwürfe ausgewählt werden. Das Endresultat soll Anfang 2003 feststehen, entweder als Einzelauftrag, oder, wahrscheinlicher, als Kooperation der Besten.

Der Standard, Sa., 2002.09.28

21. September 2002Ute Woltron
Der Standard

Wieder eine Aufforderung zum Vertrauen

Österreichs Architekturvermittler rufen zu einem zweitägigen nationenweiten ArchitektInnen-und Architekturkennenlernen auf. Das Planen und Bauen in höchster Qualität soll dem breiten Publikum näher gebracht werden.

Österreichs Architekturvermittler rufen zu einem zweitägigen nationenweiten ArchitektInnen-und Architekturkennenlernen auf. Das Planen und Bauen in höchster Qualität soll dem breiten Publikum näher gebracht werden.

Friedrich Achleitner schrieb bereits im Jahr 1987 folgende Sätze nieder, nachzulesen in seinem Buch Aufforderung zum Vertrauen: „Eine kleine Zahl von Bauten und eine größere von Entwürfen zeigt, dass die Architektur auch bei uns eine Mannigfaltigkeit erreicht hat, die den eingebürgerten Pessimismus nicht mehr rechtfertigt. So sollte diese kleine Bestandsaufnahme eigentlich eine Aufforderung zum Vertrauen sein, eine Aufforderung an die privaten und öffentlichen Bauherren, sich bei ihren Bauaufgaben jener Kräfte zu bedienen, die - trotz der widrigen Umstände in unserem Land - eine Veränderung der architektonischen Szene herbeigeführt haben.“

Fünfzehn Jahre sind seit Achleitners Aufruf vergangen, man darf behaupten, er wurde gehört, vor allem natürlich von den Architekten selbst. Aus der „kleinen Zahl von Bauten“ ist eine große geworden, viele ausgezeichnete jüngere Gebäude bilden ein vorzügliches und breit gefächertes Portfolio heimischer Architekturbemühungen. Was die „widrigen Umstände in unserem Land“ anbelangt, so scheinen sie angesichts der Resultate, vor allem im internationalen Vergleich beurteilt, gar so widrig auch wieder nicht zu sein. Der architektonischen Trockensteppe der 80er-Jahre folgte ein durchaus gedeihlicheres Klima, und obwohl man wahrlich noch nicht versucht ist, von tropischer Üppigkeit zu reden, so konnte die Branche doch so manche außergewöhnliche Blüte erleben.

Seit geraumer Zeit versuchen so genannte Architekturhäuser in den einzelnen Bundesländern quasi treibhausartig einzuwirken und das Thema Architektur auch in das Bewusstsein der Öffentlichkeit ranken zu lassen. Erstmals kam es nun zwischen all diesen Institutionen gemeinsam mit der Architekturstiftung Österreich und dank der Initiative von Stiftungsvorstand Christian Kühn sowie dem Bundesvorsitzenden der Architekten, Georg Pendl, zu einer gesamtösterreichischen Aktion: Kommenden Freitag und Samstag rufen alle Architekturhäuser zu den Architekturtagen 2002 auf. Und damit die Vielfalt auch über die Landes- und Bundesgrenzen hinaus dokumentiert werde, zog man das Schaffen der angrenzenden Nationen auszugsweise hinzu.

Geplant sind etwa Bauvisiten, Atelierbesuche, Referate, Feste. Das ALBUM erlaubt sich einen groben Überblick, alle Details sind im Internet unter www.architekturtage.at abrufbar. Ein Katalog in deutscher und englischer Sprache namens Architektur 2002 bietet einen „selbstkritischen Querschnitt durch die architektonische Landschaft Österreichs und seine Nachbarländer“. Erschienen ist das kleine Architekturpaket im Verlag Anton Pustet, näheres wird kommende Woche in der STANDARD-Rubrik „Das aktuelle Buch“ nachzulesen sein.

Unter dem Titel „Geheime Orte“ verführt der Architektur Raum Burgenland zu „Architekturexpeditionen“ und veranstaltet am Freitag eine Busreise rund um den Neusiedlersee, am Samstag ist eine Schiffsfahrt geplant. Der Architektur Raum will die „Situation der zeitgenössischen Architektur am Neusiedler See“ diskutieren und analysieren, dabei allerdings nicht nur sozusagen offizielle Gebäude durchnehmen, sondern sich auch so mancher anonymer Baukultur annehmen. Geplant ist weiters ein Fest vor dem Schlossplatz in Eisenstadt, wo Filme über zeitgenössische Architektur zu sehen sein werden.
Architektur Raum Burgenland, 02682/704-4160

Die Häuser der Architektur in Kärnten und Graz wollen am Tag der offenen Ateliers am Freitag interessierten Besuchern Einblicke geben in die alltägliche Architekturbüro-Arbeit und die Frage beantworten: „Was machen Architekten eigentlich?“ Damit die Sache rund wird, gibt es Besichtigungstouren zu den jeweiligen Resultaten, sprich Bauten, die in den meisten Fällen von den Architekten selbst betreut werden. Am Samstag dürfen „Architekturpfade“ beschritten und manche Zukunftsprojekte wie das in Entstehung begriffene Grazer Kunsthaus von Cook/Fournier oder die Mur-Insel von Vito Acconci besichtigt werden.
Haus der Architektur Kärnten - Napoleonstadl: 0463/339401
Haus der Architektur Graz: 0316/323500, www.hda-graz.at

Oberösterreich stellt seinen Beitrag unter den Titel „city aspiration“, die „Sehnsucht der Stadt nach Bewohnern und Sehnsucht der Bewohner nach Stadt“, und weitet das Präsentationsgebiet über die Grenzen nach Tschechien und in die Slowakei aus. Eine Busreise führt am Freitag zu den „Wohnsilos der Vergangenheit“ und mündet in den Vortrag „Bauen auf der grünen Wiese“, um aktuelle städtebauliche Prozesse in und um Linz zu analysieren. Der Samstag steht im Zeichen diverser Vorträge im Architekturforum, auch Gäste aus Tschechien und der Slowakei dürfen begrüßt werden.
Nil Architecture & Urbanism: 0676/9502509

Die Initiative Architektur Salzburg fordert „Offene Architekturen, Architektur und Schule“ und veranstaltet dazu das Symposium „Verstehen Sie Bahnhof?“. Auch hier gibt es diverse Führungen durch Gebäude sowie eine Zusammenarbeit mit den Schulen, um bereits den Kindern „die Arbeit der Baukünstler näher zu bringen“. Das Bahnhofssymposium findet am Freitag statt, internationale Experten werden dazu erwartet.
Initiative Architektur Salzburg: 0662/879867

Das Architekturforum Tirol nennt seine Atelierbesuche „drop in & out“, die zu besichtigenden Bauten sind frisch und neu, wie beispielsweise Dominique Perraults soeben fertiggestelltes Rathaus Innsbruck und Zaha Hadids Bergisel-Schanze. Am Samstag folgen diverse „Stadtvorträge“ über Innsbruck und auch Krakau, den Abschluss bildet ein Fest im Rathaus.
Architekturforum Tirol: 0512/571567

Auch das Vorarlberger Architektur Institut bietet unter dem Titel „Offen für Räume - Willkommen im Leben“ einen Tag der offenen Tür in diversen Büros am Freitag an, dazu gibt es Bustouren und Radwanderungen, sowie ein Schülerprojekt, das den jungen Vorarlbergern „das Erkennen von Qualität in der Architektur anhand alter und neuer Gebäude“ vermitteln soll. AUch die Fachhochschule Liechtenstein beteiligt sich in Form einer Führung zu liechtensteiner Architekturen.
Vorarlberger Architektur Institut: 05572/51169

Wien und Niederösterreich präsentieren „Architektur von innen“ und fordern die Besucher auf: „Rennen Sie offene Türen ein“. Etwa 200 Gebäude und Architekturbüros stehen tatsächlich offen. Eine „architektonische Schiffsreise“ führt am Samstag von Tulln bis in die Slowakei. Etwa 500 Gäste werden erwartet, darunter Architekten wie Hermann Czech sowie Planungsstadtrat Rudolf Schicker. Ziel: die „Förderung der Kommunikation zwischen Stadt und Land, Ost und West, Fachleuten und Laien“.
ORTE architekturnetzwerk niederösterreich: 02732/78374


[www.architekturtage.at
architektur@derStandard.at]


Kultureller, politischer, sozialer Mehrwert

Georg Pendl über die Sinnhaftigkeit, Architektur gemeinsam zum Thema zu machen

ALBUM: Wie ist es zum Zusammenschluss der Architekturhäuser gekommen?
Georg Pendl: Vor einigen Jahren hat die Kammer bereits einmal eine ähnliche Aktion gestartet, diesmal wollten wir aber die Architekturhäuser der Bundesländer und die Architekturstiftung mit einbinden, also jene, die das Feld ohnehin ständig beackern. Wir haben einen Verein gegründet, um solche Aktionen auch in der Zukunft machen zu können.

ALBUM: Was verspricht man sich davon?
Pendl: Wir wollen den Leuten klarmachen, dass Architektur immer und überall ist, ob in der Stadt oder auf dem Land. Wir wollen Kommunikation nach außen betreiben, Interessierte ansprechen, und auch die inneren Netze zwischen den Bundesländern stärker knüpfen.

ALBUM: Wie wollen Sie aber Leute für diese Aktion begeistern, die keine Architekten sind?
Pendl: Es werden natürlich Leute kommen, die sich im Grunde für Architektur bereits interessieren.

ALBUM: Architekten war es die längste Zeit verboten, Werbung für sich zu machen. Ist diese Aktion eine Art Gemeinschaftspromotion?
Pendl: Jede Eröffnung eines neuen Hauses, jede Bautafel ist im Grunde genommen eine Form der Werbung, so wie auch diese Aktion. Doch die kostet indirekt etwas, den einzelnen aber nichts. Sie dient also auch kleinen Büros, die sonst nicht einmal einen Dreizeiler schalten könnten.

ALBUM: Wie glauben Sie, werden Architekten landläufig gesehen?
Pendl: Ich fürchte, als Klischee des eleganten, smarten Menschen, der irgendwie auch mit Design zu tun hat. Uns geht es aber um kulturellen, politischen, sozialen Mehrwert in unserer Arbeit. Wer das nicht im Sinn hat, sollte als Architekt nicht antreten.

Der Standard, Sa., 2002.09.21

21. September 2002Ute Woltron
Der Standard

Architekturschiff im Grasmeer

Unvorbeischaubar' heißt der Werbeslogan der Firma Trevision. Unvorbeischaubar, und zwar an der Architektur, sollte das Unternehmen ebenfalls werden, deshalb hat man sich einen flotten neuen Firmensitz von der Architektengruppe „Querkraft“ auf der grünen Wiese geleistet.

Unvorbeischaubar' heißt der Werbeslogan der Firma Trevision. Unvorbeischaubar, und zwar an der Architektur, sollte das Unternehmen ebenfalls werden, deshalb hat man sich einen flotten neuen Firmensitz von der Architektengruppe „Querkraft“ auf der grünen Wiese geleistet.

Das Unternehmen Trevision ist einer von Europas marktführenden Großbildproduzenten, hergestellt werden riesige Bildflächen für Transparente, fassadengroße Werbebespannungen aus Kunststoffgewebe u. ä. Seit 1990 mischt das Unternehmen im farbenfrohen Gewerbe mit, und da sich die Technologien auf dem Sektor des Druckens und Bilderpinselns ständig ändern und verbessern, wurden die entsprechenden geräumigeren Produktionsräumlichkeiten zu einem dringlichen Anliegen.

Vorvergangene Woche wurde nun das neue Trevision-Flaggschiff in Großhöflein eröffnet, die rund 40 Kopf starke Belegschaft segelte sozusagen mit wehenden Fahnen aus ihren alten kleinen Hallen im niederösterreichischen Pottendorf Richtung Burgenland, wo man dank der Großhöfleiner Stadtväter unternehmerisch offenbar günstiger den Anker zu Wasser lassen kann.

Das Drucken großflächiger Bilder braucht vor allem eines: viel Platz samt erhöhtem Überblick über das ausgedruckte Bildwerk. Da die Leute von Trevision aufgrund ihres Geschäfts seit Firmenbestehen intensiven Kontakt zu kreativen Geistern, Künstlern und Architekten pflegen, beschlossen sie, auch dem neuen Unternehmensstammsitz ein architektonisch hochwertiges Profil zu verpassen, sich mit einer gelungenen Architektur zugleich eine handfeste überdimensionale Corporate Identity zu verpassen. Bauherr Heinz Wikturna verpflichtete die Wiener Architektengruppe Querkraft, mit der bereits einige Projekte abgewickelt worden waren, und ließ sich ein Haus auf die Bedürfnisse seines Unternehmens zurechtschneidern.

Das Resultat steht nun in Form einer lang gestreckten, innen klar und logisch strukturierten Halle wie ein schlankes Schiff im Großhöfleiner Grasmeer. Den Kern des Hauses bildet die Produktionshalle. Sie erstreckt sich über die gesamte Gebäudelänge. Parallel dazu laufen zwei Geschoße: Unten befindet sich, gut in Sichtbeton eingepackt, die Anlieferung, oben die Büros. Hier ist alles transparent und in Glas ausgeführt, sodass jeder jederzeit einen vorzüglichen Überblick über das Geschehen hat.

Auch die Zone zwischen Produktion und Büro ist verglast, hier läuft ein schmaler Steg wie eine Schiffsreling quer durch das gesamte Gebäude, von der aus die Bilder, die unten gerade aus den Druckmaschinen rattern, aus luftiger Vogelperspektive betrachtet und geprüft werden können.

Die Außenerscheinung der Halle wird - selbstverständlich - von zwei über die gesamte Gebäudelänge gespannten und nächtens hinterleuchteten Großbildern geprägt. Die der Autobahn zugewandte Front soll jährlich neu von den Künstlern von „Museum in Progress“ bespielt werden. Auf der Zufahrtsseite ist in schimmernden Lettern das Wort „Unvorbeischaubar“ luftgepinselt, der momentane Werbeslogan des Unternehmens. Die Planungs- und Bauzeiten waren kurz und betrugen insgesamt kaum ein Jahr. Die Investitionskosten beliefen sich inklusive Maschinerie auf drei Millionen Euro.

Der Standard, Sa., 2002.09.21



verknüpfte Bauwerke
Betriebsgebäude Trevision

12. September 2002Ute Woltron
Der Standard

Wahnsinn und andere Architekturen

Österreich ist nicht nur in seinem Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig gut vertreten. Auch die Hauptschau zeigt einige starke heimische Beiträge zum nationalen und internationalen Architekturgeschehen, die sich sehen lassen können.

Österreich ist nicht nur in seinem Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig gut vertreten. Auch die Hauptschau zeigt einige starke heimische Beiträge zum nationalen und internationalen Architekturgeschehen, die sich sehen lassen können.

Eigentlich hätte alles noch viel toller werden sollen in Sachen Österreicher auf der Architekturbiennale. Eigentlich hätte Heidulf Gerngross die Lagunenstadt gerne quasi mit Architektur überschwemmt gesehen, mit einer aus Containern aufgestapelten Kapelle vor dem Arsenal, einer sich selbst tragenden, durch die Energien der Sonneneinstrahlung aufschwebenden Kunststoffkugel vor dem Bahnhof, und das alles neben seinem ohnehin offiziellen Beitrag im traditionellen Hoffmann-Pavillon.

Das Veto der lokalen Denkmalschützer machte Gerngrossens Pläne bedauerlicherweise zunichte, und damit seinen halben Auftritt sozusagen virtuell.

Auch Rainer Köberl hätte alles noch toller getrieben, wenn man ihn gnädigst gelassen hätte. Seine Pläne sahen - sozusagen in reziprokem Pas de deux zum Kollegen Gerngross - einige gravierende Abrisse der bestehenden Österreich-Pavillon-Architektur vor, nämlich der dahinter gelegenen Hofmauer und dem Bürokämmerchen daneben. Wie schade, dass er nicht durfte, was dem ohnehin entlegenen Haus zur Zier gereicht und dem Giardini-Areal einen prominenten zweiten Ein-und Ausgang, ein weiteres Tor zur Stadt beschert hätte. Doch Architektur ist nicht immer nur das, was der Fall ist, sondern auch das, was der Fall sein könnte, und deshalb steht Österreich mit seinen vielfältigen Beiträgen zur großen Architekturschau wacker da.

Ob sich die im Pavillon eingehängte Loftwohnung von Gerngross sowie der überflutete Raum Köberls samt umlaufender Inschriften den hastigen Biennale-Betrachtern wirklich in ihrer Gesamtheit und Tiefe erschließen, bleibt allerdings fraglich.


Blasse Präsentation

Ebenso lebt die intensive, faszinierende Persönlichkeit Jan Turnovskys nicht wirklich wieder auf in einem Raum, der mit seinen klugen, witzigen, originellen Überlegungen zur Architektur austapeziert ist. Trotzdem gut, dass er dabei ist, der 1995 freiwillig aus dem Leben Gegangene, der einer der wichtigsten, weil subversivsten und irritierendsten Architekturlehrer der damaligen Zeit in Wien war.

Und Nelo Auer? Ihr mit bunten Pölstern befüllter Kuschelraum wurde von Anfang an ganz gut vom sich des Schuhwerks entledigenden Publikum angenommen. Doch was mehr als barfüßige Kissenbenutzer auf Teppichboden ist eigentlich in diesem Beitrag zu sehen?

„Integrazione - Denn der Wahnsinn braucht Methode“ hat Dietmar Steiner getitelt. Gerngross hat diesen Wahn durchaus ausgelebt, Unternehmen zur Mitarbeit gewonnen, mit dem „Archiquant“-Teilchen, das er erfand, einen neuen Architekturmarketing-Kosmos vom Damenring bis zum Barhocker erfunden. Den anderen hätte ein bisschen mehr Wahnsinn vielleicht noch besser getan.

Auch die heuer ganz furchtbar ernste, würdige, in Kapitel geteilte Hauptschau ist mit Österreichischem gut durchzogen: „Housing“ bringt die geplanten City-Lofts samt Wohnhochhaus am Wienerberg von den jungen Wiener Shootingstars Delugan-Meissl, die zu den ganz wenigen hier in Venedig Gezeigten mit sozialem Anspruch gehören. Zwischen den entzückenden filigranen Modellchen in „Museums“ erregt eine lilablaue Skulptur größerer Dimension Aufsehen, die in Originalgröße veranschaulicht, wie die Haut des von Cook und Fournier geplanten Kunsthauses in Graz demnächst ausschauen wird.

„Communication“ eröffnet mit der Gruppe Baumschlager, Eberle, Gartenmann, Raab GmbH und der Flughafenerweiterung in Schwechat, sowie mit Boris Podreccas Praterstern-Projekt für Wien. Podrecca mischt auch ordentlich im italienischen Pavillon mit, wo er etwa mit städtebaulichen Projekten wie Triest prominent vertreten ist.


Türme für Wien

Doch zurück zur Hauptschau: „Towers“ ist hier unter anderem gespickt mit Hans Holleins Porr-Turm am geplanten Monte Laa in Wien. Und „Shopping“ präsentiert Coop Himmelb(l)au mit ihrer BMW-Welt in München. Die Wiener sind auch noch in der Städtebauabteilung „Masterplans“ mit ihrem Beitrag für das JVC Cultural Centre in Guadalajara zu sehen.

Der Standard, Do., 2002.09.12

07. September 2002Ute Woltron
Der Standard

Die Slums und die Pfauenfedern der Macht

Die 8. Architekturbiennale von Venedig eröffnet am Sonntag ihre Rundschau des aktuellen internationalen Baugeschehens mit fast zynischen Machtdemonstrationen und kaum sozialem Engagement. Österreich positioniert sich individuell, doch am Rand.

Die 8. Architekturbiennale von Venedig eröffnet am Sonntag ihre Rundschau des aktuellen internationalen Baugeschehens mit fast zynischen Machtdemonstrationen und kaum sozialem Engagement. Österreich positioniert sich individuell, doch am Rand.

„Next“ heißt das von Biennale-Direktor Deyan Sudjic ausgegebene Motto der diesjährigen Architekturschau in den Giardini von Venedig, die konkrete Projekte der kommenden Jahre in den Mittelpunkt rückt. Wie üblich teilt sich die weltgrößte Architekturdemonstration in die Präsentationen der einzelnen Nationen in den Giardini-Pavillons sowie die internationale Schau im Arsenal.

Letztere führt in klassisch-perfekt gemachter Manier - also mit den guten alt(modisch)en Mitteln von Plänen und Modellen - vor, dass die Kunst des Bauens soeben im Begriff ist, einen Bogen zur Vollendung zu bringen: Der Architekt war immer ein Büttel der Macht, ein Gefolgsknecht des Geldes, doch nach einigen Jahrzehnten des gemäßigten bis radikalen sozialen Engagements gar nicht weniger Baukünstler lustwandelt man schnurstracks nun genau dorthin zurück, wo man zu Zeiten zentralistischer Machtstrukturen ein wohliges Leben führen durfte.

Architektur ist rascher, als man sich es hätte träumen lassen, wieder zur Pfauenfeder der Eliten geworden, zu einer Spielerei großer Unternehmen und kapitalkräftiger Einzelbauherren, einzig die Nationenpavillons von Israel und Brasilien scheinen sich dagegenzustemmen, zeigen in ihren Beiträgen so etwas wie Verantwortung gegenüber dem überwältigenden Rest der Menschheit.


Dior, BMW & Co

Während in Sudjic' Arsenal-Schau die Office-Buildings von Dior, BMW & Co protzig-mächtig in den Himmel wachsen, sich millionenschwere Privatresidenzen chic designt an idyllische Hänge schmiegen und die Museen der Zukunft elegante neue Architekturhüllen in Aussicht stellen, hängt Israel eine Landkarte okkupierter Gebiete an seine Pavillonfassade: Blau steht für israelische Siedlungen, Braun für arabische, Rot bezeichnet die Militärcamps. In den Tarnanzug, den sich das Land angezogen hat, sind Gucklöcher geschnitten. Wer genauer hinschaut, sieht Fotos einer zerbombten Wirklichkeit, die verhüllten Gesichter palästinensischer Demonstranten und israelischer Soldaten. „Das hier ist ein kurzer Moment der Reflexion, das Patchwork der Landschaft, das wir erlaubt haben“, sagt Architekt Zvi Efrat, „Vielleicht werden wir bei der nächsten Biennale wieder fesche Hochhäuser und Shoppingmalls zeigen, doch im Moment ist dafür wohl der falsche Zeitpunkt.“

Selbstkritisch geht auch Brasilien mit seinen Istzuständen ins Gericht, prangert die über die satten Dschungelhänge Rios und Sao Paulos wuchernden Favelas an, zeigt zugleich aber eine Reihe vorzüglicher Wohn-und Sozialprojekte, die, großteils bereits realisiert, den Slumbewohnern neue Häuser und Zufluchtsstätten und damit Hoffnung auf menschenwürdige Existenzen bieten.

Gut gemacht auch der Beitrag Griechenlands, der multimedial die dichte, lärmende Metropole Athen demonstriert, während sich die meisten anderen Länder darauf beschränken, ihre lokalen Matadore samt deren tadellosen, glatten, tollen, teuren Projekten wieder einmal ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken und damit dem ewig gleichen Stargetue Vorschub leisten. Frankreich, die Niederlande, Skandinavien - alle zeigen sie schöne Architekturen, saubere Arbeiten, mehr nicht. Amerika reduziert sein Architekturgeschehen auf die bereits bekannten Architekturvisionen für Ground Zero und legt als Mahnmal eine geborstene Eisentraverse des World Trade Centers vor den Eingang.

Österreich wagt unter Kommisär Dietmar Steiner einen Mittelweg und bringt mit Nelo Auer, Jan Turnovsky, Heidulf Gerngross und Rainer Köberl vier markante Persönlichkeiten in die Giardini.
Auer lotet mit ihrem Beitrag die sich verwaschenden Konturen zwischen Kunst, Architektur, dem Leben im Allgemeinen aus, sie serviert Essen und gepolsterte Gemütlichkeit. Gerngross installiert ein Wohnhaus im Haus und demonstriert damit die wichtige Zelle des Privaten innerhalb großer Strukturen, Köberl flutet seinen Raum und lässt den denkmalgeschützten Hoffmann-Pavillon im Pritschelwasser sich widerspiegeln. Dem verstorbenen Turnovsky und seinen Architekturtheorien ist der vierte Österreich-Raum fast weihevoll gewidmet - DER STANDARD wird am Montag umfassend über den Österreich-Beitrag berichten.


Weltverbesserer?

Der Goldene Löwe für das architektonische Lebenswerk geht heuer übrigens an Toyo Ito. Der experimentierfreudige Japaner ist in der Hauptschau unter anderem mit einem feinen Konzerthaus für Matsumoto vertreten, auf das man sich tatsächlich freuen kann.

Ein Besuch der Architekturbiennale bleibt trotz des vielfachen Protzgehabes der Baumeister und des Imponiergetues der Unternehmen empfehlenswert, vielleicht sogar gerade deshalb - die Architektur hat hier die freundliche Maske des Weltverbesserers abgelegt, darunter zeigt sich die nackige Wahrheit: Wo Kapital, da Pfau. Wo keines, da Slum. So einfach ist das.

Der Standard, Sa., 2002.09.07

31. August 2002Ute Woltron
Der Standard

Viecher am Sprung

Der Architekturfotograf Gerald Zugmann wird von seiner Klientel „Das Auge“ genannt. In den Modellen von Coop Himmelb(l)au zum Beispiel kann er mehr erblicken als die Planer selbst.

Der Architekturfotograf Gerald Zugmann wird von seiner Klientel „Das Auge“ genannt. In den Modellen von Coop Himmelb(l)au zum Beispiel kann er mehr erblicken als die Planer selbst.

Gute Architekturlehrer gönnen ihren Studenten einen Spielraum, der so groß ist wie die ganze Welt. Tobt euch aus, sagen sie, probiert alles aus, experimentiert mit den Formen, den Räumen, lebt eure Träume in Modellen aus und lasst die Architektur fliegen. Denn in der Wirklichkeit, später dann, in den Büros und Amtsstuben und auf der Baustelle, werdet ihr ohnehin rasch auf den Boden der Realität zurückgeholt werden.

Ebendieser Spielraum zwischen der Idee, den daraus resultierenden Architekturmodellen und dem tatsächlich Gebauten ist einer der spannendsten Bereiche der Architektur überhaupt. Selbst Planer, die nur wenige oder gar keine Projekte tatsächlich realisiert haben, konnten mit ihren Visionen die Architektur ihrer Zeitgenossen und Epigonen beflügeln. Zaha Hadid beispielsweise machte mit dynamischen Entwürfen und einer gekonnten Präsentation Furore, lang bevor sie die ersten Grundfesten in den Erdboden versenkte, Buckminster Fullers großteils nicht gebaute Ideenwelt befruchtete die Architektur über Generationen hinweg, Friedrich Kiesler, der seinerzeit buchstäblich Hunger litt, gilt heute als einer der avantgardistischsten Raumexperimentierer überhaupt.

Die Szene lebt nun einmal nicht nur von den rechnenden Machern, sondern auch von den freigeistigen Denkern, von denjenigen, die vielleicht schon einen Schritt voraus sind und sich damit meist selbst kommerziell über den Abgrund wagen. Derzeit gibt es Tendenzen vor allem in der deutschen Architekturkritik, Letzteren die Berechtigung abzusprechen und Erstere streng zu fördern. Ob dieser naseweis erhobene Zeigefinger Sinn macht, ist zumindest hinterfragenswert, die rechte Mischung aus beidem scheint wünschenswert.

Die Wiener Architekten Coop Himmelb(l)au nähern sich Letzterem, sie zählen nicht nur hierzulande zu den Experimentierern, zu denjenigen, die Frechheit über Raum und Materie zum Entwurfsprinzip erklärt haben. Während viele - vor allem junge - Büros derzeit die dreidimensionalen Talente ihrer Computer ausreizen und Architektur vor allem in Form farbenprächtiger Renderings präsentieren, arbeiten die Himmelblauen quasi noch altmodisch studentisch mit den bewährten Mitteln des rasch produzierten Modells. Zwischen Miniaturarchitektur aus dem Modellbaulabor und Endresultat auf der Baustelle pflegen sie einen Katalysator zum Einsatz zu bringen, und der ist Fotograf und heißt Gerald Zugmann.

Zugmann wird von seiner Klientel stets nur „Das Auge“ genannt, und das aus gutem Grund. In den oft herzzerreißend fetzig aus Tixo, Nägeln, Transparentpapier, Pappendeckel, Styrodur, Draht, Blech und anderen Billigmaterialien gemachten Arbeitsmodellen der Architekten erblickt er Qualitäten und Schwächen, die den Planern selbst nicht bewusst waren. Er leuchtet die Gebilde aus, sieht, spürt, fotografiert. „Tatsächlich sind die Modelle von Coop Himmelb(l)au oft schleißig gemacht und in einem grauenhaften Zustand, doch gerade das macht ihren Charme aus“, sagt Zugmann. „Er arbeitet zwar gewöhnlich einen ganzen Tag lang konzentriert, doch mehr als ein, zwei Fotos bekommen wir selten von ihm“, sagt Wolf Prix. „Diese Modelle sind eben keine Präsentations-, sondern Arbeitsobjekte, und diese Offenheit lässt inhaltliche und räumliche Interpretation zu“, sagt Peter Noever.

MAK-Chef Noever hat soeben ein Buch über Zugmanns faszinierende Coop-Modellfotos aus den vergangenen Jahrzehnten herausgebracht. Die Publikation heißt „Blue Universe. Modelle zu Bildern machen“, ist der Begleitband zu einer Ausstellung, die im MAK-Zentrum in Los Angeles über den Sommer zu sehen war und präsentiert eine Zeitreise durch das himmelblaue Universum. Der Trip beginnt mit aktuellen Projekten wie dem Akron Art Museum in Ohio, der BMW-Welt in München und dem Musée des Confluences in Lyon und setzt sich mit Fotos von fiktiven sowie gebauten Arbeiten fort bis zum Projekt „Hot Flat“ aus dem Jahr 1978. Damals erschien das mittlerweile vergriffene Buch „Architektur ist jetzt“, für das Zugmann die ersten Coop-Himmelb(l)au-Modelle vor die Linse genommen hatte, und mit dem die mittlerweile über zwei Jahrzehnte andauernde Arbeitssymbiose zwischen Fotograf und Architekten begann.

Zwei Jahre nach „Architektur ist jetzt“ eröffnete in Wien das legendäre Lokal „Roter Engel“, und wer den Namen nie so recht verstanden hat, der darf dank Zugmanns Modellfoto ein zeitverzögertes Aha-Erlebnis erfahren: Hier fliegt er, der Rote Engel, mit langen, flatternden roten Schwingen, ein bizarres Geschöpf, das in die Dunkelheit abzuheben scheint. „Mit der Beleuchtung fangen die Objekte zu leben an“, sagt der Fotograf: „Ich versuche, mit dem Licht die Dinge, die mir wesentlich erscheinen, herauszubringen und den Blick des Betrachters dorthin zu lenken, wo ich ihn haben will.“

Grob hingeschnitzte Pappendeckelmodelle, wie etwa das der Merz-Schule in Stuttgart, werden so zu markanten Skulpturen, die Fotokunst, die dahinter steckt, zeigt handwerkliche Brillanz: Tatsächlich nur zentimetergroße Türen werden zu hinterleuchteten Portalen, feiner Lichthauch macht Konturen spürbar, klare Schattenwürfe arbeiten Plastizität und Tiefe heraus, Innenräume scheinen zu fluoreszieren.

Für die Architekten selbst sind diese Zugmann-Kunstwerke Arbeitszeug und Inspirationsquelle. Im Modell zum Unterhaltungszentrum für die mexikanische Stadt Guadalajara sah der Fotograf beispielsweise ein „Viech am Sprung“, und er fotografierte das großformatige Modell auch entsprechend. Das fertige Abbild, so Prix, war konkret der Anlass dafür, die zuvor etwas flache, schnoddrige Dachstruktur noch einmal zu überdenken und verbessert neu zu entwerfen. Die Modelle und ihre Fotos seien „Werkzeuge der Entwurfsarbeit und Prozessdarstellungen. Zugmann greift tatsächlich in unsere Arbeit ein, er macht den Traum sichtbar, holt etwas heraus, das dem Projekt innewohnt und das am Modell oft nicht direkt sichtbar ist. Er hält uns allerdings nicht einen Spiegel vor, sondern verrät Geheimnisse, durchaus im positiven Sinn.“

Zugmanns Fotos sind Traumbilder, perfekt inszeniert, mit Licht zurechtgeschliffen und vielfach deutbar. Die Realität befindet sich lediglich in Form eines kleinen Beiwerks im Anhang des Buches: Dort sind in chronologischer Ordnung alle Projekte noch einmal aufgelistet und mittels Gebäudefotos der realisierten Architekturen, Plänen sowie Originaltexten von Coop Himmelb(l)au ausreichend erläutert. Und wieder entwickelt sich zwischen den Zugmann-Fotostrecken und den schlichten Baubeschreibungen ein Spannungsfeld, diesmal eines zwischen Traum und Wirklichkeit, und der Leser selbst kann in dieser Zwischenwelt lustwandeln, Thesen bilden, neue Perspektiven finden.

Wer seine Fantasie durch die oft gespenstisch grünlich-bläulichen Räume zum Spaziergang schickt und wirklich dazu bereit ist, sich konzentriert auf die Fotos einzulassen, wird in Gerald Zugmanns blauem Coop-Universum ein zauberhaftes Buch entdecken.


[Gerald Zugmann, Blue Universe. Modelle zu Bildern machen.
Herausgegeben von Peter Noever, mit einem Beitrag von Christian Reder. Erschienen bei hatje cantz auf Deutsch und Englisch. EURO 41,-/157 Seiten.]

Der Standard, Sa., 2002.08.31

29. August 2002Ute Woltron
Der Standard

„Eine unfassbare Sauerei“

Umbau Kleines Festspielhaus: Einst erstgereiht, nun ausgeschlossen

Umbau Kleines Festspielhaus: Einst erstgereiht, nun ausgeschlossen

Salzburg - Am Mittwoch beurteilte die Bewertungskommission des Verfahrens Kleines Festspielhaus in Salzburg zum zweiten Mal die fünf Projekte zur Sanierung und Erweiterung des Holzmeister-Saales. Währenddessen wurde bekannt, dass der Festspielfonds das Angebot des einst erstgereihten Teams Wimmer Zaic wegen Verstößen gegen das Bundesvergabegesetz tags zuvor bereits vom Verfahren ausgeschieden hatte.

Am Tag der Einreichung, dem 23. August, hatte Teamkollege Dietmar Valentiny um 7.50 Uhr in der Früh die Arbeitsgemeinschaft mit Wimmer und Zaic via Fax aufgekündigt, wonach die mit 16. August via Vertrag festgelegte Arbeitsgemeinschaft vor den Augen des Festspielfonds obsolet wurde. Es sei damit gegen die Verfahrensregeln verstoßen worden.

Dem Vernehmen nach nimmt Valentiny am Verfahren nunmehr als Subunternehmer von Wilhelm Holzbauer teil. Der hatte gegen das Projekt von Hermann, Valentiny, Wimmer, Zaic via Vergabesenat Einspruch erhoben und Recht bekommen. Die erste Bewertungsrunde des Verfahrens durch die Kommission unter Vorsitz des Schweizers Carl Fingerhuth wurde daraufhin aufgehoben

Der Rechtsanwalt der Salzburger Architekten Wimmer und Zaic, Christoph Koller, stellte in einem Schreiben an Intendant Peter Ruzicka fest, „dass der Ausschluss rechtswidrig erfolgte“ und betonte weiters: „Es liegt der Verdacht nahe, dass unzulässige Absprachen zwischen dem Festspielfonds und Herrn Architekten Holzbauer getroffen wurden.“ In welcher Form diese Absprachen erfolgt sein könnten, will Wimmer nicht kommentieren: „Wir wissen, was da gesprochen wurde.“

Die Salzburger Architekten zweifeln vor allem die Rechtsgültigkeit von Valentinys Vertragsauflösung am Tag der Abgabe an. Wimmer: „Die erfolgte zu einer Unzeit und ist juristisch nicht haltbar.“

Günter Domenig, der ebenfalls am Verfahren teilnahm, stellt dem STANDARD gegenüber fest: „Das Ganze ist eine unfassbare Sauerei, Valentiny kooperiert plötzlich mit Holzbauer, und die Änderungen in den Verfahrensregeln haben nur im Auge gehabt, Holzbauer erstzureihen. Ich warte eigentlich nur mehr auf den Anruf, dass wir verloren haben.“

Die Bewertungskommission selbst sei laut Domenig erstaunlich uninformiert gewesen: „Keiner kannte die Pläne, keiner hat wirklich hingeschaut.“ Das Ergebnis des Verfahrens war zu Redaktionsschluss noch nicht bekannt."

Der Standard, Do., 2002.08.29



verknüpfte Bauwerke
Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

21. August 2002Ute Woltron
Der Standard

Vom Kavaliersdelikt zum Kadi

Wer Architekturverfahren schlampig ausschreibt, riskiert neuerdings juristischen Einspruch und viel Ärger. Vergabetechnisch ist der EU-Beitritt noch immer nicht ganz vollzogen.

Wer Architekturverfahren schlampig ausschreibt, riskiert neuerdings juristischen Einspruch und viel Ärger. Vergabetechnisch ist der EU-Beitritt noch immer nicht ganz vollzogen.

Als vor einigen Jahren in Chikago ein Schneesturm ausbrach und eine ganze Menge Leute aufgrund der damit einhergehenden Schneeverwehungen zu spät zur Arbeit kamen, brachten die Autofahrer eine Sammelklage gegen die Stadt ein, weil die der Schneemassen nicht rechtzeitig Herr geworden war und sie zu spät zur Arbeit gekommen waren. Warum die Stadt daraufhin keine Gegenklage einbrachte, die sich mit dem Thema des Dann-halt-früher-Aufstehens befasste, bleibt unklar.

Wenn in Österreich ein Architekturwettbewerb veranstaltet wird, spielt sich neuerdings auf den ersten Blick ganz Ähnliches ab: Irgendjemand, der sich an diesem Wettbewerb beteiligt, aber nicht gewonnen hat, erhebt im Anschluss juristisch Einspruch, bemüht scheinbar im Dienste der Architektur Anwälte, zweifelt das Verfahren öffentlich an und bewirkt damit zweierlei: Erstens wird das Prinzip Wettbewerb durch den Dreck und zweitens eine etwaige Vergabe in die Länge gezogen, unter Umständen gleich über ein paar Jahre. Das ist schmerzlich und in jedem Fall teuer für die Auftraggeber, mühsam für alle am Verfahren beteiligten Architekten, und alle diese Einsprüche werden nur in Ausnahmefällen im Sinne guter Architektur erhoben.

Die Ursachen für diese momentane Einspruchs- und Klageführungsflut sind einfach erklärt: Was die Planung und teils auch Herstellung großer Gebäude anbelangt - die per Gesetz ab einer gewissen Größe via europaweites Wettbewerbsverfahren vergeben werden müssen -, hat Österreich den EU-Beitritt und die daraus folgenden Konsequenzen zu einem guten Teil noch nicht wirklich begriffen, man könnte auch sagen, intern verkraftet.

Die Schuld trifft dabei allerdings nicht die Architekten, sondern diejenigen, die schleißige Verfahren veranstalten, schlecht ausloben, schlampig exekutieren, also die Auftraggeber der Architektur selbst. Mängel in der Ausschreibung und im Ablauf eines Wettbewerbes, die früher vielleicht als ärgerliche Kavaliersdelikte durchgingen, können heute, so sie von Architekten aufgegriffen und an Juristen weitergespielt werden, ein gesamtes Verfahren kippen und Verfahrensteilnehmer sowie Auslober sogar bis zurück an den Wettbewerbsstart schicken.


Kleines Festspielhaus

Dass Verfahren juristisch angreifbar, beeinspruchbar, ja sogar aufhebbar sind, ist spätestens seit dem Vorjahr mit dem prominenten Beispiel Kleines Festspielhaus Salzburg allen mit der Materie Befassten klar: Es wurde zu einem Wendepunkt im heimischen Architekturwettbewerbswesen.

Gesucht wurde damals via Verhandlungsverfahren das geeignete Architektenteam für den Umbau des historisch als wichtig erachteten, doch zu kleinen Hauses vom Salzburger Architekturahn Clemens Holzmeister. Neun Juroren erklärten das Projekt des Teams Hermann, Valentiny, Wimmer, Zaic für das entsprechendste, reihten den Wiener Kollegen Wilhelm Holzbauer auf Platz zwei und erachteten das Verfahren als beendet. Doch weit gefehlt. Nach einem Jahr des juristischen Gerangels dürfen dieselben Juroren dieser Tage, und zwar am Freitag, noch einmal zusammenkommen und noch einmal alle mittlerweile überarbeiteten Projekte beurteilen, denn Holzbauer hatte unmittelbar nach seiner knappen Niederlage Verfahrensmängel geortet, an die Behörden weitergegeben und Recht bekommen.

Von der Qualität der Architektur, also dem eigentlich wichtigsten Inhalt eines Wettbewerbsverfahrens, war im Laufe der vielen Verhandlungen und Schlagabtausche so gut wie nie die Rede. Von der Verantwortung eines Auslobers, sich endlich geprüfter, ausgebildeter Spezialisten zu bedienen, um schon lang vor der entscheidenden Jurysitzung die Weichen in Richtung guter Architektur zu stellen, auch nicht. Hier geht der Ball wieder an die Architekten.

Diese ewig zerstrittene Zunft hat es bis heute nicht vermocht, ihre eigenen Interessen professionell als Berufsstand zu vertreten und Fachleute für Wettbewerbsvorbereitung sowie Begleitung auszubilden. Was etwa in Deutschland fast schon zu einem eigenen Berufsstand geworden ist, liegt hierzulande in Händen einiger weniger.

Der Standard, Mi., 2002.08.21

27. Juli 2002Ute Woltron
Der Standard

Akustikprobleme im Mausbau Holzmeisters

Das Vergabeverfahren bezüglich des Kleinen Festspielhauses beschäftigt die Juristen. Was bisher auf der Strecke blieb, ist aber die eigentliche Debatte um die Qualität der Architektur: Kann Clemens Holzmeisters Saal überhaupt vernünftig umgebaut werden?

Das Vergabeverfahren bezüglich des Kleinen Festspielhauses beschäftigt die Juristen. Was bisher auf der Strecke blieb, ist aber die eigentliche Debatte um die Qualität der Architektur: Kann Clemens Holzmeisters Saal überhaupt vernünftig umgebaut werden?

Salzburg - Was bisher in der Debatte rund um den Umbau des Kleinen Festspielhauses noch nicht diskutiert wurde, ist die legendär schlechte Akustik des Holzmeister-Baus, in Architektenkreisen gerne als „Mausbau“ bezeichnet. Sie ergibt sich durch dessen Länge im Verhältnis zur geringen Breite. Die derzeitige Ausschreibung ermöglicht es nicht, dieses Problem aus der Welt zu schaffen, was eine Kompromisslösung wahrscheinlich macht. „Wenn das Haus nicht verbreitert werden darf, wird auch der weltbeste Akustiker an diesem Problem nichts ändern können“, so Günther Domenig.

Wie berichtet, geht das Vergabeverfahren noch einmal in die zweite Runde. Fünf Teams sind aufgefordert, ihre bereits im Vorjahr bewerteten Vorschläge zu überarbeiten sowie eine genaue Kostenkalkulation beizulegen. Letztere kann im Schnitt mit etwa 50.000 Euro veranschlagt werden, die Überarbeitung wird nicht abgegolten. Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler verspricht sich im Gegenzug dazu eine Entscheidung noch im September, sie schließt auch eine Veränderung in der Teambildung nicht aus.

Ein etwaiger Zusammenschluss mancher Architekten untereinander wurde durch eine Veränderung der Ausschreibungsbedingungen explizit ermöglicht. Dem Vernehmen nach würden allerdings die Architekten in der Bewertungskommission dergleichen nicht akzeptieren.


Zu tief, zu hoch?

Bis dato diskutierte man öffentlich lediglich über Kosten und der Ausschreibung zuwiderlaufende Entwürfe. Wilhelm Holzbauer kritisierte das Siegerprojekt als zu hoch über die alte Bausubstanz hinausragend, umgekehrt machte man ihm den Vorwurf, sich mit seinem Entwurf zu tief in den Boden hineinzugraben. Alle Projekte wurden dabei allerdings unter Verschluss gehalten. DER STANDARD präsentiert hier erstmals die Pläne des im Vorjahr erstgereihten Teams Hermann, Valentiny, Wimmer, Zaic sowie den Entwurf Wilhelm Holzbauers, enthält sich aber aufgrund des laufenden Verfahrens jeglicher Bewertung.

Das Siegerteam hatte zwei Vorschläge unterbreitet. Die kleinere Variante behält die Breite des Zuschauerraumes bei, senkt das Haus nicht ab, erhöht die Hofstallgassen-Fassade aber um rund drei Meter. Der Proberaum wird unter dem Max-Reinhardt-Platz situiert, der Orchestergraben abgesenkt, die Lage der Bühne beibehalten. In einer zweiten Variante erzielt man durch eine zusätzliche Verbreiterung des Zuschauerraumes um zwei Meter ein Plus von 189 auf 1373 Plätze.

Holzbauer greift die Kubatur nach außen hin nicht an, er senkt dafür Bühne und Zuschauerraum, wie berichtet, um etwa vier Meter ab. Die ursprüngliche Dachlandschaft bleibt dadurch bestehen. Das Faistenauer Foyer wird zur „Fördererloge“, der Haupteingang zum „Stadtfenster“, insgesamt ergeben sich 1406 Sitz-sowie 65 Stehplätze.


Stahlkonstruktion

Bleiben die Entwürfe von Bétrix & Consolascio sowie jene von Friedrich & Partner im Großen und Ganzen innerhalb des Bestandes, so legt die Arge Domenig, Eisenköck, Lorenz das mit Abstand radikalste Projekt vor: Hier wird ein kompletter Neubau des Zuschauerraumes mittels einer Stahlkonstruktion vorgeschlagen sowie ein Neubau des Foyer- und Allgemeinbereiches in Stahlbeton-Skelett-Konstruktion.

Der Standard, Sa., 2002.07.27



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Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

25. Juli 2002Ute Woltron
Der Standard

„Chaotische Finte“ für Kleines Festspielhaus

Das Vergabeverfahren rund um den Umbau des Kleinen Festspielhauses in Salzburg geht weiter:

Das Vergabeverfahren rund um den Umbau des Kleinen Festspielhauses in Salzburg geht weiter:

Vor knapp einem Jahr erklärte eine internationale Bewertungskommission aus fünf eingereichten Beiträgen das Projekt des Teams Hermann, Valentiny, Wimmer & Zaic einstimmig zum siegreichen. Der zweitgereihte Wilhelm Holzbauer erhob in der Folge dagegen erfolgreich Einspruch beim Bundesvergabeamt, die bereits erfolgte Auftragserteilung an die Gewinner musste zurückgenommen werden.


Kostenbericht

Der Festspielfonds hat nun diese Runde des Verfahrens für nichtig erklärt und von den fünf beteiligten Architekturbüros eine neuerliche unentgeltliche Überarbeitung ihrer Projekte mit einem Kostenbericht gefordert, der „eine tatsächlich ausreichend zuverlässige Schätzung der voraussichtlichen Kosten zulässt“.

Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler gibt sich dem STANDARD gegenüber zuversichtlich: „Wir hoffen, noch während der Festspielzeit zu einer Entscheidung zu kommen und im Zuge der Kuratoriumssitzung am 13. September einem der Teams den Zuschlag erteilen zu können.“ Zuvor war es auf Anraten der Festspiele zu Kooperationsgesprächen zwischen Holzbauer und Hermann, Valentiny, Wimmer, Zaic gekommen, die allerdings scheiterten - nicht zuletzt, weil es bei einem etwaigen Gemeinschaftsprojekt mit großer Wahrscheinlichkeit zu verfahrensrechtlichen Einsprüchen der übrigen drei Bieter (Bétrix & Consolascio, Friedrich & Partner sowie Domenig, Eisenköck, Lorenz) gekommen wäre.

Mit der neu aufgerollten zweiten Runde des Verfahrens wurden allerdings auch die Verfahrensbedingungen dahingehend adaptiert, dass nun sehr wohl Bietergemeinschaften der fünf Beteiligten untereinander gebildet werden können, was laut dem Juristen der Architektenkammer, Christian Fink, abermals verfahrensrechtlich kritisch werden könnte: „Es haben sich in der ersten Verfahrensrunde viele Teams beworben - die Bieterstrukturen in der zweiten Runde zu verändern bietet sicher einen Angriffspunkt für dieses Verfahren.“

Für einen der beteiligten Architekten stellt diese Auflage nichts anderes als eine „chaotische Finte“ dar, die den Weg zu einer Arbeitsgemeinschaft zwischen Erst-und Zweitgereihten ebnen solle.


Zerstritten

Festspielpräsidentin Rabl-Stadler vermutet, dass „sich einige zusammenschließen werden“. Holzbauer bestätigte dem STANDARD gegenüber: „Es ist bekannt, dass ich und Franz Valentiny an einem gemeinsamen Projekt arbeiten.“ Dem widerspricht allerdings Michael Zaic: „Es gibt definitiv kein gemeinsames Projekt aus einer Arbeitsgemeinschaft Holzbauer, Hermann, Valentiny, Wimmer Zaic. Für uns hat sich nichts geändert, wir werden ein verbessertes Projekt abgeben.“

Auch die Gerüchte, das Team habe sich mittlerweile aufgelöst und Valentiny arbeite nunmehr ohne die Kollegen Wimmer und Zaic mit Holzbauer zusammen, seien unrichtig. Valentiny sei zwar kooperationsbereit gewesen, nicht aber der Rest des Teams, und zwar wegen „grundlegend unterschiedlicher Architekturauffassung“.

Der Standard, Do., 2002.07.25



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Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

20. Juli 2002Ute Woltron
Der Standard

Ein Porträt, in die Stadtlandschaft gestickt

Der Architekt Ernst Epstein starb 1938 und ist heute fast vergessen. Geblieben sind seine Häuser in Wien.

Der Architekt Ernst Epstein starb 1938 und ist heute fast vergessen. Geblieben sind seine Häuser in Wien.

Im Wien des Dezember 1937 begann ein heute fast vergessener Mann namens Ernst Epstein, sein Leben zu ordnen. Im Alter von 56 Jahren verfasste der Architekt und Baumeister sein Testament. Darin bedachte er nicht nur Verwandte und Brüder mit beträchtlichen Geldsummen, sondern auch seine Mitarbeiter und die Armen Wiens jüdischer Konfession.

Fünf Monate später, am 21. Mai 1938, nahm sich Epstein mit Veronal das Leben. Am Tag zuvor waren auch in Österreich die Nürnberger Rassegesetze in Kraft getreten. Epstein war Jude gewesen.

Der Architekt starb allein und in einem Haus, das er selbst geplant und gebaut hatte. Dieses Haus steht heute noch, es ist ein klarer, schön gegliederter Bau in der Fichtnergasse, ein freundliches Gebäude, eines, in dem er hätte alt werden können. Von dem Mann, der sich da am Vorabend des Holocaust das Leben genommen hat, gibt es weder Nachkommen noch Verwandte, es ist auch kein einziges Foto erhalten, das zeigen könnte, wie er ausgesehen hat. Das einzige Bild, das wir uns heute von ihm machen können, ist in die große Stadtlandschaft Wiens gestickt: Es sind die vielen Häuser, die er sorgfältig gebaut hat, und die heute noch, unauffällig aber solide, das Stadtbild mitbestimmen.

Sabine Höller-Alber und Markus Kristan ist es zu danken, dass dieses Bild plötzlich wieder erkennbar und deutlich gemacht wurde. Sie trieben alte Dokumente auf, fassten die Arbeiten Epsteins zusammen, analysierten anhand vieler vergilbter Unterlagen sein Leben und präsentieren nun den Mann und sein Werk in der Reihe „Wiener Persönlichkeiten“ in Form eines Buches (mit Markus Gruber) und einer Ausstellung im Jüdischen Museum Wien (mit August Sarnitz und Alexander Traugott).

„Epstein“, so die Autoren, „war kein Künstler, er war Baumeister, ein guter Baumeister, ein besserer entwerfender Baumeister sogar als so mancher Architekt. Vielleicht hätte ein nach dem Besuch der Staatsgewerbeschule weiterführendes Studium bei Otto Wagner oder an der Technischen Hochschule ihn zum kreativen und innovativen Künstler geformt. So aber blieb er ein guter Baumeister, der mit seinen Bauten geschickt auf städtebauliche Gegebenheiten reagierte, teilweise zeitgenössische, teilweise historische Stilrichtungen verarbeitete und sich zumeist den Wünschen seiner Bauherren beugte. Er muss für seine Bauherren ein ,angenehmer' Architekt gewesen sein, der ihren Vorstellungen nachgab und daher mit außergewöhnlich vielen Aufträgen bedacht wurde.“

Rund hundert Gebäude in Wien werden Epstein zugesprochen, und einer der ganz wenigen, die stets auf ihre überdurchschnittliche Qualität hingewiesen hatte, ist Friedrich Achleitner. Epstein sei kein Erneuerer und Erfinder gewesen, so der Architekturkritiker, habe aber zu einem ersten Vertreter der Moderne gezählt, und das „auf einem sehr hohen architektonischen und baumeisterlichen Niveau, mit einer großen Detailkultur und einer soliden Kenntnis der neuen Materialien und konstruktiven Möglichkeiten“. Epstein habe „neben“ den großen Architekten seiner Zeit gewirkt, so die Ausstellungsmacher, sich aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht am kommunalen Baugeschehen beteiligt, und war vor allem für Versicherungsunternehmen tätig. Zins- und Miethäuser entstanden da, Fabriks-und Bürogebäude. Das prominenteste Haus, an dem Epstein mitwirkte, stammt allerdings von Adolf Loos: Der hatte Ernst Epstein für das Geschäftshaus Goldman & Salatsch, heute besser bekannt als Looshaus am Michaelerplatz, als Bauleiter engagiert und später dessen „großzügiges Organisationstalent und reiches technisches Wissen“ gewürdigt.

Epstein hatte zwar gut verdient, die Hinterlassenschaften in seiner Wohnung wiesen ihn aber als bescheidenen Mann aus. In seiner Schreibtischlade fand man eine Steyr-Pistole und eine Schachtel Havanna-Zigarren. Aus der Erbschaft konnten seine Brüder die Reichsfluchtsteuer bezahlen. Sie hatten die „Ostmark“ längst verlassen, als das Verlassenschaftsverfahren abgeschlossen war.


[„Ernst Epstein. Der Bauleiter des Looshauses als Architekt“, bis 29. 9. im Jüdischen Museum Wien, Palais Eskeles, Dorotheergasse 11, www.jmw.at.
Der gleichnamige Katalog erscheint im Holzhausen Verlag, EURO 45,60.]

Der Standard, Sa., 2002.07.20

18. Juli 2002Ute Woltron
Der Standard

Der Anfang der Ground-Zero-Debatte

Sechs Architekturmodelle für Manhattan

Sechs Architekturmodelle für Manhattan

New York - Unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen wurden am Dienstag sechs offizielle Vorstudien für die Neubebauung des Ground Zero in der New Yorker Federal Hall vorgestellt. John C. Whitehead, der Chairman der Lower Manhattan Development Corporation (LMDC), die das Areal des ehemaligen World Trade Centers derzeit verwaltet, betonte, dass es sich bei den vorliegenden Entwürfen lediglich um Vorstudien handle. Nun habe ein öffentlicher Diskussionsprozess zu erfolgen, die Präsentation der sechs städtebaulichen Massenmodelle sei lediglich ein erster Schritt in Richtung einer neuen Architektur, die breite öffentliche Zustimmung erfordere.

Alle Projekte skizzieren mögliche Block- und Hochhausverteilungen samt Freiflächen und sehen neben Büro- und Geschäftsflächen auch Memorials für die Attentatsopfer vor. Kein Gebäude erreicht die Höhe der ehemaligen Twin Tower. Erste Publikumsreaktionen fielen eher negativ aus. Der Grundtenor der Besucher lautete, man hätte zu dicht geplant, die Besonderheit des Ortes nicht ausreichend hervorgehoben und zu sehr Bedacht auf kommerzielle Interessen gelegt. So wurden etwa die Verkaufsflächen von früher 41.806 Quadratmeter auf 55.742 erweitert, und die Port Authority of New York and New Jersey hatte als Grundstückseigentümerin mehr Bürotürme gefordert.

Whitehead zeigte sich kooperationsbereit: Wenn die Öffentlichkeit es fordere, meinte der LMDC-Chef, werde man auch gravierende Änderungen nicht scheuen.

Am Samstag werden im Rahmen eines öffentlichen Meetings bis zu 5000 Interessierte erwartet. Bis September will man sich auf drei modifizierte Entwürfe einigen, der letztgültige soll bis Dezember feststehen. Erst dann, so die Verantwortlichen des LMDC, wolle man mit Architekten in die zweite, konkrete Planungsphase treten.

Der Standard, Do., 2002.07.18

11. Juli 2002Ute Woltron
Der Standard

Der Berg baut immer mit

Eine Ausstellung zeigt, wie ein „Neues Bauen in den Alpen“ auch ausschauen kann

Eine Ausstellung zeigt, wie ein „Neues Bauen in den Alpen“ auch ausschauen kann

Wien - „Vielleicht lag uns nie mehr daran, die natürliche Schönheit der Alpenregion zu bewahren, als heute, da diese Schönheit bedroht und mancherorts zerstört ist“, heißt es im Klappentext der Publikation Neues Bauen in den Alpen. Die gleichnamige Ausstellung ist ab heute im Wiener Ringturm zu sehen, und sie lädt nicht nur zum Schauen, sondern auch zum Nachdenken ein: zum Sinnieren über eine der wichtigsten Ressourcen überhaupt, die Landschaft, und zum Anschauen gelungener und ausgezeichneter Architekturleistungen mittendrin.

In diesem Fall wird unter die Lupe genommen, wie der Mensch und seine Baumaschinen mit den Alpen, also den Bergen zwischen Nizza und Wien, Umgang pflegen, wie Traditionen aufgenommen und modifiziert werden, wie Planer sich vor schroffen Naturlandschaften verbeugen, den Gebirgen Respekt zollen, ihre neuen Häuser mit Selbstbewusstsein und dennoch mit entsprechender Behutsamkeit hineinpassen.

Gleich zwei Siegerprojekte des Großen Preises für Alpine Architektur sind heuer zu vermelden. Wenig überraschend ist eines davon das bereits viel publizierte, außergewöhnliche Thermalbad des Schweizer Architekten Peter Zumthor in Vals in Graubünden. Die zweite Auszeichnung ging ebenfalls nach Graubünden, und zwar an den Traversiner Steg des Schweizer Bauingenieurs Jürg Conzett.


Wider die Ausbeutung

„Die Natur der Alpen ist eine Natur, die ihre Bewohner über Jahrhunderte hinweg gestalteten, bis sie zu der europäischen Kulturlandschaft wurde, die wir kennen“, so heißt es im Ausstellungstext.

Tatsächlich waren älplerische Neubauten in der jüngeren Vergangenheit eher ein Synonym für architektonische Absonderlichkeiten, um nicht zu sagen: Scheußlichkeiten. Doch weht seit geraumer Zeit ein starker Gegenwind durch die Alpentäler. Eine ganze Generation hervorragender Planer hat sich, auch in Österreich, gegen die touristische Traditionsausbeutungs- und damit Traditionsvernichtungsunkultur gestemmt und älplerisch-eigenständig Zeitgenössisches entwickelt.

Von den 29 hier gezeigten Projekten stehen zehn in den heimischen Bergen, etwa Margarethe Heubacher-Sentobes schönes, strenges Haus für einen Pianisten in Weerberg, Tirol, Helmut Reitters elegante Sporthalle in Zell am Ziller, ebenfalls Tirol, und Leopold Kaufmanns konstruktiv-innovative und gleichzeitig malerische Golmerbahn im vorarlbergischen Montafon.

Während die Vereinten Nationen das Jahr 2002 zum Jahr der Berge ausgerufen haben, begeht das Neue Bauen in den Alpen zugleich sein zehnjähriges Jubiläum. Der Große Preis für Alpine Architektur wurde 1999 von der kleinen Südtiroler Gemeinde Sexten gestiftet, er ist mit 10.000 Euro dotiert. „Theoretische wie historische Reflexionen über Grundsatzfragen der Architektur im Alpenraum“ sol- len damit erörtert werden, schreibt Kurator Christoph Mayr Fingerle, denn zu einem umfassenden Verständnis von Architektur gehöre auch der Umgang mit der Landschaft.

Bruno Reichlin legte bei der Preisverleihung in Sexten noch eins drauf: „Was sie schön macht, ist die Kultur, die wir in die Dinge investieren, das macht sie für uns zu etwas Besonderem, sonst ist es einfach nur ein Haufen voller Steine, Holz und Glas, den man vielleicht auch noch irgendwie gebrauchen kann.“ Sicher aber keine Architektur.


[Bis 27. 9., Ringturm]

Der Standard, Do., 2002.07.11

06. Juli 2002Ute Woltron
Der Standard

Apotheken schreinern im Wagner-Spital

Alexander Runser und Christa Prantl erheben Menschenwürde und Effizienz zum Planungsdogma.

Alexander Runser und Christa Prantl erheben Menschenwürde und Effizienz zum Planungsdogma.

Alte, riesige Linden und Kastanienbäume sind das raumbildende Mobiliar Am Steinhof in Wien, also dem riesigen Krankenhausareal, das nun zu Otto-Wagner-Spital umgetauft wurde. Hier stehen nicht die Bäume zwischen den Häusern, sondern die einzelnen Spitalspavillons liegen irgendwo versteckt zwischen den grünen Riesen. Alles ist sehr still und ruhig, auch die alten Architekturen atmen eher Frieden und Besinnlichkeit, fast schon zauberberghafte Morbidität. Jedenfalls im Vergleich zu vielen zeitgenössischen Krankenhausgebäuden mit ihren schon im Gebauten demonstrierten hochtechnologisierten Lebensrettungsmaschinerien.

Alles, fast alles hat seine Berechtigung. Im Falle des Otto-Wagner-Spitals ist es nicht ein moderner Neubau, sondern die Revitalisierung heute denkmalgeschützter alter Gemäuer, die einmal die Hüllen der modernsten Anstalt für Geistes- und Nervenkranke Europas bildeten. 1907 wurde diese gewaltige weitläufige Anlage am Rande Wiens eröffnet, an den Lageplan legte unter anderem Otto Wagner Hand an, die einzelnen Pavillons ähneln einander stark, und sie unterscheiden sich doch durch viele Details, durch Raumgrößen etwa oder die Lage und Breite von Gängen.

Fünf dieser Pavillons wurden in den vergangenen Jahren von verschiedenen Architektenteams analysiert und behutsam revitalisiert, einer davon, die Nummer 9, beherbergt das Geriatrische Zentrum und somit einen Lebens- und nicht nur Liegeraum für alt gewordene Menschen. Die Wiener Architekten Alexander Runser und Christa Prantl zeichnen für diesen erst vor kurzem fertig gestellten Umbau verantwortlich, und sie haben sich offensichtlich lange und sorgfältig in die Lebenslage der Pavillon-9-Benutzer versetzt, bevor sie den Umbau begannen. Der Begriff Benutzer bedeutet in diesem Fall natürlich zum einen die alten Patienten und Patientinnen, zum anderen aber auch das Spitalspersonal, das die oft sehr lange Zeit hier Stationierten betreut.

Runser und Prantl respektierten zwar den - ohnehin in den strengen Zwängen des Denkmalschutzes gefangenen - alten Hauscharakter, bliesen aber mit ihren sachten Adaptionen den üblichen Spitalsmief aus Zimmern und Hallen. Um von außen zu beginnen: Hier wurde die historische Fassade nach allen Finessen der Denkmalpflege gebürstet, geputzt, geschlämmt und wiederhergestellt. Das Sichtziegelmauerwerk leuchtet trotzdem nicht zu grellrot, der Anstrich dazwischen bleibt dennoch dezent. Die einzig wirklich gravierende Änderung stellt die Verlängerung der Veranda im Erdgeschoß dar, das eigentlich das erste Geschoß ist, will man sinnvollerweise das unterste nicht als Keller- sondern als Gartengeschoß bezeichnen.

Die Veranden der Pavillons liegen vor den früher so genannten Tagesräumen, durch die Verlängerung sind sie fürderhin nicht mehr nur von diesen, sondern auch vom Gang aus zu betreten, und kommen somit allen Patienten zugute, die ein bisschen lustwandeln, frische Luft schnappen und im Freien sitzen, das Gebäude aber lieber nicht verlassen wollen. Prantner und Runser überlegten kurz, ob sie das aufwändige, lindgrün gestrichene Eisengeländer in reduzierter Form und abstrahiert neu erfinden sollten, entschieden sich aber dann dafür, die für die Verlängerung erforderlichen Teile einfach nachbauen zu lassen. Das tut weder dem alten Haus weh, noch stört es das Klima der neuen Architektur.

Die spielt sich naturgemäß vor allem im Inneren des lang gestreckten, vom Grundriss her E-förmigen Baukörpers ab und empfängt den Besucher bereits vor dem Eintreten: Direkt neben dem alten Haupteingang fräst sich vorsichtig ein nicht allzu großer Glaskubus in die alte Fassade, ein transparenter Warteraum im Grünen, an das Alte geduckt, vom Hausinneren zu betreten, ein Zimmer mit guter Aussicht. Was sofort auffällt: Auch drinnen riecht es überall nach Park und nicht nach Medizin, und es gibt viel Holz. Sehr schönes und sehr schön verarbeitetes Ulmenholz. Tatsächlich ist es enorm schwierig, die komplizierten, für jedes Haus strapaziösen Abläufe einer Krankenhausstation in eine zum einen gut benutzbare und zum anderen auch fesch anzuschauende Gestaltung zu gießen. Runser und Prantl haben hier wie für eine überdimensionierte Apotheke mit angeschlossenen Wohnungen gearbeitet und diese ungeheuer planungsintensive Feinschreinerei in ein stimmiges, klares Gesamtkonzept eingepasst.

Lichtbänder hellen die alte Substanz freundlich auf, die Liftanlage öffnet sich nicht zum Seiten-, sondern zum Hauptgang hin, wo das Personal den Überblick behält, hinter Holzpaneelen liegen Schächte gekonnt verborgen. Was an Installation außen geführt werden muss, wurde hinter einer der Lichttechnik entliehenen Kabeltasse versteckt. Zu den Seiten des Gebäudes hin wird der Charakter dieser Architektur immer familiärer: Man betritt das Haus in der Mitte, dort befinden sich auch sofort, wie üblich, die Stationen für Schwestern, Pfleger, Ärzte, nach links und rechts führt der Gang zu den Krankenzimmern, ganz außen liegen, von unnötigen Mauern und anderen Hindernissen befreit, die Aufenthaltsräume für die mobilere Patientenklientel. Sehr freundlich gemacht, man darf sogar sagen, liebevoll durchkomponiert, mit größeren freistehenden maßgefertigten Tischen für kommunikative Grüppchen und mit kleineren, klappbaren Tischlein an den Außenwänden für Leute, die ihre Ruhe haben, lesen, nachdenken wollen.

Die einzelnen Patientenzimmer sind geschickt und natürlich stets rollstuhltauglich möbliert. Und überall regiert das Ulmenholz. Die Bäder: reduziert, fein, platingrau, funktional. Zum Beispiel ein von den Architekten entworfenes, standardisiertes Spiegel-Leuchte-Waschtisch-Element macht fein was her, es half andererseits aber, das Kostenlimit einzuhalten.

Apropos Geld: Die Baukosten betrugen 5,2 Millionen Euro, die Bauzeit knapp eineinhalb Jahre. Was an Substanz erhalten werden konnte, blieb, wie etwa die Fußbodenfliesen oder die Terrazzoabschlüsse zwischen Wand und Boden. Erstere wurden vor dem eigentlichen Umbau vorsichtig herausgehoben, ausgebessert und wieder verlegt. Zweitere wurden ebenfalls restauriert und dort ergänzt, wo Mauern versetzt oder neue Wände eingezogen wurden. Runser und Prantl über ihr Konzept: „Was vorher finster, dunkel, wie ein Gefängnis war, wurde hell und freundlich. Wir wollten nicht nur die Räume, sondern das gesamte Milieu des Krankenhauses verändern.“

Der Standard, Sa., 2002.07.06



verknüpfte Bauwerke
Otto Wagner Spital mit Pflegezentrum, Umbau Pavillon 9 - Geriatrie

03. Juli 2002Ute Woltron
Der Standard

Ein Mätzchen macht: Doch keinen Preis

Harsche Kritik an Franz Schausberger

Harsche Kritik an Franz Schausberger

Wien - Salzburgs Landeshauptmann Franz Schausberger (VP) und seine Parteifreunde verweigerten, wie gestern berichtet, ihre Unterschriften unter den alle zwei Jahre vergebenen Architekturpreis des Landes Salzburg und ließen damit die für Montagabend geplante Übergabe der Auszeichnung platzen.

Ursula Spannberger von der Initiative Architektur, die mit der Organisation der für die Architekten nicht mit Geld, sondern ausschließlich der Ehre dotierten Auszeichnung betraut ist, sprach im Salzburger Chiemseehof, wo derzeit die Arbeiten ausgestellt sind, von „demokratiepolitisch bedenklichen Vorgängen“, überließ „Assoziationen mit längst überholt geglaubten Staatsformen der Fantasie“ des Publikums und warf die Frage auf: „Ist der persönliche Geschmack des Landeshauptmanns beziehungsweise jener der Boulevardpresse nun der Maßstab für das, was in der Architektur Qualität zugesprochen bekommt?“

Der nun Doch-nicht-Übergabe des Preises war eine mediale Schlammschlacht eines Boulevardblattes vorausgegangen, das das prämierte Projekt, das Betriebsgebäude der Salzburg AG von Betrix & Consolascio, mit dem daneben gelegenen Heizkraftwerk verwechselt hatten. In einem offenen Brief geißelt Jury-Mitglied Otto Kapfinger die „Verleumdungskampagne der Kronen Zeitung“ sowie „Inkompetenz“ und „Willfährigkeit“ der Salzburger Politik, die „nach der Pfeife solcher Skandaljournalistik“ tanze.

Ursula Spannberger warf ihrerseits die Frage auf, wie sich Schausberger verhalten werde, "wenn „sein“ dunkler Bunker, das Museum am Mönchsberg, von der Boulevardpresse „durch den Kakao gezogen“ werde. Die Statuten des Preises sollen nun rasch und nachhaltig entpolitisiert werden.

Der Standard, Mi., 2002.07.03

29. Juni 2002Ute Woltron
Der Standard

Silberschlauch für Semperit

Die Wimpassinger Gummispezialisten leisten sich ein rasantes neues Forschungszentrum. Zum Renommieren und zum Mitarbeitermotivieren. Das Projekt der jungen Architekturbrüder Karim und Rames Naijar gefiel auch der Fachjury des prominenten Aluminium-Architektur-Preises, es wurde zum diesjährigen Alu-Sieger gekrönt.

Die Wimpassinger Gummispezialisten leisten sich ein rasantes neues Forschungszentrum. Zum Renommieren und zum Mitarbeitermotivieren. Das Projekt der jungen Architekturbrüder Karim und Rames Naijar gefiel auch der Fachjury des prominenten Aluminium-Architektur-Preises, es wurde zum diesjährigen Alu-Sieger gekrönt.

Das südliche Niederösterreich ist - derweilen noch - eine architektonische Wüstenei ersten Ranges. Hier wüteten neben Häuslbauern in den vergangenen Jahrzehnten höchstens die einander abwechselnden industriellen Rezessionen.

Die einstigen Blütezeiten der Metall-, Gummi-, Papierindustrien dokumentieren zwar schöne, doch schon lange dem Verfall preisgegebene Industriehallen, die Produktionsstätten untergegangener Epochen sind zumeist kontaminiert und, wie etwa die prächtigen Jugendstilhallen der ehemaligen Brevillier-Urban-Werke in Neunkirchen, nicht mehr sanierbar.

In Wimpassing, gleich neben der einstigen stolzen, heute etwas angerosteten Stahlstadt Ternitz, ist mit Semperit (hat nichts mit dem Reifenhersteller in Traiskirchen zu tun) ein Unternehmen beheimatet, das vor einem guten Dutzend Jahren quasi pleite war, das nach diversen Produktionsauslagerungen heute aber international wieder reüssiert, Gewinne einfährt und nun Muße hat, sich um eine entsprechende Corporate Identity auch in architektonischer Hinsicht zu kümmern.

Semperit verfügt ebenfalls über eine ganze Reihe alter, zwar schöner, aber nicht zeitgemäßer Hallen. Einige davon werden nun abgerissen, der erste Ersatzbau steht bereits, und er ist eine Zierde nicht nur für das Unternehmen, sondern für die gesamte Gegend geworden.


Erneuerung

Semperit-General Rainer Zellner läutete den Umbau des Unternehmens Anfang der 90er-Jahre mit einer Erneuerung der Maschinenstruktur ein, erst als die internen Abläufe saniert waren, beschloss er, auch der Architektur ein neues Gesicht sowie ein frisches Schema zu verpassen. „Wir wollten kein biederes Häusl haben“, sagt er, „sondern ein architektonisches Zeichen für unsere moderne Politik und Internationalisierung setzen.“

Eine solche Flagge der Moderne wollen zwar andere Industriekapitäne auch für ihre Unternehmen gelegentlich gerne sehen, doch wissen viele nicht, wie sie gehisst werden soll. Zellner besprach sich mit seinem Forschungschef Franz Sommer, gemeinsam beschloss man, einen Architekturwettbewerb zu veranstalten. „Meine einzige zwingende Vorgabe dafür war“, so Zellner, „dass zumindest die Hälfte der geladenen Architekten jünger als 35 Jahre sein sollte.“ Warum? „Weil alt bin ich selber.“

Unter Juryvorsitz von Günther Domenig entschieden sich die Gummikocher schließlich für das junge Brüderpaar Karim und Rames Naijar, die bereits zu Studienzeiten an der TU-Wien als innovative und flotte Planer aufgefallen waren. Sie entwarfen für das Semperit-Areal, das sich unmittelbar neben der Bundesstraße 17 befindet, einen langen, aluminiumglänzenden Schlauch von einem Haus, der dermaßen attraktiv und auffällig ist, dass vorbeisausende Radfahrer ins Schlingern geraten und sich der Autoverkehr zum Schauen und Staunen einbremst.

Das neue Forschungszentrum ist zweigeschoßig, wird von einer mittleren Halle samt Treppen erschlossen und innenbelichtet, die Forschungs-und Büroeinheiten erstrecken sich auf den Seiten, die Computertechniker sitzen sozusagen in Gesicht und Auge dieses gewaltigen Wurmes. Alles ist alugrau, metallen, silbrig. Die Böden, wenn nicht in Kirschparkett, sind taubengrauer Kunststoff oder dunkelgrauer Stein.

Nicht nur nach außen hin zu Kunden und Partnern soll das Haus zeitgemäße Modernität vermitteln, auch intern will Zellner das innovative Klima durch die Architektur gesichert sehen. Junge Techniker und Spitzenkräfte, so meint er, seien leichter von den Qualitäten seines Unternehmens zu überzeugen und zu bekommen, wenn das Arbeitsumfeld passe. Die Investitionen für das neue Haus beliefen sich inklusive Maschinenpark auf 7,3 Mio. EURO.

Die alten ausgedienten Hallen werden nun sukzessive abgerissen und teils durch neue Gebäude ersetzt. Ob das Mittel zum Zweck wieder ein Wettbewerb sein wird, steht noch nicht fest. In der ersten Runde, das kann man jedenfalls mit Sicherheit sagen, hat sich dieses System bewährt.

Der Standard, Sa., 2002.06.29



verknüpfte Bauwerke
Semperit F & E

15. Juni 2002Ute Woltron
Der Standard

Nur das gute Temporäre bleibt

Der Max-Wettbewerb freiraum/01 bescherte seinen Juroren eine qualvolle Wahl, die sie nicht durchstanden, weshalb zwei Sonderpreise vergeben werden mussten. Da diese noch nicht vorgestellt wurden, erlaubt sich das ALBUM an dieser Stelle, das nachzuholen.

Der Max-Wettbewerb freiraum/01 bescherte seinen Juroren eine qualvolle Wahl, die sie nicht durchstanden, weshalb zwei Sonderpreise vergeben werden mussten. Da diese noch nicht vorgestellt wurden, erlaubt sich das ALBUM an dieser Stelle, das nachzuholen.

Vergangene Woche feierte der österreichische Plattenhersteller Max im Wiener Palmenhaus im Rahmen einer gut besuchten Galanacht die Gewinner des Architekturwettbewerbs namens „freiraum/01“, die, in Inseratenform vorgestellt, die Architekturseiten des Album in den vergangenen Wochen quasi flankiert hatte. Das Thema des heuer erstmals ausgelobten und in Kooperation mit dem STANDARD erfolgten Wettbewerbs lautete „Temporäre Architektur“ und sagte naturgemäß vor allem der jüngeren Architektengeneration zu.

Gerade mit Projekten zu diesem Temporären, Ephemeren, Nicht-für-die-Ewigkeit-Gebauten haben sich die munteren Nachwuchsarchitekturkräfte des Landes bereits Namen gemacht, und das beileibe nicht nur in Wien, Graz, Innsbruck. Die Beteiligung am Max-freiraum-Wettbewerb war entsprechend rege, offenbar hatte man mit der Wahl des Themas irgendwie den Zeitgeist getroffen; es wird, so kündigte das Unternehmen an, eine Fortsetzung geben.

Gleich vorweg, was die Einreichungen anbelangt: Die Verwendung des hier über das Transportmittel des Wettbewerbs propagierten Baumaterials war keineswegs obligat. Gefragt waren vielmehr Idee, Konstruktion, Esprit, und damit alles seine Gerechtigkeit hat, gab es in zwei Kategorien jeweils drei Sieger. Die Jury - bestehend aus den Architekten Christoph Achammer, Roman Delugan, Volker Giencke, Markus Marignoni (Bene Büromöbel) sowie Silvio Kirchmair (als Isovolta-Chef sozusagen Wettbewerbs-Auslober), Reinhold Süßenbacher (Umdasch-General) und STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl - wurde angesichts der Qualität der gelieferten Projekte quasi maßlos, was in zwei weitere Sonderpreise in jeder Kategorie gipfelte. Diese sind bis dato noch nicht vorgestellt worden, was wir als ALBUM im Dienste der Gerechtigkeit hiermit nachholen wollen.

„Young and hungry“ war die Kategorie der noch nicht so Bekannten, und hier räumte das Team Adnan Mehmedic und Tina Magerl mit einer kunterbunten Collage aus den verschiedensten Szenerien und dem Titel „Purzelhaus“ den ersten Preis ab. Der Sonderpreis der Jury ging an Joachim Horna, einen schon-fast-nicht-mehr-Studenten, der einer faszinierenden Idee Gestalt verlieh: Besonders dieser sonniger Tage vermissen alle, die keinen haben, den Balkon, die kleine Luftoase vor dem Fenster. Horna ging es offenbar ebenso, er erfand deshalb den sogenannten „eb4a“, die Abkürzung für „ein Balkon für alle“. Ein statisch tadellos austariertes Konstrukt ergießt sich stählern aus dem Fenster, ist über eine Leiter erkraxelbar, hängt als kleine Koje vor der Fassade. Sehr fein. Horna sollte nach Absprache mit diversen Magistraten sofort Patent anmelden und die Produktion aufnehmen.

In der Kategorie „Bekannt und etabliert“ gewannen Claudia Hammerle, Sylvia Naschberger, Meinhard Ossberger und Ines Rauter den Hauptpreis mit dem klug gemachten Müllcontainer „Mudmax“, für dessen Realisierung zu sorgen während der Gala Isovolta-Chef Kirchmair versprach. Den Sonderpreis bekamen Jakob Leb und Markus Probst für ihr Arche-Noah-artiges Floß „Zoon“, das „eine Sammlung zum Thema Mensch und Tier und zugleich das Formulieren eines Ortes ihrer Zur-Schau-Stellung“ darstellen soll: Ein aufwendig gemachtes, schön entworfenes Projekt, detailliert und räumlich interessant gemacht.

Einen allerletzten Preis, nämlich den des Publikums und via Internet ermittelt, gab es schließlich noch für das Projekt „Wonderland - Architektur ist uns nicht egal“, an dem derartig viele Teams gemeinschaftlich gefeilt hatten, dass die Übersicht über die Konstrukteure den Platz hier sprengen würde. Wonderland ist jedenfalls ein „flexibles, temporäres Ausstellungskonzept“ und will Metapher sein, und zwar für „die Vielfalt im Kontext, gemeinsamen Gestaltungswillen, individuelle Kapazität; ... die unterschiedlichen Positionen sind gleichzeitig Antworten und Fragen an den heutigen Architekturbenutzer“. Und, das erlauben wir uns hinzuzufügen, auch für heutige Architektinnen und Architekten. Was man noch braucht, ist natürlich der Freiraum - und gelegentlich Wettbewerbe, die so heißen.

Der Standard, Sa., 2002.06.15

14. Juni 2002Ute Woltron
Der Standard

Orte, Gefühle, Zeiten

Drei neue Bücher führen durch Kunstmuseen, Wohnhochhäuser und künstliche Naturlandschaften

Drei neue Bücher führen durch Kunstmuseen, Wohnhochhäuser und künstliche Naturlandschaften

Wo auch immer Sie in diesem Sommer hinfahren werden - es wird eines dort sein. Ein Kunstmuseum, natürlich. Der globusumspannende Museums-Errichtungs-Wahn, oder vielleicht auch das Geschäft mit Architekturhüllen und fast schon industriell produzierten Kunstinhalten, hat sicher zumindest in der Nähe der Urlaubsdestination eines dieser viel besprochenen und eben tourismusankurbelnden Häuser hingestellt.

Dass es auch sicher von allen gefunden wird, dafür sorgen Touristeninfos und Reise- sowie Kunstführer. Einer davon liegt druckfrisch vor und stammt gewissermaßen von einem der Führer der Führer, von DuMont. Der Band von Frank Maier-Solgk, Die neuen Museen (EURO 25,60, DuMont 2002), stellt 34 solche vor, von Renzo Pianos Baseler Fondation Beyeler - „Seerosen und Debussy“, über Frank Gehrys mittlerweile unvermeidliches Guggenheim-Bilbao - „Ein Walfisch am Rio Nervion“, bis zu Herzog und de Meurons Tate Modern in London - „Power House der Kunst“.

„Die neuen Kunstmuseen“, so schreibt der Autor, „sind attraktive Erlebnisorte geworden, die, inhaltlich in der Regel auf aktuelle Entwicklungen fokussiert, heute die führende Rolle im Kulturbetrieb spielen. Die bildende Kunst hat dem Theater gesellschaftspolitisch den Rang abgelaufen, dessen langsamere Les-bzw. Hörart nicht mehr im Trend liegt.“ Letzteres mag man glauben oder nicht, manche der hier beschriebenen Häuser sind schon nach einer Stunde langweiliger als zum Beispiel Elfriede Jelineks „Sportstück“ nach vier, aber bitte. Insgesamt bietet das Buch einen vorzüglichen Überblick über die neuen Kunstoasen inklusive Grundrisse, Adresse, Internetsite und Öffnungszeiten, also musealer Service total.

Harry Seidlers Wohnpark Neue Donau in Wien ist vollendet, eröffnet, bezogen. Das markante weiße Hochhaus mit der gehörigen Breite und der schmalen Zipfelspitze gibt Wiens föhnig zerfaserter Skyline ein neues Schöpfchen, die Wohnungen drinnen mäandern zwischen okay und sehr in Ordnung.

Dennoch: Das Interessanteste am Wohnpark Neue Donau bleibt sein Architekt Harry Seidler, der sich dem Vernehmen nach selbst ein Apartment in seinem Wien-Projekt genommen hat.

Der Architekt aus Australien wurde in Wien geboren und hat seinerzeit bei Josef Albers und Walter Gropius studiert, mit Marcel Breuer und Oscar Niemeyer gearbeitet. Seidler emigrierte in der NS-Zeit, er fand in Australien eine neue Heimat, die sein gestalterisches Talent zu würdigen wusste. Der Exösterreicher legte down under eine erstaunliche Karriere hin und hat ein paar der interessantesten hohen Häuser Australiens gebaut. Die Rückkehr nach Wien erfolgte auf eine Einladung der Stadt, und ist, wenn schon keine so genannte Wiedergutmachung, so doch eine Wiederannäherung.

Seidlers Wohnpark will die Tradition des sozialen Wohnbaus weiterspinnen, der bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, als der Architekt seine Heimat verlassen musste, internationale Berühmtheit erlangt hatte. Harry Seidler, Wohnpark Neue Donau, Wien, Text von Wolfgang Förster, (EURO 36,00, Verlag Prestel 2002).

Die Landschaftsarchitektur ist ein breites, hochinteressantes Feld, dem man sich medial bis dato zu wenig gewidmet hat, doch das ändert sich jetzt zum Glück langsam. Die Zeitschrift Topos - European Landscape Magazine ist da eine der Vorreiterinnen, die neueste Ausgabe der Edition Topos beschäftigt sich mit Landschaftsarchitektur in Skandinavien, (EURO 37,00, Callwey 2002).

Vorgestellt werden Projekte aus Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen und sogar Island, und die ausführlichen Beiträge sind größtenteils sehr aufschlussreich, ja geradezu spannend, was Historie und Gegenwart der gestalteten Landschaft anbelangt. „Was wir heute als ,typisch finnische' Landschaft bewundern“, heißt es da etwa in einem Artikel Über die Nationalisierung von Landschaften, „ist das Ergebnis bewusster Auswahl und nationalistischer Propaganda.“ Und: „Die Naturlandschaft diente dazu, den angeblichen Pakt zwischen Nation und Natur zu illustrieren, ein Hauptthema nationalistischer Theorien.“ Wer darüber noch nicht viel weiß, sollte weiterlesen, es zahlt sich absolut aus.

Was das zeitgenössische Landschaftsbilden anbelangt, so ist unter anderem die „aktuelle Parkideologie in Dänemark“ nachlesenswert, ebenso Thorbjörn Anderssons Abhandlung über den Zusammenhang von Natur und Artefakt. „Die Kunst der Landschaftsarchitektur“, so meint er, „äußert sich in zwei Qualitäten, dem Gefühl für den Ort und dem Gefühl für die Zeit.“

Der Standard, Fr., 2002.06.14

14. Juni 2002Ute Woltron
Der Standard

Das substanzielle Wesen der Dinge und des Designs

Die Wiener Architektin und Designerin Elsa Prochazka versucht ihren Studenten der Kunstuni Linz, Design als eine neue, freie und zukunfts- trächtige Disziplin zu vermitteln

Die Wiener Architektin und Designerin Elsa Prochazka versucht ihren Studenten der Kunstuni Linz, Design als eine neue, freie und zukunfts- trächtige Disziplin zu vermitteln

Seit knapp einem Jahr unterrichtet die Wiener Architektin Elsa Prochazka an der Kunstuniversität Linz Raum- und Designstrategien, und ihre etwa 40 Studenten haben derweilen bereits einige interessante räumliche und designerische Interventionen angestellt. Zuletzt fand eine Licht-Ton-Installation der Linzer neben dem Künstlerhaus rege Beachtung in der Bundeshauptstadt.

Für Prochazka soll die Klasse, die sie nunmehr leitet, „keine Architekturklasse im klassischen Sinn sein.“ Die Wienerin findet es vielmehr „reizvoll, jenen Grenzbereich zwischen Kunst, Design und Architektur zu überschreiten und sich verstärkt dem virtuellen Raum zu widmen, der sich dem klassischen Architekturbegriff entzieht, der nicht bewältigbar ist, wenn er nicht philosophisch und theoretisch neu eingekreist wird.“

Elsa Prochazka scheint geradezu prädestiniert, junge hungrige Leute zum Denken und Designen anzuregen, zum Philosophieren und Ideenknüpfen. Kaum jemand in der Architektur- und Designbranche argumentiert schärfer, präziser und unbarmherziger als sie.

Wie definiert man also als Formgeberin im weitesten Sinne den Begriff Design? Prochazka: „Design ist auf keinen Fall eine ästhetische und formale Frage, wir versuchen vielmehr dem substanziellen Wesen der Dinge und Gedanken auf den Grund zu gehen. Das geht bis zur Hinterfragung der Wesenhaftigkeit des Menschen, des designten Körpers, der gentechnologischen Umformung, der Konstruktion eines Menschenbildes, das in der Mythologie beginnt. Dabei erkennt man rasch, wie man von diesem vorhin angesprochenen formalen Ansatz wegkommt, und zu diesen Gedankengängen versuche ich die Studenten zu animieren.“

Was nunmehr die Prochazkasche Klasse namens „Raum und Objekt“ ist (auf den genauen Titel konnte man sich noch nicht letztgültig einigen, was zur Schärfung des Designbegreifens dazugehört), war vorher die Metallklasse von Helmuth Gsöllpointner. Das trifft sich insofern gut, als Prochazka dem Material einen besonderen Stellenwert einräumt. Die vorhin erläuterten „abstrakten Gedankenmuster“ sollen einen „Bezug zur Materialwahl“ darstellen, da, so die Professorin, in den Zeiten der digitalen Superdarstellungsmöglichkeiten „der Prozess des Umsetzens im Allgemeinen sehr vernachlässigt wird.“

Tatsächlich. Dieser Trend ist selbstverständlich auch in der Architektur ablesbar. Renderings ersetzen Fotos, Projekte ersetzen die Wirklichkeit. Wird jedoch ein Entwurf von der abstrakt-digitalen Ebene in die Realität geworfen, also umgesetzt, so verliert er oft diesen Digitalreiz, und die interessantesten Digi-Bildchen erweisen sich in 3D als platt und unflott. In der Ex-Metall-Klasse soll also materialmäßig ausgeweitet und intensiviert werden, wobei, so Prochazka, das innovative Grundklima, das in der Technologie-und Neue-Medien-Stadt Linz herrsche, der Sache sehr zupass komme.

Doch noch einmal zurück zum Digitalen und seinen Auswirkungen. Prochazka: „Was den Virtuellen Raum anbelangt, so ist die erste Phase der Euphorie abgeschlossen, sie hat das Empfinden und das Wahrnehmen stark verändert, was wiederum Auswirkungen auf die Generierung der reellen Welt hat. Dieser Slashback wird in der Zukunft sehr interessant werden.“

Bleibt freilich auch die Frage, für welchen Beruf die Studenten in Linz letztendlich ausgebildet werden? Das, so meint Elsa Prochazka, sei die spannendste Frage überhaupt und gar nicht so leicht zu beantworten. Denn neue Berufsbilder würden sich herausbilden, und ihre Studenten „fit zu machen für diese in Entstehung begriffenen neuen Berufe“, dafür würde sie gerne antreten. Der Begriff des Designers sei mittlerweile dermaßen diversifiziert, dass man ihn wieder ein wenig straffen und konzentrieren müsse. „Ich verstehe den Begriff Design jedenfalls stark als Raumbegriff, auch im privaten, virtuellen, soziologischen Raum, und weniger in Zusammenhang mit Löffeln und Gabeln. Obwohl ich mich nun schon seit über zwanzig Jahren damit intensiv auseinandersetze, habe ich nie eine enge, pragmatische Begrifflichkeit entwickelt.“ Und das ist wahrscheinlich genau ihre Stärke.

Der Standard, Fr., 2002.06.14

14. Juni 2002Ute Woltron
Der Standard

Architektur als Verantwortung

Shigeru Ban erfand das Papierhaus auf Bierkisten und bescherte damit Tausenden Flüchtlingen menschenwürdige temporäre Unterkünfte. Warum er unzufrieden wäre, würde er nur für die reiche Klientel bauen, erklärte er im Gespräch mit Ute Woltron.

Shigeru Ban erfand das Papierhaus auf Bierkisten und bescherte damit Tausenden Flüchtlingen menschenwürdige temporäre Unterkünfte. Warum er unzufrieden wäre, würde er nur für die reiche Klientel bauen, erklärte er im Gespräch mit Ute Woltron.

Im Universum der internationalen Spitzenarchitekten nimmt der Japaner Shigeru Ban eine Sonderstellung ein. Erstens ist der Mann aus Tokio mit 45 Jahren vergleichsweise immer noch ein Architekturjüngling, zweitens ist er trotz kometenhaften Aufstiegs auf erfrischende Weise bodenständig geblieben. Diverse Sozialprojekte wie rasch und preiswert produzierte Flüchtlings-und Notunterkünfte für Ruanda 1994 und Kobe nach dem Erdbeben 1995 sowie der unkonventionelle Einsatz von Billigmaterialien wie Papier als Konstruktionsstoff und Bierkisten als temporäres Fundament haben den Japaner sehr rasch international bekannt gemacht.

Aufsehen erregte Shigeru Ban zuletzt mit dem japanischen Pavillon für die Expo in Hannover, für den er Papierrohre zu einem elegant-gewagten riesigen Hallenkonstrukt verband. Für betuchte japanische Klienten baute er in den letzten Jahren klare, unverwechselbare und stets mit Details und Konstruktion überraschende Villen. Derzeit arbeitet der Architekt an so unterschiedlichen Aufgaben wie einer Schule für die Unicef im Süden des Sudan, einer Parkanlage in St. Louis, Missouri, oder einem Museum im französischen Dijon.

Am Dienstag war der international gefragte Bauvirtuose zu Gast am Institut für Raumgestaltung der TU Wien, um einen Vortrag zu halten. Zuvor traf DER STANDARD Shigeru Ban zu einem Gespräch.
STANDARD: Sie sind unter den so genannten Architektur- stars derzeit einer der Jüngsten. Wie konnten Sie dermaßen rasch international reüssieren?
Shigeru Ban: Ich arbeite ja immerhin schon seit 17 Jahren als Architekt. Ich denke aber, dass ich vor allem durch meine Flüchtlingsunterkünfte aus Papier Einfluss bekommen habe, denn erstens war die Wahl des Materials ungewöhnlich, zweitens zeichnen sich Architekten nicht oft durch humanitäre Arbeit aus.

STANDARD: Während Ihre schillernden Zeitgenossen für reiche Auftraggeber Einzelobjekte schmieden, haben Sie unaufgefordert für mittellose Massen gebaut und wurden erst später von Klienten für Projekte engagiert. Welche Art zu arbeiten ist Ihnen retrospektiv sympathischer?
Ban: Architekten haben immer schon fast ausschließlich für Privilegierte, Reiche, Könige und große Unternehmen gearbeitet. Das ist auch heute noch so. Ich denke aber, wir Architekten sollten darüber hinaus eine Verantwortung wahrnehmen und unser Wissen und unsere Erfahrung auch an die Gesellschaft weitergeben, also an diejenigen, die sich eine solche Architektur eigentlich nicht leisten können. Ich fand dieses Einzelauftraggebertum immer unbefriedigend und habe einen Weg gesucht, um gesellschaftlich aktiv zu werden.

STANDARD: Sie haben für Ruanda Notunterkünfte aus Papierrollen gebaut, das Fundament stellten Bierkisten dar. Diese Häuser waren billig, funktional, sauber, haltbar. Solche Ideen haben zwar andere auch, aber wie konnten Sie Ihre Vision realisieren?
Ban: Die Leute haben damals Bäume gefällt, als Unterkonstruktion verwendet und mit Plastikplanen Hütten gebaut. Das war ökologisch natürlich eine Katastrophe und auch sonst unbefriedigend. Ich bin nach Genf gefahren und habe meine Pläne dem UN-Commissioner for Refugees vorgelegt, und tatsächlich war mein Vorschlag genau das, was man gesucht hatte: Papier gibt es überall, Bierkisten auch, das Assemblieren ging rasch, alles war sehr billig. Im Jahr darauf passierte das Erdbeben in Kobe, wo ähnliche Unterkünfte verwendet wurden.

STANDARD: Japan hat dankbar Ihre Erfindung aufgegriffen?
Ban: Aber nein, ich habe die Mittel selbst aufgebracht, indem ich in Radio und TV auftrat und um Spenden bat. Die Leute haben damals wieder unter Plastikplanen in Parks gelebt, weil die Notunterkünfte am Stadtrand lagen und sie von dort aus ihrer Arbeit im Zentrum nicht hätten nachgehen können. Teilweise waren die Papierhäuser bis zu zwei Jahre lang bewohnt.

STANDARD: Sie haben in den USA studiert, warum sind Sie nach Japan zurückgegangen?
Ban: Zufall. Meine Mutter brauchte ein kleines Haus - mein erster Auftrag. Als das fertig war, kamen die nächsten, und ich konnte gar nicht mehr weg. Rückblickend sehe ich das als ein großes Glück an, denn in den USA ist zwar die Ausbildung vorzüglich, doch es gibt im Gegensatz zu Japan kaum Möglichkeiten für junge Architekten. Hier ist es selbstverständlich, dass auch die Mittelschicht Architekten für ihre Häuser anheuert, während das etwa in Europa nur die Reichen tun, und die wollen zumeist nur Konventionelles.

STANDARD: Die neuen japanischen Wohnhäuser haben auch hier Berühmtheit erlangt. Dabei ist der Beruf des Architekten in Japan eigentlich neu.
Ban: Genau. Es gibt keine Geschichte der Architektur in Japan, doch der Lebensstil ändert sich rasant, was neue Häuser erfordert und dem neuen, hier vielleicht hundert Jahre alten Beruf des Architekten viele Aufträge beschert. Meine Großeltern lebten noch in einem traditionell japanischen Haus mit Tatami-Matten. Meine Generation will das nicht mehr. Außerdem entstehen laufend neue, immer kleinere Grundstücke, da die Erbschaftssteuer so hoch ist, dass meist die Hälfte des geerbten Grundstücks verkauft und neu verbaut wird.

STANDARD: Sie selbst haben neben den Billigunterkünften einige sehr elegante und auch teure Häuser gebaut. Worauf kommt es Ihnen in Ihrer Architektur eigentlich an?
Ban: Formales Design interessiert mich nicht. Ich will Materialien überraschend einsetzen, ich will neue Konstruktionen finden und gemeinsam mit dem Material ein neues Vokabular entwickeln. Derzeit arbeite ich etwa mit kunstharzverstärktem Bambus, dessen Tragkraft zwischen der von Holz und Stahl liegt. Ich versuche gerade eine Schule für die Unicef im Sudan so zu konstruieren, wende dasselbe Material aber auch in China an, wo neben der Großen Mauer ein exklusives Villenviertel entsteht.

STANDARD: Wie gehen Sie im Stararchitektenzirkus mit Ihrer Popularität um?
Ban: Viele Leute werden arrogant und produzieren nur noch Mist. Ich versuche sehr sorgfältig, das zu vermeiden. Ich will auch für kleine Projekte enthusiastisch bleiben.

Der Standard, Fr., 2002.06.14



verknüpfte Akteure
Shigeru Ban Architects
Ban Shigeru

01. Juni 2002Ute Woltron
Der Standard

Zwei Streithanseln, ein Bastard

Soll es einen Kompromiss in Sachen Kleines Festspielhaus Salzburg geben? Diverse Stimmen aus der Architektur werden laut, und die einhellige Antwort auf die Frage lautet klar und deutlich: Nein.

Soll es einen Kompromiss in Sachen Kleines Festspielhaus Salzburg geben? Diverse Stimmen aus der Architektur werden laut, und die einhellige Antwort auf die Frage lautet klar und deutlich: Nein.

Das Kleine Festspielhaus in Salzburg harrt weiter der Bearbeitung, und wer schlussendlich die Bearbeiter sein werden, könnte bis 15. Juli vielleicht feststehen. Bis dahin mögen sich, so die Bitte des juristisch von allen Seiten umgarnten und gewissermaßen paralysierten Festspielkuratoriums, die Herren Hermann & Valentiny, Wimmer, Zaic sowie Wilhelm Holzbauer einander annähern und feststellen, ob ein gemeinschaftliches Projektieren möglich sei. Sollte das der Fall sein, hat Wilhelm Holzbauer zwar das Verfahren als Zweitgereihter verloren, sämtliche Nachspiele aber auf allen Ebenen gewonnen. Innerhalb der Architekturszene hat sich der Wiener Planer mit seinen juristischen Brachialaktionen allerdings eher an die Wand gespielt. Das ALBUM versuchte eine bundesweite repräsentative Umfrage zum Thema. Holzbauer-Befürworter fanden sich nirgendwo, im Gegenteil, die juristischen Einsprüche des Zweitgereihten Holzbauer gegen die Sieger erregt allgemein Unwillen. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, am 16. Juli wird man weitersehen.

Peter Lorenz, Innsbruck
Es ist unglaublich wichtig, dass die Gewinner dieses Wettbewerbs auch den Auftrag bekommen. Das ist wichtig für die ethische und politische Situation, für die Architektur und letztlich auch für die Zukunft unserer Gesellschaft. Denn es muss so etwas wie einen allgemeinen Konsens des gegenseitigen Umgangs geben, das Bewusstsein, dass unsere Gesellschaft auf ethischen Grundsätzen aufgebaut ist. Ich persönlich will überhaupt nicht wissen, wer das bessere Projekt entworfen hat, es gab eine eindeutige Jury-Entscheidung, und alles andere, als die zu akzeptieren, wäre unfair und unkorrekt. Wilhelm Holzbauer spielt mit dem Feuer, weil er die ethischen Prinzipien unserer Gesellschaft, die für ihr Funktionieren so wichtig sind, mit seinen Aktionen in Frage stellt. Jede Attacke auf dieses Prinzip stellt nichts anderes als einen Rückschritt dar, einen Schritt zurück in die Anarchie.

Adolf Krischanitz, Wien
Wettbewerbe haben ihre Unschuld verloren. Für diesen Wettbewerb kam es zum größtmöglichen Unfall. Das Wettbewerbsergebnis „Festspielhaus Salzburg“ wurde durch den Zweitplatzierten angefochten, und er bekam recht. Zur Schadensbegrenzung versucht man, beiden Teilnehmern gemeinsam den Auftrag zu geben. Was heißt das nun? Muss sich der Teilnehmer haarklein an jede Ausschreibung halten, da er sonst ein Verfahren riskiert? Kann hinter der Überschreitung bestimmter Ausschreibungsgrenzen nicht auch eine Haltung stehen? Kann sich eine Jury über die oft zu engen Grenzen einer Ausschreibung hinwegsetzen? Wie kann jemand ein Ergebnis einklagen, das noch geheim war? Architekturwettbewerbe sind an sich schon schwindelerregende Verfahren in der heutigen Zeit und gehen hart an die materielle und psychische Substanz der Architekten. Sollte dieser Vorfall Schule machen - und dies ist möglich -, wird jedes Ergebnis anzweifelbar, jeder Formfehler zur Falle und jedes Verfahren zur juristischen Spitzfindigkeit. Wettbewerbe bauen letztlich auf gegenseitigem Vertrauen auf. Wenn nicht, sind sie zu vergessen. Sie müssen bei aller Problematik ein vertrauensvolles Agreement zwischen Bauherrn und Architekten bzw. zwischen Architekten sein. Offensichtlich sind sie nicht zu ersetzen und erfordern daher einen Umgang auf hohem ethischem Niveau von allen Beteiligten. Eigentlich kann man nur die Randbedingungen verbindlich klären und die drei erstrangierten in eine Überarbeitungsrunde schicken.

Manfred Wolff-Plottegg, Graz
Ein Herumdoktern im Nachhinein kann der Sache nur schaden, und ein Zusammenfügen von unterschiedlichen Beiträgen zu einem gemeinsamen neuen Projekt ist für mich fachlich in keiner Weise nachvollziehbar. Es kann sich in diesem Fall nicht mehr um ein architektonisches Konzept handeln, sondern um ein wirtschaftliches Kooperationsmodell. Holzbauers Attitüde des Erbrechts und der Revierverteidigung sind nicht auf einer architektonischen Ebene, sondern auf einer Managementebene auszutragen. Das passiert aber nicht, und genau das ist das Üble. Holzbauer hat das Recht, seine Architektur zu verteidigen, wenn aber ein anderes Projekt und eine andere Architektursprache zum Sieger gewählt wurden, müsste er das akzeptieren.

Gustav Peichl, Wien
Es findet momentan in der Architekturszene eine eigenartige Entwicklung statt. Architekt A gewinnt einen Wettbewerb, Architekt B regt sich auf. Architekt B gewinnt einen Wettbewerb, Architekt A regt sich auf. Ich bin über die Situation in Salzburg nicht genau informiert und kann dazu keine seriöse Aussage machen. Ich kann nur sagen, dass es mir persönlich unangenehm ist, wie sich die Architekturszene zu zerfleischen beginnt. Die Architekten sind die Prügelknaben der Nation geworden, und sie sind selbst schuld daran, weil sie immer aufeinander eifersüchtig sind. Zu Holzbauer muss aber eines gesagt werden: Er wähnt sich als legitimer Holzmeister-Nachfolger. Und das ist er auch, was seine Kraft, seine Persönlichkeit und seine Qualitäten als Powerplayer anbelangt. Ich verstehe, dass er getroffen ist. Ich verstehe aber nicht, dass allgemein diese miese Art in der Architektenschaft so überhand nimmt.

Klaus-Jürgen Bauer, Eisenstadt
Ich bedaure generell die zunehmende Dominanz der Rechtsanwälte über die Architekten. Es ist eine auffällige Tendenz, dass, etwa auch bei Honorarverhandlungen, die Juristerei immer dominanter wird. Im Falle Salzburgs muss festgestellt werden, dass es absurd ist, dass niemand die Projekte kennt, um die gestritten wird, und die Salzburg vielleicht in den nächsten hundert Jahren dominieren könnten. Die Öffentlichkeit hat überhaupt keine Möglichkeit, hier mitzureden, die Fachjury muss sich den Juristen unterwerfen, und das ist eine insgesamt bedauerliche Entwicklung. Der Wettstreit der Ideen wird aufgegeben zugunsten juristischer Bluffs und Tricks.

IG-Architekten, bundesweit
Das Wettbewerbswesen hat sich im letzten Jahrzehnt gravierend verschlechtert, eine Rückholaktion ist dringend notwendig. Wettbewerbe wie das Kleine Festspielhaus in Salzburg sind eine vorübergehende Krankheit. Es wird wieder Wettbewerbe geben, die es wert sind, auch solche genannt zu werden. Es wird wieder Politiker geben, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Es wird wieder Auslober geben, die Wettbewerbe so seriös vorbereiten, dass sie sattelfest sind, und sich auf Inhaltliches konzentrieren. Es wird wieder die Gemeinschaft der Kollegen geben, die eine Wettbewerbsentscheidung anerkennen. Es wird wieder Wettbewerbe geben, die die Öffentlichkeit durch ihr gutes Ergebnis bewegen und nicht durch nachfolgenden Streitigkeiten. Es wird immer Architekten geben, die in gutem Glauben und unter vollstem Einsatz Wettbewerbe bestreiten. Die ig-architektur/wettbewerbsgruppe beobachtet und dokumentiert Wettbewerbe und hofft in Zukunft vermehrt über positive Beispiele berichten zu können.

Marie-Therese Harnoncourt, Wien
Es ist ein Wahnsinn, dass ein Verfahren in dieser Form ausgehebelt werden kann. Der politische Druck durch Holzbauer ist offenbar so groß, dass sich die Jury nicht behaupten kann. Wenn die Entscheidung einer Jury mit der Handbewegung gewisser Personen einfach hinweggefegt werden kann, dann führt sich das Wettbewerbswesen ad absurdum. Man hat hier schon das Gefühl, eine mächtige Privatperson habe hier alle Möglichkeiten in der Hand, und für die gesamte Archtiekturszene ergibt sich eine schwierige Situation, wenn solche Sachen möglich werden.

Klaus Kada, Graz
Was da passiert, ist fatal. In einer Zeit, in der von Architekten gezeichnete Projekte bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden von Controllern und Erbsenzählern, ist ein Streit zwischen Architekten fatal, und zwar für die Architektur, für das Vertrauen der Bauherren und für das gesamte Architekturklima. Holzbauers Vorgangsweise ist falsch, um sie nicht kindisch zu nennen. Man muss auch einmal verlieren können. Vorfälle wie dieser beginnen sich zu häufen, und komischerweise sind immer die selben Personen beteiligt. Über Salzburg lacht die ganze Welt, ich werde international ständig darauf angesprochen. Ich empfinde es als unglaublich, dass sich jemand zu so etwas hinreißen lässt, dass aus Sentimentalität und falsch verstandenem Historismus das Vehikel der Juristerei bemüht wird. Solchen Methoden muss Einhalt geboten werden, Streitigkeiten auf diesem Niveau schaden der gesamten Berufsgruppe, und außerdem ist es ein Stumpfsinn, jetzt zwei Streithanseln einen Bastard machen zu lassen. Denn mit Sicherheit wird nicht einmal Durchschnittliches dabei herauskommen.

Der Standard, Sa., 2002.06.01



verknüpfte Bauwerke
Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

28. Mai 2002Ute Woltron
Der Standard

Mikro-Makro-Shoppingkosmos

Einkaufen ist für die einen zum Freizeitspaß Nummer eins geworden und hat sich für die anderen zum Mega-Geschäft entwickelt. Entsprechende Shoppingarchitekturen halten die Städte umklammert, Einkaufszentren bilden Bezirke für sich. Die architektonische Gestaltung der großen Einheiten lag lange brach, doch nun beginnt man sich gelegentlich der Qualität der Boutiquenarchitektur zu besinnen.

Einkaufen ist für die einen zum Freizeitspaß Nummer eins geworden und hat sich für die anderen zum Mega-Geschäft entwickelt. Entsprechende Shoppingarchitekturen halten die Städte umklammert, Einkaufszentren bilden Bezirke für sich. Die architektonische Gestaltung der großen Einheiten lag lange brach, doch nun beginnt man sich gelegentlich der Qualität der Boutiquenarchitektur zu besinnen.

Die Kleinen waren immer schon schlauer. Perfekt gemachte Boutiquen und Läden findet man in den Städten, seit es das Einkaufen gibt, und das hat natürlich beinharte wirtschaftliche Gründe. Schon Wiens Alt-Architektur-Heroe Adolf Loos verfasste knapp nach der Jahrhundertwende seitenlange Elogen über die wichtigsten Tugenden und Untugenden von Geschäftslokalitäten und liefert uns damit bis heute gültige Grundsätze, was man so alles zu beachten hat, will man ein funktionstüchtiges, also die Kundschaft nach Möglichkeit zum Eintreten und Gustieren verlockendes Geschäft gestalten.

Knapp hundert Jahre später verkündet der zeitgenössische Architekturheld, nämlich Rem Koolhaas, in modifizierter und in die neue Zeit übersetzter Form Ähnliches. Er erklärt das Einkaufen zur mittlerweile wichtigsten Freizeitbeschäftigung sowie zum kräftigsten Antriebsmotor für die meisten heutzutage errichteten Bauwerke. Fast 80 Prozent der Neubauten, so der kühl-analytische Holländer, hätten irgend etwas mit dem Wirtschaftsfaktor Einkaufen zu tun.

Mit anderen Worten, breite Teile der Bauwirtschaft bedienen sich gewissermaßen des Shoppingtrends. Doch wie sie das tun und in welchen Qualitäten für die Shopper produziert wird, ist eine Frage der Bauherrenkultur, und nicht der Shop-Größe.

Hans Holleins berühmter Kerzenladen in der Wiener Innenstadt wies zwar lediglich einige wenige Quadratmeter Verkaufsfläche auf, wurde aber dennoch mit den wichtigsten internationalen Architekturpreisen ausgezeichnet und ist bis heute weltweit bekannt.

Eine ähnlich liebevolle Hingabe in Sachen Gestaltung wäre im Falle der großen Shoppingzentren der Stadtränder schon allein in städtebaulicher Hinsicht wünschenswert, findet aber gewöhnlich nicht einmal in Ansätzen statt. Gebaut wird schnell und billig und ausgesprochen hässlich, was Stadtbauvisionen und Zukunftsdenken anbelangt, kurzsichtig. Das Fertiggestellte muss meist nach kurzer Zeit adaptiert und umgebaut werden, Erweiterungsbauten und Altbestände kleben konglomeratartig aneinander, die Orientierbarkeit leidet, von ästhetischen Gesamteindrücken ganz zu schweigen.

Dennoch versuchen auch große Betreiber immer öfter, architektonische Qualitäten zur Anwendung zu bringen. Noch sind die allerdings die suchenswerte Ausnahme. Ein solches Projekt, das groß und tadellos ist, steht zum Beispiel in Form eines Mega-Baumaxx in Schwechat direkt an einer Straßenkreuzung. Die Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck haben das elegante Haus geplant und umgesetzt, und in Kenntnis der üblichen Baumarkt-Fertighallen, die ohne Charisma die Verwechselbarkeit des Einkaufens zwischen San Francisco und Singapur predigen, hat diese Baumarkt-Halle mit ihrer flotten Fassade und dem stimmigen Innenleben unverwechselbare Qualitäten.


Unverwechselbarkeit

Mit diesem Wort - der Unverwechselbarkeit - mag der Schlüssel zum Thema bereit liegen. Wer durch die dicken, übervölkerten und ewig gleichen Shoppingmallsuppen dieser Welt geschwommen ist, dem mag langsam der Geschmack daran vergehen. Die großen Standard-Mall-Konzepte, die nichts anderes bieten als überdachte Einkaufsstraßen mit Menschen- statt Autoverkehrslärm, scheinen sich zwar noch nicht zu überleben, doch raffinierter gemachte Laden-Viertel, in denen die einzelnen Geschäfte mehr Profil entwickeln dürfen, machen international doch da und dort Furore.

Die Trendsetter bleiben derweilen die Kleinen, die Boutiquen. Der erwähnte Rem Koolhaas hat mit seinen Prada-Geschäften in den USA die wohl teuersten Shopping-quadratmeter der Welt gebaut, dabei das Konzept Einkaufen mit Freizeit und Kultur vermischt und weitergedreht. Auch in den städtischen Einkaufsstraßen entstehen laufend gute, kleinere bis mittelgroße Lokale, die Aufsehen erregen. Das neueste Beispiel findet sich mit einem raffinierten und soeben eröffneten Uhrmachergeschäft von Eichinger oder Knechtl in der Wiener Wollzeile. Adolf Loos hätte hier seine Thesen bestätigt gefunden.

Der Standard, Di., 2002.05.28

25. Mai 2002Ute Woltron
Der Standard

Geld, Macht und andere Helden

Die Architekten, und wie sie die Welt sehen: Unterschiedlichste Stimmungsbilder, mitgebracht aus Porto, wo das European Architects' Forum tagte.

Die Architekten, und wie sie die Welt sehen: Unterschiedlichste Stimmungsbilder, mitgebracht aus Porto, wo das European Architects' Forum tagte.

Vergangenes Wochenende fielen ganz viele junge und mittelalterliche Architekten und Architektinnen in der portugiesischen Küstenstadt Porto ein. Man veranstaltete ein dreitägiges internationales Architektenmeeting, genannt „Europe Architects' Forum“, und Baukünstler vieler europäischer Nationalitäten sprachen und diskutierten naturgemäß ausschließlich über die Szene der Architektur.

Es war viel die Rede von den erbärmlichen Qualitäten der Öffentlichkeit, der Bauherren, des Neoliberalismus, der Politik - und ganz wenig von den eigenen, und das mag bereits der Schlüssel zum Verständnis sein, womöglich sogar der, mit dem sich die Architekten den Weg in diese schöne oder hässliche neue Welt, die sie die ganze Zeit bejammerten, versperren. Zum Treffen geladen hatte eine Handvoll Architekturmagazine aus Deutschland, Frankreich, Holland, Großbritannien und Österreich, letzteres war von „Architektur Aktuell“ vertreten. Gleich zu Beginn versuchten Architekturredner all dieser Länder ihren in der Dämmerung des alten Kunstmuseums der Stiftung Serralves lauschenden Zuhörern die jeweilige Architektursituation ihrer Nation zu erläutern, und schon nach der ersten halben Stunde war einem ganz bang und weh um das Herz, war einem, als ob man nach dem Taschentuche zu fingern beginnen müsse, denn eine schwarzgekleidete Trauergemeinde schien hier Leichenreden zu schwingen, Abschiedsbotschaften zu vermitteln.

Alles ganz furchtbar. Überall große Probleme. Nirgendwo Geld. Allenorts der Aufträge harrende Architekten. Wenig Arbeit, aber viele Planer. Die depressivste Vorstellung gab eine belgische Architektin, die, vom Weltschmerz über wirtschaftliche Drücke und andere Misslichkeiten dermaßen ergriffen, fast gestützt vom Rednerpulte geführt werden musste. Auch in Holland, England, Frankreich: Überall ein Elend sondergleichen, der architektonische Weltuntergang nah, wenn nicht sogar bereits da.

Irgendwann ergriff denn auch Matthias Boeckl, seit geraumer Zeit nun schon erfolgreich und innovativ Chef von „Architektur Aktuell“, das Wort, und irgendwie schien sich der Saal sogleich zu erhellen, alles schien freundlicher zu werden. Österreich, so begann Boeckl seine lockere optimistische Rede, bestehe vor allem einmal zu zwei Dritteln aus unbebaubarem Bergland, was zur Folge habe, dass jede Stadtplanung irgendwann einmal an natürliche Grenzen stoße, und dass sie, mangels Experimentierfelder, sorgfältig betrieben werden müsse. Weiters stellte der fröhliche Gesandte unserer Nation fünf Punkte in den Raum, die einzuhalten seien, wolle man gute Architektur weiterleben lassen. Endlich. Ein Blick in eine Zukunft, und kein Stieren auf eine Vergangenheit und eine Gegenwart, in der mancher mit seinen Kräften offenbar nichts so recht anzufangen weiß.

Boeckl hingegen postulierte Folgendes: Vor allem in den Bereichen Städtebau und Wohnbau dürfe man Privatisierungen nicht übertreiben, im Gegenteil, hier sei kommunales Walten wichtig und angesagt. „Teile des Marktes müssen unbedingt unter öffentlicher Kontrolle bleiben“, so der Redner in sanfter Bestimmtheit. Des weiteren solle man nicht zu viele Aufträge an „Corporate Offices“, also architektonische Großunternehmer, man könnte auch sagen Architekturmarkenzeichen, vergeben, und, ganz wichtig, die Ausbildung dürfe keine Sekunde lang vernachlässigt werden. Im Gegensatz zu Großbritanniens Superstars wie Norman Foster oder Richard Rogers geben sich heimische Baugrößen wie Hans Hollein oder Wolf Prix schon gern die Ehre, ihre Lehre auf den Universitäten zu verbreiten. In den USA und England tun das vor allem Theoretiker, die nie gebaut haben, was gut und schön ist, aber nur einen kleinen Teil des Architekturspektrums abdecken kann. Fünfter boeckelscher Punkt: Nie sei das rurale Umland der Städte zu vernachlässigen. Immerhin kann man ja sagen, dass außer Wien eigentlich alles an Österreich eher der ruralen Szene zugeordnet werden darf. Manche behaupten sogar, man könne auch Wien mit einrechnen. Wie auch immer. Das Land bleibt nur so lange architektonische Wüste, solange sich niemand, der sich in der Sache auskennt, aktiv darum bemüht. Womit wir uns dem Kern dieser Geschichte langsam nähern.

Matthias Boeckl erntete jedenfalls Applaus und geheimes Staunen. Die völlig devastierten Holländer, hierzulande seit Jahren vielbestauntes Neidobjekt aller Planer, seit Pim Fortuyns Ermordung komplett aus der Bahn geworfen, setzten geradezu sehnsuchtsvolle Blicke auf und versprachen, sich mehr um Österreich zu kümmern, ja „künftig tiefere Blicke“ (Harry Abels) in dieses nunmehr fast exotisch anmutende Architekturland zu tun.

Dieses war der erste Tag. Die einen ließen ihn bei konspirativen Gesprächen und roten Weinen ausklingen. Die anderen taten das, was Architekten immer tun, wenn sie in der Fremde sind: Architekturanschauen. Das ist in Porto ein ganz lohnendes Feld, denn hier hat immerhin der portugiesische Weltarchitekt Álvaro Siza sein Büro und auch Einiges gebaut.

Ein paar Architekten, unter ihnen der Tiroler Wolfgang Pöschl (nicht zu verwechseln mit Hanno Schlögl, der seinerseits mit Hanno Pöschl nichts zu tun hat, womit sich der Kreis schließen sollte), trugen schwer an diesem Abend. Einer der Kollegen, ein Brite, hatte beim Durchwandeln der engen Porto-Gässchen plötzlich in einer Auslage genau jene raffiniert feinen Türschnallen erblickt, wie sie der vorhin genannte Siza so gerne in seinen Gebäuden zu verwenden pflegt. Man trat sofort ein, errechnete hastig die Anzahl der Türen in Projekten und eigenen Häusern, packte große Kisten, nestelte nach Kreditkarten, musste doch zur Bank, schleppte schließlich beschwert und erleichtert die Last ins Hotel.

Wolfgang Pöschl half dabei, und die selbe energisch-demokratische Kraft, die er kistenstemmend an den Abend legte, wohnte ihm inne, als er am nächsten Morgen im Dämmerlicht des Kunstmuseums seinen Vortrag in Angriff nahm. Vielleicht war er noch ein wenig enerviert von der Jammerei des vergangenen Tages, vielleicht aber auch nicht. Sein Vortrag jedenfalls war berauschend und sympatisch, offen und optimistisch. Seit etwa fünfzehn Jahren, so erzählte er in speckknödeligem Englisch, gebe es etwa 40, 50 Leute in Tirol, die beschlossen hätten, gute Architektur zu machen. Und das sei gelungen. Entgegen den ewigen Unkenrufen sei der „Markt für gute Architektur genau so endlos wie der für schlechte“, man müsse nur anfangen, losarbeiten und „dort hin gehen, wo gar nichts erwartet wird“.

Dann behauptete Pöschl etwas, das nicht nur für die Architektur gilt, sondern auch für Neoliberalismus, Turbokapitalismus und all die anderen Medusen, angesichts derer Zauderer aller Diszipline augenblicklich zu Stein erstarren. Pöschl sagte: „Stark hat uns die Respektlosigkeit gemacht. Die Respektlosigkeit vor Geld, Macht und anderen Helden. Denn der gesamte Prozess des Bauens basiert letztlich auf den Handlungen von Individuen.“ Sofort erhielt der Tiroler Zustimmung aus den nicht so architekturprominenten Teilen dieses vereinten Europa. Alan Jones, ein Architekt aus Nordirland, erklärte sein Land für eine architektonische Totalwüste, doch sei es aufgrund individueller Anstrengungen sehr wohl gelungen, ordentliche Projekte zu realisieren und eine Verfeinerung und Verfreundlichung des Bauklimas herbeizuführen. Ein Kollege aus Manchester stimmte uneingeschränkt zu. Außer Fußball sei in seiner Heimatstadt keine Kultur zugegen, die Wohnbautradition eine schlichte Totalniederlage. Dennoch habe individueller Einsatz mehrerer Architekten einige solide Wohnmodelle und Anlagen produziert. Wer darauf warte, gerufen zu werden, der habe seinen Beruf verfehlt.

Die auftragsmäßig verwöhnteren und schon leicht primadonnenhaften Holländer staunten. Der ebenfalls aus Österreich angereiste Gerhard Mitterberger legte noch ein Schäuflein drauf: Damit ein Projekt langfristig angenommen werde, müsse der Architekt als Kommunikator fungieren, immer wieder erklären, Kontakt zu den Leuten halten. Damit die schließlich das Gefühl hätte, es sei „ihr“ Projekt. Die heulsusige Belgierin Martine De Maeseneer hatte kurz zuvor noch von der „großen Gefahr“ gesprochen, die „Leute zu sehr in das Baugeschehen zu involvieren, weil die Qualität darunter leiden könnte“. Was für ein Schwachsinn. Wenn Architekten mit dieser Geisteshaltung zu Werke schreiten, dann wird ihre Profession zu Recht von den Mühlen des Kapitals und des Marktes zermalmt werden.

Der Standard, Sa., 2002.05.25

18. Mai 2002Ute Woltron
Der Standard

Drei D und Idee

Mit einer Architekturausstellung wird kommende Woche der Normalbetrieb im neuen Kulturinstitut New York aufgenommen. Gestellt wird die Frage: Was ist modern?

Mit einer Architekturausstellung wird kommende Woche der Normalbetrieb im neuen Kulturinstitut New York aufgenommen. Gestellt wird die Frage: Was ist modern?

Österreichs fesches neues Kulturinstitut in New York erlebt kommende Woche seine erste große Ausstellung, und es ist kein Zufall, dass es sich um eine Architektur-Schau handelt. Architektur renommiert hier in der Architektur, und wieder einmal wird klar, dass die Baukunst, hierzulande so oft geschmäht und schmählich behandelt, eines der wichtigsten Kulturexportgüter der Nation ist. In Drei D und in Idee.

Raimung Abrahams skulpturaler Bau hat, wie das so üblich ist, international mehr Furore gemacht als hierzulande, hat mehr Anerkennung vorort von Fachleuten und Laien sonderzahl bekommen als bei den Kollegen in Wien. Die Nicht-Kollegen haben vor allem über die tatsächlich enormen Kosten gemault und die Kunstfertigkeit des Gebäudes übersehen. Doch wie auch immer - die österreichische Architektur hält Einzug in der Abrahamschen, als Kurator fungierte Otto Kapfinger.

Er hat mit Dieter Henke und Marta Schreieck, Christian Jabornegg und András Pálffy sowie Florian Riegler und Roger Riewe aus vielen anderen drei vorzügliche Teams ausgewählt, was aber, mit Verlaub, schon ein wenig willkürlich erscheint. Andererseits muss ja mit dem Ausstellen begonnen werden, und so groß die Masse guter Architekten hierzulande ist, so klein ist ja bekanntlich das Kulturforum.

Die nunmehr hier Ausgestellten sind allesamt etabliert und bekannt und haben, jedes Team für sich, für hocherfreuliche Architekturleckerbissen gesorgt. Diese Architekten sind weder jung noch alt, weder betont experimentell unterwegs noch irgendwie konservativ. Sie stehen so gesehen tatsächlich repräsentativ für jene vergleichsweise dicke Architekturschlagobersschicht, derer sich Österreich erfreuen kann, und sind trotzdem lauter Individualisten geblieben.

Henke & Schreieck haben nicht nur besonders gelungene Wohnbauten realisiert, sondern mit der Universität in Innsbruck geradezu Aufsehen erregt. Jabornegg & Pálffy konnten mit ihrem teils unterirdisch gelegenen Museum am Judenplatz eine der wohl subtilsten Architekturen der Bundeshauptstadt zum Leben bringen und mit dem Bankhaus Schöller demonstrieren, wie viel Geld mit viel Architektur veredelt werden kann. Riegler Riewe schließlich wurden durch ihren freundlich-hochtechnologischen Flughafen in Graz bekannt und sind unter anderem für den derzeit noch in Arbeit befindlichen eleganten Neubau des Innsbrucker Hauptbahnhofes zuständig.

Otto Kapfinger nennt seine Schau „Transmodernity“, und er will mit dem Gezeigten gewissermaßen einen Kurs abstecken, den Diskurs zwischen der Moderne gestern und der von heute oder gar morgen aufzeigen. Architekturtheoretiker Bart Lootsma schreibt in seinem Beitrag zum gleichnamigen Katalog dazu: „Die Spannung zwischen Modernität und Tradition muss im täglichen Leben aus-gefochten (sic) werden.“ Modernität und Moderne würden behutsam reflektiert, jedoch „selten auf die Spitze getrieben oder provoziert“.


[„Transmodernity. Austrian Architects“, Eröffnungs-
ausstellung des Austrian Cultural Forum New York in
Kooperation mit dem Architektur Zentrum Wien, 23.5. bis 12. 8. Ab 29. 8 ist die Schau im Az W zu sehen.]


1 Die Ausstellung Transmodernity geht unter anderem der Frage nach, was „modern“ sei. Was bedeutet für Sie Modernität im Jahr 2002?

2 Und was verstehen Sie in der Architektur unter dem Begriff „Modisch“?

3 Inwieweit sehen Sie sich als „österreichische“ Architekten - Sie repräsentieren ja nun quasi die Baukultur des Landes in New York?

4 Die heimische Architekturvergangenheit scheint mit Loos & Co. hierzulande omnipräsent: Bedeutet sie Ihnen persönlich eigentlich etwas, oder halten Sie Ihre Fühler eher doch in internationale Gefilde gestreckt?

5 Gibt es heute so etwas wie eine "österreichische Architektur?

6 Wenn ja: Was zeichnet sie aus? Wenn nein: Warum gibt es sie nicht?

7 Österreich legt Wert darauf, Kulturnation zu sein, und gibt etwa gegenüber den Niederlanden die dreifache Summe für Kultur aus.
Ist etwas von diesem - offenbar auch politisch budgetär gesteuerten - Kulturluxus in der
Architektur spürbar?

8 Sie gehören einer mittelalterlichen Architektengeneration an, die eigen-PR-mäßig im Gegensatz zu den älteren 60er-Jahre-Radikalos und auch den heute ganz jungen Nachwuchskräften eher leise tritt. Warum?

9 Warum machen Sie Architektur, und was wollen Sie damit „bewirken“?

10 Was bedeutet die Einladung, in New York auszustellen, für Sie?


Jabornegg-Pálffy

1 Ein wichtiger Bezugs- und Ausgangspunkt, über den wir mit den heutigen Mitteln weiterarbeiten.

2 Ein absehbares Verfallsdatum dilettantischer Ambitionen.

3 Wir sind Architekten und Österreicher. Unsere Arbeiten sind aber hoffentlich in einem internationalen Kontext auch lesbar.

4 Auf Fischer von Erlach möchten wir da auch noch hinweisen - ansonsten ist Qualität in der Architektur kein regionales Erlebnis.

5 Es gibt eine hohe Produktionsdichte, die teilweise auch im internationalen Kontext wahrnehmbar ist.

6 Eine ausgeglichene Korrespondenz zwischen räumlicher Qualität und Ausführung.

7 Der Löwenanteil dieses Budgets wird für Theater und Oper ausgegeben. Dies ist leider auch in der Architektur spürbar.

8 Die Sprache der Architektur ist mit gutem Grund eine leisere geworden. Das bedingt aber kein leiseres Auftreten.

9 Um einen Beitrag zur Verbesserung von Lebensbedingungen zu leisten.

10 Große Freude.


Henke & Schreieck

1 Da sind wir nach wie vor bei Josef Frank: „Modern ist nicht ein Stil, sondern das, was uns vollkommene Freiheit gibt.“

2 Trendig, kurzlebig - ist morgen schon von gestern.

3 Wir sind durch unsere Ausbildung bei Rainer und Achleitner beeinflusst und geprägt. Dieser Hintergrund ist sehr „österreichisch“ und auch nicht.

4 Sowohl als auch.

5 Es gibt ausgeprägte lokale Szenen und prägnante Einzelpositionen

6 Eigenständigkeit, Differenziertheit.

7 Kaum.

8 Für uns zählt das Gebaute - nicht die Selbstdarstellung.

9 Architektur bietet uns die phantastische Möglichkeit, an der Gestaltung unseres Lebensumfeldes aktiv mitzuwirken. In diesen Lebensräumen sollten sich die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Interessen möglichst frei entfalten können.

10 Eine wohltuende Anerkennung unserer Arbeit.


Riegler Riewe

1 Eine Suche nach „formenlosen“ Konzepten für Nutzungsmöglichkeiten.

2 Das, was heute schon gestern ist.

3 Es ist unumstritten, dass das engere Umfeld der Arbeit wesentlichen Einfluss nimmt. Wir sehen es aber eher „mitteleuropäisch“ als speziell
„österreichisch“.

4 Unsere Gefilde sind überregional, was jedoch nicht unbedingt mit Entfernung gleichzusetzen ist.

5 Es lassen sich fein differenzierte Abstufungen im Architekturgeschehen im mitteleuropäischen Raum feststellen, aber eine „österreichische Architektur“ gibt es nicht.

6 Ergeben viele Dialekte zusammen eine „österreichische“ Sprache?

7 Kultur ist nicht unbedingt vom Budget abhängig - die Generierung von Kultur noch weniger!

8 Das war uns nicht bewusst. Stimmt das?

9 Unsere gedachten und realisierten Fragmente könnten zum Nachdenken anregen.

10 Viel Ehre!!

Der Standard, Sa., 2002.05.18

12. Mai 2002Ute Woltron
Der Standard

Opa unser

Walter Pichler hat ein Haus neben der Schmiede seines Großvaters gebaut und, wie Péter Esterházy in verschämtem Zynismus meint, einen „Nostalgieausflug zum vergessenen Schauplatz seiner Kindheit“ unternommen. Was ein heikles Dichterthema ist, nämlich die Wanderung zurück und zu sich selbst, nimmt der Bildhauer dagegen ganz unbefangen.

Walter Pichler hat ein Haus neben der Schmiede seines Großvaters gebaut und, wie Péter Esterházy in verschämtem Zynismus meint, einen „Nostalgieausflug zum vergessenen Schauplatz seiner Kindheit“ unternommen. Was ein heikles Dichterthema ist, nämlich die Wanderung zurück und zu sich selbst, nimmt der Bildhauer dagegen ganz unbefangen.

Vergessen? Vergessen soll er den Schauplatz seiner Kindheit haben? Von Vergessen kann überhaupt keine Rede sein. Wer die Gnade hatte, als Kind in der Werkstatt seines Großvaters zeitlose Stunden zu verbringen, wer mit ölig-schweren Gerätschaften hantieren und den Duft von Holz, Terpentin, heißem Metall atmen durfte, wer mit der geschäftigen klappernden Friedlichkeit des konzentrierten Handwerkens ein Stück mitgewachsen ist, der ist gebenedeit unter den Enkeln, und zwar unvergesslich und sein Leben lang.

Der Künstler und Bildhauer Walter Pichler ist das sowieso, und Enkel ist er außerdem. Sein Großvater selig hatte seinerzeit eine Schmiede in Südtirol betrieben, ein altes, vom Anblick her idyllisches Ding in einem, wie man sagt, wildromantischen Tal. Die Wildromantik hörte auf, als Mussolini kam und die Zeit des Handwerks ging, als man eigentlich nichts mehr zu arbeiten und auch nichts Wesentliches zu Beißen hatte. Da verließ man das schöne Eggental nahe Bozen, ging nach Norden und nahm, wie man ebenfalls so sagt, die Erinnerung an den Ort mit. Und was man mitnimmt, das gehört einem.

Zum Beispiel die starken Bilder jener Kraftwerksarchitektur, die von den Faschisten in das enge Tal gestellt worden war, oder die feine, viel ältere Konstruktion des Wasserganges, der die Kräfte des Flusses auf das Mühlrad leitete und auf das Hammerwerk in der großväterlichen Schmiede übertrug. Wild war alles im Eggental, erinnert sich Pichler, und überall lagen die von den Wassern zu Tale gewaschenen Felsbrocken herum. Keine Rede von Flussregulierung und Straßenbegrenzungssteinen, von Hochspannungsleitungen und Einkaufszentren, und egal, ob man als nostalgischer Sumper abgestempelt wird oder nicht - es muss herrlich gewesen sein in dieser Wildnis, in diesem brennesselduftenden schroffen Kinderparadies.

Die Steine sind heute weggeräumt, das Tal ist nicht mehr wild, aber romantisch geblieben. Die Mühle steht - ein wenig übergepflegt und in eine gewisse Leblosigkeit gelackt - unter Denkmalschutz und im Besitze des Cousins. Der heißt ebenfalls Walter, Walter Pichler, und hat in Bozen ein gut funktionierendes Stahlbauunternehmen. Das Metallische - vielleicht liegt es wirklich in der Familie, aber dieser Frage geht wahrscheinlich besser der Familienrekonstrukteur Péter Esterházy nach.

Im Jahre 1994 beschloss jedenfalls der für unsereiner quasi „echte“ Walter unter den Pichlers, seine verstreuten Südtiroler Familienangehörigen im Rahmen einer kleinen Ausstellung in Bozen zu einen und für einen kurzen Moment an einem Ort zusammenzubringen. Das war 53 Jahre, nachdem er das schöne Tal der Kindheit als fünfjähriges Büblein verlassen hatte. Nicht dass er seither nicht dort gewesen wäre. Er war, wie er erzählt, sogar des öfteren in den Sommern in das Eggental zurückgekehrt, als „Hirte“, oder als „an die Verwandtschaft verborgter Landarbeiter. Was soll man sagen, ein Esser weniger zuhause.“

Im 94er Jahr reiste jedenfalls die gesamte Verwandtschaft nach Bozen, um die Handwerke des als Künstler gefeierten Sohnes zu betrachten, und ihn selbst natürlich auch. Man verstand einander, und der stahlbauende Cousin fragte beim bildhauenden an, ob er nicht Hand an die alte Schmiede legen wolle, die nun eigentlich leblos und wie ein Museum da stehe, was eingedenk der munter durchhämmerten Vergangenheit irgendwie traurig und unpassend wäre. Da Walter Pichler ebenfalls der Meinung ist, denkmalgeschützte Sachen seien „tot“, beschlossen sie, einen Raum an die Schmiede anzubauen. Einen Ort, an dem zusammengekommen und gefeiert werden könne, an dem gut zu verweilen sei. Der geplante Raum wurde schließlich zu zwei Räumen übereinander, einem dunklen und einem hellen, zu einem kleinen Haus, ein ordentliches Stück abgesetzt vom alten, und somit ein Ensemble und eine Art kleines Dorf bildend.

„Allein die Idee, zu den bestehenden Gebäuden ein neues hinzuzufügen, in Gedanken und Zeichnungen und später im Bauen sich wieder dieser Umgebung zu nähern, war für mich eine Möglichkeit, die Zeitmaschine einzuschalten und nicht nur vage und wie im Traum über diese vergangene Zeit nachzudenken, sondern aus ihr etwas Neues zu machen,“ schreibt Pichler im Vorwort zu einem Buch, das die Entstehung des „Hauses neben der Schmiede meines Großvaters“ aufzeichnen will: "Und wenn es mir gelungen ist, das „Hauptmaterial“, aus dem dieses Gebäude gebaut ist, nämlich die Erinnerung, gleichwertig zu den „festen Materialien“ hinzuzufügen, dann ist es mir auch gelungen, eine so sperrige Disziplin wie die Architektur für etwas zu verwenden, was sie normalerweise nicht leisten kann. Das war meine Absicht."

Wie ging er es also an, das Werk: „Das erste, was ich gedacht habe, war, dass ich die Steine wieder zurückbringen muss, die früher im Tal herumgelegen sind.“ Pichler schritt zum Fluss, suchte sich die schönsten Brocken aus - „keiner unter einer Tonne“ - und überlegte sodann, wo er den Porphyr gewinnen könnte, aus dem die Mauern der alten Schmiede gemacht worden waren, und der das Gesicht des Tales prägt. Es gebe doch einen alten Steinbruch, aus dem man immer das Material gebrochen habe, erinnerte sich die Tante, die auf die Hundert zugeht. Man glaubte ihr erst nicht, begab sich dann aber nach ihren störrischen Angaben doch auf die Suche und fand den seit einem halben Jahrhundert unbetretenen Steinhort.

Das Haus ist nun gerade fertiggestellt und ganz einfach zu beschreiben: Zwei Räume liegen übereinander, und weil sie im Sumpfland stehen, befinden sie sich in einer geräumigen Betonwanne, die einen unterirdischen Wandelgang bildet. Der obere helle, glasüberdachte Raum schaut nur zwei Meter aus der Erde heraus, der Gang darunter ist mit den fetten Flusssteinbrocken licht überdeckt. Ein Kamin an der äußeren Längswand nimmt das Thema der alten, noch bestehenden Esse der Schmiede auf. Er steht in einem Wasserbecken, das vom Dachwasser gespeist wird. Der untere Raum ist über eine Treppe zu betreten, die unter einer Art Falltür vor dem Haupteingang liegt. Ein schlichtes, ganz genau durchdachtes Ding, auch die Möbel, die Ofenbeschläge, eigentlich alles, was sich darinnen befindet, wurde von Walter Pichler geplant, gezeichnet, gemacht. „Nur die Wasserpipe, die haben wir gekauft.“

„Unser ist die Erinnerung“, schreibt Péter Esterházy dem Freund Walter Pichler in sein Großvater-Buch, „und falls sie uns wenig wäre (ist sie tatsächlich), auch die Phantasie ist unser. Aber ja, und das Denken, fast hätte ich es vergessen. Es gibt Gegenstände des Erinnerns, und es gibt Erinnernde.“ Wie auch immer. Pichler selbst sagt: „Ich bin in Werkstätten aufgewachsen, eine Werkstatt war immer so etwas wie daheim.“ Mit Erinnerungen und Kunst, mit Literatur und mit Phantasie muss vorsichtig umgegangen werden, und vor allem mit dem, was man selbst ist. „So ein System“, sagt der Künstler, „das kann leicht kippen. Deshalb bin ich ein sehr selbstbeschränkter Mensch. Ich dürfte zwar viel mehr, aber ich tu's nicht, weil ich habe einen Vertrag mit mir. Und der ist nicht zu brechen.“ Deshalb schaut das Haus so aus, wie es eben ausschaut, und das ist gut so. Er, Pichler, sei kein Architekt, wenn schon, dann sei er eher ein Baumeister. In Wirklichkeit bleibt er natürlich immer eines: Der Enkel seines Opas.

[ Von 16.5. bis 29.7. zeigt das Architekturzentrum Wien die Ausstellung „Walter Pichler. Haus neben der Schmiede“. Ein vorzüglicher Katalog gleichen Titels erscheint bei Jung und Jung, und von 21.6. bis 23.6. führt eine Sonntags-Exkursion des Az W nach Südtirol und auch zu Pichlers Haus neben der Schmiede. ]

Der Standard, So., 2002.05.12



verknüpfte Bauwerke
Haus neben der Schmiede

04. Mai 2002Ute Woltron
Der Standard

Kein Stararchitektenkult

Die Interessensgemeinschaft Architektur ist eine neue Kraft in der Szene, die nach innen und nach außen wirken und Architektur im besten Sinne des Wortes zu einem politischen Anliegen machen will.

Die Interessensgemeinschaft Architektur ist eine neue Kraft in der Szene, die nach innen und nach außen wirken und Architektur im besten Sinne des Wortes zu einem politischen Anliegen machen will.

Vergangenen Samstag fanden in Form eines gigantischen Festes mit etwa tausend Feiernden im Semperdepot, dem Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste, quasi Taufe und Firmung einer neuen Architektur-Kraft statt, die sich künftig laut Gehör zu verschaffen gedenkt.

Gehört hatte man bis dahin zwar schon einiges von der Interessensgemeinschaft Architektur (kurz IGA genannt), doch mit dem Fest und dem so genannten „going public“ erfolgte der erste offizielle Auftritt des neuen eingetragenen Vereines, der mittlerweile über 120 Mitglieder stark ist und im übrigen keinerlei Subventionen empfängt.

IGA-Sprecher Jakob Dunkl, Architekt und Mitglied der Gruppe Querkraft, formuliert die Anliegen der Gruppierung folgendermaßen: „Die IGA ist eine offene Plattform von Architekten, sie will weder eine Berufsvertretung sein noch über Architektur im herkömmlichen Sinn publizieren. Der Grund, warum es uns gibt, ist der, dass wir alle mit dem derzeitigen Bild des Architekten in der Gesellschaft unglücklich sind, außerdem haben wir das Gefühl, dass man als Architekt aufgerieben wird, wenn man engagiert arbeitet, und das muss sich ändern.“

Das Engagement des einzelnen in dieser seltsamen schwierigen Branche dient in den meisten Fällen hauptsächlich dazu, sein eigenes Honorar zu unterwandern und auszuhöhlen. Je preiswerter und auch besser Architektur gemacht wird, desto geringer sind die tatsächlichen Erträge, die an die Architekten zurückfließen, da Honorare jeweils nach einem gewissen Prozentsatz des Bauvolumens berechnet werden. Sorgfalt und Innovation wird im Fall der Architektur somit zumeist bestraft, und das, so Dunkl, sei nicht länger tolerabel.

Auch was Auslöser für die Gründung der Plattform war, ist rasch erklärt. Dunkl: "Es gab zwei Anlässe dafür. Einerseits wollte die Gemeinde Wien vor einiger Zeit von einem bestimmten „jungen“ Büro eine Liste Gleichgesonnener, und statt ein paar Freunde zu nominieren, machten sich die Befragten ernsthaft Gedanken über dieses Anliegen und schickten dann eine Liste „engagierter“ Büros. Das waren hundert. Und der zweite Anlass war das Wettbewerbsverfahren Katharinengasse. Da ist uns der Kragen geplatzt, denn das war nur einer von vielen Wettbewerben, bei denen man das Gefühl hatte, dass nicht das beste Projekt den ersten Preis gewonnen hatte. Damals gab es einen großen Unmut, der unter anderem zur Gründung der IGA geführt hat."

Was sind aber die konkreten Anliegen und Ziele der Architektenvereinigung? Und wie will man tatsächlich aktiv werden? Dunkl: „Wir haben ein Manifest verfasst, in dem wir drei Säulen als Anliegen formulieren. Wir sind eine Solidargemeinschaft, wir bilden ein Interessensnetzwerk und wir wollen als Impulsplattform wirken.“ Nachsatz: „Man muss auch ganz klar aussprechen, dass wir keinesfalls miteinander packeln wollen, sondern im Fall von Wettbewerben natürlich gegeneinander antreten, und zwar fair.“

Überhaupt, so Dunkl, müsse die Fairness wieder Einzug halten im Geschäft des Bauens: „Denn gerade die Engagierten bluten sich in unserem Wettbewerbssystem aus. Es muss klargemacht werden, wie viel wir in dieses System hineinbuttern, und dass es reine Wirtschaftskriminalität ist, wenn Wettbewerbe geschoben werden. Wir wollen uns das nicht länger gefallen lassen.“

An einer Stelle des Manifestes heißt es: „Wir vermitteln Kultur im engeren und erweiterten Sinne. Als Mitglieder einer offenen, aktiven Gesellschaft wollen wir diese durch unsere Aktivitäten ergänzen, was letztlich zu einer Qualitätssteigerung unseres gesamten Lebensraumes führt. Wir schaffen Mehrwert für Kultur und Gesellschaft, und wir wollen dafür entsprechend entlohnt werden. (...) Wir glauben an die Notwendigkeit der öffentlichen Diskussion über Architektur und wollen daher wieder politisch werden. Politisch in dem Sinne, dass wir öffentlich das Wort zu aktuellen, sozialen, gestalterischen, städtebaulichen und künstlerischen Fragen der Zeit ergreifen und so zur Meinungsbildung im sozialen und politischen Kontext beitragen.“

Dunkl betont, dass die IGA nicht als „Jammerverein“ auftreten will und dass es in jüngerer Zeit sehr wohl auch erfreuliche Tendenzen im Geschäft gebe, „etwa bei der MA 19 und bei der Gemeinde Wien im Allgemeinen. Es gibt auch immer wieder fair abgehaltene Wettbewerbe, doch wir wollen, dass diese Ausnahmen zur Regel werden, wir wollen auch Auftraggeber und Behörden auf diesem Weg bestärken und motivieren.“

Tatsächlich gibt es in Österreich - und die Plattfom versteht sich als eine österreichweite - eine breite, stattliche Riege ausgesprochen guter Planer und Planerinnen, die, wie Gespräche, Gebäude, der Umgang untereinander und andere atmosphärische Qualitäten zeigen, eine neue, altersunabhängige Hoffnungsgeneration darstellen. Wenn sich diese Masse wackerer Streiter im Dienste der Sache tatsächlich verbünden und gemeinsam aktiv werden, kann man davon ausgehen, dass das träge System wirklich ein wenig in Bewegung kommen könnte.

Doch was veranlasst die IGAler zur Annahme, dass nicht auch in ihren Reihen Absprachen getätigt und unfaire Bündnisse geschlossen werden könnten? Dunkl: „Die Erfahrung spricht dagegen. Wir wollen die Fairness, und deshalb müssen wir sie auch untereinander unter Beweis stellen. Wir wollen keinen Stararchitektenkult, sondern gute Architektur.“ Was man ebenfalls nicht sein will, ist eine Art Gegenkammer zur bestehenden, man stellt sich vielmehr vor, eine „Art Stachel im Fleisch“ zu sein, der gerade die unangenehmen Stellen der Branche berührt.

Nur etwa ein Drittel der IGA-Mitglieder ist in Österreich Kammermitglied, der Großteil verfügt über eine internationale Befugnis, und auch das ist ein Trend, der hinterfragenswert sein dürfte. Laut Dinkl sind die Rahmenbedingungen, unter denen man hierzulande in das Architektenberufsleben startet, im EU-Vergleich miserabel. Man wolle sich überhaupt für eine EU-weit gleiche Befugnis einsetzen. In welcher Form man „aktiv in die Baukultur“ des Landes eingreifen will, wird sich zeigen. Dunkl denkt an „durchaus aktionistische, schnelle Aktionen“, etwa an Transparente an unangenehmen Orten, und keine „höflichen Briefe“. Der erste Protestakt fand bereits im Rahmen des going-public-Festes im Semperdepot statt, wo das Verfahren um das Kleine Festspielhaus in Salzburg scharf kritisiert wurde.

Nähere Infos zum Verein, über die Mitglieder und geplante Aktionen gibt es auf der Homepage unter www.ig-architektur.at.

Der Standard, Sa., 2002.05.04

27. April 2002Ute Woltron
Der Standard

Neue Ideen für eine lebendige Architektur

Über den ersten Freiraum-Wettbewerb

Über den ersten Freiraum-Wettbewerb

Temporäre Architektur ist lebendig, weil sie endlich ist und dadurch eine Unruhe zum Beispiel in statische Stadtbilder bringt. Wie nirgendwo sonst ist das Vergängliche auch optischer Bestandteil.

Weshalb zum Beispiel die blau-gelbe, bereits abgetragene erste Wiener Kunsthalle am Karlsplatz die Form eines Baustellen-Containers hatte. Temporäre Architektur findet ebenso bei Messepavillon-Gestaltungen in Shop- und Ladenbaukonzepten oder in mobilen Büros Anwendung.

Um neue Ideen für diese Form der Stadtgestaltung zu finden und zu fördern, wurde der Architekturwettbewerb „Freiraum /01“ ins Leben gerufen. Und in zwei Kategorien ausgeschrieben: Einerseits konnten sich bereits profilierte Architekten („Bekannt und etabliert“) beteiligen, andererseits waren Studenten der Fachrichtungen Architektur, Design, Innenarchitektur aufgefordert, ihre Projekte einzureichen. Diese Kategorie nannte sich „Young and hungry“.
Die beiden ersten Plätze der zwei Einreichkategorien sind mit je 3000 Euro dotiert. Der Zweit- und Drittplatzierte in der Kategorie Studenten erhält die Studiengebühr für zwei Semester in Österreich. Außerdem werden die jeweils drei erstgereihten Arbeiten und deren Einreicher auf je einer Seite im ALBUM des STANDARD präsentiert und ebenfalls bei den Alpbacher Architekturgespächen (16. bis 17. August, heuer mit dem Generalthema „Kommunikation und Netzwerke“) vorgestellt.

Auf der Website des Wettbewerbveranstalters Max on top wird man in die virtuelle Galerie der Wettbewerbsteilnehmer (www. maxontop.com/galerie/ index.shtml) eingeladen. Und darf hier noch bis zum 24. Mai Stimmen für den ganz persönlichen Favoriten abgeben. Mit diesem umfangreichen Webvoting wird die Vergabe des Publikums- preises entschieden. Auch diese Arbeit wird im ALBUM auf einer gan- zen Seite vorgestellt.

Jurymitglieder waren die Architekten Christoph M. Achammer, Roman Delugan und Volker Giencke, Unterstützt von Silvio Kirchmair, Vorstandsmitglied bei Isovolta (war auch Auslober des Wettbewerbs), Architekt Markus Maringnoni von Bene Büromöbel, STANDARD- Chefredakteur Gerfried Sperl und Reinhold Süßenbacher, Generaldirektor der Umdasch-Gruppe.

Der Standard, Sa., 2002.04.27

27. April 2002Ute Woltron
Der Standard

Design mit Strandschlapfen

Down under residiert Glenn Murcutt, ein frisch gekürter Architektur-„Nobelpreisträger“, einer aus einer ganzen Anzahl außerordentlicher Designer

Down under residiert Glenn Murcutt, ein frisch gekürter Architektur-„Nobelpreisträger“, einer aus einer ganzen Anzahl außerordentlicher Designer

Spätestens seit der gerade erfolgten Bekanntgabe, dass der - man kann es ruhig öffentlich eingestehen - außerhalb des australischen Kontinents so gut wie unbekannte Architekt Glenn Murcutt den diesjährigen Pritzker-Preis für sein architektonisches Lebenswerk abräumen darf, ist das Land down under mit seinen Planern und Designern ein Stückchen weiter in den Mittelpunkt des Fachinteresses gerutscht. Völlig zu Recht, denn neben Murcutt und dem Schillerdesigner Marc Newson hat das große weite Land noch einige Formkräfte mehr zu bieten.

Australien ist, was Architektur und Formgebung anbelangt, tatsächlich ein flottes, geradezu fröhliches Land, und, so man langjährigen Beobachtern der Szene der auf der von uns aus betrachtet anderen Seite der Welt Glauben schenken darf, bereits seit etwa einem Dutzend Jahren durchaus avantgardistisch und immer eigenständiger unterwegs. Die deutsche Architekturpublizistin Sabine Thiel Siling hatte einen guten Riecher, als sie für das Magazin „Baumeister“ einen Australien-Schwerpunkt vorschlug und für die dritte Ausgabe dieses Jahres auch umsetzte. Darin schreibt sie: „Australien liegt immer noch ,down under', 24 Flugstunden von uns entfernt, doch ebenso gut ist es heute nur eine e-mail weit weg, in Echtzeit gegenwärtig. Diese Ambivalenz von Nähe und Ferne, Vertrautem und Fremdem, Ähnlichem und Neuem macht den besonderen Reiz aus - des Kontinents, seiner neuen phantasievollen Küche, der sogenannten ,fusion cuisine', und seiner ganz ähnlich ausdrucksfreudigen innovativen Architektur.“

Philip Goad, Architekturprofessor in Melbourne, führt aus, dass sich aufgrund der Größe und der bekannt spärlichen Besiedlung des Kontinents, auf dem sich die Ballungszentren wie kleine Tüpfelchen auf einem Dinosaurier ausmachen, eigenständige regionale Architektur- und Designschulen entwickelt haben. Tonangebend waren im letzten Jahrzehnt die Städte Sydney und Melbourne, und diese logische These wird von einer zweiten, ebenfalls gerade erschienenen Publikation unterstützt. Der großformatige bilderreiche Prachtband „Living in Sydney“ will anhand der Privatwohnungen und - häuser junger Architekten und Designer aufzeigen, was State of the art auf Australisch heißt. Arbeitet Pritzker- Preisträger Murcutt vor allem im Einklang mit der Natur und mit preisgünstigen Materialien, so lassen es die jungen Kollegen in der Stadt rund um Jorn Utzons legendäres Opernhaus recht kräftig bunt und durchgestylt krachen. Irgendwie zeigen fast alle Designs eine gehaltvolle Mischung aus Retro und Bauhaus-Coolness, aus 70er- Jahre-Moden und Future-Chic. Obwohl man gerne Möbelklassiker verschiedener Altersstufen wie Arne Jacobsens Ameise oder die extravagant einfachen Sitzgelegenheiten von Charles und Ray Eames dazumixt, ergibt sich kaum je ein steifes, sondern meist ein locker- strandmäßiges Ambiente, in dem die Mies-Sitzgarnitur, in der man normalerweise auf den Zahnarzt wartet, mit Badetüchern und Strandschlapfen besiedelt werden darf. Living in Sydney von der Architekturjournalistin Antonella Boisi lebt von den Fotos, wer ins Detail gehen will, wird allerdings auch bedient, selbst Grundrisszeichnungen fehlen nicht.


[ Baumeister: B3, Architektur Archipel Australien, Verlag Callwey, EURO 11

Antonella Boisi, Living in Sydney, Verlag Taschen. 2002, EURO 24 ]

Der Standard, Sa., 2002.04.27

27. April 2002Ute Woltron
Der Standard

Schausberger fordert Klärung des Debakels

Zurück an den Start heißt es im turbulenten Verfahren um den Umbau des Kleinen Festspielhauses in Salzburg. Das Kuratorium der Salzburger Festspiele hob...

Zurück an den Start heißt es im turbulenten Verfahren um den Umbau des Kleinen Festspielhauses in Salzburg. Das Kuratorium der Salzburger Festspiele hob...

Zurück an den Start heißt es im turbulenten Verfahren um den Umbau des Kleinen Festspielhauses in Salzburg. Das Kuratorium der Salzburger Festspiele hob in der Nacht auf Freitag in einer außerordentlichen Vollversammlung die Juryentscheidung des im vergangenen Herbst gelaufenen Gutachterverfahrens auf. Alle Projekte der fünf am Wettbewerb beteiligten Architektenteams werden vom Schiedsgericht unter Vorsitz des Schweizers Carl Fingerhuth noch einmal beurteilt.

Parallel dazu nimmt sich ein unabhängiges Gremium der Salzburger Baudirektion der genaueren Durchleuchtung jener Streitpunkte an, die den Zweitgereihten, Wilhelm Holzbauer, dazu veranlasst hatten, beim Bundesvergabekontrollamt erfolgreich Einspruch gegen das zuerst einstimmig gekürte Siegerprojekt der Bietergruppe Hermann & Valentiny, Wimmer, Zaic zu erheben.


„Die Zügel straffer in die Hand nehmen“

Mit im Rennen sind also neben den bereits Genannten nun plötzlich auch wieder die Architekten Friedrich und Partner, Betrix und Consolascio sowie Domenig, Eisenköck, Lorenz. Eine endgültige Entscheidung, wer an Clemens Holzmeisters denkmalgeschütztes Festspielhaus Hand anlegen darf, soll am 22. Mai getroffen werden, damit die Mozart-Spielstätte wie geplant im Mozart-Jahr 2006 bespielt werden kann.

Landeshauptmann Franz Schausberger kündigte in einer Pressekonferenz noch in der Nacht an, dass einerseits das Land „die Zügel straffer in die Hand nehmen“ und andererseits das Festspielkuratorium im Anschluss an die letztgültige Entscheidung den Ursachen für das peinliche Vergabechaos nachgehen werde.

Peter Scheifinger, der Vorsitzende der österreichischen Architektenkammer, zeigte sich erfreut über die Entscheidung, das Verfahren neu aufzurollen, erwartet aber keine Änderung des Ergebnisses. Dem STANDARD gegenüber meinte er: „Es ist begrüßenswert, dass nun die wirtschaftliche Komponente durchleuchtet, transparent und zu einem Bewertungskriterium gemacht wird, was sie bisher ja nicht war. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass die Jury, die schon einmal sorgfältig gearbeitet hat, zu einem anderen als dem ersten Ergebnis kommen wird.“


„Erfreuliche“ Angelegenheit

Auch für Robert Wimmer und Franz Valentiny ist die Kuratoriumsentscheidung eine „erfreuliche Angelegenheit“, werfen sie doch der Vorprüfung vor, die beiden abgegebenen Projektvarianten um 26 beziehungsweise 24 Prozent teurer als veranschlagt dargestellt zu haben. Wimmer: „Zuerst wurden die Baukosten erhöht, dann wurden mit einem von der Vorprüfung festgelegten Prozentsatz von 23 Prozent die Honorare hochgerechnet. Obwohl ein Pauschalhonorar anzubieten war, war die Vorprüfung so freundlich und erhöhte unser Honorar um mehr als 35 Millionen Schilling.“
Die Architekten lassen derzeit von ihrem Anwalt eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vorbereiten, da sie der Ansicht sind, Holzbauer hätte aufgrund seiner „umfangreichen und langjährigen Auseinandersetzung mit dem Kleinen Festspielhaus einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erlangt, der dem Bundesvergabegesetz widerspricht“.
Wilhelm Holzbauer hingegen sieht die Kuratoriumsentscheidung als „Bestätigung unseres Einspruchs“, will sonst aber keinen Kommentar abgeben: „Die Entscheidung der Neubewertung bleibt abzuwarten.“

Auch Carl Fingerhuth will vor Abschluss des Verfahrens nicht Stellung beziehen. Er meint lediglich: „Ich bin froh darüber, dass wir zumindest im Beurteilungsgremium noch einmal die Gelegenheit haben, darüber zu reden.“

Der Standard, Sa., 2002.04.27



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Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

25. April 2002Ute Woltron
Der Standard

Suche nach „sinnvoller Lösung“

Das Festspiel-Kuratorium wird heute Abend über die weitere Vorgangsweise in Sachen Kleines Festspielhaus in Salzburg entscheiden. Inzwischen werden kritische Stimmen aus der Architektur laut.

Das Festspiel-Kuratorium wird heute Abend über die weitere Vorgangsweise in Sachen Kleines Festspielhaus in Salzburg entscheiden. Inzwischen werden kritische Stimmen aus der Architektur laut.

Wien - Heute könnte eine Vor-, wenn nicht gar eine Entscheidung über den Umbau des Kleinen Festspielhauses fallen. Wie DER STANDARD berichtete, hat Wilhelm Holzbauer kürzlich beim Bundesvergabesenat Einspruch gegen das Siegerprojekt der Bietergruppe Hermann & Valentiny, Wimmer, Zaic erhoben und damit die Vergabe gestoppt. Heute Abend tritt das Kuratorium zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, um, so ein Mitglied, „zu einer für alle, vor allem aber für die Architektur sinnvollen Lösung“ der Causa zu kommen.

Zwischenzeitlich hat sich eine prominente architektonische Front gebildet, die Holzbauers Vorgehensweise als nicht standesgerecht empfindet. In einem Brief an das Kuratorium plädiert etwa der Fachbeirat Architektur des Landeskulturrates, man möge „Verfahrensmängel ausräumen, um das Siegerprojekt beauftragen zu können. Vergessen Sie nicht, dass Holzbauers Projekt nie mehr als die zweitbeste Lösung war und auch bleiben wird.“

Auch der Schweizer Juryvorsitzende Carl Fingerhut meint in einem Brief an die Salzburger Festspiele: „Es fand eine sehr objektive Abwägung aller Vor- und Nachteile der Projekte statt, die zu einer einstimmigen Entscheidung des Gremiums geführt hat. Es ist für mich absolut unverständlich, dass jetzt aus juristischen Gründen auf diesen Entscheid zurückgekommen werden soll und ein schlechter beurteiltes Projekt mit wesentlichen Defiziten zur Grundlage der Ausführung bestimmt werden soll.“


Schwierige Rechtslage

Rainer Kaschl, Jurymitglied und Vorsitzender der Salzburger Altstadtkommission, beurteilt Holzbauers Einspruch als „Vorgangsweise, die mir fremd ist und die er selbst verantworten muss“. Kaschl widerspricht auch der Aussage des Vorprüfers Hans Lechner im STANDARD, dieser habe in der Jury wiederholt auf die angeblichen Vergabeverstöße des Siegerprojektes hingewiesen: „Das ist eine Aussage, die mich total irritiert. Dem war sicher nicht so, was man auch belegen kann, denn die Sitzung wurde mit Video aufgezeichnet. Lechner kommt mit dieser Aussage in eine schwierige Rechtslage.“

Der Vergabekontrollsenat hatte vor allem die Kostenseite des Projektes behandelt, doch in Lechners „Kostenvergleich- plausibilisierung“, die dem STANDARD vorliegt, finden sich, so Franz Valentiny und Robert Wimmer, einige Unplausibilitäten. So setzte Lechner das von den siegreichen Bietern mit 40 Millionen Schilling angegebene Pauschalhonorar auf 81 Millionen. Auch das Argument, durch einen Rohrkanal würde sich die Statik verteuern, räumen die Architekten aus. Wimmer: „Auf diesen Kanal haben überhaupt erst wir aufmerksam gemacht, und unser Projekt berücksichtigt ihn sehr wohl.“

Die vom Vergabekontrollsenat noch nicht behandelten Punkte stellen laut Anwalt der einstweiligen Bestbieter, Christoph Bamberger (Liebscher Hübel & Partner), kein Problem dar:

„Ich erwarte, dass der Senat des Bundesvergabeamtes nach Vorliegen der fehlenden und bereits vom Amt angeforderten Unterlagen in rund zwei bis drei Wochen über die im Rahmen der Entscheidung vom 12. 4. 2002 noch nicht abgesprochenen Anträge entscheiden wird. Wir rechnen, nachdem uns der Inhalt der vorzulegenden Unterlagen bekannt ist, mit einer positiven Entscheidung.“

Der Standard, Do., 2002.04.25



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Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

18. April 2002Ute Woltron
Der Standard

Festspielhaus-Streit: Juristen sind am Zug

Holzbauer: Auswahlverfahren „unkorrekt“

Holzbauer: Auswahlverfahren „unkorrekt“

Wien - Wie DER STANDARD gestern berichtete, spitzt sich der Konflikt um den Umbau des Kleinen Salzburger Festspielhauses zu. Wilhelm Holzbauers Berufung beim Vergabekontrollsenat wurde stattgegeben. Der im Bewerbungsverfahren im Herbst erstgereihten Bietergruppe Hermann & Valentiny, Wimmer Zaic wurde die bereits erfolgte Auftragsvergabe aberkannt.

Holzbauer will zu den in der gestrigen STANDARD-Ausgabe erhobenen schweren Anschuldigungen Franz Valentinys keine Stellung beziehen: „Auf diesem Niveau sage ich gar nichts.“ Er selbst habe jahrelang am Kleinen Festspielhaus gearbeitet, diverse Studien erstellt und fühle sich als Holzmeisters Schüler dessen Tradition verpflichtet. „Ich meine“, so der Wiener Architekt, „dass das von der Jury empfohlene Projekt mit einer geplanten Aufstockung das wichtige Ensemble zerstört, das die Keimzelle der Salzburger Festspiele darstellt. Ich habe versucht, mit Hermann & Valentiny zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, bin aber gescheitert.“


Dreifacher Verstoß

Für Holzbauer lief „das gesamte Verfahren unkorrekt“ ab, Schützenhilfe bekommt er vom Wiener Kollegen Hans Lechner, der an der Verfahrensvorbereitung und Betreuung maßgeblich beteiligt war. Lechner meint, er habe bereits während der Jurierung mehrfach darauf hingewiesen, dass das Siegerprojekt in drei Punkten gegen die Ausschreibung verstoße: Obwohl nur ein Projekt präsentiert werden durfte, hätten Hermann & Valentiny, Wimmer Zaic zwei Varianten erstellt, mit ihren Planungen in explizit ausgewiesene Tabuzonen eingegriffen sowie das vorgegebene Kostenlimit von 400 Millionen Schilling um 86 Millionen überschritten.

Auf die Frage, warum er in der prominent besetzten Jury auf taube Ohren gestoßen sei, meint er: „Valentiny hat einen brillanten Vortrag gehalten, das Beste, was ich in Sachen Wettbewerbspräsentation je gehört habe, und damit wurden die Weichen gestellt.“

Holzbauer, so Lechner, hätte sich im Gegensatz zu den Gewinnern an alle Regeln gehalten, ein juristisches Nachspiel sei zu erwarten gewesen. Die Verteuerung des Siegerprojektes, so Lechner, erkläre sich unter anderem durch den Umstand, dass es im Bereich eines erst vor wenigen Jahren errichteten Rohrkanals Umbauten vorsehe, die eine Adaptierung der gesamten Statik dieser Zone erfordern würden. Lechner: „Insgesamt ist zu sagen, dass der Auslober offensichtlich nicht ganz korrekt vorgegangen ist. Holzbauer hat das aufgegriffen.“

Drei mögliche Szenarien zeichnen sich nun ab: Die Siegergruppe könnte mit Wilhelm Holzbauer gemeinsame Sache und ein adaptiertes Projekt machen, was nach den Konflikten der vergangenen Monate unwahrscheinlich ist, aber die rascheste Lösung wäre. Das Verfahren könnte mit denselben Teilnehmern noch einmal ganz von vorne aufgerollt werden, was eine Nachprüfung durch den Vergabekontrollsenat mit sich zöge. Dritte Variante: Das Verfahren könnte noch einmal öffentlich ausgeschrieben werden, was in eine Schadenersatzklage der Teilnehmer des Erstverfahrens münden könnte.

Wilhelm Holzbauer hat genug juristischen Zündstoff in der Hand, um eine Entscheidung jahrelang hinauszuzögern. Die Salzburger Festspiele selbst kommen als Auftraggeber in argen Zugzwang, will man das Haus wie geplant im Mozart-Jahr 2006 eröffnen. Jedes Neuverfahren dauert mindestens ein halbes Jahr, doch wollte man rechtzeitig fertig sein, müssten die Bauarbeiten heuer noch in Angriff genommen werden.

Genau deshalb werfen die Erstgereihten dem Vergabeamt unnötige Verzögerungstaktik vor, denn nur mit Holzbauer im Team scheint ein rechtzeitiger Baustart möglich. Valentiny: „Warum ließ man sich sonst so lange Zeit mit der Entscheidung?“

Der Standard, Do., 2002.04.18



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Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

17. April 2002Ute Woltron
Der Standard

„Eine Katastrophe für die Festspiele“

Das Verfahren „Kleines Festspielhaus Salzburg“ wurde auf Einspruch Wilhelm Holzbauers vom Vergabekontrollsenat für nichtig erklärt. Eine Fertigstellung des Projektes bis 2006 scheint damit aussichtslos, die Vorbildwirkung für die Architekturszene ist katastrophal.

Das Verfahren „Kleines Festspielhaus Salzburg“ wurde auf Einspruch Wilhelm Holzbauers vom Vergabekontrollsenat für nichtig erklärt. Eine Fertigstellung des Projektes bis 2006 scheint damit aussichtslos, die Vorbildwirkung für die Architekturszene ist katastrophal.

Salzburg - Der Umbau des Kleinen Festspielhauses in Salzburg muss baldigst in Angriff genommen werden, will man das Mozart-Jahr 2006 mit einer Mozart-Spielstätte begehen. Im Herbst gewann das Team Hermann & Valentiny und Wimmer Zaic mit neun zu null Stimmen das Architekturverfahren, Wilhelm Holzbauer bemühte daraufhin als Zweitgereihter den Bundesvergabesenat. Mit Beschluss vom 12. 4. wurde die am 14. 11. 2001 bereits erteilte Beauftragung der Bietergemeinschaft „für nichtig“ erklärt, laut Holzbauers Anwalt Stephan Heid eine „bahnbrechende Entscheidung, da erstmals im Bereich Architektur eine Fehlentscheidung einer Jury aufgehoben wurde“.

Konkret spießt es sich an den Kosten: Laut Kostenprüfer Hans Lechner würde sich Holzbauers Projekt bei vorgegebenem Rahmen von 400 Millionen Schilling auf eine Bausumme von 410 Millionen belaufen, das Siegerprojekt allerdings auf 487 Millionen. Die Bietergemeinschaft hält dem entgegen, dass Lechner in seiner Berechnung auch die Zusatzvarianten, also quasi die Fleißaufgaben miteingerechnet hätte, was die Kosten verzerren würde. Lechner seinerseits hat jüngst auch im Falle der Volksoper die empfohlenen Entwürfe geprüft, auch damals wurde Holzbauer der Zuschlag erteilt.

Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden empfindet die Entscheidung als „Katastrophe für die Festspiele und ganz Österreich, die Sache trägt die Züge einer Operette und wird auch in der internationalen Architekturszene einen Aufschrei provozieren“. Kulturlandesrat Othmar Raus will sich terminlich „nicht unter Druck setzen lassen“, das Ziel bleibe der Umbau, allerdings ohne Terminvorgabe. Armin Fehle vom Festspielkuratorium: „Das ist zu einer sehr unerfreulichen Sache geworden, unsere Anwälte analysieren derzeit die Situation. Wir werden Anfang nächster Woche wissen, was wir weiter tun werden.“

Holzbauer selbst sieht durch das Siegerprojekt das historische Ensemble gefährdet und meint: „Ich wurde die ganze Zeit an der Nase herumgeführt, alles muss man sich auch nicht gefallen lassen.“ Der Luxemburger Projektsieger und Holzbauer-Schüler Franz Valentiny hat derweilen die Kontakte zu seinem Lehrer abgebrochen und empfindet das Verfahren als Farce.

STANDARD: Was erschien Ihnen dubios?
Valentiny: Wir haben diesen Wettbewerb im Herbst mit neun zu null Stimmen gewonnen und standen jetzt wie Verbrecher vor einem Tribunal. Architektur wurde hier nach rein juristisch-formalen Gesichtspunkten abgehandelt, es ist ein Skandal, dass diese Leute sich kein Gesamtbild des Projektes gemacht, sondern nur die Kosten behandelt haben. Die Kostenaufstellung, die anhand eines Formblattes nachzuweisen war, werden wir liebend gerne machen. Hier werden Steuergelder verplempert, weil ein ignoranter, schlechter Architekt gemeinsame Sache mit einem Amt macht und ein Verfahren unnötig in die Länge zieht. Es ist skandalös, dass ein Lehrer, der ohnehin nur mehr einen Schüler hatte, der zu ihm stand, diesen opfert wie Abraham seinen Sohn. Holzbauer ist ein alter Mann, der nicht mehr weiß, worum es im Leben geht. Er zeigt egoistisches Blut-und-Boden-Denken, das mit der heutigen Welt nichts mehr zu tun hat.

STANDARD: Wie geht es in Salzburg weiter?
Valentiny: Ich weiß es nicht. Wir wurden jedenfalls nicht ausgeschieden, und Holzbauer wird als Zweitgereihter auch nicht automatisch zum Zug kommen. Das Amt hat den Bauherren aufgefordert, vergleichbare Kosten vorzulegen. Dieses Urteil ergibt keinen Sinn, sondern hilft nur der Eitelkeit eines Einzelnen.
STANDARD: Die Vorbildwirkung für weitere Wettbewerbsverfahren ist gegeben - werden künftig hauptsächlich Juristen in Österreich über Architektur entscheiden?
Valentiny: Solange es altmonarchistische Menschen wie Holzbauer gibt, die öffentlich Ansprüche stellen, die ihnen nicht zustehen, ist das möglich. Das ist eine undemokratische Haltung, die in ganz Europa schon nicht mehr verstanden wird, ein Denken aus längst vergangener Zeit, und wenn sich Österreich mit dieser Haltung darstellt, dann wird es Probleme bekommen. Holzbauer baut seit 20 Jahren nur mehr miese Investorenarchitektur, er hat seinen Idealismus, sein Können, sein Talent dem Geld geopfert.

Der Standard, Mi., 2002.04.17

16. April 2002Ute Woltron
Der Standard

Pritzker-Preis für Glenn Murcutt

Spitzenauszeichnung für fast Unbekannten

Spitzenauszeichnung für fast Unbekannten

Los Angeles - Auf die Frage, welches Internet-Architektur- netz ihm das wichtigste sei, antwortete der australische Architekt Glenn Murcutt unlängst folgendermaßen: „Ich ziehe Spinnenetze vor.“ Diese Einstellung, mit einfachsten Mitteln den größtmöglichen Nutzen zu erzielen, bescherte dem 66-Jährigen den diesjährigen Pritzker-Preis für Architektur und damit die wichtigste Auszeichnung, die der internationalen Spitzen-Baugilde zugedacht ist.

Der mit 113.714 EURO dotierte Preis katapultiert den bis dato außerhalb der Grenzen Australiens kaum bekannten Architekten augenblicklich ins Zentrum des Szeneinteresses. Er selbst äußerte Journalisten gegenüber, dass er sich - nach über drei Jahrzehnten des Architekturschaffens - nun bestätigt fühle, dass Bauten „die Erde nicht zu sehr belasten dürfen“. Murcutts Architekturauffassung ist die einer stillen Bescheidenheit und Natürlichkeit. Alles, was man verstehen müsse, um gute Architektur zu machen, sei die Natur selbst und die Kostbarkeit aller Materialien, so der Australier, der bei seinen Häusern für Stararchitekten eher unkonventionelle Materialien wie Wellblech und kaum bearbeiteten Naturstein einsetzt. Vor allem der Dialog seiner Häuser mit der jeweiligen Landschaft und Umgebung steht für den Architekten im Vordergrund.

Murcutts Schwerpunkt liegt im Wohnhausbau, er selbst gilt als eigenwilliger Außenseiter und hat sich beispielsweise bis dato geweigert, Aufträge außerhalb des australischen Kontinents anzunehmen. Gute Architektur, so meint er, beginne eigentlich mit einem guten, an exzellentem Bauen interessierten Auftraggeber, der dem Architekten genug Freiraum ließe und die Muße, ein Gespür für die Evolution zu entwickeln. Vorbildwirkung hatten etwa Murcutts nur scheinbar primitive Wohnhäuser, die er für Aborigines entworfen hat.

Der Pritzker-Preis selbst wurde vom Chikagoer Unternehmerpaar Jay A. und Cindy Pritzker 1979 ins Leben gerufen; er gilt stets dem Lebenswerk und ging unter anderem an Hans Hollein, Frank Gehry, Rem Koolhaas und zuletzt an Jacques Herzog und Pierre de Meuron.

Der Standard, Di., 2002.04.16

09. April 2002Ute Woltron
Der Standard

Auch im Stein wohnt die Musik

Von Tel Aviv über Tokyo bis nach Südtirol: Neue Bücher über das Bauen, das Schauen und Sich-was-Trauen in der Architektur von gestern und von heute.

Von Tel Aviv über Tokyo bis nach Südtirol: Neue Bücher über das Bauen, das Schauen und Sich-was-Trauen in der Architektur von gestern und von heute.

Wie immer im Frühling hat sich das ALBUM aus dem großen Orchester der neuen Architekturpublikationen ein paar Solisten herausgepickt, um sie hier kurz anklingen zu lassen.

Der erste Wohlklang erreicht uns aus Tel Aviv und Jerusalem, wo der Künstler Günther Förg mit seiner Kamera festhielt, was in den 30er- und 40er-Jahren des mittlerweile auch schon wieder vergangenen Jahrhunderts von aus Deutschland emigrierten Bauhaus-Architekten komponiert worden war. Förg fing mit seinen Momentaufnahmen nicht nur die mittlerweile klassisch-modernen Formen dieser herrlich klaren Architekturlieder ein, er dokumentierte zugleich auch die Spuren des Alters, des Gebrauchs und der dazwischen wuchernden Vegetation. Hermann Beil schreibt in seinem Vorwort: "Eine große Architektengeneration war in Tel Aviv und Jerusalem versammelt gewesen - dorthin vertrieben, aber auch dorthin gerufen (...), um für Menschen zu bauen. Und um die Musik dieser Städte in Stein zu komponieren. Günther Förgs fotografische Bilder haben die „unendliche Melodie“ dieser Architektur aufgespürt und notiert." Günther Förg, Photographs. Bauhaus Tel Aviv - Jerusalem, Hatje Cantz, EURO 35,98.

Ebenfalls durchaus melodisch, einmal streng und dann wieder verspielt, zeigt sich eine deutsche Publikation zum Thema Kunst, Foto und Bauen. In Szene gesetzt. Architektur in der Fotografie der Gegenwart, herausgegeben von Götz Adriani, Hatje Cantz, EURO 25,50, ist der Katalog zu einer Ausstellung des Museums für Neue Kunst/ZKM Karlsruhe und zeigt unkonventionelle Architekturfotografie, fein von internationalen Fotokünstlern raffiniert. Etwa Maria Hedlunds „Im Vortragssaal“ oder das hier gezeigte Foto „Halle rot“ von Josef Schulz sind sehr persönliche Interpretationen an sich simpler Themen, die, in die Zweidimensionalität gebracht, einen ganz eigenen Klang entwickeln. Schulz über seine preisgekrönten Arbeiten: „Ich versuche zu verstehen, wie die Gesetze dieser zweidimensionalen Darstellung funktionieren und was in solch einem Abbildungsprozess passiert.“ Architektur einmal nicht von den Architekturfotografieprofis eingefangen und bearbeitet zu sehen kann wirklich Spaß machen. Ralph Melcher schreibt in seinem Essay „Kunstcharakter und Künstlichkeit“ dazu: „Architektur wird zum Material des Bildes und damit auch zum Material einer immanenten Realität. Und diese ist das ursprünglichste Kennzeichen des Schöpferischen in der Kunst.“

Gleich eine ganze Fülle verschiedenster Architekturklangimpressionen liefert das Buch Customize. Review of Peripheral Architecture, Birkhäuser, EURO 39,10, in dem man sich auf die Tonspuren der Vororte, der Industriestätten und Einkaufsmeilen rund um den Globus begeben hat. Das Layout dieser kleinformatigen, vollgepackten Publikation ist eine Art visueller Vorstadt-Kraut-und-Rüben-Samplings, und das Studieren der einzelnen Beiträge und das Zurechtfinden darin ist ebenso zehrend wie das Auffinden eines ganz bestimmten Geschäftes im Geschäftsdschungel der SCS, aber bitte. Das hier aufbereitete Thema Vorstadt und Randzone ist ein derzeit - zu Recht - einigermaßen strapaziertes. „Besser maßschneidern lassen als von der Stange kaufen!“ lautet die Botschaft von Architekten und Gruppen wie Toyo Ito, njiric+njiric arhitekti, Périphériques, Lacaton & Vassal sowie gut zwei Dutzend anderen, die diesen Zonen menschlicher Konsum- und Bauwut ein intelligenteres, benutzerfreundlicheres Gefüge geben wollen. Die wüsten Fotolandschaften sind unterlegt mit diversen Texten der Architekten; man kann nur vorschlagen: Kaufen Sie sich hier durch.

Eine ruhigere Angelegenheit, quasi ein feines getragenes Largo, hat die Südtirolerin Carmen Müller mit einer ganz eigenartigen, schönen Bild-Mensch-Landschaft-Architektur-Arbeit zu Buche gebracht. Meran - Mals Vinschgau. Auf den Spuren einer stillgelegten Bahnstrecke, Folio Verlag Wien Bozen, EURO 25,70, klingt ein wenig wie Dalida und „Der Tag als der Regen kam“ und riecht wie Eisenbahnschwellen an einem heißen Sommertag. Die Autorin Müller wollte hinterfragen, „was sich auf einer Bahnstrecke von ca. 60 Kilometern verändert, über die zehn Jahre kein Zug mehr gefahren ist“, auf einem „Streifen in der Landschaft, der sich durch Obstwiesen, Aulandschaft, Wälder, Felsengelände und Tunnels schlängelt und Ortschaften miteinander verbindet und markiert“. Müller begab sich also auf eine ausgedehnte „private Recherche“ und dokumentierte den „Verwilderungszustand“, recherchierte die Geschichte dieser Bahnlinie und grub alte Dokumente aus. All diese Impressionen wurden zu einem Schau- und Leseband zusammengetragen, zu einem, wie es die Autorin nennt, „poetischen Intermezzo“, denn die Bahnlinie soll wieder saniert und in Gang gebracht und bis 2004 sogar bis nach Bozen weitergeführt werden.

Nun ein zackiger Prestissimo-Hupfer hinauf in die Niederlande und zu den dort beheimateten Architekturzeitgenossen. Das Magazin Topos hat mit dem Heft Im Blickpunkt: Niederlande. Beispielhafte Ideen und Konzepte für Stadt und Landschaft, Callwey Verlag,EURO 35,50, den Versuch unternommen, den allseits ohnehin vielbeachteten Architektur-Modellfall Niederlande noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, und auch hier nähert man sich dem Thema über die Historie. Robert Schäfer analysiert die Geschichte und kommt unter anderem zu dem Schluss, dass die niederländische Architekturhistorie nur unter politisch wohlkomponierten Rahmenbedingungen geschrieben werden konnte: „Architektur und Stadtplanung sind in den Niederlanden ein öffentliches Thema seit den 70er-Jahren, als die Bürger mehr Mitsprache einforderten, gegen Bauvorhaben demonstrierten und leer stehende Häuser in Sanierungsgebieten besetzten. Dominierten in der Folge die sozialen und ökologischen Belange bei Planungsentscheidungen, wurde schließlich mit einer Reihe von politischen Entscheidungen der Grundstein gelegt für die kulturelle Komponente des Bauens.“ Wer also wissen will, warum die Niederländer derzeit - auch international - ziemlich oft die erste Geige spielen, der bekommt hier die Partitur dafür geliefert. Die jungen, frechen Niederländer haben es auch geschafft, die verschiedenen Disziplinen Architektur, Kunst, Design zu einem interessanten Wohlklang zu vermischen. Adriaan Geuze ist ein gutes Beispiel dafür, hier ist sein gemeinsam mit Paul van Beek erarbeitetes Freiraum-Projekt für den Amsterdamer Flughafen Schiphol abgebildet. Apropos: Auch was die Freiraumplanung anbelangt, liegt Musik in der Luft der Niederlande.

Der Standard, Di., 2002.04.09

30. März 2002Ute Woltron
Der Standard

Konstruierte Landschaft

Die Architekturfotografin Margherita Spiluttini zeigt Bauten in der Natur - in einem Buch und in einer Ausstellung. Sie lädt auch zum Neu-Erschauen von Landschaft und Technik ein.

Die Architekturfotografin Margherita Spiluttini zeigt Bauten in der Natur - in einem Buch und in einer Ausstellung. Sie lädt auch zum Neu-Erschauen von Landschaft und Technik ein.

Um Landschaft als Landschaft erkennen und als sinnlichen Gesamteindruck erfassen zu können, bedarf es der subjektiven und interpretierenden Anschauung", schreibt Kulturjournalist Wolfgang Kos in seinem Beitrag zu einem neuen Buch der Fotografin Margherita Spiluttini, Nach der Natur. Konstruktionen der Landschaft. Kos schreibt weiter: „Dafür ist wiederum Distanz notwendig, also ein Außenblick, wie er den unmittelbar in der Natur Arbeitenden, ob Bauer, Jäger oder Wegmacher, nicht zur Verfügung steht. Er würde sie in ihrem zweckorientierten und pragmatischen Tun behindern, hat er doch Muße und Genussbereitschaft als Vorbedingungen.“

Muße und Genussbereitschaft, und ein anderer, jedoch unverfälschter Blick auf eine vom Menschen zernagte, zersägte, verbetonierte, trotzdem authentische Landschaft - das sind die Zutaten, mit denen die wohl bekannteste österreichische Architekturfotografin, Margherita Spiluttini, ein kunstvolles Schichtwerk konstruiert hat: Zum einen sind im Technischen Museum Wien derzeit die entsprechenden Fotografien zu besichtigen - sorgfältig und liebevoll von der Wiener Architektin Elsa Prochazka quasi gerahmt und in Szene gesetzt. Zum anderen legt Spiluttini besagtes dazugehöriges Buch vor, in dem neben Wolfgang Kos auch noch andere Hochkaräter wie Ilse Aichinger und Friedrich Achleitner zwischen den Fotos rauer Steinbrüche, Erzberge, Felsformationen und Staudammbetonierungen blitzen.

Mit dieser Ausstellung, so die Kuratorin Elisabeth Limbeck-Lilienau, „beschreibt die Künstlerin exemplarisch die Verzahnung von Natur und Technik. Der technische Eindruck tritt in manchen Bildern gänzlich in den Hintergrund, als würde sich die Natur den Fremdkörper einverleiben oder zu einem Dekorelement in der eigenen Inszenierung werden lassen.“ Auf einem Bild, geschossen in Muthmannsdorf, wächst zum Beispiel wie selbstverständlich ein Heckenröslein zart unter einem erdrückenden Betonwall hervor, und Ilse Aichinger beschreibt den Steinbruch von Wopfing wunderbar folgendermaßen: „Er ist niedrig, schattig und zerklüftet, könnte zu kleineren Höhlen neigen. Das helle Feld an seiner unteren Grenze läßt an Weizen und das Ende des Frühsommers denken.“ Landschaft, Natur, Mensch sind alles eins.


[Margherita Spiluttini: „Nach der Natur“, Technisches Museum und Fotohof, EURO 26,-
Die Ausstellung im Technischen Museum ist bis 22. 9. zu sehen, es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm, den Start macht die Diskussion Architektur/Landschaft mit Achleitner, Eichinger, Kos u.a.
Info: www.tmw.ac.at]

Der Standard, Sa., 2002.03.30

16. März 2002Ute Woltron
Der Standard

Im Ahorndach wohnt der Specht

Georg Driendl mausert sich zu einem der besten Einfamilienhausplaner der Nation. Der neueste Flügelschwung des Tirolers heißt Solar Tube, steht in Wien und befördert seine Bewohner vom schattigen Fuße bis in die lichten Wipfel alter Bäume.

Georg Driendl mausert sich zu einem der besten Einfamilienhausplaner der Nation. Der neueste Flügelschwung des Tirolers heißt Solar Tube, steht in Wien und befördert seine Bewohner vom schattigen Fuße bis in die lichten Wipfel alter Bäume.

Der Specht hat im Frühling viel zu tun, im 19. Wiener Gemeindebezirk. Schöne alte Bäume stehen hier in der Gegend, mit entsprechenden Specht-Leckereien darinnen. Unter den Baumkronen ducken sich diverse Villen verschiedenster Provenienz - die 70er-Jahre haben hier teilweise mit energischer Pranke gewütet, ein paar Jahrhundertwendehäuser stehen in vollem Efeu, ihre Besitzer suchen in den ausgebauten Dachböden nach der Frühlingssonne, die unten nicht zu finden ist. Draußen in den Gärten beginnen sie bereits herumzukramperln, die Spechte schauen zu.

In der Zuckerkandlgasse, ganz am Ende, entsteht gerade eine neue Klötzchensiedlung mit den üblichen Fenstergucklöchern, viel Beachtung bekommt sie allerdings nicht, weil gleich davor bis in die Baumkronen ein neues Haus gewachsen ist, das alle Aufmerksamkeit der Anrainer und der Passanten auf sich zieht.

Hier drinnen ist es so hell, wie es die Dachbodenausbauer der Umgebung gerne bei sich selbst hätten. Drei Geschoße hoch ist das Haus, das unterste bohrt sich zur Hälfte in den sanften Hang. Das Gebäude steht auf einem schwierigen, weil vom Norden in den Süden gehängten Grundstück, was man aber dank dem Architekten, Georg Driendl, und seiner offenbar sehr aufgeschlossenen Bauherrenschaft, eines Ärztepaares mit drei Kindern, jetzt weder draußen noch drinnen bemerkt.

Das Haus ist eine prachtvolle Gewöhnungsbedürftigkeit, eine Art gläsernen Nests, das bis in die Baumkronen reicht. Georg Driendl hat bereits ein paar sehr beachtliche Häuser in Tirol, Niederösterreich und auch in Wien vorgelegt, im Falle dieses Projektes kommt alles, was er dabei gelernt hat, perfekt zusammen.

Auf insgesamt 308 Quadratmetern Wohnnutzfläche erstrecken sich hier zuunterst der Eingangsbereich samt einer angeschlossenen, derzeit noch nicht genutzten Ordination. Im ersten Stock befinden sich die Küche mit geräumigen Ess- und Knotzbereichen, Letzterer liegt vor einem offenen, betonierten Kamin sowie einer über zwei Geschoße laufenden Bibliothekswand. Ganz oben, unter Dach, sind die drei Kinderrefugien und das Elternschlafzimmer untergebracht. Dazwischen viel Luftigkeit und Helle.

Rein konstruktiv betrachtet ist das Haus schon kühn genug: Zwei massive Betonscheiben stützen eine an Herausforderung grenzende Stahlbrückenkonstruktion, die das oberste Geschoß samt Dach bildet und mittels Stahlfachwerk mit Holz- und Glasausfachung in Form hält. Rundherum ist alles gläsern - teils schwarz und blickdicht, meist aber transparent offen, weil man jeden Sonnenstrahl in die Wohnung hineinholen wollte. Diese Transparenz zieht sich über die Glaswände hinauf bis über das Dach. Denn auch das ist streifenweise verglast, der Specht kann hier herein-, die Bewohner in die Baumkronen hinauslugen. Die Raumwirkung der nach außen gebogenen Glasröhre ist gewaltig. Damit im Sommer das kühle Waldlüfterl Einzug halten kann, lässt sich der hölzerne Teil der Konstruktion mittels elektrischen Antriebs aufschieben. Es entsteht dann ein riesiges Atrium mit Vogelsang und Spechtgetrommel frei Haus.

Driendl beweist mit seinen Arbeiten stets ein fast unheimliches Gefühl für Licht- und Raumsituationen, für präzise Planung jeder noch so kleinen und scheinbar unbedeutenden Ecke, offenbar hat der Mann das richtige G'spür für konstruktive Intelligenz und unkonventionelle Materialeinsätze. Nur ein paar Beispiele: Um das Haus quasi bis zum Untergeschoßfußboden mit Licht fluten zu können, sind in den Decken an wichtigen Stellen ebenfalls Gläser eingelassen. Ein durchlässiger Holzraster in der Decke sorgt für akustische Kommunikation zwischen den oben und unten gelegenen Wohnzonen sowie für eine gute Durchlüftung.

Zu den Materialien: Die markantesten wurden bereits aufgezählt: die Glaswände und Glasdecken, die Sichtbetondecken- und -wandteile sowie die Stahlkonstruktion, die innen sicht- und spürbar bleibt. Doch auch was den gesamten Innenausbau anbelangt, schöpfte Driendl hier aus dem vollen Schatz seiner Hausbau-, Konstruktions- und Materialerfahrung: Die Stiege ist zum Beispiel mittels eines I-Trägers über das Glaswandgeländer aufgehängt, was mit den Ahorn-Trittstufen sehr rassig daherkommt, letztlich wahrscheinlich aber sogar billiger auszuführen war als jede konventionellere Höhenerschließung.

Apropos Baukosten: Leider dürfen sie nicht verraten werden. Doch nur so viel: Das Haus hat dank der Planung und trotz Ausführung mit Qualitätsunternehmen sicher bedeutend weniger gekostet, als man annehmen sollte. Die Zimmerleute kamen aus dem Land der Hölzer, nämlich aus Vorarlberg, der Tischler aus der Steiermark, der Baumeister aus Wien.

Da Driendl seine Einfamilienhäuser stets so konzipiert, dass die Meublage zu einem Teil der Architektur wird, schlägt sich sein unkonventioneller Materialzugang etwa auch im Bereich der Kinder- und Schlafzimmer nieder. Dort gibt es Trennwände aus Papierwabenkernen, die beidseitig mit Glasfaserlaminaten beschichtet wurden: Das ergibt zwar eine blickdichte, dennoch hauchzart transluzente Trennung, die schalltechnisch tadellos ist. Die Schiebetüren der Einbaukästen sind ebenfalls mit Glasfaserlaminaten bespannt. Im Bereich des Bades ist man durch verschiebbare Ornamentglaselemente (Typ Nummero 504) von Einsichten abgeschirmt, sowohl hier als auch in der Küche wurden die Waschtische und Becken in vom Baumeister perfekt gegossenen, geschliffenen und danach lackierten Betonplatten eingelassen. Und noch ein bemerkenswertes Detail: Im Obergeschoß schummert in zwei Wänden Licht durch Onyxplattenwände. Sehr schön.

Obwohl das Gebäude nicht explizit als Niedrigenergiehaus ausgewiesen ist, sorgt die Verglasung gemeinsam mit einer vorzüglichen Dämmung für niedrigenergieähnliche Zustände. Heizkörper hat man sich dank einer Fußbodenheizung erspart - vermissen wird sie hier niemand. Der Blick auf die alten Bäume bleibt unverstellt, ein Sichtschutz in Form verschiebbarer textiler Außenkonstruktionen ist vorgesehen, muss aber erst vollendet werden. Dann können die Passanten nicht mehr hineinschauen, und der freie Blick ins Haus bleibt den Spechten oben in den Baumkronen vorbehalten.

Der Standard, Sa., 2002.03.16



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02. März 2002Ute Woltron
Der Standard

Frischer Dampf für Bahnhofsoffensive

Der neue Bundesbahn-General Rüdiger vorm Walde will, wie DER STANDARD berichtete, verstärkt auf den Personenverkehr setzen. Ein wesentliches Zugmittel...

Der neue Bundesbahn-General Rüdiger vorm Walde will, wie DER STANDARD berichtete, verstärkt auf den Personenverkehr setzen. Ein wesentliches Zugmittel...

Der neue Bundesbahn-General Rüdiger vorm Walde will, wie DER STANDARD berichtete, verstärkt auf den Personenverkehr setzen. Ein wesentliches Zugmittel stellt dabei naturgemäß nicht nur das rollende Material, sondern vor allem auch die adäquate Qualität der Bahnhöfe dar, weshalb die ehrgeizige Strategie seines Vorgängers Helmut Draxler, diese infrastrukturell und architektonisch auf internationales Niveau zu heben, nun mit frischem Dampf fortgesetzt werden soll.

Nach einer Phase pekuniärer Stagnation stehen jetzt auch wieder die entsprechenden Mittel zur Verfügung. War ursprünglich die Sanierung von insgesamt 43 Bahnhöfen vorgesehen, so sollen nun zumindest die zwanzig wichtigsten Knotenpunkte in den kommenden Jahren rasch renoviert und adaptiert oder völlig neu gebaut werden. Bis dato waren nur elf Bahnhofsvorhaben ausfinanziert gewesen. Norbert Steiner, Leiter der Bahnhofsoffensive: „Mit dem neuen Generalverkehrsplan ist nun auch die Finanzierung der restlichen neun Vorhaben gesichert.“ Insgesamt stehen 413 Millionen Euro (5,7 Milliarden Schilling) zur Verfügung, davon wurden rund 36,3 Millionen EURO bereits verbaut. Die zwanzig nun in Angriff genommenen Bahnhöfe stellen zwar nur zwei Prozent aller ÖBB-Haltestellen dar, werden aber jährlich von 82 Millionen Reisenden, also 45 Prozent aller Zugfahrer frequentiert, sie sind darüber hinaus für 70 Prozent der Einnahmen aus dem Personenverkehr zuständig.

Vergangenen Dienstag wurde mit Linz einer der acht wichtigsten ÖBB-Knotenpunkte in Angriff genommen, für Entwurf und Architektur ist Wilhelm Holzbauer zuständig, der Fertigstellungstermin liegt im Frühjahr 2005. Auch der Bahnhof Innsbruck, derzeit eine der katastrophalsten Umsteigstellen, befindet sich bereits in Bau. Die elegante neue Halle von Florian Riegler und Roger Riewe soll Anfang 2004 in Betrieb gehen. Ebenfalls aktiv ist man bereits in Wiener Neustadt, wo Zechner & Zechner sowie Paul Katzberger planen. Zechner & Zechner haben auch den Bahnhof Feldkirch sowie den Hauptbahnhof Graz entworfen. Ersterer ist so gut wie fertiggestellt, zweiterer seit Mitte 2001 in Bau.

Noch heuer sollen die Bahnhöfe Wien Mitte, Baden (Henke & Schreieck), Krems (Podrecca u. Göbl), Leoben (NFOG) sowie Wels (Luger & Maul) baulich angegangen werden, die Planungen sind jeweils unter Dach und Fach. In einer weiteren Bauphase, die im Jahr 2003 mit Klagenfurt (Kada) startet und 2004 fortgesetzt wird, stehen Wien Hütteldorf (Hermann Czech), Salzburg (Klaus Kada) und Bruck an der Mur (Riegler Riewe) auf dem Programm. Für Attnang-Puchheim, St. Pölten und Wien Nord sucht man über gerade laufende und zukünftige Wettebewerbsverfahren die geeignetsten Planer. Die Station Wien Heiligenstadt muss erst analysiert und programmiert werden, und Ausbau sowie Adaptierung der großen Stationen Wien West und Wien Süd (Hotz) machen umfassende Verhandlungen mit den Wiener Städteplanern erforderlich.

Vor allem der Bereich Westbahnhof bereitet Steiner Sorge: „Hier agiert die Stadt viel zu restriktiv, die Rahmenbedingungen, die man derzeit andenkt, sind meines Erachtens zu eng gesteckt, um einen sinnvollen städtebaulichen Wettbewerb in Angriff nehmen zu können. Hier besteht ein Potenzial, dem die Stadt im Moment noch nicht gerecht wird.“ Der Westbahnhof liegt inmitten dichter Wohnquartiere, deren Kaufkraft, so der Bahnhosoffensive-Chef, derzeit in das Umland abfließt. Steiner kann sich eine „Verlängerung der Mariahilfer Strasse als Einkaufsmeile“ vorstellen, kombiniert mit „Arbeits- und Gewerbemöglichkeiten“. Ein völlig anderes städtebauliches Thema ist der Südbahnhof. Steiner: „Hier stellt sich die Frage, wie ein Bahnhof mittels kräftigem Impuls erneuert werden kann.“ Der „Bahnhof Wien“, der Süd- und Ostbahn quasi zusammenfasst, müsse schrittweise angegangen werden. Auch hier wären Mut, Initiative und Vision der Wiener Stadtplaner gefragt.

Der Standard, Sa., 2002.03.02

02. März 2002Ute Woltron
Der Standard

Sehet hin und staunet

Das Haus als Case Study war ein journalistischer Schöpfungsakt, der sich architektonisch bezahlt machte. Die mediale Seligsprechung der Projekte darf ihrerseits heute noch als einzigartige Architektur-PR-Fallstudie betrachtet werden.

Das Haus als Case Study war ein journalistischer Schöpfungsakt, der sich architektonisch bezahlt machte. Die mediale Seligsprechung der Projekte darf ihrerseits heute noch als einzigartige Architektur-PR-Fallstudie betrachtet werden.

John Entenza war der Heiland einer ganzen Architektengeneration, weil er einige ihrer Weggenossen selbst zu Heiligen erkor und dann auch machte. So einfach war das, so kompliziert es auch war.

Der Architekturprophet begann mit der medialen Segnung seiner Jünger zu Ende des Zweiten Weltkriegs, als er in Los Angeles eine avantgardistisch positionierte, mit Innovationen aller Art reich gedüngte Architektur- und Designzeitschrift namens Art & Architecture leitete. In der ersten Nummer des Jahres 1945 unternahm er seine erste Predigt in Form seines Herausgeberbriefs, mit der Aufforderung, die Architekten mögen seinen Worten folgen, und die begann so: „Vieles, das mal oberflächlich, mal profund, zum Wohnungsbau der Nachkriegszeit gesagt wird, scheint uns doch nur bloßes Gerede und Spekulation auf Papier zu sein. Es ist an der Zeit, zu konkreten Fallbeispielen überzugehen und eine Fülle an Material zusammenzutragen, aus dem schließlich etwas entsteht, das sich Wohnhaus der Nachkriegszeit nennen kann. (...) Auf dieser Idee aufbauend möchten wir jetzt ein Projekt ankündigen, das wir als Case Study House Program bezeichnen.“

Entenza rief also - von ihm hochselbst Auserwählte - dazu auf, schlichte, moderne, innovative und möglichst preiswert herzustellende Einfamilienhäuser als Prototypen zu entwerfen, an den Bauherren, die Baufrau zu bringen und die ganze Angelegenheit formschön und regelmäßig in seiner Zeitung präsentieren zu lassen. Die Saat fiel auf fruchtbaren Boden. Von 1945 bis 1966 entwarfen die verschiedensten amerikanischen Architekten in und um Los Angeles 36 dieser Haustypen, von denen die meisten auch realisiert wurden. Das Case Study Program durchlief über die Jahre verschiedene Entwicklungs- und Qualitätsstufen, ein paar der Häuser - etwa jene, die Charles und Ray Eames, Richard Neutra und Pierre Koenig entworfen hatten - wurden von der Architekturgeschichte schließlich zu heiligen Stätten der Baukunst geweiht, und ihre Erbauer erlangten internationalen Kultstatus. Vor allem die Phase der 50er-Jahre brachte einige Prachtvillen hervor, deren ursprünglich angedachte übergeordnete Botschaft, nämlich für jedermann erschwinglich zu sein und irgendwann einmal sogar in kleine Serien zu gehen, freilich keinen Widerhall fand.

Trotzdem war das Programm einflussreich, die Nachwirkungen sind bis heute in zeitgenössischen Architekturen zu verspüren, etwa was den Einsatz industriell gefertigter Bauelemente anbelangt, aber auch in Sachen Grundrisslösungen und Umgang mit dem Raum rund um das Haus. Die Fall-Studenten ihrerseits standen großteils unter dem Einfluß R. M. Schindlers, der sich schon viele Jahre zuvor mit genau diesem Thema sehr erfolgreich zu befassen begonnen hatte. Schindler selbst nahm nie am Programm teil, ganz einfach weil ihn der Allmächtige nicht dazu einlud, genauso wenig wie andere ebenfalls sendungsbewusste starke Typen wie Gregory Ain oder den geradezu anbetungswürdigen John Lautner.

Warum Entenzas journalistisch-selektiver Architektur-Schöpfungsakt international dermaßen Furore machte, lässt sich retrospektiv kaum mehr analysieren. Fest steht aber, dass der Begriff Case Study House bis heute fast über den Nimbus einer kleinen Architekturschule verfügt, und daran ist die perfekte journalistische Aufbereitung der gebauten Leckerbissen schuld. Der architekturbesessene Entenza ließ in seinem Blatt für jede einzelne der Villen quasi Messen lesen. Dabei entstanden originelle und unkonventionelle Textstrecken wie etwa das von Richard Neutra verfasste fiktive Gespräch zwischen den potenziellen Bauherrschaften Omega, Alpha und dem Architekten selbst. Und nicht zuletzt engagierte der Architekturpublizist die besten jungen Fotografen der Westküste für das Oeuvre, allen voran natürlich Julius Shulman. Allein seine atemberaubende Aufnahme der im Glashaus über LA schwebenden Fräuleins im Koenig-Domizil No. 22 - sicher eines der berühmtesten Architekturfotos überhaupt - hätte das Case-Study-Programm bekannt gemacht.

Wie sich das improvisierte Fotoshooting dort im Jahr 1960 tatsächlich abgespielt hat, wie die Originalbeiträge in Arts & Architecture ausgesehen haben, wie sich die einzelnen Häuser heute und gestern in Plan und Detail präsentieren, das kann demnächst in der riesigen, umfangreichen und faszinierenden Publikation Case Study Houses (Elizabeth T. Smith, EURO 154,20/440 Seiten, Taschen, Köln 2002) nachgeschlagen werden: Ein Trip an die Westküste, in eine vergangene, gegenwärtige Moderne und in die Tiefen einer einzigartigen Architektur PR-Kampagne.

Der Standard, Sa., 2002.03.02



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All began just by chance. Julius Shulman.

02. März 2002Ute Woltron
Der Standard

Böhlerhaus wird herausgeputzt

Das vom Wiener Architekt Roland Rainer geplante so genannte „Böhlerhaus“ am Schillerplatz ist eines der letzten erhaltenen Architekturdokumente der 50er-Jahre...

Das vom Wiener Architekt Roland Rainer geplante so genannte „Böhlerhaus“ am Schillerplatz ist eines der letzten erhaltenen Architekturdokumente der 50er-Jahre...

Das vom Wiener Architekt Roland Rainer geplante so genannte „Böhlerhaus“ am Schillerplatz ist eines der letzten erhaltenen Architekturdokumente der 50er-Jahre in Wien. Seine spröde Technologieschönheit liegt derzeit hinter einem Schmutzschleier schlampiger Jahre verborgen, sie kann nur erahnt werden, das Haus steht seit fast elf Jahren leer.

Nun soll der vor allem von der Konstruktion her hochinteressante, zu seiner Zeit impulsgebende VEW-Bürobau endlich aufpoliert und mit einer anderen Nutzung in Betrieb genommen werden: Für die Erhaltung seiner Charakteristika, vor allem was die Fassadenkonstruktion anbelangt, verbürgte sich schon vor geraumer Zeit der Chef des Bundesdenkmalamtes, Wilhelm Rizzi, in Absprache mit den Investoren.

Der Architekt selbst steht der Idee, die ehemaligen Büroräulichkeiten nun zu Hotelzimmern umzufunktionieren, unvoreingenommen gegenüber und äußert seine Freude darüber, dass nun endlich eine Neunutzung in Aussicht steht. Was die sensible Sanierung der Fassade anbelangt wurde ihm das Recht, kritische Punkte selbst zu planen, bereits im Vorjahr eingeräumt. Angestrebt wird eine sanfte Modernisierung, die sowohl den zeitgemäßen Standards entspricht, als auch die mittlerweile fast historische Bausubstanz weiterleben lässt. Das Denkmal sollte also neu belebt doch als signifikanter Typus einer Epoche erhalten bleiben.

Der Standard, Sa., 2002.03.02



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Böhlerhaus - Umbau

01. März 2002Ute Woltron
Der Standard

Shopping und Unterhaltung

Das neue Urban Entertainment Center soll sich auf einer Baufläche von insgesamt 17.600 m² erheben. An drei Stellen ist der Komplex 87 bzw. 97 Meter hoch....

Das neue Urban Entertainment Center soll sich auf einer Baufläche von insgesamt 17.600 m² erheben. An drei Stellen ist der Komplex 87 bzw. 97 Meter hoch....

Das neue Urban Entertainment Center soll sich auf einer Baufläche von insgesamt 17.600 m² erheben. An drei Stellen ist der Komplex 87 bzw. 97 Meter hoch. Die Baukosten belaufen sich auf rund 300 Millionen Euro (4,2 Mrd öS). Als Bauherr tritt die Wien-Mitte Bauprojektmanagement GesmbH auf, die im Eigentum der Bauträger Austria Immobilien GesmbH (B.A.I.) und der Internationalen Projektfinanz (IFP) steht. Als Mitinvestor und Teilbetreiber gewann man den portugiesischen Shoppingmallkonzern Sonae Imobiliaria. Bis 2006 sollen ein Einkaufs- und Entertainmentcenter, ein 340-Zimmer-Hotel, Büros sowie exklusive Dachwohnungen errichtet werden. Die planenden Architekten sind Neumann & Steiner, Lintl & Lintl und Ortner & Ortner.

Der Standard, Fr., 2002.03.01



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Urban Entertainment Center

01. März 2002Ute Woltron
Der Standard

Wenn die Rendite baut, baut sie hoch

Die Debatte um Hochhäuser in Wien erreicht mit dem Projekt Wien-Mitte einen neuen Höhepunkt. Während die Investoren alle Rahmenbedingungen erfüllt sehen, werfen Projektgegner der Stadtplanung Schlamperei vor.

Die Debatte um Hochhäuser in Wien erreicht mit dem Projekt Wien-Mitte einen neuen Höhepunkt. Während die Investoren alle Rahmenbedingungen erfüllt sehen, werfen Projektgegner der Stadtplanung Schlamperei vor.

Während die Planungen eines Urban Entertainment Centers (UEC) in Wien-Mitte so gut wie fertig gestellt und der Baubeginn mit Ende des Jahres terminisiert ist, erreicht der Wirbel um die hohen Häuser am Anfang der Landstraßer Hauptstraße einen Höhepunkt. Entstehen soll dort ein neues Zentrum mit gemischter Nutzung, das an drei Punkten in 87 respektive 97 Meter Höhe emporwachsen wird. Widerstand kommt von Stadtopposition und Bürgerinitiativen. Dass die Innenstadt gerade von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde und sich der Bauplatz in der Schutzzone befindet, sorgt für zusätzlichen Zündstoff.

Warum die Investoren (B.A.I. und IFP) ihre Häuser hoch bauen wollen, erschließt sich durch eine kurze Schlussrechnung: Bei 80.000 m² Nutzfläche und durchschnittlichen 1800 Euro Quadratmeterherstellungskosten ergibt sich eine Bausumme von rund 144 Millionen EURO, das gesamte Projekt wird mit 300 Millionen EURO beziffert, bei der Differenz kann es sich in logischer Folge nur um die Grundkosten handeln. Dieser appetitliche Happen dürfte mittels eines Superedifikats (im Eisenbahnbuch eingetragener Dienstbarkeitsvertrag) in den ÖBB-Säckel gewandert sein, denen das Grundstück gehört.

Will man eine entsprechende Rendite des eingesetzten Kapitals sehen, muss das Grundstück voll ausgeschöpft werden. Roman Rusy, Sprecher der Bauherrin Wien-Mitte Bauprojektmanagement GesmbH will sich dazu nicht äußern, betont aber den für Investoren besonders attraktiven Standort: Schließlich sei Wien-Mitte mit 110.000 Umsteigern der wichtigste heimische Verkehrsknotenpunkt, dieses Publikum wolle man mit dem Shopping-und-Freizeit-Projekt samt Büro-und ausgesuchter Wohnnutzung über den Dächern der Altstadt ansprechen. Außerdem seien die Flächenwidmungspläne genehmigt, der Sanktus der Stadtplaner also längst erteilt.


Schlampig vorbereitet

Projektgegner wie Christoph Chorherr von den Grünen werfen der Stadtplanung „schlampige Vorbereitung“ vor. Chorherr: „Hier rächt es sich, wenn man nicht sorgfältig feststellt, wie viel Dichte ein Standort verträgt.“ Ältere Projekte wie etwa Roland Rainers Studie aus den frühen 80er-Jahren hätten sehr wohl vorgezeigt, dass man „zwar dicht, aber standortverträglich“ bauen könne. Auch TU-Verkehrsplaner Hermann Knoflacher kritisiert das Investorendenken: „Man soll das Geschäft machen, dabei aber längerfristig die Stadtstruktur berücksichtigen.“

Die Projektgenese selbst war langwierig, die nun planende Architekten-Arbeitsgemeinschaft (Neumann & Steiner, Lintl & Lintl, Ortner & Ortner) entstammt einem Architekturwettbewerb aus dem Jahr 1990. Heinz Neumann, Arge-Sprecher, versteht den Aufruhr nicht: „Das Projekt ist längst geplant, wir haben alle Auflagen erfüllt, die Debatte ist kontraproduktiv.“

Zur Architektur des UIC selbst ist zu sagen, dass sie sehr schlicht daherkommt und schon ein wenig an die Berliner Investorenprojekte gemahnt, die der deutschen Hauptstadt keinen Rang in der jüngeren Architekturgeschichte sichern werden.

Der Standard, Fr., 2002.03.01



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01. März 2002Ute Woltron
Der Standard

„Oberflächlich und banal“

STANDARD:
Sie haben vor zwanzig Jahren eine vom Magistrat bereits abgesegnete, nie realisierte Studie über Wien-Mitte gemacht. Wie beurteilen Sie das...

STANDARD:
Sie haben vor zwanzig Jahren eine vom Magistrat bereits abgesegnete, nie realisierte Studie über Wien-Mitte gemacht. Wie beurteilen Sie das...

STANDARD:
Sie haben vor zwanzig Jahren eine vom Magistrat bereits abgesegnete, nie realisierte Studie über Wien-Mitte gemacht. Wie beurteilen Sie das aktuelle Bauvorhaben?

Roland Rainer:
An dieser Stelle große Interventionen zu machen würde alles zerstören, denn es gibt dort viele wichtige und empfindliche Punkte und Blickbezüge eines gewachsenen Stadtensembles. Was gerade geschieht, halte ich für die oberflächlichste, banalste und miserabelste Gesinnung, die es überhaupt gibt. Im Umfeld liegen alte Kirchen, der Stadtpark, die Museen - irgendwo muss man einmal auch Zurückhaltung üben können.

STANDARD:
Was passiert, wenn man das nicht tut?

Roland Rainer:
Es wird ein Verkehrschaos und noch mehr Rummel geben. Man glaubt, dass man mit großen Häusern noch mehr Geschäft machen kann, doch das halte ich für Unsinn. Die Leute brauchen keine Hochhäuser, um Stiefel kaufen zu können. Man bedenke allein die Beschattung, die sich durch diese hohe Bebauung ergibt, an die vollkommene Veränderung der Umwelt, der Belichtung, der Lärmbelastung. Dieser Ort ist eine der schönsten Gegenden Wiens, und die soll völlig verändert werden. Andere Städte gehen mit ihrer Substanz wesentlich vorsichtiger um. Was hier in Wien waltet, ist die primitive Geschäftstüchtigkeit der Hausmeister.

STANDARD:
Die Planer verwehren sich gegen den Vorwurf des potenziellen Verkehrschaos, weil man vor allem die in Wien-Mitte Umsteigenden anziehen wolle.

Roland Rainer:
Ich bezweifle, dass das ernst gemeint ist, denn dann wird man dort kein Geschäft machen. Die meisten fahren doch nur durch.

STANDARD:
Wie hätten Sie planerisch mit dem Ort verfahren?

Roland Rainer:
Ich habe gar nichts gegen eine gewisse, aber behutsam geplante Verdichtung, wenn sie dem stadträumlichen Gefüge entspricht, und wenn dazwischen Plätze, wie es sie in Wien ohnehin kaum mehr gibt, geschaffen werden. Doch es ist nicht egal, ob es dort acht oder zwanzig Geschoße gibt, auch wenn die Kanten zurückgesetzt sind.

Der Standard, Fr., 2002.03.01



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23. Februar 2002Ute Woltron
Der Standard

Elegante Lofts im Kellergeschoß

Wie man mit guter Planung Tageslicht ins Kellerdunkel bringt: Das unterirdische Studiengebäude für die Wiener Albertina von den Architekten Mascher und Steinmayr wird dieser Tage übergeben.

Wie man mit guter Planung Tageslicht ins Kellerdunkel bringt: Das unterirdische Studiengebäude für die Wiener Albertina von den Architekten Mascher und Steinmayr wird dieser Tage übergeben.

Im Zuge der zu Beginn der 90er-Jahre in Angriff genommenen und voraussichtlich im März 2003 abgeschlossenen Generalsanierung des historischen Albertina-Gebäudes hinter der Wiener Staatsoper veranstaltete man 1993 einen Architekturwettbewerb, um die besten Erweiterungsvorschläge für das morsche und zu beengte Gemäuer zu finden.

Das geforderte Programm stellte eine ausgesprochen schwierige Intervention in einer komplizierten gewachsenen Substanz dar. Die Architekten Friedrich Mascher und Erich Steinmayr konnten das Verfahren mit einem sehr einfachen und gerade deshalb überzeugend raffinierten Projekt für sich entscheiden.

Die Bauarbeiten sind nun fertig gestellt, der neue Albertina-Trakt, bestehend aus einem riesigen unterirdischen Betoncontainer für die Albertina-Sammlung sowie einem Studiengebäude für Lehre und Forschung, kann dieser Tage übergeben werden.

Die neuen Werkstätten, Studiensäle, Büroräume und Restaurierungslabors graben sich, wie auch das Hochsicherheitsdepot gleich daneben, im Bereich der Bastei tief in den Erdboden hinein, beide Baukörper sind von außen so gut wie unsichtbar. Dass trotzdem reichlich Tageslicht bis in das unterste Geschoß in immerhin dreißig Metern Tiefe sickern kann, verdankt der Zubau geschickt angeordneten Lichtschlitzen, einem gerade und unkapriziös gehaltenen, demnächst japanisch bepflanzten Innenhof, sowie dem großzügigen Einsatz des Materials Glas.

Das gesamte Bauunternehmen war sowohl planerisch als auch konstruktiv eine Herausforderung der Ingenieurintelligenz, weshalb die Architekten zwei Generalunternehmer durchsetzen konnten: Die Porr war Bauverantwortliche, für die Stahl- und Glaskonstruktionen zeichnete das Unternehmen Alu-Sommer verantwortlich.

Die Nettoherstellungskosten des neuen, über fünf Geschoße mächtigen Albertina-Speichers sowie des angeschlossenen Studiengebäudes betrugen rund 13 Mio. EURO (180 Mio. öS), zuzüglich Planungs-und Finanzierungskosten ergibt sich eine Gesamtsumme von 18,2 Mio. EURO.

Die Architekten Mascher und Steinmayr schufen unaufwändig überraschend angenehme und moderne räumliche Atmosphären. In den durchwegs hellen, luftigen Räumen kommt man kaum je auf die Idee, sich eigentlich weit unter Straßen- und Basteiniveau zu befinden. Das Licht rieselt indirekt ein, es wurde für die dort getätigten wissenschaftlichen Arbeiten an kostbaren Kunstwerken, denen nur Feuchtigkeit noch mehr schaden kann als pralle Sonne, optimal eingefangen.

Die vorherrschenden Materialien sind - fast überall auffällig gut gearbeiteter - Sichtbeton, das bereits erwähnte Glas, das auch als Raumtrenner eingesetzt wurde, und Eichenholz in Form von Parketten und Wandverkleidungen: gelungene und unaufdringliche Architektur.

Der Standard, Sa., 2002.02.23



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Albertina

23. Februar 2002Ute Woltron
Der Standard

Minotaurus im Baustellenlabyrinth

Die Wiener Albertina war ein morsches Haus und eine gut unter Verschluss gehaltene Grafik-sammlung. Bis Klaus Albrecht Schröder kam, eine Vision hatte und sie wahr zu machen begann.

Die Wiener Albertina war ein morsches Haus und eine gut unter Verschluss gehaltene Grafik-sammlung. Bis Klaus Albrecht Schröder kam, eine Vision hatte und sie wahr zu machen begann.

Klaus Albrecht Schröder hat die Sache in die Hand genommen. Man sieht es, man hört es, man riecht es sogar. Nach über fünfzig Jahren gemütlich stillen Vorsichhinrottens rumort es plötzlich heftig in der alten Albertina. Im grauen, auch bei eingehender Betrachtung ausgesprochen unansehnlichen Haus hinter der Staatsoper wird gestemmt und in Betonbottichen gerührt, dass Staub und Zement nur so fliegen und man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Allerorten stehen Gerüste und klaffen Durchbrüche, neue Mauern werden hoch-, Stahlträger eingezogen, Parketten geschliffen, Goldpinsel geschwungen. Der Umbau ist gewaltig, die eingesetzten Mittel enorm, der Weg noch weit. Und überhaupt: Wohin wird er führen?

Schröder trat im vergangenen Jahr dynamisch als Leiter der Graphischen Sammlung an, gerufen hat ihn Ministerin Elisabeth Gehrer. Der Mann ist schließlich bekannt dafür, Visionen zu haben, die auch umzusetzen, und die Museumsmilliarde ist ja auch noch irgendwo vorhanden. Das „kleine Denken“ ist dem Kunstmanager, wie er selbst betont, zuwider, angehen müsse man die Dinge, und das, ohne lange zu fragen oder gar zu zagen. Deshalb wird die Albertina, traditionell ein Hort besinnlich genauer wissenschaftlicher Betrachtungen und Studien, nicht länger in der Stille verharren, sondern zu einem Museum umfunktioniert, zu einem Kunstbetrieb mit Wechselausstellungshallen, Shop und Cafeteria. Wie man das halt so macht, heutzutage.

Irgendwo steht da auch ein Haus, in das die ehrgeizigen Pläne des Klaus Albrecht Schröder hineingepresst werden sollen und das sich nun quasi vor dem Inhalt zu verbeugen hat. Ein Haus mit bewegter Geschichte, mit vielen Um-Ein-Neubauten, mit wertvollen Interieurs und einer tatsächlich grausam vernachlässigten, jahrzehntelang verschlampten Substanz. Wo Ende des 17. Jahrhunderts das Hofbauamt residierte, entstand ein Wohnpalais für Graf Sylva-Tarouca, Lois von Montoyer baute um und vieles Schöne ein, schließlich beauftragte Erzherzog Carl Josef Kornhäusl, noch einmal ordentlich Hand anzulegen. 1945 krachte eine Bombe in das höfische Ensemble, es wurde wieder aufgebaut und sodann dem Verfall überlassen.

Um einen derartigen Riesen wiederzubeleben, bedarf es wahrlich archaischer Kräfte, und Schröder stampft durch die verschlungenen Irrgänge des großen Hauses wie der Minotaurus durch sein Labyrinth. Seine ehrgeizigen Pläne als Verirrung zu bezeichnen, wäre freilich vermessen und unangebracht. Kaum ein anderer Charakter hätte die behäbigen Beamtenmaschinerien rascher unter Dampf setzen, hätte mehr Geldsummen auftreiben können als der gebürtige Linzer. Zwar war die architektonische Erweiterung des Hauses durch einen unterirdischen Speicher sowie ein von den Architekten Friedrich Mascher und Erich Steinmayr geplantes gelungenes Studiengebäude mit Werkstätten, Restaurierungsabteilungen und Bibliothek schon zu Vor-Schröder-Zeiten abgesegnet und in Bau (siehe Immobilien), doch dazu kamen nun eine weitere Ausstellungshalle, eine neue, zeitgenössische Erschließung der Bastei, die Rekonstruktion der straßenseitigen Fassaden sowie die Renovierung der historischen Prunkräume.

Wohlfeil ist hier naturgemäß gar nichts. Das Wirtschaftsministerium lässt insgesamt - derweilen - 51,83 Millionen Euro (713 Millionen Schilling) springen. Für den Rest hat sich Schröder private Sponsoren gesucht und mit Hannes Androsch als einem der „Förderer der Albertina“ einen finanztechnisch ausgefuchsten Verbündeten geangelt. Hans Holleins Bastei-Eingang, das Produkt eines geladenen Wettbewerbes, wird von der Familie Soravia bezahlt, eine Ausstellungshalle von der Stiftung Propter Homines des Fürstentums Liechtenstein. Die mit 4,66 Millionen Euro veranschlagte Renovierung der Prunkräume übernimmt kostenseits zur Hälfte die Gemeinde Wien, der Rest wird privatsponsorenmäßig aufgestellt. Gesetzt den Fall, alles wurde hier richtig ausgerechnet und auch eingenommen, will Schröder sein Reich am 17. März kommenden Jahres feierlich der Öffentlichkeit präsentieren.

Der Vorwurf, man hätte es sodann nicht mehr mit der Albert-, sondern mit der Albrechtina zu tun, wird dennoch allerorten laut. Denn Schröders erstaunliches Durchsetzungsvermögen setzt nun nicht nur das ebenfalls in der Albertina zur Miete befindliche Filmmuseum, dessen marode Räumlichkeiten vom Umbau angeknabbert werden, unter Druck, sondern sogar das mächtige Bundesdenkmalamt. Ein negativer Bescheid, was die Umbauten im dritten Stockwerk anbelangt, wurde vom Ministerium aufgrund „öffentlichen Interesses“ aufgehoben, die Fassadenrückführung auf den Zustand von 1865 wird nicht nur in Fachkreisen als zumindest fragwürdig angesehen.

Doch wo gehobelt wird, fallen Späne, und wenn nach Abschluss der Sanierungsarbeiten das 24-karätige Albertinagold über Kultursponsoren aller Art schimmert, wenn der Grafik-Schatz im sicheren - was die Maschinerie betrifft, allerdings noch nicht finanzierten - Speicher lagert, wenn Ausstellungen und Cocktails eröffnet sind, dann werden Staub und Kämpfe vergessen sein. Bleibt zu hoffen, dass Schröders Macher-Mentalität nicht die ebenso ambitionierten, wenn auch kleineren Institutionen im Haus wie das Filmmuseum zermalmt.

Der Standard, Sa., 2002.02.23



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Albertina

20. Februar 2002Ute Woltron
Der Standard

Umbaustaub für alle!

Klaus Albrecht Schröder stampft energisch eine neue Albertina aus morschem Gemäuer. Das ebenfalls dort untergebrachte Filmmuseum schluckt derweilen den Staub und die Erkenntnis, dass für die Sanierung seiner Räumlichkeiten niemand zuständig sein will.

Klaus Albrecht Schröder stampft energisch eine neue Albertina aus morschem Gemäuer. Das ebenfalls dort untergebrachte Filmmuseum schluckt derweilen den Staub und die Erkenntnis, dass für die Sanierung seiner Räumlichkeiten niemand zuständig sein will.

Die Wiener Albertina wird derzeit mit großem Aufwand und erheblichen Kostenentwicklungen saniert, ihr neuer Chef Klaus Albrecht Schröder legt den Elan und das Tempo eines Zentauren vor, Architekten, Baufirmen, Restauratoren und nicht zuletzt Sponsoren versuchen dem hurtigen Schritt des Museumsmachers durch die angemorschten Prachthallen zu folgen. Im März kommenden Jahres will der Kunstmanager 18.000 Museumsquadratmeter in neuem Glanze eröffnen.

Auf vergleichsweise bescheidenen 377 Quadratmetern liegt inmitten dieser güldenen Fassung mit dem Filmmuseum eine beliebte Wiener Institution eingebettet, die, derzeit etwas angealtert, zu einem Schmuckstein im Gesamtensemble herausgeputzt werden könnte.

Doch hier verlieren sich die Zuständigkeiten in einem Irrgarten der Bürokratien und direktoralen Machtbegehrlichkeiten. Schröder würde das Kino am liebsten samt Sammlung und Personal in sein Reich eingemeinden, was freilich einer Entmündigung des ebenfalls ambitionierten, aber auf anderen Parketten heimischen Filmmuseum-Chefs Alexander Horwath samt Mitarbeitern gleichkäme. Zur optimalen Sanierung der seit 1963 hier angesiedelten Filmmuseum-Räume bedarf es etwa 1,8 Millionen Euro, im Vergleich zur Gesamtbausumme von geschätzten 60 Mio EURO ein Klacks.

Horwath hat sein Amt Anfang dieses Jahres angetreten, da bröselte bereits Schröders Umbaustaub in seine Anlagen, und obwohl es wiederholt Gespräche zwischen den beiden gab, konnte kein gemeinsames tragendes Gerüst für den letztlich minimalen Eingriff gefunden werden. Schröder wirft Horwath nun „kleines Denken“ und einen „Mangel an Visionen“ vor und will aufgrund der Planungs-und Einreichfristen gleich gar keine Lösung mehr sehen.

Dem widerspricht Burghauptmann Wolfgang Beer. Als Gebäudeverwalterin ist die Burghauptmannschaft das den Umbau exekutierende Organ. Beer empfindet es als „absurd“, ein paar Räume von der Sanierung auszusparen, und entwirrt die Zuständigkeiten. Obwohl das Filmmuseum ins Ressort von Franz Morak fällt, meint er: „Wenn das Unterrichtsministerium eine einmalige zweckgebundene Subvention bewilligt, sind wir sofort bereit, die Sache in Angriff zu nehmen.“


Ein Fall für Gehrer

Der Ball liegt also wieder bei Elisabeth Gehrer, die vergangene Woche ohnehin ihrer Freude Ausdruck verlieh, hier ein Projekt in einem Aufwaschen vollständig durchführen zu können. Da die Albertina aber ein Haus mit mehreren Mietern ist, erstreckt sich diese Vollständigkeit nun einmal nicht nur auf einen Macher wie Schröder, so dynamisch er auch sein mag. Immerhin wird das Filmmuseum durch seine Pläne in Mitleidenschaft gezogen, Foyerfläche geht durch die Eingangsverlegung, Licht durch neue, runde Fenster verloren.

Bei vernünftiger Absprache könnten jetzt oder nie synergetische Effekte erzielt werden, ansonsten droht eine künftige neue Baustelle. Was das operative Geschäft anbelangt, so konnte Horwath Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny und Staatssekretär Franz Morak von seinen „Visionen“ sehr wohl überzeugen: Die Stadt hat eine Subvention von jährlich 508.900 Euro zugesagt, die gleiche Summe erhofft man sich nun vom Bund.

Der Standard, Mi., 2002.02.20



verknüpfte Bauwerke
Albertina

16. Februar 2002Ute Woltron
Der Standard

Die Probleme der kleinen und der großen Dörfer

Die Analyse der Architektursituation in den Bundesländern schreitet voran: Diesmal nahm sich die Architekturstiftung Österreich die Architekturwirklichkeiten in Salzburg und im Burgenland vor.

Die Analyse der Architektursituation in den Bundesländern schreitet voran: Diesmal nahm sich die Architekturstiftung Österreich die Architekturwirklichkeiten in Salzburg und im Burgenland vor.

Wie schaut es aus mit Architektur und Stadtplanung in den einzelnen Bundesländern? Was funktioniert klaglos, was liegt im Argen, und unter welchen Rahmenbedingungen entsteht Gebautes? Dieser Frage geht die Architekturstiftung Österreich bereits seit vergangenem Herbst mittels argumentationskräftiger Diskussionsrunden nach. Nach der Steiermark kommen diesmal Architekten, Planer und Architekturnutzer aus Salzburg und dem Burgenland zu Wort. Die Moderation der Gespräche übernahm der Vorstand der Architekturstiftung, Christian Kühn. DER STANDARD versucht eine Zusammenfassung, die kompletten Gesprächsprotokolle sind in Architektur & Bauforum nachzulesen.


Architekturwirklichkeiten in Salzburg:
Entwicklungskonzepte und Gestaltungsbeiräte

Die Salzburger Diskussionsrunde setzte sich zusammen aus: Architekt Peter Ebner, Vorstandsmitglied der Initiative Architektur Salzburg, Franz Fürst, Bauträgerunternehmer, Architekt Gerhard Garstenauer, Günter Maierhofer, Geschäftsführer der Sabfinanz, Norbert Mayr, Architekturpublizist, Johann Padutsch, Stadtrat Salzburg, Architektin Ursula Spannberger, Vorsitzende des Fachbeirats Architektur des Landeskulturbeirates Salzburg.

Eine ganze Reihe ambitionierter Architekten bevölkert das schöne Land Salzburg, der entsprechende Architekturoutput stellt sich allerdings nur schwer und unter größeren Mühen ein. Zu diesem Schluss kam das Salzburger Architekturgespräch, in dem vor allem das zögerliche Walten der Stadt Salzburg kritisiert wurde. Norbert Mayr: „Man kann eine sehr engagierte, wachsende Architekturszene beobachten. Dem steht diametral gegenüber, dass Salzburg bei größeren Projekten in den letzten Jahren nichts Gelungenes vorzuweisen hat.“ Angesprochen wurden das Kongresshaus, das neue Stadion sowie die Museumsdebatte rund um den Schlossberg. Als Positivbeispiel wurde von allen der Makartsteg von Halle 1 über die Salzach genannt. Gerhard Garstenauer ortete einen „grundsätzlichen Mangel bei der Vorbereitung dieser und vieler anderer Projekte“, weil gründliche Standortuntersuchungen nicht durchgeführt würden.

Johann Padutsch sagte dazu: „Ich möchte da zwischen den Vorgehensweisen der Planungsabteilungen und der Politik unterscheiden, und dann noch einmal zwischen Stadt und Land.“ Bei Landesprojekten würden „politische und persönliche Eitelkeiten eine entscheidende Rolle“ spielen. Was die Stadtplanung anbelangt, so kritisierte Franz Fürst den Umstand, dass „die Stadt nur alle 30 Jahre ihr Entwicklungskonzept erneuert“, Salzburg hätte sich zu einer Schlaf- und Wohnstadt entwickelt und laufe Gefahr, seine Lebendigkeit zu verlieren. Der Gestaltungsbeirat kümmere sich lediglich um Fragmente: „Dieses Vakuum provoziert die Politiker, das Heft an sich zu reißen und in ihrer Inkompetenz einsame Entscheidungen zu treffen.“

Auch Peter Ebner würdigte zwar die „Bauwut“ und das Architekturinteresse des Landeshauptmanns, würde sich aber eine bessere architektonisch-städtebauliche Beratung der Politik dringend wünschen. Auch die ehemals vorzügliche Wettbewerbskultur des Landes habe, so Ursula Spannberger, an Qualität eingebüßt, was vor allem auf die geänderte EU-Rechtslage zurückzuführen sei: „Heute können Baumeister an den Verfahren teilnehmen, es kann mit den drei Erstgereihten verhandelt werden, und eine Beauftragung nach GOA (Anm.: Gebührenordnung) ist längst nicht mehr selbstverständlich.“ Günter Maierhofer appellierte in diesem Zusammenhang allerdings auch an die Architektenschaft, den jeweils vorgegebenen Kostenrahmen zu verinnerlichen: „Von zehn Wettbewerbsbeiträgen halten ihn bestenfalls zwei ein, und das sind nicht unbe- dingt die, von denen die Jury auch architektonisch überzeugt ist.“

Gerhard Garstenauer wies auf Vorzüge und Schwächen der Salzburger Gestaltungsbeiräte hin und auf die erfreuliche Lernwilligkeit einiger Genossenschaften: „Es gibt so viele Bauträger, die überhaupt kein Organ für Qualität haben. Im Gestaltungsbeirat habe ich wiederholt erlebt, dass wir dem Direktor einer Genossenschaft gesagt haben, so etwas können Sie den Bewohnern nicht zumuten, und das hat viel bewirkt. Auf dem Land, wo eine solche Hilfestellung noch viel dringlicher wäre, funktionieren die Gestaltungsbeiräte aber leider überhaupt nicht. Die Fremdenverkehrsgemeinden sind in einer fürchterlichen Fehlentwicklung gelandet. Die Orte sind total versaut, aber die Gemeinden haben keine Partner, die sie mit neuen Konzepten unterstützen.“ Ursula Spannberger stimmte zu: „Bis auf wenige Projekte gibt es auf dem Land nichts Interessantes vorzuweisen.“ Doch Peter Ebner ortete ebenfalls bereitwillige Aufnahme jedweder fachlich-architektonischen Beratung: „Ich sehe bei der Arbeit in der Initiative Architektur, dass Bürgermeister froh sind, wenn Sie Unterstützung bekommen. Wir haben ein Symposium für diese Zielgruppe veranstaltet, zu dem 80 Bürgermeister gekommen sind. Der Landesrat und Bürgermeister Eisl hat dort zeitgemäße Architektur und eine Abkehr vom Lederhosen-Stil gefordert.“


Architekturwirklichkeiten im Burgenland:
Bauerndörfer und Qualitätsobjekte

Es diskutierten: Architekt Klaus-Jürgen Bauer, Vorsitzender des Architektur Raum Burgenland, Architekt Hans Gangoly, Rupert Schatovich, Mitglied des Beirats für Baukultur und Ortsbildpflege, Architekt Rudolf Szedenik, Mitglied des Dorferneuerungsbeirats und Vorsitzender des Beirats für Baukultur und Ortsbildpflege, Ulrike Tschach-Sauerzopf, Tourismusfachfrau, Franz Weninger, Winzer.

EU-Förderungen und die Grenzöffnung nach Osten beginnen das traditionell bäuerliche Architekturbild des Burgenlandes langsam zu verändern. Auch im kleinsten Bundesland der Nation regt sich eine erkleckliche Anzahl hellwacher Architekturgeister, die diverse vorbildliche Projekte realisieren konnten. Das eigentliche Problem des Landes bringt Rudolf Szedenik auf den Punkt: „Auf der Ebene dazwischen, beim städtebaulichen Gesamtprojekt und beim Siedlungsbau im ländlichen Raum fehlen aber brauchbare Ansätze. (...) Unsere Dörfer waren bis in die frühen 60er-jahre reine Bauerndörfer. Dann sind die Häuser etwas größer geworden, aber es gab noch immer Identität zwischen Wohnen und Arbeiten am selben Ort. In den späten 60ern setzte zuerst die Landflucht ein und später - durch die gute Verkehrsanbindung nach Wien - wieder ein Bevölkerungszuzug, der zu einer Explosion der Dörfer geführt hat.“ Die „suburbanen Wunschszenarien, was die Wohnform betrifft“, meinte Hans Gangoly, würden mit den traditionellen Strukturen nicht zusammenpassen. Den Häuslbauern, so Rupert Schatovich, ginge es vor allem um Individualität, was in den traditionell geschlossenen Dorfstrukturen natürlich zu einer gewissen Irritation führt.

Bebauungspläne, wie sie in manchen Gemeinden versucht wurden, hätten, so Klaus-Jürgen Bauer, wenig Erfolg gebracht: „Im Ortskern wurde einfach nicht mehr gebaut.“ Franz Weninger, selbst Gemeinderat, dazu: "Ich kenne die Probleme bei der Vermarktung von Grundstücken, die nicht so zugeschnitten sind, dass sich jeder seine Villa draufstellen kann. Da gibt man dann irgendwann nach, wenn man Grundstücke dreimal aufparzellieren muss, bis sie endlich gekauft werden.

Sanierungen und architektonisch intelligente Aufwertungen der typischen langen Streckhöfe des Burgenlandes können dabei durchaus zur Zier und wohnlich zeitgemäßen Behaglichkeit gereichen, wie etwa Hans Gangoly mit einem gelungenen Umbau in Stoob unter Beweis stellte. Rudolf Szedenik wundert sich: „Warum erkennt niemand die Qualität dieses Streckhoftyps, wo ein viel intimeres Wohnen möglich ist, weil man da eigentlich den Hof als Wohnzimmer zur Verfügung hat?“ Franz Weninger meint, dass sich das Bewusstsein dafür erst entwickeln müsse. Schatovich: „Die Dörfer müssen dafür kämpfen, die Bevölkerung im Ort zu halten.“

Was die touristischen Aspekte der Burgenlandarchitektur anbelangt, meinte Ulrike Tschach-Sauerzopf, dass man in der Thermenregion, an deren Gesellschaften das Land beteiligt ist, verabsäumt hätte, „Innovatives, Ästhetisches und Funktionales zu schaffen. Lutzmannsburg ist für mich ein Beispiel für eine verpasste Chance, sowohl was die Bauherren als auch die Architekten betrifft. Es hätte für die zukünftige Hotelarchitektur und andere touristische Projekte im Burgenland zum Impulsgeber werden können. So trifft man auf eine Aneinanderreihung von mittelmäßigen bis banalen Hotelbauten, bei denen auch die funktionale Qualität nicht stimmt.“ Um das Land touristisch sinnvoll zu nutzen und die bereits bestehenden Vorzüge zu verwerten, bedürfe es stärkerer Kooperationen zwischen Bauherren, öffentlicher Hand und Architekten.

Das Interesse an Partnerschaften ist seitens der Architektenschaft groß. Bauer: „Es gab in Neusiedl am See eine eigene Veranstaltung zum Thema Architektur und Tourismus, die auch recht gut besucht war, doch vonseiten des Landes war niemand da, weder Beamte noch Politiker. Wir haben zwar alle eingeladen, aber an der Kette herholen können wir sie auch nicht. Wir sind als Architekturraum sehr daran interessiert, Partnerschaften zu finden - mit dem Land, mit dem Tourismus, mit der Werbung - und hier eine Diskussionsplattform entstehen zu lassen.“ Der Architektur Raum Burgenland ist übrigens das einzige Architekturhaus Österreichs, das von seinem Land keinerlei Subventionen erhält. Doch Geld, sagt Bauer, sei in diesem Zusammenhang „nur ein Symptom: Bewusstseinsbildung können wir nicht allein erreichen, sondern nur in Partnerschaften mit anderen öffentlichen und privaten institutionen, die bereit sind, Architektur als Bestandteil der Kultur anzusehen.“

Einer der burgenländischen Kulturträger ist natürlich der Wein, und Winzer wie Franz Weninger, die selbigen nicht in folkloristisch geschwängertem Ambiente keltern und verkosten lassen, sind noch als Sonderjahrgänge zu verbuchen. Er meint: „Ich habe heute kein Verständnis mehr dafür, aus allem Burgenland-Kitsch zu machen.“ Die Architektur seines Weingutes sei mittlerweile zum Marketingträger geworden, doch „vor allem Kunden aus den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland sind sehr begeistert, mehr noch als die Österreicher.“

Die Ostöffnung wird durchwegs positiv gesehen, denn, so Bauer, „Konkurrenz belebt die Wirtschaft, und wir rechnen durch die Öffnung mit einer starken wirtschaftlichen Dynamik und mit positiven Auswirkungen auf die Architekturszene. Es wird im Burgenland stark auf Qualität gesetzt werden müssen, wenn die billigeren Angebote, etwa im Tourismus, nach Ungarn abwandern.“

Der Standard, Sa., 2002.02.16

09. Februar 2002Ute Woltron
Der Standard

Wenn das neue Haus alt war

Ein Wälzer zum Thema Altbaumodernisierung hilft Planern und Bauherren auf die Sprünge

Ein Wälzer zum Thema Altbaumodernisierung hilft Planern und Bauherren auf die Sprünge

Ein großer, landläufig geglaubter Unsinn in Sachen Bauen ist der, dass es billiger wäre, ein altes Haus wegzureißen und ein neues hinzustellen, als bestehende Architekturen zu revitalisieren. Diese schlichte Verallgemeinerungsformel gilt in den meisten Fällen nicht, tatsächlich wird das Sanieren und Modernisieren bereits bestehender Gebäude eine der wichtigsten und kniffligsten - und keinesfalls uninteressantesten - Bauaufgaben der Zukunft darstellen.

Das architektonische Handanlegen an alte und „halbalte“ Gemäuer ist ein schwieriges, aber reizvolles Geschäft, es erfordert nicht nur planerisches Feingefühl, sondern auch eine Menge technischen Know-hows. Was in Sachen Dämmen, Dichten, Fenstererneuern, Heizungeinbauen vor zehn Jahren noch Sanierungsstandard gewesen sein mag, hat einen enormen Technologisierungs- und Innovationsschulb erfahren, der nicht zuletzt der CO-geschädigten Umwelt zugute kommt.

Neue Möglichkeiten, neue Materialien und der ökologisch verantwortungsvolle Umgang damit machen sich direkt in Planung und Architektur bemerkbar. Ein intelligent erneuertes Haus lässt sich nicht nur besser, billiger und zeitgemäßer bewohnen, es erfährt auch eine entsprechende Wertsteigerung, quasi eine Wertschöpfung durch Technologie in Kombination mit Architektur.

Dieser Umstand ist nicht nur für Gebäudeverwaltungen und öffentliche Bauherren interessant, sondern auch für den privaten Häuslbesitzer, der das ererbte oder erworbene und nicht als optimal empfundene Privatdomizil gründlich zu aufzufrischen gedenkt. Doch wie soll die Sache angegangen werden? An wen wendet man sich, welche Umbau- und Modernisierungsmöglichkeiten stehen offen, was kann das alte Gemäuer überhaupt heute noch hergeben?

Diese Wissensbaulücke will nun eine umfangreiche und genau recherchierte Publikation schließen. Der Energie- und Umweltexperte Johannes Fechner hat, als Herausgeber, mit dem Buch Altbaumodernisierung. Der praktische Leitfaden ein Nachschlagwerk vorgelegt, das sowohl sanierenden Architekten als auch umbauwilligen Bauherren gerade recht kommt. Fechner stellt allerlei interessante volkswirtschaftliche Berechnungen zu Beginn der Lektüre, etwa was den Wert nationaler Gebäudebestände im Vergleich zum Volkseinkommen anbelangt und was die Vernachlässigung dieses Gutes an Wertverlusten bedeutet.

Andererseits, so Fechner, schafft Bauen Arbeit. Allein die thermische Sanierung des österreichischen Altbaubestandes stellt ein Investitionsvolumen von bis zu 25 Milliarden Euro dar, in Deutschland erwartet man, dass bei den jährlich rund 500.000 anstehenden Wohnungsmodernisierungen etwa 175.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Und nicht zuletzt profitiert unser aller Umwelt: Rund ein Drittel der verbrauchten Energie verpufft in Raumwärme, wollen die EU-Staaten ihren Treibhausgas-Ausstoß tatsächlich, wie in Kioto versprochen, bis 2008/2012 im Schnitt um acht Prozent (Österreich liegt bei minus 13 Prozent) senken, besteht gerade hier erhöhter Handlungsbedarf.

Doch zurück zur Architektur: Neben einer Vielzahl von sehr speziellen Informationen und Kontaktmöglichkeiten zum Thema werden in der Publikation eine Reihe meist gelungener Sanierungsbeispiele angeführt. Die Zusammenstellung hat Karin Stieldorf übernommen, das ALBUM pickt sich an dieser Stelle ungerechterweise nur drei heraus (siehe Fotos).

Klein und uralt: 1999 veredelten die Architekten Bettina Götz und Richard Manahl, alias ARTEC, ein verfallendes Stallgebäude im niederösterreichischen Raasdorf zu einer außergewöhnlichen Denkerstube samt Schlaf-, Schrank- und Sanitärräumen für die Bauherrin Zita Kern. Das kühne Projekt mit dem markanten Aluminiumdach wurde nicht nur mit Preisen, sondern vor allem mit der Zufriedenheit der Bauherrin ausgezeichnet.

Groß und großstädtisch: Die dynamischen Neustarter RATAPLAN nahmen sich 1998 eines Substandard-Wohnhauses der Gründerzeit in Wien an, das eine Eigentümergemeinschaft der Gemeinde abgekauft hatte, sanierten den Bestand flott, optimierten darüber hinaus die Energiebilanz mittels vorgehängter Stahl-Glas-Pufferzone und schufen damit luftig-helle zusätzliche Räume.

Feudal und multifunktional: Wie man draußen und drinnen elegant vermischen kann, zeigte Architekt Alois Neururer anhand eines Bürgerhauses von 1890 in Neunkirchen (NÖ) vor. An den sanierten Bestand wurden Glaspavillon und „Box“ angefügt, die Vorzüge des Alten hervorgestrichen und das Neue selbstbewusst - und passend - ausgeführt.
Alle diese Beispiele zeigen vor, dass Sanierung nur in Kombination mit guter Planung Sinn macht, und natürlich umgekehrt


[„Altbaumodernisierung. Der praktische Leitfaden“ Herausgeber Johannes Fechner, Springer Wien New York, EURO 74,80/öS 1036,-

Infoadresse für MAX-Architektur-Wettbewerb: freiraum01@maxontop.com]

Der Standard, Sa., 2002.02.09

04. Februar 2002Ute Woltron
Der Standard

Die guten Götter von Manhattan

Architekten als Kreatoren einer besseren, friedlicheren Welt? Die Schlacht um die Neugestaltung von Ground Zero hat längst begonnen. Wer sie gewinnt, wird so etwas wie ein Symbolgebäude emporwuchten, vor allem aber wird er sich selbst neu erschaffen - als Architektursuperstar.

Architekten als Kreatoren einer besseren, friedlicheren Welt? Die Schlacht um die Neugestaltung von Ground Zero hat längst begonnen. Wer sie gewinnt, wird so etwas wie ein Symbolgebäude emporwuchten, vor allem aber wird er sich selbst neu erschaffen - als Architektursuperstar.

New York - Zum Glück gibt es Herrn Max Protetch. Und Gott sei Dank hat er eine Galerie in Manhattan. Wie schön, dass er die Sache sofort in die Hand nahm, als nach dem 11. September des Vorjahrs klar wurde, dass dort, wo früher die beiden Türme des World Trade Centers gestanden hatten, architekonischer Handlungsbedarf bestand.

Wenn sich der New Yorker Galerist nicht bereits Anfang Oktober „spontan“ ans Telefon gehängt, die internationale Architektenschaft rund um den terrorerschütterten Globus antelefoniert und um persönliche Entwürfe und Visionen für eine Neugestaltung von „Ground Zero“ gebeten hätte, die auszustellen er beabsichtigte, dann wäre die Sache nicht so rund gelaufen. Dann hätte man wahrscheinlich noch nicht einmal die Phase des persönlichen wie nationalen In-Sich-Gehens und Nachdenkens überwunden - wo doch noch nicht einmal die letzten Leichen geborgen werden konnten. Und die Architekten hätten irgendwie ethisch-moralische Probleme gehabt, gleich loszulegen und ihre Monumentalentwürfe zur Heilung dieser Katastrophenwunde herzuzeigen, während noch die Trümmer rauchten.

Doch Protetch und seine Galerie machten legitim und offiziell, was die meisten Architekten ohnehin mit einem Schauder des Entzückens heimlich dachten: Lasst uns jetzt gleich ein neues, noch gigantischeres World Trade Center planen, lasst uns der Welt zeigen, was wir Architekten anzubieten haben - und das ist nichts weniger als das Erschaffen eines neuen Manhattan, eines neuen Symbols der westlichen Welt, quasi eines weltweit sichtbaren Architekturzeigefingers. Jetzt erst recht.

Die formenden Architekturkräfte der zivilisierten Menschheit standen augenblicklich wie ein Mann hinter dem Vorhaben, und der ist, wenn man die Teilnehmerschaft an Protetchs Wettbewerb hernimmt, von weißer Hautfarbe und knapp 60 Jahre alt. Bis auf ein paar Ausnahmen wie Frank Gehry, Peter Eisenman, Philip Johnson oder Rem Koolhaas waren so gut wie alle Antelefonierten zur Tat bereit und lieferten eifrig blitzschnell jene großteils absurden, in die Höhe schießenden Konstrukte ab, die nun in der New Yorker Galerie bis Mitte Februar in Bild und Modell ausgestellt sind.

Wer wird denn in den Geruch der Überheblichkeit kommen, wenn man im Dienste einer Stadt, einer Nation, ja einer Geisteshaltung aufgefordert wird, sein Bestes zu geben? Die Architekten sahen sich immer schon als Konstrukteure besserer Welten. Dass ihnen in den vergangenen Jahrzehnten dieser Anspruch neben einer immer mächtiger werdenden Bauindustrie abhanden gekommen ist, hat eine gewisse Sinnleere produziert, die sich nun an diesem einen Ort herrlich demonstrativ auffüllen lässt.

Vielleicht befeuerte auch ganz nebenbei, sozusagen synergetisch, folgender Umstand den Eifer der Konstrukteure: Eine derart perfekte Chance, sich gramgebeugt in den Mittelpunkt zu spielen, dürfte wohl nicht so bald wieder daherkommen. Keine Zeitung, die an der Sache vorbeikommt, und die Architektenhelden der einzelnen Nationen schaffen, was ihnen ansonsten nie gelingt, nämlich auf den Titelseiten Schlagzeilen zu machen.


Image statt Inhalt

Wer letztlich seine Fundamente in diesem prominentesten Baugrund der international wichtigsten Hochhausstadt verankern wird, bleibt da fast schon egal. Die vereinigten Fernsehkameras und Pressefotografen der Welt zeigen jetzt einmal, was sein könnte, und das allein ist schon Goldes wert in einer Szene, die zumindest medial mittlerweile hauptsächlich von Image anstelle von Inhalt bestimmt wird.

Dass mit der schwerst belasteten Baulücke zwischen den Hochhäusern etwas geschehen muss - und zwar rasch und im Dienste der Stadt, ihrer Einwohner und ihrer Wirtschaft -, ist natürlich klar. Investoren und Immobilienmanager wie Larry Silverstein, der Mieter des WTC, drängen bereits auf Lösungen. Silversteins Vorschlag, vier niedrigere, schlichte Türme samt Memorial-Zone zu errichten, scheint vernünftig und unkapriziös. Sie ist auf jeden Fall sympathischer, weil ehrlicher als all jene monumentalen Riesengebilde, die die weltverbessernde Architektenschaft in ihrer Eitelkeit vor die laufenden Kameras hielt.

Das World Trade Center, so sagt man, sei ein Schloss des Geldes und ein Sinnbild des Kapitalismus gewesen. Rund um die Trümmer hängen Transparente, auf denen steht: „United we stand“. Dieser Slogan war einmal die Antwort auf den Manchesterkapitalismus gewesen, erfunden wurde er von den ersten Gewerkschaften der Geschichte. Während die Kinderarbeit und den 18-Stunden-Tag bekämpften, betätigten sich Architekten in Europa - durchaus auch eigeninitiativ - an der Verbesserung der katastrophalen Arbeiterslums. Sehr erfolgreich und in die Architekturgeschichte eingehend. Posthum, versteht sich.

Der Standard, Mo., 2002.02.04

02. Februar 2002Ute Woltron
Der Standard

Europas beste Bauten

Ausstellung zum Architekturpreis der EU im Wiener Ringturm

Ausstellung zum Architekturpreis der EU im Wiener Ringturm

Der jüngste Mies van der Rohe Pavillon Preis, die Auszeichnung der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur, wurde im Vorjahr vergeben, die Ausstellung dazu macht derzeit im Ringturm der Wiener Städtischen Versicherung Halt. Die Schau ist insofern empfehlenswert, als sie anhand von Plänen, Fotos und Modellen ein breites Spektrum europäischen Architekturmachens näher bringt und beweist, wie vielfältig Gebautes sein kann, wenn alle wollen, dass es gut wird. Ausgezeichnet werden deshalb nicht die Architekten, sondern die von der Jury als am besten empfundenen Gebäude. Das macht Sinn, weil ohne die entsprechenden Auftraggeber gute Architektur keine Chance hat. Das Häusermachen ist letztlich ein Prozess, in dem alle Beteiligten, vom Architekten über den Investor bis zum Anrainer und Nutzer, eine entscheidende Rolle zu spielen haben - eine Erkenntnis, die immer wieder zu predigen sich lohnt. Gewonnen hat in diesem Fall also jedes der 37 ausgewählten Häuser und die vielen Leute, die dahinterstehen.

Siegreich war das Kursaal Zentrum im spanischen San Sebastián, vom stillen Architekten Rafael Moneo gekonnt und an prominenter Stelle in Szene gesetzt. Die beiden dynamisch verzogenen, glasumhüllten Blöcke des Stadt-Treffpunktes geben der alten Stadt am Meer ein neues, zeitgenössisch aufgefrischtes Profil. Moneos Kursaal ist nicht nur Haus, sondern auch Umgebung, sprich, die Freiräume und Höfe, die zwischen und um die Blöcke entstanden sind, haben urbanen Pep, der bereitwillig an-und aufgenommen wurde. Sie werden von den skatenden, schlendernden, kaffeetrinkenden Stadtbewohnern offensichtlich auch genutzt, wenn das Zentrum Sperrstunde hat, das stattliche Bauensemble mutiert somit nächtens nicht zur Geisterstadt wie so mancher andere monofunktionale Kollege.

Doch auch wer von den zahlreichen hochgejubelten Kulturbauten der vergangenen Jahre die Nase schon ein wenig voll hat, kann in dieser Schau aus dem Vollen schöpfen: Das Nutzungspanorama der präsentierten Projekte ist bunt, scheinbar so schlichte Bauaufgaben wie Lagerhallen und Friedhöfe wurden ebenso lobend hervorgestrichen wie flotte Einfamilienhäuser oder Fußballstadien. Erfreulich auch, dass mit dem Botanischen Garten in Barcelona, geplant von Carlos Ferrater, Bet Figueras und José Luis Canosa, eine vorzügliche Landschaftsplanung ausgezeichnet wurde.

Was hundert Jahre lang Mistgstätten und Hinterhof einer pulsierenden Metropole war, wurde unter großer kommunaler Anstrengung und mit einer feinen, durchdachten Planung zu einer 14 Hektar großen Freizeit- und Naturvermittlungsoase. Das leicht hügelige Gelände wurde von einem zackigen Wegenetz facettiert, die gestaltende Geometrie ist dabei das Dreieck. In den so entstandenen Zwischenflächen wuchert die Flora Kaliforniens, Chiles, Südafrikas und Australiens. Einen fast absurden Zugang zur Pflanze suchte der Architekt Edouard Fran¸cois im französischen Montpellier. Dort entstand ein unkonventionelles Apartmenthaus, das zwar grundrissmäßig nicht sonderlich aufregend, dafür aber in seiner Ausführung ausgesprochen extravagant ist. Der Franzose hat sowohl formal als auch technisch einigermaßen ungeniert bei diversen Kollegen Anlehnung genommen, was aber vollkommen in Ordnung, ja sogar recht witzig ist: Zum einen stechen aus dem leicht geschwungene Baublock freche Loggienblöcke heraus, wie man sie bei der niederländischen Gruppe MVRDV kennen gelernt hat. Zum anderen übernahm der Architekt die derzeit hochmoderne Idee, fassadenseits Gesteinsbrocken hinter Stahlgittern einzusperren, was die Kollegen Herzog & de Meuron in ihrem Napa-Valley-Weingut wenn schon nicht erfunden, so doch zur Perfektion gebracht haben. Fran¸cois ging allerdings noch einen Schritt weiter und versenkte in den Tiefen der gesamten steinbröckeligen Fassade ein Bewässerungssystem sowie zahllose Säckchen voller Pflanzensamen. Aus dem markanten treppigen Gebilde sollte also in den kommenden Jahren eine rübezahlähnliche Gestalt werden, in der es innen schön kühl sein dürfte.

Ein wichtiges Thema war den Juroren offensichtlich auch der Umgang mit alter Bausubstanz. Hier nur eines der prämierten Beispiele: Seit kurzem führt ein selbstbewusst in den Berg gehauener Pfad von einer tiefer gelegenen, gut versteckten Parkgarage hinauf in die Altstadt von Toledo. Der gesamte Anstieg ist mit der Bequemlichkeit von Rolltreppen ausgestattet und ein gelungenes Beispiel dafür, wie mit zeitgenössischen Mitteln und ohne denkmalpflegerische Verletzungen in gewachsenen Strukturen hantiert werden kann.

Übrigens sind auch zwei österreichische Projekte beziehungsweise Architekten unter den ausgewählten Teilnehmern: Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle konnten mit ihrem experimentellen Wohnkomplex am Lohbach bei Innsbruck punkten. Alfred Berger und Tiina Parkkinen zeichneten sich mit ihrem Botschaftsareal für die Nordischen Länder in Berlin aus. Wer die Ausstellung nicht besuchen kann, der hat mittels eines Katalogs (European Union Prize for Contemporary Architecture. Mies van der Rohe Award 2001, Actar, EURO 30,-) die Möglichkeit, alle Projekte eingehend zu studieren.


[Architektur im Ringturm: Europas beste Bauten 2001, Mies van der Rohe Pavillon Preis, bis 22. 3., Wien, Schottenring 30,]

Der Standard, Sa., 2002.02.02

02. Februar 2002Ute Woltron
Der Standard

„Massiver Schaden für Salzburg“

Architekturgerangel um den Umbau des Kleinen Festspielhauses

Architekturgerangel um den Umbau des Kleinen Festspielhauses

Vergangenen Herbst wurde das Architekturverfahren bezüglich Umbau des Kleinen Festspielhauses in Salzburg entschieden. Das Haus soll bis 2005 um insgesamt knapp 30 Millionen Euro umgebaut werden. Je 5,5 Millionen kommen von Stadt und Land, 9,4 schießt der Bund zu, die restlichen 9,6 sollen über Sponsoren aufgetrieben werden. Der Entwurf von Hermann & Valentiny und Wimmer Zaic Architekten wurde erstgereiht und zur Ausführung empfohlen. Wie DER STANDARD berichtete, beantragte der mit seinem Projekt zweitgereihte Wilhelm Holzbauer nach der offiziellen Beauftragung der Erstgereihten durch den Salzburger Festspielfonds beim Bundesvergabeamt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen die Juryentscheidung.

Da die Frist mit 26. Jänner abgelaufen wäre, erwirkte Holzbauers Rechtsanwalt Stephan Heid nun eine Fristverlängerung. Zitat aus dem Bescheid des Amtes vom 25. 1.: „Dem Auftraggeber wird das Aussetzen der Zuschlagserteilung aufgetragen. (...) Diese einstweilige Verfügung gilt für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens über den Antrag auf Nichtigerklärung vom 26. November 2001, längstens jedoch bis zum 11. März 2002.“

Die Verhandlung zur Causa findet am 1. März statt. Laut Sachbearbeiter Alexander Latzenhofer in der Geschäftsführung des Bundesvergabeamtes „kann die Entscheidung aufgehoben und für nichtig erklärt werden, wenn man zur Ansicht kommt, dass sie rechtswidrig sei, ansonsten werden die Anträge abgewiesen. Das Verfahren selbst als nichtig zu erklären wurde nicht beantragt.“ Holzbauer hat zugleich für den Fall des Abweisens einen Eventualantrag eingebracht, dass, so Latzenhofer „niemand den Zuschlag bekommen und das Verfahren neu durchgeführt werden soll“.

Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden sieht aufgrund der Querelen und der sich dadurch ergebenden Bauverzögerung nun die Festspielsaison im Mozartjahr 2006 gefährdet. Er versteht die Vorgangsweise des Wiener Architekten nicht: „Wenn wir jetzt nicht endlich zu einer Entscheidung kommen, sind sowohl die Festspiele als auch die Stadt und das Land Salzburg massiv geschädigt. Es war klar, dass wir dieses Projekt nicht frei vergeben. Wir haben also ein korrektes Verfahren ausgeschrieben und den Siegern den Zuschlag erteilt, was Wilhelm Holzbauer dazu bewogen hat, das Verfahren nun anzufechten. Er muss wissen, dass damit die Festspiele, die Stadt und das Land Salzburg massiv geschädigt werden.“ Auch Landesbaudirektor Alfred Denk gibt zu bedenken, dass es im Moment „offenbar Mode“ sei, „als Unterlegener Einspruch zu erheben“. Er meint: „Diese Pattstellung ist äußerst unangenehm, wir müssen das Haus so rasch wie möglich umbauen.“ Das Gemunkel, Holzbauer habe als Salzburger und als Festspielkuratoriums- und Direktoriumsintimus die gefühlstechnisch besseren Karten in der Hand, weist er entschieden zurück: „Das ist alles Unsinn, wäre dem so, hätte Holzbauer den Auftrag längst gekriegt.“

Obwohl bis dato weder Juryprotokoll noch Planungsunterlagen veröffentlicht wurden, ist Wilhelm Holzbauer über die Entwürfe seiner Kollegen im Gegensatz zu den anderen Wettbewerbsteilnehmern des EU-weit ausgeschriebenen Verfahrens offenbar gut informiert. Das geht zumindest aus den juristischen Anträgen sowie aus einer aktuellen Presseaussendung hervor, die mit vermeintlichen Schwächen und Verstößen gegen Denkmalschutz und Ausschreibung seitens des Siegerprojektes argumentiert. Für Robert Wimmer ist das ein klarer Verstoß gegen die Regeln und ein illegitimer Wettbewerbsvorteil für den Kollegen: „Der Auftraggeber hat dafür Sorge zu tragen, Unterlagen nicht weiterzugeben, doch offenbar ist das erfolgt. Holzbauer hat offensichtlich Unterstützung auf höchster Ebene.“ Auch Franz Valentiny wird langsam ärgerlich: „Wir werden uns dieses Projekt auf keinen Fall aus der Hand nehmen lassen und all jene mit allen rechtlichen Mitteln attackieren, die uns in diese Position manövriert haben. Wenn es sein muss, werden wir bis zum Europäischen Gerichtshof gehen.“

Laut Christof Bamberger, dem Anwalt der zum Planungsstopp gezwungenen Architekten, könnte sich das Verfahren tatsächlich noch gehörig in die Länge ziehen. Holzbauers Anwalt Stephan Heid war nach Rücksprache mit seinem Mandanten dem STANDARD gegenüber zu einer über die Presseaussendung hinausgehenden Erklärung nicht bereit.

Der Standard, Sa., 2002.02.02



verknüpfte Bauwerke
Kleines Festspielhaus - Wettbewerb

26. Januar 2002Ute Woltron
Der Standard

Die Kunsthalle ist tot. Es lebe die Kunsthalle.

Adolph Krischanitz' neue Kunsthalle am Karlsplatz wurde eröffnet. Sie ist phantastisch geworden.

Adolph Krischanitz' neue Kunsthalle am Karlsplatz wurde eröffnet. Sie ist phantastisch geworden.

Selbstverständlich ist es nicht ganz fair, verschiedene Architekturen direkt miteinander zu vergleichen. Zu unterschiedlich sind ihre Entstehungsgeschichten, die zur Verfügung stehenden Gelder und Nutzeransprüche, gar nicht zu reden von Umgebungen, Anrainern, Bauplätzen. Trotzdem kann gesagt werden: Das schnittigere Museumsquartier steht seit zehn Tagen in Form eines kleinen gläsernen Pavillons auf dem Wiener Karlsplatze zur Bespielung und Beschleunigung kreativer Ideenwelten bereit.

Der Wiener Architekt Adolf Krischanitz hat dort auf einer der zahlreichen Verkehrsinseln eine neue, flüchtige Hülle für den Kunstbetrieb und dessen Produkte eingeparkt. Bereits am Tag vor der Publikumseröffnung in der vorvergangenen Woche wurde die gläserne Schachtel von ihrer künftigen Künstlerklientel im Rahmen eines Einweihungsfestes testgefahren und einstimmig für vorzüglich befunden. Der durchsichtige Glaskubus ist genau das, was der verkehrsumtoste Nicht-Ort zwischen Karlskirche, TU-Bibliothek und Stadtautobahn braucht: Eine preiswerte Architektur als Medium, ein Reagenzglas für künstlerische Interventionen, eine Ideen-Beschleunigungsmaschine für eine Szene, die sich in Marmorsälen und Stukkaturhallen nie richtig wohlfühlen wird.

Architekt Adolf Krischanitz hat mit dieser vordergründig einfachen Arbeit eine ausgesprochen schwierige Leistung zustande gebracht, die, man darf das ruhig so formulieren, nicht vielen Architekten zuzutrauen ist: Er hat sich selbst als Baukünstler in seiner kühl-analytischen Art zurückgenommen und lieber für die Kollegen Maler, Bildhauer, Fotografen, Neuemedienzampanos eine Herbergsstation für vorübergehende Aufenthalte gebaut. Ohne Anspruch auf Ewigkeit und Weihe, quasi distanzlos, brutal und direkt.

Die Hülle selbst ist in ihrer einfachen Machart schon klass genug, doch richtig spannend wird sie durch die jeweilige Befüllung, und das ist etwas, was ein Architekt bewusst zulassen muss. Krischanitz hat so gut wie alles zugelassen: Der Galerieraum funkt seine Botschaft ungeniert direkt in den Stadtraum, was vor allem nächtens herrlich funktioniert, wenn draußen die Autos vorbeiflitzen, drinnen die Besucher vergleichsweise zeitlupenhaft und wie Aquarienbewohner ausgeleuchtet ihre Kreise ziehen. Irgendwie vermischen sich hier in dieser feinen Architektur die städtischen Temperamente - Geschwindigkeit, Kommunikation, Information werden zu einer Art urbaner Verrücktheit raffiniert, und das ist genau das, was dem Museumsquartier ein paar Straßenzüge weiter so schmerzlich abgeht.

Während man dort unter enormen Kraft-, Material- und Kostenanstrengungen über viele Jahre und zu Dutzenden den Prototyp einer Luxuskunstlimousine zurechtfeilen wollte, die alle gleichermaßen befriedigt, ist am Karlsplatz blitzschnell ein frecher Straßenflitzer aus einer Hand entstanden. Gang rein, Vollgas, ein paar ordentliche Runden, und die nächste Spritztour unternimmt wieder ein anderer. Leute wie Schiele und Klimt werden naturgemäß nicht darunter sein, die sind in den besagten Marmorhallen tatsächlich viel besser aufgehoben. Doch dass sich die jugendlicheren Kunstkräfte und Kreativköpfe im gut versteckten, nachgerade hinter der Vergangenheit verbarrikadierten Museumsquartier nicht wirklich zum Stelldichein zusammenfinden wollen, liegt unter anderem halt auch an der alten und neuen Architektur dieses weder weihevollen noch subversiven Nicht-Ortes.

Die neue Kunsthalle Karlsplatz führt letztlich vor Augen, welches Potenzial an Quicklebendigkeit ein großes Museumsquartier in Wien gehabt hätte, und wie viele Möglichkeiten der kurzsichtige denkmalpflegerische Wahn in dieser behäbigen Stadt verspielt hat. Der ehemalige Messepalast wurde unter großer öffentlicher Anteilnahme zu einem Klagegemäuer herausgeputzt, hinter dem sich Kunst und Architektur nun brav ducken müssen. Die Architekten haben sich bemüht, eine wirkliche Chance, eine aufregende Kunst-Kultur-Begegnungsstätte zu schaffen, hatten sie allerdings nie, weil der Wille zur Erneuerung von Anfang an nicht da war. Auf die Frage, wie mit dem Stall- und Messepalastallerlei umzugehen wäre, hätte es nur eine Antwort gegeben: Dynamit.

Die unaufwendigere, einfachere, aber wirkungsvollere Kunsthalle Karlsplatz hingegen ist, was sie sein will: ein zeitgenössisches Transportmittel für zeitgenössische Kunst. Sie erreicht ihre Kundschaft, die Stadtbewohner, über viele Schleusen und hat alle Barrikaden radikal aus dem Weg geräumt. Das angeschlossene Café, schon zu Zeiten des größeren blau-gelben Kunstcontainervorgängers einer der beliebtesten Treffpunkte Wiens, ist ein wenig geräumiger geworden. Eine breite Holzterrasse hat den kiesigen Schanigarten ersetzt. Der neue Ort gleicht dem alten, er wurde auch sofort vom Stammpublikum aufatmend wieder in Besitz genommen. Die Kunsthalle ist tot. Es lebe die Kunsthalle.

Der Standard, Sa., 2002.01.26



verknüpfte Bauwerke
KUNSTHALLE wien – project space

19. Januar 2002Ute Woltron
Der Standard

Stadtschloss Berlin: Zerstrittene Einigkeit

Nach wie vor berät eine Expertenkommission über Neubau oder Rekonstruktion des Schlosses von Friedrich I. in Berlin. Die DDR hat das Gemäuer gesprengt, die neue Bundesrepublik will es wieder aufbauen. Die Frage lautet nur, wie?

Nach wie vor berät eine Expertenkommission über Neubau oder Rekonstruktion des Schlosses von Friedrich I. in Berlin. Die DDR hat das Gemäuer gesprengt, die neue Bundesrepublik will es wieder aufbauen. Die Frage lautet nur, wie?

Die Debatte um den Wiederaufbau des barocken Berliner Stadtschlosses geht in das nunmehr elfte Jahr. Seit Ende 2000 berät die hochkarätig besetzte Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ unter dem Vorsitz des Österreichers Hannes Swoboda, wie mit dem zentralen und wichtigen, aber devastierten Ort Berlins verfahren werden soll. Ein Ende der Debatte war mit Ende vergangenen Jahres nach einer Dekade des Diskutierens erwartet worden, ist aber nach wie vor nicht in Sicht.

1701 hatte Preußenkönig Friedrich I. erst Andreas Schlüter, dann Eosander von Goethe mit dem Bau eines Barockschlosses beauftragt. Tatsächlich wurde bis in das 19. Jahrhundert an dem Repräsentationsblock gemeißelt, auch Friedrich Schinkel legte schließlich noch kräftig Hand an. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Gebäude eine ausgebrannte Ruine, die durchaus hätte wiederhergestellt werden können, doch der DDR-Geist entschied sich gegen eine Renovierung des Preußenprachtbaus: In den 50er-Jahren wurde das Schloss kurzerhand gesprengt, am Rand des solchermaßen entstandenen geräumigen Platzes errichtete man später den Palast der Republik.

Seit klar ist, dass mit diesem historisch wie städtebaulich markanten Ort inmitten einer Stadt boomender Neubauten etwas zu geschehen hat, gehen die emotionalen Wogen sowohl in der Bevölkerung als auch im Kreise der Fachleute hoch. Befürworter einer Rekonstruktion des alten Schlosses ringen mit Verfechtern der Erhaltung des DDR-Palastes, dazwischen mengen sich die Stimmen derjenigen, die den prominenten Bauplatz als Chance für zeitgenössische Spitzenarchitektur verstehen. Gut vier Dutzend Architekturentwürfe unterschiedlichster Qualität liegen bis dato vor, ein groß angelegter, wohl überlegter Wettbewerb scheint unvermeidlich. Doch die Expertenkommission für die „Historische Mitte“ wird wohl noch einige Male zu tagen haben, bis Konsens erreicht, ein Wettbewerb ausgeschrieben und ein Baubeginn in Sicht ist.

Einer der Experten ist mit Peter Conradi der Präsident der deutschen Architektenkammer. Das ALBUM bat den obersten Baukünstlervertreter der Bundesrepublik zum Gespräch.

ALBUM: Die Befürworter der Rekonstruktion behaupten, das Berliner Stadtschloss sei der bedeutendste Barockbau nördlich der Alpen gewesen. War dem so?

Peter Conradi: Von wegen. Wir haben den Wiener Professor Hellmut Lorenz, der ein fundierter Barockkenner ist, zu einer Beurteilung eingeladen, und er sagte, das seien herbeigeredete Qualitäten, die das Schloss nie besessen habe. Er warnte ausdrücklich vor einer Rekonstruktion, allenfalls solle man Erinnerungsstücke nachbauen. Denn wie soll man eine Rekonstruktion des Zustands vor der Zerstörung angehen, wenn nur Unterlagen aus dem Jahr 1940 vorhanden sind, als das Schloss schon mehrfach umgebaut war? Will man Schlüters Werk besser nachbauen und schöner machen, als er selbst es geplant hat?

Vergangenen Freitag (11. 1. 2002) hätte eigentlich die abschließende Sitzung des Komitees stattfinden sollen. Für wann erwarten Sie letztlich eine Entscheidung?

Peter Conradi: Die Angelegenheit pressiert ja gar nicht. Weder Berlin noch der Bund haben zurzeit Geld für das Schloss. Ich erwarte auch nicht, dass der Bundestag sich vor der Wahl mit dem Thema befasst. Darüber wird frühestens 2003 entschieden.

Wie schaut es innerhalb der Kommission aus? Herrscht hier Einigkeit?

Conradi: Die Kommission ist in der Nutzungsfrage einig, was die bauliche Gestaltung anbelangt hingegen heftig zerstritten.

Es gibt diverse zeitgenössische Projekte für einen Neubau, aber gab es jemals einen Architekturwettbewerb?

Conradi: Es gab in den 90er-Jahren einen städtebaulichen Ideenwettbewerb, der scheiterte, weil kein klares Programm vorgegeben war. Der erste Preis strahlte den Charme des Zentralgefängnisses von Atlanta aus und war vom, wie ich es nennen will, Geist des Berliner Syndikats bestimmt. Später gab es weitere Vorschläge. Norman Foster schlug eine temporäre Nutzung vor, Gustav Peichl eine Collage aus Alt und Neu, Gerkan & Partner eine Glashülle, auf die das Bild des alten Schlosses projiziert war. Auch Architekt Schultes hat ein interessantes Projekt vorgeschlagen. Ich hoffe, dass wir zu einem offenen Wettbewerb für das von der Kommission empfohlene Nutzungsprogramm kommen werden.

Hat die Kommission präzise Vorstellungen über die Nutzung eines Neubaus?

Conradi: Die Expertenkommission hat einstimmig einen Nutzungsvorschlag beschlossen, in dem sich Kultur, Naturwissenschaft, Kommunikation und Information verbinden. Es könnten völkerkundliche und naturwissenschaftliche Sammlungen untergebracht werden, die Berliner Zentralbibliothek würde eine neue Art der Vermittlung über neue Medien dort anbieten, und des weiteren könnte der Ort als Agora für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden.

Gibt es bereits seriöse Kalkulationen bezüglich der Baukosten?

Conradi: Erst wenn das Programm genau fixiert ist, kann man die Kosten angehen, alles andere wäre fahrlässig.

Die Befürworter der Rekonstruktion beziehungsweise des Zeitgenössischen haben sich nun jahrelang heiße Debatten geliefert. Gab es eigentlich jemals eine Volksbefragung zum Thema?

Conradi: Verlässliche Umfragen gab es nicht. Es gibt drei Positionen: Den Palast der Republik wollen nur wenige erhalten. Der war nicht schön, aber wenn man alles abreißen würde, was nicht schön ist, gäbe es nicht nur in Berlin große Lücken.

Auch in den Neubauvierteln des Westens.

Conradi: Sicher auch dort. Es wäre dennoch eine Option, den Rohbau des Palastes zu erhalten und ein anderes bauliches Kleid darüberzulegen. Was die Rekonstruktion anbelangt, so könnte man bestenfalls drei der Fassaden sowie ein paar Innenräume nachbauen. Mir persönlich haben die zeitgenössischen Lösungen etwa von Peichl und Schultes gut gefallen, die Teile der Erinnerung mit einem neuen Bau verbinden - als Zitate, die nicht so tun, als seien sie ein altes Schloss.

Worauf führen Sie die heftigen Diskussionen über Alt und Neu zurück? Ist die Architektur ein derart wichtiger Identitätsstifter?

Conradi: Es gibt in Deutschland eine Tendenz, die wir als Retro bezeichnen, die vergangenheitsorientiert das Alte glorifiziert. Sie ist mit einer starken Abneigung, sogar mit Hass auf die Moderne verbunden. Sicher steckt auch die Angst vor der Globalisierung und einem damit verbundenen Identitätsverlust dahinter. Wenn sich schon die Gesetzgebung nach Brüssel verlagert, dann wollen wir wenigstens unser altes Schloss wiederhaben, sonst verlieren wir unsere Identität.

Mag da nicht die zeitgenössische Architektur in Deutschland dazu beitragen?

Conradi: Das Zeitgenössische wird sehr kritisch gesehen, doch übersieht man dabei, dass auch nicht alles Alte so gut war. Da ist furchtbares Zeug gebaut und später weggerissen worden. Dennoch gibt es eine Menge wunderbarer Architektur, die auch akzeptiert wird. Die Retro-Stimmung übersieht, dass wir hervorragende Leistungen zu bieten haben.

Dem Außenstehenden scheint es, als ob in Deutschland die Investorenarchitektur überhand nähme.

Conradi: Es gibt bei uns Investorenarchitektur, und die Auftraggeber heute wollen, anders als Bankiers und Unternehmer früher, Geld verdienen und kein Risiko eingehen. Das schlägt natürlich auf die Architektur durch, auch in Berlin, wo alles dazu noch in das Korsett des Senatsbaudirektors gepresst wurde. Da sind zum Teil entsetzliche Langweiligkeiten entstanden.

In jüngerer Vergangenheit wurde in Deutschland sehr viel gebaut. Aber regelrechte Architekturschulen haben in der Zwischenzeit eher andere Länder entwickelt. Woran kann das liegen?

Conradi: Man kann international beobachten, dass so etwas meist ein kleinräumiges Phänomen ist. Die Vorarlberger Schule zum Beispiel, die bei uns einen regelrechten Nimbus hat und ständig Ziel von Architekturreisen ist, entstand in einem verhältnismäßig kleinen Raum und im Widerstand zur dortigen Landesregierung. In Graz widerum wurde eine neue Architekturrichtung offiziell gefördert. In den Niederlanden sind ebenfalls interessante Bewegungen zu beobachten, ebenso in Graubünden. Auch Wien kann sich rühmen, gute Architektur nicht nur zu produzieren, sondern auch zu ex- und importieren. Ihre Kritik an der deutschen Architektur ist leider nicht ganz unbegründet.

Der Standard, Sa., 2002.01.19

12. Januar 2002Ute Woltron
Der Standard

MAX Architekturwettbewerb

Plattenhersteller lotet Kreativpotenzial von Architekten und Designern aus

Plattenhersteller lotet Kreativpotenzial von Architekten und Designern aus

Architektur, Design und Formgebung sind Teil unserer Unternehmensphilosophie", sagt Silvio Kirchmair, Chef des auf Produktion und Entwicklung hochwertiger Kunststoffe spezialisierten Unternehmens Isovolta. Vor kurzem hat der administrative Teil des österreichischen Innovationsbetriebs ein neues, in vieler Hinsicht interessantes Bürohaus (geplant von den Architekten Achammer, Tritthart und Partner) in Wiener Neudorf bezogen, in dem nicht von ungefähr auch die Isovolta-Baustoffpalette zur Anwendung kam.

Für Architekten, Designer und Möbelbauer ist vor allem die MAX-Platten-Division ein Thema, und da man unternehmerseits nicht nur in Entwicklung und Produktion investieren, sondern auch das kreative Potenzial des Landes aktiv sondieren will, veranstaltet das Unternehmen in diesem Frühjahr einen Architektur- und Designwettbewerb, der sowohl Studenten als auch diplomierten Meistern der Formgebung offen steht.

Isovolta-Chef Kirchmair: „Nicht zuletzt setzen wir mit dem Wettbewerb eine langjährige Tradition des Unternehmens fort. Bereits in den 70er-Jahren haben wir mehrere Wettbewerbe in den Bereichen Architektur, Innenausbau und Möbeldesign ausgeschrieben. Die Bedeutung, die Architektur für unser Unternehmen und unsere Produkte hat, wollen wir mit dem aktuellen Wettbewerb einmal mehr unterstreichen. Zukunftsweisende Architektur zu unterstützen und ihr die Möglichkeit zu bieten, sich einem breiten Publikum zu präsentieren stand für uns dabei ganz stark im Vordergrund.“

Letztere Anliegen der Veröffentlichung guter Entwürfe und Projekte werden vom STANDARD im Rahmen einer Kooperation unterstützt. Im ALBUM werden sechs Wochen lang, parallel zur gewohnten Architekturberichterstattung, die jeweils ersten drei Preisträger der beiden Wettbewerbskategorien in Bild und Text vom Wettbewerbsauslober MAX ausführlich vorgestellt.

Für eine hochkarätige Beurteilung der eingereichten Projekte werden unter anderen der Innsbrucker Architekturprofessor Volker Giencke sowie der Architekt Christoph Achammer sorgen. Ob die irakisch-britische Architekturgröße Zaha Hadid ebenfalls mitstimmen wird, bleibt noch offen und zu hoffen. Alle potenziellen Teilnehmer können die Eckdaten des Wettbewerbs dem nebenstehenden Informationskasten entnehmen. Alle eingereichten Arbeiten werden übrigens nach Einreichschluss virtuell für jedermann zugänglich und unter www.maxontop.com/wettbewerb/galerie abrufbar sein. Nun zu guter Letzt für alle, die sich beteiligen wollen, das von den Auslobern ausformulierte Thema temporary architecture in ausführlicher Länge: „Dauerhaft nur in der Erinnerung. Sie lebt von der Endlichkeit. Wie nirgends sonst ist das Vorübergehende der Grundcharakter der Planungsstrategie. Ausstellungsbauten, Messepavillongestaltungen, Shop- und Ladenbaukonzepte, mobile Büros, provisorische Architektur und vieles andere mehr - ihnen allen gemeinsam ist die konstruktivisch durchdachte und gleichzeitig zeitlich begrenzte Struktur der Architektur.“


[Wie MAX ich mit?
Als Juroren des MAX-Wettbewerbs zum Thema
temporary architecture stehen Christoph M. Achammer und Volker Giencke fest, Zaha Hadid ist angefragt. Die Preisverleihung findet Ende Mai im Rahmen einer Festveranstaltung statt.

Zugelassen sind Architekten sowie Studenten der Fachrichtung Architektur, Design, Innenarchitektur.

Die Bewertung erfolgt in zwei Kategorien: bekannt und etabliert nimmt sich der erfahreneren Architektenschaft an, young and hungry der Studenten. In jeder Kategorie wird der erste Preis mit je 3000 EURO honoriert, der zweite und dritte Preis der Kategorie Studenten erhält jeweils die Studiengebühr für zwei Semester in Österreich. Die drei jeweils topgereihten Arbeiten werden weiters von MAX auf einer Seite im STANDARD ALBUM und bei den Alpbacher Architekturgesprächen vorgestellt.

Die Einreichung der Projekte, die nicht realisiert sein müssen, erfolgt digital im PDF- oder EPS-Format. Gefordert sind weiters Erläuterungsberichte mit Angaben zu Entwurf, Gestaltung, Baustoffen und dergleichen als Word-Dokument.

Die Einreichfrist läuft bis Mittwoch, den 6. März 2002. Kontakt und weitere Informationen gibt es unter freiraum@maxontop.com sowie unter
Tel. 07231/33131-465.]

Der Standard, Sa., 2002.01.12

09. Januar 2002Ute Woltron
Der Standard

Tingelbahn im Schlosspark

Architekt Roland Rainer missbilligt die Touristenpläne der Schönbrunn-Betreiber

Architekt Roland Rainer missbilligt die Touristenpläne der Schönbrunn-Betreiber

Wien - Die Konzepte der Schönbrunn-Geschäftsführung, den historischen Park in Wien touristisch aufzubereiten, stoßen auf den Unwillen des seit Jahren mit Schönbrunn befassten Architekten Roland Rainer. Er sieht durch eine geplante Touristenkleinbahn durch den Park sowie Zusatzbauten hinter der Gloriette das Ensemble des Weltkulturerbes gefährdet. Rainer erstellte erst im Vorjahr im Auftrag der Schönbrunn-Gesellschaft eine umfassende Studie über Park und Gebäude, jetzt legt er jede Verantwortung als Berater zurück.

STANDARD: Sie wollen nichts mehr mit Schönbrunn zu tun haben?

Roland Rainer: Ich möchte nichts davon, was nun dort geplant ist, in irgendeiner Form mit meinem Namen verbunden sehen, weil ich nicht an der Zerstörung von Schönbrunn mitschuldig sein will.

STANDARD: In welcher Form orten Sie Zerstörung?

Rainer: Geplant sind eine Touristenbahn sowie Bauten im südlichen Bereich der Gloriette, was krass daneben ist. Eine laute, bunte Minibahn ist das Gegenteil dessen, was die Leute in Schönbrunn erwarten. Dort will man spazieren gehen, die Ruhe und die Schönheiten des Raumes genießen. Auch die Gebäude bei der Gloriette wurden meiner Meinung nach lediglich nach dem billigen Motto „Machen wir dort eine Attraktion“ ausgedacht. Besucher hat Schönbrunn tatsächlich von Jahr zu Jahr mehr, wozu errichtet man aus geschäftsfördernden Gründen etwas, das das Weltkulturerbe eigentlich zerstört?

STANDARD: Kunsthistorisch betrachtet ist die Gloriette ein Bauwerk, das sich über seine Silhouette sowie die Durchblicke definiert. Wie verträgt sich das mit Zubauten?

Rainer: Selbstverständlich gar nicht. Zubauten sind ohne Gesamtplan überhaupt nicht vertretbar, und außerdem sollen sie, wie man hört, aus Holz sein, was zum historischen Gebäude sicher gar nicht passt. Die augenscheinliche Konzeptlosigkeit, mit der die Sache angegangen wird, ist ärgerlich. Die Schönheit des Raumes hat Anziehungskraft genug. Schönbrunn ist ein Ort der Ruhe, dessen Eigenart nun mit Allerweltsgeschichten, wie es sie in Freizeitparks weltweit zu Dutzenden gibt, zerstört werden soll. Zu einem Weltkulturerbe gehört nicht nur ein Gebäude oder ein alter Park, sondern auch das, was sich in einem solchen Ensemble abspielt.

STANDARD: Was sagt das Bundesdenkmalamt dazu?

Rainer: Es schweigt. Ich bin von der passiven Haltung der Denkmalpfleger in diesem Bereich überhaupt außerordentlich überrascht.

STANDARD: Die Gemeinde Wien veranstaltet zurzeit eine Reihe von städtebaulichen Wettbewerben, die verschiedene Zonen rund um Schönbrunn betreffen. Sehen Sie hier bereits Verbesserungen zum derzeitigen Zustand?

Rainer: Man sollte diese Dinge strikt voneinander trennen. Innerhalb der Mauer muss man machen, was im Interesse des geschützten Schlosses und des Parks ist, alles Außenliegende ist in der Hauptsache Angelegenheit der Gemeinde Wien.

Doch auch hier bräuchte man einen Schutz, zumindest für die Besucher Schönbrunns, die erst einmal ohne Ampel und Zebrastreifen die A1 überqueren müssen, um überhaupt auf das Schlossareal zu gelangen.

Ich habe detaillierte Pläne und Kostenvoranschläge vorgelegt, was man tun muss, um ohne Überschreitung einer Autobahn zu Fuß zum Schloss zu gelangen. Doch hier herrscht Verkehrschaos, sonst gar nichts. Um etwa 2,18 Millionen EURO (30 Mio. S) könnte alles in Ordnung gebracht werden. Doch anstatt dessen bringt man mit einer Kleinbahn Verkehrslärm in den historischen Park.

Der Standard, Mi., 2002.01.09

05. Januar 2002Ute Woltron
Der Standard

Adaptierung im Basaltblock

Das Mumok wird seinem Neubetrieb im MQ gemäß zurechtgeschliffen

Das Mumok wird seinem Neubetrieb im MQ gemäß zurechtgeschliffen

Wien - Das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig (Mumok) im Wiener Museumsquartier soll, so will es sein neuer Chef Edelbert Köb, noch im Frühjahr adaptiert und auch räumlich seinem neuen Ausstellungskonzept angepasst werden. Das gesamte Haus - es handelt sich um den schwarzen Basaltblock - stehe vor einer inhaltlichen Neukonzeption, die auch architektonische Eingriffe erfordere, sagte Köb zum STANDARD.

Dringend gebraucht werde vor allem eine klar definierte Ausstellungsebene, die sich vom musealen Bereich, in dem künftig „größere thematische, didaktisch und pädagogisch aufbereitete Teile der Sammlung“ gezeigt werden sollen, auch optisch unterscheiden müsse.

Der Mumok-Direktor hat den Künstler Heimo Zobernig aufgefordert, verschiedene Lösungen für dieses Problem auszuarbeiten. Im Idealfall, so Köb, könnte der prominente hohe Liftschacht des Gebäudes im Geschoß unter dem Kuppelsaal überdeckt werden, was eine geräumige Ausstellungshalle erzeugen würde. Museumsquartier-Architekt Laurids Ortner steht den Plänen auf Anfrage des STANDARD aufgeschlossen gegenüber: „Adaptionen gehören dazu, ein Haus wie dieses muss so etwas aushalten können. Es wird sich im gesamten Areal sicherlich noch einiges tun, da soll es ruhig wuchern.“

Notwendig ist auch ein außen geführter neuer Erschließungssteg zum Restaurant des Museums, das derzeit nur äußerst schwer auffindbar ist. Dieser neue Weg wird Besucher künftig auch in neue Mumok-Repräsentationsräumlichkeiten innerhalb der alten Hofstallungen leiten. Edelbert Köb: „Wir machen dort aus einem barocken, marmorverkleideten Stall einen Bankettsaal, denn wie sollen wir Geld verdienen, wenn für Sponsoringaktivitäten kein Raum vorhanden ist.“

Das kolportierte enorme Ausmaß der Bauschäden dementiert der Mumok-Chef, es seien „viele Kleinigkeiten zu adaptieren, die allerdings bei Projekten dieser Größenordnung das Übliche nicht übersteigen“ würden. Um sowohl die Schäden auszubessern - die Terrazzoböden müssen etwa neu geschliffen und versiegelt werden - als auch die Ausstellungsorganisation zu perfektionieren und die diversen Räumlichkeiten zu adaptieren, wird das Museum ab April voraussichtlich vorübergehend geschlossen werden. Köb: „Wir machen zu, um die Sammlung umzustellen und beseitigen in dieser Zeit auch die diversen Mängel. Wir hoffen, alles in fünf, sechs Wochen erledigt zu haben.“

Der Standard, Sa., 2002.01.05



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MuseumsQuartier Wien - MQ

29. Dezember 2001Ute Woltron
Der Standard

Die Landschaft unter dem Sternenhimmel

Der internationale Starrummel um Spitzenarchitekten verstellt den Blick auf die breite Front der wackeren Streiter im Dienste guter Architektur.

Der internationale Starrummel um Spitzenarchitekten verstellt den Blick auf die breite Front der wackeren Streiter im Dienste guter Architektur.

Die letzten Tage des Jahres verleiten gerne zu so genannten Rückblicken, zu einer Art Wiederkäuen und Verdauen des Gewesenen, was nur dann Sinn macht, wenn die Analyse des zurückgelegten Weges einen Fort-Schritt in die Zukunft weist.

Was die Architektur anbelangt, so hat das vergangene Jahr einen massiven Trend fortgesetzt, der seit einiger Zeit unaufhaltsam scheint: Die internationale mediale Aufmerksamkeit für diese öffentlichste aller Kunstdisziplinen ist weiter gestiegen - und mittlerweile hat sie in Form heftigen Prominentenrummels durchaus gefährliche Höhen erreicht. Wer stets nur die Bergspitzen und den Sternenhimmel darüber betrachtet, der verliert leicht den Überblick über die Täler und ihre verborgenen Schönheiten.

Die fast schon hysterische weltweite Anbetung von Architektur-Stars aller Art in allen Gazetten lässt diejenigen ein wenig in eine vergessene Einsamkeit rutschen, die sich lokal jahrein jahraus der Mühen der Ebene annehmen und mit konstant guter Arbeit einen unschätzbaren, öffentlich erstaunlich unbeachteten kulturellen Beitrag leisten. Jeder Volkswirt weiß und kann das auch vorrechnen, dass vor allem die gesunden mittelständischen und kleineren Betriebe die Räder in Gang halten, dass sie Krisenzeiten abpuffern und das Leuteausbilden übernehmen, während die begehrten und mit Förderungsmitteln aller Art umworbenen Multis gerne schnell das Handtuch werfen, Personal abbauen, abwandern, volkswirtschaftliche Totalpleiten hinlegen, wenn die Rendite einmal nicht den Konzernerwartungen entspricht.

In der Architektur, die ihrerseits als Wirtschaftszweig angesehen werden muss, funktioniert das Spiel ganz ähnlich. Gegen eine gesunde, zugkräftige Prominenz ist dabei selbstverständlich in keiner Branche etwas einzuwenden, im Gegenteil: Jede Szene braucht ihre Propheten, Ausrufer, Glitzergestalten, Reibebäume, doch in Maßen zelebriert ist auch gefeiert.

Mittlerweile ist es fast schon egal geworden, was Größen wie etwa Frank O. Gehry, Rem Koolhaas, Herzog & de Meuron oder Norman Foster, um nur ein paar der Fixsterne anzuvisieren, auf die grüne Wiese stellen: mediale Kritik wird kaum je laut, eine konstruktive, gründliche Auseinandersetzung mit Starprodukten rotiert höchstens kurz in Kritikerkreisen, die mächtigeren Mediengeschütze fahren meistens voll auf diese Art von Gebäudekult ab, und wirklich gut tut das vor allem der Architektur selbst nicht.

Denn wenn wichtige städtebauliche Widmungen, wie etwa besondere Gebäudehöhen, nur mehr in Kombination mit klingenden Architektennamen an Bauträger quasi als Förderungen vergeben werden, hört sich der Sternenspaß ganz schnell auf, dann geht die Politik in vorauseilendem Gehorsam vor der Macht der Medien in die Knie, und die bestimmende Architekturkritik findet letztlich nur mehr auf den Adabei-Prominentenseiten der Zeitungen statt.

Dabei verfügt die heimische Bauszene über eine gut gewachsene Schar tadelloser Architekten und Architektinnen, sie alle werden sich im kommenden Jahr wieder wacker durch Höhen und Tiefen ihres schwierigen Geschäftes kämpfen. Medial oder gar mittels Förderungen unterstützen wird sie, im Vergleich zu anderen Branchen, kaum jemand dabei, obwohl die architektonischen Produkte als wichtiges Allgemeingut die Landschaft prägen.

Das kommende Jahr wird auch für diese Bauszene ein paar erfreuliche internationale Highlights bringen. Zaha Hadids Bergisel-Schanze wird gerade eingesprungen, im April eröffnet man das neue Gebäude des Österreichischen Kulturinstituts in New York von Raimund Abraham, im Mai erfolgt die feierliche Seidenschleifendurchschneidung von Hans Holleins Vulkan-Museum in der Auvergne. Zuhause wird man derweilen darüber weiterstreiten, ob die abgebrannten Sophiensäle in Wien rekonstruiert oder doch besser zu einem ordentlichen Bauplatz für Zeitgenössisches plattgewalzt werden sollen. Es werden zahllose unpraktische Häuslbauerhäuser ihre Satteldachgleiche feiern, es werden aber auch viele feschere darunter sein, die Anleihe genommen haben an den gut durchdachten, geschickt einfachen Familienvillen, die, vor allem in Westösterreich, im vergangenen Jahrzehnt von Architekten geplant wurden.

Mitte des Jahres stehen die Kammerwahlen an, und dem Vernehmen nach rumort es bereits jetzt heftig im Gebälk der Architektenvertretung. Diverse Misstände müssen rasch in Angriff genommen werden, um der Zunft auch künftig ein Auskommen zu sichern: Der so genannte Witwen-und-Waisen-Fonds der Kammer, die Pensionsregelungen, das bundesweite Anerkennen der Wettbewerbsordnung, die allgemein grassierende und auch von den Architekten selbst verschuldete Unmoral bezüglich der Gebührenordnung - all das sind wichtige Themen, die diskutiert und in geordnete Bahnen gelenkt werden müssen. Es wird ein spannendes Architekturjahr werden.

Der Standard, Sa., 2001.12.29

22. Dezember 2001Ute Woltron
Der Standard

Es ist, was es war.

Während Wien seine Ernennung zum Weltkulturerbe feiert, werden in Afghanistan jahrtausendealte Kulturen zerstört. Ein vergessenes Buch dokumentiert die Reste einer vergessenen Welt.

Während Wien seine Ernennung zum Weltkulturerbe feiert, werden in Afghanistan jahrtausendealte Kulturen zerstört. Ein vergessenes Buch dokumentiert die Reste einer vergessenen Welt.

Die christliche Welt feiert Weihnachten, wie sie eben Weihnachten feiert. Mit Pomp und Einkaufsstress. Irgendwo in der Wiener Innenstadt ein Buchladen. Bummvoll, Gedränge. Im untersten Geschoß reißt man sich um die Schätze abendländischen Kunst- und Kulturschaffens in Prachtbandform, dazwischen bleibt ein schlichter Band unbeachtet. Er beschreibt Afghanistan, und zwar „Landschaft. Menschen. Architektur.“

Die Reihenfolge ist logisch und richtig, wenn nach der Architektur der Mensch wieder drankommt, zerbricht meistens etwas im Gefüge. Das Buch ist nicht neu, und es ist nicht alt, weil alles ist relativ auf dieser Welt. Der Wiener Architekt Karl Wutt hat es geschrieben und 1981 auf den Markt gebracht. Damals zerbombten gerade die Sowjets das, was er darin beschrieben hat. Jetzt sind wieder andere dran.

Die Wiener Innenstadt wurde soeben von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Auch ein paar Dörfern im Nordiran, mindestens dreimal so alt, wurde diese Ehre vor geraumer Zeit zuteil. Sie ähneln sehr stark den prachtvollen Gebirgsdörfern nordöstlich der afghanischen Hauptstadt Kabul, wie Wutt sie auf seinen Reisen in den 70er-Jahren noch gesehen und großteils intakt vorgefunden hat. Erst war die Landschaft da, dann die Menschen, dann die Architektur. Ob heute überhaupt noch Spuren dieser, schon lange vor der Islamisierung geblüht habenden Kulturen übrig sind, kann außerhalb der afghanischen Grenzen schon seit Jahren keiner wirklich sagen. Die Presseagenturen begnügen sich damit, von Siegen, Niederlagen, gebrochenen Hüften amerikanischer Helden, von untergetauchten Terroristen und potenziellen Machtübernahmen zu berichten. Keine Nachricht weit und breit über das Schicksal der Leute, die in den Bergen ihr karges, und wie Wutt beschreibt, gastfreundlich-fröhliches Dasein fristen. Doch die Nachrichten werden kommen, spätestens wenn man den Bau der Ölpipelines wieder aufgenommen hat.

Wutts epische Erzählungen über die Leute, ihre Bräuche, ihre Eigenarten und ihre einfachen, eindrucksvollen Häuser schlängeln sich durch diverse Täler des ostafghanischen Hindukuschvorlandes zwischen der Jalalabad-Senke und Nuristan. Es ist nicht einfach, sich mit den zahlreichen erwähnten Bevölkerungsgruppen, ihren unterschiedlichen Sprachen und Religionen zurechtzufinden. Doch das macht nichts, denn die Bilder, Zeichnungen und Fotografien des Bandes sprechen eine klare, einfache Sprache. Die Architektur, die hier zu sehen ist, stammt großteils aus der vorislamischen Zeit, die hier vor ein paar Hundert, dort vor vielleicht einem Dutzend Jahren zu Ende gegangen ist, weil der Islam sich zwar schon vor tausend Jahren in den Ebenen festsetzte, doch nur langsam in das unzugängliche Bergland einsickerte, und alles Gebaute hier ist von archaischer Schönheit. Vor allem die Details, die Holzkonstruktionen, die Steinschichtungen, die zierlichen, überreichen Schnitzereien sind bestechend. Doch auch die, wie der Westler sagen würde, städtebaulichen Konzeptionen sind hochinteressant. Sie passen perfekt in die Landschaft und sind in ihrer vermeintlichen Armut an keiner Stelle armselig.

Was gelegentlich auf den ersten Blick zwar wie eine Ansammlung ärmlicher Hütten erscheinen mag, offenbart dem aufmerksamen Betrachter eine raffinierte, praktisch und sozial klug angelegte Lebensstruktur, die einen optimalen Lebensraum für einen Dorforganismus inmitten rauer Hochgebirgsnatur schafft. Jedes Hausdach ist zugleich die Terrasse des Nachbarn, und dass das Miteinanderleben hier auf engem Raum nach feinen Gesetzmäßigkeiten ablaufen muss, so es funktionieren soll, versteht sich von selbst. Wutt beschreibt auch diese komplizierten ungeschriebenen Regeln des Gebens und Nehmens und die unbewussten, unbeholfenen Verstöße des uneingeweihten Gastes dagegen. Er selbst kam zum Beispiel nicht ohne Ziegen durch das Land, denn geben muss, wer nehmen will, und gefeiert wurde oft, überall und großzügig.

Der Charakter dieser Feste war gerade im Begriff, sich zu verändern, als der Architekt die Täler bereiste. Als er einmal in einem Ort namens Oigal traditionelle Gesänge aufnehmen wollte, holte man einen blinden Mullah, der „mit wirklich gewaltiger Stimme das Auf und Ab der Koranrezitation“ zum Besten gab. Arabisch verstand zwar keiner, so Wutt, „aber die Wirkung auf die Gemüter war groß“. Zufälligerweise setzte gleich nebenan gleichzeitig ein heftiges Getrommle und Wechselgesinge ein, das von den Gastgebern verschämt ignoriert wurde. Es handelte sich dabei um ein traditionelles nicht islamisches nandara zu Ehren des neugeborenen Sohnes eines Khans.

Von „ehrlichen Konstruktionen“, schreibt Wutt, wäre in seiner Architekturstudentenzeit in Wien oft die Rede gewesen, von „Ingenieuren und Konstrukteuren, die - im Dienste eines Bauherren - alles unter einen Hut bringen konnten“. Die Reise nach Afghanistan tat er, „um der Freudlosigkeit meiner Ausbildung zu entkommen“. „Spätestens dort gingen einem Architekturstudenten die Augen auf, und er erfuhr die Wahrheit über gute Architektur im ,Basar der Märchenerzähler' (...) Ich stellte mir die alte Frage, wodurch in Städten wie Wien der Überfluss so armselig erscheint und auf Kosten des Allernotwendigsten besteht, auch um den Preis jener Armut, die etwa in Peshawar herrscht - und die der europäische Tourist wie ein Paradies erlebt, dessen Blumen und Früchte einfach vor ihm an den Straßenrändern ausgebreitet sind.“ Weltkulturerbe. Aber anders.


[Karl Wutt: Pashai. Landschaft. Menschen. Architektur., Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz, 1981, öS 344,-/EURO 25,- / 144 Seiten]

Der Standard, Sa., 2001.12.22

07. Dezember 2001Ute Woltron
Der Standard

Kosmisch oder irdisch

Architektur ist alles, was in ein Buch passt.

Architektur ist alles, was in ein Buch passt.

In den vergangenen Jahren hat die Architekturbuchproduktion zu einer erstaunlichen Fülle gefunden, und es ist nicht ganz einfach, einen Weg durch die Irrgärten dieser Publikationsstapel zu finden. Diverse Zeitschriften schauen mittlerweile aus wie große, prächtig gemachte Bücher. Manche Bücher bedenkt man dafür wieder mit layouterischen Behandlungen wie Insidermagazine. Mit anderen Worten: Alles ist erlaubt, vieles gefällt, manches informiert dabei auch. Das ALBUM bringt an dieser Stelle eine völlig willkürliche Auswahl verschiedener, für sich jeweils interessanter Publikationen.

Eine davon befasst sich zum Beispiel in üppiger Aufmachung mit Cosmic Architecture in India (von Andreas Volwahsen, Verlage Prestel und Mapin, öS 715,-/EURO 51,96) Sollten Sie nicht gewusst haben, dass es die gibt, so sind Sie nicht allein, können aber hiermit alles darüber nachlesen: Maharadscha Jai Singh II. von Jaipur ließ in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts diverse Observatorien anlegen, deren Sinnhaftigkeit und Nutzen wahrscheinlich nur von Astrologen völlig ausgelotet werden können, die aber als architektonische Skulpturen und Monumente von erstaunlicher Anmut und Würde sind. Das etwa auf unserer Abbildung links gezeigte „Mishra Yanta“ in Neu-Delhi kann neben kosmisch Wissenswertem auch die Ausrichtung von Meridianen und des Äquators anzeigen. Jai Singhs „astronomische Instrumente“ wurden von hinduistischen Priester-Architekten wie Mandalas angelegt und sollen sozusagen als der steinerne Ausdruck einer kosmischen Ordnung verstanden werden.

Eine gewisse kosmische Ordnung anderer, zeitgenössischer Art stellen die diversen Computerprogramme dar, mit deren Hilfe heute gebaut, konstruiert und sogar Material geformt wird. Die Publikation Architektur und Computer (Herausgegeben von James Steele, Verlag Callwey, öS 1007,-/EURO 73,18) versucht der „Planung und Konstruktion im digitalen Zeitalter“ auf die Schliche zu kommen und stellt den Rechner als „Cybertool“ mit all seinen Stärken und Schwächen vor. Gezeigt werden Entwürfe und realisierte Projekte von Toyo Ito, dem (was Computerarchitekturbücher anbelangt) mittlerweile unvermeidlichen Frank O. Gehry, Peter Eisenman, NOX, Karl S. Chu, Coop Himmelb(l)au, Morphosis und vielen anderen. Hauptaugenmerk legt das Buch allerdings auf die verschiedenen Computerprogramme, die das Morphen und Computerwürgen überhaupt erst möglich machen. Englischsprachige Publikationen dieser Art liegen bereits seit geraumer Zeit vor, die deutschen Versionen haben auf sich warten lassen. Architektur und Computer ist eine der ersten von ihnen und für noch nicht so in diese bitzlige Materie Eingearbeitete sicher ein informativer Einstieg.

Manche Computerprodukte, vor allem die des Designs, haben die seltsame Aura des neumodisch verspielten Uralten, und eigentlich ist der Rückschritt von hier zu den geschwungenen Möbel- und Raumentwürfen des Antonio Gaudí nicht allzu groß. Bei Hatje Cantz ist vor einiger Zeit Gaudí - Der Künstler und sein Werk erschienen. Die Folgepublikation Gaudí - Interieurs, Möbel, Gartenkunst (öS 715,-/EURO 51,96) zeigt nun den Katalanen als Gartenarchitekt, Innenausstatter und Möbelentwerfer. Was uns die schwülstig-üppigen Ensembles heute noch zu sagen haben, möge jeder anhand dieses Prachtbandes für sich selbst herausfinden.

Eine frische, fröhliche Publikation sei zu guter Letzt nicht nur aus patriotischer Anwandlung wärmstens empfohlen: 20 x 3 (Herausgegeben von Volker Dienst, 2001 architektur - in progress, Triton Verlag, öS 387,-/EURO 28,12) zeigt mit Band 1 eine gelungene Auswahl junger oder besser neuer österreichischer Architekten und -teams. Das Layout erinnert zwar ein bisschen gar sehr an die Kataloge der Archilab-Kongresse von Orléans, aber in diesem Falle ist es übersichtlicher und lesbarer und erleichternd unkostbar. Die mit jeweils drei Projekten vorgestellten 20 Bau-Truppen - von Pichler & Traupmann über The next enterprise bis zu L.O.V.E. Architecture - bringen alle erfrischend neue Ansätze in das Baugeschehen. Wer sich also einen Überblick über neue österreichische Architektur machen will, der soll seine Nase sofort tief in das silberschwarze Buch senken.

Der Standard, Fr., 2001.12.07

07. Dezember 2001Ute Woltron
Der Standard

Das Röhren des Jahrhunderts

Zünd-Up, die subversivste heimische Architekturgruppe der 60er-Jahre, erfährt eine späte Würdigung

Zünd-Up, die subversivste heimische Architekturgruppe der 60er-Jahre, erfährt eine späte Würdigung

Man schrieb das Jahr 1969. An der Wiener Hochschule für Technik war wieder einmal ein Sommersemester angebrochen, und mit ihm näherten sich die alljährlichen Entwurfsübungen für Studenten der Architektur ihrem Ende, was zugleich den Beginn der großen Ferien markierte. Zuvor mussten die zuständigen Professoren und ihre Assistenten den Architekturstudenten allerdings noch die üblichen Lösungsvorschläge für die üblichen Problemstellungen des Bauens abringen. Das Institut für Gebäudelehre von Karl Schwanzer, der intern nur als Karl der Große firmierte, forderte seine Studenten beispielsweise mit gebotener Technikernüchternheit auf, eine „Parkgarage am Karlsplatz“ zu entwerfen, um „die augenblicklich schlechte Verkehrssituation im Bereich Innere Stadt Wien zu verbessern“.

Es war, wie gesagt, das Jahr 1969, das hier sommerlich reifte, und irgendwie wollten akademische Themenstellungen wie diese nicht ganz in das Weltbild einer Gruppe von vier Studenten passen. „die funktionelle, technische bearbeitung eines entwurfsprogramms rationalisiert sichtlich die unfähigkeit zu tatsächlicher ideen- und phantasienproduktion“, lästerten sie provokant, und, wie es sich damals gehörte, schriftlich und in Form eines Pamphlets. Gezeichnet war es mit dem Namen Zünd-Up, und unter diesem Titel baten die Herren Bertram Mayer, Michael Pühringer, Hermann Simböck und Timo Huber Professor Schwanzer wenig später in die Wiener Tiefgarage Am Hof. Dort unten wollte man ihm die vollendete Entwurfsarbeit präsentieren, und Karl der Große stieg tatsächlich am 28. Juni des Jahres freiwillig in die Düsternis des Parkhauses hinab.

Unten fand er sich, wie das Licht von den Motten, sogleich von 40 Harley-Davidson-Rittern in Aktion umschwärmt wieder. Lärm und Abgasgestank müssen grandios gewesen sein. Karl der Große wurde zum lebenden Beweis seiner Würde, er fackelte nicht lange, erklomm den Sozius einer der Maschinen und wurde zu einem - heute würde man sagen: Joyride durch die unterirdischen Parkräumlichkeiten entführt. Er umrundete hurtig die an diesem unkonventionellen Abgabeort aufgebauten Entwurfsübungen und donnerte unter anderem auch an „The Great Vienna Auto-Expander“ vorbei, mit dessen motorisch-psychedelischer Hilfe der Benutzer „das Röhren des Jahrhunderts“, also den ultimativen Motorenlärm, zu erleben können sollte.

Zünd-Up wurde mit dieser Aktion sofort zur Architekturlegende, und gewissermaßen sind die vier Exstudenten das bis heute geblieben. Im Gegensatz zu anderen Architekturrevoluzzern ihrer Zeit, zu Coop Himmelb(l)au oder den Haus-Ruckern, zerfiel die Gruppe bald wieder, und man kann nicht leugnen, dass diese Art der Konservierung eine gewisse Frische garantiert. In den paar Jahren, die man zusammen aktionistisch verbracht hatte, wurden Konventionen abgefackelt, brannten Ideen und Visionen. Eine neue Publikation, sorgfältig von der Wiener 60er-Architektur-Spezialistin Martina Kandeler-Fritsch herausgegeben, schürt die alte Zünd-Up-Glut, und tatsächlich fliegen noch Funken, wenn auch nicht mehr ganz so hoch. Eine Aufarbeitung der kurzen, intensiven Geschichte der Gruppe war längst angesagt - genial nach wie vor die Collagen von Timo Huber, erfreulich auch die Zusammenstellung der verschiedenen Zünd-Up-Manifeste.

„Unser Ansatz war ein politischer“, sagt Timo Huber heute. Wer die aktuellen jungen, scheinbar wilden Architekten mit ihren 60er-Ahnen vergleicht, der möge einen Kontrollblick in dieses Buch werfen und überlegen, ob ähnliche Radikalitäten heutzutage auch nur irgendwo ansatzweise zu verspüren sind: „(...) weg von den einfamilienhausweiden, dem komfortgreuel, der rücksichtslosen demonstration von pekuniärer potenz, dem klassenbewusstseinsgartenzwerg. wer baukunst sagt, wird erschossen. dieser stil ist sehr ästhetisch. diese ästhetisch geschwungenen formen. diese ästhetische materialentsprechung. scheißen sie bitte ästhetischer. (...)“


[Martina Kandeler-Fritsch (Hg.), Zünd-Up. öS 491,80/
EURO 34,76/270 Seiten, Springer, Wien New York 2001.]

Der Standard, Fr., 2001.12.07

07. Dezember 2001Ute Woltron
Der Standard

Miesmöbel

Mies van der Rohes Möbel sind heute Klassiker, dem Architekten selbst waren seine Häuser wichtiger

Mies van der Rohes Möbel sind heute Klassiker, dem Architekten selbst waren seine Häuser wichtiger

Für Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) war das Entwerfen von Möbeln eigentlich nur Notwendigkeit, um seine Architekturen damit einzurichten und im Miesschen Sinn fertig zu stellen. Er tat es auch nur für den kurzen Zeitraum von 1926 bis 1932, während andere Architekten wie Mart Stam oder Marcel Breuer Sessel, Tische, Geschirre um ihrer selbst willen entwarfen. Bei Mies war das kaum je der Fall, sein Interesse galt vielmehr der großen Konstruktion, dem Hochhaus, der raffiniert assemblierten Halle und dem intelligenten neuen Fassadensystem. Trotzdem zählen einige seiner sozusagen mit links entworfenen Wohn- und vor allem Sitzgegenstände zu den wichtigsten Designklassikern des vergangenen Jahrhunderts. In Neuauflage sind sie heute noch begehrt, in originalen Varianten ihrer Entstehungszeit sind sie museumswürdige, kaum bezahlbare Sammlerstücke.

Natürlich war der nach Amerika ausgewanderte Aachener ein detailversessener Perfektionist, deshalb sind also auch seine Möbel durchkomponierte Konstruktionen und bis zum letzten Schräublein wohl durchdacht. Und dass sie fast alle ausgesprochen elegant aussehen, ist das i-Tüpferl.

Mies van der Rohe ist derzeit aufgrund einiger Ausstellungen in den USA und in Deutschland und entsprechender auf den Buchmarkt gekommener Kataloge in vieler Munde und bleibt nach wie vor so aktuell wie zu Lebzeiten. Eine dieser Schauen läuft derzeit noch in Berlin und hat ebenfalls einen stattlichen Katalog in den Buchhandel gebracht: Das Vitra Design Museum zeigt „Mies van der Rohe. Architecture and Design in Stuttgart, Barcelona, Brno“ und beschränkt sich damit auf das europäische Oeuvre des hochinteressanten Baumannes, der auf unserer Abbildung übrigens in sportlich-amerikanischer Betätigung des Baseballspiels zu sehen ist.

Van der Rohes Möbel bilden einen Schwerpunkt dieser Ausstellung. Vor allem die gebogenen Stahlrohre als neuartige Materialien für den Möbelbau schreibt man Mies zu, obwohl es hier auch Widersprüchlichkeiten gibt, wer was zuerst gebogen und sodann besessen hat. Bekannte Mies-Möbel sind etwa der Sessel für den Deutschen Pavillon in Barcelona, die Sitzmöbel für die Villa Tugendhat, alle sehr sorgfältig proportioniert und aufregend neu für ihre Entstehungszeit. Hier im Bild zu sehen ist ein heute noch von Thonet hergestellter Sesselklassiker, der seinerzeit in Berlin von zwei kleinen Metallwerkstätten gefertigt worden war und der heute völlig zeitlos-modern wirkt, obwohl er gute 70 Jahre auf der Lehne hat.

Wer mehr über Produktion, Material, Form und auch den Wettstreit der Möbelentwerfer untereinander wissen will, dem sei der Katalog „Mies van der Rohe. Architecture and Design in Stuttgart, Barcelona, Brno“ empfohlen. Er erscheint bei Skira (Mailand), Herausgeber ist das Vitra Design Museum, die Abbildungen sind zahlreich, die Texte vorzüglich.

Der Standard, Fr., 2001.12.07

01. Dezember 2001Ute Woltron
Der Standard

Nach dem Blitz der Donner

Die Architektur ist eine gefährdete Pflanze, sagt BIG-Prokurist Peter Holzer. Wenn nach einem ordentlichen Donnerwetter die Sonne wieder scheint, kann der Guss ganz fruchtbar für sie gewesen sein, wie das Beispiel Krems nun zeigt.

Die Architektur ist eine gefährdete Pflanze, sagt BIG-Prokurist Peter Holzer. Wenn nach einem ordentlichen Donnerwetter die Sonne wieder scheint, kann der Guss ganz fruchtbar für sie gewesen sein, wie das Beispiel Krems nun zeigt.

Vergangene Woche hat das Album an dieser Stelle über ein Wettbewerbsverfahren in Krems berichtet, das von heftigen Spannungen und Aufladungen vor allem innerhalb der Jury gekennzeichnet war. Ein von einem der Wettbewerbsteilnehmer, Günter Katherl, zufällig mitgehörtes Telefonat zwischen dem ebenfalls im Rennen befindlichen Architekten, Gustav Peichl, und dem Vorprüfer, Helmut Kunze, am Tag der Abgabe hatte für Aufregung gesorgt. Gegenstand des Gesprächs war das Jurymitglied Manfred Wolff-Plottegg gewesen, der sich gemeinsam mit Jurykollegen Gerhard Steixner geweigert hatte, das Protokoll der ersten Verfahrensstufe zu unterschreiben, und der in der Folge erst in letzter Sekunde und nach schriftlicher Aufforderung durch die Architektenkammer als Juror in die zweite Runde geladen wurde.

Vergangenen Mittwoch kam es vor der entscheidenden Jurysitzung schließlich zu heftigen Entladungen, die vorhandene Elektrizität konnte jedoch sinnvoll abgeleitet werden. Sorge dafür trug die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) als Ausloberin des Kremser Verfahrens, das eine Erweiterung der dort beheimateten Tourismusschule mit dem komplizierten Namen HBLAfT/BHAK/BHAS darstellt. DER STANDARD wurde von der BIG zur Teilnahme an der Debatte eingeladen.

Ihr Prokurist Peter Holzer nahm stellvertretend für den mächtigen Bauherren, den er repräsentiert, die Gelegenheit vor Ort wahr, um etwaige Verfahrensschlampereien auch mittels juristischen Beistands zu hinterfragen, einer Klärung zuzuführen und allgemein für eine neue, sorgfältigere Umgangskultur aller Beteiligten untereinander zu plädieren. Erst nach fast fünfstündiger teils hitziger Diskussion über den kritisierten Ablauf des Verfahrens schritt man zur eigentlichen Jurysitzung und fand mit dem Projekt von Reinhard Halswanter einstimmig den Sieger. Eine als vorbildlich bezeichnete Teillösung von Günter Katherl soll in Form einer Arbeitsgemeinschaft in das Projekt eingearbeitet werden.
DER STANDARD erkundigte sich bei Peter Holzer über etwaige Nachwirkungen des klärenden Architekturgewitters, die Rolle der Bundesimmobiliengesellschaft als potentester Architekturauftraggeber der Republik und über die hochkompetitive Situation, in der sich die Architektenschaft befindet.

STANDARD: Nach dem Bericht im ALBUM der Vorwoche hat Jury-Vorsitzender Wilhelm Holzbauer von einer nicht gerechtfertigten „Skandalisierung“ dieses Wettbewerbs durch den STANDARD gesprochen. Hegen Sie ähnliche Empfindungen?

Peter Holzer: Ich sehe das nicht so, obwohl wir als Auslober von dem Bericht selbst überrascht wurden. Unser spontaner Zugang war, alle Beteiligten an einem Tisch zu versammeln und die Angelegenheit aufzuklären, bevor die eigentliche Juryarbeit weitergeht. Wir haben sowohl unseren als auch den Anwalt der Architektenkammer dazugebeten. Ich sehe das als notwendigen Ordnungsruf zu mehr Präzision, zu besserer Dokumentation und zu größerer Exaktheit. Ich denke, dass ein positiver Disziplinierungseffekt damit erzielt wurde.

STANDARD: Hat sich in Wettbewerbe prinzipiell eine gewisse routinemäßige Schlampigkeit eingeschlichen?

Holzer: Man kann Routine positiv und negativ sehen, die Routiniertheit birgt in allen Arbeitsprozessen die Gefahr einer gewissen Schlampigkeit und Oberflächlichkeit. Wettbewerbe sind prinzipiell ausgesprochen heikel, wir wissen, wie gefährlich Unpräzision hier ist, und deshalb wollten wir auch im Falle Krems jetzt bewusst genau und akkurat vorgehen.

STANDARD: Die BIG ist der wichtigste Auftraggeber der Republik. Nehmen Sie Ihre Vorbildwirkung wahr?

Holzer: Als BIG befinden wir uns natürlich im kritischen Beobachtungsfeld der Branche. Wir sind erst seit 1993 operativ tätig, und unser Wirken wird genau beobachtet. Wir bemühen uns, den schwierigen Spagat zwischen Kosten, Wirtschaftlichkeit und architektonischer Qualität zu schaffen. Das ist das oberste Ziel, an dem wir beständig feilen, deshalb muss man auch in Planungsprozesse einsickernde Schlampereien herausfiltern, denn nur dann kann es erreicht werden. Schließlich wollen wir beweisen, dass gute Architektur mit einem sauberen Auslobungsprozess beginnt. Wenn hier bereits Ungenauigkeiten einreißen, ist das gesamte Ziel gefährdet.

STANDARD: Die BIG ist allgemein ziemlich gut beleumundet in der Branche. Unternehmen Sie auch Anstrengungen, junge Architekten zu fördern?

Holzer: Wir beschreiten sehr häufig den Weg des anonymen Verfahrens, gerade um auch jungen Architekten die Chance zu geben, in den Arbeitsprozess einzusteigen, und um sie zu fördern. Außerdem bringt das eine Vielfalt in der Planerauswahl.

STANDARD: Architekturwettbewerbe werden von ihren Teilnehmern häufig als ungemein aufwendig und ruinös bezeichnet. Haben Sie hier ein Instrument entwickelt, dem entgegenzusteuern?

Holzer: Auch die Minimierung des Aufwandes, eine bewusste Schmälerung der Leistung ist eines unserer Ziele. Wir geben etwa meistens das Papierformat vor, damit der Wettbewerb nicht in eine Materialschlacht ausartet. Man muss sich vor Augen halten, was es bedeutet, wenn sich, wie das oft der Fall ist, bis zu 80 Architekten an einem Verfahren beteiligen. 79 davon haben umsonst gearbeitet, das bedeutet nicht nur für sie selbst, sondern auch volkswirtschaftlich einiges, und diesen Umstand muss ein Auslober ebenfalls im Auge behalten.

STANDARD: Warum gilt bei BIG-Wettbewerben einmal die Wettbewerbsordnung für Architekten (WOA), ein andermal aber nicht?

Holzer: Wir sind selbst noch Suchende nach dem idealen Verfahren. Es gibt sehr heikle juristische Spielregeln, wir versuchen, verschiedene Wege auszuprobieren, in aller Regel schreiben wir aber nach WOA aus.

STANDARD: Ziehen Sie, wenn man das so formulieren darf, eine persönliche Lehre aus den Vorkommnissen in Krems?

Holzer: Wir werden künftig versuchen, vermehrt Einfluss auf die Wettbewerbsvorbereitung zu nehmen. Die Unterlagen, die den Planern zur Verfügung gestellt werden, müssen einwandfrei sein. Auch die Abwicklung des Verfahrens, vom ersten Hearing bis zur entscheidenden Sitzung, muss im Dienste der Objektivierung präzise und ohne mündliche Statements, etwa zwischen Vorprüfer und Teilnehmern, ablaufen. Hintergrundgespräche halte ich für das Gefährlichste, Chancengleichheit für alle für das Wichtigste. Nur wenn Informationsgleichstand herrscht, kann ein einwandfreier, objektiver Prozess ablaufen. Alles andere wird schwierig.

STANDARD: Die Architekten können nicht gerade aus einer reichen Wettbewerbsfülle schöpfen. Hat auch das Einfluss auf die momentan etwas aufgeheizte Stimmung in der Szene?

Holzer: Wir schreiben jährlich etwa fünf bis zehn Verfahren aus und sind damit ebenfalls etwas rückläufig. Die Branche ist im Moment tatsächlich sensibilisiert, die Ausdünnung der Auftragssituation ist natürlich einer der Gründe dafür. Es gibt zu wenig Geschäft für zu viele Architekten. Die Beteiligungszahlen der einzelnen Wettbewerbe steigen enorm, was selbstverständlich auch eine ungeheure psychische und physische Belastung für die Juroren bedeutet. Wir nehmen uns mittlerweile zwei Tage für die Beurteilung Zeit, Wettbewerbe mit bis zu 100 Teilnehmern sind bereits an der Grenze des Machbaren.

STANDARD: Gebaut wird zwar relativ viel, die Architekten scheinen hier aber ein wenig den Anschluss zu verlieren. Woran liegt das?

Holzer: Wenn es so weitergeht, wird diese wichtige Branche tatsächlich gesellschaftspolitisch in eine Randsituation manipuliert. Vieles bleibt, ohne architektonische Planung, im Mittelmaß, beträchtliche Investitionen werden getätigt, ohne Architekten am Planungsprozess zu beteiligen. Das schadet letztlich unserer kulturellen Gesinnung, es ist ausgesprochen unvernünftig, Projekte an dieser schillernden, flimmernden Architektenwelt vorbeizumanövrieren. Der Wert guter Architektur ist in unserer Gesellschaft bedauerlicherweise nicht sehr verankert. Wir versuchen unseren Beitrag zu leisten und diese gefährdete Pflanze Architektur zu schützen. Es gelingt nicht immer, wir versuchen es trotzdem unentwegt.

Der Standard, Sa., 2001.12.01

28. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Wie Raubtiere in der Shoppingmall

Der Trend des kollektiven Dauershoppings als Freizeitvergnügen verändert weltweit die gebaute Umwelt: Die Einkaufswut befeuert eine Baumaschinerie, die mit herkömmlichen Architekturkriterien nicht mehr messbar ist.

Der Trend des kollektiven Dauershoppings als Freizeitvergnügen verändert weltweit die gebaute Umwelt: Die Einkaufswut befeuert eine Baumaschinerie, die mit herkömmlichen Architekturkriterien nicht mehr messbar ist.

Shopping, meinte der holländische Architekt Rem Koolhaas am Montag in einem Vortrag an der Akademie der bildenden Künste in Wien, würde unsere gesamte Kultur mittlerweile nachhaltiger prägen als jedes andere gesellschaftliche Phänomen.

Nicht nur zur Vorweihnachtszeit, sondern mittlerweile zu jeder Jahreszeit wird eingekauft auf Teufel komm raus, und diese weltweite Wut, quasi zum Zeitvertreib Geld auszugeben, wird zu einem der bestimmenden Faktoren für die gebaute Umwelt und für die Städte, in denen wir leben. Vor allem in deren Randzonen entstehen - architektonisch betrachtet fast immer unkontrolliert und quasi sich selbst rasch und vermeintlich ungeplant organisierend - Einkaufskonglomerate enormer Größenordnung: Geschäfte, Märkte, Buden klumpen sich zu kaum überschaubaren Einkaufsvorstädten. Die Shopping-Erlebniswelten werden vom kleinsten gemeinsamen Nenner, dem Publikumsgeschmack, geformt, doch auch ganzheitlich konzipierte Malls unterliegen dauernder Veränderung.

Die Geschwindigkeit des Marktes wird hier zu einem formgebenden Element, der Shop und sein nährender Shoppingzentrumsorganismus müssen schließlich auf ständig neue Trends fast so schnell reagieren wie auf die heutzutage so beweglichen Aktienmärkte. Geschäfte tauchen auf und verschwinden wieder, andere bleiben wie Felsen in der Brandung der Einkaufsmassen und Wirtschaftskräfte bestehen. Nach Koolhaas' Überzeugung dient überhaupt die überwiegende Mehrheit all dessen, was heutzutage gebaut wird, in irgendeiner Weise der Tätigkeit des Kaufens und Verkaufens, und wenn die Architektur vom großen Shopping-Trubel mitgerissen werden will, dann muss sie, so der Holländer, ihre altbewährten traditionellen Terminologien schleunigst zu Hause lassen.

In seinem demnächst erscheinenden Buch zum Thema (siehe Kasten) heißt es: „Im Ökosystem des Shoppings, wo ständig neue Spezies gezüchtet und geboren werden, sich anpassen, mutieren, altern und sterben, bewegen sich die Einkäufer mit wachen Sinnen wie beutesuchende Tiere durch die Korridore und Shops, stets auf der Suche nach Essen, Kleidung und Spielzeug. Die Geschäftsinhaber verteidigen und kämpfen für ihre Territorien, während die Shopper ständig auf der Suche nach besseren Jagdgründen sind, mit größerem Angebot und mit niedrigeren Preisen.“

Koolhaas sieht diese Jagdlust allerdings genau so mit umgekehrten Vorzeichen, wenn er meint, dass sich heute viele Institutionen wie etwa Museen, Bibliotheken und andere Kulturorganisationen zu regelrechten Shoppingbetrieben mausern, die ihrerseits vom Kauftrend profitieren wollen. Der Museumskonzern Gugging finanziert sich beispielsweise zu einem Gutteil über Museumsshops, und eine der wichtigsten Architekturen des 20. Jahrhunderts, der Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe, ist zu einem Mies-Reliquienladen mutiert.

Der Standard, Mi., 2001.11.28

24. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Die Welt als Wille und Vorstellung

Eine Reihe von gebeutelten Wettbewerben und anderen Architektur- vergabeverfahren deutet darauf hin, dass die Tage der Willkür und der persönlichen Vorstellungen Einzelner in der Architektur vielleicht doch im Schwinden sind.

Eine Reihe von gebeutelten Wettbewerben und anderen Architektur- vergabeverfahren deutet darauf hin, dass die Tage der Willkür und der persönlichen Vorstellungen Einzelner in der Architektur vielleicht doch im Schwinden sind.

Spätestens im Kindergarten lernt der Mensch, dass die Welt dann halbwegs funktioniert, wenn vor allem folgender schlichter Grundsatz berücksichtigt wird: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andren zu.

Im Laufe des immer länger werdenden Lebens entfernt sich der Mensch natürlich aus seinen Kinderstuben, und die Kindergartentantenweisheiten - die einfachen, freundlichen und wichtigen, sozusagen die lebensnahen - verblassen zugunsten anderer Lebensphilosophien. Doch irgendwann kommt alles zurück, und wer die Welt als Wille und Vorstellung betrachtet, muss, unter Umständen bereits reif und gealtert, erkennen, dass Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andren zu auch in Gruppen Grauhaariger und Glatzköpfiger noch gilt.

In Krems findet seit fast einem Jahr ein Architekturwettbewerb um den Neubau einer HTL statt, was auf einen gewissen Querfeldein-Dauerlauf der teilnehmenden Architektenschaft schließen lässt. Denn Wettbewerbe sind gewöhnlich Sprintveranstaltungen, werden innerhalb weniger Wochen absolviert, schließlich gewonnen oder verloren - und damit ist die Sache vorbei. Vielleicht reden wir aber hier von der guten alten Zeit, und heute ist alles ganz anders.

In Krems konnte man sich jedenfalls nach der ersten Runde im Frühjahr nur schwerfällig dazu aufraffen, in eine zweite, vielleicht sogar bereits entscheidende Runde zu gehen. Sie findet Mittwoch kommender Woche, am 28. November, statt, doch ob es tatsächlich einen Sieger geben wird, steht keineswegs fest. Immerhin verblieben ganze fünf Architektenkollegen im Rennen, und Juroren gibt es auch nach wie vor noch alle. Vor allem letzteres stellt für manche Teilnehmer eine gewisse Lästigkeit dar.

Einer der fünf, Gustav Peichl, rief am Montag, dem 12. November, ziemlich genau um vier Uhr nachmittags, Herrn Helmut Kunze, an. Kunze ist Vorprüfer des Verfahrens, bei ihm müssen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Teilnehmer ihre Wettbewerbsunterlagen abgeben. Da ein unerforschliches Naturgesetz gegen die Architektenschaft wirkt, geschieht das so gut wie immer in letzter Sekunde. Es war also fünf nach Vier, um halb Fünf war Abgabefrist, und der Anrufer verkündete denn auch dem Vorprüfer, dass sich sein Krems-Ouevre ein wenig verspäten würde. Kunze zeigte Verständnis: „Selbstverständlich, Herr Professor, kein Problem!“

Was er allerdings vergessen hatte, war ein ebenfalls spät liefernder Kollege, der sich, in der anderen Telefonleitung befindlich, über den Verbleib des Taxis erkundigen wollte, das er seinerseits soeben mit den Krems-Materialien und der Bitte um schleunige Ablieferung zu Kunze geschickt hatte, und der sich plötzlich in einer unfreiwilligen Lauscher-Position wiederfand, weil das Telefonat des Professors halt Vorrang hatte.

Der Wettbewerbsteilehmer wurde Zeuge, wie man sich über eine ominöse Person in der Jury unterhielt, die das bis dato so reibungslos verlaufende Verfahren stören würde. Man wolle dafür Sorge tragen, diese Person von der finalisierenden Jurysitzung fern zu halten, und überhaupt - warum das Kind nicht mit Namen nennen, so Kunze zum Professor, man könne es ruhig aussprechen, dass es sich um den Plottegg handle.

Die Welt ist, was der Fall ist: Der Grazer Architekt Manfred Wolff-Plottegg wurde von der Kammer ordnungsgemäß in die Jury entsandt, der Wettbewerbsordnung halber hat er auch darin zu verbleiben, was Kunze, darauf vom STANDARD angesprochen, nicht so sieht. Bis dato wurde der Juror von Kunze weder über den Jurytermin informiert, noch mit den entsprechenden Unterlagen versorgt, so dass sich die Architektenkammer genötigt sah, mittels eines Schreibens dem Vorprüfer auf die Sprünge zu helfen. Am 19. 11. forderte ihn Länderkammer-Vorsitzender Michael Buchleitner schriftlich unter anderem auf: „Wir ersuchen Sie, Architekt Plottegg unverzüglich zu informieren und zur Jury einzuladen.“

Kunze bestätigte auf Anfrage des STANDARD Zeitpunkt und Tatsache des Telefonats mit Peichl, weist allerdings den vom Kollegen mitgehörten Inhalt des Gesprächs „mit Protest zurück“. Aufgrund des laufenden Verfahrens, in dem Kunze Schriftführer und Vorprüfer ist, behält sich der STANDARD die namentliche Nennung des Architekten vor, obwohl dieser dazu bereit wäre, öffentlich Rede und Antwort zu stehen. Nach zweistündiger Überlegung teilte Kunze dem STANDARD telefonisch mit, dass nicht er, sondern ein Bürokollege mit dem betreffenden Wettbewerbsteilnehmer telefoniert habe, er selbst persönlich gar nicht zugegen gewesen und die gesamte Angelegenheit eine Erfindung sei.

Freilich können Vorkommnisse wie diese als „Architekturtratsch“ abgetan werden, doch wohl nur von denjenigen, die diese Art von Tratsch betreiben und andere damit in Mitleidenschaft ziehen. Der Ordnung halber ist zu sagen, dass neben Peichl und Partner die Architekten Franz Berzl, Adele Feitzinger, Reinhard Haslwandter und Günter Katherl die zweite Runde bestreiten, juriert wird sie anonym und architektenseits von Gerhard Steixner, einem, wie ausgeführt, noch nicht feststehenden Kollegen sowie Wilhelm Holzbauer, der den Vorsitz führt.

Holzbauer will sich, vom STANDARD befragt, in die Jurybestellung nicht einmischen. Er meint: „Das ist allein Sache von Helmut Kunze.“ Bundeskammerchef Peter Scheifinger will jedenfalls einen nicht stimmberechtigten Kammerjuristen quasi als Rechtsbeistand im Dienste der Sache in die Sitzung entsenden. Denn es habe sich in jüngerer Vergangenheit gezeigt, dass es durchaus hilfreich sei, manche Verfahren mit fundierter juristischer Unterstützung abzuwickeln. Scheifinger: „Das ist ein Service, den die Kammer gerne bereit ist anzubieten.“


Wilhelm Holzbauer seinerseits hat in den vergangenen Wochen einen Wettbewerb in Wien gewonnen, einen anderen in Salzburg verloren, und beide Verfahren haben jeweils ein juristisches Nachspiel. Im Falle des Kleinen Festspielhauses in Salzburg empfahl die Jury des Verhandlungsverfahrens im Sommer mit neun zu null Stimmen das Projekt der Architekten Hermann & Valentiny als Sieger. Holzbauers Entwurf kam nur auf Rang Zwei, ein Umstand, der nun die Vergabekontrollore der Nation beschäftigt.

Holzbauer sieht als Schüler und wohl intimster Kenner des Salzburger Bau-Ahns Clemens Holzmeister dessen Werk durch das Projekt der Kollegen gefährdet. Dass diese ihrerseits Schüler Holzbauers und somit Holzmeisters Enkerl sind, rundet das Bild ab. Holzmeister-Sohn Holzbauer: „Man will dieses Ensemble zerstören, ich will das überprüft haben.“ Holzmeister-Enkel Franz Valentiny: „Wir haben dieses Verfahren einstimmig gewonnen, wir sind mit Wilhelm Holzbauer gut befreundet, wir wollen dazu gar nichts sagen.“

Am 13. 11. stellte der jedenfalls Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Dieser Antrag wurde mit Eingabe vom 15. 11. um einen Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung erweitert. Letzterer wurde mit Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 20. 11. abgewiesen. Parallel zum Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens stellte Holzbauer Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens bei der Bundes-Vergabekontrollkommission. Diese teilte mit Entscheidung vom 21. 11. mit, ein Schlichtungsverfahren nicht durchzuführen, sodass das Ergebnis des eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens abzuwarten bleibt.


Ebenfalls turbulent entwickelt sich die Sanierung der Wiener Volksoper, die über einen, in diesem Fall EU-weiten Wettbewerb vergeben werden sollte. Hier entschied die Jury im Juli dieses Jahres, dass sie sich nicht entscheiden könne, dass sie mit den Entwürfen von Holzbauer sowie den Berlinern Zerr, Hapke, Nieländer zwei gleichrangige Projekte zur Nachbearbeitung empfehle, und dass der Auslober in Form der Bundestheater Holding selbst entscheiden solle, was zu bauen sei.

Georg Springer gab vorige Woche Holzbauers Projekt offiziell den Vorzug, was in einen medialen Schlagabtausch mit der Wiener Architektenkammer mündete. Michael Buchleitner warf den Bundestheatern eine architektonische Operetten- inszenierung vor, was von Springer erbost als „in jedem einzelnen Punkt widerlegbar“, „boulevardesk“ und „schlecht recherchiert“ zurückgewiesen wurde.

Fest steht, dass Wilhelm Holzbauer hier in Wien das gleiche Spiel, nämlich eine genaue Untersuchung des Verfahrens durch das Bundesvergabeamt, bevorstehen könnte, wie er es selbst in Salzburg inszeniert hat. Nur halt mit umgekehrten Vorzeichen. Georg Springer betont, dass der Wettbewerb, dem übrigens Gustav Peichl vorsaß, nach bestem Wissen und Gewissen abgewickelt worden sei. Die zweitgereihten Berliner Architekten haben sich derweilen einmal einen Wiener Anwalt gesucht, da sie Kostengutachten, die von den Bundestheatern in Auftrag gegeben worden waren, mittels Gegengutachten anzweifeln.

Da das gesamte Wettbewerbswesen offenbar nun nicht nur mehr während des eigentlichen Aktes, sondern auch danach in Entartung mündet, hat Christoph Chorherr eine parlamentarische Anfrage der Grünen bezüglich Stellenwert zeitgenössischer Architektur in Österreich sowie Mindeststandards von Wettbewerbsverfahren bei öffentlichen Bauwerken an Bundeskanzler Wolfgang Schüssel angekündigt. Hier ein Auszug: „In Ländern mit hoher Baukultur, wie z. B. Frankreich, sind Fragen der Architektur immer ,Chefsache'. Österreich ist stolz darauf, ein Land mit kulturellem Weltruf zu sein. Hervorragenden Architekt/innen gelingt es, trotz, nicht wegen politischer Rahmenbedingungen, außergewöhnliche Leistungen zu erbringen. Dass die Baukultur in diesem Land trotzdem bloß Mittelmaß ist, liegt insbesondere an den politischen Rahmenbedingungen, z. B. an der Form, wie Wettbewerbe bei öffentlichen Bauten vorbereitet und durchgeführt werden.“ Weiter: „Warum gibt es bis heute keine Sicherstellung von Mindeststandards für die Durchführung von Architekturwettbewerben, um Missstände, wie jüngst beim Verfahren ,Volksoper' zu verhindern? ... Internationale Vergleiche zeigen, dass rechtmäßig durchgeführte, transparent abgewickelte Wettbewerbe und deren qualitätsvolle Umsetzung die Baukultur bereichern. Wie gedenken Sie in Zukunft sicherzustellen, dass in Österreich die Baukultur einen ihr angemessenen Stellenwert bekommt?“

Sinnvolle Regeln, wie man miteinander umzugehen hat, sind auch in der Architektur ohnehin bereits vorhanden. Sie heißen Wettbewerbsordnung und Gebührenordnung und schreiben genau vor, was wer darf, kann, soll. Wenn diese Regeln von allen anerkannt wären, wenn auch das gute alte Was du nicht willst, dass man dir tu... nicht auf beschämende Art und Weise in Vergessenheit geraten wäre, müssten nicht Vergabejuristen belangt und parlamentarische Anfragen gestellt, sondern dann könnte endlich vernünftig gebaut werden.

Der Standard, Sa., 2001.11.24

22. November 2001Ute Woltron
Der Standard

„Volksoperette“ mit Architektur-Akteuren

Gerangel um die Sanierung der Volksoper

Gerangel um die Sanierung der Volksoper

Wien - Mit ungewöhnlich harschen Tönen bedachte Michael Buchleitner, Vorsitzender der Wiener Architektenkammer, diese Woche per Aussendung die Österreichischen Bundestheater. Buchleitner bezeichnete deren Entscheidung, die Sanierung der Wiener Volksopernhülle in zwei Schritten in Angriff zu nehmen, als eine „in einem architektonischen Selbstbedienungsladen selbst inszenierte Vergabeoperette“ und sieht in der „halbherzigen Entscheidung“ Sinn und Zweck des Wettbewerbs „konterkariert“, nämlich „der Volksoper gute Architektur zuteil werden zu lassen“.

Im Juli hatte eine Jury die Projekte der Wettbewerbsteilnehmer Zerr, Hapke, Nieländer (Berlin) sowie Wilhelm Holzbauer (Wien) gleichrangig erstgereiht und die Letztentscheidung der Bundestheaterholding überlassen. Deren Geschäftsführer Georg Springer teilte nach mehreren Phasen architektonischer Überarbeitung und kostenmäßiger Berechnung vergangene Woche mit, dass Holzbauer die Fassadensanierung übernehmen solle. In Sachen Foyer, das ebenfalls neu organisiert werden muss, wolle man auf die Berliner Kollegen zurückkommen, sobald die Finanzierung dieser Maßnahme gesichert sei. Den Bundestheatern stehen jährlich etwa 80 Millionen Schilling für die Gebäudeerhaltung zur Verfügung. Die Fassadensanierung beläuft sich laut Gutachten auf etwa 37 Mio.


Heikle Wettbewerbe

Auf die Vorwürfe der Kammer reagierte Springer via Austria Presse Agentur mit Furor: Die „Operetteninszenierung“ habe wohl eher die Architektenkammer aufgeführt, und zwar „ohne den Inhalt der Ausschreibung und damit die Grundlagen des Verfahrens zu kennen“. Dem STANDARD gegenüber betonte Springer, dass man in Kenntnis der momentan heiklen Architekturwettbewerbssituation mit großer Sorgfalt an die Angelegenheit herangegangen und sich keiner Schuld bewusst sei: „Ausgeschrieben waren nur die Fassade und eine Ideenbringung mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass hier die Finanzierung nicht gesichert sei. Wenn wir das Foyer angehen, wollen wir uns auf den Entwurf der Berliner stützen, weil der gut ist.“

Die Berliner zeigten sich erstaunt über die Heftigkeit der Debatte, wollen aber zurzeit keinen Kommentar abgeben. Auch Holzbauer hält sich mit Statements zurück. Er meinte: „Mich wundert eigentlich schon gar nichts mehr.“

Der Standard, Do., 2001.11.22

21. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Markenzeichen Licht

Ein an Platznot leidendes Waidhofener Elektrounternehmen leistete sich eine auffällige Betonarchitektur in Form eines neuen Betriebsgebäudes: Die Halle Rigler, geplant von der Wiener Architektengruppe BEHF, liegt wie ein grauer Gesteinsblock zwischen Straße und dem Ufer der Ybbs.

Ein an Platznot leidendes Waidhofener Elektrounternehmen leistete sich eine auffällige Betonarchitektur in Form eines neuen Betriebsgebäudes: Die Halle Rigler, geplant von der Wiener Architektengruppe BEHF, liegt wie ein grauer Gesteinsblock zwischen Straße und dem Ufer der Ybbs.

„Gewisse Investitionen rechnen sich sicher“, sagt Franz Rigler, Inhaber der Rigler Electric GmbH und seit kurzem Besitzer eines auffälligen neuen Betriebshauses zwei Kilometer vor Waidhofen an der Ybbs. Die Investition belief sich in diesem Fall auf 24 Mio. S (1,7 Mio. EURO) und steht in Form einer markanten, kaum übersehbaren Halle in freier Landschaft direkt an der Straße nach Waidhofen.

Warum sich ein 60-Millionen-Schilling-Umsatz-Unternehmen ein solches, doch recht kräftiges Investment leistet, erklärt Rigler folgendermaßen: „Erstens hat man lange Zeit große Freude damit, zweitens baut man nur einmal und drittens werden Mitarbeiter, die von architektonischer Qualität umgeben sind, auch an die Kunden Qualität weitergeben.“ Das Unternehmen beschäftigt sich mit Sicherheits-, Anlagen-und Beleuchtungstechnik, die neue Halle samt Bürostruktur wurde notwendig, weil man rasch gewachsen und aus den Nähten geplatzt war.

Die geeigneten Architekten fand der Unternehmer mit der Wiener Gruppe BEHF, deren Projekte er bereits elektrotechnisch begleitet hatte. Rigler wünschte sich eine schnörkselfreie Architektur, ein „einfaches, geradliniges Gebäude mit einem gewissen Schwung“. Für Architekt Armin Ebner von BEHF war er „der ideale Bauherr“. Zu planen begann man im Herbst 1999, im April 2001 konnte das 1377 m² große neue Betriebsgebäude schlüsselfertig übergeben werden. In einer Gegend, die von sehr alter Architektur und einer prachtvollen Landschaft geprägt ist, fällt die raue, fast brutale Sichtbetonskulptur außerordentlich aus dem Rahmen, doch da sie keine unmittelbare bauliche Nachbarschaft hat, ist das ganz in Ordnung.


Glasflächen

Zur Straße hin zeigt sich die Halle bis auf zwei kleinere Fensterausschnitte geschlossen, nach Süden und auf Seite der Ybbs, die parallel zur Straße fließt, gibt es großzügige Glasflächen und Fensterbänder. Von Waidhofen kommend, haben Autofahrer sogar freie Sicht durch eine Glasfassade direkt in die Lagerhalle.

Im neuen Haus arbeiten rund 15 Mitarbeiter, aufgeteilt in die Bereiche Lager, Technisches Zeichen sowie Büro. Es war die deklarierte Absicht von Bauherr und Planern, die einzelnen Bereiche nicht streng und hierarchisch voneinander zu trennen, sondern eine interne Kommunikation auch über das Gebaute möglich zu machen oder sogar zu fördern. Die Architekten hängten deshalb sozusagen das obere Geschoß in den zweigeschoßigen Luftraum und verbanden Oben und Unten über Glasflächen, die Durchblicke auf die Kollegen erlauben.

Das strenge, für viele gewöhnungsbedürftige Material des Sichtbetons wurde hier sowohl außen als auch innen verwendet, die Bereiche der Büros sind weiß gestrichen - und zwar von der Decke bis zum Boden. Ebner: „Wir wollten in diese grobe Außenhaut eine innere Schicht einziehen“. Durch den zweischaligen Aufbau der Betonwände ergeben sich wunderbare Möglichkeiten, Leitungen und andere Versorgungselemente unterzubringen, was für einen Elektrobetrieb, der seinen Kunden auch vor Ort die neuesten Technologien vorzeigen will, nützlich ist.

Der Standard, Mi., 2001.11.21



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Halle Rigler

17. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Panzer- strickers Erben

Waidhofen an der Ybbs hat den Beweis erbracht, dass gute Architektur und sinnvoller Städtebau nur durch Denken, Reden, Zusammenraufen zu erbringen sind. Das Resultat wurde gerade ausgezeichnet.

Waidhofen an der Ybbs hat den Beweis erbracht, dass gute Architektur und sinnvoller Städtebau nur durch Denken, Reden, Zusammenraufen zu erbringen sind. Das Resultat wurde gerade ausgezeichnet.

Waidhofen an der Thaya ist ein Städtchen mit Tradition - und mit einem ausgeprägten Bewusstsein dafür. Seit 1277 wird die schöne Ortschaft in Niederösterreich als Stadt erwähnt. Eisen und Stahl und die Verarbeitung dieser Materialien brachten nicht nur weithin berühmtes Sensen-, Rüstungs-, Messerallerlei hervor, bereits im Mittelalter bis nach Venedig reichender Handel und entsprechender Reichtum produzierten eine stolze Architekturmasse und auch ein kraftvolles, selbstbewusstes Bürgertum. Waidhofen verwaltet sich bis heute als eine Art Stadtstaat selbst, juristisch nennt man das autonome Statuarstadt, immerhin zählt man 10.000 Einwohner und viele Jahrhunderte.

Wer in das Allerheiligste ehemaliger Schwertschmiede, Hammerproduzenten und Panzerstricker eindringt - und sei es auch noch so behutsam - muss mit einem kritischen, wachen Beäugtwerden rechnen. Der aus Waidhofen gebürtige, heute in Wien ansässige Architekt Ernst Beneder hat es gewagt, und er hat, gemeinsam mit den Waidhofner Bürgern und den Stadthäuptlingen - nach langem konstruktivem miteinander Ringen - auf allen Linien gewonnen.

Beneder verpasste der alten, gewachsenen Stadtarchitektur sorgfältig neue Konturen, sein Revitalisierungskonzept wurde nicht nur großteils umgesetzt, es gewann soeben auch den mit 200.000 Schilling gut dotierten und begehrten Otto-Wagner-Städtebau-Preis, den das Wiener Architekturzentrum und die Österreichische Postsparkasse alle drei Jahre gemeinsam vergeben, um vorzügliche städtebauliche Bemühungen ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Am Anfang stand ein geladener Wettbewerb, den der Waidhofner 1991 klar für sich entscheiden konnte. Damals war eigentlich nur ein Gestaltungs- und Verkehrskonzept für das chronisch autoverstopfte Waidhofen verlangt, Beneders kluger ganzheitlicher Ansatz brachte jedoch eine Eigendynamik in Bewegung, die schließlich die gesamte Stadt erfasste und somit jeden einzelnen Bürger in irgendeiner Form betraf: Straßenzüge wurden neu strukturiert, mit intelligenten, versenkten Stecksystemen für etwaige Kirtage, Straßenfeste, Open-Air-Messen bedacht, das alte, gebrechliche Rathaus wurde modernisiert und revitalisiert, das zuvor als Gstätten sein Dasein fristende Ybbsufer wurde mit vergleichsweise geringem Aufwand zum idyllischen Fluss-Spazierweg und zu einem Naherholungsgebiet, ein paar markante zeitgenössische Architekturelemente frischten das ohnehin prächtige alte Stadtbild zusätzlich auf.


Der Weg zu einer modernen alten Stadt war allerdings lang und von reger Bürgerbeteiligung spaliert. Quasi jeder neue Pflasterstein, jedes Straßenlämpchen wurde gemeinschaftlich diskutiert, die regelmäßig vor Ort stattfindenden Baubesprechungen wuchsen sich im Laufe der Zeit zu willkommenen Bevölkerungs-Stelldicheins aus, auf Waidhofnerisch fröhlich Veranstaltung genannt. Ernst Beneder: „Es bildete sich jedes Mal sofort ein ganzer Rattenschwanz an Leuten, die Baubesprechungen wurden wie eine Abwechslung, eine Unterhaltung gesehen und arteten stets in dreistündige Bürgertohuwabohus aus.“

Andere Planer hätten - von Projektgegnern zum Beispiel bei jedem Schritt sorgfältig mit Videokameras gefilmt - irgendwann genervt das Handtuch geworfen, doch Beneder sah die Dynamik vielmehr positiv-konstruktiv: „Entwurfs- und Entscheidungsprozesse sind nun einmal keine Schreibtisch- und Reißbrettangelegenheit, sondern finden im ständigen Dialog statt. Ohne diese zum Teil ziemlich hitzigen Diskussionen, die für alle Beteiligten, auch für mich, eine Art Ventil waren, wäre das Projekt wahrscheinlich nicht machbar gewesen.“ Beneder ist das Gegenteil eines verspielten Architekten. Er plant klar und kompromisslos, und das ist offensichtlich die optimale Umgangsweise mit alter Substanz. Das alte Rathaus funktionierte er beispielsweise zu einem offenen, hellen Treffpunkt um, ohne dem Historischen am Gemäuer Abbruch zu tun. Im Gegenteil, das Moderne unterstreicht hier das Traditionelle. Angesichts der oft in katastrophale Kitschigkeit mündenden denkmalpflegerischen Anbiederungen, die man alten Häusern zumeist angedeihen lässt, ist das Waidhofener Rathaus eine Augenweide.

Gleich davor befindet sich mitten im Straßenraum ein Brunnen, an dem sich der Stadtgeist derzeit noch ein wenig reibt: In ein gläsernes, lang gestrecktes Brunnengefäß plätschert Wasser, rinnt in Strudeln ab und ergießt sich in eine steinerne Wanne. Was daran auszusetzen sei, ist nicht ganz so klar, gegen dieses Stadtmöbel hat sich jedoch derzeit noch der harte Kern der Erneuerungsgegner eingeschossen. Da Waidhofen aber bisher mit dem Mittel der Bevölkerungsbefragung hantiert und so stets Konsens erreicht hat, dürften auch diese Wogen irgendwann zur Zufriedenheit aller auskräuseln.

„Schön war Waidhofen vorher schon“, konstatiert Beneder, „jetzt funktioniert es halt besser.“ Ein wichtiges Element seines Konzeptes steht noch aus, und zwar eine versenkte Parkgarage im zugeschütteten ehemaligen Stadtgraben, die Altstadt und Erweiterungsviertel logisch miteinander verbinden könnte. Der Waidhofener Kraftakt wäre damit perfekt absolviert. Doch auch so beweist das Waidhofen-Projekt, dass dem Können ein Wollen vorangehen muss, und der Otto-Wagner-Preis gebührt dem Planer, den Stadtverwaltern, den Bürgern zu gleichen Teilen.

Der Standard, Sa., 2001.11.17



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Stadtprojekt Waidhofen / Ybbs

14. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Häuser oder heiße Luft

Der Wiener Rudolf Michael Schindler war eine der wesentlichen Architekturgrößen der kalifornischen Moderne. Die erste umfassende Schau seiner Arbeiten ist ab heute im Wiener Museum für angewandte Kunst zu sehen.

Der Wiener Rudolf Michael Schindler war eine der wesentlichen Architekturgrößen der kalifornischen Moderne. Die erste umfassende Schau seiner Arbeiten ist ab heute im Wiener Museum für angewandte Kunst zu sehen.

Wien - Rudolf M. Schindler musste ein Vierteljahrhundert tot sein, bevor er bekannt und anerkannt wurde: Bis in die 80er-Jahre beschäftigte sich bis auf ein paar Insider kaum jemand mit Werk und Lebensgeschichte des 1953 in Los Angeles verstorbenen Wieners, obwohl er viele der hübschesten und interessantesten Villen Kaliforniens gebaut und nachweislich dauerhaften Einfluss auf viele zeitgenössische und nachfolgende Architektenkollegen gehabt hat.

Mittlerweile ist Schindler international zu einem Begriff und zu einer Art Markenzeichen geworden. Seine Arbeiten sind umfassend dokumentiert und in einigen Büchern zusammengefasst. Der Mann mit dem Schnurrbart und den für seine Zeit gewagt-kühnen Entwürfen ist fast so etwas wie ein posthumer österreichischer Amerika-Exportschlager geworden.

MAK-Chef Peter Noever war einer der Ersten, die sich intensiver mit dem in jeder Hinsicht - sei es Materialwahl, sei es der Umgang mit Raum - erfrischend innovativen Architekten und seinem Werk auseinander gesetzt haben. Er organisierte 1986 auch eine der allerersten Schindler-Ausstellungen überhaupt, zu sehen im MAK, und seit heute ist dort die bisher sorgfältigste und reichhaltigste Schindler-Ausstellung zu Gast, die es bisher gab.

Organisiert wurde die Schau „R. M. Schindler. Architektur und Experiment“ vom Museum of Contemporary Art (MOCA) in Los Angeles, zu sehen gibt es Modelle seiner wichtigsten Arbeiten, Möbelentwürfe, Archivaufnahmen sowie zeitgenössische Fotografien, diverse originalgetreue Nachbildungen von Details und - bei Architekten des vorcomputerischen Zeitalters fast immer aufregend und interessant - rund 150 Originalzeichnungen.

Schindler hatte Wien 1914 im Alter von 27 Jahren und nach einer Ausbildung unter anderem bei Otto Wagner in Richtung Amerika verlassen, und er lernte schon früh von US-Kollegen wie Frank Lloyd Wright, wie man seine Entwürfe fesch präsentiert. Seine fein konstruierten, bunten Schaubilder sind ausgesprochen schön anzuschauen und zeigen darüber hinaus zwei wesentliche Merkmale Schindlerscher Architektur: Sein kaum übertroffenes Geschick in der Komposition von harmonisch zusammenklingenden Innen- und Außenräumen sowie die sorgfältige Überlegung, welche Architektur auf welche Topographie gesetzt werden soll.

Schindlers Häuser stehen nie zufällig irgendwo, sie passen stets perfekt in ihre Umgebung hinein. Im Laufe seiner 30-jährigen Laufbahn baute er vor allem Einfamilienhäuser, aber auch einige Wohnhäuser, Lokale, Geschäfte. Sie alle gelten heute als klassische kalifornische Architektur, jenseits der gewissen Formkälte, die die Villen der Moderne auszustrahlen pflegten. Schindler: „Der Punkt ist, ob einem mehr daran liegt, dass ein Haus auch wirklich ein Haus ist oder dass es aus Stahl, Glas, Kitt oder heißer Luft besteht.“


[„R. M. Schindler. Architektur und Experiment“, bis 10. 2., MAK, Stubenring 5, 1010 Wien, www.MAK.at]

Der Standard, Mi., 2001.11.14

14. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Flugzeugtechnik im Büro

Der Laminat- und Verbundstoffhersteller Isovolta hat sich mit den Architekten AT&P ein feines neues Zuhause mit Hightech- Einsprengseln gebaut.

Der Laminat- und Verbundstoffhersteller Isovolta hat sich mit den Architekten AT&P ein feines neues Zuhause mit Hightech- Einsprengseln gebaut.

Mitten im zwar übersichtlich strukturierten, von fescher Architektur aber nicht eben gesegneten Industrieareal von Wiener Neudorf steht seit einer Weile ein außergewöhnliches Bürohaus. Gebaut hat es das auf die Produktion und Entwicklung hochwertiger Kunststoffe spezialisierte Unternehmen Isovolta (Jahresumsatz: 2,6 Mrd. S/187,2 Mio. EURO), die ausführenden Architekten waren Achammer, Tritthart und Partner.

Die neue Isovolta-Zentrale (4755 m Bruttogeschoß-, 3942 m Nettonutzfläche) zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus: Zum einen nimmt das Haus für etwa 200 Mitarbeiter die schöne, hierzulande kaum je praktizierte Tradition des Aufstelzens auf, das heißt, man kann bis auf den Bereich des gläsernen Foyers unter dem eleganten Gebäude durchschauen. Zum anderen wurden für die Innenausstattung zum Teil Produkte aus der Unternehmenspalette verwendet, was sich in der sehr kargen, reduzierten, mit exzellenten Sichtbetonelementen verfeinerten Architektur durchaus gut macht.

Die Handläufe der Geländer im luftigen, großzügigen Stiegenhaus etwa bestehen aus hoch isolierenden Kunstharzen, die 100.000 Volt abisolieren können; die Liftkabinen sind mit Folien aus Technischen Laminaten ausgekleidet, die normalerweise im Flugzeugbau Verwendung finden. All diese, quasi zum Spaß hier eingesetzten Hightech-Spielereien sind natürlich Innenausbau-Unikate, weil sie aufgrund der hohen Produktionskosten nicht als architektonisches Massenprodukt in Frage kommen.


Kunststoffkocher

Die Materialien für Büromöbel und Wandverkleidungen sind hingegen wohlbekannte Standardprodukte: Die hier verwendeten max-Platten stammen ebenfalls aus den Isovolta-Kunststoffküchen, ihre Produktion bildet einen wichtigen Geschäftsbereich des Unternehmens.

Die Büros selbst sind schlicht, funktional und von Einzel- bis Großraum zu haben. Lichtbänder sorgen überall für Tageslicht, auch in den Gangzonen, und die Außenraumgestaltung ist ebenfalls vorzüglich durchdacht: Das Bürohaus liegt direkt an einem Ziegelteich, die Mitarbeiter dürfen sich im Sommer an einer Terrasse über dem See samt Einköpfelrampe freuen, und für den Winter hat Isovolta-Chef Silvio Kirchmair angekündigt, jeweils zu Weihnachten feierlich ein Bad im See nehmen zu wollen, sofern das angepeilte Unternehmensergebnis erreicht wurde, was für Arbeitsansporn sorgen dürfte.

Damit die Energieversorgung so fortschrittlich erfolgt, wie es sich für ein Technologieunternehmen gehört, produziert eine 180 m große Photovoltaikanlage an der Fassade mehr Strom, als verbraucht wird. Gekostet hat das Haus übrigens nur 57,6 Mio. Schilling, obwohl es mit 59 Mio. S veranschlagt war, was 11.800 S/m Bruttogeschoßfläche entspricht.

Der Standard, Mi., 2001.11.14



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Bürogebäude Isovolta

13. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Wasser als Ort der Begegnung

Die umstrittene Mur-Insel für Graz nimmt Gestalt an. In einem Gespräch mit Ute Woltron reagiert ihr Konstrukteur Vito Acconci auf Kritik und erläutert, was der schwimmende Freizeitpark für die Stadt bedeuten könnte.

Die umstrittene Mur-Insel für Graz nimmt Gestalt an. In einem Gespräch mit Ute Woltron reagiert ihr Konstrukteur Vito Acconci auf Kritik und erläutert, was der schwimmende Freizeitpark für die Stadt bedeuten könnte.

Graz - Dieser Tage beginnen in Graz die wasserbaulichen Vorbereitungsarbeiten für die vom US-Künstler und Architekten geplante schwimmende Insel auf der Mur, die eines der Leitprojekte im Programm der „Kulturhauptstadt Europas Graz 2003“ darstellen soll.

Die Installation ist mit rund 70 Mio. S (fünf Mio. EURO) veranschlagt. Vor allem SP und Grüne kritisierten das Projekt als „sündteuer und ohne Nachhaltigkeit“ (Grünen-Klubchef Hermann Candussi). Ende Oktober schließlich gab Programmintendant Wolfgang Lorenz bekannt, dass die Finanzierung des Projektes gesichert und die wasserbautechnischen Versuche positiv abgeschlossen seien, der Ausführung des Projektes also nichts mehr im Weg stünde. Die Bewilligung seitens des Bundes lässt freilich auf sich warten. Die Fertigstellung der umstrittenen Installation wäre mit Ende 2003 geplant.

Ihr Konstrukteur, Vito Acconci (62), wuchs in den Bronx auf und begann seine Karriere in den 60er-Jahren als Dichter und Poet. In den 70ern erregte er mit avantgardistischen Videoarbeiten und Body-Performances Aufsehen und wandte sich schließlich Raum- und Architekturinstallationen zu. Heute betreibt er ein Architekturbüro in New York.


STANDARD: Was erwartet die Besucher auf Ihrer Installation?

Vito Acconci: Die Insel treibt auf der Wasseroberfläche und beinhaltet ein Café, ein Theater und einen Spielplatz. Eine geeignete Form für das Theater schien uns die Kugel zu sein, für das Café haben wir das Element Kugel umgestülpt und zu einer Kuppel gemacht. Das gesamte Projekt besteht also aus Kugelformen, die sich drehen, verziehen und ineinander stülpen. Die verschiedenen Funktionen sollen fließend ineinander laufen, denn auch das Wasser rund um diese Insel fließt und bewegt sich ständig, und wir wollten etwas konstruieren, das ebenfalls flüssig und veränderlich ist.

STANDARD: Aus welchem Material wird die Insel sein?

Acconci: Sie ist eine teils offene, teils geschlossene Stahlkonstruktion. Sie ist über Stege erreichbar. Ursprünglich wollten wir einen Tunnel unter dem Fluss führen, doch das war zu teuer. Geld bleibt eben ein formender Faktor in der Architektur. Ich hoffe, dass das Ding wie ein Raumschiff auf dem Fluss liegen und man sich auf einer Art treibender Welt befinden wird.

STANDARD: Die Mur ist ein bescheidenes Flüsschen. Wäre es nicht aufregender, dieses Projekt in einem großen Strom auszuführen, etwa der Donau?

Acconci: Kann schon sein, doch Graz und nicht Wien hat mich gebeten, das Projekt zu machen. Außerdem glaube ich nicht, dass diese Insel unbedingt einen großen Fluss braucht. Es scheint mir, als ob die Mur von der Stadt und ihren Bewohnern nicht genutzt würde. Sie fließt ganz vergessen durch die Stadt. Vielleicht wird der Fluss mit diesem Projekt wieder ein Teil von Graz. Ich glaube, das Einzige, was dieses Projekt wirklich braucht, ist das Wasser als Umgebung.

STANDARD: Würde es die Mur-Insel auch nach 2003 geben?

Acconci: Das Projekt wird speziell für das Jahr 2003 entwickelt. Ich hoffe, dass dieser öffentliche Raum weiter verwendet werden wird und sich ein späterer Nutzer findet. Im Moment steht noch nichts fest, es wird sich zeigen, ob ein Privater die Insel kaufen, mieten, nachnutzen will. Es kann auch sein, dass Graz Interesse daran hat.

STANDARD: Es gibt viel Kritik am Projekt, vor allem an den Kosten von 70 Millionen Schilling, die hinsichtlich des Gesamtbudgets von Graz 2003 enorm sind. Ist sie berechtigt?

Acconci: Ich hoffe, dass das Projekt nicht so sehr als Kunstwerk betrachtet wird, sondern als Ort, den Leute besuchen und in Besitz nehmen. Ich hätte es nicht so gerne als Art-Thing verstanden, sondern vielmehr als Ort, an dem die Leute einander treffen, kommunizieren, essen, trinken, sich wohl fühlen, wo Theater passiert, verschiedene Musik gespielt wird.

Was das Geld anbelangt: Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll. Natürlich ist das Unterfangen im Vergleich zu den anderen Projekten gut dotiert, es kostet in der Tat mehr als andere Projekte, und ich kann verstehen, dass das manche Leute ein wenig aufregt, dass jemand, der nicht aus Graz kommt, so etwas realisieren kann. Doch wir bauen schließlich eine Insel, der Fluss ist ein wildes Ding, das gezähmt werden muss, und dafür ist das Budget klein.

STANDARD: Sie selbst haben Ihre Laufbahn als Künstler begonnen, arbeiten seit geraumer Zeit aber hauptsächlich als Architekt. Wie ist das passiert?

Acconci: Es ist schleichend passiert. Meine Ausstellungen wurden immer mehr zu Installationen, ich habe begonnen über den Raum nachzudenken und bin draufgekommen, dass es vernünftiger ist, den Raum nicht in Galerien und Museen, sondern in der wirklichen Welt zu gestalten. Mich haben Leute viel mehr angesprochen, die eigentlich gar kein Interesse an Kunst haben, die einfach verwenden und gebrauchen, was ich ihnen bereit stelle. Nicht weil ihnen irgendjemand gesagt hat, das sei Kunst, sondern weil sie für sich entschieden haben, das sei interessant.

Der Standard, Di., 2001.11.13



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Insel in der Mur

10. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Die Werkstatt-Büro-Wohnung

Monokultur in der Architektur hat weitgehend ausgedient: Die Zukunft gehört der Durchmischung von Arbeitsstätte, Büro und Wohnung. Ein Beispiel dafür von BUS Architektur in Wien.

Monokultur in der Architektur hat weitgehend ausgedient: Die Zukunft gehört der Durchmischung von Arbeitsstätte, Büro und Wohnung. Ein Beispiel dafür von BUS Architektur in Wien.

Im gleichen Maße, wie sich soziale und ökonomische Strukturen verändern, wird auch das gebaute Umfeld einer Gesellschaft schleichend modifiziert. Das passiert naturgemäß immer ein wenig zeitverzögert und wird am Anfang unter Umständen argwöhnisch beäugt, doch Architekturen dieser Art haben sich auf lange Sicht immer noch durchgesetzt. Dennoch mutig diejenigen, die sich an derlei Avantgarde-Projekte heranwagen.

Die Wiener Architektengruppe BUS, das sind die Argentinier Laura P. Spinadel, Claudio J. Blazica und der Österreicher Rainer Lalics, haben über viele Jahre hinweg, aufgefordert von der Stadt, ein solches Projekt geplant und schließlich durch- und umgesetzt. Die so genannte Compact City in der Wiener Donaufelderstraße 101 (21. Bezirk) wurde vom Bauträger SEG errichtet, wird auch von ihr verwertet und ist nun so gut wie fertig gestellt.

Das Besondere an diesem Gebäudekonglomerat ist die feine Durchmischung des gesamten, geschickt gegliederten Blocks mit Geschäften, Büros, Wohnungen und Werkstätten für Gewerbebetriebe - und die beachtliche Dimension des Projekts. Denn in kleineren Varianten wurden Versuche in diese Richtung zwar bereits zuvor unternommen. Die Compact City erstreckt sich aber über eine Grundstücksfläche von mehr als 10.000 Quadratmetern. Rund 72.000 Kubikmeter Raum wurden umbaut sowie eine Bruttogeschoßfläche von etwa 32.000 Quadratmeter gewonnen. Die Baukosten betrugen 210 Millionen Schilling (15,25 Mio. EURO).

Der kleine Stadtteil für Leute, die dort arbeiten wollen, wo sie wohnen, ist strukturell ausgesprochen kompliziert und deshalb effizient aufgebaut. Anlieferungszonen und -rampen mussten berücksichtigt werden, die bewohnten Zonen sollten dabei jedoch unbeeinträchtigt bleiben. Die Architekten haben den zur Verfügung stehenden Platz wohlüberlegt in Geschäfts-, Wohn-, Büro- und Arbeitsblöcke zerlegt, die verschiedenen Nutzungen rinnen schlau ineinander. So bietet das Ensemble Interessenten die verschiedensten Organisationsmöglichkeiten, von der klitzekleinen Büroeinheit mit angeschlossener Gar¸connière bis zur Werkstatthalle von Fußballfeldgeräumigkeit mit Dienstwohnung ein Stockwerk darüber.


Fußgängerzonen

Halb private, halb öffentliche Fußgängerzonen erschließen die gesamte Angelegenheit in alle Richtungen, es bildet sich im vorderen Bereich eine große „urbane Platte“ heraus; es gibt einen weiten, von Restaurants, Cafés gesäumten, von Geschäftspavillons getüpfelten, teils begrünten Platz hoch über dem Donaufelderstraßenniveau.

Die Architekten haben die Anlage solchermaßen konzipiert und durchgefeilt, dass nach Wunsch die verschiedenen Einheiten zusammengelegt und getrennt werden können. Das funktioniert sowohl auf einer als auch auf mehreren Geschoßebenen und kann bei Bedarf oder für Nachnutzer rasch und einfach rückgebaut werden.

Die Nachfrage nach solchen multifunktionalen Architekturen dürfte in den kommenden Jahren heftig werden, Homeworking ist eindeutig ein Trend, dem auch baulich entsprochen werden muss. Die Compact City wurde als erster Schritt dorthin bereits honoriert und vor zwei Jahren mit dem Otto Wagner Städtebaupreis ausgezeichnet.

BUS haben zwar eine ausgesprochen komplizierte Struktur ersonnen, sie aber unkapriziös und ohne Allüren ausgeführt. Die Details sind einfach und gelungen, und dass die strengen Wohnbauförderungskategorien einzuhalten waren, merkt man kaum, was gediegene Architektenarbeit auszeichnet.


[Am 17. November ist Tag der offenen Tür in der Compact City in Floridsdorf.]

Der Standard, Sa., 2001.11.10



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Compact City

10. November 2001Ute Woltron
Der Standard

„Wir reißen uns den Hintern auf und verbluten“

Teil 2 des Architekten-Streitgesprächs zu den Themen Stadtplanung, Vergabe- und Bauherrenkultur, moderiert von Ute Woltron.

Teil 2 des Architekten-Streitgesprächs zu den Themen Stadtplanung, Vergabe- und Bauherrenkultur, moderiert von Ute Woltron.

Die heimische Architekturszene kracht. Das ALBUM bat die Architekten András Pálffy, Elsa Prochazka, Heinz Neumann, Kammerpräsident Peter Scheifinger sowie den Leiter der ÖBB-Bahnhofsoffensive, Norbert Steiner, zur Diskussion, um die Gründe dafür auszuloten: Fortsetzung der Diskussion. (Teil 1 ist über http://derStandard.at abrufbar.)

ALBUM: Man hört, dass die Unterschreitung der GOA (Gebührenordnung für Architekten), die sich in den vergangenen Jahren zwischen 7 und 30 Prozent eingependelt hat, mittlerweile bis auf 50 Prozent geht.

Neumann: Selbstverständlich.

Scheifinger: Nochmals: Städtebauliche Wettbewerbe beeinflussen auf das Äußerste die Wirtschaftlichkeit und Prosperität einer Kommune, eines Viertels. Früher haben solche Verfahren noch den Geist geatmet, dass Städtebau nicht etwas ist, was man in den nächsten drei oder fünf Jahren realisiert. Sie haben langfristige Perspektiven einer Stadt aufgezeigt. Da war es klar, dass der Realisierungsanspruch von den Teilnehmern nicht gestellt werden konnte. Die Preisträgerprojekte haben dazu gedient, Ideen zu liefern, und es gab entsprechende Preisgelder.

Prochazka: Die zehnfach so hoch waren wie die heutigen.

Scheifinger: Klar. Es gab Preisgelder von 600.000 Schilling, obwohl der Sieger nicht gebaut hat. Bei Projekt- und Realisierungswettbewerben hingegen ist es infam, wenn hinterher nicht gebaut wird. Da ist Schadenersatz evident. Allerdings sind nicht alle Verfahren dieser Vergabe-Rechtsnorm unterworfen und bevorzugen den Auslober aus der privatwirtschaftlichen Gestion heraus. Wenn der Blöde, Arme, Finanzschwache findet, die da mittun, dann wird er die noch weiter ausbluten lassen, vernichten und in der Folge Mangelprodukte bekommen.

Ein Verfahren steht und fällt mit dem Auslober?

Scheifinger: Solange die Auftraggeber, sowohl privater als auch öffentlicher, das nicht erkannt haben, werden wir weiterhin gequält werden, weil wir Architekten sind, weil wir bauen wollen, weil das unser Beruf ist.

Offenbar war die Situation einmal deutlich besser. Hat ein Niedergang in der Architekturkultur stattgefunden?

Scheifinger: Nicht in der Architektur-, sondern in der Auftraggeberkultur.

Prochazka: In der Bauherrenkultur, würde ich sagen.

Steiner: Es ist aber auch so, dass selbst gute Architekten freiwillig wirklich viel an Honorar nachlassen, also es sind nicht immer nur die Auftraggeber die Bösen.

Neumann: Die Auftraggeber verlangen andererseits unseriöserweise städtebauliche Studien als Eintrittskarten für Projekte und bezahlen dafür gar nichts. Das ist eine Zumutung.

Steiner: Es ist für Auftraggeber legitim zu sagen: Wir wollen eine erste Idee, eine Skizze, wie ihr ein Problem städtebaulich lösen würdet.

Prochazka: Das ist eine völlige Fehleinschätzung einer Aufgabenstellung.

Neumann: Städtebaulich zum Beispiel den Praterstern einzubetten, wie das die ÖBB gerade in einem Wettbewerb verlangen - wissen Sie überhaupt, was das für eine unglaubliche Arbeit ist?

Pálffy: Das ist so, als ob ein Arzt eine Ferndiagnose aus ein paar Dutzend Metern macht und meint: Sie könnten vielleicht Bauchweh oder Halsweh haben. Was kann man mit einer Skizze seriös darstellen?

Steiner: Ich will das ja nicht fein durchgearbeitet haben, sondern gute Ideen bekommen.

Scheifinger: Ich würdige den Anspruch, den Aufwand papiermäßig zu verringern, aber der geistige Input geht über die Skizze weit hinaus, wenn man nicht nur ein paar Striche abgeben will.

Neumann: Ich kann ja auch gleich ein Comic liefern.

Steiner: Was soll ein Auftraggeber wie die ÖBB also tun?

Scheifinger: Die Antwort muss von der Stadt Wien kommen. Die Stadtplanung muss prinzipiell dafür sorgen, dass Rahmenbedingungen für Projekte geklärt sind.

Steiner: Darauf warte ich ja schon seit zwei Jahren.

Neumann: Und jetzt sollen das die Architekten kostenlos liefern, wenn's die G'moa nicht bringt?

Scheifinger: Die ÖBB muss Schnittstellen zur Stadt vorfinden. Ich habe schon vor drei Jahren Klotz und Görg darauf angesprochen, als die Bahnhofsoffensive noch gut in Fahrt war, und gefragt: Was tut ihr zur Vorbereitung, um der Bahn entgegenzukommen? Die städtebaulichen Rahmenbedingungen hat die Stadt selbst zu schaffen.

Was tut die Gemeinde eigentlich wirklich?

Pálffy: Sie will, dass privates Kapital in der Stadt Fuß fasst. Die Staatskassen sind leer, doch dann wäre es auch Aufgabe der Gemeinde, diese Prozesse zu moderieren. Das beginnt bei Wettbewerben und geht bis hin zur begleitenden Kontrolle, dass alles ordentlich umgesetzt wird. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, nicht nur für Investoren, sondern auch für die Stadt.

Steiner: Eine vorbereitende Flächenwidmung gibt es nicht mehr, es gibt nur eine anlassbezogene. Auch werden keine Anreize für Investoren geschaffen, du musst immer selbst als solcher auftreten, damit überhaupt etwas geschieht.

Prochazka: Richtig, und das Anlassbezogene ist natürlich immer das Schwächste. Ich will aber noch etwas dazu sagen: Ich bin entsetzt darüber, dass Sie als wichtiger Bauherr offenbar keine Ahnung von bestimmten Aufgabenbildern, wie etwa dem Städtebau, haben. Das ist ein Problem für uns Architekten, dass wir nicht vermitteln können, was wir als Input zu leisten haben. Es gibt zum Beispiel eine schöne Skizze von mir zu einem 35 Hektar großen Baugrund, die Vorarbeit dazu hat aber drei Monate beansprucht.

Scheifinger: Und die Vorleistungen werden von der Stadt einfach nicht erbracht. Die Stadtplanung ist zahnlos geworden, weil sie kein Geld hat.

Neumann: In Wien findet überhaupt keine Stadtplanung statt.

Pálffy: In der Wiener Innenstadt sind etwa zwei Tiefgaragen geplant, die ein erhöhtes Verkehrsaufkommen in die Altstadt bringen werden. Da geht es um grundlegendes Verständnis, was Stadt- und Verkehrsplanung ist. Ein übergeordnetes Verkehrskonzept ist in seinen Konturen nicht erkennbar.

Die Architektur scheint also eine verfahrene Szene zu sein, in die man sich als junger Mensch besser nicht begibt?

Scheifinger: Im Gegenteil. Wegdenken, Wegschauen ist nicht zulässig. Daher sitzen wir jetzt hier, sitzen in unseren Büros, reißen uns den Hintern auf für die Thematik und verbluten langsam irgendwann einmal. Und am Ende haben wir nicht wenig, sondern weniger als nichts am Konto.

Neumann: Bravo. So ist es.

Scheifinger: Es gibt bereits Beispiele, wo die Banken über bankrotte Kollegen sagen: Das ist ein wichtiger Mann in der Stadt. Ein paar intervenieren auch für ihn, dann gibt es irgendwann einfach einen Schuldennachlass oder Konkurse.

Neumann: Schuld daran sind die GOA-Abschläge und die unseriösen Wettbewerbe. Auch für die Verfahren muss es die Gebührenordnung spielen. Wenn das Projekt dann, aus welchen Gründen auch immer, nicht umgesetzt wird, so ist das ebenfalls zu bezahlen. Es gibt für einen Bauherrn, der uns Architekten in Hundertschaften fordert, kostenlos Millionen hinzutragen, keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Der sitzt für mich am Spieltisch wie ein Croupier, und er muss auch auszahlen. Der kann nicht aufstehen, hinausgehen und sagen: Heute ist nix.

Steiner: Dann wird es nicht mehr lange Wettbewerbe geben.

Neumann: Das wäre ohnehin das Klügste, wenn die sittliche Reife der Auslober fehlt. Der Wettbewerb ist eine moralische Instanz, die von beiden Seiten wahrgenommen werden muss.

Prochazka: Ich bin ergebnisorientiert und frage mich, ob volkswirtschaftlich nicht enorme Summen vergeudet werden.

Neumann: Wir haben nicht mehr das Kapital, jedes Projekt in der Tiefe, Schärfe, Genauigkeit zu führen, weil wir das gesamte Geld in nicht gebaute Wettbewerbe stecken.

Das alles ist bekannt, aber wie kommt man aus der Situation heraus? Warum berechnet die Kammer nicht, welche Summen verschleudert werden und wie teuer die Körperschaften letztlich schlecht umgesetzte Wettbewerbe kommen?

Scheifinger: Ich habe genau das vor Jahren mit Hannes Swoboda besprochen, der gemeint hat: Na, rechnet das einmal aus. Aber wir haben nicht den Apparat der Magistrate hinter uns. Die haben die Beamten und die Rechenstifte, warum soll das delegiert werden? Die Körperschaften müssen das selbst nachrechnen.

Sie tun es aber offensichtlich nicht.

Scheifinger: Dann muss man sie zwingen.

Prochazka: Die Kammer wäre schon ein Instrument, so etwas zu machen. Wir zahlen ja schließlich Beiträge.

Scheifinger: Ich leide schon darunter, den Normalbetrieb aufrechtzuerhalten. Ich kann es nicht machen, weil das Geld nicht da ist. Der Magistrat hat die Beamten, was tun die bitte?

Es geschieht aber nicht, weshalb wir nicht aus dem Problem herauskommen. Wie schaut also die Strategie aus?

Scheifinger: Dann muss es die öffentliche Meinung verlangen. Es geht schließlich um viel Geld. Ein städtebaulicher Wettbewerb, der schlecht ausgeht, kostet unter Umständen Milliarden. Schlechte Architektur produziert enorme Folgekosten.

Das wissen die Architekten, aber sonst kein Mensch.

Scheifinger: Der Souverän, der mit öffentlichen Geldern jongliert, muss rechnen. Nehmen wir nur aus aktuellem Anlass Karlsplatz und Künstlerhaus her.

Pálffy: Da werden um mindestens 23 Milliarden Schilling U-Bahn-Erweiterungen aus dem Zentrum an die Peripherie gebaut, es gehen täglich mindestens 50.000 Personen in dieser Station rein und raus. Das gesamte Areal liegt als großartiges Verkehrsbauwerk brach. Wenn man drüberfährt, glaubt man am Verkehrsverteiler Süd zu sein, nur statt dem Horr-Stadion steht der Musikverein dort. Das sind die Realitäten. Um eins komma irgendwas Prozent der genannten Summe könnte man die gesamte Situation dort tadellos in Ordnung bringen und die Lebensqualität Tausender Menschen aufwerten. Es handelt sich um einen der wichtigsten Orte in einer Stadt, die sich eigentlich als Kulturstadt versteht. Das geht aber alles nicht, weil die U-Bahn keinen Lift auf die unteren Geleise führen kann - denn das sind die Argumente, bei denen wir als Architekten, die den Ort verbessern wollen, landen.

Prochazka: Dieses Projekt ist ein klassisches Beispiel: Hier hat ein Gutachterverfahren mit erstklassigen Architekten stattgefunden, das Büro Jabornegg-Palffy hat es gewonnen, baureif geplant, jetzt ist das Projekt abgestürzt, und sie kämpfen um ihr Honorar. Ein Symptom der allgemeinen Situation.

Offenbar mangelt es an gescheiter Organisation architektonisch-städtebaulicher Prozesse, und es gibt einen eklatanten Mangel an Wertschätzung gegenüber der Arbeit, die Architekten zu erbringen imstande sind. Wie steuert man dem entgegen?

Neumann: Das beginnt damit, dass nicht der Architekt nachweisen muss, die finanzielle Potenz für einen Auftrag zu haben - das geht so weit, dass man aufgefordert wird, Bankgarantien vorzuweisen - sondern der Bauherr müsste die Bankgarantie legen, dass er sich das Haus überhaupt leisten kann.

Prochazka: Ich gebe eines zu bedenken: Die Diskussion über Wettbewerbe suggeriert, wenn alles ordnungsgemäß abgehandelt würde, wäre die Welt in Ordnung. Doch Wettbewerbe können nie objektiv sein und stellen ruinöse Verfahren dar: ein Roulette, das die Architekten immer wieder zu spielen gezwungen sind. Sie sind das einzige gesellschaftlich akzeptierte Glücksspiel, das es in Österreich gibt.

Neumann: Wobei im Kasino definiert ist, wievielfach was ausbezahlt wird. Wir wissen hingegen nicht, ob der Croupier überhaupt ausbezahlt. Das ist für mich der Grund, warum ich lieber in ein Kasino gehe, als einen Wettbewerb zu machen. Am Wettbewerb Kulturinstitut New York haben 260 Architekten teilgenommen, die haben insgesamt mehr hineingesteckt, als der schließlich mit dem Bau beauftragte Wettbewerbssieger Raimund Abraham an Honorarsumme bekommen hat.

Scheifinger: Dabei war bei diesem Wettbewerb, wie bei anderen auch, eigentlich von vornherein klar, wer letztlich ganz vorne mitmischen würde. Alle anderen sind verheizt worden.

Prochazka: Jeder, der die Szene ein bisschen kennt, weiß, dass das natürlich stimmt. Die Botschaft in Berlin ist auch so ein Fall. Warum kann Hans Hollein nicht direkt beauftragt werden?

Scheifinger: Das ist anders gelaufen, da war die Wirtschaft beteiligt. Stahl- und Steinfassade haben hinter den Kulissen miteinander gerungen.

Wer wäre Stahl gewesen?

Scheifinger: Man zwinge mich bitte nicht, vor laufender Kamera die Hosen herunterzulassen.

Prochazka: Wir sind keine Neidgenossenschaft. Bei manchen Projekten ist es natürlich sinnvoll, direkt ohne Wettbewerb zu vergeben.

Scheifinger: Die Architektur muss es schaffen, mit den richtigen Gesprächspartnern am Diskussionstisch zu sitzen. Ich will nicht mit einem Leiter einer MA verhandeln, sondern mit dem Stadtrat. Die Handschlagqualität ist abhanden gekommen, alle verstecken sich hinter Verordnungen und Gesetzen.

Gab es diese Handschlagqualität denn wirklich einmal?

Scheifinger: Natürlich, keine Frage, und es ist noch nicht allzu lange her.

Pálffy: Noch etwas: Für rund 1300 Wiener Kammermitglieder gab es heuer genau einen öffentlichen Wiener Wettbewerb, und das war die Katharinengasse.

Scheifinger: Das war kein Wettbewerb, das war ein Massaker. Und das nächste Massaker folgte mit Schönbrunn.

Pálffy: Für mich heißt das, dass eine Moderation der Stadt einfach hergehört. Eine gewisse Breite, eine qualitative Auseinandersetzung - und das entsprechende Klima könnte gefördert werden. Revolutionen passieren nicht von einem Tag auf den anderen. In Basel, um ein Beispiel zu nennen, ist aufgrund eines engagierten Beamten eine architektonische Blüte entstanden. Es gibt auch weitere Beispiele, in Spanien, Holland usw. Da gibt es Qualitätsbegriffe, die unangefochten sind, und wenn man die respektiert, dann funktioniert es. Das illustriert, dass neben einem angebrachten Regelwerk eine der Grundlagen für gute Architektur vor allem der Wille dazu sowie eine gewisse Kompetenz in der Materie ist. Wenn man die nicht hat, muss man sich um ein Umfeld bemühen, muss sich lokale und durchaus auch externe Experten holen, um Qualitätsarchitektur bewirken zu können.

Der Standard, Sa., 2001.11.10

05. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Türmchenbau zu Schanghai

Österreich gibt seine Visitenkarte als Land der Baukunst wie des Designs ab: Ute Woltron über eine imposante, von Hans Hollein kuratierte Schau im „Shanghai Art Museum“.

Österreich gibt seine Visitenkarte als Land der Baukunst wie des Designs ab: Ute Woltron über eine imposante, von Hans Hollein kuratierte Schau im „Shanghai Art Museum“.

Schanghai - Die österreichisch-chinesischen Kulturbeziehungen sollen künftig mit System vertieft werden, der ersten Spatenstich dazu erfolgte am Wochenende in Schanghai: Kunststaatssekretär Franz Morak eröffnete quasi Hand in Hand mit Architekt und Kurator Hans Hollein eine großzügige Ausstellung österreichischer Kulturprodukte, und es ist kein Zufall, dass es sich bei den Exponaten im Shanghai Art Museum hauptsächlich um Ansichten heimischer Paradearchitekturen handelt.

Schanghai selbst ist derzeit die emporschießende Baustelle der Welt - die blutjungen Wolkenkratzer hier nehmen sich gegen die gediegen gewachsenen Wiener Hochhäuserln aus wie Stangenbohnen gegen Radieschen. Beides hat seine Qualität, auch die Geschwindigkeit wird ein zunehmend wichtiger Faktor in der Architektur, und wie sich andererseits die Baukunst mit Design und Kunst zu einer neuen Disziplin verbünden kann, hat Hollein international an vorderster Front vorgezeigt.

Die von ihm kuratierte Ausstellung mischt denn auch Kunst, Architektur, Design zu einem bekömmlichen Cocktail, dem es, einigen Unkenrufen zum Trotz, weder an Jugendlichkeit fehlt noch am gediegenen weiblichen Input. Holleins Crossover-Geschick, die gesamte Szene zu einem Präsentationsteppich zu verknüpfen, ist beeindruckend, und dass eine Überblicksschau nicht dazu da ist, den allerneuesten Tendenzen der Branche auf den letzten Milchzahn zu fühlen, versteht sich von selbst.

Der Bogen der gezeigten Arbeiten spannt sich weit von der wohletablierten Klientel, wie Wilhelm Holzbauer und Gustav Peichl mit ihren Wiener Türmen, bis zur jüngeren Garde, hier vertreten etwa von Henke & Schreieck, Delugan & Meissl, Rainer Pirker und Florian Haydn, und reicht bis hin zu Coop Himmelb(l)au und Zaha Hadid. Hollein hat sich selbst und seinen Media-Tower freilich nicht vergessen.

Die Designschiene der Ausstellung ist ein wenig schmal: Walter Pichlers Fauteuilklassiker Galaxy ist zu sehen und Paolo Pivas Wittmann-Entwürfe stehen elegant herum, insgesamt hätte Österreich hier allerdings mehr zu bieten, vor allem im Bereich des ausstellungsmäßig stets unterbelichteten Industriedesigns. Etwas umfassender hat man sich der bildenden, der Medien-und der angewandten Kunst angenommen, wohl weil die Sammler Karlheinz und Agnes Essl ihre Kunstkammern zur Verfügung gestellt haben.

Der Kurator hat auch in diesem Bereich versucht, ein Gesamtgemälde zu erstellen, und Valie Export, Franz West, Peter Kogler, Heimo Zobernig, Hans Christian Attersee, Maria Lassnig, Hermann Nitsch, Arnulf Rainer, Hubert Schmalix unter ein Ausstellungsdach gebracht.

Holleins Schanghai-Ausstellung versucht einen, wie er meint, „Crossover zwischen den Künsten“, der den Österreichern seiner Ansicht nach mit „fließenden Übergängen zwischen den Bereichen Malerei, Plastik, Architektur und auch Medien, Film, Design, Mode“ besonders zu liegen scheint. Die international meistbeachtete Kunstentwicklung Österreichs im vergangenen Halbjahrhundert bleibe aber die Architektur.


[„Austrian Contemporary Art, Architecture and Design“, Shanghai Art Museum, bis 30. 11., ein Katalog ist bei Holzhausen erschienen.]

Der Standard, Mo., 2001.11.05

03. November 2001Ute Woltron
Der Standard

Die Branche wird mit System ausgeblutet

Die Architektur kämpft gegen Honorardrückerei, fiasköse Wett- bewerbe, mangelnde Stadtplanung und die Windmühlen der Bürokratie: Teil 1 eines Streitgesprächs, moderiert von Ute Woltron

Die Architektur kämpft gegen Honorardrückerei, fiasköse Wett- bewerbe, mangelnde Stadtplanung und die Windmühlen der Bürokratie: Teil 1 eines Streitgesprächs, moderiert von Ute Woltron

Die heimischen Architekten liefern zwar hervorragende Produkte, bekommen internationale Anerkennung, sind selbst aber dabei großteils fast pleite. Das ALBUM bat die Architekten András Pálffy, Elsa Prochazka, Heinz Neumann, Kammerpräsident Peter Scheifinger sowie den Leiter der ÖBB-Bahnhofsoffensive, Norbert Steiner, zur Diskussion, um die Gründe dafür auszuloten. Warum kracht es also dermaßen im Architektengebälk?

Elsa Prochazka: Ich bemerke, dass sich bedauerlicherweise ein Klima der Gegnerschaft zwischen Bauherren und Architekten herausbildet. Das ist einer der Gradmesser der Verschlechterung der Situation. Letztlich haben beide ein gemeinsames Interesse, nämlich ein ökonomisches, optimales Ergebnis zu erzielen. Ich verstehe nicht, warum es da Reibungsverluste durch Gegnerschaft geben muss.

András Pálffy: Das Schitzophrene ist folgendes: Architekturführer aus den 70er-, 80er-Jahren sind dünn und klein. Heute gibt es Architekturführer für fast jede Region, es gibt sichtbar eine dichtere Qualität in der österreichischen Architektur. Zugleich kämpfen viele Büros wirtschaftlich um das Überleben, was es früher einfach nicht gab. Außerdem bemerkt man, dass diese gute Architektur hauptsächlich auf private Initiativen zurückzuführen ist.

Prochazka: Gleichzeitig hat aber in der Öffentlichkeit die Diskussion über Architektur enorm zugenommen, auch in den Medien. Es gibt Institutionen wie Architekturstiftung und Architekturhäuser. Es leben also ganze Branchen vom Thema Architektur ganz gut - nur nicht die Architekten selbst.

Viele Architekten behaupten, dass ihre Leistungen nicht entsprechend abgegolten werden und Planungen oft auf ein Nullsummenspiel herauslaufen. Wie schaut die Zahlungsmoral der Auftraggeber tatsächlich aus?

Peter Scheifinger: Man darf den von den Kollegen selbst dargebotenen Honorarnachlass nicht außer Acht lassen. Der bringt Auftraggeber natürlich dazu, sich dieses Verhalten allgemein anzueignen.

Prochazka: Die Honorarordnung (Anm.d.Red.: Die GOA regelt das Architektenhonorar nach erbrachter Leistung) ist ein komplexes Thema, und ein wichtiger Punkt ist dabei, wann sie überhaupt einsetzt. Es gibt tatsächlich für die Architekten lange Fristen der Vorfinanzierung: Das ist ein schleichender Nachlass, über den nie gesprochen wird. Im Wohnbau greift es darüber hinaus um sich, dass die Bauträger den Architekten bis zur Einreichung beauftragen, dann wird das Projekt samt der Architektenleistung zu einem Bruchteil der Architektenhonorare auf Generalplaner übertragen, was einen enormen Informations- und letztlich Qualitätsverlust bedeutet. Die Verantwortlichkeit entgleitet dem Architekten zunehmend. Die vorhin genannten Abschläge sind nur die Spitze des Eisberges.

Scheifinger: Andererseits erkennen immer mehr Bauherren, dass Qualität besser vermarktbar ist.

Prochazka: Das gilt nicht für den Wohnbau.

Scheifinger: In Einzelfällen schon.
Pálffy: Schön, dass es das gibt, aber in Summe schaut's ganz anders aus. Letztlich zählt bauherrenseits nur mehr der Einsparungswille, mit dem oft ein Mangel an inhaltlicher Kompetenz kompensiert werden soll. Das endet auch im letzten Nachlass, nämlich damit, dass man auf die Bezahlung der Schlussrechnung noch einmal zwei Jahre warten muss.

Jede andere Branche würde sich das nicht gefallen zu lassen. Die Architekten scheinen ein sehr geduldiges Volk zu sein.

Heinz Neumann: Diese Branche ist ausgeblutet, und zwar mit einem System, das Wettbewerb heißt. Wir werden laufend gezwungen aus Gründen der Existenz an diesen Verfahren teilzunehmen. Dann passieren die eigentümlichsten Dinge, der Bauherr sagt etwa: Schön, der Wettbewerb, aber ich bau jetzt doch lieber nicht. 50 Architekten haben teilgenommen, jeder hat 300.000 bis 500.000 Schilling ausgegeben, damit sind zig Millionen in den Rauchfang geblasen. Das ist ruinös, denn es gibt kein Äquivalent, das diese Berufsgruppe wieder in eine Gewinnsituation führt. Wir haben für das Kulturbewusstsein der Nation beizutragen, ohne bezahlt zu werden. Daher haben die meisten Büros absolut keine Reserven und sind gezwungen, unmenschliche Vertragsbedingungen einzugehen, um überhaupt zu überleben.

Wie schauen solche Vertragsbedingungen konkret aus?

Prochazka: Das vorhin Gesagte gilt für jeden Vertrag. Ich kann das in jedem Punkt unterstreichen. Ich habe im vergangenen Jahr vier Wettbewerbe mitgemacht, zwei gewonnen, davon ist einer aus politischen, der andere aus Widmungsgründen abgestürzt. Ich kann mir also die zwei gewonnenen auch in die Haare schmieren. Ich habe dafür 500.000 Schilling Abgang zu verbuchen. Wenn sich die Situation jedes Jahr so darstellt, kann man sich leicht ausrechnen, wohin das führt.

Agieren die Auslober fahrlässig?

Prochazka: Es nützt alles nichts, denn auch wenn alle vier Parteien in der Jury vertreten sind, stürzen Wettbewerbe ab, trotz Konsens. Der Wettbewerb ist ein prinzipiell ungeeignetes Verfahren, um zu innovativen und guten Ergebnissen zu kommen.

Wie sieht die Situation ein potenter Architektur-Auftraggeber wie die ÖBB?

Norbert Steiner: Für mich gehört dazu, dass man über Wettbewerbe auch geliefert bekommt, wie ich widmen soll und was ich wo baue.

Auch städtebauliche Vorstudien?

Steiner: Es handelt sich eben um Ideenwettbewerbe, und die Architekten brocken sich selbst schon viel ein, wenn zwar wenig gefordert, aber unheimlich viel geliefert wird. Ich glaube, dass man sich als Architekt prinzipiell einmal mit anderen Rollenbildern beschäftigen sollte. In anderen Ländern gibt es den Designarchitekten, der sich halt auf bestimmte Sachen beschränkt. Nicht jeder Wohnbau muss aus einem Wettbewerb entstehen, wo 50 Leute mitmachen.

Das hört sich nach Wohnung als austauschbare Ware an, vielleicht geht der Weg ja wirklich dorthin?.

Steiner: Wir stellen uns den Architekten jedenfalls als jemanden vor, der auch noch das letzte Schrauberl mitbestimmt. Ich frage mich, ob das noch das adäquate Rollenbild ist.

Prochazka: Es gibt nichts Komplexeres und Anspruchsvolleres als zum Beispiel ein städtebauliches Konzept zu entwickeln, das, wenn es gescheit gemacht ist, einen Milliardenmehrwert für den Grundeigentümer schafft. Das ist genau eine dieser Aufgabenstellungen, die wir österreichischen Architekten immer als Draufgabe dazubekommen, um überhaupt an Bauaufträge heranzukommen. Apropos internationale Rollenbilder: In England finanziert sich das Büro Foster hauptsächlich über Bebauungspläne, die sie überall auf der Welt machen, und die höchst dotiert werden. Wenn man sich nach anderen Rollenbildern umschaut, sollte man wirklich auch diese Aspekte einmal durchdenken. Große städtebauliche Verfahren, die der Gemeinde Wien vor einigen Jahren noch 700.000 Schilling wert waren, werden heute mit 70.000 Schilling abgegolten.

Neumann: Die gesamte Wettbewerbssituation hat sich in den vergangenen 15 Jahren enorm verschlechtert.

Steiner: Die wirtschaftliche Situation hat sich doch überall verschlechtert, und ich muss schon auch sagen können, dass Marktsituationen auch für Architekten gelten.

Prochazka: Wir wären ja schon froh, wenn sie für uns gelten würden!

Neumann: Warum müssen die Architekten kostenlos Ideen bringen, damit Bebauungspläne entstehen. Das ist nicht nachvollziehbar. Jeder andere Berufsstand wird für vergleichbare Leistungen gut bezahlt. Die Gemeinde soll sich zehn dafür qualifizierte Leute suchen, soll drei Junge auch dazuholen und jedem ein entsprechendes Entgelt zahlen. Dass ein Wettbewerb veranstaltet und dann abgesagt wird, weil es keine Flächenwidmung gibt, ist unmoralisch und unfair. Wenn ein Bauherr im Nachhinein sagt, das Projekt sei nicht umsetzbar, hätte er sich vorher darum kümmern oder ein Gutachterverfahren veranstalten müssen. Wenn er jedem geladenen Teilnehmer 500.000 Schilling in die Hand drückt, dann kann er mit den Plänen später machen, was er will. Andernfalls hat es einen Sieger zu geben, der baut, und zwar nach der Gebührenordnung. Dann gibt es noch ein anderes Thema, das mich langsam sehr nervös macht, und zwar die Verhandlungsverfahren. Da sitzt man dann plötzlich vor jemandem, der sagt: Na, von der Gebührenordnung müssen'S 50 Prozent nachlassen, sonst kommen Sie leider nicht zum Zug.

Der Standard, Sa., 2001.11.03

27. Oktober 2001Ute Woltron
Der Standard

Raumgefasster Zeitwille

Ludwig Mies van der Rohe ist omnipräsent: in Ausstellungen, Büchern und in den Arbeiten seiner Nachfolger

Ludwig Mies van der Rohe ist omnipräsent: in Ausstellungen, Büchern und in den Arbeiten seiner Nachfolger

Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886 bis 1969) war 83 Jahre alt, als er sich zum Sterben legte. Er wusste, dass er Krebs und nicht mehr lange zu leben hatte, und beschloss, seiner Tochter Georgia sein architektonisches Vermächtnis zu diktieren. An einem Sommertag des Jahres 1968 machte er sich in seiner Chicagoer Wohnung zurecht, band die unvermeidliche Krawatte um, ließ sich den ebenfalls unvermeidlichen Martini zu fünf Teilen mit Gin mixen, entzündete eine Havanna-Zigarre und sprach über mehrere Stunden die wichtigsten Stationen seines Architektenlebens in die Kamera.

Zu guter Letzt, als alles gesagt schien, bat er die töchterliche Regisseuse, das Gerät doch noch einmal für ein letztes Statement aufzudrehen, um Folgendes festzuhalten: „In meinem langen Leben habe ich immer danach gesucht, worum es sich eigentlich dreht in der Baukunst. Und ich bin mehr und mehr zu der Überzeugung gekommen, dass die Baukunst unsere Zivilisation ausdrücken soll - in ihren wesentlichen Teilen, nicht in den nebensächlichen Wünschen. Das Essentielle sollte herausgearbeitet werden, und das sehe ich als die eigentliche Baukunst an. Es war ein langer Prozess, und alles, was ich gemacht habe, hat sich darum gedreht, das zu klären, Schritt für Schritt. Man kann nicht alle Montagmorgen eine neue Baukunst erfinden. Das ist etwas naiv. Baukunst war immer eine ganz ernste Sache, man hat die Epochen danach benannt. Und so wird es bleiben.“

Mies selbst hat eine dieser Epochen maßgeblich mitgeprägt, er hat sozusagen das Wesentliche seiner Zeit herausgearbeitet. Ohne die gewagten, seinerzeit hochexperimentellen Konstruktionen des Steinmetzsohnes aus Aachen, ohne seine auch heute noch aktuellen Abhandlungen über das Wesen der Architektur wäre die Epoche der Moderne eine andere gewesen. Klassiker wie sein Barcelona-Pavillon, seine Wohnhäuser in Brünn und Illinois, seine Stahlskeletthochhäuser samt vorgehängten Glasfassaden sprechen für sich. So richtig still war es um Mies auch nach seinem Tod nie, doch dieser Tage scheint der Mann mit der Zigarre ein regelrechtes Revival zu erleben. Ausstellungen in New York und Berlin versuchen, das umfangreiche Werk des Architekten, seinen Werdegang, den vielschichtigen Einfluss, den er auf Zeitgenossen und nachfolgende Generationen ausübte, aufzuarbeiten. Die große Mies-Schau im Whitney Museum of American Art ist zwar schon wieder abgebaut, doch ab 27. Oktober zeigt das Vitra Design Museum in Berlin eine umfangreiche Auswahl von Möbeln des Architekten, und im Dezember übersiedelt die Ausstellung Mies in Berlin vom New Yorker Museum of Modern Art in das Alte Museum Berlin.

Wer nicht vor Ort sein kann beziehungsweise die Whitney-Ausstellung versäumt hat, der darf sich zumindest an fetten Ausstellungskatalogen ergötzen, die in Buchform ab sofort im Handel zu haben sind. Mies in Berlin handelt vorzüglich auf insgesamt 391 Seiten Die Berliner Jahre 1907-1938 ab und ist, ebenso wie der zweite, 791 Seiten lange Wälzer, der Mies van der Rohe in America präsentiert, weniger Bild- als Textarbeit. Ein kleiner Zusatzhappen erschien bereits im heurigen Frühjahr: In der Autobiografie La donna è mobile hat Mies-Tochter Georgia ihr kompliziertes Leben mit dem unsteten Vater abgearbeitet - aus dieser Lebensbeichte stammt auch das eingangs festgehaltene Zitat der Miesschen Lebensabschlussbetrachtung.

Ludwig Mies, der aus Gründen der Extravaganz 1922 auch den Familiennamen seiner Mutter an den väterlichen Namen anhängte, hatte nie Architektur studiert. Die Qualitäten handwerklicher Perfektion sowie die Vorzüge präziser Details bekam er schon als Bub im väterlichen Maurer- und Steinmetzbetrieb mit. Er begann sein Arbeitsleben als Zeichner und Entwerfer von Stuckornamenten und Möbeln, wechselte wenig später in Architekturbüros und gelangte 1908 schließlich zu Peter Behrens, dessen Architektur ihn entscheidend prägte. 1912 gründete er schließlich sein eigenes Architekturbüro in Berlin, konnte sich rasch etablieren, leitete 1926 als Vizepräsident die Werkbundausstellung Weißenhofsiedlung in Stuttgart, wurde 1930 Direktor des Bauhauses in Dessau und Berlin und emigrierte 1938 in die USA. Der Sprung auf den anderen Kontinent erwies sich als fruchtbar, noch im selben Jahr konnte der Aachener ein Architekturbüro in Chicago gründen und begann zugleich als Direktor der Architekturabteilung des Illinois Institute of Technology mit der Neuplanung des gesamten Campus.

Mies war stets der radikalen Klarheit, der straffen Organisation und Ökonomie verpflichtet, seine Materialien waren der Beton, der Stahl, das Glas. Bereits im Mai 1923 hatte er schriftlich festgehalten: „Eisenbetonbauten sind ihrem Wesen nach Skelettbauten. Keine Teigwaren noch Panzertürme. Bei tragender Binderkonstruktion eine nichttragende Wand. Also Haut- und Knochenbauten. (...) Jede ästhetische Spekulation, jede Doktrin und jeden Formalismus lehnen wir ab. Baukunst ist raumgefasster Zeitwille. Lebendig. Wechselnd. Neu.“ Die öffentliche Zurschaustellung dieses raumgefassten Zeitwillens war dem Architekten schon zu Lebzeiten ein dringliches Anliegen. Mies baute nicht nur, er stellte auch heftig und immer wieder aus. Sein Stammlokal war dabei das New Yorker Museum of Modern Art, wo er 1932 in Philipp Johnsons legendärer Schau The International Style präsent war und wo er 1942 seine erste Einzelausstellung beging.

Heute, so schreibt Terence Riley, setze man sich „auf vielfältige, ganz neue, kreative Weise mit dem Werk Mies van der Rohes auseinander“. Sein Einfluss auf die zeitgenössische Architektur sei nach wie vor enorm: „Die schöpferische Neubeschäftigung mit Mies' Transparenzstudien und mit Fragen zur Architektur in ihrer Beziehung zu Natur, Technik sowie Bewusstsein und Bewusstheit des Menschen spiegelt sich in den Bauten zweier Generationen von Architekten, die sich seit 1986 international einen Namen gemacht haben - von Herzog & de Meurons Weingut in Napa Valley über Rem Koolhaas' Maison à Bordeaux bis zu Jesse Reiser und Nanako Umemoto. Diese und zahlreiche weitere Beispiele haben uns davon überzeugt, dass die erneute Beschäftigung mit Mies' Frühwerk genau zum richtigen Zeitpunkt erfolgt.“

Dieses Raffinieren von Älterem mit Jüngerem zu einem Neuen ist ganz im Miesschen Sinne. Er hatte einmal gemeint: „Ich fühlte, dass es möglich sein müsse, alte und neue Kräfte in unserer Zivilisation miteinander in Harmonie zu bringen. Jeder meiner Bauten war eine Demonstration dieser Gedanken und ein weiterer Schritt in dem Prozess meines eigenen Suchens nach Klarheit.“


[„Mies in Berlin. Die Berliner Jahre 1907-1938“, herausgegeben von Terence Riley und Barry Bergdoll, Verlag Prestel,
öS 934,-/EURO 75,-
„Mies van der Rohe in America“, herausgegeben von Phyllis Lambert, Verlag Hatje Cantz,
US $ 75
„La donna è mobile. Mein bedingungsloses Leben“ von Georgia van der Rohe, Aufbau-Verlag, öS 360,80/EURO 25,51]

Der Standard, Sa., 2001.10.27

20. Oktober 2001Ute Woltron
Der Standard

Die Grammatik des Bauens

Das Architekturzentrum Wien überrascht mit einer kleinen, gewagten Ausstellung, die, wie jede wirklich gute Schau, dem Betrachter Schwerarbeit abverlangt. Was ist Architektur? So lautet die Frage, die letztlich jeder nur für sich selbst beantworten kann.

Das Architekturzentrum Wien überrascht mit einer kleinen, gewagten Ausstellung, die, wie jede wirklich gute Schau, dem Betrachter Schwerarbeit abverlangt. Was ist Architektur? So lautet die Frage, die letztlich jeder nur für sich selbst beantworten kann.

Architektur sei von Erzählungen durchdrungen, sagt Mark Rakatansky, Architekturprofessor an der Columbia University: „Alle ArchitektInnen, alle Gebäude erzählen Geschichten - wenn auch mehr oder weniger bewusst.“

Diese Geschichten einzufangen, womöglich sogar zu verbalisieren, ist eine schwierige, reizvolle Aufgabe, und irgendwann erreicht derjenige, der es versucht, einen Punkt, an dem sich ein paar wichtige Fragen stellen, nämlich: Was ist Architektur überhaupt? Was verbirgt sich eigentlich hinter diesem akademischen, nachgerade langweiligen und zumeist ebenso langweilig-akademisch abgehandelten Begriff? Welche bunteren, lebendigeren Fabeln können Häuser spinnen als die ewigen Abhandlungen über Raumvalenzen und Detailakrobatik? Welche Parabeln können sie weben, wie tun sie es, und - was haben sie uns alle miteinander eigentlich zu sagen?

Das neue alte Architekturzentrum Wien eröffnet seine frisch herausgeputzten Räumlichkeiten im Museumsquartier mit einer Ausstellung zu diesem Thema. Die kleine, gehaltvolle Schau (zu sehen bis März) ist eine erfreuliche und gewissermaßen ruppige Überraschung in der ansonsten so glatt bis platt gehaltenen Architekturpräsentationswelt. Denn vor allem hinter diese Glanzbilderkulissenästhetik wollte man lugen, so Zentrumschef und Dauerwirbelwind Dietmar Steiner: „Die Mediatisierung von Architektur liegt wie eine wasserdichte Folie über den Objekten. Der Markt verlangt nach Sensationen und fragt nicht mehr nach tatsächlichen Qualitäten. Qualitäten der Architektur wollten wir deshalb im und am Unspektakulären bewusst machen.“

Steiner hat der Ausstellung mit der Unterzeile what is architecture? den Titel Sturm der Ruhe verpasst, und während er ihm einfiel, war er eingedenk der Verwirrung, die damit gestiftet würde, mit Sicherheit von diebischem Vergnügen erfüllt.

Die Ausstellung ist Arbeit. Sie erfordert ein stationenweises Durchkämpfen und belohnt dafür mit der Erkenntnis, dass man selbst der Chef ist. Jeder darf, wie Harry Haller im magischen Theater, selbst den Weg zu seiner Architekturauffassung gehen, und das funktioniert am besten, wenn man das Hirn frei und die Seele voll macht. Entsprechendes Füllmaterial ist hier reichlich vorhanden, es steht bereit in Form von Videosequenzen, Büchern, Fotografien, beglückend wenig Planzeichnung, guten Texten, Skizzen, Artefakten. Alles wird nicht zuletzt in eine angenehme Fassung gebracht von der Ausstellungsarchitektur von Eichinger oder Knechtl, die allerorten warmes Orange walten ließen - an den Wänden der neun Kojen, am Boden, an der Decke, an den unwabbelig bequemen Schaumstoffsitzgelegenheiten.

Was ist also Architektur, und welche Geschichten werden erzählt? Ist sie zum Beispiel die hier via Fotogalerie zu besichtigende, durchdesignte Klamottenverkaufsmaschine für Calvin Klein in New York? Ist sie das reduzierte, preiswert gehaltene Einfamilienhaus in Frankreich von Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal? Ist sie das karge, raue, vom Künstler Gerhard Merz entworfene Lagerhaus in Deutschland? Und was machen eigentlich Abbildungen alter Bauernhäuser in der Ausstellung, was haben Videotapes von mexikanischen Steppenlandschaften hier zu suchen, und wozu liegen Tannenbretter fein säuberlich aufgestapelt hier herum?

Die Antwort darauf muss, wie gesagt, jeder selbst finden, und aus den vielen möglichen Zugängen sei an dieser Stelle nur einer herausgepickt. Ein kleiner, fein gemachter Katalog ist nicht Zusammenfassung, sondern Teil der Ausstellung. Er kommt fast ohne Fotos aus und besteht hauptsächlich aus Texten verschiedenster kluger AutorInnen, die kammartig ineinander verwoben sind (hundert von hundert möglichen Punkten gehen an das Layout). Ein Beitrag stammt vom Architekturtheoretiker Mark Wigley und widmet sich der „Architektur der Atmosphäre“. Über dieses Nichtgreifbare der Architektur zu schreiben, stellt in einer Szene cooler Kritikerrationalisten durchaus ein Wagnis dar.

Wigley fragt sich also unbefangen: "Wie wird Atmosphäre konstruiert? Atmosphäre beginnt offenbar genau dort, wo die Konstruktion endet. Sie umgibt ein Gebäude, haftet seiner Materie an. Tatsächlich scheint sie dem Objekt zu entströmen. Das Wort „Atmosphäre“ wurde ursprünglich zur Bezeichnung der Gashülle benutzt, von der Himmelskörper umgeben sind, und man glaubte, dass sie dem Planeten entstamme und ein Teil von ihm sei. Ganz ähnlich scheint die Atmosphäre eines Bauwerks durch dessen physische Form erzeugt zu werden. Sie ist gewissermaßen eine sinnlich wahrnehmbare Emission von Schall, Licht, Wärme, Geruch und Feuchtigkeit; ein wirbelndes Klima nicht greifbarer Effekte, die von einem stationären Objekt erzeugt werden."

Ein wirbelndes Klima nicht greifbarer Effekte also, das dem darinnen Befindlichen auf seine Weise etwas zu sagen hat: Das erklärt auch die Anwesenheit des Weißtannenbretterstapels in der Ausstellung, denn wenn man die Nase energisch zwischen die Hölzer steckt und die dort beheimatete Atmosphäre tief inhaliert, befindet man sich augenblicks in einem Raum des Geruchs. Nicht nur Oberfläche, sondern ein ganzes Planetarium verschiedener Atmosphären umhüllt auch den mächtigen grünschwarzen Betonmusterstein für das Kunstmuseum Liechtenstein von „Morger, Delego, Kerez Architekten“. Der Stein erzählt, wenn man so will, seinem Betrachter die verschiedensten Geschichten des Poliertwerdens, Fräsens, Angebohrtwerdens und seine Reaktionen darauf.

Adolf Loos hat, auf seine trocken-kantige Art, bereits im Jahr 1910 das Atmosphärische einer Architektur beschrieben: „Wenn wir im walde einen hügel finden, sechs schuh lang und drei schuh breit, mit der schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst, und es sagt etwas in uns: Hier liegt jemand begraben. Das ist architektur.“

Auch der Architekt Raimund Abraham und der Fotograf Josef Dapra haben seinerzeit in den 60er-Jahren eine ganz eigene Architekturatmosphäre eingefangen, indem sie gemeinsam Architekturen ohne Architekten im Alpenraum Italiens, Österreich und der Schweiz gesucht, fotografisch festgehalten und ohne viel Herumkommentieren zu einem Buch gefasst haben. Der Band „Elementare Architektur“ war lang vergriffen. Einige der - atemberaubenden - Fotos sind in der Ausstellung zu sehen, und erfreulicherweise ist auch das Buch in Neuauflage demnächst wieder zu haben.

Raimund Abraham sagt in einem Interview, das die neue Ausgabe ergänzt, zu Dietmar Steiner Folgendes: Es habe ihn „nicht so sehr die Anonymität, das heißt Bauten ohne architektonische Übersetzung, interessiert, sondern die Grammatik des Bauens“. Nun ist es so, dass Architektur viele Sprachen sprechen kann, und die entsprechende jeweils richtige Grammatik zu finden, darauf kommt es wirklich an. Wenn die Sprache und Grammatik zusammenpassen, zusammengehören und stimmen, dann kommen wunderbare Geschichten heraus und die Häuser singen unter der Sonne wie die Tempel, die Goethe beschrieb. Ob Architekten dabei ihre Finger im Spiel haben, oder baumhäuserbauende Kinder, ob noble Shops dabei herauskommen, ob Villen oder reduziert-schöne Lagerhallen, das ist letztlich egal. Denn man kann sich der Angelegenheit auch wie Mies van der Rohe nähern, der meinte: „Architektur beginnt dort, wo zwei Steine sorgfältig übereinandergelegt werden.“


[„Sturm der Ruhe. what is architecture?“
AzW, Museumsquartier, bis 4. Februar 2002,
Info unter www.azw.at

Raimund Abraham, Elementare Architektur, Verlag Anton Pustet, neu herausgegeben vom AzW.]

Der Standard, Sa., 2001.10.20

06. Oktober 2001Ute Woltron
Der Standard

Gestern. Heute. Morgen.

Neue Architekturbücher für Traditionalisten, Nostalgiker, Bilderfreaks und Computerwürmer

Neue Architekturbücher für Traditionalisten, Nostalgiker, Bilderfreaks und Computerwürmer

Herbstzeit ist Bücherzeit. Das ALBUM hat wieder einmal eine erste kleine Auswahl neuer Architekturpublikationen zusammengestellt: Charles-Edouard Jeanneret, bekannter unter dem Namen Le Corbusier (1887-1965), gab 1960, fünf Jahre vor seinem Tod, ein Buch heraus, das er schlicht Mein Werk nannte. Dieses Werk Corbusiers bestand keinesfalls ausschließlich aus Plänen und Architekturen, sondern auch aus zahlreichen Schriften, Vorträgen, Pamphleten zur Gesellschaft und der sich daraus ableitenden Aufgabe des Baukünstlers. Außerdem betätigte sich der Schweizer als formidabler Zeichner und Maler. Der Titel Le Corbusier. Mein Werk. (Hatje Cantz, 715,- öS/ EURO 50,10) fasst all diese Facetten Le Corbusiers sowie diverse historische Fotografien vom Architekten und seinen Gebäuden zu einem publizistischen Kleinod, das lange vergriffen war, nun aber druckfrisch erfreulicher weise wieder aufgelegt wurde.

Ebenfalls eher zu den Oldtimern der Szene darf Hugo Häring (1882-1958) gezählt werden, ein wirklich umfassender Werkbericht des deutschen „neuen“ Bauers stand bisher aus. Häring gehörte der Architektenvereinigung „Der Kreis“ an, die sich um Mies van der Rohe scharte und eine Gegenfraktion zum vorhin beschriebenen Corbusier bildete. Die fette Publikation Hugo Häring. Architekt des Neuen Bauens (Matthias Schirren, Hatje Cantz, öS 936,-/ EURO68) begibt sich gründlich auf die Fährte des Baumannes. Matthias Schirren legt darin ein gründliches Werkverzeichnis sowie eine Bibliographie Härings vor und lässt anhand vieler Pläne, Skizzen und alter Aufnahmen einen Einblick in die Arbeitswelt des zu Unrecht bislang wenig Dokumentierten entstehen.

Mit BLOBMEISTER digitalreal (herausgegeben von Peter Cachola Schmal, Birkhäuser, öS 716,-/ EURO 52,05) tun wir einen Sprung in die Zukunft der Architektur, die, unter anderem, auf dem Computer entschieden wird. Das leider nicht wirklich gut bebilderte Buch (weder die Computergrafiken noch die Fotos der tatsächlich ausgeführten Bauten befriedigen) führt seine Leser und Betrachter in virtuelle Computerwelten, die allerdings wahrhaftig bereits umgesetzt wurden. Die Beispiele spannen den Bogen von den computerisch avantgardistischen USA über die Niederlande und Großbritannien bis nach Japan und überzeugen nur zum Teil. Souverän setzen etwa die Amerikaner Sulan Kolatan und William Mac Donald den Rechner ein, bis dato allerdings für kleinere Architekturformate. Wie das mit Größe funktioniert, zeigt Frank O. Gehry in mittlerweile schier endlosen Wiederholungen, wie es nicht so ganz hinhaut, demonstriert Computerwunderwuzzi Greg Lynn gemeinsam mit Michael McInturf und Garofalo Architects mit der eigenartigen New York Presbyterian Church. Weitere Beispiele finden sich etwa von Oosterhuis, Hadid, Asymptote. Viel aufschlussreicher als die gezeigten Objekte selbst sind die Texte von Leuten wie etwa Marcos Novak und Antonino Saggio.

Ein vergleichsweise erdverbundeneres, diesmal schön-fotolastiges Prachtwerk befasst sich mit dem Thema Treppenhäuser (Catherine Slessor, Callwey, öS 729,-/ EURO49,95) und zeigt anhand einer Fülle von (nicht nur ganz neuen) Beispielen, dass Stiegen und die dazugehörigen Häuser von außergewöhnlicher Vielfalt sein können. Von der stahlseilverspannten Aluminiumtreppe von Future Systems in London, über die in ihrer Zartheit fast papieren wirkende feine Rampe von Kiyoshi Kasai in Tokio, bis zur schweren Holzskulptur von Herzog & de Meuron in Duisburg - dieses Stiegenbuch führt auch mit einfachen Plänen (Schnitte, Ansichten, gelegentlich Details) in die Welt der Treppe.

Zu guter Letzt noch zwei Architektur-Lesebücher: In bignes? Kritik der unternehmerischen Stadt (herausgegeben von Jochen Becker, b-books, öS 225,-/ EURO16,35) wird von fast drei Dutzend Autoren zeitgenössische Urbanität teils sehr witzig, teils ziemlich abstrakt unter die Lupe genommen. Der Ausbau der Städte zu Erlebnislandschaften wird ebenso thematisiert wie Park Fictions, Airline Food, Territoriale Intimitäten oder Sensible Zonen: „Saint-Denis empfängt die Fußball-Weltmeisterschaft“.

Und die Leute vom Grazer Haus der Architektur haben ebenfalls Über die Aufgabe der Architektur als Aufgabe der Architektur nachgedacht, Gäste dazugeladen und diese Gedankengänge zu einer Publikation zusammengefasst (HDA Dokumente zur Architektur 13/14, öS 285,-/ EURO19,90). Ernst Giselbrecht und Harald Saiko: „Dynamik und Veränderung sind grundlegende Erscheinungen unserer Zeit und haben zur Folge, dass Wert und Mehrwert gängige Schlagwörter unserer Gesellschaft sind.“ Das vorliegende Heft fasst quasi Veranstaltungen des HDA in Buchform und wird Fortsetzung finden: „Der Übergang des Programmes von den handelnden Personen zu Phänomenen der Architektur wird anhand des Benutzers, des Users erörtert, welches als nächstes Heft erscheinen wird.“

Der Standard, Sa., 2001.10.06

06. Oktober 2001Ute Woltron
Der Standard

Architektenzoo für Schönbrunn

Der städtebauliche Wettbewerb wird bereits vor der Juryentscheidung zum Publikumsmitbestimmungsprojekt

Der städtebauliche Wettbewerb wird bereits vor der Juryentscheidung zum Publikumsmitbestimmungsprojekt

Schönbrunn ist nicht nur ein Schloss, ein Park und ein Zoo, Schönbrunn ist vor allem eine Gegend. Zu dieser Auffassung kam auch die Wiener Stadtplanung, weshalb man sich im heurigen Frühjahr entschloss, einen städtebaulichen Wettbewerb internationalen Formats und enormer Größenordnung auszuschreiben, um die verbesserungswürdigen Stellen dieser Gegend kraft intelligenter Architektinnen und Architekten zu perfektionieren. Man gab vier Un-Orte zur Bearbeitung vor, und zwar den von Touristenbussen zur Unkenntlichkeit verwüsteten Schloss-Vorbereich, die schwach genutzte Kasernengegend am schönen Schlossbergbuckel, das ungebändigte Hietzinger Platzl sowie die so genannten Fiatgründe an der vorderen linken Schlossparkflanke, die der Bauträger Austria Immobilien GmbH. (B.A.I.)gehören.

Von den in die Zehntausende gehenden EU-weit tätigen Architekten gaben 17 tatsächlich Entwürfe ab, was gewisse Rückschlüsse auf die Formulierungsklarheit der Aufgabenstellung zulässt. Von diesen 17 Projekten wurde keines für preiswürdig befunden, die Jury unter Vorsitz des deutschen Architekten Ferdinand Stracke wählte je drei Architekten oder Teams pro Teilbereich für eine zweite Planungsrunde aus. Obwohl natürlich das Hietzinger Platzl, das Kasernenareal sowie die Schlosseingangswüstenei hochinteressante Problemfälle darstellen, liegt das eigentliche architektonische Goldgräberloch auf den Fiatgründen der B.A.I.:

Dort will man laut deren Chef Maximilian Weikhart „ein Projekt realisieren, das sich in der Investitionsgegend einer Milliarde Schilling“ bewegt. Dieser Wunsch ist nicht neu, er besteht seit etwa drei Jahren. Damals übernahm die Bank Austria-Tochter das Grundstück, organisierte einen Architekturwettbewerb, die Jury unter Vorsitz von Manfred Wehdorn reihte das Projekt Peter Podsedenseks an erster Stelle, man ging damit in den Gestaltungsbeirat und scheiterte - verkürzt dargestellt - an der Höhe des Gebäudes sowie einem schutzwürdigen Architekturobjekt, das sich auf dem Areal befindet. Ein Hochhaus neben Schönbrunn kam auch für die Grünen sowie für Anrainer nicht in Frage, weshalb die Angelegenheit vorerst auf Eis gelegt wurde.

Das neuerliche, diesmal im Rahmen des Schönbrunnwettbewerbs von der Gemeinde selbst veranstaltete Verfahren, wird von Weikhart begrüßt, doch hat die Sache folgende architektonischen Haken:

Erstens stellen die laut Ausschreibung geforderten Pläne im Maßstab 1:2000 und 1:5000 ungefähr jene Genauigkeit dar, wie sie Maßschneider erzielen, wenn sie via Fernrohr an einer drei Kilometer entfernten Person Maß nehmen. Zweitens wird es aufgrund eines bereits feststehenden Wettbewerbssiegers aus dem ersten Verfahren - Peter Podsedensek - zu einer komplizierten Vergabemodalität kommen. Drittens veranstaltet der Auslober zur Zeit im Magistratischen Bezirksamt Meidling eine Ausstellung aller eingereichten Projekte, die Interessierte auffordert, via Stimmzettel ihre Bürgermeinung zu den eingereichten Projekten kundzutun - eine der Wettbewerbsordung direkt zuwiderlaufende Aktion. Am Tag vor der Jurysitzung am 17. Oktober soll außerdem eine Publikumsdiskussion zum Thema stattfinden. Juror Manfred Nehrer blickt dem mit gemischten Gefühlen entgegen, geht aber davon aus, dass trotzdem „eine faire Jury stattfinden wird.“ Laura Spinadel, neben Rüdiger Lainer und dem Team Caramel (Günter Katherl, Martin Haller, Ulrich Aspetsberger) in der zweiten, übrigens anonymen Fiat-Runde, empfindet „Partizipation an sich als schön, aber nur, wenn so etwas vorbereitet wird“. Kammerchef Peter Scheifinger „weiß nicht, wie seriöse Meinungsvermittlung von einem Tag auf den anderen funktionieren sollte“, er will zwar den „guten Willen anerkennen, doch braucht das andere Voraussetzungen, als ein paar Meinungen abzuklopfen“. Auch Günther Katherl findet die Publikumsbefragung „schon etwas komisch“. Karl Glotter, stellvertretender Leiter der MA18 und für den Wettbewerb zuständig, geht „davon aus, dass die Fachleute in der Jury Potenz genug haben, sich von geschmäcklerischen Rülpsern von außen nicht beeinflussen zu lassen“, will aber einfach „den Menschen die Möglichkeit bieten, sich zu informieren und etwas dazu sagen zu können.“

Für Rüdiger Lainer ist der gesamte Wettbewerb schief gelaufen, denn: „Den großen Wurf für das gesamte Areal zu erwarten war von vornherein ein falscher Ansatz, und die Resultate sind auch recht kümmerlich. Die erste Stufe ist für mich gescheitert.“ B.A.I.-Boss Weikhart wartet das finale Wettbewerbsergebnis ab, schließt aber eine Kooperation des neuen mit dem alten Wettbewerbssieger nicht aus: „Es ist in beiden Wettbewerbsausschreibungen nachzulesen, dass die Vergabe nach Maßgabe der Möglichkeiten erfolgen wird, die Entscheidung ob und wer welche Teilbereiche bekommt, ist offen.“ Podsedensek dazu: „Es ist vieles unglücklich begonnen und unglücklich weiterbearbeitet worden, die Aufgabenstellung war unklar und schwierig.“

Schönbrunn-Juror Nehrer ortet die Wurzel des Übels in der Stadt Wien: „Alle diese laufenden Vergabeprobleme handelt man sich deshalb ein, weil sich die Stadt Wien unnötigerweise weigert, die Wettbewerbsordnung anzuerkennen und einzuhalten. Sie ist ein vom Wirtschaftsministerium genehmigtes Instrument, das jeden Schritt genau regelt und dieses ganze Dilemma von vornherein erledigt hätte.“

Der Standard, Sa., 2001.10.06

01. Oktober 2001Ute Woltron
Der Standard

Wogendes Gedeixe unter Narrenkappen

Krems eröffnete Peichl-Karikaturmuseum

Krems eröffnete Peichl-Karikaturmuseum

Krems - Was rennt das Volk, was wälzt sich dort, die langen Gassen brausend fort? In Krems war's, und am Samstag, und viel Volk drängte zur Eröffnung des neuen Karikaturmuseums des Gustav (Ironimus) Peichl. Gerammelt voll war der Platz vor dem neuen Zipfelmützending, unfassbar die feiertäglich geschwanzten und föhngewellten Massen für das kleine Museum. Weißhaubige Bierzelte rundherum, so mancher Besucher mit Narrenkappe saß darin, zwei blade, hässliche Deix-Bronzestatuen überblickten die Szene.

Zum Objekt der Eröffnung: Fassadenseits hat das neue Peichl-Werk ein Gesicht aus zwei Quadratfensteräuglein und einer rotlaternenen Würfelnase, darunter sozusagen ein breites Maul mit der Aufschrift „Alles Karikatur. Die Welt des Manfred Deix“, denn mit dem Oeuvre dieses Sohnes Niederösterreichs eröffnete die Lachlokalität. Das Haus ist schnell durchmessen: Zwei Geschoße wurden durch eine gewendelte Treppe verbunden, das Dach mittels Shed-Zipfeln aufgelockert, auf dass das Licht von oben komme. Ergibt im Obergeschoß zwei helle Wechselausstellungsräume, im Untergeschoß zwei finstere Kammern zur Dauerbespielung. Eines davon heißt „Ironimus Kabinett“ und beherbergt die Zeichenprodukte des Architekten. In Buchform sind diese sowie Deix-Allerlei im Bookshop zu haben.

Während das Deix-Bier noch auf Käufer wartete, plätscherte am Vorplatz schon der Ironimus-Riesling sowie Eröffnungsreden. Die interessanteste entquoll Landeshauptmann Erwin Pröll, der sich vor allem „bei dir, lieber Gustav“ bedankte, denn „es ist keine Selbstverständlichkeit, wenn ein international berühmter Architekt mit vielen Aufträgen spontan Ja zu so einem Gebäude sagt“. Andere hätte man wahrscheinlich ja wirklich zur Vertragsunterzeichnung hinprügeln müssen. Pröll hatte Graz die Idee zu einem Deix-Museum mittels beschleunigter Vergabe abgejagt, zum Karikaturmuseum erweitert und den Niederösterreicher Deix quasi repatriiert, denn: „Was die Steirer können, das können wir schon lang, und auf Niederösterreicher, die sich zur Heimat bekennen, legen wir besonderen Wert.“ In diesem Fall lag der bei Entstehungskosten von 40 Millionen Schilling und war wohlfeil, denn, so Pröll: „Für gute Sachen gibt es in Niederösterreich immer Geld.“

Mit der Bemerkung „Wem ist es noch nicht passiert, dass er sich umschaut und glaubt, er ist von lauter Deix-Gesichtern umgeben“ fuhr Severin Heinisch, der künstlerische Leiter des Museums, zwar nicht ganz so großen Szenenapplaus ein, seine Worte konnten aber im Gegensatz zu jenen des Landeshauptmanns vor Ort auf Authentizität überprüft werden.

Der Standard, Mo., 2001.10.01



verknüpfte Bauwerke
Karikaturmuseum

29. September 2001Ute Woltron
Der Standard

Sittenbild mit Dame

Die Gemeinde Wien verklagt ein Architekturbüro, weil es seiner- seits nie bezahlte Honorar-forderungen eingeklagt hat, und macht den Architekten ganz nebenbei klar, dass sie in Wien nie wieder einen Auftrag bekommen werden.

Die Gemeinde Wien verklagt ein Architekturbüro, weil es seiner- seits nie bezahlte Honorar-forderungen eingeklagt hat, und macht den Architekten ganz nebenbei klar, dass sie in Wien nie wieder einen Auftrag bekommen werden.

Um gute Architektur liefern zu können, braucht ein Planer einen klaren Auftrag. Wer einen Maßanzug bestellt, muss seinen Schneider wissen lassen, wie dick der Bauch, wie dürr das Haxl, wie prall das Portemonaie ist, erst dann kann teurer Stoff zerschnitten und losgeschneidert werden. Zwischendurch gibt es - eh klar - die eine und andere Anprobe.

In der Architektur ist natürlich alles noch viel komplizierter als in der Schneiderzunft, viele Maßarbeiter werden hier zusammengespannt, häufig müssen Planer loslegen, obwohl sich der Auftraggeber eigentlich nicht entscheiden kann, ob er nun einen Gehrock haben will oder doch lieber einen Staatsfrack. Unweigerlich passt später etwas nicht, doch der Bauherr, der die Schuld bei sich und nicht bei seinem Architekten findet, der muss erst auf die Welt kommen. Es ist das ein - meist - unfaires und ein gängiges Spiel, weil immer die einen mächtiger als die anderen sind. Und hier ist ein aktuelles Beispiel:

Vor vier Jahren gewannen Hemma Fasch und Jakob Fuchs den zweistufigen Wettbewerb für die Erweiterung des Wiener Kaiserin-Elisabeth-Spitals mit einem Projekt, das laut Jury „städtebaulich überraschend innovativ“ war, einen „günstigen Lösungsansatz“ für die innere Organisation des Spitals aufwies, die „Einbeziehung und Bearbeitung des Grünraumes unter optimaler Bearbeitung der inneren und äußeren Erschließung“ zustande brachte und dessen architektonische 1-A-Qualität auch in weiterer Folge von niemandem je angezweifelt wurde. Das Haus könnte längst stehen, statt dessen befindet man sich in einem Rechtsstreit, der es in sich hat. Erst haben die Architekten davidmäßig ihre nicht bezahlten Honorare eingeklagt (laut Anwalt handelt es sich um 5.069.000 Schilling), kurz darauf folgte nun der Gegenschlag Goliaths: Die Gemeinde Wien verklagte Fasch und Fuchs, so die Information aus deren Anwaltskanzlei Hannes Pflaum, wegen „mangelhafter Planungsleitung und Terminverzug“, und außerdem habe man durch die notwendig gewordene neuerliche Ausschreibung „Schaden erlitten“. Streitwert: 10.780.000 Schilling, eine Summe, die wahrscheinlich gerade zwei oder drei Architekturbüros österreichweit verkraften können, ohne augenblicklich pleite zu machen.

Doch zur Genese: Nach dem Wettbewerbssieg hatte man „in einem Café“ (Fasch) den entsprechenden Generalplanervertrag unterzeichnet (für Architektenkammerchef Peter Scheifinger ein Ausdruck von „Winkeladvokatentum“) und „mit hohem Druck die Entwicklung des Projektes“ vorangetrieben. Die Projektbetreuung seitens des Auftraggebers, so die Architektin, „war ausgesprochen mangelhaft, anderswo, etwa in der Steiermark, wird ein Projekt dieser Größenordnung ganz anders betreut, es gibt einen eigenen Stab, der sich damit befasst und alles professionell abwickelt.“ Fasch und Fuchs waren derweilen mit dem auf 210 Millionen Schilling veranschlagten Projekt ihrer Ansicht nach eher alleingelassen. Hemma Fasch: „Die Ansprechpartner wechselten ständig, erforderliche Gutachten über die Beschaffenheit des Baugrundes wurden versprochen, kamen aber nie.“ Darüber hinaus verlangten, so die Planer, die späteren Nutzer diverse Erweiterungen des Hauses, die Architekten planten weiter, warnten aber wiederholt davor, dass eine Vergrößerung natürlich auch eine entsprechende Kostenentwicklung mit sich bringen würde. Als klar wurde, dass das auch tatsächlich der Fall war, wurde es ungemütlich. Hemma Fasch: „Man hat uns gesagt, der Vertrag sei ungültig, wir müssten die Bauleitung hergeben und einen neuen Vertrag machen. Wir hatten Gespräche mit Juristen der Stadt Wien, die meinten, wenn wir aus dem Vertrag ausstiegen, würde die Hälfte des vereinbarten Honorars bezahlt werden.“ Außerdem, so Fasch, bekam sie zu hören: „Wenn ihr das nicht macht, bekommt ihr nie mehr einen Auftrag in Wien.“

Ob derlei atmosphärische Drohgebärden geziemlich sind für eine große, auf ihre Architektur bedachte Stadt wie Wien, ist eine Frage des Stils, die jeder selbst entscheiden darf. Die praktischen vertraglichen Angelegenheiten wurden von Hemma Fasch jedenfalls dem Gericht übergeben, da keine Einigung in Sicht war und diverse Planungsleistungen nie abgegolten worden waren. Der damalige Gesundheitsstadtrat Sepp Rieder begründete die unfriedliche Trennung von Auftraggebern und Planern auf Anfrage der Liberalen im Gemeinderat damit, dass das Projekt „an sich zweifellos städtebaulich und auch funktionell sehr attraktiv“ sei, „aus Kostengründen aber nicht realisiert“ werden könne. Er gab aber in gleichem Atemzug zu, dass die Preisvorgabe, nämlich schon jene des Wettbewerbes, „zugegebenermaßen vielleicht zu eng kalkuliert“ war.

Jeder halbwegs erfahrene Architekt riecht an dieser Stelle blitzartig, wo das Problem liegt, nämlich in einer mangelhaften Bestellqualität seitens des Bauherren und einer für ein großes Unternehmen atemberaubenden Ahnungslosigkeit, was die Abwicklung derartig komplizierter Bauunternehmen anbelangt. Peter Scheifinger: „Der Krankenanstaltenverbund war offensichtlich nicht in der Lage, ein Projekt dieser Größenordnung zu entwickeln, und schlägt nun mit unfairen Mitteln zurück, obwohl die Architekten nur ihre eigene Leistung honoriert haben wollen. Es wurde etwas bestellt, das man sich nicht leisten kann, und die fahrlässige Ausübung des Amtes wird nun auf diese Weise kompensiert.“ Die - mit der Generaldirektion abgestimmte und von PR-Referentin Birgit Wachet übermittelte - Argumentation des Krankenanstaltenverbunds lautet folgendermaßen: „Schon in der Planungsphase hat sich herausgestellt, dass die veranschlagten Kosten von Fasch und Fuchs unser Kostenlimit übersteigen.“ Im Normalfall geht dieser Punkt übrigens eindeutig an die Architekten, denn die haben darauf hingewiesen, während andere gerne Verschleierungstaktiken zur Anwendung bringen. Weiter: „Es gab eine Abschlagzahlung, die Sache war erledigt, doch Fasch, Fuchs haben weitere Forderungen gestellt, deshalb hat die Stadt Wien Gegenklage eingebracht.“ Warum die doppelt so hoch sei wie die Fasch-Fuchssche Honorarforderung, wird so argumentiert: „Wenn schon vor Gericht gestritten wird, dann möchte man die Abschlagzahlung auch wieder hereinhaben.“

Die streitbare Architektin Hemma Fasch ist eine der ganz wenigen, die sich aktiv gegen unqualifizierte Vorgangsweisen seitens öffentlicher Auftraggeber zu wehren versucht, die erstens der Architekturqualität enorm schaden und zweitens das Planen für die Öffentliche Hand zu einem lebensgefährlichen Balanceakt für jedes nicht vollkommen willfährige Architekturbüro machen. Scheifinger: „Hier findet eine Auseinandersetzung auf emotionaler Ebene statt: Wenn ich mit Kanonen auf Spatzen schieße, dann treff ich schon ein paar.“

Der Standard, Sa., 2001.09.29

29. September 2001Ute Woltron
Der Standard

Ganz nackig ist der Beton am schönsten

Adolf Krischanitz organisiert eine Massivbau-Mustersiedlung für Wien

Adolf Krischanitz organisiert eine Massivbau-Mustersiedlung für Wien

Neun internationale Architekten wollen am Wienerwald-Rand im 14. Bezirk eine Mustersiedlung errichten, die nicht nur ihren künftigen Bewohnern, sondern vor allem dem hierzulande imagemäßig ein wenig unterkühlten Baustoff Beton huldigt. Beton ist sozusagen verflüssigter, in Form gegossener, wieder hart gewordener Stein, und er kann ein fades, aber auch ungemein aufregendes Architekturmaterial sein. Wenn er präzise verarbeitet wurde, ist er nackt, wie die Schalung ihn schuf, eigentlich am schönsten.

Dass der traditionsreiche Baustoff sich heutzutage viel zu oft von aufgepappten Oberflächen und Fassaden verkleiden lassen muss, schmerzt seine Liebhaber, und die befinden sich natürlich vor allem unter den Architekten. Der Wiener Adolf Krischanitz, dem angesichts seiner meist ordentlich massiven Architekturen ein fast erotisches Verhältnis zu Betonmischern nachgesagt werden darf, hatte deshalb gemeinsam mit den Betonierern von Lafarge-Perlmooser die Idee zu einer architektonischen Beton-Offensive in Form einer Mustersiedlung: Im vergangenen Jahr planten die Architekten Peter Märkli, Marcel Meili & Markus Peter, Roger Diener (alle Schweiz), Hans Kollhoff, Otto Steidle (Deutschland) sowie die österreichischen Kollegen Hermann Czech, Heinz Tesar und Adolf Krischanitz eine solche, fanden in der GSG und dem Österreichischen Siedlungswerk Bauträger sowie aktive Unterstützung aus der Bauindustrie, die sich zu einem Sponsorenkonsortium (Alu König Stahl, doka, Ernstbrunner Kalktechnik, Foamglas, Lafarge-Perlmooser, Oberndorfer, Schiedel, UTA) vereinigt hat. Gruppensprecher Johann Marchner: „Wir sind auf der gemeinsamen Suche nach Innovation, die den Wohnwert und Wohnnutzen hebt.“

Nach Krischanitz' säuberlichem, übersichtlichem Masterplan werden zwölf Mehrfamilien-Wohnhäuser entstehen, eingebettet in eine ansehnliche Menge Grün. Wiens Planungschef Rudolf Schicker steht dem Projekt nicht zuletzt deshalb wohlwollend gegenüber, weil die relativ lockere, das Platzangebot dennoch ökonomisch nutzende Siedlung Vorbild für ein „neues Wohnen in Wien“ sein könnte. Die einzelnen Entwürfe sind höchst unterschiedlich, nicht alle wirklich kreativ, einige jedoch durchaus interessant. Kollhoff stellt eine Art Südstaatenvilla auf die Wiener-Wald-Wiese, Märkli hat sich offenbar De-Stijl-Villen genauer angeschaut, Tesar ist es deklariertermaßen wurscht, wer den Einkauf über das Stiegerl in den zweiten Stock schleppen darf. Kreativ sind hingegen die drei Wohnskulpturen, die Krischanitz aus dem ihm - übrigens via Los - zugeteilten Block sprengt, erfrischend auch der Ansatz von Czech, der die zur Verfügung stehenden betonenen Speichermassen mit einem Wintergarten zum energiesparenden Passivhaus veredelt, und interessant, wie Roger Diener mit verschiedenen Raumhöhen jongliert.

Die Planungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen, die Tugenden des Betons werden weiter erforscht, und im Frühjahr sollen die endgültigen Projekte einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden.

Der Standard, Sa., 2001.09.29



verknüpfte Bauwerke
Mustersiedlung 9=12

22. September 2001Ute Woltron
Der Standard

Macht fängt in der Leere an

Ist der Wolkenkratzer tatsächlich das überragende Symbol der Macht in der Architektur? Oder beeinflussen die verschiedensten Machtmechanismen heute nicht viel subtiler und vielfältiger unsere gebaute Umwelt? Ute Woltron sprach mit dem niederländischen Architekturtheoretiker Bart Lootsma, der die Dinge differenziert betrachtet wissen will.

Ist der Wolkenkratzer tatsächlich das überragende Symbol der Macht in der Architektur? Oder beeinflussen die verschiedensten Machtmechanismen heute nicht viel subtiler und vielfältiger unsere gebaute Umwelt? Ute Woltron sprach mit dem niederländischen Architekturtheoretiker Bart Lootsma, der die Dinge differenziert betrachtet wissen will.

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel geht, primitiv und kurz angerissen, so: Die Menschen hatten sich zusammengefunden, sie alle sprachen eine gemeinsame Sprache, und das machte sie stark und mächtig. Um dieser Macht Ausdruck zu verleihen, begannen sie einen Turm zu errichten, der bis in den Himmel ragen sollte, um dort oben Gott zu schauen. Da Gott aber nicht angeschaut und damit entweiht werden wollte, verwirrte er die Turmbauer, indem er ihnen viele Sprachen schickte. Diese babylonische Sprachverwirrung entzweite die Menschen, und ihr Turmbauprojekt zerstörte sich in weiterer Folge quasi von selbst.

Der Wolkenkratzer, der bis in den Himmel ragt, muss nicht erst seit den Ereignissen der vorvergangenen Woche als architekturgewordenes Symbol der Macht herhalten. Die Wolkenkratzer der Geschichte hießen Zikkurat, Pyramide, Minarett, Kirchturm. Dann begann man Mitte des 19. Jahrhunderts Hochhäuser aufzutürmen. Und diese allerersten Himmelskratzer, so schrieb ein Kommentator in der aktuellen Ausgabe des New Yorker, „zogen die Kontrolle der Skyline von Gott ab und übergaben sie Mammon, der sie bis heute so ziemlich innehat“.

Doch so mächtig Mammon gestern, heute, morgen auch sein mag: Die Welt besteht nicht nur aus Geld. Viele andere Mächte wirken auch auf die Architektur ein, formen sie und prägen ihre Gestalt spürbar. Der holländische Architekturtheoretiker und Publizist Bart Lootsma sagt: „Die Macht fängt in einer gewissen Leere an.“ Wer diese Leere füllt, dem fällt auch Macht zu, und heutzutage verstehen es vor allem die Medien, prächtig mit ihren Bausteinen in dieser Leere zu spielen.

Als vor einigen Jahren eine Boeing der El-Al direkt in ein Amsterdamer Hochhaus stürzte, war Lootsma gerade im Zug und auf dem Weg nach Hause und musste das Geschehen aus der Ferne beobachten. Er hatte seine Wohnung in unmittelbarer Nähe des Unglücksortes und rekapituliert heute: „Ich habe hautnah die merkwürdige Spaltung erfahren, mit der man als Bewohner einerseits und in den Medien andererseits so etwas erlebt. In den Medien schien das Ereignis heftiger, kräftiger, scheinbar sogar echter zu sein. Ihre Rolle stellt für mich heute das größte Problem dar: Diese ständige tagelange Wiederholung derselben Bilder, diese Stimmen der Reporter, die etwas lauter sind als sonst, obwohl sie nicht mehr zu berichten haben als eine Viertelstunde zuvor, dieses dauernde Bombardement mit medial aufbereiteten Facts. Wer nahe einem Crash war, der weiß, dass das alles nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun hat, und hier haben wir wieder diese Leere, von der ich vorhin gesprochen habe.“

Macht, so Lootsma, würde ihre Kraft auf subtilen Wegen entfalten und sei heute nicht mehr so leicht greifbar wie in der Vergangenheit: „Die symbolische Gestaltung der Macht stimmt nicht mehr mit der Art und Weise überein, wie sie tatsächlich ausgeübt wird, nämlich über Medien, Werbung, Gesetze und Regeln.“ Seien die geschrieben oder ungeschrieben. „Es ist nicht mehr so klar zu sagen, wer sie ausübt, und dann wird es sofort schwierig, dem symbolisch Ausdruck zu geben.“ So gesehen folgt ein Erdölkonzern wie Petronas eigentlich einem sehr altmodischen, gleichwohl wirkungsvollem Muster der Repräsentationsgebärde, wenn es einen „von einem italienischen Amerikaner islamitisch dekorierten“ Doppelwolkenkratzer in Malaysia ohne ökonomischen Zwang wie Hochhausbauer in Hongkong, Tokio, Manhattan, die aus teuren Baugründen möglichst hohes Kapital in Form möglichst hoher Gebäude schlagen müssen, auf die - noch leere - grüne Wiese stellt.

In den 70er-Jahren etwa versuchte man in Europa eine aufgeklärte Demokratie auch über Gebäude darzustellen. Eines der Beispiele dafür steht in Form eines Bürogebäudes in Apeldoorn, heißt Central Beheer und wurde von seinem Architekten Hermann Herzberger im Sinne einer offenen Gesellschaft mit vielen Aus- und Eingängen versehen. Lootsma: „Diese Eingänge sind heute alle zugemacht - alle, bis auf einen, der kontrolliert werden kann. Der Versuch, offene Strukturen aufzubauen, ist damit gescheitert. Überhaupt ist das Thema Sicherheit und Überwachung zu einem zentralen Thema der Architektur geworden. Einerseits glauben wir alle, in offenen Demokratien zu leben, andererseits bedienen wir uns unglaublicher Sicherheitsstandards, die die Organisation und damit die Form der Gebäude stark beeinflussen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob man Gebäude immer noch demokratisch aussehen lassen soll, obwohl sie es eigentlich tatsächlich gar nicht mehr sind“.

In der alltäglichen, gebauten Umwelt schlägt sich der architektonische Ausdruck von Macht vor allem in Details nieder. In der einerseits überwachbaren, andererseits gleichmachenden Großraumbüroboxenkultur etwa, in der einschüchternden Foyerinszenierung wichtiger Konzerne oder in der überaus aufwendig gewordenen Gestaltung der Sicherheitszonen von Flughäfen. Dort lässt sich sofort klar ablesen, wer wo durchgeschleust wird, wer kraft seiner Destination die Berechtigung hat, Duty-free einzukaufen, und wer von diesen Zonen steuerermäßigten Konsums ein paar Meter weiter ausgesperrt bleibt. „Man sieht auch daran, wie Macht ausgeübt wird, und eigentlich ist das peinlich. Man gibt vor, demokratisch zu bauen, und dann wird ständig etwas davon weggenommen, werden Zäune und Barrieren eingefügt.“

Dass die Architektur der Macht auch in der Vergangenheit keineswegs immer als ein kräftiges, außenwirksames Signal auftrat, das zeigt die Architekturmaschinerie des Dritten Reichs sehr deutlich. Obwohl hier gedanklich stets die monumentalen Repräsentationsbauten Albert Speers die Hauptrolle übernehmen, solle man sich, so Lootsma, genauer überlegen, welche Gebäude die Macht der NS-Zeit am besten verkörperten - und das seien die, keineswegs monumentalen, Konzentrationslager. „Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen der Repräsentation von Macht und der Art und Weise, wie die Macht tatsächlich ausgeübt wird“.

Die momentane Hysterie derjenigen, die nach dem Attentat auf das World Trade Center plötzlich den gesamten Hochhausbau infrage gestellt sehen wollen, kann Lootsma nicht verstehen. „Wir werden selbstverständlich auch weiterhin Wolkenkratzer errichten, ganz einfach, weil wir mit Grund und Boden äußerst sparsam umgehen müssen. Die Hälfte der Menschheit wohnt heute mittlerweile in Städten, und die breiten sich ständig aus.“

Wer heute eine Volkswirtschaft wirklich lahm legen wolle, der müsse, so Lootsma, in ein so genanntes Serverhotel krachen. Serverhotels sind jene riesigen bunkerartigen Bauten, in denen die lebenswichtigen Schnittstellen kommerzieller und privater Computernetze untergebracht sind. Sie sind meistens unauffällig, mitunter sogar getarnt, werden geheim gehalten und sind nichts anderes als versteckte Zeichen neuer Mächte, die sich optisch, geographisch nicht deklarieren wollen. Und auch hier bedient sich die Macht wieder einer, diesmal architektonischen, Leere.

Der Standard, Sa., 2001.09.22

15. September 2001Ute Woltron
Der Standard

Gegen die optische Verwüstung unserer Umwelt

Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au, Dekan an der Angewandten, sieht ein verändertes Rollenbild des Architekten heraufdämmern. Damit das Licht der Profession nicht ausgehe, hat er eine Reihe internationaler Architekturleuchten als Post-Graduate-Lehrer nach Wien geholt.

Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au, Dekan an der Angewandten, sieht ein verändertes Rollenbild des Architekten heraufdämmern. Damit das Licht der Profession nicht ausgehe, hat er eine Reihe internationaler Architekturleuchten als Post-Graduate-Lehrer nach Wien geholt.

ALBUM: Entspricht die Architekturausbildung in Österreich internationalen Standards?

Wolf D. Prix: Man kann immer wieder hören, dass es in Österreich zu viele Architekturschulen gibt. Ich denke das auch. Zu viele Architekturstudenten lernen schlecht betreut an unmöglichen Orten einer ungewissen Zukunft entgegen.

Sie selbst lehren Architektur an der Universität für angewandte Kunst, trifft diese Aussage auch dort zu?

Prix: Die beiden Akademien in Wien sind dazu geeignet, the best of the best auszubilden, was an der Struktur der Betreuung liegt. Wie die hochqualifizierten amerikanischen Schulen haben wir die Möglichkeit, nur die besten Studenten aufzunehmen, was die Massenuniversitäten nicht können. Heuer führen wir erstmals ein hochbetreutes Post-Graduate-Studium ein, das eine strategische Architekturausbildung beinhaltet, über vier Semester läuft und ein intensives Lehrangebot zu den verschiedensten Themen bietet.

Wie etwa?

Prix: Urbane Strategien: Privater und öffentlicher Raum, das sind Felder, die neu zu definieren sind.

Warum bekommen Studenten diese Ausbildung nicht schon während ihrer Studienzeit angeboten?

Prix: Gesetzliche Regelungen schreiben gewisse Lehrinhalte in festgesetzter Zeit vor, und in diesem knappen Zeitraum können zusätzliche Überlegungen nicht angestellt werden. Daher müssen wir neue Zeiträume schaffen, in der internationale Gäste theoretische und technische Kurse betreuen, mit den Studenten in Diskurs treten. Ich glaube auch, dass die intensive Erfahrungsvermittlung in kleinen Gruppen die Zukunft ist.

Sie sprechen im Zusammenhang mit Ausbildung immer wieder über ein sich änderndes Rollenbild in der Architektur. Können Sie diese Aussage präzisieren?

Prix: Das Bild verändert sich entscheidend in zwei divergierende Richtungen. Es wird in der Zukunft Investorenarchitekten geben, die eigentlich nur noch Facility-Manager oder Stimmungsbildmaler sind und unsere Umwelt dementsprechend optisch verwüsten. Und es wird den Architekten geben, der landläufig als Stararchitekt bezeichnet wird und als Einziger die Chance hat, in das Baugeschehen strategisch verändernd einzugreifen.

Inwieweit werden diese „Stars“ den Architekturdiskurs überhaupt beeinflussen können?

Prix: Nur punktuell. Aber strategisches und konzeptuelles Denken fördert das frühzeitigen Erkennen von Trends und beeinflusst damit die Diskussion. Vor allem die Schulen werden reagieren müssen. Die Ausbildung muss jene Architekturcluster fördern, die später weite Felder aufmachen können.

Sollte sich eine solche Unterstützung nicht auch abseits der Universitäten abspielen? Das heißt, bräuchte das Land und seine Architektur nicht so etwas wie unvoreingenommene professionelle Architekturvermittler?

Prix: Schauen Sie nach Holland. Die jungen Architekten dort - Rem Koolhaas vor allem, Nox, van Berkel, MVRDV und viele andere - wurden gezielt aufgebaut. Die mischen jetzt bei so gut wie jedem internationalen Wettbewerb mit. Das funktionierte deshalb, weil die Holländer ihre Eigenart erkannt, ihr calvinistisches Denken in Diagramme übertragen und zum Markenzeichen gemacht haben.

Die niederländische Architektur wird international derzeit heftig kopiert, könnte es im Dienste der Architekturvielfalt nicht auch einen Gegenschlag dazu geben?

Prix: Die österreichische Architektur wäre schlecht beraten, einem Trend wie dem holländischen hinterherzulaufen. Sie sollte sich lieber auf ihre spezifische Qualität konzentrieren, und die ist das Zelebrieren des Raumes. Günther Domenig, Hans Hollein, Raimund Abraham und nicht zuletzt wir sind Vertreter dieser Richtung. Aber auch eine Menge junger Leute wie etwa next enterprise, Fuchs, Stattmann und Harnoncourt, ESCAPE*spHERE, oder aus der mittleren Generation Artec und Pauhof sind räumlich hochtalentiert. Das ist der Unterschied zu Holland: Die Holländer zählen die Gulden, wir zählen die Raumsequenzen.

Die Niederländer fahren aber auftragsmäßig nicht schlecht mit ihrer Guldenzählerei und haben die bekannteren Leute.

Prix: Dennoch hat unsere Architektur den weit höheren Anspruch. Es ist lächerlich, über Diagramme zu diskutieren, während der Trend schon eindeutig zu hybriden Strukturen geht. Wir müssen unsere jungen Architekten wieder anregen, stärker über ihr eigenes Talent nachzudenken, aber leider bekommen sie momentan keinen oder wenig theoretischen Hintergrund geliefert, und es gibt keine profunde Auseinandersetzung über Architektur, was eigentlich auch Aufgabe der Architekturkritik wäre. Das ist also eine Aufforderung an die Theoretiker und Protagonisten der Architektur, sich endlich darüber klar werden, wo die Stärken der österreichischen Architektur liegen, anstatt abgedroschenen minimalistischen Trends hinterherzulaufen. Das heißt nicht, dass alles über einen Leisten gebogen wer- den muss, denn eine ordentliche Bandbreite ist nicht nur gut, sondern ohnehin jetzt schon in unserem Land vorhanden.

Fühlen Sie sich und die Richtung der Architektur, die Coop Himmelb(l)au vertritt, hierzulande vernachlässigt?

Prix: Natürlich nicht. Aber es ist durchaus eine österreichische Taktik, sich gegenseitig eher auszuschließen, statt synergetisch miteinander umzugehen. Das ist auch der Grund, warum es an großzügigen Konzepten im städtebaulichen Maßstab fehlt.

Sprechen Sie damit das Talent an, gute Einzelprojekte da und dort nicht sinnvoll miteinander verknüpfen zu können?

Prix: Klar. Man hat zum Beispiel nicht erkannt - aus welchem Grund auch immer -, dass die beiden großen Wiener Projekte Gasometer und Museumsquartier - wie auch immer man dazu steht - einen synergetischen Effekt hätten erzeugen können, der Wien weit über die Grenzen hinaus auf eine andere Ebene gebracht hätte. Diese Diskussion hätte auf städtebaulicher Ebene geführt werden müssen, doch so etwas tut man hierzulande nicht, was ich für absolut idiotisch halte.

Wer steuert diese Denkart?

Prix: Das Ausschließlichkeitsprinzip hat Tradition. Es geht von den Schulen aus und von den Kritikern, die nie über den eigenen Schatten gesprungen sind und daher die Eigenart der österreichischen Architekturentwicklungen nie erkannt haben.

Über die so genannte Neue Sachlichkeit, die einige prominente österreichische Vertreter aufweisen kann, wird doch sehr wohl sehr viel geschrieben?

Prix: Die neue Sachlichkeit ist ja nichts Neues. Die Spanier kultivieren sie schon seit 15 Jahren, die Schweizer seit Herzog & de Meuron, also seit zehn Jahren, die Holländer seit Rem Koolhaas. Achtung. Der kopiert neuerdings Marcel Breuer. Die österreichische Stärke ist vielmehr das komplexe Denken, doch wird das hier weder praktisch noch theoretisch diskutiert.

Wo sind Ihrer Meinung nach die tonangebenden internationalen Theorieschulen?

Prix: In Amerika, denn dort hat es Tradition, dass die Kunsthistorikerausbildung weitläufiger ist. Das Denken erfolgt konzeptueller und verknüpft verschiedenste Ebenen. Kritiker und Theoretiker sind dort - mit einem Wort - allgemeingebildeter als bei uns. Die Schulen, an denen sie lehren, haben entsprechend große internationale Ausstrahlungskraft.

Einige dieser Theoretiker konnten Sie nun ja für die Architekturstudenten der Angewandten verpflichten.

Prix: Ja, denn ich halte es als Dekan einer Schule nicht für sinnvoll, einen provinziellen Justamentstandpunkt zu vertreten und zu sagen: Wir sind die Größten. Wir müssen uns mit globalem Wissen vernetzen. Die österreichische Architektur muss schlagkräftiger werden, allerdings darf man nicht in Vorarlberg die Spitze des Berges sehen. Hybride Architektur, neue Entwurfstheorien und innovative Ausführung sind die Zukunft der Architektur, und es wäre Wahnsinn, wenn unsere jungen Architekten nicht aufgefordert werden, sich intensiv und vor allem international damit auseinander zu setzen.

Wie soll diese Intensivierung erfolgen?

Prix: Architektur kann nicht mehr an Massenuniversitäten unterrichtet werden. Ich glaube auch, dass dieses sich ändernde Rollenbild der Architekten eindringlich vermittelt werden muss und dass die Schulen ihre Auseinandersetzung mit der Realität neu definieren sollten.

Der Standard, Sa., 2001.09.15

14. September 2001Ute Woltron
Der Standard

Hollywoodrosa Malewitschschwarz

Eine Ode an die Farbe in Design und Architektur von Koolhaas, Foster und Mendini

Eine Ode an die Farbe in Design und Architektur von Koolhaas, Foster und Mendini

Die Moderne, so die landläufige Meinung, habe in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die Farbe von der Architektur wegradiert. Weiß mussten die Häuser fürderhin sein, auf dass, wie Le Corbusier es so gerne sah, die hell-farblosen Gebäude vom Spiel des Lichtes und des Schattens erst schön herausmodeliert würden.

Diese These, das erlauben wir uns an dieser Stelle anzumerken, stimmt nicht. Diverse Moderne-Architekten und Designer haben, oft in Zusammenarbeit mit Künstlern aller Art, gar kräftig in Farbtöpfen herumgerührt und Wände, Tische, Treppen, Sitzgelegenheiten knallbunt angemalt. Und auch Le Corbusier hat sich intensiv mit Farben beschäftigt und ganze Abhandlungen darüber geschrieben. Doch bunt ist nicht bunt, und wer sich an die Farbe in Design und Architektur heranwagt, der braucht Mut, denn an Farben scheitert es sich leichter als am neutralen Weiß. Der Umgang mit Farbe und Raum ist eine Kunst, die die Beachtung komplizierter Gesetzmäßigkeiten einfordert.

Was sich heutzutage an Farben „zwischen Oberfläche und Raum“ so abspielen kann, beschreibt ein aktuelles Buch mit Titel „Colours“. Die drei Designer und Architekten Rem Koolhaas, Norman Foster und Alessandro Mendini, alle international mit ihren Arbeiten durchaus farbkräftig unterwegs, um nicht zu sagen tonangebend, geben darin ihre persönlichen Ansichten zum Thema Farbe zum Besten. Untermalt werden die - durchwegs ziemlich kurzen - Statements von einer Fülle Architektur- und Designbeispielen.

Koolhaas lässt gleich alle seine Mitarbeiter ihre Lieblingsfarben samt entsprechenden Exempeln ausbreiten und verkündet: „Die Zukunft der Farbe schaut strahlend aus.“ In seinem OMA-Büro spricht man denn auch von Farben als „Typischer Travertin“ (ein Beige), „Meniskus“ (ein dunkles Himmelblau) oder „Post-It-Gelb/extra frisch“ (Post-It-Gelb, nur ein bisschen heller). Der Brite Norman Foster geht es etwas cooler an, er listet einfach seine eigenen farbigen Architekturen auf: Grau und Rot für den HKSB-Sitz in Hong Kong, Weiß und Gelb für die Kommerzbank in Frankfurt. Und der Italiener Alessandro Mendini veranschaulicht verspielt seine liebsten Bunttöne anhand verschiedenster Gegen- und Zustände, Malereien, Landschaften, Lichtstimmungen, von Pompeisch-Rot bis Hollywood-Rosa.

Der König der Farben bleibt für Mendini gewissermaßen das Malewitsch-Schwarz, das, physikalisch betrachtet eh schon wissen, keine Farbe, sondern die Absenz derselben ist, was dem Betrachter aber egal sein kann. Mendini verbeugt sich vor der Schwärze, denn: „Schwarz muss respektiert werden. Nichts kann es korrumpieren. Es schmeichelt nicht dem Auge, und es erweckt kein Gefühl der Sinnlichkeit. Es ist viel eher ein Agent des Geistes als die lieblichen Farbtöne auf der Palette oder jene des Prismas.“

So gesehen hätte Le Corbusier seine hervorragenden Villen eigentlich zur Probe einmal schwarz anpinseln müssen. Kollegen wie Bruno Taut wagten Experimente mit ihren eigenen Wohnhäusern, und Vertreter von Bauhaus und De Stijl gaben es ebenfalls mitunter ziemlich bunt. Nur ein eindeutiger Farbhasser ist überliefert: Vitruv. Der lästerte seinerzeit immer wieder über die Monstrositäten der Farbgebung seiner römischen Zeitgenossen. Aber das ist schon lange her.


[Colours, Verlag Birkhäuser, öS 759 / EURO 55,2 ]

Der Standard, Fr., 2001.09.14

25. August 2001Ute Woltron
Der Standard

Welzenbachertrara

Wie man in einem Wettbewerb siegt, aber nicht gewinnt.

Wie man in einem Wettbewerb siegt, aber nicht gewinnt.

Vergangene Woche berichtete das ALBUM über die Rettung einer Architekturperle in Hall in Tirol. Dort werden die Architekten Marta Schreieck und Dieter Henke das Turmhotel Seber (*) von Österreich-Moderne-Urahn Lois Welzenbacher aus dem Jahr 1931 nach Maßgabe in seinen eleganten, derzeit kaum noch zu erahnenden Originalzustand rückführen und mittels eines zweiten Turmes sowie anderer notwendiger Zubauten zu einem modernen Kongresshotel aufwerten.

Die Initiative Welzenbacher - eine Chance für Hall in Tirol hatte die Rettung des alten Hauses dank mehrjähriger Aktionen und intensiver Bemühungen, alle waltenden Kräfte zusammenzubringen, zustande gebracht. Was aus den Unterlagen, die sie dem STANDARD betreff den Welzenbacher-Wettbewerb zur Verfügung stellten, leider nicht hervorging, ist der Umstand, dass ihn eigentlich ein anderer gewonnen hat, und zwar der Architekt Gerold Wiederin. Er konnte mit seinem Projekt im Mai sowohl die Architektenjuroren als auch die Vertreter der Stadt Hall überzeugen und räumte den ersten Preis einstimmig ab. Wiederins Hotelarchitekturen wurden jedoch - ebenfalls geschlossen - zu einer Nachbearbeitung empfohlen.

Die Phase der sogenannten Nachbearbeitung eines Wettbewerbs ist natürlich sinnvoll, zugleich aber auch ausgesprochen gefährlich und heikel. Leicht fallen ihr ganze Projekte aufgrund gezielter Verstümmelungsmaßnahmen der Auftraggeber zum Opfer, und, wo solches architektenseits verhindert werden will, zerkrachen die gerade erst aufgenommenen Beziehungen zwischen Bauherren und Architekten gleich wieder. Sehr schwierig, sehr kompliziert, sehr abhängig von den Temperamenten auf beiden Seiten.

Gerold Wiederin und die Stadt Hall konnten zueinander jedenfalls auch nach sechswöchiger Frist und mehreren Überarbeitungen nicht finden, weshalb die Stadtväter schließlich dem zuvor zweitgereihten Projekt von Henke & Schreieck den Vorzug gaben. Da die beiden anständige Architektenkollegen sind, verlangten sie, dass die Jury nochmals einberufen werde. Die trat zähneknirschend unter ihrem Vorsitzenden, dem Schweizer Architekten Quintus Miller, zusammen, befand mit vier gegen drei Stimmen, dass die Überarbeitung nicht ausreichend und überzeugend ausgefallen sei. Sie empfahl jedoch auch nicht explizit die Realisierung des zweiten Preises, weil die Haller Henke & Schreieck von sich aus und ohne Jurybeschluss zur Überarbeitung gebeten hatten, was nicht gerade zum guten Bauherrenton gehört.

Quintus Miller denkt sich jedenfalls sein Teil. Der Schweizer meint: „Darüber war ich nicht erstaunt, sondern erzürnt, denn diese Vorgangsweise war nicht gemäß unserer Abmachung. Was die Stadt Hall tut, bleibt ihr überlassen, aber es ist sehr ärgerlich und unverständlich. Da kamen ganz unterschiedliche Haltungen zu Architektur und Städtebau zum Ausdruck, und vor allem die Politik, die eben ihre eigenen Wege geht. In dieser unoffenen Art habe ich das als praktizierender Architekt anderswo allerdings noch nie erlebt.“

Ob er als Schweizer künftig Architekturwettbewerbe in Österreich - sei es als Juror oder als Teilnehmer - meiden will? Miller: „Ja, ich würde mich zuvor jedenfalls sehr genau informieren und eine Teilnahme von den Bedingungen, den Fachjuroren, dem Umfeld, abhängig machen. Die Bauherrenschaft muss sich, wie das andernorts üblich ist, verpflichten, das Wettbewerbsresultat anzuerkennen und umzusetzen und die Sache nicht dem politischen Geschmack überlassen. Die Grundlage eines guten Wettbewerbswesens ist die korrekte, für Architekten kalkulierbare Abwicklung des Verfahrens. Der politische Wind hingegen ist etwas nicht kalkulierbares.“

Der Standard, Sa., 2001.08.25



verknüpfte Bauwerke
Turmhotel Seeber, Wettbewerb Erweiterung, Beitrag Wiederin

25. August 2001Ute Woltron
Der Standard

Kathedralische Sehnsuchtsobjekte

Alpbach revisited: Von Architekten, Verbrechern und anderen Schlingeln

Alpbach revisited: Von Architekten, Verbrechern und anderen Schlingeln

Das Schöne an den Alpbacher Architekturgesprächen - wie bereits vermeldet waren sie die ersten in der Alpendorfgeschichte - war vor allem die Durchmischung der Disziplinen, eine Tugend, die gute Architektur naturgemäß in hohem Maße verkörpert. Das zu vermitteln ist verflixt schwierig, die Architekten bringen es jedenfalls zur Zeit nicht so recht zusammen, weshalb sie häufig unschuldig gescholten werden, und so kam es vor, dass sie sogar in Alpbachs Intellektuellenhallen publikumsseits als Verbrecher bezeichnet wurden. Wie dumm und kurzsichtig.

Adolf Holl kennt sich mit Verbrechern aus, schließlich ist er Theologe. Er war als einer dieser außerdisziplinären Gäste zum Vortrag geladen. Seine „Erinnerung an eine Architektur der Extravaganz, der Verschwendung und Großzügigkeit“ sah allerdings die Missetäter eher auf der anderen Seite, und zwar auf jener der Bauherren. Holls Architektur der Extravaganz steigt dem Betrachter in Form von Kathedralen zu Gemüte, es sind die Gotteshäuser aller Art, die Gläubige und Ungläubige gleichermaßen seit Jahrhunderten weihevoll zu durchschauern vermögen.

Ja, solche Sachen müsste man heute noch zustande bringen, raunten Teile des Publikums in Verklärung, und stellten zum siebenhundertfünfundachtzigmilliardsten Mal die vorwurfsvolle Frage, warum zeitgenössische Architekten derartige Stimmungsbomben nicht zustandebrächten.

Die Antwort liegt auf der Hand: Weil heute keine gesamten Volkswirtschaften hinter Projekten wie diesen stehen, schlicht, weil es - zum Glück für alle Nichtkathedralenbewohner - hierzulande keine Bauherren dieser Art mehr gibt. Für die Verschandelung der Gegend, die man ausschließlich den Architekten anlastet, braucht es erst einmal diejenigen, die den Unsinn in Auftrag geben. Vielleicht sind die Missetäter dort zu suchen.

Der Standard, Sa., 2001.08.25

20. August 2001Ute Woltron
Der Standard

Die Lösung ist: Es gibt keine

Die Alpbacher Architekturreferenten zerstreuten sich auf der Suche nach dem Letztgültigen

Die Alpbacher Architekturreferenten zerstreuten sich auf der Suche nach dem Letztgültigen

Alpbach - Rund um Alpbach weiden Kühe, drinnen in Alpbach steht ein Holzstadel, in dem kann rund um die Uhr die Milch abgeholt werden. Die Kühe sind echt, die Milch ist echt, und die Architektur des Stadels ist auch echt. Sie steht jedenfalls da, hineingezimmert in ein Dorf, in dem alles so geputzt und auf älplerisch gemacht ist, dass das Neue wie alt und das Alte wie neu ausschaut. Aber ist er, als Architektur, wirklich echt, der Stadel? Oder ist er nur dann echt, wenn er wirklich alt ist, obwohl er ausschaut wie neu?

Letztlich pendelten die Diskussionen über Architektur, mit denen das Europäische Forum Alpbach heuer eröffnet wurde, zwei Tage lang zwischen Polen wie diesen hin und her: Zwischen Alt und Neu, zwischen Gut und Böse, zwischen Kommerz und Kultur, zwischen Investorenbrutalität und Architektenengagement. Die reine Lehre wurde nicht gefunden, weil es sie nicht gibt. Fein war aber mitanzuschauen, wie jeder einzelne Referent (dazwischen mit Ulrike Lauber eine einsame Referentin) in ihren architektonischen Weltformeln so lange alle lästigen Variablen eliminierten, bis in sich logische Konstrukte stehen blieben, was auch eine Kunst für sich ist.

Gekonnt bewies etwa Kari Jormakka (von der TU Wien) anhand schlüssiger rhetorischer Schlenker, dass die Architektur eine keineswegs langsamere Disziplin sei als etwa der Journalismus oder die Popmusik. Ebenso tadellos wies TU-Kollege Manfred Wolff-Plottegg den überwältigenden Einfluss des Prozesses auf das damit erzielte Ergebnis nach, und während alle völlig Recht haben, wird in einem Stadel ein paar Häuser weiter Milch verkauft, von dem keiner mit Recht behaupten kann, er sei echt oder falsch.

Wie die Prozesse des Bauens und Städtemachens ablaufen, und wie sie sich in zunehmendem Maße in beängstigende Richtungen bewegen, lässt sich hingegen klar definieren.


Die Männer der Tat

Ob Politik oder Investorentum die Metropolen von morgen formen werden, darüber unterhielten sich Stadtplaner - wie Jörn Walter (Hamburg), Dietrich Henckel und Dieter Hoffmann-Axthelm (beide Berlin). Diese Männer der Tat kamen zwei Stunden lang vorzüglich ohne das Wort „Architekt“ oder „Architektin“ aus, der Begriff Architektur fiel zumindest ein einziges Mal, und zwar in Zusammenhang mit Kostensteigerung infolge Architekturstarbeschäftigung.

Hier, ganz genau an dieser bröckeligen Stelle zwischen Stadt, Investor und Architekt, beginnt es wirklich spannend zu werden, denn die Architektenbranche nimmt in naher Zukunft entweder ein Ende oder einen neuen Anfang. Wollen sich die Architekten sowohl kommerziell als auch mit ihrem gestalterischen Können künftig einmischen, dann müssen sie sich aggressiver, aktiver neu positionieren und sich den rasant ändernden Rahmenbedingungen mit Schläue anpassen.

„Die Branche, die das nicht zusammenbringt“, behauptete Marktforscher Christian Hehenberger (Pregarten), „die wird ziemlich alt aussehen.“

Wenn die Alpbacher Architekturgespräche des kommenden Jahres Beton in diese geborstenen Beziehungen zwischen den Planern und dem Rest der Welt gießen wollten, so wäre das ziemlich begrüßenswert.

Darüber, ob der Stadel echt oder falsch ist, kann man ja später weiterstreiten.

Der Standard, Mo., 2001.08.20

18. August 2001Ute Woltron
Der Standard

Architekturgekräusel auf den Oberflächen

Das Forum Alpbach startete mit Architekturgesprächen

Das Forum Alpbach startete mit Architekturgesprächen

Alpbach - Alpbach, das liebliche Nest, ist wie jedes Jahr mit seinem Europäischen Forum über uns gekommen, man hat den Start am Freitag mit Architekturgesprächen genommen. Das Thema steht erstmals in der Geschichte des Forums auf dem Programm, die ganz tollen Superstars unter den Referenten (wie die angekündigten Zaha Hadid, Peter Eisenman, Wolf D. Prix) sind - heuer noch - ausgeblieben, der Publikumsandrang ist nicht berauschend, aber zumindest süffig.

Der erste der beiden Architekturtage warf mehr Fragen als Antworten ins Auditorium, die gekonntesten kamen dabei nicht von Architekten, sondern vom Philosophen Rudolf Burger. Er moderierte die erste Runde und stellte nach ein paar lässigen Jongleursübungen mit Zitaten Nietzsches und anderen Kollegen Venturis architektonische Frage nach Unterkunft und Dekoration: Inwieweit ist die Architektur die Fassade der gesellschaftlichen Moderne? Und wie tief reicht dieses „Gekräusel auf den Oberflächen“ unter dieselbe?

Georg Franck von der TU Wien strapazierte, weil es so am einfachsten funktioniert, die vermeintlichen Gegensätze Erlebnisarchitektur (Gehry & Co) und neue Sachlichkeit (Zumthor & Co), doch seine Plauderei über Eventkultur und die daraus folgenden Baukonstrukte, vom McDonald's-Häusl bis zum Guggenheim Bilbao, blieben ihrerseits Oberfläche und konnten bis zu den Fundamenten des Architekturgeschehens nicht durchdringen.

Straff und knapp grub Bau- manager Jürgen Ehrlich tiefer, indem er Funktion und Struktur der Deutschen Immobilien Fonds AG bloßlegte: „Für uns zählen Architektur und Wirtschaftlichkeit, Spleenigkeiten und Verrücktheiten können wir nicht beachten. Die Immobilie als Ware.“ Auch eine Sicht der Dinge, und, mit guten Architekten gut angepackt, nicht die dümmste.

Doch diese Konstellation, konterte Ulrike Lauber, sei selten anzutreffen. Die deutsche Architektin geißelte sodann den mittlerweile weltumspannenden Architekturstarterror samt Epigonen und rief auf, sich der Qualitäten sorgfältiger Ortsansässiger zu bedienen, denn: „Die Gehrysierung der Provinz wird schrecklich werden.“

Der Standard, Sa., 2001.08.18

18. August 2001Ute Woltron
Der Standard

Ohne Titel

Der famose und unbedingt empfehlenswerte amerikanisch-britische Reiseautor Bill Bryson beschreibt eine seiner Begegnungen mit einer jener Durchschnittshotelgrauenhaftigkeiten,...

Der famose und unbedingt empfehlenswerte amerikanisch-britische Reiseautor Bill Bryson beschreibt eine seiner Begegnungen mit einer jener Durchschnittshotelgrauenhaftigkeiten,...

Der famose und unbedingt empfehlenswerte amerikanisch-britische Reiseautor Bill Bryson beschreibt eine seiner Begegnungen mit einer jener Durchschnittshotelgrauenhaftigkeiten, wie sie heute überall am Rande idyllischer Buchten und Städte zu hocken pflegen - in diesem Fall im schönen Südstaatenstädtchen Savannah - folgendermaßen: „Ein bedrückender Anblick. Bei dem massiven Betonklotz handelte es sich um ein Produkt jener architektonischen Schule, deren Baumeister nach dem Grundsatz Leckt-mich-doch-alle-am-Arsch die Landschaft verschandeln. Nichts an diesem Bau, weder seine Größe noch sein Erscheinungsbild, passte sich in irgend einer Weise den alten Gebäuden seiner Nachbarschaft an. Der ganze Bau schien sagen zu wollen: ,Du kannst mich mal, Savannah.'“

Savannah ist mittlerweile überall, wo sich Touristen hin verirren, und die Tradition, Liebe, Kultur, Muße und Geschmack - jawohl, Geschmack - in neue Hotelarchitekturen fließen zu lassen, tröpfelt eher spärlich in das alles verschlingende Meer der Hyatt Regencys, Intercontinentals und Holiday Inns. Umso erfreulicher ist die Botschaft, die zu berichten wir an dieser Stelle nun das Vergnügen haben: Heimlich und nur von architektonischen Insidern als solche erkannt, hat eine angetagte und entsprechend nur mehr matt schimmernde Hotelperle in Hall in Tirol die Zeiten von 1931 bis heute überdauert. Das Warten hat sich ausgezahlt, der vormals ausnehmend elegante, von diversen Um- und Zubauten allerdings etwas ramponierte Bau von Lois Welzenbacher wird demnächst restauriert, erweitert, neu belebt. Er wird, wohlgemerkt, nicht weggerissen und durch einen Standardklotz ersetzt, sondern gerettet und zu altem Glanze aufpoliert.

Zu verdanken ist das natürlich keiner internationalen Hotel-, sondern einer kleinen Architektengruppe, die das abgewrackte einstige Kurflaggschiff der Region dauerte, weshalb Unterschriften und Unterstützungsschreiben gesammelt, Ausstellungen, Homepages und Kongresse zum Thema organisiert wurden, so lange, bis etwas erreicht war, was in der Architektur so selten ist wie ein geschmackvolles Bild an einer Hilton-Hotelzimmerwand: Konsens.

Mittels eines Architekturwettbewerbes (DER STANDARD hat über die Vorgeschichte berichtet) entschied man schließlich diese Woche, dass das in Wien ansässige Tiroler Architektenteam Marta Schreieck und Dieter Henke den Welzenbacher-Komplex zu einer Vier-Sterne-Seminarhotel-Anlage umbauen werden: „Die ursprüngliche räumliche Konzeption des Parkhotels wird durch den Abbruch aller Zu- und Einbauten annähernd in den Originalzustand versetzt. Dem bestehenden Turmhotel wird ein zweiter kreisrunder Solitärkörper hinzugefügt. Das neue Gebäude ist auf Grund seiner Geometrie und seiner architektonischen Gestaltung als Gesamtform lesbar, wodurch die sensible Gliederung des von Welzenbacher gebauten Hotels nicht gestört, sondern vielmehr verstärkt bewusst gemacht wird.“

Lois Welzenbacher (1889 - 1955) verkörperte seinerzeit das Gegenteil der forschen Leckt-mich-und-so-weiter-Architekturmentalität, die Bill Bryson angesichts der unsensiblen Blockherbergen anprangert. Der Tiroler inhalierte quasi das räumliche Umfeld seiner Baustellen und komponierte zu den natürlichen Umgebungsharmonien seine eigene Architekturmusik dazu. Er verwob dabei Bodenständiges mit den klaren Klängen der Moderne und spielte sich damit in die allererste Architektenliga, die im Österreich des vergangenen Jahrhunderts den Ton angab. Nur wenige, viel zu wenige seiner Bauten sind erhalten. Das ehemalige Turmhotel der Familie Seeber, seit etwa vier Jahren im Besitz der Stadt Hall, kann, wenn man jetzt auch seinen neuen Architekten die nötige Kompositionsfreiheit lässt, ein aufregender Wohlklang aus Alt und Neu werden. Die Stadt Hall und ihr Bürgermeister Leo Vonmetz darf sich eines Architekturjuwels rühmen, die Architektengruppe, die sich so engagiert hat, verdient den entsprechenden Architekturorden.

1999 hatte sich die Initiative Lois Welzenbacher - Eine Chance für Hall in Tirol formiert, die Gründer waren Feria Gharakhanzdaeh, Inge Andritz und Bruno Sandbichler. Ihre Bemühungen wurden vom Architektur Zentrum Wien (www.azw.at), nextroom - architektur im netz (www.nextroom.at) sowie silverserver (www.sil.at) unterstützt. Auf der Homepage der Initiative, anzusurfen unter http://welzenbacher.sil.at, wird man nicht nur über die Aktion und ihre zahlreichen Unterstützer informiert, man kann auch historische Aufnahmen des Hotels besichtigen und über die Person des Architekten Welzenbacher sowie seinen Einfluss nachlesen. „Je stärker der Pulsschlag einer Zeit ist, umso stärker macht sich sein Pochen beim Schaffen geltend“, hatte er seinerzeit niedergeschrieben: „Starke Individuen bilden starke Werke, gehen eigene Wege, drücken ihren Erzeugnissen unverkennbar den Stempel einer persönlichen Eigenart auf.“ Die riesigen Kommerzhotelkisten, die mit ihrer persönlichen Eigenart das Grauens ihrerseits in die Landschaft stempeln, werden mit dem neuen Welzenbacher-Henke&Schreieck-Seminarhotel in Hall eine feine Konkurrenz bekommen.

Der Standard, Sa., 2001.08.18



verknüpfte Bauwerke
Parkhotel, vormals Turmhotel Seeber

08. August 2001Ute Woltron
Der Standard

Alles nur Fassade

Leistungsschau: Architektur in Berlin 2001

Leistungsschau: Architektur in Berlin 2001

Wien - Die Berliner Architektenkammer hat heuer zum dritten Mal eine Leistungsschau organisiert, und diese „relevante Auswahl aktueller Arbeiten zur Stadtplanung, Architektur, Garten- und Innenraumplanung“ ist in Form einer Ausstellung ab heute auch in der Wiener Planungswerkstatt zu sehen.

51 Arbeiten wurden von einer Jury ausgewählt, und dass die Berliner Architektur derzeit nicht eben zu Höhenflügen ansetzt, kann an den Projekten ab- und im Katalog zur Schau nachgelesen werden. Jurymitglied Heinrich Moldenschardt, Architekt und Architekturprofessor, äußert sich im Bericht des Auswahlgremiums ausgesprochen kritisch über die Kollegenschaft sowie über die Rahmenbedingungen, unter denen Architektur in Deutschlands Hauptstadt entsteht.

Der Soziale Wohnbau existiere fast nur „als Gegenstand von Fassadensanierung“, die Innovationen der neuen Vorstadtsiedlungen manifestiere sich zumeist „in neuen städtebaulichen Mängeln“, ehrgeizigen Schulprojekten scheine „ein eigenes Einzugsgebiet abhanden gekommen zu sein“ und durch „städtebaulich verständnislose Planungen“ wie jene der Wasserstadt Spandau würde „kaum jemals Urbanität durch Dichte, durchaus aber höherer Bodenwert entstehen“.

Die besten neuen Häuser Berlins sind die privaten, die meisten größeren Komplexe verströmen den Totengeruch der Investorenstrenge. Das sei symptomatisch für den aktuellen Aufgabenbereich, merkt Moldenschardt an: „Zahlreiche ansehnliche bis luxuriöse Einfamilienhäuser belegten den fortschreitenden gesellschaftlichen Umverteilungsprozess ebenso wie die wachsende Stadtflucht.“ Fazit: „In der Innenstadt wird nicht mehr gearbeitet, sondern Dienst geleistet“, und diesen Diensten würden die rechten Formen halt fehlen.


[Architektur in Berlin 2001, Wiener Planungswerkstatt, 1., F.-Schmidt-Platz 9, (01) 408 80 70, bis 14. 9., Eröffnung heute um 17.00.]

Der Standard, Mi., 2001.08.08

04. August 2001Ute Woltron
Der Standard

Alpbacharchitektur

Diskussionen über Architektur eröffnen heuer Forum Alpbach

Diskussionen über Architektur eröffnen heuer Forum Alpbach

Alpbach - Erstmals in der Geschichte des Europäischen Forum Alpbach, das am 16. August eröffnet wird, steht Architektur auf dem Diskussionsprogramm. Bauen und Städteplanen wird als erster Programmpunkt gefahren, die Idee, der Architektur diesen Stellenwert einzuräumen, stammt von Erhard Busek. Prinzipiell wollen die Veranstalter die Frage nach „Rückbesinnung auf die ganzheitliche Rolle des Architekten“ erörtern. Als Organisatoren treten die Unternehmen D. Swarovski & Co. sowie das Planungsbüro ATP Achammer-Tritthart & Partner auf. Als Sponsoren beteiligen sich neben dem STANDARD die BTV-Bankengruppe, die Ast-Holzmann BauGesmbH, die Isovolta AG sowie die Planung-, Bauleitung-, Projektleitungs-GesmbH von Georg Malojer.

Der Reigen der Referate beginnt am Freitag, die Einstimmung dazu bereits am Donnerstagabend nach der allgemeinen Eröffnung des Forums durch Erhard Busek, John M. Roberts, Franz Hackl sowie Peter Sloterdijk. Die darauf folgende Eröffnungsveranstaltung der Alpbacher Architekturgespräche nennt sich „architects welcome alpbach“ und steigt ab 19 Uhr in der luftigen Höhe des Widersberger Horns, je nach Wetterlage vor oder im Bergrestaurant Hornboden.

An den folgenden zwei Tagen werden ab neun Uhr bis abends verschiedenste Themenkreise durchgekaut: Am Freitag referieren, angeleitet von Rudolf Burger, Jürgen Ehrlich, Georg Franck und Ulrike Lauber über Feststellung oder Frage „der architekt als fassade“. Andreas Braun von Swarovski dirigiert Christian Mikunda, Adolf Holl und Gregory Beck in das „erlebnis architektur“. Manfred Wagner moderiert die Runde „pop(ular)-entertainment als globalisierter nonsens“ mit Querkraft, Christoph Lieben-Seuter und Helmut Rösing. Am Samstag befragt Christoph Achammer Christian Hehenberger, Rudolf Schicker und Franz Meyer über „architektur und eigentum“. STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl geht mit Dieter Hoffmann-Axthelm, Jörn Walter, Joachim Tenkhoff der Frage von „stadtplanung oder immobiliengetriebener eigendynamik“ nach, und schließlich diskutieren Hannes Pfau (UN Studio van Berkel & Bos), Manfred Wolff-Plottegg und Kari Jormakka über die „schnelligkeit der architektur“.
Forum Alpbach/Architekturgespräche, 16.-18. 8.

Der Standard, Sa., 2001.08.04

04. August 2001Ute Woltron
Der Standard

Ich, der Unveröffentlichte

Zwei Fotobände zeigen bisher unveröffentlichte Fotografien von Adolf-Loos-Architekturen, die der Radikalo seinerzeit selbst inszeniert hat.

Zwei Fotobände zeigen bisher unveröffentlichte Fotografien von Adolf-Loos-Architekturen, die der Radikalo seinerzeit selbst inszeniert hat.

Im Wiener Album Verlag sind gerade zwei Bücher über den Architekten Adolf Loos erschienen, die Freude machen. Loos ist wohl einer der bestdokumentierten und meistpublizierten Baumänner des 20. Jahrhunderts, trotzdem werfen die beiden Bildbände, von Markus Kristan unter den schlichten Titeln „Adolf Loos: Villen“ und „Adolf Loos: Wohnungen“ herausgegeben, neue Lichter auf die Arbeiten des 1870 in Brünn zur Welt gekommenen, 1933 in Wien gestorbenen Architekturradikalos. Denn zu sehen sind hier viele bis dato nicht veröffentlichte Fotografien von noch bestehenden sowie bereits vernichteten Objekten. Loos hat diese Fotoarbeiten oft selbst aktiv mitinszeniert, was den heutigen Betrachter die verschiedenen Wohnlandschaften und Villen gewissermaßen posthum mit den Augen ihres Architekten sehen lässt. Herausgeber Kristan: „In dieser Hinsicht bietet das vorliegende Loos-Buch auch für den Loos-Kenner einige Neuigkeiten oder zumindest - und dies im doppelten Sinn des Wortes - andere Perspektiven.“

Geschossen hat die Fotos um 1930 der Wiener Industrie- und Architekturfotograf Martin Gerlach junior. Er bereitete damals eine große Loos-Monographie zu dessen 60. Geburtstag vor. Die Fotoplatten ruhten neben vielen anderen Zeitdokumenten jahrzehntelang in Gerlachs Privatarchiv, erst Mitte der 90er-Jahre erwarb die Albertina die Glasplatten als Ergänzung zum Loos-Archiv, hier werden sie großteils erstmals öffentlich vorgestellt.

Die Bücher sind nicht allzu fette Fotobände, ergänzt von ebenfalls nicht zu umfangreichen Vorworten sowie ausgewählten Texten des Architekten. Schön gemacht und sehr interessant. Der Steinmetzsohn, der bis 1893 in Dresden Architektur studiert und bereits mit seiner ersten größeren Arbeit, dem kargen Wiener Café Museum, einen kollektiven Aufschrei des Entsetzens in der schnörkelgewohnten Gesellschaft verursacht hatte, verunsicherte seine Zeitgenossen nachhaltig, und viele seiner Zitate verunsichern bis heute jene, die sich nicht der Mühe unterziehen, seine umfangreichen Abhandlungen über Architektur und Kultur genauer zu studieren. Seine Aussage, das Ornament sei ein Verbrechen, ist wohl eine der missverstandensten der Architekturgeschichte, und wer die Album-Bücher erst liest, dann studiert und mittels Zeitfaktor in die richtige Position dividiert, kann für sich herausfinden, was Loos damit wirklich gemeint hat.

Natürlich erscheinen vor allem seine Wohnungseinrichtungen heute verstaubt, üppig, finster, überfrachtet, durchaus ornamentiert. Doch wie er trotz beengter Verhältnisse mit dem Raum spielt, mit Mauerdurchbrüchen und Raumstrukturen arbeitet, beeindruckt außerordentlich. Leichter ist dieses Raum- und Formtalent des Architekten in seinen Villen zu lesen, die ihm selbstverständlich mehr Gestaltungsfreiheit als die Wohnungsumbauten boten.

Kluge Leute haben Loos eingehend studiert, so schrieb etwa Heinrich Kulka bereits 1931: „Durch Adolf Loos kam ein wesentlich neuer, höherer Raumgedanke zur Welt: Das freie Denken im Raum, das Planen von Räumen, die in verschiedenen Niveaus liegen und an kein durchgehendes Stockwerk gebunden sind, das Komponieren der miteinander in Beziehung stehenden Räume zu einem harmonischen, untrennbaren Ganzen und zu einem raumökonomischen Gebilde.“ Und Friedrich Kurrent sieht in der Verbindung zwischen der „mediterranen Kultur der Alten Welt und der amerikanischen der Neuen Welt“ den „Stoff für die Loossche Synthese im Wohnungsbau“.

Die Persönlichkeit Adolf Loos selbst muss für ihre Zeitgenossen eine mindestens so harte Nuss gewesen sein wie seine architektonsichen Ausnahmeprodukte. Er selbst zweifelte am Transportmittel der Fotografie, zumindest was seine Raumkonstrukte anbelangt: „Ich aber sage: Ein rechtes bauwerk macht im bilde, auf die fläche gebracht, keinen eindruck. Es ist mein größter stolz, daß die innenräume, die ich geschaffen habe, in der photographie vollständig wirkungslos sind.“ Als weniger wirkungslos empfand das gesunde, gleichwohl gekränkte Ego Loos' sein eigenes Schaffen. So veranstaltete er Wohnungsführungen für Interessierte und schrieb darüber 1907 in einem Essay: „Man glaube nicht, daß ich die Kopisten unter ihnen fürchte. Im Gegenteil: Ich wäre glücklich, wenn jeder Architekt in meinem Sinne schaffen würde. Aber sie werden es nicht tun. Sie werden nur mißverstehen.“ Und 1910 stellte er, leicht angesäuerlt und dennoch von der eigenen Tugend quasi durchdrungen, fest: „Auf die ehre, in den verschiedenen architektonischen zeitschriften veröffentlich zu werden, muß ich verzichten. Die befriedigung meiner eitelkeit ist mir versagt. Und so ist mein wirken vielleicht wirkungslos. Man kennt nichts von mir. Da aber zeigt sich die kraft meiner ideen und die richtigkeit meiner lehre. Ich, der unveröffentlichte, ich, dessen wirken man nicht kennt, ich bin der einzige von den tausenden, der wirklich einfluß besitzt.“


[Adolf Loos: Wohnungen. öS 504,-/ EURO36,65/ 103 Seiten.
und zum selben Preis: Adolf Loos: Villen, 128 Seiten.
Beide Album Verlag, Wien 2001]

Der Standard, Sa., 2001.08.04

13. Juli 2001Ute Woltron
Der Standard

Platzhirsche röhren vor der Brunft

Der Architekturwettbewerb zur Renovierung und Revitalisierung der Volksoper ist zwar entschieden. Das Rennen zwischen den Erstgereihten, dem Berliner Team Zerr-Hapke-Nieländer und Wilhelm Holzbauer, geht aber über den Sommer in die entscheidende Runde, was das übliche Platzgerangel ausgelöst hat. Die endgültige Entscheidung treffen nun Georg Springer und Dominique Mentha.

Der Architekturwettbewerb zur Renovierung und Revitalisierung der Volksoper ist zwar entschieden. Das Rennen zwischen den Erstgereihten, dem Berliner Team Zerr-Hapke-Nieländer und Wilhelm Holzbauer, geht aber über den Sommer in die entscheidende Runde, was das übliche Platzgerangel ausgelöst hat. Die endgültige Entscheidung treffen nun Georg Springer und Dominique Mentha.

Wien - Die Jury unter Vorsitz von Gustav Peichl zur Findung des besten Architekten für die Sanierung der maroden Volksoper hat ihre Arbeit getan. Am Mittwoch vergangener Woche entschied man in der zweiten Runde des Wettbewerbs, dass man sich eigentlich nicht entscheiden könne, und erklärte zwei Projekte ex aequo zum Sieger. Das eine stammt vom Wiener Wilhelm Holzbauer und wurde auch schon heftig in zwei Zeitungen publiziert. Das andere kommt von den Berliner Kollegen Zerr-Hapke-Nieländer, es wird vom STANDARD hier erstmals vorgestellt.

Holzbauers mediales Vorpreschen noch vor der letztgültigen Entscheidung erregt nicht nur den Unwillen von Georg Springer, der als Chef der Bundestheater-Holding der Bauherr ist: „Ich garantiere, dass die veröffentlichten Bilder nicht von uns kamen. Wir müssten uns selbst ins Knie schießen wollen, hätten wir einen der beiden Entwürfe an die Medien gespielt. Ich empfinde es als unfaire Geschichte, wenn vom Platzhirsch so stark PR in eigener Sache betrieben wird, zumal sich die anderen weit vom Schuss in Berlin befinden.“

Auch die ebenfalls siegreichen Kollegen zeigen sich vom Geröhre des „Platzhirschen“ Holzbauer noch vor der Brunft unangenehm berührt. Andreas Zerr sagte dem STANDARD gegenüber: „Ich bin irritiert und verärgert über dieses unkollegiale Vorgehen. Ich denke, dass es auch das Eingeständnis der qualitativen Unterlegenheit des Entwurfes ist. Wir hatten im Sinn der Loyalität zu Springer und Mentha nicht vorgehabt, an die Presse zu gehen, doch die Situation zwingt uns nun dazu zu antworten.“

Auf die Frage, wie er seine Chancen als Berliner Baumann einschätze, im architektonisch traditionell wienlastigen Wien tatsächlich aktiv zu werden, antwortete Zerr: „Wir haben aus Berlin gehört: ,Vergesst einen Wettbewerb in Wien, wir kennen keinen Berliner, der dort schon gebaut hätte.' Umgekehrt ist das allerdings ständig der Fall. Trotzdem schätzen wir unsere Chancen nach wie vor gut ein, obwohl wir wissen, dass die politische Situation in Wien gegen uns spricht. Eines ist aber klarzustellen: Es gab kein fixes Budget außer den vorgegebenen 50 Millionen Schilling für die Fassadensanierung, was wir eingehalten haben. Holzbauer hatte offensichtlich Insiderinformationen, wonach für diese Summe sowohl Fassade als auch Foyer saniert werden sollen.“

Während das Team aus Berlin ein unterirdisches Foyer vorsieht, will Holzbauer den Vorplatz bebauen. Holzbauer sieht es als „grundsätzliche Entscheidung, ob man mit dem Pausenraum in den Keller geht oder ihn oben, wie in meinem Entwurf, im Foyer unterbringt“. Anzumerken ist, dass dieses Foyer nicht Thema des Wettbewerbs war.

Bauherrn Springer, der „seine“ Häuser in den kommenden Jahren um rund 183 Millionen Schilling sanieren muss („63 davon müssen wir selbst aufbringen, 120 hoffen wir, im Rahmen einer PP-Partnership vom Bund zu bekommen“), kämen Kostenreduktionen selbstredend gelegen, dennoch will er gemeinsam mit Volksoperndirektor Dominique Mentha größten Wert auf die Architekturqualität legen. Er sagt: „Das billigere Projekt hat natürlich die Versuchung des Angenehmen, doch die Beträge liegen nicht so weit auseinander.“

Über den Sommer werden beide Projekte von den Architekten nachbearbeitet, anhand von Modellen werden Mentha und Springer „spätestens im November, Dezember die Entscheidung treffen, damit wir am 1. Juli 2002 die Sanierung der Volksoper mit Full Power in Angriff nehmen können“. Schon seit zwei Jahren sei das Haus so undicht, dass „sogar Faxgeräte abgesoffen sind“.

Die Berliner Architekten haben sich derweilen sicherheitshalber ihre Wettbewerbsarchitektur zum Teil patentieren lassen, denn, so Zerr: „Man kriegt den Eindruck, dass in Wien im Allgemeinen Kräfte im Hintergrund wirken, die sich nicht allein auf die architektonische Arbeit beziehen. Es scheint, als ob große Projekte aufgeteilt würden und selbst Architekten wie Coop Himmelb(l)au nur an der Peripherie bauen dürften. Ich empfehle, den Wiener Klüngelverein der Architektenpensionisten aufzulösen, dann wird sich die Qualität der Architektur in dieser Stadt schlagartig verbessern.“

Der Standard, Fr., 2001.07.13

07. Juli 2001Ute Woltron
Der Standard

Kaugummiautomatencollier in der Schatzkammer

Die Bewilligung eines Neubaus in einer historischen Parkanlage Hietzings stellt die schwammige Gesetzeslage der Wiener Stadtplanung unter Beweis und demonstriert einmal mehr die Ohnmacht der Denkmalpfleger.

Die Bewilligung eines Neubaus in einer historischen Parkanlage Hietzings stellt die schwammige Gesetzeslage der Wiener Stadtplanung unter Beweis und demonstriert einmal mehr die Ohnmacht der Denkmalpfleger.

Vor zwei Wochen begaben sich zwei Herren quasi Hand in Hand auf ein Grundstück in Hietzing und starrten mit einer gewissen Fassungslosigkeit in eine ordentlich ausgehobene, ordentlich tiefe Baugrube. Sie tat sich dort auf, wo wenige Tage zuvor noch ein prachtvoller alter Park inmitten des historischen Villenviertels bei Schönbrunn gelegen hatte. Der 91 Jahre junge Architekt Roland Rainer schwang sich stockbewehrt über Schutthügel und inspizierte die gut ein dutzend Meter hohen Kiefern am Rande des Baulochs, die, mit Seilen gesichert, in selbiges hineinzustürzen drohten. Ihm folgte ein schweigsamer, betroffener Géza Hajós - als Gartenspezialist des Bundesdenkmalamtes mit schwerem Los geschlagen. Wie das gesamte Denkmalamt ist auch sein Ressort chronisch unterdotiert, obwohl Hajós eine tragende Funktion ausübt.

„Ein Baum“, bemerkte Rainer angesichts des Loches im Park, „ist genau so wichtig, wie ein Haus.“ Ein Baum, gab Hajós zur Antwort, könne sogar wichtiger sein, als ein Haus, es komme ganz auf die Umstände an, und die stellen sich in diesem konkreten Fall so dar: Der Park der historisch nicht unwichtigen Villa Schratt in unmittelbarer Nähe von Schloss und Park Schönbrunn wurde, nachdem das Gesamtensemble zu teuer und also nicht an den Käufer zu bringen war, geteilt, veräußert, teils abgeholzt und soll nun mit einer stattlichen Einfamilienvilla bebaut werden. Das 2.461 Quadratmeter große Areal wurde 1997 von Privatleuten erworben, die Festsetzung des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes erfolgte ein Jahr später. Der zuständige Abteilungsleiter der MA 21 B ist Walter Vokaun. Er meint dazu: „Wir waren äußerst restriktiv und haben beschränkt, wo man beschränken kann.“ Das Übel sei vorprogrammiert gewesen, denn: „Die Schratt-Villa hätte mit dem Park schon früher als Gesamtes unter Denkmalschutz gestellt werden sollen. Jetzt bleibt nur mehr eine liebevolle Story von früher übrig.“

Diese Story betrifft die jahrzehntelange Freundschaft zwischen Kaiser Franz Joseph und der Schauspielerin Katharina Schratt, der die Villa und der exquisit mit Badehaus und diversen Figuren ausgestaltete Park damals gehörte. Man traf einander regelmäßig dort zum Frühstück, lustwandelte über das gepflegte Areal und nahm im feschen Gartenpavillon den Tee. Der Pavillon steht noch. Wenige Meter neben der Baugrube. Weder er noch das Badehaus noch die alte Villa und schon gar nicht, wie gesagt, der Park, sind denkmalgeschützt. Eva-Maria Höhle, Generalkonservatorin des Denkmalamtes für Wien, wusste auf Anfrage des STANDARD nicht einmal, dass das Villa-Park-Ensemble gerade ruiniert wird. Auf die Frage, wie so etwas übersehen werden könne, berief sie sich auf die Zahnlosigkeit des Denkmalschutzgesetzes vor allem hinsichtlich historischer Garten- und Parkanlagen. Ein solches Berufen hat Tradition - vielleicht sollte man einmal genau hier ansetzen und zu einem neuen denkmalpflegerischen Bewusstsein kommen? Das Denkmalamt empfielt zwar etwa die außerordentlich aufwendige Restaurierung von Gipsverzierungen in Museumsquartiergefilden, die kein Mensch zu Gesicht bekommen wird. Andererseits schauen seine wichtigsten Vertreter offenbar betreten zur Seite, wenn wirklich wichtige Ensembles ausgeschlachtet werden. Eine Unverhältnismäßigkeit, die endlich zur Debatte gestellt werden muss.

Derweilen haben die neuen Grundeigentümer, die korrekt einen Baugrund der Extraklasse erworben haben, die rechtsgültige Baubewilligung sowie die schriftliche Versicherung, der Park bleibe erhalten, sorgfältig am Bauplatz straßenseitig am Zaun angeschlagen. Der Bauherr der neuen Villa versteht den Unmut von Anrainern und Denkmalschützern absolut nicht: „Seit wann ist ein Privathaus städtebaulich relevant? Ich habe ein Grundstück für sehr viel Geld gekauft, habe einen zweijährigen Spießrutenlauf hinter mir und will dort jetzt rechtmäßig mein Haus bauen. Es gibt keinerlei Unregelmäßigkeiten, es wurden nur dort Bäume gefällt, wo die Baugrube hinkommt, und alles wurde mit der MA 42 abgestimmt.“

Tatsächlich ist Städtebau keine Privatsache. Er wird von Fachleuten diktiert, von Beamten exekutiert. Oft ziemlich willkürlich. Sabine Gretner, Stadtplanungsreferentin der Wiener Grünen, ist von der lockeren Vorgangsweise kaum überrascht. Sie meint: „Es werden in Wien ständig Flächenwidmungen gemacht, die sich in keiner Weise an übergeordnete Planungsziele halten. Die ausgearbeiteten Konzepte müssten dringend auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Das war hier allerdings ohnehin bereits der Fall, denn der Park der Villa, sowie die gesamte Umgebung, sind im geltenden Flächenwidmungsplan unmissverständlich als Schutzzone ausgewiesen.“

Tatsächlich ist in der vom Gemeinderat am 30.9.1998 per Beschluss genehmigten Stadtkarte, dem offiziellen Plandokument Nr. 7119, das Areal rosa unterlegt eindeutig als Schutzzone definiert. Laut §7 (1) der Wiener Bauordnung, die eigentlich Gesetz ist oder offenbar nur sein sollte, bedeutet das folgendes: In den Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen können die wegen ihres örtlichen Stadtbildes in ihrem äußeren Erscheinungsbild erhaltungswürdigen Gebiete als in sich geschlossenes Ganzes (Schutzzonen) ausgewiesen werden. Und weiter unter 1(a): Bei der Festsetzung von Schutzzonen sind die prägende Bau- und Raumstruktur und die Bausubstanz sowie auch andere besondere gestaltende und prägende Elemente, wie die natürlichen Gegebenheiten oder Gärten und Gartenanlagen, zu berücksichtigen.

Diese Berücksichtigung erfolgte hier sicher nicht. Der geplante Neubau in „historisch anmutendem Stil“ (so der Text des Anschlags neben der Bautafel) beeinflusst selbstverständlich ein wegen seines „äußeren Erscheinungsbildes erhaltungswürdiges Gebiet“ und ruiniert eine Parkanlage. Das eigentlich Bedenkliche an der Angelegenheit ist, dass sie überhaupt möglich ist. Das Grundstück ist noch dazu doppelt besichert, es befindet sich außer in der besagten Schutzzone auch noch in der Pufferzone rund um das von der Unesco zum Weltkulturdenkmal ernannte Schloss Schönbrunn und die dazugehörige Gartenanlage. Géza Hajós: „Auch die benachbarten Gärten gehören zur Schönbrunner Kultur dazu. Wenn dieses Beispiel Schule macht, wird die Pufferzone sukzessive zerstört. Dieser Fall zeigt sehr klar, wie schwach der Begriff der Gesamtanlage, zu der der Garten dazugehört, im Gesetz verankert ist, denn Villa und Park bilden eine untrennbare Einheit. Das Bundesdenkmalamt hat aber leider keine gesetzliche Möglichkeit, jene Gärten zu schützen, die nicht explizit im Gesetz genannt werden, deshalb sind wertvollste Areale immer wieder akut gefährdet.“

Der Städtebau dokumentiert nicht nur anhand dieses Beispiels, wie matt, lückenhaft und schwammig an sich sinnvolle Bestimmungen formuliert sind, und drückt mit dieser Widmung und schließlich der Baugenehmigung die Bereitschaft aus, das Villenviertel Hietzings zum Bauhoffnungsland erster Klasse zu machen. Das Bundesdenkmalamt muss auf der anderen Seite wieder einmal eine Totalniederlage zur Kenntnis nehmen. Verantwortung übernimmt keiner. Ex-Stadtplanungspolitiker Roland Rainer wohnt in der Nähe des Schratt-Ensembles, er kennt das Areal also beruflich und privat gut. Er sagt: „Es gibt in Wien kaum einen schützenswerteren und wertvolleren Stadtteil als diesen stark durchgrünten historischen Bezirk, und der Park der Villa Schratt kann als eines der Zentren dieses Gebietes betrachtet werden. Ich frage mich, wozu es ein Denkmalschutzgesetz gibt, wenn es in einem dermaßen eklatanten Fall nicht angewendet werden kann. Ich frage mich, warum die zuständige Magistratsabteilung umgewidmet und einen herrlichen Park vernichtet hat. Das öffentliche Interesse ist für Umwidmungen vorrangig, ich frage mich, welches gibt es da? Diese Fragen richten sich alle nicht an den Besitzer, sondern an die offiziellen Stellen. Wenigstens in dermaßen wichtigen historischen Bereichen sollte der billige Fortschrittsglaube nicht Anwendung finden, doch scheinbar gibt es keinen Halt mehr. Man hat mir berichtet, dass außer diesem auch mehrere andere Grundstücke umgewidmet wurden, doch konnte ich das bisher noch nicht nachprüfen.“ MA 21 B-Chef Vokaun widerspricht dem: „Ich wüsste nicht, was dort irgendwo noch gebaut werden sollte.“

Quer über den ehemaligen Prachtgarten der Villa Schratt wuchert übrigens eine nur wenige Jahre jungeThujenhecke. Sie wurde offenbar als Sichtschutz entlang der neuen Grundstücksgrenze gepflanzt. Sie nimmt sich zwischen den alten Baumriesen aus wie ein Kaugummiautomatencollier zwischen den Juwelen der Schatzkammer.

Der Standard, Sa., 2001.07.07

30. Juni 2001Ute Woltron
Der Standard

Erlebnistrunkenes Wandeln

Spektakelcenter oder Andachtshalle: Haben die architektonisch aufregenden Museumsbauten der vergangenen Jahrzehnte die Kunstszene verändert, oder sind sie vielmehr Produkt einer veränderten Kunstszene? Und bleibt zwischen schiefen Wänden und in schrägen Raumschluchten eigentlich noch Platz für die Kunst? Ute Woltron versucht einen Abriss des Diskurses zwischen Künstlern und Architekten.

Spektakelcenter oder Andachtshalle: Haben die architektonisch aufregenden Museumsbauten der vergangenen Jahrzehnte die Kunstszene verändert, oder sind sie vielmehr Produkt einer veränderten Kunstszene? Und bleibt zwischen schiefen Wänden und in schrägen Raumschluchten eigentlich noch Platz für die Kunst? Ute Woltron versucht einen Abriss des Diskurses zwischen Künstlern und Architekten.

Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung", schrieb Walter Benjamin im Jahr 1936: „Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert - das Medium, in dem sie erfolgt - ist nicht nur natürlich, sondern auch geschichtlich bedingt.“ Benjamin bezog sich mit seinem Zitat bekanntlich auf „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, doch lässt es sich ohne weiters heute auf das Medium Ausstellungshaus im Zeitalter des internationalen Museumsbooms umlegen.

Das Museum ist zur Spielwiese und zum Laboratorium für innovatives Architektur-Allerlei geworden. Nicht nur die Häuser, auch die Ausstellungskonzepte erfuhren seit den 60er-Jahren radikale Wandlungen, was natürlich in Zusammenhang steht, und es hat sich auch die „Art und Weise der Sinneswahrnehmung“ der menschlichen Kollektive innerhalb kürzester Zeit stark verändert.

In den vergangenen dreißig Jahren wurden weltweit mehr Museen eröffnet als es bis dato überhaupt gab. Allein unter der Regentschaft des Fran¸cois Mitterand, Europas regstem Bauherren der jüngeren Vergangenheit, sperrten in Frankreich 400 neue oder frisch restaurierte Kunsttempel ihre Portale auf, in den USA entstanden ab 1970 über 600 neue Kunstmuseen. Die Architekturhistorikerin Victoria Newhouse recherchierte für ihre Publikation über Museumsarchitektur im 20. Jahrhundert, Wege zu einem neuen Museum, dass innerhalb eines Jahres allein in Amerika über eine Million Menschen in die diversen Kunsttempel pilgert, in Europa gibt es bevölkerungsanteilig etwa eben so viele Museumsbesucher.

In Österreich, das traditionell ein Land vieler, allgemein allerdings eher rückwärts gewandter Kunst- und Kulturhäuser ist, übergibt man dieser Tage mit dem Museumsquartier in Wien einen der größten Kulturbezirke Europas feierlich der Öffentlichkeit. DER STANDARD hat darüber in der vergangenen Woche intensiv berichtet. An den neuen Gebäuden der Architekten Ortner&Ortner und den dazugehörigen denkmalpflegerischen Eingriffen im Areal der ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen von Manfred Wehdorn entzündeten sich nun verschiedenste Architekturdebatten. Eine davon ist museal-architektonischer Natur und wird nicht immer ganz sauber abgehandelt. Die neuen Museen der Brüder Ortner - das weiße Museum Leopold, das schwarze Museum moderner Kunst, sowie die Kunsthalle im roten Ziegelkleid - so behaupten die MQ-Gegner, seien in ihren starren Raumkonzepten reaktionär, ungeeignet für den heutigen Kunstbegriff sowie dessen Produkte und insgesamt als ein bedauerlicher Schritt in die Vergangenheit zu sehen.

Um diese Feststellungen auf ihren Wahrheitgehalt überprüfen zu können, bedarf es einer ausgedehnten historischen Wanderung durch die baulich aufregenden Museumsmaschinen der Jetztzeit, durch die Pinakotheken und Galerien der Vergangenheit bis hin zu den Kuriositätenkabinetten der Renaissance, die heute als Keimzelle für Museen jeder Art angesehen werden. Diverse Fragen müssen beantwortet werden: Welche Aufgabe hatten Sammlungen, Museen, Ausstellungshallen früher, welche haben sie heute? Welche treibenden Kräfte bestimmen Standort, Bespielung, innere und äußere Gestalt? Welche Rolle spielt in diesem komplizierten Mix aus Bedürfnissen, Anliegen, Aufgaben eigentlich die dazugehörige Architektur? Und inwieweit steht heute noch die Kunst per se im Vordergrund?

Die heftigste Kritik am momentanen Museumsboom, vor allem an den von internationalen Kunstkonzernen wie Guggenheim perfekt vermarkteten architektonischen Sensationen und gelegentlich auch Eskapaden, kommt tatsächlich von Seiten der Künstler, die diese Häuser bespielen, und die sich häufig von den Architekturgewalten überrollt und missverstanden fühlen. Das Kunsthaus Bregenz hat unlängst die kritischen Stimmen zu einer hochinteressanten Doppelpublikation zusammengefasst. Im Band Museumsarchitektur werden teils verwirklichte, teils idealtypische Projekte von KünstlerInnen vorgestellt, im Band Das Museum als Arena sind „institutionskritische“ Texte gebündelt. So beklagte Markus Lüpertz bereits 1985, also noch lange vor den aufsehenerregenden Architekturskulpturen eines Frank O. Gehry, einer Zaha Hadid oder eines Daniel Libeskind, den Drang der Architekten, mit neuen Museumshäusern zugleich auch Kunst bauen zu wollen. Die Architektur, so wetterte der deutsche „Malerfürst“, bediene sich der Brutalität des Kunstwerks, um eine eigene, elitäre, auch unmenschliche, romantische Vorstellung realisieren und verkaufen zu können. „Mit künstlerischem Anspruch vernebeln heutzutage Architekten meistens die Tatsache, ihre Notwendigkeit verloren zu haben“, urteilte Lüpertz und beklagte: „Das klassische Museum ist gebaut, vier Wände, Oberlicht, zwei Türen, eine zum Reingehen, eine zum Rausgehen. Dieses einfache Prinzip musste leider der Architekturkunst weichen.“

Ganz ähnlich argumentieren viele Kollegen wie etwa die kalifornische Malerin Marcia Hafif und die deutsche Künstlerin Katharina Fritsch. Für Walter Pichler, der sich die Häuser, oder besser Räume, für seine Skulpturen selbst zu bauen pflegt, sind Museen „Bezugspunkte in jeder Stadt, so eine Art Heimat“. „Im Prinzip“, meinte er 1988 im Gespräch mit Christian Reder für die Wiener Stadtzeitung Falter, „ist eine Halle notwendig, in der du einfach alles aufführen kannst, mit jeder Möglichkeit der Technologie. Es muss jede Art von Beleuchtung möglich sein, vom Tageslicht bis zu ausgeklügelten Systemen, es muss möglich sein, Wände hinein zu mauern, das Klima muss stimmen, man muss den Boden streichen oder verändern können.“

Die derzeit selbst bei Museumsmuffeln so populären Kunsttempelaufreger, wie etwa das Titanschuppenungetüm Gehrys in Bilbao, erfüllt diese Bedingungen mit seinen komplizierten Innenräumen, die den Betrachter wie begehbare Raumskulpturen umfassen, wohl nicht. Häuser wie diese haben aber andere, ausgezeichnete Talente. Peter Weibel führt den Argumentationskreis für oder wider solche Häuser in seinem hervorragenden Essay Quantum Daemon. Institutionen der Kunstgemeinschaft elegant zu Benjaminschen Thesen zurück. „Jede Architektur, jede Präsentation“, so behauptet er, „diktiert bestimmte Formen des Genießens und Erkennens.“ Weibels Schlussfolgerung lautet: „Bei Räumen für Kunst und bei Kunstausstellungen geht es also um mehr als bloß um eine Architektur-Debatte: Wenn Kunst eine Instanz der Selbstbeobachtung der Gesellschaft ist, dann geht es im Grunde beim Museumsdiskurs um die Funktionsweise und Struktur der Gesellschaft selbst.“

Das war freilich von Anbeginn so. Die Geschichte des Museums setzt mit den privaten Kuriositätenkabinetten betuchter Renaissancefürsten ein, die mit ihren schauerlichen, schönen, absonderlichen Exponaten nichts anderes als zu Stimmungserzeugern zusammengestoppelten Sammlungen waren. Auch die Kunstkammern und Galerien des Adels waren stets Privatvergnügen und nie öffentlich zugänglich, ebenso die Schatzkammern des Klerus. Laut Newhouse sind die meisten großen Kunstmuseen von heute aus Privatsammlungen dieser Art hervorgegangen. Ihre Geburtstunde schlug, als mit der Französischen Revolution im Jahr 1793 auch die königliche Kunstsammlung im Louvre für das Volk geöffnet wurde.

Die längste Zeit wurde Kunst in stillen weihevollen Hallen mit feierlicher Inbrust und im Flüsterton zelebriert. Erst in den 50er Jahren zerschmetterte Frank Lloyd Wright mit seinem spiralförmig in den Stadtraster Manhattans gebohrten Guggenheim-Architekturskulptur aufmüpfig dieses schöne Bild. Die Kunstbewegungen der 60-er Jahre begannen sich Künstler und Künstlergruppen der Bevormundung der Kunstinstitutionen zu verweigern. Für Allan Kaprow war das Museum 1967 „ein verknöchertes Überbleibsel aus einer anderen Epoche“, die Guerilla Art Action Group forderte gleich den „sofortigen Rücktritt aller Rockefellers aus dem Vorstand des Museums of Modern Art“. Renzo Piano und Richard Rogers antworteten in den 70ern in Paris mit ihrem Centre Pompidou auf die neuen Stimmen und Kunstströme, sie zelebrierten mit einer regelrechten Museumsmaschinerie das Weihevolle der Technologie und Maschinerie. Das aufsehenerregende Haus kann als Kristallisationspunkt für ein neues Museumszeitalter angesehen werden, in dem die Unterhaltung eine wichtige Rolle spielt. Bilbao gehört hier genau so dazu wie etwa das aufregende Musée des Confluences, das Coop Himmelb(l)au für Lyon entworfen haben, oder das in Bau befindliche Rosenthal Center for Contemporary Art von Zaha Hadid für Cincinnati. Spektakulär dürfte auch Daniel Libeskinds Imperial War Museum in Manchester ausfallen und sein Galeriezubau an das Londoner Victoria & Albert Museum.

Der Museumsbesuch ist für viele heute zum Zeitvertreib geworden, das Museum zum Konsumgut. Der Abstecher in den Museumsshop und das Erwerben vermeintlich kunstträchtiger Mitbringselobjekte befriedigen die allgemeine Konsumwut und sättigen den Kommerzhunger der Museumsbetreiber. „Zur Logik des Spätkapitalismus, der ein multinationaler, auf elektronischer Produktion aufgebauter Kapitalismus ist, gehört die universale Verwandlung von allem in Ware, auch der Kunstwerke“, schreibt Peter Weibel, und er meint das durchaus kritisch. Doch abseits der Populärkunstmaschinen entstehen nach wie vor klassische, hochinspiriert und teils magisch schön in die Architektursprache von heute übersetzte Kunsthäuser, die die Sache etwas ruhiger angehen. Das Kunsthaus Bregenz von Peter Zumthor ist ein Beispiel dafür, das Kunstmuseum Liechtenstein von den Architekten Morger, Degelo, Kerez, oder das O-Museum von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa in Japan. Auch Mischformen wie Steven Holls Museum of Contemporary Art in Helsinki kommen vor.

Das Museum gibt es heute also nicht mehr, man könnte, wie Rem Koolhaas von den „vielen Wahrheiten der Architektur“, von den vielen Wahrheiten der Museen sprechen. Jedes hat seine eigene, charakteristische Aura, seine Originalität, die, laut Benjamin, sowohl subjektiv als auch objektiv vorhanden ist. Das stille besinnliche vor sich Hinschlurfen hat die selbe Berechtigung wie das „erlebnistrunkene Wandern von Schauraum zu Schauraum“ (Weibel). Museen für dieses wie jenes dürften zur Genüge vorhanden sein.

Der Standard, Sa., 2001.06.30

28. Juni 2001Ute Woltron
Der Standard

Detonation als Chance

Dynamit und Architektur im AZW

Dynamit und Architektur im AZW

Wien - Das Architektur Zentrum Wien widmet seine nächste Ausstellung einem herrlich destruktiven, nachgerade dekonstruktivistischen Thema, nämlich dem brachialen Entfernen großer Gebäude unter prächtigem Getöse: Detonation Deutschland nennt sich die Schau, die bereits seit ein paar Jahren durch Europa tourt, jetzt in Wien Halt macht und in Form einer Collage aus Video- und Filmausschnitten - zum Glück samt Ton - demonstriert, wie es ausschaut, wenn Architektur mittels Dynamit und anderen zündenden Stoffen blitzschnell dem Erdboden gleichgemacht wird.


1000 deutsche Minutentode

Ganze Häuserblocks sacken hier majestätisch unter Gepuffe zu Schutthaufen zusammen. „Minutentod“ nennen die zuständigen Ausstellungsmacher Julian Rosefeldt und Piero Steinle diesen Akt des letzten staubigen Seufzers. Die beiden haben die seit 1945 in Deutschland vernichteten Bauwerke genau recherchiert, quasi in ein System gebracht und sehen die Detonationen „als Teil eines historischen Prozesses. Sie stehen als Metaphern für Vergänglichkeit von Systemen, Ideologien, Machtstrukturen und ihren Statussymbolen.“

Etwa tausend Sprengungen wurden unter die Lupe genommen, zu sehen ist etwa die seinerzeitige Vernichtung eines riesigen Hakenkreuzes auf dem Nürnberger Reichstagsgebäude, die Beseitigung von Kriegsruinen, aber auch ganzer Stadtteile Ostdeutschlands, die den DDR-Plattenbauten Platz zu machen hatten, die ihrerseits nach dem Fall der Berliner Mauer mit Sprengstoff und Abrissbirne bearbeitet wurden. Die Präsentation dieser Architektursterbehilfe erfolgt im abgedunkelten Raum über sieben Projektionsflächen und eine geschickte Verspiegelung, die eine Art Bildröhre suggeriert.

Der Standard, Do., 2001.06.28

28. Juni 2001Ute Woltron
Der Standard

Baustelle betreten erlaubt!

Das Wiener Museumsquartier der Architekten Ortner & Ortner und Manfred Wehdorn ist noch nicht fertig gestellt, wird aber sicherheitshalber eröffnet. Bereits jetzt steht fest: Bevor das alte Gemäuer mit dem Neuen die Ehe vollziehen konnte, sind beide aneinander verstorben.

Das Wiener Museumsquartier der Architekten Ortner & Ortner und Manfred Wehdorn ist noch nicht fertig gestellt, wird aber sicherheitshalber eröffnet. Bereits jetzt steht fest: Bevor das alte Gemäuer mit dem Neuen die Ehe vollziehen konnte, sind beide aneinander verstorben.

Wien - Es war nicht die Thuje, es war die Eibe. Es war die Eibe, für die man sich entschied, um den Vorplatz des neuen Wiener Museumsquartiers zu gestalten. Frisch gesetzte Heckchen in größeren und kleineren U-Formen sticken ein imperial-grafisches Muster in das Areal vor dem frisch gefärbelten ehemaligen Messepalast, der heute noch so tut wie vor 100 Jahren, als hinter dem stattlichen Riegel kaiserliche Rosse wieherten.

Pferde und Kaiser sind von uns gegangen, bleiben musste die alte Architektur, kommen durfte nur zaghaft und versteckt Neues. Die Eibenhecken verraten Flaneuren, Hunden und Vorbeiradelnden nicht, dass hinter der gelben Fassade einer der größten Kulturbezirke Europas liegt. Warum sollten sie auch? Alt und neu ringen dort im Verborgenen miteinander wie die Capulets und Montagues, und vor allem in den Zwischenzonen fließt schmerzlich Blut.


Versteckspiel

Die gesamte Anlage zelebriert ein kompromisslerisches Versteckspiel auf allen Ebenen, die Architektur zu bieten hat: Die neuen Museumsblöcke in Weiß und Schwarz verstecken sich vor den Augen der Stadt hinter historischer Bausubstanz. Die neue Kunsthalle in Ziegelrot verbirgt sich hinter der ehemaligen Winterreithalle. Die reichen, schwülstigen Stukkaturen derselben verschwinden - frisch und aufwendig restauriert und fürderhin nur von Spinnen und Mäusen zu besichtigen - hinter den neu eingebauten Wänden der Veranstaltungshalle sowie hinter Vorhängen rattengrauer Raffung, wie man sie vielleicht einst in den Vorstadtkinos zu schätzen wusste.

Verwirrend und ein Vexierspiel auch die Wegeführung durch den Komplex: Die Besucher gehen in Zwischengängen, Treppenhäusern, Foyers und Vor-Foyers verloren, stets auf der Suche nach dem Ein- oder Ausgang der diversen Institutionen. Die dunkel verspiegelten neuen alten Fenster der Reithalle glotzen als blinde Attrappen in den Hof, der pompös treppenbeflankte historische Eingang führt schon lange nirgendwohin, die Steintapetentüren darunter ins Unbekannte.

Der jahrzehntelange und in ermüdende Medien- und Besserwissergemetzel ausgeartete Versuch, hier Altes mit Neuem zu einem überregional einflussreichen Kulturbezirk zu verheiraten, ist in einer erstaunlichen, zuweilen hilflosen, gelegentlich fast ordinären Material- und Detailflut grandios abgesoffen. So gibt es etwa eine unverständliche Vielfalt verschiedenartigster Geländer - hier verglast, dort in lackiertem, geschwungenem Metallgeflecht ausgeführt, dann wieder mächtig hirschgeweihartig verröhrt.

Allein die diversen Inschriften auf der Fassade der Winterreithalle malen deutlich an die Wand, wie viele Kräfte hier sinnlos walteten: In der Mitte verkündet Schwarz auf Rosa der Schriftzug des Franz Joseph die Botschaft untergegangener, jetzt scheinbar entstaubter Zeit. Gleich rechts davon beeilt sich in Neonorange und flott elektroverkabelt die Kunsthalle auf ihre Existenz hinzuweisen, und wieder daneben prangt in Weiß eine Lichtanzeige für die dort befindliche Nebenhalle.


Trügerische Hoffnung

Im Jänner dieses Jahres war noch Hoffnung gewesen. Damals übergab man die neuen Einbauten der Architekten Ortner & Ortner ihren Betreibern, und Zement- und Kiesstaub deckten noch gnädig jene Zwischenzonen zu, die nun das Gesamtprojekt architektonisch völlig zur Strecke gebracht haben. Die einzelnen Blöcke des Museums Leopold und des Museums moderner Kunst - man mag zu den althergebrachten und im Vergleich zu den meisten zeitgenössischen Museumsbauten sehr konservativ ausgefallenen Raumkonzepten stehen, wie man will - lagen durchaus proper in der Quartierlandschaft. Das Neue war mit dem Alten noch nicht wirklich verbunden, der gestalterische Pas de deux der Architekten Ortner und Manfred Wehdorn setzte erst später so richtig ein.

Die nun präsentierte Architekturinszenierung ist misslungen, sie nimmt sich ähnlich absurd aus wie der Tanz der kleinen Schwäne, patschert vorgetragen von Otto Schenk und Helmut Lohner.

Die neuen Stahl-Glas-Portale etwa in den alten Trakten schreien das dem Betrachter förmlich entgegen: Horizontal verläuft unverständlicherweise ein wellig-konturierter, historisierender Sturz - wahrscheinlich ein Versuch, die Architektursprache der Vergangenheit ins Zeitgenössische zu übersetzen. Unmittelbar darunter befinden sich gerade Türen im Portalensemble. Hinter diesen Formalmassakern lagen einmal alte, durchaus charmante Stiegenhäuser. Sie mussten terrazzoversiegelten Treppenanlagen weichen, die nun den Charme des sozialen Wohnbaus der Sechzigerjahre atmen.

Während das Neue also unbeholfen mit dem Alten zu kommunizieren versucht, ist auch die gemütlich patinierte Aura der historischen Gemäuer nach der Restaurierung einer seltsamen, unwirklichen Stummheit gewichen. Zu diesem Nichts-mehr-sagen-können-oder-Wollen passt letztlich auch die erdrückende Gestaltung des großen Platzes.

Dort befinden sich 14 fein säuberlich in Linie aufgestellte, aus Stein gehauene und sorgfältig polierte Sitzblöcke. Die Trümmer liegen stumm und ergeben da wie große Sarkophage, unter jedem könnte man einen Architekten, einen Bürgermeister, einen Zeitungsbaron mitsamt seinem persönlichen, idealen Museumsquartier argwöhnen. Die Szene hat etwas Schauerliches und wird verstärkt durch das Gerücht, der Sammler Rudolf Leopold habe schon für die Ewigkeit vorgebaut und ein marmornes Nischerl in seinem Museumsblock für seine Urne reservieren lassen.

Auch die schnurgerade Reihe der hölzernen Sitzbänke gegenüber hat etwas Friedhofsartiges, Stimmung kommt hier keine auf. Der Platz wirkt wie tot, und dass hier die schlampigsten Steinarbeiten zu besichtigen sind, die in den vergangenen Jahrzehnten in Europa verbrochen wurden, verstärkt die Aura der Freudlosigkeit, die über dem gesamten Areal liegt.

Die Errichtung des MQ war ein gut dokumentiertes, oft durchgespieltes Drama in vielen Akten. Eröffnet werden nun leere Häuser, in die das Leben wahrscheinlich langsam über die vielen Wege der Kunst einkehren wird. Doch die Liebe zur Architektur, die wirklich gute Gebäude erst leben und atmen lässt, hatte hier nie eine Chance. Sie ruhe sanft hinter Eibenhecken, in wienerischer Selbstbeweihräucherung.

Der Standard, Do., 2001.06.28



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MuseumsQuartier Wien - MQ

28. Juni 2001Ute Woltron
Der Standard

Architekturzentrum

Zu Beginn, im Jahr 1993, war alles noch ziemlich improvisiert, doch sehr rasch etablierte sich das Architektur Zentrum Wien (AZW) samt seinem Chef und Vordenker Dietmar Steiner zur quirligsten Architekturinstitution der Bundeshauptstadt.

Zu Beginn, im Jahr 1993, war alles noch ziemlich improvisiert, doch sehr rasch etablierte sich das Architektur Zentrum Wien (AZW) samt seinem Chef und Vordenker Dietmar Steiner zur quirligsten Architekturinstitution der Bundeshauptstadt.

Zu Beginn, im Jahr 1993, war alles noch ziemlich improvisiert, doch sehr rasch etablierte sich das Architektur Zentrum Wien (AZW) samt seinem Chef und Vordenker Dietmar Steiner zur quirligsten Architekturinstitution der Bundeshauptstadt. Architektonisches Geschick verwandelte mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln die alten Hallen im Messepalast zu einem tadellosen Treffpunkt der Szene, organisatorischer Weitblick und Steiners weltweite Architekturkontakte holten interessante Ausstellungen, vor allem aber internationale Gäste nach Wien. Rem Koolhaas trug hier sein Architekturcredo genauso vor wie die französischen Newcomer Anne Lacaton und Philippe Vassal. Letztere zeichnen auch für die Gestaltung des neuen Zentrums-Cafés verantwortlich.

Steiners Absicht war immer, internationale Trends nach Wien zu holen, nicht aber, als deklarierte PR-Agentur für die heimischen Baukünstler zu wirken. Dennoch strahlt das Zentrum auch ins Ausland: Zum Beispiel wanderte die Ausstellung über die Nachwuchsriege der Architektur mit dem Titel emerging architects nach Kopenhagen und Frankfurt, ab dem Herbst wird sie in Budapest zu sehen sein.

Das neue AZW wird sich über 2000 Quadratmeter erstrecken. Während die Bibliothek im Oktogon, die neue Halle und das Archiv noch fertiggestellt werden, hat die alte Halle mit der Ausstellung Detonation Deutschland bereits eröffnet. Die Inbetriebnahme der Cafeteria erfolgt am 12. September, die endgültige Eröffnung findet am 10. Oktober mit der Ausstellung Sturm der Ruhe. What is architecture? statt.

Der Standard, Do., 2001.06.28



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MuseumsQuartier Wien - MQ

21. Juni 2001Ute Woltron
Der Standard

Mit Schlamm werfen oder Architektur feiern

Die Eröffnung des Österreichischen Kulturinstituts in New York war für Oktober geplant.

Die Eröffnung des Österreichischen Kulturinstituts in New York war für Oktober geplant.

Die Eröffnung des Österreichischen Kulturinstituts in New York war für Oktober geplant. Aufgrund von Verzögerungen im Baufortschritt wird sie erst im kommenden Frühjahr erfolgen. Dem STANDARD gegenüber gab Architekt Raimund Abraham Ende September als vorläufig angepeiltes Fertigstellungsdatum an. - „Das ist allerdings nur eine Annahme. Den Baufortschritt können Bauherr, die BIG, und Architekt nur sehr schwer beeinflussen.“

Abraham gibt als Grund für die Verzögerung und die dadurch entstehende Verteuerung Probleme mit der Baufirma und deren Subunternehmern an, die teils „inkompetent“ und nicht mit der nötigen Sorgfalt zu Werke gegangen seien. Das Betonunternehmen habe sich nach den ersten drei Geschoßen als „unfähig“ erwiesen, es musste gewechselt werden. Die aus gewerkschaftlichen Gründen engagierte New Yorker Fassadenfirma, die die aus Österreich von der Firma Gig angelieferten Elemente für das komplizierte vorgehängte Gesicht des Hauses montiert, habe „die Komplexität der Fassade völlig unterschätzt“.

Abrahams Architekturskulptur, die von internationalen Architekturkritikern als die erste „wirkliche Architektur in New York seit dem Guggenheim“ gefeiert wird, lebt von der Sorgfalt der Ausführung, und für eine solche sind heutige amerikanische Bauunternehmen nicht eben berühmt: „Es ist eine Präzision verlangt, die in Amerika unbekannt ist. Hier wurden 60 Jahre lang gerade, hohe Häuser schnell und ökonomisch gebaut. Wegen der amerikanischen Gesetzeslage kann ich persönlich mit keinem Subunternehmer kommunizieren, das darf nur der Generalunternehmer. Wenn ich also auf die Baustelle komme und einen Fehler sehe, der gerade im Entstehen ist, kann ich nicht direkt einschreiten, sondern muss den Bauherren bitten, Korrekturen zu verlangen.“

Das Haus ist nun fast fertig gestellt, ist es dennoch zur Zufriedenheit gelungen? „Ja, ich würde schon sagen. Es gibt viele geringfügige Abweichungen, die korrigiert werden müssen.“ Die Korrekturen, so Abraham, seien allerdings nicht für die kolportierte Verteuerung des Gebäudes um zirka 50 Millionen Schilling verantwortlich, der eigentliche Kostenfaktor seien die Verzögerungen und Forderungen etwa von der geschassten Betonfirma. - „Dadurch verliert jeder Geld, alle versuchen, es wieder hereinzubekommen. Es gibt nun Forderungen, die teils gerechtfertigt sind, in vielen Fällen aber nicht. Eine Kommission wird in den kommenden Monaten darüber entscheiden. Die letztgültigen Baukosten werden erst dann feststehen, wenn diese Forderungen, deren Höhe ich nicht kenne, bestätigt werden oder nicht.“

Die kolportierte Verteuerung von 24 auf 27 Millionen Dollar will Abraham keinesfalls bestätigen: Diese Zahlen seien fiktiv. Auch den Vorwurf, er habe unpräzise Pläne vorgelegt und sei deshalb zur Verantwortung zu ziehen, weist er zurück: „Die Betonfirma versucht natürlich Ausreden zu finden, doch mit den- selben Plänen, mit denen sie schludrig gearbeitet hat, wurden von einem anderen Unternehmen später 18 Stockwerke perfekt fertig gestellt.“

Wann auch immer die politische Eröffnung des Hauses vor der kulturellen nun stattfinden soll, Abraham will ihr fernbleiben, wenn nicht der Bundespräsident höchstpersönlich anstelle eines Regierungsmitglieds das Seidenband durchschneidet. „Meine Position hat sich nicht geändert. Dieselbe Koalition ist am Werk. Ich bin Architekt und immer noch Idealist. Die Medien waren entscheidend mitverantwortlich dafür, dass dieses Gebäude in der kritischen politischen Situation überhaupt gebaut wurde. Dass jetzt knapp vor der Fertigstellung eine Schlammschlacht stattfindet, erstaunt mich. Man sollte die Fertigstellung des Hauses feiern und nicht völlig übliche technische Umstände sowie Preisspekulationen dazu verwenden, um das Ereignis der Architektur infrage zu stellen.“

Der Standard, Do., 2001.06.21



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Österreichisches Kulturinstitut

15. Juni 2001Ute Woltron
Der Standard

Schmuckkästchen in der Glitzerparade

Der neue Cartier-Shop bildet ein elegantes Entree für den Wiener Kohlmarkt

Der neue Cartier-Shop bildet ein elegantes Entree für den Wiener Kohlmarkt

Der Wiener Kohlmarkt war immer schon eine piekfeine Adresse, doch in den vergangenen Jahren hat sich die noble Gasse in der Innenstadt mit den neuen Shops von Gucci, Chanel und seit kurzem auch Louis Vuitton zielstrebig zur mit Abstand attraktivsten Nobelgeschäftszeile Wiens gemausert, neben der sich die ehemals flotte, qualitätsgeschäftsmäßig mittlerweile leider ziemlich abgebaute Kärntnerstraße wie ein Flohmarkt ausnimmt.

Was dem Kohlmarkt bisher fehlte, war das entsprechend würdige Entree, das den vom Graben kommenden einbiegenden Flaneur empfängt. Doch auch das ist nun gelungen: Der neue Cartier-Shop, direkt an der prominenten Ecke gelegen, hat die historische, denkmalgeschützte Fassade aus dem Jahr 1897 wieder enthüllt und reiht sich als ein neuer Edelstein in diese elegant herausgeputzte kleine Glitzerparade ein. Das mit 180 Quadratmetern viermal so große Geschäft wird die kleine traditionelle Cartier-Schmuckschachtel, die zwei Häuser weiter liegt, ersetzen, und auch sein Outfit kommt großzügiger, jugendlicher, frischer daher als der etwas schwülstige gold-rot-grünmarmorne Vorgänger.

Der französische Nobeljuwelier und Uhrmacher Cartier baut sein Image überhaupt ein wenig um, auch die neue Schmuckkollektion, die im Herbst auf den Markt kommt, wird spritziger und jünger sein, als man das von den betont vornehmen Goldkünstlern gewohnt ist. Zu diesem neuen Imagekurs gehört selbstverständlich auch ein entsprechendes Shopkonzept, das alle Stückchen spielen muss. Vor zwei Jahren hat Cartier denn auch damit begonnen, seine rund 200 Shops weltweit mit demselben exquisiten, zugleich aber unprotzigen Architekturgewand einzukleiden.

Den Schnitt dazu erfand der Architekt Jean-Michel Wilmotte, die Ausführung übernahm der Kollege Christophe Carpente, die neuen Möbel entwarf Pierre Deltombe. Prägend sind vor allem die Stoffe, mit denen die Architekten arbeiten. Der auffälligste und schönste davon ist ein norwegischer Stein, der in den Innenräumen zur Anwendung kommt. Er heißt Pillarguri und schimmert wie Perlmutt, das aber schwarz, was ganz prachtvoll aussieht. Würdige Rahmen geben ihm sandgestrahlte, also ziemlich stark riffelige und anschließend weiß getünchte Eichenpaneele, die Außenfassade wird mit grauem Schiefer eingefasst.

Alle Geschäfte haben, wie gesagt, sehr ähnliche Schnitte, die gleichen Stoffe, und doch sind Konfektionsgrößen und persönlicher Pepp ganz unterschiedlich. Jean-Michel Wilmotte beschreibt sein Konzept folgendermaßen: „Durch besondere Betonung von Ebenholz oder gekalktem Holz oder Stein kann man Varianten von bestimmten Grundnoten erzielen. In manchen Boutiquen wird es mehr Schmuck geben - da werden wir mehr Akzente mit Pillarguri, Kristall, gekalktem Holz setzen.“ Und zu den ausgewählten Materialien meint er: „Pillarguri ist das Symbol der Juwelierkunst. Ebenholz der Wunsch, dass das Holz in den Hintergrund tritt, indem man die Eleganz seiner grauen Venen herausarbeitet, als Anspielung auf den Schiefer, der die silbrigen Fäden als Übergänge einsetzt.“

Eine üppige Beschreibung - doch das Wiener Geschäft bietet einen angenehm zurückgenommenen, eleganten, fast möchte man sagen einfachen Anblick. In die graue Steinfassade sind schlanke, hohe Glasschreine eingelassen, in denen die Schmuckstücke lagern und durch die der Passant flüchtige, unpräzise Einblicke in das Geschäftsinnere erhaschen kann. Drinnen herrscht Ruhe, Klarheit. Die Vitrinen-Schautische aus Palisanderholz stehen auf dunkelrotlila Teppichflausch, eine Treppe führt in die noch exquisitere, privatere Zone im Untergeschoß, wo - erstmals in Wien - auch die Haute-Joaillerie von Cartier, also Einzelstücke oder Schmuck, der nur in ganz geringen Stückzahlen auf den Markt kommt, zu haben sein wird.

Das neue Cartier-Shopkonzept kam bisher bereits etwa in Tokio, Paris, Kuala Lumpur, Osaka und Singapur zur Anwendung. In den kommenden fünf Jahren soll die gesamte Flotte umgebaut sein. Doch was passiert mit dem traditionellen Cartier-Rot, das sich jedem einprägt, der das Glück hat, ein Stück aus dem guten Hause zu besitzen, weil das stets in diesen knallroten Schmuckkästchen von Verpackung steckt? Keine Sorge, meint Christophe Carpante: „Das Rot bleibt mit der Verpackung erhalten und wird auch im Geschäft und in der Präsentation der Stücke wie ein Eyecatcher wirken.“

Der Standard, Fr., 2001.06.15

26. Mai 2001Ute Woltron
Der Standard

Große klare Linie, keine Verschleierung

Planungsstadtrat Rudolf Schicker und Baudirektor Arnold Klotz zur architektonisch-städtebaulichen Zukunft Wiens

Planungsstadtrat Rudolf Schicker und Baudirektor Arnold Klotz zur architektonisch-städtebaulichen Zukunft Wiens

Arnold Klotz (rechts): „Wenn Schicker Bürgermeister gewesen wäre und ich sein Berater, hätten wir die Hundert- wasser Spittelau sicher nicht gemacht.“

Standard: Sie sind seit knapp drei Wochen als Wiener Planungsstadtrat im Amt. Welche architektonischen und städtebaulichen Maßnahmen stehen dringend an?

Schicker: Wir haben einige größere Flächenwidmungen vorzubereiten, wo wir wenig Spielraum haben. Da gehört der Bereich der Messe dazu, hier ist der Zeitdruck sehr groß.

STANDARD: Was passiert dort gerade?

Schicker: Die Verträge mit dem Messebetreiber Reed zielen darauf ab, dass wir 2004 schlüsselfertig übergeben. Wenn man die Vorlaufzeiten von Ausschreibung und Flächenwidmung bedenkt, dann ist die Zeit beinahe abgelaufen. Spätestens im August müssen wir mit einem Widmungsentwurf hinaus. Bis dahin müssen die großen Linien klar sein, Verkehrserschließung, Parkflächen und dergleichen.

STANDARD: Wie weit ist Messeplanung, die direkt ohne Wettbewerb vergeben wurde, tatsächlich gediehen?

Schicker: Die sind mittendrinnen.

Klotz: Die Hallen wurden unter der Führung von Gustav Peichl geplant. Jetzt geht es um Parkgaragen und Stellplätze.

STANDARD: Die Hallen sind durchaus simpel ausgefallen, wofür hat man Gustav Peichls Rat eigentlich benötigt?

Klotz: Für die Gestaltung und die Organisation kann man schon einen guten Architekten brauchen, das war eine Auflage.

Schicker: So etwas kann eine Lagerhalle werden oder eine interessante Ausstellungshalle.

STANDARD: Ihr Vorgänger Bernhard Görg hat angekündigt, noch nicht vergebene Messeteile mittels Wettbewerbs verwerten zu wollen. Wie werden Sie das halten??

Schicker: Es ist der reine Messebereich, der mit Fritsch, Chiari und Peichl abgewickelt wird. Die restlichen Flächen werden einzelnen Wettbewerbsverfahren unterzogen.

Klotz: Alles was neu vergeben wird, soll über Wettbewerbe laufen. Da gibt es eine Menge neuer Nutzungen. Die Redimensionierung der Messe führt zum Thema Freizeit und Kultur in der südlichen, nun frei werdenden Zone des Geländes. Auch da muss man über Wettbewerbe zu Lösungen kommen, es gibt derzeit Vorschläge, Anfragen, aber nichts Konkretes.

STANDARD: Bleiben wir in dieser Gegend: Was wird sich auf dem Nordbahnhofgelände tun?

Schicker: Hier wird die Widmung für den nächsten, dahinter liegenden Abschnitt vorbereitet, mit Parkanlage, Wohnen, Schulen.

STANDARD: Maßgeblich bestimmt hier die Bundesbahn. Ab Juli stellt ein neuer ÖBB-General die Weichen: Orten Sie bereits Richtungsänderungen in Sachen Immobilien und Architektur?

Schicker: Das kann man noch nicht sagen.

Klotz: Angedacht war hier jedenfalls auch die neue Zentrale der ÖBB. Ob sich daran etwas ändern wird, dürfte man sehen.

STANDARD: Stichwort Bundesbahnen: Was tut sich eigentlich tatsächlich im Bereich Westbahnhof? Hier gab es wiederholt Studien, unter anderem von Holzbauer und Peichl, doch was wird konkret passieren?

Schicker: Die Bahnhofsoffensive ist wieder zurückgefahren worden. Übrig geblieben ist für Wien der Bahnhof Wien-Mitte, alles andere ist in die zweite Phase gerutscht. Zurzeit liegt die Realisierungschance irgendwann in der ferneren Zukunft.

STANDARD: Gar nicht absehbar?

Schicker: Unendlich. Die bestehenden Projekte sind teilweise mit der Stadt abgesprochen, etwa der Turm an der Ecke Felberstraße und die größere Bebauung vor dem bestehenden Areal.

Klotz: Teilweise gab es überdimensionierte Ansprüche seitens der ÖBB. Wir haben zu Draxler gesagt, er soll sich auf eine erste Stufe und nicht auf Utopien einlassen. Für die wären umfassende Infrastrukturmaßnahmen notwenig, doch wer zahlt die? Die Deutsche Bahn etwa zahlt ihre Infrastruktur, die sie für Nutzung und Entwicklung eines Standortes braucht, zur Gänze selbst.

STANDARD: Sie ist allerdings auch ziemlich defizitär unterwegs.

Schicker: Vielleicht deshalb, aber wie auch immer. Man könnte nun versuchen, mittels eines Wettbewerbs weiterzukommen. Doch dafür gibt es kein Geld. Diese Planungsoffensive müsste eigenfinanziert über die Verwertung der ÖBB-Grundstücke laufen. Dagegen ist nichts zu sagen, solange nicht der Knoten Wien infrage gestellt wird. Das ist das große Problem. Die ÖBB versuchen, den Westbahnhof mit dem Anschluss an das deutsche Netz massiv zu pushen und die Verbindung nach Mittel- und Osteuropa nur noch niederrangig zu führen. Da gibt es betriebsinterne Überlegungen, die absolut nicht im Interesse der Stadt sind. Wenn ich den ICE nur bis nach Wien ziehe, und dahinter fahre ich mit der schlechtesten Garnitur bis nach Budapest um 30 Minuten länger als bisher, dann ist das fast ein feindlicher Akt gegen die EU-Beitrittskandidaten.

Klotz: Unser Vorschlag wäre, zügig den Süd-Südostbahnhof in Angriff zu nehmen. Das ist natürlich eine langfristige Geschichte, ein Zehn-, Fünfzehn-Jahre-Programm.

STANDARD: Wir stehen aber eher im Jahr minus eins, der Südbahnhof verslumt vor sich hin.

Schicker: Auch für den normalen Bahnbetrieb ist der Südbahnhof nicht mehr wirklich tauglich, die Signalanlagen sind am Ende, es gibt noch andere Probleme. Er müsste also wirklich in die Hand genommen werden. Die Station Südtirolerplatz müsste komplett umgebaut und damit die Verknüpfung zwischen U- und S-Bahn verbessert werden. Ich denke, dass man mit den Immobilien, die auf dem Areal vorhanden sind, die Finanzierung auch schaffen kann. Die Gefahr ist nur, dass bei der Zerschlagung der ÖBB, die jetzt offenbar geplant ist, die Immobilien herausgenommen und extra verwertet werden. Damit wäre der Zug abgefahren, dann ist ein Bahnhof Wien nicht mehr realisierbar.

STANDARD: Wie weit ist man am Betriebsbahnhof Erdberg?

Schicker: Die Überplattung wird gerade gebaut, für die Hochbaumaßnahmen braucht es noch die Widmung. Die Architektur ist durchaus in Ordnung, doch angesichts der Dichte wird es ohne Verbesserung der Verkehrssituation dort nicht gehen, obwohl die U-Bahn genau darunter fährt. Das neue Gebäude von Günter Domenig für Max Mobil ist ebenfalls gewidmet. Neu-Erdberg wird ein ziemliches Architekturmuseum. Da entsteht einiges.

STANDARD: Zurzeit läuft ein Wettbewerb rund um Schönbrunn, dessen Ziel nicht ganz klar scheint. Sucht man im großen Stil nach einer Lösung für die schwer belasteten Fiat-Gründe?

Schicker: Die Fiat-Gründe sind natürlich ein Teil davon. Doch grundsätzlich sucht die Schönbrunn Gesellschaft nach ergänzenden Attraktionen. Die Überlegungen, das Parkareal im Bereich der Maria-Theresien-Kaserne, wo es nicht mehr als Park genutzt wird, zurückzugewinnen, ist eine spannende Idee. Die Stadt könnte mit einer Nutzungsänderung durchaus leben, allerdings nicht in Form einer neuen, kompakten Bebauung. Der frühere Park- und Waldcharakter des Fasangartens sollte zurückgewonnen werden. Wir werden sicher keine Höhenentwicklung zulassen. Der Wettbewerb, den wir rundherum veranstalten, soll Ideen bringen, wie das Umfeld eingebunden werden kann. Das hat natürlich etwas mit den Fiat-Gründen zu tun. Die Hochhaustendenz dort ist aber offensichtlich endgültig weg,

STANDARD: Warum?

Schicker: Wegen des Standorts, wegen der Bürgerproteste, wegen des kulturhistorischen Bestands.

STANDARD: Wie werden Sie künftig die so genannte Public-Private-Partnership handhaben? Darf weiterhin hoch hinausgebaut werden, wo das eigentlich gar nicht vorgesehen war?

Schicker: Die Hintergründe dieses speziellen Fiat-Areals belasten eine generelle Diskussion. Meine Vorstellung ist prinzipiell folgende: Wenn wir ein Areal haben, auf dem ein Investor beabsichtigt, eine Entwicklung zustande zu bringen, dann ist absehbar, dass er das mit Gewinnabsicht tut. Das Gebiet muss allerdings erstens an die infrastukturellen Gegebenheiten angebunden werden, und die Vorhaben müssen zur strukturellen Entwicklung des Gesamtareals passen. Nur: Wer finanziert das? Wenn die Stadt starkes Interesse an einer Entwicklung hat, werden die Anforderung an den Investor nicht besonders hoch sein. An Punkten, wo dieses Interesse aktuell nicht besteht, der Investor aber früher dran sein möchte und stadtstrukturell nichts dagegen spricht, wird er die entsprechenden Infrastrukturkosten mitzutragen haben. Das geht von der Straßenadaptierung und dem, dass man Grundstücke zur Verfügung stellt, bis hin zum Bau von Schulen.

STANDARD: Im Falle des geplanten Uniqua-Gebäudes am Donaukanal hat man den Investor nicht eben zur Kasse gebeten. Warum?

Schicker: Uniqua erstellt den Durchgang zum Donaukanal.

STANDARD: Die Kosten dafür sind im Verhältnis zum Gewinn durch die Widmung ein Lapperl.

Schicker: Ja. Das ist aber auch ein Standort, wo vonseiten der Stadt Interesse besteht, dass sich die Donaukanalzone weiterentwickelt.

STANDARD: Hätte man da nicht mehr verlangen müssen?

Schicker: Sind wir schon am Ende der Fahnenstange?

STANDARD: Sagen Sie es mir.

Schicker: Ich denke, dass man dort mithilfe der Uniqua noch das eine oder andere zustande bringen kann.

STANDARD: Was denn?

Schicker: Man kann noch nichts Konkretes sagen.

Klotz: Es gibt Visionen.

STANDARD: Apropos Visionen: Manche träumen von einem beschwimmbaren Donaukanal. Bestehen Chancen?

Schicker: Nur wenn man ihn abdichtet und mit Hochquellwasser füllt - also nein.

STANDARD: Sie haben angekündigt, die städtischen Einkaufsstraßen aktiv fördern, quasi gegen die Einkaufszentren der Peripherie verteidigen zu wollen. Wie legen Sie das an?

Schicker: Allein die Fahrbahn herzurichten, ein paar Bäume zu pflanzen und Bankerl aufzustellen ist zu wenig, wenn sich die Geschäftsgrößen zwischen nur 100 und 150 Quadratmetern bewegen und nicht rentabel zu führen sind. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man in der Widmung Möglichkeiten schafft, etwa Hofzonen und Obergeschoße als Geschäftsflächen mitzunutzen. Weiters bedarf es eines professionellen Managements, damit die Einkaufsstraßen dieselben Qualitäten anbieten wie Einkaufszentren, etwa die Sicherheit, dass zur selben Zeit alle Geschäfte offen haben. Das Beispiel Landstraßer Hauptstraße etwa ist für mich ein Horror. Ein Geschäft sperrt um zehn Uhr auf, das andere überhaupt nicht mehr, das dritte hat durchgehend offen. Ich glaube, dass man hier mit der Handelskammer eine Einigung erzielen könnte, wenn die Stadt mit Widmungen entgegenkommt.

STANDARD: Kommen wir zum Stichwort Architektur: Die Szene hungert danach, ihre Gesinnung kennen zu lernen. Was mögen Sie denn so an Architektur?

Schicker: Ist das wirklich wichtig?

STANDARD: Sicher, bei Ihren Vorgängern war's das immer.

Schicker: Aus der Konkurrenz und dem Wettbewerb entsteht etwas, bei dem ich mich nicht entscheiden muss, ob es mir gefällt. Prinzipiell bin ich aber eher für Geradlinigkeit, ich mag biedermeierlichen Schnickschnack nicht und lehne auch die Verschleierung der Inhalte eines Gebäudes ab. Mit anderen Worten: Ich anerkenne zwar die touristische Wirksamkeit der von Hundertwasser gestalteten Müllverbrennung Spittelau, trotzdem ist das eine Art der Verschleierung von Inhalten, die mir nicht behagt.

STANDARD: Beraterkreise und Kaminrunden um Planungsstadtrat und Bürgermeister haben Tradition. Werden auch Sie eine solche Runde pflegen?

Schicker: Ja. Ich bin kein Architekt, deshalb brauch' ich die Breite.

STANDARD: Wie werden Sie Ihre Berater auswählen?

Schicker: Demnächst wird es ein paar ungezwungene Termine mit Architekten geben. Eine Gruppe besteht aus arrivierten, die andere aus jungen Architekten.

STANDARD: Wo sind die in der Mitte? Die bleiben in der offiziellen Gunst derzeit scheinbar auf der Strecke?

Schicker: Zu mir hat man gesagt, die Jungen sind alle bis Mitte Fünfzig. Aber Scherz beiseite. Das Mittelalter werden wir eher zu den Arrivierten zählen. Mit den Top-Internationalen wird es wahrscheinlich Einzelgespräche geben.

STANDARD: Welchen Input erwarten Sie sich von diesen Architekturfachleuten?

Schicker: Ich erwarte spannende Überlegungen und Ideen für zukünftige Konzepte, die wir an städtebaulich neuralgischen Punkten verwirklichen können. Ich erwarte mir auch eine Klarheit dort, wo ich persönlich, als Raumplaner und als Sozialdemokrat, Schwierigkeiten mit allzu freizügigen Handhabungen der Bauordnungen habe.

STANDARD: Zum Beispiel wenn's allzu hoch hinausgeht?

Schicker: Das ist nur ein Punkt. Kritisch wird es überall, wo Wohnqualität und Architektur einander nicht treffen, sondern gegeneinander stehen. Ein weiterer Punkt, über den man intensiv reden muss, ist die Gestaltung des öffentlichen Raumes. Bauingenieure haben gewöhnlich wenig Freude, wenn sie auf Architektenlösungen Rücksicht nehmen sollen, und bei Anrainern fühlen sich durch architektonische Gesamtkonzepte oft nicht verstanden. Da müssen wir eine Mischung finden, die der Stadt nicht den Ruf einträgt, sie vertreibe die Architekten, und die andererseits die Realisierungen von Platzneugestaltungen zügig vorantreibt.

STANDARD: Wann gibt es den neuen Stadtentwicklungsplan?

Schicker: Spätestens 2005. Sobald die Erweiterung der EU in Kraft tritt, sollten wir mit einem neuen Step gerüstet sein. Ich glaube nicht, dass Wien seine Gatewaysituation halten kann, wir müssen frühzeitig mit anderen Städten wie Prag und Bratislava in Kooperation treten.

STANDARD: Zurück zu ihrem eigenen Bereich: Derzeit sucht man einen neuen Kopf für die MA19, also eine architektonische Schlüsselposition der Stadt. Wann wird der/die MA19-ChefIn feststehen?

Schicker: Es gibt zum Glück 17 interne und externe Bewerber, eine schöne Mischung aus Frauen und Männern von innen und außen. Bei dieser großen Zahl wird es Hearings und ein sorgfältiges Auswahlverfahren geben. Bis zur Entscheidung wird es also noch ein Zeitl dauern.

STANDARD: Man munkelt, es gäbe drei heiße Favoriten, nämlich Leopold Dungl, Grete Cufer und Erich Raith?

Klotz: Wir werden mit großer Sorgfalt und Engagement eine Neupositionierung finden.

Der Standard, Sa., 2001.05.26

12. Mai 2001Ute Woltron
Der Standard

Qualität durch Selbstaufopferung

Die Grünen wollen das Architekturwettbewerbswesen in Wien gründlich reformieren

Die Grünen wollen das Architekturwettbewerbswesen in Wien gründlich reformieren

„Totalreform der Architekturwettbewerbe der Stadt Wien“: Einen Antrag dafür werden die Grünen am 23. Mai im Gemeinderat einbringen. Anlass sind die „sich häufenden Formalfehler im Zuge der Wettbewerbsverfahren“, wie etwa im verunglückten Wettbewerb Katharinengasse. Christoph Chorherr fordert „Mindeststandards“ für die Wettbewerbsabwicklung, qualifizierte Preisrichter, transparente Juryentscheidungen, eine Verbindlicherklärung der Wettbewerbsordnung, sowie Geld für qualitätssichernde Verfahren.

Dass der Wettbewerb zwar ein probates, doch bei Missbrauch tückisches Mittel zur Findung der besten Architektur sei, hatte der Architekt Hermann Czech schon 1965 in einem Essay festgehalten: „Was nützen die zahlreichen Wettbewerbe, wenn die Ergebnisse sich nicht von bloßen Aufträgen unterscheiden können, weil in den Preisgerichten praktisch nur der Bauherr bestimmend ist?“

Czech war vergangenen Mittwoch neben zwei Dutzend weiteren prominenten Vertretern der Architekturszene im Rathaus von den Grünen zu einem Stadt- expertInnengespräch über das Wiener Wettbewerbswesen geladen, das Thema war auch 36 Jahre später das selbe: Verantwortlich für ein gutes Verfahren, so Hermann Czech, sei letztlich die Jury, doch komme es vor, dass Juroren die Hälfte ihrer Zeit darin verschwenden, herauszufinden, von wem die jeweiligen Projekte stammten.

Prinzipiell habe sich die gesamte Wettbewerbsszene, so Architekt Manfred Nehrer, in den vergangenen Jahren zu einem „Unwesen“ entwickelt: „74 Architekten rittern in einem Wettbewerb ohne Bezahlung um einen 150-Millionen-Schilling-Auftrag, während Milliardenaufträge wie die Wiener Messe frei an Planungsbüros vergeben werden. Architekten sind keine Bittsteller, wir haben nichts zu verschenken, und wenn Wien zu Recht von uns verlangt, dass wir alle Vorschriften einhalten, dann soll die Stadt sie selbst auch einhalten.“

Kammerchef Peter Scheifinger prangerte vor allem die Bauträgerwettbewerbe als „jämmerliches Geschehen, das eigentlich nur noch über die Juristerei“ abhandelbar sei, an. Kollege Martin Treberspurg brachte die Situation der Architekten auf den Punkt: „Wie lange noch können wir Qualität durch Selbstaufopferung aufrechterhalten?“ Das Hauptproblem der Architektur sei das politische Desinteresse an qualifizierten Bauten: „Allein für die Oper wird mehr Geld ausgegeben.“

Während Wettbewerbsverfahren dem einzelnen Architekten enorme Kosten von gelegentlich bis zu einer Viertelmillion Schilling aufbürden, setzen zwei Drittel aller heimischen Architekturbüros mittlerweile unter zwei Millionen jährlich um. Erstmals häufen sich Konkurse, die Branche droht von der raschen Blockbaumentalität des Großinvestorentums erdrückt zu werden. Dabei, so Chorherr, sei „das Bauen in der Stadt ein öffentlicher Akt“, und erfordere größte Sorgfalt bei der Entscheidung „warum was wo wie groß hinkommt“, sowie die bestmögliche aller Architekturen.

Der Standard, Sa., 2001.05.12

05. Mai 2001Ute Woltron
Der Standard

„Das muss alles anders werden“

Das Wettbewerbsverfahren Katharinengasse wird nun zum Fall für den Vergabekontrollsenat

Das Wettbewerbsverfahren Katharinengasse wird nun zum Fall für den Vergabekontrollsenat

Zumindest zwanzig der 74 Teilnehmer am Architekturwettbewerb Katharinengasse werden das Verfahren gemeinsam juristisch anfechten. Das steht nach einer dreistündigen Debatte zwischen Teilnehmern und Juroren fest, die vergangenen Mittwochabend zu einem Gespräch in der Wiener Architektenkammer zusammenfanden.

Rund 50 großteils aufgebrachte Architektinnen und Architekten waren gekommen, um die Jury, vertreten durch ihren Vorsitzenden Architekt Ernst Giselbrecht, Architekt Michael Kohlbauer und Rüdiger Hälbig von der MA19, zu den erhobenen Vorwürfen bezüglich der eklatanten Verfahrensfehler zu befragen, über die das ALBUM wiederholt berichtet hat. Ebenfalls anwesend war Vorprüfer Leopold Dungl. Die Moderation des Gesprächs übernahm ein um Beschwichtigung bemühter Michael Buchleitner, er sitzt der Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vor.

Was eine Klärung des Verfahrens hätte bewirken sollen, vertiefte letztlich den Missmut der Beteiligten, da die Entscheidungsfindung der Jury trotz heftiger Diskussion mehr Fragen offen als beantwortet ließ. Lediglich Rüdiger Hälbig schüttete öffentlich Asche auf sein Haupt und betonte, dass zukünftige Zusammenarbeiten sowohl zwischen Wettbewerbsteilnehmern als auch der Kammer als kontrollierendem Organ fruchtbarer abgewickelt werden sollten. Im Laufe der Jahre, so der MA19-Senatsrat, hätten sich die Nichtarchitekten in den Jurys zulasten der Architekten zu stark vermehrt. Künftig solle zumindest ein Gleichgewicht zwischen Fach- und Sachpreisrichtern herrschen, das sei mit der Stadtbaudirektion bereits abgestimmt, ein Gespräch mit dem neuen Planungsstadtrat Rudolf Schicker solle dieses Vorhaben demnächst finalisieren. Die Hauptvorwürfe mussten sich allerdings die in der Jury vertretenen Architektenkollegen gefallen lassen, die auf eine saubere Abwicklung gemäß der Wettbewerbsordnung hätten achten müssen, jedoch nicht genannte Juroren per Abstimmung zugelassen hatten.

20 der Beteiligten hatten die Aussprache am Mittwoch noch abgewartet, um zu entscheiden, ob der Vergabekontrollsenat eingeschaltet werden solle. Dies ist nun der Fall, die Rechtsanwaltskanzlei Pflaum, Karlberger und Wiener wurde beauftragt, einen Antrag auf Einleitung einer Nachprüfung des Verfahrens einzubringen. Ob auch Antrag auf eine einstweilige Verfügung und Planungsstopp eingebracht werden soll, dürfte in den nächsten Tagen entschieden werden.

Peter Scheifinger, Bundeskammer-Vorsitzender der Architekten, betonte, dass nun vor allem die Politiker aufgerufen wären, die Rahmenbedingungen für transparente, nachvollziehbare und ordnungsgemäß abgewickelte Wettbewerbsverfahren zu schaffen, wie sie etwa neuerdings bei der BIG „hervorragend“ abgeführt würden. Denn: „Wer von uns kann sich zwei, drei derartige Verfahren wirtschaftlich überhaupt noch leisten?“

Michael Buchleitner schloss nach drei hitzigen Stunden die Runde mit der Bitte, es möge „die Wut, die hier zu spüren war, in einen langen Atem umschlagen“. Während der Länderkammerboss einer juristischen Nachbehandlung der Angelegenheit eher reserviert gegenübersteht, sind die meisten Beteiligten der Ansicht, dass dieses Verfahren als Präzedenzfall aufgegriffen werden soll, weil man sich den „schludrigen Umgang“ mit Wettbewerbsteilnehmern sowie -beiträgen nicht länger gefallen lassen wolle.

Das Argument, dass man nach einem Einspruch lediglich einen „Scherbenhaufen“ und verbrannte Erde zurücklasse, zähle in diesem Fall nicht. Außerdem, das hat früher jeder Bauer gewusst, schließt ein heftiges Verbrennen abgestandenen Erdreichs allerlei Mineralien erst auf, und gebranntes Erdreich ist, neben Fäkalien, das älteste Düngemittel der Welt.

Der Standard, Sa., 2001.05.05

28. April 2001Ute Woltron
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Wer war Kurt?

Der Wettbewerb Katharinengasse könnte ein gerichtliches Nachspiel haben und wird zum Präzedenzfall. Derzeit prüfen Kammer und Vergabejuristen das Verfahren.

Der Wettbewerb Katharinengasse könnte ein gerichtliches Nachspiel haben und wird zum Präzedenzfall. Derzeit prüfen Kammer und Vergabejuristen das Verfahren.

Am 12. März wurde der Architekturwettbewerb zum „Neubau einer Volksschule und eines Kindertagesheimes in Wien 10, Katharinengasse“ entschieden. 74 Büros hatten sich daran beteiligt. Das Entscheidungsverfahren war für zwei Tage angesetzt. Schon am späten Nachmittag des ersten Tages standen Sieger und Ankäufe fest. Wie das ALBUM berichtete, wirft nach Meinung der beteiligten Architekten die Art und Weise der Entscheidungsfindung diverse Fragen auf, denen nun nachgegangen wird. Eingeschaltet wurden unter anderem die Architektenkammer sowie Juristen und Vergabeexperten.

In einem Brief an den Auslober, die MA 19, stellen vierzehn der 74 am Verfahren beteiligten Architekturbüros Folgendes fest: "Wir erheben Einspruch gegen die Unvollständigkeit des Juryprotokolls, das ohne Genehmigung (Unterschrift) durch die Preisrichter an die Teilnehmer versandt wurde. Wir erheben Einspruch gegen die ,Aufhebung der Anonymität', da bei der persönlichen Abgabe der Wettbewerbsunterlagen im Büro des Vorprüfers Herrn Architekt DI Dungl die Unterschrift abverlangt wurde. (...)

Wir erheben Einspruch gegen die Abwicklung des Prüfverfahrens, wo in nur einer Wertungsrunde von den 74 eingelangten Projekten - ohne Angabe von Kriterien - 67 Projekte ausgeschieden wurden." Und weiter: „Die Jury hat in nur 150 Minuten 74 Projekte eines komplexen Bauvorhabens vom Vorprüfer erläutert bekommen. Die einfache Division von 150 Minuten durch 74 Projekte ergibt 121,6 Sekunden (d.s. 2 Minuten und 1,6 Sekunden) je Projekt. Eine protokollierte Begründung, warum die einzelnen Projekte ausgeschieden bzw. weitergeführt wurden, liegt den Teilnehmern nicht vor. Wir erheben dagegen massiven Einspruch, da es nach den Erfahrungen aus ähnlich komplexen Wettbewerbsprojekten unmöglich ist, dass unter anderem ein Mitglied der Jury, das erst um 12.30 eintrifft, um 13.00 bereits mitstimmt und über den Ausgang des Verfahrens mitentscheidet. Wir betrachten das als Missachtung der Bestimmungen des Wettbewerbsverfahrens und der Wettbewerbsordnung 1988.“ Und: „Wir behalten uns weitere rechtliche Schritte vor.“

In einem zweiten Schreiben an den Auslober, diesmal gezeichnet von elf beteiligten Architekten, wird ähnlicher Einspruch erhoben, unter anderem gegen die „Aufhebung der Anonymität“, gegen „nicht nachvollziehbare Ausscheidung von Projekten“, ein „ungültiges Juryprotokoll“, das „ohne Unterschrift (Genehmigung) durch die Preisrichter an die Teilnehmer versandt“ wurde und die „Nominierung von zusätzlichen Juroren in der Ausschreibung nicht genannter Personen“.

Auch dem Rechtsexperten der Architektenkammer, Christian Fink, wurde das Verfahren dargelegt. Er stellt fest, dass „bei entsprechender Antragsstellung an den Vergabekontrollsenat Wien der Auslober wohl mit einem Widerruf der Auslobung zu reagieren hätte“, unter anderem weil das Mitstimmen vorher nicht nominierter Personen „geeignet ist, die Unabhängigkeit des Preisgerichts in Zweifel zu ziehen“.

Ob gegen das Verfahren tatsächlich rechtlich vorgegangen wird, dürfte am Mittwoch der kommenden Woche entschieden werden, wenn sich alle Beteiligten - Architekten, Auslober, Juroren, Juristen - in der Kammer an einem Tisch zusammenfinden. Der Wettbewerb Katharinengasse stellt jedenfalls einen Tiefpunkt der Architekturkultur dar, und egal, ob das Verfahren neu aufgerollt wird oder nicht, die Kammer wird, so Länderkammerchef Michael Buchleitner, künftig „Verfahrensfehler verstärkt aufgreifen“, „Absprachen auf das Schärfste verurteilen“, „Ergebnisse künftig aktiv evaluieren“.

Gemeinsam mit der Gemeinde Wien soll im Herbst eine Vergabeenquete stattfinden, desgleichen werden Seminare zur Vorbereitung für das Abhalten von Wettbewerben veranstaltet. Buchleitner: „Es soll eine Art Führerschein geben, den die MA 19 künftig von Juroren auch verlangen wird. Wir nehmen den Fall Katharinengasse zum Anlass und verlangen jetzt von Wien eine konkrete Verbesserung der Wettbewerbssituation. Die arrogante Haltung, 67 Projekte einfach in den Papierkorb zu werfen, kann nicht hingenommen werden.“


Die Persönlichkeit der Jury

Architekt Roland Rainer über Notwendigkeit und Missbrauch des Prinzips Wettbewerb

der Standard: Was halten Sie vom Prinzip Wettbewerb?

Roland Rainer: Der Wettbewerb ist nicht nur in der Architektur, sondern auf fast allen Gebieten das natürliche Ausleseprinzip. Das beginnt mit der Biologie und endet mit der Architektur, was nicht sagen soll, dass es dort das Schlechteste ist - was man allerdings manchmal glauben könnte.

Was führt Sie zu diesem Glauben?

Die Erfahrung, vor allem der letzten Zeit. Architektur ist immer eine Aufgabe, die von sehr vielen verschiedenen Elementen beeinflusst ist. Das sind die künstlerischen, es sind aber auch die wirtschaftlichen und die politischen Aspekte. Wenn alle diese Elemente zusammen zu einem Ergebnis führen sollen, dann kann es eine Menge Probleme und Ungenauigkeiten und auch Missbrauch geben. Trotzdem bleibt der Wettbewerb die notwendige Art der Auslese, gerade auch in der Architektur.

Glauben Sie, dass die Rahmenbedingungen, unter denen Wettbewerbe heute stattfinden, passend sind, oder wären Verbesserungen notwendig?

Ich glaube, dass sie, so wie vieles andere heute, zu bürokratisiert sind. Aber das ist schwer abzuwägen. Meine großen Aufträge, die meine Arbeit als junger Architekt bestimmt haben, habe ich durchwegs aus Wettbewerben erhalten, wie etwa 1953 im Falle der Wiener Stadthalle. Wichtig ist: Es geht bei einem Wettbewerb meist nicht um die Lösung einer normalen Bauaufgabe, sondern um die Erörterung neuer Fragestellungen. Das heißt, je ungewohnter und spezieller eine Aufgabe ist, desto notwendiger ist es, eine große Zahl von Vorschlägen einzuholen. Außerdem macht man glücklicherweise nicht nur bei Großbauten Wettbewerbe. Selbstverständlich kann auch der Gedanke einer Siedlung, eines Kindergartens, einer Schule sehr wohl dieser allgemeinen Mühe wert sein. Ich bin der Meinung, man veranstaltet prinzipiell viel zu wenig Wettbewerbe.

Hatten Sie negative Erfahrungen mit Wettbewerbsverfahren?

Die negativen Erfahrungen gibt es, vor allem, wenn man den Eindruck gewinnt, dass eben nicht der beste Entwurf prämiert wurde. Andererseits - welcher ist aber der beste Entwurf? Und da sind wir an einem irrationalen Punkt angelangt, denn es gibt die verschiedensten Bewertungskriterien, sachliche, technische, künstlerische, und dann gibt auch den kommerziell besten Entwurf. Aber wer entscheidet?

Um den kommerziell besten Entwurf zu finden bedarf es eigentlich keines Wettbewerbs.

Das ist natürlich auch ein Gesichtspunkt. Ist Architektur eine kommerzielle Angelegenheit? Bis zu einem gewissen Grad natürlich. Ich habe nichts gegen wirtschaftlich optimale Lösungen, aber wenn gelegentlich Kritik geübt wird, dann weniger weil man einen Gesichtspunkt wie die Wirtschaftlichkeit ungebührlich in den Vordergrund gestellt hat, sondern weil überhaupt kein anderer Gesichtspunkt da ist, als irgendein persönlicher Vorteil. Das zu entscheiden ist sehr schwer und hängt von den Persönlichkeiten ab, die in der Jury sitzen.

Der Bauherr kann mit der Jurybesetzung den Wettbewerbsausgang bestimmen?

Im höchsten Grade. Mit der Bestimmung der Jury entscheidet er bereits, ob er die sachlich beste Lösung kriegt, oder eine, die irgend welchen persönlichen oder politischen Interessen entspricht. Es gibt kaum etwas, das komplizierter ist, von mehr Einflüssen abhängt und labiler ist, als ein Wettbewerb. Gerade wird eine Wettbewerbsentscheidung sehr kritisiert. Das sollte man sich vorbehalten dürfen. Sicherlich müsste jede Jury dazu bereit sein, in der Öffentlichkeit zu allen Einzelheiten Stellung zu nehmen, alles dazu beizutragen, dass die Ursachen einer Entscheidung geklärt werden.

Der Trend geht derzeit allerdings genau in die Gegenrichtung. Viele Wettbewerbsergebnisse werden derzeit nicht einmal öffentlich präsentiert.

Architektur ist keine Privatsache, sondern eine Angelegenheit, die diese Umwelt, in der wir leben, in hohem Grad bestimmt. Architektur ist eine res publica, und das hören Leute nicht gern, die ihr Geld investieren. Doch ein Wettbewerb ist nicht nur dazu da, dass Geld gut angewendet wird, sondern dazu, eine öffentliche Aufgabe auf das allerbeste zu lösen. Aus öffentlichen Diskussionen zu diesen Fragen könnte sehr viel gewonnen werden, an Information über Architektur, über die Gestalt des Raumes und der Stadt.

Sie selbst sind mit Wettbewerben groß geworden. Derzeit hat man den Eindruck, als ob in Wien immer dieselben Arrivierten zum Bau kämen. Ist das so, weil die Älteren so gut oder die Jüngeren so schlecht sind?

Die Jungen sind meiner Erfahrung nach sogar sehr gut. Welcher Architekt wirklich als gut angesehen wird, ist oft Sache des Vorurteils. Ich erinnere mich an die Zeit, als Clemens Holzmeister noch ein bedeutender und einflussreicher Mann war. Da war er oft in Jurys, und es gab Fälle, wo die Träger des ersten Preises ihn dann am Bau beteiligt haben. Im Falle des Funkhauses zum Beispiel, wo er die Fassade machte. Oder bei der Reichsbrücke, wo er die Lampen entwarf. Irgendwo hat man einem prominenten Architekten da Dinge zugebilligt, die außerhalb der Norm waren. Man kann nicht sagen, dass das korrupt war, denn schließlich haben alle gemeint, sie seien dafür. Doch hier liegt eine Möglichkeit der Beeinflussung, der Ungenauigkeit, der Missverständnisse, die ungeheuer ist. Die augenblicklich dominierenden Persönlichkeiten wie Holzbauer, Peichl und auch Hollein kommen aus der Schule Holzmeisters, und der war ein Symbol für eine bestimmte Art von Architektur, aber auch für eine verhältnismäßig kluge und geschickte Taktik.

Hollein hat hierzulande allerdings nur wenige Wettbewerbe gewonnen.

Er ist weniger der Macher als der sicherlich künstlerisch Potensteste der Gruppe. Aber es ist mir zum Beispiel unbegreiflich, dass Holzbauer, der reine Machtarchitektur macht, einen derartigen Aufschwung erlebt. Ich führe das auf die Regierungsumbildung zurück.

Die politische Machtentwicklung spiegelt sich direkt in der Architektur wider?

Sicher, ist doch ganz klar, Denken Sie an die Wiener Stadtentwicklung in den Zwanzigerjahren: Sehr gut. Die Entwicklung jetzt: weniger gut. Niemals war das deutlicher. Ohne Macht wird's nie gehen. Solange sie demokratisch ist, geht es, aber sie rutscht leicht in die Demokratur ab. In manchen Fällen hat der Zugriff der Macht alles zerstört, das klassische Beispiel dafür ist das Museumsquartier. Wer hat da nicht alles dreingeredet.

Eine intelligente und auch verbindliche Wettbewerbsordnung tut Not?

Man muss darauf achten, dass die Sachen zumindest korrekt und sinnvoll abgewickelt werden. Die Verhältnisse hier sind sicher in einigen Punkten verbesserungsbedürftig. Jurys nehmen die Sache gelegentlich offenkundig nicht sehr ernst. Vor allem der Bauherr, der öffentliche Gelder verwaltet, ist in besonderem Maße verpflichtet, allerhöchste Kriterien anzuwenden.

Würde sich etwas bessern, wenn Wien endlich die Wettbewerbsordnung für Architekten anerkennen würde?

Sicherlich wäre das das Logische, doch wer kann sie zwingen? Letzten Endes kann eine gewisse Kontrolle dadurch entstehen, dass sich Medien intensiv mit diesen Dingen beschäftigen und klar berichten. Es hat ja einen Grund, wenn eine öffentliche Einrichtung wie die Stadt Wien die Öffentlichkeit ausschaltet. Wir haben viel zu wenig offene Diskussion über Architektur. Architektur ist Lebensraum, über den immer wieder geredet werden muss, und zwar sachlich und nicht über Geschmacksfragen.

Der Standard, Sa., 2001.04.28

27. April 2001Ute Woltron
Der Standard

Planet Shopping

Wenn Stararchitekten für Modestars maßschneidern, kommt ein flottes Outfit raus. Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron haben für die neuen Shops und Verkaufshäuser von Prada Maß genommen

Wenn Stararchitekten für Modestars maßschneidern, kommt ein flottes Outfit raus. Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron haben für die neuen Shops und Verkaufshäuser von Prada Maß genommen

Begegnungen mit Rem Koolhaas sind immer spannend und überraschend, weil der Architekt aus Rotterdam das scheinbar Nebensächliche mit konzentriertem Ernst und scharfsinnigen Ideologien in den Mittelpunkt zu rücken pflegt. Was man denn da in der Hand halte, fragt der gewöhnlich sehr Schweigsame beispielsweise zuzeiten aus dem Nichts heraus überrumpelte Plastiksackerlträger. Na, man habe halt nebenbei gerade eine Kleinigkeit eingekauft, so die zaghafte und verlegene Antwort, und Koolhaas hat wieder einmal eine Bestätigung seiner derzeit wichtigsten Theorie erhalten, die da lautet: Die Zukunft heißt einkaufen, einkaufen, einkaufen.

Die neoliberale Demokratie, so predigt der asketische Architekt, bringe keine Bürger, sondern Konsumenten hervor, keine Gemeinschaften, sondern Einkaufszentren. Wie aber schaut im dritten Jahrtausend der ideale Shop für eine Nobelmarke aus, wenn die Einkaufszentrumswut alle und alles erfasst und die früher vereinzelt vorkommenden Geschäfte zu riesenhaften Einkaufsstädten vereint hat? Wie kann sich eine einzelne Marke heutzutage architektonisch profilieren und sich bereits mit seinen raffiniert und markant gemachten Geschäften vom Einheitsbrei deutlich abheben?

Der italienische Mode-Multi Prada hat diese Frage an Rem Koolhaas und seine Schweizer Kollegen Jacques Herzog und Pierre de Meuron delegiert und jetzt ein paar atemberaubende Antworten bekommen. Unter dem von Prada ausgegebenen Motto, Kultur und Konsum elegant zu vereinen, entwickelten die Architekten für Standorte in San Francisco, New York, Tokyo, Los Angeles und Arezzo Prada-Shops, Prada-Gebäude, Prada-Verwaltungszentren mit den verschiedenartigsten Architekturcharakteren. Denn, so die Auftraggeber aus Mailand: Man hege nichts weniger als die Sehnsucht nach einer radikalen Neuerfindung und Neudefinition des Einkaufens schlechthin.

Nicht ein schöner, aber auf der gesamten Welt stereotyper Shop-Stil, der mit den immer gleichen Shop-Elementen, wie ihn etwa Chanel oder Gucci von Paris bis Sydney vornehm pflegen, für Wiedererkennung sorgt, soll fürderhin Pradas Erscheinungsbild markieren. Jeder große Standort möge vielmehr seine eigene, ganz spezielle Atmosphäre entwickeln. Die Architektur beschränkt sich dabei nicht auf das Bereitstellen von Verkaufsflächen und auf die Konzeption spektakulärer Räume, sondern sie wird das Thema Einkaufen selbst ganz neu und aufregend aufrollen. Schließlich wird hier von Stararchitekten für Modeprofis maßgeschneidert.

Suggestive Architektur nennt man das heute, und was damit gemeint ist, wird beispielsweise im Falle des zehngeschossigen Prada-Blocks von Rem Koolhaas in San Francisco deutlich. Der ist mit seiner metallverkleideten und rundlich käseartig durchlöcherten Haut ein städtebauliches Landmark. Weiters werden hier die in den letzten Jahren ausgefeilten Shop-Konzepte optimiert.

Da erstrecken sich exklusive VIP-Bereiche über ganze Geschosse, da locken gemütliche Kaffeehäuser und Bars zum Verweilen, liegen Catwalks im Scheinwerferlicht und intime Kundenzonen zum Kleideranprobieren im Verborgenen.

Konzeptuell ähnlich, in seiner Architektursprache aber ganz anders, wird das extravagante Prada-Haus von Herzog & de Meuron für Tokio funktionieren. Für alle Häuser und Shops entwirft die japanische Architektin Kazuyo Sejima ein Verkaufs-und Präsentationssystem, das die „Prada Beauty Line“ angemessen zur Geltung bringen wird.

Das Einkaufen ist bereits jetzt Hobby und Freizeitbeschäftigung der privilegierten Weltbevölkerung. Mit Prada soll es zum Spektakel werden. Wie Architekten und Unternehmen ihr Ziel, die Marke Prada zu stärken und zugleich die Individualität ihrer Kunden hochzuhalten, verwirklichen werden, wird erst ein Probeshopping in den neuen Planeten dieser „Prada universe“ weisen.

Rem Koolhaas selbst neigt dem Einkaufen übrigens weniger zu. Erstens hat er zu wenig Zeit dazu, und zweitens geht er lieber Dauerlaufen. Wenn es sein muss, sogar in der Stadt - auch wenn man sich da zwischen Plastiksackerlträgern durchschlängeln muss.

Der Standard, Fr., 2001.04.27

14. April 2001Ute Woltron
Der Standard

Wissen, wie die Rose wächst

Jean Prouvé ging an seine Entwürfe erst einmal mit Gespür heran. Dann setzte er sie mit präziser Überlegung fort, und erst wenn er wusste, dass alles gut und richtig war, schritt er zur Tat. Dieser Tage wäre der französische Grandpère der High-Tech-Konstrukteure 100 geworden. Eine Würdigung.

Jean Prouvé ging an seine Entwürfe erst einmal mit Gespür heran. Dann setzte er sie mit präziser Überlegung fort, und erst wenn er wusste, dass alles gut und richtig war, schritt er zur Tat. Dieser Tage wäre der französische Grandpère der High-Tech-Konstrukteure 100 geworden. Eine Würdigung.

Alle Quellen, die über Leben und Werk des französischen Architektur- und Ingenieurerfindergeistes Jean Prouvé berichten, bezeugen, dass die außergewöhnliche Kraft und Originalität des Mannes einen ganz konkreten Ursprung besaß: Die Kindheit des Ausnahmekonstrukteurs war perfekt gewesen.

Sie war nicht nur behütet und glücklich verlaufen, sondern auch von Kreativität, Intellektualität und besonderen Menschen ausgefüllt gewesen. Prouvé selbst pflegte zeitlebens die Tage seiner Kindheit im Gespräch dankbar heraufzubeschwören. Er erinnerte sich daran, dass stets überall Zeichenstifte und Skizzen parat lagen, Tonmodelle geknetet wurden und die väterlichen Anregungen zum genauen Studium der Natur, der Pflanzen und ihrer konstruktiven Gestalt ermutigten. Schau dir an, wie der Dorn aus dem Stamm der Rose wächst, hatte sein Vater etwa im Vorübergehen gemeint, und mit dieser en-passant-Schule des Schauens und Sich-Überlegens, warum was wie aussieht und funktioniert, eine der bestimmenden Richtungen für den so eigenwilligen und deshalb auch einsamen Konstrukteursweg angezeigt, den sein Sohn später gehen sollte.

Prouvé ist erstaunlich unberühmt, macht man sich die heute noch gültigen Errungenschaften des 1984 Verstorbenen gewärtig. Er war nicht nur einer der fruchtbarsten Ahnen der High-Tech-Architektur und stand an vorderster Front, als Industrie und Bauen in den 30er-Jahren zusammenzuwachsen begannen. Er war vor allem der erste Konstrukteur und Architekt, der vorfabrizierte Bauelemente selbst zur Gänze entwarf und auch in eigener Werkstatt produzierte - ein Umstand, der ihn aus der Riege der Avantgardisten wie Buckminster Fuller oder Mies van der Rohe noch ein Stückchen herausragen lässt.

Doch auch diese Tatsache macht letztlich nur einen, wenn auch wichtigen Teil der Magie seiner Person aus. Die vielleicht größte Gabe Prouvés war es, eine gewisse handwerkliche, menschliche Wärme in die coole industrielle Fertigung hinüber zu retten und solchermaßen die besten Talente der beiden Weltanschauungen miteinander zu vereinen. Sowohl die Möbel und Raumelemente Prouvés wie auch seine Architekturen sind niemals kalt, sie strahlen immer eine gewisse Menschenfreundlichkeit aus, und auch diese sympathische Eigenschaft seiner Produkte ist in der persönlichen Menschwerdung ihres Erzeugers begründet.


Jean Prouvé wurde am 8. April 1901 in Paris geboren und wuchs in Nancy auf. Vater Victor war Bildhauer und Maler, arbeitete als Graveur und entwarf Skulpturen für die namhaften und heute als französisches Nationalheiligtum verehrten Werkstätten des Emile Gallé. Die Gallés residierten gleich neben den Prouvés, und Jean pflegte regelmäßig über die Gartenmauer zu klettern und in den Galléschen Manufakturen herumzustöbern. Eigentlich wollte er später einmal Flugzeuge und Autos bauen und an der Spitze einer technikversessenen neuen Welt Großtaten vollbringen, doch der Erste Weltkrieg machte die Pläne zunichte. Die Familie konnte sich keinen studierenden Sohn leisten, der 15jährige Jean heuerte bei einem Kunstschmied in Paris an, lernte erst einmal den Umgang mit Feuer, Metall, Hammer und Amboss und schmiedete ein paar Jahre lang händisch kunstvolle Gitter, Geländer, Ornamente und andere durchaus verschnörkelte Architekturelemente für die besten Baumeister der Epoche.

„In dieser Zeit lebte ich untertags als Handwerker, und später, am Abend, traf ich wichtige Leute von der Universität, die Freunde meines Vaters. Da war dieser Kontrast zwischen dem, was wir das Leben der Leute nennen, und dem anderen Leben der Intellektuellen“, erinnerte sich Prouvé 1982 in einem Interview. „Doch waren das keine normalen Intellektuellen, es waren Leute, die sich über die Zukunft Gedanken machten, fast alle waren Sozialisten, die Pläne für die menschliche Weiterentwicklung schmiedeten.“

Als Prouvé 1924 seine eigene Wärkstätte in Nancy aufsperrte, kamen diese Überlegungen, wie die Welt sozial und gerecht gestaltet werden könne, seinen Mitarbeiter zugute. Der Chef beteiligte sie stets am Unternehmen und hob hervor, dass alles, was hergestellt wurde, ein Produkt der Solidarität und Gemeinschaft war. In der vollständigsten derzeit erhältlichen und vorläufig zweibändigen Prouvé-Monografie (Birkhäuser-Verlag), die mit vielen Originalskizzen und Fotodokumenten einen hervorragenden Überblick über das Werk des Franzosen gibt, schreibt Herausgeber Peter Sulzer: „Die Werkstätten Prouvés hatten mit den heutigen oder morgigen Industriesystemen mehr gemein als mit dem Ford-Modell: Sie basierten auf Teamgeist und Verantwortungsgefühl des einzelnen, erzeugten rasch und intelligent entworfene Produkte mit den besten Werkzeugen ihrer Zeit und antworteten auf die sich ändernden Fragestellungen.“

Und die Zeiten änderten sich rasch, damals. Prouvé erkannte, dass die Ära des Handwerks unter- und das Industriezeitalter aufging. Er begann mit der Fertigung industriell und in Massen herstellbarer - übrigens heute noch atemberaubend avantgardistischer - Möbel, Stiegengeländer, Stahlfenstersysteme und anderer Architekturelemente, er hinterfragte den gesamten Prozess des Häuserbauens und suchte nach preiswerten, rasch realisierbaren industriellen Lösungen. Die neuen Materialien der Zeit hießen Stahl und Aluminium, und Prouvé - als gelernter Schmied natürlich mit den Qualitäten des Materials innigst vertraut - fertigte Fassadenelemente aus Metall, die ganz einfach auf ein Gerüst zu montieren und flexibel in der Anwendung waren. Die hier vereinfacht beschriebene Technik ist heute Standard.

Dieses lockere Umdenken von Stein und Ziegel in neue architektonische Dimensionen, das Erkennen und die unvoreingenommene Anwendung aller zur Verfügung stehenden Materialien und deren spezifische Verwendungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten: Das ist es, was Jean Prouvés Lebenswerk so außergewöhnlich macht. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg erfand er zum Beispiel die ersten vollständigen Fertigteilhäuser aus Holz und/ oder Metall, die man rasch und einfach aufstellen, wieder abbauen und anderswo erneut errichten konnte. Ob das Rathaus von Boulogne-Billancourt oder das Flieger-Clubhaus Roland Garros bei Buc, ob Sitz- und Schreibmöbel für Große oder Kleine, ob Fertigteilhaus oder Stiegengeländer: Prouvés Arbeiten waren immer minimalistisch, ästhetisch, pur und reizvoll.

Für Architekt Norman Foster bleibt Prouvé bis heute „die Inspiration, die zeigt, wie Kunst und Technologie vereint werden können“. Kollege Renzo Piano gibt ihn als wichtigstes Vorbild an: „Ich bin mir immer seiner fundamentalen Wahrheit bewusst, dass man Kopf und Hand, Idee und Verwirklichung nicht voneinander trennen darf.“ Ein ehemaliger Prouvé-Mitarbeiter sagt ganz einfach folgendes: „Ich habe ihn immer sehr gemocht.“


[Jean Prouvé, Volume 1: 1917-1933, öS 1.250,-/EURO 90,84/240 Seiten,
Volume 2: 1934-1944", öS 1.341,-/EURO 97,45/352 Seiten, Hg. Peter Sulzer, Verlag Birkhäuser,
Basel 1999 bzw. 2000;
zwei weitere Bände sind in Arbeit. ]

Der Standard, Sa., 2001.04.14

31. März 2001Ute Woltron
Der Standard

Private Grünräume an der Traisen

Niederösterreichs Landeshauptstadt Sankt Pölten bekommt von Roland Rainer eine Wohnsiedlung à la Puchenau bei Linz.

Niederösterreichs Landeshauptstadt Sankt Pölten bekommt von Roland Rainer eine Wohnsiedlung à la Puchenau bei Linz.

Wien - Der Wiener Architekt Roland Rainer ist ein streitbarer Kämpfer für das Recht auf Privatheit, nicht nur für die eigenen vier Wände der Bewohner seiner Architekturen, sondern vor allem auch in den rund um das eigentliche Haus unter freiem Himmel gelegenen Zonen des Wohnens, also den Gärten und begrünten Innenhöfen.

Während in den vergangenen Jahrzehnten allerorten Einfamilienhausteppiche unter großem Platz- und Kommunalkostenverschleiß die Landschaft zu bedecken begannen und die Privatheit auf immer kleineren Häuslbauer-Parzellen quasi in die öffentliche Zur-Schau-Stellung der Vorgärtchen mündete, bewies Rainer mit seinen Gartensiedlungen wiederholt, dass der verdichtete Flachbau, so er klug geplant und angewandt wird, die wohnlicheren, besseren Resultate erzielen kann.

Die bekannteste Siedlung des einflussreichen Wiener Architekten befindet sich mit Puchenau in Linz. Ein ähnliches Konzept wird nun, veranlasst vom Land Niederösterreich, auch in St. Pölten verwirklicht. Auf einem rund 22.000 Quadratmeter großen Grundstück am Ostufer der Traisen entstehen 201 Wohneinheiten, die Bauträger stehen zur Zeit noch nicht fest, demzufolge weiß man auch noch nicht, ob es sich später um Eigentums- oder Mietobjekte handeln wird.

Den Bewohnern der neuen Siedlung werden vier Typen zur Verfügung stehen: Zweigeschossige Einfamilienhäuser, Maisonetten, Gar¸connieren sowie übereinanderliegende Maisonetten, alle zwischen 42 und 82 Quadratmeter groß - beziehungsweise relativ klein, doch wird angeboten, übereinander liegende Wohnungen miteinander zu verbinden, was auf Wunsch ohne besonderen Aufwand geräumigere Residenzen schaffen würde.

Jede Wohnung verfügt über einen von umliegenden Mauern streng privatisierten Frei-und Grünbereich, der sich entweder erdgeschossig oder auf einer Terrasse befindet. Diese geschickte Verflechtung von drinnen und draußen - eine der wichtigsten Qualitäten intelligenten Wohnbaus - kann als eine der Keimzellen Rainerscher Wohn-Architektur bezeichnet werden. Denn was nutzt dem Standardhäuslbauer sein frisierter Grünraum, wenn der aus allen Richtungen eingesehen werden kann.

Roland Rainer meint, es gäbe „in den offen bebauten Gebieten keine Privatheit, zwischen den Drahtzäunen keine geschützten Gärten und Höfe, wie man sie in alten Städten auf kleinem Raum mit bescheidenen Mitteln immer noch findet“. So ähnlich wie diese alten Stadtteile funktioniert haben, funktioniert auch die St. Pöltener Siedlung. Der Architekt gibt den Bewohnern die Straßen und Wege wieder zurück, der Autoverkehr wird am nördlichen sowie südlichen Ende der Siedlung abgefangen, in Garagen geleitet und solchermaßen ausgesperrt, was ein angenehmes, ruhiges und familiäres Kleinbiotop mitten in der Stadt schafft. Zwischen den Wohnhäusern liegen lose eingestreut Spielplätze und öffentliche Grünzonen.

Es werde hier der Versuch unternommen, so Rainer, ein verständliches Modell neuer, progressiver Gedanken für den Wohnungsbau zu entwickeln und zu erproben. Die ersten Experimente, wie besagtes Puchenau in Linz, gingen voll auf: Die Häuser dieser Gartensiedlung werden heute zu großem Teil schon von den Nachfolgegenerationen gerne bewohnt.

Der Standard, Sa., 2001.03.31



verknüpfte Bauwerke
Gartenstadt „Rainer-Siedlung“

31. März 2001Ute Woltron
Der Standard

Weil wir es uns wert sind

Ein wieder einmal völlig missglücktes Wettbewerbs-verfahren in Wien bringt die Architektenschaft in Rage: Das Projekt Katharinengasse könnte zum Präzedenzfall und zum Wendepunkt für ein gequälte Branche werden.

Ein wieder einmal völlig missglücktes Wettbewerbs-verfahren in Wien bringt die Architektenschaft in Rage: Das Projekt Katharinengasse könnte zum Präzedenzfall und zum Wendepunkt für ein gequälte Branche werden.

Stellen Sie sich vor, Sie haben mit viel Mühe und Engagement etwas gebastelt. Es hat mehrere Wochen gedauert. Sie haben nächtelang darüber nachgedacht. Sie haben diverse Entwürfe ersonnen, für ungenügend befunden, verworfen, sie später wieder hervorgeholt und weiterbearbeitet. Sie haben schließlich die für Sie beste Lösung gefunden, sie aufgezeichnet, ein Modell davon gebaut, eine Freude damit gehabt. Sie haben, wenn das Werk vollendet ist, einiges an Lebenszeit und viel Geld investiert - nehmen wir an, etwa eine Viertelmillion Schilling, also ungefähr das Nettojahreseinkommen eines Durchschnittsösterreichers. Sie haben Pech. Das Geld können Sie abschreiben, Sie werden es nie wieder sehen. Warum? Weil Sie Architekt oder Architektin sind, an einem Architekturwettbewerb in Wien teilgenommen und, wie dutzende andere auch, nicht gewonnen haben. So ist das halt - aber so ist das nur in der Architektenbranche, die sich selbst langsam aber sicher in diesem System zerfleischt.

Das Instrument des Wettbewerbsverfahrens zur Findung des geeigneten Architekten und des besten Projektes für ein Bauvorhaben ist an sich ein intelligentes Produkt der Demokratie, doch irgendwie ist es im Laufe der Jahre entartet und hat die Branche zurückgeführt zu ähnlich anarchischen Zuständen, wie sie bei primitiveren Tieren als dem Menschen anzutreffen sind: Nicht der schnellere Hase entgeht dem Fuchs, sondern derjenige, der klügere Haken schlägt. Nicht die hungrigste Sau gelangt als erste zum Trog, sondern die, die am lautesten grunzt und am energischsten drängelt.

Wenn das Ausleseverfahren selbstmörderisch wird und die Kosten und Energien wie im Falle der Architekten ausschließlich eine einzige der beteiligten Branchen belasten, dann stimmt etwas nicht im System. Die Architekten arbeiten jetzt schon großteils am Limit. Das Durchschnittsbüro in Österreich setzt pro Jahr nicht mehr als zwei Millionen Schilling um. Die Rede ist vom Umsatz, wohlgemerkt.

Die Baukünstler leben also, wie der Fischotter, der mit dem soeben gefangenen Fisch gerade so viel Energie erbeutet, um dem nächsten nachschwimmen zu können, von der Hand in den Mund. Fett setzt dabei kaum einer an.

Im Falle des Architekturwettbewerbs, der an sich schon eine mörderische Auslese darstellt, wird in den letzten Jahren eine zusätzlich verschärfende Mutation immer offensichtlicher, und die schaut folgendermaßen aus: Ein paar besonders gewitzte Architekten sind, neben vielen anderen wackeren Kollegen, irgendwie am Verfahren beteiligt. Nennen wir sie Gustl, Hansi, Willi, Kurti oder so ähnlich. Gustl sitzt diesmal in der Jury, die die zum Zwecke des Objektivbleibens ohne Verfassernamen anonym eingereichten Projekte beurteilen wird. Hansi, Willi und Kurti kennen Gusti sehr gut - sind ja alles Kollegen - sie nehmen am Wettbewerb teil. Ein paar Tage vor der entscheidenden Sitzung kommt man dann ins Reden, Projekterln werden dem Juror quasi unverbindlich beschrieben, Telefone, Faxe und Kopiermaschinen werden bemüht.

Solchermaßen illegitim mit Insiderwissen ausgestattet geht der Gustl dann in die Jury. Und weil beim nächsten Wettbewerb, den er schließlich selbst gewinnen will, der Kurti praktischerweise in der Jury sitzen wird, kann man den Ketteneffekt des sich gegenseitig Wettbewerbssiege Zuschanzens beschaulich ins Laufen bringen.

Das gleiche Spiel funktioniert natürlich auch dann, wenn Bauträgerchefinnen sich besonders gut mit hohen, in Jurys vertretenen Beamten verstehen, wenn Architekten mit an Wettbewerben teilnehmenden Kolleginnen unter einer Decke stecken. Da alles klingt zwar verleumderisch saubartelisch, ist aber bedauerlicherweise der Fall. Nicht immer, aber immer öfter, und jeder in der Szene weiß das, und keiner kann wirklich etwas dagegen tun.

Gerade wurde in Wien wieder einmal ein Wettbewerb abgehalten. Es ging darum, eine neue Volksschule samt Hort, Kindergarten und Jugendzentrum in der Katharinengasse zu planen. 250 Büros, teils internationaler Provenienz, haben die Unterlagen käuflich erworben, 74 davon konnten schließlich fertig durchdachte Projekte abgeben, im Schnitt hat jeder eine Viertelmillion aus eigener Kasse investiert. Gewonnen hat der Entwurf von Wilhelm Holzbauer, dem hier natürlich keiner Freunderlwirtschaft irgendeiner Art unterstellen wird. Doch Tatsache ist: Sein Projekt war nur hinsichtlich der Pragmatik das beste, und der gesamte Jury-Prozess, der hurtig an einem einzigen Tag abgwickelt wurde, ist eine schriftlich protokollierte Zumutung für jeden, der an diesem Verfahren teilgenommen und auch nur einen Schilling hineingesteckt hat.

Er weist diverse eklatante Formalfehler auf. Und er wird dieses Mal nicht, wie so viele andere Male, von den zwischenzeitlich echt genervten Architekten unwidersprochen bleiben. Gut zwei Dutzend der Teilnehmer, die sich nur zum Teil persönlich kennen, haben sich vergangene Woche zusammengetan, sie wollen nun alle anderen Teilnehmer kontaktieren und gemeinsam mit der Wiener Architektenkammer den Auslober MA 19 erst einmal mittels des Gesprächs in die Verantwortung nehmen, gleichzeitig aber die Rechtslage prüfen und gegebenenfalls das Verfahren anfechten.

Weil wir uns das wert sind, sagen sie, weil wir nicht länger die Pausenclowns der Nation sein wollen. Weil sie nicht, wie der Vogel Dodo, der nur hübsch und lieb war, von anderen zum Spaß totgeschlagen werden wollen.

Doch konkret zu den absonderlichen Vorgängen am 12. März des Jahres, dem Tag der Entscheidung: Um 8.30 versammelten sich Teile des Jury-Gremiums, zwei nominierte Juroren kamen zu spät, ein weiteres Jurymitglied blieb der Veranstaltung überhaupt fern und entsandte einen zuvor nicht, wie vorgeschrieben, genannten Ersatzjuror. Eine Jurorin tauchte erst nach dem Mittagsmahle auf und schickte ebenfalls eine vorher nicht-nominierte Ersatzperson ins Rennen. Nach ihrem persönlichen Eintreffen stimmte sie aber sofort kräftig mit. Die Weitsicht, eine derartige Projektmasse mit kurzem Blick zu durchleuchten, war wohl nicht einmal einem Corbusier oder Mies van der Rohe gegeben.

Schon zuvor war der Juryvorsitzende nie, wie vorgeschrieben, gewählt worden, und wenn ja, dann entzog sich das der Kenntnis des Schriftführers, der im übrigen als Vorprüfer ein solcher gar nicht hätte sein dürfen. In dieser munteren, Formales lässig überspringenden Art, ging es weiter, bis um 17.50 das Resultat feststand. Der zweite für die Abwicklung des Verfahrens vorgesehene Jury-Tag konnte damit der Freizeit gewidmet werden.

Äußerst peinlich und geradezu fahrlässig ist der Umstand, dass jeder Architekt, der sein Projekt persönlich beim Vorprüfer abgeliefert hatte, dafür in einer Liste neben der Projektnummer unterschreiben musste: eine völlig unübliche Vorgangsweise, die die geforderte Anonymität des Verfahrens ad absurdum führt. Nur zum Verständnis: Um jegliche schiefe Optik tunlichst zu vermeiden, werden die Wettbewerbsunterlagen gewöhnlich doppelt verpackt abgegeben. Die Frage des Vorsitzenden nach einer etwaigen Befangenheit der Preisrichter unterblieb. Sie ist jedenfalls nicht im Protokoll festgehalten, und aus zuverlässigen Quellen geht - selbstverständlich nicht per lege beweisbar - hervor, dass zumindest zweien der Juroren sehr wohl Projekte schon bekannt waren, bevor das Verfahren eröffnet wurde. Eventuell wurde aus diesem Grund das Juryprotokoll abschließend nicht unterschrieben, womit es im übrigen ungültig ist?

Es ist immer sehr kniffelig und auch anrüchig, Wettbewerbsentscheide im Nachhinein fachlich in Frage zu stellen. Diesenfalls muss es dennoch geschehen: Das sieghafte Schulprojekt war sowohl städtebaulich als auch in seiner Raumkonzeption sicher nicht der beste der eingereichten Entwürfe. Andere Architekten haben die späteren Benutzer - die vielen tausend Kinder, die hier in den kommenden Jahrzehnten einen wichtigen Zeitraum ihres Lebens verbringen werden - besser gespürt, ernster genommen, ihre Bedürfnisse genauer verinnerlicht und in Kenntnis der Koordinaten ihres Berufes zu Architektur raffiniert.

Es geht hier um Freiräume, um Vormittagslicht in den Klassen, um Orientierbarkeit, um Lärmschutz, um das Bereitstellen sinnvoll koordinierter Zonen verschiedenster Nutzung, um das intelligente und unerhört schwierige Verschmelzen tausender Faktoren zu einem kompakten, funktionierenden Ganzen, in dem sich kleine und große Menschen wohlfühlen sollen. Oder täuschen wir uns alle, und es geht ausschließlich um Aufträge, Raumkubaturen, Effizienz und Haberer, mit denen man super saufen gehen kann?

„Uns geht es vor allem um die Zukunft“, sagt Jakob Dunkl von der Gruppe Querkraft, „und um einen Ehrencodex in der Architektur, an den sich alle halten sollten.“ Die rechtlichen Grundlagen für Wettbewerbe wie diesen sind ohnehin äußerst schwammig. Wenn die paar Richtlinien, auf die man sich geeinigt hat, auch noch missachtet werden, dann bedeutet das die programmierte Niederlage all jener, die sich an den Spielregeln orientieren. Es sind dabei nicht nur die ganz jungen Architekten, die diesen Teufelskreis durchbrechen wollen. Die Mehrheit der Architektenschaft wünscht sich faire Vorgangsweisen und ist durchaus bereit, die zehrenden Wettbewerbsanstrengungen auf sich zu nehmen, wenn dabei alles mit rechten Dingen zugeht, obwohl, wie Architekt Ernst Unterluggauer anmerkt, „wir eigentlich alle Wahnsinnige“ sind.

Dass die 74 Wettbewerbsprojekte für die Volksschule Katharinengasse so gut wie unter Ausschluss der Öffentlichkeit in den Gängen neben den WC-Anlagen des Hanappi-Stadions zur Schau gestellt wurden, untermalt jedenfalls die Ehrerbietung, die man Architekten hierzulande entgegenbringt. Auch dass der Wettbewerbsveranstalter die Mühsal einer Pressekonferenz nicht auf sich nehmen wollte, zeigt die Wertschätzung, die man für die Arbeit der Bauleute übrig hat.

Uns wäre es angesichts dieses Schlamassels lieber gewesen, sagen viele von ihnen, wenn man den Auftrag gleich direkt vergeben hätte, das hätte uns Zeit, Geld, Mühe, Nerven gespart. Andererseits geht jetzt endlich laut und öffentlich eine Debatte los. Weil die Architekten sich - und ihren späteren Kunden, den Benutzern - das wert sind.

Der Standard, Sa., 2001.03.31

29. März 2001Ute Woltron
Der Standard

„Art Bridge“ für die Angewandte

Die alte Kunsthalle als Kunst- und Veranstaltungsraum der Kunstuniversität?

Die alte Kunsthalle als Kunst- und Veranstaltungsraum der Kunstuniversität?

Adolf Krischanitz' Kunsthalle am Karlsplatz wird, wie DER STANDARD kürzlich berichtete, dieser Tage abgebaut, um einem neuen, kleineren Kunstpavillon Platz zu machen. Derweilen herrscht um die alte Halle ein G'riss: Während die Baufirma, die die Demontage vornimmt, die Metallbox selbst gerne als Lagerhalle übernehmen würde, plant Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien, den Container direkt vor seiner Schule über dem Wienfluss aufzustellen.

Die Angewandte, so Bast, platze ohnehin aus allen Nähten, als größerer Veranstaltungsraum stünde derzeit lediglich die Aula zur Verfügung, die sich allerdings kaum für Präsentationen und Events eignet. Bast: „Wir hätten hier die einmalige Chance, mit der Kunsthalle einen halböffentlichen Ort zu schaffen, an dem junge Medienkünstler, Designer, Architekten, bildende Künstler ihre künstlerischen Visionen gemeinsam mit den Lehrern der Schule und internationalen Gästen entwickeln und präsentieren können, und würden auf diese Weise nicht nur ihrer eigenen Arbeit, sondern auch der kunstinteressierten Öffentlichkeit neue Impulse versetzen.“

Der großzügig bemessene Raum könnte wie eine Synapse zwischen der Stadt und der Universität wirken und auch stadträumlich einen interessanten Akzent im Wiental bilden. Kunsthallen-Architekt Adolf Krischanitz hat die entsprechenden Pläne bereits ausgearbeitet, die alte Halle konstruktiv leicht adaptiert, etwas verkürzt und auf zarte Stützen gesetzt, auf dass der Fußgängerverkehrsfluss sowie der über das Wiental schweifende Blick nicht behindert werden. An das Universitätsgebäude ist die Halle über einen Gang angedockt, die Öffentlichkeit kann sie an beiden Ufern des Flusses über Stiegen von unten betreten.

Bast: „Die Kunsthalle soll zur ,Art Bridge' werden, einer Brücke, die nicht nur den Fluss überspannt, sondern auch als Verbindungsglied zwischen einer Kunstuniversität, dem Kunstbetrieb und der Öffentlichkeit der Stadt dient.“ Zurzeit laufen bezüglich der Finanzierung Gespräche mit der Stadt und dem Wissenschaftsministerium, die Adaption sowie die Montage würden, so schätzt der Rektor, etwa 15 bis maximal 20 Millionen Schilling kosten. Ein nicht näher genannter privater Sponsor konnte bereits gefunden werden, er will für sechs bis sieben Millionen Schilling aufkommen.

Die Kunsthalle war stets als temporäre Architektur konzipiert, und auch an ihrem möglichen neuen Standort wäre sie kein Ding für die Ewigkeit. Im Gegensatz zu den in unmittelbarer Nähe geplanten Landstraßer Hochhäusern, die bald in Bau gehen werden. Bast: „Es geht uns um weit mehr als um die bloße Aufstellung der Halle in einer Gegend Wiens, der eine kulturell-qualitative Belebung im Umfeld von Büro- und Hotelburgen nicht schaden würde.“

Der Standard, Do., 2001.03.29



verknüpfte Bauwerke
Kunsthalle Wien

24. März 2001Ute Woltron
Der Standard

Fürchtet euch nicht

Die Kunsthalle Karlsplatz wird abgerissen, aber nur, um einer neuen Kunsthalle Platz zu machen.

Die Kunsthalle Karlsplatz wird abgerissen, aber nur, um einer neuen Kunsthalle Platz zu machen.

Wenn ein Chinese einem anderen von ihm nicht liebgehabten Chinesen die Pest und den Teufel und überhaupt das Ärgste an den Hals wünscht, dann beflucht er ihn mit dem Spruch: „Mögest du im Zeitalter von Veränderungen leben!“

Was sagt uns das? Erstens: Die Chinesen haben ihre Ausdrucksformen ein paar Jahrtausende länger kultiviert als wir primitiv herumfäkalisierenden Neandertalerenkel. Zweitens: Auch der feinstraffinierte Mensch bedarf zu seinem Wohlbefinden einer gewissen Konstanz in seinem Leben. Drittens: Die Architektur als fix gestaltete, sich nur bedächtig verändernde Welt ist da durchaus ein Faktor.

Doch was wäre eine Stadt mit all ihren Häusern, wenn es keine Ausnahmen als Kontrast gäbe: ein Friedhof, eine Aufbahrungsstätte verstorbener Gebäude. An bestimmten, ganz besonderen Punkten darf dieses festgefügte Häuserkonglomerat also ruhig gelegentlich Risse bekommen und Zeitbeschleunigungen erfahren. Im Falle Wiens befindet sich am Karlsplatz, und zwar genau dort, wo noch für kurze Zeit die blau-gelbe Kunsthalle steht, ein ganz besonderes Architektur-Zeitraffereck, quasi ein Kristallisationspünktchen sich besonders schnell verändernder Architektur.

Die Karlsplatzgegend ist aufgrund generationenlangen stadtplanerischen Unvermögens ein stattlicher Archipel gestrüppbewachsener Verkehrsinseln und war lange Zeit vorwiegend von haxerlhebenden Hunden bevölkert. Die Kunsthalle veredelt seit zehn Jahren eine dieser ehemaligen Äußerlinseln. Dieser Tage wird sie - samt Café - abgerissen, doch das macht gar nichts. Es wird alsbald eine neue, kleinere und raffiniertere Box nachwachsen - samt Café - und auch deren Lebensjahre sind jetzt schon gezählt. Auch das ist ganz wunderbar, weil es in der Architektur mitunter so ist, dass etwas noch Besseres nachkommt. So gesehen funktioniert das Kunsthallenareal wie ein Architekturreagenzglas. Ein Experiment wird veranstaltet, von der Stadt betrachtet, für gut befunden, verworfen, ein neues Experiment wird angegangen.

Der erste experimentelle Container sollte der „Kunsthalle“ damals auf die kurze Zeit von vier Jahren einen preiswerten Unterschlupf bieten, so lange, bis die neuen Museumsquartier-Räumlichkeiten vollendet wären. Der zuständige Hallen-Architekt, Adolf Krischanitz, musste sich zwar sofort von Anrainern, denen der Karlskirchenblick verstellt wurde, und von Medienmächten, für die Architektur bei Fischer von Erlach aufhört, ordentlich herwatschen lassen, doch sehr bald wurde klar: Das viel gehöhnte, freche Kunstquartier-Provisorium war ein voller Publikumserfolg. Nicht nur die Ausstellungen waren reichlich frequentiert, auch das angeschlossene Kaffeehausrestl erfreute sich samt kiesstaubiger und stöckelschuhvernichtender Vorterrasse größter Beliebtheit und etablierte sich rasch zu einem der flottesten Treffpunkte der Donaumetropole.

Die Kunsthalle war schick und jung und in, sie pulsierte gerade deshalb, weil sie nicht in Marmor versteinert und in Stuck erstickt, sondern billig, ersetzbar, reparabel war. Der besondere Reiz der Architektur, dem auch internationale Künstler deklariertermaßen erlagen, ist schwer zu erklären. Das Nichtdauerhafte, das Provisorische und deshalb materiell Wertlose war ganz einfach klass zu bespielen, und die Rücksichtslosigkeit, mit der an Fassaden und Innenräumen lässig herumgefuhrwerkt werden konnte, veranlasste die Künstler sofort, begeistert die Sau rauszulassen.

Heimgehen soll man aber, wenn's am schönsten ist. Noch bevor sich die Kiste selbst überlebt hat, kommt sie also weg. Doch Kunsthallen- und Cafébesucher - fürchtet euch nicht. Die Hunde übernehmen das Areal nicht wieder, denn Kunsthallen-Chef Gerald Matt hat eine Erneuerung des Ausnahme-Bebauungsparagraphen 71 erwirkt, Architekt Adolf Krischanitz hat den Zeichenstift gezückt und eine neue Halle entworfen, und diverse Ressorts haben etwa zwölf Millionen Schilling für eine neue „Kunsthalle Karlsplatz“ locker gemacht, die für die nächsten zehn Jahre dort stehen wird.

Bleibt die Frage, was mit dem alten, bald in seine Bestandteile zerlegten Ding passieren soll. Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst, würde damit gerne vor seiner Schule den Wienfluss überspannen. Er würde damit dem Veränderlichen Kontinuität verleihen und sozusagen den Brückenschlag zur eingangs zitierten fernöstlichen Weisheit schlagen. Das Veränderliche bleibt bestehen und das Bestehende wird damit verändert. Wenn das nicht Architektur ist.

Der Standard, Sa., 2001.03.24



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Kunsthalle Wien

24. März 2001Ute Woltron
Der Standard

Räumliches Talent gefragt

Architekt Klaus Jürgen Bauer über den Nutzen der Fertigteilindustrie für kreative Architekten.

Architekt Klaus Jürgen Bauer über den Nutzen der Fertigteilindustrie für kreative Architekten.

Können Fertigteilhausproduzenten, Häuslbauer und Architekten zusammenfinden? Oder schließen Massenvorfertigung und Maßanfertigung einander aus? Der deutsche Architekt Klaus Jürgen Bauer, der in Eisenstadt lebt, hat sich empirisch mit dem Thema befasst und mit der Fertigteilindustrie zusammengearbeitet. Er findet, die beiden passen unter bestimmten Voraussetzungen sogar ausgezeichnet zusammen.

STANDARD: Sie attackieren die Produkte der Fertigteilhauskultur zwar heftig, gleichzeitig preisen Sie aber die Vorzüge der Vorfertigung. Wie geht das zusammen?

Bauer: Wir haben anhand mehrerer bereits fertig gestellter Projekte herausgefunden, dass individuell vom Architekten geplante Einfamilienhäuser, die sich die Vorteile der Fertigteiltechnologie zunutze machen, interessanterweise billiger waren als die fertigen Produkte, wie sie etwa in der Blauen Lagune ausgestellt sind. Gleichzeitig wiesen die Häuser die „Qualitätsstandards eines Architektenhauses“ auf, das heißt, sie waren den individuellen Bedürfnissen der Bauherrschaft angepasst und qualitativ und im Detail besser ausgestattet.

STANDARD: Wie kann ein Architekt mit den Fertigteilproduzenten zusammenarbeiten?

Bauer: Ganz einfach, wir haben die Häuser entworfen, dabei mit allen möglichen Konstruktionsarten und Technologien experimentiert und uns dann von der Industrie Fertigungsanbote legen lassen.

STANDARD: Gab es keine Animositäten zwischen den Konkurrenten Architekt und Fertigteilbauer?

Bauer: Überhaupt nicht, im Gegenteil. Die Produzenten sind tatsächlich sehr an Qualität interessiert und waren erfreut, anbieten zu können. Denn es ist ja nicht ihr Kerngeschäft, Grundrisse zu entwickeln. In Wirklichkeit hat es irgendwann einen Fertigteilanbieter gegeben, andere sind nachgefolgt, einer hat die Grundrisse des anderen abgekupfert. Architekten waren da in den seltensten Fällen involviert, deshalb schauen alle Häuser ziemlich gleich aus und bieten alle sehr ähnliche Grundrisslösungen an.

STANDARD: Sie meinen, die Zeit wäre reif für eine Zusammenarbeit, wie sie etwa Gustav Peichl eingegangen ist?

Bauer: Das Peichl-Haus ist leider nur ein weiteres Musterhaus und in diesem Sinne nicht besser als die anderen Lagunenhäuser.

STANDARD: Warum?

Bauer: Weil es dem Häuslbauer nur ein formales, fertiges Gesamtangebot macht, anstatt ihm diverse Optionen offen zu lassen. Wenn Architekten Fertigelemente verwenden, müssen sie ihr räumliches Talent quasi in den Dienst dieser kostengünstigen Technologie stellen, und nicht umgekehrt.

STANDARD: Wer sind eigentlich die Fertigteilkunden?

Bauer: Diese Technologie nützt allen Bauherren, die ein beschränktes Kapital zur Verfügung haben und reif dafür sind, ihre Klischeevorstellungen zu hinterfragen, die daran interessiert sind, energieschonend ein energetisch intelligentes Haus zu bauen.

STANDARD: Sie haben angesprochen, dass die von Ihnen entwickelten industriell fabrizierten Häuser billiger wären als die schon fixfertig konzipierten Blaue-Lagune-Haustypen. Können Sie das präzisieren?

Bauer: Wir bauen derzeit ein Holzhaus mit 130 Quadratmetern Nutzfläche und durchgängiger Qualität von der städtebaulichen Situation bis zur Türklinke. Es kostet genauso viel wie ein Musterhaus und hat den Mehrwert einer individuellen Gesamtlösung und ist daher billiger.

Der Standard, Sa., 2001.03.24

24. März 2001Ute Woltron
Der Standard

Fertigteil kann aufregend schön sein

Das Bauen mit industriell vorgefertigten Elementen hat hundert Jahre Tradition.

Das Bauen mit industriell vorgefertigten Elementen hat hundert Jahre Tradition.

Das Bauen mit industriell vorgefertigten Elementen hat hundert Jahre Tradition. Klug angewendet und von guten Architekten geplant muss diese Energie-, Geld-und Bauzeit sparende Technologie keineswegs zwingend ein 08/15-Häusl von der Stange hervorbringen. Möglich sind auch sehr individuelle, witzige, schicke Villen, die preisgünstig und technisch perfekt sind.

Der Dornbirner Architekt Johannes Kaufmann etwa hat gemeinsam mit seinem Bruder Oskar Leo Kaufmann mehrere „Haus-Systeme“ in Holzbauweise entwickelt, die dem Bauherren so gut wie alle Möglichkeiten der Grundrissgestaltung offen lassen: „Unser System basiert auf einem Fünf-mal-fünf-Meter-Raster, die Haus-Hülle wird aus vorgefertigten Elementen zusammengesetzt, wobei die Innenräume völlig frei von Stützen sind. Es ist uns auch sehr wichtig, dass große Verglasungen möglich sind, es können ganze Wände in Glas ausgeführt werden.“

Das Vorurteil, ein Ziegelhaus wäre klimatisch besser, stimmt nicht. Bei sorgfältiger Verarbeitung erreichen Holzwände wesentlich bessere Wärmedämmwerte als Ziegelmauern. Der Hauptvorteil liegt in der Geschwindigkeit des Bauens: Ein vorgefertigtes Haus lässt sich in zwei, drei Monaten fixfertig aufstellen.

Der Standard, Sa., 2001.03.24

10. März 2001Ute Woltron
Der Standard

Der weiße Wal ist anders

Coop Himmelb(l)au sind nie mit dem Rudel mitgeschwommen. Das hat sie gefährlich und unberechenbar gemacht, und unbequem. Doch jetzt springt der weiße Wal, und das ist spektakulär und schön anzuschauen.

Coop Himmelb(l)au sind nie mit dem Rudel mitgeschwommen. Das hat sie gefährlich und unberechenbar gemacht, und unbequem. Doch jetzt springt der weiße Wal, und das ist spektakulär und schön anzuschauen.

Jetzt haben sie also den großen, fetten Wettbewerb gewonnen. In Lyon werden sie ein spektakuläres Museum bauen und endlich auch in 3D gleichziehen mit den Herren Libeskind, Gehry & Co. Mit dem soeben gewonnenen Prestigeprojekt in Frankreich katapultieren sich Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky auch im Lichte der weltweiten Öffentlichkeit dorthin, wo sie schon seit geraumer Zeit deutlich ihre Spuren ziehen - an die Spitze der Weltarchitektur.

Die Luft dort oben ist dünn, der Aufstieg mühsam, zeitintensiv und kräfteraubend und stets begleitet vom eifersüchtigen Schnappen kleinerer Fische. Doch das hat die Himmelblauen nie vom Sprung abgehalten. „Denn nicht durch ruhiges, gleichmütig träges Blasen tut der weiße Wal seine Nähe kund - nein, durch ein viel wunderbareres, gewaltigeres Schauspiel: Er springt. Da kommt der Wal aus den tiefsten Tiefen heraufgeschossen und wirft seinen ganzen ungeheuren Körper empor ins reine Element der Luft; und solch ein Gebirge von blendender Gischt türmt er auf, dass er seinen Ort auf sieben Meilen und mehr in der Runde verrät. Wie eine Mähne umflattern ihn die zornigen zerfetzten Wogen, die er von sich abschüttelt; oft ist der Sprung seine Herausforderung zum Kampf.“ Soweit Herman Melvilles Beschreibung Moby Dicks, des weißen Wales, der im wirklichen Leben Mocha Dick geheißen und vor fast 200 Jahren leibhaftig die Schifffahrer aller Weltmeere angriffslustig aufgemischt hat.

An zornige zerfetzte Wogen kann man auch angesichts des Museumsungetüms denken, das Coop Himmelb(l)au in den kommenden Jahren an den Ufern der Rhone und der Saone auftürmen werden, und zwar genau auf jenem prominent exponierten Landzipfel, der durch den Zusammenfluss der beiden Ströme am Eingangstor der Stadt entsteht. Das Gebäude fegt sozusagen wuchtig über den Ort, kristallisiert da zu einem enormen Stahl-Glas-Flügel, wabert metallisch glänzend und auf Stelzen abgehoben über die Erdoberfläche, schießt dort eine Doppelkegel-Tröte und Lichtspiele gen Himmel. Beherbergen soll die zerfetzte, zersprengte Architektur aus Glas, Metall, Beton und Licht ein Museum der Menschheitsgeschichte, und, so Prix: „Genau das hat uns enorm an diesem Wettbewerb gereizt, nämlich dass von den Bauherren nicht ein konventionelles Kunstmuseum in Auftrag gegeben wurde, sondern ein grundsätzlich neues Museumskonzept angedacht werden sollte.“

Was ist also dieses grundsätzlich Neue an dem Ding, das im Übrigen etwa so groß dimensioniert ist wie Frank O. Gehrys Guggenheim-Titanmuseum in Bilbao? Die Ausstellungen sind nicht, wie üblich, in Raumschachteln untergebracht, sondern ziehen sich durch die verschiedensten Zonen des Gebäudes. Prix:

„Die Räume sind durch die verschiedenen Bespielungen dynamisch veränderbar.“ Dazu verwirklichen die Himmelblauen hier ein Konzept, das sie für den - im Vorjahr von Zaha Hadid letztlich gewonnenen - Wettbewerb für das Kunstmuseum in Wolfsburg bereits angedacht haben: Der gesamte Museumskörper ist von Verkehrsvenen quasi durchzogen, der öffentliche Raum durchdringt in Form von Rampen und Boulevards das Gebäude, die Passanten schauen von ihren Spazierwegen in und auf die eigentlichen Ausstellungsbereiche, und sie fahren mit Aufzügen durch die Schauräume durch, ohne ihr Inneres sogleich direkt zu betreten. „Das System ähnelt eigentlich einer Peepshow“, so Coop-Außenminister Prix, „es ermöglicht den Austausch von Öffentlichem und Privatem. Diese Grenzüberschreitung, die uns immer wichtiger wird und die wir für das kommende Thema in der Architektur halten, ist hiemit tatsächlich vollzogen.“

Eigentlich haben Coop Himmelb(l)au eine ähnliche Durchmischung bereits mit ihrem UFA-Kinopalast in Dresden vorweggenommen. Auch dort bildet ein Glas-Stahl-Kristall eine halb öffentliche Zone, eine geschützte Fortsetzung des Platzes, die in die Privatheit der Kinoschachteln im angeschlossenen Stahlbetonriegel mündet.

Für die mexikanische Stadt Guadalajara planen die Wiener zurzeit ebenfalls Ähnliches, jedoch in unvergleichlich größerem Maßstab. Das Urban-Entertainment-Center, das dort in den kommenden Jahren als Teil eines engagierten, privatwirtschaftlich auf die Beine gestellten Städtebauprojektes der Sonderklasse entstehen wird, splittert den typisch amerikanischen Shoppingmall-Wahnsinn in verschiedene Ebenen und Zonen auf, durchmengt die Angelegenheit mit Lustwandelboulevards, streut diverse Büro-, Restaurant-, Unterhaltungssprengel ein und soll so Freifläche für den Bewohner zurückgewinnen und ein pulsierendes, kommunikatives neues Stadtzentrum bilden. Einen Ort, an dem man sich trifft und unterhält, wo man jausnet, ins Kino geht und auch sonst dem Beisammensein frönt, wie früher auf den Marktplätzen der alten Städte.

Prix und Swi haben also international in den letzten Jahren fest Fuß gefasst. In Los Angeles, wo man seit Jahren ein Büro unterhält, ist gerade ein Einfamilienhaus in Venice in Bau, für Hamburg planen die zwei ein kleines Stadtzentrum mit einem Hotel und einem Gerichtsgebäude. Für die Schweizer Landesausstellung des Jahres 2002 in Biel hieven sie zur Zeit eine enorme Plattform über den Bieler See und lassen Medienpavillons und Türme darauf tanzen, und in München soll nun, fast zehn Jahre nach einem gewonnenen Wettbewerb, doch endlich die Akademie eine fesche Erweiterung von himmelblauer Hand bekommen.

Es gibt also genug zu tun für die insgesamt rund 100 Mitarbeiter in den Büros in LA, Guadalajara und Wien. Doch wie schaut es auftragsmäßig in der alten Heimat Österreich aus? Durchaus gut, allerdings nach einer langen, öden Durststrecke. Im September sollen die Wohnungen in einem der vier Simmeringer Gasometer bezugsfertig sein, am Wienerberg entstehen Wohnhochhäuser, die 25 Meter über dem Erdboden mit einem Verbindungsgang zusammengespannt werden. Auf dem Areal der Liesinger Brauerei soll ein enormer Wohn-und Bürokomplex entstehen. Das Projekt auf dem Mariahilfer Platzl ist weiterhin im Gespräch, und in der Schlachthausgasse sowie in Erdberg sind Bürogebäude in Planung.

„Wichtig ist uns ein ständiges Weitergehen“, sagt Prix, „Wir wollen Architektur erzeugen, die auch im nächsten Jahrhundert noch Bestand hat.“ Diese ordentliche Portion Kampfeslust konnte man dem Wiener Architektenduo, das sich im Mai 1968 verbündet hatte, um der Welt mindestens einen Haxen auszureißen, noch nie absprechen. Mit einer wilden Polemik, avantgardistischen Projekten und ausgiebigen Happenings feierten die damaligen TU-Studenten die Architektur als neue Disziplin, die sich ihrer Ansicht nach, zum Teufel noch mal, endlich von den Zwängen des Althergebrachten zu befreien und so leicht und luftig wie der Himmel und die Wolken zu sein hätte.

Wer sich nicht an die ungeschriebenen Standesregeln seiner Zunft hält, dem weht bald ein scharfes Lüfterl entgegen, und die Himmelblauen wurden denn auch sofort von der Kollegenschaft mit wenig schmeichelhaften Prädikaten wie „pubertär“ und „wahnsinnig“ bedacht. Doch wenn irgendetwas wahr ist in der Branche der Häuserbauer, dann dass es viele Wahrheiten der Architektur gibt - nur hat die Koexistenz ungezähmter und domestizierter Individuen immer für Reibereien gesorgt.

Prix und Swiczinsky, die weißen Wale der heimischen Architekturszene, waren und sind in ihren Urteilen über die Produkte anderer auch nicht gerade zimperlich, doch eines können sie sich zugute halten: Qualität erkennen sie über die Barrieren von Sympathien und Antipathien hinweg an, auch wenn die rezensierten Kollegen, wie etwa Peter Zumthor und Herzog&deMeuron, ein ganz anderes Architekturcredo pflegen. Dem Glauben an die reine Lehre nur einer bestimmten Architekturrichtung mögen schlichtere Gemüter anhängen. Wer sein Leben lang nur Wittgenstein studiert hat, bleiben die köstlichen Sensationen eines Nabokov oder Melville verborgen.

Coop Himmelb(l)au haben sehr früh ihre Grundsätze definiert, haben sie stets weiterentwickelt, sind sich dabei immer treu geblieben. „Wenn wir von Schiffen sprechen“, so plakatierten sie ihre Architekturgesinnung auch im Jahr 1991 mit ungebrochener typisch-himmelblauer Arroganz und Herausforderung, „denken andere an Schiffbruch. Wir jedoch an von Wind geblähte weiße Segel. Wenn wir von Adlern sprechen, denken andere an Vögel. Wir aber sprechen von der Spannweite der Flügel. Wenn wir von schwarzen Panthern sprechen, denken andere an Raubtiere. Wir aber an die ungezähmte Gefährlichkeit von Architektur. Wenn wir von springenden Walen reden, denken andere an Saurier. Wir aber an das Fliegen von 30 Tonnen Gewicht. Wir finden Architektur nicht in einem Lexikon. Unsere Architektur ist dort zu finden, wo Gedanken schneller sind als die Hände, um sie zu begreifen.“ Lange Jahre blieb es bei himmelblauen Gedanken und Entwürfen, der Wal hob zwar im akademischen Sinn ab, ordentliche Luftsprünge tat er aber selten. Umgesetzte Projekte blieben klein und rar. 1980 fackelten Prix und Swi zum Beispiel einen architektonischen „Flammenflügel“ über einem Hof der TU-Graz ab, 1981 dekonstruierten sie die Barräume des „Roten Engels“ in Wien zu einem spannenden Szenelokal, und von 1984 bis 1986 setzten sie dem Eckhaus in der Wiener Falkestraße ein kompliziertes Büro-Hauberl auf, das nicht nur die Passanten unten stehen und hinaufstarren ließ: Der Dachausbau Falkestraße mit seinen aufgerissenen Räumen, den komplizierten Lichteffekten und dem quer über das Dach zischenden Stahl-Glas-Flügel wurde von der internationalen Architekturpresse viel intensiver und enthusiastischer wahrgenommen als von den heimischen Kritikern.

Der Bürobau in luftiger Innenstadthöhe fehlt bis heute in den meisten Wiener Architekturführern. Dafür schaffte er den Sprung auf die Titelblätter wichtiger internationaler Architekturmagazine - und er stach irgendwann auch dem Henker und Scharfrichter der Branche, Philip Johnson, ins Auge. Der betagte amerikanische Architekt und Königsmacher, eine der boshaftesten und einflussreichsten Architektursibyllen des 20. Jahrhunderts, organisierte damals gerade eine Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art, in der er wieder einmal die geheimnisvollsten Architekturströmungen der Zeit einfangen und ihre wichtigsten Proponenten in geballter Kraft vorstellen wollte. Die Schau „Deconstructivist Architecture“ lief 1988 und provozierte einen Aufschrei der Erleichterung bei all jenen, die der damals wütenden Postmoderne samt ihren Zinnen, Türmchen, Verbrämungen müde waren. Die allesamt unbekannten Leute, die Johnson nach New York geholt hatte, stehen heute alle an der Architekturweltspitze, sie hießen Koolhaas, Hadid, Gehry, Libeskind, Eisenman, Tschumi und Coop Himmelb(l)au.

Es habe, so Melville, stets „verschiedene denkwürdige historische Persönlichkeiten von Walen gegeben, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Stellen des Ozeans allgemein bekannt waren“. Prix und Swiczinsky sind ordentlich herumgeschwommen in der Welt, bis sie allgemein bekannt und anerkannt waren. Nach ihrem letzten großen Sprung dürften auch die letzten gschnappigen Korallenfischchen daheim endlich das Maul halten.

Der Standard, Sa., 2001.03.10

03. März 2001Ute Woltron
Der Standard

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Wenn der Architekt seine Häuser nicht mehr selbst ausführen darf, verliert er seine Würde und seine Identität, finden Markus und Kinayeh Geiswinkler, und sie beweisen, dass es auch anders geht.

Wenn der Architekt seine Häuser nicht mehr selbst ausführen darf, verliert er seine Würde und seine Identität, finden Markus und Kinayeh Geiswinkler, und sie beweisen, dass es auch anders geht.

Architekten, die ihre Projekte an der Hand nehmen und aufmerksam begleiten, bis sie flügge sind, also den späteren Nutzern übergeben werden, sind im Aussterben begriffen. Kinayeh und Markus Geiswinkler, Jahrgang 1964 und 1956, sind zwar relativ jung, zählen aber noch zu dieser raren Spezies der Sorgfältigen, und ihr ausgeprägter architektonischer Fürsorgetrieb macht sich für sie und ihre Produkte einerseits bezahlt, andererseits wird dadurch das Leben in Zeiten hudelnder Bauträger und hastender Investoren nicht eben leichter.

„Die Projekte nicht mehr selbst auszuführen“, das steht für Markus Geiswinkler fest, „ist das Ende der Architektur. Leute, die sich dafür hergeben, degenerieren zu Architektenclowns und zu theoretisierenden Universitätskasperln, wie es sie in den USA so oft gibt. Die Architekten müssen sich gerade heute unbedingt darauf besinnen, was sie wirklich sein wollen - Bilderlzeichner oder tatsächlich ernst zu nehmende Fachleute.“

Diverse Versuche von Bauherren, die beiden Architektureheleute zu entmündigen, scheiterten. Tatsächlich umgibt die zwei die klare Aura kompromissloser Unbestechlichkeit, und zwar in einer angenehm konstruktiven Ausprägung, die zwischen Fragen und Antworten kleine sinnvolle Denkpausen erlaubt. Wer Unmögliches verlangt, bekommt von anderen Architekten oft vage Zusagen und Versprechungen, also unmögliche Antworten, die später sowieso nicht eingehalten werden können. Die Geiswinklers sagen ihren Bauherren lieber schon zu Beginn, was machbar ist und was nicht, welcher Termin eingehalten werden kann und welcher nicht, und diejenigen, die eine solche Klarheit der Ansage schätzen, arbeiten gerne und immer wieder mit ihnen.

So zum Beispiel die Wohnbauer von „Neues Leben“, für die demnächst eine Gartensiedlung an der Wiener Peripherie in Angriff genommen wird. Das 65-Wohnungen-Projekt vereint alle wesentlichen Merkmale Geiswinklerscher Architektur in sich: Es ist bautechnisch ausgeklügelt und auf dem letzten Stand, es nutzt intelligent alle Neuerungen der Bauordnung für sich aus und soll überhaupt als erstes Haus über Bauklasse 1 in Holzleichtbauweise errichtet werden. Die Architektur geht mit Platz und Dichtestaffelungen äußerst sorgfältig um, kippt und dreht die Baukörper so, dass optimale Besonnung bei größtmöglicher Privatheit der einzelnen Einheiten herrschen und ist nicht nur diesbezüglich in hohem Maß dem Nutzen seiner künftigen Bewohner verpflichtet: So hat jede Wohneinheit entweder einen Garten oder eine begrünte Rasendachterrasse und verfügt außerdem über jeweils zwei Eingänge, damit bei Bedarf ein Bürobereich abgetrennt und separat begangen werden kann.

Die Architekten haben den Standort genau hinterfragt und überlegt, welche Personengruppen für eine Wohnung an der Peripherie überhaupt infrage kommen. „Wer an den Stadtrand zieht, hat entweder kleine Kinder oder kann von zu Hause aus arbeiten“, sagt Kinayeh Geiswinkler. Diese Standort- und Nutzeranalyse ist ein Punkt auf der selbstauferlegten „Prinzipienliste zum Nutzen des gescheiten Wohnbaus“, nach der die Architekten ihre Projekte anlegen. Die Frage, wo gebaut wird und wer dort wohnen soll, steht zuoberst.

Ein paar weitere Punkte: Viel wichtiger als eine fesche Fassade ist das gründlich durchdachte Konzept der Architektur, formale Gags sind verboten, auch Materialspielereien ohne Hintergrund sind nicht erlaubt. Wohnungen sollten im besten Fall erweiterbar und veränderbar sein, sich anpassen können, und ein gewisses ingenieurhaftes Wesen, das den Architekten als Erfinder neuer Lösungen und Details ins Spiel bringt, darf ruhig spürbar sein.

In diesem Sinne wurden bisher diverse Projekte, auch abseits des Wohnbaus, abgewickelt. Da wäre zum Beispiel der ganz einfache und doch raffinierte Mehrzwecksaal, den das Bezirksamt Wien-Favoriten neben seinen historischen Mauern dazubekam: Der Glas-Beton-Holz-Pavillon scheint im Hof zu schweben, der Kontrast zwischen bestehender Architektur und dem Neuen macht klar, wie viel Spaß Alt und Neu miteinander haben können, wenn man sie unverkrampft zusammenspannt.

Ebenfalls im steinernen Kern alter Substanz entstand der kleine Umbau der Galerie Image neben der Wiener Ruprechtskirche, wo genau überlegt wurde, wie im städtischen Außenraum die Passantenströme fließen, aus welchen Richtungen der Galerieraum am besten betreten wird, wie also, so Markus Geiswinkler, „der Genius Loci beschaffen ist und mit dem eigenen Projekt verschärft werden kann“. So geschehen auch mit dem Guess-Club in Mariahilf, wo eine Hausecke geöffnet und eine flotte Bar untergebracht wurde.

Kennen gelernt haben sich die Geiswinklers übrigens in den späten 80er-Jahren auf der Technischen Universität Wien. Markus arbeitete beim damaligen Gestaltungslehre-Professor Rob Krier, und die Kurdin Kinayeh war 1984 aus dem Irak nach Österreich gekommen, um Architektur zu studieren. Man rannte sich also dauernd in irgendwelchen Zeichensälen über den Weg, zeichnete schließlich irgendwann gemeinsam, und zwar einen Europan-Wettbewerb, und heimste mit einem Ankauf einer flexibel angelegten Wohnhausanlage für La Chaux-de-Fonds in der Schweiz einen beachtlichen Erfolg ein.

Tatsächlich ins Geschäft mit der Architektur kamen sie, indem sie mit ihrem Projektmäppchen aktiv bei diversen Ämtern und Unternehmern vorstellig wurden. „Die Swobodazeit war eine aufgeschlossene, sie hat uns persönlich wirklich weitergebracht“, so die Meinung beider. Es gab Einladungen zu diversen Gutachterverfahren, man konnte sich einen Namen machen und schließlich ein ordentlich großes Projekt in Form der Kindertagesstätte Floridsdorf anpacken.

Wieder kommunizieren dort Stahlbeton, Glas und Holz miteinander, die Atmosphäre des Kinderhauses ist hell, freundlich, angenehm. Auf dem Dach könnten kleine Gärtchen und Wiesen angelegt werden, doch das hat Zeit, bis der Platz rundum knapp wird. Dann allerdings werden solch vorausschauende Maßnahmen wertvoll, ja unbezahlbar sein. Entstehen kann so etwas, wie gesagt, aber nur, wenn die Architekten ihre Projekte wirklich bis zur Schlüsselübergabe begleiten, die Ausführung eifersüchtig bis zum Schluss überwachen, ihre Ideen aktiv durchboxen. Denn Vertrauen ist gut, doch Kontrolle ist erwiesenermaßen viel besser.

Der Standard, Sa., 2001.03.03

02. März 2001Ute Woltron
Der Standard

Architektur als Miteinander

Ottokar Uhl wird zum 70er mit neuem Buch und Festreden geehrt

Ottokar Uhl wird zum 70er mit neuem Buch und Festreden geehrt

Wien - Der Architekt Ottokar Uhl feiert dieser Tage seinen 70. Geburtstag. Er ist nicht der bekannteste unter Österreichs Architekten, weil er nie ein Schreihals und Selbstdarsteller war. Doch mit seinen Arbeiten und vor allem auch mit seiner Lehre hat der stets ausgesprochen Bescheidene die Architekturszene wahrscheinlich nachhaltiger beeinflusst und direkter an ihren Wurzeln gepackt als viele seiner prominenteren und gesellschaftsparkettmäßig begabteren Kollegen.

Ottokar Uhl, 1931 in Kärnten auf die Welt gekommen, ab 1950 in Wien und Salzburg architektonisch unter anderem von Lois Welzenbacher und Konrad Wachsmann geschult, hat nicht sich selbst oder seine Architekturen ins Zentrum gerückt, sondern den Menschen - zum einen den wohnenden, zum anderen den gläubigen. Er ist neben dem Grazer Eilfried Huth einer der Erfinder des vom Architekten betreuten kollektiven Hausplanens, und dass er viele dieser, der Natur nach unendlich mühsamen Projekte über gelegentlich bis zu einem Dutzend Jahre unermüdlich durchgezogen hat, zeugt von der außerordentlichen Menschenliebe und Opferbereitschaft des umsichtigen Baumannes.

Seine Bemühungen um die Partizipation, zu betrachten etwa in Form der Wohnanlage „Wohnen Morgen“ in Hollabrunn oder dem integrativen Wohnprojekt B.R.O.T. in Wien, sind immer noch wegweisend. Tatsächlich wirken seine Studien und Vorarbeiten zu diesem Thema heute auch in hochkommerziellen Wohnbauten in modifizierter Form nach, wenn die späteren Mieter oder Wohnungseigentümer zumindest ihre persönlichen Grundrisse noch während der Planungszeit mitbestimmen dürfen.

Ottokar Uhl war nie ein Formalist, wichtiger als das Erscheinungsbild eines Hauses war seine Seele, und die besteht zum einen aus Funktionen und Atmosphären, zum anderen aus kühl kalkulierten, ökonomisch optimierten Bauparametern. „Die Auseinandersetzung mit den Fragen des Bauens führt - über Umwege technischer, ökonomischer, ökologischer, persönlicher Problemstellungen - zu Selbsterkenntnis, Infragestellung bisheriger Lebensumstände bis hin zu Umentscheidungen und zum Neubeginnen im Leben der Partizipanten“, behauptete er 1996. Und schon 1983 hatte er seinen Architektenkollegen geraten: „Kämpfen Sie gegen den Untergang in Bürokratie und Technokratie. Verstehen Sie sich nicht länger als ,Versorger'. Besinnen Sie sich auf jene historischen Ziele (der Baubewegungen), die sich als Hilfe für den ganzen Menschen verstanden.“

Der Architektur als großer sozialer Aufgabe wurde der Kärntner auch auf dem Gebiet des Kirchenbaus wiederholt gerecht. Seine Kapellen und Andachtsstätten, wie etwa die Kapelle der katholischen Hochschulgemeinde Wien oder die Konviktskapelle des Stifts Melk, sind schlicht, stark, selbstsprechend. Uhls Architektur, so urteilt Friedrich Achleitner in der neuen Publikation Ottokar Uhl. Werk. Theorie. Perspektiven (Verlag Schnell&Steiner), habe im Wohnbau „ihre eigene Strahlkraft“ und auch im Kirchenbau eine spezifische „ästhetische Kraft“ entwickelt. Das Buch wird heute Abend in Anwesenheit des Jubilars im Wiener Rathaus vorgestellt.


[Im Rahmen von „Architektur als Prozess im Werk von Ottokar Uhl“ Vorlesungen zum 70. Geburtstag des Architekten, Wappensaal des Wiener Rathauses, 2. März, 19.00.]

Der Standard, Fr., 2001.03.02

24. Februar 2001Ute Woltron
Der Standard

Scharfer Zahn

Die Wiener Innenstadt bekommt den ersten Neubau nach dem Haas-Haus. Die verantwortlichen Architekten sind Dieter Henke und Marta Schreieck.

Die Wiener Innenstadt bekommt den ersten Neubau nach dem Haas-Haus. Die verantwortlichen Architekten sind Dieter Henke und Marta Schreieck.

Alte Städte sind sensible Organismen, und ihre Fronten und Fassadenreihen blicken auf die Betrachter ihrerseits mit einem eigenen Mienenspiel zurück. Sie schauen dabei fröhlich oder finster drein, je nachdem, jedenfalls haben sie Charakter, Persönlichkeit und ein markantes Gesicht. Es ist für jeden Architekten ausgesprochen schwierig, in einem solchen Ensemble sinnvolle Veränderungen vorzunehmen, vor allem, wenn gleich ein ganzer Schneidezahn aus dem Gebiss zu brechen und durch einen neuen zu ersetzen ist.

Im schönen alten Gesicht der Wiener Innenstadt ist ein solcher Eingriff schon lange nicht mehr erfolgt. Nach der Errichtung des Haas-Hauses - einer Art postmoderner Schönheitsoperation neben der Steffl-Nasenspitze - gab es keine zeitgenössische Intervention größeren Formats. Nun wird, so könnte man sagen, die Stadt-Zahnreihe am Donaukanal, die den Innenstadtbesucher schon von weitem begrüßt, ein neues Implantat bekommen.

Die Vorgeschichte ist bekannt: Am Franz Josef Kai Nummer 47 befindet sich mit dem sogenannten „Kaipalast“ ein schönes und interessantes Stahlbetonhaus aus dem Jahr 1911, das, so diverse Studien, unter anderem auch eine des Bundesdenkmalamtes, zu marod und morsch in seinen Metallknochen ist, um renoviert und wiederbelebt zu werden. Vor zwei Wochen erging denn auch trotz scharfen Protests einiger Architekturleute die offizielle Abrisserlaubnis. Die Besitzerin der Liegenschaft ist die Zürich-Kosmos-Versicherung, das Unternehmen hatte, weil Zeit Geld ist, bereits einen geladenen Wettbewerb für einen neuen Büro- und Geschäftsbau an Stelle des alten Hauses veranstaltet.

Die sechs Entwürfe von Artec, Berger & Parkkinen, Dietmar Feichtinger, Henke und Schreieck, Ortner+Ortner sowie pool Architektur wurden diese Woche unter Vorsitz von Architekt Rüdiger Lainer juriert. Die Wahl des Siegerprojekts erfolgte einstimmig, es stammt aus dem bewährten Neubaugassen-Atelier der tirolerisch-wienerischen Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck. Die beiden haben den sensiblen Bauort mit behutsamen Chirurgenfingern erst von oben bis unten sorgfältig abgetastet und anschließend ein passendes und trotzdem eigenständiges Implantat für die Baulücke entworfen.

Das neue Haus tanzt nicht aus der Reihe, es hält sich an Bauhöhen und Baulinien, und das ist gut so, weil die Narrischkeiten ohnehin auf dem anderen Donaukanalufer fröhliche Urständ feiern dürfen. Auch in einer großen Stadt muss die Ruhe da und dort ihr Plätzchen behaupten können. Städtebaulich, quasi gebisstechnisch, ist der klare, einfache Block von Henke und Schreieck also angepasst und tadellos. Die Raffinesse beginnt mit der Fassade und setzt sich im Gebäudeinneren konsequent fort.

Die Außenhülle des neuen Geschäftshauses wird wie ein vertikal gerichteter Lamellenkörper funktionieren. Man stelle sich die Kiemenschlitze eines Haifischs vor, dann ist man dort. Je nach Bedarf und Sonnenstand können die geschosshohen Glasscheiben verdreht werden. Der noch immer hochmoderne und eigentlich ziemlich widerliche Spiegelglaseffekt wird durch geätzte, flusssäuregetrübte Gläser vermieden. Das Haus wird chamäleonartig der jeweiligen Lichtstimmung entsprechen und immer ein wenig anders aussehen, je nach dem wie die Lamellen geklappt sind und das Licht fällt. Marta Schreieck: „Wenn die Sonne reinfährt, kann es richtig lilaorange leuchten, wie eine Glaskiste schaut es jedenfalls sicher nicht aus.“

Mit diesem glatten und trotzdem strukturierten Aussengesicht ersparen die Architekten sich und uns die andernorts tüpfelig mit vielen Fensterpickelchen überfrachteten Gucklochfassaden, die immer in Konkurrenz mit ihren älteren Nachbarn stehen und dabei stets irgendwie pubertär und unreif daherkommen und als architekturgewordener Generationenkonflikt unangenehm den Stadtraum dominieren.

Das Gebäudeinnere des neuen Kai-Hauses ist aufgrund gekonnter Architekturanwendung frei von Zwischenwänden aller Art, sieht man vom Stiegenhaus- und Sanitärblock ab. Die Räume sind von ihren späteren Nutzern also beliebig gestaltbar, vom Zellenbüroställchen bis zum Partysaal ist alles machbar.

Damit von oben bis unten Licht und Luft in großzügigen Mengen die Architektur durchströmen können, wurde der Block zonenweise ausgehöhlt. Der dadurch entstehende plastisch ausgeformte und die entsprechen de Vielfalt an Atmosphären erzeugende Innenhof wird überdacht. Er streckt Seitenarme in Richtung Kai und Heinrichsgasse aus, durchdringt da wie dort je ein Mal die Fassade und öffnet so die luftige Zone nicht nur gen Himmel, sondern auch in die Stadträume.

Da Architektur nicht nur Optik und Raummachen ist, haben Henke und Schreieck mit ihrem Entwurf zur Freude der späteren Betreiber auch ein intelligentes Klimakonzept mitgeliefert: Ein Wärmetauscher holt sich aus den Tiefgaragewänden die Erdwärme, schafft Temperaturdifferenzen von 8 bis 10 Grad Celsius zur Außentemperatur und hilft sommers wie winters Energie sparen. Das nur am Rande zur Info darüber, dass Architekten keine Edelhäuslbauer sondern tatsächliche Fachleute sind (die guten jedenfalls).

Ganz oben auf dem mit acht Geschossen, 26 Metern Traufenhöhe und 4.500 Quadratmeter Gesamtnutzfläche nicht übermäßig riesigen Haus schwebt zu guter Letzt ein gläserner Raum, der eine der ersten Veranstaltungsadressen der Stadt werden könnte. 120 bis 150 Millionen Schilling dürfte, so Zürich Kosmos-Finanzvorstand Rudolf Kraft, der Neubau kosten, er soll ehebaldigst in Angriff genommen werden.

Der Standard, Sa., 2001.02.24



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Büro- und Geschäftshaus k47

17. Februar 2001Ute Woltron
Der Standard

Patente Architektur

Gute Architekten sind Erfinder, meint Volker Giencke, und wenn sie sich ihre Ideen nicht ständig klauen lassen wollen, sollten sie gelegentlich zum Patentamt schreiten. Das Urheberrecht wird zum Thema in der Architektur.

Gute Architekten sind Erfinder, meint Volker Giencke, und wenn sie sich ihre Ideen nicht ständig klauen lassen wollen, sollten sie gelegentlich zum Patentamt schreiten. Das Urheberrecht wird zum Thema in der Architektur.

Der gute Architekt ist traditionell ein Spürhund seiner Zeit. Er ist permanent auf der Fährte neuer Ideen, Materialien, Technologien, Raumlösungen, Zeitströmungen, Lifestyletrends, Gesellschaftsentwicklungen. Das alles erschnüffelt er, fängt es für sich ein und vermengt es in gedanklicher Mischmaschine zu den architektonischen Gebilden, in denen später Menschen arbeiten und wohnen werden.

Eine überwältigende gesellschaftliche Entwicklung wird dabei von den Bauleuten häufig übersehen oder zumindest nicht clever genutzt: die zunehmende Macht der Juristen in allen Lebensbereichen. Wenn zum Beispiel in Chicago ein Schneesturm den Morgenverkehr auf den Freeways lahmlegt, verbünden sich die Autofahrer noch am Nachmittag desselben Tages, dingen einen entsprechenden Paragraphenfuchser und verklagen die Stadtregierung auf Schadenersatz wegen arbeitsmäßigen Zuspätkommens, weil die Natur sich als stärker erwiesen hat als die Schneepflüge. Und weil man mit den unmöglichsten Kleinigkeiten Geld verdienen kann, wird jede Erfindung juristisch abgesichert und patentiert, und der Begriff Urheberrecht wurde zum Schlagwort in allen Lebensbereichen.

Ein guter Architekt ist stets auch Erfinder. Er denkt sich neue Details aus, oft gemeinsam mit innovativen Betrieben, und er konstruiert intelligente neue Räume und architektonische Systeme. Meistens bleibt er dabei allerdings Urheber ohne Rechte, und genau das, meint der Grazer Architekt und Innsbrucker Professor Volker Giencke, gehe ihm langsam auf die Nerven. „Das Urheberrecht kämpft gegen das Plagiat und greift den kreativen Diebstahl an“, sagt er, und auch die Architekten sollten sich diesen Schutz verstärkt zunutze machen. Giencke zählt neben dem Wiener Architekten Helmut Richter und noch ein paar wackeren Streitern im Dienste der konstruktiven Innovation zu den unternehmungslustigsten Bauleuten Österreichs.

Die Architektur beginne eigentlich mit dem erfinderischen Hochbau, meint er, und die griffigsten Ideen, die er bisher umgesetzt hat, will er sich nun unter Patentschutz stellen lassen. Schon Adolf Loos hat vor fast hundert Jahren sinngemäß gemeint, alles, was in der Architektur bereits da und gut sei, müsse nicht nochmals neu erfunden werden, doch wer die Worte des allseits verehrten Architektururahns heute ernst nehmen will, muss sich auf das Patentamt verfügen.

Giencke hat etwa für die Gewächshäuser des Grazer Botanischen Gartens Aluminium in geschweißter Konstruktion eingesetzt, was in größeren Dimensionen als ungemein schwierig gilt. Darüber liegt nicht, wie gewöhnlich, eine Glashaut, sondern wesentlich besser selbstreinigendes Plexiglas in doppelter Schale - ebenfalls erstmals hier angewandt.

Für den Turnsaal der Stiftschule in Seckau erfand er eine schlaue - im Übrigen sicherheitshalber bereits patentierte - Isolierglasfassade, die sich quasi selbst hält, weil die zentimeterfeine Tragkonstruktion zwischen den Glasscheiben untergebracht werden konnte. Und für einen Baumax-Markt versenkte er computergesteuerte bewegliche Lamellen zwischen den Glasscheiben, die sich nach dem Sonnenstand orientieren und je nach Bedarf Licht und Wärme reflektieren oder einlassen. Dass die tragende, nach zwei Seiten gebauchte Rohr-Konstruktion ebenfalls hauchzart und raffiniert gemacht ist, versteht sich von selbst.

Gienckes neueste Architekturerfindung könnte schon bald unter dem demnächst errichteten Landeskrankenhaus in Bregenz entstehen, und zwar in Form einer ungewöhnlichen Tiefgarage. Wo normalerweise mühsam durchkurvt werden wollende Stützenwälder im Finsteren stehen, befinden sich nur drei große Kegelstümpfe im Tageslicht. Sie tragen zum einen das Dach und können zum anderen außen mit Bäumen bepflanzt werden, was keine andere Tiefgarage erträgt. Außerdem holt der Architekt mit einem kleinen und völlig unaufwendigen Kniff das Sonnenlicht in die Autohalle, indem er lediglich eine Wand leicht schräg legt, was oben einen geräumigen Lichtschlitz erzeugt. Das Tageslicht rinnt solchermaßen die Wand herab und wird in den gesamten Raum reflektiert. „Diese Tiefgarage kostet nicht mehr als jede herkömmliche“, sagt Giencke, „ist aber durch ganz einfache konstruktive Maßnahmen wesentlich besser und einfacher nutzbar, weil man sich rund vierzig der Stützen erspart, die normalerweise das Navigieren so mühsam machen.“

Giencke ist mit seinen Urheberschutzabsichten natürlich nicht der Erfinder „patenter Architektur“. Diverse prominente Baumannen der Gegenwart und auch der Vergangenheit haben ihre Erfindungen registrieren und schützen lassen, Jean Prouvé etwa, Konrad Wachsmann oder Buckminster Fuller. Vor allem Fuller, der intensivste Zusammenarbeit mit der Industrie pflegte, legte sich im Laufe seines Erfinderlebens eine enorme Fülle an Patenten zu, gelegentlich für ganze Einfamilienhäuser, die er mithilfe angewandter Flugzeugtechnologie konstruiert hatte.

Wenn schon alle ihre Urheberrechte eifersüchtig bewachen, warum sollten das nicht auch die Architekten in vernünftigem Maß tun? Außerdem könnte ein bisschen Gesetzeskraft und Juristerei ausnahmsweise einmal auf ihrer Seite der ohnehin gebeutelten Kreativbranche der Architektur sicher nicht schaden.

Der Standard, Sa., 2001.02.17

15. Februar 2001Ute Woltron
Der Standard

Architekturdenkmal wird Ringstraßen-Hotel

Wien - Rund zehn Jahre stand es leer, jetzt wird Roland Rainers „Böhlerhaus“ am Wiener Schillerplatz zu einem Hotel umgebaut.

Wien - Rund zehn Jahre stand es leer, jetzt wird Roland Rainers „Böhlerhaus“ am Wiener Schillerplatz zu einem Hotel umgebaut.

Das elegante, derzeit etwas verstaubte und renovierungsbedürftige Bürogebäude ist das letzte prominente Baudokument der 50er-Jahre in der Bundeshauptstadt, es zählt neben der Wiener Stadthalle zu den wichtigsten Projekten des renommierten Architekten.

„Roland Rainer wird selbstverständlich in die Planung mit einbezogen werden“, stellte Bauherrin und Donauzentrum-Vorstand Bettina Breiteneder dem STANDARD gegenüber fest. Projektarchitekt ist Denkmal- und Industriearchäologieexperte Manfred Wehdorn. Auch er macht klar: „Der Umbau erfolgt in Zusammenarbeit mit dem ursprünglichen Architekten.“

Das Haus mit Adresse Elisabethstraße 12 wird tatsächlich nur als Teilstück in ein großes Hotelensemble integriert werden, das sich über den gesamten Gründerzeit-Baublock in unmittelbarer Staatsopernnähe erstrecken soll. Den Hotelbetreiber will Breiteneder noch nicht nennen, kolportiert wird der Schweizer Hotelmulti Mövenpick. Baubeginn könnte September dieses Jahres sein.

Roland Rainers Böhlerhaus war zum Datum seiner Entstehung ein äußert selbstbewusstes Dokument eines neuen, modernen Architekturverständnisses und hatte mit der Metall-Glas-Fassade außen sowie der nüchtern-rationellen Raumorganisation innen Signalwirkung für die heimische Architekturszene. Das Haus steht seit Anfang der 90er-Jahre unter Denkmalschutz - ein Umstand, der dem Gebäude nun zupass kommen dürfte. Roland Rainer hatte 1992 nur wenig später in einem Aufsatz festgehalten: „Wenn sich das Bundesdenkmalamt damit erfolgreich durchsetzen kann, würde es zu einer sehr wichtigen kulturellen Instanz, zu einem kulturellen Gewissen werden.“

Nach ersten Gesprächen mit Denkmalamtspräsident Wilhelm Rizzi ist der renommierte Baumann zuversichtlich: „Ich hab zwar nicht mehr daran geglaubt, doch es schaut so aus, als könnte jetzt tatsächlich eine sinnvolle Revitalisierung gelingen“, meint Rainer. Und: „Der Entschluss ist letzten Endes vernünftig. Ich habe die Möglichkeit, alle kritischen Punkte selbst zu planen, damit trotz Umbaus der Charakter des Hauses erhalten bleibt.“

Der Standard, Do., 2001.02.15



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Böhlerhaus - Umbau

27. Januar 2001Ute Woltron
Der Standard

Land in Sicht

Der als Betonplattenbrutalo verschrieene Wiener Baukonzern Mischek versucht unter der Führung seiner Erben eine radikale Kurskorrektur und will mit den besten Architekten an Bord in Richtung Qualitätsarchitektur steuern.

Der als Betonplattenbrutalo verschrieene Wiener Baukonzern Mischek versucht unter der Führung seiner Erben eine radikale Kurskorrektur und will mit den besten Architekten an Bord in Richtung Qualitätsarchitektur steuern.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Anfang Dreißig und ein ziemlich fesches, aufgewecktes Fräulein. Sie haben einen ziemlich klugen kleinen Bruder und einen ganz schön wohlhabenden Vater. Der baut mit seiner milliardenschweren Baufirma eine von zehn neuen Wohnungen in Wien, was ziemlich einträglich ist und eine Privatstiftung erfordert.

Aber plötzlich freut ihn das Geschäft nicht mehr so recht, denn die Zeiten haben sich geändert, der Jüngste ist er auch nicht mehr, und deshalb zitiert er Sie und Ihren Bruder eines Tages zu sich und stellt Sie vor die Alternative: Entweder, meine Lieben, ihr schmeißt's ab sofort die Bude hier, oder ich lerne andere Nachfolger an. Tja. Was würden Sie tun?

Michaela Mischek (35) pflegt bei solchen Gelegenheiten mit leicht schiefgelegtem Kopf die Augen in hübschem Erstaunen weit aufzureißen. „Na wenn das so ist“, dürfte sie damals ungefähr zu ihrem Vater gesagt haben, „dann schmeißma dieBude halt.“ Sie selbst ist studierte Historikerin und Politikwissenschaftlerin, ihr Bruder Ronald (34) Bauingenieur, die Firma „Mischek“ ein zu hundert Prozent in Privatstiftungsbesitz befindlicher Konzern mit einer Betriebsleistung von knapp zwei Milliarden Schilling bei einer Bilanzsumme von 4,2 Milliarden - eine prachtvolle, aber höllisch komplizierte Spielkiste für unerfahrene Nachfolger, mit jeder Menge Treibsand und Schlaglöchern, in denen man leicht versinken kann.

Doch auch das hätte wunderbar in das Konzept der frechen und umtriebigen Michaela Mischek gepasst, wäre da nicht dieses wirklich miefige Betonplattenimage der Firma gewesen. Das Mischmaschinenflair, das war echt uncool.

Der Begriff Mischek stand jahrzehntelang für schnell hochgezogene Wohnhäuser aus Fertigteil-Betonplatten, bei deren Anblick jeder Architekt den Kopf einzog und den Schritt beschleunigte. „Mit diesem wunderbaren und mega-ökonomischen Fertigteilsystem“, grinst Michaela Mischek, „konnte in Nachkriegszeiten sehr rasch Wohnraum geschaffen werden, was den Wienern natürlich geholfen hat. Aber später waren wir dann schon als schrecklich schlimme Betonierer verschrieen.“

Wie poliert eine Baufirma ihr wenig elegantes, zementstaubiges Image auf? Sie hat eigentlich nur eine Möglichkeit: Sie nehme sich die besten Architekten zur Brust und lasse sozusagen die Reflexionen der schillernden Künstlerfedern auf dem eigenen Gefieder spielen. Wenn sie das klug anstellt, werden letztlich alle zufrieden sein: die Architekten, weil sie gute Arbeit tun können, die Endverbraucher, weil sie tolle Wohnungen bekommen, die Baufirma, weil sie damit dort ist, wo sie hinwill.

Ganz so weit ist das Unternehmen Mischek noch nicht. Es hat sich aber mit dem Geschwisterpaar an den Zügeln in erstaunlich kurzer Zeit auf dem Wege dorthin aufgemacht. Die Schwester ist Sprachrohr, PR-Spitze und Architekturverantwortliche, der Bruder die technisch-innovative Basis. Es zeichne sich ab, so Michaela Mischek, dass der Lifestyle von trendigem Essen über schicke Möbel auch auf die Architektur überschwappe. Sie ist überzeugt: „In Zukunft werden die Leute ihre Wohnungen nach dem Namen des Architekten kaufen, der das Haus geplant hat. Wir versuchen nun, unsere Architektur um 180 Grad zu drehen, doch man muss auch verstehen, dass so etwas in einem großen Betrieb nicht von heute auf morgen geht. Das Unternehmen kommt nun mal aus einer gewissen Tradition, wir müssen dieses Unterfangen Schritt für Schritt angehen, und bei jedem einzelnen Projekt will ich einen Schritt weiterkommen.“

Die Architektenriege, die in den vergangenen paar Jahren angeheuert wurde, kann sich sehen lassen. Alles dabei, von Roman Delugan und Elke Meissl über Helmut Wimmer, Artec, Rüdiger Lainer, Albert Wimmer und andere mehr. Demnächst entstehen am Wienerberg je ein Wohnhochhaus von Coop Himmelb(l)au und vom Team Delugan-Meissl. Bettina Götz und Richard Manahl, die hinter dem Namen Artec stecken, bauen ein kleines feines Wohnhaus am Hundsturm. Architekturprofessorin Nasrine Seraji plant gerade ihr erstes Wien-Haus mit Mischek in der Linzer Strasse. Querkraft überlegen sich ein Wohnprojekt im 18. Bezirk. In der Wiedner Hauptstrasse soll bis 2002 ein Wohnbauprojekt mit den Architekten Rüdiger Lainer, LSSS (Cornelia Schindler und Rudolf Szendenik) und Artec entstehen. Die vom Architektur Zentrum Wien ausgewählten „Emerging Architects“ durften einen Mischek-Wohnbau-Wettbewerb bestreiten, der auch demnächst in Bau gehen soll. Und zu guter Letzt wurde dem diesjährigen EuroPan-Wettbewerb, der europaweit die Wohnideen junger Architekten fördern will, ein Grundstück in Simmering zur Verfügung gestellt.

Klingt alles toll, doch Architektur ist nicht nur Engagement, Wettbewerb und Sieg, sondern vor allem auch Ausführung, und da erleidet die beste Planung gewöhnlich ihre grausamsten Niederlagen. Schaut man sich die bereits vollendeten Mischek-Häuser der jüngeren Vergangenheit an, so sieht man doch noch die Kompromisse, die eingegangen werden, wenn der Freigeist der Architektur durch herkömmliche Fertigteilplattenkonstrukte weht. Gelegentlich blieb außer der Fassade nur ein prachtvolles Foyer über, der Wohnungsrest war schmerzlicher 08/15-Standard.

Doch Michaela Mischek nimmt allen Kritikern elegant den Wind aus den Segeln, indem sie mit kräftigem Kopfnicken zustimmt und auf die Umbruchphase verweist, die das Unternehmen doch noch durchlaufe. Man möge es nicht an seinen architektonischen Neuanfängen messen, sondern an künftigen, besseren Projekten. Darunter könnte auch ein ganz außergewöhnliches Ding von den holländischen MVRDV sein, das nur noch einen geeigneten Bauplatz sucht.

Um Gutes unter dem enormen ökonomischen Druck, der auf dem Wohnbau lastet, zustande zu bringen, so Mischek, müsste die gesamte Architekturabwicklung radikal verändert werden. Das Konzept und die Gesamtplanung eines Projektes seien viel wichtiger zu bewerten als bisher - und auch entsprechend kräftiger zu honorieren. Die darauf folgende Einreichplanung müsse künftig quasi auf Knopfdruck „vom billigsten Arbeiter oder von Zeichenbüros“ und nicht vom Architekten selbst gemacht werden.

Eine solche Vorgangsweise funktioniert allerdings nur, wenn sich der Architekt auf seinen Partner, die Baufirma, blind verlassen kann. Andernfalls wird er zum Pausenclown, der lediglich die Showeinlage liefern darf. Ob Mischek der kongeniale Architekturpartner wird, den sich alle wünschen, dürfte von der gesamten Branche sehr aufmerksam und argwöhnisch beäugt werden. Michaela Mischek strahlt derweilen die Kraft und die Zuversicht ihrer Generation, und die zeichnet sich durch Schläue, Geschwindigkeit und Geschäftstüchtigkeit aus.

In einer nicht so fernen Zukunft sieht sie das Imperium, das ihr Vater gemeinsam mit ihrem Großvater ab 1945 aus dem Boden gestampft hat, weniger als Baufirma denn als Gesamtdienstleister in Sachen Wohnen. Als Konzern, der seinen Aktionsradius auch über den Wohnbau hinaus erweitert und „viele tolle Architekten beschäftigt“. Das eigentliche Baugeschäft kann zugekauft werden und gerät dabei eher in den Hintergrund, wichtiger wird die Projektentwicklung, das penible Planen und Durchziehen von guter Architektur.

Der erwünschte Imagefaktor wird allerdings nur dann dauerhaft sein Schillern entfalten, wenn das Feine, Widerborstige und Freche, mit anderen Worten, das Reizvolle und Individuelle an der bestellten Architektur, nicht durch den Bauprozess zurechtgeschliffen wird.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Architekt und arbeiten mit einer Baufirma, die genau das will, was Sie auch wollen: Außergewöhnliche, hervorragende Architektur. Wetten, dann reißen auch Sie die Augen auf?

Der Standard, Sa., 2001.01.27

19. Januar 2001Ute Woltron
Der Standard

Auch das Ruhige kann Spektakel sein

Allen Unkenrufen zum Trotz ist mit dem Museumsquartier ein beschaulicher Kulturbezirk entstanden, in dem der Besucher selbst Muse sein darf. Ein erster Rundgang mit Architekt Laurids Ortner

Allen Unkenrufen zum Trotz ist mit dem Museumsquartier ein beschaulicher Kulturbezirk entstanden, in dem der Besucher selbst Muse sein darf. Ein erster Rundgang mit Architekt Laurids Ortner

In den vergangenen Jahren hat jeder, der irgendwie mit Architektur zu tun hat, über das vom Volks- und Politikerwillen zurechtgestutzte Museumsquartier (MQ) gelästert. Schuld daran war das Prozedere seines Entstehens. Erst hatte es einen Wettbewerb gegeben, dann ein Siegerprojekt, schließlich eine endlose Dreckschleuderdebatte um die Architektur, in die sich fachlich völlig Unbedarfte mit einer sagenhaften Selbstverständlichkeit einmischen durften. Solchermaßen, das schien allen wackeren Architekturstreitern der Nation klar, könne nur schwächliche Kompromissarchitektur entstehen. Sie haben sich geirrt.

Wer dazu über all die Jahre beharrlich schwieg, war das Architektenbrüderpaar Manfred und Laurids Ortner. Gestern wurden schließlich die drei neuen Hallen in den alten Hofstallungen ihren künftigen Betreibern übergeben. Die Sammlung Leopold bekam einen weißen Museumsblock, das Museum moderner Kunst einen schwarzen, die Kunsthalle einen ziegelroten Riegel, und obwohl die Angelegenheiten noch nicht ganz fertig gestellt und vor allem die Außenräume noch nicht hergerichtet sind, darf Folgendes festgestellt werden: Die Wiener werden dieses MQ annehmen, sie werden es in ihren Besitz nehmen, sie werden es früher oder später immer schon gewusst haben, dass ohne Museumsquartier Wien nicht Wien wäre. Die acht „Beisln“ auf dem Gesamtareal dürften zu diesem Zweck sozusagen enzymatische Wirkung im Dienste leichterer Verdaulichkeit entwickeln.

Doch diese Architektur hat das eigentlich gar nicht nötig. Sie ist kein Spektakel, will es auch nicht sein. Die Hallen sind, so Laurids Ortner, „grundsolide Häuser - und aus“. Er hat erstaunlicherweise vollkommen Recht. Der Besucher durchschreitet grundsolide Architektur, an der es nichts zu meckern gibt, es sei denn die teils ärgerlich schlamperte Ausführung.

Zu Kaisers Zeiten hätte etwa der Steinmetz der hingeschluderten weißen Kalksteinfassade des Leopold-Blocks wahrscheinlich für den Rest seines Lebens im tiefsten Banat Wache schieben müssen. Heutzutage kann er erklären, dass die Ritzen zwischen den Platten halt zu schmal seien, um verfugt zu werden. Er möge diese Aussage überdenken, denn erst wenn diese Falten geglättet sind, wird der Steinblock seine Monolithwirkung entwickeln.

Im Museumsinneren geht es ruhig und unspektakulär weiter. Ein hohes Atrium empfängt den Besucher, rundherum schließen sich entspannt Ausstellungshallen windflügelartig an. Weiße Wände, dunkle Eichenparketten, die Verkehrsflächen auch bodenseits Kalkstein - alles ist groß, schwer, tief, quasi zurückhaltend im Dienste der großen Schieles und Klimts und anderer Malervorväter, die hier im Mittelpunkt stehen werden. Das Haus bohrt sich so tief in den Boden hinein, wie es herausschaut, es ist insgesamt fast 40 Meter hoch.

Das Gleiche gilt für den schwarzen Basaltlavablock, in dem das Museum moderner Kunst residiert. Hier wird's ein bisschen spannender, weil zum einen ein großzügiger Liftschacht das gesamte Haus durchbohrt und seine enormen Dimensionen eröffnet, und weil zum anderen die verwendeten Materialien eine interessante Kombination bilden. Schwarzer, poröser Stein trifft auf sattes, speckiges Gusseisen. Dazwischen schießen glänzende Stahllifts mit grünem Glas auf und ab. Die dazugehörigen Ausstellungshallen: ebenfalls ruhig, unaufgeregt, ihrem Zweck entsprechend. Tadellos.

Die eingeschobene Sitztribüne inmitten der ehemaligen Winterreithalle ist auf der Unterseite mit blitzendem Aluminium verkleidet, das sich flott vom Sisi-Schnörkelbestand abhebt und ein schönes Foyer (samt einem Café von Eichinger oder Knechtl) schafft. Hinter dieser Veranstaltungshalle liegt die großzügig dimensionierte Kunsthalle im Ziegelkleid.

Was das MQ grundlegend von Architekturheulern wie Guggenheim-Bilbao unterscheidet: Es wird mit seinen vielfältigen Außen- und Innenbiotopen vor allem von den Ortsansässigen belebt werden. Touristen sind willkommen, aber nicht Mittelpunkt. Was allerdings schmerzlich fehlt, ist das architektonische Rufzeichen. Ein fescher „Leseturm“ wäre dringend angesagt.

Der Standard, Fr., 2001.01.19



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MuseumsQuartier Wien - MQ

23. Dezember 2000Ute Woltron
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Warum nicht eine Weihnachtsgeschichte?

Warum nicht eine Weihnachtsgeschichte?Die Architektur wünscht sich nicht gar viel - nur einen anständigen Umgang mit denjenigen, die wissen, was zu tun ist.

Warum nicht eine Weihnachtsgeschichte?Die Architektur wünscht sich nicht gar viel - nur einen anständigen Umgang mit denjenigen, die wissen, was zu tun ist.

Halten wir inne, betrachten wir die Städte, Dörfer, Siedlungen, in denen wir wohnen. Sie sind im vergangenen Jahr nicht schöner geworden. Wohnsilos sind da entstanden, Fabrikshallen dort. An den Stadträndern wuchern Einkaufszentren, in den innerstädtischen Baulücken klotzen Betonburgen. Die Bauindustrie verändert die Landschaft, das Neue entsteht rasch und unüberlegt, es ist oft hässlich, unfreundlich und schon vor seiner Geburt tot wie ein reguliertes Gebirgsbächlein.

Schuld daran - und da ist die Volkesmeinung traut und einig - sind natürlich die Architekten. Die würden schließlich den ganzen Mist in die Gegend stellen und sich daran noch dumm und dämlich verdienen.

Kein Vorurteil sitzt tiefer, keines ist dümmer und dämlicher. Kaum ein Berufsstand ist derart misskreditiert wie der des Architekten, ausgenommen zur Zeit vielleicht die Branche der Tiermehlproduzenten. Tatsächlich ist die fortschreitende Verhüttelung und Verunstaltung der Gegend nichts anderes als der Ausdruck einer kollektiven Unkultur, die in der selbstdeklarierten Kunst- und Kulturnation Österreich allerorten Raum greift. Schuld daran sind, wenn schon, wir alle.

Die Architektur eines Landes ist stets der Spiegel der Gesellschaft, die sie hervorbringt, und Österreich, als eines der reichsten Länder der Welt, ist im Gegensatz zu anderen Nationen, wie etwa Holland, meistenteils unfähig, mit seinem kostbarsten Gut Ort, Raum, Landschaft gezielt und sinnvoll zu haushalten, geschweige denn sich seiner vielen hervorragenden, international immer wieder hochdekorierten Architekten in einer anständigen Weise zu bedienen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig.

Gute Architektur, und hier befinden wir uns schon an der Wurzel des Übels, ist kein politisches Anliegen mehr. Der erste und fürchterlichste natürliche Feind des Architekten ist der Bürgermeister, sozusagen als der kleinste politische Nenner. Der Gemeindehäuptling zieht als oberste Bauinstanz die Fäden, und, wie es bei Politikern so ist, laufen die so gut wie immer als feines, undurchsichtiges Gespinst über Wirtshaustische, durch Stadtkoalitionsverhandlungen, durch Wahlkämpfe und Freundschaftsbeziehungen.

Wer glaubt, bei Vergaben würde alles meistens im Dienste des Volkes eh mit rechten Dingen zugehen, ist ein armer Tor, und die Abscheulichkeiten des Landes spotten seiner Hohn. Warum wohl wachsen immer noch Einfamilienhüttchen im Grünland wie die Schwammerl und müssen um Milliardensummen an die öffentlichen Versorgungsnetze angeschlossen werden, während sinnvoller Bauplätze veröden? Warum entstehen immer noch völlig uninspirierte kommunale Wohnburgen, die überhaupt nicht auf der Höhe ihrer Zeit sind? Warum finden Architektenwettbewerbe nur dann statt, wenn sie sich gar nicht mehr vermeiden lassen? Und wie oft wird das Resultat bis zur Unkenntlichkeit hingebügelt, immer von Leuten, die keine Ahnung haben?

Etwa 400 Milliarden Schilling beträgt hierzulande das gesamte jährliche Bauvolumen, nur ein geringer Prozentsatz davon wird tatsächlich von der ordnenden Hand der Architektur betreut. Vieles entsteht auf den Zeichentischfließbändern großer Bauunternehmen, wo Profit und Umsatzplus und die amikalen Verflechtungen mit der lokalen Politik so haushoch im Vordergrund stehen, dass die Aussicht auf Qualität und Sorgfalt im Umgang mit Raum, Licht, Lebensfreude mit rasch hochgezogenen Bunkern auf ewig verstellt wird.

An der Planung kann am einfachsten gespart werden, doch nur das ganz genaue, immer wieder hinterfragte Nachdenken über ein Haus, seine Benutzer, die Bewohner, die Umgebung, in der es einmal stehen wird, bringt Qualität hervor.

Im Gegensatz zu Baumeistern und Großplanern habe die Architekten genau das gelernt, nämlich Architektur maßzuschneidern, die richtigen Materialien einzusetzen, ein gutes, dauerhaft erfreuliches Ding verantwortungsvoll zu erfinden. Zumindest medial ist Architektur zu einer schicken Angelegenheit geworden, zu einem Thema, das Prestige bringt. Doch dieser Trend steht im krassen Gegensatz zu den Umgangsformen, denen die Bau-Künstler des Landes ausgesetzt sind, und die man schlichtweg im Schnitt nur als Dauerdemütigung bezeichnen kann.

Keine Ahnung hat der normalsterbliche Architektenkritiker davon, wie schwierig es ist, ein tausendmal durchdachtes Haus durch Bauinstanzen und Behörden zu boxen und das Kind heil auf die Welt zu bringen. Was übrig bleibt, um dann tatsächlich in die Landschaft geworfen zu werden, ist viel zu oft nur der Rest und die Ruine einer Idee.

Marc Augé beschreibt in seinem gar nicht neuen doch sehr aktuellen Buch „Orte und Nicht-Orte“ das politische Architekturdilettantentum folgendermaßen: „Die Ausdehnung der Nicht-Orte (...) hat bereits vom Denken der Politiker Besitz ergriffen, und sie fragen sich immer häufiger, wohin sie gehen, weil sie immer weniger wissen, wo sie sind.“

Angesichts der neueren Umgangstöne im Parlament darf ihm im letzten Punkt unbedingt Glaube geschenkt werden, doch ob die Politik wirklich noch dazu imstande ist, sich zu fragen, wohin sie geht, sei dahingestellt.

Der Standard, Sa., 2000.12.23

19. Dezember 2000Ute Woltron
Der Standard

Bauen im Datenstrom

Der Computer revolutioniert die Architektur. Der Prozess wird zum Planungsinstrument. Peter Weibel und Manfred Wolff-Plottegg schildern Ute Woltron die künftigen Szenarien.

Der Computer revolutioniert die Architektur. Der Prozess wird zum Planungsinstrument. Peter Weibel und Manfred Wolff-Plottegg schildern Ute Woltron die künftigen Szenarien.

Graz - Die Ausstellung Plotteggs Plots zeigt computergenerierte Projekte des Grazer Architekten von 1980 bis 2000. Peter Weibel hat sie kuratiert. DER STANDARD fragte nach dem Input der Computer in die künftige Architektur.

Plottegg: Das Wesen des Computers ist es, Prozesse zu steuern. Es geht also nicht mehr um das Erzeugen von Bildern, sondern um Planungs- und in weiterer Folge um Architekturprozesse.

Peter Weibel: Seit der Existenz der Fotografie gibt es gedruckte Architektur, doch bisher hat man das Foto nur als Dokument des Gebauten gesehen. Im 20. Jahrhundert wurde die Kluft zwischen dem, was gebaut werden kann, und der utopischen Architektur, die nicht gebaut werden darf, immer größer. Die Architektur wurde medialer, und zwar nicht nur in der Abbildung, sondern auch im Generierungsprozess. Utopisches, das nur gezeichnet ist, ist altmodisch, weil es davon ausgeht, tatsächlich umgesetzt werden zu können. Radikaler ist es, moderne Architektur prozessuell zu sehen. Plottegg zählt zu den wenigen, die diese Konsequenz gezogen haben.

STANDARD: Welche Hilfe bietet der Computer?

Weibel: Die Leute, die mit Computern arbeiten, begreifen die moderne Welt als Datenlandschaft, in der ständig Datenströme verschickt werden. Architektur, die das nicht versteht, wie etwa jene am Potsdamer Platz in Berlin, degeneriert zu Ruinen der Repräsentation. Plotteggs Architektur wird durch das Medium Prozessor zu einer Zeitreihe.

STANDARD: Wird da die Architektur nicht zu einer Kunst des Selbstzwecks?

Weibel: Der Prototyp des guten Architekten ist der Künstler, der Architektur als Selbstzweck macht. Die Architektur hat ja seit jeher beansprucht, das Leitbild der Künste zu sein.

Plottegg: Die klassische Architektur war immer von Bildhaftigkeit geprägt. Es drehte sich immer um die Oberfläche, auch wenn strukturelle Elemente vorkamen. Diese Auffassung hatte die letzte große Blüte in der Postmoderne. Da wurden die Bilder auch noch austauschbar, und alles war zulässig.

Weibel: Im Grunde bewegt man sich in einer Ruinenlandschaft, lauter verlassene, obsolete Bilder liegen herum.

STANDARD: Wie beliebig stapelbare Spielklötzchen?

Plottegg: Genau, doch mit dieser Bildhaftigkeit bekommt man die heutigen Fragen der Architektur, des Städtebaus nicht mehr in den Griff. Mit Grundrissmustern kann man die Probleme großer Städte wie Kairo oder Mexico City nicht lösen. Die Problemlösung muss über Prozesssteuerung erfolgen. Der Computer kann Prozesse steuern, auch städtebauliche, Verkehrsflüsse und dergleichen, und auch in der Gebäudetechnik dreht es sich mehr um Facility-Management, was ebenfalls wiederum Prozesssteuerung ist.

STANDARD: Er bringt eine vierte Dimension in die der Architektur?

Plottegg: Das neue Instrument, der Computer, mit dem man Prozesse simulieren kann, bringt uns einen Schritt weiter - vernünftig eingesetzt und nicht bloß als Bildmaschine. Es ist verhängnisvoll, dass die meisten Architekten mit ihren Computern wieder nur Bilder produzieren, damit aber an den Grundfragen vorbeigehen.

Weibel: Architektur, die nach Bildern funktioniert, ist heute zu Facility-Management und Immobiliendevelopment abgesunken. Es handelt sich nur noch um Ruinen der Bilder der Vergangenheit. Prozessive Architektur, die ihren eigenen Gesetzen folgt, kann weder vom Architekt noch vom Developer beeinflusst werden. Der Rückzug auf das Medium Papier, Print oder Plot ist tatsächlich kein Rückzug, sondern heute der eigentliche Ort des Widerstandes, wo die Architektur sich als Realität gegen das Imaginäre behaupten kann.

STANDARD: Was ist aber mit den Computerprogrammen, werden die dann zu den eigentlichen Kreateuren?

Weibel: Die Skepsis kommt zum falschen Moment. Diese Programme haben es der Architektur erstmals ermöglicht, mit den zeitgenössischen Diskurspraktiken gleichzuziehen. Die erste Sequenzierungsrevolution war die Sprache: Die Griechen entdeckten, dass man diesen kontinuierlichen Strom von Lauten in 26 Buchstaben teilen kann. Aus denen kann ich unendlich viele Romane und Theaterstücke bauen. Diesen Zustand, den die Sprache bzw. die Linguistik schon vor Jahrtausenden hatte, erreicht nun auch die Architektur. Sie beteiligt sich an dieser Sequenzierungsrevolution, sie entwickelt ein Raumprogramm.

STANDARD: Das heißt, die Architektur steht eigentlich erst am Beginn ihrer Evolution?

Weibel: Genau. Sie überlebt das postgenomische Zeitalter.

Plottegg: Die Grundregeln, die Architektur bisher bestimmt haben, purzeln weg: Das Bild ist weg. Der Raum ist weg. Der Autor ist weg, und die Funktion kommt auch zunehmend abhanden. Wenn heute Großprojekte ausgeschrieben werden, sind immer gleichzeitig auch Nachnutzungen gefragt. Es findet auch in den Funktionsfolgen eine Prozesshaftigkeit statt.

Weibel: Durch den Übergang von der Repräsentation zur Prozessierung kann sich die Architektur unserer Gesellschaft im Zeitalter der Informationstechnologie anpassen. Im herkömmlichen Sinn Gebautes ist nur noch Wasteland, und Widerstand gegen die Developer kann nur entstehen, indem die Architektur strukturell wird und das spiegelt, was Informationstechnologie ist, nämlich Prozessierung geschluckt.

STANDARD: Wo wird die Computerarchitektur zuerst zur Anwendung kommen?

Plottegg: In Geschäftshäusern, Großunternehmen, Rathäusern, Spitälern, also überall dort, wo große Datenmassen verwaltet werden.


[Bis 7. 1. 2000. ]

Der Standard, Di., 2000.12.19

16. Dezember 2000Ute Woltron
Der Standard

Ordnungen niederwalzen. Befreiungen erzwingen.

Eine Fülle neuer Architekturpublikationen nimmt das Gestern, Heute und Morgen auf's Korn. Hier eine Auswahl.

Eine Fülle neuer Architekturpublikationen nimmt das Gestern, Heute und Morgen auf's Korn. Hier eine Auswahl.

Wer wird in Zukunft die Umwelt gestalten? Die Architekten? Die Baukonzerne? Die Masse Mensch? In dem Buch Tokyo Superdichte (Ritter Verlag, öS 210,-) zeigt Wolfgang Koelbl ein Zukunftszenario, das bereits existiert. Er seziert fast literarisch die zentrale Bahnstation Shinjuku, einen Ort, den täglich rund 3,4 Millionen Menschen, also halb Österreich, durchhasten. Eine glatte Raumlandschaft sei dort entstanden: „Die Menschenmassen haben einfach alle Barrieren und offensichtlichen Ordnungen niedergewalzt und derart die befreiende Glätte erzwungen.“ Koelbls Abhandlungen über ungeheure Verkehrsdichten, „kommunizierende Netzwerke“ aus Rolltreppen, Rollbändern, Gängen, Autoabstellanlagen bis hin zu drei Quadratmeter kleinen Karaokeboxen zur Zerstreuung der Passagiere kommt fast ohne Fotos aus. Die Texte sind stark genug, um Bilder im Kopf entstehen zu lassen; das könnte ein Teil der Architekturpublikationszukunft sein.

Die Gegenwart ist da noch ein wenig beschaulicher, zumindest was das gute alte Europa anbelangt. Hoch im Kurs stehen hier etwa Jacques Herzog und Pierre de Meuron, und die beiden Schweizer haben nun endlich ihre mehrteilige Monographie durch den Band Herzog & De Meuron. 1992-1996 (Birkhäuser, öS 1287,-) erweitert. Die dokumentierten Jahre waren besonders spannend, entstanden sind etwa die Domus-Vinery in Kalifornien, die Tate Modern und etliches mehr, das in diesem Prachtwälzer von Gerhard Mack eingefangen wurde. Macht Lust auf die ersten beiden Bände.

Die österreichischen Kollegen Ortner & Ortner haben mit einem Wörterbuch der Baukunst (Birkhäuser, öS 926,-) ebenfalls frisch zugeschlagen. Zwischen den großteils sehr netten kleinen Texten zu (in Österreich) architekturrelevanten Begriffen wie „hausbacken“, „Unternehmenskultur“ und „x-beliebig“ kommt zum einen viel Ortner&Ortner-Architektur vor und auch das Wort „Mediator“. Museumsquartiertechnisch und ortnermäßig ist selbiges natürlich gewissermaßen brisant und die zugehörige Abhandlung auch in der Möglichkeitsform gehalten. Doch lesen Sie selbst, es zahlt sich aus.

Die zweite Moderne der niederländischen Architektur, die im vergangenen Jahrzehnt eine Fülle herausragender Gebäude und charismatischer Baugestalten hervorgebracht hat, versucht Bart Lootsma in Superdutch (DVA, öS 709,-) zu erklären: „Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass es in den Niederlanden in diesem speziellen Zeitraum mehr Talente gegeben haben sollte als anderswo, aber diese Talente bekamen eben deutlich mehr Chancen als in anderen Ländern.“ Christkind! Erbarme dich unser und bedenke die heimischen Politiker und Bürgermeister mit dieser Fallstudie eines architektonischen Aufschwungs.

Einen tiefen Tauchgang in die Vergangenheit unternimmt hingegen der Band Erich Mendelsohn. Gedankenwelten (Hatje Cantz, öS 347,-). Bisher kannte man auszugsweise die Briefwechsel Mendelsohns; die Texte zur Architektur, geschrieben von 1918 bis 1948, bekommt man hier erstmals zu Gesicht. Sie mäandern durch damalige Kultur, Politik, Tagesgeschehen und zeichnen ein markantes Bild des Mannes und seiner Aura. 1948 blickte er auf sein Architektenleben zurück und bemerkte in einer Ansprache: „Seien Sie sich bewusst, dass es der Architekt ist, der die Geschichte unserer Kunst schreibt.“


[Herzog & de Meurons Caricature and Cartoon Museum in Basel, 1994-96 (li.) und ihr Küppersmühle Museum in Duisburg, 1997-99 (o.)
Fotos: aus dem Buch ]

Der Standard, Sa., 2000.12.16

02. Dezember 2000Ute Woltron
Der Standard

Turbo - Docs

propeller z gehören zu den profiliertesten der Neuen Architekten. Eine ihrer Stärken ist das Durchleuchten und Diagnostizieren der architektonischen Anliegen ihrer Klienten.

propeller z gehören zu den profiliertesten der Neuen Architekten. Eine ihrer Stärken ist das Durchleuchten und Diagnostizieren der architektonischen Anliegen ihrer Klienten.

Mit propeller z ist es ein bisschen so wie mit ganz besonders gescheiten Ärzten. Irgendwo tut einem was weh. Irgendwas zwickt. Ein Problem muss gelöst werden. Man geht also hin zum Doktor. Die Selbstdiagnose ist selbstverständlich schon gestellt, von ihrer Richtigkeit ist man so tief überzeugt wie der Bundespräsident von seiner Würde, und dann erfährt man, dass man an etwas komplett anderem leidet. Weil schließlich sind nicht wir die Ärzte, sondern die, die das gelernt haben.

propeller z sind Architekten und haben auch was gelernt, und es ist wesentlich erfreulicher, sich mit seinem Anliegen in das Propeller-Büro in der Wiener Mariahilfer Straße zu verfügen, als zu jedem Dr.med. Erstens gibt es dort Zigaretten und einen guten Mokka, zweitens stehen und hängen überall aufregende Architekturteile herum, und dann bekommt man noch dazu fast immer eine Diagnose gestellt, die man nicht erwartet hat.

Die Propellers - es gibt fünf von ihnen - sind von einer ruhigen, freundlichen Überzeugungskraft. Sie pflegen die architektonischen Anliegen ihrer Klienten erst einmal zu röntgen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu durchleuchten. Meistens kommen sie drauf, dass der Kunde etwas ganz anderes braucht, als er sich einbildet, weil der Architekturpatient selten wirklich weiß, was er eigentlich will.

Diverse Beispiele und Beweise für diese These pflastern den Propeller-Turboarchitektenweg: Das bekannteste davon befindet sich in Deutschland, in Essen um genau zu sein, und lag vor seiner Entstehung weit hinter dem Vorstellungshorizont seines Auftraggebers verborgen. Die RWE AG hatte sich Mitte der 90er Jahre eigentlich ein großes Rausche-fest anlässlich eines Unternehmensjubiläums gewünscht und unter anderen André Heller (vgl. Seite 12) zum Festgestaltungswettbewerb geladen. Der spielte den Ball an propeller z weiter, und die damals superjungen Architekten konnten das Unternehmen erstaunlicherweise davon überzeugen, dass es sinnvoller wäre, den satten Party-Etat in etwas Dauerhafteres wie die Architektur eines extravaganten Ausstellungsgebäudes zu investieren. „Meteorit“ heißt das Haus, und es hat natürlich auch medial ordentlich eingeschlagen, mit seinem fast ganz im Erdboden eingegrabenen Ausstellungskörper, der filigranen Glashalle und dem Aluminiumröhrl, in dem Café und Büros untergebracht sind.

Die damals Superjungen sind heute noch immer nicht alt, sie sind alle zwischen 1964 und 1970 auf die Welt gekommen. In der Gruppe mischen sich diverse Kulturkreise, türkische genau so wie Salzburgerische, Steirische, Wienerische, Tirolerische. Die Mitglieder heißen Korkut Akkalay, Christoph Kaltenbrunner, Kriso Leinfellner, Philipp Tschofen und Carmen Wiederin. Der Name propeller z stammt von der Apple-Computertastenkombination - das gezwirbelte propellerartige Ding gleichzeitig mit der Taste z gedrückt bedeutet „Rückgängig machen“.

Neben dem RWE-Projekte nahmen Propeller Z ihre Architekturordinationsarbeit samt Rückführung auf das Wesentliche auch an anderen Klienten auf. Zum Beispiel wünschte sich die Gemeinde Wolkersdorf ein neues Stadtmöbeloutfit und lud zu einem Wettbewerb. Die Architekten waren der Ansicht, dass die in einer Senke gut vom Außenblick verborgene Siedlung keiner neuen Sitzbänke, sondern vielmehr einer Art Landmark bedürfe. Die einzigen Hochhäuser in Niederösterreichs Flachlanden sind die Kirchtürme und die Silos. Da erstere sakrosankt sind, umhüllten die Planer zweiteren mit einem Baustahlgittermantel, befüllten ihn mit Weinflaschen, in die individuell ansteuerbare Lampen eingesteckt waren. Das Resultat: Ein Leuchtturm für Wolkersdorf, der mit fünf Meter hoher Leuchtschrift Botschaften über bevorstehende Erntedankfeste, Bürgermeistergeburtstage und ähnliches in die Gegend hätte senden können. propeller z gewann diesen Job nicht. Die unangepasste Herangehensweise an die Sache führe überhaupt, so Philipp Tschofen, zu „einer gewissen Häufung an verlorenen Wettbewerben“.

Gewonnen konnte allerdings jener werden, den die Betreiber der Riegersburg zur Gestaltung einer Erlebniswelt samt Neuerschließung des historischen Gemäuers ausschrieben. Auch hier befanden die Architekten, dass die Aufgabe nicht die Lösung sei, weil die spektakuläre Anlage ohnehin für sich spräche. Sie verpassten dem Ausflugsziel einen schrägen Aufzug, bohrten einen Tunnel in den Berg und präsentierten die Riegersburg aus neuen überraschenden Perspektiven. Die Umsetzung des Siegerprojektes bleibt derweilen aus.

Diverse Lokal- und Ordinationsumbauten haben propeller z durchgeführt, immer sehr sauber und immer gleich mit den nötigen grafischen Begleitzuckerln versehen. Die Basis Wien bekam im alten Museumsquartier ein neues Lokal, der GIL-Shop in der Mariahilfer Strasse ein neues Jöppchen. Die Architektursprache der Propellers ist immer eindeutig, und wie sehr sie auf den Raum und seine Individualität eingehen, macht das Beispiel GIL-Shop Nummero Zwei im Steffl-Kaufhaus der Kärntnerstraße klar. Hier hat man versucht, das Konzept des gelungenen Mariahilfer-Erstlings zu übertragen, und es hat eigentlich nicht ganz so gut geklappt, dem Geschäft fehlt das typische Propeller-Flair, etwas ganz Neues wäre hier spannender gewesen.

Sehr eigenwillig gehen die Fünf auch ihre Ausstellungsdesigns an, das grüne Installationspuzzle für die Fast-Forward-Schau im Künstlerhaus sollte allen, die dort waren, gut erinnerlich sein. Neue Projekte sind auch verbucht. Im März wird eine Ausstellung mit Propeller z-Design zum Thema Medien im Künstlerhaus eröffnet, in Wien entstehen demnächst ein Doppelwohnhaus und eine Villa, für Wittmann werden Möbel entworfen, im Auftrag der Stadt städtebauliche Leitbilder gesucht. Mit anderen Worten, der Turbo ist angeworfen.

Der Standard, Sa., 2000.12.02

29. November 2000Ute Woltron
Der Standard

Ode an die Stille

Luis Barragán verheiratete Licht, Farbe, Materie miteinander und inszenierte spektakuläre Räume der Stille. Er selbst hielt sich dabei rätselhaft im Hintergrund. Im MAK sind nun Skizzen und Dokumente aus dem Nachlass des ersten Minimalisten zu sehen.

Luis Barragán verheiratete Licht, Farbe, Materie miteinander und inszenierte spektakuläre Räume der Stille. Er selbst hielt sich dabei rätselhaft im Hintergrund. Im MAK sind nun Skizzen und Dokumente aus dem Nachlass des ersten Minimalisten zu sehen.

Wien - „Über das ästhetische Talent von Luis Barragán braucht nicht viel gesagt zu werden“, meint der Architekt Tadao Ando, „Er erreichte die Gipfel der Schönheit, Raffinesse und Perfektion.“ Doch über allen Gipfeln ist Ruh', und so schön, so raffiniert, so perfekt sind die Häuser des Mexikaners, dass seinerzeit die Architekturjournalistin Elena Poniatowska nach einem letzten Interview mit dem betagten Bau-Mann fluchtartig dessen prachtvolles Wohnhaus verließ, um im unperfekten Straßentrubel Mexico Citys wieder Atem zu schöpfen.

Zu erdrückend hätten Barragáns berühmte stumme Inszenierungen architektonischer Kraft und Schönheit auf sie gewirkt. Tatsächlich, meint Wolf D. Prix, habe Barragán Form und Licht zu einer Konzentration zusammengefasst wie kein anderer.

Luis Barragán, 1902 in den satten Reichtum einer Gutsbesitzerdynastie aus Guadalajara hineingeboren, 1988 als erfolgreicher Architekt, Pritzkerpreisträger und geschickter Grundstücksmakler gestorben, ist zwölf Jahre nach seinem Tod populär wie nie.

Zahlreiche Publikationen dokumentieren seine Werke wie die Casa Gilardi, El Pedregal, Los Clubes. Epigonen folgen vergebens farbklecksend seinen Spuren, die Person Barragán bleibt dabei im Gegensatz zu griffigeren Kollegengestalten wie Mies und Corbusier seltsam verwaschen und vernebelt hinter den Mauern und Murmelbrünnlein seiner Architekturen verborgen. Wer war der Mann, der ganze Wohnhäuser kunstvoll rund um einen einzelnen alten Baum wob, der den Garten zum wichtigsten Element der Architektur erhob, der mexikanische Folklore mit der architektonischen Strenge der Moderne verband, der Licht, Farbe und Materie quasi verheiratete und in gespenstischen Inszenierungen miteinander tanzen ließ? Wer eine Antwort in der umfangreichen Ausstellung „Luis Barragán: The Quiet Revolution“ sucht, wird sie nicht finden. Kein persönliches Lebenszeichen ist da zwischen Skizzen und Plänen, Fotos und Videos, sorgfältig zusammengestellt von seinen Nachlassverwaltern, der Barragán Foundation, in Kooperation mit dem Vitra Design Museum.

Zwei spekulative Begründungen dafür: Barragán wird von Zeitgenossen einerseits als tiefreligiöser Katholik beschrieben, andererseits als Mann, der seine homoerotischen Neigungen im Land der Stierkämpfe und des Machismo wohl zu verbergen verstand. Künstlerfreunde wie Jesús Chucho Reyes wanderten dafür ins Gefängnis.


Herrenreiter

Kuratorin Federica Zanco: „Viele Aspekte seiner Persönlichkeit werden wir trotz der zahlreichen erhaltenen Briefe wahrscheinlich nie mehr verstehen. Barragán war ein Herrenreiter, ein Gentleman, eine unerhört fesche, imposante Erscheinung, doch sein privates Leben hielt er bedeckt.“

Zum anderen fordern die Häuser des Architekten mit ihrer Klarheit und Farbigkeit ein plakatives, oberflächliches Abhandeln geradezu heraus, doch die eigentlichen Qualitäten lassen sich - wie alle guten Architekturen - nicht mit den Mitteln der Fotografie einfangen. Die kargen Formen, seine Mauern, Patios, Fensteröffnungen, die sorgfältig konstruierten Blickbezüge inszenieren atemberaubende Stimmungen.

„Die psychische und emotionelle Komponente spielt in seinen Räumen eine derart starke Rolle, dass es zum Teil sogar unangenehm wird“, meint Prix. Selbst Barragáns Stallgebäude vermitteln dem Betrachter das Gefühl, sich in hippologischen Klostergemäuern zu befinden, wo die Vierbeiner Wasser aus altarähnlichen Trögen zu sich nehmen wie die heilige Hostie. „Eine Architektur, die keine Ruhe entstehen lässt, kann ihre geistige Mission nicht erfüllen“, hatte der Mexikaner gepredigt.

„Barragán“, fasst Tadao Ando den grassierenden Barragánismo zusammen, „ist zu einem Mythos geworden, und zahlreiche Leute, die ihn nicht gekannt haben, deuten seine Persönlichkeit und sein Leben. Oft versuche ich mir vorzustellen, wie er darauf reagieren würde, wenn er noch am Leben wäre. Er wäre sicher entsetzt!“


[„Luis Barragán: The Quiet Revolution“, MAK Wien, bis 28. Jänner ]

Der Standard, Mi., 2000.11.29

11. November 2000Ute Woltron
Der Standard

Wie willst du das verkaufen, Richard?

Jeder Architekt sei für seine eigene Publicity verantwortlich, behauptet Fotografenlegende Julius Shulman. Der Amerikaner muss es wissen, seine Architekturfotografien haben stets ein Rauschen im Blätterwald bewirkt.

Jeder Architekt sei für seine eigene Publicity verantwortlich, behauptet Fotografenlegende Julius Shulman. Der Amerikaner muss es wissen, seine Architekturfotografien haben stets ein Rauschen im Blätterwald bewirkt.

Julius Shulman ist der Pionier der Architekturfotografie. Der Blick auf die Moderne, wie wir ihn heute kennen, geschah sozusagen aus seinem Augenwinkel. Gerade ist das Gesamtwerk Richard Neutras in beeindruckendem dezimeterdickem Großformat bei Taschen erschienen, und gemeinsam mit Pierluigi Serraino hat der 90-jährige Amerikaner, zuletzt vortragend im Wiener MAK zu Gast, ebenfalls bei Taschen das Buch Modernism rediscovered auf den Markt gebracht. Der Band zeigt selten publizierte Häuser dennoch hoher Qualität. Ungerecht, dass ihre Architekten Unbekannte blieben, meint der Fotograf. Nach welchen Mechanismen erfolgt also die Verbreitung von Architektur in Zeitungen und Magazinen?

DER STANDARD: Sie wollen mit Ihrem neuen Buch die unbekannten Winkel der modernen Architektur ausleuchten?

Shulman: Mein Fotoarchiv umfasst die Zeitspanne von 1936 bis 1990. Autor Serraino und ich haben festgestellt, dass viele der Projekte enorme Qualität haben - Projekte, die einer breiteren Öffentlichkeit völlig unbekannt sind. Die Architekten dieser Häuser hatten keine ordentliche Publicity, niemand berichtete über ihre Arbeiten. Die großen Namen, Männer wie Neutra, Schindler, Frank Lloyd Wright, Mies van der Rohe, sind weltbekannt geworden. Pierluigi und ich haben das ungerecht gefunden und die besten unbekannten Häuser und Gebäude für dieses Buch hervorgeklaubt.

Wie passierte in den 30er-, 40er-Jahren Architekturpublizistik? Wer hat damals den Kontakt zu den Magazinen geknüpft? Waren Sie das oder die Architekten selbst ?

Ich natürlich.

Sie waren sozusagen der PR-Agent der Architekten?

Ja. Ich habe die Fotos auch persönlich von der Westküste an die Ostküste zu den Verlegern gebracht. Ich hatte Flügel an meinen Schultern. Meine Fotos waren in New York sehr willkommen, denn niemand wusste, was in Kalifornien los war. Ich bin dann mit der Kamera quer durch Amerika gefahren, durch Kansas, Missouri, Nebraska, Texas. Gelegentlich haben mich die Architekten mit ihren eigenen Flugzeugen von Stadt zu Stadt geflogen. Die waren nett zu mir, weil sie wussten, dass sie in gewisser Weise von meinen Fotos abhängig waren. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, muss ich sagen, ich glaube an die Geschichte. So haben wir den architektonischen Fortschritt mitgetragen und öffentlich gemacht.

Warum wurden einige Architekten weltbekannt, während viele hervorragende Kollegen in der Versenkung verschwanden?

Diese Architekten hätten sich selbst um Veröffentlichungen kümmern müssen. Doch sie waren immer zu beschäftigt. Ein Haus war fertiggestellt, das nächste schon in Planung. Sie sagten, ach was, das mit den Magazinen und den Zeitungen ist nicht so wichtig, ich hab ohnehin genug zu tun, und was ich jetzt gerade mache, wird sowieso besser als das Alte. Diese Leute haben nicht genug kommuniziert. Richard Neutra zum Beispiel war ganz anders. Er hat von mir stets Hunderte Fotos bestellt und in die ganze Welt verschickt.

Es fällt auf, dass Sie sehr oft Menschen, so auch in Neutras eleganten Villen, malerisch in Ihren Fotomotiven positioniert haben.

Nur wo es hinpasst. Das hier zum Beispiel ist eine ungewöhnliche Bar (siehe unten, zweites Foto v.li.), viele Feste wurden dort gefeiert. Wir haben die Dame des Hauses, meinen Assistenten und ihren Sohn dort positioniert und vorne ein paar Polster higelegt, um Farbe reinzubekommen. Alle Möbel wurden sorgfältig platziert. Wir waren unsere eigenen Stylisten.

Sie sollen von Zeit zu Zeit sogar Kunstrasenballen entrollt haben, wenn die Sache noch zu sehr nach Baustelle aussah?

Na klar, sehr oft sogar. Aber schauen Sie sich diese Häuser hier in dem Buch an. Die sind gut. Die sind unbekannt. Die hatten keine Publicity, und das ist unfair.

Muss sich Ihrer Meinung nach der Architekt aktiv um die Veröffentlichung seiner Arbeiten kümmern?

Das ist sogar seine Verantwortung. Für sich selbst, für seine Familie, für die Leute, die für ihn arbeiten. Sehr viele Architekten denken aber nicht daran, sie sind einfach keine guten Geschäftsleute. Die Leute in den Magazinen wissen gar nichts, bis man ihnen etwas zeigt. Wenn ich nicht ins Nirgendwo gefahren wäre und die Häuser dort fotografiert hätte, wäre kein Mensch auf die Idee gekommen, dass es mitten in Amerikas Niemandsland gute Architektur gibt. Viele dieser Architekten werden jetzt bekannt, weil die Nachfrage nach meinen Fotos steigt, ihre Architektur war aber immer schon ausgezeichnet.

Welche Publikationen sind wichtiger für Architektur - Magazine, Fachpresse, Tageszeitung?

Ich gebe ein Beispiel: Eines Tages fotografierten wir ein Haus von Neutra in Palm Springs. Es gehörte einer reichen Kunstsammlerin, doch Neutra mochte ihre Möbel nicht. Er nannte sie abfällig auf Österreichisch „Biedermeier“. Ich fand die Einrichtung zwar nett, doch ihm war sie nicht modern genug, er hätte lieber etwas Architektonisches, Mies-van-der-Rohe-artiges gehabt, mit dem er bei anderen Architekten angekommen wäre. Nur die waren ihm wichtig. Also ließ er die Möbel alle entfernen.

Sie haben höchstpersönlich Möbel geschleppt?

Aber wo. Ich hatte eine Vereinbarung mit ihm. Ich war engagiert, Fotos zu machen, nicht um Möbel herumzuschieben, also brachte er immer zwei Leute aus seinem Büro zu den Fototerminen mit. Ich fragte ihn also: Richard, wie willst du diese Fotos ohne Möbel an Magazine wie „House & Garden“ verkaufen? An Magazine, die Leute mit Geld lesen, also genau die Leute, die dich einmal engagieren könnten? Diese Art der Publicity ist mir wurscht, sagte er, ich will meine Arbeit sowieso nur in Architekturmagazinen sehen. Also habe ich das Haus zwei Wochen später heimlich mitsamt den Biedermeiermöbeln darinnen fotografiert, und prompt hat ein wichtiges französisches Kunstmagazin diese Fotos wenig später auf dem Cover und auf acht Hochglanzseiten gebracht.

Was hat Neutra dazu gesagt?

Nichts.

Kann es sein, dass er ein wenig seltsam war?

Nun ja, Neutra dachte eben nur an Neutra.

Haben Sie sich jemals auch dafür hergegeben, wirklich schlechte Architektur zu fotografieren?

Klar, für Baufirmen zum Beispiel, die Häuser von der Stange verkauft haben. Das waren sehr gute Kunden, weil sie gut bezahlt haben. Bei diesen Jobs habe ich das meiste Geld gemacht und konnte dadurch junge Architekten unterstützen, die sich meine Fotos eigentlich nicht leisten konnten.

Ihre Fotos sind immer sehr persönlich, sehr speziell, ganz anders. Ist das Schulung oder Ihr vielgerühmtes „Auge“?

Ach, es ist eine Gabe. Ich habe mein Leben nicht geplant, alles ist passiert. Ich habe sieben Jahre herumstudiert und darauf gewartet, dass etwas Entscheidendes passiert. Es war schicksalhaft, dass ich mein Studium aufgab, heim nach LA fuhr, dass Neutras Assistent bei meiner Schwester zu Untermiete wohnte, mich zu einem der Häuser mitnahm, dass ich es mit einer Kamera fotografierte, die ich zufälligerweise dabei hatte, und dass Neutra die Fotos großartig fand. Ich wusste damals absolut nichts über Architektur oder Fotografie. Ich erinnere mich genau an den Tag, es war der 5. März 1936. An diesem Tag wurde ich Architekturfotograf.

Sie haben sich vor zehn Jahren zur Ruhe gesetzt. Fotografieren Sie gar nicht mehr?

Ich habe keine Zeit dafür, ich muss jetzt Bücher machen. Nächstes Jahr sollen noch zwei im Verlag Taschen herauskommen. Eines, das sich mit dem Thema Innen und Außen befasst, eines darüber, wie mithilfe der Fotografie Architekturikonen entstanden sind.

„Modernism Rediscovered“, Pierluigi Serriano & Julius Shulman, Taschen Verlag, öS 351,-/576 Seiten.
„Richard Neutra“, Complete Works, Fotografiert von Julius Shulman, Taschen Verlag, öS 2.170,-/360 Seiten.

Der Standard, Sa., 2000.11.11



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Shulman Julius



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All began just by chance. Julius Shulman.

25. Oktober 2000Ute Woltron
Der Standard

Architektur der Ruhe und Besinnlichkeit

Standard: Welches Anliegen hatten Sie mit Ihrer Architektur?

András Pálffy: Wir wollten eine klare Trennung zwischen Mahnmal und Ausgrabung, und dazu...

Standard: Welches Anliegen hatten Sie mit Ihrer Architektur?

András Pálffy: Wir wollten eine klare Trennung zwischen Mahnmal und Ausgrabung, und dazu...

Standard: Welches Anliegen hatten Sie mit Ihrer Architektur?

András Pálffy: Wir wollten eine klare Trennung zwischen Mahnmal und Ausgrabung, und dazu die Geschichte dieses Hauses freilegen. Der Gebäudezustand war merkwürdig, mit dem Ablösen des Putzes hat sich die Geschichte offenbart. Auf mittelalterliche Struktur folgt barocke, das Haus ist ein Sammelsurium an baulichen Eingriffen.

STANDARD: Sie haben das Umfeld miteinbezogen.

Christian Jabornegg: Da das Mahnmal ein sehr stilles ist, haben wir auch die Platzgestaltung still gehalten. Alle Zuführungsstraßen wurden beruhigte Fußgängerzonen und stimmen mit möglichst wenig gestalterischen Mitteln auf das ein, was den Besucher im Museum erwartet, nämlich Ruhe und Besinnlichkeit.

STANDARD: Wie erschließt sich das Museum?

Pálffy: Über das Haus Judenplatz 8 erreicht man die Ausstellungsräume im Untergeschoß, die auf den archäologischen Schauraum vorbereiten. Er ist über einen unterirdischen Gang zu erreichen. Das verschafft dem Besucher Überblick über die Ausgrabung. Decken und Wände sind mit schwarzem Blech verkleidet, der Raum tritt in den Hintergrund, die ausgeleuchteten Ausgrabungen sind das Zentrale. Das Spiel mit Licht und Dunkel ergibt einen Grad der Abstraktion, der hilfreich ist für das Verständnis der Funde.

STANDARD: Welche Materialien wurden verwendet?

Jabornegg: Wir haben überall nur die notwendigsten Mittel eingesetzt, damit die Struktur lesbar bleibt. Neue statische Eingriffe sind in Sichtbeton gemacht, ein einheitlicher Monolithestrich ist der Boden, nur die Treppen sind aus Kalksandstein.

Der Standard, Mi., 2000.10.25



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Mahnmal am Judenplatz

14. Oktober 2000Ute Woltron
Der Standard

Die beunruhigende Gegenwart des Meisters

Ein Architekturrätsel: Er steht in einem seiner Gebäude, aber wo genau befindet sich Mies van der Rohe?

Ein Architekturrätsel: Er steht in einem seiner Gebäude, aber wo genau befindet sich Mies van der Rohe?

Ein altes Foto. Schwarz Weiß. Darauf zu sehen: Fensterglas, gehalten von einem Stahlgerüst, Lamellenjalousien, dahinter schemenhaft die Zweige eines Baumes, Spiegelungen auf dem Steinboden, ein Mann, sein Schatten, eine Zigarre. Ein Rätsel. Wo befindet sich Mies van der Rohe? Denn dass er höchstselbst der so korrekt gekleidete Mann auf besagtem Bild ist, wenigstens darüber herrscht Klarheit.

Erstmals publiziert wurde diese penibel inszenierte Fotografie im Jahr 1958 in einer amerikanischen Architekturzeitschrift. Den Spanier Ricardo Daza ließ „dieses historische Foto des weltberühmten Architekten nicht zu Ruhe kommen“, er wollte den genauen Aufenthaltsort des Architekturgiganten ausfindig machen: „Vermutlich sehen wir dieses oder ein sehr ähnliches Foto nicht zum ersten Mal. Ohne die Person Mies wäre die Szene uninteressant. In der beunruhigenden Gegenwart des Meisters kommt man jedoch nicht um hin, nach seinem genauen Standort zu fragen.“ Wo genau, auf welchem Kontinent, in welcher Stadt, welchem Haus, auf welche Bodenplatte hatte sich der Meister an einem trüben Tag irgendwann um 1956 hingestellt, die Zigarre entzündet, die rechte Hand in der Hosentasche in die berühmt lässige Pose geworfen, um sich vom Fotografen Bill Engdahl ablichten zu lassen?

Ricardo Dazas Indizienjagd nach diesen präzisen, aber flüchtigen Koordinaten Mies van der Rohes ist als das witzigste Architekturbuch seit langem gerade auf den Markt gekommen. Auf der Suche nach Mies ist ein vergnüglich formulierter kleiner Zeitvertreib. Das sorgfältig und gut designte Buch verrät nebenbei eine ganze Menge über Mies, seine Zeit, seine Aura, seine Arbeit, die Architektur im allgemeinen. Daza nimmt uns Leser als Verbündeten mit auf die Reise zu Mies und seinem vorläufig unbekannten Aufenthaltsort. Wir alle suchen ihn, wir alle finden ihn, weil der Autor uns 188 Seiten lang geschickt vor Augen führt, was der Mensch zu sehen imstande ist, wenn man ihm beibringt, genau und das Gehirn gebrauchend hinzuschauen.

Mies, so erfahren wir beispielsweise, war Beidhänder. Er konnte mit beiden Händen zeichnen - und rauchen, was er auch unablässig tat. Seine Montecristos sind Legende. Die stets tadellosen dunklen Anzüge, auf jedem Foto knitterfrei und fussellos im Bild, stammten aus den Maßschneidereien Knizes und wurden vom Meister mit weißen Stecktüchern veredelt. Im Zuge der Lektüre decken wir auf, dass der Architekt vor allem im fortgeschrittenen Alter sehr schlecht sah und die jugendliche Allüre eines Monokels später gegen eine Brille tauschte. Die trug er allerdings nur dann, wenn er nicht gerade ein Kameraauge auf sich gerichtet fühlte. Eine Fotografie im Buch ertappt ihn gerade in dem Moment, da der schon reifere Mies sein Sehgerät verschämt zu verstecken sucht.

Natürlich ist es völlig nebensächlich, wenn wir irgendwann herausgefunden haben, dass sich Mies in der Hundertstelsekunde dieser Fotoaufnahme 2,06 Meter vor der Westseite und 2,36 Meter rechts von der Nordseite der Crown Hall befindet. Er hatte den Stahlbau - als Chicagoer Sitz der Architekturabteilung der Technischen Universität von Illinois - selbst in den Jahren 1950 bis 1956 errichtet. Wir haben damit nur einen Etappensieg errungen, Ricardo Daza hetzt uns sofort weiter, tiefer in Psyche und Leben des Architekten hinein. Er will sich mit der Standortangabe allein nicht begnügen und fragt: „Doch wohin schaut Mies van der Rohe?“

Die Antwort fällt ein wenig metaphysisch aus, doch das macht gar nichts, im Gegenteil. Wir befinden uns zwischenzeitlich auf Seite 124, und Mies van der Rohe ist uns schon menschlich nähergekommen, ein Freund geworden. Wohin schaut Mies aber wirklich? Nicht alles lässt sich analytisch beantworten. „Nähern wir uns dem verschleierten Blick seiner Haselnußaugen. Wer eine Brille trägt, zieht sich von der Welt zurück. Er lebt und fühlt in dem vernarbten und beschränkten Raum, der vom Brillenglas bis zur Netzhaut des Auges reicht. (...) Die Welt, das Auge und die Architektur sind schon eins.“


[Ricardo Daza, Auf der Suche nach Mies,
öS 288,-/188 Seiten, Birkhäuser, Actar, 2000.]

Der Standard, Sa., 2000.10.14

14. Oktober 2000Ute Woltron
Der Standard

Spannungsfelder noch und nöcher

Der Herbst verwöhnt mit einer Reihe lesens- und herumblätternswerter Architekturbücher. Das ALBUM stellt die interessantesten vor.

Der Herbst verwöhnt mit einer Reihe lesens- und herumblätternswerter Architekturbücher. Das ALBUM stellt die interessantesten vor.

Beginnen wir mit dem fettesten Wälzer: Kenneth Frampton hat darin das bisherige Gesamtwerk Álvaro Sizas untergebracht und mit Sorgfalt die Arbeiten des portugiesischen Pritzkerpreisträgers hilfs kleiner Skizzerln, Pläne und natürlich Fotografien dokumentiert. Eine Gesamtschau Sizas Werkes gab es bislang in dieser Fülle nicht, Freunde des äußerst produktiven und vielseitigen Baumannes werden an álvaro siza. das gesamtwerk (DVA, öS 1.794,-) also ihre Freude haben.

Ebenfalls erfrischend ist eine Biographie des österreichischen Kollegen Clemens Holzmeister (Haymon, öS 398,-), die deshalb besonders spannend zu lesen ist, weil weniger die Architekturtheorie als die Person Holzmeister im Vordergrund steht und als Autoren vor allem Nicht-Architekten mit dem entsprechend unverbrauchten Blick verantwortlich zeichnen.

Kein Architekt, sondern ein Architekturtyp steht im Mittelpunkt des Titels Skyscrapers (Mario Campi, ETH Zürich, Birkhäuser, öS 564,-), der die wichtigsten Hochhäuser der Welt analysiert. Die Vorstellung erfolgt standardisiert angenehmerweise jeweils auf einer Doppelseite. Kleines Manko: Die Qualität der Fotos ist nicht gerade überwältigend. Dafür werden auch Hochhäuser vorgestellt, die kurz vor der Vollendung stehen, wie der Menara Telekom Tower in Kuala Lumpur von Hijjas Kasturi und Renzo Pianos eleganter Philip Street Office Tower in Sydney.

Eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Architektur, mit dem sich wandelnden Berufsbild und den veränderten Anforderungen an den Architekten beinhaltet der Band mit dem schönen Titel Prinz Eisenbeton (Springer Wien New York, öS 405,-). Gezeigt werden hier die in den vergangenen drei Jahren unter Debatten mit Leuten wie Heidulf Gerngroß, Günther Feuerstein und Michael Mönninger entstandenen Arbeiten an der Meisterklasse von Wolf D. Prix an der Universität für angewandte Kunst Wien.

Prachtvoll ausgefallen ist der Band Le Corbusier. Paris-Chandigarh (Birkhäuser, öS 1.070,-), in dem Autor Klaus-Peter Gast Corbu im „Spannungsfeld“ zwischen Frankreich und Indien zeichnet. Das Buch richtet sich mit seinen schweren architekturtheoretischen Texten sicherlich eher an Insider, doch allein die Fotos der monumentalen Gebäude Chandigarhs sind mehr als einen Blick wert


[Zu guter Letzt drei Bücher, auf die Insider schon gewartet haben: Die Serie The IT Revolution in Architecture (Birkhäuser, je öS 143,-) von Antonio Saggion geht mit Digital Design. New Frontiers for the Objects, New Wombs. Electronic Bodies and Architectural Disorders sowie New Flatness. Surface Tension in Digital Architecture flott, interessant, konsumentenfreundlich knapp und U-Bahn-tauglich klein weiter.]

Der Standard, Sa., 2000.10.14



verknüpfte Publikationen
Álvaro Siza

13. Oktober 2000Ute Woltron
Der Standard

Die Revolution hat ihre Kinder verdaut

Junge Wohnvisionen im O.K. Centrum Linz

Junge Wohnvisionen im O.K. Centrum Linz

Linz - Wie könnten wir übermorgen wohnen? Dieser Frage geht die Ausstellung „Future Vision Housing“ nach, die heute im Linzer O.K. Centrum für Gegenwartskunst eröffnet wird. Die Antworten stammen von Architekten unter 35, rund 360 Jungbaukünstler aus aller Welt haben sich am Ideenwettbewerb beteiligt.

Auslober waren Herbert Lachmayers Art & Tek Institute sowie das Architekturforum Oberösterreich. Organisatorin Margit Ulama: „Wichtig war eine konzeptuelle Fragestellung als Basis, die Teilnehmer sollten akute Probleme aufgreifen und nicht übliche Wohnbauprojekte liefern.“

Die 360 Entwürfe geben einen erhellenden Überblick über Visionen und Denkschemata der kommenden Architektengeneration. Die nimmt ungeniert Anleihe bei Vorvätern aus den 60ern. Pneumatische Konstruktionen, Kapseln, Wohnmaschinen sind hip, aber auch Computerentwürfe und die offen deklarierte Bereitschaft, mit der Industrie zusammenzuarbeiten. Doch was früher Ausbruch sowohl in gesellschaftliche als auch räumliche Freiheit hätte sein sollen, ist heute Mittel zum Zweck des Geldverdienens. Viele Manifeste sind primär Verkaufskataloge.

So räumten etwa Christine Esslbauer, Christine Horner, Tibor Tarcsay und Christoph Hinterreitner aus Wien den ersten Preis mit einem fingierten Fertighausprospekt ab. „Today I feel like a Rose“ heißt es da, und sowohl Hausbesitzerin als auch Gebäude haben sich in ein rosarotes Blumengewand geworfen, die veränderbare Hochtechnologiehaut des Hauses macht's möglich. Solid - we don't build houses, so der Titel des Beitrags.

Der zweite Hauptpreis geht an die Wiener Gruppe alles wird gut. Sie hat mit urbansushi ein Wohnmöbel entwickelt, das erst einmal - no na - in Form eines prächtigen Prospekts auf den Markt kommt. Ohne Computerrendering geht heute nichts mehr. Auch der dritte Preis (Team TTT&T aus Berlin) raffiniert schon Dagewesenes: ein „pharmazeutisches Produkt“, eine „Wohnpaste“ verändert bei Auftragen auf die Haut die Wahrnehmung von Räumen. Das wirkungsvolle Pendant früherer Zeiten hieß LSD.

Wie es das Credo der 60er war, „dagegen“ zu sein, sind die 00er mangels Feindbilder „dafür“. Ältere kampferprobtere Architektensemester werfen den Jungen denn auch Jasagertum vor, aber die kommerziell talentierten Jungen sind ja Teil ihres Vermächtnisses, die Revolution hat ihre Kinder verdaut und toughe Geschäftsleute ausgespuckt.

Der Standard, Fr., 2000.10.13

12. Oktober 2000Ute Woltron
Der Standard

Wer mehr ausgibt, der lebt schöner

Der Mexikaner Jorge Vergara Madrigal hat mit Vitamindrinks im Handumdrehen Dollarmillionen gescheffelt, einen Teil davon will er jetzt in Form von ausgewählter Architektur in Guadalajara an seine Landsleute zurückgeben.

Der Mexikaner Jorge Vergara Madrigal hat mit Vitamindrinks im Handumdrehen Dollarmillionen gescheffelt, einen Teil davon will er jetzt in Form von ausgewählter Architektur in Guadalajara an seine Landsleute zurückgeben.

Wien - Jorge Vergara und seine Unternehmensgruppe Omnilife lassen von elf der bekanntesten Architekten einen neuen Stadtteil in Guadalajara bauen. Am Dienstag hielt der Mexikaner im Wiener MAK einen Vortrag. Daniel Libeskind plant die Universität, Thom Mayne eine Arena, Jean Nouvel Bürogebäude, Coop Himmelb(l)au ein Entertainment Center, Tod Williams & Billie Tsien ein Theater, Toyo Ito ein Museum, Enrique Norten ein Kongresszentrum, Carme Pinós ein Messegelände, Philip Johnson eine Kinderwelt, Theodoro González de Leon das Klubhaus und Zaha Hadid ein Hotel.

STANDARD: Wie kommt man auf die Idee, sein Geld in eine Stadt zu stecken?

Jorge Vergara Madrigal: Wir haben die besten Architekten der Welt engagiert, um Guadalajara auf die Landkarten zu bekommen. Die Stadt braucht dringend ein neues, kulturelles Zentrum, diese Architektur wird eine Initialzündung für die gesamte Region sein.

STANDARD: Sie rechnen mit dem „Bilbao-Effekt“?

Vergara: Natürlich, Bilbao war eine kaputte, gespaltene Stadt, ein einziges Gebäude hat das vollkommen geändert.

STANDARD: Sie beschäftigen praktisch alle Spitzenleute der Szene, wie haben Sie die denn gekriegt?

Vergara: Ich habe 22 Architekten angeschrieben. Renzo Piano und Norman Foster sagten gleich ab. Da auch das Zwischenmenschliche stimmen muss, habe ich mich auf die Rundreise begeben und die restlichen zwanzig persönlich aufgesucht. Mit Schumi hat das zum Beispiel nicht funktioniert, Eisenmann war am schlimmsten, da hat das Gefühl einfach nicht gepasst. Übrig blieben die elf.

STANDARD: Mittlerweile herrscht Partystimmung.

Vergara: Wir haben uns alle sehr angestrengt, diese Architekten verliebt zu machen in das Projekt, in uns, in die Stadt. Wir haben keine Limits vorgegeben, was ihre Kreativität anbelangt und ihnen bei den Entwürfen freie Hand gelassen, das hat geholfen.

STANDARD: Der Showeffekt ist gewiss, doch wie schaut es mit dem Städtebau aus?

Vergara: Alle ökologischen Aspekte wurden berücksichtigt. Die Autos werden unterirdisch geführt, und die Verbindungen zwischen den Gebäuden musste sehr sorgfältig erfolgen, damit kein architektonischer Skulpturenpark entsteht.

STANDARD: Wie funktioniert die Anbindung an die Stadt?

Vergara: Das Grundstück liegt direkt an der wichtigsten Straße, die in das Zentrum führt. Wir suchen jetzt Investoren für Hotels, Restaurants, Services, und auch diese Gebäude müssen sehr gut sein.

Es ist erstaunlich: Architektur ist so wichtig, und gleichzeitig kümmert sich keiner darum. Schauen Sie sich all die hässlichen Städte an. Meistens ist alles sehr schlecht gemacht, um ein paar Dollar zu sparen. Heutzutage glaubt man, wenn man Geld spart, lebt man besser. Wir glauben das Gegenteil. Gib ein wenig mehr aus, und leb schöner.

STANDARD: Sind beim Bau öffentliche Gelder im Spiel?

Vergara: Von der öffentlichen Hand kommt gar nichts, diese Investition ist rein privatwirtschaftlich. Das war übrigens die erste Frage, die alle Architekten sofort gestellt haben: „Ist das ein öffentlicher Auftrag? Wenn ja, muss ich es mir zweimal überlegen, ob ich mitmache.“

STANDARD: Wie viel wird Ihre Stadt kosten?

Vergara: Wir rechnen mit 425 Millionen Dollar für die elf Häuser, nach europäischen Standards wären das mindestens 900 Millionen. Was wir eigentlich wollen, ist Kulturimport. Jeder dieser Architekten wird ein Stück Kultur nach Guadalajara bringen. Coop Himmelb(l)au zum Beispiel hat in der Stadt ein Büro eröffnet.

STANDARD: Wann soll die Stadt fertig sein?

Vergara: Unser Ziel ist 2004. Ich will es schließlich noch erleben.

STANDARD: Rem Koolhaas war anfangs mit dabei, warum ist er aus dem Team verschwunden?

Vergara: Er sollte den Masterplan entwerfen, doch er war von der Idee besessen, ein Haus über das andere zu stapeln - Toyo Ito über Daniel Libeskind, völlig absurd. Sein Ego war größer als seine Häuser, unter diesen Voraussetzungen konnten wir nicht zusammenarbeiten.

STANDARD: Ihr Veteran ist der 93-jährige Philip Johnson.

Vergara: Er gibt uns allen Lebensunterricht. Er behauptet von sich, der kindischste aller Architekten zu sein, und meinte zu mir, nach dem Ego-Prozess, der beste Architekt der Welt werden zu wollen, habe er erkannt, dass der einzige Sinn des Lebens darin bestünde, Spaß zu haben wie ein Kind. Deshalb hat er auch die Kinderwelt entworfen.

Der Standard, Do., 2000.10.12

30. September 2000Ute Woltron
Der Standard

Wo das Wunder passiert

Boris Podrecca baut das neue Biotechnologiezentrum in Wien

Boris Podrecca baut das neue Biotechnologiezentrum in Wien

Der Architekturwettbewerb um das neue Wiener Laborgebäude der Akademie der Wissenschaften ist entschieden. Die Sache befindet sich unter einer Art Käseglocke, erläutert Architekt Boris Podrecca sein Siegerprojekt, was sich später unter dieser Hülle aus Glas abspielen wird, ist nur Eingeweihten klar. Biotechnologie heißt die unheimliche Wissenschaft der Zukunft, auf der ganzen Welt wird heftig in diese Richtung geforscht, nun soll also auch Wien ein solches Forschungszentrum größerer Dimension bekommen.

Zumindest die Labor-Architektur, in der sich das Unerklärliche abspielen wird, ist klar und verständlich, wenn auch nicht einfach. Boris Podrecca entwarf für die Wissenschafter sozusagen einen Forschungs-Organismus, einen Haus-Wirten, der je nach den Ansprüchen der beherbergten Gastorganismen, also der rund 80 Menschen, die in ihm arbeiten werden, schrumpfen und wachsen und dazulernen kann. Der zentrale Teil der Anlage im 3. Wiener Bezirk sind natürlich die Labors, die Podrecca als „das Gehirn“ bezeichnet, als den „Ort, wo das Wunder passiert“. Das gesamte Gebäude ist nach den vereinfachenden Formulierungen der Architekturkritik in vier Zonen gegliedert: Zur Dr.-Bohr-Straße hin macht das große neue Haus nach Podreccascher Manier in grünlichem Stein, ebensolchem Glas und poliertem Metall die Front zu, was der Architekt als Dienst an der Stadt betrachtet, was andererseits aber doch ein bisschen schade ist, weil Wunder nach Möglichkeit ja auch nach außen wirken sollen. Doch wer sind wir, hier zu urteilen.

Dahinter wird es jedenfalls sofort spannend, weil sich eine kleine Welt auftut, in der es Plätzchen und Straßen, Rampen und Verweilpodeste gibt, ganz zu schweigen von den Cafégärtchen, dem Wassergeplätscher und dem Schilfgewucher. Zwischen diesen Zonen der behaglichen Kommunikation auf vielen Ebenen befinden sich selbstverständlich auch Arbeitsgelegenheiten wie Büros, Konferenzräume und Labors lose eingestreut. Der Architekturkritiker würde hier vom Betonrückgrat des Büroriegels sprechen, der die Sache straßenseitig gelegen quasi in Form hält, von einem dahinter angehängten Erschließungsgerüst mit Rampen und Stiegen, das zugleich eine luftige Atemzone im Gebäude bildet, von dem in weiterer Folge eingehängten Laborblöcken, die in offener Stapelung und Leichtbauweise die wachsende oder schrumpfende Zentrale des Gebäudes bilden. Darüber, mächtige Lufträume entstehen lassend, stülpt sich besagte Käseglocke, architektonisch als intelligente, weil mit Lüftungs- und anderer Technik versehene Klimafassade zu bezeichnen.

Podrecca hat ein Haus entworfen, das bei Bereitstellung jeglicher Infrastrukturen den Wissenschaftern zusätzlich auch viel Platz gibt, um sich zu orientieren und untereinander auszutauschen, denn Forschung passiert nicht nur im Labor und am Computer, sondern vor allem im miteinander Nachdenken. Das haben die Architektenkollegen Gregor Eichinger und Christian Knechtl bereits mit ihrem sehr schönen, kleinen Schrödinger-Institut gezeigt, wo sie den Wissenschaftern ermöglicht haben, allerorten Tafeln mit Kreide vollzuschreiben.

Podreccas Haus ist in seinen Dimensionen und Anforderungen natürlich Schrödinger mal Pi und muss enormen Technologieansprüchen genügen. „Deshalb gibt es auch Naturelemente wie Wasserbecken und Grünzonen, damit das Gebäude keine technische Monokultur, kein Gerät wird“, sagt der Architekt. Auch Wohnungen sind im Komplex untergebracht, sie orientieren sich zur Innenstadt und präsentieren ihren Bewohnern den fenstergerahmten Steffl. Die Labors auf der anderen Seite sind eine „Vitrine“, die Richtung Erdberg, wo gerade ein neuer Stadtteil mit Gasometer- und anderer Architektur belebt wird und zum bereits bestehenden Wissenschaftscampus aufmacht. Denn das Institut für molekulare Bioinformatik, kurz IMBA, ist Teil einer Gesamtanlage, die Biotechnologiezentrum Wien heißt und in verwirrender Vielfalt in diversen Gebäuden in diesem Block zwischen Dr.-Bohr-Gasse, Viehmarktgasse und Rennweg Universitäres mit Privatwirtschaftlichem vermischt.

Das neue IMBA der Akademie der Wissenschaften zum Beispiel entsteht in Kooperation mit dem privaten Großkonzern Böhringer Ingelheim, bezahlt wird das 190-Millionen-Schilling-Ding allerdings von der Stadt Wien, die laufenden Betriebskosten von jährlich 100 Millionen wird der Bund begleichen. Von Böhringer kommt derweilen also nur das, was man Know-how nennt. Als Baubeginn wird Mitte 2001 angepeilt. „Wenn es irgendwie geht, wollen wir Ende 2002 einziehen“, sagt Helmut Schuch von der Akademie.

Das gesamte Biotechnologieprojekt ist ein Liebkind von Brigitte Ederer, die auch deutlich Interesse an einem Ausbau des Nachbargrundstücks in ähnlicher Manier zur Nutzung für Unternehmen signalisiert. Christian Bartik aus dem Büro der Stadträtin: „Die Erweiterung ist fix geplant, lediglich der Gemeinderatsbeschluss steht aus.“ Der Erweiterungsbau war bereits Teil der Wettbewerbsvorgaben.

Der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds, so Schuch, „zerbricht sich jetzt ernsthaft den Kopf darüber, wie das gsamte Gebäude in einem Durchgang errichtet werden könnte.“

Der Standard, Sa., 2000.09.30



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Vienna Biocenter 1, 2 + 3

26. September 2000Ute Woltron
Der Standard

Die Firma

Der einzige Stil, den BEHF verfolgen, ist der Unternehmensstil ihrer jeweiligen Auftraggeber. Und die fahren sehr gut damit.

Der einzige Stil, den BEHF verfolgen, ist der Unternehmensstil ihrer jeweiligen Auftraggeber. Und die fahren sehr gut damit.

Der Weg zum Architekturbüro BEHF führt durch zwei Mariahilfer Hinterhöfe, dann geht's in ein altes Industriegebäude, hinauf über eine Eisenstiege und hinein durch eine unscheinbare Tür. Der Anblick dahinter verschlägt einem erst einmal kurz den Atem. In einem riesigen Loft, in dem einstens wahrscheinlich ölige Apparaturen Schraubenmuttern oder Ähnliches gestanzt haben, arbeitet und stampft jetzt eine schnieke Architekturmaschinerie, und die vermittelt durchaus den Eindruck, hochtourig zu laufen. Rund vierzig Architekten, Designer, Medienfachleute und sonstwie Kreative wieseln mit Papieren, Plänen, Linealen herum, Computer surren, Plandruckmaschinen plotten, Kaffeemaschinen gurgeln. Ein nettes Großraumbüro haben sie hier, mit maßgeschneiderten Arbeitskojen für jeden und jede, oder besser, für die jeweiligen Projekte, die gerade bearbeitet werden.

Die Architekten von BEHF sind offenbar mit Arbeit gut versorgt. Die Mitarbeiteranzahl der Architektengruppe hat sich seit ihrer Gründung 1996 mehr als verzehnfacht und macht die Firma zu einer der zahlenmäßig größten Architekturmaschinen im ganzen Land. Dass alles so geschmiert läuft, hängt natürlich mit dem Geschick der vier Gründungsarchitekten zusammen - und mit ihrer sehr geschäftstüchtigen Art, Architektur zu machen. BEHF steht für Unternehmensarchitektur, für Geschäftslokale und Bürobauten. Für eher schnell abgewickelte, dennoch gut durchdachte Sachen. Der wichtigste Kunde heißt Libro, und ihm verdanken die vier BEHF-Chefs auch den rasanten Aufstieg, den ihre Gruppe in so kurzer Zeit genommen hat.

Hinter dem coolen Firmentitel - er verfolgt als einfaches, prägnantes und deshalb sehr gut funktionierendes Logo jeden allerorten, der irgendwie mit der Firma zu tun hat - verbergen sich natürlich die Namen der vier Architekten: Erich Bernard, Armin Ebner, Susi Hasenauer und Stephan Ferenczy haben sich schon zu Studienzeiten in der Meisterklasse von Wilhelm Holzbauer kennen gelernt. So ungefähr vor fünf Jahren wurde einer nach dem anderen mit dem Studium fertig, und zur gleichen Zeit suchte auch Libro mittels Wettbewerbs nach einem neuen Image und einem neuen Unternehmensauftritt.

Die vier gewannen quasi von der Schulbank weg und waren gezwungen, rasch einen eigenen Betrieb zu etablieren. „Das Büro war Mittel zum Zweck, um den Auftrag überhaupt abwickeln zu können“, sagt Stephan Ferenczy. Der Schritt in die Unabhängigkeit machte sich bezahlt. Die Planer haben offenbar zur Libroschen Zufriedenheit gearbeitet, weshalb es Nachfolgeaufträge nur so regnete. Insgesamt entstanden bisher rund 70 Filialen mit jeweils 600 bis 1300 Quadratmetern Fläche, weil praktischerweise der Konsum pleite ging, woraufhin jede Menge Filialen zur Verfügung standen. Der Libro-Börsegang tat ein Übriges und scheffelte die entsprechenden Baugelder in die Unternehmenskasse. „Wir haben versucht, sozusagen den Selbstdefinierungsweg des Unternehmens zu begleiten“, meint Armin Ebner, „also eine Corporate Culture zu schaffen.“

Einer der wichtigsten Schritte in diese Richtung war die Gestaltung des Flagstores im Wiener Donauzentrum. Als Libro-Boss André Rettberg die Pläne dafür sah, soll er gesagt haben: „Gut. Ich vertraue Ihnen. Wir machen das. Aber Sie sind dafür verantwortlich.“ Das Konzept sah zuerst einmal eine Eliminierung alles Lieblichen vor. Das Verkaufslokal wurde bis auf sein Stahlbetonskelett und die Versorgungsadern völlig ausgezogen und bekam nur einen grauen Anstrich verpasst. Die „Hardware“ des Geschäfts, wie BEHF sich ausdrücken, besteht jetzt bis zu den gegossenen Kassablöcken aus nackigem Beton. Die „Software“, also alle Elemente, die das Lokal bespielen, setzt sich aus einem klaren Leitsystem zusammen, aus im Raum und nicht an der Wand gesetzten Regalen, damit der Kunde den Überblick nicht verliert, aus Monitoren sowie einer rundum gespannten zweiten textilen Haut im Raum, die als Werbe- und Infofläche nach Belieben beflimmert und bespielt werden kann. Insgesamt ein sehr einfaches, hartes, schnelles, nicht teures Konzept, dass einerseits mit seiner extremen Zurückgenommenheit dem kunterbunten Librosammelsurium die Tribüne gibt, das mit seinen Neue-Medien-Zonen allerdings auch MTV-artig die Werbesau rauslassen kann, wenn es will.

In ihrem schönen, schneeweißen, selbstverständlich mit allen technischen Sitzungsspezifankerln und dem BEHF-Logo ausgestatteten Besprechungsraum fühlt sich der Architekturkunde wie in Abrahams Schoß. Mittels Lamellenjalousien ist er von der lauten Außenwelt abgeschirmt, und die Damen und Herren, die BEHF vertreten, vermitteln ein Gefühl von Kompetenz, Vertrauen, Sicherheit. Diese Architekten haben ihre Unternehmerlektionen gelernt, und dazu gehört auch, ganz genau zu wissen, was man nicht will.

Im Falle von BEHF sind das die persönlicheren, kniffligeren Sachen wie Wohnungen umbauen und überhaupt Einfamilienhäuser austüfteln. „In diese Richtung zu gehen ist nicht unsere Kompetenz und auch nicht unser Wunsch“, sagt Ebner. Auch Ferenczy stimmt dem zu: „Dieses Thema wird nicht sonderlich geliebt von uns, weil es extrem aufwendig ist, wenn die Sache sinnvoll sein soll.“ Die zahlreichen Auszeichnungen, die es bisher gegeben hat, wurden denn auch für andere Bauaufgaben verliehen. Etwa für ein Büro-Geschäftshaus in Klagenfurt, das sich mit seiner ganz einfachen, gut funktionierenden Beton-Glas-Architektur im Vorjahr den Kärntner Landesbaupreis holte. Ein Nachfolgeprojekt entstand in Form eines ebenfalls sehr klaren und ebenfalls aus Beton gemachten Fachmarktzentrums in Feldbach. Drei Mieter teilen sich die Minishoppingmall, die mit ihrer einfachen markanten Hülle die Besucher erwiesenermaßen gut anspricht, die Geschäfte fuhren im vergangenen Jahr laut BEHF Rekordumsätze ein.

Die Architekten haben sich mit ihren Einkaufskettenarchitekturen sehr geschickt in eine Marktlücke manövriert, die von Kollegen bisher viel zu wenig beachtet wurde. Die allerorten wuchernden Stadtrandeinkaufszonen wären ein weites Betätigungsfeld für Gestalter, für Städtebauer und Planer und offenbar auch ein lohnendes, denn laut Ebner ist „das Interesse der Investoren da“.

„Die bauliche Maßnahme ist Teil der Unternehmensentwicklung unserer Kunden“, versucht Ferenczy die eigene Unternehmensphilosophie zusammenzufassen, „und BEHF ist eine Art Architekturagentur dafür. Dabei verfolgen wir grundsätzlich keine Stilistik.“ Bis dato hat der Hauptkunde Libro samt seinen Dutzenden Filialen die Truppe dermaßen beansprucht, dass gelegentlich sogar die Baustoffe ausgingen und etwa gewisse Stelzfüße für bestimmte Regale in ganz Europa nicht mehr aufzutreiben waren, oder bestimmte Lacke per Cessna rasch aus Dänemark eingeflogen werden mussten. Doch wie geht es weiter, wenn dieser Megadeal einmal abgeschlossen ist? „Die Frage lautet: Wie bleibe ich jung?“, sagt Ferenczy. Zu diesem Zweck hat BEHF neben der Controllingmannschaft, der Administrations- und Organisationstruppe auch ein Kommunikationsteam gegründet, das den Umgang nach innen und nach außen pflegt. Wie eine große, kluge Firma eben.

Der Standard, Di., 2000.09.26



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BEHF Architects

21. September 2000Ute Woltron
Der Standard

Was kommt, ist schon da

Das Architektur Zentrum Wien präsentiert Baukünstler der Zukunft

Das Architektur Zentrum Wien präsentiert Baukünstler der Zukunft

Wien - Das AZW hat seine Flutlichter aufgedreht und zehn heimische Architekturbüros jüngerer Generation daruntergerückt: emerging architecture heißt die Ausstellung, sie ist ab heute im Museumsquartier zu sehen.

Die Architekten präsentieren ihre Arbeiten per Plakate und Computervideos. Da es sich um eine Wanderausstellung handelt - über internationale Stationen wird noch verhandelt - bekam jedes Team einen großen Transportkoffer, der mit ausklappbaren Paneelen zugleich als Ausstellungsarchitektur und als Computerpodest dient.

Die Multimediadokumentation je eines Gebäudes pro „emerging architect“ hat das Architektur Zentrum finanziert, für die Ausstellungspublikation (sie erscheint bei Springer) mussten die Architekten selbst aufkommen. Sie ist in Einzelhefte teilbar, jedes Büro erhält 200 Exemplare für PR-Zwecke. Die präsentierten Künstler wurden von Kurator Otto Kapfinger handverlesen, sie zählen großteils zu den interessanteren jungen österreichischen Bauleuten zwischen 30 und Mitte 40.

Da es aber auch noch andere, mindestens ebenso interessante Künstler gibt, kündigte Zentrums-Boss Dietmar Steiner eine alljährliche Fortsetzung der Veranstaltung an: „Im Jahr 2004 etwa wären fünfzig Büros - die regionale Kernschicht einer Generation - auf diese Weise dokumentiert.“ Otto Kapfinger zur Auswahl des ersten Durchgangs: „Das sind alles Leute, die zwar noch nicht wirklich monographiewürdig sind, aber bereits eine starke eigene Aussage haben, ein Thema konsequent verfolgen.“ Beeindruckend sind etwa die in Konzept, Erscheinung und Preis aus der Masse hervorragenden Arbeiten von Johannes und Oskar Leo Kaufmann, meistens in Holz gemacht, denn die Cousins haben familiär bedingt Holzbaustaub quasi von Geburt an inhaliert. Flott auch die Architekturen von Markus und Kinayeh Geiswinkler: Sie zeichnen etwa für den Guess-Club in Mariahilf verantwortlich. Rainer Köberl steht für raffinierte Zurückhaltung; Andreas Lichtblau und Susanna Wagner verheiraten Haustechnik und Gebäude zu eleganten Architekturen.

Bernhard und Stefan Marte spielen gerne mondrianartig mit Betonscheiben und Glasflächen; Christoph Pichler und Johann Traupmann beschäftigen sich mit dem Thema „Raumhülle“ und versuchen neue Interpretationen. Peter und Gabriele Riepl fallen u. a. durch spannende neue Architekturen in bestehenden auf. Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer bauen gläserne Hüllen, die in ihrer Zartheit fast unsichtbar werden; von Peter Ebner stammt ein solides Studentenheim in Salzburg, und die Gruppe Splitterwerk nimmt die Ideen ihrer 60er-Jahre-Vorgänger mit besonderer Frische wieder auf. Im AZW, bis 30. 10.

Der Standard, Do., 2000.09.21

11. September 2000Ute Woltron
Der Standard

„Ohne ,Museum im Fels“ hätte es Bilbao nicht gegeben'

Vor zehn Jahren scheiterte Hans Holleins Projekt eines Guggenheim-Museums in Salzburg. Jetzt scheint eine zweite Chance realistisch. Ute Woltron sprach mit dem Architekten.

Vor zehn Jahren scheiterte Hans Holleins Projekt eines Guggenheim-Museums in Salzburg. Jetzt scheint eine zweite Chance realistisch. Ute Woltron sprach mit dem Architekten.

Standard: Ihr Entwurf für das „Museum im Fels“ ist über zehn Jahre alt. Hält er noch, was er damals versprach?

Hollein: Also, gute Architektur sollte schon mehr als zehn Jahre überdauern. Das Guggenheim von Frank Lloyd Wright in Manhattan wurde 17 Jahre nach dem Entwurf fertig gestellt. Der Architekt hat das gar nicht mehr erlebt, er ist ein Jahr zuvor gestorben.

STANDARD: Wie schätzen Sie die Chancen ein, selbst doch noch ein Guggenheim-Museum zu realisieren?

Hollein: Die jüngste Initiative des Planungsstadtrats Johann Padutsch, der meinte, man hätte damals einen historischen Fehler begangen, hat sich zuletzt wie eine Lawine entwickelt. Es gibt eine Gruppe in der Stadt, gebildet von allen drei Parteien, die nun, wie sie sagen, ihre Hausaufgaben machen wollen.

STANDARD: Gilt die Machbarkeitsstudie von 1990 noch?

Hollein: In jeder Hinsicht. Durch die Erfahrungen mit Bilbao müssen lediglich Besucherzahlen und Umwegrentabilität nach oben revidiert werden. Pikanterweise wurde ja die Marktanalyse damals lächerlich gemacht. 650.000 prognostizierte Besucher tat man als Größenwahn ab. Bei den Baukosten werden neuerdings Zahlen von bis zu 1,6 Milliarden Schilling kolportiert, tatsächlich dürfte das Museum maximal eine Milliarde kosten, also etwa 6,5 Prozent mehr als damals.

STANDARD: Eine Diskussion im Landesstudio Salzburg hat vor zwei Wochen ein starkes öffentliches Pro zum Projekt gezeigt. Wie geht es weiter?

Hollein: Es ist vor allem die Finanzierung zu klären, da sollte neben Land und Stadt auch der Bund mit dabei sein. Das Museum muss ein österreichisches Anliegen sein, gerade in der jetzigen Zeit.

STANDARD: Gibt es bereits eine Reaktion von Guggenheim-Chef Thomas Krens?

Hollein: Ich weiß nicht, ob schon eine offizielle Antwort vorliegt, doch Guggenheim war stets an diesem Projekt interessiert. Salzburg war ja der Beginn seiner globalen Aktivität. Ohne Museum im Fels hätte es Bilbao nicht gegeben. Mein Gebäude ist immer als Vorbild hingestellt worden.

STANDARD: Wie schnell könnte es realisiert werden?

Hollein: Es würde den normalen, durch das Verfahren zur Änderung des Flächenwidmungsplanes in der Vorwoche bereits eingeleiteten Vorgang nehmen; die Bauzeit würde ca. zwei Jahre dauern.

STANDARD: Was passiert mit dem zweiten geplanten Museum auf dem Mönchsberg, dem Museum der Moderne?

Hollein: Ein zweites, separates Museum macht sicher keinen Sinn, die beiden lägen ja gerade 15 Meter auseinander. Ich kann mir vorstellen, dass man dieses Museum in das Guggenheim integriert und den Neubau an das bestehende Café Winkler anschließt. Ich habe Ähnliches für die Casino-AG seinerzeit bereits geplant. Man wollte damals Aktivitäten des Guggenheim sponsern, ein Fenster des Casinos führte in das Museum, es waren Besuche und Nachtführungen geplant.

STANDARD: Auch Wien wälzte vergebens Guggenheim-Pläne. Könnte nun zwischen Wien und Salzburg ein Buhlen um Guggenheim einsetzen?

Hollein: Vizebürgermeister Görg hat vor ein paar Monaten zu mir gemeint, der Platz auf der Platte wäre immer noch für Guggenheim frei, und meines Wissens gab es auch immer wieder Wiener Delegationen in New York. Ich bin allerdings vorsichtig mit meinem Enthusiasmus, denn unangenehme Erfahrungen haben gezeigt, dass das Scheitern und Realisieren von Projekten von der Haltung einiger weniger Personen und Cliquen abhängen kann.

STANDARD: Sie warten ab?

Hollein: Nein, ich bin voll mit dabei. 2006 ist das Mozartjahr, bis dahin will Salzburg ein umgebautes Festspielhaus haben, vielleicht ist auch Guggenheim dann fertig. Es spielt aber keine Rolle, wenn es erst zwei Jahre später fertig ist. Doch vielleicht nicht allzu spät, sonst geht's mir wie dem Frank Lloyd Wright.

Der Standard, Mo., 2000.09.11

29. Juli 2000Ute Woltron
Der Standard

Gut durchdacht lohnt sich

Das Vorurteil, gute Architektur sei alles Gebaute, das als „schön“ empfunden werde, konnte noch nicht ausgerottet werden. Dieser Umstand rächt sich, wenn tradierte Muster ungefragt übernommen und allerorten zu haarsträubend unpraktischen Konstrukten gehäufelt werden, was angesichts der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nur blöd und ärgerlich ist. Zumindest Gewerbe und Industrie, die am Puls der Zeit sein und optimiert bauen müssen, wenn sie überleben wollen, sollten es besser wissen. Tun sie zum Glück oft auch.

Das Vorurteil, gute Architektur sei alles Gebaute, das als „schön“ empfunden werde, konnte noch nicht ausgerottet werden. Dieser Umstand rächt sich, wenn tradierte Muster ungefragt übernommen und allerorten zu haarsträubend unpraktischen Konstrukten gehäufelt werden, was angesichts der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nur blöd und ärgerlich ist. Zumindest Gewerbe und Industrie, die am Puls der Zeit sein und optimiert bauen müssen, wenn sie überleben wollen, sollten es besser wissen. Tun sie zum Glück oft auch.

Die besseren Teile der heimischen Wirtschaft haben in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, dass gute Architektur nicht nur ein auf viele Jahre funktionierender Werbeträger ist. Wenn der Planer klug an die Sache herangeht, dann wird sie zu einem unbezahlbaren Stimmungsmacher innerhalb des Unternehmens und sorgt für die Optimierung aller Arbeitsabläufe und Produktionsschritte des Betriebs. Was könnte einem Unternehmer wichtiger sein?

Auch das zweite Vorurteil, gute Architektur sei zwar schon eine tolle Sache, für unsereiner aber doch zu teuer, ist noch lebendig. Tatsächlich kann das - in Relation zu den Baukosten geringe - Honorar des Architekten zu einer der besten Investitionen werden, die der Unternehmer je getätigt hat. Denn wer in einem gut durchdachten, gut geplanten Betrieb arbeitet, der wird sich in seiner Umgebung wohlfühlen, kann seinem Job effizienter nachgehen und wird lieber arbeiten. Und dass ein gutes Betriebsgebäude wie eine gut geölte Maschine funktioniert, ist nichts Neues. Bleibt zu erwähnen, dass ein guter Architekt bereits bei der Planung spart - sein Honorar wird oft schon durch geringere Baukosten hereingespielt.

All diese Tatsachen sind Leuten, die sich auch nur ein wenig mit der Materie befassen, längst bekannt. Die Initiative „art pool“ will dem logischen, aber doch immer wieder zu predigenden Umstand noch zu ein wenig mehr Öffentlichkeit verhelfen. Man entschloss sich deshalb, alljährlich die innovativsten Betriebs- und Unternehmensarchitekturen mit dem althergebrachten Mittel des Preises zu würdigen. „art pool“ - dahinter stehen namhafte Unternehmen wie ABB, UTA Telekom AG und Erste Bank - ist nach Eigendefinition eine „Initiative für aktuelle Kunst“, sie will die fruchtbare Durchmischung von selbiger mit der Wirtschaft fördern. „museum in progress“ nimmt das Thema auf und verschafft den Architekturen plakativ zu größerer Öffentlichkeit.

Der erste Preisverleihungsdurchgang fand bereits im Vorjahr statt. Damals konnte man natürlich aus dem Vollen der längeren Vergangenheit schöpfen. Ausgezeichnet wurden eh-schon-Klassiker wie das Coop Himmelb(l)ausche Funder-Werk, die Haslinger-Kecksche Werbeagentur von Eichinger oder Knechtl und die Jenbacher Maschinenhalle von Josef Lackner.

Heuer lag der Schwerpunkt der Auswahl im mittelständischen Unternehmensbereich, der sich hierzulande als sehr aktiv erweist. Eine Vorauswahl lieferte (wieder einmal - wo ist eigentlich die das gesamte Bundesgebiet vertretende, neutrale Architekturstiftung?) das Wiener Architektur Zentrum, das seine Architekturdatenbank nach Brauchbarem durchkämmte (vielleicht ein wenig gar subjektiv, aber bitte). Als Juroren fungierten schließlich der mittlerweile allgegenwärtige Zentrums-Chef Dietmar Steiner sowie STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl. Zwölf Architekturen wurden als die besten auserwählt. Das Spektrum reicht von der Fleischmanufaktur von Franz Riepl (OÖ) über die Betriebsstätte der Malervereinigung in Graz von Bernhard Hafner und das Marktzentrum in Lustenau von Daniele Marques und Bruno Zurkirchen bis zur Lichtfabrik Halotech von Rainer Köberl (T). Alle prächtig, alle wohl durchdacht, alle solides, bestes Architekturhandwerk.

Eine frische Alternative zu den immer schrecklicher werdenden Kaufhausbunkern der Stadtperipherien (den Puzzleteilchen der sogenannten Gewerbegebiete, die stets die Liebkinder der Bürgermeister, städtebaulich aber meistens ein Horror und architektonisch immer eine Totalniederlage sind) ist zum Beispiel das im Vorjahr fertiggestellte Möbelhaus Manzenreiter in Freistadt. Mit goldgelber Haut, nostalgischem Schriftzug, geschicktem Umgang mit Räumen, Oberflächen, Wegen. Eine auf den ersten Blick auf unergründliche Weise Vertrauen erweckende Architektur. Als Planer zeichnen die jungen „x architekten“ verantwortlich. Sie zeigen hier, dass man mit 40 Millionen Schilling (Nettoherstellungskosten) eine sehr gelungene Verkaufs-und Lagermaschinerie mit über 3000 Quadratmetern Nutzfläche herstellen kann.

Ein Prachtstück von Bürobau befindet sich in Form eines Erweiterungsbaus für eine Wirtschaftstreuhänder KG gut verborgen in einem Gärtchen des steirischen Gleisdorf. Die Architekten Susanna Wagner und Andreas Lichtblau (Wien) haben eine haustechnisch ausgeklügelte Schachtel hinter ein bestehendes Haus gesetzt, die von kaum merklich gekrümmten, also selbststehenden Betonwänden getragen wird, über eine durchgehende Glasfassade verfügt und auch mit Erdwärme und Sonnenenergie tadellos umgehen kann. Das ergibt zum einen eine sehr feine, offene, kollegiale Büroatmosphäre und zum anderen vergleichsweise geringe Betriebskosten.

Weitere ausgezeichnete Betriebsbauten sind das Geschäftshaus Rutter (K) von BEHF (darüber demnächst mehr an dieser Stelle), die Glaserei Ebner von Pichler&Traupmann (B), das Weingut Weninger von Raimund Dickinger (B), die Tischlerei Thaler von Sui:T (T), die Halle der Franz Binder Holzindustrie von Josef Lackner (T) und zu guter Letzt Roland Gnaigers Landwirtschafts-Großbetrieb Vetterhof in Vorarlberg. 1996 fertiggestell ist er wohl der einzige Bauernhof im ganzen Land, der es zu einer superben Corporate Identity gebracht hat. Gnaigers Architektur, die logistisch perfekt hinhaut und traditionelles Bauen mit zeitgenössischem Zugang verheiratet, hat dazu wesentlich beigetragen.

Der Standard, Sa., 2000.07.29

22. Juli 2000Ute Woltron
Der Standard

Pflanzen, Licht, Topographie

Gelegentlich pflegte der Brasilianer Roberto Burle Marx vor seinen entzückten Gästen mit Inbrunst gregorianische Choräle anzustimmen, wenn ihn ein Geräusch, ein Lichtspiel, irgend eine Laune der Natur dazu drängte, feierlich zu sein. Burle Marx - unter anderem verantwortlich für die charakteristischen Schwarz-Weiß-Pflasterwellen an der Copacabana - ist bereits seit sechs Jahren tot, doch eine gewisse lässige Feierlichkeit lebt weiter in den unzähligen Stadträumen, die der Landschafts- und Gartenarchitekt im Laufe seines fünfundachtzigjährigen Lebens geplant und ausgeführt hat.

Gelegentlich pflegte der Brasilianer Roberto Burle Marx vor seinen entzückten Gästen mit Inbrunst gregorianische Choräle anzustimmen, wenn ihn ein Geräusch, ein Lichtspiel, irgend eine Laune der Natur dazu drängte, feierlich zu sein. Burle Marx - unter anderem verantwortlich für die charakteristischen Schwarz-Weiß-Pflasterwellen an der Copacabana - ist bereits seit sechs Jahren tot, doch eine gewisse lässige Feierlichkeit lebt weiter in den unzähligen Stadträumen, die der Landschafts- und Gartenarchitekt im Laufe seines fünfundachtzigjährigen Lebens geplant und ausgeführt hat.

Die Landschaftsarchitektur ist eine besonders schwierige, herausfordernde Tätigkeit, und umfangreiches Wissen über die Qualitäten von Wind und Licht, Boden und Topographie, von Pflanzen und Wasser allein sind nur die Basis, sozusagen der Lehm des Gestalters. Der neu geformten Angelegenheit auf Dauer Leben und Geist einzuhauchen, das ist die Kunst dieser Profession. Und die wird künftig verstärkt gefragt sein, wenn Landschaften zugepflastert werden, wenn zwischen den Architekturen Öde und Ratlosigkeit herrschen.

Wie Burle Marx ist auch der Schweizer Dieter Kienast (1945 bis 1998) bereits verstorben, beide zählten zu den Inspiriertesten der Zunft. Obwohl es kaum gelingen kann, die Atmosphären von Garten- und Grünanlagen mitsamt ihrem Vogelgezwitscher, Blättergeraschel, Wassergeplatsche in Buchform einzufangen, so dokumentieren diverse Publikationen Leben und Arbeit beider doch in gelungener Weise.

Der bereits vor drei Jahren erschienene Band „Kienast. Gärten“ (Birkhäuser, 184 Seiten, öS 862,-), der die privaten Grünbereiche vom neuen Bauerngarten bis zum Villenpark zeigt, wurde soeben von der Nachfolgepublikation „Kienast. Vogt. Aussenräume“ (Verlag Birkhäuser, 264 Seiten, öS 862,-) ergänzt. Kienasts Arbeiten sind äußerst vielfältig, er hatte sozusagen alles drauf, vom repräsentativen Kies-Wasser-Beton-Pflanzen- Vorplatz für die High-Tech-Firma über die private Kleinidylle bis zum Außenraumkonzept für ganze Stadtteile.

In beiden Büchern gibt es unter anderem diverse Texte von Kienast selbst, und beide sind ganz seltsam anzuschauen, denn die Fotografien - ausschließlich von Christian Vogt gemacht - sind streng in Schwarz und Weiß gehalten. Vogt mutierte als Jüngling vom Gärtnerlehrling zum Fotografen, lebt also die perfekte Symbiose von Blick für das Objekt und Gespür für das Grün. Die Bilder sind zwar alle von einer gewissen Herbstlichkeit und Düsternis erfüllt, aber dennoch prächtig. Zum besseren Verständnis für die einz elnen Anlagen werden sie von Plänen und Skizzen des Landschaftsarchitekten ergänzt.

Auch das vergleichsweise schmale Bändchen über „Roberto Burle Marx. Landscapes Reflected“ (Princeton Architectural Press, 80 Seiten, öS 216,-, erscheint im September) verweigert die Farbe. Hier wabert ein leichter Grünton über die Schwarzweißfotos und die Malereien des Architekten, die zwischen Parkanlagen und Gärtchen eingestreut sind.

Während Kienasts Arbeitsmaterial die langsam wachsende Fauna Europas war, unternahm sein brasilianischer Kollege das herausfordernde Unterfangen, tropische Üppigkeit zähmen zu wollen. „Burle Marxs Vision der Natur ist sowohl tragisch als auch komplex“, schreibt Herausgeberin Rossana Vaccarino, „tragisch wegen der unvermeidlichen Transformation der Natur, und unendlich komplex in der verführerischen Verheißung, die Vorstellung des Künstlers auszudrücken.“

Viele der Parks von Rio de Janeiro jedenfalls, die der Brasilianer schon vor Jahrzehnten angelegt hat, sind durch heftiges Wuchern zwar ein wenig verwischt, doch die Strukturen leben und funktionieren immer noch und machen einen Gutteil des Zaubers der Stadt aus. „Die Zeit der Gartenarchitektur ist im Kommen“, prophezeit Robert Schäfer in der Publikation über Kienasts Außenräume, denn „(a)lle Zeichen sprechen dafür: Der Umgang mit den natürlichen Ressourcen, mit der Natur, wird zu neuen Gärten führen.“

Was sich Zeitgenossen schon zu diesem Thema ausgedacht haben, ist im ebenfalls ganz neuen Buch „Zwischen Landschaftsarchitektur und Land Art“ (Birkhäuser, 248 Seiten, öS 570,-; vgl. dazu die Fotos rechts) zu sehen. Diverse Landschaftskünstler werden hier vorgestellt - ein guter Überblick für Leute, die sich näher mit diesem Zukunftsthema befassen wollen. Und in der Wiener Planungswerkstatt ist ab 25. Juli die Ausstellung. „In Memoriam Dieter Kienast, Peter Pindor, Wilfried Kirchner. Zwei Landschaftsarchitekten. Ein Gartenhistoriker. Ein Leben für die Landschaft und die Gartenkunst“ zu sehen.

Der Standard, Sa., 2000.07.22

15. Juli 2000Ute Woltron
Der Standard

Ich bin ein Fossil

Die neuen Architekten krempeln mit jugendlicher Frechheit ihre Branche um. Gelegentlich kommen sie dabei zwar daher wie eine Horde Bodenseereiter, insgesamt haben sie es aber geschafft, sich trotz harter Konkurrenzgefechte ein gemeinschaftliches frisch-zackig-unkonventionelles Image zuzulegen, also eine Trademark der Jungarchitektur zu werden. Das ist bekanntlich erst äußerst schwierig, aber dann Goldes wert.

Die neuen Architekten krempeln mit jugendlicher Frechheit ihre Branche um. Gelegentlich kommen sie dabei zwar daher wie eine Horde Bodenseereiter, insgesamt haben sie es aber geschafft, sich trotz harter Konkurrenzgefechte ein gemeinschaftliches frisch-zackig-unkonventionelles Image zuzulegen, also eine Trademark der Jungarchitektur zu werden. Das ist bekanntlich erst äußerst schwierig, aber dann Goldes wert.

Manche unter ihnen sind allerdings wieder komplett anders. Michael Embacher zum Beispiel. Der Salzburger mit Wiener Bürositz ist mit 36 Jahren zweifelsohne noch ein junger Architekt, doch irgendwie will er nicht so recht in diese schillernde Jungtruppe passen: Er hat noch nie die Werbetrommel gepumpert, ist medial ein völlig unbeschriebenes Blatt. Sein Architekturbüro trägt keinen Fantasienamen, sondern seinen. Er schaut aus wie ein ganz normaler Mensch, sprich, an ihm ist weder Designerklamotte noch Grungefetzen anhängig. Er gehört der aussterbenden Gattung der Nicht-Homepage-Besitzer an. Er spricht von Schrauben, Dübeln, I-Trägern, Betongemischen und Holzarten, wenn von Architektur die Rede ist, und über sich selbst sagt er: „Ich bin halt ein Fossil.“

Michael Embacher ist der Handwerker unter den Neuen, der Tüftler, der nicht nur an Plänen und Details feilt, sondern auch auf der Baustelle immer wieder Hand anlegt, quasi mit Handwerkerpratzen kontrollierend eingreift, wenn es notwendig ist. Zum Beispiel, wenn in der MAK-Bibliothek seltene Hölzer von mittlerweile noch seltener gewordenen Profis in aufwendigen Prozeduren oberflächenbehandelt werden, wenn im Wiener Herbert-von-Karajan-Zentrum feine Bambusparketten verlegt und in der Buchhandlung Minerva (die mittlerweile Prachner im MAK heißt) ordinäre Riffelbleche zu Besuchertreppen und -laufstegen veredelt werden.

Der Mann ist, man bemerkt es schon, ein Materialfetischist. Er verwebt Kleiderhaken und Kunststoffbahnen zu flotten Lampenobjekten, klebt aus Pappendeckelwaben haltbare, spottbillige und verblüffende Ausstellungssysteme, verwandelt mit billigem Modeschmuck Boutiquedecken zu kostbar glitzernden Brillantgrotten. Embacher geht dabei an die Architektur mit einer gründlichen, fast altmodischen Bedächtigkeit heran, weshalb seine Arbeiten perfekt ausgeführt, konzeptuell aber trotzdem auf dem Punkt der Zeit sind. Eine gewisse Gnadenlosigkeit, was die Qualität und Gewissenhaftigkeit der beauftragten Handwerker anbelangt, dürfte dem Architekten zu Eigen sein. Während der Bauphase für das Karajan-Zentrum trudelten nacheinander vier dort beschäftigte Schlosser in den Konkurs. Gute Architektur, so Embacher, könne nicht zuletzt nur dann entstehen, wenn gute Handwerker zugange seien, die sich auch untereinander kennen und verstehen würden: „Sonst redet sich immer der eine auf den anderen aus, und die billigsten Firmen sind im Endeffekt dann die teuersten gewesen.“

In die Lehre gegangen ist Embacher weniger auf der Technischen Universität Wien, wo er nach wie vor mit einer gewissen Ambivalenz inskribiert ist, als auf den Baustellen so wohlbeleumundeter Architekten wie Günther Domenig und Sepp Müller. Irgendwann fraß dann MAK-Chef Peter Noever an dem stillen, für diesen halsbrecherischen Schaut-Her-Ich-Bin-Der-Beste-Beruf fast zu bescheidenen Mann einen Narren und beauftragte ihn mit der Abwicklung und Gestaltung diverser Ausstellungsarchitekturen. In der Praxis sah das etwa so aus: Embacher bekam von Vito Acconci ein zwanzig mal dreißig Zentimeter großes Pappendeckelmodell sowie aufmunternde Worte mit auf den Weg und setzte die Miniatur innerhalb einer Gnadenfrist von drei Monaten in hundert Tonnen Stahl, Glas und Gipskarton um. Die Ausstellung hieß „The City Inside Us“ und wurde zu einem ziemlichen Publikumserfolg.

Noever und das MAK waren zwar beileibe nicht die einzigen, wohl aber Embachers bisher treueste Auftraggeber. Der Architekt hat für die Institution am Ring mittlerweile an die 60 Ausstellungen und Installationen fabriziert, diverse Räume neu gestaltet, die feschen Künstlerwohnungen eingebaut, zur Freude aller schwarzgekleideten Kunst- und Kulturmenschen Wiens im Hof einen kommoden Gastgarten samt Sonnen- und Regenschutz gemacht und in Kooperation mit dem Chef selbst eine Skulptur von einem Haus ins burgenländische Breitenbrunn gestellt.

Vergangene Woche präsentierte Michael Embacher gemeinsam mit Peter Noever und Sepp Müller in einer New Yorker Galerie den letzten MAK-Schrei. Der heißt CAT - Contemporary Art Tower - und ist der sehr behutsame und wenig marktschreierische Vorschlag für eine Umfunktionierung und Belebung des derzeit sinnlos in der Gegend herumstehenden FLAK-Turms im Wiener Arenbergpark zu einem Kunstturm, den internationale Künstler auf Einladung Stück für Stück mit ihrer Interpretation des Raumes und des Monuments befüllen könnten. Drei Geschoße des betonenen Monsters aus dem Jahr 1943 könnten zum Zwecke des Geldverdienens vermietet werden - unter anderem zeigte Guggenheim-Boss Thomas Krens Interesse -, eine Gastrolandschaft auf dem Dach würde zusätzlich Geld einfahren. Obwohl das übliche Szenegemecker natürlich schon wieder alles besser weiß, würde sich die Angelegenheit laut Machbarkeits- und Finanzierungsstudie zu einem guten Teil selbst tragen.

Doch zu solcherlei Details äußert sich Embacher nicht, er ist schließlich für die Architektur verantwortlich, und die, so behauptet er, sei letztlich Handwerk, bestenfalls versetzt mit einem Schuss Kunst. „Die Zeit für Architektur ist irre gut“, meint er, „viele Unternehmen beginnen Architektur als Marketinginstrument zu erkennen. Diese Chance sollte man wahrnehmen, durchaus auch hochfliegende Pläne spintisieren und sich mit Fachleuten, der verschiedensten Branchen beraten. Dann allerdings muss man das Ganze realisierbar machen.“ Sozusagen hinunter auf den goldenen Boden des Handwerks bringen. Auch das kann, wenn man gut und geschickt ist, zum Trademark werden.

Der Standard, Sa., 2000.07.15

08. Juli 2000Ute Woltron
Der Standard

Schatzi, dreh' die Sonne auf!

Die Entwicklung des Menschen vom Troglodyten zum Sonnentierchen schreitet voran. Oder gehören Sie auch zu jenen Relikten, die nicht an den Evolutionsmotor Solar- und Passivarchitektur glauben?

Die Entwicklung des Menschen vom Troglodyten zum Sonnentierchen schreitet voran. Oder gehören Sie auch zu jenen Relikten, die nicht an den Evolutionsmotor Solar- und Passivarchitektur glauben?

Mit den Viecherln ist es so: Wenn beispielsweise der Fischotter eine Forelle verspeist, dann nimmt er damit kaum mehr Energiemenge zu sich, als er benötigt, um gleich darauf mit hurtigem Herumgetauche einen nächsten Fisch zu erbeuten. Wenn hingegen die Anakonda ein Wasserschwein er- und hinunterwürgt, darf sie dank sparsamer Energiehaushaltung erst einmal ein paar Monate Pause machen, gemütlich verdauen und im Schlamm dösen. Letzteres System ist äußerst praktisch. Die vorhandene Energie wird aufgespart und langsam und dosiert mit höchster Effizienz verbraucht.

Bei den Menschen und ihren Behausungen gibt es ganz ähnliche Unterschiede: Die meisten verfeuern unter Erzeugung hoher CO2-Mengen im Laufe eines Winters enorme prähistorische Waldstriche in ihren Heizölbrennern, um drinnen die lebenswerten Temperaturen zu erhalten. Die anderen drehen zu diesem Zweck gelegentlich an besonders kalten Ausnahmetagen ein paar Glühbirnen auf.

Letzteres glauben Sie jetzt natürlich nicht. Können Sie aber ruhig: Heutzutage ist es im Extremfall möglich, ein Haus so geschickt und präzise zu bauen, dass es gänzlich ohne oder nur mit geringer Beheizung auskommt. Ein paar wichtige Faktoren machen diesen Fortschritt möglich: Erstens gibt es seit ein paar Jahren die erforderlichen Baustoffe, vor allem die edelgasgefüllten, hochgedämmten Spezialfenster. Zweitens werden die nicht erneuerbaren Energiequellen wie Heizöl und Kohle nicht mehr und nicht billiger, dafür schreitet die Schadstoffbelastung der Umwelt munter voran. Drittens ist die Erkenntnis gereift, dass wir insgesamt höchst unwirtschaftlich herumfuhrwerken, was unser Wohnen und Bauen, also unser täglich Leben anbelangt.

Ex-Minister Caspar Einem hat seinerzeit ein Forschungs- und Impulsprogramm ins Leben gerufen, das „Nachhaltig Wirtschaften“ heißt, und das sich neben der Erforschung der „Fabrik der Zukunft“ auch mit dem „Haus der Zukunft“ befasst. Der Einem mittlerweile nachgefolgte Michael Schmidt konnte nun vergangene Woche „Beachtenswerte Pionierleistungen“ auf diesem Gebiet präsentieren und 15 Preisträger mit Urkunden und Preisgeldern bedenken.

Eine internationale Jury hatte zuvor die eingereichten Projekte genau analysiert. Sie schöpfte dabei aus dem Vollen. Österreich liegt an der absoluten Weltspitze, was energietechnisch smartes Bauen anbelangt. In keinem anderen Land gibt es zum Beispiel eine höhere Pro-Kopf-Sonnenkollektorendichte als hier, und kaum irgendwo ist das Interesse an Niedrigenergiebauweise und der Extremform Passivhaus, dem so gut wie keine (Heiz-) Energie zugeführt werden muss, sowohl von Bauherren-als auch von Architektenseite höher.

Den Juryvorsitz hielt der Sonnenpionier und Amerikaner Robert Hastings. Der Mann mit dem Credo „Ein Haus sollte so gebaut sein, dass ein Föhn ausreicht, es am schlimmsten Tag des Winters heizen zu können“, lehrt etwa an der ETH Zürich und der Donauuniversität Krems, und seine wichtigste Botschaft lautet: Man muss vor der Krise reagieren und nicht erst aktiv werden, wenn sie schon da ist.

Österreichs Architekten zählen hier zur Weltspitze. Ohne großes Trara planen sie quasi der Sonne entgegen allerorten vorbildliche Wohnhausanlagen, Bürogebäude und auch Einfamilienhäuser, und raffinieren geschickt alle Fortschritte von Industrie und Technik in ihre Planungen. Die beiden erstgereihten Häuser der Zukunft stehen in Form der Wohnanlage Ölzbündt von Hermann Kaufmann in Dornbirn und des Büro- und Wohnbaus Sportplatzweg ebenfalls von Hermann Kaufmann, diesmal gemeinsam mit Christian Lenz, in Schwarzach.

Beide Gebäude überzeugten die strenge Jury - bestückt unter anderen mit Peter Burkhardt vom Schweizer Bundesamt für Energie, Rainer Pflug vom Passivhaus Institut Darmstadt und dem Wiener Architekten Dieter Henke - auch architektonisch. Der übertriebene Öko-Bio-Alternativterroristen-Look der frühen Energiespar- und Sonnenhäuser ist zu einem guten Teil schon lange passé.

Die Wohnanlage Ölzbündt steht ganz proper in der Landschaft, drei Geschosse hoch, in Holz und Glas gebaut. Für ihr Inneres saugt sie die Frischluft über ein Edelstahlrohr an, das im Erdboden verlegt wurde und dadurch die Luft entsprechend vorwärmt. Aus der verbrauchten warmen Abluft wird weitere Wärme rückgewonnen, und eine Solaranlage auf dem Dach liefert rund zwei Drittel der Energie, die für die Warmwasserbereitung erforderlich ist. Insgesamt benötigt das Haus mit seinen 13 Wohnungen gerade ein Viertel der Energie, die ein dümmer gemachtes, also durchschnittliches Haus verpulvert.

Was die Baukosten anbelangt, so Architekt Kaufmann, bewege man sich etwa vier bis fünf Prozent über dem vergleichbaren Durchschnitt: „Es handelt sich hier um einen Prototyp. Wenn man sich allerdings in diesem System einüben würde, könnten die Kosten sicherlich kräftig gesenkt werden.“ Preisträger Nummer Zwei in Schwarzach war nur geringfügig teurer als Vergleichsgebäude, die Mehrinvestitionen sollten sich laut Kaufmann in fünf, sechs Jahren amortisiert haben und in weiterer Folge seine Benutzer Jahr für Jahr mit hohen Heizkosten verschonen. Denn die Raumlufterwärmung verbraucht - zumindest in niederösterreichischen Statistiken - etwa 77 Prozent der in einem Haus aufgewendeten Energie.

Robert Hastings formuliert die neun Gebote für ein „Haus der Zukunft“:
O Es muss sich für Licht und solare Wärme öffnen
O Es bedarf einer kompakten Gebäudeform, die nicht zu Lasten einer „humanen“ Architektur geht
O Seine Hülle muss hervorragend gedämmt sein (für Fachleute: der U-Wert soll 0,11 W/ m2K betragen)
O Auch Fenster und deren Rahmen sollten hochisoliert sein (U-Wert kleiner 0,7 W/m2K)
O Wärmebrücken müssen vermieden werden
O Die Sonnenenergie soll durch Fenster, offenen Grundriss und innenliegende Speichermassen wie Fußböden und Trennwände passiv genutzt werden
O Die Be- und Entlüftung sollte mittels Vorwärmung (Erdrohre) und Wärmerückgewinnung (Altluft) erfolgen
O Den Restwärmebedarf kann eine umweltgerechte Kleinheizung beisteuern
O Die Warmwasseraufbereitung erfolgt aktiv durch Sonnenenergie
Das sind Grundsätze, die natürlich vor allem im Wohnbau greifen, aber zu einem guten Teil auch von - aus Gründen des Platzverschleißes abzulehnenden - Einfamilienhäusern berücksichtigt werden können.

Ein wichtiger, nächster Schritt - das „Haus der Zukunft“ wird ihn sicher tun - besteht in der behutsameren Wahl der Baustoffe. Denn braucht man für die Aufbereitung von Holz überschlagsmäßig etwa 50 Kilowattstunden pro Kubikmeter, so sind es für Beton bereits 600 und für Stahlbeton gar horrende 50.000. Der hierzulande vor allem im Osten so verpönte Holzbau wird also künftig das umwelt- und haustechnische Non-Plus-Ultra, sozusagen die Anakonda des Hausbaus sein. Gemütlich ohne dauernden Heizaufwand im Schnee vergraben - so könnte die Zukunft des Viecherls Mensch auch sein.

Alle Preisträger und Projekte sowie genauere
Informationen zum Impulsprogramm gibt es unter
http://www.hausderzukunft.at und
http://www.nachhaltigwirtschaften.at. Und der Architektur Raum Burgenland lädt am 14. 9. um 17 Uhr im Technologiezentrum Eisenstadt zur Expertenrunde „Energie Haus Haltung“.
architektur@derstandard.at

Der Standard, Sa., 2000.07.08

07. Juli 2000Ute Woltron
Der Standard

„Die Stadt hat keine Lösung“

Am Sonntag wird die 7. Architekturbiennale von Venedig eröffnet: Bis 29. Oktober zeigen 37 Länder sowie 82 exklusiv zur Schau geladene Architekturgrößen, was ihnen zum Biennale-Thema „Città: Less Aesthetics, More Ethics“ eingefallen ist. Die Antwort lautet: weniger Architektur, mehr Installation.

Am Sonntag wird die 7. Architekturbiennale von Venedig eröffnet: Bis 29. Oktober zeigen 37 Länder sowie 82 exklusiv zur Schau geladene Architekturgrößen, was ihnen zum Biennale-Thema „Città: Less Aesthetics, More Ethics“ eingefallen ist. Die Antwort lautet: weniger Architektur, mehr Installation.

Wie immer, wenn Venedig die Weltarchitekturparade feiert, vermischt sich die ernsthafte Schwere tatsächlich realisierter Architekturprojekte mit der verspielten Leichtigkeit nicht so fundamental im Erdreich verankerter Installationen. Letztere haben heuer Hochkonjunktur, sowohl in den Länderpavillons als auch in den Einzelarchitektenbeiträgen, die Biennale-Chef Massimiliano Fuksas in den Renaissancehallen des Arsenals versammelt hat.

Die Stadt der Zukunft, der Fuksas weniger Ästhetik, dafür mehr Ethik abfordern will, hat eine Größe erreicht, der kein Mensch mehr gewachsen ist. Was kann der Architekt dieser von Menschenmassen und Wirtschaftskräften geformten Mega-Realität entgegensetzen, womit wirklich Einfluss nehmen? Und soll er das nach den vielen gescheiterten Architekturvisionen der Vergangenheit überhaupt?

Ein wenig hilflos flüchten denn auch die Teilnehmer weg von der Architektur hin in installierte Nischenbereiche, lassen die Besucher durch verschiedenste verniedlichende Guckkästen Blicke auf Städte und Projekte tun und bemühen die so schön zum Verschummern knallharter Realitäten tauglichen neuen Medien wie Internet und Video auf Teufel komm raus.

Die Niederlande zum Beispiel setzen auf lustiges Miteinander. Sie haben ihren Pavillon sorgfältig mit blauem Plüschteppich ausgelegt und zur „Lounging Zone“ erklärt. Öffentliches und privates Leben sollen sich hier mischen; wer eintreten und auf Sofas und Liegen zum Zwecke des für die einen vielleicht gemütlichen, für die anderen aber durchaus anstrengenden gemeinschaftlichen Architekturerfahrens vor Bildschirmen, Cola-Automaten und Kaminfeuern Platz nehmen will, der muss vorher allerdings die Schuhe ausziehen.


Gähnend langweilig

Die meisten Länder (wie Brasilien und Belgien) versuchen sich in schlichten und nie ganz uninteressanten Bestandsaufnahmen, andere verzupfen sich sicherheitshalber gleich in die Vergangenheit. Allen voran der gähnend langweilige Deutschland-Beitrag, der seine Besucher mit plakatwandgroßen und von Wissenschaftlichkeit durchtränkten Berlin-Plänen des Vorgestern, Gestern und Heute ziemlich allein lässt.

Von Zukunft ist auf dieser Biennale also selten etwas zu sehen, doch das macht nichts, solange der hier gezeigte „state of the art“ der Architektur noch nicht allenthalben Gegenwart geworden ist. Den wahrscheinlich innovativsten Beitrag gestatten sich die Amerikaner. Sie zeigen eine gelungene Synthese zweier wichtiger Trends:

Zum einen regieren hier die Computer samt ihren avantgardistischen Dompteuren Greg Lynn (UCLA) und Hani Rashid (Columbia). Zum anderen wird der sich ständig erweiternde Pavilloninhalt von 25 Studenten dieser beiden Professoren gestaltet, die unermüdlich die Rechner bedienen, projizierte Images per Internet verändern und mittels computergesteuerter Maschinerie eine Architektur-Alien-Form nach der anderen aus Werkstoffplatten fräsen. Der Computer als Werkzeug einerseits, eine exquisite Architektenausbildung als extrem wichtige, der Verantwortung verpflichtete Berufsbasis andererseits können sehr wohl einen Weg ins Morgen weisen. Federführender US-Kommissär ist der in New York stationierte Max Hollein.

Vater Hans Hollein war für die heimische Architektenparade zuständig. Er hat ein paar Häuser weiter ein kleines Politschlenkerl inszeniert. Mit Arbeiten etwa von Adolf Krischanitz und Hermann Czech wird Österreich als „Area of Tolerance“ vorgestellt, mit internationalen Kollegen als „Area of Action for International Architects“. Ein Betätigungsfeld für ausländische Architekten sind zwar andere Länder auch, doch in Zeiten wie diesen wird internationales Engagement im Staate Österreich offenbar zur kostbaren Besonderheit. Die Architektenriege ist namhaft - von Zaha Hadid (Wiener Stadtbahnbögen, Bergisel-Schanze) über Peter Cook und Colin Fournier (Kunsthaus Graz), Thom Mayne (Hypo Alpe-Adria Zentrum Klagenfurt) bis Greg Lynn (Hydrogen-House für die OMV in Schwechat).


Locker-lustig

Eine locker-lustige Mischung aus Gebautem und Projektiertem, aus Design und Architektur setzt Großbritannien den Besuchern vor. Hier wird Architektur - etwa von William Alsop, Zaha Hadid und David Chipperfield - mit Alltagskultur vom Kitschsouvenir über das Firmenlogo bis zur Designervase zu jenem bunten Süppchen an Gegenständen, Images und Architekturen verkocht, in dem wir alle schwimmen.

In diesem medienbeflirrten, musikberatterten und hektisch Botschaften aussendenden Pavillonkarneval der Nationen befindet sich ein Ort düsterer, schweigender Gelassenheit: Die Russen haben die Nase voll von Visionen. Sie glauben nicht mehr an eine verordnete bessere Zukunft und führen dem computer-und installationsübersättigten Flaneur unvermittelt menschenleere Winterfotos prachtvoll verrottender Paläste des Sowjet-Paradieses vor.

Und noch ein Beitrag versucht in Sachen Architekturstreben innezuhalten: Coop Himmelb(l)au zeigt ein zerrissenes Modell von Havanna. Denn: „Die Stadt hat keine Lösung. Städtebau gibt es nicht mehr, Stadt baut sich selbst. Wo nicht, ist sie verloren.“

Der Standard, Fr., 2000.07.07

01. Juli 2000Ute Woltron
Der Standard

Die wahre Fassade des Hauses ist der Himmel

Luis Barragáns Häuser sind Choräle. Sie singen strenge, poetische und inbrünstige Oden an Bäume, Pferde, Menschen und den Herrn.

Luis Barragáns Häuser sind Choräle. Sie singen strenge, poetische und inbrünstige Oden an Bäume, Pferde, Menschen und den Herrn.

Wenn der Jacarandábaum blüht, dann ist das ein üppiges Rauschen und Duften, ein Farbwirbeln vor tropischem Himmelblau, dann regnet es für kurze Zeit rosalila auf den staubigen Erdboden, wo die Menschen sind.

Als der mexikanische Architekt Luis Barragán schon sehr alt war, lebte er zurückgezogen, fromm, still. Er hatte irgendwann sein Architekturbüro zugesperrt und den Herrgott einen guten Mann sein lassen.

In diese Ruhe und Abgeschiedenheit polterte eines Tages der virile Lebensgeist eines jugendlichen Landsmannes. Er stöberte den betagten Architekten auf und zerrte ihn zu einem kleinen, unscheinbaren Grundstück nicht weit von seinem Atelier in Mexico-City. Dort, auf gerade einmal dreißig mal zehn Metern, meinte Francisco Gilardi, solle Barragán ein Haus für ihn bauen, denn keinen anderen Baumeister verehre er so sehr wie ihn.

Der alte Mann war von diesem Angebot erst wenig angetan. Doch genau in der Mitte des kleinen Flecks wuchs wunderschön eine alte Jacarandá. Die gewann.

Unter der Auflage, dass das prächtige Gewächs erhalten bleibe, komponierte Luis Barragán sein allerletztes Haus rund um diesen Baum. Er dirigierte noch einmal Licht und Materie zu einem klaren und feierlichen Wohlgesang auf die Schönheit, das Leben und den Tod, und mittendrinnen ließ er die Jacarandá ihre Blüten herniederrieseln auf poliertes, schwarzes Lavagestein, wo sie alljährlich sozusagen in Schönheit und Würde starben.

„Ohne Sehnsucht nach Gott“, hatte der streng katholische alte Mann acht Jahre vor seinem Tod in der berühmten Ansprache anlässlich der Pritzker-Preisübergabe im Jahr 1980 gesagt, „wäre unser Planet eine bedau- erliche Wüstenei an Hässlichkeit“, und, „der Schönheit beraubt, ist das menschliche Leben nicht wert, als solches bezeichnet zu werden.“

Barragáns Architekturen - meist Wohnhäuser und Villen, aber auch Gärten, Stadtanlagen, Friedhöfe - sind von einer nachgerade weihevollen Schönheit. Vor allem seine späten Arbeiten sind grandiose Spektakel komponierter Schlichtheit. Die Farbinszenierungen in Blau, Grün, Ocker, Rosa sind unvergleichlich, doch geben sie tatsächlich einer raffiniert gesponnenen Architektur lediglich den letzten unterstützenden Anstrich.

Selbst wenn man mit geschlossenen Augen eines dieser Häuser durchwandelt, kann man die Aura des Gebäudes und die Absichten des Architekten deutlich spüren: den Wechsel zwischen Tropensonne und Schatten, zwischen der Hitze der Freiflächen und der lauen Luft der Patios, die stumme Kühle innerhalb des Hauses, eingefangen und bewahrt von dicken Mauern, das Wassermurmeln, der Blumenduft. Andächtig wird man hier, und gläubig. „In meinen Brunnen singt die Stille“, hatte der Architekturpriester gesagt, „in meinen Häusern murmelt sie.“

In diesen Häusern des Luis Barragán feiern die traditionellen Bauweisen Lateinamerikas und die Architektur der Moderne Hochzeit. Hier mischt sich Lokalkolorit mit Spanisch-Maurisch-Mexikanischem, ohne je auch nur an den Rande des Kitschigen zu kommen. Ganz im Gegenteil: Barragáns sorgfältige, aber gewissermaßen gelassen-heitere Inszenierungen hauchen der europäischen Moderne genau jenen Esprit des Lebens- und Liebenswerten ein, der, mit Verlaub und Verbeugung, vielen gerühmten, aber oft von ihren Bewohnern verfluchten Architekturmonumenten etwa eines Mies van der Rohe und eines Corbusier abgehen. Viele Häuser Barragáns hingegen werden heute noch von ihren Erstbesitzern oder deren Erben bewohnt.

Das Architekturcredo des Mexikaners gehörte vor allem der Poesie der Fläche in ihren vielen Spielarten. Die glatte Mauer ist sein wichtigstes Architekturelement, selbst die Fenster gleichen meist eher durchsichtigen Wänden als Fensteröffnungen. Dazwischen schimmern Wasserflächen, lavaschwarz ausgelegte Innenhöfe, rundherum liegen die grünen Rasenflächen der Gärten, die für Barragán Teil des Hauses waren, sowie gesandete Wegflächen. Selbst die Stiegen scheinen kleine abgetreppte Altare der Fläche zu sein. Und darüber spannt sich der Himmel, laut Barragán die wahre Fassade des Hauses. Ausgeführt sind die Bauten stets mit einfachen traditionellen Baumaterialien, mit Ziegel, Lehm, Ton, Vulkangestein, Holz.

Diese so menschlich dimensionierte Mischung als Uraltem und Modernem kommt weit her, hat viel gesehen. Auch Barragán, 1902 in eine reiche mexikanische Landbesitzerfamilie geboren, hat sich die Welt angeschaut, bevor er zu bauen begann. Doch wenig mehr ist allgemein über sein Leben bekannt. Er soll ein Gentleman der alten Schule gewesen sein, ein freundlicher, charismatischer Mann, der, zeitlebens unverheiratet, ohne Nachkommen starb. Er war ein Herrenreiter und Pferdefreund, und eines seiner prachtvollsten und berühmtesten Häuser - die Stallgebäude von Los Clubes - dürfen denn auch Pferde bewohnen.

Eine eingeschworene Anhängerschar hält das Andenken an den 1988 verstorbenen Charismatiker hoch, und diese treue Jüngertruppe könnte sich nun rasch vermehren. Denn seit sechs Jahren wird Barragáns architektonischer Nachlass von einer eigens ins Leben gerufenen Stiftung in der Schweiz gesichtet und geordnet, und im August erscheint eine zweibändige Monographie, die erstmals alle Projekte des Mexikaners penibel dokumentiert und auch überraschende neue Einblicke in seine Karriere tun wird.

Ins Leben gerufen hat diese Stiftung Federica Zanco, als Sponsor sprang Edelsesselbauer Vitra ein. Barragáns Nachlass hatte man in einer New Yorker Galerie aufgetrieben, wo bereits Institutionen wie Getty und MoMa Interesse an Teilen der Sammlung bekundet hatten.

Unter anderem zeigen Tausende von Fotos, die alle von Barragáns Lieblingsfotografen Armando Salas Portugal stammen, die Häuser sozusagen aus jenen Perspektiven, die Barragán sich gewünscht hat. Wer die Bilder betrachtet, sieht tatsächlich nicht, was der Künstler tat, sondern was er sah, und diese herrliche Gelegenheit bietet sich zur Zeit jedem, der den Weg in das Vitra Design Museum in Weil am Rhein findet.

Dort befindet sich die erste von der Barragán-Stiftung organisierte Retrospektive, in Szene gesetzt vom kanadischen Designer Bruce Mau. Ab November ist die umfangreich mit Originalplänen und -skizzen, Videos et cetera gespickte Schau im Wiener MAK zu sehen, was für das ALBUM Anlass sein wird, diese hier anklingende Ode an den großen Baumann und seine jacarandálila Architekturen weiterzusingen.

[ Luis Barragán. Die stille Revolution, Vitra Design Museum, Weil am Rhein, Info unter: 0049-7621- 702 3351, http://www.design-museum.de]

[ Die Monographie erscheint im August bei Skira Editore, Mailand, auf Englisch und Deutsch. ]

Der Standard, Sa., 2000.07.01

10. Juni 2000Ute Woltron
Der Standard

Allein ist ungesund

Der Mexikaner Enrique Norten baut mit neun Kollegen gerade eine ganze Stadt. Mit Ute Woltron sprach er über die Poesie der lateinamerikanischen Moderne und die Lächerlichkeit des Architekturstartums.

Der Mexikaner Enrique Norten baut mit neun Kollegen gerade eine ganze Stadt. Mit Ute Woltron sprach er über die Poesie der lateinamerikanischen Moderne und die Lächerlichkeit des Architekturstartums.

Wien - Gelegentlich kommen Auftraggeber daher, die sind nicht von dieser Welt. Enrique Norten (47) ist Mexikaner, Architekt, Architekturlehrer und natürlich Auftragnehmer. Im Falle des Geschäftsmannes Jorge Vegara lief ihm der Idealfall eines Bauherren über den Weg.

Der milliardenschwere Vitaminproduzent, der es satt hatte, für seine an die 20.000 Mitarbeiter keine ordentlichen Meeting-Gelegenheiten in der Heimat auftreiben zu können und dauernd in die USA ausweichen zu müssen, beauftragte ihn mit dem Entwurf eines über zwei Millionen Quadratmeter großen, völlig neuen Stadtteils für Guadalajara samt Businessparks, Freizeittempeln, Wohnzonen und Hahnenkampfarena.

Nur gemeinsam mit den besten internationalen Kollegen, meinte Norten sofort, wäre dieses wunderbare Problem zu lösen. Mit von der Partie waren also bald Leute wie Jean Nouvel, Daniel Libeskind, Zaha Hadid, Toyo Ito, Frank Gehry und auch die Wiener Coop Himmelb(l)au. Baubeginn soll noch heuer im September sein.

Himmelbläuling Wolf D. Prix war es auch, der den fröhlichen Mexikaner nach Wien lotste, wo er gestern Abend im Architektur Zentrum Wien einen Vortrag über dieses und viele andere seiner Projekte hielt.

Der Architekt, meint Norten, sei wie ein Dirigent, der die vielen Disziplinen des Baugeschehens zu einem Wohlklang zusammenführen müsse. Das allgegenwärtige Architekturstarsystem, in dem eine einzelne Person alle Meriten für sich allein beansprucht, erschien ihm „stets ein wenig lächerlich. Die Leute werden verrückt und verlieren jeden Bezug zur Realität. Deshalb versuche ich immer mit anderen zusammenzuarbeiten, einmal mit diesem, dann wieder mit jenem, manchmal arbeite ich auch ganz allein, doch zu viel von letzterem kann durchaus ungesund sein.“

Bereits 1985 gründete Norten gemeinsam mit Taller De die Designer- und Architektengemeinschaft TEN Arquitectos und entwarf alles vom Bürohaus über Grünlandschaften und stadträumliche Masterpläne bis zum Mobiliar. Heute unterhält der Architekt zwei Büros in Mexico City und in New York, hat da wie dort gebaut und steht sozusagen mit einem Bein in Lateinamerika, mit dem anderen in den USA. Wie überwindet man die ausgeprägten wirtschaftlichen und architektonischen Differenzen zwischen den beiden Ländern? „Der größte Unterschied liegt in der Verschiedenartigkeit der Menschen, in ihrer Geschichte, der Kultur, der Mentalität.“ In Nortens Architektur spiegelt sich seiner Meinung nach diese Verschiedenartigkeit nur indirekt wider, denn jedes Projekt, jede Aufgabe verlange ohnehin nach maßgeschneiderten Lösungen, die alle Kräfte berücksichtigten, die Architektur formten. „Es ist wichtig für mich, dass jedes Gebäude die Einzigartigkeit der Bedingungen ausdrückt, unter denen es entstanden ist, und dabei ist es völlig egal, in welchem Land das Bauwerk steht. Wichtig sind vielmehr die vielschichtigen Verantwortlichkeiten, denen der Architekt Rechnung tragen muss, und die reichen von den sehr einfachen Bedürfnissen wie Schutz bis zu den komplizierten ästhetischen Ansprüchen.“

Mexikos Vergangenheit ist gesegnet mit beeindruckenden Baumeistern, Felix Candelas Betonschalen etwa sind einzigartig, Luis Barragans Farbkompositionen unerreicht. Norten steht dafür, diese mexikanische Architekturtradition in seinen Arbeiten gewissermaßen weiterzutragen.

Einverstanden ist er mit dieser Definition allerdings keineswegs: „Ich liebe die Arbeiten all dieser Architekten, doch sind sie viel zu unterschiedlich, um in einem Atemzug genannt zu werden. Was man aber tatsächlich als mexikanische Tradition bezeichnen kann, ist ein leichter, poetischer Umgang mit der Moderne, die in Europa so schwer und ernsthaft daherkommt. Der internationale Stil wurde hierzulande mit großer Leidenschaft übernommen und zu einer sehr speziellen, nicht gar so puristischen Form geführt.“

Über seine eigenen Architekturabsichten will Norten überhaupt nicht reden. „Wenn ich tatsächlich mit Worten beschreiben könnte, warum ich meine Häuser und Projekte so baue und nicht anders, dann würde ich heute nicht von der Architektur, sondern vom Schreiben leben.“

Der Standard, Sa., 2000.06.10

11. Mai 2000Ute Woltron
Der Standard

Die Pointillisten im Olymp der Architektur

Raffinierte und unverwechselbare Architekturen haben das Baseler Büro Herzog & de Meuron zur Architektur-Trademark gemacht. Jacques Herzog und Pierre de Meuron sind quasi ein altes Architekturehepaar. Sie sind beide Jahrgang 1950, haben schon miteinander die Schule besucht, später gemeinsam an der ETH in Zürich Architektur studiert und schließlich 1978 zusammen ein Büro in Basel aufgesperrt.

Raffinierte und unverwechselbare Architekturen haben das Baseler Büro Herzog & de Meuron zur Architektur-Trademark gemacht. Jacques Herzog und Pierre de Meuron sind quasi ein altes Architekturehepaar. Sie sind beide Jahrgang 1950, haben schon miteinander die Schule besucht, später gemeinsam an der ETH in Zürich Architektur studiert und schließlich 1978 zusammen ein Büro in Basel aufgesperrt.

Die neue Tate ist, wie Jacques Herzog sagt, ihr bisher größter, wichtigster Auftrag. Museumsbauten im Allgemeinen sind zurzeit das prominenteste und bestbeachtete Beschäftigungsfeld für Architekten, der Umbau des Londoner Kraftwerks zum Kulturtempel katapultiert die beiden Schweizer denn auch elegant mit einem Kracher in das breitere internationale Architekturbewusstsein und bereitet ihnen ein Plätzchen im Architektenolymp, wo nur ganz wenige Kollegen wie etwa Frank Gehry, Rem Koolhaas oder Zaha Hadid sitzen.

Die Architekturszene selbst beäugt Herzog & de Meuron selbstverständlich schon viel länger. Die beiden fielen bereits mit eigenwilligen, ganz neuartigen Wettbewerbsentwürfen auf, als die Rektorenunterschrift auf ihrem Architekturdiplom noch frisch war, und auch die mittlerweile zahlreichen tatsächlich gebauten Projekte, so unterschiedlich sie sein mögen, tragen stets sehr deutlich den Stempel der Trademark Herzog & de Meuron.

Gebäude wie das Stellwerk auf dem Wolf in Basel, das Fabriksgebäude für den Zuckerlproduzenten Ricola oder ein Weingut im kalifornischen Nappa Valley machen klar, wie die Architektur der beiden funktioniert: Die Grundstruktur ist stets sehr einfach, sehr klar, nach allen Richtungen geradlinig und gut funktionierend.

Doch in diese selbstbewusste, sozusagen logisch und nüchtern in der Welt verankerte Gestalt weben Herzog und de Meuron überraschende zusätzliche Architekturzaubereien, die mit einfachen Mitteln aus simplen Kisten ganz magische Orte zu produzieren vermögen und dazu stets irgendwie Bezug nehmen auf Inhalt und Funktion des Gebäudes.

Die Ricola-Herberge zum Beispiel ist nichts anderes als eine schwarz gefärbte Beton-Zuckerlschachtel, doch mit ihrem zweiseitig auskragenden Flachdach und den zwei lichtdurchlässigen Polycarbonatwänden darunter wird das Gebäude im französischen Mulhouse zum optischen und atmosphärischen Bonbon. Auf die transparenten Wandscheiben ist ein sich unendlich wiederholendes, überlagerndes auf den Grundstoff Ricolascher Kräuterzuckerlkunst anspielendes Pflanzenmotiv gedruckt, das zum einen das Licht herrlich ins aquariumartige Gebäudeinnere filtert, zum anderen von jedem Betrachtungswinkel und aus jeder Betrachterdistanz ein anderes Erscheinungsbild ergibt.

Ähnlich pointillistisch und in kleinen Elementen stur repetitiv gehen die Schweizer an viele ihrer Häuser heran: Das Weingut in Kalifornien etwa setzt sich aus großen dunklen und unbehandelten Gesteinsbrocken zusammen, die lose in Stahlgitterkuben gefüllt wurden. Aus der Nähe betrachtet ergibt das eine lockere, luftdurchfächelte Angelegenheit, von der Ferne ein beeindruckendes, blickdichtes Monument.

Das Stellwerk in Basel wiederum sieht auf den ersten Blick wie eine große undurchlässige Kupferhülle aus, die horizontalen Metalllamellen, die sich um das gesamte Gebäude wickeln wie eine Kupferspule und zum einen auf die Funktion der Architektur als Stromverwalterin anspielen, zum anderen das Gebäude tatsächlich wie ein Faradayscher Käfig vor Spannungen schützen, sind allerdings in den Fensterzonen verdreht. Sie lassen tagsüber Licht und Aussicht ein, nachts leuchtet der gesamte Baukörper von innen wie eine Kupferglühbirne.

Herzog & de Meuron sind bei aller konstruktiven Glätte durchaus verspielte Architekten. Sie setzen billige, vormals verpönte Industriematerialien wie Sperrholz, Schalplatten, Asphaltpappe überraschend ein und veredeln sie durch schlichte Funktion. Der gelegentlich geäußerte Vorwurf, sie würden designte Hüllenarchitektur liefern, ist leicht widerlegbar, die Häuser funktionieren gut, und ein lustvoller Kampf gegen das von Adolf Loos vor hundert Jahren verhängte Dekorationsverbot, nach dem das Ornament ein Verbrechen sei, ist ohnehin überfällig.

Mittlerweile haben sich Jacques Herzog und Pierre de Meuron mit zwei Partnern zusammengetan. Seit 1991 ist Harry Gugger mit von der Partie, seit 1994 Christine Binswanger. Und ein weiterer Kulturbau ist in Arbeit: Für das De Young Museum der Schönen Künste im Golden Gate Park von San Francisco ist ein Neubau geplant.

Der Standard, Do., 2000.05.11



verknüpfte Bauwerke
Tate Gallery of Modern Art

08. April 2000Ute Woltron
Der Standard

„Wir wollen nicht geschwätzig sein“

Die Architekten Baumschlager & Eberle haben im Flug den Westen erobert. Jetzt werden sie voraussichtlich den neuen Flughafen in Schwechat bauen. Damit stehen die Vorarlberger vor ihrem größten und gefährlichsten Abenteuer, der Einnahme des Wilden Ostens Österreichs.

Die Architekten Baumschlager & Eberle haben im Flug den Westen erobert. Jetzt werden sie voraussichtlich den neuen Flughafen in Schwechat bauen. Damit stehen die Vorarlberger vor ihrem größten und gefährlichsten Abenteuer, der Einnahme des Wilden Ostens Österreichs.

Keine Frage, die beiden sind die Könige. Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle regieren souverän eines der vielen Reiche, die es in der Welt der Architektur gibt. Die Grenzen ihres Landes heißen Ökonomie und Ökologie, Nachhaltigkeit der Mittel und Wirtschaftlichkeit, und alles, was sich innerhalb dieses abgesteckten Rahmens bewegt, beherrschen die beiden Vorarlberger perfekt.

Den Auftrag für den großangelegten Ausbau des Flughafens in Wien Schwechat haben sie zwar noch nicht schriftlich in der Tasche - deshalb reden sie auch noch überhaupt nicht gerne über das Megaunternehmen - doch einem frisch-fröhlichen Vorpreschen ihrer Schweizer Projektpartner Itten+Brechbühl ist es zu verdanken, dass nun öffentlich ist, was die Flughafenbetreiber in Aufsichtsratssitzungen und Vorstandsbesprechungen bereits so gut wie beschlossen haben. „Wir glauben eigentlich schon, dass der Vertrag spätestens Anfang Mai unter Dach und Fach ist“, sagt der Leiter der Flughafen-Pressestelle Hans Mayer, „Eine umfassende Präsentation des Projekts wird gefühlsmäßig irgendwann im Juni stattfinden.“

Für das Architekturbüro Baumschlager & Eberle wäre das der bisher prominenteste und gewaltigste Auftrag. Bis 2015 wird der gesamte Flughafen um rund 30 Milliarden Schilling (inklusive Infrastrukturmaßnahmen und dritter Piste) ausgebaut, und auch an den Flughafengebäuden wird nicht gespart. Um rund 8,9 Milliarden soll eine neue Anlage entstehen, die mittels einer großzügigen Bebauungsklammer auch den zur Zeit reichlich verhutzelten Flughafenbestand zu einem großen Ganzen zusammenspannt. Soweit die programmintensive Zukunft.

Doch auch die Vergangenheit der mittlerweile vierzehnjährigen Zusammenarbeit der beiden Architekten war außerordentlich produktiv. Gemeinsam planten und realisierten sie bisher an die 250 Objekte, was einem Output entspricht, den andere Architekten in ihrem ganzen langen Arbeitsleben nicht erreichen. Fast alle diese Gebäude befinden sich dabei im westlichen Bundesgebiet, in Tirol und in Vorarlberg, sowie im südlichen Deutschland.

Angesichts dieser mörderischen Produktivität und der mustergültigen Gewissenhaftigkeit, für die das ausgezeichnet beleumundete Büro bekannt ist, ist es auf's äußerste verwunderlich, dass die beiden im Osten Österreichs noch so gut wie nichts gebaut haben.

Das liegt natürlich vor allem daran, dass die architekturklimatischen Bedingungen von Wien und Vorarlberg sich etwa so gleichen wie das Politklima im Frankreich vor und nach der großen Revolution. „Im Osten“, sagt Carlo Baumschlager ganz ganz vorsichtig, „da ist es schon ziemlich anders.“ Das bringen natürlich nicht nur die gesetzlich verankerten unterschiedlichen Bauordnungen mit sich, sondern vor allem die hier architekturbestimmenden Unterströmungen und Personen. Während die tolle Bauherrenschaft Vorarlbergs das Land hinauf und hinunter gelobt wird, verröcheln ambitioniertere Bauunterfangen in den östlichen Landesniederungen oft schon in den Vorzimmern diverser Hof-, Senats- und anderer Räte oder kommen mit brutalen Verstümmelungen zur Welt.

Die sehr gerade, sehr direkte, kühl-sachliche Zugangsweise der beiden Architekten, die sich auch in ihren Bauten widerspiegelt, passt irgendwie gar nicht hierher. Was natürlich nicht heißen soll, dass alle Architekten des Ostens geschraubte Kompliziertler sind, doch die Kollegen hier haben gemeinsam mit manchen Auftraggebern über die Jahrzehnte und nach vielen Umschiffungen magistratischer Architekturuntiefen und politischer Charybden die abgeklärte Erfahrung zernarbter Walrosse gewonnen. Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle, die Architekturkönige aus dem klimatisch begünstigten Westen, schauen vergleichsweise unverbraucht aus.

Unter ihren 250 realisierten Gebäuden sind viele Wohnbauten, diverse Industriearchitekturen, einige Villen, ein Kraftwerk, Schulen, Hotels und Pfarrzentren - mit anderen Worten jede Menge Bauaufgaben, die unterschiedlichste Anforderungen an Architekten richten. Sie alle wurden souverän und mit größtmöglicher Sorgfalt gelöst.

Die Namenskombination Baumschlager & Eberle ist zum Begriff und zu einem Markenzeichen geworden. Sie steht für schnörkellose Sauberkeit, für rasch gut Gebautes, für wenig Scherereien und zufriedene Bauherren. Sie steht nicht für Kunst oder Sensation oder für die Erforschung neuer Raumstrukturen. Ausflüge in diese Gebiete überlassen die Vorarlberger anderen, wagemutigeren Gemütern. Sie setzten lieber auf makellose Rechenaufgaben, auf reibungsfreie Bauabläufe und zur Genügsamkeit erzogene Häuser, die ihren zufriedenen Betreibern und Benutzern über viele Jahre hinweg Heiz- und Betriebskosten sparen helfen.

Bekannt wurden sie vor allem durch ihre innovativen, sehr preisgünstigen und energietechnisch ausgeklügelten Wohnbauten. Wie eignet man sich als Architekt ein derartiges bauphysikalisches und technologieorientiertes Know How an? „Vor allem durch sehr viel Arbeit“, sagt Baumschlager.

Die beiden begannen bereits mit den verschiedensten Energie- und Wärmesystemen für Häuser zu experimentieren, als noch die Postmoderne tobte und keine Rede von Niedrigenergiehäusern und dergleichen war. Im Laufe der Jahre, so Baumschlager, habe man diese Wissenschaft „wie Forschungstreibende immer weiter entwickelt und perfektioniert“. Auch die klare, unverkennbare Formensprache ihrer Architektur ist das Ergebnis ständiger Forschung und Verbesserung, denn viele Details und Bausysteme wurden immer wieder ein gesetzt und dabei ständig optimiert. „Wir wollen nicht geschwätzig sein“, lautet das Credo, „Die Qualität eines Gebäudes kann man auch daran erkennen, was es nicht hat.“

Da eine derartige Masse an Aufträgen für ein relativ kleines Büro nicht allein abwickelbar ist, werden Partnerschaften und Kooperationen eingegangen. Doch hier hat die Bürogemeinschaft, die an zwei Standorten insgesamt 25 Leute dirigiert, nun eine unsichtbare Grenze erreicht. Die „lockere Atelierform“ soll demnächst umstrukturiert, ein strafferer Arbeitsablaufstandard, „vergleichbar der ISO-Zertifizierung“ (Baumschlager), eingerichtet werden. Architektur als knallhart strukturiertes Business, einer der vielen Wege, die Architekten einschlagen können, für den Auftraggeber sicher einer der interessantesten. Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle sind die perfekten Gebrauchsarchitekten. Sie erfüllen das Ideal des Berufes, sie arbeiten hochmodern, effizient und gut. Sie sparen ihrem Auftraggeber Zeit, Geld und Nerven, und wenn man ihnen bei der Erklärung ihrer Architekturen zuhört, dann fragt man sich schon, warum nicht mehr Leute in dieser schönen Zunft so professionell arbeiten.

Denn dass eine architektonisch gute Hülle nur über einer strukturell und technisch perfekten Fülle Sinn macht, ist selbstverständlich. Die Rahmenbedingungen sind es bedauerlicherweise nicht. []


[ Ö1 bringt heute in „Diagonal“, im Rahmen der Sendereihe „Zeitgenossen“, ein ausführliches Porträt von Baumgartner & Eberle. Beginn 17h05. Gestalter Wolfgang Kos. ]

Der Standard, Sa., 2000.04.08

04. April 2000Ute Woltron
Der Standard

Die gepfählte Substanz

Günther Domenigs Skulpturen und Architekturen im kunsthaus muerz

Günther Domenigs Skulpturen und Architekturen im kunsthaus muerz

Das kunsthaus muerz hat sich mit einer Architektur-Ausstellungsreihe das Ziel gesetzt, seinen Besuchern das Individuelle und das Künstlerische am Bauen zu vermitteln und nicht nur verschiedene Architekturen, sondern auch die hinter den diversen Häusern versteckten architekturschaffenden Personen selbst vorzustellen.

Alles Gebaute reiht sich irgendwo in einem Koordinatensystem ein, das von den Extremen des totalen Funktionalismus und der totalen Kunst definiert ist, und die Mischformen, die beiden Ansprüchen gerecht werden, sind das, was man gewöhnlich als „gute Architektur“ bezeichnet.


Haus und Oper

Im Sinne dieser Architekturvermittlung hat das kunsthaus muerz mit einer Ausstellung der Arbeiten des Architekturraubeins Günther Domenig eine gute Wahl getroffen, denn die Bauten des Kärntners stellen fast immer den seltenen Fall einer angewandten, sprich einer tatsächlich auch im Sinne der Architektur funktionierenden Kunst dar.

Vergangenen Freitag eröffnete die Schau mit dem Titel Verwandlungen. Sie zeigt Günther Domenigs wichtigste aktuelle Gebäude in Plan, Computergrafik, Foto und Modell und präsentiert auch die Kostümentwürfe, die für die Opern Elektra sowie Moses und Aron und deren Inszenierungen am Opernhaus Graz erarbeitet wurden.

Zur Ergänzung führen Videofilme den Besucher sozusagen virtuell durch die Räume des domenigschen Allerheiligsten - durch sein privates Steinhaus über dem Ossiachersee, wo der 65-Jährige gelegentlich Konzerte für ausgewähltes Publikum zu veranstalten pflegt.

Das wahrscheinlich aufregendste Haus, das hier zu sehen ist, befindet sich in Natura in Nürnberg und beheimatete den Reichsparteitag des Dritten Reiches. Domenigs Wettbewerbsprojekt zur Umfunktionierung des nie vollendeten imponiergehaberischen Nazi-Machtbaus zum Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg zerfetzt die über allem herrschende militante Architektursymmetrie.


Neues durchbohrt Altes

Wie ein Pfeil zischt das Neue durch das Alte, reißt Mauern auf, durchdringt Dächer und setzt sich so weithin sichtbar wie ein Wahrzeichen auf die historische Substanz. Wie „einen Pfahl im Fleisch“ des ursprünglichen Baus will der Architekt sein Projekt sehen, es soll zur Stätte der Begegnung und der Dokumentation werden. Auch im Falle der Erweiterung der Kunstakademie Münster wühlt und bohrt Günther Domenig nicht mühselig im vorhandenen schweren Mauerwerk herum, sondern erzeugt ein an den Bestand angedocktes „leichtes, feines, durchsichtiges, durchgängiges, auf den unmittelbaren Umraum bezogenes Gebilde“.

Günther Domenigs Architekturen sind weder nur Kunst noch nur Bau und schon gar nicht Kunst am Bau. Sie sind sorgfältig in ihre Umgebung gesetzte, präzise durchdachte Raum- und Kubaturstrukturen, die nicht nur fesch ausschauen sollen, sondern auch zu funktionieren haben.

[ Günther Domenig Verwandlungen, kunsthaus muerz, Wiener Straße 54, Mürzzuschlag, Mi - Sa 10.00 - 18.00, So 10.00 - 16.00, bis 28.5 ]

Der Standard, Di., 2000.04.04

05. Februar 2000Ute Woltron
Der Standard

Neuer Stoff, kühle Hardware

Der steirische Architekt Ernst Giselbrecht ist eigentlich ein Vorarlberger, fest steht jedenfalls, dass er ein offiziell ausgezeichneter Meister der verschiedensten...

Der steirische Architekt Ernst Giselbrecht ist eigentlich ein Vorarlberger, fest steht jedenfalls, dass er ein offiziell ausgezeichneter Meister der verschiedensten...

Der steirische Architekt Ernst Giselbrecht ist eigentlich ein Vorarlberger, fest steht jedenfalls, dass er ein offiziell ausgezeichneter Meister der verschiedensten Materialien ist. Für die Anfang der 90er-Jahre gebaute Schule in Kaindorf bekam er erst den Metallpreis zugesprochen, wenig später auch den Preis der Österreichischen Zementindustrie, und als Belobigung für seine Holzkonstruktionen übergab man ihm zuletzt den Steirischen Holzbaupreis. Bei L'Arca Edizione ist soeben eine Monographie erschienen, die seine jüngeren Arbeiten großformatig und ausgesprochen gut bebildert vorstellt. Ernst Giselbrecht. Architecture as Intelligent Hardware ist so kühl und perfekt wie Giselbrechts Architekturen selbst, so klar wie zum Beispiel die ÖBB-Station in Kaindorf, so übersichtlich wie das Medienzentrum in Schwarzach, so gut gegliedert wie das fesche Einfamilienhaus der Familie Russ in Lochau. Die Architektur, so meint der Architekt im Vorwort, sei jene „Hardware“, die, wenn sie funktioniert, dem Menschen als Tribüne und Arbeitsmittel für all seine jeweiligen Bedürfnisse diene. Für Alessandro Gubitosi, dessen Text den Band einleitet, spannt Giselbrecht als Pendler zwischen konstruktiver Notwendigkeit und ästhetischer Dimension eine perfekte Brücke zwischen Moderne und Zeitgenössischem, und als Avantgardist spähe er bereits heute in die Zukunft der Architektur.

Der Standard, Sa., 2000.02.05

05. Februar 2000Ute Woltron
Der Standard

Das Ziegeljopperl ist ein Auslaufmodell

Der Stoff prägt die Architektur, die daraus gemacht wird. Ein Kongress in Salzburg stellte neue Materialien und Kleider für Häuser vor.

Der Stoff prägt die Architektur, die daraus gemacht wird. Ein Kongress in Salzburg stellte neue Materialien und Kleider für Häuser vor.

Wenn Gebäude eine Art dritte Haut des Menschen darstellen, dann sind die Baustoffe, aus denen die Häuser gemacht werden, ihrerseits sozusagen die Gewänder der Architektur. Hierzulande liebt man es als Haus vor allem solide und geht zumeist zur Sicherheit in Ziegel - der verputzte Hohlloch-38er stellt quasi das traditionelle Lodenjopperl der Einfamilienvilla dar. Größere, öffentlichere Objekte hüllen sich bevorzugt in gediegenen Beton mit zurückhaltend bedeckter Stahlbewehrung - sie sind so etwas wie die grauen Büroarchitekturanzüge von der Stange, mitunter variieren die Krawatten. Bleibt noch das Stahl-Glas-Outfit als Trend-Markenzeichen der schrägeren, cooleren unter den Baukubaturen.

In Salzburg geht heute ein Kongress mit Namen „Thin Skin“ zu Ende, der sich mit dem Thema Material und Architektur auseinander gesetzt hat und aufzeigen will, was Häuser anderswo so tragen. Internationale Baufachleute haben im Kongressauditorium in der Salzburger Messe ihre Kreationen aus verschiedensten Materialien vorgestellt und über neue Kollektionen berichtet, die die Couturiers der Branche, also die Architekten, mit hochtechnologischem Material wie Titanblech, aber auch mit unaufregend Herkömmlichem wie Pappendeckel in letzter Zeit produziert haben.

Ganz konnte sich die Veranstaltung mit dem Untertitel „Das Textile in der Architektur“ zwar nicht entscheiden, ob sie sich nun dem Thema „Textil“ oder doch den „Neuen Materialien“ hingeben sollte, aber egal. Interessante Vortragende hat der Veranstalter, die „Initiative Architektur Salzburg“ gemeinsam mit der Reed Messe und dem Architektur und Bauforum, allemal herangekarrt. Ihre Namen sind mittlerweile durchwegs bekannt, denn Architekturvorträge erfreuen sich zurzeit erstaunlicher Beliebtheit, und der große Vortragszirkus rollt nonstop quer über die Lande, sodass man sich fragt, wie manche dieser referierfreudigen Architekten überhaupt noch zum Entwerfen kommen. Frank Gehrys Leute, zum Beispiel, berichten nimmermüde und natürlich stets hochinteressant über die Mühen, die ihnen die Errichtung des titanbeschuppten Guggenheim-Gebäudes für Bilbao bereitet hat. Wenn das Thema schon „Thin Skin“ lautet: Welches Haus der jüngeren Vergangenheit kann sich einer aufregenderen Robe rühmen als das seidenschillernde Museumsprachtstück des Kanadiers? Jedes Zentimeterchen seiner ausladenden schaligen Hülle wurde computergerechnet, jedes in sich verwundene Steinverkleidungsstückchen computergefräst.

Die wahrscheinlich feinste der hier geforderten dünnen Häute haben Katsu Umebayashi und Thomas Daniell in Form eines Membrandaches aus Tokio mitgebracht, das jeden Bauordnungshüter Österreichs herzinfarktgefährden würde: Sie stellten ein zwanzig Meter langes, drei Meter schmales Haus aus zwei parallelen, oberkantig geschwungenen Betonscheiben vor, über die sich ein lichtdurchlässiger Hauch von Membran sattelartig spannt. Dazwischen Aussteifungen aus Betonzylindern, viel Luft und keine Einrichtung. Das Material des Daches ist eine hochtechnologische Teflon-Abart, die sich leicht dehnt und sich - wie ein Nylonstrumpf ans Wadel - perfekt an die formbildenden Elemente anschmiegt.

Nach gerade in sich zusammenstürzenden Kaugummiluftprodukten sieht aus, was Jacob + MacFarlane für das soeben wieder frisch gemachte Centre Pompidou, eine Art frühe Drag Queen der Architekturlaufstege, entworfen haben. Im vierten Geschoß des Pariser Gebäudes werfen sich vier Gebilde blasenartig zu einer Restaurantzone auf. Gemacht sind sie aus gebürstetem Aluminium, weil der solcherart bearbeitete weiche Metallstoff das Licht so schön in mattem Schimmer einfängt. Selbstverständlich war auch hier der Computer Schneidermeister, er rechnete die bestehenden strengen Gebäuderaster des Museums zu kleineren Einheiten und spielte so lange mit ihnen herum, bis sie sich der amorphen Form beugten und darin verschmolzen. Das Centre Pompidou war dazumals das erste Haus, das keck seine Strapse in Form von Rohren und Kabeln unverhüllt zur Schau trug.

Das neue Restaurant - es wird soeben errichtet - könnte ein zeitgemäßes Accessoire am Busen der alten Dame werden. Und noch ein Computerprodukt macht Furore und zeigt auf, welch eigenartige Optiken den Blechkisten innewohnen. Die Franzosen Patrick Beauce und Bernard Cache, zusammen unter dem Namen „Objectile“ bekannt, bedienen sich der Maschine, um aus schichtgeklebten Materialien verschiedenste Topographien auszufräsen, die in ständiger Wiederholung dünenartige Muster ergeben. Hier ist nicht der Stoff die Neuigkeit, sondern seine Bearbeitung. Ob solcherlei moderne Ornamentik gefällt oder nicht, und wozu geriffelte Türblattoberflächen dienen sollen, das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Der Französischen Bundesbahn hat es jedenfalls zugesagt, sie bestellte bei den beiden eine Reihe maßgeschneiderter Schalterbereiche.

Eine Menge Rechnerei steckt auch im Londoner „Millennium Dome“, dessen stahlseilgebändigte Kräfte und Membranen von Ian Liddell erläutert wurden. Der 2000er-Dom ist eine temporäre Architektur besonderen Aufwands. Vergleichsweise luftig leicht präsentiert sich da das neue Häubchen der Prophetenmoschee in Medina, das der deutsche Architekt und Frei-Otto-Schüler Bodo Rasch angefertigt hat. Eine Reihe hoch aufragender Schirme aus feinem weißem Stoff entfalten sich bei Bedarf wie die Flügel soeben geschlüpfter Schmetterlinge und bedecken in den Hofgevierten den Himmel über den Betenden. Einnäher und Zwickel im High-Tech-Stoff nehmen traditionelle Muster auf und passen die Erscheinungsform der hochmodernen Materialien ihrer Umgebung an, ohne sich anzubiedern.

Einen uralten, immer neuen Stoff hat sich zu guter Letzt der britische Künstler Peter Jones zunutze gemacht. Er baut flüchtige Architekturen aus Licht und Farbe und schickt die Besucher wie bunte Kaleidoskopkörnchen durch seine „Farblandschaften“. In schlauchartigen Gebilden wabert da das Licht, spaltet sich in seine Farben und geht die interessantesten Koalitionen ein. Die Betrachter wandeln durch rot-grüne Harmonien und kühlblaue Atmosphären. Nur Schwarz kommt nicht vor.

Der Standard, Sa., 2000.02.05

29. Januar 2000Ute Woltron
Der Standard

Wem was Recht ist

Die ÖBB suchen sich ihre Bahnhofsarchitekten scheints nach Gutdünken, aber nicht nach EU-Recht aus. Im Falle des Linzer Hauptbahnhofs könnte das zu einer ordentlichen Entgleisung führen.

Die ÖBB suchen sich ihre Bahnhofsarchitekten scheints nach Gutdünken, aber nicht nach EU-Recht aus. Im Falle des Linzer Hauptbahnhofs könnte das zu einer ordentlichen Entgleisung führen.

Mit der EU-Vergaberichtlinie ist es wie mit der Demokratie: Sie stellt keine optimale Lösung dar, aber bisher wurde bedauerlicherweise halt noch nichts Besseres erfunden. An beide müssen sich Bürger, Bettler, Edelmänner, Politiker, Bauherren und Architekten halten. Auch wenn es an manchen Tagen schwerer fällt als an anderen, wer demokratisch gewählt wurde, der ist nun mal am Zug.

Manche Häuptlinge sehen das ein wenig anders. So auch die Lokführer der Österreichischen Bundesbahn. Die ÖBB veranstaltet zwar Architekturwettbewerbe, beauftragt aber die Nicht-Sieger mit der Bauausführung, und irgendwie fühlt man sich dabei zurückversetzt in eine längst vergangene, verfilztere Zeit, als das System der großzügigen freihändige Vergabe etwa die Filetstücke der Bundeshauptstadt einer kleinen Meute der ewig selben Architekturcerberi zum Fraße und der anschließenden Verdauung vorwarf.

Doch zurück in die Zukunft und damit in die Gegenwart: Die ÖBB, die mit vielen Bahnhofsmilliarden ausgestattet einer der potentesten Bauherren der Republik ist, schreitet seit geraumer Zeit zur Freude aller wackerer Bahnfahrer daran, die marode Bausubstanz der heimischen Bahnhofswelt auszuputzen, zeitgemäß zu gestalten und die Architekturen der wichtigsten Knotenpunkten ganz neu und großzügig zu errichten.

Demnächst soll auch der Hauptbahnhof Linz einer solchen Kur unterzogen werden: Man will den alten bestehenden Kasten abreißen und durch einen feschen, modernen und mit allerlei Infrastruktur ausgerüsteten Bau ersetzen. Der dazu notwendige Architekt, so verkündete man im Dezember, sei auch schon gefunden. Helmut Draxler, ÖBB-General und bekannter Architekturfreak, zeigte sich froh gemeinsam mit Architekt Wilhelm Holzbauer hinter dessen Hauptbahnhofmodell den Pressefotografen. Holzbauer, so hieß es, sei als Sieger aus einem Wettbewerb hervorgegangen, und bald würde er sein Werk in Linz errichten. Doch bei näherer Betrachtung hat es den Anschein, als ob es bei diesem dritten sogenannten Wettbewerb nicht so ganz mit rechten Dingen zugegangen sei. Zur Information: Laut EU-Recht muss jede Bauleistung mit anfallenden Baukosten über fünf Millionen Euro (68,8 Millionen öS) sowie jede Planungsdienstleistung ab einem Netto-Honorarbetrag von 200.000 Euro (2,75 Millionen öS) jedes öffentlichen Auftraggebers und jedes staatsnahen Unternehmens europaweit ausgeschrieben werden. Das umstrittene Bahnhofsgebäude ist laut Norbert Steiner von der ÖBB-Bahnhofsoffensive mit rund 650 Millionen Schilling veranschlagt. Martin Platzer, Vergaberechtsexperte der Architektenkammer, spricht angesichts dieser Summe von einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, dass die Planungskosten, die im Schnitt sechs bis acht Prozent der Baukosten betragen, über dem Stichwert liegen“.

Von „europaweit“ kann allerdings wohl kaum die Rede sein, der erwähnte Wettbewerb im Dezember wies gerade einmal zwei geladene Teilnehmer auf, nämlich Wilhelm Holzbauer und Heinz Neumann.

Auch verlor man bei der Präsentation kein Wort darüber, dass Jahre zuvor bereits zwei Wettbewerbe zum Thema stattgefunden hatten und eigentlich schon ein anderes Architektenteam, nämlich Neumann-Steiner, mit diversen Planungsarbeiten beauftragt worden war.

Zur Historie: 1997 schrieben die Realtreuhand, die ÖBB-Bahnhofsoffensive sowie die Naveg (Nahverkehrserrichtungsgesellschaft) gemeinsam einen städtebaulichen Wettbewerb aus, der sich mit dem Linzer Bahnhofsareal befasste und entsprechende Bebauungsvorschläge für den Bahnhof, den man damals noch als erhaltenswert einstufte und lediglich umbauen wollte, eine Nahverkehrsdrehscheibe sowie einen großen Bürokomplex für die Landesregierung hervorbrachte. Das angepeilte Projekt wog insgesamt drei Milliarden Schilling schwer, und als Sieger ging die Wiener Architektengemeinschaft Heinz Neumann und Eric Steiner hervor.

Nach den erforderlichen Vorentwürfen, die laut Neumann alle rechtmäßig bezahlt und abgegolten wurden, beschloss die ÖBB, ein EU-weites Verhandlungsverfahren einzuleiten, um zur Sicherheit noch einmal und nach allen vorgeschriebenen Regeln und Gesetzen einerseits den besten Architekten, andererseits den trefflichsten Generalplaner aus dem reichen Potte des europäischen Architekten- und Baupools zu fischen. Den Zuschlag für die Generalplanung erhielt eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus Vamed und Realtreuhand. Und was die Architektur anbelangt, gewannen neuerlich Neumann und Steiner, nachdem sie ihre Preisnachweise erbracht hatten, verschiedene Pönalevereinbarungen eingegangen waren, ihre Bürositzplätze aufgelistet, bereits abgewickelte Projekte aufgezählt, diverse weitere Angaben geleistet und damit die üblichen Architektenschikanen im Dienste der Europäischen Union überwunden hatten.

Doch die EU scheint in Österreich mitunter weit weg. Dem architekturversessenen Generaldirektor Draxler, der die Geschicke der Bahn hinter einem elegant-kühlen Norman-Foster-Schreibtisch lenkt und sich ein sehr schönes Privathaus von Architekt Johannes Spalt in den Hang hoch über dem Attersee setzen ließ, missfiel - so hört man aus ÖBB-Kreisender Ende 1998 - neuerlich prämierte Neumann-Steiner-Bahnhofsentwurf. Der stellt zwar nur einen Teil des Gesamtprojektes dar, ist zugleich aber der architektonisch interessantere, prominentere Auftrag. Draxler setzte also einen ÖBB-Gestaltungsbeirat bestehend aus den Architekten Hermann Czech, Klaus Kada und Johannes Spalt ein. Der qualifizierte das Projekt als unrentabel ab, worauf hin die ÖBB Mitte November vergangenen Jahres zu besagtem Zwei-Architekten-Wettbewerb einluden. Zur Entwurfserarbeitung gab man den Baumannen übrigens gerade vier Wochen Zeit, denn irgendwann muss man zu einer Lösung kommen, wenn der Bau wie geplant 2003 stehen soll. ÖBB-Mann Steiner: „Neumann-Steiner haben diese vier Wochen nicht genutzt und uns in die Situation getrieben, eine andere Entscheidung zu fällen, wenn wir den Fahrplan nicht verlieren wollen.“

Heinz Neumann empfindet sich nun ein wenig ratlos in der misslichen Lage des Gelackmeierten, will sich aber nicht näher äußern. Er meint nur: „Ich habe zwei Wettbewerbe gewonnen, ich habe zwei Jahre lang an diesem Projekt gearbeitet, es ist nur logisch, dass ich es jetzt auch bauen will.“ Kollege Holzbauer kontert: „Es ist ganz einfach: Die ÖBB will einen Bahnhof mit gewissen Funktionen und hat mein Projekt als das funktional bessere befunden. Außerdem brauche ich mich nicht zu verteidigen, wenn mich jemand dazu auffordert, etwas zu tun, und es mir gefällt, es zu machen.“ Keine Frage, jedem ist das Hemd näher als der Rock, doch keiner lässt sich gern pudlnackert ausziehen.

Auch die jungen Kollegen Elke Delugan und Roman Meissl behalten gerne zumindest die Schuhe an. Im Wettbewerb des Jahres 1997 waren sie als Dritte gereiht gewesen und sind nun der Meinung, „dass diese Vorgangsweise gegen die Vergabegesetzgebung verstösst“. Schließlich hätte man die damals involvierten Architekten zumindest zu Rate ziehen müssen. Eine Anfrage bei der Rechtsabteilung der Kammer ergab eine vorläufige Einschätzung: „Der Auftraggeber ÖBB hat dadurch, dass er ein Verhandlungsverfahren mit nur zwei Teilnehmern des ursprünglichen Wettbewerbs durchgeführt hat, von denen einer nicht Gewinner war, während er andere nicht teilnehmen ließ, gegen fundamentale Grundsätze des europäischen und des österreichischen Vergaberechts verstoßen. Er wäre daher im Falle einer bereits erfolgten Auftragserteilung gegenüber den übergangenen Teilnehmern schadenersatzpflichtig.“

Erst vergangenen Oktober hatte der Europäische Gerichtshof die österreichischen Vergabepraktiken betoniert und unter anderem die Zuschläge für das St. Pöltener Regierungsviertel als rechtswidrig verurteilt, was benachteiligten Anbietern nun ebenfalls Schadenersatzklagen ermöglicht. Norbert Steiner, seit Herbst vergangenen Jahres für die Bahnhofsarchitektur-Offensive der ÖBB zuständig, war Leiter der NÖ-Plan, er hatte in St.Pölten also genug Gelegenheit, die Gesetzeslage gründlich zu studieren. Trotzdem ist er der Ansicht, da kein „Vergabeakt“ an Neumann direkt sondern nur an den Generalplaner stattgefunden habe, sei alles rechtens gelaufen. Neumanns Projekt müsse lediglich „unter Umständen entschädigt werden“.

Der Linzer Gestaltungsbeirat hat in dieser Woche jedenfalls vorerst seinerseits das brandneue Holzbauer-Projekt abgelehnt und einer zweimonatigen Überarbeitung empfohlen. Holzbauer, dem Wettbewerbe sowieso deklariertermaßen auf die Nerven gehen: „Also ehrlich gesagt wird es mit jedem Projekt immer schwieriger. Die Franzosen und die Engländer machen das einzig Richtige, indem sie nach wie vor direkt vergeben. Dieses vielzitierte EU-Recht wird in Österreich falsch ausgelegt. Aber eigentlich ist mir eh schon alles wurscht.“

Der Standard, Sa., 2000.01.29

22. Januar 2000Ute Woltron
Der Standard

Zig Zag Zaha

Zaha Hadids Architekturen sind Schwerstarbeit. Wer sie verstehen will, muss neue Gedankenschichten übereinandertürmen und anerzogenes Konventionsgeröll abtragen. Was übrigbleibt, ist ein völlig neues Raumempfinden und die Ahnung einer anderen Menschlichkeit in der Architektur. Seit kurzen werden ihre Entwürfe tatsächlich ausgeführt: in Rom und Cincinnati etwa, bald auch in Innsbruck. Und vielleicht sogar in Wien.

Zaha Hadids Architekturen sind Schwerstarbeit. Wer sie verstehen will, muss neue Gedankenschichten übereinandertürmen und anerzogenes Konventionsgeröll abtragen. Was übrigbleibt, ist ein völlig neues Raumempfinden und die Ahnung einer anderen Menschlichkeit in der Architektur. Seit kurzen werden ihre Entwürfe tatsächlich ausgeführt: in Rom und Cincinnati etwa, bald auch in Innsbruck. Und vielleicht sogar in Wien.

Wo ist hier das Haus?" lautet die verzweifelte Frage aller Hadid-Anfänger, wenn sie zum ersten Mal vor Architekturplänen der persisch-britischen Architektin stehen und auch wirklich verstehen wollen, was sie hier sehen: Linien schießen ins Unendliche, Farbpfeile verlieren sich zickzack irgendwo am Blatthorizont. Flächen von Rot, Blau, Grün, Gelb flackern da und dort auf, zerlegen das Bild wie ein Fleckerlteppich und zerschnörkeln alles doch irgendwie zu einer übergelagerten Ordnung. Ebenen liegen übereinander und durchdringen einander da und dort.

Viel Schwarz ist zu sehen, selten ein wenig Weiß. Tja. Eindrucksvoll ist das, was man hier vor sich hat, auf jeden Fall. Und ausgesprochen dekorativ. Aber - wo ist nun wirklich das Haus?

Zaha Hadid hört sich solcherlei Laiengestammel mit großer Ruhe und tief verinnerlichter Würde an. Rabenflügelschwarz ist alles an dieser Frau, und groß. Groß die Nase. Groß die Hände. Riesig vor allem die Augen, und kohlrabenschwarz. Schwarz auch ihre sehr langen Haare, ihre Kleidung, der millimeterschmale aber handflächenbreite Ring, das lederne Zigarettenetui. In Hadids Aura befindet sich nur ein einziger Farbfleck. Er taucht in Form eines knallorangen, nicht zu kleinen Kunststoffkristallfeuerzeugs auf, das sie in Betrieb klackt, bevor sie mit großer Eindringlichkeit ihre Architekturen und damit sich selbst zu erklären beginnt.

Das tut sie oft, auf allen Kontinenten und

in den verschiedensten Gremien, in Universitätshörsälen genau so wie in Rat- und Wirtshäusern. Sie bemüht sich, diese auf den ersten Blick so wirren Planzeichnungen verständlich zu machen. Sie erklärt, warum sie den Raum der rechten Winkel gesprengt und in bizarren Kristallformen wieder zusammengesetzt hat. Sie versucht, die Dynamisierung der Form zu erläutern und ihre Bezüge zu den nicht immer sichtbaren Linien und Strukturen der bestehenden Umgebung, die eine neu zu errichtende Architektur immer mitbestimmen.

„Ich will dem Raum eine neue Qualität geben, ich will die Komplexität dieser neuen Städte erforschen und die öffentlichen Flächen, auf denen die Menschen kommunizieren, neu definieren und aus den vorhandenen Strukturen herauskratzen“, sagt sie. Schichten müssen abgetragen werden, um Strukturen erkennen zu lassen. Den Raum von althergebrachten traditionellen Zwängen zu befreien ist eines ihrer Anliegen. Das Ganze dann feinnervig in den komplizierten Organismus Stadt zu implantieren, ein anderes.

Das zu tun hat sie derzeit Gelegenheit genug. Für Cincinnati plant die 49-jährige gerade ein „Zentrum für moderne Kunst“. In Rom soll bis 2003 ebenfalls ein Museumsneubau für zeitgenössische Kunst entstehen. Einladungen zu internationalen Wettbewerben gibt es sonderzahl, und auch in Österreich buhlt man - mit unterschiedlichen Mitteln und Intensitäten - um die Gunst der Londoner Avantgardistin:

Erst im vergangenen Dezember gewann sie den Wettbewerb um die Neuerrichtung der Berg-Isel-Schanze in Innsbruck mit einem höchst elegant geschwungenen und von einem metallverkleideten Aussichtscafé gekrönten Projekt, das von der Seite betrachtet aussieht wie ein hochnäsiger Elefant. Auch in Wien harrt ein - mittlerweile älteres - Bauvorhaben mit kristallinen Strukturen und in der Donaumetropole bisher nie dagewesenen Formexplosionen an der Spittelau seiner Vollendung.

Zumindest die Sprungschanzenarchitektur aus Stahl und Beton könnte, laut Thomas Posch von der Innsbrucker Stadtpanung, demnächst beauftragt werden. Die Vorarbeiten für das 140-Millionen-Projekt, das von der ÖSV-Tochter ASVG, dem Land Tirol und der Stadt Innsbruck finanziert wird, seien bereits im Gange: „Schließlich soll die Schanze Ende des Jahres stehen und zum nächsten Berg-Isel-Springen fertig sein.“ Ein wenig anders die Situation in Wien: Hier hat die Wohnbaugesellschaft SEG die Architektin vor nunmehr sechs Jahren mit der Planung eines vertrackt schwierigen Gebäudes im Bereich der Stadtbahnbögen an der Spittelau beauftragt, dessen Baubeginn sich von Jahr zu Jahr verzögert.

Hadid hatte damals einen Entwurf geliefert, der seither jeden Obersenatsrat in den diversen Wiener Bau-Magistraten zwischen Ungläubigkeit und Verzweiflung hin und her schleudert und an allen Regeln der Architektur zweifeln lässt. Vitruv, der allererste Architekturgesetzgeber, hat für diese Frau nie gelebt. Mit einem kristallen schroffen Baukörperzickzack überzieht und durchdringt ihr Entwurf die seit hundert Jahren Wiener Identität stiftende Rundlichkeit der Stadtbahnbogenarchitektur im Bereich der Spittelau. Vierzehn geförderte Eigentumswohnungen und ebensoviele Büros sind auf drei Ebenen untergebracht, mit der durchbrochenen, offenen untersten Etage will sie eine Verbindung schaffen zwischen Kanal und Stadt, mit Durchgängen und Durchblicken, mit Geschäften und Lokalitäten.

Rund 70 Millionen Schilling werden die Herstellungskosten des Gebäudes betragen. Noch spießt es sich an Kinkerlitzchen wie Autostellplätzen. Politische und womöglich auch pekuniäre Unterstützung signalisiert Zukunftsstadtrat Bernhard Görg, der sich für den Bau stark macht. In der SEG ist man guten Mutes und hofft auf einen Baubeginn Anfang nächsten Jahres.

Zaha Hadids Auftragsbücher sind also nach einer geräumigen Epoche der Leere voll, und mit dieser Anhäufung von Projekten wird zugleich eines der Hadid-Bilder verschüttet, das lange Zeit ihr publicityträchtigstes und markantestes war: Hadid, die geniale, vielgepriesene Architektin, die abgesehen von dem kleinen Feuerwehrhaus für Vitra in Weil am Rhein nichts gebaut hat. Doch ist das nur eines ihrer vielen Images. Hadid ist als Person ebenso Vexierbild wie die Bilder ihre Architekturen. Alles, was man sieht, stimmt, doch jede Schicht dieser Persönlichkeit zeigt einen anderen Menschen.

Da ist einmal die Araberin, die in einer intellektuellen, weltoffenen Moslemfamilie in Baghdad aufwuchs, nach London kam und an der renommierten Architectural Association School of Architecture studierte. Da ist die Avantgardekünstlerin, die ihre Entwürfe in Form großflächiger Gemälde zu Papier bringt. Da ist die Möbel- und Interieurdesignerin. Da ist das Vollweib, das seine barocken Rundungen stets von schwarzen Miyake-Kreationen umflattern lässt und mit seiner Erscheinung die Atmosphäre ganzer Ballsäle füllt.

Da ist vor allem die erste Frau in der Geschichte, die neben einer Handvoll Männern ganz oben an der Avantgardespitze steht und in die Richtung schaut, in die sich die Architektur der Zukunft bewegen wird. „Wir müssen uns vom Gedanken entfernen, dass es Leben und Existenz nur in der herkömmlichen Form gibt. Alles verändert sich, und die Architektur muss diesen Veränderungen entsprechen.“

In Rom, wo sie auf 26.000 Quadratmetern Zeitgenossen moderne Kunst nahebringen will, ortet sie „zwei drei Leben der Stadt, die sich überlagern“. In ihrem Entwurf legt sie denn auch „verschiedene Schichten übereinander, die sich in Ausschnitten und Durchdringungen überraschend vernetzen“. Der Weg durch das Gebäude mit seinen sich vergrößernden, verkleinernden Räumen wird „wie eine Reise sein“.

Ihr soziales Anliegen zeigt sich wohl am deutlichsten im prämierten Wettbewerbsentwurf für ein Opernhaus in der Bucht von Cardiff, das unter anderem deshalb nicht realisiert wurde, weil sich der ewig gestrige Moorhuhnjäger und Fassadenarchitekturbefürworter Prinz Charles öffentlich dagegen aussprach. Das Gebäude ist so transparent angelegt, dass jeder von aussen ablesen kann, was innen gerade passiert. „Es ist doch nur recht und billig“, sagt Hadid, „wenn alle da draussen den Proben da drinnen zuschauen können“.

Vor allem die großen öffentlichen Gebäude, meint sie, müssten eine Menge Energie in die Stadt zurückstrahlen und nicht wie die Blöcke, die man heute so gerne in die Stadtstruktur knallt, alles Leben unter sich ersticken. Deshalb sind auch die Erdgeschosse ihrer Gebäude stets offen und durchgängig, damit sich neue Foren und Kommunikationsplätze entwickeln können, damit es Interaktion zwischen Gebäude, Mensch und Stadt gibt.

Das gilt ihrer Ansicht nach für alle Städte, seien sie nun in Europa, in Asien oder in in ihrer alten Heimat, dem Irak, gelegen. Sie selbst fühle sich keineswegs als Europäerin, sagt Hadid, sie sei als Araberin geboren und Araberin geblieben: „Sieht man von gewissen anerzogenen Verhaltensmustern ab, sind alle Menschen doch ziemlich gleich.“ Im Gegensatz zu Europa sei „die Last der Vergangenheit“ im Irak mit seiner uralten Geschichte nicht so präsent. „Es gibt hier eine lange Tradition einer Wahrnehmung unsichtbarer Dinge, wie der Strukturen von Loyalität, gegenseitigem Verstehen und enormer zwischenmenschlicher Freundlichkeit.“ Aus all diesem setzten sich Menschen, ihre Biosphären und in letzter Konsequenz ihre Städte zusammen.

Ihre Häuser machen einen Teil davon sichtbar, deshalb sind sie als „Haus“ auf ihren Zeichnungen nur so schwer erkennbar. Auch in gebauter Form werden viele wohl ihre Schwierigkeit mit Hadids Konstrukten haben. Das konventionelle „Haus“, das man auf ihren Plänen vergebens sucht, wird auch in dreidimensionaler Form in dieser Architektur der Zukunft nirgendwo mehr zu sehen sein.

Der Standard, Sa., 2000.01.22

21. Januar 2000Ute Woltron
Der Standard

Leben im bunten Bereich

Eine Ausstellung lässt die raffinierten Wohlwelten des dänischen Design-Enfant terrible Verner Panton wieder auferstehen

Eine Ausstellung lässt die raffinierten Wohlwelten des dänischen Design-Enfant terrible Verner Panton wieder auferstehen

Wo stehe eigentlich geschrieben, pflegte der dänische Architekt, Designer, Farbrabauke und Kunststoffexperte Verner Panton zu fragen, dass die Menschheit ihre Wohnzimmer immer noch mit den ewig gleichen Sofa-Sessel-Tischchen-Kombinationen verunstalten müsse? Dass all diese Langweiligkeiten noch dazu in dezentem Grau, Braun, Beige abgefeiert werden sollten, um vor farblos weißen Wänden öde Stillleben der Bescheidenheit und Ruhe abzugeben? Überhaupt dieses Weiß, verkündete der Mann mit dem Strubbelbart stets laut und von der reinen Abwesenheit Auroras und ihrer Geschwister genervt, Weiß sei eine „Farbe“, die eigentlich besteuert gehöre. Und tatsächlich, Weiß findet sich im Oeuvre des nordischen Wahnsinnsdesigners nicht einmal als Lichtfarbe, denn auch was seine Leuchten anbelangt, operierte der sinnenfrohe Däne stets im bunten Bereich.

Vor zwei Jahren starb Verner Panton 72-jährig, kurz vor der Eröffnung einer seiner ersten wirklich großen Ausstellungen und gerade zu einer Zeit, als seine wildesten Designs aus den 50er- und 60er-Jahren wieder ganz stark Beachtung zu finden begannen. Vor allem das junge Publikum, viele innovative Designer und unkonventionelle Architekten wissen das reiche, dralle Füllhorn seines Werkes zunehmend zu schätzen. Er dachte es sich in einer Zeit aus, als die Kunststoffwelt noch jung und ein Auto nie kleiner als der Vorgarten war, als der Mond im Zentrum des Weltinteresses stand, als schwarze und weiße Musik gemeinsam den Rock'n Roll gebaren und LSD-Trips Farben produzierten, die es eigentlich gar nicht gab.

Die meisten Pflänzchen dieser wilden Blumenkraftzeit sind heute verblüht, nur die wahrhaftigen unter ihnen haben in den Jahrzehnten danach Frucht getragen. Dazu gehören auch die Welten des Verner Panton. Nicht nur seine heute noch bekannten Design-Ikonen und Möbelklassiker haben die Dekaden unbeschadet und ohne altmodisch zu werden überlebt wie etwa der viel gepriesene „Panton-Chair“, die witzigen Tüten-Sessel, die Blumentopfleuchten und einiges mehr. Eigentlich noch wichtiger als diese verdienstvollen Arbeiten ist der Geist fröhlicher Erneuerungswut, der aus all seinen Kreationen abdampft wie die Lösungsmitteldünste aus den noch unausgereiften Kunststoffen der allerersten Plastikzeit.

Neu, ganz neu und aufregend war der künstliche Werkstoff, als Panton sein Architekturstudium in Kopenhagen beendete. Im Jahr 1952 hatten die späteren Nobelpreisträger Natter und Ziegler das erste Polypropylen hergestellt, eine Erfindung, die den Möbelbau revolutionieren sollte. Ungefähr zu dieser Zeit heuerte Panton gerade beim renommierten Entwerfer Arne Jacobsen an und war in dessen Designbüro in der Folge an der Entstehung des Sesselklassikers beteiligt, der heute als „Ameise“ bekannt ist. Der war allerdings noch aus Holz gebaut. Panton dampfte vorerst einmal mit einem VW-Bus quer durch Europa und ließ Design Design sein, bevor er sich 1955 niederließ und selbst zu entwerfen begann.


Was bald darauf in seiner Hexenküche entstand, ließ die meisten Dänen kurzfristig

in Sprachlosigkeit erstarren. Der erste große Auftrag erfolgte in Form eines Ausflugsrestaurants in Langesø, das Panton im Jahre 1958 fast zur Gänze in Knallrot tauchte. Knallrot die Lampen, knallrot die Decke, knallrot die Tischwäsche, knallrot die Kellnerinnenröckchen im „Komigen“. Dazwischen und rundherum Glaswände und Stahlbeton. Nach einer Schrecksekunde zerriss sich halb Dänemark dermaßen das Maul über das extravagante Haus, dass die Besucherströme nicht mehr abreißen wollten.

Bereits mit dieser ersten Design-Architektur verwirklichte Panton all die revolutionären Ansprüche, die er an Raumgestaltung stellte. Für ihn galten alle Elemente des Raumes - Decke, Boden, Wände, Fenster, Lichtquellen, Tische, Sessel, Aschenbecher - als gleichwertige Partner in einem Theater, das zum Zwecke des Erfreuens seiner Benutzer abgehalten wurde.

Viele dieser Raumdesigns, die der Däne verwirklichen konnte, sind heute - man muss es schon sagen dürfen - in ihrer Intensität kaum mehr erträglich. Die tausenden flirrenden Spiegelpyramidchen an den Wänden, die bizarren Kunststoffstalaktiten in Lilarot an den Decken, die klingelnden Muschelplättchenwälder im Luftzug - sie alle waren in einer Zeit gut und schön, die einfach vorbei ist. Was gültig blieb, ist der damals ungeheuer fortschrittliche Ansatz, all diese Elemente als Ganzes zu betrachten und zu behandeln. Vitra-Chef Rolf Fehlbaum, der sich seine Wohnung von Panton einrichten ließ, meint heute: „Es ist für alle, die nicht dabei waren, schwer nachzufühlen, wie irritierend neu die Wohnlandschaften, die Interieurs, die Boden, Decke, Wände, Möbel und Leuchten integrierten, für die meisten Zeitgenossen waren.“

Nachzulesen ist dieses Zitat im Katalog zu einer Ausstellung, die ab 5. Februar im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen ist, und die mit großem Aufwand und mit zahlreichen Exponaten Pantons Welten wieder erstehen lässt. Zu sehen sind alle seine wichtigen Möbelentwürfe, seine Licht- und Lampenkonstruktionen, viele der grandiosen Textildesigns und - vor allem - ein acht mal sechs Meter großer Nachbau der „Phantasy Landscape“, die er 1972 im Auftrag des Kunststoffriesen Bayer für die Möbelmesse Köln ersonnen hatte. Dort gerinnt alle Materie, Kunststoffschaum samt Stoffbespannung und Unterkonstruktion, zur Wohnlandschaft, selbst das Licht trägt seinen Teil in Spektralfarben zerfranst dazu bei. Der Originalraum war zudem von Wohlgerüchen und Soundeffekten erfüllt, alles Maßnahmen und Kniffe, die heute hochmodern sind, damals aber völlig neu und revolutionär waren. Die Installation erregte natürlich Aufsehen ohne Ende und ist auch heute nicht vergessen.


Zu Vitra, wo all diese bunten Herrlichkeiten nun zu sehen sind, hatte Panton

zeitlebens ein ganz spezielles Verhältnis, fand er doch in Firmenchef Rolf Fehlbaum und seinen Produktionsmenschen die kongenialen Partner für die Verwirklichung einer langgehegten, speziellen Sesselidee: Einen Freischwinger wollte er bauen, ohne traditionelle Sesselbeine und zur Gänze aus Kunststoff gefertigt. Über viele Jahre hinweg hatte er sich daran immer wieder versucht, stets war er gescheitert. Dieses Schicksal teilte er allerdings mit kaum weniger prominenten Kollegen wie Charles Eames und Eero Saarinen, die sich ebenfalls verbissen an einem solchen Stück versuchten, doch eingestehen mussten, dass sie nie ohne Unterkonstruktion, also ohne Schummeln, auskamen. Mit Vitra gelang es Panton schließlich doch, seinen Sessel in elegantem S-Schwung und zur Gänze aus Kunststoff zu bauen. Der „Panton Chair“ ist sein bekanntestes Stück und war lange Zeit ein Verkaufsschlager, dann schlief das Interesse ein wenig ein, doch nun ist es plötzlich wieder erwacht. Der Designklassiker wird von Vitra neu aufgelegt, es soll bereits Wartelisten dafür geben.

Mit ein wenig Glück wird die Ausstellung ihren Weg auch nach Wien finden, sie soll jedenfalls in den nächsten Jahren mit ihren bunten, freundlichen Panton-Räumen und Panton-Möbeln quer durch Europa touren. Auch aus dem dazugehörigen Katalog weht den Leser ein Hauch Pantonschen Geistes an. Zahlreiche Designkollegen und Freunde wie Pierre Paulin, Jasper Morrison oder Alessandro Mendini nehmen dort in schriftlicher, persönlicher Form quasi Abschied vom verstorbenen Künstler.

„Wenn Verner ein neues Material in die Hand bekam“, erinnert sich da etwa ein Kollege, „konnte er innerhalb von fünf Minuten veranschaulichen, wie das Material in einer besseren Weise als das bisherige ein bestimmtes Problem lösen kann.“ Ein ehemaliger Mitarbeiter denkt fröhlich-nostalgisch an die Verwirrung der Besucher zurück, die erstmals das Baseler Atelier Pantons betraten, wo die Türen unsichtbar in einer „Farbschlucht“ hinter knallfarbenen Vorhängen versteckt waren. Und auch der allerletzte Tag im Leben des Designers findet Würdigung: „Er hat die Erde mit Stil verlassen, sein Bauch gefüllt mit großartigem Wein und Essen, an einem sonnigen Spätsommertag in Kopenhagen.“ Ute Woltron []

„Verner Panton“, vom 5. Februar bis 12. Juni 2000 im Vitra Design
Museum, Charles-Eames-Strasse 1, D-79567 Weil am Rhein
Tel. 0049 / 7621 / 702 3200

Der Standard, Fr., 2000.01.21

15. Januar 2000Ute Woltron
Der Standard

Elfenbeinturmhocker im Irrenhaus

Der Narrenturm, das absonderlichste historische Gebäude Wiens, wird zu einem Leuchtturm des Geistes und einem Museum des Wahnsinns umfunktioniert

Der Narrenturm, das absonderlichste historische Gebäude Wiens, wird zu einem Leuchtturm des Geistes und einem Museum des Wahnsinns umfunktioniert

Seit knapp zwei Jahren gehört das Gelände des Alten Allgemeinen Krankenhauses in Wien nicht mehr den Alten, Kranken und Siechen, sondern den Studenten. Die ausladenden Gebäudekomplexe aus dem 18. Jahrhundert zeigen sich säuberlich zu einem Uni-Campus saniert, über die frisch getünchten Höfe wieseln die Wissbegierigen von Hörsaal zu Beisl und wieder zurück.

Am Rande dieses flott belebten Geländes franst die Sanierung ein wenig aus, wird es stiller, und da und dort bröckelt noch der Putz. In einer dieser letzten, für den unbeteiligten Betrachter überaus idyllischer AKH-Hof-Biosphären wächst aus einer Unkrautgstätten ein eigentümliches rundliches Turmgebäude empor, das scheinbar nichts mit seiner kantigen Umgebung gemein hat: fünf Geschoße hoch, die schroffe Rustika-Fassade von regelmäßig angeordneten Schießschartenfensterchen durchbrochen, im Gesamteindruck seltsam breit und plump proportioniert, von kugelrundem Ringgrundriss, und alles in allem eine finsterliche Gefängnisatmosphäre verbreitend. Der Volksmund nennt dieses Ding seit Generationen seiner Napfkuchenform wegen respektlos „Guglhupf“.

Das feiste Turmgebäude ist eine erstrangige historische Spezialität: Es stellt das allererste Irrenhaus dar, das jemals explizit für besagten Zweck errichtet wurde, und entstand in den Jahren 1783/84 als das einzige heimische Architekturbeispiel für Revolutionsklassizismus. Als Architekten und Planer werden Isidor Canevale und J. Gerl genannt. Als Bauherr und Finanzier des Narrenturms tritt Kaiser Joseph II. höchstpersönlich auf, dem die Errichtung der Aufbewahrungsstätte für „theils verrückte, theils ganz sinnlose Personen“ einen tiefen Griff in seine Privatschatulle wert war. Im Zuge der immer noch voranschreitenden AKH-Sanierung soll das über zweihundert Jahre alte Gemäuer nun ebenfalls restauriert und einer neuen Nutzung zugeführt werden. Der Altrektor der Universität Wien, Wolfgang Greisenegger, in dessen Ägide die Umwandlung des Spitalsgeländes in einen Universitätscampus fiel, ist der Spiritus Rector der Idee, aus der ehemaligen Narrenburg ein „Synoptikum“, eine wissenschaftliche Austauschstätte erster Güte, zu machen.

Auf ringförmigem Grundriss reiht sich hier in jedem Geschoß hinter einem verwirrend eintönigen Ringgang eine Zelle neben die andere. In den bewegtesten Zeiten lebten hier bis zu 300 psychisch Kranke, eingesperrt und aufeinander gepfercht in 139 Einheiten zu je zwölf Quadratmetern. Sie alle öffnen sich als kleine Kreiszwickel, der Eingangstüre gegenüber liegt in Achse je ein Schlitzfenster. 28 dieser Irrenzellen gibt es pro Geschoß - eine Struktur, so Greisenegger, die sich trefflich dafür eignet, als „Think-Tower“ von einem summenden Bienenstaat miteinander kommunizierender Wissenschafter, Denker und Studenten bevölkert zu werden.

„Ich stelle mir ein wissenschaftliches Hochleistungszentrum vor“, sagt der Altrektor, „wie es in anderen Städten bereits existiert, wo alle modernsten Kommunikationsmöglichkeiten intern und extern genutzt werden, wo sich geistige Prozesse miteinander auch über Kaffee und Kuchen vernetzen.“ Den alten wissenschaftlichen Elfenbeinturmsitzer, sagt Greisenegger, gäbe es heute nicht mehr, dafür aber offene, lebendige Kontaktknotenpunkte, wo Nobelpreisträger und Studenten, internationale Professoren und interessierte Laien zum fruchtbaren Wissens- und Ideenaustausch aufeinander träfen. Eine solche Einrichtung wird von der Wiener Universität zurzeit noch schmerzlich vermisst.

Die vernetzte Zellengrundstruktur der Architektur, die um den symbolischen Schilling in Universitätsbesitz übergegangen war, ist bereits da. Einen entsprechenen Adaptierungsentwurf lieferte nun Architekt Carl Pruscha. Gemeinsam mit Sepp Müller hat der Rektor der Akademie der bildenden Künste einen Vorschlag ausgearbeitet, der am Bestand kaum kratzt und ihn mit einfachsten Mitteln benutzbar macht. Die einzelnen Zellen werden mit bescheidener, aber hochfunktionaler Meublage ausgestattet, die aus einem Kastenelement, einem Sofateil und einem Schreibtisch samt versenkbarem Terminal besteht. Die vormals blickdichten Türen werden verglast, so dass Tageslicht bis in die Ringgänge fallen kann. Zwischen diesen einzelnen - selbstverständlich intern und nach außen an jegliche Informationsnetze angeschlossenen - Denkerzellen befinden sich immer wieder Regenerationszellen.

Im ehemaligen Aufsehertrakt, der sich quer durch das Gebäude und seinen Kreismittelpunkt zieht, sind Sanitäreinrichtungen, Stiegenhaus und Gemeinschaftseinrichtungen untergebracht. Im ersten und im Erdgeschoß befindet sich ein über einen zusätzlichen neuen Eingang erschlossenes „Museum des Wahnsinns“. So bleibt der Narrenturm der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich, durch eine teilweise Öffnung der Decken werden Wissenschaft und Museum, das Lebendige und das Alte ebenfalls miteinander vernetzt.

Auch der Bebauungsvorschlag für das umliegende Gelände ist sanft und behutsam ausgefallen: Ein Kindergarten für Unipersonal und Studenten rahmt den Turm sozusagen mit begrünten, von den Kindern benutzbaren Dächern gegen Süden ein. Im Norden soll ein Restaurant entstehen. Noch im Frühjahr will man über den weiteren Projektverlauf entscheiden.

Im Moment gastiert jedenfalls noch die weltweit größte und wichtigste anatomisch-pathologische Sammlung diverser konservierter, teils fast 200 Jahre alter Menschenteile auf beengtem Raum im Narrenturm. Sie könnte unter Umständen bald Part eines großzügigen Museums zur Geschichte der Medizin sein, das all die über die Stadt verstreuten Medizin-Sammlungen im Josephinum einen würde.

Eine entsprechende Studie wurde vom Wissenschaftsministerium in Auftrag gegeben und von Museumsfachmann Dieter Bogner ausgearbeitet. Für ihn ist eine Übersiedelung der Pathologiesammlung, die allerdings dem Unterrichtsministerium untersteht, in ein adäquates Quartier eine Kostenfrage, für Altrektor Greisenegger eine wissenschaftliche Notwendigkeit: „Der Narrenturm eignet sich höchstens zur Ausstellung eines Kuriositätenkabinetts. Was die Museen anbelangt, brauchen wir eine großzügige Lösung, die europäische Bedeutung hat, sowie eine Studiensammlung, die wirklich wissenschaftlich arbeiten kann.“ Die Finanzierung des „Synoptikums“ könnte dann über eine Stiftung erfolgen. Greisenegger ist zuversichtlich: „Es wäre schön, wenn es würde.“

Der Standard, Sa., 2000.01.15



verknüpfte Bauwerke
Narrenturm – Pathologisch-anatomische Sammlung

15. Januar 2000Ute Woltron
Der Standard

Richterrotes Architektur(mani)fest

Endlich ist es gelungen, Helmut Richters Architekturen zwischen zwei Buchdeckeln einzufangen.

Endlich ist es gelungen, Helmut Richters Architekturen zwischen zwei Buchdeckeln einzufangen.

Mit Architekturbüchern verhält es sich folgendermaßen: Es gibt außerordentlich viele. Es gibt außerordentlich viele unnötige. Es gibt insbesondere ganz eindeutig zu viele über ganz besonders schlechte Architekten. Und es gibt oft ganz besonders gute Architekten, über die gibt es überhaupt keine Bücher - Helmut Richter ist bis diese Woche einer von ihnen gewesen. Richterrot wie die Lkw-Plane des Hauses Königseder, wie die Stiegenhäuser der Wohnanlage Brunner Straße und der Boden des Restaurants Kiang 2 liegt es nun vor, das Buch über den eigenbrötlerischen Ausnahmearchitekten und fortschrittlichsten Architekturlehrer der Technischen Uni Wien. Spät kommt es, und schön ist es geworden. „Helmut Richter. Bauten und Projekte“ verführt in handlicher Form und mit klarem Layout zum Durchwandeln der technisch so ausgefeilten, bis zum letzten Schrauberl durchkomponierten Richterschen Architekturwelten. Angefangen von ersten Möbelentwürfen wie das „Mobile Büro“ in Kofferform aus dem Jahr 1966 über kleinere, aber aufsehenerregende Projekte wie das nirostaspiegelnde „Bad Sares“ bis zu den Großbauten jüngeren Datums, etwa die Hauptschule am Wiener Kinkplatz und die Wohnanlage in der Brunner Straße, werden das gesamte gebaute Werk und die wichtigsten nicht verwirklichten Entwürfe und Wettbewerbsprojekte in diesem Band vorgestellt.

Das gezeigte Architekturwerk entstand in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren und dokumentiert den ziemlich verbissenen, ziemlich unerschrockenen und ziemlich erfolgreichen Weg eines Architekten, der ihn, von einer gnadenlosen Kompromisslosigkeit und einer gesunden Sturheit geleitet, über viele Stöcke und Steine, Magistrate, Obersenatsräte und andere Architekturhürden geführt hat.

Nicht nur Architekturstudenten werden sich über die sehr genaue Dokumentation der Gebäude inklusive vieler Detailpläne und Grundrisse freuen. Richter ist berühmt-berüchtigt für seine Detailgenauigkeit und -versessenheit, was Kollegen Peter Cook im Vorwort zum Buch zur Feststellung verleitete: „Es braucht einen neuen Begriff an Stelle des abgenutzten ,High-Tech', um eine kritische Nahtstelle im Architekturgeschehen der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zu bezeichnen: etwas wie ,Hand-tailored Tech'. Damit ließe sich das Werk von Helmut Richter und einigen anderen weltweit verstreuten Architekten treffend beschreiben.“

Am kommenden Dienstag, den 18. Jänner, gibt es um 22 Uhr eine Buchpräsentation, quasi ein Richterfest, im MAK-Lesesaal. Die Gäste begrüßen wird MAK-Hausherr Peter Noever, und Architektenkollege Günther Domenig, von einer ähnlichen Sturheit und Liebe zur in Gebäudeform gebrachten Materie beseelt wie Richter, wird zum Buch die sicher richtigen Worte finden.

Walter Chramosta (Text), Walter Bohatsch (Grafik), Helmut Richter. Bauten und Projekte; deutsch und englisch, öS 862,-/212 Seiten, Birkhäuser, Basel 2000.

Der Standard, Sa., 2000.01.15

08. Januar 2000Ute Woltron
Der Standard

Windnester und Pavillonatolle

Eine erste Vorschau auf die Ländergebäude der Expo 2000 in Hannover, die ihre Besucher ab Juni mit viel Holz, viel Natur und noch mehr Ökologie empfangen wollen.

Eine erste Vorschau auf die Ländergebäude der Expo 2000 in Hannover, die ihre Besucher ab Juni mit viel Holz, viel Natur und noch mehr Ökologie empfangen wollen.

Erst am 1. Juni dieses Jahres eröffnet in Deutschland die Expo 2000. Noch wird auf -dem weiträumigen Weltausstellungsgelände in Hannover gebuddelt, betoniert und geschraubt, doch ist es an der Zeit, einen ersten Blick auf die entstehenden Architekturen zu tun, mit denen die einzelnen Nationen in Form ihrer jeweiligen Länderpavillons ein halbes Jahr lang Millionen von Besuchern zu verblüffen beabsichtigen.

Soweit es Pläne, Computerrenderings und Architekturmodelle bisher verraten, wird auch diese Weltausstellung wieder einen überwältigenden Misthaufen der üblichen nichtssagenden Ethno-Kitsch-Streu präsentieren, in dem sich aber das eine oder andere Architektursamenkorn findet. Rund 200 Nationen gehen an den Expo-Start, nicht alle leisten sich diese Pavillonsolitäre. Viele Nationen treten mit bescheideneren Hallenbeiträgen auf.

So auch Österreich. Das Wiener Architektenteam Eichinger oder Knechtl hat der Republik eine intelligente multimediale Architekturlandschaft gewidmet, die im Gegensatz zu den nachgerade genannten Älplerauftritten der Vergangenheit in Sevilla oder Lissabon eine Wohltat an Fortschritt, Idee und Umsetzung darstellt. Wir werden Näheres berichten.

Doch nun zu den internationalen Pavillons: Soweit sich Architekturen, wie gesagt, über Papier, Modelle und Bilder vermitteln können, stechen einige Projekte deutlich vor. Am deutlichsten im Beitrag der Länderbeitrag der Niederlande. Sein Anblick brennt sich in Augenblinzelschnelle unauslöschlich ins Betrachtergehirn ein, und was lässt sich über Selbstpräsentationsarchitektur in der heutigen, die Gehirne höhlenden Eindrucksflut eigentlich Besseres sagen? Holland, das Land, das großteils in das Meer gebaut wurde, serviert den Expobesuchern seine markantesten Landschaften übereinandergestapelt auf einer fünfgeschossigen Architekturetagere. Das Gustieren beginnt auf dem obersten Tablett mit einer künstlichen Gegend aus Wasser und Windmühlen, wohin sich der Schaulustige zuerst per Lift verfügt, um in weiterer Folge durch artifizielle Wälder, Blumenschichten und Dünengegenden abzusteigen. Zuunterst kehrt er dann wieder auf den Asphaltboden der Expotatsachen zurück.

Holland nimmt mit diesem schnippisch-hochtechnologischen Landschaftsandwich das diesjährige Expo-Motto „Mensch, Natur und Technik“ einigermaßen wörtlich und macht sich selbst und seine dem Wasser abgerungenen Lande gleich in Häppchenform zum Beitrag. Die Gestalter des aufsehenerregenden Konstruktes sind die momentan bestbesprochenen Architektur-Querköpfe der Niederlande, Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries, in den vergangenen Jahren unter MVRDV zum Trademark für verblüffende, erfrischende und gewagte Architektur avanciert.

Xmal ist der nüchterne Schweizer Peter Zumthor zum Liebling der Architekturkritik erklärt worden, vor allem der ganz strengen, ernsten. Der Architekt hat seinerzeit das Handwerk des Möbeltischlers erlernt und bringt diese Kunst in Hannover nun großdimensional zur Anwendung. Er türmt 3000 Kubikmeter Massivholz von Lärchen und Föhren in rechten Winkeln zu einem 50 mal 60 Meter Block von neun Metern Höhe und füllt die diversen Gänge und Hohlräume, Höfe und Atrien (die durch die gekonnte Balkenschichtung mittels Stahlseilen und Schifthölzern als Abstandhalter entstehen) mit nichts anderem aus als mit Licht, Luft, Klängen und den Besucherströmen, die sich durch die Gebäudeskulptur wälzen werden. Die einzelnen Holzpfosten bleiben unbeschadet, sie können nach Abbau der begehbaren Skulptur - die heisst übrigens ein wenig hölzern und unsexy „Klangkörper Schweiz“ - wiederverwendet werden. Dieser handwerklich gekonnte und ökologisch verantwortungsvolle Beitrag hat seinem Autor Zumthor bereits vor Fertigstellung den Hiag-Holzpreis 99 eingebracht.

Einen ähnlichen offensichtlichen Öko-Ansatz verfolgt auch Japan mit seinem Pavillion, doch der präsentiert sich weit spektakulärer inszeniert und noch dazu zur Gänze aus Papier und Textil konstruiert. Als Architekt hat man hier Recyklierpapierspezialist Shigeru Ban verpflichtet, der mit der vermeintlich wert-und gehaltlosen Materie die erstaunlichsten Bögen zu spannen vermag. Die sind nicht nur konstruktiv intelligent, sondern auch wirtschaftlich interessant gemacht - im Auftrag der Vereinten Nationen entwarf Shigeru Ban etwa schnell errichtbare Billig-Notunterkünfte für Flüchtlinge aus standardisierten Papierrollen.

Die hannoveranische Behausung hat mit Bescheidenheit und Sparsamkeit allerdings nichts am Hut. Sie spannt sich als riesiges gekrümmtes Flächentragwerk auf 89 Metern Länge über 35 Meter Breite und überdeckt mit ihren textilbespannten Papierrippen eine mehrgeschossige Ausstellungshalle. Der Pavillon zählt zu den größten und sensationellsten der gesamten Schau, die Japaner werfen sich mit ihrem diesjährigen Beitrag besonders ins Zeug, weil sie den Besuchern die geplante Weltausstellung des Jahres 2005 schmack haft machen wollen: Die findet bei ihnen zuhause in Aichi statt.

Pappe- und Papierelemente des eleganten Konstrukts sind allesamt wiederverwertbar, sie werden nach Ende der Expo zu Papiermachee verarbeitet und dürfen als Zeitungen, Bücher, Toiletteartikel ihren Weg durch die Wohnzimmer der Menschheit fortsetzen.

Die ZERI-Foundation (Zero Emissions Research Initiative) setzt ebenfalls auf ökologisch sinnige Architektur, sie stellt ein riesiges Bambus-Holz-Schwammerl auf's Gelände und will unter anderem zeigen, dass der natürliche Werkstoff Bambus als Beton-Bewehrung dem Stahl gleichwertig sein kann, wenn er richtig eingesetzt wird. Und auch in Spanien, dem Land der Oliven- und Eukalyptusmonokulturen beteuert man neuerdings Ökodenken: Die Iberier verkleiden ihren Pavillonkubus rundherum mit Kork - dass der selbstver ständlich ebenfalls wiederverwertbar ist, versteht sich von selbst.

Einige Gestaltungs- beziehungsweise Themenelemente finden sich auf dem Gesamtgelände gleich ein paar mal. So grünt in den Pavillons der Franzosen und der Finnen je ein Wäldchen. Das eine hat sich die Pariserin Francoise-Hélène Jourda ausgedacht. Sie stellt ihre Rundholz-Baumkonstruktionen in einen durchscheinenden Glaskubus, versteckt alle erforderlichen Leitungen und Verkabelungen in den Stämmen und hält so einen schönen, stimmungsvollen Innenraum für ihren Auftraggeber, die Sportartikelfirma Decathlon, zur beliebigen Selbstdarstellung frei.

Die Finnen mögen es noch natürlicher. Sie transportieren gleich ein ganzes lebendes Birkenwäldchen an, durchziehen es mit Brücken und umbauen es mit der gediegenen handwerklichen und gestalterischen Qualität finnischer Holzarchitektur. Der Wald wird von zwei Scheiben vor Witterungsunbill geschützt, weshalb das Gebäude der Architektengruppe SARC, Sarlotta Narjus und Antti-Matti Siikala, „Windnest“ genannt werden darf.

Neben dem großzügigen Gebrauch von Hölzern und Wäldern ist es heuer ebenfalls in, mit viel Wasser und den sich dadurch ergebenden, so prächtig spiegelnden Flächen zu spielen. Ganze Pavillonatolle ruhen inmitten diverser Seen und Wasserozeane. Schweden zeigt sich etwa umwassert und auch die Southern African Development Community-Staaten, Kroatien und Dänemark, die karibischen Inselstaaten sowieso. Und Norwegen protzt gar mit einem 15 Meter hohen Wasserfall, durch den der Besucher einen „Raum der Stille“ betritt. Neben Naturgüter wie Holz und Wasser setzten die Teilnehmer zumeist auf High-Tech und Multimedia, doch über die Qualität der geplanten virtuellen Welten darf man naturgemäß erst nach der Expo-Eröffnung und nach dem Durchwandeln derselben urteilen.

Zu guter Letzt gibt es noch zwei Pavillonschlappen zu berichten. Die eine betrifft den Gastgeber Deutschland. Der hatte für sein Großgebäude zwar zwei Wettbewerbe ausgerufen, die beide hintereinander Architekt Florian Nagler gewinnen konnte, doch der stieg wegen ständiger Forderungen und Entwurfsänderungen schließlich entnervt aus dem Projekt aus. Gebaut wird nun in Windeseile der sehr stahlintensive, megatonnenschwere Entwurf des Investors Josef Wund. Und auch den Amerikanern ist nicht alles so gelungen, wie geplant. Sie brachten es zwar immerhin auf einen Pavillonentwurf, doch Sponsor wollte sich dafür keiner finden.

Ob die Jubiläums-Expo des Jahres 2000 die Architektur voranbringen wird, wird man erst sehen können, wenn alles eins zu eins fertiggestellt ist. Joseph Paxtons Kristallpalast in London, wo die allererste Weltausstellung 1851 stattgefunden hatte, ist jedenfalls ebenso in die Geschichte eingegangen wie Mies van der Rohes Deutschland-Pavillon für Barcelona 1928.

Der Standard, Sa., 2000.01.08

31. Dezember 1999Ute Woltron
Der Standard

Onduliert in den Kerker

Margarete Schütte-Lihotzky ist die wichtigste österreichische Architektin des ausgehenden Jahrhunderts. Im Jahr 1942 wurde sie von den Nazis zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Gefangene nahm den Schuldspruch mit prächtig onduliertem Haar entgegen. Sie hatte es tags zuvor im Gefängnis sorgfältig mit Papierröllchen eingedreht, denn die Freude wollte sie ihren „Mordrichtern“ nicht bereiten, dass sie geschlagen vor ihnen erscheine, „auch nicht in äusserlich“.

Margarete Schütte-Lihotzky ist die wichtigste österreichische Architektin des ausgehenden Jahrhunderts. Im Jahr 1942 wurde sie von den Nazis zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Gefangene nahm den Schuldspruch mit prächtig onduliertem Haar entgegen. Sie hatte es tags zuvor im Gefängnis sorgfältig mit Papierröllchen eingedreht, denn die Freude wollte sie ihren „Mordrichtern“ nicht bereiten, dass sie geschlagen vor ihnen erscheine, „auch nicht in äusserlich“.

Grete Schütte-Lihotzky, Kommunistin und Vorkämpferin für eine bessere, gerechtere Welt, NS-Widerstandskämpferin, nach dem Krieg als deklarierte Linke gebrandmarkt und jahrzehntelang vom offiziellen Österreich fast totgeschwiegen, wird im Jänner 2000 ihren 103. Geburtstag feiern - unerschüttert, ungebrochen und lebenslustig wie in jenen Jugendtagen, als sie in Paris mit Architektenkollegen wie Le Corbusier das Tanzbein schwang.

Als blutjunge Studentin bot sie ihren männlichen Kollegen Paroli in einer Zeit, in der man Mädchen lieber am Strickstrumpf sitzen sah als am Zeichenbrett. Das Mädel aus so genanntem gutem Haus debattierte abends mit Arbeitern bei Petroleumlampen an den Wirtshaustischen der Armenbezirke. Sie studierte die katastrophalen Lebens- und Wohnbedingungen der Menschen und setzte sich fürderhin zeitlebens für bessere Lebensumstände ein.


Früchte woanders

Frucht trug dieses Bemühen in der Sowjetunion, wo sie Schul- und Kindergartenanlagen errichtete, oder in Frankfurt, wohin die sozial engagierte junge Architektin 1926 geholt worden war und wo sie die Einbauküche erfand. Diese „Frankfurter Küche“ ist die wohl berühmteste Arbeit der Grete Schütte-Lihotzky.

Obwohl über hundert Jahre alt, tritt die große alte Dame der Architektur immer noch energisch für ein kluges, bewusstes und solidarisches Zusammenleben ein. Vor allem die Frauen, meint sie, müssten sich viel stärker untereinander verbünden, sich gegenseitig Arbeit abnehmen und auch lieber gemeinschaftlich, als jede für sich, auf die Kinder schauen. Die Stadt, das Wohnhaus der Zukunft sollte diesem Anliegen entsprechen und verstärkt auf Gemeinschaftseinrichtungen setzen.

Der Standard, Fr., 1999.12.31

24. Dezember 1999Ute Woltron
Der Standard

Die Engel fliegen in Spiralen, der Teufel nur geradeaus

Francesco Borromini war der Dekonstruktivist des Barock. Seine Architekturen scheinen zu singen, er selbst beging Selbstmord. Eine Ausstellung dokumentiert Leben und Werk des depressiven Barockgenies.

Francesco Borromini war der Dekonstruktivist des Barock. Seine Architekturen scheinen zu singen, er selbst beging Selbstmord. Eine Ausstellung dokumentiert Leben und Werk des depressiven Barockgenies.

Alles an dieser Kirchenfassade war falsch. Zum Beispiel die Türme. Sie begannen über dem Erdgeschoss viereckig, wie es sich gehört, doch weiter oben endeten sie rund. Dazwischen ein eigenartiges Gesimse mit Schwüngen und Auskragungen. Oder die Seitenportale. Die umgab eine besonders seltsame Einfassung, die sich bis über die ovalen Fenster darüber stülpte. Aber all das war nichts im Vergleich zum gesamten Aufbau der Angelegenheit, denn die Fassade krümmte und bog sich wider jeder Architekturgesetzmäßigkeit. Die Bürger Roms des Jahres 1653 staunten. War so etwas schon da gewesen?

Nein, war es nicht. Ein gewisser Francesco Borromini hatte der Piazza Navona gerade eine Kirche verpasst, wie sie Gott und die Welt noch nicht gesehen hatten. Die einzelnen Architekturelemente, Säulen, Gesimse, Pfeiler, Kuppeln, die sich hier zum Gotteshaus der Santa Agnese verklärten, waren bekannt. Die Baumeister der Antike hatten sie erfunden, die Künstler der Renaissance wieder ausgegraben und nach dem Verständnis ihrer Zeit raffiniert. Doch nun, hundertfünfzig Jahre später, war der Tessiner Baumeister und Bildhauer Borromini (1599-1667) dahergekommen, hatte all das in die Luft gesprengt und in locker leichter Komposition wieder herniederrieseln lassen.

Seine Zeitgenossen standen dem üppig-extravaganten, reich geschwungenen und verzierten Werk des Meisters meist zweifelnd gegenüber. Der Begriff „Barock“ war noch nicht erfunden; was man hier sah, war die extreme Ausformung einer neuen Strömung, die gerade im Begriff war, ganz Italien zu erfassen. Die Wohlwollenderen versuchten zu verstehen, die Bösartigeren zerrissen sich das Maul, und die meisten zogen dem - angeblich - verschlossenen, depressiven Finsterling Borromini seinen diplomatisch geschliffenen Erzkonkurrenten Lorenzo Bernini vor.

Bernini! Der Sargnagel des Borromini. Sie beide buhlten im Rom des 17. Jahrhunderts um die Gunst der Päpste und deren wohlgefüllte Schatullen. Bernini, der Geschicktere der beiden, gewann. Aus den ehemaligen Freunden wurden Feinde. Bernini durfte mit den Kolonnaden auf dem Petersplatz das Hauptwerk des Italienischen Barock schaffen. Borromini, der räumlich wahrscheinlich Talentiertere von beiden, auf jeden Fall aber der Belesenere, Gebildetere und Extremere, fühlte sich verkannt und beging 1667 Selbstmord, indem er sich in sein Schwert stürzte. Eine griechische Tragödie vor der Kulisse katholischer Üppigkeit des 17. Jahrhunderts.

Vor seinem Freitod hatte der missachtete Avantgardist sorgfältig alle Pläne, Skizzen und Architekturzeichnungen verbrannt, die er in seinem Haus über dem Tiber aufbewahrt hatte. Zum Glück für die Nachwelt handelte es sich dabei nur um einen geringen Teil seines zweidimensionalen Baumeisterwerks. Viele Skizzenblätter Borrominis blieben erhalten, der Großteil davon lagert heute wohlbehütet in der Graphischen Sammlung der Albertina in Wien. Anlässlich des Jubiläumsjahres - der Barockarchitekt wäre heuer im September 400 Jahre alt geworden - reiste dieser Skizzenschatz nun nach Rom zurück, wo er seit vergangener Woche im Rahmen einer großangelegten Borromini-Ausstellung im Palazzo delle Esposizioni gezeigt wird.

Die Schau „Borromini und das barocke Universum“ ist noch bis 21. Februar kommenden Jahres geöffnet und versucht, das Phänomen Borromini anhand seiner Zeit und seiner Zeitgenossen zu erfassen. Zu sehen sind nicht nur rund 250 Originalzeichnungen des Architekten, sondern auch Architekturmodelle, 1:1-Abgüsse, Porträts und eine Vielzahl dreidimensionaler Computerzeichnungen, die dem Betrachter die kühnen Raumkonstruktionen und Raumabfolgen gebauter, aber auch unausgeführter Projekte Borrominis näherbringen wollen. Alte Architektur wird hier mit hochmodernen Mitteln aktuell aufbereitet.

Im April 2000 wird die Ausstellung nach Wien übersiedeln, wo sie bis 25. Juni in der Albertina zu sehen ist. Parallel dazu findet eine Reihe von Forschungsaktivitäten statt, die das Werk dieses seltsamen, nur mangelhaft dokumentierten und so schwer zu greifenden Künstlers zum Zentrum haben.

Am Leben Borrominis und seinen symbolreichen, verschlüsselten Gebäuden kiefeln bereits Generationen von Kunstgeschichtlern. Im Gegensatz zu Bernini, dessen Vita als Leiter der Bauhütte von St. Peter und somit wichtigster Architekt Roms fast lückenlos dokumentiert ist, weiß man über Borrominis Lebenslauf nur Ungenaues. Fest steht, dass er am 27. September als Francesco Castelli in Bissone am Luganersee geboren wurde. Ob sein Vater allerdings wirklich als Architekt im Dienste der Visconti in Mailand stand, wie Borromini später angab, oder ob er sich doch eher als Wasserbautechniker verdingte, ist nicht gesichert. Wie auch immer - Borromini entstammte jedenfalls einem Geschlecht von Steinmetzen und Bildhauern, und als solcher wurde auch er ausgebildet.

Mit neun Jahren kam er zu diesem Zweck an die Dombauhütte von Mailand, mit Zwanzig reiste er zur wohl wichtigsten Bildhauerwerkstatt seiner Zeit, zur Bauhütte von St. Peter in Rom. Die leitete sein Verwandter Carlo Maderno, und unter dessen Führung arbeitete der junge Borromini Hand in Hand mit dem jungen Bernini am Palazzo Barberini sowie am Baldachin von Sankt Peter. Doch nicht Borromini, sondern Bernini beerbte den Meister der Bauhütte, und ein lebenslanger erbitterter Konkurrenzkampf begann. Die wichtigsten Auftraggeber der damaligen Zeit waren naturgemäß die Päpste. Der regierende Kirchenfürst Papst Urban VIII. Barberini favorisierte Bernini.

Erst 1644, als ihm Papst Innozenz X. Pamphilij nachfolgte und Borromini zum Günstling erklärte, brach dessen goldenes Zeitalter an. Er wurde mit dem Umbau von San Giovanni in Laterano beauftragt und entwarf ein ganzes Gebäudeensemble für den Papst an der Piazza Navona, von den Römern rasch „Forum Pamphilium“ genannt.

Eines der wohl wichtigsten Werke Borrominis stammt ebenfalls aus dieser Zeit: Die Kirche von Sant'Ivo alla Sapienzia schließt mit einer extrem komplizierten Kuppelkonstruktion ab, über der sich eine spiralförmige Laterne in den Himmel schraubt. Was, fragen sich Kunsthistoriker seit Jahrhunderten, wollte er uns damit sagen? Handelt es sich um eine Anspielung auf die geschraubten Säulen des Tempels Salomos, ist es ein Zitat des Turmes von Babel? Und welche Rolle spielt die Heiliggeisttaube in der Mitte? Die Bedeutungen der vielen Symbole, mit denen Borromini seine hochkomplizierten, die ausführenden Baumeister zur Verzweiflung bringenden Konstruktionen bestückte - von der wie nebenbei angebrachten Eidechse über kecke Eselsohren bis zum herausfordernd emporgereckten Phallus - werden sich wohl nie mehr vollends offenbaren.

Als 1655 Alexander VII. Chigi zum Papst gewählt wurde, war Borrominis kurze Hochzeit vorbei. Erzrivale Bernini übernahm wieder die Macht um die Stellung als wichtigster Architekt der Christenheit, Borromini blieben die Brosamen privater Stifter und adeliger Auftraggeber. Er verkraftete die Demütigungen nicht und brachte sich schließlich um.

Für die Nachwelt bleibt er rätselhaft. „Krankhaft“ nannte ihn die klassische Kunstgeschichte, „wunderlich“, „ungewöhnlich“ und von „lästiger Unklarheit“. Warum, das liegt auf der Hand: Borromini verstieß gegen Konventionen, brach mit Theorien, sprengte die Architektur zu einer neuen Form. Heute gilt er als wichtigstes Barock-Vorbild des mitteleuropäischen Raumes. Doch so geht es meistens in Kunst und Architektur. Die Wilden, Ungezähmten, die Vordenker werden erst verspottet und gehöhnt. „Die Engel“, hatte Hildegard von Bingen gesagt, „fliegen in Spiralen, der Teufel nur geradeaus.“

Der Standard, Fr., 1999.12.24

18. Dezember 1999Ute Woltron
Der Standard

Die Welt ist überfüllt von schlechtem Design

Designer und Architekt Paolo Piva über die Zukunft des Designs, die Zukunft des Designers und sein neues Arbeitsmittel Computer. Ute Woltron sprach mit ihm.

Designer und Architekt Paolo Piva über die Zukunft des Designs, die Zukunft des Designers und sein neues Arbeitsmittel Computer. Ute Woltron sprach mit ihm.

Standard: Die vergangenen Jahrzehnte haben uns einen Designboom beschert. Wo steht die Disziplin heute?

Paolo Piva: Das Design der 60er-, 70er- und 80er-Jahre war großteils von Architekten beherrscht und dadurch vom Konzept von Form und Funktion. In den 80er-Jahren ist man davon wieder abgekommen. Plötzlich war Design wieder alles. Das hat zu einer gewissen Banalität geführt. Die Zukunft des Designs muß also der Versuch sein, die Disziplin wieder zu präzisieren.

STANDARD: Wie könnte das vor sich gehen?

Paolo Piva: Hilfestellung könnte vor allem die Industrie dabei geben. Die zwei Technologiemotoren sind die Waffenindustrie und die Chemische Industrie. Sehen sie sich die Komplexität eines Stealth-Bombers an. Mit den hier entwickelten neuartigen Materialien wären hochinteressante Wohnkonzepte möglich. Auch die neuen Stoffe, die den Forschungen der Chemischen Industrie entstammen, haben großen Einfluss auf die Wohnkultur gehabt. Letztlich ist Design Verantwortung was Ökologie und Ökonomie der Mittel anbelangt, sobald ein Objekt in großen Auflagen produziert wird. Man kann nicht nur entwerfen um zu entwerfen. Nicht ein Mangel an Design ist das Problem, sondern das Gegenteil. Wir sind von schlechtem Design überschüttet.


Neues Bewusstsein

STANDARD: Was verstehen Sie unter schlechtem Design?

Paolo Piva: Das ist die unendliche Wiederholung derselben Suppe. Das Design der Zukunft muss sich auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren und darf nicht mehr die Wiederholung der Wiederholung sein. Der Beruf braucht ein neues Bewusstsein, einen tieferen Kontakt zu dem, was er tut.

STANDARD Betrifft das ausschließlich Produktdesigner?

Paolo Piva: Dieselbe Gefahr besteht natürlich auch in der Architektur. Ich trenne diese Disziplinen nicht, weil sie beide nach dem selben Mechanismus funktionieren. Natürlich ist Architektur nicht in großer Serie wiederholbar, aber Details sind es leider Gottes doch. Es wär sehr schade, würden sich irgendwann einmal dieselben Städte auf der ganzen Welt ständig wiederholen.

STANDARD: Wie und mit welchem Instrumentarium wird der Designer künftig arbeiten?

In den 90ern wurde das Konzept banalisiert, Design wurde sehr einfach. Es ist heute oft das Proukt eines Renderings, aber nicht das Resultat eines sorgfältigen Entwurfswegs. Der Computer ist Zukunft und Grenze zugleich. Er produziert sehr rasch ein Bild, das sofort befriedigt. Doch diese Sofortbefriedigung birgt die Gefahr der Banalisierung. Es ist etwas anderes, wenn man an ein Produkt durch konsequente Prototypisierung herangeht. Der Computer kann ein guter Freund sein, er kann aber auch ein Feind sein, w eil er eine Beschleunigung verschafft, die nicht immer angebracht ist. Trotzdem ist er natürlich eines der zentralen Mittel der neuen Designer. Doch als Instrument und nicht mehr, sonst laufen wir Gefahr, dass irgendwann einmal alles gleich aussieht.

STANDARD: Das Computerdesign wird so ablesbar wie die Computerarchitektur?

Paolo Piva: Natürlich, man kann sofort sehen, mit welchen Programmen die Entwürfe gemacht sind. Der Mensch wird Sklave seines Werkzeugs? Gute Architektur und gutes Design sind Resultate eines langen, wohldurchdachten Entstehungsprozesses und nicht eines Computerentwurfs oder einer Skizze. Das reicht nicht. Auch eine Stadt muß wachsen. Wenn man ihr diese Möglichkeit nimmt, dann verarmt unsere Umgebung, dann bewegen wir uns nur noch in virtuellen Welten.

STANDARD: Wie wird der Entwerfer mit seinem Arbeitsmittel also künftig umgehen?

Paolo Piva: Das erste Material des Designers ist seine Erfahrung. Je tiefer man in der Analyse geht, desto besser und neuer wird das Produkt. Ich hoffe, dass die Zukunft einer Banalisierung dieses Prozesses entgegensteuert, denn im Design und in der Architektur ist es ein bisschen so wie in der Kunstszene. Da gibt es ein paar Standardmoves, die macht man, und dadurch wird man ein Künstler. Allerdings ist man dadurch keineswegs automatisch ein guter Künster.

STANDARD: Was zeichnet den guten Designer der Zukunft aus?

Paolo Piva: Er hat Respekt vor der Vergangenheit, vor den großen Veränderungen dieses Jahrhunderts, und er hat die Vision einer möglichen positiven Zukunft. Aus diesem riesigen Materialkampf werden die Ideen entstehen.

STANDARD: Welche Aufgabengebiete werden vorrangig sein?

Paolo Piva: Präzise ökologische Denkweise wird Priorität haben. Das ist die zukünftige Entwurfwissenschaft. Gleichzeitig werden Materialien ganz präzise genutzt werden, wie etwa Holz, mit dem man künftig sparsam umgehen wird. Holz ist ein wunderschönes Material, das aber dort eingesetzt werden soll, wo man nicht riesige Mengen braucht. Überhaupt sollte sich das Design der Zukunft auf jene Themen konzentrieren, die für den Menschen wirklich notwendig sind und nicht in Parallelthematiken vertiefen, die viel Energie wegne hmen und nichts geben.

STANDARD: Gibt es ein Design, das Ihren besondern Unwillen erregt?

Paolo Piva: Man sieht es einem Objekt sofort an, ob es gelungen ist, oder nicht. Es ist gelungen, wenn es nicht mehr und nicht weniger vorgibt zu sein, als es ist.

STANDARD: Wie werden dabei Industrie und Designer zusammenarbeiten?

Paolo Piva: Sie müssen eine Symbiose eingehen, sich gegenseitig herausfordern. In dem Moment wo diese Symbiose funktioniert, wo es auch Respekt zwischen den beiden gibt, haben Sie die neue Definition dieses Berufes. Dabei ist dieser gegenseitige Respekt ein ganz wichtiger Faktor.

STANDARD: Ist eine solche Zusammenarbeit aber nicht schon lang der Fall?

Paolo Piva: Wir sind erst auf dem Weg dorthin. Wo es bereits jetzt gelungenes Design gibt, dort existiert auch schon diese Symbiose.

STANDARD: Was hat Design den vergangenen hundert Jahren gebracht?

Paolo Piva: Das vergangene Jahrhundert hat die Definition eines neuen Berufs gebracht, der vielleicht immer präsent war, sich aber in den letzten hundert Jahren zu einer neuen Disziplin entwickelt hat. Heute ist der Designer eine erkennbare Figur. Das hat viele Positivaspekte, doch zugleich hat eine falsche Interpretation dieses Berufes zu Plagiatbildung und unendlich vielen langweiligen Wiederholungen geführt. Unsere Welt ist ein wenig überfüllt mit schlechtem Design, davon müsste man ein bisschen wegnehmen.

STANDARD: Wie zum Beispiel?

Paolo Piva: Nehmen sie die Autoindustrie her. Früher gab es ein paar Automarken mit jeweils ein paar Autotypen. Heute gibt es eine enorme Anzahl verschiedener Unternehmen mit einer noch gewaltigeren Zahl von Typen. Man fragt sich wirklich, wie das weitergehen soll.

STANDARD: Wozu es vor allem dient.

Paolo Piva: Ja, wenn man bedenkt, dass ein alter VW-Käfer eigentlich schöner war als der neue, beginnt man die Notwendigkeit zu hinterfragen, warum man eigentlich einen neuen machen musste. Scheinbar braucht die welt dieses tempo, aber man kann doch nicht nur produzieren um zu produzieren. Man sollte schon vorher wissen, was für welche Menschen, für welche Notwendigkeiten hergestellt werden soll.

STANDARD: Sie meinen also, die Designmenge müsse zurückgehen, die Designqualität sich dafür verbessern?

Paolo Piva: Genau das ist der Kern: Weniger designen, aber dafür präzise. Daraus ergibt sich automatisch Respekt vor Nutzung und Material und man schadest seinem Kosmos nicht.

STANDARD: Sehen Sie ein bestimmtes Feld das besonders des Designers bedarf?

Paolo Piva: Nur ein verschwindender Prozentsatz der Bevölkerung ist überhaupt an Design interessiert. Ich glaube, dass es wichtig wäre, die Konsumenten dazu zu erziehen, zu erkennen, was gut und was schlecht ist. Heute kaufen die Leute schlechte Produkte die von guter Werbung vermarktet werden. Diese Diszipline sollten zusammenarbeiten, denn es ist wichtig, dass die Menschheit in eine Richtung geht, und nicht in tausend.

STANDARD: Wer sollte hier aber als Erzieher auftreten?

Paolo Piva: Die Medien. Die müssen endlich verstehen, dass ihr Publikum nicht aus Dummen besteht. Die Ausstattung der TV-Ambiente ist oft ungeheuer bieder, nur weil man meint, mit extravaganterem Design die Zuseher zu überfordern. Die Medien, Radio, TV, Zeitungen, sie alle sollten die Latte wirklich ein wenig höher legen, damit ein bisschen mehr Kultur aufkommen kann.

Der Standard, Sa., 1999.12.18

12. Juli 1999Ute Woltron
Der Standard

Verlorener Sohn. Wiedergewonnen.

Der Wiener Rudolf Schindler war einer der wichtigsten Architekten dieses Jahrhunderts, was sich allerdings nur in den USA manifestieren konnte.

Der Wiener Rudolf Schindler war einer der wichtigsten Architekten dieses Jahrhunderts, was sich allerdings nur in den USA manifestieren konnte.

Ausgewandert. Vergessen. Wiederentdeckt: 1914 verließ der damals 26jährige Rudolf Michael Schindler Österreich, um dem neuen Bauen auf der anderen Seite des Ozeans näher zu sein und um als Architekt in Amerika seßhaft zu werden. Als Schindler 1953 in Los Angeles starb, hinterließ er ein reiches Lebenswerk von über 150 gebauten Objekten, bei denen es sich großteils um sorgfältigst maßgeschneiderte Einfamilien- und Apartementhäuser handelt.

Hier in Österreich blieb der Loos-, Wagner-und Frank Lloyd Wright-Schüler eine völlig unbekannte Größe, und das sollte auch bis in die 80er Jahre, dem Jahrzehnt der Entdeckung des ausgewanderten großen Sohnes der Heimat, so bleiben. Mittlerweile wird Schindler auch hierzulande als einem der wichtigsten Vertreter der (amerikanischen) Moderne gehuldigt, was sich unter anderem in einer Vielzahl neuerer Publikationen über den stilprägenden Architekten niederschlägt.

Soeben hat ein weiterer Hommagen-Band das Licht der Buchläden erblickt. Er heißt schlicht R. M. Schindler, erscheint im Verlag Taschen (1999), kostet öS 299,- und rann seinem Autor James Steele flüssig, gut lesbar, kompetent und sehr unterhaltsam aus der Feder. Ein nicht allzu akademisches und gerade deshalb informatives Architekturbuch, das die Objekte dank neuer Aufnahmen in ihrem Momentanzustand präsentiert und auch mit Original-Planmaterial zur Zusatzinformation nicht geizt.

Der Standard, Mo., 1999.07.12

10. Juli 1999Ute Woltron
Der Standard

Jugendlicher Klassiker. Endlich übersetzt.

Warum mußten eigentlich zwanzig Jahre verstreichen, bis Rem Koolhaas Delirious New York auf Deutsch erscheinen durfte?

Warum mußten eigentlich zwanzig Jahre verstreichen, bis Rem Koolhaas Delirious New York auf Deutsch erscheinen durfte?

Der Verlag ARCH+ in Aachen bringt nicht nur besonders interessante Architekturzeitschriften auf den Markt, er erfreut seine treue Stammleserschaft auch immer wieder mit architekturpublizistischen Schmankerln, die offenbar sonst weit und breit kein anderer Verlag hervorzubringen vermag. So warfen die Spezialisten etwa vor einiger Zeit eine Sammelmappe mit allen Vorlesungen des Berliners Julius Posener zur unbändigen Freude all jener auf den Markt, die den unnachahmlichen Witz und Esprit und die reiche Fachkenntnis des schrulligen Architekturprofessors zu schätzen wissen.

Nun erreicht uns die freudige Botschaft, daß der Verlag ein weiteres Wohl in die Tat umgesetzt und das wahrscheinlich abartigste und einflußreichste Architekturbuch der vergangenen Jahrzehnte übersetzt hat: 1978 war Delirious New York bei Rizzoli, New York, erstmals erschienen, seinen Autor, einen gewissen Rem Koolhaas, kannte damals kaum jemand. Heute gilt der Holländer als einer der schärfsten und unbarmherzigsten Vordenker der Architekturszene. Der Journalist, der zum Architekten wurde, hat in seinem Buch versucht, dem „Manhattan-Raster“ zu entsprechen. Er meint: „Es ist eine Ansammlung von Blocks, deren Nähe und Nebeneinander ihre jeweiligen Bedeutungen verstärkt.“ Viele Blocks machen eine Stadt, und Delirious New York zeichnet völlig unkonventionell die Geschichte der Metropole anhand ihrer baulichen Entwicklung nach.

Koolhaas nimmt seinen Leser bei der Hand und durchwandelt mit ihm Coney Island genau so wie das Empire State Building. Er vollzieht „Die Besiedlung der Lüfte“, „Die Geschichte des Pools“ und das Leben in Blocks wie dem Waldorf-Astoria nach. Dabei geht es ihm aber eben nicht nur um die Art und Weise, wie Ziegel geschichtet und Stahlträger miteinander verbunden werden, sondern um die Bewohner und Erschaffer der Architekturen, um die komplizierte Biosphäre, in der das Gebilde Stadt sich herauskristallisiert. Sichtbar ist der Haufen, doch die Ameise hat ihn produziert. „Der Manhattanismus“, sagt Koolhaas deshalb, „ist die urbanistische Doktrin, die unversöhnlichen Gegensätze zwischen einander ausschließenden Positionen aufhebt. Um seine Theoreme in der Realität des Rasters Gestalt annehmen zu lassen, bedarf er eines menschlichen Repräsentanten.“

Den findet er etwa in Person des Raymond Hood, der die Vision eines Manhattan als „Stadt der Türme“ erst hegt und dann umsetzt. Der Architekt baut dabei nicht nur in die Höhe, er macht sich auch Gedanken über die Volumina der Blocks und der Straßenräume, also über das größere Ganze, das gute Architekten genau so im Visier haben wie einzelne Räume und andere Kleinigkeiten.

Architektur als Prozeß - das klingt heute unverdienterweise ein bißchen nach Schlagwort, doch der Koolhaassche Ansatz ist zurecht in den Architekturtheoretikerwortschatz eingegangen. Der Holländer, der so glasklar formuliert und so unbarmherzig konstruiert, hat vor wenigen Jahren mit dem Buch S, M, L, XL ein vielbeachtetes Nachfolgewerk publiziert, in dem er -nunmehr erfolgreicher Architekt - konkret auf seine persönliche Arbeit und ihre unterschiedlichen Dimenstionen eingeht. Eine spannende Angelegenheit. Jedoch architekturtheoretisch bei weitem interessanter und auch nach zwei Jahrzehnten erfrischend neu und um vieles saftiger als das übliche Theoretikertrockenfutter ist der Erstling Delirious New York geblieben. Wen der nicht gerade anspruchslose, weil vom literarisch geschulten Koolhaas gehörig gefeilte englische Text abgeworfen hat, der darf sich jetzt per Deutschfassung durch Manhattan und damit auch die Geschichte der bauenden Ameise Mensch geleiten lassen. Delirious New York, Verlag ARCH+, öS 569,-.

Der Standard, Sa., 1999.07.10

10. Juli 1999Ute Woltron
Der Standard

Architektur der Zukunft. Nacherzählt.

Der Holländer Hans Ibelings ruft nun die Supermoderne aus

Der Holländer Hans Ibelings ruft nun die Supermoderne aus

Die Architektur bedarf der Propheten und Theoretiker, und das Schöne an dieser wilden Disziplin ist, daß alle mit ihren freundlichen oder bissigen, besonnenen oder wütenden Theorien immer irgendwie recht haben. Charles Jencks zum Beispiel hat 1977 mit dem Buch The Language of Post-Modern-Architecture als erster die Postmoderne, die wohl populärste - heute allgemein allerdings nicht mehr sonderlich goutierte und deshalb extrem kurzlebige - Architekturströmung der vergangenen Jahrzehnte ausgerufen. Er hat sie damit freilich nicht erfunden, denn auch die Architektur scheint wie Finken- und Affenarten unaufhaltsam nach den Gesetzen der Evolution über alle Grenzen hinweg in ähnlichen, verwandten Ausformungen zu wachsen und zu gedeihen.

Der Holländer Hans Ibelings ist einer dieser Rufer in der Szene der Architektur. In der Publikation Supermodernism. Architecture in the Age of Globalization, erschienen bei NAi Publishers (Netherlands Architecture Institute, Rotterdam, 1998) macht er sich Gedanken über den Einfluß der Globalisierung auf die Weltarchitektur und kommt zu dem Schluß: Obwohl ihr allgemein die Negativtendenz der Gleichmacherei und der unerwünschten allgemeinen Homogenisierung der menschlichen Lebenswelt nachgesagt wird, gerate sie der Architektur eindeutig zum Vorteil und habe - zum Beweis - in den vergangenen Jahren weltweit eine ganz spezielle neutrale Superarchitektur produziert.

Ibelings untermauert seine haarfein herbeiargumentierten Thesen natürlich mit allerhand Beispielen. Er geizt auch nicht mit den Namen der momentan Großen der Branche, doch ordnet er keinen Architekten der von ihm ausgerufenen neuen Strömung direkt unter. Im Gegenteil: Sie alle, ob Rem Koolhaas oder Jean Nouvel, Dominique Perrault oder Herzog & De Meuron, sind individueller Teil des ausgerufenen Supermodernismus-Ganzen und beweisen es durch ihre Unabhängigkeit und ihren jeweiligen Individualismus.

Ibelings Supermodernism ist ein sehr unterhaltsam geschriebenes kleines Buch über die Architektur, die da ist und die Architektur, die da kommen mag. Es hält sich nicht bei belanglosen Formalismen auf, sondern beschreibt das Häuserbauen in seinen gesellschaftlichen Grundfesten. Das wird nicht nur die Fachleute interessieren, und das ist genau der Grund, warum die Propheten und die Theoretiker dieser wilden Disziplin Architektur so wichtig sind

Der Standard, Sa., 1999.07.10



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26. Juni 1999Ute Woltron
Der Standard

Großstadtkulturflaneur

Ein Buch präsentiert Otto Kapfinger als Redner über Architektur. Er ist dabei erholsam unakademisch.

Ein Buch präsentiert Otto Kapfinger als Redner über Architektur. Er ist dabei erholsam unakademisch.

Otto Kapfinger lebt in Wien und ist vor allem Architekturpublizist, Ausstellungskurator und Mitglied diverser mit Architektur befaßter Gremien. Gelegentlich hält er aber auch Reden und Ansprachen zu gewissen Anlässen, Jubiläen oder Belobigungen von Architekten. Diese verbalen und somit flüchtigen Architekturkritiken wurden nun vom Architektur Zentrum Wien gesammelt und in gebündelter Form auf den Markt gebracht: Das sehr sorgfältig gestaltete Buch „Otto Kapfinger. ausgesprochen. Reden zur Architektur“ ist gerade im Verlag Anton Pustet erschienen und um 290,- Schilling zu haben.

Kapfinger gilt als einer der ersten, die in der Nachfolge Friedrich Achleitners vernünftig und fundiert über Architektur schrieben, und er ist sich der Schwierigkeit der Architekturvermittlung wohl bewußt. So eine Art „Transmissionsriemen“ sei der Architekturkritiker im besten Fall, also einer, der zwischen Architekten, Bauherren und interessierten Laien vermitteln könne.

Um das zu bewerkstelligen, um die Kraft ordentlich zu übertragen, den Funken überspringen zu lassen, bedürfe es einer Sprache fern jeglichen Fachjargons. Und Kapfinger beherrscht die Kunst des einfachen Erklärens gut. Seine Texte - und die hier publizierten Ansprachen - sind zwar beileibe nicht einfach, aber durchwegs wohltuend unakademisch und auch dem Nicht-Fachmann verständlich. Abgehandelt werden etwa Leben und Werk der Zeitgenossen Günther Domenig, Hermann Czech, Wilhelm Holzbauer, Johann Georg Gsteu und der beiden großen alten Damen der österreichischen Architektur, Anna Lülja Praun und Margarete Schütte-Lihotzky.

„Wer war der bessere Architekturkritiker?“ fragt Kapfinger im Zuge des Kapitels „Im Sprachraum - Schreiben über Architektur“, „Siegfried Giedion oder Jacques Tati?“ Und wer wäre der „ideale Schreiber über Architektur?“ „Einer/eine, der/die wohl das ganze Metier gelernt hätte, das Fachidiotentum aber über Bord geworfen, zumindest ins Unbewußte verdrängt hätte und erst von dieser ,tabula rasa' aus wirklich frei wäre, über eine immer wieder nur fachimmanente Sicht hinauszukommen und aus architekturfremden Erfahrungsbereichen ganz andere Fragen, ganz andere Forderungen an die Architektur zu stellen?“

Jacques Tati durchmißt im Film „Playtime“, zu deutsch „Herrliche Zeiten“, jedenfalls die modernen französischen Stahl-Glas-Architekturen wie einer, der über, unter und durch Rohe-Eier-Galerien tappt. Sehr zerbrechlich, sehr gefährlich wirkt die Angelegenheit. „Jedes Ding, jede Architektur ist ein Kriminalroman“, sagt Kapfinger. Aber lesen Sie doch selbst!

Der Standard, Sa., 1999.06.26



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Ausgesprochen. Reden zur Architektur

26. Juni 1999Ute Woltron
Der Standard

Der teure Boden unter den Fundamenten

Geld regiert - auch die Welt von Gestern, was Denkmalen nicht eben zum Schutze gereicht

Geld regiert - auch die Welt von Gestern, was Denkmalen nicht eben zum Schutze gereicht

Nein, nein - noch ist nichts passiert: Das hier abgebildete schöne Haus Buchroithner vom großen alten Lois Welzenbacher steht unversehrt in Zell am See. Es ist ein wenig sanierungsbedürftig, ansonsten topfit und soll jetzt verkauft werden.

Noch gehört das Haus, ein vielgerühmtes sogenanntes „Architekturjuwel“, der Post und ist somit, wie übrigens jedes öffentliche Gebäude in Österreich, nach §2 des Denkmalschutzgesetzes vor Unbill abgesichert.

Unversehrte Welzenbacher-Häuser sind rar geworden. In Seenähe gelegene Grundstücke ebenfalls. Was, wenn ein potentieller Käufer weniger die klassische Architektur der Moderne und mehr den Baugrund unter deren Fundamenten im Auge hat? Die umliegenden Grundstücke, so argwöhnen mißtrauische, ihren Welzenbacher eifersüchtig bewachende Zell-am-Seer, wurden in den letzten Jahren bereits von einer Wohnbaugesellschaft aufgekauft. Was der nun noch fehle, um eine ordentliche Siedlung zu errichten, sei das Filetstück mit dem Welzenbacherhaus in der Mitte. Die Wohnbaugesellschaft, der wir natürlich nichts Böses unterstellen wollen, hat sich bereits als einer der Interessenten für die Latifundie bei der Post-Immobilienverwaltung in Linz gemeldet.

Auch das Bundesdenkmalamt hat prompt ein wachsames Auge aufgetan und ein Unter-Schutzstellungsverfahren nach $3 eingeleitet, das den Denkmalschutz auch gewährleisten wird, wenn sich das Haus demnächst in Privatbesitz befinden sollte. Doch was nützt das wirklich, wenn ein finanzkräftiger Immobilienhai auftritt? Gar nichts. Wer das Haus abreißen und durch lukrativeres Investment wie moderne Wohnungen dicht an dicht ersetzen will, der hat die dann fällige Geldstrafe längst einkalkuliert. Das Bundesdenkmalamt würde Anzeige erstatten, die Gerichte würden ihm auch sicher rechtgeben, das Haus wäre trotzdem hin. Der - teure, unbequeme - Schutz von Denkmalen ist nicht allein durch Paragraphen zu bewerkstelligen, die können nur unterstützen. Der Umgang mit wertvoller alter Materie bleibt letztlich eine Frage des Ethos. „Eine Strafe“, sagt Denkmalamt-Generalkoservator Ernst Bacher, „ist immer weniger schmerzlich als der moralische Verlust.“

Der Standard, Sa., 1999.06.26



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Haus Buchroithner

25. Juni 1999Ute Woltron
Der Standard

Wo der Wein daheim ist

Dank blumiger Preise und würziger Nachfrage können sich Weingüter weltweit exquisiteste Architekturen leisten. Eines der beeindruckendsten Beispiele für ein neues Corporate Design eines Weinhauses steht in einem kalifornischen Rebgarten.

Dank blumiger Preise und würziger Nachfrage können sich Weingüter weltweit exquisiteste Architekturen leisten. Eines der beeindruckendsten Beispiele für ein neues Corporate Design eines Weinhauses steht in einem kalifornischen Rebgarten.

Mitten im kalifornischen Napa Valley - bekanntlich weder die kärglichste, noch die ärmste, noch die häßlichste Gegend der Welt - befindet sich ein Gebäude, das in seiner äußeren Erscheinung als wohlgeordneter Haufen bräunlicher Gesteinsbrocken beschrieben werden kann. 100 Meter lang. 25 Meter breit. Neun Meter hoch. Von einem so gut wie unsichtbaren Stahlkäfig adrett in Form gehalten. Ohne Fenster. Nur ebenerdig mit zwei beeindruckenden Ausschnitten in der Form von Panoramapostkarten versehen.

Wir befinden uns nicht vor einem zeitgenössichen Hünengrab oder einer Land-Art-Skulptur, sondern vor der außergewöhnlichen Kelter- und Lagerstätte eines der begehrtesten Weine Kaliforniens, nämlich vor der im Vorjahr fertiggestellten „Dominus Winery“.

Wie einige andere internationale Spitzenwinzer auch entpuppten sich die Dominus-Chefs Christian Moueix und Cherise Chen-Moueix als potente Bauherren, die ihren Weinen nun auch über Design und Architektur das entsprechende Image verpassen. Es muß eben nicht immer die altmodische Traditionsvariante sein: Der Spanier Ricardo Bofill baute für Lafite-Rothschild einen überaus inszenierten Weintempel in Pauillac. Der Italiener Alberto Cecchetto errichtete eine kleine High-Tech-Weinstadt für die italienische Weingenossenschaft Mezza-Corona. Der Spanier José Rafael Moneo plant gerade für die Bodega Chivite in Navarra eine neue Kellerei, und auch Guggenheim-Bilbao-Erbauer Frank O. Gehry, Kanadier mit Büro in Kalifornien, sitzt für die Weinmacher von Herederos de Marqués Riscal gerade am Zeichentisch.

Die französischen Chateaux mit ihren Türmchen und Erkern, als altertümliche Federzeichnungen gerne Markenzeichen auf den Etiketten der edlen Roten aus Bordeaux, bekommen Konkurrenz durch prominente neue Weinarchitekturen wie die Dominus-Steinbox in Kalifornien.

Tief im kühlen Inneren dieses außergewöhnlichen Wein-Schreins ruht und reift das begehrte und selbstverständlich nicht preisschwache Tröpferl in französischen Eichenfässern, und auch die Besitzer des Weingutes selbst stammen aus der guten Alten Welt: Christian Moueix ist Sproß einer der traditionsreichsten französischen Weindynastien. Er hat zwischen den Rebstöcken rund um Chateau Pétrus in Bordeaux laufen gelernt, und dort wächst - schon seit mehreren Jahrhunderten natürlich - einer der legendärsten und teuersten Rotweine der Welt. Ein Flascherl Pétrus kommt auf durchschnittlich 8000 Schilling - allerdings nur für Stammkunden, und andere gibt's praktisch nicht.

Während sich das gute, alte französische Stamm-Chateau in Bordeaux äußerlich hinter der netten, ländlichen Unscheinbarkeit eines altmodischen Provinz-Winzerbetriebs verbirgt, hat der jugendliche Ableger in Kalifornien mit seinem markanten, im krassen Gegensatz zu den benachbarten Neubarock-Weingütern stehenden Architekturprofil binnen kürzester Zeit die Corporate Identity des Betriebs geprägt.


Das Haus verströmt den kühlen, angenehmen Duft der großen, überlegten und hochintelligenten Spitzenarchitektur. Die ist nicht aufdringlich, aber auffällig. Sie gibt sich nicht protzig, aber eindrucksvoll. Sie überrascht und entzückt all jene mit Atmosphären und Details, die sich unvoreingenommen darauf einlassen wollen.

„Wer sind diese Alchemisten, die hier Stein in Spitze verwandelt haben?“ lobhudelte die New York Times anläßlich der Dominus-Eröffnung und bedankte sich schriftlich bei den Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron dafür, „high-style European architecture“ nun endlich auch in das Napa Valley exportiert zu haben, wo die Weinbauherren bislang eher dem europäisierenden Pseudoschlößchenstil nachhingen.

Die Steinarchitektur der Baseler Baukünstler macht dabei nicht nur optisch was her. Daß das Konzept der betriebsinternen Logistik entspricht, ist für gute Architektur ohnehin selbstverständlich, daß die großen Stein-Puffermassen das Gebäudeinnere während flirrend heißer Tage und sehr kühler Nächte temperieren, ist ein zusätzliches Zuckerl. Die Architektur macht Dominus nicht nur zur markantesten Winery in ganz Kalifornien, sondern auch zur einzigen, die ohne Klimaanlage auskommt. Und für kräftige PR weit über Branchengrenzen hinaus hat der Bau ohnehin gesorgt. Die Pläne der Kollegen für die Konkurrenz dürfen mit Spannung erwartet werden.

Der Standard, Fr., 1999.06.25



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Dominus Winery

19. Juni 1999Ute Woltron
Der Standard

„Aufgewachsen bin ich im Wald“

Helmut Richter ist der Schrat der österreichischen Architektur. Er ist völlig kompromißlos, komplett unberechenbar und stets auf Witterung nach dem Neuen, dem Einfachen und dem Besten. Er ist also genau das, was die Architektur braucht, um vorwärtszukommen.

Helmut Richter ist der Schrat der österreichischen Architektur. Er ist völlig kompromißlos, komplett unberechenbar und stets auf Witterung nach dem Neuen, dem Einfachen und dem Besten. Er ist also genau das, was die Architektur braucht, um vorwärtszukommen.

So wie der Mensch ist, so sind auch seine Taten. Wäre zum Beispiel Helmut Richter eine Fabrik, so würde er mit minimalen Mitteln feinmechanische Instrumente produzieren, auf tausendstel Millimeter genau. Wäre er ein Tier, so würde er als Fregattvogel in den Lüften kreisen, denn der verfügt über das extremste Verhältnis zwischen Körpergewicht und Flügelspannweite von allen Vögeln und bedarf nur ganz weniger Fische, um seine grazile Konstruktion zu nähren. Zum Glück ist Helmut Richter aber Architekt geworden, deshalb macht er Häuser, und die sind stets so außergewöhnlich und von so komplizierter Einfachheit wie er selbst.

Zur Zeit läuft es für Richter, dem als Kompromißlosem der Rest der Welt natürlich nicht hürdenfrei zu Füßen liegt, ganz gut im Architekturrennen: Demnächst erscheint im Birkhäuser Verlag endlich ein Buch - das erste, das umfassend über seine bisherigen Arbeiten informieren wird, und das der bewährt kompetenten Feder des Architekturkritikers Walter Chramosta entstammt. Außerdem geht ein neuer Wohnbau aus Richters Ideenwerkstätte gerade der Vollendung entgegen, und darüberhinaus sind diverse andere schöne Projekte, wie etwa die Erneuerung der Fassade des Neuen Institutsgebäudes der Wiener Uni im Stadium des Ausfeilens begriffen.

Der Architekt, der in Wien lebt und arbeitet, ist eine der kantigsten Persönlichkeiten, die die österreichische Baukünstlerschaft bevölkern. Das schlägt sich nicht nur in den liebenswerten und bizarren Schnurren nieder, die man sich über ihn erzählt, sondern vor allem in dem Beitrag, den er seit Jahren für die Architekturszene leistet. Der setzt sich einerseits aus seiner Lehrtätigkeit an der TU Wien zusammen, wo er die Jungspunde der Branche in die Geheimnisse von Form und Konstruktion einweiht und keineswegs von der Wildheit befreit, die für viele anderen Professoren eine zu schräge Strebe im Persönlichkeitskonstrukt der Studenten ist. Andererseits sind seine Gebäude stets ganz und gar ungewöhnlich, insbesondere was Materialwahl und Konstruktion anbelangt. Was Richter seinen Studenten beizubringen versucht, nämlich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst sparsam und klug umzugehen, setzt er selbst unter großer Anstrengung und Selbstausbeutung mit seinen international vielbeachteten Projekten um, wie dem Lärmschutzhaus in der Brunnerstraße oder der Schule im XIV. Bezirk Wiens.

Dabei schöpft er nicht nur aus dem üblichen Baustoffangebot, sondern schaut sich in den Materialmusterbüchern und auf den Baustellen der Industrie um. Und er nimmt nicht die erprobten statischen Systeme zur Grundlage seiner Häuser, sondern berechnet gemeinsam mit Bauingenieurbüros neue, kühnere und gegebenenfalls preiswertere Varianten.

Kurzum: Helmut Richter ist das Gegenteil des etablierten, ruhigen Gebrauchsarchitekten. Er ist einer derjenigen, denen Architektur nicht Geschäft sondern Mission ist. Davon gibt es in Österreich zwar gar nicht so wenige, doch kaum einer geht der Suche nach dem Neuen, dem Unerprobten, dem Noch-Besseren, Noch-Schlaueren verbissener nach als der schmale, scheue Mann aus Wien.

Gerade eben wird in Favoriten wieder ein Richter-Bau fertiggestellt, zu dem in den kommenden Monaten Scharen von Studenten und Kollegen pilgern werden, weil das so üblich ist, wenn der Richter wieder irgendwo was gebaut hat. Dieses Haus an der südlichen Stadtperipherie veranschaulicht exemplarisch, was Richters Qualitäten ausmacht.

Die „Thermensiedlung Oberlaa“ zwischen Grundäckergasse, Hämmerlegasse und Bahnlende im zehnten Wiener Gemeindebezirk ist einer jener Wohnbauflecken, wie sie die Gemeinde Wien seit geraumer Zeit in Auftrag gibt. Ein Architekt erstellt den städtebaulichen Masterplan der Siedlung. Die einzelnen Wohngebäude werden dann von diversen Architekten geplant und in Zusammenarbeit mit einem Generalunternehmer draufgestellt. Das Ganze hat eine einzige Priorität: Billig, billig, billig muß es sein. Was der Architekt aus den zur Verfügung stehenden Mitteln, sprich den Quadratmeterbaukosten, herausholt, bleibt eigentlich ihm überlassen.

In der Thermensiedlung Oberlaa kann man nun den Unterschied zwischen „preiswert“ und „billig“ im Planquadrat abspazieren. Neben einfallsloser 0-8-15-Ware stehen dort hochanständige, sorgfältig gemachte Bauteile, etwa von Albert Wimmer oder Otto Häuselmayer und als nördlichster Abschluß der 170 Meter lange und 13 Meter breite Richter-Bau. Die Fassade ist wie gewöhnlich ungewöhnlich, nämlich mit Industriestahlblech verkleidet, die Konstruktion ausgefallen: Ein Rückgrat aus fein dimensionierten, mit A-Böcken ausgesteiften Betonteilen erstreckt sich über die gesamte Nordlänge, es dient als Erschließungstrakt und hält das gesamte Gebäude, das ohne diese Konstruktion wie ein Kartenhaus umklappen würde. Der Vorteil: Die Mieter der 67 Wohneinheiten können ihre Grundrisse frei gestalten, da sie nicht von tragenden Mauern verstellt werden. Jedes Appartement verfügt über mindestens eine Loggia oder Terrasse, kann quergelüftet werden und wird durch großzügige Fensterflächen besonnt. Eine ausgezeichnete Planungsleistung für vergleichsweise lächerliche Nettoherstellungskosten von etwa 11.500 Schilling pro Quadratmeter.

Daß einem Architekten, der derart sorgfältig plant und jedes Detail millimetergenau dimensioniert, vom Honorar so gut wie nichts bleibt, steht fest. Wie man solchermaßen überlebt? „Ganz schlecht.“ Und warum man sich das dann überhaupt antut? „Weil es wichtig ist, daß was weitergeht.“

Richter stammt aus dem Ort Ratten in der Steiermark. „Aufgewachsen bin ich im Wald“, sagt er. Dort stand neben Bäumen auch ein Kohlebergwerk samt den dazugehörigen Maschinerien und Werkstätten. Das Industrieklima, wo Gerät und Bau möglichst ökonomisch, möglichst einfach sind, hat ihn geprägt. Wie auch der Zeichenlehrer, der seine Schülern in den 50er Jahren mit Bildern von Le Corbusiers Kirche von Ronchamp fasziniert. „Eigentlich wollte ich dann Künstler werden, hab mich aber nicht getraut und wurde deshalb Architekt.“ Dem Studium in Graz folgen Jahre in Kalifornien und in Paris. Dort wird gerade das Centre Pompidou gebaut, Richter kennt alle Mitarbeiter von Rogers und Piano, wohnt im selben Haus. Zurück in Wien verblüfft er mit Projekten wie dem Haus Königseder, wo er Paraschalen aus dem Industriebau als Dachelemente einsetzt, oder einem Badezimmer, das er komplett mit Nirosta auskleidet. Aus dem Staunen ist man bis heute zum Glück nicht herausgekommen, und was auch immer ihm als nächstes einfällt - es wird kopiert werden und in den allgemeinen Architekturgebrauch eingehen.

Der Standard, Sa., 1999.06.19

05. Juni 1999Ute Woltron
Der Standard

Himmelfahrtskommando

Die Flughäfen der 90er sind die High-Tech-Karawansereien der Oberen Hundert Millionen

Die Flughäfen der 90er sind die High-Tech-Karawansereien der Oberen Hundert Millionen

Nichts ist schicker in der Liga der Vielgereisten und deshalb doppelt Gescheiten, als über die vielen Flughäfen fachzusimpeln, die im Laufe der Jahre Schauplatz ihrer diversen Heldentaten und erlittenen Unbillen, Gepäcksverluste, Fast-Landecrashs und Gerade-Noch-Abflüge waren. Singapur? Das ist doch der mit dem Wasserfall und den Orchideen und dem un-glau-bli-chen Duty Free. JFK? Um Himmels willen, dort landet nur, wer unbedingt muß. Ewige Staus. Die unfreundlichsten Hostessen der Welt. Amsterdam-Schiphol? Baustelle. London-Heathrow? Baustelle. Wien-Schwechat? Baustelle. Und viele Fliesen. Kein Kommentar.

Wer auch weiterhin mitreden will im Club der Vielflieger, der muß sich hurtig wieder in die Lüfte begeben und ein paar mal um den Globus fliegen, denn nichts ist heute so, wie man es vor zehn Jahren kannte. (Sogar die romantische Kiesruckellandebahn im guatemaltekischen Dschungel von Tikal soll längst asphaltiert worden sein.)

Die 90er haben allerorten neue, gigantische Flughäfen geboren, und wo noch vor gar nicht allzu langer Zeit ein paar Terminals ein paar hunderttausend Reisende durchschleusten, bedienen heute ganze Flughafenstadtanlagen Millionen Menschen auf ihrem hektischen Weg vom Da zum Dort. Diese einwohnerlosen aber hochfrequentierten Städte versorgen Touristen, Manager, Weltenbummler mit Supermärkten, Internetanschlüssen, Friseuren, Fußpflegeinstituten, Banken, Businesscenter und allem übrigen, was man so braucht auf seinem Weg durch die Zeitzonen.

Der rasante Ausbau dieser Luftschiffhäfen ist noch lange nicht abgeschlossen, in den Planladen der großen Architekturbüros lagern bereits die Visionen für die Passagierabfertigungsmaschinerien des kommenden Jahrtausends. Denn war die große Architekturaufgabe der 50er und 60er Jahre das internationale Hotel, gehörten die 70er und 80er Büroturm und Einkaufszentrum, so ist der Flughafen das prominenteste Architekturproblem des Jetzt und der nahen Zukunft.

Allein im Vorjahr sperrten bereits die wichtigen Passagierdrehscheiben Charles de Gaulle in Paris, John F. Kennedy in New York und Kuala Lumpur in Malaysien neue Mega-Terminals auf, und noch heuer eröffnen der von Aeroportes de Paris konzipierte neue Flughafen Pudong in Shanghai, sowie der Helsinki-Vantaa-Airport von Pekka Salminen.

Die Architekten Murphy/Jahn bauen bis 2004 den New Bangkok International Airport und bis 2000 das Köln-Bonn-Nord Terminal. Ebenfalls zur Jahrtausendwende soll in San Francisco ein neuer Flughafenabschnitt von SOM eingeweiht werden, und im Jahr 2001 folgen Nicholas Grimshaws Zürich-Airport, der Ichon International Airport in Seoul der Architekten Fentress/Bradburn und der neue Larnaca-Flughafen in Zypern von Aeroportes de Paris nach.

Weiters geplant aber noch nicht in Ausführung sind neue Anlagen für Bilbao von Santiago Calatrava und für Chicago South vom Architektenteam TAMS. Frank O. Gehry soll ebenfalls demnächst sein Flughafenprojekt bekommen, er wurde soeben von der Stadt Venedig mit der Planung einer neuen Anlage betraut.

Auch der Wiener Flughafen bei Schwechat, mit seinen knapp zehn Millionen Passagieren pro Jahr vergleichsweise ein internationaler Knirps, rüstet wieder einmal auf. Die „International Air Transport Association“ prognostiziert ein Ansteigen des Welt-Passagieraufkommens um 5,5 Prozent pro Jahr. 2002 werden rund 573 Millionen Menschen per Flieger unterwegs sein, für Wien bedeutet das eine Verdoppelung der Kapazitäten bis zum Jahr 2015.

Ende Juni entscheidet sich unter dem Juryvorsitz des deutschen Städte- und Raumplaners Kunibert Wachten der Wettbewerb um die künftige städtebauliche Konzeption der Anlage. Sowohl neue Pisten als auch Terminals werden benötigt. Warum dieser Umstand nicht schon längst - beispielsweise schon vor dem jüngst erfolgten Ausbau - berücksichtigt wurde, bleibt ein Rätsel. 30 Milliarden Schilling sollen jedenfalls in den nächsten Jahren locker- und der Flughafen für die Massenanstürme der Zukunft flott gemacht werden. DER STANDARD wird darüber natürlich Genaueres berichten.

Viel Geld kosten sie alle, diese neuen, passagierdurchströmten Niemandslandinseln der Internationalität, diese Nadelöhre im Zierstichkissen Welt, das auf den Routenkarten der Airlinemagazine so anschaulich gemacht wird. Der neue Flughafen in Chicago ist mit der Kleinigkeit von 4,9 Milliarden Dollar veranschlagt, Denver International mit 3,2. Das bisher wohl teuerste und auch eindrucksvollste Flughafenprojekt seit der Pionierepoche der Gebrüder Wright kostete die unvorstellbare Summe von 20 Milliarden Dollar.

Es liegt als kompliziert konstruiertes Gebilde aus Stahl, Glas, Licht und Luft kathedralenartig wenige Meter über der Wasseroberfläche auf der Insel Lantau vor Hong Kong, nennt sich Chek Lap Kok und wurde vergangenen Sommer nach den High-Tech-Plänen des britischen Architekturadelsmannes Sir Norman Foster fertiggestellt.

Der neue Hong Kong-Airport ist das erste tatsächlich gebaute Megaprojekt in einer Reihe von Flughafen Visionen, die völlig neue Maßstäbe setzen wird. Bis zum Jahr 2040 soll der riesige, luftige, übersichtliche und nach gefinkeltster Logistik entworfene Flughafenpalast von seiner derzeitigen Kapazität von 35 auf 87 Millionen Passagiere ausgebaut werden.

Ähnlich utopisch hören sich die Pläne an, mit denen Hollands Schiphol auf die Sprünge geholfen werden soll. 380.000 Flieger landen und starten pro Jahr auf Europas viertgrößtem Flughafen nach London Heathrow (60 Millionen Passagiere), Frankfurt Main (43) und Charles de Gaulle, Paris (39). Bis 2010 werden es an die 600.000 sein und dabei eine Menge Lärm verursachen, weshalb man beschlossen hat, die Angelegenheit kurzerhand auf ein 30 Quadratkilometer großes künstliches Eiland 15 Kilometer vor der Küste zu verpflanzen. Hochgeschwindigkeitszüge in einem Untersee-Tunnel könnten die beiden Flughäfen miteinander verbinden.

Flughafenprojekte sind nicht nur Angelegenheiten nationalen Stolzes und architektonische Visitenkarten des jeweiligen Landes. Sie haben sich, so sie intelligent gemanagt sind, auch zu profitablen Multi-Unternehmungen entwickelt. Schiphol etwa erwirtschaftete im Vorjahr einen Gewinn von etwa 1,8 Milliarden Schilling. Dieser Umstand, der Konkurrenzkampf der Flugdrehscheiben untereinander und die immer höheren Ansprüche der Gäste kommen der neuen, verschwenderischen Flughafenarchitektur zu Gute. Es zahlt sich also aus, auch nach einem gerade überstandenen Transatlantikflug mit weit offenen Augen auf sein Gepäck zu warten. Egal, was man bisher nicht schon alles gesehen hat, auf den Reisen durch die große weite Welt.

Der Standard, Sa., 1999.06.05

29. Mai 1999Ute Woltron
Der Standard

Der computergenerierte Wal hat einen Auspuff

Wie wird der Rechner die gebaute Umwelt künftig beeinflussen? Der Schritt von der Cyber- Architektur zum tatsächlich gebauten Projekt. Architektur und Computer, 2. Teil.

Wie wird der Rechner die gebaute Umwelt künftig beeinflussen? Der Schritt von der Cyber- Architektur zum tatsächlich gebauten Projekt. Architektur und Computer, 2. Teil.

Heute sind in der Architektur nicht mehr Dinge wie Blickwinkel, Fassaden, Perspektiven interessant", meint der steirische Computer- und Architekturavantgardist Manfred Wolff-Plottegg, „sondern Lebensprozesse.“ Die Gewohnheit, Architektur bis zu einem gewissen Grad als Bild, als optische Erscheinung in der Landschaft, als ästhetisches Gebilde wahrzunehmen und zu beurteilen, beginnt sich aufzulösen.

Unterstützt wird die Entwicklung dieser neuen Architektur vom Computer, wie das ALBUM bereits vergangene Woche in Teil Eins der zweiteiligen Serie über den Einfluß der smarten Rechenmaschine in der Architektur ausführlich berichtete. Ein Gebäude ist so wenig Bild, wie der Computer Bildmaschine ist, weshalb die Hochzeit der beiden eine bis dato unbekannte und unmögliche neue Welt generiert, die die gebaute Umwelt der Zukunft nachhaltig beeinflussen wird.

In der Vergangenheit hat die Blechkiste schon wesentlich dazu beigetragen, als dienendes Element Entwurfsprozesse zu erleichtern. Sie half bei der Berechnung von Kräfteverläufen in Stützen und Trägern und bei der daraus folgenden Optimierung des Materialeinsatzes. Sie speicherte zweidimensionale Pläne, Schnitte, Ansichten und berechnete und zeichnete daraus die entsprechenden dreidimensionalen Abbildungen, um die entworfene Architektur via Bildschirm und Mausklick räumlich durchwandel- und in ihren Dimensionen gewissermaßen erfahrbar zu machen.

Geometrisch so komplizierte Konstruktionen wie etwa Frank O. Gehrys krummflächiges und titanbeschupptes Guggenheim-Museum für Bilbao wären ohne Computerberechnungen gar nicht realisierbar, und einige wenige Prototypen extrem technologisierter Häuser, etwa in Holland oder in Japan, zeigen, daß der Computer, als architektonisches Element eingesetzt, seine Bewohner bis in die privatesten Sphären betreuen könnte. Fernseher drehen sich per Fingerschnalzen auf, Blutdrucke werden automatisch nach dem Erwachen gemessen, Urinproben unaufgefordert analysiert, zur Neige gehende Kaffeevorräte per Internet automatisch nachbestellt. Die Zukunft wird uns mindestens so irre vorkommen, wie die Gegenwart unsere Ururgroßväter deuchte, wären sie noch am Leben.

Der nächste Schritt, nämlich der in Richtung Computerkreativität, scheint allerdings groß und weit entfernt, doch er erfolgt sogleich, wenn die Maschine nicht nur die von Menschenhand skizzierte Form analysiert und anschließend modifiziert wieder ausspeit, sondern wenn sie gleich selbst in einer Art Kreativprozeß Räume und Gebilde hervorbringt. Dazu wird sie mit den verschiedensten Parametern gefüttert und ersinnt darauf hin die entsprechende optimale Form.

Der Städtebau etwa, so Plottegg, sei längst nicht mehr durch Bilder und Ansichten beherrschbar, sondern allein durch die Erkenntnis der verschiedensten im Stadtgebilde ablaufenden Prozesse und das sinnvolle architektonische Entsprechen darauf. Die Resultate der Experimente computerisierter Stadtforscher dürfen mit Spannung erwartet werden.

Jede avantgardistische Szene hat sich seit ehedem dadurch ausgezeichnet, Branchengrenzen überschreitend zu denken. Eine der großen Leistungen des Computers ist es, je nach Programmierung und Datenfütterung komplizierteste Vernetzungen herstellen zu können, und diese segensreiche Eigenschaft machen sich die Architekturavantgardisten zunutze.

Eine der ersten computergenerierten Architekturen stellten die holländischen „Nox Architekten“ alias Lars Spuybroek vor zwei Jahren in Form des „Blow Out Toilet Block“ neben den in der Vorwoche bereits erwähnten „Freshwater Pavilion“ an den Sandstrand von Neeltje Jans. Die Angelegenheit sieht aus wie ein herausgeschnittenes Teilstück eines schwärzlichen, angeschwappten Wals und beinhaltet, wie der Name schon verrät, Toilettenanlagen. „Dieses Gebäude“, so der Architekt über seine experimentelle Erleichterungsanstalt, "hält das dynamische Gleichgewicht zwischen internen Drücken („ich muß mal“) und großen externen Kräften." Das computergenerierte Strandhaus entstand nach den Erkenntnissen der Strömungslehre und den am Standort vorherrschenden Windbedingungen erst einmal im Computerlabor, dann wahrhaftig in Stahl und Beton und wird aufgrund seiner Form beständig optimal von frischen Seelüften durchspült. Diese treten am „Grill“ auf der den Herren gewidmeten Seite ohne maschinelles Zutun ein, um aus dem „Abgasrohr“ der Damenhälfte automatisch wieder zu entfahren.

Ein nicht weniger drängendes Problem versuchen die Amerikaner Lise-Anne Couture und Hani Rashid, alias „Asymptote“ zu bewältigen: Sie erarbeiten für den New York Stock Exchange eine völlig neuartige Darstellung der Stock-Daten mit Hilfe der Architektur. Was heute noch in abstrakten, an Wandschirmen dahinlaufenden Zahlenkolonnen nur für Insider Aktiengewinn oder Verlust anzeigt, könnte bald als „Virtual Environment“ die verschiedensten Datenströme zusammenfassen, analysieren und optisch aufbereiten. Das Resultat: Ein Raum, in dem auf einen Blick und ohne Zahlenübersetzung anhand der sich stets ändernden architektonischen Beschaffenheit ablesbar ist, ob etwa der Dow-Jones steigt oder fällt.

Der holländische Kollege Ben van Berkel speiste wiederum für seinen „Quick Times Pavilion“ diverse Parameter und Vorgaben in den Computer ein und sah zu, was dabei herauskommt, wenn die Maschine ohne gesetzte Prioritäten alle vorgegebenen Bedingungen als ebenbürtig wichtig in ihre Berechnungen einbezieht. Das Ergebnis ist eine seltsam fließende, amorphe Angelegenheit, ohne Ecken und Kanten, ein unendlicher Raum, ähnlich jenem, den sich Friedrich Kiesler schon seinerzeit ganz ohne Rechenmaschine ausgedacht hat.

Ohne Computer entwickelten auch die Dekonstruktivisten vor nicht allzu langer Zeit ihre ersten architektonischen Würfe. Sie dürfen sich zugute halten, einen krassen Paradigmenwechsel in der Architektur, eine Befreiung der Form und des Architekturdenkens herbeigeführt zu haben. Diese Entwicklung, die immer wieder totgesagt wird, obwohl in allen Weltgegenden die Gegenbeweise der Reihe nach aus Fundamenten in die Höhe wachsen, wird sich mit Hilfe der Computer fortsetzen. Es wird ein spannendes nächstes Architekturjahrtausend.


Weitere Links und Winks zum Thema Architektur und Computer

Alle hier aufgelisteten Websites sind unter http://derstandard.at/supplements/album/arch.htm abrufbar.

Interfacing Realities Conference

http://www.v2.nl/Organisatie/V2Text/Theory/
GSAP/Columbia University 220 Minute Museum

http://www.arch.columbia.edu/Projects/Studio/Fall98/Rashid/index.html
Blur: an architecture of augmented reality

http://www.arch.columbia.edu/Projects/Studio/Sum98/Rashid/
Informing - Interiorites

http://www.arch.columbia.edu/Projects/Studio/Fall97/Rashid/index.html
Columbia Graduate School of Architecture, Preservation and Planning, New York

http://www.arch.columbia.edu/Lars Spuybroek V2Lab
http://www.v2.nl/
Lars Spuybroek at Archilab 99

http://www.frac-centre.asso.fr/archilab/artistes/noxa01en.htm
Freshwaterpavillon

http://www.archis.org/archisarte1997/archisart9709ENG.html
Softsite

http://www.v2.nl/DEAF/96/nodes/NOX/
Kas Oosterhuis oosterhuisassociates

http://www.oosterhuis.nl/
Kas Oosterhuis at Archilab 99

http://www.frac-centre.asso.fr/archilab/artistes/oost01en.htm
Saltwaterpavillon

http://www.archis.org/archisarte1997/archisart9709ENG.html
TU Darmstadt SHARE.WORLD

http://www.shareworld.de
CAD in der Architektur

http://www.cad.architektur.tu-darmstadt.de
archi

http://www.tu-darmstadt.de/fb/arch/
Ars Electronica - Futurelab

Telezone http://www.telezone.at
Ars Electronica Center

http://www.aec.at/
Futurelab

http://www.aec.at/futurelab/index.html
MVRDV

http://www.archined.nl/mvrdv/mvrdv.html
Ken Sakamura

http://tronweb.super-nova.co.jp/15th-tron-symp.html

Der Standard, Sa., 1999.05.29

22. Mai 1999Ute Woltron
Der Standard

Wo wohnt Lara Croft?

Am Anfang war die Höhle. Zwischendurch erfanden die Römer Zement und Beton. Jetzt revolutioniert der Computer die Architektur. Auf in ein neues, irres Jahrtausend! 1. Teil

Am Anfang war die Höhle. Zwischendurch erfanden die Römer Zement und Beton. Jetzt revolutioniert der Computer die Architektur. Auf in ein neues, irres Jahrtausend! 1. Teil

Irgendwo im Verborgenen, in den Wohnzimmern verschlafener Vorstädte, in unbeachteten Architekturateliers, in Grafikstudios, in Studentenbuden und Uni-Kämmerchen, hat sich die Architektur in den vergangenen Jahren gesammelt, geballt und zum Sprung in ein neues Zeitalter angesetzt.

Nach vielen Jahrzehnten des Ziegelübereinanderschichtens, Betongießens und Stahlbauens - in zwar unterschiedlichen Moden, aber in ewig gleicher Machart - reformiert sich die Branche jetzt von Grund auf. Die Architektur, die große, spannende Kunst des Raumschaffens, die so selbstverständliche, doch elementarste Wissenschaft, ohne die der Mensch gar nicht mehr überleben könnte, hat nach langer, langer Zeit wieder einmal völlig Neues ausgebrütet, eine andere, spannende Rasse gezüchtet. Sie wird die herkömmliche Architektur natürlich nicht verdrängen, doch zunehmend beeinflussen, und damit hat sie bereits begonnen.

Das Entwurfswerkzeug dieser neuen Architektur ist nicht mehr das zweidimensionale Zeichenpapier, sondern der Computer - eine dreidimensionale, autistische, störrische Maschine. Sie wurde in besagten verborgenen Hinterkämmerchen von Architekturavantgardisten so lange getreten, gefüttert, verdroschen, gestreichelt und zugeritten, bis sie schließlich turnier- und performancereif war.

Dieser Trainingsprozeß ging von der Außenwelt weitgehend unbemerkt vonstatten, doch nun ist der Sprung in die breitere Öffentlichkeit erfolgt. Erste computergenerierte Gebäude wurden (etwa von Nox-Architekten in Form des „Wasser-Pavillions“ in Holland) tatsächlich errichtet, eine Vielzahl virtueller Entwürfe in den vernetzten Blechbüchsen entworfen, und eine ganze Riege dieser Computer-Architekten reist pausenlos wie ein Wanderzirkus rund um die Welt, um ihre bunten, seltsamen Kreaturen, noch eingesperrt im Computerkäfig, zu präsentieren.

Dieser Tage macht der Troß in der Bundeshauptstadt Halt und kehrt für kurze Zeit im Wiener Museumsquartier ein, wo er eintrittsfrei von jedermann bestaunt werden kann. Unter dem Titel „Synworld. playwork : hyperspace“ finden dort von 27. bis 31. Mai eine Ausstellung sowie ein Symposium (29. Mai, 14-20 Uhr, Depot im Museumsquartier) statt, die neueste Trends, Entwicklungen, Standpunkte in Sachen virtuelle Welten und deren Anwendung zum Inhalt haben. Die Organisation übernahmen das Wiener Institut für Neue Kulturtechnologien/Public Netbase mit seinen Kuratoren Marie Ringler und Konrad Becker und das Architektur Zentrum Wien mit Kurt Zweifel und Katharina Ritter.

Die Veranstaltung tut genau das, was der Computer so gut kann, nämlich die verschiedensten Diszipline wie Kunst, Forschung, Industrie, Wirtschaft, Spiel und Spaß miteinander zu einem neuen Ganzen zu vernetzen. Die Architektur umfaßt dabei nur einen Teil der Ausstellung und spielt sich für die Besucher hauptsächlich über Projektionen und Bildschirme ab. Sie haben die Möglichkeit, die 3D-Welten hinter Glas selbst abzurufen und zu erforschen. Wer sich eingehender in die Materie vertiefen will, kann anstelle eines Katalogs eine Synworld-CD-Rom mit einer Fülle von Infos, Web-Adressen und Querbezügen mit nach Hause nehmen und diverse Architekturen auch via Internet betreten.

Im Museumsquartier selbst sind die „Cyberarchitekturen“ der Amerikaner Asymptote, Karl S. Chu und Greg Lynn und der Niederländer Kas Oosterhuis und NOX/Lars Spuybroek, sowie die Architekturlabors diverser Universitäten per Schirm zu bereisen. Ein Österreich-Beitrag kommt vom Futurelab der Ars Electronica.

Auch hierzulande versteht es eine Handvoll Architekten auf der Computer-Architektur in eine neue Bau-Zukunft zu dschundern. Der Wiener Rainer Pirker etwa „experimentiert, soweit es die Zeit erlaubt“ neben seiner „normalen“ Architektentätigkeit mit dem Computer und entwirft beispielsweise Baukörper auf baumbestandenen Grundstücken, indem er per Computer die Gewächse als Hindernisse definiert und Strömungsstrukturen entstehen läßt.

Ein anderer Computeravantgardist ist der in Graz ansässige Manfred Wolff-Plottegg, nach eigener Bezeichnung eine Hausgeburt der Steiermark, nach Fremdinformationen über die Jahre vom Pixel-Spezialisten zum CPU-Profi gereift. Er malträtierte seinerzeit bereits erste rechenschwache Amiga-Computer, heute konstruiert er gemeinsam mit dem Grazer Informatik-Professor Wolfgang Maass den Prototyp des „Neuronalen Architekturprozessors“. Der generiert mittels Hirnsignalen und CAD-Programmbefehlen Architekturkörper, doch näheres dazu im August, wenn sich die von Plottegg mitkuratierte Ausstellung „Zeichenbau“ im Wiener Künstlerhaus auch mit Internetarchitektur befaßt. Und noch ein Event zum Thema und zum Beweis für das Coming-Out der Computerentwerfer: Das MAK läßt sich von einer Reihe internationaler Architekten und Künstler gerade Architekturmanifeste erarbeiten und wird diese digital und zeitgleich von 2. bis 11. Juni in Wien und Los Angeles präsentieren.

Architektur und Computer können auf zwei Ebenen miteinander kommunizieren. Die fadere und gebräuchlichere davon ist jene, auf der bereits entworfene Gebilde mittels der enormen Rechenleistung der Maschinen fesch und per Mausklick durchwandelbar dreidimensional und bunt dargestellt werden. Doch davon ist hier gar nicht die Rede. „Die Architektur“, so Plottegg, „ist so wenig Bild, wie der Computer Bildmaschine ist. Er berechnet und steuert vielmehr Prozesse, deswegen sollte man ihn auch nicht zum Abbilden sondern zur Prozeßsteuerung verwenden.“ Welche Gebilde und Systeme entstehen, wenn etwa Stadtplanung, Gebäudeentwicklung und Raumkonzepte per Rechner gesteuert und entwickelt werden, was tatsächlich gebaut wurde und welche Möglichkeiten sich auftun, lesen Sie nächsten Samstag im zweiten Teil der Serie.

Der Standard, Sa., 1999.05.22

21. Mai 1999Ute Woltron
Der Standard

Büro Büro

Ob Großraumbüro, Zellenbüro oder Kombibüro - schenkt man einer dreiköpfigen Architektendelegation Glauben, die vergangene Woche im Architektur Zentrum...

Ob Großraumbüro, Zellenbüro oder Kombibüro - schenkt man einer dreiköpfigen Architektendelegation Glauben, die vergangene Woche im Architektur Zentrum...

Ob Großraumbüro, Zellenbüro oder Kombibüro - schenkt man einer dreiköpfigen Architektendelegation Glauben, die vergangene Woche im Architektur Zentrum Wien über die Zukunft der Arbeitswelt referierte, dann werden alle diese Büroformen gleichzeitig und in Mischformen in Zukunft Gültigkeit haben.

Zu Gast in Wien waren der Hamburger Großarchitekt Meinhard von Gerkan, Nathalie de Vries sowie der Innsbrucker Christoph M. Achammer. Die drei erläuterten einen Abend lang ihre Ansichten und Berufserfahrungen in Sachen Büro. Gerkan, schon seit Jahrzehnten als Bürobauer tätig und von traditionalistischer Gesinnung, schwört trotz aller arbeitsphilosophischer Veränderungen auch zur Jahrtausendwende immer noch auf das Büro in Zellenform, da erwiesenermaßen 80 Prozent aller neugebauten Geschäftshäuser auf diese konventionelle Form zurückgreifen. Wenn Auftraggeber Zellen verlangten, so der Deutsche, so sollten sie halt auch Zellen bekommen.

De Vries zeigte anhand einer von MVRDV gebauten Rundfunkanstalt vor, wie im Gegensatz dazu eine Bürostruktur durch fließende Räume, Info-Zellen und Kommunikationszonen strukturiert werden kann. Mit dieser „Arbeitslandschaft“, in der jeder je nach Tätigkeit und Laune die ihm gemäße Zone aufsuchen oder wieder verlassen kann, erbrachte das junge holländische Team den Beweis, daß eine überlegte Mischung aus Großraum und Zelle die Arbeitslaune durchaus heben kann. Ganz neu ist die Idee allerdings nicht, schon Le Corbusier hat vor 35 Jahren mit der Straßburger Kongreßhalle einen kontinuierlichen Innenraum geplant, der all diesen Anforderungen entsprach.

Achammer schließlich verglich Arbeit und Arbeitsraum mit einem Theaterstück und der dazugehörigen Bühne: Bis vor kurzem habe man versucht, durch die Bühne - also das Büro - das Stück - also die Arbeit - zu verändern. Heute weiß man, daß es genau umgekehrt ist: Die Arbeitsweise formt ihre Umgebung.

Vor allem Auftraggeber neuer Bürogebäude werden umdenken und künftig die Vorgaben flexibler halten müssen, damit vernünftige Architekten nach genauer Recherche der Arbeitsabläufe die entsprechenden Formen und Strukturen werden finden können. Ein kluges Haus spart Geld - etwa durch gekürzte Verkehrswege und bessere Kommunikation -, und es hebt die Moral. Wer sich wohlfühlt, wer sich frei bewegen kann, der ist guter Laune und deshalb auch produktiver als ein in Zellen gesperrter Kümmerling.

Der Standard, Fr., 1999.05.21

19. Mai 1999Ute Woltron
Der Standard

Karlsplatz soll „Karlspark“ werden

Der Entwurf der Wiener Architekten Christian Jabornegg und András Palffy beeindruckte die Jury vor allem durch knappe, aber wirkungsvolle städtebauliche...

Der Entwurf der Wiener Architekten Christian Jabornegg und András Palffy beeindruckte die Jury vor allem durch knappe, aber wirkungsvolle städtebauliche...

Der Entwurf der Wiener Architekten Christian Jabornegg und András Palffy beeindruckte die Jury vor allem durch knappe, aber wirkungsvolle städtebauliche Maßnahmen. Gestern präsentierte Künstlerhauspräsident Manfred Nehrer das Siegerprojekt im Wettbewerb um die Neugestaltung des Karlsplatzes zwischen Musikverein, Künstlerhaus und Handelsakademie.

Die Zone wird zum einheitlichen, großzügigen Stadtplatz rückgeführt, der in einer durchgehenden Fläche gänzlich ohne störende Einbauten, Straßenbahngeleise und Gestrüpp auskommen darf.

Die Bundesstraße, die den Karlsplatz von dieser Zone abschneidet, wird im bereits erfolgten Einverständnis mit den Verkehrsplanern auf zwei Spuren rückgebaut. Die dritte Fahrbahn soll Künstlerhaus und Musikverein - verkehrsberuhigt - bedienen und mittels einer Mauer vom Schnellverkehr getrennt werden.

Fußgängern bleibt in Richtung Karlskirche und Historisches Museum die bestehende Unterführung, die über eine Stiege und eine Rampe neu erschlossen und durch einen gemeinsam mit Heimo Zobernig entworfenen Glaskörper überdacht wird. Ein Zebrastreifen soll dazukommen und in einen Bildhauergarten münden, den Zobernig mit Solarbänken vom restlichen Platz abgrenzt.

Unterirdisch brachten die Architekten vier geräumige Veranstaltungshallen von insgesamt etwa 2000 Quadratmetern unter, die teils völlig ohne Tageslicht auskommen, ganz im Sinne der Ausstellungsmacher. Nehrer: „Naturlicht ist heutzutage in Ausstellungen, vor allem wenn es um Neue Medien geht, ohnehin eher unerwünscht.“ Der Künstlerhaus-Chef hat den Wettbewerb im Herbst initiiert, als ruchbar wurde, daß der gesamte Bereich wegen U-Bahn-Bauarbeiten aufgegraben würde. Er klärt nun bereits die Nutzungsrechte der verschiedenen Grundstückszonen, „die Vertreter der Stadt stehen voll hinter dem Projekt.“

Die Errichtungskosten stehen noch nicht fest, trotzdem wird bereits mit Sponsoren verhandelt. Er hofft, daß das Beispiel Schule machen, der gesamte Karlsplatz einer Neuordnung unterzogen und letztlich zum Karlspark reifen würde. So gäbe es bereits diverse Verkehrskonzepte, sowie den Vorschlag, den alten Schwanzer-Expo-Pavillion, das sogenannte 20er Haus, dauerhaft auf den Karlsplatz zu übersiedeln.

Der Standard, Mi., 1999.05.19



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Neugestaltung Karlsplatz

15. Mai 1999Ute Woltron
Der Standard

Gib und nimm und werd' selig

Architekten sind skeptisch, was die Bedeutung des Satzes „Geben ist seliger denn nehmen“ anbelangt, denn sie selbst geben viel und nehmen verhältnismäßig wenig, und selig sind sie dabei nur ganz selten. Entgegen der landläufigen Meinung, die die Bauenden stets in güldenen Badewannen oder noblen Hobeln argwöhnt, verdient sich der gewissenhafte Architekt sein Brot sehr schwer.

Architekten sind skeptisch, was die Bedeutung des Satzes „Geben ist seliger denn nehmen“ anbelangt, denn sie selbst geben viel und nehmen verhältnismäßig wenig, und selig sind sie dabei nur ganz selten. Entgegen der landläufigen Meinung, die die Bauenden stets in güldenen Badewannen oder noblen Hobeln argwöhnt, verdient sich der gewissenhafte Architekt sein Brot sehr schwer.

Wer auf Spitzenqualität baut und entsprechend sorgfältig plant, bekommt diesen Einsatz fast nie wirklich in barer Münze rückvergütet, und viele Uneingeweihte würden staunen, welch klingende Namen der internationalen Architekturbranche in den geheimen Listen der Kreditschutzvereine als bedenkliche Schuldner mit schwarzen Punkten und warnenden Rufzeichen bedacht sind.

Wie gut, daß es wenigstens Preise gibt. So eine Auszeichnung ist die öffentliche Anerkennung für unter Entbehrung Geleistetes, sie ist Balsam auf die Wunden, die außergewöhnliche Projekte in die Seelen und Kontostände wackerer Qualitätsarchitekten schlagen.

In Sachen Architektur und Architekturpreise ist neuerdings ein eigenartiger Trend zu beobachten: Je weniger die gläubigen Unternehmer im herrlich Freien Markt der EU gewillt sind, für gut Gebautes auch zu zahlen, je schlechter sich also die Bedingungen für Qualitätsarchitektur gestalten, desto mehr Auszeichnungen werden für Paradegebäude verliehen. Allein in Österreich gibt es 34 Architekturpreise, die in verschiedenen Abständen an Architekten, Bauherren oder Projekte gehen.

Fast scheint es eine Art unausgesprochenen Artenschutzabkommens für die Gattung des Architekten und seine Produkte zu geben, das zumindest auf Rednertribünen und mittels Medaillen auf die Unverzichtbarkeit dieser schwierigen Arbeit aufmerksam machen soll. Der gewissenhafte Architekt ist ein Kulturnützling, ein Marienkäfer unter Blattläusen, irgendwie muß er ja beschützt werden.

Die österreichische Baukultur steht hoch, die heimischen Bau-Leute liegen gut im Rennen um die internationalen Goldzuckerl, die für außergewöhnliche Leistungen in der Architekturbranche vergeben werden. Erst jüngst wieder trugen zwei Wiener wichtige Belobigungen nach Hause: Der junge Architekt Georg Marterer nahm in Dallas den diesjährigen „Benedictus Award“ entgegen. Sein Kollege Martin Treberspurg wird sich im Juni in Peking den „Sir Robert Matthew-Preis“ abholen.

Jeder einzelne Preis - so ist nachzulesen - will dabei „eine der wichtigsten Architekturauszeichnungen der Welt“ sein. So bedeutend sie alle sein mögen - DER STANDARD hat sich in der heimischen Architektenschaft ein wenig umgehört, welche der zahllosen Würdigungen nun wirklich Gewicht und Bedeutung haben.

Für Helmut Richter etwa wiegen ausschließlich der amerikanische „Pritzker-Preis“ (für das architektonische Lebenswerk) und der „Reynolds Memorial Award“ (für Aluminiumbau) schwer. „Die anderen sind nett“, sagt er, „und man freut sich, wenn man sie kriegt, kommt aber bald drauf, daß sie nicht wichtig sind.“

Hans Hollein ist der ausgezeichnetste Architekt dieses Landes. Hätte er ein Kaminsims, stünden dort zwei Reynolds-Awards und der Pritzker-Preis neben unzähligen anderen. Auch aus seinem Büro hört man, daß die einzig wahre die Pritzker-Ehrung sei, obwohl man alle anderen natürlich auch gern habe.

Günther Domenig macht „Architektur lieber für Menschen und nicht für Preise“, er hält ebenfalls den Pritzker für den Award. „Ehrungspreise öden mich an“, meint er, der unzählige Goldmedaillen „mit bis zu zehn Zentimetern Durchmesser, die nicht einmal echt sind“, hortet. Wichtig wären nur die Preisdotierungen, denn: „Fast alle Architekten haben Schulden und brauchen vor allem Geld.“

Auch Wolf D. Prix, von Coop Himmelb(l)au und soeben mit dem Deutschen Betonpreis bedacht, sieht die Angelegenheit pragmatisch. So ein Pritzker, meint er, sei natürlich in Sachen Ehre und Intellekt das Höchste der Gefühle, doch auch preisgeldträchtige Auszeichnungen wie der 2,4 Millionen öS schwere Carlsberg-Award wären sinnhafte Angelegenheiten.

Wilhelm Holzbauer schließlich hat „keine Beziehung zu Preisen“, weil ihm „eh keiner einen gibt“, was erwiesenermaßen nicht stimmt, denn etwa für die Wiener U-Bahn erhielt er gemeinsam mit den ARGE-Kollegen seinerzeit den prominenten Reynolds-Award. Die Vergabe der heimischen Architekturpreise sei dermaßen von der Besetzung der Jury abhängig, daß er ohnehin nie eine Chance hätte, einen zu bekommen. Fazit: „Wenn man zu viel baut, wird man zum Feind.“

Wie auch immer, die hiesige Architektenschaft ist eine hoch ausgezeichnete. Freuen soll sie sich daran. Und vielleicht werden Auftraggeber irgendwann auch genug geben und nicht nur nehmen, dann ist alles ausgezeichnet.

Der Standard, Sa., 1999.05.15

24. April 1999Ute Woltron
Der Standard

Architektur ist nicht ein Haus

Es geht was weiter in den Denklabors der jungen Generation: Ein Kongreß in Orleans brachte die quersten Architekturköpfe der Welt an einem Ort zusammen und besah sich die Zukunft.

Es geht was weiter in den Denklabors der jungen Generation: Ein Kongreß in Orleans brachte die quersten Architekturköpfe der Welt an einem Ort zusammen und besah sich die Zukunft.

Wir steuern auf Großartiges zu", pflegt die 92jährige Architektursibylle Philip Johnson neuerdings zu verkünden. Die ganz jungen Kollegen, tönt das alte amerikanische Lästermaul ungewohnt euphorisch, seien auf dem besten Weg, die Architektur für das kommende Jahrtausend neu zu definieren - radikal und aufregend und ganz anders.

Die Postmoderne mit ihrer gut verdaulichen, historisch vertrauten Architekturformensprache ist längst überwunden, die vielgeschmähte „Stilrichtung“ hat dennoch mitgeholfen, das weite Feld zu düngen, auf dem nun die neuesten Architekturpflanzen und Züchtungen in einem wilden Dickicht nebeneinander gedeihen und althergebrachte Elemente wie Wände, Dächer, Decken abreißen und in völlig anderen Formen und Materialien neu denken.

Welche der frischen Gattungen sich durchsetzen werden, welche überleben dürfen und ob es künftig überhaupt so etwas wie Stile geben wird, das kann nur die Zeit weisen. Doch an diverse Ismen - und das unterscheidet sie von ihren Vorgängern - denken diejenigen, die sie gerade erschaffen, nicht. Die jungen Architekten profitieren vom internationalen Trend des autistischen Egoismus, sie reagieren nicht auf Traditionelles sondern auf Aktuelles, sie tun einfach Neues, und sie brechen so althergebrachte Architekturkonventionen wie die Computer-Whizkids ihrerzeit die Altherrengesetze der Elektronikindustrie umgekrempelt und zu völlig Neuem geführt haben.

Die Architektur antwortet auf die Welt, in der sie entsteht. Warum also sollten Leute, die über zigarettenschachtelgroße Elektronikboxen mit anderen Leuten in Kuala Lumpur kommunizieren, während sie über die Copacabana spazieren, in den selben alten Haus- und Wohnungsformen leben, in denen früher verdrahtete Telefonmonumente aus Bakelit standen? Computer, Internet, Raves, Aids, Teleworking, Hypertext, Herztransplantationen, Genmanipulationen - die Welt verändert sich, und mit ihr verändert sich auch die Architektur.

Dreißig Querdenker im Alter zwischen 30 und 40 Jahren stürmten vergangene Woche untertags die Konferenzsäle und nächtens die Lokale und Bars der kleinen französischen Stadt Orleans, in der romanische Kirchlein, gotische Kathedralen, 60er-Jahre-Wohnblöcke und Stahl-Glas-Architekturen ein friedliches Stadtnebeneinander bilden, und sie diskutierten über dieses neue Wesen der Architektur, über eine neue Definition des Berufsbildes und über die Sinnhaftigkeit der Branche im allgemeinen. Bevor sie wieder abreisten, bauten sie in den fesch maroden Hallen einer alten Militärkaserne eine beachtliche Ausstellung auf, die unter dem Namen „ArchiLab“ noch bis 30. Mai Einblicke in die innovativsten internationalen Architekturbestrebungen gibt.

Organisiert hatte das heuer erstmals stattfindende internationale „ArchiLab“-Get-Together die Stadt Orleans mit dem "Fonds Régional d'Art Contemporain (FRAC). Man wollte aber, so Kurator Frédéric Migayrou, vor allem die Architekten zum konstruktiven Austausch zusammenbringen, die Ausstellung selbst bilde lediglich das Tüpfchen auf dem I. Die Konferenzen waren ausschließlich den Teilnehmern vorbehalten. In den kommenden Wochen werde man die Resultate auswerten, zu Papier bringen und veröffentlichen. DER STANDARD wird dann darüber berichten.

Vorerst steht die großzügige, vielfältige Ausstellung zur Besprechung zur Verfügung, sowie die Eindrücke der Kongreßgeladenen, die ihre Analysen nicht nur auf fachliche Argumentationen, sondern auch auf Beobachtungen bei alltäglichen Handlungen wie Whiskytrinken und Zigarrenrauchen stützen. Japaner wie Hideyuki Yamashita und Makoto Sei Watanabe, so berichten etwa alle anderen Nationalitäten übereinstimmend, hätten offensichtlich im Gegensatz zur restlichen Architektenwelt kaum mit ökonomischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Architektur hat in einem Land, in dem ein Quadratmeter Baugrund so viel kostet wie hierzulande eine Luxusvilla, eben einen anderen Stellenwert und einen anderen Preis.

Die Holländer wie Nox Architekten und Oosterhuis Associates, die derzeit als die wohl innovativste bereits bauende Architekturtruppe von Kritikern in den Architekturolymp geschrieben werden, verweigerten wiederum die gemeinsamen abendlichen Barbesuche, sprachen über nichts anderes als über ihre Architekturen und waren deshalb allgemein bald als humorlose Fachmieselsüchtler verschrieen.

Auch Arbeitsweise und Zugang variieren zwischen den einzelnen Nationen: In Ländern wie den USA und Holland, wo stinkreiche Privatuniversitäten ihre Studenten an kostbaren Superrechnern experimentieren lassen, entwickelt sich eine Architektenszene, die mit dem Computer umgeht wie Oscar Niemeyer mit dem Zeichenstift, also mit schlafwandlerischer Sicherheit. Während in Japan die Blech-Chip-Maschine allerdings als schlichtes, praktisches Arbeitsinstrument angesehen wird, ist sie den Amerikanern und Holländern Quell der Inspiration. Formationen wie Nox Architekten oder der kalifornische Entwurfsavantgardist Greg Lynn entwerfen ihre Architekturen eher nach Maßgaben des Computers als nach Aufgabenstellungen.

Apropos Formationen: Die meisten der künftigen Baukünstler sind im Gegensatz zu den machthabenden Stars zur Zusammenarbeit fähig: Sie verbünden sich zu Zweier-, Dreier-, Vierergruppen, ein Trend, der übrigens seit ein paar Jahren auch hierzulande greift. Als einzige Österreicher waren Wolfgang Pauzenberger und Michael Hofstätter, alias „Pauhof“, geladen, obwohl sie sich selbst als „zu alt“ und als „untypisch“ erachteten. Sie präsentierten ihre einigermaßen brutalen, unverschnörkelten Entwürfe für das Museumsquartier und den österreichischen Pavillion für die Expo 92 in Sevilla, sowie das realisierte „Haus P“ in Gramastetten.

Wer im übrigen glaubt, daß Österreich in der Architekturavantgarde keine Rolle spielt, der irrt. Auf irgend eine Art und Weise war das heimische Baugeschehen auf jedem dritten ArchiLab-Stand dokumentiert. Asymptote (USA), Van Berkel & Bos (NL) und Reiser + Umemoto (USA) zeigten ihre Wettbewerbsbeiträge für das Grazer Musiktheater, Nasrine Seraji unterrichtet Architektur an der Wiener Hochschule für bildende Kunst, Ben van Berkel, Helena und Hrvoje Njiric an der Technischen Universität Graz. Die Kroaten zeigten außerdem einen Entwurf für einen Baumaxx-Megamarkt in Maribor, Slowenien, der allerdings aufgrund der aktuellen Balkan-Ereignisse noch nicht realisiert wurde.

Tatsächlich Gebautes stand überhaupt im Hintergrund auf der Ausstellung in Orleans - auch das ein Trend der Zeit. Viele Bau-Denker sind bereits bekannt und werden international diskutiert, bevor sie einen Stein über den anderen geschlichtet, eine Membran gespannt, einen Stahlträger aufgerichtet haben. Die avantgardistische Architektur beginnt sich immer stärker über Ausstellungen, Kunstevents und theoretische Abhandlungen zu verkaufen, und es ist ein Trugschluß, zu glauben, nur das tatsächlich Gebaute hätte Geltung. Auch wenn die vielgepriesene neue Schlichtheit gerade ihre wunderschönen glatten Boxen auf Wiesen stellt, an Seeufern verankert und mit Architekturpreisen bedenkt: Die Zukunft schaut gar nicht nur nach Euklid aus.

Tatsächlich regieren schon jetzt, wie Rem Koolhaas zu sagen pflegt, die vielen Wahrheiten der Architektur. Ob Dekonstruktion oder neue Schlichtheit, ob Traditionalismus oder Avantgardismus - (alters)kurzsichtig diejenigen, die im Architekturmatch Sieger oder Verlierer erkennen wollen.

Der alte Johnson war immer schon weiser. Er hat in den 80ern durch seine dicke Brille die Dekonstruktivistenentwürfe gesehen, die sich heute allerorten dreidimensional und für heftige, gesunde, ordentliche Architekturdiskussionen sorgend aus den Erdböden schrauben. Bekannt wurden sie allerdings als Entwürfe und in Form einer Ausstellung.

Der Standard, Sa., 1999.04.24

19. Februar 1999Ute Woltron
Der Standard

Kunst im Bau

Zur Zeit lagert die Sammlung Essl noch in verschiedenen Depots, ab Herbst kann sie in einem eigens im Auftrag des Sammlerpaares von Architekt Heinz Tesar errichteten Museum in Klosterneuburg besichtigt werden.

Zur Zeit lagert die Sammlung Essl noch in verschiedenen Depots, ab Herbst kann sie in einem eigens im Auftrag des Sammlerpaares von Architekt Heinz Tesar errichteten Museum in Klosterneuburg besichtigt werden.

Karlheinz Essl freut sich. Der BauMax der Nation ist zur Zeit zur Abwechslung selbst Bauherr. Im kommenden Herbst will der Unternehmer in Klosterneuburg sein neues Ausstellungshaus für die Sammlung Essl eröffnen. Seit 1996 bilden die rund 4.000 Exponate - Skulpturen, Malereien, Fotografien, im Laufe von 30 Jahren Sammlertätigkeit zusammengetragen - den Schatz der Essl Privatstiftung, sie lagern zur Zeit verstreut in diversen Depots und sollen nun endlich unter einem gemeinsamen Dach zueinander finden. Der Architekt der privaten Kunst- und Ausstellungshalle ist Heinz Tesar. Seit April des Vorjahres wird gebaut, der Rohbau steht bereits, Zeit also, für einen ersten Lokalaugenschein.

Essls Kunsthaus befindet sich auf prominentem Bauplatz direkt an der Stadteinfahrt zu Klosterneuburg, kurz vor dem Stift auf der rechten Seite und am Rand der Donauauen. Das Gebäude an der Wienerstraße fällt mit seinen hohen Galerie-Lichtlaternen jedem Vorbeifahrenden sofort auf und liegt nur wenige Autominuten vom großen Einzugsgebiet Wien entfernt. Die Kunstherberge ist riesig - fast hundert Meter lang, sie enthält an die 8.000 Kubikmeter umbauten Raum und verfügt über 3.200 Quadratmeter Ausstellungs-und enorme 2.275 Quadratmeter Depotfläche samt Werkstätten und Nutzräumen für Restaurierungsarbeiten.

In anfänglicher Bescheidenheit wollte der Sammler vor ein paar Jahren eigentlich nur ein Depot für seine Kunstwerke errichten lassen, was unter Essl-Kennern und Freunden zu allgemeiner Heiterkeit und quasi Wettabschlüssen darüber führte, wie groß die, sich unweigerlich aus dieser Depotidee entwickelnde Ausstellungshalle denn ausfallen würde. Die Höchstbieter gewannen.

Statt einer schlichten Bildergarage steht nun ein 22 Meter hoher, imposanter Baukörper mit annähernd dreieckigem Grundriß zwischen Auwald und Weingarten in der Landschaft. Das Raumprogramm sieht neben den Depot- und Ausstellungszonen auch eine Bibliothek, ein Café, einen Shop, diverse Verwaltungs- und Büroräumlichkeiten, ein Musikstudio und einen Konferenzbereich vor.

Die beiden Haupttrakte sind dem Ausstellungsbetrieb vorbehalten, im einen Flügel ist eine Galerie mit sieben Sälen untergebracht, im anderen zwei großzügige Ausstellungshallen. In der Galerie werden künftig die wichtigsten Essl-Exponate permanent zu sehen sein, die Hallen sind für Wechselausstellungen vorgesehen.

Architekt Heinz Tesar hat einen nicht immer ganz klaren, nicht immer leicht zu lesenden Baukörper entworfen, die Sprache des Hauses bleibt uneinheitlich, ein wenig rätselhaft und schwerfällig. Die Ausbauphase und die von seiten der Stadt versprochene Gestaltung des direkten Umlandes mag diese Sprachverwirrung noch ein wenig vereinheitlichen. Bereits jetzt ist aber klar, daß in den Räumen schöne Lichtverhältnisse herrschen, und daß es dem Architekten gelungen ist, die Schwere des Gebäudes zumindest von innen mit Fensterschlitzen und kleinen Ausblicken aufzulockern.

Tesar wurde vom Sammlerehepaar Essl direkt beauftragt, er ist ein langjähriger Freund des Hauses und hat vor zwölf Jahren bereits Essls Schömer-Haus, ebenfalls in Klosterneuburg gelegen, gebaut. „Wir befinden uns in geistigem und künstlerischem Gleichklang“, sagt Essl, und: „Der Architekt hat sich mit diesem Gebäude nicht selbst verwirklicht, sondern genau das Haus für die Kunst gebaut, das wir von ihm wollten. Es ist außen schlicht, weckt aber Interesse, und die Innenräume bescheren dem Eintretenden ein großes Aha-Erlebnis.“

Sobald das neue Ausstellungshaus fertiggestellt ist, will Essl ein ausgefeiltes Kunstvermittlungsprogramm für alle Altersgruppen starten, um Groß und Klein „für moderne Kunst zu begeistern“. Was die Bau- und Planungskosten des Ausstellungshauses anbelangt, hält sich Essl bedeckt. Die Finanzierung eines solchen Gebäudes, so meint er, sei nicht einfach, „doch dieses Problem müssen wir schon selbst lösen.“

Essls Engagement in Sachen Architektur trägt auch unternehmensintern Frucht. Neuerdings verpflichtet BauMax namhafte heimische Architekten für die Planung ihrer Baumärkte. Der vor kurzem eröffnete Mega-BauMax in Schwechat vom Architektenduo Marta Schreick und Dieter Henke hebt sich als anständige, klare Gebrauchsarchitektur wohltuend von den unmotiviert gestalteten Standardschuppen der Stadtrandzonen ab. Für weitere Standorte in Steyr, Klagenfurt, Salzburg und Wien-Laxenburgerstraße wurden die Kollegen Paul Katzberger, Volker Gienke, Heinz Tesar und Ernst Beneder engagiert.

Wenn Karlheinz Essl Architektur denkt und handelt, dann freuen sich also nicht nur er und seine Frau, sondern auch wir Dritte.

Der Standard, Fr., 1999.02.19



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Museum Sammlung Essl

12. Februar 1999Ute Woltron
Der Standard

Architekturzeitmaschine

Der Name „Wrenkh“ steht in Wien für zweierlei: Einerseits ist da die köstliche, seit Jahren von Kritikerfeder gepriesene wrenkh'sche vegetarische Küche....

Der Name „Wrenkh“ steht in Wien für zweierlei: Einerseits ist da die köstliche, seit Jahren von Kritikerfeder gepriesene wrenkh'sche vegetarische Küche....

Der Name „Wrenkh“ steht in Wien für zweierlei: Einerseits ist da die köstliche, seit Jahren von Kritikerfeder gepriesene wrenkh'sche vegetarische Küche. Andererseits gibt es diese beiden sehr unterschiedlichen Lokalitäten in verschiedenen Bezirken, in denen man die lukullischen Angelegenheiten in sehr unterschiedlichem Ambiente zu sich nehmen kann.

Der Innenstadt-Wrenkh ist eines der ersten vom Wiener Architektengespann Gregor Eichinger und Christian Knechtl gemachten Lokale und geizt nicht mit witzigen und klugen Details. Wer je im Wirtshaus am Bauernmarkt gespeist hat, denkt fürderhin beim Anblick einer Campariflasche unweigerlich an rotschimmernde Lichtobjekte.

Das zweite Lokal, der Vorstadt-Ur-Wrenkh, war bisher ein gemütliches, aber bis zur Unkenntlichkeit mit Erinnerungsstücken angerümpeltes Raumkonglomerat mit zu vielen persönlichen Noten, um eindeutig zu sein. Die Sache sei nicht mehr zeitgemäß, dachten sich die Besitzer, und sie beauftragten ihre alten Architekten mit einer Sanierung und Neugestaltung des Restaurants im 15. Wiener Gemeindebezirk. Die Auflagen waren klar: Der Umbau sollte möglichst preisgünstig und möglichst rasch vonstatten gehen, und das Resultat sollte jedoch auch danach immer noch ein Vorstadtrestaurant sein, aber halt eben ein zeitgemäßes. Die Architekten hielten sich an die Vorschrift: Nach nur zweiwöchiger Planungszeit und atemberaubender zweiwöchiger Bauzeit konnte das Lokal vor kurzem neu eröffnet werden. Christian Knechtl: „Unser Ziel war eine Optimierung von Material, Aufwand und Energie. Das haben wir vor allem durch das Weglassen von Überflüssigem und durch das Ergänzen von Notwendigem erreicht.“

Die Architekten wühlten sich erst „wie Archäologen durch verschiedenste Schichtungen und Ebenen von Kitsch und Gerümpel“, die sich in den etwa 90 Jahren seit Bestehen des Wirtshauses angesammelt hatten. Nach Beseitigung mehrerer Zwischenwände, die sich im Laufe der Jahre aufgebaut und das Lokal zu drei Räumchen verkleistert hatten, und der Aussonderung diverser zur Gasthauscollage angesammelter Faktoten, förderten sie einen großzügigen, unverschachtelten Raum zutage.

Die alten, die Wände entlanglaufenden Lamperien - typisch für Wirtshäuser älteren Datums - wurden erhalten, nur neu gestrichen und zum Teil mit offensichtlich neuem Material ergänzt. Da sie in unterschiedlichen Höhen abschließen, sorgt nun ein neu angebrachtes, den Raum umlaufendes Bord für einen einheitlichen, beruhigenden Horizont. Dort dürfen auch ruhig noch ein paar Erinnerungsstücke ankern, sie werden von an die Wände montierten Schreibtischlampen beleuchtet. Ebenfalls erhalten geblieben ist die charismatische alte Kühl-Schank. Die übrige Möblierung wurde großteils erneuert.

„Das Neue“, sagt Christian Knechtl, „ist als ganz Neues erkenntlich, das Alte als ganz Altes. Wir wollten das System Vorstadtwirtshaus mit seinen Zeitschichten erhalten, und das haben wir nur erreicht, indem wir es der Zeit angepaßt haben.“

Der Standard, Fr., 1999.02.12

12. Februar 1999Ute Woltron
Der Standard

Wo in Mexiko Brasilia liegt

Zwölf der prominentesten Architekten der Welt bauen in Guadalajara einen neuen Stadtteil für ein privates Investorenkonsortium. Mit von der Partie sind die Österreicher Coop Himmelb(l)au

Zwölf der prominentesten Architekten der Welt bauen in Guadalajara einen neuen Stadtteil für ein privates Investorenkonsortium. Mit von der Partie sind die Österreicher Coop Himmelb(l)au

Vergangenen Herbst versammelte sich in der schönen mexikanischen Stadt Guadalajara unter Ausschluß der Öffentlichkeit eine Runde elf sehr unterschiedlicher Herren und einer Dame. Sie kamen aus zwölf sehr unterschiedlichen Städten, um für einen kurzen Moment gemeinschaftlich Zigarren zu rauchen, gute Dinge zu trinken, viel über Architektur und Städtebau zu sprechen und dabei zahllose Servietten und Skizzenblätter mit Visionen vollzukritzeln.

Aus Los Angeles reiste Frank O. Gehry an, aus Holland traf Rem Koolhaas ein, Philip Johnson kam aus New York, Carme Pinós aus Barcelona, Toyo Ito aus Tokyo, Jean Nouvel aus Paris, und die Herren Stephen Hall, Daniel Libeskind, Tod Williams, Thom Mayne und Enrique Norten ließen ebenfalls ihre Büros und Baustellen Büros und Baustellen sein und trafen der Reihe nach in Guadalajara ein. Auch ein Gesandter aus Österreich war mit von der Partie, nämlich Wolf Prix von den Coop Himmelb(l)au aus Wien.

Eine geballte Ladung Architektur hatte sich da versammelt. Zwölf der wichtigsten Architekten der Welt saßen an einem gemeinsamen Tisch und lauschten der Rede des mexikanischen Privatunternehmers Jorge Vegara. Der 40jährige Selfmade-Man hatte die Bau-Meister zusammengetrommelt. Als Chef mehrerer Unternehmen unterhält der Mexikaner nicht nur einen gewinnsprudelnden Softdrinkkonzern, der in neun Ländern mit allerlei Energy-Drinks vertreten ist, er pflegt außerdem eine ausgeprägte Neigung zu guter Architektur.

Für Guadalajara, so eröffnete er den Angereisten, plane er gemeinsam mit Geschäftskollegen und Investoren einen neuen Stadtteil an der Peripherie zu errichten. Das dazugehörige, zur Zeit völlig brachliegende Ackergrundstück von über zwei Millionen Quadratmetern habe man bereits erworben. Was man nun aber vor allem benötige, wäre ein städtebaulicher Masterplan sowie verschiedenste infrastrukturelle Maßnahmen - wie Kinos, Stadthallen, Verwaltungszentren, Hahnenkampfarenen - die man sich in Bälde in Entwurfsform von den hier versammelten Architekten erwarte.

Guadalajara ist mit rund sechs Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Mexikos, und sie ist zugleich wichtigster Sitz der Computerindustrie des Landes. Der neue Stadtteil soll neben der Zentrale der Vegara-Firma „Omnilife“ Büros und Wohnungen beheimaten. Doch um eine neue Stadt zum Funktionieren und Pulsieren zu bringen und um Investoren etwa für die Wohnbebauung anzulocken, so hatte sich der Unternehmer gesagt, sei eine intelligente Infrastruktur vonnöten, und die solle tunlichst von erstklassigen internationalen Architekten entworfen werden. Bevor er also an die konkrete Planung seiner neuen Stadt ging, verfügte sich der Mexikaner in seinen Privatjet und begab sich zu architektonischen Kristallisationspunkten auf der ganzen Welt. So besah er sich etwa Frank O. Gehrys platinbeschuppten Guggenheimdrachen in Bilbao, Bürohäuser von Jean Nouvel und Philip Johnson, die Arbeiten von Daniel Libeskind und Toyo Ito und schaute auch bei dem städtisch interaktiven Kinozentrum der Wiener Himmelblauen in Dresden vorbei. Dann sortierte er die seiner Meinung nach wichtigsten Architekturen aus dem Gesehenen und lud die dazugehörigen Baukünstler ein.

Beim ersten herbstlichen Treffen in Guadalajara beschlossen Architekten und Investor die Erstellung eines Masterplans und teilten die wichtigen Stadtelemente bis zur nächsten Zusammenkunft untereinander auf. Tod Williams verließ Mexiko zum Beispiel mit dem Versprechen, ein Amphitheater zu planen, Gehry war für ein Theater zuständig, Johnson für ein Kindermuseum, Ito für ein Museum moderner Kunst, Hall für Hotels, Pinós für ein Messegelände.

Nach weiteren gemeinschaftlichen Absprachen in New York im Dezember liegen nun die ersten konkreten Entwürfe vor. Sie sollen Ende Februar in Kuba intern präsentiert werden, wo das nächste Architekten-tete-à-tete stattfinden wird.

Coop Himmelb(l)au hat für das Stadtzentrum ein mit 120 mal 240 Metern gigantisches Entertainement- & Commercial-Center entworfen, das etwa zwanzig mal die Größe des Dresdner Projektes hat. Es mischt die verschiedenen Funktionen wie eine moderne, große Agora auf diversen Ebenen, ist vom Passanten über Rampen, Stege und Boulevards von allen Seiten durchquerbar und funktioniert somit wie eine großstädtische Zentrumsdrehscheibe am Rande des Stadtplatzes.

„Die Raumgrenzen zwischen den verschiedenen Funktionen verwischen“, sagt Prix, „es ist ein osmotisches Gebäude, in dem der Raum der Ware in den Raum des Wissens übergeht.“ Das Zentrum ist mit seinen 16 Kinos (7.000 Sitze), einer Shoppingzone sowie einer Vielzahl von Restaurants und Musikclubs rund um die Uhr aktiv und funktioniert wie ein innerstädtischer Motor.

Ein interaktives Medienmuseum erhebt sich an einem Ende des Gebäudekomplexes wie ein Stahl-Glas-Kristall über die Plaza. Dort sollen künftig die Innovationen der für die Stadt so wichtigen Computerindustrie für alle sichtbar in den Stadtraum abgefackelt werden.

Wenn alles gut geht, ist im Frühjahr 2000 Baubeginn. Er könne nicht verhehlen, so Prix, daß anfangs keiner wirklich von der Realisierung überzeugt war. Doch mittlerweile habe sich dieser Pessimismus in der Architektentruppe völlig gelegt.

Der Standard, Fr., 1999.02.12

28. Januar 1999Ute Woltron
Der Standard

Gesprengter Davidstern als Haus der Leere

Berlin - Ein Haus als Monument: Dieses Wochenende sperrt das Jüdische Museum in Berlin für die Honoratioren seine Pforten auf, die Öffentlichkeit muß noch...

Berlin - Ein Haus als Monument: Dieses Wochenende sperrt das Jüdische Museum in Berlin für die Honoratioren seine Pforten auf, die Öffentlichkeit muß noch...

Berlin - Ein Haus als Monument: Dieses Wochenende sperrt das Jüdische Museum in Berlin für die Honoratioren seine Pforten auf, die Öffentlichkeit muß noch warten, sie erhält ab 30. Jänner Einlaß. Wer allerdings in das metallbeschichtete Haus hineingelangen will, dem wird dieses Unterfangen nicht leicht gemacht. Der Besucher muß sich erst genauer mit der Architektur auseinandersetzen, bevor sie Einlaß gewährt.

Daniel Libeskind, der in Polen geborene, in Amerika aufgewachsene und nun bereits seit fast einem Jahrzehnt in Deutschland ansässige Architekt des soeben fertiggestellten Museums-Monuments hat den Eingang zum dekonstruktivistisch-expressionistischen Gebäude ins knapp zweihundert Jahre ältere Nachbarhaus verlegt, in dem auch das Berlin-Museum untergebracht ist.

Das neue, auffällige Bauwerk ist Raum und Gebäudekubatur ohne Ein- und Ausgang, erschlossen nur durch einen unterirdischen Gang. Im Grundriß zeigt sich das Haus als dekonstruierter, verfremdet wieder zusammengesetzter Davidstern. Von außen ist sein Innenleben nicht ablesbar, lediglich Fensterschlitze und kleine Aus- bzw. Eingucke zerreißen das ansonsten silbrig-homogen verkleidete Mauerbollwerk.

Architekt Libeskind hat drei symbolische Achsen in das Innere dieser komplizierten, winkeligen Räumlichkeit geschlagen. Für welche sich der Besucher zuerst entscheidet, bleibt ihm selbst überlassen.

Auch die Wegeführung macht es dem Eindringling also nicht leicht. Die „Achse des Exils“ mündet in den „E.T.A. Hoffmann Garten“ - ein Labyrinth aus betongegossenen, schräg aufragenden Kuben. Die „Achse der Vernichtung“ führt über - den Schritt verunsichernde - Schrägen und finstere Gänge in einen völlig leeren Raum, der lediglich von einem feinen Lichtstrahl diffus erleuchtet wird. Die dritte und letzte „Achse der Kontinuität“ geleitet den Besucher schließlich in die Ausstellungsräume, die, so Michael Blumenthal, der Direktor des neuen Museums, allerdings erst ab Oktober 2000 bespielt werden. Die Baukosten beliefen sich auf 845 Millionen Schilling (61,4 Millionen Euro).

Während man im Jüdischen Museum bereits erste - aufgrund der schwierigen Baulichkeit gespannt erwartete - Ausstellungskonzepte erarbeitet, harrt das Berliner Mahnmal-Projekt weiterhin einer Entscheidung.

Der Standard, Do., 1999.01.28



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Jüdisches Museum

18. Dezember 1998Ute Woltron
Der Standard

Die Aussicht heisst Durchblick

Das neue Innsbrucker Uni-Gebäude wird seinen Studenten neben Sozial- und Wirtschaftswissenschaft auch die Vorzüge transparenter, gescheiter Architektur beibringen

Das neue Innsbrucker Uni-Gebäude wird seinen Studenten neben Sozial- und Wirtschaftswissenschaft auch die Vorzüge transparenter, gescheiter Architektur beibringen

Was der Architekt seiner Architektur beigebracht hat, das gibt sie an ihre Benutzer weiter. Gescheite Häuser zeigen deshalb stets allerlei sinnvolle Dinge an. Von außen etwa, wo sie am besten betreten werden wollen und wie man am einfachsten auf die andere Seite gelangt; von innen, wo es sich in ihnen am gemütlichsten tratschen und Kaffee trinken oder arbeiten läßt, wie man sich drinnen optimal orientiert und manches andere mehr. In dummen Häusern verirrt man sich, und sie stehen wie Fremdlinge in der Landschaft.

In Tirol wird demnächst ein in vieler Hinsicht kluges Haus eröffnet: Im kommenden März besiedeln rund fünftausend Studenten mit ihren Professoren und Assistenten die neue „Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Innsbruck“ - ein Gebäude, das als Universitätsbau einer neuen Generation konzipiert und ausgeführt wurde. Es ist das erste dieser offenen, kommunikativen, unverschachtelten Art in Österreich.

Die Architekten und Lehrmeister des Hauses sind die nach Wien ausgewanderten Tiroler Dieter Henke und Marta Schreieck. Die beiden haben sich in den vergangenen fünfzehn Jahren vor allem als Wohnbauer einen Namen gemacht, ihr vielseitiges, strenges Talent aber zum Beispiel auch mit einer sauberen Baumarkthalle in Schwechat und einer Schule in Wien unter Beweis gestellt. Den Wettbewerb für die „SOWI Innsbruck“ hatten sie bereits vor zehn Jahren als absolute Newcomer gewonnen, zu einer Zeit, da sie selbst noch fast die Studienbank an der Akademie der bildenden Künste bei Roland Rainer drückten.

Die beiden wichtigsten Lehrsätze des gerade fertiggestellten 23.300-Quadratmeter-Hauses am Rande der Innsbrucker Altstadt lauten folgendermaßen. Erstens: Das Innere des Gebäudes ist so gestaltet, daß offen, in Seminaren und in kleinen Gruppen, und nicht nur in Riesenhörsälen gelernt werden kann, und daß ein optimaler Austausch zwischen den verschiedenen Instituten stattfindet.

Zweitens: Die Gebäudekuben stehen nicht wie ein Pflock in der Landschaft, sondern gliedern und definieren diese mitsamt ihren Verkehrsflüssen und Platzstrukturen zu einem gelungenen Ensemble. Und der übergeordnete Slogan für die gesamte Architektur des Hauses, vom Gesamtkonzept bis zum kleinsten Fensterband, lautet: Transparenz.

Diese macht sich in vielen Wahrnehmungsdetails bemerkbar: Das Gebäude erstreckt sich zwar als hoher, zum Teil auskragender Riegel entlang der Flanke des prachtvollen Innsbrucker Hofgartens, im Bereich der Universitätsstraße und der Kaiserjägerstraße. Dank vieler Durchblicke und Durchgänge, die zu benutzen übrigens auch die nicht-studierende Bevölkerung herzlich eingeladen ist, bildet der Bau aber keinen unüberwindlichen Fußgängerstaudammklotz, sondern saugt die Passanten entweder an seinem Leib vorbei, oder durch sein Inneres selbst in den Park dahinter.

Transparenz durchzieht auch Körper und Bauch der auffällig fein und sorgfältig ausgeführten Beton-Stahl-Glas-Konstruktion: Dort drinnen ist der alte Baumbestand des Parks fast überall präsent, er blitzt durch großzügige Verglasungen, über Fensterbänder und Durchblicke kreuz und quer in Gänge und in Hörsäle. In manchem obergeschoßig gelegenen und ums Eck verglasten Institutsraum fühlt man sich wie im Hause Tarzans, hoch oben in den Baumwipfeln. Und über allem, ebenfalls immer präsent, steht die Nordkette.

Transparenz herrscht auch in Seminarräumen und Hörsälen: In viele der Lehrräume hat der Gangpassant Einblick. Wenn das Haus einmal bezogen ist, wird es immer klar darüber Auskunft geben, was in ihm gerade wo los ist. Da Transparenz auch eine tugendhafte zwischenmenschliche Umgangsform ist, liegen die Seminarräume stets zwischen zwei Instituten und können sozusagen von beiden Seiten bespielt werden.

Auch die Lektion, daß ein Gebäude, das ständig von vielen Menschen durchwimmelt wird, übersichtlich sein sollte, hat der neue Uniableger gekonnt beherzigt. Dank einer großzügigen, abgetreppten und völlig überglasten Halle, dem Kernstück der gesamten Anlage, weiß der Student oder Besucher stets genau, wo er sich befindet, und wie er sich orientieren kann. Das stellt ebenfalls eine Art hilfreicher Transparenz dar.

In dieser Kernzone, die als Erschließungs-und Kommunikationsbereich für die Studierenden dient, befindet man sich sofort, wenn man das Gebäude betreten hat. Links und rechts von den Treppen und Plateaus führen Eingänge zu den insgesamt 16 Instituten. Je nach Lust und Laune können sich die Insassen mittels Holzjalousien zu dieser Zentralhalle hin öffnen oder schließen, also mit dem öffentlichen Verkehrsraum und seinen Passanten kommunizieren oder nicht.

Auch die Konzeption und die Anordnung der einzelnen Institute erfolgten nach den Gesetzen der Transparenz und des gemeinsamen Lernens: Die Architekten erarbeiteten die Lage der Institute mit allen Professoren, die Raumeinteilung der einzelnen Einheiten mit den dort Verantwortlichen und schließlich sogar die Möblierung jedes Zimmers mit seinem Benutzer. Das Ergebnis dieser Studien ist eine maßgeschneiderte, aber trotzdem sehr flexible Hülle für einen lebendigen, wachstumsfähigen Universitätsorganismus.

Im direkten Umfeld der Uni entsteht ein ebenfalls von Henke und Schreieck geplantes Managementzentrum, von dem man sich universitären und wirtschaftlichen Austausch erwartet. Ebenfalls benachbart liegt ein Wohngebäude, das demnächst fertiggestellt wird.

Nach einer Bauzeit von zwei Jahren und Nettogesamtbaukosten von 546 Millionen Schilling steht also die neue Universität nun für Lernende und Lehrende bereit, dort, wo sich früher eine Akademie mit ganz anderen Lehrmethoden befunden hat, nämlich die Fennerkaserne. Dereinst wurde hier exerziert, jetzt wird gebüffelt. Und damit das zwischenmenschliche Lernen dabei nicht vernachlässigt wird, erfolgt zur Zeit bereits eine Besiedelung der erdgeschoßig im Uni-Wohnhaus-Büro-Ensemble bereitstehenden Geschäfte und Beiseln. So richtig gescheit wird ein Haus doch erst durch seine Benutzer.


Strenge Senkrechtstarter

Die Architekten Henke-Schreieck

Seit 1983 arbeiten die Tiroler Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck in einer Bürogemeinschaft. Zuvor studierten sie bei Roland Rainer an der Wiener Akademie der bildenden Künste.

Nach diversen Einfamilienhäusern, Um- und Ausbauten stellten sie ihr erstes wichtiges und vielbesprochenes Gebäude 1993 in Form eines völlig unkonventionellen Wohnbaus in die Frauenfelderstraße im 17. Wiener Gemeindebezirk. Auftraggeber ÖBV heimste für das geschickt erschlossene Gebäude mit den großzügigen Fensterflächen und dem intelligenten Innenausbau prompt den Bauherrenpreis ein.

Für den Umbau des Hackinger Stegs in Wien Hietzing (gemeinsam mit Wolfdietrich Ziesel) bekamen die Architekten selbst zwei Jahre später den Adolf Loos Preis zugesprochen. Und Schömer-Chef Karlheinz Essl war von einem bauMax-Wettbewerbsbeitrag der beiden so angetan, daß er bei ihnen einen Mega-bauMax-Markt in Schwechat in Auftrag gab.

Apropos Wettbewerb: Bisher haben die Tiroler, die ihr Büro in Wien aufgeschlagen haben, jedes einzelne Projekt über Wettbewerbe zugesprochen bekommen. Zuletzt gewannen sie vor zwei Wochen das Rennen um die Errichtung einer AHS im 22. Bezirk Wiens. Im Frühling wird eine Wohnsiedlung im 23. Bezirk fertig, und die Neugestaltung des Badener Bahnhofs - ein geladener Wettbewerb - soll in den kommenden Jahren Wirklichkeit werden.

Dieter Henke und Marta Schreieck sind gestrenge Detail- und Ausführungsfetischisten. Wer, wie sie, gerne in Stahlbeton baut, muß mit Präzision und Disziplin arbeiten, jeden Stecker, jeden Anschluß vorplanen. Mit der SOWI haben sie ihr bisher größtes Projekt vollendet. Schreieck: „Das gelang allerdings nur, weil wir mit der BIG den perfekten Auftraggeber hatten.“

Der Standard, Fr., 1998.12.18



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SOWI Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät - Neubau

20. November 1998Ute Woltron
Der Standard

Die vielen Wahrheiten der Architektur

Der 6. Wiener Architekturkongreß im Museumsquartier brachte die Erkenntnis, daß es so viele verschiedene Architekturauffassungen gibt wie Menschen. Ute Woltron hat sich ein paar davon angehört.

Der 6. Wiener Architekturkongreß im Museumsquartier brachte die Erkenntnis, daß es so viele verschiedene Architekturauffassungen gibt wie Menschen. Ute Woltron hat sich ein paar davon angehört.

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16. Oktober 1998Ute Woltron
Der Standard

Der Befreiungsschrei der Eternitplatte

Der Architekt Klaus-Jürgen Bauer beschäftigt sich mit ästhetischen Randbereichen seiner Zunft. Er weiß etwa, „warum es chic geworden ist, den Beton möglichst schlecht verarbeitet aussehen zu lassen“.

Der Architekt Klaus-Jürgen Bauer beschäftigt sich mit ästhetischen Randbereichen seiner Zunft. Er weiß etwa, „warum es chic geworden ist, den Beton möglichst schlecht verarbeitet aussehen zu lassen“.

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11. September 1998Ute Woltron
Der Standard

Wir steuern auf Grossartiges zu

Jede Lehre hat ihren Hüter: Alan Greenspan bewacht die Weltfinanz, wenn er bellt, zittert die Börse. Bill Gates herrscht über die Computerbranche, was er sagt, ist Programm. Philip Johnson diktiert die Weltarchitekturszene. Was er gutheißt, wird Stil. Der 91jährige Königsmacher und Scharfrichter der Architektur wird am Montag eigenhändig seine Architektur-Skulptur „Wiener Trio“ vor dem Ringturm enthüllen.

Jede Lehre hat ihren Hüter: Alan Greenspan bewacht die Weltfinanz, wenn er bellt, zittert die Börse. Bill Gates herrscht über die Computerbranche, was er sagt, ist Programm. Philip Johnson diktiert die Weltarchitekturszene. Was er gutheißt, wird Stil. Der 91jährige Königsmacher und Scharfrichter der Architektur wird am Montag eigenhändig seine Architektur-Skulptur „Wiener Trio“ vor dem Ringturm enthüllen.

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07. August 1998Ute Woltron
Der Standard

Wer baut, ist der Chef

Frank Lloyd Wright sprengte erst das Haus und dann die Großstadt und verstreute die Trümmer über eine Gartenlandschaft. Eine Ausstellung in Weil am Rhein setzt Wrights Gedanken-Splitter seine „Living City“ wieder zusammen.

Frank Lloyd Wright sprengte erst das Haus und dann die Großstadt und verstreute die Trümmer über eine Gartenlandschaft. Eine Ausstellung in Weil am Rhein setzt Wrights Gedanken-Splitter seine „Living City“ wieder zusammen.

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31. Dezember 1996Ute Woltron
Der Standard

„Mehr Intelligenz am Grab“

Die Vorarlberger Architekten Gerhard Ströhle und Simon Rümmele erfinden das „Grabdenkmal des 21. Jahr- hunderts“. Die Devise lautet: Weg vom Granit, hin zum Ewigen Licht

Die Vorarlberger Architekten Gerhard Ströhle und Simon Rümmele erfinden das „Grabdenkmal des 21. Jahr- hunderts“. Die Devise lautet: Weg vom Granit, hin zum Ewigen Licht

Tatsächlich ist das meiste, was sich in Sachen Design auf zeitgenössischen Friedhöfen abspielt, ein Trauerspiel in Granitgrau und Goldschnittschrift zwischen Buchshecken und Lebensbäumen. Noch überwiegt Besinnlichkeit. Doch nun wird auch die letzte Ruhestätte zum Objekt gestaltender Kräfte: Die Vorarlberger Architekten Simon Rümmele und Gerhard Ströhle, alias www.fuerrot.at, haben "über die Zukunft unserer Gräberkultur nachgedacht und ein „Grabdenkmal des 21. Jahrhunderts“ ersonnen". Denn die Kunst der Bestattung und der Ewigen Ruhe, so meinen sie, sei einer neuen Kultur und den Standards des angebrochenen Jahrtausends entsprechend zuzuführen.

Zwei Grabstätten der Zukunft haben die beiden bereits realisiert. Eine davon befindet sich seit Sommer dieses Jahres auf dem Gottesacker des vorarlbergerischen Götzis. Dort leuchtet ein „automatisiertes ewiges Licht“ den Verstorbenen der Familie Ströhle. Die Architekten griffen in ihrem Entwurf tief in den Fundus der angelernten Symbolik der vergangenen Jahrtausende, modifizierten sie, hauchten ihr gewissermaßen den zeitgenössischen Geist ein und entwarfen ein futuristisches Grab, das „auch ohne aufwendige Wartung stets gepflegt erscheint“.

Die Grabplatte, traditionell aus Granit gehauen oder Beton gegossen, ersetzt ein strukturiertes Edelstahlblech, in das ein Solarmodul eingelassen ist. Letzteres ist, um in der Terminologie des Zeitgenössischen zu verharren, multifunktional, denn zum einen sind die Solarzellen in Form eines Kreuzes angeordnet, zum anderen produzieren sie jenen Strom, der eine Blei-Gel-Batterie speist und eine LCD-Anzeige bedient. Die wechselnden Texte können über eine PC-Schnittstelle stets modifiziert und gewissermaßen den Bedürfnissen des Toten angepasst werden. Rümmele: „Auf diese Weise kann auf die Individualität des Verstorbenen optimal eingegangen und sein Leben, seine Vorlieben und Hobbys besser dokumentiert werden.“ Was Rümmele „mehr Intelligenz am Grab“ nennt, ist auch in standardisierter Form zu haben. Je nach Größe und technischer Ausstattung ab 6000 Euro. Das Interesse an der neuen Liegestatt für die Ewigkeit scheint groß zu sein, Kundenwünsche aus Deutschland, Irland und Österreich müssen befriedigt werden, sogar ein australisches TV-Team wurde bei den Vorarlbergern vorstellig.

Auch auf einem Wiener Friedhof leuchtet bereits fuerrots ewiges Licht. Diesmal in Form eines weißen, nachts gleißend hell erleuchteten Glasdeckels. „Der Effekt der Öffnung (Entweichung der Seele)“, so meinen die Grabdesigner, „verstärkt sich zudem durch das darüber liegende, dynamisch gebogene Solarmodul.“ Eine „aufgedruckte, immergrüne Rose“ symbolisiert ewiges Leben, auch das Kreuz fehlt nicht. Eine in die Grabplatte integrierte Öffnung lässt den Blick auf das darunter liegende Erdreich frei - also auf jenen Humus, aus dem „wiederum Leben entsteht“.

Adolf Loos, der selbst Gräber, unter anderem sein eigenes, entwarf, hatte es seinerzeit mit der Symbolik so verstanden und im Jahr 1910 niedergeschrieben: „Wenn wir im walde einen hügel finden, sechs schuh lang und drei schuh breit, mit der schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst, und es sagt etwas in uns: Hier liegt jemand begraben. Das ist architektur.“

Die Zeiten wandeln sich bekanntlich. Die Architekten von www.fuerrot.at geben als Merkmale ihrer Gräber „solide Technik, High-Tech-Materialien, Langlebigkeit, Korrosionsfreiheit, Recyklierbarkeit“ an. Sei noch die rasche Montagezeit zu erwähnen sowie die „einfache Programmierung zusätzlicher Sprüche und Namen“. Die Wiener Grabkammer ist nämlich, ganz im Sinne der Synergie und Nachhaltigkeit, für insgesamt zwölf Särge nutzbar. Wenn das kein Leben nach dem Tod ist.

Der Standard, Di., 1996.12.31

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