Details

Bauherrschaft
Tate
Tragwerksplanung
Arup & Partners, Ramboll UK
Weitere Konsulent:innen
Möbel: Jasper Morrison, London
Kosten: Aecon, London
Licht: Arup Lighting, London
Fassade: Ramboll UK, London
Projektmanagement: Gardiner & Theobald, London
Haustechnik: Max Fordham Consulting, London; Arup, London (2005 - 2007)
Signaletik: Cartlidge Levene; Morag Myerscough, London
Wettbewerb
2005
Ausführung
2010 - 2016
Eröffnung
2016
Umbauter Raum
116.090 m³

Publikationen

Presseschau

04. November 2016Hubertus Adam
TEC21

Enigma aus Backstein

Der Umbau der Tate Modern in London vom Kraftwerk zum Kunstmuseum machte Herzog & de Meuron im Jahr 2000 berühmt. Die im Mai 2016 eröffnete Erweiterung ist subtiler, aber nicht weniger virtuos.

Der Umbau der Tate Modern in London vom Kraftwerk zum Kunstmuseum machte Herzog & de Meuron im Jahr 2000 berühmt. Die im Mai 2016 eröffnete Erweiterung ist subtiler, aber nicht weniger virtuos.

Am nördlichen Themseufer unweit der Victoria Station eröffnete 1897 die Tate Gallery, die heute zu den ehrwürdigen Kunstinstitutionen der britischen Kapitale zählt. Ursprünglich aus der Kollektion des Zuckermagnaten Henry Tate hervorgegangen, beschränkte sich die nunmehr staatliche Sammlung zunächst auf englische Kunst. Doch der Fokus wurde mehr und mehr geweitet, das Sammlungsspektrum internationalisiert, und in den 1990er-Jahren platzte das Haus schier aus allen Nähten. Da eine umfassende Erweiterung auf dem angestammten Grundstück nicht möglich war, entschloss man sich, die Bankside Power Station, ein altes Ölkraftwerk des Architekten Giles Gilbert Scott, das sich etwas weiter flussabwärts gegenüber der St. Paul’s Cathedral befand, zur neuen Dependance umzubauen.

Verbunden mit dem Projekt waren grosse Erwartungen, auch in städtebaulicher Hinsicht: Die Tate Modern, so hiess es 1994 in einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey, werde 2400 neue Arbeitsplätze schaffen und der Stadt jährliche Mehreinnahmen von bis zu 90 Millionen Pfund verschaffen, wovon ein Drittel dem südlich der Themse gelegenen Borough of Southwark zugute käme.

Win-Win-Win

Tatsächlich begann mit der Eröffnung der Tate Modern im Jahr 2000 eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. Der Londoner Stadtteil Southwark, bislang von Brachen und heruntergekommenen Lagerarealen geprägt, geriet ins Blickfeld von Developern und hat nach gut 15 Jahren sein Gesicht völlig gewandelt. Das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron, das in der Endrunde des Wett­bewerbs 1995 die Konkurrenten David Chipperfield, Rafael Moneo, Rem Koolhaas, Renzo Piano und Tadao Andö ausgestochen hatte, katapultierte sich an die Weltspitze der Architektur.

Und das Museum selbst – Depen­dance des altehrwürdigen, seither als «Tate ­Britain» firmierenden Stammhauses am Standort Milbank – avancierte zur Publikumsattraktion ersten Rangs. Nicht die prognostizierten zweieinhalb Millionen Besucher kamen im ersten Jahr, sondern mehr als die doppelte Anzahl; bei deutlich über fünf Millionen pro Jahr hat sich ihre Zahl inzwischen einge­pendelt. Weder die – nicht über alle Zweifel erhabene – Sammlung ist es, die das grosse Interesse auslöst, noch die von den Architekten in das Kesselhaus eingefügte Struktur orthogonaler Ausstellungssäle, sondern die grandio­se Turbinenhalle.

Der ingeniöse Kunstgriff der Basler bestand darin, den gewaltigen Raum der 1948–1963 errichteten, 1981 stillgelegten und nur noch in ihrer süd­lichen Raumschicht als Umspannwerk genutzten Bankside Power Station freizuspielen. Einmal im Jahr wird er für eine künstlerische Grossinstallation genutzt, aber vor allem ist er zu einem Ort geworden, an den die Menschen strömen, selbst wenn sie die Ausstellungsräume gar nicht betreten. Der Besuch der Turbinenhalle gehört inzwischen zum touristischen Pflichtprogramm.

Verbindung und Abgrenzung

Angesichts des Erfolgs, der jede Erwartung übertroffen hatte, begannen schon 2005 und damit viel früher als prognostiziert Planungen für eine Erweiterung der Tate Modern Richtung Süden. Voraussetzung dafür war ein 2004 durchgeführter Austausch der Transformatoren: Durch die nunmehr kleineren Geräte ergab sich die Möglichkeit, Teile des Umspannwerks von der technischen Nutzung zu befreien, für die Tate Modern zu nutzen und nicht nur einen südlichen Eingang zu schaffen, sondern den Kulturgenerator Tate überdies besser mit dem zum Boomquartier avancierten Stadtteil Southwark zu vernetzen.

Ein neuerlicher Wettbewerb wurde veranstaltet, diesmal unter vier eingeladenen Teilnehmern: Richard Rogers, Herzog & de Meuron, Dominique Perrault und Wilkinson Eyre. Und wiederum fiel die Entscheidung zugunsten des Entwurfs der Architekten aus der Schweiz. Zunächst schlugen Herzog & de Meuron einen Turm aus scheinbar zufällig übereinander gestapelten gläsernen Kuben vor, der typologisch an zeitgleiche Projekte wie das Actelion Business Center in Allschwil oder das VitraHaus in Weil am Rhein erinnerte – und konzeptionell an das kurz zuvor eröffnete Museum of the 21st Century in Kanazwa von SANAA, bei dem jeder Galeriesaal ein eigenes Volumen bildet.

Doch die Finanzkrise setzte der Planung ein vorläufiges Ende, und als der Neustart erfolgte, wurde das architektonische Konzept grundsätzlich revidiert. Der Standort für den Anbau blieb der gleiche, nämlich der Bereich südlich der Turbinenhalle, wo sich einst die unterirdischen Öltanks zur Befeuerung des Kraftwerks befanden. Die Architekten hatten diesen Ort frühzeitig entdeckt und schon 1997 vorgeschlagen, ihn von der Turbinenhalle zugänglich zu machen und für Performances und Installationen zu nutzen. Die Idee musste seinerzeit mangels finanzieller Mittel zurückgestellt werden.

Erst 2012 war es so weit: Die drei stählernen Öltanks wurden demontiert, übrig blieb die grandiose, piranesiartig anmutende unterirdische Betonstruktur mit kleeblattförmigem Grundriss. Als Raum für Performancekunst dem Museum zugeschlagen, fungiert sie nun als Substruktion für die «Switch House» genannte Erweiterung (vgl. «Aus dem Bestand heraus»).

Subtil, aber gekonnt

Der zehngeschossige Anbau mit seiner Höhe von 65 m hat die Form einer geknickten Pyramide. Die Beton­skelettkonstruktion ist aussen mit einem Filtermauerwerk aus Backstein verkleidet. 336 000 Ziegel wurden händisch verbaut und bilden die äus­sere Schale, die, wo gewünscht, von Fensterbändern durchbrochen ist. Setzten die Architekten bei ihrem Entwurf von 2005 mit den gläsernen Räumen noch auf Konfrontation gegenüber dem Bestand, so suchten sie nun mit dem ­Backstein eher das Verbindende.

Das hat auch damit zu tun, dass die Investorenarchitektur, die nicht nur die Londoner City umpflügt, sondern auch in Gestalt von Luxusapartmentkomplexen der Tate und ihrem Anbau inzwischen fast obszön nah kommt, stets Glasfassaden aufweist. Backstein steht in London für Infrastrukturbauten, für die Bahnviadukte des 19. Jahrhunderts ebenso wie für die Kraftwerke, aber auch für den traditionellen Wohnungsbau. Mit der Hülle aus Backstein ist die Erweiterung der Tate Modern selbstverständlicher geworden, weniger ­aufgeregt.

Wie richtig die Entscheidung der Architekten war, erlebt man spätestens, wenn man um das Switch House herumgeht: Die geknickte Pyramide verbindet sich dank der Backsteinfassade mit dem Altbau, wahrt Distanz zur in die Höhe geschossenen Nachbarbebauung, die parasitär vom Kunstort profi­tieren will, und besitzt aufgrund ihrer Geometrie, die sich nicht auf den ersten Blick erschliesst, eine enigmatische Kraft. Eigentlich ist das Switch House ein gewaltiges Monument, doch es inszeniert sich nicht als selbstverliebtes Spektakel und tritt, vom gegenüberliegenden Ufer aus gesehen, hinter der Vertikale des Hochkamins und der Horizontale des Kraftwerks fast bescheiden in die zweite Reihe zurück.

Die Form ist dabei kein Zufallsprodukt und auch nicht expressiv um des expressiven Gestus willen. Vielmehr erklärt sie sich als Resultat von äusseren Bedingungen, die auf den Entwurfsprozess einwirkten: Bestimmte Sichtachsen auf die St. Paul’s Cathedral müssen frei gehalten werden, der Schattenwurf auf die Nachbarbebauung war zu minimieren, und der Standort war durch die Substruktion in Form der betonierten Tanks im Untergrund gegeben. Dabei operierten Herzog & de Meuron beim Switch House viel freier als beim Umbau des Kesselhauses im Jahr 2000, bei dem sie mit einer streng orthogonalen Logik der Ausstellungssäle, Erschlies­sungen und des verglasten Aufbaus der vorhandenen Geometrie folgten.

Auch im Anbau besitzen die auf den Ebenen 2, 3 und 4 konzentrierten und parallel zur Turbinenhalle organisierten Ausstellungssäle einen rechteckigen Zuschnitt. Der grösste befindet sich in Ebene 2, ein Ausstellungsraum von gewaltigen Dimen­sionen mit abgehängten Neonröhren unter der Decke. Die übrigen Säle sind kleiner und unterschiedlich sowohl hinsichtlich der Proportionen als auch bezüglich der Gestaltung: Manche sind mit Lichtdecken ausgestattet, andere durch Betonunterzüge gegliedert, wobei Spots für die Beleuchtung sorgen. Vereinzelte Fenster gewähren Durchblicke zur Turbinenhalle oder Ausblicke in die unmittelbare Nachbarschaft.

Meisterhafte Zwischenräume

Das eigentliche Erlebnis aber sind die ausgedehnten, alle Ebenen verbindenden Erschliessungsbereiche, eine grandiose Abfolge aus Wendeltreppen, Aufenthaltsbereichen und Besucherwegen. In Umfragen hat sich ergeben, dass viele Menschen die Tate Modern nicht vorrangig der Kunst wegen besuchen, sondern weil sie hier andere Menschen treffen. Das erklärt schon den Erfolg der Turbinenhalle, und die Architekten haben bei der jetzigen Erweiterung alle Re­gister gezogen, um die Aufenthaltsqualität der öffent­lichen Bereiche zu diversifizieren. Dank einer geschickten Dramaturgie öffnen sich hier Räume von hallenartigen Dimensionen, während dort intime Zonen zum ruhigen Rückzugsort werden; für die Möblierung wurde, wie schon im Jahr 2000, Jasper Morrison beigezogen.

Das Betonskelett wird sichtbar, das Filtermauerwerk und die Fensteröffnungen erlauben Ausblicke, und Aussparungen in den Decken entlang der Fassaden verbinden die Geschosse optisch miteinander. So entsteht ein Parcours, der die Besucher gleichsam sogartig nach oben zieht – bis zur Ebene 10, die mit einem äus­seren Umgang den panoramatischen 360-Grad-Blick über die Stadt bietet und wie ein Belvedere funktioniert. Gemessen am Gesamtvolumen beanspruchen die eigentlichen Ausstellungszonen nur den kleineren Teil der Erweiterung; die Ebenen 5 und 6 dienen pädagogischen Programmen, die Verwaltung nutzt Ebene 7 sowie die zur Südfassade hin orientierten Zonen auf anderen Geschossen.

Eine Bar und ein Museumsshop teilen sich die Ebene 1 mit dem neuen, zum Quartier Southwark hin orientierten Südeingang, der nun auch die lang ersehnte Nord-Süd-Querung des Museums gewährleistet. Eine zweite Verbindung von Kesselhaus und Switch House bildet eine auf Ebene 4 über die Turbinenhalle gespannte Brücke. Damit wäre ein Rundgang möglich, wenn nicht die Tate Modern bereits bei ihrer Eröffnung im Jahr 2000 eine Grösse aufgewiesen hätte, die bei einem Besuch sämtlicher Ausstellungsräume die Wahrnehmungsfähigkeit heillos überfordert.

Inzwischen sind die Tanks hinzugekommen, und die jetzige Extension vergrössert die Fläche für die Besucher noch einmal um 60 %. Kesselhaus und Switch House, die die Turbinenhalle nunmehr nördlich und südlich flankieren, bilden eigentlich zwei selbstständige Einheiten mit jeweils mehr Kunst, als ein durchschnittlicher Besucher zu rezipieren vermag.

Werk mit Wirkung

Frances Morris, die neue Direktorin der Tate Modern, erarbeitete anlässlich der Eröffnung der Erweiterung eine neue Hängung für alle Bereiche des Hauses. Diese gliedert sich in acht Kapitel, die – wie bei der Einweihung im Jahr 2000 – thematisch angelegt sind und mit einer klassischen chronologischen Präsentation brechen. Neu sind die starke Berücksichtigung der Werke von Künstlerinnen und die Erweiterung des Blicks durch den Einbezug von Werken aus dem nicht westlichen Kontext. So ist die Tate Modern ein globalisiertes Museum: Sie zeigt 800 Werke von 300 Künstlerinnen und Künstlern aus 50 Ländern. Diese Bandbreite war nur durch eine intensive Erwerbungspolitik der letzten Jahre möglich. Seit 2000 ist die Sammlung um 50 % gewachsen. Weil der staatlichen Tate praktisch kein fixer Ankaufsetat zur Verfügung steht, sind Privatpersonen, Firmen und Stiftungen in die Bresche gesprungen.

Als erfolgreicher Marke gelingt der Tate, was kleinere Institutionen immer weniger vermögen: privates Geld und privates Engagement an sich zu binden. So wurden auch von den 260 Millionen Pfund, die der Neubau gekostet hat, nur 60 Millionen durch die öffentliche Hand – den Staat, die Greater London Authority und das Southwark Council – bereitgestellt. 200 Millionen konnten durch Fundraising und Sponsoring erwirtschaftet werden. Stolz versteht sich die Tate Modern als weltweit attraktivstes Museum für moderne Kunst, das hinsichtlich seiner Beliebtheit das MoMA in New York hinter sich gelassen hat.

Ohne Zweifel hat die Institution seit ihrer Eröffnung London verändert. Ihr Einfluss ist nicht nur städtebaulich zu spüren; die Tate Modern hat überdies erheblich dazu beigetragen, dass sich die Kapitale an der Themse als eine Metro­pole zeitgenössischer Kunst etablieren konnte.



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|45 Die Kunst, für Kunst zu bauen

04. November 2016Clementine Hegner-van Rooden
TEC21

Aus dem Bestand heraus

Die Erweiterung der Tate Modern steht auf dem bestehenden Betonsockel der drei Öltanks, die 2012 rückgebaut wurden. Der kleeblattförmige Grundriss der...

Die Erweiterung der Tate Modern steht auf dem bestehenden Betonsockel der drei Öltanks, die 2012 rückgebaut wurden. Der kleeblattförmige Grundriss der...

Die Erweiterung der Tate Modern steht auf dem bestehenden Betonsockel der drei Öltanks, die 2012 rückgebaut wurden. Der kleeblattförmige Grundriss der rund 30 m weit spannenden und 9 m tief in den Untergrund reichenden Tanks ist an den Brüstungen der vorgelagerten Terrasse noch ablesbar. Regelrecht erlebbar ist die alte Trag­konstruktion des Tanksockels, ein Betontragwerk aus massiven Stützen, Unterzügen und Betonscheiben, das die Räumlichkeiten im Untergeschoss prägt.

Die Tragelemente sind heute gekennzeichnet von Kernbohrungen und Frässchnitten, die das Tragwerk auf das tragwerkspezifisch Notwendigste reduzieren und Durchgänge von und zur Turbinenhalle schaffen. Die Planenden beliessen die erhaltene Tragkonstruk­tion roh, sie zeigen die Eingriffe, die angeschnittenen Bewehrungseisen und das getrocknete Spritzwasser vom Fräsen. Aus diesem – bildhaft und im wahrsten Sinn des Wortes – kraftvollen Raum erstreckt sich die Tragstruktur der Erweiterung; sinngemäss als Skelettbau. Die neuen Betontragelemente verflechten sich hier optisch und statisch mit der bestehenden Tragkonstruktion.

Dabei leitet sich die Lage der neuen Tragelemente von den örtlichen Bedingungen des Bauplatzes bzw. von den Rahmenbedingungen der bestehenden Bausubstanz im Sockel ab. Betonbalken innerhalb des Gebäudegrundrisses und am Perimeter fangen die Lasten im EG ab und bilden die Basis für die empor­ragende komplexe Gebäudeform. Die abfallenden Fassadenflächen bilden in jedem Geschoss neue Grundrisse ohne rechte Winkel – vom Tragwerk geprägte, grosszügige Räumlichkeiten entstehen. Allerdings generiert die Form auch viele Tragelemente in unterschiedlichen Abmessungen; vorfabriziert erreichen sie eine hohe Präzision.

Die primäre Tragkonstruktion, die diese Grundrisswechsel statisch ermöglicht, besteht aus Stahlbeton. Sekundär, wie beispielsweise im Dachbereich, kommen auch Stahlkonstruktionen zum Einsatz. Zudem sind Fassadenstützen dort als Stahlverbundstützen ausgeführt, wo die Tragsicherheit oder die Stabilität bzw. die Schlankheit es erfordert. Sie sind mit Konsolen versehen, die wie Arme die unterschiedlichen Ausfachungen tragen und die Kräfte in die Hauptstützen leiten. Neben den markanten Fassadenstützen tragen im Innern des Grundrisses maximal sechs zusätzliche Stützen vertikale Lasten ab. Die gross­zügigen Spannweiten stehen für die grossflächigen und flexibel nutzbaren Räume.

Der Witterungsschutz aus perforiertem Mauerwerk prägt das Erscheinungsbild des Switch House. Es ist wahrlich eine ingeniöse Leistung, die die Ingenieure von Ramboll hier konstruktiv erbracht haben. Total 336»000 Steine in 212 unterschiedlichen Formen wurden zwischen August 2014 und Februar 2016 bei jeder Witterung montiert. Dabei liessen die Ingenieure die Mauerwerksfläche ohne Dilatationsfugen erstellen. Die Mauerwerkssteine funktionieren zusammen als seriell «geschaltete» Bögen, die der Konstruktion horizontale und vertikale Bewegungen erlaubt. Die gesamte Fläche ist über 11 500 Konsolen in 400 verschiedenen Ausführungstypen an die Gebäudefassade rückverankert.



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|45 Die Kunst, für Kunst zu bauen

04. November 2016Hubertus Adam
TEC21

Ähnlich anders

Mit den Anbauten der beiden Vorzeigemuseen in London und Colmar demonstrieren Herzog & de Meuron ihre entwerferische Spannweite.

Mit den Anbauten der beiden Vorzeigemuseen in London und Colmar demonstrieren Herzog & de Meuron ihre entwerferische Spannweite.

Colmar mit seinen knapp 70 000 und London mit seinen mehr als acht Millionen Einwohnern lassen sich schwerlich vergleichen. Und auch das Museum Unterlinden, dessen eigentliche Attraktion der Isenheimer Altar ist, und die Tate Modern sind im Grunde inkommensura­bel – abgesehen davon, dass beide Ausstellungshäuser unlängst durch Herzog & de Meuron erweitert wurden (vgl. «Enigma aus Backstein» und «Mit Mut und Witz»).

Angesichts mancher Museumsvergrösserung der vergangenen Jahre mag sich Skepsis einstellen: Räumlicher Zuwachs bedeutet auch mehr Betriebskosten. In Zeiten stagnierender Kulturbudgets führt das zu Problemen, weil sich Mäzene oder Sponsoren zwar für prestigeträchtige Bauprojekte, nur selten indes für die Finanzierung von Wach- oder Reinigungspersonal gewinnen lassen. Auch in Colmar und London wurde das Gros der Baukosten für die Erweiterungen nicht von der öffentlichen Hand getragen. Allerdings steht in beiden Fällen die Notwendigkeit des Eingriffs ausser Frage.

Das hat nur vordergründig mit der Argumentation zu tun, die immer zwecks Legitimierung von solchen Projekten vorgebracht wird: dass das jeweilige Museum angesichts der stetig wachsenden Sammlung aus allen Nähten platzt. Eine geschickte Ausstellungsstrategie könnte die Argumente entkräften; in den meisten Museen ist ein Grossteil der Sammlung magaziniert. Auch steigender Raumbedarf für paramuseale Zwecke fungierten als Auslöser für die Bauprojekte. Was die beiden Interventionen aber so überzeugend macht, ist deren städtebauliche und letztlich auch gesellschaftliche Dimension.

Museen sind nicht mehr allein Orte der Selbstvergewisserung bildungsbürgerlicher Milieus, sondern urbane Generatoren ersten Rangs. Trotz einer nicht über jeden Zweifel erhabenen Sammlung hat sich die Tate Modern als das international besucherstärkste Museum für Moderne Kunst etabliert. Sie ist so erfolgreich, dass Herzog & de Meuron entgegen ersten Ent­wür­fen nun mehr Distanz zur radikal kommerzialisierten Umgebung wahren und auf ein introvertiertes Konzept setzen, das mit dem Raum der Turbine Hall schon angelegt war.

Letztere war der Geniestreich des ersten Tate-Konzepts von 2000: Sie ist einerseits ästhetischer Separatraum, andererseits öffentlicher Ort – in Londons Innenstadt ansonsten Mangelware. Am Rand der Altstadt von Colmar stellte sich die Situa­tion anders dar: Hier ist mit der Erweiterung des Museums Unterlinden Stadtreparatur geleistet worden. Ein Hallenbad der Belle Epoque konnte einer neuen Nutzung zugeführt werden, wichtiger noch aber ist die Wiedergewinnung des öffentlichen Raums.

Die Place Unterlinden ist zum Angelpunkt des Gesamtkonzepts geworden: Die Architekten befreiten sie vom Verkehr und legten den Canal de la Sinn frei. Und dann steht auf dem Platz noch ein merkwürdig verformtes Gebäude mit Wänden aus aufgeschlagenen Lochziegeln und einem Kupferdach. Ein wenig mutet es an wie Rotwangs Haus aus Metropolis, und sein surrealer Charakter wird dadurch noch verstärkt, dass man es nicht betreten kann. Das kleine Bauwerk, eine Variation der im Œuvre von Herzog & de Meuron ostinaten Urhüttenthematik, gliedert und rhythmisiert den Platz.

Und es ermöglicht mittels seiner Fenster den Blick in die Tiefe, kann damit also auch als skulpturaler Hinweis auf die unterirdische Galerie verstanden werden. Denn eine zentrale Idee der Basler Architekten bestand darin, dass der Komplex aus Kloster und Kirche auf der anderen Seite des Platzes ein spiegelbildliches Pendant findet, als zeitgenössische Interpretation des einst hier bestehenden, dem Kloster zugeordneten Gutshof. Das neue Ensemble setzt sich zusammen aus dem winkelförmigen Komplex des angrenzenden Schwimmbads sowie einem «Ackerhof» genannten Neubau. Mit seinem hohen Satteldach und den Spitzbogenfenstern spielt das Gebäude mit his­torischen Referenzen in einem Masse, wie es bei Herzog & de Meuron vielleicht überraschen mag.

In London wie in Colmar trennen die Architekten Ausstellungssäle und übrige Publikumszonen. Die Kunst behält ihre eigenen Bereiche. Herzog & de Meuron sind seit jeher – und das zu Recht – nicht die Verfechter eines Kulturzentrums, in dem alles zu gleicher Zeit und im gleichen Raum stattfindet. Backstein ist das Baumaterial, das beide Projekte verbindet. In London vermittelt er zum Infrastrukturbau des vormaligen Kraftwerks, in Colmar entstanden mural geprägte Bauten, die sich volumetrisch in die Kubatur der historisch geprägten Altstadt einfügen, durch den seriellen Charakter des Backsteins jedoch einen abstrakten Ausdruck besitzen.



verknüpfte Bauwerke
Musée Unterlinden - Erweiterung



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|45 Die Kunst, für Kunst zu bauen

17. Juni 2016Marion Löhndorf
Neue Zürcher Zeitung

In der Welt verankert

(SUBTITLE) Der neu eröffnete Erweiterungsbau der Tate Modern

Die Tate Modern in London hat Zuwachs bekommen. Der grossartige Erweiterungsbau von Herzog & de Meuron ist nicht bequem. Dennoch begleitete schon seit geraumer Zeit ein Hype das neue Haus.

Die Tate Modern in London hat Zuwachs bekommen. Der grossartige Erweiterungsbau von Herzog & de Meuron ist nicht bequem. Dennoch begleitete schon seit geraumer Zeit ein Hype das neue Haus.

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17. Juni 2016Maik Novotny
Der Standard

Kunstturbine im Ziegelkleid

(SUBTITLE) New Tate Modern

Am Freitag wird in London die New Tate Modern eröffnet. Das weltweit bestbesuchte Museum für moderne Kunst erweitert sich mit einem zehngeschoßigen Neubau der Schweizer Architekten Herzog und de Meuron zur Kulturmaschine

Am Freitag wird in London die New Tate Modern eröffnet. Das weltweit bestbesuchte Museum für moderne Kunst erweitert sich mit einem zehngeschoßigen Neubau der Schweizer Architekten Herzog und de Meuron zur Kulturmaschine

Es war Lie­be auf den er­sten Blick: Die kat­he­dra­le­nar­ti­ge Tur­bi­nen­hal­le der ehe­ma­li­gen Bank­si­de Po­wer Sta­ti­on wur­de von den Be­su­chern so­fort in Be­sitz ge­nom­men, als die Ta­te Mo­dern im Jahr 2000 im In­dus­trie­denk­mal an der Them­se er­öff­ne­te. Seit­dem hat das Mu­se­um ei­ne un­ge­ahn­te Er­folgs­ge­schich­te hin­ge­legt.

„Wir ha­ben bei der Er­öff­nung zwei Mil­lio­nen Be­su­cher pro Jahr er­war­tet. In­zwi­schen sind es fünf Mil­lio­nen“, be­rich­tet Ta­te-Di­rek­tor Nick Se­ro­ta stolz. So­mit zählt man fast dop­pelt so vie­le Be­su­cher wie das Mu­se­um of Mo­dern Art in New York, nicht zu­letzt auf­grund des frei­en Ein­tritts und des um­fang­rei­chen Schul­pro­gramms.

Schon vier Jah­re nach der Er­öff­nung war klar: Die ur­sprüng­lich erst für 2025 ge­plan­te Er­wei­te­rung muss­te vor­ge­zo­gen wer­den. Die Schwei­zer Ar­chi­tek­ten Her­zog und de Meu­ron, de­nen mit der Ta­te Mo­dern der Durch­bruch in die Pritz­ker­preis-Li­ga ge­lun­gen war, ka­men auch die­ses Mal zum Zu­ge. Der be­reits für die Olym­pi­schen Spie­le 2012 ge­plan­te Er­öff­nungs­ter­min muss­te al­ler­dings auf­grund der Fi­nanz­kri­se ver­scho­ben wor­den. Le­dig­lich die al­ten un­ter­ir­di­schen Öl­tanks wa­ren schon ein­mal kurz­zei­tig Ort für Aus­stel­lun­gen. Dank der größ­ten Spen­de­nak­ti­on für ein Kul­tur­pro­jekt, die es in Groß­bri­tan­nien je ge­ge­ben hat­te, konn­te schließ­lich der Neu­bau in An­griff ge­nom­men wer­den. Von den 327 Mil­lio­nen Eu­ro Ge­samt­kos­ten stam­men rund 250 Mil­lio­nen aus pri­va­ter Hand.

Der An­bau schmiegt sich nun im Sü­den an das al­te Kraft­werk und dockt im In­ne­ren an die Tur­bi­nen­hal­le an. Sah der ur­sprüng­li­che Ent­wurf noch wild auf­ge­türm­te Glas­bo­xen vor, nah­men die Ar­chi­tek­ten vor Bau­be­ginn ei­ne Kehrt­wen­de vor: Der zehn­ge­scho­ßi­ge py­ra­mi­de­nar­ti­ge Turm ist bis auf schma­le Fens­ter­bän­der kom­plett mit Zie­gel­stei­nen ver­klei­det und steht dem Alt­bau an Wuch­tig­keit in nichts nach. „Un­ser Ziel war es, ein Ge­bäu­deen­sem­ble zu schaf­fen, das wie ein Ein­zel­stück wirkt, nicht als Ad­di­ti­on zwei­er un­ter­schied­li­cher Tei­le“, so Ar­chi­tekt Jac­ques Her­zog.

Heu­te, Frei­tag, wird der Neu­bau er­öff­net, und die Ta­te Mo­dern wird zur New Ta­te Mo­dern. Das be­deu­tet nicht nur mehr Qua­drat­me­ter, son­dern soll auch den ak­tu­el­len Stand der Kunst­pro­duk­ti­on wi­der­spiegeln: Vi­deo­ins­tal­la­tio­nen, Fo­to­gra­fie und Neu­en Me­dien wird noch mehr Platz ein­ge­räumt, die fi­gu­ra­ti­ve Mal­erei wird end­gül­tig Ne­ben­sa­che.

„Die Welt hat sich seit dem Jahr 2000 ver­än­dert, und die Kunst eben­so“, so Fran­ces Mor­ris, seit Jän­ner Di­rekt­orin der Ta­te Mo­dern. „An­fangs ha­ben wir uns auf eu­ro­päi­sche und nord­ame­ri­ka­ni­sche Kunst kon­zen­triert. Heu­te se­hen wir Wer­ke von 300 Künst­lern aus über 50 Län­dern, von Afri­ka über Ost­eu­ro­pa bis Asien.“

Mehr Kunst von Frau­en

Auch die Künst­le­rin­nen spie­len ei­ne stär­ke­re Rol­le. War ihr An­teil an­fangs noch 17 Pro­zent, so stammt heu­te die Hälf­te al­ler aus­ge­stell­ten Wer­ke von Frau­en. Da­run­ter sind eta­blier­te Na­men wie Ma­ri­na Ab­ra­mo­vić oder Loui­se Bour­geo­is, und we­ni­ger be­kann­te wie die 1940 ge­bo­re­ne ru­mä­ni­sche Künst­le­rin Ana Lu­paş.

Der be­wusst un­eli­tä­re Zu­gang zur Kunst, den man bis­her ver­folgt hat, setzt man auch mit der Er­wei­te­rung fort, wie die Di­rekt­orin be­tont: „Wir wol­len, dass die Kunst für je­den re­le­vant ist.“ So ist es nur kon­se­quent, dass aus­ge­rech­net die Lon­do­ner Schul­kin­der ei­nen Tag vor der of­fi­ziel­len Er­öff­nung als Er­ste die neu­en Räu­me ex­klu­siv in Be­sitz neh­men durf­ten. Ur­ba­nis­ti­scher Bo­nus: Das Mu­se­um öff­net sich mit ei­nem gro­ßen Vor­platz auch den Wohn­vier­teln der South Bank, de­nen es bis­her noch den Rü­cken zu­ge­wandt hat­te.

Auch Lon­dons frisch ge­wähl­ter Bürg­er­meis­ter Sa­diq Khan un­ter­strich zur Er­öff­nung ein­dring­lich die Wich­tig­keit öf­fent­li­cher Kul­tur­stät­ten für die Iden­ti­tät sei­ner Stadt. „Ich er­in­ne­re mich noch, wie die Men­schen 2003 in der Tur­bi­nen­hal­le auf dem Bo­den sa­ßen und sich vol­ler Fas­zi­na­ti­on Ola­fur Eli­as­sons In­stal­la­ti­on We­at­her Pro­ject an­schau­ten“, schwärm­te er und füg­te un­ter Ap­plaus hin­zu: „Kul­tur ist kein Ni­ce-to-ha­ve. Sie wird ab jetzt ei­ne Her­zens­an­ge­le­gen­heit mei­ner Stadt­ver­wal­tung sein.“

Was Kul­tur heu­te be­deu­tet, lässt sich an der New Ta­te Mo­dern jetzt schon ab­le­sen: Mit ex­klu­si­ven Mem­ber Rooms, in­klu­si­ven Works­hops, meh­re­ren Ca­fés und gleich fünf Shops ist das Mu­se­um kein hei­li­ger Kunst­tem­pel mehr, son­dern ein Ab­bild des Wirt­schafts­fak­tors Kul­tur­in­dus­trie auf vol­ler Tur­bi­nen­leis­tung.

15. Juni 2016Almuth Spiegler
Die Presse

Die neue Tate Modern gehört den Frauen

Die Eröffnung des Erweiterungsturms der Tate Modern ist auch eine Landmark für die Öffnung der männlichen, westzentrierten Kunstgeschichte. Man erkennt sie fast nicht wieder, so voll Künstlerinnen, voll Kunst aus Asien und Afrika.

Die Eröffnung des Erweiterungsturms der Tate Modern ist auch eine Landmark für die Öffnung der männlichen, westzentrierten Kunstgeschichte. Man erkennt sie fast nicht wieder, so voll Künstlerinnen, voll Kunst aus Asien und Afrika.

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