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30. Juni 2010Rahel Marti
hochparterre

Andermatt wird wahrer

Zwischen 1,22 und 3,55 Millionen Franken kostet eine Wohnung im Tourismus Resort Andermatt. Im April eröffnete der Unternehmer Samih Sawiris einen Verkaufspavillon...

Zwischen 1,22 und 3,55 Millionen Franken kostet eine Wohnung im Tourismus Resort Andermatt. Im April eröffnete der Unternehmer Samih Sawiris einen Verkaufspavillon...

Zwischen 1,22 und 3,55 Millionen Franken kostet eine Wohnung im Tourismus Resort Andermatt. Im April eröffnete der Unternehmer Samih Sawiris einen Verkaufspavillon nahe der Bahnhofstrasse in Zürich. Als er darauf zuschritt, kritisierte er sofort die dezente Beschriftung: «Das müssen wir ändern!» Und als er beim Betreten über eine Schwelle stolperte, ergänzte er: «Und das auch.» Seit 2005 treibt Sawiris das Projekt mit seiner bestechenden Mischung aus Charme und Kalkül voran. Zunächst werbe er für die Wohnungen vor allem im Inland: Schweizer evaluierten länger als andere, er wolle vermeiden, dass sie sich erst entschlössen, wenn die besten Stücke fort seien. An Schweizer Käufern muss Sawiris aber auch liegen, weil nur sie spontan kommen und das Resort regelmässig beleben können.

Unter dem Slogan «Noble by Nature» setzt Sawiris Preise von durchschnittlich 15 500 Franken pro Quadratmeter Wohnfläche an. Das entspricht gehobenen Stadtzürcher Quartieren -— kann das im Urserental gut gehen? «Ja, denn akzeptable Zweitwohnungen erhält man kaum noch günstiger», erklärt Marco Feusi, Experte bei den Immobilienberatern Wüest & Partner. Auf der Lenzerheide, in Flims oder Grindelwald zahle man ähnlich viel, im Oberengadin, Gstaad und Verbier mehr. Ein Stück Schweiz zähle im Ausland noch immer, die Realisierungschancen stünden gut, so Feusi. Der Verkaufsstart kommt doppelt richtig: Die Wirtschaftskrise ist verflogen und während andere Regionen den Bau von Zweitwohnungen beschränken, bringt Sawiris 500 Wohnungen auf den Markt, alle Lex Koller-befreit. «Wertsteigerungen auf Preise bis zu 30 000 Franken pro Quadratmeter sind möglich», schätzt Marco Feusi. Der Kauf sei aber eine Art Wette, weil die Infrastruktur noch stark ausgebaut werden müsse.

Harte Honorarverhandlungen 

Noch immer preisen die Prospekte «über dreissig Schweizer und internationale Architekturbüros» an, die «jedes Haus individuell planen». Die meisten haben aber seit einem Jahr nicht mehr daran gearbeitet, sie müssen den Wohnungsverkauf abwarten. Die Andermatt Swiss Alps ASA habe Kostenvoranschläge zu niedrigstem Honorar verlangt, wogegen sich einige Büros wehrten. Skeptische machen nun die Weiterarbeit vom Honorar abhängig, Zuversichtliche führen an, die ASA habe SIA-Tarife in Aussicht gestellt. Die Ausführung soll mit Generalunternehmungen und Architekten als gestalterische Leiter erfolgen.

Sawiris gebührt Anerkennung: Er führte Wettbewerbe durch, holte gute Büros. Aber das Resort ist kein Liebhaber-, sondern ein Renditeprojekt. Sein Auftritt im Zürcher Verkaufsraum war auch dafür bezeichnend: Auf das Dorfmodell blickend, schien ihm die Bebauung zu dicht. Er rief seine Mitarbeiter und bestimmte Häuser, die niedriger werden sollten, um den Nachbarbauten mehr Licht und Aussicht zu gewähren. Lieber hier weniger, dort dafür umso mehr verdienen. So arbeitet Sawiris: Spontan und immer. Für die Abstimmung mit dem städtebaulichen Konzept bleibt da keine Zeit.

Trotzdem: Stimmt die Bauqualität, kann das Feriendorf mit seiner hohen baulichen Dichte und formalen Expressivität einiger Häuser noch immer zu eigenständiger und überzeugender Tourismusarchitektur werden.

Diese Chance ist beim Luxushotel The Chedi vertan. Als einziger Bau des Resorts ist es im bestehenden Dorf geplant. Die Visualisierungen zeigen ein gutes Dutzend gleichartige, bis zu 34 Meter hohe Häuser: Eine Art aufgeblasene Hütten mit Steilgiebeln, grossen Vordächern, langen Fensterschlitzen und dürftiger Holzlattung. Für das im Inventar schützenswerter Ortsbilder der Schweiz ISOS verzeichnete Andermatt eine Bedrohung. Das Chedi entwarfen, wie den ersten Resortplan, Denniston Architects aus Kuala Lumpur. Deren Chefarchitekt Jean-Michel Gathy, ein Freund von Sawiris, gilt als Crack der internationalisierten Luxushotelarchitektur — entsprechend bleibt es hier bei gröbsten Klischees von «Alpine Chic». Da der Heimatschutz gegen die Baubewilligung intervenierte, willigte die ASA ein, die Pläne überarbeiten zu lassen, begleitet von einer Fachgruppe unter der Leitung des Urner Denkmalpflegers Edi Müller. Im Gegenzug stimmte der Heimatschutz der Rahmenbewilligung des Projekts im Massstab 1:200 zu. Ende Mai wurden die neuen Pläne eingereicht (nach Redaktionsschluss). Zu vermuten ist, dass die Überarbeitung kaum mehr als Kosmetik gebracht hat. Das Projekt ist bewilligt, die Ausnutzung im Quartierplan sanktioniert. Das Chedi wird überwiegend mit bedienten Zweitwohnungen zu Quadratmeterpreisen bis 22 000 Franken betrieben. Dass die Top-Kette ihr erstes europäisches Hotel in Andermatt baut, gilt als Coup von Sawiris. Chedi und Golfplatz sollen zuerst gebaut und 2013 eröffnet werden, als Nukleus, der auch ohne das übrige Resort funktioniert.

Gewaltiger Ausbau

Während der Verkauf erster Wohnungen anläuft, laboriert die ASA am Ausbau der Infrastruktur. Überraschend will sie das Betonpodium unter dem Resort siehe HP 6-7 / 09 statt zwei- nur eingeschossig bauen. So werde der Bau statisch einfacher und günstiger, zudem liege dann nur ein Fünftel im Grundwasser. Noch immer sind 900 Parkplätze geplant, dafür kleinere Lager- und Erschliessungsräume.

Derweil bahnt sich ein zweiter gigantischer Ausbauschritt an: Im Herbst soll die Richtplananpassung eingereicht werden für die Erweiterung des Skigebiets Nätschen bis zum Oberalppass, um Andermatt und Sedrun zu verbinden. Dafür wird ein ganzes Tal neu bebaut. Ein ähnliches Projekt zwischen der Melchsee-Frutt und Engelberg wird bekämpft, hier nimmt es die Öffentlichkeit einfach zur Kenntnis. Die Traversierung erfordert sieben neue Lifte, mindestens ein Restaurant sowie den Umbau eines Sees zum Speicherbecken für Schneekanonen, denn die Hänge sind südorientiert und rasch aper. Für Landschaft und Energieverbrauch ein fragwürdiger Ausbau — aber auch skitechnisch: Wie attraktiv ist eine kilometerlange Traversierung nach Sedrun? Doch für die ASA zählt: mehr Lifte, bessere Werbung. Die Natur- und Landschaftsschutzorganisationen begleiten den Ausbau zwar, aber mit gebundenen Händen: Da das Gebiet nicht geschützt ist, haben sie keine Einspracheberechtigung.


Kommentar: Mittragen, mitreden
Damit sein Vorhaben rentiert, ist Samih Sawiris auf eine kritische Grösse angewiesen, ob bei der Anzahl Ferienwohnungen oder neuer Skilifte. Wer das Projekt mitträgt, hat es darum schwierig, die Ausbaupläne zu beschränken. Und mitgetragen wird es von ganz oben: Der Bundesrat genehmigt die Lex Koller-Ausnahme ebenso wie die Richtplananpassungen. Pläne wie für das Hotel Chedi oder das neue Skital zeigen nun immer deutlicher, wie umfassend das Resort das Urserental verändern wird und wie weit die Zugeständnisse an Sawiris gehen. Mittragen reicht darum nicht. Andermatt braucht weiterhin auch das kritische Mitreden von Behörden und Verbänden, Schritt für Schritt. Rahel Marti

hochparterre, Mi., 2010.06.30



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15. April 2010Rahel Marti
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Kniefall vor dem Hochhaus

Die Diskussion über den 180 Meter hohen Turm der Roche fällt Basel schwer.

Die Diskussion über den 180 Meter hohen Turm der Roche fällt Basel schwer.

Schon einmal planten Herzog & de Meuron für den Pharmakonzern Roche ein Hochhaus: 154 Meter hoch und auffällig geformt wie eine Doppelhelix. Dieser «Bau 1» hätte auf dem Südteil des Roche-Areals an der Basler Grenzacherstrasse entstehen sollen. Weil das Raumprogramm nicht genügte, begrub Roche den «Bau 1» aber Ende 2008. und liess ihn Ende 2009 auferstehen: Am selben Ort, aber mit 175 Metern noch höher. Im März reichte Roche den Bebauungsplan für das Projekt ein, der gar 180 Meter zulässt siehe «Der Bebauungsplan». In den ersten Etagen liegen Foyers, Restaurant und Auditorium, darüber Büros. Wieder sind Herzog & de Meuron die Architekten. 180 Meter sind ein massiver Höhensprung für Basel: Fast das Doppelte des 105 Meter hohen Messeturms, des bisher höchsten Baus, 100 Meter höher als die Türme der Sechziger- und Siebzigerjahre, das Zehnfache des durchschnittlichen Stadtkörpers. Roche begründet die Höhe funktional: Sie ergebe sich aufgrund der 1900 neuen Arbeitsplätze, die es auf dem Areal brauche, um bisher verteilte Mitarbeiter zu konzentrieren; ein Einzelturm sei dafür die funktional beste Lösung. Städtebaulich wird die Höhe nicht thematisiert. dies spiegelt die Architektur: die Stapelung von Geschosspaketen soll die Horizontale betonen und damit die Höhe optisch drücken. Wie mächtig der Turm aufstrebt, zeigt sich aber am «Bau 52» von Roland Rohn: Er wirkt trotz 62 Metern Höhe wie ein davor gestellter Dominostein; der Abstand beträgt nur fünf Meter. Der Innenstadt dreht der Turm zwar die schmalere Seite zu, doch sieht man ihn aus der Stadt meist über Eck, also breiter. Vom Rheinufer gegenüber aus ragt er als gewaltiger Stapel auf.

Gespiegelte Macht

«Sind 175 Meter zu hoch für Basel?», fragte Hochparterre zwei Basler Architekten siehe HP 03 / 10. Meinrad Morger findet die Höhe vertretbar, denn das Areal liege ausserhalb der Innenstadt und die Distanz zum historischen Münsterhügel sei gross genug. Ingemar Vollenweider ist anderer Meinung: «Aufgrund der gebogenen Stadtanlage am Rhein wäre der Turm immer von überall sichtbar. Darf ein einziges Haus das Wesen der Stadt so verändern, spiegelt dies die Machtverhältnisse: Nur Novartis und Roche können die Stadt derart prägen. Basel setzt aber seine Identität aufs Spiel, wenn es die Realität des globalen Markts so direkt abbildet.» Im selben Sinn meldet sich Carl Fingerhuth zu Wort. Er war von 1979 bis 1992 Basler Kantonsbaumeister und äusserte sich seither nicht mehr zu Basel, doch das Roche-Projekt bewog ihn zu einem Leserbrief. Anscheinend habe ein Bauherr einen Anspruch darauf, sein Raumbedürfnis in unbeschränkter Höhe zu realisieren und habe das Projekt ein berühmter Architekt gezeichnet, sei es heilig gesprochen siehe Kommentar. Fingerhuth kritisiert auch die Fachverbände, die sich nicht zum Projekt äusserten. Tatsächlich wollten weder die Basler SIA-Sektion noch die Basler Ortsgruppe des BSA Stellung nehmen. Das Roche-Hochhaus sei politisch und baurechtlich nicht umstritten, begründet Alfred Hersberger, Präsident des SIA Basel.

Man habe zurzeit andere Prioritäten, etwa die Zonenplanrevision. In deren Rahmen sei aber die Diskussion darüber notwendig, wo, wie viele und wie hohe türme Basel vertrage. Der BSA Basel will mit einer Stellungnahme warten bis zur Mitgliederversammlung im April, für die geplant ist, das Projekt mit den Architekten und dem Kanton zu diskutieren. Schon über die Doppelhelix debattierten die Fachverbände kaum, obwohl der Höhensprung ähnlich gewesen wäre. Was erschwert die Diskussion? Im Gespräch mit Architektinnen und Architekten festigt sich der Eindruck, die Wirtschaftsmächte färbten auf sie ab. Viele erhoffen sich ein Stück vom riesigen Auftragskuchen und wollen dies nicht mit Kritik gefährden; auch bei diesem Artikel zog ein Architekt seine Aussagen deswegen zurück. Man fürchtet auch dazustehen, als vergönne man Herzog & de Meuron den Erfolg. Dazu kommt das Prellbock-Syndrom: Könnte ein Vorhaben umstritten sein, engagieren Auftraggeber berühmte Architekten, um die Qualitätsdiskussion im Vornherein zu unterdrücken. Ein weltweites Phänomen; an dieses Vorgehen erinnerten in Basel neben dem Roche-Turm auch die Projekte von Herzog & de Meuron für die Messe oder für das Museum der Kulturen.

Hochhauskonzept verlangt

Ist Städtebau in Basel also die Sache von Novartis, Roche, der Messe und Herzog & de Meuron? Esther Weber Lehner, Basler SP-Grossrätin, wägt ab: «Das Basler Stadtgebiet ist eng begrenzt. Wenn wir wollen, dass sich Firmen hier trotzdem entwickeln können, sollten wir ihnen wenn immer möglich nicht im Weg stehen.» Ob das Roche-Hochhaus städtebaulich verträglich sei, müsse aber diskutiert werden. Der richtige Zeitpunkt dafür komme, wenn der Bebauungsplan in der Bau- und Raumplanungskommission BRK behandelt und dann dem Parlament vorgelegt werde. Weber, Mitglied der BRK, hatte 2009 mit weiteren Grossräten eine Anfrage an den Regierungsrat eingereicht, ein Hochhaus-Konzept zu erarbeiten siehe «Hochhäuser in Basel». Denn «bestehende und geplante Hochhäuser scheinen eher zufällig über die Stadt verstreut, den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit und der einzelnen Bauherren entsprechend. » Es sei grundsätzlich zu überlegen, welche Stadtgebiete sich als Hochhauszonen eignen, damit die Entwicklung Basels nicht unkoordiniert durch weitere Hochbauten erfolge.

Hochbauten sollten eher in Gruppen denn als Einzelwerke im Stadtbild erscheinen. Fehlt eine wichtige Stimme: Kantonsbaumeister Fritz Schumacher. Er hält die 180 Meter für möglich, weil der Turm im Zusammenhang eines Areals stehe, einer Stadt in der Stadt. Die Gebiete von Roche und Novartis bildeten gewachsene Ausnahmesituationen und den städtebaulichen Ausdruck dessen, dass die Chemie wirtschaftlich lebenswichtig sei für Basel. Zudem: «die Projektstudien ergaben, dass ein Einzelturm weniger markant wirkt als etwa eine Serie von 100-Meter-türmen.» 180 Meter dürften nicht zur Referenz für Kommendes werden, aber: «Höher und dichter zu bauen, ist die Aufgabe der Zukunft in europäischen Städten.» architektonisch bemängelt Schumacher nichts; wichtig sei, dass der Turm zurückversetzt vom Rhein stehe, das mildere seine Wirkung auf die Stadt. Inzwischen existiert das Hochhaus-Konzept, der Kanton will es als Teilrevision des Richtplans im Herbst öffentlich auflegen. Das Projekt für den «Bau 1», obwohl später begonnen, liegt aber bereits vor. Aufgrund seiner singulären Höhe wird er als Einzelobjekt erscheinen, genau was die Grossräte verhindern wollten. Zuerst das Projekt, dann das Konzept — die verkehrte Reihenfolge. Kantonsbaumeister Schumacher widerspricht: «Über eine ähnliche Höhe diskutierten wir beim ersten Roche-Projekt. Das floss ins Konzept ein, der neue Turm widerspricht ihm darum nicht. Er schafft auch kein Präjudiz, weil diese Höhe die Ausnahme bleibt.»

Und die Architekten?

Ist die Diskussion damit zu Ende? Nein, das bestätigt selbst die Reaktion von Herzog & de Meuron auf die bisher geäusserte Kritik: «Es ist nur logisch, dass ein solches Projekt kontrovers diskutiert wird — das sollte es auch.» Man habe das Projekt ausführlich erklärt und begründet, mehr könne man im Moment nicht sagen. In der weiteren Planung werde man aber sicher vertiefte Überlegungen zur architektonischen, räumlichen und städtebaulichen Konzeption präsentieren. «Wir sind uns der Verantwortung eines Projekts, das eine Stadt nachhaltig prägt, sehr bewusst und bereit, die architektonischen und städtebaulichen Herausforderungen anzunehmen. Es bewegt sich viel in Basel. Einige Hoch-Häuser werden gebaut. Dass dazu aus Fachkreisen und der Bevölkerung verschiedene Meinungen kommen, können wir sehr gut respektieren, besonders natürlich, wenn es sich um differenzierte Äußerungen handelt.» der Turm wird Basel markant verändern. Genügt dafür die Architektur? Ist die Höhenentwicklung erwünscht und wohin führt sie? Würde dies nicht öffentlich diskutiert, wäre es für Basel ein Armutszeugnis. Vom Grossen Rat sind angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse kaum kontroverse Meinungen zu erwarten. Umso mehr sind die Architektinnen und Architekten, die Fachverbände als Experten gefragt. Herzog & de Meuron zeigen sich gesprächsbereit und offen sollte auch die Roche sein als Konzern, der der Stadt viel gibt, aber noch mehr von ihr erhält.

Der Bebauungsplan

Die Grenzacherstrasse trennt das Roche-Areal in einen Nord- und einen Südteil. Der Südteil umfasst neu drei Baufelder. Auf Baufeld 1 liegt der «Bau 1», der künftige Turm. Teil 2 bildet der Gebäudekamm am Rhein, der «frühestens 2025» einer Freifläche weichen soll, wozu wieder ein Bebauungsplan nötig ist. Teil 3, der Direktionstrakt von Salvisberg, soll stehen bleiben. Roche will weitere erhaltenswerte Gebäude inventarisieren, darunter den «Bau 52» von Roland Rohn. Der Bebauungsplan für den «Bau1» lag im März öffentlich auf und gelangt nun in Kommission und Parlament. Er erlaubt 180 m Höhe und 77 000 m©˜ oberirdische Bruttogeschossfläche.

Hochhäuser in Basel

Bisher gab es kein Leitbild. Im rahmen der Zonenplanrevision erarbeitet das Hochbau- und Planungsamt jetzt einen Teilrichtplan Hochhäuser. Er soll noch dieses Jahr öffentlich aufliegen. Basis dafür ist das Hochhauskonzept, welches das Amt 2009 der Fachwelt vorstellte. Der kantonale Richtplan enthält ein Objektblatt zu Hochhäusern. Dessen Karte weist geeignete Hochhausgebiete aus, darunter das Roche-Areal und zwei Teilbereiche des Novartiscampus. Die Karte des Teilrichtplans Hochhäuser wird sich davon nicht wesentlich unterscheiden. > www.richtplan.bs.ch


Kommentar GEWALTTÄTIG UND RESPEKTLOS
Ein Leserbrief zu «sind 175 Meter zu hoch für Basel?» in Hochparterre 03 / 2010
Meines Wissens war dies der erste kritische Beitrag zu diesem Projekt, das vor Monaten publiziert wurde. Das grosse Schweigen der Fachwelt dazu irritiert mich in hohem Mass. Es handelt sich um das gewalttätigste und respektloseste Projekt, das in der Schweiz je präsentiert wurde — und es handelt sich nicht um eine Utopie, es sieht nur so aus. «Respekt» definiert mein Fremdwörterbuch als «Sichumsehen» und «schuldige Achtung». Fehlt dies, wird ein Vorhaben «gewalttätig». Soll dieser Bau zur exemplarischen Vorgabe für den Städte baulichen und architektonischen Umgang mit den Schweizer Innenstädten werden — in Zürich im Seefeld, in Genf hinter dem Jet d’Eau, im Tessin zwischen Locarno und Ascona? Ich muss zur Kenntnis nehmen: Hat ein Bauherr ein Raumbedürfnis, dann hat er anscheinend auch einen Anspruch darauf, dieses in einer unbeschränkten Höhe zu realisieren, und wenn das Projekt ein berühmter Architekt gezeichnet hat, ist es heilig gesprochen. Offenbar überlegt die Basler Ortsgruppe des BSA noch, eine öffentliche Diskussion zum Thema durchzuführen, die Basler Sektion des SIA lässt nichts von sich hören. Damit diskreditieren sich die Architekten derart, dass sie keinen Anspruch mehr haben dürfen, wichtige Partner bei der Suche nach Baukultur zu sein. Dann können wir alle Gestaltungsbeiräte abschaffen und die Schweiz zur grössten europäischen Hochhauszone erklären, was für viele Investoren alles einfacher machte und vielen nach Selbstverwirklichung hungrigen Architekten die Gelegenheit gäbe, endlich das ersehnte eigene Hochhaus zu bauen.
[Prof. Carl Fingerhuth, Zürich]

hochparterre, Do., 2010.04.15



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02. März 2010Rahel Marti
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Der Blockäamander

Basel hat kaum innerstädtische Landreserven. Die Erlenmatt, das 19 Hektar grosse ehemalige Areal der Deutschen Bahn (DB), ist darum eine Kostbarkeit. Aus...

Basel hat kaum innerstädtische Landreserven. Die Erlenmatt, das 19 Hektar grosse ehemalige Areal der Deutschen Bahn (DB), ist darum eine Kostbarkeit. Aus...

Basel hat kaum innerstädtische Landreserven. Die Erlenmatt, das 19 Hektar grosse ehemalige Areal der Deutschen Bahn (DB), ist darum eine Kostbarkeit. Aus einem Wettbewerb hervorgegangen, sieht das städtebauliche Konzept des Architekturbüros Ernst Niklaus Fausch vor, die Ränder mit Gewerbe, Dienstleistung und vor allem Wohnen zu bebauen, in der Mitte aber einen Park auszubreiten, der an den Erholungsraum Lange Erlen anknüpft. Blickfang des städtebaulichen Plans ist eine Figur am breiten, der Stadt zugewandten Eingang zum Areal: Eine eigentümliche Mischform aus Blockrand und Mäander sitzt selbstbewusst in der Mittelachse. Auf dem Plan wirkt sie künstlich und wenig nachvollziehbar.

Morger Dettli Architekten aus Basel gewannen den Architekturwettbewerb für die hier vorgesehene Wohnüberbauung und nahmen sich das Gebilde zur sportlichen Herausforderung. Mit Akribie entwickelten sie sechzig Wohnungstypen, die zahlreichen Kopfenden für grosszügige Flächen nutzend, die Wohnungen gekonnt um die vielen Ecken knickend, oft über zwei Geschosse führend oder zwei Fassaden verschränkend.

Jeder Wohnung gehört eine Loggia, mit mindestens 13 Quadratmetern haben alle Zimmer komfortable Grössen. Wohn- und Essbereiche sind vielfach ungewöhnlich geschnitten und da und dort knifflig zu möblieren. Linol- und Parkettböden unterstreichen die Wohnungscharaktere: vom loftartigen Zweizimmerreich bis zur Fünfzimmermaisonette. Bei der Ausführung mit dem Generalunternehmen bewiesen die Architekten Beharrlichkeit, was dem «Erlentor» zu passabler Bauqualität verhalf; nur die knappen Treppenhäuser künden von den harten Bedingungen.

Fraglich ist Morger Dettlis Entscheid, den niederen Zwischenarm am Park zu schliessen. Das städtebauliche Konzept sah ein offenes Erdgeschoss vor, das Innenhof und Park verbinden soll. Nun ist der Innenhof geschlossen und wirkt für eine rege Nutzung allzu intim. Sonst aber überzeugt der gebaute «Blockmäander»: Zur Stadt hin öffnet sich ein gut proportionierter Eingangshof, am Park schliesst er eine markante und klare Front und die unterschiedlichen Höhen bewegen die Silhouette.

hochparterre, Di., 2010.03.02



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Genial oder banal?

Das neue Schulhaus Leutschenbach spaltet die Architekturkritiker. Sechs kontroverse Meinungen zum Bau von Christian Kerez.

Das neue Schulhaus Leutschenbach spaltet die Architekturkritiker. Sechs kontroverse Meinungen zum Bau von Christian Kerez.

Es ist das zweitgrösste Schulhaus der Stadt Zürich und von der Kindergärtlerin bis zum Sekschüler gehen hier alle ein und aus. Der Bau dauerte ein Jahr länger als vorgesehen. Die Erscheinung ist für ein Schulhaus so ungewöhnlich, dass sie polarisieren muss. Seit August ist das Schulhaus Leutschenbach nun in Betrieb und Hochparterres Redaktorinnen und Redaktoren besichtigten es mit dem Architekten Christian Kerez.

Die Heiligsprechung des Banalen

Ivo Bösch: Die Jury traute dem Entwurf von Christian Kerez nicht zu, dass er baubar ist. Im Wettbewerb aus dem Jahr 2003 liess sie zwei Projekte überarbeiten. Zwar gefielen damals die Zonen zwischen den Schulzimmern. Doch dieser Bereich war Fluchtweg, also nicht nutzbar. Erst nach der Überarbeitung schlug Kerez die Fluchtbalkone vor. Der Feuerpolizist entwarf also beträchtlich mit. Eine Turnhalle auf dem Dach, eine Doppeltreppe, aneinander gereihte, hohe Schulzimmer und eine stützenfreie Fassade im Erdgeschoss: Mehr steckt nicht im Entwurf. Der Kern des Projekts ist die Konstruktion.

Das Haus steht nur auf sechs Dreifachstützen. Für den Handstand auf dem kleinen Finger scheute der Architekt keine Kosten. Doch bestimmte der Bauingenieur, wo welche Querschnitte welche Lasten tragen. Was Kerez mit dem kompakten Entwurf gewinnt, verliert er mit dieser Konstruktion. Obwohl beim Ausbau gespart wurde und obwohl es die zweitgrösste Schule der Stadt Zürich ist, ist der Bau im Kubikmetervergleich (BKP 1– 9: CHF 1108.–/m3, Stand August 2009) eines der teuersten Schulhäuser. Schon die Jury schrieb nach der ersten Stufe: «Die durch die kompakte Gebäudeform gegebene Ausgangslage für eine günstige Ökonomie wird durch zu erwartende erhöhte konstruktive Aufwendungen gemindert.» Dass diese Aufwendungen so gross werden und der Ausbau so leiden musste, konnte sie nicht voraussehen: Wände aus Industrieglas, in den Schulgeschossen Kunststeinplatten am Boden, sichtbare PE-Abwasserleitungen. Alles wirkt banal, Kerez würde es reduziert nennen. Glück für ihn, dass das Schulhaus in Schwamendingen steht und die Stadt endlich ein Signal für die Quartierentwicklung neben der Kehrichtverbrennungsanlage setzen musste.

Alles schrumpft

Roderick Hönig: 1994 stellte Pipilotti Rist im Kunstmuseum St. Gallen zwei überdimensionale Fernsehsessel neben eine meterhohe Stehlampe. Wer versuchte, die gigantischen, kaum handhabbaren Möbel zu besteigen, lernte physisch seine Lektion in Raumwahrnehmung. Die drei ungewöhnlich hohen Klassenzimmergeschosse erinnern an Rists Installation. Nur ists im Schulhaus Leutschenbach umgekehrt: Die Räume sind überdurchschnittlich hoch — satte 3,6 Meter, das Minimum schreibt 3 Meter vor. Die Überhöhe verleiht weiten Atem und Grosszügigkeit und lässt, wie in Rists Arbeit, Schülerin und Lehrer auf Kindergrösse «schrumpfen ». Die Architektur stellt so die Machtverhältnisse im Schulhaus in Frage, sie demokratisiert Subjekt und Objekt. Kerez sichert mit seinen überhohen Klassenzimmern und Pausenhallen aber auch die Souveränität seines Werks. Die Überhöhe sorgt dafür, dass Möblierung und Raum kaum in ein Verhältnis treten und dass man nicht plötzlich vor lauter Schulmöbel und farbigem Kinderleben Kerez’ «architecture brut» nicht mehr sieht. Elegant ist, dass der eitle Wunsch nach Wahrung der Reinheit der eigenen Architektur nicht auf Kosten der Nutzer geht — im Gegenteil: Die überdurchschnittliche Raumhöhe ist die Attraktion und Qualität des Schulhauses. Der Luxus, bezahlt auf Kosten des Ausbaus.

Die Paulista-Schule

Axel Simon: Wo ist da die Angemessenheit? Und was ist mit den hohen Kosten? Spätere Erweiterungsmöglichkeiten? Es gibt Bauwerke, an denen perlen solche Fragen ab. Radikalität imprägniert sie zum Manifest. In Leutschenbach steht man vor einem solchen, schaut einfach nur, blöd vor Staunen. Hier liegt Zürich nicht in der Schweiz, sondern am Rande São Paulos. Sicher, Kerez’ Konstruktionen sind komplizierter als diejenigen von Artigas, Bo Bardi oder Mendes da Rocha, die hiesigen Anforderungen sind es sowieso. Die räumliche Idee jedoch ist ähnlich: eine weite Landschaft rundum, die sich im Inneren widerspiegelt, sowie ein Raum, der mit zunehmender Schwere des Hauses an Leichtigkeit gewinnt. Die eidgenössische Komplexität der scheinbar einfachen Struktur überspielt der Architekt, indem er sich jede Oberflächengüte versagt. Der sichtbaren Stapelung der Etagen entsprechen der sichtbar gegossene Beton, der sichtbar geschweisste Stahl, das sichtbar gefügte Gussglas. Die Rohheit des Materials und der immense Raum machen aus der Schule eine Werkstatt, einen Ort, an dem man ohne die Bürde des Perfekten schaffen, sich ausbreiten, auf dem Trottinette durchjagen kann. Keine gebeugten Rücken, keine Schulkrüppel! Diese Forderung, die der spätere Bauhausdirektor Hannes Meyer 1926 seinem konstruktivistischen Petersschul-Entwurf beilegte, könnte auch auf den Leutschenbacher Beton gesprüht stehen — als Kunst am Bau versteht sich.

Ein starkes Stück

Werner Huber: Wie ein Equilibrist steht das Schulhaus auf der Wiese am Rand von Leutschenbach, scheint unter Hochspannung zu sein. Es berührt den Boden kaum, die Tragstruktur balanciert die Lasten der aufeinandergetürmten Nutzungen ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Die gleiche Spannung ist im Innern zu spüren, auch wenn die Fachwerkträger nicht immer zu sehen sind und es nicht auf Anhieb klar ist, wie die Statik überhaupt funktioniert. Kräfte werden über Umwege spazieren geführt, bevor sie den Boden erreichen. Es wäre einfacher gegangen. Ein paar Stützen hier und da diskret platziert — wer würde den Unterschied schon sehen? Kaum jemand, doch spüren würde man ihn bestimmt.

Der Architekt ist seinen Weg konsequent gegangen und hat alles seinem Konzept untergeordnet. Das ist seine grosse Leistung. Die Betonoberflächen sind nicht perfekt, der Ausbau ist karg, konstruktive Ausnahmen gibt es zuhauf. An irgendeinem anderen Bau würde man das beklagen, hier ist das sekundär. Kerez hat die richtigen Prioritäten gesetzt. Nur im Erdgeschoss musste das Konzept vor der Nutzung zurücktreten — und prompt ist
es daneben geraten: Nie und nimmer dürfte es verglast sein.

Republikanisch geschärft

Benedikt Loderer: Zwei Gründe, warum ich das Schulhaus Leutschenbach gut finde: Es ist republikanisch und es ist geschärft. In Schwamendingen leben viele jener Leute, denen man eine bildungsferne Herkunft nachsagt und die ihre Kinder nicht vor allem zum Lernen anstacheln. Für sie baute die Stadt Zürich ein republikanisches Schulhaus. Es ist ein Versprechen. Nie, sagt die Stadt, werden wir vom Prinzip der allgemeinen und obligatorischen Volksschule abweichen. Wir wollen weder Kloster-, noch Koran- oder Eliteschulen. Vor der Schule ist jedes Kind gleich und wir geben keines auf. Wir bilden sie zu Zürchern. Wir bauen Integrationsschulen. Dort, wo die Kinder am schwierigsten sind, machen wir nicht weniger, sondern mehr. Wir sparen nicht an den Bedürftigen. Gut genug gibt es nicht, wo es ein Mehr braucht. Das Schulhaus repräsentiert den Bildungsanspruch der Stadt. Dieses republikanische Schul- und Selbstverständnis strahlt das neue Schulhaus aus. Das Konzept ist einfach: Kerez stapelt. Er setzt die Nutzungen nicht neben-, sondern schichtet sie übereinander. Den Rest des Grundstücks lässt er frei. Das Konzept überzeugte im Wettbewerb, doch dann begann die Arbeit. Es nahm die Hürden der Feuerpolizei, bewältigte das gerade geltende pädagogische Programm, überwand die Schwierigkeiten seiner eigenen Statik, besiegte den Kostendruck, kurz, es wurde verwirklicht.

Selbstverständlich sieht es heute anders aus als im Wettbewerb — aber nicht verwässert, sondern geschärft. Kerez ist einer der wenigen Architekten, die Konzessionen machen können, ohne Schaden an ihrem architektonischen Konzept zu nehmen. Er ist nicht stur, er ist nur konsequent. Er weiss: Wer alles verteidigt, verteidigt nichts. Und er weiss, was er aufgeben kann, um das zu behalten, was er unbedingt haben will. Selektives Wichtignehmen heisst diese Schärfungskunst. Kerez ist ein Meister darin.

Die Konsequenzen der Konsequenz

Rahel Marti: Christian Kerez will konsequente Architektur schaffen. Er kämpft für die Reinheit der einen, einfachen Idee. Offenbar gelang es ihm, die Beteiligten für diese heroische Haltung zu gewinnen. Kerez stapelt, der Park soll frei bleiben. Er baut Glaswände, dazwischen soll Raum zum Lernen entstehen. Er will ein klares und rohes Schulhaus, in dem sich Schülerinnen und Lehrer entfalten. Paradoxerweise braucht es dafür ein komplexes Tragwerk und Bauarbeiten, die ein Jahr länger dauerten als geplant. Was aussieht wie eine strukturalistische Höchstleistung, ist eine Reihung von Ausnahmen und Kompromissen. Um etwa den Park ins Haus fliessen zu lassen — und dies bildlich, denn in der Tat gibt es ja eine Glasfassade —, ist das Gebäude an einer komplexen Fachwerkkonstruktion aufgehängt. Um die Reinheit dieser statischen Idee zu belassen, nimmt der Architekt verschiedenste Fachwerkdimensionen und damit verschiedenste Deckenfelder in Kauf, was zu zahllosen konstruktiven Anpassungen führt. Um den freien Grundriss in den Treppenhallen zu ermöglichen, sind breite, umlaufende Fluchtbalkone nötig. Damit hier keine Kinder herumrennen, werden sich Lehrerinnen und Lehrer Regeln ausdenken müssen. Um die Transluzenz des Industrieglases nicht zu stören, sind an den Wänden der Schulzimmer und der Turngarderoben nicht metallene Kleiderhaken montiert, sondern kleine, ab - bruchgefährdete Plastikhaken aufgeklebt. Die Konsequenz reicht soweit, dass Kerez auch Massnahmen durchsetzt, die mit pädagogischen Zielen nichts mehr zu tun haben. Etwa, dass keine Leuchten, dass nichts von den hohen Decken hängen darf, was aufwändige Betoneinlegearbeiten erforderte. Man wird sehen, denn nun muss sich das aussergewöhnliche Schulhaus bewähren. Sonst war die reine Idee architektonischer Selbstzweck und der Preis dafür hoch.

hochparterre, Mo., 2009.10.12



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12. Oktober 2009Rahel Marti
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Mietwohnung in der Reihe

Die beiden Mehrfamilienhäuser in Aesch wurden im Frühling 2009 fertig. Sie wirken aber nicht neu. Keine Insignien ordnen sie der landläufig modernen Architektur...

Die beiden Mehrfamilienhäuser in Aesch wurden im Frühling 2009 fertig. Sie wirken aber nicht neu. Keine Insignien ordnen sie der landläufig modernen Architektur...

Die beiden Mehrfamilienhäuser in Aesch wurden im Frühling 2009 fertig. Sie wirken aber nicht neu. Keine Insignien ordnen sie der landläufig modernen Architektur zu. Auf der kleinen Strasse zwischen den Häusern macht sich entspannter Alltag breit. Gartenmöbel aller Couleur warten auf den gemütlich gekachelten Terrassen; hier weht ein gehäkelter Vorhang durch ein offenes Küchenfenster, dort blühen Geranien an einem Gitter. Normalität. «Der Neubau fügt sich selbstverständlich in die umgebung ein.» Wie viele Architekturen machen den Satz zur Floskel. Bei dieser Überbauung kann man ihn gelten lassen. Für Frische sorgt die kräftige Fuchsia-Farbe des Aussenputzes, sein marmoriertes Muster dagegen wirkt etwas altbacken. Feinsinnig ist die soziale Gliederung der Häuser und Wohnungen. Die kleine Strasse hat einen Zug ins Öffentliche. Denn Loggien, Terrassen, Gärten und alle Eingänge säumen sie. Wer kommt und geht, muss auf diese Strasse treten; direkte Lifte aus der Tiefgarage gibt es nicht. Jede Erdgeschosswohnung hat ihren Weg, jede Obergeschosswohnung ihre Treppe. Reihenhäuser in Soho oder Brooklyn sind die Referenzen. Jede Wohnungstür ist eine Haustür. Davor liegt ein geschützter Eingang zum Schlüsselsuchen, dahinter ein Entree zum Schlüsselablegen. Es folgen ein kleiner Vorbereich, eine Küche, ein grosses Wohn- und Esszimmer, alle zur Stras se gerichtet. Dann trennt eine Wand quer durch die Häuser den hinteren Zimmerbereich ab, der zur Welt für sich wird. um die zulässige Fassadenlänge einzuhalten, sind die Zimmer ineinandergeschoben und bilden einen Kranz. Eine Konstellation, die an grossbürgerliche Wohnungen erinnert, was die detailreiche Ausführung der Türen und Fensterfelder aus Holz unterstreicht. Aus der architektonischen und finanziellen Enge des Mietwohnungsbaus holten die Basler Architekten eine hohe Raum-, Material- und Ausführungsqualität heraus. und aus den beiden Typen Geschosswohnung und Reihenhaus mischten sie ein neues Wohngefühl.

hochparterre, Mo., 2009.10.12



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08. September 2009Rahel Marti
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Das Krisenorakel

Jacques Herzog über die Wirtschaftskrise, die noch keine ist. Dazu ein Blick auf die Lage im Baugewerbe und eine Notiz in eigener Sache.

Jacques Herzog über die Wirtschaftskrise, die noch keine ist. Dazu ein Blick auf die Lage im Baugewerbe und eine Notiz in eigener Sache.

Jacques Herzog, Sie bauen rund um die Welt und sind den Schwankungen der globalen Wirtschaft ausgesetzt. Bedroht die Krise das Unternehmen Herzog & de Meuron?
Die Situation ist sehr widersprüchlich. Spanien zum Beispiel trifft die Krise hart, aber kürzlich haben wir ausgerechnet dort den Vertrag für den grössten Auftrag unterschrieben, den wir je erhalten haben: den Bau des neuen Hauptquartiers der Bank BBVA in Madrid. Gestoppt wurden nur wenige Projekte. In den USA ist das private Fundraising eingebrochen, was unser Projekt für das Miami Art Museum in Frage zu stellen schien. Jetzt sieht es aber gut aus für den Bau. Der Staat hat soeben den Baukredit bewilligt.

Ihre Mitarbeiterzahl liegt seit einiger Zeit bei 330. Worauf führen Sie die Stabilität zurück?
Seit Jahren sind wir zurückhaltend beim Annehmen von Aufträgen und haben viel mehr ab- als zugesagt, in den letzten Jahren auch einige Anfragen aus Russland. Wir könnten heute 600 Mitarbeitende haben — aber genau diese 300 zusätzlichen Arbeitsplätze wären nun in Gefahr. Wir prüfen jede Anfrage und recherchieren, wie seriös und nachhaltig die Angebote sind. Nur wenn ein Projekt auch finanziell solid und die Bauherrschaft gut aufgestellt ist, sagen wir zu.

Was lernen Sie aus der Krisenstimmung?
Wenn es etwas zu lernen gibt, dann die Idee der Zurückhaltung, der Beschränkung und des Verzichts auf das «immer mehr». Das tönt zwar moralisch. Aber es ist die Wahrheit.

Schwächt die Lage Ihre Position als Architekten?
Die Vertragsverhandlungen werden härter und aufwändiger. Die Juristen sind lange vor Beginn eines Projekts aktiv, denn die Bauherren wollen sich gegen alles und jeden absichern: Design to Cost, Design to Permit. Wir kriegen nur Geld, wenn unsere Entwürfe machbar, zahlbar und rechtsgültig sind.

Hilft der Name Herzog & de Meuron?
Bei der Auftragserteilung ist unsere Reputation gewichtig, aber bei den Vertragsverhandlungen hilft das wenig. Die Randbedingungen sind zu schwierig geworden.

Warum sind Architekten bezwingbar in Verhandlungen, warum erobern sie keine stärkere Position?
Weil wir Architekten an das Gute glauben — wir sind Weltverbesserer. Es ist zugleich Stärke wie Schwäche des Architekten, so lange zu arbeiten, bis er glaubt, zumindest gemäss eigener Wahrnehmung, das sei nun die optimale Lösung für die gestellte Bauaufgabe. Das ist Autorenarbeit. Sie ist aber in Gefahr. Uns umgeben immer mächtigere Strukturen, die das nicht interessiert. Investoren legen ihr Vermögen in Gebäuden an, damit das Vermögen wächst wie eine Pflanze.

Wie wird die Wirtschaftskrise die Architektur verändern?
Sie führt nicht automatisch zu einer besseren und nachhaltigeren Architektur — aber es werden einfachere und schnörkellosere Konzepte in den Vordergrund treten. Entscheidend ist das Verhältnis zwischen Bauherrschaft und Architekt; das ist unabhängig vom Boom oder der Krise. Architekten, die sich in einem Boom zu viel aufladen, sind nicht seriös — ihnen wird die Krise helfen zu verstehen, dass es sich lohnt, sich auf jede Aufgabe zu konzentrieren.

Aus Büros, die vorwiegend in der Schweiz bauen, hört man noch kaum von Sorgen. Findet die Schweizer Architektur einen Weg um die Krise herum?
Ein bisschen Krise hier wäre gar nicht schlecht — weil wir in der Schweiz dahin tendieren zu glauben, wir seien wegen unserer Tüchtigkeit stets von Krisen verschont. Die Geschichte der Architektur und der Städte ist aber geprägt von Krisen, Zerstörungen und Wandel. Wir können nicht erwarten, dass hier alles stets in geordneten Bahnen verläuft.

hochparterre, Di., 2009.09.08



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17. Juni 2009Rahel Marti
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Weisse Bauten in Rotkreuz

Im Stillen, aber mit lauter Architektur baut Roche Diagnostics ihre Fabriken zum Forschungs- und Dienstleistungzentrum aus. Markiert ist der Standpunkt und Standort mit einem Turm.

Im Stillen, aber mit lauter Architektur baut Roche Diagnostics ihre Fabriken zum Forschungs- und Dienstleistungzentrum aus. Markiert ist der Standpunkt und Standort mit einem Turm.

In Basel liefern sich die Pharmakonzerne Novartis und Roche einen Architekturwettbewerb. Sie engagieren berühmte Büros, die Medien kommentieren jede Etappe. Fast unbemerkt geht dagegen der Ausbau des Roche Diagnostics-Werks in Rotkreuz voran. Dabei erweitert der Konzern seine Fabriken zu einem internationalen Forschungs- und Kundenzentrum.

Seit 2007 entstanden im Gebiet Forren auffallende Bauten und ehrgeizige Projekte. Die Luzerner Architekten Scheitlin-Syfrig   Partner entwarfen das Kundenzentrum und ein Personalrestaurant. Die Aussenräume des neuen Firmenquartiers gestaltet der Landschaftsarchitekt Günther Vogt. Als vorläufigen Höhepunkt planen Burckhardt Partner Architekten einen 67 Meter hohen Büroturm. Damit errichtet Roche ihr erstes Hochhaus in Rotkreuz und nicht in Basel, wo sie das 163 Meter hohe Prestige-Projekt von Herzog & de Meuron stoppte.

Fahren wir also nach Rotkreuz. Vom Bahnhof führt die Industriestrasse Richtung Forren, gesäumt von Gewerbegeblöckle. Nach zehn Minuten enden die Gebäude, genauer gesagt, es beginnen die Baugruben der kommenden. Über Abschrankungen hinweg leuchten der Besucherin zwei schneeweisse Neubauten entgegen, beide überzieht ein wirres Fassadennetz. Sofort ist klar: Da spielt eine höhere Architekturliga.

Die Firma

Der Roche-Konzern ist in zwei Unternehmen oder Divisionen gegliedert: Pharma und Diagnostics. Kurz gesagt: Die Division Diagnostics entwickelt Verfahren und Apparate für den Nachweis von Krankheiten, für deren Behandlung die Division Pharma Medikamente herstellt. Roches Geschichte in Rotkreuz begann 1971, als sie die Pharmafirma Tegimenta kaufte. Diese produzierte unter ihrem Namen weiter im Spickel zwischen den Autobahnen A4 und A14, im Gebiet Forren.

Dort konnte Roche 2006 Grundstücke hinzukaufen und entschied, das Werk für Diagnostics auszubauen. Bald sollen alle Arbeiten an deren Produkten hier stattfinden: Forschung, Produktion, Vermarktung, Schulung, Service. Rotkreuz ist also kein Ableger von Basel, sondern als Zentrum der Division Diagnostics eigenständig und weltweit vernetzt. 1400 Angestellte beschäftigt Roche Diagnostics und ist damit die drittgrösste Arbeitgeberin im Kanton Zug. Die Hälfte kommt aus der Schweiz, dreissig Prozent aus Deutschland, die übrigen aus 36 weiteren Ländern.

Der Masterplan

Für das Roche-Werk heisst das: Zu den Mechanikern stossen Marketingspezialisten, zu den Laboranten stossen Forscherinnen, zu den Magazinern Rechtsanwälte. Höher Gestellte stellen höhere Ansprüche: an den Arbeitsort, an den Arbeitsplatz. Darum hiess Andi Scheitlins und Marc Syfrigs Ziel: «Zwischen zwei Autobahnen in der Industriezone einen Ort schaffen, an den man gern arbeiten geht.» Die Luzerner Architekten hatten für Roche das viel beachtete Tagungszentrum auf der Halbinsel Buonas gebaut siehe HP 6-7 / 02, 12 / 2002. Nun kam der Auftrag, zusammen mit Günther Vogt, das Forrenareal vom Fabrik- in ein weltgewandtes Dienstleistungs- und Arbeitsquartier zu verwandeln.

Dazu setzten sie ein neues Gebäudeensemble vor das alte, vor die Fabriken. Es wird ein Vierklang aus Platz, zwei Quadern und Turm. Der Platz, steinern und 4000 Quadratmeter weit, bringt Luft und, eben, Platz. Ihn frieden die weissen Neubauten ein: das Personalrestaurant und das Kundenzentrum für Schulungen und Büros. Aus dem Platz aufragen wird der 67 Meter hohe Büroturm für 650 Arbeitsplätze der Verwaltung. Zurzeit verschafft er sich anhand seines gigantischen Baugespanns Präsenz.

Eine subtile Landschaftsarchitektur wird das Gelände rahmen. Das Büro Vogt recherchierte: Das Forren, eine leichte Senke, war ursprünglich ein Feuchtigkeitsgebiet und mit dem Zugersee verbunden. Die Landschaftsarchitekten fanden Spuren von Arten aus dieser Zeit, die heute exotisch und üppig anmuten. Diese Baum- und Straucharten sollen auf dem Platz und der Industriestrasse entlang die städtische Atmosphäre kontrastieren. Weil sich das Areal weiter wandeln wird, wollen Vogt Landschaftsarchitekten zudem dessen Ränder mit Baumgruppen betonen.

Noch ist das Forren eine Grossbaustelle. Aber von den Neubauten geht eine offene Stimmung aus. Weiss sind sie aus Roche-Tradition. Otto Rudolf Salvisberg, in den Dreissigerjahren Firmenarchitekt, erfand das Weiss in Basel und setzte es fort in der Welt. Roche rüttelt nicht daran. Sauberkeit, klinische, und Funktionalität verbinden sich damit. Weiss war also Vorgabe, das Spiel damit aber erwünscht.

Produktprinzip in den Fassaden

Die Komplexität der Roche-Produkte, wurde den Architekten gesagt, gründe auf der Wiederholung einfacher Elemente. Dasselbe Prinzip präge ihre Bauten, erklären nun sie. Im Kundenzentrum ist das Bürorastermass von 1,65 Metern dieser wiederholte Keim. Es rhythmisiert Schulungsräume, Multispacebüros und es diktiert die Fassade: Fensterhöhen und -breiten entsprechen Bruchteilen von 1,65 Metern. Die Architekten reihten drei solcher Fensterformate aneinander und stapelten diese Felder.

Das Personalrestaurant ist geprägt durch sein inneres Betonfachwerk, eine schräge und geknickte statische Struktur. Deren Formen ergaben sich pragmatisch: Die maximalen Schrägen sind begrenzt durch die vertikalen Markisen, die jedes Fenster verdecken, aber nicht überlappen. Das Fachwerk trägt die markante Auskragung des Gebäudes ab. Die «formale Schein-Komplexität», so die Architekten, habe sich also aus der technischen Umsetzung der über dem Eingang gewünschten Auskragung ergeben. Wer genau hinschaut, entdeckt auch hier regelmässige, sich wiederholende Felder — das Wirre hat einen Schlüssel, gehorcht einer Ordnung.
Was irritiert: Beide Fassaden sind geschosslos, kantig, wild und weiss — aber nicht ähnlich, ihre Muster haben nichts gemein. Doch wäre es ein spannendes Spiel gewesen, das eine aus dem anderen zu entwickeln. Nun wirken die Bauten verwandt, ohne es zu sein, wie ein nicht eingelöstes Versprechen. Vielleicht war dafür zuwenig Zeit. Das enorme Bautempo forderte die Architekten. Für das Personalzentrum lagen nur drei Monate Planung und zwölf Monate Bauzeit drin. Das Kundenzentrum wuchs bei rollender Planung von 12 auf gut 50 Millionen Franken Bausumme, was das zusammengesetzt wirkende Volumen erklärt.

Die Wirkung

Warum die Netzfassaden? Aussicht lohne sich wenig im Industriegebiet, entschieden Scheitlin-Syfrig, es brauche spannende Innenräume. Tatsächlich sind die Netze von innen noch präsenter. In den Grossraumbüros des Kundenzentrums sind die einzelnen Fenster zwar gewöhnlich gross, erzeugen über die Raumlänge aber eine kleinteilige Ansicht. Im Personalzentrum wirken die aufgelösten Wände und Decken unruhig, da und dort aber auch gitterhaft. In beiden Gebäuden zeigt sich: Die Wirkung des Wirren ist schwierig zu kontrollieren und nicht überall gelungen. Vielleicht aber regen die Schrägen die Köche, die im Personalzentrum ebenfalls hinter Netz arbeiten, zu Abenteuern an — ein Vorteil für Roche Diagnostics, denn am Ende zählt nur das Essen für die Mitarbeitenden, sagt man der Besucherin. Doch sind diese offenbar zufrieden in den Neubauten und die Verantwortlichen davon begeistert.

Der Vergleich

Roche Diagnostics investiert über 200 Millionen Franken in den Ausbau von Rotkreuz. Der Vergleich mit dem Novartis Campus in Basel drängt sich auf. Doch er lässt Jürg Erismann, den Site Manager, kalt: «Mit rund 1400 Beschäftigten ist der Standort wesentlich kleiner und hat auch andere Funktionen zu erfüllen als der Novartis Campus.» Roches architektonischer Anspruch sei hoch, ziele aber auf andere Werte. «Die Architektur steht nicht im Vordergrund, sondern ist ein Mittel zum Zweck. Die Bauten müssen funktional und hochwertig sein, aber nicht zu jedem Preis.» Roche wolle keine Exklusivstimmung, den Mitarbeitern solle bewusst sein, woran sie arbeiteten — an Produkten und Dienstleistungen für die Gesundheit. Die Roche-Unternehmenskultur ist bodenständiger als jene der Novartis. Interessant auch: Novartis spricht nicht über Baukosten, Roche dagegen gab sie zu jedem Bau bekannt.

Das Hochhaus

Zum Abschluss steht die Besucherin an der Baustelle des Turms. In die Höhe baut Roche, weil der Platz im Forren sonst zu knapp wäre. Fünf renommierte Büros erhielten einen Studienauftrag: Miller Maranta, Bétrix Consolascio, Daniele Marques, Scheitlin-Syfrig und Burckhardt   Partner. Hier war nun nichts Auffälliges erwünscht, denn das Hochhaus würde sich der Bauform wegen markant genug zeigen. Den Zuschlag erhielt das wenig überraschende Projekt von Burckhardt   Partner, weil es in die zurückhaltende Roche-Architekturtradition passe.

Während Scheitlin-Syfrig Aussichtsfenster vermeiden, planen Burckhard  Partner ein Glashaus. Aus den oberen Stockwerken werde man den Zugersee sehen. Auch soll das Haus Transparenz vermitteln. Sie tüfteln an einer ausgeklügelten, energetisch sparsamen Haustechnik und einem neuen Fassadensystem. Aber das Bild täuscht: Bei Sonne wird stets ein Teil der Fassaden mit Lamellen geschlossen sein. Auch wenn diese fein und perforiert sind, die Stimmung auf dem Platz könnte dies stören.

Der Cluster

Wieder zurück im Industriegebiet. Roche Diagnostics öffnet sich der internationalen Forschungswelt und wendet viel Geld auf für einen guten Arbeitsort. Aber das Areal ist eine Enklave in Rotkreuz, eine seltsame Situation. Warum den guten Anfang nicht zum Cluster ausbauen? Die entsprechenden Unternehmen wären in der Region. Als ihr Cluster könnte sich der Gewerbebandwurm zu einem ansprechenden und besonderen Arbeitsgebiet mausern.


Kommentar: Hochäuser om Zugerland

2002 kam die Studie «Hochhäuser im Kanton Zug — ein Grundsatzpapier» zum Schluss: Häuser über 25 Meter sind in zwei Gebieten landschafts- und siedlungsverträglich. An der Baarer- /Zugerstrasse im Zuger Zentrum und im Autobahndreieck von Rotkreuz. Dieses Gebiet liege attraktiv an der Autobahn und in einer spannenden Landschaftskulisse. Als städtebauliche Aufwertung des Industriegebiets sei ein Hochhaus mit Platz denkbar. Der Roche-Turm entspricht dem weitgehend.

Die Studie floss 2002 in die Richtplanrevision ein. Dort stand auch: Hochhäuser bedingen einen Bebauungsplan und Varianten aus Konkurrenzverfahren. Das Parlament aber zerzauste die Vorlage. Statt Konkurrenzverfahren steht im 2004 genehmigten Richtplan nur «Varianten» — diese können vom selben Architekten stammen. Und statt der zwei Gebiete dehnte das Parlament die Hochhauszone auf den «Teilraum 1» aus, der Oberwil, Zug, Baar, Steinhausen, Cham, Hünenberg und Rotkreuz zu weiten Teilen umfasst. Für diese Ausdehnung stark gemacht hatte sich auch die Architekten-Lobby. Hochhäuser in Gruppen sind sinnvoller als Einzeltürme – raum- und verkehrsplanerisch, für das Siedlungs- und das Landschaftsbild. Doch der Kanton verpasste es, die Entwicklung zu lenken. Weil im Niedrigsteuergebiet der Boden knapp wird, klopfen immer mehr Investoren mit Hochhausprojekten an. Die Folge werden über den Teilraum 1 verstreute Einzeltürme sein. Die planerische Vorarbeit war für die Katz. Von wenig Charakter zeugt, dass Architekten gegen die Beschränkung waren. Aber der Traum lockt halt, einmal den eigenen Turm bauen zu können. Und raumplanerisch falsch stehen ja immer nur die anderen.

hochparterre, Mi., 2009.06.17



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17. Juni 2009Rahel Marti
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Diskussion ums Podium

In Andermatt ging das erste Baugesuch ein: Als Fundament für das Resort dient ein mächtiger Garagen- und Technikbau.

In Andermatt ging das erste Baugesuch ein: Als Fundament für das Resort dient ein mächtiger Garagen- und Technikbau.

Der Betonbau wird die Ebene zwischen der Reuss und der Kantonsstrasse beinahe ausfüllen. Rund 300 Meter lang und 230 Meter breit soll das Podium werden, durchschnittlich 8,70 Meter hoch und zweigeschossig bis auf die Gassen für die Lastwagen. Im unteren Geschoss werden rund 900 Parkplätze sowie die gesamte Anlieferung untergebracht, im oberen die Haustechnik und Infrastrukturen, die Logistik, Lager für die Läden, Keller und andere Nebenräume, dazu die Energieversorgung und -aufbereitung der darauf stehenden Häuser. Die Grundfläche dieses imposanten Podiums soll rund 40 300 Quadratmeter betragen — mehr als fünf Fussballplätze.

Podium? Ein anmutiger Name für ein mächtiges Bauwerk. Zu den Baukosten kursieren Schätzungen. Erst war von 700 Millionen Franken die Rede, dann sei der Bau verkleinert worden, jetzt hört man von 400 Millionen Franken. Die Bauherrschaft, die Andermatt Alpine Destination Company AADC, gibt «grundsätzlich» keine Kosten bekannt; sie spricht von einem «zweistelligen Millionenbetrag», womit offen bleibt, ob das eher 10 oder eher 99 heisst.

Das Podium knackt für die AADC gleich mehrere Probleme. Erstens verschluckt es die Technik, die Anlieferungen, die Lager und die parkierten Autos. So wird zweitens das Resort obendrauf autofrei, kann Ferienstimmung zelebrieren. Drittens ist es komfortabel: Die Gäste fahren im Auto nach unten ins Parking und im Lift nach oben ins Haus — im Poloshirt von der eigenen bis in die Ferienwohnung. Und viertens schützt das Podium vor Katastrophen: Führt die Reuss Hochwasser — auch ein starkes, nur alle 100 Jahre auftretendes —, flutet sie die Stockwerke des Podiums, während das Dorf darauf trocken bleibt. Kurz: ohne das Podium kein Resort in Andermatt.

Der erste Schritt 

«Das Podium», dies schreibt die AADC, «ist der erste Ort des Besucherkontakts. Deshalb ist eine erhöhte architektonische Gestaltung erwünscht.» Visualisierungen von Itten   Brechbühl, den Generalplanern, zeigen Hallen in veredeltem Beton und kühlem Weiss. Ursprünglich hatten die Architekten der Appartementhäuser am Podium gearbeitet, das Altdorfer Büro Germann   Achermann, seit Beginn dabei, bearbeitete das Podium für die Quartiergestaltungspläne. Anschliessend wurden, so Raymond Cron, Europa-Chef der Orascom, die Generalplanerleistungen ausgeschrieben und Itten  Brechbühl erhielten den Zuschlag. Germann  Achermann planen dafür die Ausführung des Luxushotels auf dem Bellevue-Areal. Itten   Brechbühl arbeiteten den Nutzbau durch. Darauf mussten die Häuser-Architekten ihre Grundrisse den von unten heraufstossenden Liften und Treppen anpassen; dies ergab zwar teils unerklärliche Schrägen, doch die Wohnungsgrundrisse dürften nach dem Verkauf der Projekte sowieso weiter ändern. Vom Parkplatz werden die Gäste über allgemein zugängliche Treppenhäuser und Lifte in die Erdgeschosse der Häuser und Hotels gelangen; von dort führen an anderen Stellen private Treppen und Lifte weiter. Das heisst: Direkte Verbindungen der Ober- und der Unterwelt gibt es keine, auch nicht im Aussenraum. Ist der Gast einmal oben, soll er das Podium vergessen.

Ohne Wahl

Die AADC hat nie einen Hehl aus dem Podium gemacht. Aber bis jetzt nahm kaum jemand Notiz davon. Pro Natura Uri vereinbarte mit Samih Sawiris Auflagen zum Golfplatz und zur Villenzone — vom Podium ist nicht die Rede. Im Bericht zu den Quartiergestaltungsplänen kommt das Podium nur zweimal vor, einmal geht es um den Hochwasserschutz, einmal um Parkplätze. Selbst nach der grossen Medienkonferenz vom 22. April las man über das Podium nur, es solle nun gebaut werden.
Das ist erstaunlich. Denn das Podium ist die Achillesferse des Resorts. Es stellt Samih Sawiris, den Investoren und Chef der AADC, vor eine Nicht-Wahl. Entweder, die AADC baut das Podium etappenweise. So kann sie die jeweils hinzustossenden Hotelbetreiber und Wohnungskäufer finanziell beteiligen. Das bedeutet aber eine jahrelange Baustelle — unmöglich für ein Feriendorf. Oder die AADC baut das Podium gleich zu Beginn ganz und schiesst das Geld dafür vor — ohne zu wissen, wie viele Wohnungen und Villen sie verkaufen kann, wie hoch ihre Erträge werden. Kurz: Das Podium ist ästhetisch und finanziell riskant. Aber unerlässlich.

Sawiris entschied: «Wir bauen das Podium gleich und ganz.» Und ergänzte locker: «Wenn wir keine Wohnungen verkaufen, wird der Garten eben grösser.» Zwei Tage nach der Medienkonferenz reichte die AADC das Baugesuch ein. Wie sie das Podium vorfinanzieren will, sagt sie nicht. Was bedeutet der Entscheid? Thomas Bieger ist Professor für Tourismuswirtschaft an der Universität St. Gallen und Resortexperte. Er erklärt: «Wenn zuerst unrentable Teile wie das Podium erstellt werden, müssen diese vorfinanziert werden. Das Geschäftsmodell funktioniert aber nur dann, wenn möglichst bald rentable Bereiche wie Wohnungen und Villen gebaut, damit Verkaufserlöse erzielt und die Auslastung der Infrastrukturen gesichert werden können.» Der Verkauf müsse innert eines nicht zu langen Zeitraums eine kritische Masse erreichen — sonst gerate das Finanzierungsmodell ins Wanken. Ob dies gelingt, hängt allein von externen Bedingungen ab — von der Wirtschaft und der Immobiliennachfrage in Schweizer Bergresorts. «Wie gut der Verkauf laufen wird, ist offen», sagt Bieger, «wegen der gegenwärtig schlechten Wirtschaftslage könnte es einige Zeit dauern.»

Garten alias Infrastruktur

Wann also bauen? Zwar betont Sawiris: «Gebaut wird nur, was verkauft ist.» Aber Grösse, so Thomas Bieger, ist eine Erfolgsbedindung: «Ein Resort braucht eine kritische Masse an Freizeitangeboten, an Wohnungen und an Gästen. Nur dann stimmt die Atmosphäre, nur dann funktioniert es.» Aus demselben Grund sind sichtbare Zeichen für ein Projekt der Superlative wie Andermatt nötig. Andernfalls schwindet das Vertrauen der Käufer, die Glaubwürdigkeit des Investoren und irgendwann ist die Luft draussen. Zwar liegt die Vermutung nahe, dass Sawiris die Millionen für das Podium erst vorschiesst, wenn er sein Geld zurückfliessen sieht. Aber die Abhängigkeiten könnten ihn zwingen loszulegen. Seine Garten-Bemerkung deutet darauf hin. Wenn das Podium und die ersten Häuser stehen und dann lange nichts mehr geht, soll die Plattform zum Garten werden.

Garten — wieder ein anmutiger Name. Thomas Bieger ist trockener: «Es gibt in jedem Land Beispiele von Resortprojekten, die nicht über den Bau der Infrastrukturen hinausgekommen sind.» Was, wenn der Bau oder der Resortbetrieb aus wirtschaftlichen Gründen gestoppt wird? Müssen dann die Andermatter auf der Militärbrache noch eine Ruine ertragen? Klar ist: Diesen Fall regeln die Bau- und Zonenordnung Andermatts BZO sowie der Infrastrukturvertrag zwischen dem Kanton und der AADC. So kann die AADC etwa den Golfplatz erst bauen, wenn sie «die integrale Realisierung» des Resorts «sichergestellt» hat. «Integral» bedeutet: Zwei Hotels, das Sportzentrum mit öffentlichem Hallenbad, Parkplätze und Verbindungen zwischen Resortbereichen. Zudem muss die AADC den Golfplatz rückbauen, sollte er fünf Jahre lang nicht genutzt werden. Was aber ist mit dem Podium und dem Resortdorf? Und was bedeutet «sichergestellt»? Auch diese Fragen regeln die Verträge -— aber der Kanton und die AADC halten diese Klauseln vertraulich. Offenbar gehen sie für Samih Sawiris aussergewöhnlich weit und er will vermeiden, bei weiteren Projekten gleich damit konfrontiert zu sein.


Kommentar: Wie steht es um Sawiris' architektonischen Anspruch?

Das Podium ist die Achillesferse des Resorts. Samih Sawiris muss es vorfinanzieren in einer wirtschaftlichen Lage, in der Erträge kaum vorauszuberechnen sind. Das Podium ist aber auch ein architektonischer Massstab: Es zeigt, wie der Investor als Bauherr tickt. Bisher schenkte er dem architektonischen Anspruch viel Gehör: Wettbewerbe, gute Architekten. Beim Podium kommt nun der knallharte Rechner hervor. Statt die Gestaltung den Resort-Architekten anzuvertrauen, zog er Generalplaner bei, um den Infrastrukturbau als solchen zu behandeln. Die Bilder zeigen eine kühl-elegante, aber austauschbare Tiefgarage — das gestalterische Gegenteil des aufwendig entwickelten, von örtlichen und regionalen Baumustern geprägten Resortdorfs obendrauf. Damit haben es die AADC und Sawiris verpasst, aus dem Unten und Oben eine Gesamtwelt zu schaffen. Eine, in der man seine Bergferien nicht in einer auswechselbaren Garage beginnt, sondern in der Atmosphäre des neuen Andermatt.

Die Architekten der Appartementhäuser haben Vorprojekte ausgearbeitet und geben sie der AADC in Kürze ab. Damit enden ihre Verträge. Und es kann sein, dass es das für sie war. Üblicher ist es, Bauprojekte zu verkaufen, Sawiris aber verkauft Vorprojekte, die der Käufer stark anpassen kann. Die Quartiergestaltungspläne enthalten zwar Richttexte und -skizzen zur Architektur. Entscheidend aber ist, wer schlussendlich baut, ob mit den ursprünglichen Architekten und mit welchen Qualitätsansprüchen. Darum ist es offen, wie das Resortdorf einst aussieht. Der Verlauf der Podiums-Planung verspricht jedenfalls wenig Spiel für Überdurchschnittliches.

hochparterre, Mi., 2009.06.17



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Presseschau 12

30. Juni 2010Rahel Marti
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Andermatt wird wahrer

Zwischen 1,22 und 3,55 Millionen Franken kostet eine Wohnung im Tourismus Resort Andermatt. Im April eröffnete der Unternehmer Samih Sawiris einen Verkaufspavillon...

Zwischen 1,22 und 3,55 Millionen Franken kostet eine Wohnung im Tourismus Resort Andermatt. Im April eröffnete der Unternehmer Samih Sawiris einen Verkaufspavillon...

Zwischen 1,22 und 3,55 Millionen Franken kostet eine Wohnung im Tourismus Resort Andermatt. Im April eröffnete der Unternehmer Samih Sawiris einen Verkaufspavillon nahe der Bahnhofstrasse in Zürich. Als er darauf zuschritt, kritisierte er sofort die dezente Beschriftung: «Das müssen wir ändern!» Und als er beim Betreten über eine Schwelle stolperte, ergänzte er: «Und das auch.» Seit 2005 treibt Sawiris das Projekt mit seiner bestechenden Mischung aus Charme und Kalkül voran. Zunächst werbe er für die Wohnungen vor allem im Inland: Schweizer evaluierten länger als andere, er wolle vermeiden, dass sie sich erst entschlössen, wenn die besten Stücke fort seien. An Schweizer Käufern muss Sawiris aber auch liegen, weil nur sie spontan kommen und das Resort regelmässig beleben können.

Unter dem Slogan «Noble by Nature» setzt Sawiris Preise von durchschnittlich 15 500 Franken pro Quadratmeter Wohnfläche an. Das entspricht gehobenen Stadtzürcher Quartieren -— kann das im Urserental gut gehen? «Ja, denn akzeptable Zweitwohnungen erhält man kaum noch günstiger», erklärt Marco Feusi, Experte bei den Immobilienberatern Wüest & Partner. Auf der Lenzerheide, in Flims oder Grindelwald zahle man ähnlich viel, im Oberengadin, Gstaad und Verbier mehr. Ein Stück Schweiz zähle im Ausland noch immer, die Realisierungschancen stünden gut, so Feusi. Der Verkaufsstart kommt doppelt richtig: Die Wirtschaftskrise ist verflogen und während andere Regionen den Bau von Zweitwohnungen beschränken, bringt Sawiris 500 Wohnungen auf den Markt, alle Lex Koller-befreit. «Wertsteigerungen auf Preise bis zu 30 000 Franken pro Quadratmeter sind möglich», schätzt Marco Feusi. Der Kauf sei aber eine Art Wette, weil die Infrastruktur noch stark ausgebaut werden müsse.

Harte Honorarverhandlungen 

Noch immer preisen die Prospekte «über dreissig Schweizer und internationale Architekturbüros» an, die «jedes Haus individuell planen». Die meisten haben aber seit einem Jahr nicht mehr daran gearbeitet, sie müssen den Wohnungsverkauf abwarten. Die Andermatt Swiss Alps ASA habe Kostenvoranschläge zu niedrigstem Honorar verlangt, wogegen sich einige Büros wehrten. Skeptische machen nun die Weiterarbeit vom Honorar abhängig, Zuversichtliche führen an, die ASA habe SIA-Tarife in Aussicht gestellt. Die Ausführung soll mit Generalunternehmungen und Architekten als gestalterische Leiter erfolgen.

Sawiris gebührt Anerkennung: Er führte Wettbewerbe durch, holte gute Büros. Aber das Resort ist kein Liebhaber-, sondern ein Renditeprojekt. Sein Auftritt im Zürcher Verkaufsraum war auch dafür bezeichnend: Auf das Dorfmodell blickend, schien ihm die Bebauung zu dicht. Er rief seine Mitarbeiter und bestimmte Häuser, die niedriger werden sollten, um den Nachbarbauten mehr Licht und Aussicht zu gewähren. Lieber hier weniger, dort dafür umso mehr verdienen. So arbeitet Sawiris: Spontan und immer. Für die Abstimmung mit dem städtebaulichen Konzept bleibt da keine Zeit.

Trotzdem: Stimmt die Bauqualität, kann das Feriendorf mit seiner hohen baulichen Dichte und formalen Expressivität einiger Häuser noch immer zu eigenständiger und überzeugender Tourismusarchitektur werden.

Diese Chance ist beim Luxushotel The Chedi vertan. Als einziger Bau des Resorts ist es im bestehenden Dorf geplant. Die Visualisierungen zeigen ein gutes Dutzend gleichartige, bis zu 34 Meter hohe Häuser: Eine Art aufgeblasene Hütten mit Steilgiebeln, grossen Vordächern, langen Fensterschlitzen und dürftiger Holzlattung. Für das im Inventar schützenswerter Ortsbilder der Schweiz ISOS verzeichnete Andermatt eine Bedrohung. Das Chedi entwarfen, wie den ersten Resortplan, Denniston Architects aus Kuala Lumpur. Deren Chefarchitekt Jean-Michel Gathy, ein Freund von Sawiris, gilt als Crack der internationalisierten Luxushotelarchitektur — entsprechend bleibt es hier bei gröbsten Klischees von «Alpine Chic». Da der Heimatschutz gegen die Baubewilligung intervenierte, willigte die ASA ein, die Pläne überarbeiten zu lassen, begleitet von einer Fachgruppe unter der Leitung des Urner Denkmalpflegers Edi Müller. Im Gegenzug stimmte der Heimatschutz der Rahmenbewilligung des Projekts im Massstab 1:200 zu. Ende Mai wurden die neuen Pläne eingereicht (nach Redaktionsschluss). Zu vermuten ist, dass die Überarbeitung kaum mehr als Kosmetik gebracht hat. Das Projekt ist bewilligt, die Ausnutzung im Quartierplan sanktioniert. Das Chedi wird überwiegend mit bedienten Zweitwohnungen zu Quadratmeterpreisen bis 22 000 Franken betrieben. Dass die Top-Kette ihr erstes europäisches Hotel in Andermatt baut, gilt als Coup von Sawiris. Chedi und Golfplatz sollen zuerst gebaut und 2013 eröffnet werden, als Nukleus, der auch ohne das übrige Resort funktioniert.

Gewaltiger Ausbau

Während der Verkauf erster Wohnungen anläuft, laboriert die ASA am Ausbau der Infrastruktur. Überraschend will sie das Betonpodium unter dem Resort siehe HP 6-7 / 09 statt zwei- nur eingeschossig bauen. So werde der Bau statisch einfacher und günstiger, zudem liege dann nur ein Fünftel im Grundwasser. Noch immer sind 900 Parkplätze geplant, dafür kleinere Lager- und Erschliessungsräume.

Derweil bahnt sich ein zweiter gigantischer Ausbauschritt an: Im Herbst soll die Richtplananpassung eingereicht werden für die Erweiterung des Skigebiets Nätschen bis zum Oberalppass, um Andermatt und Sedrun zu verbinden. Dafür wird ein ganzes Tal neu bebaut. Ein ähnliches Projekt zwischen der Melchsee-Frutt und Engelberg wird bekämpft, hier nimmt es die Öffentlichkeit einfach zur Kenntnis. Die Traversierung erfordert sieben neue Lifte, mindestens ein Restaurant sowie den Umbau eines Sees zum Speicherbecken für Schneekanonen, denn die Hänge sind südorientiert und rasch aper. Für Landschaft und Energieverbrauch ein fragwürdiger Ausbau — aber auch skitechnisch: Wie attraktiv ist eine kilometerlange Traversierung nach Sedrun? Doch für die ASA zählt: mehr Lifte, bessere Werbung. Die Natur- und Landschaftsschutzorganisationen begleiten den Ausbau zwar, aber mit gebundenen Händen: Da das Gebiet nicht geschützt ist, haben sie keine Einspracheberechtigung.


Kommentar: Mittragen, mitreden
Damit sein Vorhaben rentiert, ist Samih Sawiris auf eine kritische Grösse angewiesen, ob bei der Anzahl Ferienwohnungen oder neuer Skilifte. Wer das Projekt mitträgt, hat es darum schwierig, die Ausbaupläne zu beschränken. Und mitgetragen wird es von ganz oben: Der Bundesrat genehmigt die Lex Koller-Ausnahme ebenso wie die Richtplananpassungen. Pläne wie für das Hotel Chedi oder das neue Skital zeigen nun immer deutlicher, wie umfassend das Resort das Urserental verändern wird und wie weit die Zugeständnisse an Sawiris gehen. Mittragen reicht darum nicht. Andermatt braucht weiterhin auch das kritische Mitreden von Behörden und Verbänden, Schritt für Schritt. Rahel Marti

hochparterre, Mi., 2010.06.30



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15. April 2010Rahel Marti
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Kniefall vor dem Hochhaus

Die Diskussion über den 180 Meter hohen Turm der Roche fällt Basel schwer.

Die Diskussion über den 180 Meter hohen Turm der Roche fällt Basel schwer.

Schon einmal planten Herzog & de Meuron für den Pharmakonzern Roche ein Hochhaus: 154 Meter hoch und auffällig geformt wie eine Doppelhelix. Dieser «Bau 1» hätte auf dem Südteil des Roche-Areals an der Basler Grenzacherstrasse entstehen sollen. Weil das Raumprogramm nicht genügte, begrub Roche den «Bau 1» aber Ende 2008. und liess ihn Ende 2009 auferstehen: Am selben Ort, aber mit 175 Metern noch höher. Im März reichte Roche den Bebauungsplan für das Projekt ein, der gar 180 Meter zulässt siehe «Der Bebauungsplan». In den ersten Etagen liegen Foyers, Restaurant und Auditorium, darüber Büros. Wieder sind Herzog & de Meuron die Architekten. 180 Meter sind ein massiver Höhensprung für Basel: Fast das Doppelte des 105 Meter hohen Messeturms, des bisher höchsten Baus, 100 Meter höher als die Türme der Sechziger- und Siebzigerjahre, das Zehnfache des durchschnittlichen Stadtkörpers. Roche begründet die Höhe funktional: Sie ergebe sich aufgrund der 1900 neuen Arbeitsplätze, die es auf dem Areal brauche, um bisher verteilte Mitarbeiter zu konzentrieren; ein Einzelturm sei dafür die funktional beste Lösung. Städtebaulich wird die Höhe nicht thematisiert. dies spiegelt die Architektur: die Stapelung von Geschosspaketen soll die Horizontale betonen und damit die Höhe optisch drücken. Wie mächtig der Turm aufstrebt, zeigt sich aber am «Bau 52» von Roland Rohn: Er wirkt trotz 62 Metern Höhe wie ein davor gestellter Dominostein; der Abstand beträgt nur fünf Meter. Der Innenstadt dreht der Turm zwar die schmalere Seite zu, doch sieht man ihn aus der Stadt meist über Eck, also breiter. Vom Rheinufer gegenüber aus ragt er als gewaltiger Stapel auf.

Gespiegelte Macht

«Sind 175 Meter zu hoch für Basel?», fragte Hochparterre zwei Basler Architekten siehe HP 03 / 10. Meinrad Morger findet die Höhe vertretbar, denn das Areal liege ausserhalb der Innenstadt und die Distanz zum historischen Münsterhügel sei gross genug. Ingemar Vollenweider ist anderer Meinung: «Aufgrund der gebogenen Stadtanlage am Rhein wäre der Turm immer von überall sichtbar. Darf ein einziges Haus das Wesen der Stadt so verändern, spiegelt dies die Machtverhältnisse: Nur Novartis und Roche können die Stadt derart prägen. Basel setzt aber seine Identität aufs Spiel, wenn es die Realität des globalen Markts so direkt abbildet.» Im selben Sinn meldet sich Carl Fingerhuth zu Wort. Er war von 1979 bis 1992 Basler Kantonsbaumeister und äusserte sich seither nicht mehr zu Basel, doch das Roche-Projekt bewog ihn zu einem Leserbrief. Anscheinend habe ein Bauherr einen Anspruch darauf, sein Raumbedürfnis in unbeschränkter Höhe zu realisieren und habe das Projekt ein berühmter Architekt gezeichnet, sei es heilig gesprochen siehe Kommentar. Fingerhuth kritisiert auch die Fachverbände, die sich nicht zum Projekt äusserten. Tatsächlich wollten weder die Basler SIA-Sektion noch die Basler Ortsgruppe des BSA Stellung nehmen. Das Roche-Hochhaus sei politisch und baurechtlich nicht umstritten, begründet Alfred Hersberger, Präsident des SIA Basel.

Man habe zurzeit andere Prioritäten, etwa die Zonenplanrevision. In deren Rahmen sei aber die Diskussion darüber notwendig, wo, wie viele und wie hohe türme Basel vertrage. Der BSA Basel will mit einer Stellungnahme warten bis zur Mitgliederversammlung im April, für die geplant ist, das Projekt mit den Architekten und dem Kanton zu diskutieren. Schon über die Doppelhelix debattierten die Fachverbände kaum, obwohl der Höhensprung ähnlich gewesen wäre. Was erschwert die Diskussion? Im Gespräch mit Architektinnen und Architekten festigt sich der Eindruck, die Wirtschaftsmächte färbten auf sie ab. Viele erhoffen sich ein Stück vom riesigen Auftragskuchen und wollen dies nicht mit Kritik gefährden; auch bei diesem Artikel zog ein Architekt seine Aussagen deswegen zurück. Man fürchtet auch dazustehen, als vergönne man Herzog & de Meuron den Erfolg. Dazu kommt das Prellbock-Syndrom: Könnte ein Vorhaben umstritten sein, engagieren Auftraggeber berühmte Architekten, um die Qualitätsdiskussion im Vornherein zu unterdrücken. Ein weltweites Phänomen; an dieses Vorgehen erinnerten in Basel neben dem Roche-Turm auch die Projekte von Herzog & de Meuron für die Messe oder für das Museum der Kulturen.

Hochhauskonzept verlangt

Ist Städtebau in Basel also die Sache von Novartis, Roche, der Messe und Herzog & de Meuron? Esther Weber Lehner, Basler SP-Grossrätin, wägt ab: «Das Basler Stadtgebiet ist eng begrenzt. Wenn wir wollen, dass sich Firmen hier trotzdem entwickeln können, sollten wir ihnen wenn immer möglich nicht im Weg stehen.» Ob das Roche-Hochhaus städtebaulich verträglich sei, müsse aber diskutiert werden. Der richtige Zeitpunkt dafür komme, wenn der Bebauungsplan in der Bau- und Raumplanungskommission BRK behandelt und dann dem Parlament vorgelegt werde. Weber, Mitglied der BRK, hatte 2009 mit weiteren Grossräten eine Anfrage an den Regierungsrat eingereicht, ein Hochhaus-Konzept zu erarbeiten siehe «Hochhäuser in Basel». Denn «bestehende und geplante Hochhäuser scheinen eher zufällig über die Stadt verstreut, den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit und der einzelnen Bauherren entsprechend. » Es sei grundsätzlich zu überlegen, welche Stadtgebiete sich als Hochhauszonen eignen, damit die Entwicklung Basels nicht unkoordiniert durch weitere Hochbauten erfolge.

Hochbauten sollten eher in Gruppen denn als Einzelwerke im Stadtbild erscheinen. Fehlt eine wichtige Stimme: Kantonsbaumeister Fritz Schumacher. Er hält die 180 Meter für möglich, weil der Turm im Zusammenhang eines Areals stehe, einer Stadt in der Stadt. Die Gebiete von Roche und Novartis bildeten gewachsene Ausnahmesituationen und den städtebaulichen Ausdruck dessen, dass die Chemie wirtschaftlich lebenswichtig sei für Basel. Zudem: «die Projektstudien ergaben, dass ein Einzelturm weniger markant wirkt als etwa eine Serie von 100-Meter-türmen.» 180 Meter dürften nicht zur Referenz für Kommendes werden, aber: «Höher und dichter zu bauen, ist die Aufgabe der Zukunft in europäischen Städten.» architektonisch bemängelt Schumacher nichts; wichtig sei, dass der Turm zurückversetzt vom Rhein stehe, das mildere seine Wirkung auf die Stadt. Inzwischen existiert das Hochhaus-Konzept, der Kanton will es als Teilrevision des Richtplans im Herbst öffentlich auflegen. Das Projekt für den «Bau 1», obwohl später begonnen, liegt aber bereits vor. Aufgrund seiner singulären Höhe wird er als Einzelobjekt erscheinen, genau was die Grossräte verhindern wollten. Zuerst das Projekt, dann das Konzept — die verkehrte Reihenfolge. Kantonsbaumeister Schumacher widerspricht: «Über eine ähnliche Höhe diskutierten wir beim ersten Roche-Projekt. Das floss ins Konzept ein, der neue Turm widerspricht ihm darum nicht. Er schafft auch kein Präjudiz, weil diese Höhe die Ausnahme bleibt.»

Und die Architekten?

Ist die Diskussion damit zu Ende? Nein, das bestätigt selbst die Reaktion von Herzog & de Meuron auf die bisher geäusserte Kritik: «Es ist nur logisch, dass ein solches Projekt kontrovers diskutiert wird — das sollte es auch.» Man habe das Projekt ausführlich erklärt und begründet, mehr könne man im Moment nicht sagen. In der weiteren Planung werde man aber sicher vertiefte Überlegungen zur architektonischen, räumlichen und städtebaulichen Konzeption präsentieren. «Wir sind uns der Verantwortung eines Projekts, das eine Stadt nachhaltig prägt, sehr bewusst und bereit, die architektonischen und städtebaulichen Herausforderungen anzunehmen. Es bewegt sich viel in Basel. Einige Hoch-Häuser werden gebaut. Dass dazu aus Fachkreisen und der Bevölkerung verschiedene Meinungen kommen, können wir sehr gut respektieren, besonders natürlich, wenn es sich um differenzierte Äußerungen handelt.» der Turm wird Basel markant verändern. Genügt dafür die Architektur? Ist die Höhenentwicklung erwünscht und wohin führt sie? Würde dies nicht öffentlich diskutiert, wäre es für Basel ein Armutszeugnis. Vom Grossen Rat sind angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse kaum kontroverse Meinungen zu erwarten. Umso mehr sind die Architektinnen und Architekten, die Fachverbände als Experten gefragt. Herzog & de Meuron zeigen sich gesprächsbereit und offen sollte auch die Roche sein als Konzern, der der Stadt viel gibt, aber noch mehr von ihr erhält.

Der Bebauungsplan

Die Grenzacherstrasse trennt das Roche-Areal in einen Nord- und einen Südteil. Der Südteil umfasst neu drei Baufelder. Auf Baufeld 1 liegt der «Bau 1», der künftige Turm. Teil 2 bildet der Gebäudekamm am Rhein, der «frühestens 2025» einer Freifläche weichen soll, wozu wieder ein Bebauungsplan nötig ist. Teil 3, der Direktionstrakt von Salvisberg, soll stehen bleiben. Roche will weitere erhaltenswerte Gebäude inventarisieren, darunter den «Bau 52» von Roland Rohn. Der Bebauungsplan für den «Bau1» lag im März öffentlich auf und gelangt nun in Kommission und Parlament. Er erlaubt 180 m Höhe und 77 000 m©˜ oberirdische Bruttogeschossfläche.

Hochhäuser in Basel

Bisher gab es kein Leitbild. Im rahmen der Zonenplanrevision erarbeitet das Hochbau- und Planungsamt jetzt einen Teilrichtplan Hochhäuser. Er soll noch dieses Jahr öffentlich aufliegen. Basis dafür ist das Hochhauskonzept, welches das Amt 2009 der Fachwelt vorstellte. Der kantonale Richtplan enthält ein Objektblatt zu Hochhäusern. Dessen Karte weist geeignete Hochhausgebiete aus, darunter das Roche-Areal und zwei Teilbereiche des Novartiscampus. Die Karte des Teilrichtplans Hochhäuser wird sich davon nicht wesentlich unterscheiden. > www.richtplan.bs.ch


Kommentar GEWALTTÄTIG UND RESPEKTLOS
Ein Leserbrief zu «sind 175 Meter zu hoch für Basel?» in Hochparterre 03 / 2010
Meines Wissens war dies der erste kritische Beitrag zu diesem Projekt, das vor Monaten publiziert wurde. Das grosse Schweigen der Fachwelt dazu irritiert mich in hohem Mass. Es handelt sich um das gewalttätigste und respektloseste Projekt, das in der Schweiz je präsentiert wurde — und es handelt sich nicht um eine Utopie, es sieht nur so aus. «Respekt» definiert mein Fremdwörterbuch als «Sichumsehen» und «schuldige Achtung». Fehlt dies, wird ein Vorhaben «gewalttätig». Soll dieser Bau zur exemplarischen Vorgabe für den Städte baulichen und architektonischen Umgang mit den Schweizer Innenstädten werden — in Zürich im Seefeld, in Genf hinter dem Jet d’Eau, im Tessin zwischen Locarno und Ascona? Ich muss zur Kenntnis nehmen: Hat ein Bauherr ein Raumbedürfnis, dann hat er anscheinend auch einen Anspruch darauf, dieses in einer unbeschränkten Höhe zu realisieren, und wenn das Projekt ein berühmter Architekt gezeichnet hat, ist es heilig gesprochen. Offenbar überlegt die Basler Ortsgruppe des BSA noch, eine öffentliche Diskussion zum Thema durchzuführen, die Basler Sektion des SIA lässt nichts von sich hören. Damit diskreditieren sich die Architekten derart, dass sie keinen Anspruch mehr haben dürfen, wichtige Partner bei der Suche nach Baukultur zu sein. Dann können wir alle Gestaltungsbeiräte abschaffen und die Schweiz zur grössten europäischen Hochhauszone erklären, was für viele Investoren alles einfacher machte und vielen nach Selbstverwirklichung hungrigen Architekten die Gelegenheit gäbe, endlich das ersehnte eigene Hochhaus zu bauen.
[Prof. Carl Fingerhuth, Zürich]

hochparterre, Do., 2010.04.15



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02. März 2010Rahel Marti
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Der Blockäamander

Basel hat kaum innerstädtische Landreserven. Die Erlenmatt, das 19 Hektar grosse ehemalige Areal der Deutschen Bahn (DB), ist darum eine Kostbarkeit. Aus...

Basel hat kaum innerstädtische Landreserven. Die Erlenmatt, das 19 Hektar grosse ehemalige Areal der Deutschen Bahn (DB), ist darum eine Kostbarkeit. Aus...

Basel hat kaum innerstädtische Landreserven. Die Erlenmatt, das 19 Hektar grosse ehemalige Areal der Deutschen Bahn (DB), ist darum eine Kostbarkeit. Aus einem Wettbewerb hervorgegangen, sieht das städtebauliche Konzept des Architekturbüros Ernst Niklaus Fausch vor, die Ränder mit Gewerbe, Dienstleistung und vor allem Wohnen zu bebauen, in der Mitte aber einen Park auszubreiten, der an den Erholungsraum Lange Erlen anknüpft. Blickfang des städtebaulichen Plans ist eine Figur am breiten, der Stadt zugewandten Eingang zum Areal: Eine eigentümliche Mischform aus Blockrand und Mäander sitzt selbstbewusst in der Mittelachse. Auf dem Plan wirkt sie künstlich und wenig nachvollziehbar.

Morger Dettli Architekten aus Basel gewannen den Architekturwettbewerb für die hier vorgesehene Wohnüberbauung und nahmen sich das Gebilde zur sportlichen Herausforderung. Mit Akribie entwickelten sie sechzig Wohnungstypen, die zahlreichen Kopfenden für grosszügige Flächen nutzend, die Wohnungen gekonnt um die vielen Ecken knickend, oft über zwei Geschosse führend oder zwei Fassaden verschränkend.

Jeder Wohnung gehört eine Loggia, mit mindestens 13 Quadratmetern haben alle Zimmer komfortable Grössen. Wohn- und Essbereiche sind vielfach ungewöhnlich geschnitten und da und dort knifflig zu möblieren. Linol- und Parkettböden unterstreichen die Wohnungscharaktere: vom loftartigen Zweizimmerreich bis zur Fünfzimmermaisonette. Bei der Ausführung mit dem Generalunternehmen bewiesen die Architekten Beharrlichkeit, was dem «Erlentor» zu passabler Bauqualität verhalf; nur die knappen Treppenhäuser künden von den harten Bedingungen.

Fraglich ist Morger Dettlis Entscheid, den niederen Zwischenarm am Park zu schliessen. Das städtebauliche Konzept sah ein offenes Erdgeschoss vor, das Innenhof und Park verbinden soll. Nun ist der Innenhof geschlossen und wirkt für eine rege Nutzung allzu intim. Sonst aber überzeugt der gebaute «Blockmäander»: Zur Stadt hin öffnet sich ein gut proportionierter Eingangshof, am Park schliesst er eine markante und klare Front und die unterschiedlichen Höhen bewegen die Silhouette.

hochparterre, Di., 2010.03.02



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Genial oder banal?

Das neue Schulhaus Leutschenbach spaltet die Architekturkritiker. Sechs kontroverse Meinungen zum Bau von Christian Kerez.

Das neue Schulhaus Leutschenbach spaltet die Architekturkritiker. Sechs kontroverse Meinungen zum Bau von Christian Kerez.

Es ist das zweitgrösste Schulhaus der Stadt Zürich und von der Kindergärtlerin bis zum Sekschüler gehen hier alle ein und aus. Der Bau dauerte ein Jahr länger als vorgesehen. Die Erscheinung ist für ein Schulhaus so ungewöhnlich, dass sie polarisieren muss. Seit August ist das Schulhaus Leutschenbach nun in Betrieb und Hochparterres Redaktorinnen und Redaktoren besichtigten es mit dem Architekten Christian Kerez.

Die Heiligsprechung des Banalen

Ivo Bösch: Die Jury traute dem Entwurf von Christian Kerez nicht zu, dass er baubar ist. Im Wettbewerb aus dem Jahr 2003 liess sie zwei Projekte überarbeiten. Zwar gefielen damals die Zonen zwischen den Schulzimmern. Doch dieser Bereich war Fluchtweg, also nicht nutzbar. Erst nach der Überarbeitung schlug Kerez die Fluchtbalkone vor. Der Feuerpolizist entwarf also beträchtlich mit. Eine Turnhalle auf dem Dach, eine Doppeltreppe, aneinander gereihte, hohe Schulzimmer und eine stützenfreie Fassade im Erdgeschoss: Mehr steckt nicht im Entwurf. Der Kern des Projekts ist die Konstruktion.

Das Haus steht nur auf sechs Dreifachstützen. Für den Handstand auf dem kleinen Finger scheute der Architekt keine Kosten. Doch bestimmte der Bauingenieur, wo welche Querschnitte welche Lasten tragen. Was Kerez mit dem kompakten Entwurf gewinnt, verliert er mit dieser Konstruktion. Obwohl beim Ausbau gespart wurde und obwohl es die zweitgrösste Schule der Stadt Zürich ist, ist der Bau im Kubikmetervergleich (BKP 1– 9: CHF 1108.–/m3, Stand August 2009) eines der teuersten Schulhäuser. Schon die Jury schrieb nach der ersten Stufe: «Die durch die kompakte Gebäudeform gegebene Ausgangslage für eine günstige Ökonomie wird durch zu erwartende erhöhte konstruktive Aufwendungen gemindert.» Dass diese Aufwendungen so gross werden und der Ausbau so leiden musste, konnte sie nicht voraussehen: Wände aus Industrieglas, in den Schulgeschossen Kunststeinplatten am Boden, sichtbare PE-Abwasserleitungen. Alles wirkt banal, Kerez würde es reduziert nennen. Glück für ihn, dass das Schulhaus in Schwamendingen steht und die Stadt endlich ein Signal für die Quartierentwicklung neben der Kehrichtverbrennungsanlage setzen musste.

Alles schrumpft

Roderick Hönig: 1994 stellte Pipilotti Rist im Kunstmuseum St. Gallen zwei überdimensionale Fernsehsessel neben eine meterhohe Stehlampe. Wer versuchte, die gigantischen, kaum handhabbaren Möbel zu besteigen, lernte physisch seine Lektion in Raumwahrnehmung. Die drei ungewöhnlich hohen Klassenzimmergeschosse erinnern an Rists Installation. Nur ists im Schulhaus Leutschenbach umgekehrt: Die Räume sind überdurchschnittlich hoch — satte 3,6 Meter, das Minimum schreibt 3 Meter vor. Die Überhöhe verleiht weiten Atem und Grosszügigkeit und lässt, wie in Rists Arbeit, Schülerin und Lehrer auf Kindergrösse «schrumpfen ». Die Architektur stellt so die Machtverhältnisse im Schulhaus in Frage, sie demokratisiert Subjekt und Objekt. Kerez sichert mit seinen überhohen Klassenzimmern und Pausenhallen aber auch die Souveränität seines Werks. Die Überhöhe sorgt dafür, dass Möblierung und Raum kaum in ein Verhältnis treten und dass man nicht plötzlich vor lauter Schulmöbel und farbigem Kinderleben Kerez’ «architecture brut» nicht mehr sieht. Elegant ist, dass der eitle Wunsch nach Wahrung der Reinheit der eigenen Architektur nicht auf Kosten der Nutzer geht — im Gegenteil: Die überdurchschnittliche Raumhöhe ist die Attraktion und Qualität des Schulhauses. Der Luxus, bezahlt auf Kosten des Ausbaus.

Die Paulista-Schule

Axel Simon: Wo ist da die Angemessenheit? Und was ist mit den hohen Kosten? Spätere Erweiterungsmöglichkeiten? Es gibt Bauwerke, an denen perlen solche Fragen ab. Radikalität imprägniert sie zum Manifest. In Leutschenbach steht man vor einem solchen, schaut einfach nur, blöd vor Staunen. Hier liegt Zürich nicht in der Schweiz, sondern am Rande São Paulos. Sicher, Kerez’ Konstruktionen sind komplizierter als diejenigen von Artigas, Bo Bardi oder Mendes da Rocha, die hiesigen Anforderungen sind es sowieso. Die räumliche Idee jedoch ist ähnlich: eine weite Landschaft rundum, die sich im Inneren widerspiegelt, sowie ein Raum, der mit zunehmender Schwere des Hauses an Leichtigkeit gewinnt. Die eidgenössische Komplexität der scheinbar einfachen Struktur überspielt der Architekt, indem er sich jede Oberflächengüte versagt. Der sichtbaren Stapelung der Etagen entsprechen der sichtbar gegossene Beton, der sichtbar geschweisste Stahl, das sichtbar gefügte Gussglas. Die Rohheit des Materials und der immense Raum machen aus der Schule eine Werkstatt, einen Ort, an dem man ohne die Bürde des Perfekten schaffen, sich ausbreiten, auf dem Trottinette durchjagen kann. Keine gebeugten Rücken, keine Schulkrüppel! Diese Forderung, die der spätere Bauhausdirektor Hannes Meyer 1926 seinem konstruktivistischen Petersschul-Entwurf beilegte, könnte auch auf den Leutschenbacher Beton gesprüht stehen — als Kunst am Bau versteht sich.

Ein starkes Stück

Werner Huber: Wie ein Equilibrist steht das Schulhaus auf der Wiese am Rand von Leutschenbach, scheint unter Hochspannung zu sein. Es berührt den Boden kaum, die Tragstruktur balanciert die Lasten der aufeinandergetürmten Nutzungen ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Die gleiche Spannung ist im Innern zu spüren, auch wenn die Fachwerkträger nicht immer zu sehen sind und es nicht auf Anhieb klar ist, wie die Statik überhaupt funktioniert. Kräfte werden über Umwege spazieren geführt, bevor sie den Boden erreichen. Es wäre einfacher gegangen. Ein paar Stützen hier und da diskret platziert — wer würde den Unterschied schon sehen? Kaum jemand, doch spüren würde man ihn bestimmt.

Der Architekt ist seinen Weg konsequent gegangen und hat alles seinem Konzept untergeordnet. Das ist seine grosse Leistung. Die Betonoberflächen sind nicht perfekt, der Ausbau ist karg, konstruktive Ausnahmen gibt es zuhauf. An irgendeinem anderen Bau würde man das beklagen, hier ist das sekundär. Kerez hat die richtigen Prioritäten gesetzt. Nur im Erdgeschoss musste das Konzept vor der Nutzung zurücktreten — und prompt ist
es daneben geraten: Nie und nimmer dürfte es verglast sein.

Republikanisch geschärft

Benedikt Loderer: Zwei Gründe, warum ich das Schulhaus Leutschenbach gut finde: Es ist republikanisch und es ist geschärft. In Schwamendingen leben viele jener Leute, denen man eine bildungsferne Herkunft nachsagt und die ihre Kinder nicht vor allem zum Lernen anstacheln. Für sie baute die Stadt Zürich ein republikanisches Schulhaus. Es ist ein Versprechen. Nie, sagt die Stadt, werden wir vom Prinzip der allgemeinen und obligatorischen Volksschule abweichen. Wir wollen weder Kloster-, noch Koran- oder Eliteschulen. Vor der Schule ist jedes Kind gleich und wir geben keines auf. Wir bilden sie zu Zürchern. Wir bauen Integrationsschulen. Dort, wo die Kinder am schwierigsten sind, machen wir nicht weniger, sondern mehr. Wir sparen nicht an den Bedürftigen. Gut genug gibt es nicht, wo es ein Mehr braucht. Das Schulhaus repräsentiert den Bildungsanspruch der Stadt. Dieses republikanische Schul- und Selbstverständnis strahlt das neue Schulhaus aus. Das Konzept ist einfach: Kerez stapelt. Er setzt die Nutzungen nicht neben-, sondern schichtet sie übereinander. Den Rest des Grundstücks lässt er frei. Das Konzept überzeugte im Wettbewerb, doch dann begann die Arbeit. Es nahm die Hürden der Feuerpolizei, bewältigte das gerade geltende pädagogische Programm, überwand die Schwierigkeiten seiner eigenen Statik, besiegte den Kostendruck, kurz, es wurde verwirklicht.

Selbstverständlich sieht es heute anders aus als im Wettbewerb — aber nicht verwässert, sondern geschärft. Kerez ist einer der wenigen Architekten, die Konzessionen machen können, ohne Schaden an ihrem architektonischen Konzept zu nehmen. Er ist nicht stur, er ist nur konsequent. Er weiss: Wer alles verteidigt, verteidigt nichts. Und er weiss, was er aufgeben kann, um das zu behalten, was er unbedingt haben will. Selektives Wichtignehmen heisst diese Schärfungskunst. Kerez ist ein Meister darin.

Die Konsequenzen der Konsequenz

Rahel Marti: Christian Kerez will konsequente Architektur schaffen. Er kämpft für die Reinheit der einen, einfachen Idee. Offenbar gelang es ihm, die Beteiligten für diese heroische Haltung zu gewinnen. Kerez stapelt, der Park soll frei bleiben. Er baut Glaswände, dazwischen soll Raum zum Lernen entstehen. Er will ein klares und rohes Schulhaus, in dem sich Schülerinnen und Lehrer entfalten. Paradoxerweise braucht es dafür ein komplexes Tragwerk und Bauarbeiten, die ein Jahr länger dauerten als geplant. Was aussieht wie eine strukturalistische Höchstleistung, ist eine Reihung von Ausnahmen und Kompromissen. Um etwa den Park ins Haus fliessen zu lassen — und dies bildlich, denn in der Tat gibt es ja eine Glasfassade —, ist das Gebäude an einer komplexen Fachwerkkonstruktion aufgehängt. Um die Reinheit dieser statischen Idee zu belassen, nimmt der Architekt verschiedenste Fachwerkdimensionen und damit verschiedenste Deckenfelder in Kauf, was zu zahllosen konstruktiven Anpassungen führt. Um den freien Grundriss in den Treppenhallen zu ermöglichen, sind breite, umlaufende Fluchtbalkone nötig. Damit hier keine Kinder herumrennen, werden sich Lehrerinnen und Lehrer Regeln ausdenken müssen. Um die Transluzenz des Industrieglases nicht zu stören, sind an den Wänden der Schulzimmer und der Turngarderoben nicht metallene Kleiderhaken montiert, sondern kleine, ab - bruchgefährdete Plastikhaken aufgeklebt. Die Konsequenz reicht soweit, dass Kerez auch Massnahmen durchsetzt, die mit pädagogischen Zielen nichts mehr zu tun haben. Etwa, dass keine Leuchten, dass nichts von den hohen Decken hängen darf, was aufwändige Betoneinlegearbeiten erforderte. Man wird sehen, denn nun muss sich das aussergewöhnliche Schulhaus bewähren. Sonst war die reine Idee architektonischer Selbstzweck und der Preis dafür hoch.

hochparterre, Mo., 2009.10.12



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12. Oktober 2009Rahel Marti
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Mietwohnung in der Reihe

Die beiden Mehrfamilienhäuser in Aesch wurden im Frühling 2009 fertig. Sie wirken aber nicht neu. Keine Insignien ordnen sie der landläufig modernen Architektur...

Die beiden Mehrfamilienhäuser in Aesch wurden im Frühling 2009 fertig. Sie wirken aber nicht neu. Keine Insignien ordnen sie der landläufig modernen Architektur...

Die beiden Mehrfamilienhäuser in Aesch wurden im Frühling 2009 fertig. Sie wirken aber nicht neu. Keine Insignien ordnen sie der landläufig modernen Architektur zu. Auf der kleinen Strasse zwischen den Häusern macht sich entspannter Alltag breit. Gartenmöbel aller Couleur warten auf den gemütlich gekachelten Terrassen; hier weht ein gehäkelter Vorhang durch ein offenes Küchenfenster, dort blühen Geranien an einem Gitter. Normalität. «Der Neubau fügt sich selbstverständlich in die umgebung ein.» Wie viele Architekturen machen den Satz zur Floskel. Bei dieser Überbauung kann man ihn gelten lassen. Für Frische sorgt die kräftige Fuchsia-Farbe des Aussenputzes, sein marmoriertes Muster dagegen wirkt etwas altbacken. Feinsinnig ist die soziale Gliederung der Häuser und Wohnungen. Die kleine Strasse hat einen Zug ins Öffentliche. Denn Loggien, Terrassen, Gärten und alle Eingänge säumen sie. Wer kommt und geht, muss auf diese Strasse treten; direkte Lifte aus der Tiefgarage gibt es nicht. Jede Erdgeschosswohnung hat ihren Weg, jede Obergeschosswohnung ihre Treppe. Reihenhäuser in Soho oder Brooklyn sind die Referenzen. Jede Wohnungstür ist eine Haustür. Davor liegt ein geschützter Eingang zum Schlüsselsuchen, dahinter ein Entree zum Schlüsselablegen. Es folgen ein kleiner Vorbereich, eine Küche, ein grosses Wohn- und Esszimmer, alle zur Stras se gerichtet. Dann trennt eine Wand quer durch die Häuser den hinteren Zimmerbereich ab, der zur Welt für sich wird. um die zulässige Fassadenlänge einzuhalten, sind die Zimmer ineinandergeschoben und bilden einen Kranz. Eine Konstellation, die an grossbürgerliche Wohnungen erinnert, was die detailreiche Ausführung der Türen und Fensterfelder aus Holz unterstreicht. Aus der architektonischen und finanziellen Enge des Mietwohnungsbaus holten die Basler Architekten eine hohe Raum-, Material- und Ausführungsqualität heraus. und aus den beiden Typen Geschosswohnung und Reihenhaus mischten sie ein neues Wohngefühl.

hochparterre, Mo., 2009.10.12



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08. September 2009Rahel Marti
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Das Krisenorakel

Jacques Herzog über die Wirtschaftskrise, die noch keine ist. Dazu ein Blick auf die Lage im Baugewerbe und eine Notiz in eigener Sache.

Jacques Herzog über die Wirtschaftskrise, die noch keine ist. Dazu ein Blick auf die Lage im Baugewerbe und eine Notiz in eigener Sache.

Jacques Herzog, Sie bauen rund um die Welt und sind den Schwankungen der globalen Wirtschaft ausgesetzt. Bedroht die Krise das Unternehmen Herzog & de Meuron?
Die Situation ist sehr widersprüchlich. Spanien zum Beispiel trifft die Krise hart, aber kürzlich haben wir ausgerechnet dort den Vertrag für den grössten Auftrag unterschrieben, den wir je erhalten haben: den Bau des neuen Hauptquartiers der Bank BBVA in Madrid. Gestoppt wurden nur wenige Projekte. In den USA ist das private Fundraising eingebrochen, was unser Projekt für das Miami Art Museum in Frage zu stellen schien. Jetzt sieht es aber gut aus für den Bau. Der Staat hat soeben den Baukredit bewilligt.

Ihre Mitarbeiterzahl liegt seit einiger Zeit bei 330. Worauf führen Sie die Stabilität zurück?
Seit Jahren sind wir zurückhaltend beim Annehmen von Aufträgen und haben viel mehr ab- als zugesagt, in den letzten Jahren auch einige Anfragen aus Russland. Wir könnten heute 600 Mitarbeitende haben — aber genau diese 300 zusätzlichen Arbeitsplätze wären nun in Gefahr. Wir prüfen jede Anfrage und recherchieren, wie seriös und nachhaltig die Angebote sind. Nur wenn ein Projekt auch finanziell solid und die Bauherrschaft gut aufgestellt ist, sagen wir zu.

Was lernen Sie aus der Krisenstimmung?
Wenn es etwas zu lernen gibt, dann die Idee der Zurückhaltung, der Beschränkung und des Verzichts auf das «immer mehr». Das tönt zwar moralisch. Aber es ist die Wahrheit.

Schwächt die Lage Ihre Position als Architekten?
Die Vertragsverhandlungen werden härter und aufwändiger. Die Juristen sind lange vor Beginn eines Projekts aktiv, denn die Bauherren wollen sich gegen alles und jeden absichern: Design to Cost, Design to Permit. Wir kriegen nur Geld, wenn unsere Entwürfe machbar, zahlbar und rechtsgültig sind.

Hilft der Name Herzog & de Meuron?
Bei der Auftragserteilung ist unsere Reputation gewichtig, aber bei den Vertragsverhandlungen hilft das wenig. Die Randbedingungen sind zu schwierig geworden.

Warum sind Architekten bezwingbar in Verhandlungen, warum erobern sie keine stärkere Position?
Weil wir Architekten an das Gute glauben — wir sind Weltverbesserer. Es ist zugleich Stärke wie Schwäche des Architekten, so lange zu arbeiten, bis er glaubt, zumindest gemäss eigener Wahrnehmung, das sei nun die optimale Lösung für die gestellte Bauaufgabe. Das ist Autorenarbeit. Sie ist aber in Gefahr. Uns umgeben immer mächtigere Strukturen, die das nicht interessiert. Investoren legen ihr Vermögen in Gebäuden an, damit das Vermögen wächst wie eine Pflanze.

Wie wird die Wirtschaftskrise die Architektur verändern?
Sie führt nicht automatisch zu einer besseren und nachhaltigeren Architektur — aber es werden einfachere und schnörkellosere Konzepte in den Vordergrund treten. Entscheidend ist das Verhältnis zwischen Bauherrschaft und Architekt; das ist unabhängig vom Boom oder der Krise. Architekten, die sich in einem Boom zu viel aufladen, sind nicht seriös — ihnen wird die Krise helfen zu verstehen, dass es sich lohnt, sich auf jede Aufgabe zu konzentrieren.

Aus Büros, die vorwiegend in der Schweiz bauen, hört man noch kaum von Sorgen. Findet die Schweizer Architektur einen Weg um die Krise herum?
Ein bisschen Krise hier wäre gar nicht schlecht — weil wir in der Schweiz dahin tendieren zu glauben, wir seien wegen unserer Tüchtigkeit stets von Krisen verschont. Die Geschichte der Architektur und der Städte ist aber geprägt von Krisen, Zerstörungen und Wandel. Wir können nicht erwarten, dass hier alles stets in geordneten Bahnen verläuft.

hochparterre, Di., 2009.09.08



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17. Juni 2009Rahel Marti
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Weisse Bauten in Rotkreuz

Im Stillen, aber mit lauter Architektur baut Roche Diagnostics ihre Fabriken zum Forschungs- und Dienstleistungzentrum aus. Markiert ist der Standpunkt und Standort mit einem Turm.

Im Stillen, aber mit lauter Architektur baut Roche Diagnostics ihre Fabriken zum Forschungs- und Dienstleistungzentrum aus. Markiert ist der Standpunkt und Standort mit einem Turm.

In Basel liefern sich die Pharmakonzerne Novartis und Roche einen Architekturwettbewerb. Sie engagieren berühmte Büros, die Medien kommentieren jede Etappe. Fast unbemerkt geht dagegen der Ausbau des Roche Diagnostics-Werks in Rotkreuz voran. Dabei erweitert der Konzern seine Fabriken zu einem internationalen Forschungs- und Kundenzentrum.

Seit 2007 entstanden im Gebiet Forren auffallende Bauten und ehrgeizige Projekte. Die Luzerner Architekten Scheitlin-Syfrig   Partner entwarfen das Kundenzentrum und ein Personalrestaurant. Die Aussenräume des neuen Firmenquartiers gestaltet der Landschaftsarchitekt Günther Vogt. Als vorläufigen Höhepunkt planen Burckhardt Partner Architekten einen 67 Meter hohen Büroturm. Damit errichtet Roche ihr erstes Hochhaus in Rotkreuz und nicht in Basel, wo sie das 163 Meter hohe Prestige-Projekt von Herzog & de Meuron stoppte.

Fahren wir also nach Rotkreuz. Vom Bahnhof führt die Industriestrasse Richtung Forren, gesäumt von Gewerbegeblöckle. Nach zehn Minuten enden die Gebäude, genauer gesagt, es beginnen die Baugruben der kommenden. Über Abschrankungen hinweg leuchten der Besucherin zwei schneeweisse Neubauten entgegen, beide überzieht ein wirres Fassadennetz. Sofort ist klar: Da spielt eine höhere Architekturliga.

Die Firma

Der Roche-Konzern ist in zwei Unternehmen oder Divisionen gegliedert: Pharma und Diagnostics. Kurz gesagt: Die Division Diagnostics entwickelt Verfahren und Apparate für den Nachweis von Krankheiten, für deren Behandlung die Division Pharma Medikamente herstellt. Roches Geschichte in Rotkreuz begann 1971, als sie die Pharmafirma Tegimenta kaufte. Diese produzierte unter ihrem Namen weiter im Spickel zwischen den Autobahnen A4 und A14, im Gebiet Forren.

Dort konnte Roche 2006 Grundstücke hinzukaufen und entschied, das Werk für Diagnostics auszubauen. Bald sollen alle Arbeiten an deren Produkten hier stattfinden: Forschung, Produktion, Vermarktung, Schulung, Service. Rotkreuz ist also kein Ableger von Basel, sondern als Zentrum der Division Diagnostics eigenständig und weltweit vernetzt. 1400 Angestellte beschäftigt Roche Diagnostics und ist damit die drittgrösste Arbeitgeberin im Kanton Zug. Die Hälfte kommt aus der Schweiz, dreissig Prozent aus Deutschland, die übrigen aus 36 weiteren Ländern.

Der Masterplan

Für das Roche-Werk heisst das: Zu den Mechanikern stossen Marketingspezialisten, zu den Laboranten stossen Forscherinnen, zu den Magazinern Rechtsanwälte. Höher Gestellte stellen höhere Ansprüche: an den Arbeitsort, an den Arbeitsplatz. Darum hiess Andi Scheitlins und Marc Syfrigs Ziel: «Zwischen zwei Autobahnen in der Industriezone einen Ort schaffen, an den man gern arbeiten geht.» Die Luzerner Architekten hatten für Roche das viel beachtete Tagungszentrum auf der Halbinsel Buonas gebaut siehe HP 6-7 / 02, 12 / 2002. Nun kam der Auftrag, zusammen mit Günther Vogt, das Forrenareal vom Fabrik- in ein weltgewandtes Dienstleistungs- und Arbeitsquartier zu verwandeln.

Dazu setzten sie ein neues Gebäudeensemble vor das alte, vor die Fabriken. Es wird ein Vierklang aus Platz, zwei Quadern und Turm. Der Platz, steinern und 4000 Quadratmeter weit, bringt Luft und, eben, Platz. Ihn frieden die weissen Neubauten ein: das Personalrestaurant und das Kundenzentrum für Schulungen und Büros. Aus dem Platz aufragen wird der 67 Meter hohe Büroturm für 650 Arbeitsplätze der Verwaltung. Zurzeit verschafft er sich anhand seines gigantischen Baugespanns Präsenz.

Eine subtile Landschaftsarchitektur wird das Gelände rahmen. Das Büro Vogt recherchierte: Das Forren, eine leichte Senke, war ursprünglich ein Feuchtigkeitsgebiet und mit dem Zugersee verbunden. Die Landschaftsarchitekten fanden Spuren von Arten aus dieser Zeit, die heute exotisch und üppig anmuten. Diese Baum- und Straucharten sollen auf dem Platz und der Industriestrasse entlang die städtische Atmosphäre kontrastieren. Weil sich das Areal weiter wandeln wird, wollen Vogt Landschaftsarchitekten zudem dessen Ränder mit Baumgruppen betonen.

Noch ist das Forren eine Grossbaustelle. Aber von den Neubauten geht eine offene Stimmung aus. Weiss sind sie aus Roche-Tradition. Otto Rudolf Salvisberg, in den Dreissigerjahren Firmenarchitekt, erfand das Weiss in Basel und setzte es fort in der Welt. Roche rüttelt nicht daran. Sauberkeit, klinische, und Funktionalität verbinden sich damit. Weiss war also Vorgabe, das Spiel damit aber erwünscht.

Produktprinzip in den Fassaden

Die Komplexität der Roche-Produkte, wurde den Architekten gesagt, gründe auf der Wiederholung einfacher Elemente. Dasselbe Prinzip präge ihre Bauten, erklären nun sie. Im Kundenzentrum ist das Bürorastermass von 1,65 Metern dieser wiederholte Keim. Es rhythmisiert Schulungsräume, Multispacebüros und es diktiert die Fassade: Fensterhöhen und -breiten entsprechen Bruchteilen von 1,65 Metern. Die Architekten reihten drei solcher Fensterformate aneinander und stapelten diese Felder.

Das Personalrestaurant ist geprägt durch sein inneres Betonfachwerk, eine schräge und geknickte statische Struktur. Deren Formen ergaben sich pragmatisch: Die maximalen Schrägen sind begrenzt durch die vertikalen Markisen, die jedes Fenster verdecken, aber nicht überlappen. Das Fachwerk trägt die markante Auskragung des Gebäudes ab. Die «formale Schein-Komplexität», so die Architekten, habe sich also aus der technischen Umsetzung der über dem Eingang gewünschten Auskragung ergeben. Wer genau hinschaut, entdeckt auch hier regelmässige, sich wiederholende Felder — das Wirre hat einen Schlüssel, gehorcht einer Ordnung.
Was irritiert: Beide Fassaden sind geschosslos, kantig, wild und weiss — aber nicht ähnlich, ihre Muster haben nichts gemein. Doch wäre es ein spannendes Spiel gewesen, das eine aus dem anderen zu entwickeln. Nun wirken die Bauten verwandt, ohne es zu sein, wie ein nicht eingelöstes Versprechen. Vielleicht war dafür zuwenig Zeit. Das enorme Bautempo forderte die Architekten. Für das Personalzentrum lagen nur drei Monate Planung und zwölf Monate Bauzeit drin. Das Kundenzentrum wuchs bei rollender Planung von 12 auf gut 50 Millionen Franken Bausumme, was das zusammengesetzt wirkende Volumen erklärt.

Die Wirkung

Warum die Netzfassaden? Aussicht lohne sich wenig im Industriegebiet, entschieden Scheitlin-Syfrig, es brauche spannende Innenräume. Tatsächlich sind die Netze von innen noch präsenter. In den Grossraumbüros des Kundenzentrums sind die einzelnen Fenster zwar gewöhnlich gross, erzeugen über die Raumlänge aber eine kleinteilige Ansicht. Im Personalzentrum wirken die aufgelösten Wände und Decken unruhig, da und dort aber auch gitterhaft. In beiden Gebäuden zeigt sich: Die Wirkung des Wirren ist schwierig zu kontrollieren und nicht überall gelungen. Vielleicht aber regen die Schrägen die Köche, die im Personalzentrum ebenfalls hinter Netz arbeiten, zu Abenteuern an — ein Vorteil für Roche Diagnostics, denn am Ende zählt nur das Essen für die Mitarbeitenden, sagt man der Besucherin. Doch sind diese offenbar zufrieden in den Neubauten und die Verantwortlichen davon begeistert.

Der Vergleich

Roche Diagnostics investiert über 200 Millionen Franken in den Ausbau von Rotkreuz. Der Vergleich mit dem Novartis Campus in Basel drängt sich auf. Doch er lässt Jürg Erismann, den Site Manager, kalt: «Mit rund 1400 Beschäftigten ist der Standort wesentlich kleiner und hat auch andere Funktionen zu erfüllen als der Novartis Campus.» Roches architektonischer Anspruch sei hoch, ziele aber auf andere Werte. «Die Architektur steht nicht im Vordergrund, sondern ist ein Mittel zum Zweck. Die Bauten müssen funktional und hochwertig sein, aber nicht zu jedem Preis.» Roche wolle keine Exklusivstimmung, den Mitarbeitern solle bewusst sein, woran sie arbeiteten — an Produkten und Dienstleistungen für die Gesundheit. Die Roche-Unternehmenskultur ist bodenständiger als jene der Novartis. Interessant auch: Novartis spricht nicht über Baukosten, Roche dagegen gab sie zu jedem Bau bekannt.

Das Hochhaus

Zum Abschluss steht die Besucherin an der Baustelle des Turms. In die Höhe baut Roche, weil der Platz im Forren sonst zu knapp wäre. Fünf renommierte Büros erhielten einen Studienauftrag: Miller Maranta, Bétrix Consolascio, Daniele Marques, Scheitlin-Syfrig und Burckhardt   Partner. Hier war nun nichts Auffälliges erwünscht, denn das Hochhaus würde sich der Bauform wegen markant genug zeigen. Den Zuschlag erhielt das wenig überraschende Projekt von Burckhardt   Partner, weil es in die zurückhaltende Roche-Architekturtradition passe.

Während Scheitlin-Syfrig Aussichtsfenster vermeiden, planen Burckhard  Partner ein Glashaus. Aus den oberen Stockwerken werde man den Zugersee sehen. Auch soll das Haus Transparenz vermitteln. Sie tüfteln an einer ausgeklügelten, energetisch sparsamen Haustechnik und einem neuen Fassadensystem. Aber das Bild täuscht: Bei Sonne wird stets ein Teil der Fassaden mit Lamellen geschlossen sein. Auch wenn diese fein und perforiert sind, die Stimmung auf dem Platz könnte dies stören.

Der Cluster

Wieder zurück im Industriegebiet. Roche Diagnostics öffnet sich der internationalen Forschungswelt und wendet viel Geld auf für einen guten Arbeitsort. Aber das Areal ist eine Enklave in Rotkreuz, eine seltsame Situation. Warum den guten Anfang nicht zum Cluster ausbauen? Die entsprechenden Unternehmen wären in der Region. Als ihr Cluster könnte sich der Gewerbebandwurm zu einem ansprechenden und besonderen Arbeitsgebiet mausern.


Kommentar: Hochäuser om Zugerland

2002 kam die Studie «Hochhäuser im Kanton Zug — ein Grundsatzpapier» zum Schluss: Häuser über 25 Meter sind in zwei Gebieten landschafts- und siedlungsverträglich. An der Baarer- /Zugerstrasse im Zuger Zentrum und im Autobahndreieck von Rotkreuz. Dieses Gebiet liege attraktiv an der Autobahn und in einer spannenden Landschaftskulisse. Als städtebauliche Aufwertung des Industriegebiets sei ein Hochhaus mit Platz denkbar. Der Roche-Turm entspricht dem weitgehend.

Die Studie floss 2002 in die Richtplanrevision ein. Dort stand auch: Hochhäuser bedingen einen Bebauungsplan und Varianten aus Konkurrenzverfahren. Das Parlament aber zerzauste die Vorlage. Statt Konkurrenzverfahren steht im 2004 genehmigten Richtplan nur «Varianten» — diese können vom selben Architekten stammen. Und statt der zwei Gebiete dehnte das Parlament die Hochhauszone auf den «Teilraum 1» aus, der Oberwil, Zug, Baar, Steinhausen, Cham, Hünenberg und Rotkreuz zu weiten Teilen umfasst. Für diese Ausdehnung stark gemacht hatte sich auch die Architekten-Lobby. Hochhäuser in Gruppen sind sinnvoller als Einzeltürme – raum- und verkehrsplanerisch, für das Siedlungs- und das Landschaftsbild. Doch der Kanton verpasste es, die Entwicklung zu lenken. Weil im Niedrigsteuergebiet der Boden knapp wird, klopfen immer mehr Investoren mit Hochhausprojekten an. Die Folge werden über den Teilraum 1 verstreute Einzeltürme sein. Die planerische Vorarbeit war für die Katz. Von wenig Charakter zeugt, dass Architekten gegen die Beschränkung waren. Aber der Traum lockt halt, einmal den eigenen Turm bauen zu können. Und raumplanerisch falsch stehen ja immer nur die anderen.

hochparterre, Mi., 2009.06.17



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17. Juni 2009Rahel Marti
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Diskussion ums Podium

In Andermatt ging das erste Baugesuch ein: Als Fundament für das Resort dient ein mächtiger Garagen- und Technikbau.

In Andermatt ging das erste Baugesuch ein: Als Fundament für das Resort dient ein mächtiger Garagen- und Technikbau.

Der Betonbau wird die Ebene zwischen der Reuss und der Kantonsstrasse beinahe ausfüllen. Rund 300 Meter lang und 230 Meter breit soll das Podium werden, durchschnittlich 8,70 Meter hoch und zweigeschossig bis auf die Gassen für die Lastwagen. Im unteren Geschoss werden rund 900 Parkplätze sowie die gesamte Anlieferung untergebracht, im oberen die Haustechnik und Infrastrukturen, die Logistik, Lager für die Läden, Keller und andere Nebenräume, dazu die Energieversorgung und -aufbereitung der darauf stehenden Häuser. Die Grundfläche dieses imposanten Podiums soll rund 40 300 Quadratmeter betragen — mehr als fünf Fussballplätze.

Podium? Ein anmutiger Name für ein mächtiges Bauwerk. Zu den Baukosten kursieren Schätzungen. Erst war von 700 Millionen Franken die Rede, dann sei der Bau verkleinert worden, jetzt hört man von 400 Millionen Franken. Die Bauherrschaft, die Andermatt Alpine Destination Company AADC, gibt «grundsätzlich» keine Kosten bekannt; sie spricht von einem «zweistelligen Millionenbetrag», womit offen bleibt, ob das eher 10 oder eher 99 heisst.

Das Podium knackt für die AADC gleich mehrere Probleme. Erstens verschluckt es die Technik, die Anlieferungen, die Lager und die parkierten Autos. So wird zweitens das Resort obendrauf autofrei, kann Ferienstimmung zelebrieren. Drittens ist es komfortabel: Die Gäste fahren im Auto nach unten ins Parking und im Lift nach oben ins Haus — im Poloshirt von der eigenen bis in die Ferienwohnung. Und viertens schützt das Podium vor Katastrophen: Führt die Reuss Hochwasser — auch ein starkes, nur alle 100 Jahre auftretendes —, flutet sie die Stockwerke des Podiums, während das Dorf darauf trocken bleibt. Kurz: ohne das Podium kein Resort in Andermatt.

Der erste Schritt 

«Das Podium», dies schreibt die AADC, «ist der erste Ort des Besucherkontakts. Deshalb ist eine erhöhte architektonische Gestaltung erwünscht.» Visualisierungen von Itten   Brechbühl, den Generalplanern, zeigen Hallen in veredeltem Beton und kühlem Weiss. Ursprünglich hatten die Architekten der Appartementhäuser am Podium gearbeitet, das Altdorfer Büro Germann   Achermann, seit Beginn dabei, bearbeitete das Podium für die Quartiergestaltungspläne. Anschliessend wurden, so Raymond Cron, Europa-Chef der Orascom, die Generalplanerleistungen ausgeschrieben und Itten  Brechbühl erhielten den Zuschlag. Germann  Achermann planen dafür die Ausführung des Luxushotels auf dem Bellevue-Areal. Itten   Brechbühl arbeiteten den Nutzbau durch. Darauf mussten die Häuser-Architekten ihre Grundrisse den von unten heraufstossenden Liften und Treppen anpassen; dies ergab zwar teils unerklärliche Schrägen, doch die Wohnungsgrundrisse dürften nach dem Verkauf der Projekte sowieso weiter ändern. Vom Parkplatz werden die Gäste über allgemein zugängliche Treppenhäuser und Lifte in die Erdgeschosse der Häuser und Hotels gelangen; von dort führen an anderen Stellen private Treppen und Lifte weiter. Das heisst: Direkte Verbindungen der Ober- und der Unterwelt gibt es keine, auch nicht im Aussenraum. Ist der Gast einmal oben, soll er das Podium vergessen.

Ohne Wahl

Die AADC hat nie einen Hehl aus dem Podium gemacht. Aber bis jetzt nahm kaum jemand Notiz davon. Pro Natura Uri vereinbarte mit Samih Sawiris Auflagen zum Golfplatz und zur Villenzone — vom Podium ist nicht die Rede. Im Bericht zu den Quartiergestaltungsplänen kommt das Podium nur zweimal vor, einmal geht es um den Hochwasserschutz, einmal um Parkplätze. Selbst nach der grossen Medienkonferenz vom 22. April las man über das Podium nur, es solle nun gebaut werden.
Das ist erstaunlich. Denn das Podium ist die Achillesferse des Resorts. Es stellt Samih Sawiris, den Investoren und Chef der AADC, vor eine Nicht-Wahl. Entweder, die AADC baut das Podium etappenweise. So kann sie die jeweils hinzustossenden Hotelbetreiber und Wohnungskäufer finanziell beteiligen. Das bedeutet aber eine jahrelange Baustelle — unmöglich für ein Feriendorf. Oder die AADC baut das Podium gleich zu Beginn ganz und schiesst das Geld dafür vor — ohne zu wissen, wie viele Wohnungen und Villen sie verkaufen kann, wie hoch ihre Erträge werden. Kurz: Das Podium ist ästhetisch und finanziell riskant. Aber unerlässlich.

Sawiris entschied: «Wir bauen das Podium gleich und ganz.» Und ergänzte locker: «Wenn wir keine Wohnungen verkaufen, wird der Garten eben grösser.» Zwei Tage nach der Medienkonferenz reichte die AADC das Baugesuch ein. Wie sie das Podium vorfinanzieren will, sagt sie nicht. Was bedeutet der Entscheid? Thomas Bieger ist Professor für Tourismuswirtschaft an der Universität St. Gallen und Resortexperte. Er erklärt: «Wenn zuerst unrentable Teile wie das Podium erstellt werden, müssen diese vorfinanziert werden. Das Geschäftsmodell funktioniert aber nur dann, wenn möglichst bald rentable Bereiche wie Wohnungen und Villen gebaut, damit Verkaufserlöse erzielt und die Auslastung der Infrastrukturen gesichert werden können.» Der Verkauf müsse innert eines nicht zu langen Zeitraums eine kritische Masse erreichen — sonst gerate das Finanzierungsmodell ins Wanken. Ob dies gelingt, hängt allein von externen Bedingungen ab — von der Wirtschaft und der Immobiliennachfrage in Schweizer Bergresorts. «Wie gut der Verkauf laufen wird, ist offen», sagt Bieger, «wegen der gegenwärtig schlechten Wirtschaftslage könnte es einige Zeit dauern.»

Garten alias Infrastruktur

Wann also bauen? Zwar betont Sawiris: «Gebaut wird nur, was verkauft ist.» Aber Grösse, so Thomas Bieger, ist eine Erfolgsbedindung: «Ein Resort braucht eine kritische Masse an Freizeitangeboten, an Wohnungen und an Gästen. Nur dann stimmt die Atmosphäre, nur dann funktioniert es.» Aus demselben Grund sind sichtbare Zeichen für ein Projekt der Superlative wie Andermatt nötig. Andernfalls schwindet das Vertrauen der Käufer, die Glaubwürdigkeit des Investoren und irgendwann ist die Luft draussen. Zwar liegt die Vermutung nahe, dass Sawiris die Millionen für das Podium erst vorschiesst, wenn er sein Geld zurückfliessen sieht. Aber die Abhängigkeiten könnten ihn zwingen loszulegen. Seine Garten-Bemerkung deutet darauf hin. Wenn das Podium und die ersten Häuser stehen und dann lange nichts mehr geht, soll die Plattform zum Garten werden.

Garten — wieder ein anmutiger Name. Thomas Bieger ist trockener: «Es gibt in jedem Land Beispiele von Resortprojekten, die nicht über den Bau der Infrastrukturen hinausgekommen sind.» Was, wenn der Bau oder der Resortbetrieb aus wirtschaftlichen Gründen gestoppt wird? Müssen dann die Andermatter auf der Militärbrache noch eine Ruine ertragen? Klar ist: Diesen Fall regeln die Bau- und Zonenordnung Andermatts BZO sowie der Infrastrukturvertrag zwischen dem Kanton und der AADC. So kann die AADC etwa den Golfplatz erst bauen, wenn sie «die integrale Realisierung» des Resorts «sichergestellt» hat. «Integral» bedeutet: Zwei Hotels, das Sportzentrum mit öffentlichem Hallenbad, Parkplätze und Verbindungen zwischen Resortbereichen. Zudem muss die AADC den Golfplatz rückbauen, sollte er fünf Jahre lang nicht genutzt werden. Was aber ist mit dem Podium und dem Resortdorf? Und was bedeutet «sichergestellt»? Auch diese Fragen regeln die Verträge -— aber der Kanton und die AADC halten diese Klauseln vertraulich. Offenbar gehen sie für Samih Sawiris aussergewöhnlich weit und er will vermeiden, bei weiteren Projekten gleich damit konfrontiert zu sein.


Kommentar: Wie steht es um Sawiris' architektonischen Anspruch?

Das Podium ist die Achillesferse des Resorts. Samih Sawiris muss es vorfinanzieren in einer wirtschaftlichen Lage, in der Erträge kaum vorauszuberechnen sind. Das Podium ist aber auch ein architektonischer Massstab: Es zeigt, wie der Investor als Bauherr tickt. Bisher schenkte er dem architektonischen Anspruch viel Gehör: Wettbewerbe, gute Architekten. Beim Podium kommt nun der knallharte Rechner hervor. Statt die Gestaltung den Resort-Architekten anzuvertrauen, zog er Generalplaner bei, um den Infrastrukturbau als solchen zu behandeln. Die Bilder zeigen eine kühl-elegante, aber austauschbare Tiefgarage — das gestalterische Gegenteil des aufwendig entwickelten, von örtlichen und regionalen Baumustern geprägten Resortdorfs obendrauf. Damit haben es die AADC und Sawiris verpasst, aus dem Unten und Oben eine Gesamtwelt zu schaffen. Eine, in der man seine Bergferien nicht in einer auswechselbaren Garage beginnt, sondern in der Atmosphäre des neuen Andermatt.

Die Architekten der Appartementhäuser haben Vorprojekte ausgearbeitet und geben sie der AADC in Kürze ab. Damit enden ihre Verträge. Und es kann sein, dass es das für sie war. Üblicher ist es, Bauprojekte zu verkaufen, Sawiris aber verkauft Vorprojekte, die der Käufer stark anpassen kann. Die Quartiergestaltungspläne enthalten zwar Richttexte und -skizzen zur Architektur. Entscheidend aber ist, wer schlussendlich baut, ob mit den ursprünglichen Architekten und mit welchen Qualitätsansprüchen. Darum ist es offen, wie das Resortdorf einst aussieht. Der Verlauf der Podiums-Planung verspricht jedenfalls wenig Spiel für Überdurchschnittliches.

hochparterre, Mi., 2009.06.17



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11. Mai 2009Rahel Marti
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Über fünf Podeste musst du gehn

Vittorio Lampugnani fand den Idealbaustein für den Novartis Campus. Und baute die vollendete Treppe. Ein Aufstieg über fünf Stockwerke.

Vittorio Lampugnani fand den Idealbaustein für den Novartis Campus. Und baute die vollendete Treppe. Ein Aufstieg über fünf Stockwerke.

Schräg gegenüber greift Frank O. Gehrys «Personal Center» um sich. Rechts kühlt Yoshio Taniguchis Bürogebäude glasig grau die Atmosphäre. Dazwischen hat Vittorio Magnago Lampugnani gebaut, der Architekt des Masterplans. Hat seinen Musterbau verwirklicht, spät, aber entschlossen.

Unter der Arkade

18 Meter schmal, 55 Meter lang, 22,46 Meter hoch, Lampugnanis Haus folgt exakt Lampugnanis Baulinien und Traufhöhe. Zur Hauptachse Fabrikstrasse öffnet es sich mit Arkaden, 4 Meter breit, 6 Meter hoch. Rechts gehts ins mit Italianità gesättigte Ristorante Dodici, links ins Bürohaus. Unter den Arkaden empfängt einen ein «heiterer Himmel», wie Lampugnani die mit hellblauem Glasmosaik belegte Decke nennt. Sommers nimmt man hier am Schatten seinen Caffè.

Trotz grosszügiger Befensterung wirkt das Haus kompakt. Steinern eben: Die Fassaden bestehen aus bis 15 Zentimeter dicken, weissen Carrara-Marmorplatten. Sie sind so dick, damit sie sich nicht verziehen, da sie nicht aufgehängt, sondern aufgemauert sind, fest vermörtelt also und befestigt an einer Stahlkonstruktion. Das Haus, schreibt Lampugnani in einem literarisch anmutenden Baubeschrieb, versage sich jede individualistische Allüre, es bekenne sich zur formalen Zurückhaltung und zur urbanen Kontinuität. Kein Zweifel, Lampugnani hat den Idealbaustein seines Masterplans gebaut. Bizarr nur: Der Campus ist ein neues Stück Stadt, urbane Kontinuität geht ihm zwangsläufig ab. Und wie alle Bauten zeigen, ist die individualistische Allüre schwer kontrollierbar in einem Masterplan, der keine Blockränder, sondern Einzelbauten vorsieht.

Auf dem Zwischenpodest

Hinter der Drehtür wartet eine kammerartige Lobby. Man wähnt sich im Fuss eines altehrwürdigen New Yorker Wolkenkratzers. Zwar öffnen sich da zwei Lifttüren. Aber von rechts kommt ein Sog: Verheissungsvoll fällt Licht auf eine scheinbar endlose Treppe. Es zieht einen hinauf. In einen Raum, der schmal und hoch ist wie ein Schacht, den Nussbaum auskleidet, voll und ganz. 19 Stufen bis zum ersten Zwischenpodest und man fragt sich: Wo bin ich nochmal? In New York? Oder, wie das Haus von aussen glauben macht, in Italien des Novecento? Nein, in Basel. Im Voltaquartier, wo der Stadtumbau tobt, auf einem Gelände, wo eben noch die Industrie vorherrschte. Diese beiden Welten, die Stadt aussen, Novartis innen, sind nicht überein zu bringen.

Im Treppenraum 

Weiter hinauf. Stufe um Stufe schwindet das Engegefühl und es wird heller. Eine «weitgehend gleichmässige, vergleichsweise kleinteilige fünfgeschossige Bebauung» sieht Lampugnanis Masterplan vor. Denn solche Bauten seien geeignet, wohlproportionierte Stadträume mit hoher Aufenthaltsqualität zu erzeugen. «Im Innern», schreibt der Architekt und Architekturhistoriker, «lassen sie sich gut und effizient aufteilen, mit einfachen Erschliessungselementen, weil sie noch unterhalb der baurechtlichen Hochhausgrenze liegen.»

Einfache Erschliessungselemente sind in Lampugnanis Sinn Treppen. So konsequent wie seine Baulinien setzt er seine Idee der Treppe als innere Strasse um. Sie soll — wie die Strassen und Gassen der Stadt — kurze Wege und spontane Treffen erlauben, ja herbeiführen. Vom Erdgeschoss führt sie fadengerade bis ins vierte Obergeschoss, über fünf Läufe und fünf Podeste. Nicht von Wänden begrenzt, sondern von Pfeilern und Balken gesäumt. Sie rahmen die weiten Öffnungen, durch die man von der Treppe zu den Arbeitsplätzen und zurückblickt. Auf seiner gesamten Länge und 22 Metern Höhe ist der Treppenraum offen, durchquert nur von kleinen Brücken. Möglich ist dies, weil als Balken ausgebildete Rauchschürzen zum Brandschutz beitragen. Drei Meter breit ist die Treppe, sodass zwei Personen nebeneinander sitzen und eine dritte bequem an ihnen vorbeigehen könnte. Ob sich je eine Mitarbeiterin setzen wird? Aber davon später mehr.

Entlang des Nussbaums

Weiter hinauf, begleitet von der fein wellenden Maserung des Nussbaums. Hier stehend und schmal, dort liegend und breit, betont die Maserung den Rhythmus der Pfeiler und Balken. Nussbaum wirkt immer schwer und immer edel — Holz und Raum scheinen füreinander geschaffen. Obwohl schwierig zu besorgen, wählten Lampugnani und seine Kontaktarchitekten, das Zürcher Büro Joos   Mathys, den europäischen Nussbaum. Er soll sich silbern verfärben und nicht gelblich wie der amerikanische. Zehn Stämme waren nötig, pro Stockwerk stammen die Furniere von je einem Stamm, heisst es. Um die Farbigkeit anzugleichen, liessen sie das gesamte Holz zudem leicht beizen. Die Treppenstufen sind aus Schallgründen zwar betoniert, aber ebenfalls furniert – zudem stärker als andere Elemente, damit man sie gelegentlich abschleifen kann. Soweit beim einmaligen Besuch ersichtlich, ist das Handwerk präzis und lässt keine Wünsche übrig, trotz der hohen Anforderungen.

Zwischen ewig und vorläufig

Ab und zu steigt jemand hoch mit Mantel und Tasche, entschwindet über eins der Podeste in die Büros. Ab und zu tritt jemand in den Treppenraum hinaus, bleibt stehen, wartet auf eine Kollegin, um gemeinsam nach unten zu schreiten. Die Gespräche sind nicht gedämpft, aber ruhig. Vittorio Lampugnani ist ein Meister des Umgangs. Er findet für jede Gelegenheit den passenden Ton. So herrscht hier, nach dem heiteren Himmel unter den Arkaden, arbeitsame Bibliotheksruhe.

Das Haus wirkt, als wolle es seine Nutzer erziehen. In Turnschuhen herumzuschlurfen, fiele einem nicht im Traum ein. Gemacht wirds trotzdem. Leichtes Befremden zum einen: der Idealbaustein des Architekten im Geiste des 19. Jahrhunderts, darin die Forscher von heute, mit Kopfhörer am Computer. Leichtes Befremden zum anderen: der scheinbar für die Ewigkeit gebaute Treppenraum, daneben die Büros, denen man die Vorläufigkeit des Flexiblen anmerkt. Aufgeständerte Böden, flexible Grossräume — alles muss umnutzbar sein auf dem Novartis Campus. Doch achteten die Architekten auf Behaglichkeit mit Vorhängen, Kleiderstangen und Tischlampen und mit Schiebefenstern, die jede Mitarbeiterin jederzeit von Hand öffnen kann. Es gibt zwar Heiz-Kühldecken, aber keine Klimaanlage.

Im gebauten Bild

Zuoberst angelangt, fühlt man sich erhöht. Der Aufstieg über die Kaskadentreppe bietet ein seltenes Erlebnis. Vittorio Lampugnani hat die Gelegenheit für ein räumliches Abenteuer genutzt. Hinter seiner Freundlichkeit steckt ein starker Wille. Radikal verschaffte er der Treppe Raum, rückte sie ins Zentrum. Von oben wirkt der Treppenraum wie ein gebautes Bild. Zwar zeigen Skizzen den Weg: Der Entwurf war erst in Stein gedacht mit Glasbrüstungen. Doch lieber möchte man glauben, Lampugnani habe schon beim Masterplan gewusst, dass er diese Treppe mit diesem Material und dieser Stimmung bauen würde. Ist das Gebäude der Idealbaustein des Masterplans, ist das Treppenhaus sein Idealraum?

Bleibt eine Frage: Wie steht es mit der Angemessenheit? Unruhe kommt auf. Wie viel der Bau gekostet hat, ist natürlich geheim. Die Architekten sagen, es sei der bisher günstigste auf dem Campus. Angemessen? Es gibt nur eine Antwort: Dieser Konzern kann nach eigenen Massstäben funktionieren.

hochparterre, Mo., 2009.05.11



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13. Oktober 2008Rahel Marti
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Kirchenschiff, hellrot

Mit ihrem Bau in Zuchwil SO bewies die Neuapostolische Kirche Schweiz Mut zur Architektur (HP 12/05). Nun folgt ein Kleinod in Glarus. Für ihre einzige...

Mit ihrem Bau in Zuchwil SO bewies die Neuapostolische Kirche Schweiz Mut zur Architektur (HP 12/05). Nun folgt ein Kleinod in Glarus. Für ihre einzige...

Mit ihrem Bau in Zuchwil SO bewies die Neuapostolische Kirche Schweiz Mut zur Architektur (HP 12/05). Nun folgt ein Kleinod in Glarus. Für ihre einzige Kirche im Kanton wünschte die Gemeinschaft zwanzig zusätzliche Plätze, eine Teeküche, Sitzungszimmer und Nebenräume. Zudem sollte der spröde Typenbau von 1966 als Kirche erkennbar werden. Der Clou der jungen Architekten Andreas Hinder und Hansruedi Marti war es, die neuen Plätze auf eine Empore zu verlegen. Zum einen sind die Bänke dort, bleiben sie einmal leer, für die Anwesenden nicht sichtbar. Zum anderen nähert die Empore den Bau dem Typus Kirche an, denn sie bedingte einen zweigeschossigen Anbau, der nun zur Halle steht wie ein Turm zum Schiff. Darin sind die übrigen neuen Räume gruppiert. Der Eingang ist in die neue Frontseite eingeschnitten; die schrägen Mauern geleiten die Besucher ins Innere. Das Foyer verjüngt sich in der Breite und, unter der Empore liegend, auch in der Höhe auf den Kirchenraum zu. Aus grobem Klinkersichtstein aufgemauert, wirkt der Anbau auch im Innern turmartig. Weiss und schlicht ist der Kirchenraum selbst, bis auf eine Raffinesse: Ein poppiges Hellrot leuchtet aus den Kastenfenstern in den Raum.

hochparterre, Mo., 2008.10.13



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06. November 2007Rahel Marti
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Das bildhübsche Andermatt

Das Tourismus Resort Andermatt wächst. In Bildern und auf den Plänen jener zwölf Architekturbüros, die Samih Sawiris und seine Berater nach den ersten Studienaufträgen ausgewählt haben. Die zwölf Büros trafen den Geschmack des Gremiums – wie dieser aussieht, zeigt ein Streifzug durch das bebilderte Feriendorf.

Das Tourismus Resort Andermatt wächst. In Bildern und auf den Plänen jener zwölf Architekturbüros, die Samih Sawiris und seine Berater nach den ersten Studienaufträgen ausgewählt haben. Die zwölf Büros trafen den Geschmack des Gremiums – wie dieser aussieht, zeigt ein Streifzug durch das bebilderte Feriendorf.

«Wir wollen ein in sich stimmiges, pluralistisches, neuzeitliches Ensemble erstellen, das nach Andermatt passt. Ein Ensemble, das lebt, zu dem man sich gerne hinbegibt, und dies auch noch in fünfzig Jahren. Was wir nicht wollen: Aus einer kurzfristig verkaufsorientierten ‹Copy-paste›-Mentalität heraus ein paar gefällige Elemente der Schweizer Alpen-Bauweise vervielfältigen.» Diese Worte stammen von Samih Sawiris. Sie leiten das dicke Buch ein, das die ersten Entwürfe für das Tourismus Resort Andermatt versammelt. 33 Büros, vom ägyptischen Investor und seinen Beratern ausgewählt (HP 8/07), hatten Vorschläge geliefert für Villen, Sportzentrum, Hotels und das Zentrum mit Läden, Restaurants und Ferienwohnungen. Die Neugierde ist gross: Wer hat wie entworfen für dieses kühne Projekt? Exklusiv zeigt Hochparterre hier die Bilder für das Resort, in hochparterre.wettbewerbe (hpw 5/07) detailliert die ausgewählten zwölf Projekte. Zuerst zum Sportzentrum; sechs Entwürfe lagen dafür vor. Die jungen Büros Geninasca Delefortrie, Slik Architekten und Weberbrunner ersannen wechselvolle Innenwelten mit Hallen fürs Schwimmen und Höhlen für die Spa-Bereiche. Aussen versuchten sie es mystisch-verformt und kühl in Beton oder Metall. Doch Samih Sawiris und sein Gremium gingen auf Nummer sicher und wählten Theo Hotz (Seite 38): Das Gremium billigt ihm «hohe Adaptationsfähigkeit an sich noch verändernde Randbedingungen» zu. Nach Norden Bruchstein, nach Süden Glas, so könnte man das Hotz-Projekt zusammenfassen. Holz und Stein dominierten reihum, vorzugsweise Bruchstein, denn in Andermatt, da ist es rauh und karg, wie in fast allen Projekttexten stand.

Weisse Flecken

Noch alles offen ist beim Kongresszentrum und den Hotels. Mit Burkhalter Sumi, Christian Kerez, Steven Holl und Rüssli Architekten, Matteo Thun & Partners, Gay Holzer Kobler und dem Atelier Christian Hauvette lieferten sechs Teams Vorschläge. Doch das Auswahlgremium konnte mit keinem viel anfangen und kritisierte: «Kaum einer der Entwürfe hat sich vertieft mit dem Typ des gehobenen Gebirgshotels auseinandergesetzt, das im Alpenraum eine lange Tradition kennt.» Das enttäusche – doch liege es, wie das Gremium zugibt, «nicht zuletzt am sehr unbestimmten Programm und an den eher weichen Randbedingungen». Samih Sawiris wartet auf interessierte Betreiber, die interessierten Betreiber warten auf Projekte, wie bei Huhn und Ei. Gemäss Projektkoordinator Max Germann sind zwei der Büros mit Überarbeiten beauftragt; mehr ist aber nicht zu erfahren. Ende Januar sollen die Projekte abgeliefert sein, damit die Quartiergestaltungspläne fertig gestellt und eingereicht werden können. Dann müssen auch die Hotelprojekte einen Schritt weiter sein – weisse Flecken wird der Kanton nicht akzeptieren. Im August berichtete Hochparterre, Jean Nouvel werde das Luxushotel auf dem alten Bellevue-Areal bauen. Obschon seitens der Veranstalter nicht dementiert, ist dies falsch. «Zwischen Samih Sawiris und Jean Nouvel liefen Gespräche, aber bis heute erhielt Nouvel keinen Auftrag», korrigiert Max Germann. Das Hotel planen Denniston Architects aus Kuala Lumpur; sie hatten auch den Resort-Masterplan erstellt. Schon 2008 will Sawiris mit dem Bau dieses «schönsten Hotels der Alpen» beginnen.

International Alpin Style

Bei den Villen reichten die Entwürfe von Puristisch über Mondän bis zu trendigen Chalets. Letztere fanden grossen Anklang. Offenbar geht Sawiris davon aus, das Publikum suche eine Art Swissness, nicht bieder, nicht ausschweifend. Aus zehn Bewerbern ausgewählt wurden hier Scheitlin-Syfrig Partner, Group 8, Müller Sigrist / Dipol, Matti Ragaz Hitz / Baserga Mozzetti, Graber Pulver / Masswerk, Silvia und Reto Gmür und Hauenstein LaRoche Schedler. Ihre Entwürfe sollen einen Katalog füllen, aus dem die Käufer einen Villentyp aussuchen können – inklusive Architekt, wie Sawiris verspricht. Auch die Villenentwürfe zeigen: Dieser Wettbewerb war eine Konkurrenz der Bilder. Imre Bartal und sein Team vom Visualisierungsbüro Architron bebilderten zwei Villen und ein Sportzentrum. Dabei versuchten sie, «internationale Vorstellungen alpiner Welten umzusetzen». Die Visualisierungen sollten das Leben in den Bergen vermitteln und gesättigt sein mit Stimmung. Dazu wob Architron Hinweise auf die umgebende Natur und die Andermatter Wetterverhältnisse in die Bilder ein und entwarf präzise Sommer-und Winterstimmungen für aussen und innen. «Ein Bild eines Nebeltags soll zeigen: Auch dann ist es im Gebirge reizvoll.» Auch opulenter, verführerischer als sonst durfte es sein: Orientteppiche, englische Fauteuils, Cheminéefeuer staffieren die Zimmer und Hallen der Villen aus, auf einem der Couchtische steht eine angebrochene Flasche Whiskey, und Imre Bartal schmunzelt: «Hirschgeweihe hatten wir bisher nicht im Ausstattungs-Sortiment.» Kurz, die Beschwörung der Gemütlichkeit.

Dreamteam der Analogen

Zum Kern der Sache, zum Dorfkern. Devanthéry Lamunière und der Mailänder Cino Zucchi planen hier weiter sowie Quintus Miller, Paola Maranta, Miroslav Šik, Kaschka Knapkiewicz und Axel Fickert. Dieses Quintett musste sich nach der ersten Runde zu einem Team vereinen – von aussen betrachtet ein Dreamteam der analogen Architektur. Ein Dorf, ein gewachsenes Ensemble bauen – hier könnensie eines ihrer zentralen Entwurfsthemen anwenden, zum ersten Mal «richtig». Über das gemeinsame Projekt wollen und dürfen sie aber nicht sprechen. Daher ein Blick auf die ersten, getrennten Entwürfe. Miller Marant schütteten für das Resort einen künstlichen Hügel auf. Untergeschosse und Parkgaragen fanden darin Platz, gestaltet als ‹Felsendom› oder ‹Säulenhalle› – ein besonderer Ankunftsort für die Autofahrer. Der Hügel modellierte die ausdruckslose Talfläche und bot profitable Aussichtshänge, nebst klimatischen Vorteilen: Er hätte das Resort dem Kältesee der Talebene enthoben. Die Hügel-Idee fand aber kein Verständnis und ist begraben. Den Dorfkern entwarfen Miller Maranta als Gefüge ähnlich grosser Strickbauten. Seine Dichte liegt zwischen jener des alten Dorfs und der Einfamilienhausquartiere. Das Ziel des Projekts: ein Feriendorf mit traditionellen regionalen Bautypen, Bauweisen und Materialien. Seine Nähe zum Bestand soll gross, der Bezug möglichst unverfälscht sein.

Komplex – wie lange?

Das Ziel des Teams Miroslav Šik / Knapkiewicz & Fickert lautete, eine neue Altstadt zu bauen. «Die Neugründung eines Dorfs, das bedeutet das Entwerfen einer komplexen Ordnung, einer Gestalt ohne klare, eindeutige Qualität » – für Miroslav Sik ein Forschungsgebiet und er gerät ins Schwärmen. Sie hätten drei Prinzipien aufgestellt: «Erstens: Empirische Ensemblegestalt, zweitens: Verismus von innen und aussen, drittens: ein Alphabet aus lokalen Fassadenelementen.» Dem ersten Prinzip folgend, komponierten sie einen skulpturalen, geometrischen, jedoch nicht repetitiven Grundriss der neuen Altstadt. Dazu stellten sie Überlegungen zum Flanieren an: Man soll von einem Laden zu einem Restaurant über einen kleinen Platz hin zur Wohnung geleitet werden; Hauptgassen führen auf Häuser zu, gabeln sich in Nebengassen, geben neue Blickrichtungen frei. Einige Fassaden sind hervorgehoben, wie früher Kirche oder Schulhaus – hier könnte es ein Hotel oder ein besonderes Geschäft sein. Das zweite Prinzip galt den Hausgrundrissen. Es verlangte deren Kohärenz mit dem Stadtgrundriss: Was man von aussen sieht, ist nicht Kulisse, sondern wird innen weitergeführt. Also sind die Hausgrundrisse von aussen nach innen entwickelt; so entsprechen sie ihrer Lage im Stadtgefüge und jede Wohnung erhält interessante Aussichten in Gassen, auf Plätze, in die Öffentlichkeit. Das dritte Prinzip galt den Fassaden. Das Team stellte ein Alphabet zusammen aus Andermatter Elementen, aus architektonischen Versatzstücken wie Eingängen, Fenstern, Anbauten oder Dachaufbauten, aus Materialien wie Holz, Verputz oder Eternit. «Mit dem Resort ist es wie mit Las Vegas», steht auf einem Plan: «Tabula Rasa. Es geht um Kopie und Original. Wir kopieren hier nicht. Wir verwenden Elemente ohne Vorbehalte. Es sind ortstypische, prägende, manchmal surreale, aber vertraute Elemente, die wir abgewandelt, verfremdet benutzen.» Die drei genannten Teams arbeiten nun Referenzprojekte für das Dorfzentrum aus, erklärt Projektkoordinator Max Germann, und «sie können damit rechnen, dass sie wesentliche Bauten der Zentrumszone bearbeiten können.» Weitere Beteiligte sollen sich an ihre städtebaulichen und architektonischen Prinzipien halten. Ein lebhaftes Dorf muss durchmischt sein – das ist hier mit Wohnen, Shopping und Gastronomie gegeben. Allein die Belegung können die Architekten nicht kontrollieren. Soll das Dorf funktionieren, dürfen die Fenster nicht monatelang dunkel sein. Auch dafür will Samih Sawiris sorgen (‹Nullenergie für Andermatt›). Neulich bescheinigte die Weltwoche dem Investor eine «ausgeprägte Fähigkeit zur Komplexitätsreduktion» – was dies für die Resort-Architektur heisst, bleibt abzuwarten. Vorläufig gilt: Sawiris liess sich überzeugen, beste Büros zu engagieren. Er erhielt beste Vorschläge. Jetzt hängt wieder alles von ihm ab. •

Nullenergie für Andermatt
Samih Sawiris sprach: «Ich werde viel investieren, damit die ‹Andermatt Alpine Destination Company› eine Nullenergie-Bilanz in Bau und Betrieb vorweisen kann. Die nötigen Studien haben wir veranlasst. Einerseits wird die Energie als ‹Clean Energy› produziert. Wir denken an eigene Wasserkraft, an Windkraft und an Sonnenenergie. Anderseits wird die Isolation der Hotels, der Villen, der Sportzentren und so weiter dem rauhen Klima trotzen.» Sawiris denkt dabei weniger an die Weltrettung als an den Profit. «Einerseits werden wir auf diese Weise erheblich Geld einsparen. Anderseits wird uns ein energetisch musterhaftes Resort grosse Vorteile fürs Image bringen. Dem Resort in Andermatt, aber auch meiner Orascom-Gruppe. Die nötigen Investitionen werden wir deshalb auch aus der Gruppe mitfinanzieren.» Ist es Sawiris ernst? Wir werden sehen. Er sagte an einer Podiumsdiskussion, zu der im September die Immobilienfirma Engel & Völkers ins Zunfthaus zur Meise in Zürich geladen hatte: «Ich bitte Hochparterre, das Projekt Andermatt und mich auf diese Aussagen zu behaften.» Wir gaben zurück, dass wir gern mit ihm aufs Grundbuch kämen und ihm zuschauten, wie er dort Verpflichtungen einschreibe. In der munteren Debatte mit Hanspeter Danuser, dem Kurdirektor von St. Moritz, schoss Sawiris einen Vogel ab. Das Milliardenvorhaben, für das im nächsten Frühling die Baugruben aufgehen sollen, kann der ägyptische Investor nur realisieren, weil der Bundesrat für ihn die Lex Koller aus den Angeln hob. Bekanntlich soll dieses Gesetz nun aufgehoben werden. «Ich finde das schlecht», kommentierte Sawiris. «Die Einheimischen brauchen Schutz und bezahlbaren Wohnraum. Die Aufhebung der Lex Koller wird das erschweren.» Und er bekannte: «Die Destination Andermatt wird einen Erstwohnungsanteil haben und wie in meinen anderen Resorts wird es hier keine kalten Betten geben, sondern Vermietungspflichten.» GA

hochparterre, Di., 2007.11.06



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02. Oktober 2007Rahel Marti
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Der Turmbau zu Affoltern

Wieder baut Zürich einen neuen Stadtteil: in Affoltern, hinter dem Hönggerberg. Auf dem Landstrich ‹Ruggächern› werden 1000 Wohnungen hochgezogen. Aber eine städtebauliche Idee für das Areal fehlt. Das Pla-nungsinstrument heisst hier Arealüberbauung, das Zepter führt der Immobilienmarkt. Statt eines durchdachten Quartiers entsteht darum eine Reihe Grossblocks.

Wieder baut Zürich einen neuen Stadtteil: in Affoltern, hinter dem Hönggerberg. Auf dem Landstrich ‹Ruggächern› werden 1000 Wohnungen hochgezogen. Aber eine städtebauliche Idee für das Areal fehlt. Das Pla-nungsinstrument heisst hier Arealüberbauung, das Zepter führt der Immobilienmarkt. Statt eines durchdachten Quartiers entsteht darum eine Reihe Grossblocks.

Zürich platzt aus allen Nähten. Darum wird gebaut, wo es noch Platz hat. Zum Beispiel in Affoltern hinter dem Hönggerberg. In diesem Aussenquartier sei, rechnete die Stadt Anfang 2000 aus, noch Platz für 10 000 Einwohner oder 3500 Wohnungen. Die Mehrzahl davon sind schon gebaut oder bewilligt. Eindrücklich zeigt die Karte aller Projekte, was im Rücken der Stadt entsteht. Eindrücklich ist für die Besucherin aus der Innenstadt auch, in Affoltern aus der S-Bahn zu steigen und vor einem Feld neuer Backsteinblöcke zu stehen. Die Siedlung der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich ABZ (HP 6-7/2007) macht den Auftakt zum Areal ‹Ruggächern›. Auf dem über einen Kilometer langen Landstrich sollen 1000 Wohnungen gebaut werden. Im Süden trennt die Bahnlinie das Areal vom Quartier ab, im Norden rauscht die Autobahn A1 vorbei. Sieht man über beides hinweg und unter einigen Fliegern hindurch, schweift der Blick über Dorf, Feld, Wald. Überzeugte Agglomeriten würden sagen, man wohne hier im Grünen.

Affoltern, ein Rückschritt

Wohnen im Grünen? Dazu ist es zu spät. Gebaut werden auf dem ‹Ruggächern› Grossblocks, die beziehungslos hin-ter- und nebeneinanderstehen. Ausser Kinderkrippen sind für die gut 3000 Bewohnerinnen und Bewohner keine Dienstleistungs- oder Gewerberäume geplant. Einzig ein – noch leeres – Schulhausareal und drei Parks sorgen für öffentlichen Raum. Im Stadtmodell, wo das neue Viertel zu besichtigen steht, erinnert es an Satellitenstädte des letzten Jahrhunderts. Ein Rückschritt in Zürich, das seinen Städtebau in dicken Büchern feiert.

Begonnen hat alles wie gewohnt. Die 150 000 Quadratmeter – etwa 20 Fussballplätze – waren auf ein gutes Dutzend Parzellen und zehn Grundeigentümer verteilt, darunterfi die Stadt. Die Generalunternehmung Allreal besass die grösste Parzelle beim Bahnhof Affoltern und wollte Ende der Neunzigerjahre bauen. Die Stadt reagierte und brachte die Grundeigentümer dazu, einen Quartierplan auszuar-beiten. Die Architekten Marco Graber, Thomas Pulver und Regula Iseli gewannen 2000 den Studienauftrag dafür. Ins Team holten sie Landschaftsarchitekt Guido Hager, der später den Studienauftrag für die öffentlichen Räume gewann. Graber, Pulver und Iseli begradigten die Grundstücke zu parallelen Parzellen und zogen Strassen ein. Das den Besitzern für Freiflächen abgerungene Land verteilten sie auf drei Parks entlang der Bahnlinie. Sie zeigten auch, wie das ‹Ruggächern›, gemäss Bau- und Zonenordnung BZO in der Zone W3, mit 90 Prozent Ausnützung und dreigeschossigen Häusern bebaut werden könnte.

Aber ein Quartierplan regelt Erschliessung und Freiflächen, nicht die Bebauung. Diese wollte man über die Arealüberbauung steuern. Jenes Planungsinstrument also, das eine höhere Ausnützung gestattet als in der BZO vorgesehen, sofern eine Parzelle mindestens 6000 Quadratmeter gross ist und das Bauprojekt erhöhte architektoni-sche Ansprüche erfüllt. Dafür muss die Bauherrschaft ei-nen Wettbewerb durchführen oder das Projekt dem Baukollegium – eine Art städtischer Gestaltungsbeirat – vorlegen. Überzeugt das Projekt, gewährt die Stadt Zürich 10 Prozent mehr Ausnützung. Dies erhöht den Wert eines Grundstücks drastisch. Trotzdem verzichtete die Stadt auf einen Gestaltungsplan, um Bauregeln für alle festzulegen, etwa die maximale Gebäudehöhe. «Wir wussten, dass wir dank der Arealüberbauung die Qualität der Projekte würden kontrollieren können, entweder über die Konkurrenzverfahren oder die Begleitung durch das Baukollegium», erklärt Peter Noser, Leiter Stadtplanung im Amt für Städtebau. Der am Quartierplan beteiligte Architekt Thomas Pulver ergänzt: «Nicht alle Grundeigentümer dachten ans Bauen. Druck auf den Boden war nicht spürbar, ausser auf der Parzelle am Bahnhof. Zudem war die Festlegung der Bebauung im Rahmen des Quartierplans ausgeschlossen. Dazu hätte es einen Gestaltungsplan gebraucht. Aber vielleicht war es naiv zu glauben, dass ohne Steuerung freiwillig auf Ausnützung verzichtet wird.»

Schnell und viel

Tatsächlich geriet das ‹Ruggächern› bald in den Strudel des Immobilienmarkts. 2006 waren mit einer Ausnahme auf allen Parzellen Bauprojekte bewilligt sowie links und rechts die Grosssiedlungen der Beamtenversicherungskasse BVK des Kantons Zürich und des Unternehmers Leopold Bachmann im Bau. Niemand hatte mit diesem Tempo gerechnet. «Der Druck auf Grundstücke in Zürich ist enorm, so gross wie nirgends in der Schweiz», sagt Jürg Gros-senbacher, Projektentwickler bei der Implenia, die in Affoltern 400 Wohnungen baut. «Darum sind auch am Stadt-rand die Bodenpreise explodiert.» Warten – das könne sich niemand leisten. Wenn ein Investor ein Grundstück kaufe und darauf plane, müsse er so schnell wie möglich bauen – und so viel wie möglich.

«‹Ruggächern› wird nach den Gesetzen des Markts abgefüllt», sagt Grossenbacher. Landpreis und Mieten kann ein Investor nur gering beeinflussen – in Affoltern werden tiefere Mieten als in den Innenquartieren bezahlt –, also muss er möglichst viele Wohnungen bauen. «Um die Überbauung zu kont-rollieren, hätte die Stadt mehr bauliche Vorgaben ma-chen müssen für dieses grosse Gebiet», kritisiert Jürg Grossenbacher.Immerhin bauen hier auch drei Genossenschaften. Sie erhalten günstigen Boden von der Stadt, müssen keine Ren-dite herausholen, die Ausnützung also nicht ausreizen und können schliesslich qualitativ besser bauen. Anders die BVK: Die Anlage von Pensionskassengeldern muss laut Gesetz Höchstrenditen bringen. So knechtet das öffentliche Kapital die Bauwirtschaft und die letzten in der Reihe: die Mieterinnen und Mieter.

Vielfalt der Wohnarten verarmt

Zurück zur Arealüberbauung. Dank des Ausnützungsbonus von 10 Prozent pro Geschoss kann in der Zone W3 die Ausnützung von 90 Prozent auf 130 Prozent und die Zahl der Vollgeschosse von drei auf sieben erhöht werden; das Dachgeschoss muss angerechnet werden. Dies führt auf dem ‹Ruggächern› dazu, dass die meisten Bauten ein Erdgeschoss, sechs Obergeschosse und ein Dachgeschoss aufweisen. Sie werden also bis zu acht Geschosse hoch statt der in der BZO vorgesehenen drei.

Man muss sich fragen, ob die Arealüberbauung überhaupt die richtige Bebauung für den Stadtrand ist. Denn sie bedeutet Dichte und Höhe auch dort, wo es ringsherum lockerer und niedriger ist. Doch für Stadtplaner Peter Noser ist klar: «Gerade hier wollen wir dicht und konzentriert bauen. Für mich sind diese Siedlungen im Quartier Rugg-ächer eine Art Stadtmauer, eine klar lesbare Grenze zwischen Stadt und Land». Aber die krasse Erhöhung von drei auf acht Geschosse ist städtebaulich weder gesteuert noch kontrolliert. Sie ist eine Folge von Gesetz und Markt. Eine städtebauliche Idee für das ‹Ruggächern› fehlt. Die Arealüberbauungen sind Einzellösungen und viele Projektwettbewerbe machen noch keinen Städtebau. Warum pochte die Stadt nicht auf einen Gestaltungsplan? «Das wäre hier kaum mehr gegangen», antwortet Stadtplaner Peter Noser. «Die Grundeigentümer zu überzeugen, nach zwei Studienaufträgen und dem Prozedere des Quartierplans, also nach einem fünfjährigen Planungsprozess, nochmals ein Verfah-ren durchzuführen – das ist unter dem enormen Druck des Marktes sehr schwierig.»

Schwierig, aber nicht unmöglich. Wie die Planung des Berner Quartiers Brünnen beweist: Dort legten Stadt und Grundeigentümer in langen Verhandlungen Baufluchten und Gebäudehöhen fest (HP 11/06). Auf dem ‹Ruggächern› war der Druck der Investoren stärker und der Einfluss der Stadtplaner schwächer. Zur Dynamik des Markts hinzu kommt die gegenwärtige Begeisterung für Dichte, der auch die Architekten erliegen. Kaum jemand hinterfragt die aufgeflammte Mode der Mega-Blocks, es findet keine Diskussion darüber statt. Die Mehrheit der viel zitierten 10 000 Wohnungen, die Zürich in den letzten Jahren versprach und auch baute, sind Geschosswohnungen. Kleine Haustypen wie Reiheneinfamilienhäuser entstanden nur wenige. Die Folgen: Die Vielfalt der Wohnarten verarmt. Gerade auf einem Teil des ‹Ruggächern› wäre eine Gartenstadt vorstellbar gewesen, also Häuser und Wohnungen mit direktem Zugang zum Boden.

Das Amt für Städtebau hat die Bebauung des Areals aufgegleist und begleitet – kontrolliert aber hat es sie nicht. Für öffentlichen Raum sorgen zwar Wege und drei Parks, aber diese liegen an der Bahnlinie schlecht. Städtebauer ist der Markt. Die Folgen sind bekannt: Eintönige Bautypen und keine Läden oder Restaurants, die die Einöde beleben und die Bewohner unterhalten. Den Satelliten zum Leben zu erwecken, wird schwer, einmal mehr.

hochparterre, Di., 2007.10.02



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15. August 2007Rahel Marti
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Wie sie in Uri sprinten lernten

Die Planung in Andermatt für das Tourismusresort rollt nicht, sie rast. In rekordver--däch-tigem Tempo und fast widerstandslos. Dafür sorgte der Kanton Uri, der eine extra Projektorga-ni-sa-tion aufbaute. Zumindest ein Teil wird wohl gebaut. Aber die grosse Frage bleibt: Was wird aus dem Dorf?

Die Planung in Andermatt für das Tourismusresort rollt nicht, sie rast. In rekordver--däch-tigem Tempo und fast widerstandslos. Dafür sorgte der Kanton Uri, der eine extra Projektorga-ni-sa-tion aufbaute. Zumindest ein Teil wird wohl gebaut. Aber die grosse Frage bleibt: Was wird aus dem Dorf?

Andermatt, im Winter 2013. Gäste aus aller Welt dinieren im ‹Gotthard›, dem feinsten Restaurant des Luxushotels Bellevue. Ums Hotel ragen verschneite Tannen in den Nachthimmel, dazwischen blinzeln die Lichter der Schaufenster und Bars, der Appartements und Villen hervor. Alles glitzert. Ein schwerreicher Ägypter hat das totgesagte Urserntal wach geküsst.

Andermatt, im Winter 2013. Zwischen Bauruinen sammelt sich nasskalter Regen zu Pfützen. Läden und Beizen sind geschlossen. Einst kam ein schwerreicher Ägypter und versprach die goldene Zukunft. Er vergoldete seine eigene und zog weiter. Das Dorf versank in Tiefschlaf.

Zwei Bilder, eine Frage: Was wird aus Andermatt? Wir wissen erst, was bisher geschah. Seit 2005, als das Projekt für ein grosses Tourismusresort bekannt wurde, haben sie ohne Zögern vorwärts gemacht, die Gemeinden Andermatt und Hospental, der Kanton Uri und Samih Sawiris, Leiter und Besitzer der Orascom Hotels&Development (OHD). Im Dezember 2009 wolle Sawiris, hört man, das Erstklasshotel Bellevue eröffnen, das Jean Nouvel entwirft. Im Juli hat das Auswahlgremium die Architekten für die weiteren Bauten und Quartiergestaltungspläne bestimmt (hpw 3/07, ‹Was wird aus Andermatt?›). Sechs Teilgebiete umfasst das Resort: das Bellevueareal, das Bahnhofareal, das Sport- und Freizeitzentrum, den Kern mit Hotels, Appartements, Läden und Restaurants, die Villen- und Chaletzone und den Golfplatz. Für den Bau und die Vermarktung hat Samih Sawiris die Andermatt Alpine Destination Company AADC gegründet. Er ist Präsident des Verwaltungsrats, als Mitglieder amten seine engsten Berater: Martin Schön und Franz Egle. Der Altdorfer Schön war im arabischen Raum für den Lifthersteller Schindler und den Zementkonzern Holcim tätig und ist heute Rechts- und Finanzkonsulent; Franz Egle war Informationschef bei Bundesrat Flavio Cotti und ist heute Partner bei der Kommunikationsfirma Dynamics Group. Die AADC rekrutiert Personal: Roland Karesch als Finanzchef, sechs Bauprojektleiter und zwei Baukostenplaner. Chef Design&Construction wird der Ägypter Ihab Morgan, ein Architekt mit Doktortitel und operativer Leiter ist der Andermatter Benno Nager.

Harsche Kritik

Die Planung rollt nicht, sie rast. Dafür sorgte bisher der Kanton Uri. Im März 2006 sprach der Landrat den Kredit für die Anpassung des Richtplans, im Mai 2007 war diese ebenso genehmigt wie die Zonenplanrevisionen von An-der-matt und Hospental. «Rekord», sagt Benno Bühlmann, Leiter des Urner Amts für Umweltschutz. Wie war das mög-lich? Bühlmann hat fünf Antworten parat. Erstens der Polit-Ausschuss mit den Regierungsräten der vier beteiligten Departemente. Zweitens eine Projektorganisation ausserhalb der Verwaltung. Drittens deren erhöhte Kompetenzen, etwa Weisungsbefugnis an die Verwaltung. Vier-tens Outsourcing; das Zürcher Unternehmen Ernst Basler Partner etwa lieferte Grundlagen für den Richtplan sowie die Quartiergestaltung. Fünftens Benno Bühlmann selbst: Er leitet das Projekt und wendet dafür immerhin 60 Prozent seiner Arbeitszeit auf.

Ein Masterplan als Grundlage für das Richtplanverfahren fehlte anfangs. «Statt abzuwarten, legten wir unsere Anforderungen daran fest. Bei den Quartiergestaltungsplänen genauso», erklärt Benno Bühlmann. Der Kanton übernahm etliche Aufgaben der überforderten Gemeinde. Für die Güte der Planung ein Vorteil. Das Resort zeigt: Die autonome Gemeinde ist ein Mythos; für Projekte heutiger Komplexität braucht sie die Unterstützung des Kantons, da und dort des Bundes. Benno Bühlmann verteidigt den Anschub – oder die indirekte Wirtschaftsförderung – des Kantons: «Ohne Richtplanverfahren wäre es nicht gegangen. Nur so konnten wir die raumrelevanten Fragen des Projekts abklären.» Man wolle sich nicht leisten, dass kritische Punkte erst beim Quartiergestaltungsplan oder gar der Baubewilligung zur Sprache kämen.

Pro Natura im Hintergrund

Nur drei Einsprachen gingen gegen die revidierten Zonen-pläne ein. Mit zwei Bauern konnte man sich einigen; die dritte war ungültig, davon später mehr. Die Urner Umwelt-verbände gingen nicht gegen das Resort vor. «Dafür haben uns Projektgegner vehement kritisiert», erzählt Pia Tresch, Geschäftsstellenleiterin von Pro Natura Uri. Aber man habe die Arbeit gemacht, sich hineingekniet, noch nie so viel Zeit investiert. Pro Natura versuchte, der Armee das Land selbst abzukaufen, scheiterte aber. Den Widerstand aussichtslos machte der politische Entscheid des Bundesrats, Samih Sawiris von der Lex Koller auszunehmen. «Da beschlossen wir, das Projekt kritisch zu begleiten», sagt Pia Tresch. Der Kanton und Sawiris legten ihnen die Unterlagen vor der Veröffentlichung zur Stellungnahme vor. So verhinderten die Verbände einen privaten Helikopterlandeplatz und erreichten, dass Sawiris auf eine isolierte Villenzone im Golfplatz verzichtet. Mit dem Kanton legten sie hohe Standards bei Verkehr, Energie und Landschaft fest und forderten ein umfassendes Urteil über die touristische Infrastruktur. Das Resort sei kein ‹Galmiz 2›, sagt Pia Tresch. «Für eine Einsprache gab es bisher keine Gründe. Die Planung war korrekt – mit einer Ausnahme: Bei der Ortsplanung überging man die Bevölkerung. Aber die Andermatter stehen zu 99 Prozent hinter dem Projekt.»

Sawiris kennt kein Halten

Jetzt ist der Investor an der Reihe; Samih Sawiris muss beweisen, dass er die nachhaltige Entwicklung, den starken öffentlichen Verkehr, das energieeffiziente Bauen und anderes mehr nicht nur um der guten Laune willen angekündigt hat. Die Anforderungen an die sechs Quartiergestaltungspläne sind ausführlich und hoch. Der Kanton macht für Sawiris keine Ausnahmen. Zudem haben die Um-weltverbände eine Umweltverträglichkeitsprüfung in allen sechs Teilgebieten durchgesetzt. «Da sind wir einspracheberechtigt», macht Pia Tresch klar. Benno Bühlmann doppelt nach: «Auch die Architekten sind gefordert. Wir wollen, dass dieses Resort ins Tal passt.»

Wann setzt Sawiris’ OHD den ‹Point of No Return›? Laut Franz Egle schliesst sie bald die Landkaufverträge mit den Bauern und mit der Armee ab. Das Militär verkauft wohl mehr als geplant, auch das Gebiet beim Bahnhof, das mitten im Resort läge. «Point of No Return? Das fragen wir uns nicht», sagt Franz Egle. «Die OHD will dieses Resort bauen. Auch ohne Fremdbeteiligung.» Geldsorgen plagen die OHD nicht im Geringsten. Laut OHD werden Käufer und Gäste aus Europa und den USA kommen, laut Touristikern auch aus dem Mittleren Osten und Asien. Aber die Geschichte des Tourismus zeigt: Jedes Grandhotel macht Krisen durch. Andermatt sollte von den Davosern lernen: Diese verlangten von den Investoren des Turms auf der Schatzalp einen Rückbaufonds mit fünf Millionen Franken, um den Turm falls nötig wieder abzubrechen.

Was ist an Andermatt einzigartig?

Touristiker zweifeln kaum an Sawiris Erfolg. Weder ein Forscher wie Hansruedi Müller, Direktor des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus der Universität Bern, noch ein Praktiker wie Hanspeter Danuser, Kurdirektor von St.Moritz. Dieser ist «sehr optimistisch»: «Das Resort ist eine super Idee, ein Signal: Ein global tätiger Investor kommt in die Schweizer Alpen. Solche Impulse brauchen wir.» Konkurrenz fürchtet Danuser nicht, St.Moritz sei eine Liga für sich. Vielmehr ergänze Andermatt das Angebot. Der Glacier-Express bringe ihnen sommers einen Drittel der Gäste. «Aber die Strecke zwischen St.Moritz und Zermatt ist eine ‹Hängebrücke› – Andermatt wird der Mittelpfeiler.» Den Werbespruch schickt Danuser Sawiris gratis via Hochparterre: «Andermatt – In between St.Moritz and the Matterhorn.»

St.Moritz, Zermatt – wie soll Andermatt da mithalten? Wer hier «im Dienst» war, nennt es ein windiges Loch. Was ist hier einzigartig, eine Unique Selling Proposition? «Das Resort selbst», sagt Tourismusforscher Hansruedi Müller. Es sei zwar nicht das erste der Schweiz; er zählt Aminona, Haute-Nendaz oder Veysonnaz im Wallis auf. «Neu sind in Andermatt aber der kooperative Planungsprozess, die Grösse und der Gesamtcharakter.» Schwappt eine Resortwelle über das Land, wenn Sawiris Erfolg hat? «Kaum. Die Voraussetzungen sind hier einmalig: Viel, verfügbares und günstiges Land, ein kleiner Kreis von Verhandlungspartnern, Samih Sawiris als intelligenter, gewinnender Typ, der den Kontakt mit der Bevölkerung sucht.» Heikel sei die politische Dimension. «Die Ausnahmebewilligung der Lex Koller könnte zum Präjudiz werden», sagt der Professor. «Macht das Beispiel Schule, haben wir ein Problem im Alpenraum.» Erst recht, wenn die Lex Koller, wie der Bundesrat vorschlägt, 2010 fällt – ohne dass Kantone und Gemeinden raumplanerisch gewappnet sind.

Bisher wenig Widerstand erregt der Zweitwohnungsbau im Resort. 1500 kalte Betten sind geplant, grob gerechnet 400 Wohnungen – gigantisch. Samih Sawiris will Käufer verpflichten, ihre Wohnungen und Häuser zu vermieten. Aber je teurer die Häuser, desto fraglicher scheint dies. Un-gelöst ist auch die Frage, wo das Personal wohnen wird. Der Strahler und ehemalige Bankverwalter Peter Indergand reichte die erwähnte dritte Einsprache ein, wurde aber als nicht berechtigt abgewiesen. Er wollte Sawiris vorschreiben, für Personalunterkünfte und einen angemessenen Erstwohnungsanteil zu sorgen. Zwischen Gurtnellen und Realp seien vielleicht 70 Wohnungen frei, sagt Indergand. Wenn die etwa 1400 Arbeitskräfte von weither pendeln müssten, sei das weder raumplanerisch noch wirtschaftlich richtig. Kanton und Gemeinde kündigten im November 2006 eine Arbeitsgruppe zu den Unterkünften an. Sie wurde bisher nicht einberufen.

Wie das Geld im Dorf bleibt

Am schlimmsten fürs Dorf wäre, sagt Erich Renner, wenn gar nichts passierte. Denn die Armee ziehe sich zurück, die Bahn mit der Neat-Streckenführung auch bald. Renner, in Andermatt aufgewachsen, ist Professor und Co-Leiter des Instituts für Nachhaltige Entwicklung der Zürcher Hochschule Winterthur. Er analysiert die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen. Nachhaltigkeit, was heisst das hier? Das kleinste Problem sei die ökologische Veränderung. Die Armee habe den Boden längst belastet, planiert, begradigt. Der Golfplatz könnte Flora und Fauna gut tun. Und der Verkehr? «Während einer Rekrutenschule kamen Sonntag abends hunderte Autos an – viel mehr werden es beim Resort aufs Mal auch nicht sein.» Der Verkehr lasse sich bewältigen, wenn er organisiert sei, im alten Dorf wie innerhalb des Resorts. Kummer macht Erich Renner die Wirtschaftlichkeit. Der Kanton spricht von 120 Millionen Franken Rendite pro Jahr. Aber davon bleibt wenig im Dorf, da vermutlich Ketten die Hotels betreiben. «Bevölkerung und Behörden müssen sich in die langfristige Planung einschalten», fordert Renner. Ein neues Zeitalter für Andermatt beginnt, denn lange kamen die Gäste von selbst. Mit Handel und Südtourismus, seit 1870 mit der Armee. Will Andermatt die reichen, verwöhnten Gäste, muss es Angebot und Service gewaltig ausbauen. Erich Renner arbeitet an seinem Institut eine Projektskizze aus, wie das touristische Angebot verbessert werden könnte. Je breiter die Freizeitmöglichkeiten ausserhalb des Resorts, desto mehr Gäste nehmen sie in Anspruch. Und desto mehr Geld bleibt im Dorf oder zumindest im Kanton. «Dieses Angebot muss zur Eröffnung des Resorts stehen», sagt Renner. «Sonst kommen die Gäste einmal und nie wieder.» •-

An der Planung Beteiligte
Die Jury:
--› Samih Sawiris, Investor, Leiter Orascom Hotels&Development OHD (Vorsitz)
--› Hani Ayad, Architekt OHD
--› Kurt Aellen, Architekt (fachliche Leitung)
--› Tobias Ammann, Architekt
--› Heidi Z’graggen, Regierungsrätin und Justiz-direktion Kanton Uri
--› Roger Nager, Gemeindevizepräsident Andermatt
--› Franz Steinegger, alt Nationalrat und Präsident Andermatt Gotthard Sportbahnen
--› Bernhard Russi, Präsident Golfclub Realp

Ausgewählte Teams:
--› Sportzentrum: Theo Hotz, Zürich
--› Feriendorf: Teams Šik, Fickert, Knap-kiewickz, Zürich; Miller, Marantha, Basel; Devanthéry-Lamunière, Genf, Gino Zucchi, Mailand
--› Villen: Scheitlin-Syfrig&Partner, Luzern; group8, Genf; Müller Sigrist-Dipol, Zürich; Matti, Ragaz, Hitz, Liebefeld; Graber, Pulver, Masswerk, Zürich/Luzern; Sylvia&Reto Gmür, Basel; Hauenstein, La Roche, Schedler, Zürich
--› Hotels: Gay, Holzer, Kobler, Monthey; Atelier Christian Hauvette, Paris; Burkhalter Sumi, Zürich; Christian Kerez, Zürich; Steven Holl/Rüssli, Luzern; Studio Matteo Thun, Milano (diese sechs Bewerber können ihre Projekte präsentieren)
--› Projektleitung Quartiergestaltungspläne: Germann&Achermann Architekten, Altdorf

Tourismusresort Andermatt in Zahlen
--› Gesamtfläche: 145 ha
--› Wohnfläche aller geplanter Neubauten: 130 000 m²
--› Neue Betten: 3000; 1500 in Hotels, 1500 in Wohnungen (1300 bestehend)
--› Hotels: 5–7 Hotels in 4- und 5-Sterne-Kategorie, 1 Erstklasshotel ‹Bellevue› mit 160 Zimmern
--› Ferienhäuser: 50
--› Ferienwohnungen: 400
--› Anteil Zweitwohnungen: bisher 28 % (Jahr 2000); neu: 56 %
--› Arbeitsplätze: ca. 2000 direkte und indirekte neue Stellen
--› Zuwachs der Bruttowertschöpfung: CHF 120 Mio. / Jahr

hochparterre, Mi., 2007.08.15



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15. August 2007Caspar Schärer
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Das Preisrätsel

Jedes Jahr findet der Eidgenössische Wettbewerb für Kunst, Architektur und deren Vermittlung statt. Stolze 720000 Franken vergab die Jury. Ihre Entscheide machen oft ratlos. Wie lauten die Kriterien und Ziele? Der Präsident, ein Mitglied und drei der Architektur-Experten geben Auskunft.

Jedes Jahr findet der Eidgenössische Wettbewerb für Kunst, Architektur und deren Vermittlung statt. Stolze 720000 Franken vergab die Jury. Ihre Entscheide machen oft ratlos. Wie lauten die Kriterien und Ziele? Der Präsident, ein Mitglied und drei der Architektur-Experten geben Auskunft.

Isa Stürm: Zuerst sichten wir die eingesandten Dossiers. Wir Experten lesen uns durch die Architektur-Dossiers – dieses Jahr etwa fünfzig völlig unterschiedliche Portfolios. Diese geben meist mehr zu lesen als jene der Künstler, weil die Architekten mehr zu erklären haben.

Schaut jede Expertin und jeder Experte alle Dossiers an?

Carlos Martinez: Ja, alle gehen einmal durch und machen sich ihre Gedanken. Nachher diskutieren wir in der Runde.

Wie viel Zeit nehmen Sie sich für dieses Studium?

Andreas Reuter: Fast einen ganzen Tag. Zunächst arbeiten wir einen halben Tag, dann schlafen wir darüber. Nachher wird es spannend: Wir nehmen uns gemeinsam jedes Dossier vor und entscheiden aufgrund der Diskussion, ob es ausgeschlossen wird oder weiterkommt. Am Ende haben wir eine gewisse Anzahl, die wir der Kommission vorschlagen, damit diese zur zweiten Runde eingeladen werden.

Die Expertenrunde ist damit so etwas wie die Architekturjury des Eidgenössischen Wettbewerbs für Kunst. Schauen sich die Mitglieder der Kommission ebenfalls alle Dossiers an?
Hans Rudolf Reust: Nein, bei der ersten Auswahl nicht. Die vier Experten studieren die Dossiers genau und bringen die Vorschläge ein. Wichtig und interessant für beide Seiten ist aber die Begründung der Auswahl und die nachfolgende Diskussion. Bis jemand einen Preis erhält, müssen wir dies zweimal voreinander argumentieren.
Peter Hubacher: Die Kommission hat jederzeit Zugriff auf sämtliche Dossiers. Sie kann über Wiedererwägungen die Experten fragen, warum sie dieses Dossier ausgeschieden haben und ein anderes weiterempfehlen.

Wie muss man sich die Architekten-Dossiers vorstellen?

Isa Stürm: Wie gesagt, sie sind sehr unterschiedlich. Manche bringen schon im Portfolio einen Vorschlag, was sie später als Installation machen würden. Andere befassen sich mit einem Thema, bei dem man sieht, das könnte was werden. Wiederum andere haben einfach ein gutes Projekt, das es verdient hätte, in einer Ausstellung gezeigt zu werden.

Die einen geben ein Portfolio ein, beinahe wie bei einer Stellenbewerbung, andere zeigen schon Ansätze zu einer konkreten Arbeit. Sind solch verschiedene Eingaben überhaupt vergleichbar?
Peter Hubacher: Es geht weniger ums Vergleichen, sondern ums Ausloten eines Potenzials, das man einem Bewerber zutraut. Zum Beispiel interessiert uns die Auseinandersetzung mit einem architektonischen Gedanken, ohne dass schon festgelegt sein muss, wie dieser in der Ausstellung thematisiert und verarbeitet wird.
Andreas Reuter: Wir geben bewusst keine Empfehlung ab, in welcher Form die Eingaben zu erfolgen haben. Es ist jedem und jeder selbst überlassen, wie er oder sie sich und die Arbeit präsentieren möchte.
Hans Rudolf Reust: Man muss diese Offenheit als Wert betrachten. Wir suchen keine Tricks, sondern eine Art der Kommunikation, die dem Gegenstand oder einem Thema entspricht. Auf jeden Fall müssen wir herausfinden, was die Message ist. Und die kann man jurieren und auszeichnen.

Dieser Preis spricht also eine besondere ‹Gattung› von Architekten an – solche, die den künstlerischen Kontext suchen und sich darin bewegen?

Isa Stürm: Wir suchen die reflektierenden, forschenden, experimentierfreudigen Architektinnen und Architekten. Und sie müssen mutig an die Tat gehen.
Carlos Martinez: Es ist keine spezielle Art von Architekten gefragt, sondern eine spezielle Art der Arbeit und der Herangehensweisen. Wir wollen absichtlich nicht, dass die Architektinnen und Architekten einen Grundriss, einen Schnitt und drei Visualisierungen abgeben.

Diese Offenheit in Ehren, aber gehorchen Kunst und Architektur nicht unterschiedlichen Regeln?

Carlos Martinez: Mich würde interessieren, ob sich die Arbeitsweisen eines guten Architekten und eines guten Künstlers unterscheiden. Zu Beginn ihrer Arbeit haben doch beide einen Hintergrund, ein Konzept, oder sie kommen über ein Konzept zu einer Idee. Es sind verschiedene Disziplinen, aber ähnliche Arbeitsformen.

Warum werden die zwei Bereiche dann überhaupt aufgeteilt?

Hans Rudolf Reust: So wie ich es verstehe, stehen Felder der Architektur zur Diskussion. Diese Felder sind breit, und ein Teil dieser Aktivitäten überlagert sich mit künstlerischen Prozessen bis hin zu enger Zusammenarbeit. Eigentlich geht es um die Arbeitsweisen der Architektur, die hier möglichst breit dargestellt werden sollen.
Isa Stürm: Vielleicht sollte auch einmal die Professionalität der Architektur hinterfragt werden. Architekten neigen dazu, sich mit ihrem Professionalismus zu schützen. Ich finde es ganz gut, wenn sich Architekten wie Künstler fragen, was sie denn genau machen, und neben dem Dienstleistungsanspruch auch inhaltliche Fragen stellen.

Was ist am Schluss ausschlaggebend: allein die Ausstellung in Basel oder auch noch das eingereichte Dossier?

Peter Hubacher: Alles, was in Basel zu sehen ist, auch die Projekterläuterungen, werden juriert. Zu diesem Zeitpunkt kommen wir nicht mehr auf die Dossiers zurück; wir beurteilen also ausschliesslich die Arbeit der zweiten Runde.

Führt die Ausstellung auch zu Enttäuschungen?

Andreas Reuter: Es gibt Enttäuschungen und es gibt Überraschungen, gerade das finde ich spannend. Ich habe aber bemerkt, dass Architekten unglaublich Mühe haben, wenn sie sich im Raum frei entfalten können.

Sollte man dann nicht etwas ändern, zum Beispiel an der Ausgangslage, am System oder an den Kriterien?

Carlos Martinez: Wir wollen keine Richtlinien aufstellen. Es geht auch darum, den Architekten zu zeigen, dass es andere Medien gibt als nur gerade die ihnen vertrauten.
Hans Rudolf Reust: Wir leben in einer Zeit, in der es keine Unité de doctrine mehr gibt. Den Mangel an deutlichen Kriterien wirft man heute vielen Auswahlgremien vor. Man vermisst die ideologischen Entscheidungen. Es gibt so viele verschiedene Quellen, aus denen sich auch die Architektur nährt. Die wollen wir alle anzapfen. Darum ist unser Verfahren zeitgemäss. Der Preis ist ein Diskursfenster, in dem viele grundsätzliche Fragen aufgeworfen werden.

Aber entscheidend ist offensichtlich die Ausstellung. Und offenbar kämpfen damit ausgerechnet die Architekten?

Isa Stürm: Längst nicht alle. In den letzten Jahren haben sich die Beiträge der Architekten sichtlich verbessert. Die jüngeren Architekten haben Fertigkeiten entwickelt, wie sie ihre Arbeiten in einer Schau darstellen können. Die Installation ist zu einem selbstverständlichen Medium für architektonische Ideen geworden.

Dennoch: Das Risiko bleibt, jemanden aufgrund eines Dossiers zur Ausstellung einzuladen, der dort dann scheitert. Ist das überhaupt vertretbar angesichts der hohen Preissumme?

Hans Rudolf Reust: Wenn man kein Risiko eingeht, wird es öde. Wir müssen uns dieser Auseinandersetzung stellen.
Carlos Martinez: Der Kritikpunkt – dass keine klar fassbaren Kriterien da sind – ist genau unser Potenzial. Das Risiko, das wir eingehen, diese Offenheit, ist etwas Einzigartiges.

Führen Sie über die Beurteilung ein schriftliches Protokoll?

Peter Hubacher: Aufgrund der Fülle von Dossiers ist es schlichtweg unmöglich, über sämtliche Entscheide Protokoll zu führen. Wir halten aber die mehrstufigen Abstimmungsresultate in einem internen Protokoll fest.

Sie publizieren keinen Jurybericht. Würde dies nicht der Glaubwürdigkeit und der Transparenz dienen?

Andreas Reuter: Man kann diesen Preis nicht mit einem klassischen Architekturwettbewerb vergleichen. Beim Architekturwettbewerb gehen alle vom Gleichen aus: Raumprogramm und Aufgabe. Und alle liefern eine Lösung für diese Aufgabe ab. Hier ist es breit gestreut, die Teilnehmer können bringen, was sie wollen.
Peter Hubacher: Es ist nicht so, dass wir überhaupt nicht kommunizieren. Einen Jurybericht gibt es zwar nicht, aber wir suchen das persönliche Gespräch mit den Teilnehmern, falls nötig auch im Vorfeld bei Fragen zur Eingabe und zum Dossier. Ausserdem sind wir bei der Vernissage anwesend, damit alle bei Bedarf mit uns über die ausgestellten Projekte sprechen können. Doch diese Gelegenheit nutzen die Künstler und Architekten leider wenig.


Der Wettbewerb
Den Eidgenössischen Wettbewerb für Kunst gibt es seit 1899 – er ist damit der älteste Kunstwettbewerb der Schweiz. Das Verfahren hat zwei Runden. Zuerst senden die Bewerber aus den Sparten Kunst, Architektur sowie Kunst- und Architekturvermittlung Dossiers ein, dieses Jahr gegen 600 Stück. Daraus wählt die Jury, die Eidgenössische Kunstkommission, rund 130 Bewerberinnen und Bewerber, die jeweils im Juni in Basel gleich neben der Kunst-messe ‹Art› eine Arbeit ausstellen dürfen. In dieser Ausstellung entscheidet die Kommission, welche Arbeiten sie auszeichnet. Pro Jahr vergibt sie 20 bis 30 Preise zwischen 18000 und 25000 Franken. Bewerben kann man sich bis zum 40. Altersjahr, höchstens aber siebenmal. Höchstens dreimal erhält man einen Preis. www.bak.admin.ch

Kommentar
Die Juryentscheide des Eidgenössischen Kunstpreises lassen die Teilnehmerinnen wie auch Beobachter ratlos. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Jury vorgeht, warum sie sich für die eine oder gegen die andere Arbeit entscheidet. Diese Kritik entschärfen die Juroren und Experten im Interview nicht. Offen bleiben drei Punkte.
Erstens: Das Programm. Die Kommissäre und Expertinnen erklären im Interview, sie wünschten sich als Teilnehmer Architekten, die jenseits der Alltagsarbeiten forschen. Im Programm steht das nicht. Kann man überhaupt von Programm sprechen? Es nennt formale Teilnahmebedingungen, aber weder inhaltliche Leitlinien noch Hinweise zu den Erwartungen in den einzelnen Sparten. Freie Auseinandersetzung ist gut, auch in der Architektur. Die Trennung von Kunst und Architektur macht durchaus Sinn. Doch selbst ein kurzes Bekenntnis der Kommission zu den Erwartungen in diesen beiden Sparten fehlt. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bleibt nur, auf die Erfahrung der Kommission zu vertrauen. Und der Kommission bleibt nur, immer wieder auf einen ‹guten Jahrgang› zu hoffen. Nötig aber ist eine präzise programmatische Arbeit der Kommission und vor allem des Bundesamts für Kultur: Was soll dieser Wettbewerb leisten?
Zweitens: Das Dossier und die Ausstellung. Die Kommission ist gegen verbindliche Kriterien und beharrt auf der Offenheit der Eingaben zuerst im Dossier, dann in der Ausstellung. Al-le sollen mitmachen können und alle auf ihre Weise. Die Kommission schreibt sich die Fähigkeit zu, mit dieser Offenheit umgehen zu können. Sie bürdet sich damit schwierige Arbeit auf. Und hohe Erwartungen. Die Zweiteilung Dossier und Ausstellung ist heikel. Denn ein Dossier ist ein anderes Medium als eine Ausstellung. Auch die Offenheit bei der Bewerbung – ob Werkschau oder bereits Projektskizze – ist fraglich. Lädt die Jury aufgrund einer Werkschau jemanden zur zweiten Runde ein und stellt dieser Teilnehmer dann Enttäuschendes aus, ist das bitter für all jene, die in der ersten Runde abgelehnt wurden. Erst recht dann, wenn dieselben Bewerber mehrmals zur zweiten Runde eingeladen werden und dann mehrmals leer ausgehen. Kurz: Es ist nötig, die Art der Bewerbung kritisch zu prüfen.
Drittens: Die Rechenschaft. Die Eidgenössische Kunstkommission hat viel Macht. Sie verteilt Geld, beeinflusst Karrieren und setzt Themen in der Debatte um Kunst und Architektur. Während acht Jahren kann ein Mitglied oder eine Expertin den Wettbewerb mitbestimmen – subjektiv und unabhängig. Das ist gut und richtig. Unhaltbar aber ist, dass die Kommission keinen Beurteilungsbericht abgibt. Wer 720000 Franken öffentliche Gelder verteilt, ist sowohl den Teilnehmern als auch der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig. Viele Teilnehmer sind von den Resultaten enttäuscht und ratlos. Dass sie eingeladen sind, Jurymitglieder an der Vernissage zu befragen, genügt nicht. Es ist wichtig und nötig, dass die Kommission ihre Entscheide beschreibt, die Preis-träger würdigt und über den Stand der Dinge berichtet. Und sich so selbst der Kritik stellt. Ohne Jurybericht, ohne Transparenz der Entscheide sind wir zu Spekulationen gezwungen. Diese enden in Vorwürfen der Mauschelei, der Seilschaft und gar der Lotterie. Rahel Marti


Die Eidgenössische Kunstkommission
Die neun Mitglieder der Kunstkommission wählt der Bundesrat für eine Amtsdauer von acht Jahren. Kandidatinnen und Kandidaten schlagen das Bundesamt für Kultur und die Kommission selbst vor. Diese wiederum ernennt die zurzeit vier Architekturexpertinnen und -experten, ebenfalls für acht Jahre. Da die Amtszeiten nicht synchron verlaufen, ändert die Zusammensetzung der Kommission Jahr für Jahr.
--› Der Präsident: Hans Rudolf Reust, Kunstkritiker und Dozent, Bern
--› Die Mitglieder: Stefan Banz, Künstler, Cully VD; Mariapia Borgnini, Künstlerin, Lugano; Peter Hubacher,
Architekt, Herisau; Simon Lamunière, Künstler, Genf; Jean-Luc Manz, Künstler, Lausanne; Hinrich Sachs, Künstler, Basel; Nadia Schneider, Direktorin Kunsthaus Glarus; Sarah Zürcher, Direktorin Centre Fri-Art, Fribourg
--› Die Experten: Geneviève Bonnard, Architektin, Monthey VS; Carlos Martinez, Architekt, Berneck; Andreas Reuter, Architekt, Basel; Isa Stürm, Architektin, Zürich.

hochparterre, Mi., 2007.08.15



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16. Mai 2007Rahel Marti
hochparterre

Sie kamen, siegten und scheiterten

Wenn die Gemeinde Domat/Ems im Kanton Graubünden am 9. Juni ihre Freizeitanlage einweiht, werden die Architekten nicht dabei sein. Die Gemeinde hatte den einstigen Wettbewerbssiegern fristlos gekündigt – wenige Wochen nach dem Spatenstich. Eine Chronik und ein Fazit.

Wenn die Gemeinde Domat/Ems im Kanton Graubünden am 9. Juni ihre Freizeitanlage einweiht, werden die Architekten nicht dabei sein. Die Gemeinde hatte den einstigen Wettbewerbssiegern fristlos gekündigt – wenige Wochen nach dem Spatenstich. Eine Chronik und ein Fazit.

Im Herbst 2003 gewann das Zürcher Architekturbüro Müller Verdan Weineck den offenen Wettbewerb für die Freizeitanlage ‹Vial› in Domat/Ems. Es war eines jener Projekte, die ein Architekt mit dem Gefühl abgibt, das könnte etwas werden. Domat/Ems plante eine Dreifachturnhalle mit Tribüne und dazu ein Musikzentrum mit Probe- und Unterrichtsräumen. Das erstrangierte Projekt sah die Dreifachhalle als Herz der Anlage vor, belichtet durch ein Glasdach, auf dem Fotovoltaik-Felder für Strom und zugleich für Schatten sorgen sollten. Um die Halle legten die Architekten einen Kranz aus eingeschossigen Trakten für die übrigen Funktionen: auf der Schmalseite nach Osten das Foyer, auf jener nach Westen das Musikzentrum, auf der Längsseite nach Süden die Garderoben, auf jener nach Norden die Geräteräume. Als Baumaterial schlugen sie den in der Region hergestellten ‹Misapor›-Beton vor, einen Konstruktionsdämmbeton. Die Jury lobte: Das Projekt sei «die Erfindung eines ganz speziellen Sporthallentypus», es habe «fast magische Ausstrahlung».

Auch Gemeindepräsident Peter Wettstein und der Leiter des Bauamts, Martin Durisch, waren zufrieden: «Der Wettbewerb hatte sich gelohnt, das Projekt gefiel uns.» Die Zusammenarbeit mit dem Zürcher Büro startete gut, rasch bot man sich das Du an. Bald stellte sich aber heraus, dass man auf das Solardach und den ‹Misapor›-Beton verzichten musste. Zwar hatten Müller Verdan Weineck für beides Fachplaner und Produzenten zur Hand, doch wäre es für die das erste Projekt dieser Grösse gewesen. «Diese Risiken mit entsprechenden Kostenfolgen konnte die Gemeinde nicht übernehmen», erklärt Peter Wettstein.

Uneins beim Dach

Am 16. Mai 2004 bewilligte die Gemeindeversammlung den Baukredit von zwölf Millionen Franken, am 1. Dezember reichten die Architekten die Baueingabe ein. Form und Konstruktion des Dachs blieben Diskussionspunkte. Statt des Glasdachs hatten Müller Verdan Weineck ein Flachdach mit rund vierzig Oberlichtern ausgearbeitet, um das Zenitallicht beizubehalten. Die Neigung der mit Spezialisten entwickelten Konstruktion betrug 1,5 Prozent, das in den SIA-Normen verlangte Minimum. Doch Dieter Federspiel, Domat/Emser Bauvorstand, und Bauamtleiter Durisch blieben skeptisch: «Mit Flachdächern hatten wir schlechte Erfahrungen gemacht, sie waren oft undicht.» Sie forderten ein Gefälle von mindestens 5 Prozent. Die Architekten konstruierten diese Variante, schlossen sie aber für eine Realisierung aus. Das höhere Gefälle war weder technisch nötig, noch entsprach es ihrer architektonischen Idee.

Weitere Diskussionspunkte waren Kosten und Termine. Die Gemeinde erwog anfangs, einen Generalunternehmer zu verpflichten. Doch die Architekten wollten die Ausführung selbst planen; für die örtliche Bauleitung nahmen sie das Churer Büro Albertin Zoanni unter Vertrag. Zur Kontrolle der Kosten und Termine schlugen sie vor, mit der Garantengesellschaft SGC zusammenzuarbeiten. Die SGC prüfte Architekten, Pläne und den Kostenvoranschlag auf Punkt und Komma. Sie zeigte Verbesserungs- und Einsparmöglichkeiten auf und bot der Gemeinde einen Kostengarantievertrag an, basierend auf Preisen von Unternehmern aus Stadtregionen wie Basel oder Zürich. Die SGC bestätigte, dass Müller Verdan Weineck korrekt geplant und – wenn auch knapp – gerechnet hatten und fähig waren, den Bau auszuführen. Als Referenz diente etwa die Sporthalle ‹Gotthelf› in Thun, die das Büro gerade ausführte, auch dies ein Wettbewerbserfolg.

Doch Wettstein und Durisch misstrauten dem Gutachten: «Es war nicht fundiert genug und brachte nicht, was wir erhofft hatten. Zudem ergab die öffentliche Ausschreibung, dass die Baumeisterarbeiten wesentlich teurer würden als budgetiert.» Das aber lag an der Gemeinde: Ihre Ausschreibung hatte die Preise weniger hoch als üblich gewichtet. Daher reichten nur regionale Unternehmer eine Offerte ein – mit teureren Preisen. Der regionale Vorzug hätte für die SGC bedeutet, das garantierte Kostendach zu erhöhen: «Will man aus politischen Gründen nur regionale Firmen berücksichtigen, so muss man oft mit höheren Preisen rechnen, weil der Wettbewerb nicht voll spielt», erklärt Beat Walder, Geschäftsleiter der SGC Basel. Aber die Gemeinde lehnte ein höheres Kostendach ebenso ab wie die Zusammenarbeit mit der SGC. Walders Fazit: «Die Domat/Emser wollten viel: eine Garantie auf den ganzen Bau, den genehmigten Kredit einhalten sowie örtliche Unternehmen berücksichtigen – Fünfer und Weggli.»

Bis September 2005 arbeiteten Müller Verdan Weineck an der Ausführungsplanung weiter. Noch immer rang man ums Dach, zudem um die Garderoben: Wichtiger Teil des jurierten Projekts waren direkte Eingänge in alle sechs Garderoben, um die Wege zu entflechten. Der Kanton als Subventionsgeber – in der Jury nicht vertreten – lehnte dies ab mit Bedenken bezüglich der Sicherheit und der Brauchbarkeit. Doch die Architekten planten nicht um und beliessen auch einige laut Kanton unnötige Toiletten. Beim Spatenstich am 5. September 2005 bemühten sich Gemeinde und Architekten um Harmonie – aber die Probleme wuchsen. «Die Gemeinde machte uns verantwortlich für Verzögerungen und höhere Preise, die auf ihre Änderungswünsche selbst noch am laufenden Bau zurückgingen», sagen Müller Verdan Weineck. – «Die Architekten waren mit den Plänen in Verzug, sodass die Baumeister reklamierten, und in der Ausschreibung fehlten wichtige Positionen», sagen Wettstein und Durisch. «Wir fürchteten, dass wir den Bau nicht zu den veranschlagten Kosten erhalten würden.» Am 19. Oktober 2005, sechs Wochen nach dem Spatenstich, kündigte die Gemeinde den Architekten den Vertrag mit sofortiger Wirkung. In nur einer Woche mussten sie sämtliche Pläne abliefern. Die Gemeinde Domat/Ems übergab den Auftrag den bisherigen Bauleitern Robert Albertin und Alexander Zoanni.

Futter für Juristen

Gegen die Kündigung konnten die drei nicht viel unternehmen. Es blieb ihnen nichts übrig, als die Pläne abzugeben – und zu schauen, dass sie zu ihrem Geld kamen. Jürg Gasche, Rechtsexperte des SIA, bestätigt: «Der Architektenvertrag ist rechtlich gesehen ein Auftrag für eine Leistung und nicht für ein Produkt wie der Werkvertrag – er ist jederzeit von beiden Seiten kündbar.» In diesem Fall aber kündigte die Gemeinde spät, nach Baubeginn. Die SIA-Norm 102 sieht vor, dass bei ‹Kündigung zu Unzeiten› eine Pauschale von zehn Prozent der entzogenen Auftragssumme gefordert werden kann. Müller Verdan Weineck hätten vor Gericht deshalb Schadenersatz fordern können. Ihre Rechtsanwältin, Claudia Schneider-Heusi, riet «trotz guter Erfolgschancen» ab. «Ein Gerichtsverfahren kostet Geld und Nerven. Und es kann sich über Jahre hinziehen, ohne dass das Urteil die Kläger am Ende befriedigt.» Stattdessen einigte man sich auf einen raschen aussergerichtlichen Vergleich, der Schadenersatzansprüche, Honorare und die Abgeltung von Urheberrechten regelte. Zudem sprach die SIA-Honorarkommission den Architekten fast alle geforderten Honorare zu. Fast alles ist erledigt – sie warten noch auf die letzte Zahlung.

Zeit für ein Fazit.

Haben Müller Verdan Weineck die Anliegen der Bauherrschaft zu wenig ernst genommen? Waren sie zu ehrgeizig, wollten sie ihre Architektur stur durchsetzen? Misstrauten umgekehrt Wettstein, Federspiel und Durisch den Fähigkeiten der Architekten, redeten sie ihnen zu sehr drein? Wollte Domat/Ems das Zürcher Büro loswerden, weil das Vertrauen geschwunden war?

Mutmassungen. Sicher ist: Das Ende betrübt alle Beteiligten. Die Gemeinde kann ihre Freizeitanlage erst am kommenden 9. Juni eröffnen, dabei war dies im Oktober 2006 geplant: Diese Verzögerung und der Architektenwechsel kosten Geld und Nerven. Mit dem Resultat aber sind Peter Wettstein und Martin Durisch nach wie vor zufrieden «und jetzt ist der Bau fast fertig». Er habe im Dorf noch nie ein schlechtes Wort über die Architektur gehört, sagt Peter Wettstein. Das ist bitter für die Architekten: Sie verloren nicht nur einen 12-Millionen-Auftrag, sondern auch zwei Jahre Arbeit an einem Entwurf – den nun andere ausführten. «Es ist nicht mehr unser Projekt, aber auch kein ganz anderes», versuchen sie zu beschreiben. Vom «felsigen Charakter», den sie mit gestocktem Beton erzeugen wollten, blieb gewöhnlicher Sichtbeton übrig. Das Dach wurde auf Anweisung der Gemeinde geschlossen und «technisch einwandfrei konstruiert». Tageslicht fällt nun durch ein Fensterband auf der Nordseite in die Halle, die so ein anderer Raum geworden ist. Um zu sparen, schraubte die Gemeinde die Qualität der Detaillierung herunter – auch dies schmerzt Müller Verdan Weineck, die perfekt bauen wollen: «Eine selbst für hiesige Verhältnisse aussergewöhnlich sorgfältige Detaillierung», attestiert Martin Tschanz in ‹Werk, Bauen Wohnen› ihrer Sporthalle ‹Gotthelf› in Thun. Auch wenn die neuen Architekten in Domat/Ems unter Spardruck das Beste machten: Der Bau zeigt, dass formal einfache Architektur ins Banale kippt, wenn ihr die feinen Wesenszüge fehlen.

Ein paar Anregungen

Peter Wettstein schliesst aus dem Geschehen: «Wir überlegen, künftig professionelle Bauherrenvertreter beizuziehen. Und die Bauleitung sollte nicht unter Aufsicht der Architekten stehen.» Raphael Müller, Dominique Verdan und Ralf Weineck wollen künftig «Warnsignale früher erkennen». Sie wollten vorwärtsmachen und glaubten, den Rank schon zu finden. Doch schwelende Konflikte zu überspielen – und sei es auch gut gemeint –, ist gefährlich. «Architekten sollten hellhörig sein und bei Anzeichen von Schwierigkeiten früh Rat suchen», sagt die Rechtsanwältin Claudia Schneider-Heusi. Domat/Ems ist nicht die einzige Gemeinde, deren Beziehung zu Wettbewerbsgewinnern zu Bruch ging. Kommen Wettbewerbsgewinner von weither, geraten sie ab und zu zu Aussenseitern. Den Draht zur Bauherrschaft zu finden, braucht da Fingerspitzengefühl. Darum sind die Fachverbände gefragt: Sie müssen dafür schauen – zum Beispiel mit der SIA-Wettbewerbsordnung –, dass vor allem junge Wettbewerbsgewinner und ihr Projekt mindestens von einer Delegation der Jury und mindestens während der ersten Sitzungen begleitet werden. Dies könnte Bauherrschaften die Bedenken vor offenen Wettbewerben nehmen und Konflikte schon früh klären helfen. Und es änderte wohl auch das Verhalten der einen oder anderen Fachjurorin, die nach dem Juryentscheid die Baustelle verlassen. Wären sie weiter verantwortlich, nähmen wohl einige beim Jurieren die Anliegen der Bauherrschaft ernster.

hochparterre, Mi., 2007.05.16



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27. November 2006Rahel Marti
hochparterre

Altbau in Weiss

RM
Umbau Altstadthaus, 2006
Lindenhofstrasse 13, 8001 Zürich
--› Architektur: Michael Meier und Marius Hug, Zürich
--› Bauherrschaft: Stadt Zürich
--› Gebäudekosten: CHF 1,45 Mio.
--› Gebäudekosten (BKP 2/m_): CHF 648.–

RM
Umbau Altstadthaus, 2006
Lindenhofstrasse 13, 8001 Zürich
--› Architektur: Michael Meier und Marius Hug, Zürich
--› Bauherrschaft: Stadt Zürich
--› Gebäudekosten: CHF 1,45 Mio.
--› Gebäudekosten (BKP 2/m_): CHF 648.–

Das Haus am Zürcher Lindenhof wurde 1876 erbaut und in den Sechzigerjahren zu Büros umfunktioniert mit PVC-Belägen und Akustikplatten. Wie verwandeln wir den Büromief wieder in Wohnungen, fragte die Stadt in einem Plan-erwahlverfahren. Michael Meier und Marius Hug schlugen trotz Bedenken der Denkmalpflege vor, das Treppenhaus zu verkürzen und die obersten beiden Geschosse zu einer 5-Zimmer-Maisonette mit interner Treppe zu verschmelzen. Ein kluger Schritt: Die Wohnung scheint endlos, sie ist zu einem Haus im Haus geworden. Die Innentreppe modellierten die Architekten zu einer eleganten, weissen Figur. Überhaupt das Weiss: Wände, Decken, Holzwerk, Türen oder Küchenfronten, alles strahlt weiss, jedes Material in einem eigenen, leicht gebrochenen Ton. Selbst der Boden: Meier Hug liessen überall einen hellen, fugenlosen Polyurethan – eine Art Gummibelag – ausgiessen. Dadurch kippt die Stimmung zuweilen ins Klinische, zumindest in den noch leeren Wohnungen. Das irritiert, weil man in diesem Haus altbauliche Wärme erwartet. Aber hinter dem Weiss steht ein mutiger Entschluss: Weil die Substanz nicht zu retten war, ergriffen die Architekten die Flucht nach vorn: Experiment statt Ersatz.

hochparterre, Mo., 2006.11.27



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07. August 2006Rahel Marti
hochparterre

Wenn Bundesbahnen planen

Gewonnen hat das Projekt, das den höchsten Profit verspricht - nicht das architektonisch beste. So endete in Luzern ein Studienauftrag der SBB. Das wirft Schatten auf die grosse Immobilien- und Landbesitzerin. Wir fragen: Wie gut können die SBB städtebauliche Projekte entwickeln? Was geschieht mit dem Boden in öffentlichem Besitz?

Gewonnen hat das Projekt, das den höchsten Profit verspricht - nicht das architektonisch beste. So endete in Luzern ein Studienauftrag der SBB. Das wirft Schatten auf die grosse Immobilien- und Landbesitzerin. Wir fragen: Wie gut können die SBB städtebauliche Projekte entwickeln? Was geschieht mit dem Boden in öffentlichem Besitz?

Die SBB bemühen sich um Baukultur und erhalten gute Noten dafür. 2005 gewannen sie als erstes Unternehmen den Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes, immer wieder werden sie mit Brunel Awards ausgezeichnet, den Architektur- und Designpreisen der Bahnen (HP 9/05).

Doch den SBB gehören nicht nur Bahnhöfe und Brücken, die sie gut gestalten und pflegen, sondern auch Land: 105 Millionen Quadratmeter, das sind dreimal der Kanton Basel-Stadt oder ein Vierhundertstel Schweiz. Beeindruckend ist weniger das Ausmass als die Qualität dieses Besitzes: Ein stattlicher Anteil davon ist Land an erstklassiger Lage in den Stadtzentren - mit entsprechendem Wert. Vor hundert Jahren lag der Bahnhof abseits des Stadtzentrums, heute ist er nicht selten das Zentrum schlechthin. Hinter den Bahnhöfen und seitlich der Gleise gehört den SBB Land, auf dem sie früher Güter umschlugen oder das sie für neue Gleise und Gebäude horteten. Heute weiss man: Für eigene Zwecke werden die SBB diese Flächen nie mehr brauchen. Von Genf über Biel nach Aarau bis Chur ist zentraler Boden frei geworden.

Boden zu Geld machen

Schon vor fünfzehn Jahren (HP 3/91) war klar: Dieses Land ist Gold wert und wird den SBB einst viel Ertrag bringen, besser, wegen der Leistungsvereinbarung bringen müssen! Doch es ist anspruchsvoll, Boden zu Geld zu machen. ‹Entwickeln› heisst diese Arbeit: analysieren, was und wie viel auf dem Land gebaut werden darf, abschätzen, was und wie viel sich an wen verkaufen lässt - und projektieren bis knapp vor dem Spatenstich. Zwar kann eine Landbesitzerin ihren Boden auch ‹leer›, also ohne Projekte verkaufen. Den grössten Profit aber holt aus seinem Boden, wer ihn samt einem baureifen Projekt verkauft. Denn der Immobilienmarkt ist risikoscheu, da langfristig ausgerichtet - der Ertrag muss rasch und vor allem über lange Zeit fliessen. Deshalb steigen Investoren wie Pensionskassen erst ein, wenn ein Projekt bewilligt ist und Rekurse bereinigt sind. Die Landverkäuferin kostet diese Planung bis zur Baureife zwar hohe Vorinvestitionen, doch sie veredelt so ihren Boden und kann ihn umso teurer verkaufen.

Achtzig grosse Areale entwickeln die SBB zurzeit schweiz-weit nach diesem Muster - gewaltige Flächen, gewaltige Arbeit. Als Bauherrschaft sammeln die SBB Preise; wie steht es mit ihren Entwicklungskünsten? Aus hoher Flughöhe winken auch hier gute Noten. Das Unternehmen arbeitet mit den Behörden zusammen, führt vorbildliche Gestaltungsplanverfahren und Projektwettbewerbe durch - selbst dort, wo es nicht müsste: Zwar gehören die SBB dem Bund, doch für Bauten, die der Bund später nicht selbst nutzt, ist die öffentliche Ausschreibung nicht zwingend. Die SBB wissen aber: Die politische Legitimation ist unabdingbar für die Bewilligung von Projekten, die in den jeweiligen Städten fast immer als Grossprojekte gelten.

Ziel verschleiert

Doch schauen wir genauer hin - auf das Beispiel Güterareal Luzern (hpw 3/06). Das Gebiet liegt hinter dem Bahnhof und misst 9800 Quadratmeter. Auch hier erarbeiteten SBB und Stadt einen Gestaltungsplan im Rahmen des städtischen Entwicklungsschwerpunkts Bahnhof Luzern. Für die Projektierung einer Wohn- und Geschäftsbebauung war keine öffentliche Ausschreibung nötig; die SBB wählten also einen Studienauftrag auf Einladung. Nebst den Luzerner Architekten Daniele Marques und Lussi+Halter konnten sie vier renommierte Büros dafür gewinnen: Peter Zumthor, Burkhalter Sumi, Meili Peter und Diener&Diener. Als unabhängige Mitglieder sassen Mike Guyer, Quintus Miller und Sabina Hubacher (Ersatz) in der Jury. Gewonnen haben den Studienauftrag Lussi+Halter - nicht mit der besten Architektur, sondern mit dem für die SBB profitabelsten Konzept. Sie portionierten die Nutzungen in investorengerechte Happen: in ein Haus mit Büros, eines mit Eigentums- und eines mit Mietwohnungen. Ihr Projekt kam dem von den SBB angestrebten Landwert am nächsten. Dieser Wert besagt: Sämtliche Erträge aus den Nutzflächen, abzüglich die Erstellungs- und Entwicklungskosten, geteilt durch die Grundstücksfläche. Die SBB hatten diesen Landwert den Teilnehmern nicht angegeben und nicht explizit gefordert, und doch gab er am Ende den Ausschlag für das Siegerprojekt. Für Teilnehmer wie unabhängige Fachjury - sie hat nicht für das Siegerprojekt gestimmt - hinterlässt das Verfahren einen bitteren Nachgeschmack; man fühlt sich missbraucht, wenn eine Auftraggeberin ihre Ziele verschleiert.

Bauen oder verbauen?

Der Studienauftrag Güterareal wirft Fragen zur Entwicklungsarbeit der SBB auf. Zunächst auf der Ebene der Architekturverfahren: Gewöhnlich - auch in Luzern - lassen die SBB in den Wettbewerbsprogrammen offen, ob sie selbst in die Projekte investieren oder ob sie verkaufen werden.

Was sagen Experten zu diesem Vorgehen? „Wer investieren wird, spielt grundsätzlich keine Rolle. Entscheidend ist: Das Projekt muss entwickelt und marktreif sein. Je näher der Verkaufsentscheid am Termin der Baubewilligung liegt, desto besser kann man ein Projekt den Bedürfnissen von Investoren und Nutzern anpassen“, meint Philippe Mueller, Partner bei den Zürcher Immobilienentwicklern Kuoni Mueller&Partner. „Die Architektur sollte bis zum Verkauf so flexibel wie möglich bleiben und der Nutzungsmix - Wohnungen, Büros, Läden - aufgrund aktueller Tendenzen bestimmt werden“, sagt Mueller. Ob so architektonische Qualität gewahrt bleibt, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Anderer Meinung als Mueller ist Martin Hofer, Partner bei Wüest&Partner, Zürich: „Es empfiehlt sich, vor dem Wettbewerb abzuklären, welche Art von Wohnungen, Büros und Läden an einem Ort Sinn machen, das heisst auch: vermarktbar sind.“ Hofer weiss: „Wettbewerbe, die städtebaulich-architektonisch ausgerichtet sind, bei denen die spätere Nutzung also offen bleibt, führen in der Regel zu Verzögerungen oder gar Widersprüchen - wenn die ausgewählte Form und die später bestimmte Funktion nicht zusammenpassen.“

Wiederum übertragen auf das Verfahren in Luzern: Hätten die Teilnehmer eine Marktanalyse zur Unterlage erhalten, so hätten sie für diese Bedürfnisse entwerfen können, statt ein architektonisch einzigartiges, aber in den Augen der SBB am Markt vorbeizielendes Angebot zu entwerfen, wie es zum Teil geschah. Einmal mehr gilt: Der Wettbewerb ist so gut wie sein Programm. Damit sind wir bei der Rolle der Architekten. Gewöhnlich stellen die SBB keine konkreten Raumprogramme auf. Jedes Team muss ein vermarktbares Nutzungsangebot heraustüfteln, also den Rat professioneller Entwickler holen oder selbst Entwicklungsarbeit leisten. Doch sind Architekten Fachleute für diese Arbeit? Schieben die SBB damit nicht einen Teil ihrer Hausaufgaben als Entwickler ab?

Alles Land verkaufen?

Dies führt zur Investitions- und Finanzierungsstrategie der SBB. Hier sind sich die Experten Mueller und Hofer einig. „Es fragt sich, ob ein Eisenbahnunternehmen in Nutzungen investieren soll, die nichts mit seinem Betrieb zu tun haben - etwa in Wohnungen“, sagt Martin Hofer. „Dieser Markt funktioniert anders und verlangt anderes Wissen.“ An grossen Bahnhöfen könne ein Immobilienengagement in kommerzielle Nutzungen aber interessant sein.

Warum also lassen die SBB offen, in welche Nutzungen sie selbst investieren werden? Wer entscheidet dies aufgrund welcher Kriterien? Wie und wann bestimmen die SBB, auf welchen der 80 Areale sie selbst bauen werden? Wie klassieren sie die Areale? Wie lautet die Strategie?

Damit sind wir bei einer brisanten, weil öffentlichen Frage: Wieviel ihres teuren Bodens wollen die SBB verkaufen? Sollen sie überhaupt verkaufen? Kritische Stimmen sehen dies als Ausverkauf des Tafelsilbers der Bevölkerung. Auch Martin Hofer würde nur die wenig interessanten Areale verkaufen und die wertvollen im Baurecht abgeben. Philippe Mueller dagegen findet den Verkauf richtig; solange die SBB in den eigenen Betrieb reinvestierten, gehe das Volksvermögen nicht verloren. Doch worin sollen die SBB reinvestieren? Ist diese Strategie nicht zu kurzfristig? Wo wollen die SBB in dreissig Jahren, eine Generation später, mit ihren Arealen stehen? Was ist, wenn alles verkauft ist? Bisher bekennen die SBB generell: Im Umfeld der Bahnhöfe sollen lebendige Quartiere entstehen. Diese stärken die Zentrumsrolle der Bahnhöfe und bringen Kundschaft. Wie aber sichert das Unternehmen, dass auf den Arealen trotz des massiven ökonomischen Drucks weiterhin preiswürdige Architektur gebaut wird? - Ein Abschnitt voller Fragen, die wir den SBB gern gestellt hätten. Doch wir wurden freundlich auf den Herbst vertröstet: Genau an diesen Fragen arbeite man, Antworten gebe es deshalb noch keine.

hochparterre, Mo., 2006.08.07



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30. Juni 2006René Hornung
Rahel Marti
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Zwei Klangfeuer entfacht

Herzog & de Meuron planen auf einer Weide bei Courgenay im Jura einen Konzertsaal und Peter Zumthor soll am Schwendisee im Toggenburg ein Klanghaus entwerfen. Zwei mutige Projekte, die auf architektonische Strahlkraft und Musikgenuss in Abgeschiedenheit setzen.

Herzog & de Meuron planen auf einer Weide bei Courgenay im Jura einen Konzertsaal und Peter Zumthor soll am Schwendisee im Toggenburg ein Klanghaus entwerfen. Zwei mutige Projekte, die auf architektonische Strahlkraft und Musikgenuss in Abgeschiedenheit setzen.

Ein ‹Oeuvre d'art› nennt Georges Zaugg das Konzerthaus, das Herzog & de Meuron für eine Weide oberhalb des jurassischen Weilers Courtemautruy entworfen haben (‹Gefühlte Architektur›, Seite 45). Zaugg ist doppelter Vater des Projekts: Zum einen gründete er 1977 das kleine, aber feine ‹Festival du Jura›, das endlich einen Konzertsaal bekommen soll, der Topinterpreten und ein Toppublikum anlockt. Zaugg ist Vorsitzender der Stiftung ‹Auditorium du Jura›, die sieben jurassische Politik- und Kulturpersönlichkeiten gründeten, um das Haus mit 700 Plätzen zu bauen und zu betreiben. Zum anderen ist Georges der Bruder des Künstlers Rémy Zaugg, der bis zu seinem Tod im August 2005 oft mit Herzog & de Meuron zusammengearbeitet hatte. Georges Zaugg, Jacques Herzog und Pierre de Meuron bezeichnen das Gebäude als ihre Hommage an den Künstler; im Konzerthaus sollen Werke von ihm und anderen internationalen Künstlern ausgestellt werden. Die Brüder hatten den besonderen Platz nicht weit ihres Geburtsorts Courgenay noch gemeinsam ausgesucht. Rémy Zaugg zeichnete zwischen den künftigen Standort des Auditoriums, Le Corbusiers Kappelle in Ronchamp und dem französischen Ornans, Geburtsort des Malers Gustave Courbet, ein virtuelles Kulturdreieck.

Hört man Georges Zaugg zu, so funkelt im Entwurf ein werdendes Wahrzeichen des jurassischen Aufbruchs. „Wir beleben die Kultur im ganzen Jurabogen. Das Haus wird ein Emblem unseres Kantons mit landesweiter Ausstrahlung.“ Pierre de Meuron doppelt nach: „Es wird ein Statement für die Schweiz. Wir rücken diesen magischen Ort ins Bewusstsein.“ Der Kanton Jura liegt auf der Karte des ETH Studios Basel (HP 9/05) in einer ‹Stillen Zone›: Gebiete, die fern grösserer Zentren und eher statisch sind. „Differenzen erkennen und fruchtbar werden lassen; in einzelnen Gebieten unterschiedliche Qualitäten entwickeln“ - das Projekt in Courtemautruy liegt im Sinn des ETH Studios Basel. Georges Zaugg ist überzeugt, das ‹Auditorium du Jura› werde die jurassische Wirtschaft ankurbeln. Es locke Musikliebhaber, Architekturtouristen und Unternehmen in die Region. Die heute auf 20 Millionen Franken veranschlagten Baukosten sieht Zaugg vornehmlich in die jurassische Wirtschaft fliessen; lokale Unternehmer sollen mit einheimischem Holz bauen.

Die Weide: Glück oder Grab

Die Architektur von Herzog & de Meuron ist Zauggs Trumpf. Der magische Ort aber könnte Glück wie Grab sein. Basel und Biel sind gut 50 Autominuten entfernt, weitere Städte - Muhlhouse, Besançon, Montbéliard, Belfort, Solothurn - eine Stunde und mehr; als Infrastruktur sind lediglich 400 Wiesenparkplätze geplant. Ein Musiksaal auf der Weide im tiefsten Jura - wer fährt für ein Konzert dorthin? Das Publikum sei da, antwortet die Musikszene überraschend. „Raus aus der Stadt, hinein in einen Saal in der Natur, das wird immer beliebter“, weiss Christoph Müller, Geschäftsführer des Kammerorchesters Basel und künstlerischer Leiter des Menuhin Festivals in Gstaad.

Der Leiter Musik bei der Pro Helvetia, Thomas Gartmann, stimmt zu. Beide nennen zahlreiche Festivals, die dank dieses Konzepts grossen Zulauf verzeichnen: etwa das Schleswig-Holstein Musik Festival, das als ‹Musikfest auf dem Lande› in Gutshöfen stattfindet, oder die Schubertiade in Schwarzenberg im Bregenzerwald. Das Schweizer Musikinformationszentrum listet allein 45 Schweizer Festspiele auf, gut die Hälfte davon in ländlichen Orten. „Gerade abgeschiedene Orte ziehen ein grosses Publikum an“, ist Christoph Müller überzeugt. Die Reise sei kein Hindernis, sondern Teil des Erlebnisses. Thomas Gartmann schätzt: „In den Köpfen liegt der Jura weit weg. Doch das Projekt könnte funktionieren, wenn die Musik und die Ambiance erstklassig sind.“ Das Festival müsse ein eigenes Fenster öffnen, sich zum Beispiel in Barock-, Welt- oder zeitgenössischer Musik einen Namen schaffen. Problematisch finden aber beide Experten, dass keine Restaurants und Hotels geplant sind, die den Konzertbesuch abrunden könnten. Und beide fragen: „Wer nutzt das Haus in der festivalfreien Zeit? Das Geld für den Betrieb aufzutreiben ist schwieriger als jenes für den Bau!“

Dann könnten regionale Chöre, Gastorchester, Kongresse und Firmenanlässe das Haus füllen, zählt Georges Zaugg auf. Das tönt nach Allerweltsmix - möglich, dass die zündende Idee noch fehlt. Die Baukosten von 20 Millionen Franken sollen ganz von privaten Sponsoren und Mäzenen aufgebracht werden. Ebenso 5 Millionen Franken für einen Fonds, mit dem das Haus während der ersten Phase, die Zaugg auf 10 bis 15 Jahre schätzt, betrieben werden soll. Dass der Kanton Jura in der Rechnung nicht vorkommt, hat gute Gründe. Die Regierung lehnte ein Engagement für das Auditorium wegen der knappen Finanzen ab, sagt Jean Marc Voisard vom kantonalen Kulturamt. Dem Kanton stehen für kulturelle Institutionen und Projekte jährlich 1,2 Millionen Franken eigene Mittel und rund 1,5 Millionen aus dem Lotteriefonds zur Verfügung.

„Sehr mutige Investition“

Georges Zaugg muss Optimist sein und er steckt mit seiner Begeisterung an. Wie realistisch sind seine Pläne? Christoph Weckerle, der an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich (HGKZ) nationale und internationale Expertisen zur Kulturpolitik erstellt, hält Zweifel für angebracht. „Sponsoren investieren in der Regel nicht in Infrastrukturen, sondern in zeitlich beschränkte Projekte; das Engagement hängt auch stark von Wirtschaftslage, Firmenprofil und Trends ab.“ Geld könnte also eher für das Festival fliessen, weniger für das Gebäude. Für die längerfristigere Perspektive, das Mäzenatentum, sei die Schweiz mit ihrer Stiftungstradition zwar prädestiniert. Doch dürfe man auch gewichtige Mäzene nicht überschätzen, wie etwa die Fondation Beyeler in Riehen zeige: „Lage, Architektur und finanzieller Grundstock waren vielversprechend, doch die Fondation braucht heute staatliche Unterstützung.“ Und was ist mit dem dritten Weg, mit dem Zaubermittel ‹Public Private Partnership›? „Der Kanton Jura müsste das Auditorium finanziell bevorzugen, um es ausreichend zu unterstützen“, meint Weckerle. Das sei in der Schweiz unüblich, hier werde niemandem viel, sondern allen ein bisschen zugesprochen. Beim Zürcher Opernhaus zum Beispiel setzt der Kanton Zürich einen solchen Schwerpunkt, es erhält jährlich über 60 Millionen Franken - die es trotzhoher Auslastung benötigt. Kein Museum, kein Konzerthaus könne von Eintritten leben. „Eine Institution wie das Auditorium du Jura wird ohne staatliche Gelder langfristig kaum überleben können, auch wenn dies zurzeit tabu ist“, sagt Weckerle, warnt jedoch: „Staatliches Geld wird knapper; in zehn Jahren ist die Situation für die Kultur prekärer als heute.“

Noch skeptischer ist Christian Laesser, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St.Gallen. Seine Bedenken gelten Lage und Auslastung: "Der Kanton Jura ist kein ‹Hotspot›, etwa wie das Tessin." Laesser ist skeptisch, ob Musik, Architektur und Ausstellungen die erforderliche Besuchermasse an den abgelegenen Ort zu locken vermögen und ob das Reservoir an Interessierten, die immer wieder kommen, genügend gross ist. Seine Grobrechnung: 20 Millionen investierte Franken führen jährlich zu mindestens 500.000 Franken Zins- und Amortisationskosten, Betriebs- und Unterhaltskosten nicht eingerechnet. Bei 200 Betriebstagen muss jeder Tag 2500 Franken Gewinn bringen. Ist das 700-Plätze-Haus voll besetzt, muss jede Person gut 3.50 Franken Gewinn abwerfen - nur um die Bauinvestitionen zu finanzieren. „Auch wenn 20 Millionen nicht viel sind - die Investition ist sehr mutig.“ Immerhin, die erste Hürde hat das ‹Auditorium du Jura› genommen; das Stimmvolk von Courgenay erteilte dem Projekt am 22. Mai das Baurecht.

Chöre am Schwendisee

Weniger auf ein Festival-Publikum wie im Jura, sondern auf aktive Musikerinnen und Musiker ausgerichtet ist das ‹Klanghaus›-Projekt im Toggenburg. Bauen soll es Peter Zumthor am Schwendisee oberhalb des Ortes Unterwasser. Die Geländemulde, so die Initianten, bilde einen natürlichen Klangraum. Wie beim Auditorium du Jura ist ein Holzbau geplant. Herz des auf 15 bis 20 Millionen Franken geschätzten Projekts wäre ein 200 Quadratmeter grosser Saal, konstruiert aus den Instrumentenhölzern Fichte und Ahorn. Dazu kämen Kursräume, Dokumentationszentrum, Bibliothek und Restaurant - aber, ebenfalls wie im Jura, keine Übernachtungsmöglichkeiten. Wie Peter Zumthors Gebäude aussehen könnte, ist im Gegensatz zum Auditorium du Jura völlig offen: Es gibt nicht einmal Skizzen.

Das Haus will vielfältige Bedürfnisse abdecken: Probewochen für Chöre und Orchester, Meisterkurse und Kurse zu Klang, Rhythmus und Naturjodel sind vorgesehen, die technische Ausrüstung wird entsprechend aufwändig. Dieses Programm mache die ‹Klangwelt Toggenburg› zu einem kulturwirtschaftlichen Projekt. „Es richtet sich an eine touristisch noch wenig erfasste, aber durchaus kaufkräftige Zielgruppe: Chöre und Orchester, für die noch kein spezifisches Angebot existiert“, schreiben die Initianten. Im Einzugsgebiet des Klanghauses gebe es mehrere Tausend Chöre und mehrere Hundert Orchester. Diese verreisen jährlich mindestens für ein Wochenende oder eine Woche, um zu proben und zusammenzusein - das abgelegene Toggenborg könnte da zu einem beliebten Ziel werden, Tausende von Übernachtungen wären möglich. Allein der Betrieb des Klanghauses werde bis zu einem Dutzend neuer Arbeitsplätze schaffen. Die Projektskizze rechnet eine Wertschöpfung für die Region zwischen 1,9 und 2,6 Millionen Franken pro Jahr vor. Laut Businessplan soll das Haus nach vier Jahren selbsttragend sein.

Träumen erlaubt

Auch Initianten aus dem Toggenburg ist klar: Das Haus braucht erstklassige Architektur und Akustik. Ein Zumthor-Bau erfülle diese Anforderungen und er setze ein Zeichen. Als Vergleich wird die Therme Vals angeführt, die
das noch abgelegenere Tal bekannt machte und die Übernachtungszahlen in die Höhe treibt. An Vals knüpft man im Toggenburg auch an, weil mit dem Klanghaus ein ‹Zumthor-Dreieck› entstünde: Kunsthaus Bregenz - Therme Vals - Klanghaus Schwendisee. Die Idee des Kulturdreiecks - eine wohl nicht zufällige Parallele zum jurassischen Projekt: Dahinter steht die Absicht, das eigene Projekt in den regionalen Zusammenhang zu fügen.

Das Klanghaus-Projekt hat eine Vorgeschichte: Es zählte zu jenen Kulturprojekten, die mit dem ‹Zukunftsfonds› hätten finanziert werden sollen, den die St.Galler Regierung aus den Sondererträgen der Kantonalbank-Teilprivatisierung äuffnen wollte. Dieser Fonds fiel aber in der Abstimmung Ende 2004 durch. Danach wollten die Initianten aufgeben, weil sie in der Region keinen Rückhalt mehr spürten, rappelten sich aber wieder auf, und inzwischen ist das Verständnis in der Region gewachsen: Regionalplanungsgruppe, Touristiker und Hoteliers unterstützen jetzt das Projekt. Peter Zumthor erhält aber erst grünes Licht für die Weiterarbeit, wenn die Finanzierung klarer ist. Vielleicht führt die beharrliche Kleinarbeit zum Erfolg: Breit angelegte musikalische Kurse führt Klanghaus-Initiant Peter Roth, Musiker und Chorleiter, schon heute im alten Kurhaus ‹Seegüetli› vor Ort durch. Dieses Jahr sollen über 600 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer in der Region übernachten und die dritte Etappe des ‹Klangwegs› wird diesen Juli eröffnet. Die Initianten widmen sich zurzeit der Geldsuche: „Wir sind mit zahlreichen Sponsoren im Gespräch, mit Kulturträgern und mit dem Kanton“ - Konkreteres gibt ‹Klangwelt›-Geschäftsführer Stephan K. Haller nicht preis. Ein Bericht in der Regionalzeitung, wonach die UBS das Haus nun zahle, war leider ein 1. April-Scherz. Trotzdem davon zu träumen, sei ja nicht verboten, meinen die Initianten.


‹Gefühlte Architektur›
Expressionistische Krone, archaische Hütte, chinesische Pagode oder krude Märchenburg - im Entwurf von Herzog & de Meuron ist vieles lesbar. Die Sinne schwelgen, bevor der Verstand begreift, was er sieht. Wie entsteht diese Architektur? Die Entwurfsgedanken von Grund auf: Wie ein Amphitheater soll die zentrale Bühne in die Erde eingelassen werden; die Musiker und ein Teil der Zuschauer sitzen und stehen also auf der Weide. Das Erdgeschoss, oder der obere Teil des Sockels, sei ‹immateriell›, sagen die Architekten, es wird rundum verglast und damit nicht sichtbar, denn das Gebäude soll die Weidelandschaft nicht unterbrechen. Über dem Bühnensockel soll eine hölzerne Kuppel auf nur drei Stützen ruhen, Vorbild war hier eine über dem Raum schwebende barocke Kuppel. Weil die ideale Kuppelform, die Rundform, aus akustischen Gründen unmöglich ist, nähern sich ihr Herzog & de Meuron mit einem Sechseck an. Dessen Seiten verformten sie mit dem Akustiker Yoshio Toyota zu Krümmungen, sodass eine Blümchenform entstand. Diesen Grundriss schichteten sie stockwerkartig übereinander und drehten ihn jeweils um einige Grade. Die Form ist das Ergebnis zweier Regeln: Überall hervorragende Akustik und freie Sicht auf die Bühne. Die nach innen gewölbten Kurven sollen als Balkonnischen und Lichtöffnungen dienen, wie Schwalbennester scheinen sie in der Kuppel zu kleben. Die nach aussen gewölbten Kurven werden aus der Dachfläche drücken und den Dachhut von aussen verformen. Das Gebäude, das nur aus Dach besteht, soll mit Holzschindeln eingekleidet werden, allenfalls mit Eternit.

Die Grundform des Gebäudes geht auf das Kulturdreieck von Rémy Zaugg zurück; im Grundriss verlängert das gleichseitige Dreieck geometrisch den Sechsecksaal. Von aussen verleiht die pyramidale Form dem Gebäude einen Hauch Monumentalität.
Hochparterre erhielt keine Pläne von H & de M, weil sich das Projekt erst im Anfangsstadium befinde.

hochparterre, Fr., 2006.06.30



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hochparterre 2006-06|07

27. April 2006Rahel Marti
hochparterre

Selten zuviel

Peter Joos und Christoph Mathys sind Architekten des Details – des sichtbaren Details. Für die Schulerweiterung von Andeer entwarfen sie eine klare und...

Peter Joos und Christoph Mathys sind Architekten des Details – des sichtbaren Details. Für die Schulerweiterung von Andeer entwarfen sie eine klare und...

Peter Joos und Christoph Mathys sind Architekten des Details – des sichtbaren Details. Für die Schulerweiterung von Andeer entwarfen sie eine klare und einfache Anlage. Dann gingen sie beherzt daran, die Gebäude und ihre Teile zu formen. Jedes Stück hat seine Funktion und es muss ihr entsprechend gestaltet werden, ob Türe, Fenster, Boden, Leiste oder Griff. Diese traditionelle Haltung und mit ihr das sorgfältige Handwerk und seine Gestaltungsregeln sind das Herz dieser Architektur.

Der Zimmertrakt ist dreigeschossig und einbündig organisiert, die rechtwinklig angefügte Turnhalle gut zur Hälfte im Erdreich versenkt, so dass ihr massiges Volumen im Dorf nicht aufragt. Dank der mutigen Farbgebung wirken die neuen Häuser elegant und frisch zugleich: Feine, leuchtend orange Linien rahmen Fenster und Türen und holen deren konstruktive Ebenen hervor. Helle Putzbänder fassen die dezent grünlichen Wandfelder ein und deuten Sockel und Eckpfeiler an. Sie sind eine Abwandlung der regionalen Sgraffitos. Die Rahmung ist nie blosse Dekoration, sondern hat vielfältige gestalterische und kons-truktive Effekte: Sie zeichnet architektonische Regeln nach, sie schliesst das Gerahmte ab und definiert damit für die Augen der Betrachterin und des Betrachters seine Grösse und Gestalt, sie schützt die Kanten des Gerahmten und sie veredelt es, ähnlich einem Bilderrahmen.

Im Innern führen Joos & Mathys das Prinzip des Rahmens fort. Böden, Wände und Decken, Türen, Fenster und teilweise Leuchten, die Brüstungen der Treppen und der Galerie, alles ist gerahmt. Die Böden – in den Fluren ein heller Terrazzo, in den Zimmern helles Linoleum – rahmt ein Eichenholzband. Es ermöglicht einen sauberen Abschluss des Bodenmaterials, ist da und dort aber auch Deckel eines Hohlkastens, in dem Leitungen verlaufen oder Lüftungsgitter eingelassen sind. An den Decken ist die unbehandelte Konstruktion sichtbar: Stapeldecken aus Fichtenholz. Ein sperriger Kontrast zur edlen Eiche, doch Joos & Mathys sehen daran nichts Irritierendes. Sie schrecken vor unorthodoxen Mischungen nicht zurück, solange die zusammengefügten Materialien und Formen an ihrem Ort sinnvoll sind: «Für uns hat es selten ‹zu viel›», sagt Christoph Mathys, zu viel an Materialien, Formen, Kombinationen.

Die Latte des Überbordens hängt hier beträchtlich höher als bei Durchschnittsarchitekten und an diese Fülle muss man sich erst gewöhnen. Dann vermag diese Architektur fast überall zu überzeugen: Im Schulhaus wie in der Turnhalle ist die Stimmung behaglich, ja wohnlich, erzeugt mit den gewählten und überlegt verarbeiteten Materialien und einer sorgsamen Beleuchtung. Einen Wermutstropfen birgt die gewaltige Säulenhalle zwischen Alt- und Neubau. Städtisch und edel wirkt dieser Raum und damit fremd in Andeer – das ist durchaus ein Gewinn. Aber die Verschränkung der Halle mit dem Altbau ist unbeholfen. Die neue Betondecke schiebt sich wuchtig über den Altbau, das Neue schmust das Alte nieder.

hochparterre, Do., 2006.04.27



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Erweiterung Schulhaus, Neubau Turnhalle



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hochparterre 2006-04

04. Februar 2006Rahel Marti
db

Sicherer Aufstieg

Die Nachfolgerin einer durch Steinschlag zerstörten ersten Brücke nahe der berüchtigten Via Mala überspannt als hängende Treppe die 70 Meter tiefe Schlucht und überwindet dabei eine Höhendifferenz von 22 Metern. Sie vereinigt vielfältige konstruktive Überlegungen, die auf Effizienz und Sparsamkeit abzielen.

Die Nachfolgerin einer durch Steinschlag zerstörten ersten Brücke nahe der berüchtigten Via Mala überspannt als hängende Treppe die 70 Meter tiefe Schlucht und überwindet dabei eine Höhendifferenz von 22 Metern. Sie vereinigt vielfältige konstruktive Überlegungen, die auf Effizienz und Sparsamkeit abzielen.

Schroff ist das Tobel, zierlich seine Überwindung. So fein wie Spinnenfäden wirken die Seile, an denen Jürg Conzett und sein Mitarbeiter Rolf Bachofner ihre Holztreppe abhängten. Die Treppe verbindet die Flanken des Traversiner Tobels, eines kurzen, steilen Seitentals der Viamala, wenige Kilometer oberhalb von Thusis. Schon einmal hatten die Churer Ingenieure diese Flanken verbunden, doch den ersten Traversiner Steg (siehe db 5/1998) zertrümmerte im Jahr 2000 ein Steinschlag. Der Verlust der Brücke war ein herber Rückschlag für den Verein Kulturraum Viamala, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die einst bedeutende Handelsstraße Via Spluga wieder zu beleben und so die Viamala abseits der lärmenden Straßen begehbar zu machen.

Der erste Steg hatte fast zuhinterst im schluchtartigen Tal gesessen und leicht geneigt von der nördlichen zur südlichen Moräne geführt. Um Kosten zu sparen, mussten die Strecke und damit die Konstruktion so kurz wie möglich sein. 47 Meter betrug die Spannweite der Tragstruktur, einer Kombination aus einem gespreizten Dreigurt-Fachwerkträger und einem Überbau mit dem gut einen Meter breiten Gehweg. Die Geländer waren vollwandig ausgeführt, um das Sicherheitsgefühl beim Überqueren zu stärken. Wer sich auf dem Steg befand, fühlte sich geborgen wie in einer Wanne. Von außen sah der Steg jedoch feingliedrig, ja federleicht aus, wie der wundersame, stets zwischen Grazilität und Robustheit changierende Körperbau eines Insekts. Hatten der Verein und die Konstrukteure zuerst erwogen, die neue Brücke am selben Platz zu errichten und sie mit Steinschlagverbauungen zu schützen, entschieden sie sich schließlich für einen neuen, sicheren Standort weniger als hundert Meter »talauswärts«. Hier standen Jürg Conzett und Rolf Bachofner vor der Frage, wie sie die Höhendifferenz von 22 Metern zwischen den Enden des Wanderwegs am elegantesten, aber auch am effizientesten verbinden konnten. In einer Machbarkeitsstudie schlugen sie vier Varianten vor: eine horizontale Brücke auf der Höhe der Moränenkuppen, eine Treppe als Spannband und eine abgehängte Treppe an einem Seilfachwerk, wahlweise mit und ohne Podest. Da auch der zweite Steg nur privat finanziert werden sollte und sich der Verein erneut auf Geldsuche machen musste, gaben schließlich die Kosten den Ausschlag und man wählte die vierte Variante der an Seilen abgehängten Treppe; sie versprach einen kurzen Gehweg und damit niedrige Material- und Erstellungskosten.

Schritte in die Luft

Den ersten Überlegungen nach sollten über die Moränenkuppen, die nur wenige Meter Höhenunterschied aufweisen, zwei Hauptseile gelegt und dahinter in betonierte Widerlager eingeführt und so verankert werden. Im Abstand von 1,10 Metern sollten an diesen Hauptseilen mit Seilklemmen Diagonalstäbe befestigt und von diesen wiederum der einfache Gehweg aus drei Brettlagen und aufgeschraubten Trittleisten abgehängt werden. Die Geländer bestanden schlicht aus einem Handlauf und Geländerseilen, beide direkt an den Hängeseilen befestigt.

Bis das Geld beisammen war, verstrichen vier Jahre. In dieser Zeit überarbeiteten Conzett und Bachofner das Projekt stark; unter anderem tauchten Bedenken auf, der Benutzerkomfort sei nicht gewährleistet, viele Wanderer könnten den Steg nicht begehen, weil sie sich auf der minimalen Konstruktion zu ausgesetzt fühlen würden. Die Ingenieure, laut denen das Einschätzen des Benutzerkomforts zu den angspruchsvollsten Arbeiten am Projekt gehörte, erhöhten in der Folge auf geschickte Weise die Behaglichkeit beim Begehen der Treppe. Sie verstärkten den Unterbau des Gehwegs: Dessen Hauptträger – Stahlprofile HEA 120 – liegen im Abstand von 3,60 Metern quer zur Laufrichtung in den Hängeseilen. Auf diesen Querträgern liegen beidseits fünf Brettschichtholzträger aus Lärchenholz. Diese haben mehrere Aufgaben: Sie verteilen durch ihre Steifigkeit die punktuellen Einzellasten, dienen im Seilfachwerk als druckbelastete Untergurte, bilden zusammen mit den Querträgern und den diagonalen Zugstäben unter dem Gehweg einen Windverband zur seitlichen Stabilisierung und verhindern zudem den Blick in die Tiefe. Durch die äußere Angliederung von acht Trägern steht dem gut einen Meter breiten Gehweg eine Konstruktion von über 2,50 Metern Breite gegenüber. Ähnlich wie beim ersten Steg fördert die in die Breite gedehnte Konstruktion die Behaglichkeit, da die Wanderer so nicht senkrecht neben dem Geländer direkt ins Tobel blicken können, sie schauen lediglich auf den Holzverband der Längsträger. Auch die horizontal eingefügten Geländerbretter leisten dazu einen Beitrag.

Die Brettschichtholzträger allein sorgen bereits für eine ausreichende Steifigkeit der Konstruktion. Im Verbund mit den Diagonalseilen (Spiralseile 1/19, Ø 10 mm) wird die Steifigkeit noch erhöht, überdies tragen die Vorspannung der Hauptseile (Spiralseile 1/61, Ø 36 mm) und die daraus folgende Druckbelastung dazu bei, dass Schwingungen klein gehalten werden.

Für ein Kribbeln in den Knien ist dennoch gesorgt; von Norden kommend steht der Wanderer mit einem Mal im imposanten Tor des Widerlagers, vor sich der rasante Schwung in die Tiefe. Von Süden kommend nimmt die Steigung mit jedem Tritt zu, und je höher man steigt, umso direkter blickt man zwischen den Trittstufen auf die senkrechte Felswand.

Anders als beim ersten Steg, der vorgefertigt angeflogen und auf die Widerlager gesetzt worden war, entstand die Treppe fast vollständig vor Ort. Dennoch verlangte der Bau der Treppe keine Straße, der Wanderweg und eine temporäre Materialseilbahn genügten. Zuerst wurden die Widerlager betoniert. Ins nördliche bezogen die Ingenieure einen etwa 60 Tonnen schweren Findling ein, indem sie ihn mit Bewehrung und Beton ummantelten. Auf der Südseite überdeckten sie die Grundplatte mit Erde. Beide Widerlager bestehen oberirdisch aus zwei Pfeilern, in welche die Hauptseile eingezogen wurden. An diese wurde das Fachwerk der Hängeseile geknüpft. Dann legten Kletterspezialisten vorfabrizierte Elemente aus Quer- und Brettschichtholzträgern ins Fachwerk ein; schließlich wurden Tritte und Geländer aufgesetzt. Die Montage von Seilen und Holzteilen dauerte gut einen Monat.

Die Ingenieure achteten auf eine robuste Materialisierung. So vermieden sie – außer bei den Tritten – horizontale Flächen und Vertiefungen, in denen Wasser stehen bleiben könnte. Sämtliche Teile an dem feingliedrigen Gestänge und Gestäbe können vor Ort ausgewechselt werden – am einfachsten die 176 Tritte, die auch am raschesten verbraucht sein dürften.

Jürg Conzett und Rolf Bachofner haben die an diesem Ort einleuchtende Idee einer Hängetreppe reizvoll verfeinert. Sie formten aus den großen Kräften eine filigrane Konstruktion. Die hohe Ästhetik vereinigt unzählige konstruktive Überlegungen, die auf Effizienz und Sparsamkeit abzielen: Von der Materialisierung – das Holz stammt aus nahe gelegenen Wäldern – bis zum vor Ort abgewickelten Bau. Was Idee und Realisierung betrifft, ist die Konstruktion also angemessen, aber nicht verhalten, nicht bescheiden, wie man es zwischen den schroffen Tobelflanken vielleicht erwartete. Der zweite Traversiner Steg, 70 Meter über dem Bachbett hängend, ist eine ebenso schillernde Figur wie der erste. Seine Gestalt wechselt mit dem Blickpunkt des Betrachters von beweglich bis steif, von zart bis kräftig, von aufgelöst bis kompakt, je nach Blickdistanz. Diese Brücke will eine Attraktion sein, und dies gelingt ihr.

[Im April 2006 erschien ein großformatiger Bildband mit etwa siebzig Fotos vom Bau des Traversinersteges. Wilfried Dechau hat die Arbeiter mit der Kamera begleitet und das allmähliche Werden der Brücke protokolliert. »Traversinersteg - Fotografisches Tagebuch 14. April - 16. August 2005« Mit Texten von Rolf Sachsse, Jörg Schlaich, Ursula Baus und Wilfried Dechau. 27,6 x 38,2 cm, 108 Seiten. Die auf 500 Exemplare limitierte Auflage ist nummeriert und signiert. 78 Euro / 120 sFr.]

db, Sa., 2006.02.04



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Neuer Traversina-Steg



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db 2006|02 Brückenbaukunst

25. November 2005Rahel Marti
Neue Zürcher Zeitung

Die Stadt als Lebensraum

Sechste Internationale Architekturbiennale von São Paulo

Sechste Internationale Architekturbiennale von São Paulo

Nach Anfängen, die bis ins Jahr 1973 zurückreichen, wird die Bienal Internacional de Arquitetura de São Paulo (BIA) seit 1997 regelmässig durchgeführt. Da aber diese für Südamerika wichtige Architekturbiennale weder von der brasilianischen Regierung noch vom Teilstaat São Paulo finanziell unterstützt wird, müssen die Veranstalter mit einem vergleichsweise bescheidenen Budget von knapp zwei Millionen Franken auskommen. Dieses setzt sich zusammen aus Beiträgen der Stadt São Paulo, des brasilianischen Architekturinstituts, der Biennalestiftung sowie privater Sponsoren. Die von Pedro Cury und Gilberto Belleza kuratierte sechste Architekturbiennale befasst sich mit dem Thema «Viver na Cidade» oder «Leben in der Stadt». Sie zeigt rund 1000 Bauten und Projekte. Insgesamt dreizehn Länder beteiligen sich an der Veranstaltung. Dazu kommen zwölf Präsentationen eingeladener Architekten sowie Spezialausstellungen. Diese reichen von Entwicklungsprojekten in Slums bis zum künstlerischen Schaffen Le Corbusiers.

Produzieren statt studieren

Obwohl man in São Paulo den internationalen Austausch sucht, sehen die Veranstalter die Hauptaufgabe der Biennale darin, den Brasilianern Architektur näherzubringen. Obwohl gute Architektur in Brasilien noch immer rar ist und das Metier wenig Anerkennung geniesst, soll die Biennale 2003 von 200 000 Menschen besucht worden sein, von denen über die Hälfte beruflich nicht direkt mit Architektur oder Design zu tun hatten. Im Zentrum der Grossveranstaltung stehen trotz dem Attribut «international» hauptsächlich brasilianische Beiträge. Infrastrukturprojekte von Staat und Stadt São Paulo - etwa der Bau zweier neuer Metrolinien - nehmen das Erdgeschoss von Oscar Niemeyers barock bewegter Ausstellungshalle ein. Daneben sticht ein Bauvorhaben für 72 neue Schulen im Staat São Paulo hervor, deren Planung zum Teil jüngeren Büros übertragen wurde. Hier begegnet man einigen der überzeugendsten architektonischen Arbeiten der Biennale überhaupt - etwa den durch einen konsequenten Einsatz von Material, Farbe und Licht gekennzeichneten Bauten von MMBB Arquitetos oder Una Arquitetos aus São Paulo.

Im Obergeschoss kann man rund 200 brasilianische Büros kennen lernen. Hier zeigt es sich, dass Architektur machen in Brasilien vor allem bauen heisst, denn nur wenige Architekten arbeiten konzeptionell und prozessorientiert. Dafür fehle die Zeit in einer rasant wachsenden Stadt wie São Paulo. Allerdings realisierten vor wenigen Jahrzehnten noch Architekten wie Artigas, Mendes da Rocha oder Lina Bo Bardi kraftvolle, den öffentlichen Raum bestimmende Bauten. Solch ortsspezifische Baukunst findet man heute kaum mehr. Die Mehrheit der ausgestellten Architekten wuselt quer durch die Stilwelt, vom weissen Edelmodernismus über freudiges Form- und Farbengebastel bis hin zur abgeklärten Reduktion. Prägende Themen sind nicht auszumachen; wenn etwas die brasilianische Architektur charakterisiert, dann ist es wohl die Richtungslosigkeit.
Herausfordernde «Swiscity»

Den Übertritt zum internationalen Ausstellungsteil spürt man daher sofort. Unter den Länderbeiträgen sind jene Deutschlands und Frankreichs die gehaltvollsten. Während Singapur seine Urbanität in Filmen und Zahlen zelebriert, zeigen andere Länder mehr oder weniger gelungene Übersichtsausstellungen. Auch die zwölf Gastarchitekten verweilten nicht lange beim Thema «Leben in der Stadt». Von Hans Hollein über Eduardo Souto de Moura bis Richard Meier präsentieren alle, wie kaum anders zu erwarten, das eigene Werk.

Und die Schweiz? Sie ist offiziell nicht vertreten, denn die Einladung der BIA ist laut Bundesamt für Kultur zu kurzfristig eingetroffen. So ist denn der Pavillon «Swiscity», den das junge Basler Büro Jessen & Vollenweider zusammen mit Ottoni Arquitetos (São Paulo) ausgeführt hat, die einzige Schweizer Produktion. Eine Produktion allerdings, die auffällt. Subversiv-schöne Digitalfilme führen Szenarien für neun charakteristische Orte der Stadtlandschaft Schweiz vor Augen. Am Beispiel von Zug etwa wird dargestellt, wie es aussähe, wenn die bevorzugten Wohnlagen mit Hochhäusern verdichtet würden, die tatsächlich Seesicht für alle böten. Oder wenn sich die Gegend aufgrund eines wirtschaftlichen Niedergangs in die Idylle von einst zurückverwandeln würde.

Zukunft nach Wahl

«Choose your future», fordern Jessen & Vollenweider und fragen die Besucher: Mehr Stadt, mehr Natur oder weitermachen wie bisher in der Schweiz? Der Pavillon erhielt einen prominenten Platz, und gar das bekannteste Stadtmagazin São Paulos empfiehlt den Besuch. Zusammen mit dem «Arquiteto suiço» Le Corbusier ist unser Land also doch gut und dabei quasi gratis vertreten. Umso mehr ist zu hoffen, dass die Schweiz an der nächsten Ausgabe wieder offiziell teilnimmt - der Architekturbiennale und sich selbst zuliebe. Denn wer lässt sich schon eine Selbstinszenierung vor einem Publikum von 200 000 überwiegend jungen Menschen einfach so entgehen?

[ Bis 11. Dezember im Ibirapuera-Park (Porão das Artes) von São Paulo. Ein Katalog ist in Vorbereitung. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.11.25

16. Oktober 2005Rahel Marti
hochparterre

Dämme gegen Projektflut

Das offene Wettbewerbsverfahren steht in der Kritik. Architekten klagen über steigende Anforderungen, hohe Kosten und das Risiko, in den vielen Teilnehmern unterzugehen. Die Veranstalter fürchten sich vor der Flut von Projekten und misstrauen deren Qualität. Anhand von Verfahren in Jenaz und Bern fragen wir: Wankt der offene Wettbewerb?

Das offene Wettbewerbsverfahren steht in der Kritik. Architekten klagen über steigende Anforderungen, hohe Kosten und das Risiko, in den vielen Teilnehmern unterzugehen. Die Veranstalter fürchten sich vor der Flut von Projekten und misstrauen deren Qualität. Anhand von Verfahren in Jenaz und Bern fragen wir: Wankt der offene Wettbewerb?

Jenaz, im Juli. Zwei Turnhallen voller Projekte warten auf die Jurierung, Vorschläge für ein regionales Alters- und Pflegeheim mit 70 Betten. Die Flury-Stiftung, Schiers, Betreiberin von Spital, Spitex und Heimen im Prättigau, hat einen einstufigen, europaweiten Wettbewerb ausgeschrieben. Weshalb das offene Verfahren? «Wir wollten jungen wie einheimischen Büros eine Chance geben», sagt Heinz Brand, Präsident der Stiftung.

63 Projekte kamen als Antwort. Eine grosse Auswahl? Scheinbar. Das Siegerprojekt von Allemann Bauer Eigenmann, Zürich, überzeugte betrieblich und architektonisch als einziges aller 63 Arbeiten. Das durchschnittliche architektonische Niveau war nicht sehr hoch. Wer sind die anderen 62 Büros? 15 Lokale (Kanton Graubünden), 35 aus der übrigen Schweiz, 7 aus Deutschland und 2 aus Liechtenstein (3 konnten nicht juriert werden). Auffallend: Kein einziges der bekannten Bündner Büros – Bearth & Deplazes, Jüngling & Hagmann, Conradin Clavuot, Gion A. Caminada etc. – war unter den Teilnehmern. Ein zweites Beispiel: Der offene Wettbewerb ‹Wohnen im Schönbergpark›, Bern. Zwölf Wohnungen für «gehobene Ansprüche» sollten in einem Herrschaftsgarten erstellt und ein bestehendes Bauernhaus umgebaut werden, Baukosten unter 10 Millionen Franken. 130 Teams bemühten sich um den Auftrag. Eine gute architektonische Auswahl? Mitnichten. In der ersten Runde schieden 70 Projekte aus, «die keiner weiteren Betrachtung mehr bedürfen, weil sie weder einen Beitrag zur Identität des Ortes abgeben, noch Klärung erfolgt durch die Situierung der Baukörper», stellte die Jury resigniert fest. Gewonnen hat der Berner Architekt Ernst Gerber. Ähnlich wie in Jenaz nahmen 30 lokale Architekten, das heisst aus Bern und der Umgebung, teil, 35 aus Deutschland, 5 weitere aus Europa, der Rest aus der übrigen Schweiz – aber kaum Büros, die im Raum Deutschschweiz bekannt wären.

Keine Renommierten – ist das schlimm?

Das offene Verfahren ist die heilige Kuh des Schweizer Wettbewerbswesens. Der Sia wehrt sich dafür, alle rühmen es und alle beteuern, es dürfe niemals abgeschafft werden. Tatsache ist: Jedes Büro versucht, möglichst rasch von den offenen Verfahren los- und in die selektiven hineinzukommen. Wo blieben die bekannten Bündner in Jenaz? «Zuwenig Zeit», antwortet Andreas Hagmann. Bei Jüngling & Hagmann sind zwar gerade sieben Leute, die Hälfte der Belegschaft, mit Wettbewerben beschäftigt, aber alles sind selektive oder eingeladene. «Weniger Teilnehmer, grössere Chancen», sagt Hagmann. Zudem gibt es immerhin eine fixe Entschädigung, wenn die auch die Kosten niemals deckt. Denn Hagmann stört: «Die Anforderungen für die Abgaben sind in den letzten Jahren stetig gestiegen.» Früher sei der Aufwand vernünftig gewesen, heute müsse sein Büro in eine Aufgabe wie die Jenazer 50 000 Franken investieren. «Das können wir uns als Büro, das reguläre Löhne ausschütten muss, nicht immer leisten, besonders nicht bei kleiner Gewinnchance.» Daniel Ladner, Partner bei Bearth & Deplazes, sieht es gleich. Sechs bis acht Mal pro Jahr werden sie eingeladen oder können sich qualifizieren – was ihnen reicht. «Bei offenen Wettbewerben machen wir mit, wenn die Aufgabe spannend ist oder wir uns zu einem Beitrag verpflichtet fühlen.» Und es hängt weiter von der Kompetenz der Jury und davon ab, ob das Vorhaben versanden könnte – «muss das Projekt vors Volk, ist diese Gefahr im heutigen politischen und wirtschaftlichen Umfeld hoch», sagt Ladner.

Kaum Renommierte – ist das schlimm? Für die architekto-nische Qualität eines Wettbewerbs nicht, die hängt bekanntlich nicht von der Bekanntheit der Teilnehmer ab. Aber die Renommierten legen beispielhaft jenes Verhalten an den Tag, das einen Teufelskreis begünstigt: Alle drängeln sich um die selektiven Verfahren und überlassen unspektakuläre Wettbewerbe den Unerfahrenen und jenen, die sonst nicht zum Zug kommen, was zu eher durchschnittlicher Qualität führen kann oder zumindest das Gerücht bestärkt, dass dem so sei, und was die Veranstalter wiederum bestärkt, auf erfahrene Büros zu setzen, die sie dank Präqualifikation auch bekommen. Oft lautet das Argument auch, die Aufgabe sei komplex und nur wenige ihr gewachsen – bis hin zum Fall Kongresszentrum Zürich (HP 8/05), wo die Veranstalterin behauptet, es brauche Spitzenarchitektur, und die bekomme man nur bei den Stars. Hinzu kommt die Angst vor den Kosten: Die Büros müssen Zehntausende von Franken einsetzen bei geringer Aussicht auf Erfolg, die Veranstalter fürchten den administrativen Aufwand für zu viele Projekte.

Präqualifikation: fadenscheinig

Alles nicht nötig, sagt Thomas Urfer, Mitglied der Sia-Wettbewerbskommission. Sein Hauptargument gegen den selektiven Weg: «Es gibt kein vernünftiges Auswahlverfahren.» Präqualifikationen seien subjektiv gefärbt – wie anders wähle man zehn aus 50 Büros, die nach der Prüfung ihrer Bewerbung alle fähig wären? Urfer will den offenen Wettbewerb durchsetzen – überall. Sein Rezept: Mehr offene ausschreiben, sodass sich die Teilnehmer besser verteilen, und tiefere Anforderungen, sodass sich die Investition für die Teilnehmer in Grenzen hält. «Modell und Pläne im Massstab 1:500, keine unnötigen Bilder, kein Erläuterungsbericht», das reiche einer guten Jury zur Beurteilung. Belege wie kubische Berechnung oder Energienachweis hält Urfer für sinnlos, denn «die Vorprüfer müssen alles nachrechnen, und kontrollieren ist komplizierter, als neu zu rechnen.» Der Arbeitsaufwand für einen Wettbewerb sollte etwa zwei Wochen betragen, sagt Urfer.

Lässt sich mit Urfers bestechend einfachem Rezept kochen? Andrea Grolimund Iten von der Metron, einer erfahrenen Wettbewerbsorganisatorin, hält entgegen: «Der offene Wettbewerb ist ein guter, aber nicht der einzige Weg. Wir müssen das Verfahren der Bauherrschaft und der Aufgabe anpassen können.» Habe eine Veranstalterin wenig Bauerfahrung, sei es wichtig, dass der Prozess nachvollziehbar sei, etwa durch Zwischenbesprechungen. Jeremy Hoskyn, Leiter Projektentwicklung / Wettbewerbe beim Zürcher Amt für Hochbauten, bestätigt das. Von 10 bis 15 städtischen Verfahren sind pro Jahr etwa drei bis fünf offene. Auch Hoskyn begründet dies mit der Rücksicht auf ungeübte Bauträger wie Stiftungen oder Genossenschaften. Baue die Stadt selbst, gehe sie immer vom offenen Verfahren aus. «Obwohl», gibt Hoskyn zu bedenken, «die Stadt käme gut ohne offene Wettbewerbe aus.» Für Präqualifikationen bekomme sie bis zu 120 Bewerbungen, viele von sehr guten Büros. Dennoch sei das offene Verfahren unverzichtbar: «Es bringt architektonische Erneuerung und wir können den Nachwuchs fördern.»

Vom Vorschlag, die Anforderungen herunterzuschrauben, hält Hoskyn dagegen nichts. «Wir brauchen alles, was wir verlangen, um die Projekte beurteilen zu können.» Der berüchtigte Fassadenschnitt 1:20, den die Stadt immer will, sei elementar wegen seiner Aussagen zu Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Generell sagt Hoskyn: «Der Wettbewerb ist das geeignetste Vergabeverfahren für grössere Architekturaufträge, weil er Qualität sichert. Aber er ist nicht selbstverständlich. Politisch müssen wir ihn immer wieder rechtfertigen.» Für faire Verfahren fühle sich die Stadt verantwortlich – «für die gleichmässige Verteilung der Aufträge unter den Architekten dagegen nicht.»

Offen ist auch schneller und günstiger

So oder so: Der offene Wettbewerb muss weiterleben, eben weil er offen ist – für Teilnehmer, für Lösungen. Damit das gelingt, müssen einerseits die Büros verkraften, dass in den ersten Juryrunden nicht über jede der vielen Arbeiten ausführlich diskutiert wird. (Einschub: Warum gehen renommierte Büros statt von einer Blamage nicht selbstbewusst davon aus, auch im offenen Feld nicht auf mehr als zehn ernsthafte Konkurrenten zu treffen?) Andererseits müssen die Veranstalter ihre Angst vor der Masse überwinden – jedes Projekt trägt dazu bei, das geeignetste herauszufiltern. Weiter sollen Veranstalter genau überlegen, was sie verlangen, der Aufwand darf nicht in die Höhe schnellen. Vor allem aber muss das Gerücht vom Tisch, ein offener Wettbewerb sei teurer: Schätzungen der Metron sagen das Gegenteil. Noch dazu dauert der selektive Weg wegen der Zweistufigkeit und der Beschwerdefristen Monate länger. Zu guter Letzt braucht der offene Wettbewerb mehr Mut von allen Seiten – so wie Heinz Brand es in Jenaz vormacht. Die 63 Projekte waren kein Schreck für ihn, er würde wieder den offenen Weg gehen – schliesslich hat er bekommen, was er wollte: Ein funktionierendes, architektonisch gelungenes Projekt eines jungen Büros.

hochparterre, So., 2005.10.16



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16. September 2005Rahel Marti
hochparterre

Stille Wucht der Geschichte

Im Herzen Berlins hat der Solothurner Landschaftsarchitekt Toni Weber einen Park gebaut. Im Spreebogen, wo die Preussen paradierten und wo sich Speers ‹Grosse Halle› hätte auftürmen sollen, waltet nun weite Leere. Toni Weber hat jedoch feine Bänder zur Vergangenheit gespannt.

Im Herzen Berlins hat der Solothurner Landschaftsarchitekt Toni Weber einen Park gebaut. Im Spreebogen, wo die Preussen paradierten und wo sich Speers ‹Grosse Halle› hätte auftürmen sollen, waltet nun weite Leere. Toni Weber hat jedoch feine Bänder zur Vergangenheit gespannt.

So ruhig, wie Toni Weber von seinem grössten Auftrag erzählt, so ruhig ist der Park selbst. Weite, wenige Baumgruppen, grün. Eigentlich ist da nichts – bis auf zwei mit rostigem Stahl verkleidete Betonwände. Von Süden, also vom Abgeordnetenhaus und Kanzleramt her, sieht man sie aus dem Grund stossen und bedächtig die Erde anheben, bis sie zuvorderst, an der Spree, eine fast fünf Meter tiefe Grube aufgerissen haben. Dann ist wieder Ruhe, vorne dümpelt die Spree träge in ihrem Kanal.

Toni Webers Park ist ein stilles Land, aber ein tiefes. Heute flaniert man unbekümmert und freut sich an der Weite. Dabei hat es die Geschichte ernst gemeint mit diesem Ort im Herzen, ja im Mark Berlins. Immer wieder stilisierten ihn Machthaber zur politischen Mitte und Planer zur ideologischen Zelle, besonders seit dem Bau des Reichstags im Jahr 1894 (‹Geschichte des Spreebogens›). Was wollte ein Schweizer an diesem Ort dichter deutscher Geschichte? Sie zeigen, jedoch ohne Didaktik und ganz sicher ohne Romantik, sagt Toni Weber. «Die Geschichte selbst sollte Gestalt werden, der Entwurf selbstredend sein, sodass ich gar nichts würde erklären müssen.» Formen, das heisst für Toni Weber beschränken. «Grosszügigkeit und Zurückhaltung, gestaltet mit wenigen, aber ausdrucksstarken Elementen», schrieb er zu seinem Wettbewerbsprojekt von 1997. Noch heute, da um ihn herum längst wieder exzessiv geformt wird, verficht er den minimalen Ansatz: Mit Wenigem auskommen, damit dieses umso kräftiger wirkt. Am Spreebogen sei für ihn die Urbanität bestimmend gewesen, und mit Urbanität meint Weber die Gestalt des Bogens als seit Jahrhunderten menschgeprägtes Gelände. Also keine Idylle einfliegen, sondern mit dem arbeiten, was da ist.

Gespenstisches Loch

Da war nicht mehr viel ausser brachem Land. Toni Weber suchte das Wenige ab und fragte nach dessen Nutzen und Sinn für einen heutigen Park. Er kam auf zwei Dinge: Die Nord-Süd-Achse – unsichtbar im Brachland, doch jahrhundertelang bestimmend – und die Wege entlang der Spree, die während allen Epochen existiert hatten. Die Wege hat Toni Weber nur instand gesetzt. Der untere diente als Treichelpfad, man zog Schiffe spreeaufwärts; heute ist er wieder Teil der von der Jannowitzbrücke bis zum Schloss Charlottenburg reichenden Uferpromenade. Hinter ihr erhebt sich das ‹Deckwerk›, eine 3,5 Meter hohe und fast einen Kilometer lange Stützmauer, die den Spreebogen erst formt und festigt. Darauf verlief ebenfalls ein Geh- und Fahrweg. Wo das ‹Deckwerk› verfallen war, rekonstruierte Toni Weber es nicht, sondern beliess die gewachsenen Böschungen und führte den ‹Panoramaweg› mit Brücken darüber. Drei Abgänge verbinden ‹Uferpromenade› und den ‹Panoramaweg›: eine Treppe am Scheitel des Bogens und zwei Rampen an seinen Enden. Diese Rampen, Einschnitte ins Gelände, sah Weber als Grabungsorte. Gern hätte er den Schnitt durch das Erdreich, durch die geschichtete Geschichte zur Schau gestellt, doch gefiel dies der Bauherrschaft nicht. Also holte Weber die Vergangenheit mit Abbildern zurück. Im Einschnitt links des Scheitels, genannt ‹Spurengarten›, pflanzte er akkurat assortierte Blumenbeete, wie sie einst vor den Bürgerhäusern blühten. An dieser einzigen etwas üppigeren Stelle des Parks wird es fast «gärtelig», wie Weber selbst bemerkt. Für die einen irritierend in der sonst weiten Leere, für andere wohl der schönste, weil lieblichste Ort des Parks. Im Einschnitt rechts die ‹Gartenspur›: Eine kommune Blumenwiese bricht an einer Betonwand; eine Szene wie einst an der Berliner Mauer. Das mächtigste Abbild der Erinnerung jedoch ist der Graben in der Mitte des Parks. Perspektivisch überhöht und mit rostigem Stahl abstrahiert, führt er die Flucht der so oft bemühten, nie verwirklichten Nord-Süd-Achse vor. Toni Weber nennt die Kerbe verharmlosend ‹Landschaftsfenster›. Man hätte auf den Humboldthafen gegenüber schauen sollen. Die dortige neue Brücke machte Weber einen Strich durchs Bild, sie wurde höher als erwartet; jetzt blickt man geradeaus an die Brückenwange. Dennoch ist die Grube eindrücklich. Denn sie zeigt auf gespenstische Weise, wie all die euphorischen Planungen ins Leere liefen – was bleibt, ist ein Loch.

Picknick mit der Kanzlerin?

Seinen Anspruch, mit wenigen, umso stärkeren Mitteln zu gestalten, hat Toni Weber also eingelöst. Räumlich wie formal ist sein Konzept klar und streng. «Der Entwurf besticht durch Grosszügigkeit und Ruhe. Alle Bereiche sprechen die gleiche Sprache», schrieb 1997 die Jury, der unter anderen Dieter Kienast und Guido Hager angehörten. Vielleicht half nicht zuletzt diese Klarheit dem Projekt, die achtjährige Planungs- und Bauzeit fast unbeschadet zu überstehen. Verteilkämpfe um das immer knappere Geld, nicht enden wollende Diskussionen um die ‹Planungsprioritäten› in der Hauptstadt und unzählige ‹Stop-and-Goes› prägten die Ausführungsphase. Dass man ihn im rauen Berlin nicht wegmobbte, schreibt Weber auch dem Geleit zu, das er und das Projekt erhalten hätten. Am meisten freuten sich nämlich die Schweizer in Berlin über seinen Erfolg, unter ihnen der damalige Schweizer Botschafter Hans Widmer, der für die richtigen Kontakte sorgte.

Und wie steht es mit Toni Webers Wunsch, «nichts erklären» zu müssen? Von all den Bändern zwischen Gestalt und Geschichte erfährt man vor Ort nichts, es gibt eben keine Didaktik. Das ist einerseits schade, denn erst mit diesem Wissen durchmisst man die Tiefe dieser Landschaftsarchitektur. Andererseits stöhnten die Berliner: Nicht noch eine Gedenkstätte! Dieser Park sollte zum Vergnügen da sein. Vorne an der Spree eröffnet bald ein Café, auf den schiefen Rasenflächen sollen Konzerte stattfinden und die ‹Berliner Zeitung› freut sich auf Fussball mit dem Kanzler (oder auf ein Picknick mit der Kanzlerin?). Auch ist der Spreebogenpark im Rennen um den Platz, wo nächstes Jahr das Fussball-
WM-Fest stattfinden soll. Dafür ist dieser Ort jetzt da, damit die Weite neu gefüllt wird.

hochparterre, Fr., 2005.09.16



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Studium der Architektur und der Raumentwicklung. Redaktorin und Moderatorin bei der Zeitschrift Hochparterre. Expertisen im Bereich Städtebau, Stadtplanung und Raumplanung.

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