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31. August 2018Michael Hanak
TEC21

Zurück in die Zukunft

Das Museum für Gestaltung und die daran anschliessende Gewerbeschule gelten als Ikonen des Neuen Bauens. Ruggero Tropeano Architekten haben den Museumstrakt in seine ursprüngliche Form zurückgeführt und ihn zugleich für die Zukunft ertüchtigt.

Das Museum für Gestaltung und die daran anschliessende Gewerbeschule gelten als Ikonen des Neuen Bauens. Ruggero Tropeano Architekten haben den Museumstrakt in seine ursprüngliche Form zurückgeführt und ihn zugleich für die Zukunft ertüchtigt.

Ansporn und Herausforderung zugleich waren die unverkennbaren Qualitäten des ursprünglichen Baus, die bei der aktuellen Instandsetzung unbedingt erhalten bleiben mussten: Er gilt als Zürichs erstes öffentliches Gebäude im Stil des Neuen Bauens. Projektiert hatten ihn Karl Egender und Adolf Steger. Sie waren als Sieger aus dem zwischen 1925 und 1927 in zwei Durchgängen ausgetragenen Wettbewerb hervorgegangen, den die Stadt Zürich nach langer Vorgeschichte und Vorbereitungszeit durchgeführt hatte.[1]

Angeregt durch die politischen und gesellschaftlichen Reformen wagten sich die Architekten während der Weiterbearbeitung des Projekts immer weiter in die Abstraktion.

Die zunehmend mutigere Umsetzung lässt sich an den drei Flügeln des Komplexes ablesen: Der zuerst geplante Schulbau, geprägt von einem weit gespannten Achsmass, das grosse Fensterflächen zulässt, erscheint noch relativ konventionell. Die Anlehnung an eine basilikale Form für die Ausstellungshalle im Mittel­teil ist bereits als eine Provokation zu betrachten, während der expressive Kubus an der Ausstellungsstrasse mit seinen Fensterbändern und der sorgfältig gesetzten Beschriftung von den neuen Leitbildern zeugen.

Der Kunsthistoriker Sigfried Giedion nahm unterstützend Einfluss auf die Form: Er forderte einen zwanglosen, funktionalen Charakter, ohne Lichthöfe.[2] Als wegweisend hinsichtlich Modernität galt natürlich das Bauhaus in Dessau. Wie zur gleichen Zeit bei der Siedlung Neubühl und dem Geschäftsgebäude Zett-Haus suchte man für Kunstgewerbemuseum und Gewerbeschule nach einer zukunftsorientierten Form – ein Ansatz, der nicht unumstritten war. So war von «Architektur-Bolschewismus einiger exzentrisch veranlagter Künstler» die Rede; und der deutsche Heimatschützer Paul Schultze-Naumburg kritisierte, man könne den Bau nicht von einer Schuh- oder Fahrradfabrik, von Werkstätten für kosmetische Artikel oder einer Milch­zentrale unterscheiden.[3]

Neue Technik und mehr Platz

Im Lauf der Jahre hat das 1930 bis 1933 errichtete Museumsgebäude einige Veränderungen erfahren (vgl. Chronologie, Kasten unten). Einschneidend war der Einzug eines Zwischenbodens im doppelgeschossigen Bereich der Ausstellungshalle 1958, auf der Höhe der rundum verlaufenden Galerie. In den 1990er-Jahren erfolgte, als es dringend notwendig geworden war, die Renovation der Fassaden und des Flachdachs. Zuvor war der Bau unter Denkmalschutz gestellt worden und von der Stadt an den Kanton übergegangen. Nach dem Umzug der Zürcher Hochschule der Künste ins Toni-Areal 2014, in dem das Museum für Gestaltung Zürich einen zweiten Ausstellungsort erhielt (vgl. TEC21 39/2014), konnten nun der Museums- und der Schultrakt instandgesetzt werden – notabene jeder für sich und durch ver­schiedene Architekten (für den Umbau der ehemaligen Kunstgewerbeschule zeichneten Silvio Schmed und Arthur Rüegg verantwortlich).

Den Anstoss zum jetzigen Umbau, der seit Jahren angedacht war[4], gab die Museumsleitung, die die Ausstellungskonditionen bezüglich Raumklima und Brandschutz für untragbar erklärte. Die konservatorischen Bedingungen entsprächen nicht mehr den internationalen Richtlinien. Ziel war es, den einzigartigen Charakter des Gebäudes zu erhalten und es gleichzeitig zeitgemässen Museumsstandards anzupassen.

Umgang mit einem Meisterwerk

Seit der Wiedereröffnung des führenden Schweizer Museums für Design und visuelle Kommunikation im März 2018 erleben die Besucher dessen eindrückliche Architektur aussen wie innen in ihrer ursprünglichen Intensität. Eindrücklich die Gesamterscheinung des kubischen Komplexes zwischen den riesigen Bäumen im Klingenpark, harmonisch die Kompo­sition der unterschiedlich hohen Flachdachtrakte mit den gleichmässigen Reihen grossformatiger Fenster.

Am Museumstrakt an der Ausstellungsstrasse fallen zunächst Bandfenster und verglaste Flächen auf, die aussenbündig in die Putzfassaden eingefügt sind. Unter dem weit vorkragenden Baukörper des Vortragssaals – auf drei unregelmässig angeordneten Rund­pfeilern ruhend – erstreckt sich eine grosszügige Vorhalle, von der man, mit Blick in den abge­senkten Architekturgarten, durch die völlig verglaste Eingangsfront in das von aussen gut sichtbare Foyer mit Cafe­teria und Museumskasse gelangt.

Im weit­läufigen Foyer führen zur rechten Seite hohe Glastüren in den Ausstellungssaal, geradeaus eine breite gegenläufige Treppe ins Obergeschoss mit dem Vortragssaal. Daneben gelangt man über eine weitere Treppe ins Unter­geschoss, wo nun zusätzliche Ausstel­lungs­räume eingerichtet worden sind, von denen einer wegen der dortigen charakteristischen Pilzstützen nun «Maillart-Halle» heisst – Robert Maillart war seinerzeit zustän­dig für die Tragkonstruktion des Museums­trakts.

Wie selbstverständlich bewegen sich die Besucher jetzt auf verschiedenen Etagen durch die Ausstellung. Mit der Gesamtinstandsetzung sollte der wertvolle Bauzeuge so weit als möglich in seinen ursprünglichen Zustand zurückgeführt werden, wobei den heutigen Anforderungen bezüglich Brandschutz und Erdbebensicherheit sowie allgemein der Nachhaltigkeit Rechnung getragen werden musste. Im 1994 unter den Beteiligten vereinbarten Schutzvertrag sind teils materiell, teils konzeptionell geschützte Elemente festgehalten. Im Einzelnen suchten Ruggero Tropeano und die Kantonale Denkmalpflege, die das Instandsetzungs- und Umbauprojekt begleitete, gemeinsam nach verträglichen Lösungen (vgl. «Von Verlusten und Entdeckungen»).

Ausgebessert und ergänzt

Um die Ausstellungsräume auf den geforderten Stand zu bringen, wurden eine Lüftungs- und eine Klimaanlage installiert. Der Zugang zu den neuen Ausstellungsflächen im Untergeschoss wurde mit einer Glastürwand im Foyer und einer indirekten Beleuchtung im Treppen­haus, die sich in die Architektur einfügt, aufgewertet. Diese und viele weitere Veränderungen bemerkt man erst beim genauen Hinsehen. Ruggero Tropeano, der seit rund 25 Jahren die baulichen Massnahmen im Museumsgebäude vornimmt, spricht denn auch von einer Vorgehens­weise, die dem «Kunststopfen» gleicht: ein stellenweises Ausbessern und unauffälliges Er­gänzen – wie beim Flicken eines Pullovers.

Beispielhaft für diese Haltung ist die Erneuerung der Beleuchtung: An der Decke der Ausstellungshalle wurden richtbare Spots auf Schienen ap­pli­ziert. Im Foyer kamen zum einen Neonröhren hinzu, die linear zum Treppenhaus hin verlaufen, und zum ande­ren bewegliche Bolich-Leuchten, ähnlich wie sie einstim Aktzeichensaal hingen. Für Treppenhaus und Vestibül hatte Tropeano schon in den 1990er-Jahren zusammen mit der Firma Neue Werkstatt zylinderförmi­ge Pendelleuchten entwickelt. Stellen­weise kamen die alten gerun­deten Opalglasleuchten zur Wiederverwendung, so in der möglichst originalen Raum­achse mit den Treppen zur Galerie der Ausstellungshalle. Auch die charakteris­tischen orange-beige-braunen Platten aus Lausener Klinker am Boden wurden geflickt und ergänzt. In den Seitenschiffen der Ausstellungshalle liegt da, wo Erneuerung nötig war, in Anlehnung an das ursprüngliche Linoleum ein schwarzer Gummigranulatbelag.

Die Holzrahmen der Fenster wurden instand­gesetzt, zusätzliche Isoliergläser innen angebracht und fast alle Fensterbänke ersetzt. Alte Glasscheiben mit kleinen Rissen beliess man jedoch. Durch den Rückbau zwischenzeitlicher Modifikationen an den Metalltüren und -fenstern im zwischenzeitlichen Eingangsbereich ist die Transparenz wiederhergestellt.

Bewahrt und rekonstruiert

Der Umgang mit dem Denkmal umfasst Schritte vom Restaurieren über das teilweise Wiederherstellen bis zum Ergänzen. Die zum Ausstellungssaal hin neu eingefügte zweite Glaswand sowie die ebenfalls neue raumhohe Verglasung entlang der Galerie entsprechen den Forderungen zum Raumklima. Der Thekenkorpus für die Cafeteria ist wie die dazugehörige Küche völlig neu. Eine Besonderheit sind Bau­teile, die keine Verwendung mehr finden, auf Wunsch der Denkmalpflege aber gleichwohl wieder zum Einbau kamen, wie Bauberater Lukas Knörr im Gespräch ausführt: Diese Relikte besitzen zwar keine unmittelbare Funktion mehr, aber eine denkmalpflegerische – quasi als archäologische Dokumente. Beispielsweise wurden auf der Galerie originale Teilstücke des Linoleumbodens, der getüpfelten Tapete und des Drahtglas-Geländers angebracht.

Sichtbares Zeichen der Neueröffnung ist die Gebäudebeschriftung an der Fassade: In grossen Lettern steht «Museum für Gestaltung» anstatt dem früheren «Kunstgewerbemuseum». Hierfür wurde die originale Typografie des Grafikers Ernst Keller eingesetzt, von dem auch die übrige Signaletik im Gebäude stammt; einzelne bisher nirgends verwendete Buchstaben mussten allerdings nachempfunden werden. Neu ist die abendliche Hinterleuchtung der Beschriftung.

Das wesentliche Resultat der Instandsetzung ist zweifellos die Demontage der eingangs erwähnten Zwischendecke im Ausstellungssaal und der Büro­einbauten auf der Galerie. Damit präsentiert sich das moderne Denkmal wieder mit dem basilikalen Querschnitt, dem es seine einzigartige räumliche Qualität verdankt. Das Museum für Gestaltung Zürich ist seiner ursprünglichen Architektur gemäss wieder hergestellt und für den weiteren Gebrauch aufgerüstet. Den Architekten gelang es aufgrund ihrer jahrelangen Beschäftigung mit dem Museum, adäquate Lösungen für die Integration aktueller technischer Anforderungen zu finden. Ihr respektvoller und einfühlsamer Um­gang mit diesem komplexen Denkmal überzeugt.


Anmerkungen:
[01] Vgl. Gewerbeschule und Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich. Festschrift zur Eröffnung des Neubaus im Frühjahr 1933.
[02] Neue Zürcher Zeitung, 7. August 1927.
[03] Vgl. Heimatschutz 1930, Nr. 1, S. 16.
[04] Vgl. Reprofilierung der Architektur des Gebäudes der Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich von 1932 – Ein Auftrag, hg. von der Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich, Schule für Gestaltung, Zürich 1981. Darin wurde u. a. bereits die Wiederherstellung der Ausstellungshalle gefordert.

Einen Film zum Rückbau der Hallendecke und zusätzliches historisches Material finden Sie auf espazium.ch/mfg-zh

TEC21, Fr., 2018.08.31



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2018|35 Museum für Gestaltung Zürich

24. März 2017Michael Hanak
Neue Zürcher Zeitung

Meisterstücke der Nachkriegsmoderne

Sein Werk wurde immer wieder in den höchsten Tönen gelobt. Nun gibt der hundertste Geburtstag Anlass, den Zürcher Architekten Jacques Schader aus heutiger Sicht zu würdigen.

Sein Werk wurde immer wieder in den höchsten Tönen gelobt. Nun gibt der hundertste Geburtstag Anlass, den Zürcher Architekten Jacques Schader aus heutiger Sicht zu würdigen.

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20. Januar 2017Michael Hanak
TEC21

Wie wohnen?

Die Wohnfrage ist ein Leitthema und Kernkompetenz des Werkbunds. Vor diesem Hintergrund entstanden im Lauf der Zeit Werkbundsiedlungen mit unterschiedlichen Zielen und Ausrichtungen. In dieser Tradition wagt der Berliner Werkbund nun ein vergleichbares und doch gänzlich anders geartetes Projekt: die WerkBundStadt.

Die Wohnfrage ist ein Leitthema und Kernkompetenz des Werkbunds. Vor diesem Hintergrund entstanden im Lauf der Zeit Werkbundsiedlungen mit unterschiedlichen Zielen und Ausrichtungen. In dieser Tradition wagt der Berliner Werkbund nun ein vergleichbares und doch gänzlich anders geartetes Projekt: die WerkBundStadt.

WerkBundStadt nennt sich das ehrgei­zige Wohnbauprojekt in Berlin, das der Berliner Werkbund mit einer Gruppe von Architektinnen und Architekten derzeit lanciert. Am Deutschen Werkbundtag im vergangenen Herbst (23. bis 25. September 2016) stellten die Projektleiter und Beteiligten das während rund eines Jahres ausgearbeitete Konzept der Öffentlichkeit vor. Nach der Präsentation dieses Vorentwurfs beginnt nun eine neue Phase, in der weiterbearbeitet und vertieft wird im Hinblick darauf, das Projekt konkret umzusetzen (vgl. «Diskurs als Strategie»).

Im Wesentlichen geht es darum, eine zeitgemässe, vorbildliche Form einer Wohnbebauung zu finden. Aus ­ der Tradition des Werkbunds heraus, selbst Wohnsiedlungen zu planen und realisieren, sollte wiederum ein ­aktueller Beitrag zum Wohnungsbau geleistet werden. Das bedeutet für die Projektbeteiligten: eine dicht ­bebaute, zentral gelegene und nachhaltig ausgeführte städtische Wohnbebauung. In einer Ausstellung und begleitenden Büchern sind zum einen das Projekt WerkBundStadt und zum anderen seine Eingliederung in die Geschichte der Werkbundsiedlungen gut dokumentiert (Literaturhinweise am Ende des Artikels). Ein Augenschein auf dem Bauplatz und ein Gespräch mit den Projektleitern brachten weiteren Aufschluss. Ein Blick zurück in die Geschichte der Werkbundsiedlungen mit besonderem Augenmerk auf den Schweizerischen Werkbund soll helfen, das Vorhaben zu beurteilen.

Stadtreparatur statt Siedlung

Noch ist es ein Konzeptvorschlag für ein neues Stadtgeviert – nicht mehr und nicht weniger. Bevor es nun an die Umsetzung geht, dokumentiert die Initiativgruppe des Werkbunds sowohl das Projekt wie auch dessen Herleitung. Bemerkenswert ist dabei, dass es sich um ein ideelles, vom Werkbund initiiertes Wohnbauprojekt handelt und um ein gemeinsam in der Gruppe aller Beteiligter entwickeltes Szenario.

Was bedeutet Wohnen heute? Wie sehen angemessene Wohnformen aus? Wie können sie erreicht werden? Solche grundsätzlichen Fragen bewegten Mitglieder des Berliner Werkbunds dazu, ein umfangreiches Wohnbauprojekt anzugehen. Es sollte keine Siedlung am Stadtrand oder im Grünen sein wie frühere Werkbundsiedlungen, sondern eine funktionsgemischte, verdichtete Wohnbebauung in der Stadt – so die Leitidee. Ein geeignetes Grundstück mitten in Berlin wurde gefunden. Es ist ein unternutztes Industriegelände an sehr zentraler Lage, unmittelbar an der Spree, nahe dem Schloss Charlottenburg und der TU Berlin und unweit des Flughafens Tegel.

Eine Annäherung an die Arbeit setzte Ende 2015 mit mehreren Klausuren ein, an denen über die sozialen, ökonomischen, ökologischen, politischen und gestalterischen Grundfragen heutiger Stadtquartiere gesprochen wurde. Die daraus resultierenden Regularien halten die Grundlage der Planungsidee fest. Die Vorschläge der 33 beteiligten Architekturbüros, zuerst für den städtebaulichen Entwurf und dann für die einzelnen Gebäude, wurden an Workshops vorgestellt und diskutiert. Anstatt einen Sieger zu prämieren, einigten sich am Ende alle auf einen gemeinsam erarbeiteten städtebaulichen Rahmenplan («Konsensplan») sowie auf architektonische Richtlinien. Dieses kooperative Verfahren, dieses gemeinsame Suchen nach einer Lösung stellt einen wesentlichen Teil des Ergebnisses dar.

Die 39 Parzellen sind in drei grössere Blockränder, eine lange Zeile und einzelne Solitärblöcke aufgeteilt. Die Strassen nehmen die schiefwinkligen Grundstücksgrenzen auf und schaffen einen Bezug zur bestehenden Fussgängerbrücke über die Spree. Ein Platz bildet den Anschluss an die benachbarten erhaltenswerten Industriehallen. Die Solitäre am Platz und die Blockecke am Tor zur Spree zählen bis zu 14 Geschosse respektive 55 m. Die Grossstruktur mit rund 1100 Wohnungen soll eine Dichte von etwa 3,5 bis 3,8 erreichen.

Damit schlägt der Werkbund städtischen Wohnraum vor, der einen gültigen städtebaulichen Beitrag leisten und zugleich gute Wohnarchitektur auf gemeinnütziger Basis schaffen soll – doch ohne Investoren wird dies nicht zu realisieren sein. Die Auswahl der Architekten und die Zuteilung der Parzellen nahmen die federführenden Initianten vom Werkbund vor, allen voran Paul Kahlfeldt (Vorsitzender Deutscher Werkbund) und Claudia Kromrei (Vorsitzende Werkbund Berlin) – eine demokratische Ausmarchung war nicht angestrebt. Mit der Umnutzung und Verdichtung des Grundstücks kann das Projekt als Stadtreparatur verstanden werden – hinter diesen lobenswerten Ansatz scheint das Bereitstellen innovativer Wohnkonzepte (zunächst) zurückzutreten. Den Vergleich mit früheren Werkbundsiedlungen relativieren die Projektleiter bereits mit dem Projektnamen – dennoch vergewissern sie sich der Einbettung in die eigene Geschichte.

Ursprünge des Werkbundgedankens

Der Deutsche Werkbund wurde 1907 in München gegründet. Die Hauptmotivation war, in einer Zeitepoche der zunehmenden Industrialisierung Alltagsgegenstände qualitativ zu verbessern und sinnvoll zu gestalten. Nicht zuletzt sollte damit eine ökonomisch vorteil­hafte Position auf dem Weltmarkt geschaffen werden. Zentrale Anliegen waren die Funktionalität und Materialgerechtigkeit der Gebrauchsgüter. Kunst, Industrie und Handwerk sollten zusammenfinden. Die Gründer des Werkbunds waren Künstler, Architekten, Kunsthandwerker, Schriftsteller, Industrielle und Kaufleute. Sie stellten das Werk, also das Produkt gestalterischer Arbeit, in den Mittelpunkt. Bis heute stehen die Interdisziplinarität und das Netzwerk auf der Agenda der Vereinigung.

Besondere Beachtung schenkte der Werkbund von Beginn an allen Gebrauchsgegenständen für den Haushalt und der Wohneinrichtung. Das Wohnen, die Wohnung und das Wohnumfeld sind seither vorherrschende Themen im Werkbund. Architektur war damit bereits mit eingeschlossen. Konkret kam Wohnhaus­architektur im Rahmen von Ausstellungen und in Form von eigenen Werkbundsiedlungen ins Spiel.

Legendär wurde die Werkbundausstellung 1914 in Köln, die zu einer ersten Leistungsschau des Deutschen Werkbunds geriet. Schon die über 50 exemplarischen Gebäude auf dem Ausstellungsgelände gingen in die Geschichte ein, darunter das Werkbund-Theater von Henry van de Velde, die Musterfabrik von Walter Gropius und ein Glashaus von Bruno Taut – alles Manifestationen einer neuen Baukunst.

Verbreitung und Entwicklung des Werkbunds

Nach dem Vorbild des Deutschen Werkbunds entstanden in anderen Ländern Europas bald gleiche oder ähnliche Vereinigungen. So in Österreich, in der Schweiz, in Schweden und schliesslich in der Tschechoslowakei. Das schweizerische Pendant wurde im Frühling 1913 in Zürich gegründet. Den Anstoss dazu gab Alfred Altherr, der Direktor der Kunstgewerbeschule und des Kunstgewerbemuseums Zürich, nach seiner Rückkehr aus Deutschland. Der Schweizerische Werkbund wollte unabhängig vom Deutschen sein, lehnte sich aber in der kulturpolitischen Ausrichtung an diesen an.[1]

Wie in Deutschland galten die Vereinsaktivitäten des Schweizerischen Werkbunds zunächst vorbildlichen Erzeugnissen aus Kunst, Industrie und Handwerk. Regelmässig wurden solche in Ausstellungen präsentiert. Architektur spielte in der Anfangszeit des Schweizerischen Werkbunds, im Unterschied zum ­Deutschen Werkbund, keine zentrale Rolle. Vielmehr war es eine Besonderheit der Schweizer Vereinigung, stets von der Innenraumgestaltung auszugehen. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts massgebliche Reformarchitektur in der Schweiz stand stark unter dem ­Einfluss des Heimatschutzes. Die erste augenscheinliche architektonische Manifestation des Schweizerischen Werkbunds war die Werkbundausstellung 1918 in Zürich, sowohl mit den temporären neuklassizistischen Ausstellungsbauten als auch mit den Exponaten der «Raumkunst-Ausstellung» zu den verschiedenen Wohnbereichen. Zudem wurde die «Arbeiter- und Mittelstandswohnung» thematisiert und damit eine Debatte darüber lanciert.

Mit der aufkommenden Moderne verschob sich der Fokus. An der Ausstellung «Wohnung und Haus» 1926 ging der Werkbund auf das «moderne Wohnproblem» ein, das eng mit den sozialen und kulturellen Fragen der Siedlungsarchitektur verbunden sei.[2] Während den Jahren des Neuen Bauens verstärkte sich die Auseinandersetzung mit dem Wohnungsbau und dem Wohnen. Die Debatte wurde bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs von den Gegensätzen zwischen Typisierung und künstlerischer Individualität sowie zwischen Modernismus und Traditionalismus beherrscht. Wohnung und Wohneinrichtung wurden mit einer modernen, aufgeschlossenen Lebensphilosophie verbunden.

Ausgeführte und unausgeführte Werkbundsiedlungen

Stuttgart, Brünn, Breslau, Zürich, Prag, Wien: Gemeinsam ist diesen Städten, dass hier Ende 1920er-, Anfang der 1930er-Jahre durch den Werkbund initiierte Wohnsiedlungen errichtet wurden. Diese Wohnsiedlungen dienten sowohl als experimentelle Ausstellungsbauten als auch als modellhafte Lösungsvorschläge mit internationalem Muster- und Vorbildcharakter. Sie verliehen der Architekturentwicklung wesentliche Impulse und sind als Wegmarken in die Geschichte des Wohnungsbaus eingegangen. Das Projekt zur WerkBundStadt in Berlin nehmen die Beteiligten zum Anlass, die früheren Wohnbauprojekte des Werkbunds zu reflektieren.

Schon vor den als solchen deklarierten progressiven Werkbundsiedlungen entstanden aus der Werkbundbewegung heraus neuartige Wohnbaukonzepte. Die 1908 bis 1913 erbaute Gartenstadt Hellerau bei Dresden ist eng mit der Gründung des Werkbunds verbunden. An der Kölner Werkbundausstellung 1914 wurde mit dem sogenannten Niederrheinischen Dorf eine «zukünftige Siedlungsform»[3] umgesetzt.

Einen Höhepunkt erreichten die weiteren Bemühungen des Werkbunds im Bereich des Siedlungsbaus im Kontext der Ausstellung «Die Wohnung» in Stuttgart: 1925 bis 1927 entstand dort die Weissenhofsiedlung, die internationale Beachtung und Berühmt­heit erlangte – ihre Bedeutung für die Architekturgeschichte kann kaum hoch genug eingestuft werden. Eine wichtige Voraussetzung war das 1919 gegründete Bauhaus, eine völlig neue Art und Konzeption von Kunstschule, die wie der Werkbund eine Zusammenführung von Kunst und Handwerk anstrebte. 1926 konnte die Schule ihr neues Gebäude in Dessau beziehen.

Als Leiter der Stuttgarter Neubausiedlung wurde Ludwig Mies van der Rohe eingesetzt, und mit ihm wurden eine Reihe von Architekten der Avantgarde nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus den umliegenden Ländern zur Mitarbeit aufgeboten. Gemeinsam waren den verschiedenen Häusern der Stil des Neuen Bauens, der experimentelle Charakter und die manifestartige Ausstrahlung.

In den darauffolgenden Jahren entstanden unter verschiedenen Voraussetzungen etliche weitere Werkbundsiedlungen in der Tschechoslowakei, in Polen, Österreich und in der Schweiz. Allerdings unterscheiden sich diese in der städtebaulichen Konzeption und im architektonischen Ausdruck. Auch erhielten sie unterschiedliche Resonanz in der Öffentlichkeit und in der Fachpresse. Bis in die jüngste Zeit schlugen Werkbundleute immer wieder Planungen zu Werkbundsiedlungen vor. Ausgeführt wurden 1978–1992 «Dörfle» in Karlsruhe und 1984–1989 «Am Ruhrufer» in Oberhausen. – Es ist eine Leistung der Ausstellung und der Begleitpublikation anlässlich der WerkBundStadt in Berlin, auch alle ausgeführten und unausgeführten Werkbundsiedlungen in Erinnerung zu rufen.

Siedlungen des Werkbunds in der Schweiz

Nach der Stuttgarter Weissenhofsiedlung brachten wichtige Ereignisse den modernen Wohnungsbau in der Schweiz voran. Eines war der Bau der Musterhäuser an der Wasserwerkstrasse in Zürich, die 1927/28 im Rahmen der Ausstellung «Das neue Heim» durch Max Ernst Haefeli errichtet wurden. Ein anderes war die Gründungsversammlung des Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) 1928 in La Sarraz, die zur internationalen Vernetzung der Avantgarde beitrug.

Einen ersten architektonischen Höhepunkt erzielte der Schweizerische Werkbund mit der Wohnsiedlung Eglisee, die im Rahmen der «Schweizerische Wohnungs-Ausstellung in Basel» (WOBA) im Spätsommer 1930 eröffnet wurde. Sie war zunächst als Mustersiedlung dem Ausstellungspublikum zugänglich und er­füllte danach ihren Zweck als kostengünstiger Kleinwohnungsbau. Der Schweizerische Werkbund hatte die Initiative dazu ergriffen und sich in unterstützender und beratender Funktion engagiert. Die Bedeutung liegt im progressiven Anspruch, Wohnungen für das Existenzminimum und neue Formen des sozialen ­Wohnungsbaus zu schaffen.

Der Kunsthistoriker und Architekturkritiker Peter Meyer hob den Unterschied zu anderen Werkbundsiedlungen hervor, die stärker unter einem baukünstlerischen Anspruch standen: «Da ist nichts mehr von dem kecken Künstler-Draufgängertum zu spüren, das an der Stuttgarter Weissenhof­siedlung gelegentlich auf Kosten der Solidität etwas Allotria trieb, sondern alle diese Wohnblöcke sind mit trockenem, schweizerisch-solidem Ernst durchgear­beitet, der auf das Wohl des Bewohners gerichtet ist, nicht auf die Unterhaltung des Besuchers.»[4]

Von 1930 bis 1932 wurde am Südrand von Zürich die Werkbundsiedlung Neubühl in Etappen errichtet. Zur Projektierung hatten sich modern gesinnte Architekten zusammengetan. Einige von ihnen stammten aus der Schweizer Gruppe, die der Deutsche Werkbund mit der Innenausstattung von sechs Ausstellungs­wohnungen im Apartmentblock von Ludwig Mies van der Rohe in der Weissenhofsiedlung beauftragt hatte. Der Schweizerische Werkbund unterstützte das gemeinnützige Projekt zwar nicht finanziell, bot den Projektierenden jedoch institutionellen und ideellen Rückhalt, konkret war er in die Vorarbeiten und Organisation involviert.[5] Dessen «Protektorat»[6], wie sich der Werkbund-Geschäftsführer Friedrich Gubler ausdrückte, schlug sich in der offiziellen Benennung als «Werkbundsiedlung» nieder. In den Statuten wurde festgelegt, dass dem Schweizerischen Werkbund ein Sitz in der Genossenschaft zusteht – was bis heute der Fall ist.

Die Architekten einigten sich auf eine städtebauliche Konzeption in Zeilenbauweise. Dessen konsequente Umsetzung ist entscheidend für das harmonische Siedlungsbild, das gemäss Hans Schmidt ein grundlegendes Ziel war.[7] Die quer zu den Strassen gestellten Zeilen erlaubten nicht nur eine organische Einbettung in die Landschaft, sondern auch die demokratische Verteilung der Aussicht. In der architektonischen Umsetzung überzeugen vor allem die zugleich platzsparenden wie grosszügigen Grundrisse der Reihenhäuser. Vor dem Bezug wurde in der Ausstellung eine optimale Möblierung demonstriert. Die Architekten hatten hierfür eigens Möbel entworfen und für deren Vertrieb das Möbelgeschäft «Wohnbedarf» ins Leben gerufen.

Der Bau der Werkbundsiedlung Neubühl war ein zentrales Ereignis in der Architektur der Zwischenkriegszeit. Aufgrund konzeptioneller wie baukünstlerischer Aspekte erlangte die um Ateliers, Läden und Kindergarten angereicherte Wohnsiedlung mit 194 Wohnungen eine höchst bedeutsame, kaum zu überschätzende Position in der Schweizer Architekturgeschichte. – Wiederholen lässt sich diese Werkbundsiedlung freilich nicht, doch daran anknüpfen kann man.

Werkbundwohnen heute

Seither hat sich der Werkbund stark verändert. Heute versteht er sich vor allem als Forum und Netzwerk, wobei die Interdisziplinarität unter den gestalterischen Berufen besonders gepflegt wird. Immer noch engagiert er sich, gestützt auf «die Neugierde, das Engagement und die Fachkompetenz seiner Mitglieder»[8], in möglichst allen gestalterischen Belangen «für ein qualitätvolles Gestalten der humanen Umwelt»[9]. Selbstverständlich liegt ein besonderes Augenmerk auf Themen des Lebensumfelds und des Wohnens.

Die bestehenden, meist unter Denkmalschutz stehenden Werkbundsiedlungen nehmen schon nur dar­um einen wichtigen Stellenwert im heutigen Werkbund ein, weil gegenwärtig die zweite Sanierungswelle ­ansteht – in Stuttgart, Wien und Zürich wurde diese soeben abgeschlossen.[10] Für die Siedlung Neubühl sucht der Werkbund Zürich zudem nach zeitgemässen Ergänzungsangeboten: Eine von allen über das Internet buchbare Gästewohnung funktioniert bereits seit über einem Jahr, für eine weitere Wohnung wird derzeit eine Spezialnutzung vorgeschlagen. Kürzlich haben sich die Werkbundsiedlungen institutionell miteinander vernetzt. Die Vergangenheit ist somit präsent. Doch die Geschichte kann weitergehen. Wie weit sich die Tradition der Werkbundsiedlungen fortschreiben lässt, muss sich weisen. Jedenfalls müssen Anliegen des ­Wohnens und Zusammenlebens immer wieder von ­Neuem hinterfragt und weiterentwickelt werden. Die Gesprächskultur und konkrete Projekte dazu sind ­sehr zu be­grüssen.


Literaturhinweise:
WerkBundStadt Berlin Am Spreebord, hg. von Deutscher Werkbund Berlin, mit Texten von Thorsten Dame, Benedikt Goebel, Albrecht Göschel, Claudia Kromrei, Michael Mönninger, Matthias Noell und Gerwin Zohlen, Berlin 2016.
Bauen und Wohnen. Die Geschichte der Werkbundsiedlungen, hg. vom Deutschen Werkbund Berlin, Tübingen 2016 (Ausstellungskatalog).

Anmerkungen:
[01] Zur Geschichte des Schweizerischen Werkbunds vgl.: Thomas Gnägi, Bernd Nicolai, Jasmine Wohlwend Piai (Hg.), Gestaltung – Werk – Gesellschaft. 100 Jahre Schweizerischer Werkbund SWB, Zürich 2013.
[02] Friedrich T. Gubler, «Wohnung und Haus. Eine Ausstellung im Kunstgewerbemuseum Zürich», in: Werk, Nr. 12, 1926, S. 381–383, hier S. 381.
[03] Fritz Stahl, «Die Architektur der Werkbund-Ausstellung», in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau, Nr. 4, 1914, S. 153–160, hier S. 160.
[04] P. M. [Peter Meyer], «‹WOBA›, Schweiz. Wohnungs-Ausstellung in Basel», in: Schweizerische Bauzeitung, Bd. 96, Nr. 10, 6.9.1930, S. 120–126, hier S. 123.
[05] Vgl. Thomas Gnägi, Bernd Nicolai, Jasmine Wohlwend Piai (Hg.), Gestaltung – Werk – Gesellschaft. 100 Jahre Schweizerischer Werkbund SWB, Zürich 2013, S. 348, 357. U. a. begleitete Werkbundmitglied und Anwalt Wladimir Rosenbaum-Docummun die Gründung der Genossenschaft in juristischen Fragen.
[06] Ebd., S. 356.
[07] Ebd., S. 357.
[08] www.werkbund.ch
[09] www.deutscher-werkbund.de
[10] Zu diesem Thema fand vom 26. bis 28. Oktober 2016 in Stuttgart die Tagung «Die Revision der Sanierung? Denkmalpflege in zweiter Generation an Objekten des Neuen Bauens» statt.

TEC21, Fr., 2017.01.20



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2017|03-04 WerkBundStadt I Experimentierfeld

20. September 2013Michael Hanak
TEC21

Dilemma am Mythenquai

Bedeutende Bauten der 1950er- und 1960er-Jahre stehen heute vor der Weihe zum Baudenkmal – oder vor dem Abbruch. Werner Stücheli hat wie kaum ein anderer Architekt Zürichs Gesicht ­geprägt. Sein 1969 ­fertiggestelltes Swiss-Re-Gebäude wird derzeit durch einen Neubau von ­Diener & Diener Architekten ersetzt. Der Fall zeigt exemplarisch, wo die Grenzen in der Bewahrung der architektonischen Nachkriegsmoderne liegen und wie schwierig es sich aus Sicht der Denkmalpflege gestaltet, diese Epoche zu inventarisieren.

Bedeutende Bauten der 1950er- und 1960er-Jahre stehen heute vor der Weihe zum Baudenkmal – oder vor dem Abbruch. Werner Stücheli hat wie kaum ein anderer Architekt Zürichs Gesicht ­geprägt. Sein 1969 ­fertiggestelltes Swiss-Re-Gebäude wird derzeit durch einen Neubau von ­Diener & Diener Architekten ersetzt. Der Fall zeigt exemplarisch, wo die Grenzen in der Bewahrung der architektonischen Nachkriegsmoderne liegen und wie schwierig es sich aus Sicht der Denkmalpflege gestaltet, diese Epoche zu inventarisieren.

Der Umgang mit Bauten der 1950er- bis 1980er-Jahre steht heute zur Diskussion. Viele von ihnen müssen altersbedingt erneuert oder ersetzt werden. Damit geraten die Bauwerke der Nachkriegsmoderne auch in den Fokus der Architekturgeschichtsschreibung. Während sie manchen Besitzern und Benutzern bereits zu alt scheinen, um heutigen funktionalen, ­repräsentativen und energetischen Ansprüchen zu genügen, sind sie für Architekturhistoriker fast noch zu jung, um als gefährdet und wertvoll beurteilt zu werden. Und so kommen die Gebäude in den Erneuerungszyklus, bevor sie als potenzielle Denkmäler die nötige ­Anerkennung gefunden haben. Aufgrund der kürzeren Lebenserwartung moderner Bauten ist die Denkmalpflege deshalb gefordert, früher als bisher diejenigen Exemplare zu bestimmen, die als ­kulturelles Erbe bewahrt werden sollen.

Lücken im Inventar

Bauliche Eingriffe an den Gebäuden dieser Zeit bieten Gelegenheit, nach Art und Wesen der Veränderung zu fragen. Sie fordern von den direkt Beteiligten, Rechenschaft darüber abzu­legen, welche Werte und Qualitäten dabei gegeneinander abgewogen werden. Ein aktueller Fall ist das Swiss-Re-Gebäude am Zürcher Mythenquai, 1965–1969 projektiert und aus­geführt von Werner Stücheli. Es liegt an der Seefront, eingebettet in eine lange Reihe mehr oder weniger monumentaler Versicherungsbauten (Abb. 02 und 04), und wurde bei der Swiss Re «Neubau» genannt. Daneben und mit ihm verbunden steht der neubarocke Hauptsitz der Swiss Re, den Emil Faesch und Alexander von Senger 1911–1913 für die ­damalige Schweizer Rückversicherungs-Gesellschaft erstellten. 1929 schlossen die ­Gebrüder Pfister diesen U-förmigen Bau zu einem Geviert, das Thilla Theus 1996–2000 gesamthaft reno­vierte. Das dritte, südlichste Gebäude der Swiss Re in der Reihe am Mythenquai ist das Clubhaus; es wurde 1957/58 von Hans Hofmann erbaut, 1978/79 von Jacques Schader aufgestockt und 1998–2000 von SAM Architekten umfassend erneuert.

Auf der anderen Seite von Stüchelis Neubau liegt das «Mythenschloss», ein 1925–1927 ­errichtetes neuklassizistisches, monumentales Geschäfts- und Wohngebäude, das 1982–1986 abgebrochen und mit originalgetreuen Fassaden aufgebaut wurde; die Ergänzung an seiner Westseite spricht eine zeitgemässe Architektursprache. Die Reihe der Versicherungsbauten wird zum Stadtzentrum hin vom Hauptsitz der Zurich ­Insurance Group, der einstigen Zürich Unfallversicherung, fortgesetzt. Auch dessen Baugeschichte ist von ­späteren Erweiterungsbauten geprägt, unter anderem von der 1931 an der Seefront errichteten Lebensversicherung-Filiale.

Alle diese Gebäude wurden ins kommunale Inventar der städtischen Denkmalpflege aufgenommen – ausser Stüchelis Bau von 1969. Hier kam die in den letzten zwei Jahren erfolgte Inventarisierung von Bauten der Zeitepoche 1960 bis 1980 zu spät.

Stücheli weicht dem neuen Hauptsitz

Die Swiss Re tat sich offensichtlich schwer mit dem Gebäude. Sie sah Defizite hinsichtlich Nachhaltigkeit, Repräsentation und Funktion. Zudem bestanden Mängel bei der Wärmedämmung und beim Sonnenschutz. Konkrete Bauschäden gaben die Besitzer folgende an: «Die Fassaden mit den vorgehängten Natursteinplatten weisen starke Alterungsspuren auf. Reinigungsversuche brachten nicht den erwünschten Erfolg. Die Flickzapfen der Zusatz­befestigungen zeichnen je länger je mehr ab, was sich störend auf das Fassadenbild auswirkt. Auch die Sanierungsversuche der Natursteinbeläge der Vorplätze und Aussentreppen schlugen fehl. (…) Die Klimakonvektoren sind anfällig und ihr Unterhalt ist aufwendig. Die Steuerung ist überaltert und ineffizient, was hohe Unterhalts- sowie Energiekosten ver­ursacht und den Komfort beeinträchtigt.»[1] 2007 fiel der Entscheid, den Bau zu ersetzen. Eine Studie der Architekten Staufer & Hasler diente dabei als Entscheidungsgrundlage.

Als Begründung nennt die Swiss Re strukturelle Probleme des Gebäudes. Bereits in dieser frühen Phase wurde das Baukollegium der Stadt Zürich zurate gezogen. Es kam zu dem Schluss, dass nur eine Gesamtsanierung oder ein Ersatzneubau diese strukturellen Probleme lösen könne, wie der Stadtrat in seiner Medienmitteilung schrieb.[2] 2008/09 führte die Swiss Re für den Ersatzneubau einen Studienauftrag unter sechs Schweizer und sechs inter­nationalen Architekturbüros durch. Das Siegerprojekt von Diener & Diener Architekten aus Basel bildete danach die Grundlage für das Bauprojekt und den Gestaltungsplan, der 2012 bewilligt wurde. In der Baubewilligung wurde unter anderem die gute Einordnung des Neubaus hervorgehoben; er werte die Uferfront auf und sei «präzise in die städtebaulich prominente Situation am Mythenquai gesetzt».[3] Der Ersatzneubau, dessen Realisierung für 2013–2017 geplant ist, wird als Hauptsitz des Geschäftsbereichs Reinsurance dienen.

Kulturpflege oder zeitgemässe Repräsentation?

Bei der Swiss Re geniesst die Architektur hohe Beachtung, sie gilt als Mittel der Corporate Identity. Im Fall des Stücheli-Baus stand das Bedürfnis nach repräsentativer und zeitge­nössischer ­Architektur offenbar im Widerstreit mit der Pflege des baukulturellen Erbes. Der Umgang der Swiss Re mit ihren anderen Bauten am Mythenquai hat gezeigt, dass der Anspruch auf Qualität, Identität und Repräsentation durchaus auch in Form der kultur­bewussten Pflege von Baudenkmälern erfüllt werden kann. Soeben hat der Stadtrat von ­Zürich 81 Gebäude und 76 Gärten aus den 1960er- und 1970er-Jahren neu in das Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte aufgenommen, darunter drei Gebäude von Werner Stücheli. Hat Swiss Re nicht bemerkt, dass sie mit dem Stücheli-Bau bereits durchaus erstklassige Architektur in den Händen hatte? Oder liess sich das Bauwerk tat­säch­lich nicht mit vernünftigem Aufwand an die heutigen energetischen Anforderungen und die Bedürfnisse der Bauherrin anpassen? Auf Nachfrage hin verweist Swiss Re auf die offiziellen Communiqués; die Studie von Staufer & Hasler ist leider nicht einsehbar.

Ein typischer Stücheli

Den Auftrag zu dem Erweiterungsbau erhielt Stücheli 1962, nachdem er den zwei Jahre ­zuvor ausgelobten Wettbewerb unter sechs eingeladenen Architekturbüros gewonnen hatte. Wesentliche Entscheidungskriterien der Wettbewerbsjury, in der unter anderem Jacques Schader sass, waren die städtebauliche Auflockerung und Zurückhaltung, die ­geringe Höhe und Bebauungsdichte sowie der flexible Grundriss. Der Neubau sollte den bestehenden ­Altbau erweitern und mit diesem verbunden werden. Die Geschäftsleitung wollte im bisherigen Verwaltungsgebäude verbleiben, nur gewisse Abteilungen in den Erweiterungsbau verlegen und einige Stockwerke vermieten, um auf ­lange Sicht über eine Platzreserve zu verfügen. Laut Schweizerischer Bauzeitung sollte «ein Verwaltungsbau konzipiert werden mit grösstmöglicher Flexibilität, Büros meist kleiner und mittlerer Grösse, mit gediegener Ausstattung der repräsentativen Räumlichkeiten, Vollklimatisierung und genügend Parkraum»[4].

Stücheli projektierte in enger Zusammenarbeit mit seinem Mitarbeiter Theo Huggenberger ein Gebäude, dessen Baumasse sich vom Mythenquai her in die Tiefe staffelt. An der ­Strasse lag ein eingeschossiger Trakt, an den seitlich ein zweigeschossiger anschloss, der zum vier- bis achtgeschossigen Hauptvolumen überleitete. Dieser war nicht nur in der Höhe abgetreppt, sondern auch vor- und rückspringend gegliedert. An der rückwärtigen ­Alfred-Escher-Strasse, wo ebenfalls ein Eingang lag, war der Baukörper dem schrägen Strassenverlauf entsprechend gestaffelt. So präsentierte sich der 1969 am Mythenquai 48–50 bezogene Neubau in mancherlei Hinsicht anders als seine Nachbarn. Er bildete keinen ­geschlossenen Quader und keine symmetrische Figur, der Baukörper wich von der Strassenflucht hinter einen Vorplatz zurück, seine Trakte umfassten einen hofartigen Aussenraum. Mit dieser städtebaulichen Zurückhaltung verschob sich die Repräsentation von der klassischen Fassadensymmetrie hin zur architektonischen Ausformung.

Am puls der Zeit

Die Gestaltung entsprach der Nachkriegsmoderne der 1960er-Jahre. In der Addition ­gleicher Bauteile tauchte eine strukturalistische Tendenz auf, die sich in einer vielgestaltig gestaffelten Gesamtwirkung ausdrückte. Die gerasterte Fassade band das Bauvolumen ­zusammen und brachte die Horizontal- und Vertikalstruktur aus Bandfenstern, Pfeilern und Brüstungen in ein Gleichgewicht. Gebäudefigur und innere Organisation folgten dem ­Windradschema. Bei genauer Betrachtung zeigten sich in der inneren Struktur wie auch in der Fassade spielerische Abweichungen; beispielsweise wechselte die Unterteilung in ­quadratische und hochrechteckige Fensterflügel die Anordnung, ohne einer bestimmten Regel zu folgen. Dabei bewies Werner Stücheli nicht nur viel Talent für Proportionen und Rhythmus – sondern auch Humor. Die damaligen Möglichkeiten im Betonbau äusserten sich unter anderem in der Ablösung des gesamten Oberbaus von den vier Untergeschossen, woran Bauingenieur Robert Henauer wesentlichen Anteil hatte. Das halb eingesenkte, ein erhöhtes Plateau bildende Park­geschoss machte diese Konstruktion sichtbar. Die Umgebungsgestaltung des Garten- und Landschaftsarchitekten Josef A. Seleger, eine Moorbeetvegetation in rechteckigen Betontrögen neben dem Vorplatz und eine Dachbegrünung, die in radialer Bepflanzung die ­Windradform aufnahm, verband das Gebäude mit der Seeuferbepflanzung. Erstmals wurden in der Schweiz Bäume mit Helikoptern eingeflogen. Zu guter Letzt setzte die «Grosse ­Giraffe», eine rote Eisenplastik von Bernhard Luginbühl, mit einem vertikal ausgreifenden Bogen einen Akzent beim Aufgang am Mythenquai. In allen Belangen gelang es Stücheli, der weltweiten Ausstrahlung des Unternehmens gerecht zu werden. Von der Stadt Zürich erhielt das Gebäude die «Auszeichnung für gute Bauten» – nun wird es zurückgebaut. Hat es die Anerkennung als Baudenkmal nur ganz knapp verpasst?


Anmerkungen:
[01] Auszug aus der Fragenbeantwortung im Studienauftrag vom 17. 9. 2008.
[02] Medienmitteilung des Zürcher Stadtrats vom 20. 4. 2011.
[03] Neue Zürcher Zeitung, 1. 11. 2012, S. 15.
[04] Schweizerische Bauzeitung, 88. Jhg., Heft 27, Juli 1970.

TEC21, Fr., 2013.09.20



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|39 Stücheli weiterbauen

08. Februar 2013Michael Hanak
TEC21

Original im Wesen, nicht in der Substanz

Es war durchaus ein Parforceakt, in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs (1938–1941) eine Stätte der Körperkultur für die Bevölkerung von Zürich zu errichten. Stadtbaumeister Hermann Herter begnügte sich aber nicht damit, sondern entwarf mit dem Hallenbad City zugleich ein Paradebeispiel des Neuen Bauens und ein Vorzeigeprojekt energietechnischer Innovation. Beide Aspekte wurden im Zuge des 1980 zur Steigerung der Energieeffizienz vollzogenen Umbaus verunklärt. Nach der Jahrtausendwende war wiederum die mangelhafte Haustechnik treibender Motor einer neuerlichen Überarbeitung. Diesmal aber bot ausgerechnet sie dem Büro ernst niklaus fausch architekten die Chance, den Bau von 2010 bis 2013 auf seine ursprüngliche Konzeption zurückzuführen und das seinerzeitige Glanzstück – das Glasoberlicht – in neuer Fassung wiederherzustellen.

Es war durchaus ein Parforceakt, in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs (1938–1941) eine Stätte der Körperkultur für die Bevölkerung von Zürich zu errichten. Stadtbaumeister Hermann Herter begnügte sich aber nicht damit, sondern entwarf mit dem Hallenbad City zugleich ein Paradebeispiel des Neuen Bauens und ein Vorzeigeprojekt energietechnischer Innovation. Beide Aspekte wurden im Zuge des 1980 zur Steigerung der Energieeffizienz vollzogenen Umbaus verunklärt. Nach der Jahrtausendwende war wiederum die mangelhafte Haustechnik treibender Motor einer neuerlichen Überarbeitung. Diesmal aber bot ausgerechnet sie dem Büro ernst niklaus fausch architekten die Chance, den Bau von 2010 bis 2013 auf seine ursprüngliche Konzeption zurückzuführen und das seinerzeitige Glanzstück – das Glasoberlicht – in neuer Fassung wiederherzustellen.

Bei seiner Eröffnung 1941 hatte das erste öffentliche Hallenbad im Zentrum von Zürich eine bewegte Planungsgeschichte hinter sich, an deren Ende ein durch zu langen Aufschub veralteter Entwurf von Otto Gschwind stand (Kasten «Baden in Zürich», S. 36). Die Wiederaufnahme lancierte Hermann Herter in den letzten Jahren seiner Zeit als Stadtbaumeister (1919–1942)[1], für dessen Projekt die Zürcher Gemeinde den heutigen Standort zwischen Schanzengraben und EWZ Selnau, zwischen Sihlporte und Börse auserkor. 1938 wurde mit den Arbeiten begonnen, im Spätsommer 1939 war der Rohbau vollendet, und die Eröffnung fand – wegen des Kriegsausbruchs um ein Jahr verschoben – im Mai 1941 statt. Das Bad wurde als ein «Meisterwerk» gefeiert. Stadtpräsident Emil Klöti liess in der Eröffnungsschrift verlauten: «Herr Stadtbaumeister Hermann Herter hat es verstanden, für die komplizierte Aufgabe die denkbar einfachste, klarste und überzeugendste Lösung zu finden.»[2]

Neues Bauen 1938–1941 Herter realisierte einen kompakten, quaderförmigen Baukörper, den er in der Längsrichtung in zwei unterschiedliche Teile gliederte: die 58 m lange, 22 m breite und 10.5 m hohe Schwimmhalle mit einem Schwimmerbecken von 15 × 50 m – und den dreigeschossigen kompakten Garderobentrakt. Dieser beherbergte im EG und im 1. OG je ein Foyer, ausgestattet mit der Kasse beziehungsweise einer Café-Bar, und jeweils flankierend über beide Geschosse die Damen- (rechts) respektive Herrengarderoben (links). Im dritten Geschoss platzierte er die Gymnastikhalle. Während er in der Halle mit raumhohen Fenstern und dem als Glasfaltdach ausgebildeten Oberlicht für den Einfall von viel natürlichem Licht sorgte, versah er den flach gedeckten Garderobenbau mit der mittigen Eingangshalle mit kleinteiligeren Fensteröffnungen. Die grossflächigen, in einheitlichem Hochformat zwischen den tragenden Wandpfeilern eingesetzten Sprossenfenster der Schwimmhalle wurden in Bronze ausgeführt und konnten hochgeschoben werden. Die Fenster in den Putzfassaden des Garderobentrakts dagegen waren in Holz und am Vorbau in Eisen gehalten. Beide Gebäudeteile konzipierte er mit 5-mal 13 Achsen und baute sie in sich mittelsymmetrisch auf; die Schwimmhalle ist allerdings breiter, etwas höher und etwas länger bemessen als der Garderobentrakt. Als Empfangsgeste in Anlehnung an die Kommandobrücke eines Schiffs gestaltete er die Mitte des Eingangs und des darüberliegenden Foyers als vorspringenden Kubus mit gerundeten Ecken (Abb. 01).

Zu den innenräumlichen Höhepunkten gehören die Rundungen der Raumecken von Eingangshalle und Foyer sowie der Treppen und der Einbauten für Kasse und Wäscheausgabe, ferner die Pilzstützen im Foyer und in den Untergeschossen – das Markenzeichen ihres Erfinders Robert Maillart, der die Betonkonstruktion entworfen und bis zu seinem Tod 1940 betreut hatte. Das Highlight aber war und ist heute wieder das von Stahlfachwerkträgern getragene Glasfaltdach über dem Schwimmerbassin.

Referenzen in Berlin, Haarlem und Zürich

Formal schloss Hermann Herter an das kubische Hallenbadprojekt von Otto Gschwind mit den hohen Rechteckfenstern an, befreite es aber von jeglichem klassizistischen Aufbau und Bauschmuck und öffnete die Bauhülle deutlich mehr. Unterdessen hatte sich das Neue Bauen in Zürich etabliert, dessen Ideengut und Formensprache Herter behutsam in seine zahlreichen städtischen Bauprojekte integrierte. Am deutlichsten geschah dies beim Hallenbad: Die Verglasung des Eingangsvorbaus ist dynamisch abgerundet, weite Fassadenbereiche sind in grossflächige, aussen liegende Glasflächen aufgelöst, und mittels Hebeschiebefenstern liess sich der Innenraum mit dem Aussenbereich verbinden. Ebenfalls programmatisch modern gestaltete Hermann Herter 1939, also zeitgleich mit dem Hallenbad, das Strandbad Wollishofen in einem funktionsgeleiteten Aufbau und mit Motiven wie Rundung und Pilzstütze.

Selbstverständlich hatte sich Herter nach anderen Hallenbädern umgesehen. Verblüffende Ähnlichkeiten zeigt der Zürcher Bau mit dem Stadtbad Berlin-Mitte, 1929/30 von Carlo Jelkmann und Heinrich Tessenow erbaut, und dem Hallenbad im niederländischen Haarlem, errichtet 1933/34 von Johannes Bernardus van Loghem. In Berlin wird die Schwimmhalle an drei Seiten durch hohe Fenster belichtet und hat eine gerasterte flache Glasdecke. Hochschiebefenster lassen sich zur Tribüne hin öffnen. In Haarlem war es der Bezug zwischen Schwimmhalle und Terrasse, den riesige Schiebefenster gewährleisteten.[3] Für das Glasoberlicht existierte ein direktes Vorbild auch in Zürich: Der grosse Saal in der Alten Börse beim Paradeplatz, 1929/30 von Henauer & Witschi errichtet, war ebenfalls mit einer Glasdecke ausgestattet, die – aus akustischen Gründen – auch dort als Faltdach ausgebildet worden war.

Radikales Update 1980

Nach einer Benutzungsdauer von wiederum zwei Generationen wurde wegen überalterter betriebstechnischer Anlagen eine Sanierung eingeleitet, die 1978–1980 zu einem eigentlichen Umbau geriet. Das Architekturbüro Bollinger Hönger Dubach, das 1970–1973 das Hallenbad Altstetten ausgeführt hatte, beabsichtigte «unter Wahrung der vorhandenen Bausubstanz eine attraktive Neuanlage zu schaffen».[4] Demgegenüber geriet der Eingriff, den die Architekten aus energietechnischen Gründen vornehmen mussten, dann doch einschneidend: Um die Installationen zur neu geforderten Wärmerückgewinnung unterzubringen, zogen sie eine untergehängte Decke mit darunter angebrachten sichtbaren Abluftrohren ein (Abb. 06). Diese leiteten die warme Luft mitten durch das Foyer und die Eingangshalle ab. Ausserdem bauten sie ein Nichtschwimmerbecken auf Kosten eines Teils der Garderoben ein. Damit verunklärten sie die von Herter definierte Trennung der Funktionen – Schwimmbereich in der Halle und Servicezone im Umkleidetrakt. In dessen Erdgeschoss integrierten sie ein Restaurant und verlegten die nun automatische Kasse sowie die Lingerie ins Obergeschoss, auf das auch die Garderoben konzentriert wurden. Am Äusseren wirkten sich diese drastischen Eingriffe vor allem durch die grösseren Fenster im Erdgeschoss der Eingangsfassade und die Vergrösserung des Sockelvorbaus gegen den Schanzengraben hin aus. Zur Unterscheidung von den übrigen Hallenbädern wurde schliesslich die Beschriftung über dem Eingang in «Hallenbad City» geändert.

Zurück in die Zukunft: 2010–2013 Nach einem weiteren Lebensabschnitt von 25 Jahren gaben 2005 erneut die veraltete Haustechnik und die mangelnde Energieeffizienz den Ausschlag zur Ausschreibung eines Planerwahlverfahrens, das ernst niklaus fausch architekten für sich entschieden; sie realisierten dann auch von 2010 bis 2013 den Umbau. Da das Hallenbadgebäude inzwischen unter dem Schutz der Denkmalpflege steht, musste geklärt werden, ob sich der Umbau sowohl auf Herters Ursprungsbau als auch – im Sinne der Zeitzeugenschaft – auf die qualitativ durchaus hochstehende spätere Intervention erstrecken sollte. Den zeittypischen Charakter schätzten Behörden wie Planer allerdings als geringer ein als den architektonischen Ausdruck des Originalzustands. Ihn galt es zu rehabilitieren, und zwar – zumal die ursprünglichen Oberflächen und Ausstattungen bis auf wenige Ausnahmen von Bollinger Hönger Dubach ersetzt worden waren – im Sinne der Intention und nicht der Substanz. Zu den gravierendsten Beispielen, in denen ernst niklaus fausch architekten die Ende der 1970er-Jahre erfolgten Eingriffe am Äusseren auf den Zustand von 1941 zurückführten, gehört die Wiederherstellung der ursprünglichen, geringeren Fensterhöhen im Erdgeschoss des Garderobentrakts, um den von Herter intendierten Gegensatz zur Schwimmhalle zu stärken.

Highlight und Flashback Die sowohl architektonisch als auch konstruktiv markanteste Intervention geschah aber im Innern: Hier wurde die Halle von der 1978–1980 eingezogenen Decke befreit und das Glasoberlicht über dem Schwimmbassin wiederhergestellt (Abb. 12) – allerdings nicht etwa als originalgetreue Kopie. Vielmehr adaptierten die Architekten die shedartige Ausbildung des Dachs. Basierten die Reiter ursprünglich auf gleichschenkligen Dreiecken, sodass sich eine serielle Abfolge ergab, rhythmisierten die Architekten nun die Bewegung, indem sie die Neigungswinkel der Elemente variierten (vgl. «Oberlicht neu gefaltet», S. 37), sodass sich die Assoziation eines an- beziehungsweise abschwellenden Wellenschlags einstellt. Augenfällig ist auch die Überarbeitung, die die Architekten in der Eingangshalle vornahmen, die sie förmlich leer geräumt zu haben scheinen (Abb. 02). Dieser Eindruck stellt sich jedenfalls ein, nachdem die früheren, fast schon an das Centre Georges Pompidou erinnernden Lüftungsrohre verschwunden sind. Während Bollinger Hönger Dubach für die seinerzeit neu geforderte Wärmerückgewinnung keine Raumreserven anzapfen konnten und daher auf die grosszügig dimensionierte Halle ausweichen mussten, profitierten die heutigen Planer von dem nicht mehr als solchem benötigten Zivilschutzraum, in dem sie einen Teil der Haustechnik unterbringen konnten. Ebenfalls der ursprünglichen Raumdisposition entsprechend wurden Sanität und Büro wieder an der gerundeten Front seitlich des Eingangs angeordnet. Die Kasse befindet sich wieder im Erdgeschoss, ist aber wie ein hineingestelltes Mobiliar behandelt, ähnlich einem Glacéwagen. Entlang der beiden Seitenwände der Eingangshalle stehen jetzt je eine Sitzbank und eine Vitrine, die sich in ihrer Formgebung an den einstigen Einbaumöbeln orientieren.

In einem Punkt machten ernst niklaus fausch architekten eine Konzession an den Umbau von Bollinger Hönger Dubach. Um das Angebot nicht zu verringern, haben sie das im Garderobentrakt eingefügte Nichtschwimmerbecken nicht zurückgebaut, sondern als Mehrzweckbecken mit Hubboden neu erstellt. Für Nichtschwimmer fügten sie auf der gegenüberliegenden Seite, an der Stelle, wo sich zuletzt der Badeshop befand, ein weiteres Becken ein (Abb. 10) und schrieben so die 1980 begonnene räumliche Vermischung von Schwimmhalle und Garderobentrakt fort. Sie machen die einstige Differenzierung aber erlebbar, indem sie die Becken klarer vom Hauptraum respektive den Stützen abtrennten (Abb. 08).

Beim Innenausbau lehnten sich ernst niklaus fausch architekten wieder an das Herter’sche Vorbild an und setzten Materialien ein, die möglichst nah an dessen Vorstellungen herankommen. Dies geschah, wie von der Bauherrschaft gefordert, durchwegs mit auf dem Markt erhältlichen Produkten. In der Schwimmhalle erhielten beispielsweise die Formteile im Bereich der Liegebänke längs der Aussenwände besondere Aufmerksamkeit, um annähernd deren plastische – eben tektonisch und nicht nur verkleidend gedachte – Ausprägung wiederzuerlangen. Bezüglich der Farbgebung stützten sie sich auf eine – bemerkenswert psychologisierende – schriftliche Überlieferung Herters: «Die in warmen Elfenbeintönen gehaltenen glasierten Platten und der Putz der Wände geben im Zusammenhang mit der Wasserfläche, unterstützt durch die grünlich gehaltene Beckenverkleidung, dem Raume für den unbekleideten Körper des Badenden den Unterton, in dem sich der Badebesucher wohl fühlt.»[5] ernst niklaus fausch architekten haben die drei Becken entsprechend – mit einer gängigen Schwimmbadkeramik – in drei unterschiedlichen Grüntönen ausstaffiert.

Ausstrahlung

Bei der Sanierung des denkmalgeschützten Hallenbads City in Zürich gingen ernst niklaus fausch architekten einen Weg zwischen Erhaltung und Erneuerung. Sie zeigen damit, dass die Aufgabe, ein hochwertiges Baudenkmal an zeitgemässen Bedürfnissen und gesetzlichen Bestimmungen auszurichten, eine Frage der Einfühlung in den Bestand ist. Bei ihrer Aktualisierung konzentrierten sich die Architekten auf die Hauptthemen, dank derer der Bauzeuge von Ende der 1930er-Jahre seine Bedeutung erhält: erstens die Forderung nach Luft, Licht und Sonne, zweitens die technisch unterstützte Körperkultur und drittens die ablesbare Trennung der Funktionen. Unangetastet blieben stilistische Merkmale des Neuen Bauens wie die grossflächige Verglasung, die Anklänge an die Schiffsmetapher und das Pilzstützenmotiv. Dieser denkmalgerechte Umgang erhält eine städtebauliche Relevanz durch die Ansammlung von Gebäuden derselben Epoche in nächster Umgebung: das 1929 erbaute Warenhaus Zentrum, später EPA (Otto Streicher), das 1928–1934 in Etappen erbaute Textilwarenhaus Ober (Gustav von Tobel und Otto Dürr) und das EWZ-Unterwerk Selnau von 1934 (Hermann Herter).

Selbstverständlich gehören auch spätere Eingriffe zur Geschichte eines Bauwerks. Im Unterschied zum letzten Umbau von 1978–1980 ist jedoch die Wertschätzung gegenüber dem Neuen Bauen beträchtlich gestiegen. ernst niklaus fausch architekten unterschieden eindeutig zwischen den Lebensphasen des Baus und gewichteten bei ihrem Vorgehen den Urzustand höher als den späteren Umbau. Doch sie drehten die Uhr nicht zurück. Und wie ehedem Hermann Herter nahmen sie die funktionellen Anforderungen zur Grundlage der architektonischen Gestaltung. Das Wichtigste war den Architekten wohl der Gesamteindruck des Bauwerks, seine Atmosphäre von Schlichtheit und Eleganz. Mit viel Empathie erreichten sie das Ziel, das schon bei der ursprünglichen Fertigstellung festgehalten wurde: dass «der Bau organisatorisch, hygienisch und ästhetisch allen Ansprüchen genügt».[6]


Anmerkungen:
[01] Herter prägte das Gesicht des Neuen Bauens in Zürich auch mit folgenden Bauten: 1927 Bahnhof Wiedikon, 1933 Schulhaus Waidhalde, 1933 Sportanlage Sihlhölzli, 1935 Tramdepot Oerlikon, 1936 Amtshaus V am Werdmühleplatz, 1938 Tramstation Bellevue, 1939 Strandbad Wollishofen.
[02] Hallenbad der Stadt Zürich, hrsg. vom Städtischen Hochbauamt, Zürich 1941, S. 3.
[03] In der bisherigen Herter-Forschung werden vor allem diese zwei Vorbilder genannt: Claudio Affolter, «… des ersten und letzten Sonnenstrahls teilhaftig …», in: Archithese, Nr. 2, 1995, S. 46–49; Christine Morra-Barrelet, Hermann Herter, Zürcher Stadtbaumeister 1919–1942, in: Kleine Schriften zur Zürcher Denkmalpflege, Heft 7, 4. Teil, Zürich/Egg 2000, S. 45–79, hier S. 68. Die Hallenbäder in Berlin und Haarlem wurden in deutschsprachigen Fachzeitschriften publiziert: Weiterbauen, Nr. 4, 1935, S. 30–32 und Deutsche Bauzeitung, Nr. 59/60, 23.7.1930, S. 445–456.
[04] Das Hallenbad City, Zürich, in: Planen Bauen, Nr. 6, 1981, S. 46–47, hier S. 46.
[05] Das Hallenschwimmbad der Stadt Zürich, in: Schweizerische Bauzeitung, Band 120, Nr. 1, 4.7.1942, S. 1–11, hier S. 2.
[06] Hallenbad der Stadt Zürich, hrsg. vom Städtischen Hochbauamt, Zürich 1941, S. 3.

TEC21, Fr., 2013.02.08



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|07-08 Hallenbad City Zürich

23. September 2011Michael Hanak
TEC21

Hoher Anspruch über Generationen

Der Park der Villa Im Forster bildet mit 45 000 m² Fläche das grösste zusammenhängende Privatgrundstück am Zürichberg, 1890 entstand hier der erste Bau. Die damaligen Bewohner wandten sich, typisch für die Zeit, bewusst von der Stadt ab. Auch die 1929–1931 auf dem Gelände erbaute Villa ist Ausdruck dieses ambivalenten Verhältnisses: Während sich Fassade und Volumetrie des Baus im Landhausstil präsentieren, herrschen im Inneren Grosszügigkeit und urbaner Luxus. Von 2008 bis 2011, im Zuge der teilweisen Verdichtung des Grundstücks, setzte das Zürcher Architekturbüro Pfister Schiess Tropeano & Partner die Villa sorgfältig instand – ein denkmalpflegerischer Glücksfall.

Der Park der Villa Im Forster bildet mit 45 000 m² Fläche das grösste zusammenhängende Privatgrundstück am Zürichberg, 1890 entstand hier der erste Bau. Die damaligen Bewohner wandten sich, typisch für die Zeit, bewusst von der Stadt ab. Auch die 1929–1931 auf dem Gelände erbaute Villa ist Ausdruck dieses ambivalenten Verhältnisses: Während sich Fassade und Volumetrie des Baus im Landhausstil präsentieren, herrschen im Inneren Grosszügigkeit und urbaner Luxus. Von 2008 bis 2011, im Zuge der teilweisen Verdichtung des Grundstücks, setzte das Zürcher Architekturbüro Pfister Schiess Tropeano & Partner die Villa sorgfältig instand – ein denkmalpflegerischer Glücksfall.

Das Areal befindet sich an bester Aussichtslage am Hang des Zürichbergs und war bis vor kurzem mit nur wenigen Gebäuden bebaut. Im oberen Bereich nahe der Forsterstrasse standen neben der Villa das Garagengebäude beim seitlichen Mittelbergsteig und das Gärtnerhaus an der Ecke zur Zürichbergstrasse (Abb. 2). Diese Nebengebäude sind nun neuen Mehrfamilienhäusern gewichen. In der südöstlichen Ecke des weiten Strassengevierts steht nach wie vor das älteste Haus des Anwesens, das Chalet Tobler. Hier beginnt die Geschichte des Forster-Areals.

Ein Stück Stadtgeschichte

Als das Chalet an der Zürichbergstrasse 117 im Jahr 1891 bezogen wurde, war die Umgebung noch weitgehend unbebaut. Nur wenige Weiler und einzelne Höfe besetzten den Südhang ausserhalb der Stadt. Dank der naturnahen Höhenlage entstanden hier Ende des 19. Jahrhunderts Kurhäuser und Sanatorien. 1893 wurde Fluntern zusammen mit anderen umliegenden Dörfern eingemeindet und die Erschliessung des Zürichbergs vorangetrieben. Der Eigentümer des Grundstücks, Gustav Adolf Tobler-Blumer, entstammte einer Bankiersfamilie, wirkte am Polytechnikum und lebte mit seiner Familie in der Villa Tobler am Rande der Altstadt. Das von einem Wäldchen umgebene Holzhaus am Zürichberg, wo seine Vorfahren ein grosses Stück Land erworben hatten, diente der Familie als Sommer- und Wochenendhaus, abseits der städtischen Hektik. Man erzählt, dass Tobler jeweils vom Bauern, der das Grundstück oberhalb des Chalets bewirtschaftete, mit dem Traktor abgeholt und zu seinem Ferienhaus chauffiert wurde.[1] Als Architekt des Sommerhauses wurde Jacques Gros gewählt, der 1890 in Zürich sein eigenes Büro eröffnet hatte und in der Folge diverse Wohnhäuser am Zürichberg ausführte – sein bekanntestes Werk ist das Grand Hotel Dolder. Mit seinen aus Holz konstruierten oder zumindest mit geschnitzten Holzverzierungen versehenen Bauten entsprach Gros der sehnsüchtigen Idealisierung alpiner Architektur, die sich damals im Schweizer Holzstil niederschlug. Helene Tobler, Gustav Adolfs Tochter, liess 1929 für sich und ihre Familie ein Stück weit neben dem Chalet ein herrschaftliches Wohnhaus errichten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Zürichberg als bevorzugtes Wohngebiet grossbürgerlicher Ansprüche etabliert.

Ein besonderes Haus

Die Villa Im Forster wurde von den Zürcher Architekten Henauer & Witschi geplant und ausgeführt. Das Bauvorhaben war etwas Besonderes: Nicht nur war das Baugelände sehr weitläufig und waren die zur Verfügung gestellten Mittel sehr grosszügig. Die Architekten hatten anscheinend auch weitgehende Freiheiten und konnten aus dem Vollen schöpfen. Grund lage dafür bildete ein gutes Einvernehmen zwischen Bauherrschaft und Architekten, was für Henauer & Witschi «in höchstem Mass verpflichtend sein musste», wie sie selbst festhielten.[2]

Das Raumprogramm beinhaltete die übliche repräsentative Raumfolge von Esszimmer, Salon und Wohnzimmer, die als Enfilade aneinandergereiht sind. Diese Haupträume im Erdgeschoss sind von der Halle aus erreichbar, die sich nach dem Haupteingang erstreckt.

Zusätzlich kam ein kleines Esszimmer vor dem Office und der Küche hinzu. Westlich schliesst nahtlos der Angestelltentrakt an, der einen separaten Eingang und ein eigenes Treppenhaus besitzt. Die nach Süden vorgelagerte Gartenterrasse weitet sich östlich des Hauses zum Bereich mit dem Schwimmbassin, das rückwärtig von einem gedeckten Wandelgang eingefasst wird. Im Obergeschoss sind die Schlafzimmer vor dem hallenartigen Gang nebeneinander gelegt. Fast jedem Schlafraum ist ein eigenes Badezimmer zugeordnet, das die Nachbarzimmer jeweils verbindet. Während sich die einen Zimmer auf die Sonnenterrasse an der Südfront öffnen, ist dem Boudoir am Ende des Ganges eine Loggia vorgelagert. Ein Gästezimmer, das auf der Hofseite im Obergeschoss, und eine Turnhalle, die im Untergeschoss untergebracht ist, ergänzen das generöse Raumangebot.

Ein Hauptmerkmal des Entwurfes bildet der gebogene Grundriss. Dieser ist nicht etwa direkt aus der Topografie abgeleitet, denn der Hang verläuft ziemlich gleichmässig. Vielmehr nutzt das Haus die hervorragende Aussichtslage und vereint mit der Krümmung die Fernblicke zur Stadt und zum See. Hangseitig setzt sich der Schwung des Gebäudes im Wandelgang vor dem Schwimmbassin fort und fasst die Vorfahrt zu einem hofartigen Vorplatz, der mit einem Rondell gestaltet wurde. Bemerkenswert ist, dass die radiale Geometrie in jedem der Haupträume zum Ausdruck kommt und sich in den Parkettmustern niederschlägt. Den Mittelpunkt des Kreisringausschnittes und zugleich das Scharnier zwischen dem gebogenen Haupttrakt und dem geraden Angestelltentrakt bildet das runde Treppenhaus, das neben dem Haupteingang in den Hofbereich vorsteht.

Auffallend ist die Divergenz zwischen äusserem und innerem Eindruck. Von aussen wirkt das Haus unauffällig, beinahe bescheiden. Dazu trägt nicht zuletzt die effektvolle Krümmung der Fassaden bei, die diese optisch verkürzt. Die niedrige, lagernde Ausdehnung in der Art eines Landhauses entbehrt jeglichen pompösen Gebarens. Im Innern entfalten sich allerdings räumliche Grosszügigkeit und materieller Luxus. Nicht nur die Dimensionen, sondern auch die individuelle Ausgestaltung zeichnet die Räume aus. Hier finden sich qualitativ hochwertige Materialien und gekonnte handwerkliche Verarbeitung und Ausführung.

Zurückhaltende Moderne

Stilistisch steht die Villa Im Foster an der Schwelle zur Moderne. In den 1920er-Jahren bestimmten noch neubarocke Palais und neuklassizistische Paläste den privaten Wohnhausbau am Zürichberg. Um 1930 erzielte die Avantgarde des Neuen Bauens mit ihrer Forderungen nach Luft, Licht und Sonne, aber auch nach einer Entledigung von Repräsentation und Bauschmuck einen grundsätzlichen Richtungswechsel. Aufgeschlossene Architekten und Architektinnen entwarfen nun für gutbürgerliche Bauherrschaften Wohnhäuser, deren Sachlichkeit den Verzicht auf Symmetrie und gliedernde Elemente mit einschloss.[3] Als zeitgemäss galten im Villenbau eine von modischem Dekor befreite Einfachheit sowie die Verbindung der Innenräume mit dem Wohngarten.

Beim Wohnhaus Im Forster mischten Henauer & Witschi virtuos traditionelle und moderne Architekturelemente. Die gelb gestrichenen Aussenwände mit grober Putzstruktur und das mit Valmalenco-Granitplatten eingedeckte Satteldach nehmen Bezug auf die nationale Bautradition. Der Grundriss mit der Enfilade und die Aufteilung in Wohn- und Schlafgeschoss folgen dem herkömmlichen Schema im Villenbau. Einen Ausdruck von Modernität erheischen hingegen die dynamischen Rundungen in der Gesamtform, aber auch in der Eingangsnische und an der Terrassenkante. Zum Vokabular des Neuen Bauens gehören ferner die breiten, sprossenlosen Fenster ohne Klappläden, die sich teilweise schieben oder gar versenken lassen. Radikalere Elemente wie ein Flachdach oder Fensterbänder kommen aber nicht vor. Vielmehr haftet einigen Elementen, wie der pergamentenen Auskleidung des Wohnraums und der metallenen Fenstereinfassung im Salon, ein Hauch des ebenfalls zeittypischen Art déco an. Einen weiteren Höhepunkt bedeuten die Wandgemälde mit bukolischen Motiven von Karl Walser im grossen Esszimmer (Abb. 14). In der ausführlichen Publikation, die das Haus 1935 in der Zeitschrift «Das Werk» erfuhr, bekennen sich die Architekten zu einer «bewusst einfachen äusseren Gestaltung» und stellen die «Durchbildung aller Einzelheiten entsprechend den modernen Wohnbedürfnissen» in den Vordergrund.[4]

Walter Henauer und Ernst Witschi, die von 1913 bis 1939 ein Architekturbüro in Zürich führten, waren aufgeschlossene, wenn auch nicht avantgardistische Architekten, die den Umbruch in der modernen Architektur mitvollzogen. Merkmale ihrer Bauten sind prägnante kubische Kompositionen, klare geometrische Grundformen und straffe Linienführungen. Ihr bekanntestes Werk ist die 1929/30 erbaute Zürcher Börse, die mit der Villa Im Forster den runden Treppenturm und die Verwendung von Glasbausteinwänden gemeinsam hat.[5]

Bewahrende Instandsetzung

Dass die Villa Im Forster heute in ihrer ursprünglichen Gestalt und Struktur völlig intakt dasteht, kann als denkmalpflegerischer Glücksfall bezeichnet werden. Als die heutigen Eigentümer, die den Familienhauptsitz geerbt hatten, an die Neuplanung des umgebenden Areals gingen, stand für sie fest, dass das Haus in seiner ganzen Eigenart und mit all seinen Qualitäten bewahrt werden sollte. Natürlich spielten dabei emotionale Werte eine wichtige Rolle. Dank dem guten Gebäudeunterhalt waren das Äussere wie das Innere sowohl in der Struktur als auch im Detail weitgehend unverändert erhalten geblieben. Alle Gebäude auf dem Grundstück standen im Inventar der städtischen Denkmalpflege. Im Zuge der Planung einigten sich die Beteiligten mit der Denkmalpflege darauf, die Villa als Herzstück der Anlage zu restaurieren; die auf der ganzen Welt verstreuten Mitglieder der Besitzerfamilien wollen das Haus weiterhin als Domizil für ihre Aufenthalte in Zürich nutzen. Dafür wurden das Garagengebäude, die Gärtnerei sowie das Chalet Tobler aus dem Schutz entlassen. Für die Instandsetzung des Wohnhauses schlug die Denkmalpflege der Bauherrschaft mögliche Architekten vor. Zur Vorbereitung der Planung erarbeitete das Zürcher Architekturbüro Pfister Schiess Tropeano & Partner eine Bestandsaufnahme und einen Massnahmenkatalog. Gemeinsam mit der Denkmalpflege wurde jeder Raum einer Schutzkategorie zugeteilt: integraler Schutz inklusive Einrichtung für besonders wertvolle Interieurs, konzeptioneller Schutz für wesentliche Raumausstattungen oder genereller Raumschutz für wichtige Raumstrukturen. Nur die Innenräume des Angestelltentrakts wurden keinem Schutz unterstellt. Schliesslich erfolgte ein Direktauftrag an das Büro.

Während der 2008 bis 2010 mithilfe zahlreicher Spezialisten durchgeführten Arbeiten legten die Architekten ihr Augenmerk hauptsächlich auf die Restaurierung der Gesellschaftsräume im Erdgeschoss und der Privaträume im Obergeschoss. Die meist intakten Oberflächen und Bestandteile wurden gesäubert, schadhafte Stellen repariert. Sämtliche Installationen wurden erneuert und die zahlreichen technischen Finessen überholt. Die bunte Farbpalette für die Teppiche und Tapeten in den Räumen wurde, immer im Dialog mit den Auftraggebern, soweit als möglich wiederhergestellt. Nur die bereits früher veränderte Küche wurde neu gestaltet.

Zudem wurde der Angestelltentrakt, der vom Haupthaus getrennt werden sollte, als eigene Wohnung ausgebaut. Die Herausforderung lag vor allem darin, die vielen verschiedenen Materialien, Beschläge und Ausstattungselemente instand zu setzen und dafür qualifizierte Handwerker zu finden.

So erstrahlt die Villa Im Forster in altem Glanz. Das Nussbaumholz des Parketts und der Türen verströmt eine vornehme Atmosphäre. Das Spiegelglas der Fenster sorgt für Brillanz. Die Fensterrahmen aus Eichenholz sind instand gesetzt. Die mit neuem Ziegenleder bespannten Paneele (vgl. S. 17) verleihen dem Wohnzimmer seine besondere Anmutung. Das Panoramafenster im mit Blisterahorn ausgekleideten kleinen Esszimmer kann wieder auf Knopfdruck versenkt werden. In der Summe entspricht die Sanierung dem State of the Art und dem ursprünglichen hohen ästhetischen Anspruch.


Anmerkungen:
[01] Claudia Fischer-Karrer, Detailinventar «Zürichbergstrasse 117, Chalet Tobler», Zürich 2003 (unpubliziert)
[02 und 04] Werk, Nr. 2, 1935, S. 33
[03] Beispiele sind die Häuser Susenbergstrasse 93–97 (Karl Moser) und 101 (Lux Guyer) sowie Restelbergstrasse 97 (Otto Rudolf Salvisberg)
[05] Zur gleichen Zeit realisierten Henauer & Witschi das Klubhaus des Golfklubs in Zumikon, den der Bauherr der Villa mitbegründete. Dieser war auch Auftraggeber für die an die Börse anschliessenden Geschäftshäuser Schanzenhof (1926/27) und Schanzenegg (1933/34).

TEC21, Fr., 2011.09.23



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TEC21 2011|39 Im Forster

05. November 2010Michael Hanak
TEC21

Historismus, aktualisiert

Als moderner Dienstleistungsbetrieb bedient die Stadtverwaltung Zürichs ihre Bewohner und Bewohnerinnen wie Kunden; in den Verwaltungsbauten sollte der betriebliche Wandel der letzten Jahre zum Ausdruck kommen. Das hundertjährige Stadthaus, Abbild der Stadt und ihres Selbstverständnisses, musste altersbedingt instand gesetzt und gebäudetechnisch erneuert werden. Nach der durchgreifenden Sanierung durch Pfister Schiess Tropeano Architekten präsentiert sich die historistische Architektur teils in wiederhergestellter, teils in den aktuellen Ansprüchen angepasster Gestalt. Im Vordergrund standen Fragen nach Bürgernähe und Repräsentation.

Als moderner Dienstleistungsbetrieb bedient die Stadtverwaltung Zürichs ihre Bewohner und Bewohnerinnen wie Kunden; in den Verwaltungsbauten sollte der betriebliche Wandel der letzten Jahre zum Ausdruck kommen. Das hundertjährige Stadthaus, Abbild der Stadt und ihres Selbstverständnisses, musste altersbedingt instand gesetzt und gebäudetechnisch erneuert werden. Nach der durchgreifenden Sanierung durch Pfister Schiess Tropeano Architekten präsentiert sich die historistische Architektur teils in wiederhergestellter, teils in den aktuellen Ansprüchen angepasster Gestalt. Im Vordergrund standen Fragen nach Bürgernähe und Repräsentation.

Für die Erneuerung des rund hundertjährigen, denkmalgeschützten Stadthauses von Zürich wurde im Jahr 2000 ein Planerwahlverfahren ausgeschrieben. Es begann eine langfristige, in Etappen durchgeführte Gesamtsanierung. Nach der vorausgegangenen Vorprojektstudie und in den ersten vier Jahren durchgeführten Ad-hoc-Eingriffen wurden die weitreichenden Sanierungsarbeiten in den Jahren 2007 bis 2010 unter halbem Betrieb realisiert. Das Stadthaus markiert den Anfang der Entwicklung Zürichs zur Grossstadt. Im Jahr 1893 hatte sich die Bevölkerung mit der Eingemeindung der elf Vororte auf einen Schlag vervierfacht. Umgehend beauftragte der Stadtrat den Architekten Gustav Gull für ein repräsentatives Verwaltungszentrum, wovon einige Amtshäuser um den Werdmühleplatz gebaut wurden. Das gross angelegte Stadthaus allerdings, das den Kern der opulenten Anlage bilden sollte, blieb Vision. Als Notbehelf erweiterte Gull, unterdessen zum «planenden» zweiten Stadtbaumeister ernannt, 1898–1901 das existierende Stadthaus neben der Fraumünsterkirche, das Stadtbaumeister Arnold Geiser 1883/84 errichtet hatte.

Reaktivierung des vereinnahmten Geiser-Baus

Bei der jetzigen Sanierung des Stadthauses mussten sich die Architekten der Geschichte des Gebäudes, seines Standortes und seiner Bedeutung stellen. Zunächst brachte eine gründliche Bestandesaufnahme und Analyse genaue Erkenntnisse über die überlieferte Bausubstanz. Die verwischten Grenzen zwischen dem ersten Stadthaus von Geiser und dem Vollausbau von Gull wurden aufgedeckt. Gemäss zutage geförderten Spuren hatte Gull den damals bestehenden Geiser-Bau richtiggehend vereinnahmt; spätere Innenumbauten nahmen der Neorenaissancearchitektur und seiner zeittypisch dekorierten Innenausstattung jeglichen Charme. Zusammen mit der Denkmalpflege entschied man daher, die wiederentdeckten Qualitäten zu reaktivieren. So wurde der auf ein Fenster reduzierte Haupteingang auf der Seite Kappelergasse wieder geöffnet, und der von Einbauten befreite Lichthof vertreibt die miefige Atmosphäre der dunklen Korridore. Beim Vergleich der Baueingabepläne Gulls mit den Ausführungsplänen wurden zwei wesentliche Unterschiede deutlich: Sowohl die frei stehende Treppe am südlichen Ende der gebäudehohen Halle als auch die Fortführung der Haupttreppe ins vierte Obergeschoss wurden weggelassen. Offensichtlich beurteilte die Stadtverwaltung das Gull’sche Projekt nun doch als zu umfangreich.

Klärung der Strukturen und Hierarchien

In ihrer Analyse des Istzustandes registrierten die Architekten zunächst alle hinzugefügten und entfernten Teile, die das Bauwerk während der ersten hundert Jahre Gebrauch verändert hatten. Ab 1950 hatte man massiv in die Gebäudestruktur eingegriffen, abgehängte Decken und eingezogene Böden verunklärten die ursprüngliche Raumwirkung. Die vielen Zwischenwände, die in den folgenden Jahrzehnten Grossraumbüros in Einzelbüros unterteilten, beurteilten die Architekten als «Atomisierung» der Raumstrukturen. Typologisch unterschieden sie zwei Gebäudehälften: das Hofgebäude mit der glasüberdachten Innenhalle zur Limmat hin und das Hofgebäude mit einem offenen Innenhof gegen den Paradeplatz. Während der vordere, flussseitige Gebäudebereich repräsentative Räume und einen hohen Öffentlichkeitsgrad aufweist, ist der hintere durch weniger repräsentative Räume und eine geringere Öffentlichkeit charakterisiert. Gemäss dieser Hierarchie liegen die bedeutenderen Räumlichkeiten an der Front zur Limmat, zudem sind die wichtigsten Grossräume in der Mittelachse angeordnet. Diesen Prinzipien sollten auch alle anstehenden Umwandlungen gehorchen.

Aufwertung durch erneuernde Eingriffe

Im Erdgeschoss der stimmungsvollen Oberlichthalle befanden sich die verschiedenen Schalter. In ihrem Wettbewerbsprojekt beabsichtigten die Architekten zunächst, die ehemaligen Schalterräume an der Flussseite auf Strassenniveau abzusenken und darin ein grosszügiges, frei zugängliches sogenanntes Stadtbüro einzurichten (Abb. 1). Da die Kellerräume nicht disponibel waren, situierten die Architeken das Stadtbüro schliesslich gegenüber dem Haupteingang. Trotz der Zugänglichkeit der rückwärtigen Informationstheken blieben die Schalter funktionell bestehen, doch wurden ihre Fronten mit brüniertem Messingblech verkleidet. Diese golden schimmernde Veredelung wird durch mehr oder weniger Berührungen schnell Patina annehmen, eine einberechnete Anpassung der Aufwertung an den gealterten Bestand.

An der Südwestecke der Halle implantierten die Architekten einen zusätzlichen, gut sichtbaren Lift. Die Haupttreppe in der Nordwestecke verlängerten sie bis ins oberste Geschoss; ausgeführt wurde diese Komplettierung des Gull’schen Projekts in einer reinen Stahlkonstruktion, die sich deutlich von den steinernen Treppen unterscheidet. Als neues Element erkennbar ist das Zwischenpodest frei im Stiegenraum aufgehängt, und ein eingefügter Lichtschacht sorgt für eine helle Rauminszenierung (Abb. 9, S. 37). Die Neumöblierung des Trauzimmers im ersten Obergeschoss war eine der vorgezogenen Massnahmen (vgl. «Provisorien leben länger», S. 28). Während des Umbaus wurden nun Lüftungsgitter geschickt in die Füllungen des Holztäfers eingefügt und Tapeten in einer der historischen Ausstattung angepassten Art ergänzt.

Im zweiten Obergeschoss richtete man in der Mittelachse gegenüber dem Stadtratssaal – der schon 1999 von Silvio Schmed und Arthur Rüegg neu gestaltet worden war – durch die Zusammenlegung zweier Büros einen grösseren Konferenzraum mit entsprechender technischer Ausrüstung ein. Hier sind unter den Stichbogenfenstern die Sitzbänke, unter denen sich die Radiatoren und Kühlungsgeräte verbergen, mit ihrem dunkelbraunen Lederbezug wiederum als zeitgenössische Zutat diskret, aber deutlich erkennbar. Der barocke Musiksaal im dritten Stock schliesslich, den Gull samt Stuckdecke und Deckengemälde aus dem Fraumünsteramt übernommen hatte, sollte auch belüftet und zeitweise gekühlt werden können. Die in den 1950er-Jahren als Resonanzkörper eingefügten Wandverkleidungen wurden ersetzt und zur Zuluft führenden Schicht umfunktioniert. In der umlaufenden Brüstungsschicht sind nebst den Luftquellflächen alle Medien inklusive Projektionswände integriert. Für die luftdurchlässige hölzerne Abdeckung erfand der Tüftler mathematisch generierter Formen Urs B. Roth ein abstraktes, auf dem Kreis basierendes gitterartiges Fries, das zu den floral verzierten, ringförmigen schmiedeisernen Kronleuchtern passt (vgl. Kasten S. 30–31).

Neue Fenster, Türen, Oberflächen

Geisers und Gulls historistische Fassaden wurden soweit nötig denkmalpflegerisch renoviert. Am vorgeblendeten Sandsteinmauerwerk mussten einige Quader und Simse ersetzt werden, anderes wurde ausgebessert. Am Gull-Bau waren sämtliche Fenster original und in gutem Zustand erhalten. Wie ehemals ist das Lärchenholz wieder aussen braun gestrichen, innen rötlich braun gebeizt und transparent lackiert. Die Holzrollläden auf der Strassenseite und die Markisen auf der Hofseite wurden instandgesetzt oder wiederhergestellt. Jede Türe ist einzeln auf ihre funktionalen und gesetzlichen Anforderungen und Vorschriften getrimmt. Für die hinzugekommenen Brandabschnittstüren entwickelten die Architekten eine kastenförmige Konstruktion, halb standardisiert, halb massgeschneidert, die auch Installationen aufnimmt. Im Innern wurden die Böden, Decken und Wände freigelegt, aufgefrischt, überholt oder ausgewechselt. Von all dem hinterlassen die Räume nach Beendigung der Bauarbeiten nur noch eine leise Ahnung, so selbstverständlich wirken sie. Unter den Oberflächen ist die verlangte Haustechnik so unauffällig wie möglich integriert.

Signaletik und Leuchten

Von Beginn weg waren sowohl ein neues Beschriftungs- als auch ein Beleuchtungskonzept gefordert. Daher bildeten die Architekten schon im selektiven Projektwettbewerb eine Arbeitsgemeinschaft mit entsprechenden Fachplanern. Das Atelier Markus Bruggisser entwarf die gesamte Signaletik. Diese leitet die Besucherinnen und Besucher vom Eingang über die Erschliessungswege bis zu den gesuchten Räumen. In dem Gebäude, das mehrere Departemente und Amtsstellen mit rund 300 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen beherbergt, die pro Jahr 250 000 Kundenbesuche abwickeln, ist eine einheitliche visuelle Kommunikation von hoher Bedeutung. Vor jedem Raum sorgt eine hochformatige dunkelgraue (Geiser-Bau) beziehungsweise schwarze (Gull-Bau) Tafel mit weisser Beschriftung in ruhiger und klarer Weise für die nötige Information.

Die Neue Werkstatt Winterthur bearbeitete die Lichtplanung vor allem der öffentlichen Gebäudebereiche. Nebst Serienprodukten kamen auch Sonderanfertigungen zum Einsatz. Die verbliebenen historischen Wandleuchter von Gull wurden von alten Farbschichten befreit und neu elektrifiziert. Im Erdgeschoss der Halle und im Haupttreppenhaus verströmen sie eine einmalige, die alten Zeiten heraufbeschwörende Stimmung. Speziell für den Ort entwickelt wurden die runden dimmbaren Wandleuchten in der Arkadengängen: Sie sind mit fotografierten Bildausschnitten der alten Leuchter bedruckt (Titelbild S. 27 und Abb. 1, S. 35).

Zeitgemässe Repräsentation

Viele Forderungen waren zu erfüllen, um den Sitz der Stadtregierung den heutigen Anforderungen anzupassen: Brandschutz, Energieeffizienz, Medieninstallationen, Personensicherheit etc. Den Architekten ist es gelungen, die mannigfachen Bedürfnisse zu bündeln und der wieder herausgearbeiteten ursprünglichen Atmosphäre, die über die vielen Jahrzehnte des Gebrauchs stark getrübt worden war, stimmig unterzuordnen – und mit den Erneuerungen eine eigene Linie zu hinterlassen. «Mit den eingefügten Installationen haben wir den Spielraum des Gebäudes absolut ausgereizt», erklärt Gesamtprojektleiterin Rita Schiess. «Wir sind aber froh, dass das Tragwerk, das beim Gull-Bau zum Grossteil aus Stahl besteht, nirgends einschneidend zerstört werden musste. Insofern konnten wir die historische Substanz der Nachwelt erhalten.» Sowohl Geisers als auch Gulls Gebäudebereiche haben sich über die Generationen hinweg in ihrer flexiblen Struktur bestens bewährt und vermögen nach der Gesamtinstandsetzung auch kommenden Generationen zu dienen. So wie ihre historistische Architektur typischer Ausdruck zürcherischer Repräsentation ist, so wirken auch alle verändernden Eingriffe der Sanierung selbstbewusst zurückhaltend.

[ Michael Hanak, Kunst- und Architekturhistoriker ] hanak@swissonline.ch

TEC21, Fr., 2010.11.05



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15. September 2009Michael Hanak
zuschnitt

Untergraben der Holzbautradition

Crans-Montana, ein populäres Tourismuszentrum in den Schweizer Alpen, ist die Kombination einer alten Berggemeinde mit einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts...

Crans-Montana, ein populäres Tourismuszentrum in den Schweizer Alpen, ist die Kombination einer alten Berggemeinde mit einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts...

Crans-Montana, ein populäres Tourismuszentrum in den Schweizer Alpen, ist die Kombination einer alten Berggemeinde mit einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Feriensiedlung. Es liegt auf rund 1.500 Metern Höhe über dem Rhônetal, auf einem Hochplateau mit traumhafter Aussicht. Mit dem Wandel vom Kurort zum alpinen Skisportort Ende der 1950er Jahre hielt die Parahotellerie Einzug. Heute ist die Kleinstadt im Gebirge geprägt von hölzerner Chalet-Architektur in allen möglichen sowie unmöglichen Formen und Dimensionen – eine Architektur, die einerseits die regionale Holzbautradition reflektiert und andererseits Projektionen der Alpenbesucher auffängt. Im Kontext solcher touristischer Traumvorstellungen und Auswucherungen des Hotel- und Ferienwohnungsmarktes scheint ein zeitgemässer Approach des Bauens in den Bergen nicht ganz einfach. Als die Architekten Bonnard und Woeffray den Auftrag zum Umbau eines Ferienchalets in Crans-Montana erhielten, erforderten die gestellten Bedingungen drastische Maßnahmen. Einerseits hatten mehrere An- und Umbauten das in den 1960er Jahren gebaute Chalet völlig entstellt. Andererseits verlangten die neuen Besitzer, eine Familie aus Moskau mit fünf Kindern, zusätzliche Räume. Sie wünschten sich eine Autogarage, Abstellräume für Skier, Fahrräder und Koffer sowie Platz für die Mussestunden des Après-Ski wie Wellness/Fitness, Heimkino und Disco. »Der Auftrag unseres Klienten lautete«, so die Architekten, »dem Chalet eine neue Identität zu verleihen, sowohl im Inneren wie am Äusseren.«

Das Architektenpaar Geneviève Bonnard und Denis Woeffray, das von Monthey im Wallis aus tätig ist, gehört in den letzten Jahren zu den gefragtesten Baukünstlern in der Schweiz. Die beiden überraschen mit direktem Materialgebrauch à la Brutalismus und unkonventionellem Farbeinsatz. Oft sprengen sie vermeintliche Grenzen der Architektur. Bei der Umwandlung des Chalets in Crans-Montana fanden sie zu einer ebenso naheliegenden wie aussergewöhnlichen Lösung. Zunächst schränkten zwei Vorgaben den freien Gedankenlauf ein: Erstens durfte das Haus nicht abgebrochen werden, da man sonst von der Waldgrenze hätte zurückweichen müssen. Zweitens war die im Baurecht definierte Grösse des Ferienhauses bereits voll ausgenutzt. »Also blieb uns tatsächlich nur eine Möglichkeit, um die verlangten Zusatzprogramme zu realisieren«, konstatiert Geneviève Bonnard, »nämlich, in den Untergrund auszuweichen.«

Das Erweiterungskonzept sah also vor, den zusätzlichen Raumbedarf in das Erdreich des künstlich aufgeschütteten Sockels einzugraben. Nur zwei Elemente weisen auf diesen Eingriff hin: das Garagentor und das darüberliegende Panoramafenster in den steinernen Stützmauern an der Strasse. Um den Fichtenwurzeln auszuweichen, bildet der Anbau einen unregelmässigen polygonalen Grundriss, sich weitend und verengend wie eine Höhle. Von der Garage aus steigt man entlang schrägen Wänden über Treppen und geneigte Böden etappenweise höher, gleichsam auf einer dynamischen »Promenade Architecturale« durch eine wundersam scheinende Unterwelt. Der Beton ist orange durchgefärbt wie eine schweflige Grotte, spiegelglatte Chromstahlabdeckungen sorgen für raumerweiternde Spiegelungen und schliesslich leitet eine Holzwand aus Lärche, farblich korrespondierend mit dem orangen Beton, zum oberirdischen Hausbereich über. Während in den hinzugefügten Untergeschossen die gewünschten weitläufigen Extraräume angeordnet sind, enthält das umgebaute Chalet die üblichen Wohn-, Ess- und Schlafräume.

Im übernommenen Chalet wurde die Raumaufteilung neu disponiert. Das Holzhaus erhielt innen wie aussen eine neue Beplankung aus Lärche. Dieses Holz konnte nicht nur für Böden, Wände, Decken, sondern ebenso für Türen, Fenster und Möbel verwendet werden. Auf den früher vorhandenen Zierrat wurde verzichtet, stattdessen dominiert eine flächige Schlichtheit. Die Holzoberflächen sind mit mattem, farblosem Öl behandelt und schimmern vornehm. Zur Schmuckschatulle wandelte sich der doppelt hohe Wohnbereich, wo sich das All-over des Lärchenholzes im chromstahlverkleideten Kamin spiegelt.

Ganz anders präsentieren sich die strikt weiss gehaltenen Nassbereiche: Sie sind rundum mit dem acrylgebundenen Mineralwerkstoff Corian materialisiert, der im Gegensatz zu Holz keinerlei Struktur aufweist. Zwischen naturnahe Lärchenholz- und künstliche Corian-Welt wurden gelb-, rosa- und orangefarbene Glasscheiben gestellt, die dank ihrer Hinterleuchtung die heimeligen Holzräume in eine leicht entrückte, urbane Stimmung tünchen. Nicht nur das Untergraben des Chalets, auch der virtuose Umgang mit Materialien und Farben zeugt von einem gekonnten Spiel mit Natürlichem und Artifiziellem, mit Realität und Illusion.

[ Michael Hanak, geboren 1968, freischaffender Kunst- und Architekturhistoriker in Zürich. Tätigkeiten als Publizist, Redakteur, Ausstellungsmacher und Dozent. Redakteur der Zeitschrift arch für die Eternit (Schweiz) ag ]

zuschnitt, Di., 2009.09.15



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Presseschau 12

31. August 2018Michael Hanak
TEC21

Zurück in die Zukunft

Das Museum für Gestaltung und die daran anschliessende Gewerbeschule gelten als Ikonen des Neuen Bauens. Ruggero Tropeano Architekten haben den Museumstrakt in seine ursprüngliche Form zurückgeführt und ihn zugleich für die Zukunft ertüchtigt.

Das Museum für Gestaltung und die daran anschliessende Gewerbeschule gelten als Ikonen des Neuen Bauens. Ruggero Tropeano Architekten haben den Museumstrakt in seine ursprüngliche Form zurückgeführt und ihn zugleich für die Zukunft ertüchtigt.

Ansporn und Herausforderung zugleich waren die unverkennbaren Qualitäten des ursprünglichen Baus, die bei der aktuellen Instandsetzung unbedingt erhalten bleiben mussten: Er gilt als Zürichs erstes öffentliches Gebäude im Stil des Neuen Bauens. Projektiert hatten ihn Karl Egender und Adolf Steger. Sie waren als Sieger aus dem zwischen 1925 und 1927 in zwei Durchgängen ausgetragenen Wettbewerb hervorgegangen, den die Stadt Zürich nach langer Vorgeschichte und Vorbereitungszeit durchgeführt hatte.[1]

Angeregt durch die politischen und gesellschaftlichen Reformen wagten sich die Architekten während der Weiterbearbeitung des Projekts immer weiter in die Abstraktion.

Die zunehmend mutigere Umsetzung lässt sich an den drei Flügeln des Komplexes ablesen: Der zuerst geplante Schulbau, geprägt von einem weit gespannten Achsmass, das grosse Fensterflächen zulässt, erscheint noch relativ konventionell. Die Anlehnung an eine basilikale Form für die Ausstellungshalle im Mittel­teil ist bereits als eine Provokation zu betrachten, während der expressive Kubus an der Ausstellungsstrasse mit seinen Fensterbändern und der sorgfältig gesetzten Beschriftung von den neuen Leitbildern zeugen.

Der Kunsthistoriker Sigfried Giedion nahm unterstützend Einfluss auf die Form: Er forderte einen zwanglosen, funktionalen Charakter, ohne Lichthöfe.[2] Als wegweisend hinsichtlich Modernität galt natürlich das Bauhaus in Dessau. Wie zur gleichen Zeit bei der Siedlung Neubühl und dem Geschäftsgebäude Zett-Haus suchte man für Kunstgewerbemuseum und Gewerbeschule nach einer zukunftsorientierten Form – ein Ansatz, der nicht unumstritten war. So war von «Architektur-Bolschewismus einiger exzentrisch veranlagter Künstler» die Rede; und der deutsche Heimatschützer Paul Schultze-Naumburg kritisierte, man könne den Bau nicht von einer Schuh- oder Fahrradfabrik, von Werkstätten für kosmetische Artikel oder einer Milch­zentrale unterscheiden.[3]

Neue Technik und mehr Platz

Im Lauf der Jahre hat das 1930 bis 1933 errichtete Museumsgebäude einige Veränderungen erfahren (vgl. Chronologie, Kasten unten). Einschneidend war der Einzug eines Zwischenbodens im doppelgeschossigen Bereich der Ausstellungshalle 1958, auf der Höhe der rundum verlaufenden Galerie. In den 1990er-Jahren erfolgte, als es dringend notwendig geworden war, die Renovation der Fassaden und des Flachdachs. Zuvor war der Bau unter Denkmalschutz gestellt worden und von der Stadt an den Kanton übergegangen. Nach dem Umzug der Zürcher Hochschule der Künste ins Toni-Areal 2014, in dem das Museum für Gestaltung Zürich einen zweiten Ausstellungsort erhielt (vgl. TEC21 39/2014), konnten nun der Museums- und der Schultrakt instandgesetzt werden – notabene jeder für sich und durch ver­schiedene Architekten (für den Umbau der ehemaligen Kunstgewerbeschule zeichneten Silvio Schmed und Arthur Rüegg verantwortlich).

Den Anstoss zum jetzigen Umbau, der seit Jahren angedacht war[4], gab die Museumsleitung, die die Ausstellungskonditionen bezüglich Raumklima und Brandschutz für untragbar erklärte. Die konservatorischen Bedingungen entsprächen nicht mehr den internationalen Richtlinien. Ziel war es, den einzigartigen Charakter des Gebäudes zu erhalten und es gleichzeitig zeitgemässen Museumsstandards anzupassen.

Umgang mit einem Meisterwerk

Seit der Wiedereröffnung des führenden Schweizer Museums für Design und visuelle Kommunikation im März 2018 erleben die Besucher dessen eindrückliche Architektur aussen wie innen in ihrer ursprünglichen Intensität. Eindrücklich die Gesamterscheinung des kubischen Komplexes zwischen den riesigen Bäumen im Klingenpark, harmonisch die Kompo­sition der unterschiedlich hohen Flachdachtrakte mit den gleichmässigen Reihen grossformatiger Fenster.

Am Museumstrakt an der Ausstellungsstrasse fallen zunächst Bandfenster und verglaste Flächen auf, die aussenbündig in die Putzfassaden eingefügt sind. Unter dem weit vorkragenden Baukörper des Vortragssaals – auf drei unregelmässig angeordneten Rund­pfeilern ruhend – erstreckt sich eine grosszügige Vorhalle, von der man, mit Blick in den abge­senkten Architekturgarten, durch die völlig verglaste Eingangsfront in das von aussen gut sichtbare Foyer mit Cafe­teria und Museumskasse gelangt.

Im weit­läufigen Foyer führen zur rechten Seite hohe Glastüren in den Ausstellungssaal, geradeaus eine breite gegenläufige Treppe ins Obergeschoss mit dem Vortragssaal. Daneben gelangt man über eine weitere Treppe ins Unter­geschoss, wo nun zusätzliche Ausstel­lungs­räume eingerichtet worden sind, von denen einer wegen der dortigen charakteristischen Pilzstützen nun «Maillart-Halle» heisst – Robert Maillart war seinerzeit zustän­dig für die Tragkonstruktion des Museums­trakts.

Wie selbstverständlich bewegen sich die Besucher jetzt auf verschiedenen Etagen durch die Ausstellung. Mit der Gesamtinstandsetzung sollte der wertvolle Bauzeuge so weit als möglich in seinen ursprünglichen Zustand zurückgeführt werden, wobei den heutigen Anforderungen bezüglich Brandschutz und Erdbebensicherheit sowie allgemein der Nachhaltigkeit Rechnung getragen werden musste. Im 1994 unter den Beteiligten vereinbarten Schutzvertrag sind teils materiell, teils konzeptionell geschützte Elemente festgehalten. Im Einzelnen suchten Ruggero Tropeano und die Kantonale Denkmalpflege, die das Instandsetzungs- und Umbauprojekt begleitete, gemeinsam nach verträglichen Lösungen (vgl. «Von Verlusten und Entdeckungen»).

Ausgebessert und ergänzt

Um die Ausstellungsräume auf den geforderten Stand zu bringen, wurden eine Lüftungs- und eine Klimaanlage installiert. Der Zugang zu den neuen Ausstellungsflächen im Untergeschoss wurde mit einer Glastürwand im Foyer und einer indirekten Beleuchtung im Treppen­haus, die sich in die Architektur einfügt, aufgewertet. Diese und viele weitere Veränderungen bemerkt man erst beim genauen Hinsehen. Ruggero Tropeano, der seit rund 25 Jahren die baulichen Massnahmen im Museumsgebäude vornimmt, spricht denn auch von einer Vorgehens­weise, die dem «Kunststopfen» gleicht: ein stellenweises Ausbessern und unauffälliges Er­gänzen – wie beim Flicken eines Pullovers.

Beispielhaft für diese Haltung ist die Erneuerung der Beleuchtung: An der Decke der Ausstellungshalle wurden richtbare Spots auf Schienen ap­pli­ziert. Im Foyer kamen zum einen Neonröhren hinzu, die linear zum Treppenhaus hin verlaufen, und zum ande­ren bewegliche Bolich-Leuchten, ähnlich wie sie einstim Aktzeichensaal hingen. Für Treppenhaus und Vestibül hatte Tropeano schon in den 1990er-Jahren zusammen mit der Firma Neue Werkstatt zylinderförmi­ge Pendelleuchten entwickelt. Stellen­weise kamen die alten gerun­deten Opalglasleuchten zur Wiederverwendung, so in der möglichst originalen Raum­achse mit den Treppen zur Galerie der Ausstellungshalle. Auch die charakteris­tischen orange-beige-braunen Platten aus Lausener Klinker am Boden wurden geflickt und ergänzt. In den Seitenschiffen der Ausstellungshalle liegt da, wo Erneuerung nötig war, in Anlehnung an das ursprüngliche Linoleum ein schwarzer Gummigranulatbelag.

Die Holzrahmen der Fenster wurden instand­gesetzt, zusätzliche Isoliergläser innen angebracht und fast alle Fensterbänke ersetzt. Alte Glasscheiben mit kleinen Rissen beliess man jedoch. Durch den Rückbau zwischenzeitlicher Modifikationen an den Metalltüren und -fenstern im zwischenzeitlichen Eingangsbereich ist die Transparenz wiederhergestellt.

Bewahrt und rekonstruiert

Der Umgang mit dem Denkmal umfasst Schritte vom Restaurieren über das teilweise Wiederherstellen bis zum Ergänzen. Die zum Ausstellungssaal hin neu eingefügte zweite Glaswand sowie die ebenfalls neue raumhohe Verglasung entlang der Galerie entsprechen den Forderungen zum Raumklima. Der Thekenkorpus für die Cafeteria ist wie die dazugehörige Küche völlig neu. Eine Besonderheit sind Bau­teile, die keine Verwendung mehr finden, auf Wunsch der Denkmalpflege aber gleichwohl wieder zum Einbau kamen, wie Bauberater Lukas Knörr im Gespräch ausführt: Diese Relikte besitzen zwar keine unmittelbare Funktion mehr, aber eine denkmalpflegerische – quasi als archäologische Dokumente. Beispielsweise wurden auf der Galerie originale Teilstücke des Linoleumbodens, der getüpfelten Tapete und des Drahtglas-Geländers angebracht.

Sichtbares Zeichen der Neueröffnung ist die Gebäudebeschriftung an der Fassade: In grossen Lettern steht «Museum für Gestaltung» anstatt dem früheren «Kunstgewerbemuseum». Hierfür wurde die originale Typografie des Grafikers Ernst Keller eingesetzt, von dem auch die übrige Signaletik im Gebäude stammt; einzelne bisher nirgends verwendete Buchstaben mussten allerdings nachempfunden werden. Neu ist die abendliche Hinterleuchtung der Beschriftung.

Das wesentliche Resultat der Instandsetzung ist zweifellos die Demontage der eingangs erwähnten Zwischendecke im Ausstellungssaal und der Büro­einbauten auf der Galerie. Damit präsentiert sich das moderne Denkmal wieder mit dem basilikalen Querschnitt, dem es seine einzigartige räumliche Qualität verdankt. Das Museum für Gestaltung Zürich ist seiner ursprünglichen Architektur gemäss wieder hergestellt und für den weiteren Gebrauch aufgerüstet. Den Architekten gelang es aufgrund ihrer jahrelangen Beschäftigung mit dem Museum, adäquate Lösungen für die Integration aktueller technischer Anforderungen zu finden. Ihr respektvoller und einfühlsamer Um­gang mit diesem komplexen Denkmal überzeugt.


Anmerkungen:
[01] Vgl. Gewerbeschule und Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich. Festschrift zur Eröffnung des Neubaus im Frühjahr 1933.
[02] Neue Zürcher Zeitung, 7. August 1927.
[03] Vgl. Heimatschutz 1930, Nr. 1, S. 16.
[04] Vgl. Reprofilierung der Architektur des Gebäudes der Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich von 1932 – Ein Auftrag, hg. von der Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich, Schule für Gestaltung, Zürich 1981. Darin wurde u. a. bereits die Wiederherstellung der Ausstellungshalle gefordert.

Einen Film zum Rückbau der Hallendecke und zusätzliches historisches Material finden Sie auf espazium.ch/mfg-zh

TEC21, Fr., 2018.08.31



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TEC21 2018|35 Museum für Gestaltung Zürich

24. März 2017Michael Hanak
Neue Zürcher Zeitung

Meisterstücke der Nachkriegsmoderne

Sein Werk wurde immer wieder in den höchsten Tönen gelobt. Nun gibt der hundertste Geburtstag Anlass, den Zürcher Architekten Jacques Schader aus heutiger Sicht zu würdigen.

Sein Werk wurde immer wieder in den höchsten Tönen gelobt. Nun gibt der hundertste Geburtstag Anlass, den Zürcher Architekten Jacques Schader aus heutiger Sicht zu würdigen.

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20. Januar 2017Michael Hanak
TEC21

Wie wohnen?

Die Wohnfrage ist ein Leitthema und Kernkompetenz des Werkbunds. Vor diesem Hintergrund entstanden im Lauf der Zeit Werkbundsiedlungen mit unterschiedlichen Zielen und Ausrichtungen. In dieser Tradition wagt der Berliner Werkbund nun ein vergleichbares und doch gänzlich anders geartetes Projekt: die WerkBundStadt.

Die Wohnfrage ist ein Leitthema und Kernkompetenz des Werkbunds. Vor diesem Hintergrund entstanden im Lauf der Zeit Werkbundsiedlungen mit unterschiedlichen Zielen und Ausrichtungen. In dieser Tradition wagt der Berliner Werkbund nun ein vergleichbares und doch gänzlich anders geartetes Projekt: die WerkBundStadt.

WerkBundStadt nennt sich das ehrgei­zige Wohnbauprojekt in Berlin, das der Berliner Werkbund mit einer Gruppe von Architektinnen und Architekten derzeit lanciert. Am Deutschen Werkbundtag im vergangenen Herbst (23. bis 25. September 2016) stellten die Projektleiter und Beteiligten das während rund eines Jahres ausgearbeitete Konzept der Öffentlichkeit vor. Nach der Präsentation dieses Vorentwurfs beginnt nun eine neue Phase, in der weiterbearbeitet und vertieft wird im Hinblick darauf, das Projekt konkret umzusetzen (vgl. «Diskurs als Strategie»).

Im Wesentlichen geht es darum, eine zeitgemässe, vorbildliche Form einer Wohnbebauung zu finden. Aus ­ der Tradition des Werkbunds heraus, selbst Wohnsiedlungen zu planen und realisieren, sollte wiederum ein ­aktueller Beitrag zum Wohnungsbau geleistet werden. Das bedeutet für die Projektbeteiligten: eine dicht ­bebaute, zentral gelegene und nachhaltig ausgeführte städtische Wohnbebauung. In einer Ausstellung und begleitenden Büchern sind zum einen das Projekt WerkBundStadt und zum anderen seine Eingliederung in die Geschichte der Werkbundsiedlungen gut dokumentiert (Literaturhinweise am Ende des Artikels). Ein Augenschein auf dem Bauplatz und ein Gespräch mit den Projektleitern brachten weiteren Aufschluss. Ein Blick zurück in die Geschichte der Werkbundsiedlungen mit besonderem Augenmerk auf den Schweizerischen Werkbund soll helfen, das Vorhaben zu beurteilen.

Stadtreparatur statt Siedlung

Noch ist es ein Konzeptvorschlag für ein neues Stadtgeviert – nicht mehr und nicht weniger. Bevor es nun an die Umsetzung geht, dokumentiert die Initiativgruppe des Werkbunds sowohl das Projekt wie auch dessen Herleitung. Bemerkenswert ist dabei, dass es sich um ein ideelles, vom Werkbund initiiertes Wohnbauprojekt handelt und um ein gemeinsam in der Gruppe aller Beteiligter entwickeltes Szenario.

Was bedeutet Wohnen heute? Wie sehen angemessene Wohnformen aus? Wie können sie erreicht werden? Solche grundsätzlichen Fragen bewegten Mitglieder des Berliner Werkbunds dazu, ein umfangreiches Wohnbauprojekt anzugehen. Es sollte keine Siedlung am Stadtrand oder im Grünen sein wie frühere Werkbundsiedlungen, sondern eine funktionsgemischte, verdichtete Wohnbebauung in der Stadt – so die Leitidee. Ein geeignetes Grundstück mitten in Berlin wurde gefunden. Es ist ein unternutztes Industriegelände an sehr zentraler Lage, unmittelbar an der Spree, nahe dem Schloss Charlottenburg und der TU Berlin und unweit des Flughafens Tegel.

Eine Annäherung an die Arbeit setzte Ende 2015 mit mehreren Klausuren ein, an denen über die sozialen, ökonomischen, ökologischen, politischen und gestalterischen Grundfragen heutiger Stadtquartiere gesprochen wurde. Die daraus resultierenden Regularien halten die Grundlage der Planungsidee fest. Die Vorschläge der 33 beteiligten Architekturbüros, zuerst für den städtebaulichen Entwurf und dann für die einzelnen Gebäude, wurden an Workshops vorgestellt und diskutiert. Anstatt einen Sieger zu prämieren, einigten sich am Ende alle auf einen gemeinsam erarbeiteten städtebaulichen Rahmenplan («Konsensplan») sowie auf architektonische Richtlinien. Dieses kooperative Verfahren, dieses gemeinsame Suchen nach einer Lösung stellt einen wesentlichen Teil des Ergebnisses dar.

Die 39 Parzellen sind in drei grössere Blockränder, eine lange Zeile und einzelne Solitärblöcke aufgeteilt. Die Strassen nehmen die schiefwinkligen Grundstücksgrenzen auf und schaffen einen Bezug zur bestehenden Fussgängerbrücke über die Spree. Ein Platz bildet den Anschluss an die benachbarten erhaltenswerten Industriehallen. Die Solitäre am Platz und die Blockecke am Tor zur Spree zählen bis zu 14 Geschosse respektive 55 m. Die Grossstruktur mit rund 1100 Wohnungen soll eine Dichte von etwa 3,5 bis 3,8 erreichen.

Damit schlägt der Werkbund städtischen Wohnraum vor, der einen gültigen städtebaulichen Beitrag leisten und zugleich gute Wohnarchitektur auf gemeinnütziger Basis schaffen soll – doch ohne Investoren wird dies nicht zu realisieren sein. Die Auswahl der Architekten und die Zuteilung der Parzellen nahmen die federführenden Initianten vom Werkbund vor, allen voran Paul Kahlfeldt (Vorsitzender Deutscher Werkbund) und Claudia Kromrei (Vorsitzende Werkbund Berlin) – eine demokratische Ausmarchung war nicht angestrebt. Mit der Umnutzung und Verdichtung des Grundstücks kann das Projekt als Stadtreparatur verstanden werden – hinter diesen lobenswerten Ansatz scheint das Bereitstellen innovativer Wohnkonzepte (zunächst) zurückzutreten. Den Vergleich mit früheren Werkbundsiedlungen relativieren die Projektleiter bereits mit dem Projektnamen – dennoch vergewissern sie sich der Einbettung in die eigene Geschichte.

Ursprünge des Werkbundgedankens

Der Deutsche Werkbund wurde 1907 in München gegründet. Die Hauptmotivation war, in einer Zeitepoche der zunehmenden Industrialisierung Alltagsgegenstände qualitativ zu verbessern und sinnvoll zu gestalten. Nicht zuletzt sollte damit eine ökonomisch vorteil­hafte Position auf dem Weltmarkt geschaffen werden. Zentrale Anliegen waren die Funktionalität und Materialgerechtigkeit der Gebrauchsgüter. Kunst, Industrie und Handwerk sollten zusammenfinden. Die Gründer des Werkbunds waren Künstler, Architekten, Kunsthandwerker, Schriftsteller, Industrielle und Kaufleute. Sie stellten das Werk, also das Produkt gestalterischer Arbeit, in den Mittelpunkt. Bis heute stehen die Interdisziplinarität und das Netzwerk auf der Agenda der Vereinigung.

Besondere Beachtung schenkte der Werkbund von Beginn an allen Gebrauchsgegenständen für den Haushalt und der Wohneinrichtung. Das Wohnen, die Wohnung und das Wohnumfeld sind seither vorherrschende Themen im Werkbund. Architektur war damit bereits mit eingeschlossen. Konkret kam Wohnhaus­architektur im Rahmen von Ausstellungen und in Form von eigenen Werkbundsiedlungen ins Spiel.

Legendär wurde die Werkbundausstellung 1914 in Köln, die zu einer ersten Leistungsschau des Deutschen Werkbunds geriet. Schon die über 50 exemplarischen Gebäude auf dem Ausstellungsgelände gingen in die Geschichte ein, darunter das Werkbund-Theater von Henry van de Velde, die Musterfabrik von Walter Gropius und ein Glashaus von Bruno Taut – alles Manifestationen einer neuen Baukunst.

Verbreitung und Entwicklung des Werkbunds

Nach dem Vorbild des Deutschen Werkbunds entstanden in anderen Ländern Europas bald gleiche oder ähnliche Vereinigungen. So in Österreich, in der Schweiz, in Schweden und schliesslich in der Tschechoslowakei. Das schweizerische Pendant wurde im Frühling 1913 in Zürich gegründet. Den Anstoss dazu gab Alfred Altherr, der Direktor der Kunstgewerbeschule und des Kunstgewerbemuseums Zürich, nach seiner Rückkehr aus Deutschland. Der Schweizerische Werkbund wollte unabhängig vom Deutschen sein, lehnte sich aber in der kulturpolitischen Ausrichtung an diesen an.[1]

Wie in Deutschland galten die Vereinsaktivitäten des Schweizerischen Werkbunds zunächst vorbildlichen Erzeugnissen aus Kunst, Industrie und Handwerk. Regelmässig wurden solche in Ausstellungen präsentiert. Architektur spielte in der Anfangszeit des Schweizerischen Werkbunds, im Unterschied zum ­Deutschen Werkbund, keine zentrale Rolle. Vielmehr war es eine Besonderheit der Schweizer Vereinigung, stets von der Innenraumgestaltung auszugehen. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts massgebliche Reformarchitektur in der Schweiz stand stark unter dem ­Einfluss des Heimatschutzes. Die erste augenscheinliche architektonische Manifestation des Schweizerischen Werkbunds war die Werkbundausstellung 1918 in Zürich, sowohl mit den temporären neuklassizistischen Ausstellungsbauten als auch mit den Exponaten der «Raumkunst-Ausstellung» zu den verschiedenen Wohnbereichen. Zudem wurde die «Arbeiter- und Mittelstandswohnung» thematisiert und damit eine Debatte darüber lanciert.

Mit der aufkommenden Moderne verschob sich der Fokus. An der Ausstellung «Wohnung und Haus» 1926 ging der Werkbund auf das «moderne Wohnproblem» ein, das eng mit den sozialen und kulturellen Fragen der Siedlungsarchitektur verbunden sei.[2] Während den Jahren des Neuen Bauens verstärkte sich die Auseinandersetzung mit dem Wohnungsbau und dem Wohnen. Die Debatte wurde bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs von den Gegensätzen zwischen Typisierung und künstlerischer Individualität sowie zwischen Modernismus und Traditionalismus beherrscht. Wohnung und Wohneinrichtung wurden mit einer modernen, aufgeschlossenen Lebensphilosophie verbunden.

Ausgeführte und unausgeführte Werkbundsiedlungen

Stuttgart, Brünn, Breslau, Zürich, Prag, Wien: Gemeinsam ist diesen Städten, dass hier Ende 1920er-, Anfang der 1930er-Jahre durch den Werkbund initiierte Wohnsiedlungen errichtet wurden. Diese Wohnsiedlungen dienten sowohl als experimentelle Ausstellungsbauten als auch als modellhafte Lösungsvorschläge mit internationalem Muster- und Vorbildcharakter. Sie verliehen der Architekturentwicklung wesentliche Impulse und sind als Wegmarken in die Geschichte des Wohnungsbaus eingegangen. Das Projekt zur WerkBundStadt in Berlin nehmen die Beteiligten zum Anlass, die früheren Wohnbauprojekte des Werkbunds zu reflektieren.

Schon vor den als solchen deklarierten progressiven Werkbundsiedlungen entstanden aus der Werkbundbewegung heraus neuartige Wohnbaukonzepte. Die 1908 bis 1913 erbaute Gartenstadt Hellerau bei Dresden ist eng mit der Gründung des Werkbunds verbunden. An der Kölner Werkbundausstellung 1914 wurde mit dem sogenannten Niederrheinischen Dorf eine «zukünftige Siedlungsform»[3] umgesetzt.

Einen Höhepunkt erreichten die weiteren Bemühungen des Werkbunds im Bereich des Siedlungsbaus im Kontext der Ausstellung «Die Wohnung» in Stuttgart: 1925 bis 1927 entstand dort die Weissenhofsiedlung, die internationale Beachtung und Berühmt­heit erlangte – ihre Bedeutung für die Architekturgeschichte kann kaum hoch genug eingestuft werden. Eine wichtige Voraussetzung war das 1919 gegründete Bauhaus, eine völlig neue Art und Konzeption von Kunstschule, die wie der Werkbund eine Zusammenführung von Kunst und Handwerk anstrebte. 1926 konnte die Schule ihr neues Gebäude in Dessau beziehen.

Als Leiter der Stuttgarter Neubausiedlung wurde Ludwig Mies van der Rohe eingesetzt, und mit ihm wurden eine Reihe von Architekten der Avantgarde nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus den umliegenden Ländern zur Mitarbeit aufgeboten. Gemeinsam waren den verschiedenen Häusern der Stil des Neuen Bauens, der experimentelle Charakter und die manifestartige Ausstrahlung.

In den darauffolgenden Jahren entstanden unter verschiedenen Voraussetzungen etliche weitere Werkbundsiedlungen in der Tschechoslowakei, in Polen, Österreich und in der Schweiz. Allerdings unterscheiden sich diese in der städtebaulichen Konzeption und im architektonischen Ausdruck. Auch erhielten sie unterschiedliche Resonanz in der Öffentlichkeit und in der Fachpresse. Bis in die jüngste Zeit schlugen Werkbundleute immer wieder Planungen zu Werkbundsiedlungen vor. Ausgeführt wurden 1978–1992 «Dörfle» in Karlsruhe und 1984–1989 «Am Ruhrufer» in Oberhausen. – Es ist eine Leistung der Ausstellung und der Begleitpublikation anlässlich der WerkBundStadt in Berlin, auch alle ausgeführten und unausgeführten Werkbundsiedlungen in Erinnerung zu rufen.

Siedlungen des Werkbunds in der Schweiz

Nach der Stuttgarter Weissenhofsiedlung brachten wichtige Ereignisse den modernen Wohnungsbau in der Schweiz voran. Eines war der Bau der Musterhäuser an der Wasserwerkstrasse in Zürich, die 1927/28 im Rahmen der Ausstellung «Das neue Heim» durch Max Ernst Haefeli errichtet wurden. Ein anderes war die Gründungsversammlung des Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) 1928 in La Sarraz, die zur internationalen Vernetzung der Avantgarde beitrug.

Einen ersten architektonischen Höhepunkt erzielte der Schweizerische Werkbund mit der Wohnsiedlung Eglisee, die im Rahmen der «Schweizerische Wohnungs-Ausstellung in Basel» (WOBA) im Spätsommer 1930 eröffnet wurde. Sie war zunächst als Mustersiedlung dem Ausstellungspublikum zugänglich und er­füllte danach ihren Zweck als kostengünstiger Kleinwohnungsbau. Der Schweizerische Werkbund hatte die Initiative dazu ergriffen und sich in unterstützender und beratender Funktion engagiert. Die Bedeutung liegt im progressiven Anspruch, Wohnungen für das Existenzminimum und neue Formen des sozialen ­Wohnungsbaus zu schaffen.

Der Kunsthistoriker und Architekturkritiker Peter Meyer hob den Unterschied zu anderen Werkbundsiedlungen hervor, die stärker unter einem baukünstlerischen Anspruch standen: «Da ist nichts mehr von dem kecken Künstler-Draufgängertum zu spüren, das an der Stuttgarter Weissenhof­siedlung gelegentlich auf Kosten der Solidität etwas Allotria trieb, sondern alle diese Wohnblöcke sind mit trockenem, schweizerisch-solidem Ernst durchgear­beitet, der auf das Wohl des Bewohners gerichtet ist, nicht auf die Unterhaltung des Besuchers.»[4]

Von 1930 bis 1932 wurde am Südrand von Zürich die Werkbundsiedlung Neubühl in Etappen errichtet. Zur Projektierung hatten sich modern gesinnte Architekten zusammengetan. Einige von ihnen stammten aus der Schweizer Gruppe, die der Deutsche Werkbund mit der Innenausstattung von sechs Ausstellungs­wohnungen im Apartmentblock von Ludwig Mies van der Rohe in der Weissenhofsiedlung beauftragt hatte. Der Schweizerische Werkbund unterstützte das gemeinnützige Projekt zwar nicht finanziell, bot den Projektierenden jedoch institutionellen und ideellen Rückhalt, konkret war er in die Vorarbeiten und Organisation involviert.[5] Dessen «Protektorat»[6], wie sich der Werkbund-Geschäftsführer Friedrich Gubler ausdrückte, schlug sich in der offiziellen Benennung als «Werkbundsiedlung» nieder. In den Statuten wurde festgelegt, dass dem Schweizerischen Werkbund ein Sitz in der Genossenschaft zusteht – was bis heute der Fall ist.

Die Architekten einigten sich auf eine städtebauliche Konzeption in Zeilenbauweise. Dessen konsequente Umsetzung ist entscheidend für das harmonische Siedlungsbild, das gemäss Hans Schmidt ein grundlegendes Ziel war.[7] Die quer zu den Strassen gestellten Zeilen erlaubten nicht nur eine organische Einbettung in die Landschaft, sondern auch die demokratische Verteilung der Aussicht. In der architektonischen Umsetzung überzeugen vor allem die zugleich platzsparenden wie grosszügigen Grundrisse der Reihenhäuser. Vor dem Bezug wurde in der Ausstellung eine optimale Möblierung demonstriert. Die Architekten hatten hierfür eigens Möbel entworfen und für deren Vertrieb das Möbelgeschäft «Wohnbedarf» ins Leben gerufen.

Der Bau der Werkbundsiedlung Neubühl war ein zentrales Ereignis in der Architektur der Zwischenkriegszeit. Aufgrund konzeptioneller wie baukünstlerischer Aspekte erlangte die um Ateliers, Läden und Kindergarten angereicherte Wohnsiedlung mit 194 Wohnungen eine höchst bedeutsame, kaum zu überschätzende Position in der Schweizer Architekturgeschichte. – Wiederholen lässt sich diese Werkbundsiedlung freilich nicht, doch daran anknüpfen kann man.

Werkbundwohnen heute

Seither hat sich der Werkbund stark verändert. Heute versteht er sich vor allem als Forum und Netzwerk, wobei die Interdisziplinarität unter den gestalterischen Berufen besonders gepflegt wird. Immer noch engagiert er sich, gestützt auf «die Neugierde, das Engagement und die Fachkompetenz seiner Mitglieder»[8], in möglichst allen gestalterischen Belangen «für ein qualitätvolles Gestalten der humanen Umwelt»[9]. Selbstverständlich liegt ein besonderes Augenmerk auf Themen des Lebensumfelds und des Wohnens.

Die bestehenden, meist unter Denkmalschutz stehenden Werkbundsiedlungen nehmen schon nur dar­um einen wichtigen Stellenwert im heutigen Werkbund ein, weil gegenwärtig die zweite Sanierungswelle ­ansteht – in Stuttgart, Wien und Zürich wurde diese soeben abgeschlossen.[10] Für die Siedlung Neubühl sucht der Werkbund Zürich zudem nach zeitgemässen Ergänzungsangeboten: Eine von allen über das Internet buchbare Gästewohnung funktioniert bereits seit über einem Jahr, für eine weitere Wohnung wird derzeit eine Spezialnutzung vorgeschlagen. Kürzlich haben sich die Werkbundsiedlungen institutionell miteinander vernetzt. Die Vergangenheit ist somit präsent. Doch die Geschichte kann weitergehen. Wie weit sich die Tradition der Werkbundsiedlungen fortschreiben lässt, muss sich weisen. Jedenfalls müssen Anliegen des ­Wohnens und Zusammenlebens immer wieder von ­Neuem hinterfragt und weiterentwickelt werden. Die Gesprächskultur und konkrete Projekte dazu sind ­sehr zu be­grüssen.


Literaturhinweise:
WerkBundStadt Berlin Am Spreebord, hg. von Deutscher Werkbund Berlin, mit Texten von Thorsten Dame, Benedikt Goebel, Albrecht Göschel, Claudia Kromrei, Michael Mönninger, Matthias Noell und Gerwin Zohlen, Berlin 2016.
Bauen und Wohnen. Die Geschichte der Werkbundsiedlungen, hg. vom Deutschen Werkbund Berlin, Tübingen 2016 (Ausstellungskatalog).

Anmerkungen:
[01] Zur Geschichte des Schweizerischen Werkbunds vgl.: Thomas Gnägi, Bernd Nicolai, Jasmine Wohlwend Piai (Hg.), Gestaltung – Werk – Gesellschaft. 100 Jahre Schweizerischer Werkbund SWB, Zürich 2013.
[02] Friedrich T. Gubler, «Wohnung und Haus. Eine Ausstellung im Kunstgewerbemuseum Zürich», in: Werk, Nr. 12, 1926, S. 381–383, hier S. 381.
[03] Fritz Stahl, «Die Architektur der Werkbund-Ausstellung», in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau, Nr. 4, 1914, S. 153–160, hier S. 160.
[04] P. M. [Peter Meyer], «‹WOBA›, Schweiz. Wohnungs-Ausstellung in Basel», in: Schweizerische Bauzeitung, Bd. 96, Nr. 10, 6.9.1930, S. 120–126, hier S. 123.
[05] Vgl. Thomas Gnägi, Bernd Nicolai, Jasmine Wohlwend Piai (Hg.), Gestaltung – Werk – Gesellschaft. 100 Jahre Schweizerischer Werkbund SWB, Zürich 2013, S. 348, 357. U. a. begleitete Werkbundmitglied und Anwalt Wladimir Rosenbaum-Docummun die Gründung der Genossenschaft in juristischen Fragen.
[06] Ebd., S. 356.
[07] Ebd., S. 357.
[08] www.werkbund.ch
[09] www.deutscher-werkbund.de
[10] Zu diesem Thema fand vom 26. bis 28. Oktober 2016 in Stuttgart die Tagung «Die Revision der Sanierung? Denkmalpflege in zweiter Generation an Objekten des Neuen Bauens» statt.

TEC21, Fr., 2017.01.20



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2017|03-04 WerkBundStadt I Experimentierfeld

20. September 2013Michael Hanak
TEC21

Dilemma am Mythenquai

Bedeutende Bauten der 1950er- und 1960er-Jahre stehen heute vor der Weihe zum Baudenkmal – oder vor dem Abbruch. Werner Stücheli hat wie kaum ein anderer Architekt Zürichs Gesicht ­geprägt. Sein 1969 ­fertiggestelltes Swiss-Re-Gebäude wird derzeit durch einen Neubau von ­Diener & Diener Architekten ersetzt. Der Fall zeigt exemplarisch, wo die Grenzen in der Bewahrung der architektonischen Nachkriegsmoderne liegen und wie schwierig es sich aus Sicht der Denkmalpflege gestaltet, diese Epoche zu inventarisieren.

Bedeutende Bauten der 1950er- und 1960er-Jahre stehen heute vor der Weihe zum Baudenkmal – oder vor dem Abbruch. Werner Stücheli hat wie kaum ein anderer Architekt Zürichs Gesicht ­geprägt. Sein 1969 ­fertiggestelltes Swiss-Re-Gebäude wird derzeit durch einen Neubau von ­Diener & Diener Architekten ersetzt. Der Fall zeigt exemplarisch, wo die Grenzen in der Bewahrung der architektonischen Nachkriegsmoderne liegen und wie schwierig es sich aus Sicht der Denkmalpflege gestaltet, diese Epoche zu inventarisieren.

Der Umgang mit Bauten der 1950er- bis 1980er-Jahre steht heute zur Diskussion. Viele von ihnen müssen altersbedingt erneuert oder ersetzt werden. Damit geraten die Bauwerke der Nachkriegsmoderne auch in den Fokus der Architekturgeschichtsschreibung. Während sie manchen Besitzern und Benutzern bereits zu alt scheinen, um heutigen funktionalen, ­repräsentativen und energetischen Ansprüchen zu genügen, sind sie für Architekturhistoriker fast noch zu jung, um als gefährdet und wertvoll beurteilt zu werden. Und so kommen die Gebäude in den Erneuerungszyklus, bevor sie als potenzielle Denkmäler die nötige ­Anerkennung gefunden haben. Aufgrund der kürzeren Lebenserwartung moderner Bauten ist die Denkmalpflege deshalb gefordert, früher als bisher diejenigen Exemplare zu bestimmen, die als ­kulturelles Erbe bewahrt werden sollen.

Lücken im Inventar

Bauliche Eingriffe an den Gebäuden dieser Zeit bieten Gelegenheit, nach Art und Wesen der Veränderung zu fragen. Sie fordern von den direkt Beteiligten, Rechenschaft darüber abzu­legen, welche Werte und Qualitäten dabei gegeneinander abgewogen werden. Ein aktueller Fall ist das Swiss-Re-Gebäude am Zürcher Mythenquai, 1965–1969 projektiert und aus­geführt von Werner Stücheli. Es liegt an der Seefront, eingebettet in eine lange Reihe mehr oder weniger monumentaler Versicherungsbauten (Abb. 02 und 04), und wurde bei der Swiss Re «Neubau» genannt. Daneben und mit ihm verbunden steht der neubarocke Hauptsitz der Swiss Re, den Emil Faesch und Alexander von Senger 1911–1913 für die ­damalige Schweizer Rückversicherungs-Gesellschaft erstellten. 1929 schlossen die ­Gebrüder Pfister diesen U-förmigen Bau zu einem Geviert, das Thilla Theus 1996–2000 gesamthaft reno­vierte. Das dritte, südlichste Gebäude der Swiss Re in der Reihe am Mythenquai ist das Clubhaus; es wurde 1957/58 von Hans Hofmann erbaut, 1978/79 von Jacques Schader aufgestockt und 1998–2000 von SAM Architekten umfassend erneuert.

Auf der anderen Seite von Stüchelis Neubau liegt das «Mythenschloss», ein 1925–1927 ­errichtetes neuklassizistisches, monumentales Geschäfts- und Wohngebäude, das 1982–1986 abgebrochen und mit originalgetreuen Fassaden aufgebaut wurde; die Ergänzung an seiner Westseite spricht eine zeitgemässe Architektursprache. Die Reihe der Versicherungsbauten wird zum Stadtzentrum hin vom Hauptsitz der Zurich ­Insurance Group, der einstigen Zürich Unfallversicherung, fortgesetzt. Auch dessen Baugeschichte ist von ­späteren Erweiterungsbauten geprägt, unter anderem von der 1931 an der Seefront errichteten Lebensversicherung-Filiale.

Alle diese Gebäude wurden ins kommunale Inventar der städtischen Denkmalpflege aufgenommen – ausser Stüchelis Bau von 1969. Hier kam die in den letzten zwei Jahren erfolgte Inventarisierung von Bauten der Zeitepoche 1960 bis 1980 zu spät.

Stücheli weicht dem neuen Hauptsitz

Die Swiss Re tat sich offensichtlich schwer mit dem Gebäude. Sie sah Defizite hinsichtlich Nachhaltigkeit, Repräsentation und Funktion. Zudem bestanden Mängel bei der Wärmedämmung und beim Sonnenschutz. Konkrete Bauschäden gaben die Besitzer folgende an: «Die Fassaden mit den vorgehängten Natursteinplatten weisen starke Alterungsspuren auf. Reinigungsversuche brachten nicht den erwünschten Erfolg. Die Flickzapfen der Zusatz­befestigungen zeichnen je länger je mehr ab, was sich störend auf das Fassadenbild auswirkt. Auch die Sanierungsversuche der Natursteinbeläge der Vorplätze und Aussentreppen schlugen fehl. (…) Die Klimakonvektoren sind anfällig und ihr Unterhalt ist aufwendig. Die Steuerung ist überaltert und ineffizient, was hohe Unterhalts- sowie Energiekosten ver­ursacht und den Komfort beeinträchtigt.»[1] 2007 fiel der Entscheid, den Bau zu ersetzen. Eine Studie der Architekten Staufer & Hasler diente dabei als Entscheidungsgrundlage.

Als Begründung nennt die Swiss Re strukturelle Probleme des Gebäudes. Bereits in dieser frühen Phase wurde das Baukollegium der Stadt Zürich zurate gezogen. Es kam zu dem Schluss, dass nur eine Gesamtsanierung oder ein Ersatzneubau diese strukturellen Probleme lösen könne, wie der Stadtrat in seiner Medienmitteilung schrieb.[2] 2008/09 führte die Swiss Re für den Ersatzneubau einen Studienauftrag unter sechs Schweizer und sechs inter­nationalen Architekturbüros durch. Das Siegerprojekt von Diener & Diener Architekten aus Basel bildete danach die Grundlage für das Bauprojekt und den Gestaltungsplan, der 2012 bewilligt wurde. In der Baubewilligung wurde unter anderem die gute Einordnung des Neubaus hervorgehoben; er werte die Uferfront auf und sei «präzise in die städtebaulich prominente Situation am Mythenquai gesetzt».[3] Der Ersatzneubau, dessen Realisierung für 2013–2017 geplant ist, wird als Hauptsitz des Geschäftsbereichs Reinsurance dienen.

Kulturpflege oder zeitgemässe Repräsentation?

Bei der Swiss Re geniesst die Architektur hohe Beachtung, sie gilt als Mittel der Corporate Identity. Im Fall des Stücheli-Baus stand das Bedürfnis nach repräsentativer und zeitge­nössischer ­Architektur offenbar im Widerstreit mit der Pflege des baukulturellen Erbes. Der Umgang der Swiss Re mit ihren anderen Bauten am Mythenquai hat gezeigt, dass der Anspruch auf Qualität, Identität und Repräsentation durchaus auch in Form der kultur­bewussten Pflege von Baudenkmälern erfüllt werden kann. Soeben hat der Stadtrat von ­Zürich 81 Gebäude und 76 Gärten aus den 1960er- und 1970er-Jahren neu in das Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte aufgenommen, darunter drei Gebäude von Werner Stücheli. Hat Swiss Re nicht bemerkt, dass sie mit dem Stücheli-Bau bereits durchaus erstklassige Architektur in den Händen hatte? Oder liess sich das Bauwerk tat­säch­lich nicht mit vernünftigem Aufwand an die heutigen energetischen Anforderungen und die Bedürfnisse der Bauherrin anpassen? Auf Nachfrage hin verweist Swiss Re auf die offiziellen Communiqués; die Studie von Staufer & Hasler ist leider nicht einsehbar.

Ein typischer Stücheli

Den Auftrag zu dem Erweiterungsbau erhielt Stücheli 1962, nachdem er den zwei Jahre ­zuvor ausgelobten Wettbewerb unter sechs eingeladenen Architekturbüros gewonnen hatte. Wesentliche Entscheidungskriterien der Wettbewerbsjury, in der unter anderem Jacques Schader sass, waren die städtebauliche Auflockerung und Zurückhaltung, die ­geringe Höhe und Bebauungsdichte sowie der flexible Grundriss. Der Neubau sollte den bestehenden ­Altbau erweitern und mit diesem verbunden werden. Die Geschäftsleitung wollte im bisherigen Verwaltungsgebäude verbleiben, nur gewisse Abteilungen in den Erweiterungsbau verlegen und einige Stockwerke vermieten, um auf ­lange Sicht über eine Platzreserve zu verfügen. Laut Schweizerischer Bauzeitung sollte «ein Verwaltungsbau konzipiert werden mit grösstmöglicher Flexibilität, Büros meist kleiner und mittlerer Grösse, mit gediegener Ausstattung der repräsentativen Räumlichkeiten, Vollklimatisierung und genügend Parkraum»[4].

Stücheli projektierte in enger Zusammenarbeit mit seinem Mitarbeiter Theo Huggenberger ein Gebäude, dessen Baumasse sich vom Mythenquai her in die Tiefe staffelt. An der ­Strasse lag ein eingeschossiger Trakt, an den seitlich ein zweigeschossiger anschloss, der zum vier- bis achtgeschossigen Hauptvolumen überleitete. Dieser war nicht nur in der Höhe abgetreppt, sondern auch vor- und rückspringend gegliedert. An der rückwärtigen ­Alfred-Escher-Strasse, wo ebenfalls ein Eingang lag, war der Baukörper dem schrägen Strassenverlauf entsprechend gestaffelt. So präsentierte sich der 1969 am Mythenquai 48–50 bezogene Neubau in mancherlei Hinsicht anders als seine Nachbarn. Er bildete keinen ­geschlossenen Quader und keine symmetrische Figur, der Baukörper wich von der Strassenflucht hinter einen Vorplatz zurück, seine Trakte umfassten einen hofartigen Aussenraum. Mit dieser städtebaulichen Zurückhaltung verschob sich die Repräsentation von der klassischen Fassadensymmetrie hin zur architektonischen Ausformung.

Am puls der Zeit

Die Gestaltung entsprach der Nachkriegsmoderne der 1960er-Jahre. In der Addition ­gleicher Bauteile tauchte eine strukturalistische Tendenz auf, die sich in einer vielgestaltig gestaffelten Gesamtwirkung ausdrückte. Die gerasterte Fassade band das Bauvolumen ­zusammen und brachte die Horizontal- und Vertikalstruktur aus Bandfenstern, Pfeilern und Brüstungen in ein Gleichgewicht. Gebäudefigur und innere Organisation folgten dem ­Windradschema. Bei genauer Betrachtung zeigten sich in der inneren Struktur wie auch in der Fassade spielerische Abweichungen; beispielsweise wechselte die Unterteilung in ­quadratische und hochrechteckige Fensterflügel die Anordnung, ohne einer bestimmten Regel zu folgen. Dabei bewies Werner Stücheli nicht nur viel Talent für Proportionen und Rhythmus – sondern auch Humor. Die damaligen Möglichkeiten im Betonbau äusserten sich unter anderem in der Ablösung des gesamten Oberbaus von den vier Untergeschossen, woran Bauingenieur Robert Henauer wesentlichen Anteil hatte. Das halb eingesenkte, ein erhöhtes Plateau bildende Park­geschoss machte diese Konstruktion sichtbar. Die Umgebungsgestaltung des Garten- und Landschaftsarchitekten Josef A. Seleger, eine Moorbeetvegetation in rechteckigen Betontrögen neben dem Vorplatz und eine Dachbegrünung, die in radialer Bepflanzung die ­Windradform aufnahm, verband das Gebäude mit der Seeuferbepflanzung. Erstmals wurden in der Schweiz Bäume mit Helikoptern eingeflogen. Zu guter Letzt setzte die «Grosse ­Giraffe», eine rote Eisenplastik von Bernhard Luginbühl, mit einem vertikal ausgreifenden Bogen einen Akzent beim Aufgang am Mythenquai. In allen Belangen gelang es Stücheli, der weltweiten Ausstrahlung des Unternehmens gerecht zu werden. Von der Stadt Zürich erhielt das Gebäude die «Auszeichnung für gute Bauten» – nun wird es zurückgebaut. Hat es die Anerkennung als Baudenkmal nur ganz knapp verpasst?


Anmerkungen:
[01] Auszug aus der Fragenbeantwortung im Studienauftrag vom 17. 9. 2008.
[02] Medienmitteilung des Zürcher Stadtrats vom 20. 4. 2011.
[03] Neue Zürcher Zeitung, 1. 11. 2012, S. 15.
[04] Schweizerische Bauzeitung, 88. Jhg., Heft 27, Juli 1970.

TEC21, Fr., 2013.09.20



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|39 Stücheli weiterbauen

08. Februar 2013Michael Hanak
TEC21

Original im Wesen, nicht in der Substanz

Es war durchaus ein Parforceakt, in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs (1938–1941) eine Stätte der Körperkultur für die Bevölkerung von Zürich zu errichten. Stadtbaumeister Hermann Herter begnügte sich aber nicht damit, sondern entwarf mit dem Hallenbad City zugleich ein Paradebeispiel des Neuen Bauens und ein Vorzeigeprojekt energietechnischer Innovation. Beide Aspekte wurden im Zuge des 1980 zur Steigerung der Energieeffizienz vollzogenen Umbaus verunklärt. Nach der Jahrtausendwende war wiederum die mangelhafte Haustechnik treibender Motor einer neuerlichen Überarbeitung. Diesmal aber bot ausgerechnet sie dem Büro ernst niklaus fausch architekten die Chance, den Bau von 2010 bis 2013 auf seine ursprüngliche Konzeption zurückzuführen und das seinerzeitige Glanzstück – das Glasoberlicht – in neuer Fassung wiederherzustellen.

Es war durchaus ein Parforceakt, in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs (1938–1941) eine Stätte der Körperkultur für die Bevölkerung von Zürich zu errichten. Stadtbaumeister Hermann Herter begnügte sich aber nicht damit, sondern entwarf mit dem Hallenbad City zugleich ein Paradebeispiel des Neuen Bauens und ein Vorzeigeprojekt energietechnischer Innovation. Beide Aspekte wurden im Zuge des 1980 zur Steigerung der Energieeffizienz vollzogenen Umbaus verunklärt. Nach der Jahrtausendwende war wiederum die mangelhafte Haustechnik treibender Motor einer neuerlichen Überarbeitung. Diesmal aber bot ausgerechnet sie dem Büro ernst niklaus fausch architekten die Chance, den Bau von 2010 bis 2013 auf seine ursprüngliche Konzeption zurückzuführen und das seinerzeitige Glanzstück – das Glasoberlicht – in neuer Fassung wiederherzustellen.

Bei seiner Eröffnung 1941 hatte das erste öffentliche Hallenbad im Zentrum von Zürich eine bewegte Planungsgeschichte hinter sich, an deren Ende ein durch zu langen Aufschub veralteter Entwurf von Otto Gschwind stand (Kasten «Baden in Zürich», S. 36). Die Wiederaufnahme lancierte Hermann Herter in den letzten Jahren seiner Zeit als Stadtbaumeister (1919–1942)[1], für dessen Projekt die Zürcher Gemeinde den heutigen Standort zwischen Schanzengraben und EWZ Selnau, zwischen Sihlporte und Börse auserkor. 1938 wurde mit den Arbeiten begonnen, im Spätsommer 1939 war der Rohbau vollendet, und die Eröffnung fand – wegen des Kriegsausbruchs um ein Jahr verschoben – im Mai 1941 statt. Das Bad wurde als ein «Meisterwerk» gefeiert. Stadtpräsident Emil Klöti liess in der Eröffnungsschrift verlauten: «Herr Stadtbaumeister Hermann Herter hat es verstanden, für die komplizierte Aufgabe die denkbar einfachste, klarste und überzeugendste Lösung zu finden.»[2]

Neues Bauen 1938–1941 Herter realisierte einen kompakten, quaderförmigen Baukörper, den er in der Längsrichtung in zwei unterschiedliche Teile gliederte: die 58 m lange, 22 m breite und 10.5 m hohe Schwimmhalle mit einem Schwimmerbecken von 15 × 50 m – und den dreigeschossigen kompakten Garderobentrakt. Dieser beherbergte im EG und im 1. OG je ein Foyer, ausgestattet mit der Kasse beziehungsweise einer Café-Bar, und jeweils flankierend über beide Geschosse die Damen- (rechts) respektive Herrengarderoben (links). Im dritten Geschoss platzierte er die Gymnastikhalle. Während er in der Halle mit raumhohen Fenstern und dem als Glasfaltdach ausgebildeten Oberlicht für den Einfall von viel natürlichem Licht sorgte, versah er den flach gedeckten Garderobenbau mit der mittigen Eingangshalle mit kleinteiligeren Fensteröffnungen. Die grossflächigen, in einheitlichem Hochformat zwischen den tragenden Wandpfeilern eingesetzten Sprossenfenster der Schwimmhalle wurden in Bronze ausgeführt und konnten hochgeschoben werden. Die Fenster in den Putzfassaden des Garderobentrakts dagegen waren in Holz und am Vorbau in Eisen gehalten. Beide Gebäudeteile konzipierte er mit 5-mal 13 Achsen und baute sie in sich mittelsymmetrisch auf; die Schwimmhalle ist allerdings breiter, etwas höher und etwas länger bemessen als der Garderobentrakt. Als Empfangsgeste in Anlehnung an die Kommandobrücke eines Schiffs gestaltete er die Mitte des Eingangs und des darüberliegenden Foyers als vorspringenden Kubus mit gerundeten Ecken (Abb. 01).

Zu den innenräumlichen Höhepunkten gehören die Rundungen der Raumecken von Eingangshalle und Foyer sowie der Treppen und der Einbauten für Kasse und Wäscheausgabe, ferner die Pilzstützen im Foyer und in den Untergeschossen – das Markenzeichen ihres Erfinders Robert Maillart, der die Betonkonstruktion entworfen und bis zu seinem Tod 1940 betreut hatte. Das Highlight aber war und ist heute wieder das von Stahlfachwerkträgern getragene Glasfaltdach über dem Schwimmerbassin.

Referenzen in Berlin, Haarlem und Zürich

Formal schloss Hermann Herter an das kubische Hallenbadprojekt von Otto Gschwind mit den hohen Rechteckfenstern an, befreite es aber von jeglichem klassizistischen Aufbau und Bauschmuck und öffnete die Bauhülle deutlich mehr. Unterdessen hatte sich das Neue Bauen in Zürich etabliert, dessen Ideengut und Formensprache Herter behutsam in seine zahlreichen städtischen Bauprojekte integrierte. Am deutlichsten geschah dies beim Hallenbad: Die Verglasung des Eingangsvorbaus ist dynamisch abgerundet, weite Fassadenbereiche sind in grossflächige, aussen liegende Glasflächen aufgelöst, und mittels Hebeschiebefenstern liess sich der Innenraum mit dem Aussenbereich verbinden. Ebenfalls programmatisch modern gestaltete Hermann Herter 1939, also zeitgleich mit dem Hallenbad, das Strandbad Wollishofen in einem funktionsgeleiteten Aufbau und mit Motiven wie Rundung und Pilzstütze.

Selbstverständlich hatte sich Herter nach anderen Hallenbädern umgesehen. Verblüffende Ähnlichkeiten zeigt der Zürcher Bau mit dem Stadtbad Berlin-Mitte, 1929/30 von Carlo Jelkmann und Heinrich Tessenow erbaut, und dem Hallenbad im niederländischen Haarlem, errichtet 1933/34 von Johannes Bernardus van Loghem. In Berlin wird die Schwimmhalle an drei Seiten durch hohe Fenster belichtet und hat eine gerasterte flache Glasdecke. Hochschiebefenster lassen sich zur Tribüne hin öffnen. In Haarlem war es der Bezug zwischen Schwimmhalle und Terrasse, den riesige Schiebefenster gewährleisteten.[3] Für das Glasoberlicht existierte ein direktes Vorbild auch in Zürich: Der grosse Saal in der Alten Börse beim Paradeplatz, 1929/30 von Henauer & Witschi errichtet, war ebenfalls mit einer Glasdecke ausgestattet, die – aus akustischen Gründen – auch dort als Faltdach ausgebildet worden war.

Radikales Update 1980

Nach einer Benutzungsdauer von wiederum zwei Generationen wurde wegen überalterter betriebstechnischer Anlagen eine Sanierung eingeleitet, die 1978–1980 zu einem eigentlichen Umbau geriet. Das Architekturbüro Bollinger Hönger Dubach, das 1970–1973 das Hallenbad Altstetten ausgeführt hatte, beabsichtigte «unter Wahrung der vorhandenen Bausubstanz eine attraktive Neuanlage zu schaffen».[4] Demgegenüber geriet der Eingriff, den die Architekten aus energietechnischen Gründen vornehmen mussten, dann doch einschneidend: Um die Installationen zur neu geforderten Wärmerückgewinnung unterzubringen, zogen sie eine untergehängte Decke mit darunter angebrachten sichtbaren Abluftrohren ein (Abb. 06). Diese leiteten die warme Luft mitten durch das Foyer und die Eingangshalle ab. Ausserdem bauten sie ein Nichtschwimmerbecken auf Kosten eines Teils der Garderoben ein. Damit verunklärten sie die von Herter definierte Trennung der Funktionen – Schwimmbereich in der Halle und Servicezone im Umkleidetrakt. In dessen Erdgeschoss integrierten sie ein Restaurant und verlegten die nun automatische Kasse sowie die Lingerie ins Obergeschoss, auf das auch die Garderoben konzentriert wurden. Am Äusseren wirkten sich diese drastischen Eingriffe vor allem durch die grösseren Fenster im Erdgeschoss der Eingangsfassade und die Vergrösserung des Sockelvorbaus gegen den Schanzengraben hin aus. Zur Unterscheidung von den übrigen Hallenbädern wurde schliesslich die Beschriftung über dem Eingang in «Hallenbad City» geändert.

Zurück in die Zukunft: 2010–2013 Nach einem weiteren Lebensabschnitt von 25 Jahren gaben 2005 erneut die veraltete Haustechnik und die mangelnde Energieeffizienz den Ausschlag zur Ausschreibung eines Planerwahlverfahrens, das ernst niklaus fausch architekten für sich entschieden; sie realisierten dann auch von 2010 bis 2013 den Umbau. Da das Hallenbadgebäude inzwischen unter dem Schutz der Denkmalpflege steht, musste geklärt werden, ob sich der Umbau sowohl auf Herters Ursprungsbau als auch – im Sinne der Zeitzeugenschaft – auf die qualitativ durchaus hochstehende spätere Intervention erstrecken sollte. Den zeittypischen Charakter schätzten Behörden wie Planer allerdings als geringer ein als den architektonischen Ausdruck des Originalzustands. Ihn galt es zu rehabilitieren, und zwar – zumal die ursprünglichen Oberflächen und Ausstattungen bis auf wenige Ausnahmen von Bollinger Hönger Dubach ersetzt worden waren – im Sinne der Intention und nicht der Substanz. Zu den gravierendsten Beispielen, in denen ernst niklaus fausch architekten die Ende der 1970er-Jahre erfolgten Eingriffe am Äusseren auf den Zustand von 1941 zurückführten, gehört die Wiederherstellung der ursprünglichen, geringeren Fensterhöhen im Erdgeschoss des Garderobentrakts, um den von Herter intendierten Gegensatz zur Schwimmhalle zu stärken.

Highlight und Flashback Die sowohl architektonisch als auch konstruktiv markanteste Intervention geschah aber im Innern: Hier wurde die Halle von der 1978–1980 eingezogenen Decke befreit und das Glasoberlicht über dem Schwimmbassin wiederhergestellt (Abb. 12) – allerdings nicht etwa als originalgetreue Kopie. Vielmehr adaptierten die Architekten die shedartige Ausbildung des Dachs. Basierten die Reiter ursprünglich auf gleichschenkligen Dreiecken, sodass sich eine serielle Abfolge ergab, rhythmisierten die Architekten nun die Bewegung, indem sie die Neigungswinkel der Elemente variierten (vgl. «Oberlicht neu gefaltet», S. 37), sodass sich die Assoziation eines an- beziehungsweise abschwellenden Wellenschlags einstellt. Augenfällig ist auch die Überarbeitung, die die Architekten in der Eingangshalle vornahmen, die sie förmlich leer geräumt zu haben scheinen (Abb. 02). Dieser Eindruck stellt sich jedenfalls ein, nachdem die früheren, fast schon an das Centre Georges Pompidou erinnernden Lüftungsrohre verschwunden sind. Während Bollinger Hönger Dubach für die seinerzeit neu geforderte Wärmerückgewinnung keine Raumreserven anzapfen konnten und daher auf die grosszügig dimensionierte Halle ausweichen mussten, profitierten die heutigen Planer von dem nicht mehr als solchem benötigten Zivilschutzraum, in dem sie einen Teil der Haustechnik unterbringen konnten. Ebenfalls der ursprünglichen Raumdisposition entsprechend wurden Sanität und Büro wieder an der gerundeten Front seitlich des Eingangs angeordnet. Die Kasse befindet sich wieder im Erdgeschoss, ist aber wie ein hineingestelltes Mobiliar behandelt, ähnlich einem Glacéwagen. Entlang der beiden Seitenwände der Eingangshalle stehen jetzt je eine Sitzbank und eine Vitrine, die sich in ihrer Formgebung an den einstigen Einbaumöbeln orientieren.

In einem Punkt machten ernst niklaus fausch architekten eine Konzession an den Umbau von Bollinger Hönger Dubach. Um das Angebot nicht zu verringern, haben sie das im Garderobentrakt eingefügte Nichtschwimmerbecken nicht zurückgebaut, sondern als Mehrzweckbecken mit Hubboden neu erstellt. Für Nichtschwimmer fügten sie auf der gegenüberliegenden Seite, an der Stelle, wo sich zuletzt der Badeshop befand, ein weiteres Becken ein (Abb. 10) und schrieben so die 1980 begonnene räumliche Vermischung von Schwimmhalle und Garderobentrakt fort. Sie machen die einstige Differenzierung aber erlebbar, indem sie die Becken klarer vom Hauptraum respektive den Stützen abtrennten (Abb. 08).

Beim Innenausbau lehnten sich ernst niklaus fausch architekten wieder an das Herter’sche Vorbild an und setzten Materialien ein, die möglichst nah an dessen Vorstellungen herankommen. Dies geschah, wie von der Bauherrschaft gefordert, durchwegs mit auf dem Markt erhältlichen Produkten. In der Schwimmhalle erhielten beispielsweise die Formteile im Bereich der Liegebänke längs der Aussenwände besondere Aufmerksamkeit, um annähernd deren plastische – eben tektonisch und nicht nur verkleidend gedachte – Ausprägung wiederzuerlangen. Bezüglich der Farbgebung stützten sie sich auf eine – bemerkenswert psychologisierende – schriftliche Überlieferung Herters: «Die in warmen Elfenbeintönen gehaltenen glasierten Platten und der Putz der Wände geben im Zusammenhang mit der Wasserfläche, unterstützt durch die grünlich gehaltene Beckenverkleidung, dem Raume für den unbekleideten Körper des Badenden den Unterton, in dem sich der Badebesucher wohl fühlt.»[5] ernst niklaus fausch architekten haben die drei Becken entsprechend – mit einer gängigen Schwimmbadkeramik – in drei unterschiedlichen Grüntönen ausstaffiert.

Ausstrahlung

Bei der Sanierung des denkmalgeschützten Hallenbads City in Zürich gingen ernst niklaus fausch architekten einen Weg zwischen Erhaltung und Erneuerung. Sie zeigen damit, dass die Aufgabe, ein hochwertiges Baudenkmal an zeitgemässen Bedürfnissen und gesetzlichen Bestimmungen auszurichten, eine Frage der Einfühlung in den Bestand ist. Bei ihrer Aktualisierung konzentrierten sich die Architekten auf die Hauptthemen, dank derer der Bauzeuge von Ende der 1930er-Jahre seine Bedeutung erhält: erstens die Forderung nach Luft, Licht und Sonne, zweitens die technisch unterstützte Körperkultur und drittens die ablesbare Trennung der Funktionen. Unangetastet blieben stilistische Merkmale des Neuen Bauens wie die grossflächige Verglasung, die Anklänge an die Schiffsmetapher und das Pilzstützenmotiv. Dieser denkmalgerechte Umgang erhält eine städtebauliche Relevanz durch die Ansammlung von Gebäuden derselben Epoche in nächster Umgebung: das 1929 erbaute Warenhaus Zentrum, später EPA (Otto Streicher), das 1928–1934 in Etappen erbaute Textilwarenhaus Ober (Gustav von Tobel und Otto Dürr) und das EWZ-Unterwerk Selnau von 1934 (Hermann Herter).

Selbstverständlich gehören auch spätere Eingriffe zur Geschichte eines Bauwerks. Im Unterschied zum letzten Umbau von 1978–1980 ist jedoch die Wertschätzung gegenüber dem Neuen Bauen beträchtlich gestiegen. ernst niklaus fausch architekten unterschieden eindeutig zwischen den Lebensphasen des Baus und gewichteten bei ihrem Vorgehen den Urzustand höher als den späteren Umbau. Doch sie drehten die Uhr nicht zurück. Und wie ehedem Hermann Herter nahmen sie die funktionellen Anforderungen zur Grundlage der architektonischen Gestaltung. Das Wichtigste war den Architekten wohl der Gesamteindruck des Bauwerks, seine Atmosphäre von Schlichtheit und Eleganz. Mit viel Empathie erreichten sie das Ziel, das schon bei der ursprünglichen Fertigstellung festgehalten wurde: dass «der Bau organisatorisch, hygienisch und ästhetisch allen Ansprüchen genügt».[6]


Anmerkungen:
[01] Herter prägte das Gesicht des Neuen Bauens in Zürich auch mit folgenden Bauten: 1927 Bahnhof Wiedikon, 1933 Schulhaus Waidhalde, 1933 Sportanlage Sihlhölzli, 1935 Tramdepot Oerlikon, 1936 Amtshaus V am Werdmühleplatz, 1938 Tramstation Bellevue, 1939 Strandbad Wollishofen.
[02] Hallenbad der Stadt Zürich, hrsg. vom Städtischen Hochbauamt, Zürich 1941, S. 3.
[03] In der bisherigen Herter-Forschung werden vor allem diese zwei Vorbilder genannt: Claudio Affolter, «… des ersten und letzten Sonnenstrahls teilhaftig …», in: Archithese, Nr. 2, 1995, S. 46–49; Christine Morra-Barrelet, Hermann Herter, Zürcher Stadtbaumeister 1919–1942, in: Kleine Schriften zur Zürcher Denkmalpflege, Heft 7, 4. Teil, Zürich/Egg 2000, S. 45–79, hier S. 68. Die Hallenbäder in Berlin und Haarlem wurden in deutschsprachigen Fachzeitschriften publiziert: Weiterbauen, Nr. 4, 1935, S. 30–32 und Deutsche Bauzeitung, Nr. 59/60, 23.7.1930, S. 445–456.
[04] Das Hallenbad City, Zürich, in: Planen Bauen, Nr. 6, 1981, S. 46–47, hier S. 46.
[05] Das Hallenschwimmbad der Stadt Zürich, in: Schweizerische Bauzeitung, Band 120, Nr. 1, 4.7.1942, S. 1–11, hier S. 2.
[06] Hallenbad der Stadt Zürich, hrsg. vom Städtischen Hochbauamt, Zürich 1941, S. 3.

TEC21, Fr., 2013.02.08



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|07-08 Hallenbad City Zürich

23. September 2011Michael Hanak
TEC21

Hoher Anspruch über Generationen

Der Park der Villa Im Forster bildet mit 45 000 m² Fläche das grösste zusammenhängende Privatgrundstück am Zürichberg, 1890 entstand hier der erste Bau. Die damaligen Bewohner wandten sich, typisch für die Zeit, bewusst von der Stadt ab. Auch die 1929–1931 auf dem Gelände erbaute Villa ist Ausdruck dieses ambivalenten Verhältnisses: Während sich Fassade und Volumetrie des Baus im Landhausstil präsentieren, herrschen im Inneren Grosszügigkeit und urbaner Luxus. Von 2008 bis 2011, im Zuge der teilweisen Verdichtung des Grundstücks, setzte das Zürcher Architekturbüro Pfister Schiess Tropeano & Partner die Villa sorgfältig instand – ein denkmalpflegerischer Glücksfall.

Der Park der Villa Im Forster bildet mit 45 000 m² Fläche das grösste zusammenhängende Privatgrundstück am Zürichberg, 1890 entstand hier der erste Bau. Die damaligen Bewohner wandten sich, typisch für die Zeit, bewusst von der Stadt ab. Auch die 1929–1931 auf dem Gelände erbaute Villa ist Ausdruck dieses ambivalenten Verhältnisses: Während sich Fassade und Volumetrie des Baus im Landhausstil präsentieren, herrschen im Inneren Grosszügigkeit und urbaner Luxus. Von 2008 bis 2011, im Zuge der teilweisen Verdichtung des Grundstücks, setzte das Zürcher Architekturbüro Pfister Schiess Tropeano & Partner die Villa sorgfältig instand – ein denkmalpflegerischer Glücksfall.

Das Areal befindet sich an bester Aussichtslage am Hang des Zürichbergs und war bis vor kurzem mit nur wenigen Gebäuden bebaut. Im oberen Bereich nahe der Forsterstrasse standen neben der Villa das Garagengebäude beim seitlichen Mittelbergsteig und das Gärtnerhaus an der Ecke zur Zürichbergstrasse (Abb. 2). Diese Nebengebäude sind nun neuen Mehrfamilienhäusern gewichen. In der südöstlichen Ecke des weiten Strassengevierts steht nach wie vor das älteste Haus des Anwesens, das Chalet Tobler. Hier beginnt die Geschichte des Forster-Areals.

Ein Stück Stadtgeschichte

Als das Chalet an der Zürichbergstrasse 117 im Jahr 1891 bezogen wurde, war die Umgebung noch weitgehend unbebaut. Nur wenige Weiler und einzelne Höfe besetzten den Südhang ausserhalb der Stadt. Dank der naturnahen Höhenlage entstanden hier Ende des 19. Jahrhunderts Kurhäuser und Sanatorien. 1893 wurde Fluntern zusammen mit anderen umliegenden Dörfern eingemeindet und die Erschliessung des Zürichbergs vorangetrieben. Der Eigentümer des Grundstücks, Gustav Adolf Tobler-Blumer, entstammte einer Bankiersfamilie, wirkte am Polytechnikum und lebte mit seiner Familie in der Villa Tobler am Rande der Altstadt. Das von einem Wäldchen umgebene Holzhaus am Zürichberg, wo seine Vorfahren ein grosses Stück Land erworben hatten, diente der Familie als Sommer- und Wochenendhaus, abseits der städtischen Hektik. Man erzählt, dass Tobler jeweils vom Bauern, der das Grundstück oberhalb des Chalets bewirtschaftete, mit dem Traktor abgeholt und zu seinem Ferienhaus chauffiert wurde.[1] Als Architekt des Sommerhauses wurde Jacques Gros gewählt, der 1890 in Zürich sein eigenes Büro eröffnet hatte und in der Folge diverse Wohnhäuser am Zürichberg ausführte – sein bekanntestes Werk ist das Grand Hotel Dolder. Mit seinen aus Holz konstruierten oder zumindest mit geschnitzten Holzverzierungen versehenen Bauten entsprach Gros der sehnsüchtigen Idealisierung alpiner Architektur, die sich damals im Schweizer Holzstil niederschlug. Helene Tobler, Gustav Adolfs Tochter, liess 1929 für sich und ihre Familie ein Stück weit neben dem Chalet ein herrschaftliches Wohnhaus errichten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Zürichberg als bevorzugtes Wohngebiet grossbürgerlicher Ansprüche etabliert.

Ein besonderes Haus

Die Villa Im Forster wurde von den Zürcher Architekten Henauer & Witschi geplant und ausgeführt. Das Bauvorhaben war etwas Besonderes: Nicht nur war das Baugelände sehr weitläufig und waren die zur Verfügung gestellten Mittel sehr grosszügig. Die Architekten hatten anscheinend auch weitgehende Freiheiten und konnten aus dem Vollen schöpfen. Grund lage dafür bildete ein gutes Einvernehmen zwischen Bauherrschaft und Architekten, was für Henauer & Witschi «in höchstem Mass verpflichtend sein musste», wie sie selbst festhielten.[2]

Das Raumprogramm beinhaltete die übliche repräsentative Raumfolge von Esszimmer, Salon und Wohnzimmer, die als Enfilade aneinandergereiht sind. Diese Haupträume im Erdgeschoss sind von der Halle aus erreichbar, die sich nach dem Haupteingang erstreckt.

Zusätzlich kam ein kleines Esszimmer vor dem Office und der Küche hinzu. Westlich schliesst nahtlos der Angestelltentrakt an, der einen separaten Eingang und ein eigenes Treppenhaus besitzt. Die nach Süden vorgelagerte Gartenterrasse weitet sich östlich des Hauses zum Bereich mit dem Schwimmbassin, das rückwärtig von einem gedeckten Wandelgang eingefasst wird. Im Obergeschoss sind die Schlafzimmer vor dem hallenartigen Gang nebeneinander gelegt. Fast jedem Schlafraum ist ein eigenes Badezimmer zugeordnet, das die Nachbarzimmer jeweils verbindet. Während sich die einen Zimmer auf die Sonnenterrasse an der Südfront öffnen, ist dem Boudoir am Ende des Ganges eine Loggia vorgelagert. Ein Gästezimmer, das auf der Hofseite im Obergeschoss, und eine Turnhalle, die im Untergeschoss untergebracht ist, ergänzen das generöse Raumangebot.

Ein Hauptmerkmal des Entwurfes bildet der gebogene Grundriss. Dieser ist nicht etwa direkt aus der Topografie abgeleitet, denn der Hang verläuft ziemlich gleichmässig. Vielmehr nutzt das Haus die hervorragende Aussichtslage und vereint mit der Krümmung die Fernblicke zur Stadt und zum See. Hangseitig setzt sich der Schwung des Gebäudes im Wandelgang vor dem Schwimmbassin fort und fasst die Vorfahrt zu einem hofartigen Vorplatz, der mit einem Rondell gestaltet wurde. Bemerkenswert ist, dass die radiale Geometrie in jedem der Haupträume zum Ausdruck kommt und sich in den Parkettmustern niederschlägt. Den Mittelpunkt des Kreisringausschnittes und zugleich das Scharnier zwischen dem gebogenen Haupttrakt und dem geraden Angestelltentrakt bildet das runde Treppenhaus, das neben dem Haupteingang in den Hofbereich vorsteht.

Auffallend ist die Divergenz zwischen äusserem und innerem Eindruck. Von aussen wirkt das Haus unauffällig, beinahe bescheiden. Dazu trägt nicht zuletzt die effektvolle Krümmung der Fassaden bei, die diese optisch verkürzt. Die niedrige, lagernde Ausdehnung in der Art eines Landhauses entbehrt jeglichen pompösen Gebarens. Im Innern entfalten sich allerdings räumliche Grosszügigkeit und materieller Luxus. Nicht nur die Dimensionen, sondern auch die individuelle Ausgestaltung zeichnet die Räume aus. Hier finden sich qualitativ hochwertige Materialien und gekonnte handwerkliche Verarbeitung und Ausführung.

Zurückhaltende Moderne

Stilistisch steht die Villa Im Foster an der Schwelle zur Moderne. In den 1920er-Jahren bestimmten noch neubarocke Palais und neuklassizistische Paläste den privaten Wohnhausbau am Zürichberg. Um 1930 erzielte die Avantgarde des Neuen Bauens mit ihrer Forderungen nach Luft, Licht und Sonne, aber auch nach einer Entledigung von Repräsentation und Bauschmuck einen grundsätzlichen Richtungswechsel. Aufgeschlossene Architekten und Architektinnen entwarfen nun für gutbürgerliche Bauherrschaften Wohnhäuser, deren Sachlichkeit den Verzicht auf Symmetrie und gliedernde Elemente mit einschloss.[3] Als zeitgemäss galten im Villenbau eine von modischem Dekor befreite Einfachheit sowie die Verbindung der Innenräume mit dem Wohngarten.

Beim Wohnhaus Im Forster mischten Henauer & Witschi virtuos traditionelle und moderne Architekturelemente. Die gelb gestrichenen Aussenwände mit grober Putzstruktur und das mit Valmalenco-Granitplatten eingedeckte Satteldach nehmen Bezug auf die nationale Bautradition. Der Grundriss mit der Enfilade und die Aufteilung in Wohn- und Schlafgeschoss folgen dem herkömmlichen Schema im Villenbau. Einen Ausdruck von Modernität erheischen hingegen die dynamischen Rundungen in der Gesamtform, aber auch in der Eingangsnische und an der Terrassenkante. Zum Vokabular des Neuen Bauens gehören ferner die breiten, sprossenlosen Fenster ohne Klappläden, die sich teilweise schieben oder gar versenken lassen. Radikalere Elemente wie ein Flachdach oder Fensterbänder kommen aber nicht vor. Vielmehr haftet einigen Elementen, wie der pergamentenen Auskleidung des Wohnraums und der metallenen Fenstereinfassung im Salon, ein Hauch des ebenfalls zeittypischen Art déco an. Einen weiteren Höhepunkt bedeuten die Wandgemälde mit bukolischen Motiven von Karl Walser im grossen Esszimmer (Abb. 14). In der ausführlichen Publikation, die das Haus 1935 in der Zeitschrift «Das Werk» erfuhr, bekennen sich die Architekten zu einer «bewusst einfachen äusseren Gestaltung» und stellen die «Durchbildung aller Einzelheiten entsprechend den modernen Wohnbedürfnissen» in den Vordergrund.[4]

Walter Henauer und Ernst Witschi, die von 1913 bis 1939 ein Architekturbüro in Zürich führten, waren aufgeschlossene, wenn auch nicht avantgardistische Architekten, die den Umbruch in der modernen Architektur mitvollzogen. Merkmale ihrer Bauten sind prägnante kubische Kompositionen, klare geometrische Grundformen und straffe Linienführungen. Ihr bekanntestes Werk ist die 1929/30 erbaute Zürcher Börse, die mit der Villa Im Forster den runden Treppenturm und die Verwendung von Glasbausteinwänden gemeinsam hat.[5]

Bewahrende Instandsetzung

Dass die Villa Im Forster heute in ihrer ursprünglichen Gestalt und Struktur völlig intakt dasteht, kann als denkmalpflegerischer Glücksfall bezeichnet werden. Als die heutigen Eigentümer, die den Familienhauptsitz geerbt hatten, an die Neuplanung des umgebenden Areals gingen, stand für sie fest, dass das Haus in seiner ganzen Eigenart und mit all seinen Qualitäten bewahrt werden sollte. Natürlich spielten dabei emotionale Werte eine wichtige Rolle. Dank dem guten Gebäudeunterhalt waren das Äussere wie das Innere sowohl in der Struktur als auch im Detail weitgehend unverändert erhalten geblieben. Alle Gebäude auf dem Grundstück standen im Inventar der städtischen Denkmalpflege. Im Zuge der Planung einigten sich die Beteiligten mit der Denkmalpflege darauf, die Villa als Herzstück der Anlage zu restaurieren; die auf der ganzen Welt verstreuten Mitglieder der Besitzerfamilien wollen das Haus weiterhin als Domizil für ihre Aufenthalte in Zürich nutzen. Dafür wurden das Garagengebäude, die Gärtnerei sowie das Chalet Tobler aus dem Schutz entlassen. Für die Instandsetzung des Wohnhauses schlug die Denkmalpflege der Bauherrschaft mögliche Architekten vor. Zur Vorbereitung der Planung erarbeitete das Zürcher Architekturbüro Pfister Schiess Tropeano & Partner eine Bestandsaufnahme und einen Massnahmenkatalog. Gemeinsam mit der Denkmalpflege wurde jeder Raum einer Schutzkategorie zugeteilt: integraler Schutz inklusive Einrichtung für besonders wertvolle Interieurs, konzeptioneller Schutz für wesentliche Raumausstattungen oder genereller Raumschutz für wichtige Raumstrukturen. Nur die Innenräume des Angestelltentrakts wurden keinem Schutz unterstellt. Schliesslich erfolgte ein Direktauftrag an das Büro.

Während der 2008 bis 2010 mithilfe zahlreicher Spezialisten durchgeführten Arbeiten legten die Architekten ihr Augenmerk hauptsächlich auf die Restaurierung der Gesellschaftsräume im Erdgeschoss und der Privaträume im Obergeschoss. Die meist intakten Oberflächen und Bestandteile wurden gesäubert, schadhafte Stellen repariert. Sämtliche Installationen wurden erneuert und die zahlreichen technischen Finessen überholt. Die bunte Farbpalette für die Teppiche und Tapeten in den Räumen wurde, immer im Dialog mit den Auftraggebern, soweit als möglich wiederhergestellt. Nur die bereits früher veränderte Küche wurde neu gestaltet.

Zudem wurde der Angestelltentrakt, der vom Haupthaus getrennt werden sollte, als eigene Wohnung ausgebaut. Die Herausforderung lag vor allem darin, die vielen verschiedenen Materialien, Beschläge und Ausstattungselemente instand zu setzen und dafür qualifizierte Handwerker zu finden.

So erstrahlt die Villa Im Forster in altem Glanz. Das Nussbaumholz des Parketts und der Türen verströmt eine vornehme Atmosphäre. Das Spiegelglas der Fenster sorgt für Brillanz. Die Fensterrahmen aus Eichenholz sind instand gesetzt. Die mit neuem Ziegenleder bespannten Paneele (vgl. S. 17) verleihen dem Wohnzimmer seine besondere Anmutung. Das Panoramafenster im mit Blisterahorn ausgekleideten kleinen Esszimmer kann wieder auf Knopfdruck versenkt werden. In der Summe entspricht die Sanierung dem State of the Art und dem ursprünglichen hohen ästhetischen Anspruch.


Anmerkungen:
[01] Claudia Fischer-Karrer, Detailinventar «Zürichbergstrasse 117, Chalet Tobler», Zürich 2003 (unpubliziert)
[02 und 04] Werk, Nr. 2, 1935, S. 33
[03] Beispiele sind die Häuser Susenbergstrasse 93–97 (Karl Moser) und 101 (Lux Guyer) sowie Restelbergstrasse 97 (Otto Rudolf Salvisberg)
[05] Zur gleichen Zeit realisierten Henauer & Witschi das Klubhaus des Golfklubs in Zumikon, den der Bauherr der Villa mitbegründete. Dieser war auch Auftraggeber für die an die Börse anschliessenden Geschäftshäuser Schanzenhof (1926/27) und Schanzenegg (1933/34).

TEC21, Fr., 2011.09.23



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2011|39 Im Forster

05. November 2010Michael Hanak
TEC21

Historismus, aktualisiert

Als moderner Dienstleistungsbetrieb bedient die Stadtverwaltung Zürichs ihre Bewohner und Bewohnerinnen wie Kunden; in den Verwaltungsbauten sollte der betriebliche Wandel der letzten Jahre zum Ausdruck kommen. Das hundertjährige Stadthaus, Abbild der Stadt und ihres Selbstverständnisses, musste altersbedingt instand gesetzt und gebäudetechnisch erneuert werden. Nach der durchgreifenden Sanierung durch Pfister Schiess Tropeano Architekten präsentiert sich die historistische Architektur teils in wiederhergestellter, teils in den aktuellen Ansprüchen angepasster Gestalt. Im Vordergrund standen Fragen nach Bürgernähe und Repräsentation.

Als moderner Dienstleistungsbetrieb bedient die Stadtverwaltung Zürichs ihre Bewohner und Bewohnerinnen wie Kunden; in den Verwaltungsbauten sollte der betriebliche Wandel der letzten Jahre zum Ausdruck kommen. Das hundertjährige Stadthaus, Abbild der Stadt und ihres Selbstverständnisses, musste altersbedingt instand gesetzt und gebäudetechnisch erneuert werden. Nach der durchgreifenden Sanierung durch Pfister Schiess Tropeano Architekten präsentiert sich die historistische Architektur teils in wiederhergestellter, teils in den aktuellen Ansprüchen angepasster Gestalt. Im Vordergrund standen Fragen nach Bürgernähe und Repräsentation.

Für die Erneuerung des rund hundertjährigen, denkmalgeschützten Stadthauses von Zürich wurde im Jahr 2000 ein Planerwahlverfahren ausgeschrieben. Es begann eine langfristige, in Etappen durchgeführte Gesamtsanierung. Nach der vorausgegangenen Vorprojektstudie und in den ersten vier Jahren durchgeführten Ad-hoc-Eingriffen wurden die weitreichenden Sanierungsarbeiten in den Jahren 2007 bis 2010 unter halbem Betrieb realisiert. Das Stadthaus markiert den Anfang der Entwicklung Zürichs zur Grossstadt. Im Jahr 1893 hatte sich die Bevölkerung mit der Eingemeindung der elf Vororte auf einen Schlag vervierfacht. Umgehend beauftragte der Stadtrat den Architekten Gustav Gull für ein repräsentatives Verwaltungszentrum, wovon einige Amtshäuser um den Werdmühleplatz gebaut wurden. Das gross angelegte Stadthaus allerdings, das den Kern der opulenten Anlage bilden sollte, blieb Vision. Als Notbehelf erweiterte Gull, unterdessen zum «planenden» zweiten Stadtbaumeister ernannt, 1898–1901 das existierende Stadthaus neben der Fraumünsterkirche, das Stadtbaumeister Arnold Geiser 1883/84 errichtet hatte.

Reaktivierung des vereinnahmten Geiser-Baus

Bei der jetzigen Sanierung des Stadthauses mussten sich die Architekten der Geschichte des Gebäudes, seines Standortes und seiner Bedeutung stellen. Zunächst brachte eine gründliche Bestandesaufnahme und Analyse genaue Erkenntnisse über die überlieferte Bausubstanz. Die verwischten Grenzen zwischen dem ersten Stadthaus von Geiser und dem Vollausbau von Gull wurden aufgedeckt. Gemäss zutage geförderten Spuren hatte Gull den damals bestehenden Geiser-Bau richtiggehend vereinnahmt; spätere Innenumbauten nahmen der Neorenaissancearchitektur und seiner zeittypisch dekorierten Innenausstattung jeglichen Charme. Zusammen mit der Denkmalpflege entschied man daher, die wiederentdeckten Qualitäten zu reaktivieren. So wurde der auf ein Fenster reduzierte Haupteingang auf der Seite Kappelergasse wieder geöffnet, und der von Einbauten befreite Lichthof vertreibt die miefige Atmosphäre der dunklen Korridore. Beim Vergleich der Baueingabepläne Gulls mit den Ausführungsplänen wurden zwei wesentliche Unterschiede deutlich: Sowohl die frei stehende Treppe am südlichen Ende der gebäudehohen Halle als auch die Fortführung der Haupttreppe ins vierte Obergeschoss wurden weggelassen. Offensichtlich beurteilte die Stadtverwaltung das Gull’sche Projekt nun doch als zu umfangreich.

Klärung der Strukturen und Hierarchien

In ihrer Analyse des Istzustandes registrierten die Architekten zunächst alle hinzugefügten und entfernten Teile, die das Bauwerk während der ersten hundert Jahre Gebrauch verändert hatten. Ab 1950 hatte man massiv in die Gebäudestruktur eingegriffen, abgehängte Decken und eingezogene Böden verunklärten die ursprüngliche Raumwirkung. Die vielen Zwischenwände, die in den folgenden Jahrzehnten Grossraumbüros in Einzelbüros unterteilten, beurteilten die Architekten als «Atomisierung» der Raumstrukturen. Typologisch unterschieden sie zwei Gebäudehälften: das Hofgebäude mit der glasüberdachten Innenhalle zur Limmat hin und das Hofgebäude mit einem offenen Innenhof gegen den Paradeplatz. Während der vordere, flussseitige Gebäudebereich repräsentative Räume und einen hohen Öffentlichkeitsgrad aufweist, ist der hintere durch weniger repräsentative Räume und eine geringere Öffentlichkeit charakterisiert. Gemäss dieser Hierarchie liegen die bedeutenderen Räumlichkeiten an der Front zur Limmat, zudem sind die wichtigsten Grossräume in der Mittelachse angeordnet. Diesen Prinzipien sollten auch alle anstehenden Umwandlungen gehorchen.

Aufwertung durch erneuernde Eingriffe

Im Erdgeschoss der stimmungsvollen Oberlichthalle befanden sich die verschiedenen Schalter. In ihrem Wettbewerbsprojekt beabsichtigten die Architekten zunächst, die ehemaligen Schalterräume an der Flussseite auf Strassenniveau abzusenken und darin ein grosszügiges, frei zugängliches sogenanntes Stadtbüro einzurichten (Abb. 1). Da die Kellerräume nicht disponibel waren, situierten die Architeken das Stadtbüro schliesslich gegenüber dem Haupteingang. Trotz der Zugänglichkeit der rückwärtigen Informationstheken blieben die Schalter funktionell bestehen, doch wurden ihre Fronten mit brüniertem Messingblech verkleidet. Diese golden schimmernde Veredelung wird durch mehr oder weniger Berührungen schnell Patina annehmen, eine einberechnete Anpassung der Aufwertung an den gealterten Bestand.

An der Südwestecke der Halle implantierten die Architekten einen zusätzlichen, gut sichtbaren Lift. Die Haupttreppe in der Nordwestecke verlängerten sie bis ins oberste Geschoss; ausgeführt wurde diese Komplettierung des Gull’schen Projekts in einer reinen Stahlkonstruktion, die sich deutlich von den steinernen Treppen unterscheidet. Als neues Element erkennbar ist das Zwischenpodest frei im Stiegenraum aufgehängt, und ein eingefügter Lichtschacht sorgt für eine helle Rauminszenierung (Abb. 9, S. 37). Die Neumöblierung des Trauzimmers im ersten Obergeschoss war eine der vorgezogenen Massnahmen (vgl. «Provisorien leben länger», S. 28). Während des Umbaus wurden nun Lüftungsgitter geschickt in die Füllungen des Holztäfers eingefügt und Tapeten in einer der historischen Ausstattung angepassten Art ergänzt.

Im zweiten Obergeschoss richtete man in der Mittelachse gegenüber dem Stadtratssaal – der schon 1999 von Silvio Schmed und Arthur Rüegg neu gestaltet worden war – durch die Zusammenlegung zweier Büros einen grösseren Konferenzraum mit entsprechender technischer Ausrüstung ein. Hier sind unter den Stichbogenfenstern die Sitzbänke, unter denen sich die Radiatoren und Kühlungsgeräte verbergen, mit ihrem dunkelbraunen Lederbezug wiederum als zeitgenössische Zutat diskret, aber deutlich erkennbar. Der barocke Musiksaal im dritten Stock schliesslich, den Gull samt Stuckdecke und Deckengemälde aus dem Fraumünsteramt übernommen hatte, sollte auch belüftet und zeitweise gekühlt werden können. Die in den 1950er-Jahren als Resonanzkörper eingefügten Wandverkleidungen wurden ersetzt und zur Zuluft führenden Schicht umfunktioniert. In der umlaufenden Brüstungsschicht sind nebst den Luftquellflächen alle Medien inklusive Projektionswände integriert. Für die luftdurchlässige hölzerne Abdeckung erfand der Tüftler mathematisch generierter Formen Urs B. Roth ein abstraktes, auf dem Kreis basierendes gitterartiges Fries, das zu den floral verzierten, ringförmigen schmiedeisernen Kronleuchtern passt (vgl. Kasten S. 30–31).

Neue Fenster, Türen, Oberflächen

Geisers und Gulls historistische Fassaden wurden soweit nötig denkmalpflegerisch renoviert. Am vorgeblendeten Sandsteinmauerwerk mussten einige Quader und Simse ersetzt werden, anderes wurde ausgebessert. Am Gull-Bau waren sämtliche Fenster original und in gutem Zustand erhalten. Wie ehemals ist das Lärchenholz wieder aussen braun gestrichen, innen rötlich braun gebeizt und transparent lackiert. Die Holzrollläden auf der Strassenseite und die Markisen auf der Hofseite wurden instandgesetzt oder wiederhergestellt. Jede Türe ist einzeln auf ihre funktionalen und gesetzlichen Anforderungen und Vorschriften getrimmt. Für die hinzugekommenen Brandabschnittstüren entwickelten die Architekten eine kastenförmige Konstruktion, halb standardisiert, halb massgeschneidert, die auch Installationen aufnimmt. Im Innern wurden die Böden, Decken und Wände freigelegt, aufgefrischt, überholt oder ausgewechselt. Von all dem hinterlassen die Räume nach Beendigung der Bauarbeiten nur noch eine leise Ahnung, so selbstverständlich wirken sie. Unter den Oberflächen ist die verlangte Haustechnik so unauffällig wie möglich integriert.

Signaletik und Leuchten

Von Beginn weg waren sowohl ein neues Beschriftungs- als auch ein Beleuchtungskonzept gefordert. Daher bildeten die Architekten schon im selektiven Projektwettbewerb eine Arbeitsgemeinschaft mit entsprechenden Fachplanern. Das Atelier Markus Bruggisser entwarf die gesamte Signaletik. Diese leitet die Besucherinnen und Besucher vom Eingang über die Erschliessungswege bis zu den gesuchten Räumen. In dem Gebäude, das mehrere Departemente und Amtsstellen mit rund 300 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen beherbergt, die pro Jahr 250 000 Kundenbesuche abwickeln, ist eine einheitliche visuelle Kommunikation von hoher Bedeutung. Vor jedem Raum sorgt eine hochformatige dunkelgraue (Geiser-Bau) beziehungsweise schwarze (Gull-Bau) Tafel mit weisser Beschriftung in ruhiger und klarer Weise für die nötige Information.

Die Neue Werkstatt Winterthur bearbeitete die Lichtplanung vor allem der öffentlichen Gebäudebereiche. Nebst Serienprodukten kamen auch Sonderanfertigungen zum Einsatz. Die verbliebenen historischen Wandleuchter von Gull wurden von alten Farbschichten befreit und neu elektrifiziert. Im Erdgeschoss der Halle und im Haupttreppenhaus verströmen sie eine einmalige, die alten Zeiten heraufbeschwörende Stimmung. Speziell für den Ort entwickelt wurden die runden dimmbaren Wandleuchten in der Arkadengängen: Sie sind mit fotografierten Bildausschnitten der alten Leuchter bedruckt (Titelbild S. 27 und Abb. 1, S. 35).

Zeitgemässe Repräsentation

Viele Forderungen waren zu erfüllen, um den Sitz der Stadtregierung den heutigen Anforderungen anzupassen: Brandschutz, Energieeffizienz, Medieninstallationen, Personensicherheit etc. Den Architekten ist es gelungen, die mannigfachen Bedürfnisse zu bündeln und der wieder herausgearbeiteten ursprünglichen Atmosphäre, die über die vielen Jahrzehnte des Gebrauchs stark getrübt worden war, stimmig unterzuordnen – und mit den Erneuerungen eine eigene Linie zu hinterlassen. «Mit den eingefügten Installationen haben wir den Spielraum des Gebäudes absolut ausgereizt», erklärt Gesamtprojektleiterin Rita Schiess. «Wir sind aber froh, dass das Tragwerk, das beim Gull-Bau zum Grossteil aus Stahl besteht, nirgends einschneidend zerstört werden musste. Insofern konnten wir die historische Substanz der Nachwelt erhalten.» Sowohl Geisers als auch Gulls Gebäudebereiche haben sich über die Generationen hinweg in ihrer flexiblen Struktur bestens bewährt und vermögen nach der Gesamtinstandsetzung auch kommenden Generationen zu dienen. So wie ihre historistische Architektur typischer Ausdruck zürcherischer Repräsentation ist, so wirken auch alle verändernden Eingriffe der Sanierung selbstbewusst zurückhaltend.

[ Michael Hanak, Kunst- und Architekturhistoriker ] hanak@swissonline.ch

TEC21, Fr., 2010.11.05



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TEC21 2010|45 Stadthaus Zürich

15. September 2009Michael Hanak
zuschnitt

Untergraben der Holzbautradition

Crans-Montana, ein populäres Tourismuszentrum in den Schweizer Alpen, ist die Kombination einer alten Berggemeinde mit einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts...

Crans-Montana, ein populäres Tourismuszentrum in den Schweizer Alpen, ist die Kombination einer alten Berggemeinde mit einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts...

Crans-Montana, ein populäres Tourismuszentrum in den Schweizer Alpen, ist die Kombination einer alten Berggemeinde mit einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Feriensiedlung. Es liegt auf rund 1.500 Metern Höhe über dem Rhônetal, auf einem Hochplateau mit traumhafter Aussicht. Mit dem Wandel vom Kurort zum alpinen Skisportort Ende der 1950er Jahre hielt die Parahotellerie Einzug. Heute ist die Kleinstadt im Gebirge geprägt von hölzerner Chalet-Architektur in allen möglichen sowie unmöglichen Formen und Dimensionen – eine Architektur, die einerseits die regionale Holzbautradition reflektiert und andererseits Projektionen der Alpenbesucher auffängt. Im Kontext solcher touristischer Traumvorstellungen und Auswucherungen des Hotel- und Ferienwohnungsmarktes scheint ein zeitgemässer Approach des Bauens in den Bergen nicht ganz einfach. Als die Architekten Bonnard und Woeffray den Auftrag zum Umbau eines Ferienchalets in Crans-Montana erhielten, erforderten die gestellten Bedingungen drastische Maßnahmen. Einerseits hatten mehrere An- und Umbauten das in den 1960er Jahren gebaute Chalet völlig entstellt. Andererseits verlangten die neuen Besitzer, eine Familie aus Moskau mit fünf Kindern, zusätzliche Räume. Sie wünschten sich eine Autogarage, Abstellräume für Skier, Fahrräder und Koffer sowie Platz für die Mussestunden des Après-Ski wie Wellness/Fitness, Heimkino und Disco. »Der Auftrag unseres Klienten lautete«, so die Architekten, »dem Chalet eine neue Identität zu verleihen, sowohl im Inneren wie am Äusseren.«

Das Architektenpaar Geneviève Bonnard und Denis Woeffray, das von Monthey im Wallis aus tätig ist, gehört in den letzten Jahren zu den gefragtesten Baukünstlern in der Schweiz. Die beiden überraschen mit direktem Materialgebrauch à la Brutalismus und unkonventionellem Farbeinsatz. Oft sprengen sie vermeintliche Grenzen der Architektur. Bei der Umwandlung des Chalets in Crans-Montana fanden sie zu einer ebenso naheliegenden wie aussergewöhnlichen Lösung. Zunächst schränkten zwei Vorgaben den freien Gedankenlauf ein: Erstens durfte das Haus nicht abgebrochen werden, da man sonst von der Waldgrenze hätte zurückweichen müssen. Zweitens war die im Baurecht definierte Grösse des Ferienhauses bereits voll ausgenutzt. »Also blieb uns tatsächlich nur eine Möglichkeit, um die verlangten Zusatzprogramme zu realisieren«, konstatiert Geneviève Bonnard, »nämlich, in den Untergrund auszuweichen.«

Das Erweiterungskonzept sah also vor, den zusätzlichen Raumbedarf in das Erdreich des künstlich aufgeschütteten Sockels einzugraben. Nur zwei Elemente weisen auf diesen Eingriff hin: das Garagentor und das darüberliegende Panoramafenster in den steinernen Stützmauern an der Strasse. Um den Fichtenwurzeln auszuweichen, bildet der Anbau einen unregelmässigen polygonalen Grundriss, sich weitend und verengend wie eine Höhle. Von der Garage aus steigt man entlang schrägen Wänden über Treppen und geneigte Böden etappenweise höher, gleichsam auf einer dynamischen »Promenade Architecturale« durch eine wundersam scheinende Unterwelt. Der Beton ist orange durchgefärbt wie eine schweflige Grotte, spiegelglatte Chromstahlabdeckungen sorgen für raumerweiternde Spiegelungen und schliesslich leitet eine Holzwand aus Lärche, farblich korrespondierend mit dem orangen Beton, zum oberirdischen Hausbereich über. Während in den hinzugefügten Untergeschossen die gewünschten weitläufigen Extraräume angeordnet sind, enthält das umgebaute Chalet die üblichen Wohn-, Ess- und Schlafräume.

Im übernommenen Chalet wurde die Raumaufteilung neu disponiert. Das Holzhaus erhielt innen wie aussen eine neue Beplankung aus Lärche. Dieses Holz konnte nicht nur für Böden, Wände, Decken, sondern ebenso für Türen, Fenster und Möbel verwendet werden. Auf den früher vorhandenen Zierrat wurde verzichtet, stattdessen dominiert eine flächige Schlichtheit. Die Holzoberflächen sind mit mattem, farblosem Öl behandelt und schimmern vornehm. Zur Schmuckschatulle wandelte sich der doppelt hohe Wohnbereich, wo sich das All-over des Lärchenholzes im chromstahlverkleideten Kamin spiegelt.

Ganz anders präsentieren sich die strikt weiss gehaltenen Nassbereiche: Sie sind rundum mit dem acrylgebundenen Mineralwerkstoff Corian materialisiert, der im Gegensatz zu Holz keinerlei Struktur aufweist. Zwischen naturnahe Lärchenholz- und künstliche Corian-Welt wurden gelb-, rosa- und orangefarbene Glasscheiben gestellt, die dank ihrer Hinterleuchtung die heimeligen Holzräume in eine leicht entrückte, urbane Stimmung tünchen. Nicht nur das Untergraben des Chalets, auch der virtuose Umgang mit Materialien und Farben zeugt von einem gekonnten Spiel mit Natürlichem und Artifiziellem, mit Realität und Illusion.

[ Michael Hanak, geboren 1968, freischaffender Kunst- und Architekturhistoriker in Zürich. Tätigkeiten als Publizist, Redakteur, Ausstellungsmacher und Dozent. Redakteur der Zeitschrift arch für die Eternit (Schweiz) ag ]

zuschnitt, Di., 2009.09.15



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zuschnitt 35 Innenfutter

21. Juli 2009Michael Hanak
zuschnitt

Ganz in Weiß

Es ist meist mehr als ein „Lifting“. Jedenfalls ist die Aufgabe so bekannt wie verbreitet: Bauten aus der Zeit des Wirtschaftsbooms sollen energetisch...

Es ist meist mehr als ein „Lifting“. Jedenfalls ist die Aufgabe so bekannt wie verbreitet: Bauten aus der Zeit des Wirtschaftsbooms sollen energetisch...

Es ist meist mehr als ein „Lifting“. Jedenfalls ist die Aufgabe so bekannt wie verbreitet: Bauten aus der Zeit des Wirtschaftsbooms sollen energetisch und schalltechnisch, aber auch ästhetisch auf den neuesten Stand gebracht werden. Ein Beispiel dafür ist die Wohnüberbauung Schmiedhof in Ebikon. Mitten in der Schweiz, zwischen der Touristikmetropole Luzern und dem Steuerparadies Zug gelegen, ist sie Teil des für Agglomerationsgemeinden typischen Siedlungsbreis. Ebikon entwickelte sich ab den 1950er Jahren vom Bauerndorf zur Industrie(vor)stadt. Mittlerweile auf fast 12.000 Einwohner angewachsen, setzt die Gemeinde ihren Bauboom fort. Anfang März sorgte allerdings ein Dämpfer für Schlagzeilen, als sich der Investor vom geplanten Erlebnis- und Einkaufszentrum „EbiSquare“, das mitten im Ort auf einer Landreserve des Liftherstellers Schindler entstehen hätte sollen, zurückzog – wohl infolge der aktuellen Finanzkrise.

Der Schmiedhof wurde in den späten 1960er Jahren erstellt und besteht aus einer Gruppe von fünf- bis sechsgeschossigen Flachdachblöcken, die einen offenen Blockrand bilden. Zwei in der Höhe getreppte und seitlich gestufte Zeilen mit je vier zweispännigen Stiegenhäusern fassen insgesamt 88 Wohnungen. Nach 40 Jahren Gebrauch sahen die Gebäude etwas abgenutzt und schäbig aus. Vor allem aber genügten die minimal isolierten Aussenwände den Anforderungen längst nicht mehr. Kurz: Das Haus zu sanieren war naheliegend.

Bezüglich der Lagequalität muss die starke Lärmbelastung an der verkehrsreichen Hauptstrasse vom ruhigen begrünten Innenhof unterschieden werden. Dessenungeachtet basieren alle Grundrisse auf einer rigiden Schottenbauweise (mit Abständen von 2,96 und 3,66 Metern). Von Fassade zu Fassade verlaufen tragende Wände, die eine nicht tragende Gebäudehülle in Holzbauweise ermöglichten. Zur Anwendung kamen seinerzeit gerade einmal 50 mm starke, hölzerne Fassadenelemente, die an den Längsseiten zwischen den Geschossdecken eingespannt waren. Als Wetterschutz dienten farbig beschichtete, grossformatige Faserzementplatten. Betonelemente schützten die Stirnseiten der Geschossdecken.

Ziel der Sanierung war es, die bestehenden Wärmebrücken zu eliminieren und die Isolation auf einen zeitgemässen Standard anzuheben. Damit lassen sich beachtliche Energieeinsparungen erreichen. Verbessert werden sollten auch der Schallschutz der Zimmer entlang der Hauptstrasse sowie die Belichtung vor allem der Räume zum rückwärtigen Grünraum. Im selben Zug wollte man die Balkone in einen gut nutzbaren Aussenraum umformen.

Die Architekten Lustenberger & Condrau entwickelten eine gestalterisch überzeugende Lösung, indem sie einen kompletten Ersatz der Fassade planten. Abgeleitet vom Bestand wählten sie wiederum die Mischbauweise, bei der die massive Gebäudestruktur mit einer hölzernen Fassadenhülle kombiniert ist. Die alten Fassadenelemente wurden demontiert und durch neue, insgesamt 285 mm messende ausgetauscht. Fixfertig, mit eingesetzten Fenstern, kamen die vorfabrizierten Holzrahmenelemente auf die Baustelle. Im Vergleich zu vorher handelt es sich nun um eine Holzständerkonstruktion mit einer rund acht Mal stärkeren Wärmedämmung. Auch die Deckenstirnen erhielten nun eine Dämmung. Alles wurde wieder mit hellen Faserzementplatten bekleidet, welche die Holzkonstruktion ideal ergänzen.

An nur einem Tag wurde die Fassade von drei Wohnungen ausgewechselt, die fünf darauf folgenden Tage mussten reichen, um die Wohnräume nachzubearbeiten (Gipser-, Schreiner- und Malerarbeiten sowie Fugendichtung). Dass die Mieter während der völligen Demontage der Aussenwände im Haus wohnen bleiben konnten – was völlig unüblich ist –, war einer der schwierigsten planerischen Aspekte. Pro Wohnkomplex dauerten die Sanierungsarbeiten zehn Wochen. Dieser Zeitplan erforderte freilich einigen organisatorischen und logistischen Aufwand. Die beauftragte Holzbaufirma Kost hatte das notwendige Know-how für Systembaufassaden und war dem komplexen Bauablauf gewachsen.

Das Fassadenbild hat sich verändert. Im Gegensatz zum ursprünglichen Zustand decken die neuen Fassadenelemente jeweils eine ganze Zimmerbreite und -höhe ab. Die Rafflamellenstores wurden vor statt unter die bestehende Deckenstirn montiert. Anordnung, Aufteilung und Proportionen der Fenster konnten frei gewählt werden. Damit blieb viel Spielraum, um das Erscheinungsbild und den Lichteinfall zu verbessern. Bei den geschlossenen Fassadenbereichen achteten die Architekten auf ökonomische Formate der Faserzementplatten und eine passende Fugenteilung. Neue Balkone, die nun 3 mal 4 Meter messen, sind thermisch entkoppelt vor der Gebäudehülle angebracht. Das Flachdach wurde neu aufgebaut und die Decke über dem Untergeschoss zusätzlich gedämmt.

Nach dieser Verjüngungskur präsentiert sich die Wohnbebauung mit frischem Gesicht. Mit der Aufwertung bezüglich Energieeffizienz und Wohnkomfort ging eine Transformation in der Gestaltung einher. Beibehalten blieb die Mischung in der Konstruktionsart: Der bestehende Massivbau erhielt wieder einen Fassadenaufbau aus Holz.

zuschnitt, Di., 2009.07.21



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Schmiedhof



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zuschnitt 34 Schichtwechsel

15. Mai 2009Michael Hanak
TEC21

Frisch wie einst

Das Schulhaus Chriesiweg in Zürich, ein bedeutender Schulhausbau aus den 1950er-Jahren, musste umfassend saniert werden. Vonseiten der Denkmalpflege wurde zu Recht ein weitgehender Erhalt der hochstehenden architektonischen Qualitäten gefordert. Zeitgemässe Ansprüche bezüglich Nutzung und Unterhalt stellen die Architekten bei der dezenten Instandsetzung des Baudenkmals vor grosse Herausforderungen.

Das Schulhaus Chriesiweg in Zürich, ein bedeutender Schulhausbau aus den 1950er-Jahren, musste umfassend saniert werden. Vonseiten der Denkmalpflege wurde zu Recht ein weitgehender Erhalt der hochstehenden architektonischen Qualitäten gefordert. Zeitgemässe Ansprüche bezüglich Nutzung und Unterhalt stellen die Architekten bei der dezenten Instandsetzung des Baudenkmals vor grosse Herausforderungen.

Das 1955–1957 erbaute Primarschulhaus Chriesiweg in Zürich Altstetten gehört zu den gelungensten Schulhäusern der Nachkriegsmoderne in der Schweiz. Entworfen wurde die eindrückliche Anlage von der Architektengemeinschaft Werner Jaray, Fred Cramer und Claude Paillard, die noch am Anfang ihrer namhaften Karriere stand.1 Die drei jungen Architekten liessen sich für ihr erstes Schulhausprojekt durch amerikanische und skandinavische Vorbilder inspirieren.

Respekt vor dem originalen Denkmal

Eingeschossige Kindergarten- und Schulpavillons und die dazugehörigen Nebengebäude sind um einen mittigen Pausenplatz gruppiert. Hohe architektonische Qualitäten liegen in der gestaffelten Verteilung der freistehenden Baukörper sowie ihren prägnanten geometrischen Formen mit den versetzten Dachneigungen. Zeittypisch war die Verwendung von sichtbar belassenen Materialien: vor allem roter Sichtbackstein und Sichtbeton, aber auch dünne Stahlstützen und die Aluminiumbedachung (inneres Titelbild).

Als im August 1953 die Stadt Zürich zwölf Architekturbüros aus der Schweiz zu einer honorierten Projektierung eines neuen Schulhauses im Quartier Altstetten aufforderte, war soeben die Ausstellung «Das neue Schulhaus» im Kunstgewerbemuseum Zürich eröffnet worden. Da die Idee zu einem neuzeitlichen Musterschulhaus im Rahmen dieser Ausstellung nicht umgesetzt werden konnte, räumten die Bauverantwortlichen der Stadt nun für das Schulhaus Chriesiweg «eine Reihe willkommener Freiheiten»[2] ein. Die Ausstellung war nicht nur Auslöser, sondern auch Inspirationsquelle für das Projekt. Gezeigt wurden vorbildliche Beispiele aus dem In- und Ausland.

Besonders am Wettbewerb war, dass von den eingeladenen Teilnehmern «freie Anregungen »[3] bei der Gestaltung des Schulhauses eingefordert wurden. Das Stadtbauamt erwartete von den Architekten neue Ideen zum Schulhausbau und für einen zeitgemässen Schulunterricht. Cramer, Jaray und Paillard fanden in ihrem Projekt für das Schulhaus Chriesiweg zu einer raffinierten Lösung zwischen konventionellem Einraumklassenzimmer und damals propagiertem Gruppenunterrichtsraum: Ein Vorraum wird durch einen niedrigen Pflanztrog und einen verglasten Sturz vom Schulzimmer abgetrennt. Mit einer verschiebbaren Wandtafel kann dieser Annexraum vollends abgesondert werden. Von der räumlichen Separierung kleinerer Schülergruppen versprachen sich die Pädagogen vielfältige Verwendungsmöglichkeiten bei der Unterrichtsgestaltung. Ausserdem war jeder Klasseneinheit ein innen liegender Gartenhof zugeordnet (Abb. 4).

Das Projekt fand sofort Beachtung und wurde als vorbildliches Beispiel einer Pavillonschule publiziert.[4] Von der Stadt Zürich erhielt das ausgeführte Bauwerk die «Auszeichnung für gute Bauten».[5] Kontrovers diskutiert wurde einzig, ob der Schulbau zur Auflockerung im Sinne der erdgeschossigen Anlage oder zu einer mehrgeschossigen Konzentration der Baumassen tendieren sollte.[6] Die Schulanlage von Cramer, Jaray und Paillard stellt einen progressiven Zeugen des damaligen Aufbruchs im Schulhausbau dar. Bei bisherigen Teilsanierungen wurde dem hohen architektonischen und architekturgeschichtlichen Wert stets Respekt gezollt.

Ursprüngliches instand setzen

Nach mehr als 50 Jahren Gebrauch bestand für die Schulanlage Chriesiweg ein genereller Erneuerungsbedarf. Seit der Erstellung wurden abgesehen von den notwendigsten Unterhaltsarbeiten keine grösseren Veränderungen vorgenommen. Das Sichtmauerwerk war stark verschmutzt, die Aluminiumdächer waren verbeult und teilweise undicht. Bauliche Mängel mussten behoben und die gesamte Schulanlage heutigen energetischen, gebäudetechnischen und feuerpolizeilichen Anforderungen gemäss instand gesetzt werden. Zudem sollten die Gebäude behindertengerecht erschlossen werden. Da sich das Schulhaus mitsamt der Gartenanlage im kommunalen Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte befindet, musste die Sanierung in Abstimmung mit der Denkmalpflege erfolgen.

Aus dem vom Amt für Hochbauten der Stadt Zürich ausgeschriebenen Planerwahlverfahren im Jahr 2005 erhielt die Planergemeinschaft Twerenbold Nägele Twerenbold aus Zürich den Auftrag. Diese hatten zuvor unter anderem das Schulhaus Neubühl in Zürich Wollishofen saniert. Die Instandsetzung am Chriesiweg realisieren die Architekten in zwei Bauetappen zwischen Juni 2007 und Oktober 2009 (Abb. 2). Die erste Etappe, die zwei der insgesamt drei Schulpavillons und den Turnhallentrakt umfasst, ist bereits abgeschlossen. Die Arbeiten der zweiten Etappe sind derzeit noch im Gang. Für den Schulbetrieb steht während der gesamten Bauzeit ein zweigeschossiges Provisorium zur Verfügung.

Die Sanierung eines solch wertvollen wie intensiv genutzten Baudenkmals stellt eine besondere Herausforderung dar. Von der Bauherrschaft kommen Ansprüche nach einer zeitgemässen Funktionstüchtigkeit, gerade was den Nutzungskomfort betrifft. Ausserdem sind neben den Forderungen der Denkmalpflege – je länger, je mehr – die der Energiebilanz und der Erdbebensicherheit zu erfüllen. Ziel der Architekten ist, den architektonischen Ausdruck zu erhalten. «Für uns ist es wichtig, die ursprüngliche Stimmung zu bewahren und die neuen Eingriffe so wenig als möglich sichtbar zu machen», fasst Thomas Twerenbold die Aufgabenstellung im Gespräch zusammen.

Berechnungen haben gezeigt, dass die Erdbebensicherheit aufgrund der geringen Gebäudehöhen und der zahlreichen aussteifenden Wände erreicht wird (Kasten S. 28, «Tragkonstruktion »). Verbesserungspotenzial bezüglich des Energieverbrauchs bieten vorderhand die Dachflächen sowie die grossflächigen Verglasungen (Kasten S. 28, «Bauphysik»). Die in Ortbeton ausgeführten Pultdächer werden neu gedeckt, wodurch eine den aktuellen Anforderungen entsprechende stärkere Wärmedämmung eingebracht werden kann. Die Denkmalpfleger entschlossen sich zusammen mit den Architekten, das für die Bauzeit typische Aluminiumdach der Marke Fural nachbauen zu lassen (Abb. 6 und 7). Dabei handelt es sich um ein Patent aus dem Jahre 1949 des Schweizers Josef Furrer aus Altdorf. Seine Erfindung zielte darauf ab, die erhebliche Ausdehnung des Leichtmetalls bei Erwärmung mit einer Profilierung der Blechbahnen aufzunehmen. Ein spezielles Aufstecksystem sorgt für eine einfache und verletzungsfreie Montage und Demontage. Da bei der gleichzeitigen Sanierung des Schulhauses Untermoos, das ebenfalls in Zürich Altstetten liegt, die gleiche Dachhaut ersetzt werden sollte, fanden die Architekten eine Spenglerfirma, die eine originalgetreue Wiedereinführung des Furaldachs an die Hand nahm.

Die bestehenden Holzfenster müssen von den asbesthaltigen Fugen befreit werden. Dazu werden sie auseinandergeschraubt und wieder zusammengesetzt. Die äussere Scheibe bleibt erhalten, innen wird jedoch ein höher isolierendes Glas montiert. Auch die davor liegenden Lamellenstoren werden durch neue ersetzt. Unberührt belassen bleiben hingegen die Fenster zu den Innenhöfen. Die als Oberlicht konzipierten Metallkastenfenster in den Klassenzimmern werden saniert: Anstelle der integrierten Lüftungsklappen werden isolierte Schalldämmlüfter mit Motorbetrieb eingebaut. Am Turnhallen- und am Singsaaltrakt entschied man sich für den kompletten Ersatz der meisten Fenster durch solche gleicher Aufteilung und mit gleichen Profilbreiten. Ansonsten hat sich an der äusserlichen Erscheinung der Bauten kaum etwas verändert – nur der gestrichene Sichtbeton sowie das Sichtmauerwerk wurden stellenweise ausgebessert.

Wiederherstellen von Funktione und Ästhetik

Die Struktur der Schulzimmertrakte mit den Innenhöfen und den gedeckten Gängen bleibt, wie sie ist: Auf eine neue Klimagrenze im Aussenkorridor wird verzichtet. Verglaster Sturz, Schiebewandtafel und raumtrennender Korpus werden wiederhergestellt; das Raumkontinuum zwischen Vorraum und Hauptraum besteht weiter (Abb. 9). Auf die verschiedenen Aussenbezüge und die abwechslungsreiche Lichtführung in den Klasseneinheiten legen die Architekten ebenfalls Wert. An den Decken sorgen neuzeitliche Beleuchtungskörper für das heute geforderte Kunstlicht. Um das Auf und Ab des Deckenverlaufs weiterhin spürbar zu lassen, treten die Leuchten nicht als zusätzliche Höhenebene in Erscheinung, sondern folgen in ihrer Anordnung den Schrägen der Pultdächer, wie dies bisher im niedrigeren Bereich vor den Fenstern und in den Vorräumen der Fall war. Akustikplatten bedecken die Untersichten der ursprünglich sichtbaren Betondächer. Neu sind auch die Türen, die die Klassenzimmer miteinander verbinden. Damit ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten der Nutzung.

Gewandelte Bedürfnisse verlangten weitere Umbaumassnahmen: Die an den Singsaal anschliessende Hauswartswohnung wird ausgehöhlt, und darin werden eine Schülerbibliothek sowie Räume der Schulleitung eingerichtet. Vollkommen neu sind auch der Treppenlift zum Singsaal sowie der Lift im Turnhallengebäude. Überall wurden zeitgemässe Elektround Sanitärinstallationen eingebaut.

Auch die Erneuerung der Umgebung folgt der Maxime der möglichst originalgetreuen Wiederherstellung. Das Schulhausgrundstück figuriert im Verzeichnis der schützenswerten Gärten und Anlagen. Weite, modellierte Rasenflächen und akkurat neben die Gebäude gesetzte Baumgruppen erzeugen einen parkähnlichen Charakter (Abb. 1 und 11). Wie bei den damals viel beachteten Schulen in Skandinavien bestimmen Föhren und Birken das Bild der Bepflanzung. Bollensteine und Findlinge bilden weitere Gestaltungselemente. Lampen, Papierkörbe und Bänke haben Cramer, Jaray und Paillard eigens für diesen Ort entworfen. Sowohl die Bepflanzung als auch die Aussenraummöblierung werden im Sinne der ursprünglichen Intention wiederhergestellt. Ergänzt werden Spielgeräte, die bisher fehlten.

Das Fortbestehen sichern

Mit viel Sorgfalt und Einfühlungsvermögen haben die Architekten Twerenbold Nägele Twe ren - bold divergierende Forderungen der Bauherrschaft, der Nutzerschaft und der Denkmalpfl ege unter einen Hut gebracht. Mit neuer Haustechnik und erneuerten Installationen machen sie die Gebäude fit für das weitere Bestehen. Sinnvolle Möglichkeiten, den Energieverbrauch zu reduzieren, boten – einmal mehr – die Dachflächen und Fensterfronten, ohne dass sich ihre Erscheinung wesentlich änderte. Entscheidend ist, dass bei der gesamthaften Instandsetzung und dem teilweisen Umbau die ausgewogene Architektur des – mit 50 Jahren relativ jungen – Baudenkmals nicht durch vermeidbare Eingriffe verunklärt oder gar entstellt, sondern dezent ergänzt wird.

Übrigens: Auch eines der seinerzeitigen grossen Vorbilder, die 1952–1956 von Arne Jacobsen erbaute Munkegård-Schule in Kopenhagen, wird gegenwärtig renoviert und erweitert. Gute Architektur muss weiterleben!


Anmerkungen:
[01] Vgl. Hannes Ineichen (Hrsg.): Claude Paillard. Bauten und Projekte 1946–1997. (Monografien Schweizer Architekten und Architektinnen Bd. 5), Blauen 2002
[02] Werk, Nr. 3, 1955, S. 77
[03] Schweizerische Bauzeitung, 26.6.1954, Nr. 26, S. 377
[04] Vgl. Alfred Altherr (Hrsg.): Neue Schweizer Architektur/New Swiss Architecture. Teufen 1965, S. 150–151
[05] Vgl. Christof Kübler: 50 Jahre Auszeichnungen für gute Bauten in der Stadt Zürich. Zürich 1995, S. 92–93
[06] Vgl. Alfred Roth in Werk, Nr. 3, 1955, S. 77–79, und Claude Paillard in Werk, Nr. 5, 1958, S. 160–168

TEC21, Fr., 2009.05.15



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27. August 2007Michael Hanak
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Rückbau als Vervollständigung

Das Kongresshaus in Zürich soll einem Neubau weichen. Dagegen regt sich in Fachkreisen und in der Bevölkerung massiver Widerstand. Es erscheint unverständlich, einen hochkarätigen Zeugen der Architekturgeschichte zu opfern, der weitgehend intakt erhalten ist. Ein Problem sind allerdings die nachträglichen Zu- und Umbauten, die das ursprüngliche architektonische Konzept stören. Diese könnten jedoch zurückgebaut, die Qualitäten des Bauwerks wieder freigelegt werden.

Das Kongresshaus in Zürich soll einem Neubau weichen. Dagegen regt sich in Fachkreisen und in der Bevölkerung massiver Widerstand. Es erscheint unverständlich, einen hochkarätigen Zeugen der Architekturgeschichte zu opfern, der weitgehend intakt erhalten ist. Ein Problem sind allerdings die nachträglichen Zu- und Umbauten, die das ursprüngliche architektonische Konzept stören. Diese könnten jedoch zurückgebaut, die Qualitäten des Bauwerks wieder freigelegt werden.

Es braucht etwas Vorstellungskraft, sich den dunkelbraunen Saalaufbau wegzudenken und im zugebauten Hof den vermittelnden Leerraum zu sehen. Die Unscheinbarkeit des Äussern und die Betriebsamkeit im Innern täuschen über die Qualitäten des Gebäudes hinweg. Bei genauerer Betrachtung der Originalsubstanz steht fest: Das Kongresshaus in Zürich ist ein schweizweit erstrangiges Bauwerk. Die Qualität der Architektur überzeugt noch heute, trotz baulichen Umwandlungen und fast 70 Jahren intensiver Nutzung.

Das Zürcher Kongresshaus entstand im Hinblick auf die Landesausstellung von 1939 und verkörpert – wie kein anderer Bau in der Schweiz – den Wandel der Moderne, den der Zweite Weltkrieg und das verstärkte Nationalbewusstsein im architektonischen Schaffen mit sich brachten. An den Ausstellungsbauten der «Landi» kündigte sich hierzulande ein Umdenken an: weg von den radikalen, kategorischen Grundsätzen des Neuen Bauens, hin zu einer moderateren, aufgelockerten baulichen Umwelt. Als Gegenbewegung zur damaligen Globalisierung in der Architektur, die nach der Ausstellung in New York 1932 «International Style» genannt wurde, zeichnete sich die Tendenz zur regionalen Rückbesinnung ab.
Die Bauten des Architekturbüros von Max Ernst Haefeli, Werner Moser und Rudolf Steiger machen diese Entwicklung vom Neuen Bauen zur Nachkriegsmoderne gut sichtbar, ja sie nahmen sie vorweg. Bereits die ab 1930 realisierte Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich, der wichtigste Beitrag des Neuen Bauens in der Schweiz, war mit seinen Vordächern nicht so radikal wie seine streng kubischen Vorbilder. Am während und nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeführten Kantonsspital Zürich wurden mit der städtebaulichen Figur und den Materialkombinationen (Stein, Holz, Putz) viele Themen deutlich, die in den 1950er-Jahren und darüber hinaus den Diskurs prägten.

Weiterbauen

Das 1937–1939 gebaute Kongresshaus markiert den Wendepunkt zwischen früher und später Moderne. Grossflächige Fensteröffnungen, gekonnte Lichtführung, fliessende Raumverbindungen stehen im Zeichen des Neuen Bauens. Ornamentale Detailgestaltungen und traditionelle Handwerkstechniken formulieren eine spezifisch schweizerische Architektursprache. Die wohl höchste Qualität, welche die Architekten Haefeli, Moser und Steiger am Kongresshaus-Komplex erzielten, liegt in der Kombination der bestehenden Tonhalle mit dem dazugebauten Kongresshaus. Alt und Neu sind zu einer Einheit verbunden. Im Wettbewerb von 1936 waren weder Abbruch noch Erhalt der Tonhalle vorgeschrieben. Das Siegerprojekt liess sie stehen, riss den vorgebauten rotundenartigen Pavillon mit den Türmen ab und setzte an seine Stelle die genial verschränkte Erschliessung zwischen den alten und den neuen Sälen. Während der Ausführung «neutralisierte» man die histo­ristische Baugestaltung von 1892; Gipsverzierungen wurden entfernt und ruhigere Farben gewählt. Die alte Tonhalle ist in das neue Ganze eingepasst und mit der neuen Kongresshausarchitektur gleichsam «verschliffen» worden. Gleichwohl sind beide Seiten klar voneinander getrennt, ja in den Materialien auf eine Kontrastwirkung angelegt.

Umbauten und Aufbauten

Nach seiner Inbetriebnahme wurde das Kongresshaus allmählich immer reger benutzt, und bald standen betriebliche Anpassungen an. Haefeli Moser Steiger bauten in den 1940er- und 1950er-Jahren das Untergeschoss aus, die Küche und die Bühne um und stockten den Officetrakt längs der Beethovenstrasse um ein Geschoss auf. Die darauf folgenden Umbau- und Sanierungsarbeiten wurden an Rudolf Steigers Sohn Peter übertragen. Dieser hatte bereits 1947/48 im Büro von Haefeli Moser Steiger den schwierigen Einbau des Weinkellers unter der Tonhalle ausgeführt; dabei hatte sich übrigens gezeigt, dass sich die Fundamente des Auftriebs wegen von den Holzpfählen abgehoben hatten! An Stelle des Weinkellers wurden Ende der 1970er-Jahre die Musikergarderoben eingebaut. Ein aussen angefügter gläserner Treppenturm – der inzwischen wieder entfernt wurde – verband diese mit den darüber liegenden Aufführungssälen.
Der Bereich zwischen Kongresshaus und Tonhalle wurde intensiv benutzt und schien bald zu klein. Vor allem der Kongressbetrieb benötigte mehr Raum. Mitte der 1970er-Jahre verfasste das Büro Steiger Partner im Auftrag der Stadtbaumeisters eine Studie zu möglichen Erweiterungen. Diese ergab, dass ein losgelöster Annexbau auf einem Nachbargrundstück vom Saal zu weit entfernt wäre und die räumlichen Konflikte der beiden Parteien nicht lösen könnte. Daher kam man mit der Direktion überein, mit einem Umbau die betrieblichen Engpässe und Überschneidungen zu beheben. Zu jener Zeit löste der Umbaukredit des Opernhauses von 60 Mio. Franken die Jugendkrawalle von 1980 aus. Daher schien für die Sanierung des Kongresshauses den Politikern nur ein Kredit von unter 40 Mio. Franken vertretbar. In der Volksabstimmung 1981 wurde das Projekt angenommen. Der Tonhallesaal wurde renoviert, ebenso die Fassaden. Doch dann wollte der neue Kongresshausdirektor einen Nightclub und ein Casino einbauen lassen, was im Kostenvoranschlag nicht vorgesehen war. Dazu mochte Peter Steiger nicht Hand bieten – nicht zuletzt, weil der Raum dazu fehlte. Der Auftrag ging an die Generalunternehmung Göhner AG und das Atelier WW / Wäschle Wüst. Es kam zu Kostenüberschreitungen von rund 25 Mio. Franken (nach Abzug der Teuerung), wovon 11 Mio. auf nachträgliche Projektänderungen zurückzuführen waren. Banken und Grossunternehmen gründeten die Kongresshaus Betriebs AG und finanzierten die zusätzlichen Kosten. Der verantwortliche Stadtrat Hugo Fahrner musste sich einer parlamentarischen Untersuchung stellen und wurde nicht wiedergewählt.

Die 1981 bis 1985 erfolgten Umbau- und Erweiterungsarbeiten griffen an wesentlichen Stellen in die bestehende Baustruktur ein – eine Operation am lebenden Körper. Am Ende des Kongressvestibüls, das beide Zugangsseiten transparent miteinander verband, wurde das Spielcasino implantiert. In den angrenzenden Gartenhof wurde ein Tagungszentrum eingefüllt. Der geschwungene Treppenarm in den Garten, ein Werk von Ingenieur Robert Maillart, wurde kurzerhand abgeschnitten. Auf den Gartensaal, wo die Terrasse war, setzte man den so genannten Panoramasaal, der wie eine Prothese als Fremdkörper erkennbar ist. Mit diesen Eingriffen wurden Ausblick, Aussenbezüge, Lichteinfall und innenräumliche Transparenz teilweise verbaut.

Rückbau

An der Stelle des Kongresshauses und auf dem angrenzenden Grundstück plant die Stadt Zürich zusammen mit privaten Eigentümern ein neues Kongresszentrum, das ein architektonisches Wahrzeichen werden soll. Das aus dem Wettbewerb hervorgegangene Projekt von Rafael Moneo liegt überarbeitet vor. Um es realisieren zu können, hat die Baudirektion das Kongresshaus aus dem Inventar der schutzwürdigen Bauten entlassen. Begründet wird der Verzicht auf die definitive Unterschutzstellung mit einer Interessenabwägung: Die heute betrieblich unbefriedigende Situation soll mit einem zukunftsweisenden Projekt gelöst werden. Das 2003 erstellte Gutachten der kantonalen Denkmalpflegekommission bezeichnet Tonhalle und Kongresshaus hingegen als Schutzobjekte von kantonaler Bedeutung und als «Baudenkmäler von hohem Rang»: «Das Kongresshaus weist in seiner volumetrischen und räumlichen Gliederung, in der Gestaltung der Fassaden und in der Ausstattung des Innern nach wie vor jene charakteristischen Qualitäten auf, die seinen Denkmalwert begründen.» Die jüngst erschiene Baumonografie dokumentiert den ursprünglichen Zustand und die historischen Hintergründe (siehe Kasten). Ausserdem ist die originale Bausubstanz etwa zu 90 Prozent erhalten. Damit liegen triftige Gründe vor, das Kongresshaus zu erhalten und auf seine ursprünglichen Qualitäten zurückzubauen. Die misslungenen Eingriffe der 1980er-Jahre lassen sich entfernen. Es wäre eine Amputation, die keine Leerstelle, keine offene Wunde lassen, sondern – im Gegenteil – den ursprünglichen Baukörper wieder vervollständigen würde. Es würde dem Kongresshaus seine konvergente äussere Erscheinung zurückgegeben. Die innenräumlichen Öffnungen und Durchdringungen würden wieder erlebbar. Vom Kongressfoyer würde man den See sehen.

Teilabbruch, Zubau, Umstrukturierung: Das Kongresshaus durchlief einen skandalösen Prozess der Abwertung und Verunstaltung. Die adäquate denkmalpflegerische Massnahme ist in diesem Fall der Rückbau. Vielleicht liesse sich in subtiler Weise weiterbauen. Geschichte braucht Anschauungsbeispiele, erst das exemplarische Bauwerk macht die architekturhistorische Entwicklung fassbar. Und wie kann in der Gegenwart Grossartiges entstehen, wenn wir solches aus der Vergangenheit nicht ehren? – Das Schlüsselobjekt der Schweizer Architektur muss erhalten bleiben.

TEC21, Mo., 2007.08.27



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