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08. Dezember 2008René Hornung
hochparterre

Spuren hinterlassen

Eine Reihe Apfelbäume, zugemauerte Fensternischen und abgebrochene Gewölbe: Subtile Spuren als Zeichen der verschwundenen Kartäuserklausen.

Eine Reihe Apfelbäume, zugemauerte Fensternischen und abgebrochene Gewölbe: Subtile Spuren als Zeichen der verschwundenen Kartäuserklausen.

Die Risse in den Kreuzgangmauern und in der untersten Reihe der Klausen in der Kartause Valsainte im Greyerzerland waren bedenklich gross geworden. Der schlecht drainierte Hang hatte den Untergrund instabil gemacht. Der beigezogene Ingenieur rechnete vor: In den engen Mönchsklausen neu drainieren, unterfangen und reparieren hätte rund 12 Millionen Franken gekostet. Eine umfassende Drainage, dabei aber die Reihe der baufälligen 14 Klausen abbrechen, kostete 7,5 Millionen. Doch wie konnte man der Denkmalpflege des Bundes und des Kantons beibringen, dass in einem Monument von nationaler Bedeutung ein Abbruch vernünftiger wäre?

Abbruch eines Denkmals

Die Klosterbrüder selbst gaben den Ausschlag: Diese Zeile Mönchszellen stand schon während Jahrzehnten leer, warum sie also erhalten, wenn man sie eh nicht mehr braucht? Die pragmatische Haltung der Mönche überraschte die Planer und daraus entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit. Bald war man sich einig: Nicht nur Drainage und Abbruch der baufälligen Klausen, sondern auch der Rückbau der Aussenmauer auf die Baulinie vor 1903 werden dazu beitragen, den Weiterbestand der Kartause zu sichern.

Möglich wurde der Abbruch im Denkmalschutzobjekt auch deshalb, weil es hier immer wieder Brände, Zerstörungen und Wiederaufbauten gegeben hatte, die Anlage also immer wieder verändert wurde. Die Gründung der Chartreuse de la Valsainte geht aufs 13. Jahrhundert zurück. Das Gewölbe der Kirche stammt aus dem Jahr 1380, die Kirchenfassade aber von 1729. 1778 wurde das Kloster aufgehoben, danach teilweise zerstört und verkauft. Doch 1861 konnte der Orden das Land zurückkaufen und wieder aufbauen. Um die aus Frankreich vertriebenen Brüder aufzunehmen, war bis 1903 die südlichste und am tiefsten liegende Reihe der Klosterklausen gebaut worden. Der nun erfolgte Rückbau auf den Zustand vor 1903 ist also ein dokumentierter Teil der Klostergeschichte, was nicht zuletzt die Denkmalpflege veranlasste, dem Abbruch zuzustimmen. Dazu kam die Erkenntnis, dass die heutige Hülle des Klosters zwar im Kernbestand relativ jung ist, dieses letzte bewohnte Kartäuserkloster der Schweiz im Grundkonzept aber immer gleich geblieben ist.

Planung im Team

Via die kantonale Denkmalpflege kam der Architekt und Geograf Pascal Amphoux zum Projekt. Er spannte sein Lausanner Netzwerk auf, «denn ich arbeite immer in Teams», wie er betont. Zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Christoph Hüsler und den beigezogenen Spezialisten wurde das Projekt erarbeitet. Klaus Holzhausen ergänzte das Team für Fragen der Gartendenkmalpflege, Sylvia Krenz für architektonische Details, denn bisherige Innenmauern sind mit den Abbrüchen zu Fassaden geworden. Mit dabei war auch Roger Simond, Fachmann für Mörtel und Verputze. Die zurzeit 18 Brüder und Patres in der Chartreuse de la Valsainte pflegen einen sorgsamen Umgang mit Ressourcen und Natur. Und wenn es um schöne Planerideen ging, waren sie es, die immer wieder die Frage stellten: «Wozu? A quoi ça sert?» Nein, Bänke wollten sie in der neu entstandenen «Terrasse» keine, sie setzten sich selbst sowieso nicht drauf, also nützten sie in der nicht öffentlich zugänglichen Anlage auch nichts. Wichtig war dagegen die Drainage. Auch das Dachwasser musste gefasst und abgeleitet werden.

Mönche für nützliche Lösungen

Immer wieder bewiesen die Mönche den Planern während der Planungs- und Bauphase, dass sie sich im Wirtschaften, in der Ökologie und mit der Natur auskennen: Sie pflegen entlang der inneren Klostermauern rund 1500 Laufmeter Spalierobst, Bäume, die bis zu 150 Jahre alt sind. «Das ist wahrscheinlich die grösste derartige Spalieranlage der Schweiz», stellt Klaus Holzhausen fest, «und dies auf fast 1000 Meter über Meer.» Und weil zu jeder Kartäuserzelle ein eigener Garten gehört, ist das Kloster mit Gemüse und Früchten mehr als nur Selbstversorger. Zusätzlich betreiben die Mönche eine Schreinerei und eine Schlosserei, aber auch ein eigenes Kraftwerk. Das alles gibt viel zu tun — dabei sind die meisten Mönche nicht mehr so jung. Die Kartäuser in ihren hellen Kutten leben zwar den grössten Teil des Tages zurückgezogen und schweigend in ihren Klausen, aber die reale Welt ist ihnen keineswegs fremd. Nützliche Lösungen sind ihnen wichtig. Es war deshalb ganz in ihrem Sinn, dass der Bauschutt der abgebrochenen Klausen für die über fünf Kilometer neue Drainage und für den Bau der neuen Abschlussmauer geschreddert und wiederverwendet wurde. Doch in der Kartause wurde nicht einfach Baufälliges abgebrochen und zum Verschwinden gebracht. Die Planerinnen und Planer gingen auf den Geist des Ortes und auf die von den Kartäusern bewusst gewählte Stille ein. Bevor abgebrochen wurde, waren auf Betreiben des Denkmalschutzes und unter Leitung von Klaus Holzhausen die nun verschwundenen Klausen minutiös dokumentiert worden — mitsamt der dazugehörenden Gärten. Und es wurden danach ganz bewusst «Spuren hinterlassen, aber keine Beweise», wie Pascal Amphoux unterscheidet. Zwar wurde mit der Denkmalpflege zuerst über sichtbare Ruinen diskutiert, doch dann überzeugte die subtilere Lösung.

Zeichen setzen

Die deutlichsten Spuren sind ein dem früheren Verbindungsgang folgender Mauerabsatz. Er war die Baupiste für die Abbruchfahrzeuge. Jetzt ist er bekiest und durch schlichte, in regelmässigen Abständen gesetzte Wasserspeier entwässert. Die zweite markante Spur setzt die schnurgerade Reihe der Apfelbäume, die im Zent-rum der ehemaligen Gärten stehen, die zu jeder Klause gehörten. Sie hinterlassen ein Lebenszeichen der verschwundenen Anlagen, stehen nun aber in einer Mähwiese. Eine gärtnerische Lösung stand für die Klosterbrüder nicht zur Debatte. Mit ihren bestehenden Gärten haben sie schon mehr als genug zu tun. Die bergseitige Begrenzungsmauer, an der der doppelstöckige Erschliessungsgang zu den Kartausen angebaut war, ist von einer Innen- zu einer Aussenwand geworden. Doch auch hier sind Spuren zurückgeblieben: Die Ansätze der Gewölbedecken, aber auch zwei Waschbecken, die den oberen Gang flankierten, sind — fast Mahnmalen gleich — in der Höhe der früheren Fensterreihe erhalten. Die Fenster selbst wurden zwar zugemauert, bleiben aber ihrerseits erkennbare Nischen.

Bauschutt wiederverwendet

Mit dem Abbruch ergab sich auch die Möglichkeit, die Westmauer der Klosteranlage auf die Baulinie, wie sie zwischen 1884 und 1903 bestanden hatte, zurückzuversetzen. Dadurch entstand ein «Talweg». Diesen Begriff verwenden die Fachleute in der Westschweiz für eine Geländemulde. Das Kloster hat nun mit diesem kleinen Einschnitt wieder einen Abstand und einen Grünraum zur Strasse bekommen. Entlang der Strasse wurde auf einer Seite die einstige Lindenallee neu angepflanzt, ein Eingriff, der nicht zuletzt die umliegende Landschaft aufwertet.

Entstanden ist die neue Betonmauer ebenfalls aus Bauschutt. Der Verzögerer hat ihr eine Waschbeton-ähnliche Struktur gegeben und sie zeigt sich klar als neues Element, indem sie auf die Plattenabdeckung verzichtet, die man auf allen alten Mauern der Anlage hier findet. Doch selbst von der alten Umgrenzungsmauer haben die Architekten eine Spur hinterlassen: eine unvermittelt neben der Strasse verlaufende Kurve. Die subtilsten Spuren aber werden sich wohl erst in einigen Jahren zeigen. Die Mauern der abgebrochenen Klausen wurden bis rund 20 Zentimeter unter der neuen Humusschicht abgebrochen. «In einem trockenem Sommer werden sie sich in der Wiese abzeichnen», erwartet Christoph Hüsler. All diese Eingriffe sind allerdings nur aus Distanz zu sehen. «Die Kartause Valsainte kann nicht besichtigt werden», steht auf einer schon ziemlich lädierten Hinweistafel an der Abzweigung am Jaunpass zum Kloster. Aber dank der Hanglage sind gute Einblicke in die Anlage gegeben. Gerade die Mauerspuren der abgebrochenen Klausen wird man nach ein paar Jahren deutlich erkennen können. Finanziert wurde die Sanierung durch die Kartause selbst und einen speziell gegründeten Unterstützungsverein sowie durch kantonale und eidgenössische Beiträge.

hochparterre, Mo., 2008.12.08



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19. Dezember 2007René Hornung
hochparterre

Am Strand von Opfikon

Sandburgen bauen und Streckenschwimmen. Beach-Volleyball und Skaten auf der fünf Meter hohen Rampe. Am offenen Feuer Würste und Steaks braten oder einfach nur unter Platanen einen Schwatz halten. Der Opfikerpark zwischen Zürich und dem Flughafen bietet alles.

Sandburgen bauen und Streckenschwimmen. Beach-Volleyball und Skaten auf der fünf Meter hohen Rampe. Am offenen Feuer Würste und Steaks braten oder einfach nur unter Platanen einen Schwatz halten. Der Opfikerpark zwischen Zürich und dem Flughafen bietet alles.

So hat noch keine Schweizer Gemeinde ein entstehendes Quartier den Investoren übergeben: Mit einem funktionierenden ‹Herz›, einem Park mit Sportanlagen, Räumen für Begegnungen und Sandstrand. Der Opfikerpark war fertig, als die ersten Mieter in die neu erstellten Wohnungen einzogen: Umgebung vor Hochbauten.
Opfikon, Zürichs Nachbarstadt im Glattal, hat gehandelt, als in den Neunzigerjahren klar wurde, dass das Oberhauserriet nach rund 50 Jahren Planungsdiskussionen – oft war die Rede von der «teuersten Wiese Europas» – nun überbaut wird. Der Ort war ziemlich unwirtlich. Eine ehemalige Sumpffläche, für die Landwirtschaft drainiert, lag offen hinterm Fernsehstudio und den Bürobauten Leutschenbachs. Am Nordrand die sechsspurige Autobahn, im Osten die Kläranlage und der Ausbildungsplatz für den Zivilschutz, flankiert von der begradigten und kanalisierten Glatt – kaum eine Spur von Natur.
2001 wurde ein Wettbewerb für eine regionale Parkanlage ausgeschrieben, die zum Zentrum des künftigen Stadtquartiers werden soll. ‹Agglos Traum› hiess das Siegerprojekt von Gabriele G. Kiefer aus Berlin, einer der zur Zeit führenden deutschen Landschaftsarchitektinnen. Sie hat hier ihr Credo umgesetzt: «Wenn es um die Entwicklung in der Peripherie geht, muss Landschaftsarchitektur ein Stück Urbanität schaffen.» So ist aus dem freien Feld in Opfikon ein klar strukturiertes Gebiet geworden. – In der Schweiz sei eine konsequente Ausführung einer solchen Planung deutlich einfacher umzusetzen als in Deutschland, «wo auch bei der Planung immer alle dreinreden», zieht Gabriele G. Kiefer zufrieden Bilanz.

Aushub als Lärmschutz

Die Akzeptanz des Parks bei den Nutzern ist hoch. Schon im ersten Sommer waren hier nicht nur die neu zugezogenen Quartierbewohner anzutreffen, sondern auch Leute aus der Umgebung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fernsehstudios und der Bürokomplexe rundum nutzen den 400 Meter langen See zum Streckenschwimmen. Andere kommen zum Joggen oder einfach nur zum Ausruhen. Die Jugend hat die Sportplätze in Beschlag genommen und die fünf Meter hohe Steilrampe am Autobahn-Lärmschutzwall wird mit allem befahren, was Räder hat. Hauptattraktivität des Parks ist der See mit seiner urbanen Klarheit, überspannt von drei Brücken und den zwei unterschiedlich gestalteten Ufern – hier Sandstrand, dort Schilf. Damit dem See das Wasser nicht ausläuft, mussten zuerst die alten Drainagerohre ausgegraben und der Grund abgedichtet werden. Nur noch in ihrem obersten Teil sichtbare, massive Betonmauern – bis zu sieben Meter hoch – stehen am Ufer. Über die Höhe der Mauerbrüstungen gabs einige Diskussionen. Gabriele Kiefer erinnert sich, wie sich Haftungs- und Gestaltungsfragen in die Quere kamen: «Während es an natürlichen Seen selbstverständlich ist, dass Ufermauern keine Absturzsicherung Kunstprodukt.» Die Kanzelbrüstungen, die darauf montierten massiven Rohre, aber auch der nur sanft abfallende Sandstrand sind solche Sicherheitselemente, die zusammen mit der Beratungsstelle für Unfallverhütung entwickelt wurden. In der Mitte ist der See allerdings schwimmtauglich – immerhin drei Meter tief.
Und auf Ökologie wurde geachtet. Der Seegrund wurde mit dem Ton aus dem vorhandenen Aushubmaterial abgedichtet, der insgesamt zehn Meter hohe Autobahn-Lärmschutzwall wurde ebenfalls aus diesem Material aufgeschüttet und ist als Magerpflanzen-Gebiet angelegt. Die Steine am Schilfufer des Sees lagen ebenfalls vor Ort im Boden. «Nur den Sandstrand haben wir mit zugeführtem Material verfeinert», so Projektleiter Patrick Altermatt, Partner im Zürcher Landschaftsarchitekturbüro Hager, das das Projekt vor Ort leitete.

Regulierter Wasserstand

In den Schilfgürteln wachsen Seerosen und Iris und hier nisten Enten und Vögel und das Schilf reinigt das Wasser. Es wird vom Westwind durch die Wurzeln gedrückt, dahinter abgesogen und ans Nordende des Sees gepumpt. Von dort fliesst es durch eine Sandschicht wieder zurück. Der Schilfgürtel, der die Nährstoffe aus dem Wasser aufnimmt, wird künftig im Sommer teilweise gemäht. Sollte die Algenbildung zu intensiv werden, kommt – wie in den Uferpartien der grossen Seen – das Saugboot zum Einsatz. Der Wasserstand im neuen See schwankt bis zu 50 Zentimeter. Gespiesen wird er unter anderem vom Meteorwasser der Überbauung. Sinkt der Pegel zu tief, wird nachgepumpt, steigt er zu hoch, sorgt ein Überlauf für den Abfluss in die Glatt. Dort, in Flussnähe, wurden die Wald-Restparzellen durch typische Flussufer-Gehölze ergänzt. Die Kanzeln am See und die nördliche Promenade sind mit geschnittenen Platanen bepflanzt, die rasch ein geschlossenes Dach bilden werden.
«Der Park kann mit den Bedürfnissen wachsen», erläutert Patrick Altermatt. Es können nicht nur mehr Bänke aufgestellt oder Feuerstellen eingerichtet werden. Die nicht mehr genutzten Teile der Kläranlage mit den runden Absetzbecken sollen später Teil der Anlage werden. Die Betonmauer über der Rampe am Nordabschluss kann für eine später zu bauende Velo- und Fussgängerbrücke über die Autobahn geöffnet werden. Insgesamt wird der Nutzungsdruck noch markant steigen, denn in der Umgebung werden in wenigen Jahren rund 10 000 Menschen arbeiten und wohnen, was Gabriele G. Kiefer allerdings wundert, «in die-ser peripheren Lage und bei so viel Fluglärm».

Schweizer vorsichtiger

Der grosszügige Opfikerpark war im Wettbewerbsprojekt noch vielfältiger. Der Kostendruck zwang zu einigen Abstrichen. Die 23 beteiligten Grundeigentümer haben zwar den Boden gratis abgetreten, doch die Perimeter-Beiträge reichten nicht aus, das Projekt voll zu finanzieren. Wäre das ursprüngliche Wettbewerbsprojekt umgesetzt worden, hätte das rund 24 Mio. Franken gekostet. Schliesslich standen 10 Millionen von Grundeigentümern und 7,5 Millionen aus der Stadtkasse Opfikon zur Verfügung. Schritt für Schritt soll die Anlage dennoch weiter ausgebaut werden. Die Rede ist von einem Kiosk- und WC-Bau bei der Haltestelle ‹Fernsehstudio› der Glattalbahn.

Entstanden ist der Park im grossen Team mit Bau- und Wasserbauingenieuren, mit Licht- und Elektroplanern. Gabriele G. Kiefer arbeitete ihrerseits mit dem Zürcher Landschaftsarchitekturbüro Hager zusammen, für das sie selbst zuvor in Berlin eine Bauleitung übernommen hatte. Obwohl man sich lange kennt, waren für die Zusammenarbeit mit so vielen Beteiligten ein paar Übersetzungshilfen nötig. Gabriele G. Kiefer: «Trotz scheinbar gleicher Sprache verstanden wir manchmal Unterschiedliches. Mitunter hab ich vor allem die Herren vom Amt wohl auch etwas überfahren, denn bei uns sind die Diskussionen kontrovers und heftig – bei euch in der Schweiz ist alles viel vorsichtiger, langsamer.» An eine solche kurze Auseinandersetzung mit einem Bauleiter erinnern sich die Beteiligten «Erklären sie mir, wie ich das machen soll», ergänzte aber umgehend: «Ich machs dann sowieso anders».


Kommentar der Jury:
Der Opfikerpark liegt in einem ehemaligen Sumpfgebiet, das sich in einen urbanen Stadtteil wandelt. Der Park beeindruckt durch seine Grösse, die für die Schweiz ein Novum ist, und seine schlichte Gestaltung. Die lang gestreckte Wasserfläche bildet eine Zäsur zwi--schen den Wohnüberbauungen und dem freien Raum der Wiese dahinter. Dank der frühzeitigen Realisierung des Opfikerparks reagierte die entstehende Stadt auf den Freiraum, um möglichst vielen Wohnungen den Bezug zum Wasser zu geben. Kontrovers diskutiert wurden die Lage und die Gestaltung der Brücken: Sie sind relativ massiv, zerschneiden die Perspektive und brechen dessen Grosszügigkeit.

hochparterre, Mi., 2007.12.19



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07. Mai 2007René Hornung
TEC21

Gegen Verkehrsstau

Sechs Prozent aller Wegstrecken werden in der Schweiz per Velo zurückgelegt. Dieser Anteil soll markant erhöht werden, denn mehr Veloverkehr ist nicht zuletzt ein Mittel gegen überlastete Strassen. Mit den Agglomerationsprogrammen wollen Bund und Kantone dieses Ziel erreichen.

Sechs Prozent aller Wegstrecken werden in der Schweiz per Velo zurückgelegt. Dieser Anteil soll markant erhöht werden, denn mehr Veloverkehr ist nicht zuletzt ein Mittel gegen überlastete Strassen. Mit den Agglomerationsprogrammen wollen Bund und Kantone dieses Ziel erreichen.

Velofahren hat in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen. Über die in Mode gekommene Freizeitnutzung baut das Velo seinen Anteil auch im alltäglichen Verkehr aus – zwar langsam, aber stetig. Im Stadtverkehr ist längst klar, dass Velofahrende auf kurzen Distanzen die Schnellsten sind. Gesamtschweizerisch sind laut Mikrozensus 20001 noch immer knapp 28 % der Haushalte ohne Velo, doch in rund 30 % der Haushalte gibt es drei und mehr Velos. Im Durchschnitt verfügen 72 % aller Haushalte über mindestens ein Velo.

Damit ist allerdings noch nichts über die Nutzung gesagt. Jugendliche gehen überdurchschnittlich häufig zu Fuss und nehmen vor allem zwischen zehn und vierzehn Jahren das Velo für den Schulweg. Bei den jungen Erwachsenen zwischen 25 und 29 Jahren liegt der Anteil der mit dem Velo zurückgelegten Arbeitswege bei 5 %, bei älteren Bevölkerungsgruppen bei rund 4 %.

Förderung des langsamverkehrs
Das wollen die rund 30 Agglomerationsprogramme, die zurzeit in der Schweiz in Bearbeitung sind, ändern. Ziel der Programme ist es, die aktuellen Verkehrsprobleme zu lösen und die notorischen Staustellen zu entschärfen. Ausserdem soll damit die künftige Siedlungsstruktur gesteuert werden. Angestrebt wird eine nachhaltige Verbesserung der Verkehrssituation und der Siedlungsplanung. Der Modalsplit (Aufteilung der Verkehrsetappen auf die verschiedenen Verkehrsmittel) soll zugunsten des öffentlichen Verkehrs und des Fuss- und Veloverkehrs erhöht werden.

Der Grundsatz des Bundes lautet daher «Vermeiden, umlagern und optimieren». Dazu hat der Bund im Jahr 2000 die Fachstelle für Langsamverkehr im Bundesamt für Strassen geschaffen, die sich der Anliegen der zu Fuss Gehenden und der Velo Fahrenden annimmt. Jedes Agglomerationsprogramm muss Projekte zugunsten der zu Fuss Gehenden und Velofahrenden – samt Infrastrukturbauten – vorschlagen. Dazu gehören sowohl Reparaturmassnahmen am bestehenden Netz als auch gezielte Ausbauten ausschliesslich für den Fuss- und den Veloverkehr. Das Bundesamt für Raumentwicklung überprüft danach, ob die Förderung des Langsamverkehrs in der Planung gebührend berücksichtigt ist.Betrachtet man allerdings die ersten fertig ausgearbeiteten Agglomerationsprogramme, etwa jenes für Lausanne und Morges, stellt man fest, dass der Veloverkehr hier stiefmütterlich behandelt wurde. Das Agglomerationsprogramm für Lausanne, von seiner Topografie alles andere als eine Velostadt, enthält vor allem verbale Bekenntnisse zum Veloverkehr und schlägt für zahlreiche Stellen eine bessere Verknüpfung mit dem öffentlichen Verkehr vor. Der Ausbau des Velonetzes beschränkt sich aber auf die Verknüpfung schon vorhandener Teilstücke.

Heute, bevor die Agglomerationsprogramme greifen, stellt man unterschiedliche Anteile des Veloverkehrs in den Agglomerationen und den Städten fest. Winterthur, aus Tradition und dank der Topografie die Schweizer Vorzeige-Velostadt, bringt es auf einen Anteil an Velofahrten von 25 %, Basel liegt nur wenig darunter. In der Agglomeration Zürich werden 7.3 % der Fahrten per Velo zurückgelegt, und gesamtschweizerisch liegt der Durchschnitt bei 6 %.

Allerdings: Betrachtet man in den genannten Beispielen nur die Kernstädte, so liegt der Veloanteil deutlich höher. Grund dafür sind die kürzeren innerstädtischen Distanzen und die ausgebaute Veloinfrastruktur. Erfahrungen zeigen, dass Fördermassnahmen erfolgreich sind. Das Stadtzürcher Velonetz wurde ab Anfang der 1980er-Jahre ausgebaut, was den Veloanteil um das Dreifache, auf immerhin 7 %, steigen liess. Bis 2010 soll ein Veloanteil von12 % erreicht werden.

Dafür sind jedoch mehr zusammenhängende Velostrecken nötig, die zügig befahren werden können, denn im Alltag sind die Velofahrenden genau so in Eile wie die Autofahrenden. Wenn es mit solchen Massnahmen gelingt, mehr Arbeitspendler dazu zu bringen, das Velo zu benutzen, schafft dies nicht zuletzt Platz auf den Strassen und könnte ein Beitrag zur Lösung der Stauprobleme sein.

Grundlagen erarbeiten

Die Fachleute sind überzeugt, dass gerade in den Agglomerationen der Veloverkehr noch markant gesteigert werden kann. In der Agglomeration Bern sind beispielsweise 60 % aller Fahrten maximal 5 km lang – Strecken, die für Velos ideal sind. Bis ins Jahr 2011 soll der Veloanteil hier auf 55 % erhöht werden. Dazu werden in den insgesamt sechs Agglomerationsprogrammen auf dem Gebiet des Kantons Bern viele «unspektakuläre Einzelmassnahmen» ergriffen, so Ulrich Seewer, Leiter der Fachstelle Gesamtmobilität in der kantonalen Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion. Der kantonal-bernische «Richtplan Veloverkehr» vom Dezember 2004, ausgearbeitet von der Fachstelle Langsamverkehr, verlangt schon heute, dass bei Strassenprojekten 10 bis 20 % der Mittel für den Velo- und den Fussverkehr aufgewendet werden. In den Agglomerationsprogrammen findet man auch neue Projekte wie eine Velobrücke über die Aare (Länggasse–Nordquartier). Für die sechs bernischen Programme sind insgesamt 56 Mio. Franken für den Langsamverkehr vorgesehen.

In vielen anderen Regionen müssen die Grundlagen, über die Bern bereits verfügt, zuerst noch erarbeitet werden: Hansueli Hohl (verantwortlicher Planer für den Fuss- und Veloverkehr des Agglomerationsprogramms der Region St. Gallen - Arbon - Rorschach) stellt fest, dass es in seinem Gebiet vorerst nur wenige Ausbauprojekte gebe. «Wir haben schon vor zwei Jahren die 23 Gemeinden unserer Agglomeration – verteilt auf die drei Kantone St. Gallen, Thurgau und Appenzell-Ausserrhoden – nach ihren Wünschen zum Fuss- und Veloverkehr befragt – diese waren bescheiden.» Nun wird nochmals nachgehakt, um möglicherweise entsprechende Projekte in die Planung aufnehmen zu können.
Der Druck auf die Planungsfachleute des Veloverkehrs dürfte in den nächsten Monaten zunehmen. Die IG Velo Schweiz fordert die Regionalverbände nämlich zu Interventionen auf und liefert dazu Kontaktadressen. Im Frühjahr 2007 wird an einem Workshop eine Umsetzungshilfe vorgestellt, denn «nur wenn in den Regionen die Veloverkehrsprojekte gebündelt eingegeben werden, erhalten sie das nötige Gewicht, um mit Bundesgeldern mitfinanziert zu werden», sagt Christoph Merkli, Geschäftsführer der IG Velo Schweiz.
Das Bundesamt für Strassen arbeitet ebenfalls an einer Umsetzungshilfe in Sachen Langsamverkehr. Wann die Checkliste veröffentlicht wird, ist noch nicht bekannt.

Auch parlamentarisch soll die Veloförderung beschleunigt werden: Die SP Schweiz hat eine Mus- terinterpellation ausgearbeitet, die bei den Kantonen eingebracht werden kann. Die Regierungen sollen Zahlen über den Modalsplit in ihren Städten und Agglomerationen erfassen und veröffentlichen. Anschliessend sollen Gelder bereitgestellt und Fachstellen geschaffen werden. Im Kanton Zürich wird zurzeit gar über die Lancierung von zwei Volksinitiativen diskutiert. Die eine will vom Kanton eine Veloförderung, damit der Veloanteil in den Agglomerationen des Kantons auf 15 % ansteigt. Die zweite Initiative soll eine wirksamere Veloförderung in der Schule bringen, denn der Anteil Velofahrender Jugendlicher geht in den letzten Jahren ständig zurück.

[ René Hornung ist freier Journalist im Pressebüro St.Gallen, Mitarbeiter von «Hochparterre» und «Velojournal» ]

TEC21, Mo., 2007.05.07



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07. Dezember 2006René Hornung
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Das Spiel mit dem Platz

Die Claramatte sei der ‹Jardin du Luxembourg› des Kleinbasel, sagen die Einheimischen. Eine rechteckige öffentliche Grünanlage, die intensiv genutzt wird. Die von Platanen überdachte Freifläche lehnt sich in ihrer neuen Gestaltung an historische Vorbilder aus dem 19. Jahrhundert an, schafft aber ein neues Gefühl von Weite.

Die Claramatte sei der ‹Jardin du Luxembourg› des Kleinbasel, sagen die Einheimischen. Eine rechteckige öffentliche Grünanlage, die intensiv genutzt wird. Die von Platanen überdachte Freifläche lehnt sich in ihrer neuen Gestaltung an historische Vorbilder aus dem 19. Jahrhundert an, schafft aber ein neues Gefühl von Weite.

Die Claramatte hat alles, was ein öffentlicher Platz braucht: eine Freifläche unter einem dichten Platanen-Dach, ein gelber Stabilizerbelag, der wie eine klassische Chaussierung wirkt, und die mit gebundenem Kies belegten Wege am Rand. Dazu ein Musikpavillon, Planschbecken, Kiosk, WC-Häuschen – und viele, viele Spielmöglichkeiten für Kinder. Die Aufteilung und Nutzung dieser – neben der Kaserne – einzigen grösseren Freifläche im Kleinbasel geht auf die intensive Mitsprache der Anwohner und des Vereins Claramatte zurück.

Schon bevor sich die Christoph Merian Stiftung und die Stadt Basel des etwas heruntergekommenen Platzes annahmen und im Jahr 2000 den Wettbewerb für die Neugestaltung ausschrieben, lagen Dutzende von Anwohnerwünschen auf dem Tisch. Den Wettbewerb mit fünf eingeladenen Büros gewannen Raderschall Landschaftsarchitekten mit einem Konzept, das sich an die Platzgestaltung aus dem 19. Jahrhundert anlehnt. Allerdings: «Wir sind nicht historisierend vorgegangen, wir haben das Alte uminterpretiert», betont Sibylle Aubort Raderschall.

Blenden wir zurück: Entstanden war die Claramatte aus einem Teil des einstigen Obstgartens des Frauenklosters St. Clara. Die Obstbäume standen noch, als die in einer Mulde liegende Wiese ab 1820 im Sommer als Turnplatz und im Winter als Eisbahn genutzt wurde. Bis 1865 die Liegenschaftenbesitzer rundum reklamierten, weil das auftauende Eis als Wasser in ihre Keller lief. Knappe zehn Jahre später war bürgerliches Promenieren angesagt. Die Mulde wurde eingeebnet und 1872 ein ‹Square› nach englischem Vorbild eingerichtet – eine nobilitierte Anlage direkt vor der Türe des öffentlichen ‹Brausebades›. Die letzte einschneidende Änderung erfolgte in den Fünfzigerjahren, als die Längsseiten der Claramatte abgeschnitten und zu Parkplätzen verwandelt wurden. Immerhin verschonte man die Bäume, zwischen die die Autos fortan platzsparend schräg einparkiert wurden. Jetzt, wo die Autos in der neuen Quartierparkgarage unterm Boden stehen, haben diese alten Bäume ihren Platz wieder im Park.

Eine weitere Altlast war die Unterteilung: Weil man die spielenden Kinder in den letzten Jahrzehnten vor Clochards verschonen und von der Hundekot-Plage befreien wollte, wurde der Kinderspielplatz in der Platzmitte mit Zaun und Tor abgesperrt. Die Claramatte war zweigeteilt, die Restfläche mit dem Musikpavillon wurde eine unattraktive Asphaltfläche. Nachts war und ist das Geviert teils heute noch düsteres Revier der Prostituierten und Freier. Die dicht stehenden Platanen liessen kaum Licht durch.

Als sich Raderschall Landschaftsarchitekten an die Detailplanung machten, ging es nicht nur um den Kinderspielplatz. Es begann auch eine Diskussion um den dichten Baumbestand ab. «Wir wollten die heute in zwei Kreisen stehenden Platanen ursprünglich schrittweise durch zwei ‹Dächer› aus geschnittenen Platanen ersetzen, um so dem anfänglichen Ruf aus dem Quartier nach mehr Licht nachzukommen», erinnert sich Roland Raderschall. Doch weil sich im Jahrhundertsommer 2003 die Leute nach kühle ren Schattenplätzen sehnten, kippte die Stimmung: «Die alten Bäume erhalten», hiess die Forderung nun – und so stehen die zwei Platanenkreise weiterhin. Dennoch ist die Claramatte heller geworden: Die Parkplätze am Rand sind weg, die Chaussierung ist hell und dank den Zugängen in den Ecken – die dank der Hartnäckigkeit der Landschaftsarchitekten wieder geöffnet wurden – kann man die Anlage wieder von überall her betreten. Aber auch Vertrautes finden die Quartierbewohner wieder: Der Brunnen mit der wasserspeienden Schlange steht wieder hier und auch der Frosch hat seinen Platz bekommen. Neu ist der ‹Kinderkiosk›, in dem es Trinkbares gibt und die Spielgeräte über Nacht eingestellt werden. Weil die Kinderspielplätze nun am Rand angelegt sind, wirkt die Platzmitte grosszügig weit. Kein festes Mobiliar versperrt den Weg, die Tisch-und-Bank-Einheiten können frei herumgetragen werden, die dreissig Einzelstühle ebenfalls.

Hauptattraktion der Claramatte ist der Kinderspielplatz, der nicht mehr abgetrennt ist und Offenheit gegenüber allen Bevölkerungsgruppen signalisiert. Der Augenschein zeigt: Das funktioniert bestens. Entworfen und gebaut wurde die burgähnliche Anlage mit Brücken und Kletterturm, Rutschbahnen, Seilbahnen und anderen Attraktionen von Fabio Guidi und Urs Wiskemann von der Motorsänger GmbH (HP 9/05). Die zwei Gestalter begeistern die Kinderherzen, ohne auf das meist öde Spielplatzmobiliar zurückzugreifen, und erfüllen dabei erst noch die bfu-Sicherheitsempfehlungen. Ein paar Meter weiter steht eine andere Kinderattraktion: Aus der einen Wand des u-förmigen Wasserkanals spritzt es alle Viertelstunde. Wer Mut zeigt, springt dazwischen oder fährt mit dem Velo durch Raderschalls ‹Planschbecken›. Im Boden eingelassen erkennt man den Lauf des Rheins von der Quelle bis nach Rotterdam. Der Rhein? Klar: Der Fluss liegt nur ein paar Steinwürfe entfernt. «Der Rhein aber auch, weil ich ursprünglich Rheinländer bin», lacht Roland Raderschall. Und noch ein Eingriff trägt die Handschrift der Landschaftsarchitekten: die Farbe der Bänke. «Wie überall ist auch in Basel das Stadtmobiliar streng normiert», stellt Sibylle Aubort Raderschall fest. Zugelassen ist eigentlich die Bank nur mit Sitzflächen in Naturholz oder in Dunkelblau. Die Projektgewinner redeten dann so lange auf die Verantwortlichen der Stadt ein, bis das Einheitsmodell in frischem Grün-Gelb bewilligt war. Und jetzt realisiert es auch der Laie: Dieser spärlich gesetzte Farbakzent gibt der Claramatte einen frischen Touch. Nachts sorgen farbige Diodenlichter für eine besondere Stimmung: Im Planschbecken schimmert das Wasser und im Innern der Platanenkreise beleuchten sie das grüne Dach vom Boden her.

So einfach, klar und offen sich die im Juni 2006 wieder eröffnete Claramatte heute präsentiert, so gross war der Aufwand, dies zu erreichen: Alles Oberflächenwasser wird gesammelt und versickert über neu angelegte Schächte zurück in den natürlichen Kreislauf. Die gesamte technische Infrastruktur musste unter den Wurzeln der alten Bäume hindurch gefädelt werden, Baumpfleger standen permanent auf Pikett – und es hat sich gelohnt. Der Anlage mit den alten Platanen gehts prächtig.

hochparterre, Do., 2006.12.07



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30. Juni 2006René Hornung
Rahel Marti
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Zwei Klangfeuer entfacht

Herzog & de Meuron planen auf einer Weide bei Courgenay im Jura einen Konzertsaal und Peter Zumthor soll am Schwendisee im Toggenburg ein Klanghaus entwerfen. Zwei mutige Projekte, die auf architektonische Strahlkraft und Musikgenuss in Abgeschiedenheit setzen.

Herzog & de Meuron planen auf einer Weide bei Courgenay im Jura einen Konzertsaal und Peter Zumthor soll am Schwendisee im Toggenburg ein Klanghaus entwerfen. Zwei mutige Projekte, die auf architektonische Strahlkraft und Musikgenuss in Abgeschiedenheit setzen.

Ein ‹Oeuvre d'art› nennt Georges Zaugg das Konzerthaus, das Herzog & de Meuron für eine Weide oberhalb des jurassischen Weilers Courtemautruy entworfen haben (‹Gefühlte Architektur›, Seite 45). Zaugg ist doppelter Vater des Projekts: Zum einen gründete er 1977 das kleine, aber feine ‹Festival du Jura›, das endlich einen Konzertsaal bekommen soll, der Topinterpreten und ein Toppublikum anlockt. Zaugg ist Vorsitzender der Stiftung ‹Auditorium du Jura›, die sieben jurassische Politik- und Kulturpersönlichkeiten gründeten, um das Haus mit 700 Plätzen zu bauen und zu betreiben. Zum anderen ist Georges der Bruder des Künstlers Rémy Zaugg, der bis zu seinem Tod im August 2005 oft mit Herzog & de Meuron zusammengearbeitet hatte. Georges Zaugg, Jacques Herzog und Pierre de Meuron bezeichnen das Gebäude als ihre Hommage an den Künstler; im Konzerthaus sollen Werke von ihm und anderen internationalen Künstlern ausgestellt werden. Die Brüder hatten den besonderen Platz nicht weit ihres Geburtsorts Courgenay noch gemeinsam ausgesucht. Rémy Zaugg zeichnete zwischen den künftigen Standort des Auditoriums, Le Corbusiers Kappelle in Ronchamp und dem französischen Ornans, Geburtsort des Malers Gustave Courbet, ein virtuelles Kulturdreieck.

Hört man Georges Zaugg zu, so funkelt im Entwurf ein werdendes Wahrzeichen des jurassischen Aufbruchs. „Wir beleben die Kultur im ganzen Jurabogen. Das Haus wird ein Emblem unseres Kantons mit landesweiter Ausstrahlung.“ Pierre de Meuron doppelt nach: „Es wird ein Statement für die Schweiz. Wir rücken diesen magischen Ort ins Bewusstsein.“ Der Kanton Jura liegt auf der Karte des ETH Studios Basel (HP 9/05) in einer ‹Stillen Zone›: Gebiete, die fern grösserer Zentren und eher statisch sind. „Differenzen erkennen und fruchtbar werden lassen; in einzelnen Gebieten unterschiedliche Qualitäten entwickeln“ - das Projekt in Courtemautruy liegt im Sinn des ETH Studios Basel. Georges Zaugg ist überzeugt, das ‹Auditorium du Jura› werde die jurassische Wirtschaft ankurbeln. Es locke Musikliebhaber, Architekturtouristen und Unternehmen in die Region. Die heute auf 20 Millionen Franken veranschlagten Baukosten sieht Zaugg vornehmlich in die jurassische Wirtschaft fliessen; lokale Unternehmer sollen mit einheimischem Holz bauen.

Die Weide: Glück oder Grab

Die Architektur von Herzog & de Meuron ist Zauggs Trumpf. Der magische Ort aber könnte Glück wie Grab sein. Basel und Biel sind gut 50 Autominuten entfernt, weitere Städte - Muhlhouse, Besançon, Montbéliard, Belfort, Solothurn - eine Stunde und mehr; als Infrastruktur sind lediglich 400 Wiesenparkplätze geplant. Ein Musiksaal auf der Weide im tiefsten Jura - wer fährt für ein Konzert dorthin? Das Publikum sei da, antwortet die Musikszene überraschend. „Raus aus der Stadt, hinein in einen Saal in der Natur, das wird immer beliebter“, weiss Christoph Müller, Geschäftsführer des Kammerorchesters Basel und künstlerischer Leiter des Menuhin Festivals in Gstaad.

Der Leiter Musik bei der Pro Helvetia, Thomas Gartmann, stimmt zu. Beide nennen zahlreiche Festivals, die dank dieses Konzepts grossen Zulauf verzeichnen: etwa das Schleswig-Holstein Musik Festival, das als ‹Musikfest auf dem Lande› in Gutshöfen stattfindet, oder die Schubertiade in Schwarzenberg im Bregenzerwald. Das Schweizer Musikinformationszentrum listet allein 45 Schweizer Festspiele auf, gut die Hälfte davon in ländlichen Orten. „Gerade abgeschiedene Orte ziehen ein grosses Publikum an“, ist Christoph Müller überzeugt. Die Reise sei kein Hindernis, sondern Teil des Erlebnisses. Thomas Gartmann schätzt: „In den Köpfen liegt der Jura weit weg. Doch das Projekt könnte funktionieren, wenn die Musik und die Ambiance erstklassig sind.“ Das Festival müsse ein eigenes Fenster öffnen, sich zum Beispiel in Barock-, Welt- oder zeitgenössischer Musik einen Namen schaffen. Problematisch finden aber beide Experten, dass keine Restaurants und Hotels geplant sind, die den Konzertbesuch abrunden könnten. Und beide fragen: „Wer nutzt das Haus in der festivalfreien Zeit? Das Geld für den Betrieb aufzutreiben ist schwieriger als jenes für den Bau!“

Dann könnten regionale Chöre, Gastorchester, Kongresse und Firmenanlässe das Haus füllen, zählt Georges Zaugg auf. Das tönt nach Allerweltsmix - möglich, dass die zündende Idee noch fehlt. Die Baukosten von 20 Millionen Franken sollen ganz von privaten Sponsoren und Mäzenen aufgebracht werden. Ebenso 5 Millionen Franken für einen Fonds, mit dem das Haus während der ersten Phase, die Zaugg auf 10 bis 15 Jahre schätzt, betrieben werden soll. Dass der Kanton Jura in der Rechnung nicht vorkommt, hat gute Gründe. Die Regierung lehnte ein Engagement für das Auditorium wegen der knappen Finanzen ab, sagt Jean Marc Voisard vom kantonalen Kulturamt. Dem Kanton stehen für kulturelle Institutionen und Projekte jährlich 1,2 Millionen Franken eigene Mittel und rund 1,5 Millionen aus dem Lotteriefonds zur Verfügung.

„Sehr mutige Investition“

Georges Zaugg muss Optimist sein und er steckt mit seiner Begeisterung an. Wie realistisch sind seine Pläne? Christoph Weckerle, der an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich (HGKZ) nationale und internationale Expertisen zur Kulturpolitik erstellt, hält Zweifel für angebracht. „Sponsoren investieren in der Regel nicht in Infrastrukturen, sondern in zeitlich beschränkte Projekte; das Engagement hängt auch stark von Wirtschaftslage, Firmenprofil und Trends ab.“ Geld könnte also eher für das Festival fliessen, weniger für das Gebäude. Für die längerfristigere Perspektive, das Mäzenatentum, sei die Schweiz mit ihrer Stiftungstradition zwar prädestiniert. Doch dürfe man auch gewichtige Mäzene nicht überschätzen, wie etwa die Fondation Beyeler in Riehen zeige: „Lage, Architektur und finanzieller Grundstock waren vielversprechend, doch die Fondation braucht heute staatliche Unterstützung.“ Und was ist mit dem dritten Weg, mit dem Zaubermittel ‹Public Private Partnership›? „Der Kanton Jura müsste das Auditorium finanziell bevorzugen, um es ausreichend zu unterstützen“, meint Weckerle. Das sei in der Schweiz unüblich, hier werde niemandem viel, sondern allen ein bisschen zugesprochen. Beim Zürcher Opernhaus zum Beispiel setzt der Kanton Zürich einen solchen Schwerpunkt, es erhält jährlich über 60 Millionen Franken - die es trotzhoher Auslastung benötigt. Kein Museum, kein Konzerthaus könne von Eintritten leben. „Eine Institution wie das Auditorium du Jura wird ohne staatliche Gelder langfristig kaum überleben können, auch wenn dies zurzeit tabu ist“, sagt Weckerle, warnt jedoch: „Staatliches Geld wird knapper; in zehn Jahren ist die Situation für die Kultur prekärer als heute.“

Noch skeptischer ist Christian Laesser, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St.Gallen. Seine Bedenken gelten Lage und Auslastung: "Der Kanton Jura ist kein ‹Hotspot›, etwa wie das Tessin." Laesser ist skeptisch, ob Musik, Architektur und Ausstellungen die erforderliche Besuchermasse an den abgelegenen Ort zu locken vermögen und ob das Reservoir an Interessierten, die immer wieder kommen, genügend gross ist. Seine Grobrechnung: 20 Millionen investierte Franken führen jährlich zu mindestens 500.000 Franken Zins- und Amortisationskosten, Betriebs- und Unterhaltskosten nicht eingerechnet. Bei 200 Betriebstagen muss jeder Tag 2500 Franken Gewinn bringen. Ist das 700-Plätze-Haus voll besetzt, muss jede Person gut 3.50 Franken Gewinn abwerfen - nur um die Bauinvestitionen zu finanzieren. „Auch wenn 20 Millionen nicht viel sind - die Investition ist sehr mutig.“ Immerhin, die erste Hürde hat das ‹Auditorium du Jura› genommen; das Stimmvolk von Courgenay erteilte dem Projekt am 22. Mai das Baurecht.

Chöre am Schwendisee

Weniger auf ein Festival-Publikum wie im Jura, sondern auf aktive Musikerinnen und Musiker ausgerichtet ist das ‹Klanghaus›-Projekt im Toggenburg. Bauen soll es Peter Zumthor am Schwendisee oberhalb des Ortes Unterwasser. Die Geländemulde, so die Initianten, bilde einen natürlichen Klangraum. Wie beim Auditorium du Jura ist ein Holzbau geplant. Herz des auf 15 bis 20 Millionen Franken geschätzten Projekts wäre ein 200 Quadratmeter grosser Saal, konstruiert aus den Instrumentenhölzern Fichte und Ahorn. Dazu kämen Kursräume, Dokumentationszentrum, Bibliothek und Restaurant - aber, ebenfalls wie im Jura, keine Übernachtungsmöglichkeiten. Wie Peter Zumthors Gebäude aussehen könnte, ist im Gegensatz zum Auditorium du Jura völlig offen: Es gibt nicht einmal Skizzen.

Das Haus will vielfältige Bedürfnisse abdecken: Probewochen für Chöre und Orchester, Meisterkurse und Kurse zu Klang, Rhythmus und Naturjodel sind vorgesehen, die technische Ausrüstung wird entsprechend aufwändig. Dieses Programm mache die ‹Klangwelt Toggenburg› zu einem kulturwirtschaftlichen Projekt. „Es richtet sich an eine touristisch noch wenig erfasste, aber durchaus kaufkräftige Zielgruppe: Chöre und Orchester, für die noch kein spezifisches Angebot existiert“, schreiben die Initianten. Im Einzugsgebiet des Klanghauses gebe es mehrere Tausend Chöre und mehrere Hundert Orchester. Diese verreisen jährlich mindestens für ein Wochenende oder eine Woche, um zu proben und zusammenzusein - das abgelegene Toggenborg könnte da zu einem beliebten Ziel werden, Tausende von Übernachtungen wären möglich. Allein der Betrieb des Klanghauses werde bis zu einem Dutzend neuer Arbeitsplätze schaffen. Die Projektskizze rechnet eine Wertschöpfung für die Region zwischen 1,9 und 2,6 Millionen Franken pro Jahr vor. Laut Businessplan soll das Haus nach vier Jahren selbsttragend sein.

Träumen erlaubt

Auch Initianten aus dem Toggenburg ist klar: Das Haus braucht erstklassige Architektur und Akustik. Ein Zumthor-Bau erfülle diese Anforderungen und er setze ein Zeichen. Als Vergleich wird die Therme Vals angeführt, die
das noch abgelegenere Tal bekannt machte und die Übernachtungszahlen in die Höhe treibt. An Vals knüpft man im Toggenburg auch an, weil mit dem Klanghaus ein ‹Zumthor-Dreieck› entstünde: Kunsthaus Bregenz - Therme Vals - Klanghaus Schwendisee. Die Idee des Kulturdreiecks - eine wohl nicht zufällige Parallele zum jurassischen Projekt: Dahinter steht die Absicht, das eigene Projekt in den regionalen Zusammenhang zu fügen.

Das Klanghaus-Projekt hat eine Vorgeschichte: Es zählte zu jenen Kulturprojekten, die mit dem ‹Zukunftsfonds› hätten finanziert werden sollen, den die St.Galler Regierung aus den Sondererträgen der Kantonalbank-Teilprivatisierung äuffnen wollte. Dieser Fonds fiel aber in der Abstimmung Ende 2004 durch. Danach wollten die Initianten aufgeben, weil sie in der Region keinen Rückhalt mehr spürten, rappelten sich aber wieder auf, und inzwischen ist das Verständnis in der Region gewachsen: Regionalplanungsgruppe, Touristiker und Hoteliers unterstützen jetzt das Projekt. Peter Zumthor erhält aber erst grünes Licht für die Weiterarbeit, wenn die Finanzierung klarer ist. Vielleicht führt die beharrliche Kleinarbeit zum Erfolg: Breit angelegte musikalische Kurse führt Klanghaus-Initiant Peter Roth, Musiker und Chorleiter, schon heute im alten Kurhaus ‹Seegüetli› vor Ort durch. Dieses Jahr sollen über 600 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer in der Region übernachten und die dritte Etappe des ‹Klangwegs› wird diesen Juli eröffnet. Die Initianten widmen sich zurzeit der Geldsuche: „Wir sind mit zahlreichen Sponsoren im Gespräch, mit Kulturträgern und mit dem Kanton“ - Konkreteres gibt ‹Klangwelt›-Geschäftsführer Stephan K. Haller nicht preis. Ein Bericht in der Regionalzeitung, wonach die UBS das Haus nun zahle, war leider ein 1. April-Scherz. Trotzdem davon zu träumen, sei ja nicht verboten, meinen die Initianten.


‹Gefühlte Architektur›
Expressionistische Krone, archaische Hütte, chinesische Pagode oder krude Märchenburg - im Entwurf von Herzog & de Meuron ist vieles lesbar. Die Sinne schwelgen, bevor der Verstand begreift, was er sieht. Wie entsteht diese Architektur? Die Entwurfsgedanken von Grund auf: Wie ein Amphitheater soll die zentrale Bühne in die Erde eingelassen werden; die Musiker und ein Teil der Zuschauer sitzen und stehen also auf der Weide. Das Erdgeschoss, oder der obere Teil des Sockels, sei ‹immateriell›, sagen die Architekten, es wird rundum verglast und damit nicht sichtbar, denn das Gebäude soll die Weidelandschaft nicht unterbrechen. Über dem Bühnensockel soll eine hölzerne Kuppel auf nur drei Stützen ruhen, Vorbild war hier eine über dem Raum schwebende barocke Kuppel. Weil die ideale Kuppelform, die Rundform, aus akustischen Gründen unmöglich ist, nähern sich ihr Herzog & de Meuron mit einem Sechseck an. Dessen Seiten verformten sie mit dem Akustiker Yoshio Toyota zu Krümmungen, sodass eine Blümchenform entstand. Diesen Grundriss schichteten sie stockwerkartig übereinander und drehten ihn jeweils um einige Grade. Die Form ist das Ergebnis zweier Regeln: Überall hervorragende Akustik und freie Sicht auf die Bühne. Die nach innen gewölbten Kurven sollen als Balkonnischen und Lichtöffnungen dienen, wie Schwalbennester scheinen sie in der Kuppel zu kleben. Die nach aussen gewölbten Kurven werden aus der Dachfläche drücken und den Dachhut von aussen verformen. Das Gebäude, das nur aus Dach besteht, soll mit Holzschindeln eingekleidet werden, allenfalls mit Eternit.

Die Grundform des Gebäudes geht auf das Kulturdreieck von Rémy Zaugg zurück; im Grundriss verlängert das gleichseitige Dreieck geometrisch den Sechsecksaal. Von aussen verleiht die pyramidale Form dem Gebäude einen Hauch Monumentalität.
Hochparterre erhielt keine Pläne von H & de M, weil sich das Projekt erst im Anfangsstadium befinde.

hochparterre, Fr., 2006.06.30



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hochparterre 2006-06|07

01. April 2005René Hornung
Neue Zürcher Zeitung

Suche nach der verlorenen Baukultur

In St. Gallen erhitzen sich seit Monaten die Gemüter über die verlorene Baukultur. Die Architektenverbände machen sich für einen unabhängigen Gestaltungsbeirat stark. Und sie wollen erreichen, dass die vakante Stelle des Stadtbaumeisters mit einer starken Persönlichkeit besetzt wird - für diese aber brauche es mehr Kompetenzen.

In St. Gallen erhitzen sich seit Monaten die Gemüter über die verlorene Baukultur. Die Architektenverbände machen sich für einen unabhängigen Gestaltungsbeirat stark. Und sie wollen erreichen, dass die vakante Stelle des Stadtbaumeisters mit einer starken Persönlichkeit besetzt wird - für diese aber brauche es mehr Kompetenzen.

Die Bevölkerung von St. Gallen schimpft derzeit über Neubauten und Bauprojekte. Ein Stein des Anstosses ist der vom Generalunternehmer HRS ohne Wettbewerb gebaute Bürogebäudekomplex an der exponierten nordwestlichen Ecke des Bahnhofareals. St. Leonhard heisst der Bau, «St. Leopard» frotzeln die Stadtbewohner wegen der unregelmässig angeordneten Fassadenelemente, die an Militär-Tarnfarben erinnern. Das in einer späten Bauphase entwickelte Farbkonzept stammt aus dem Zufallsgenerator des St. Galler Künstlers Bernhard Tagwerker, doch Anerkennung findet die Gestaltung nicht. HRS und die städtischen Baubewilligungsbehörden müssen sich nicht nur wegen «St. Leopard» Kritik anhören: Auch das Stadionprojekt auf öffentlichem Grund im Westen St. Gallens wurde vom Generalunternehmer ohne Wettbewerb geplant. Wie beim «St. Leopard» stammen die Pläne aus einem Direktauftrag an den örtlichen Architekten Bruno Clerici. Gebaut ist die Kombination von Einkaufszentrum und Stadion noch nicht, die Rekurse sind aber bereinigt, und der Überbauungsplan steht kurz vor der Genehmigung.

Grosse Projekte

Solch grosse Projekte ohne Wettbewerbe zu realisieren. sei «Baupolitik, keine Baukultur», kritisiert der aus St. Gallen stammende Kultur- und Kunstwissenschafter Peter Röllin. Als Kenner der Stadtentwicklung vermisst er in den letzten Jahren einen «personell und fachlich kompetenten Diskurs». In Architektenkreisen diskutiert man zurzeit heftig über die Ursachen dieses Malaises: Der bisherige Stadtbaumeister Martin Hitz - er wechselt im März in die Baudirektion der Migros Ostschweiz - habe kaum architektonische Ambitionen gezeigt. SP-Baustadträtin Elisabeth Beéry kümmere sich zu wenig um Architektur und Stadtplanung. Und schliesslich entscheide die bisher politisch besetzte Baupolizeikommission jeweils nach der Maxime: Nur nicht die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt durch Planungs- und Bauvorschriften hemmen.

Die Kritik blieb nicht ohne Wirkung: Die revidierte städtische Bauordnung, die noch dieses Jahr in Kraft gesetzt wird, soll eine grössere und neu zusammengesetzte Baubewilligungsbehörde bringen: Das Parlament kann dann nicht mehr Lobbyisten installieren. Künftig will die Stadtregierung externe Fachleute berufen. Damit werde der Architektur mehr Gewicht zukommen, so Stadträtin Beéry. Zusätzlich soll die Bauberatung verstärkt werden. Weiter soll St. Gallen einen Gestaltungsbeirat bekommen - dies fordern die Berufsverbände BSA, SIA, SWB, FSIA und das Architekturforum. Sie lobbyierten in den letzten Monaten bei Parteien und bei der Stadträtin. Wie rasch der Beirat installiert wird und welche Aufgaben und Kompetenzen er haben wird, ist noch offen: Die Architektenverbände verlangen einen «unabhängigen, externen Beirat», der sowohl zu Planungsfragen als auch zu Bauprojekten in einem frühen Stadium Stellungnahmen abgeben kann. Beéry hält nichts «von zu vielen Experten» und will den Beirat der Stadtplanung unterstellen und ihm nur Gestaltungs- und Überbauungspläne sowie Grossprojekte vorlegen.

Nun muss St. Gallen auch noch einen neuen Stadtbaumeister wählen. Die Architektenverbände fordern eine starke Persönlichkeit, die der Baulobby die Stirn bieten kann. Dazu aber eigne sich das schwammige Profil im Stelleninserat nicht, kritisieren sie: Um kompetente Diskussionen über gutes Bauen und Stadtplanung neu zu lancieren, brauche es mehr als einen Verwalter für die städtischen Liegenschaften. Fachkompetenz in Städtebau und Managementfähigkeiten wären gefragt, auch damit St. Gallen sein Image als «schwieriger Ort für kultivierte Investoren» wieder los werde, meint der Architekt Marcel Ferrier, einer der Initianten des Gestaltungsbeirates.

Die bevorstehende Umkrempelung der St. Galler Baubewilligungsinstanzen ist eine Reaktion auf bald acht Jahre Laisser-faire-Politik. Als 1997 der heutige Direktor des Zürcher Amtes für Städtebau, Franz Eberhard, sein Amt als St. Galler Stadtbaumeister verliess, nutzte die Baulobby die Gelegenheit und erreichte, dass die früher dem Stadtbaumeister unterstellte Stadtplanung abgetrennt wurde. Seither ist der St. Galler Stadtbaumeister nur noch für die stadteigenen Gebäude zuständig. Eberhard und der damalige Stadtplaner Fritz Schumacher (heute Kantonsbaumeister in Basel) hatten noch regelmässig Studienaufträge an die ETH und an Fachhochschulen vergeben. Die Resultate wurden öffentlich präsentiert und regten zu Diskussionen an. Inzwischen sind St. Galler Studienaufträge rar geworden und die Planungsdebatten verstummt.

Immerhin sind in den letzten Jahren auch in St. Gallen einige architektonische Vorzeigebauten realisiert worden, darunter die Erweiterung des Hauptsitzes der Helvetia-Patria-Versicherungen von Herzog & de Meuron oder das vom Wiener Heinz Tesar zur Stadtpolizeizentrale umgebaute ehemalige städtische Lagerhaus, das nun auch noch einen prägnanten Rundbau als «Kopf» bekommen hat. Zu den Vorzeigeprojekten gehören auch das zurzeit im Bau befindliche Polysportive Zentrum - das Resultat eines vom jungen St. Galler Andy Senn gewonnenen Wettbewerbs - sowie ein Bürohaus der Raiffeisengruppe, dessen Fassade der Künstler Olivier Mosset konzipierte. Jetzt werden Pipilotti Rist und Carlos Martinez noch die Umgebung des Bankenkomplexes gestalten: Sie wollen Strassen und Trottoirs, ja selbst Bänke mit einem roten Belag überziehen und so eine «Stadt-Lounge» einrichten - in einem Quartier allerdings, das nach Büroschluss kaum belebt ist. Ein anderes architektonisch verheissungsvolles Projekt für St. Gallen scheiterte: Der Erweiterungsbau für das Kunstmuseum Baumann Buffoni Roserens aus Zürich wurde von den Stimmberechtigten abgelehnt.

Galerie der Hilflosigkeiten

Neben den wenigen guten Bauen der letzten Jahre dominiere in St. Gallen zurzeit «die Galerie der Hilflosigkeiten», kritisiert Ferrier. Der mangelnde Mut der Bewilligungsbehörde habe eine Reihe von Belanglosigkeiten hervorgebracht oder zu Situationen geführt, die mit einer sorgfältigen Diskussion hätten verhindert werden können. Ein Beispiel ist der über die alte Baulinie herausragende Querbau, der an die städtischen Lagerhäuser im Stickereiquartier andockt und die Sichtachse unterbricht. Gebaut hat ihn das Generalunternehmen Gebrüder Senn - und einer der Brüder ist Mitglied der Bewilligungsbehörde.

In anderen Planungen seien Grundsatzdiskussionen verpasst worden, beanstanden die Architektenverbände. Etwa bei der angelaufenen Sanierung des Rathaushochhauses aus den siebziger Jahren. Auf eine grundsätzliche neue Lösung an diesem prominenten Standort direkt neben dem Bahnhof wollte sich niemand wirklich einlassen. Auch ein erstes Projekt am Rande der Güterbahnhof-Brache wurde ohne vorgängige Planungsdiskussion bewilligt: Baumschlager & Eberle werden dort einen nicht sonderlich geistreichen Bürobau mit strenger Rasterfassade bauen.

Neben umstrittenen Auslegungen des Altstadtschutzes taucht immer wieder die Frage auf, wie weit die Bewilligungsbehörde wirtschaftlichen Interessen nachgibt. Etwa im Falle des geplanten Kongressgebäudes beim Hotel «Einstein», das der Textilunternehmer Kriemler bauen will. Dazu wurde ein privater, eingeladener Wettbewerb organisiert. Das architektonisch umstrittene Siegerprojekt stammt von Hilmer & Sattler und Albrecht aus München. Weil es nach der Meinung der Opponenten auf die Massstäblichkeit des Quartiers zu wenig Rücksicht nimmt, muss es nun vom Bundesgericht beurteilt werden. Im Jahre 1999 hatte sich Stadtplaner Mark Besselaar strikte für die Erhaltung der Vorstadtstruktur mit Einzelbauten ausgesprochen. Doch jetzt plädiert er plötzlich für den 80 Meter langen Baukörper, der an der gleichen Stelle errichtet werden soll.

Den Behörden wird ausserdem vorgeworfen, sie hätten sich nie der Diskussion gestellt, wie man mit der Situation am Hangfuss und mit der alten Vorstadt umgehen wolle. Stattdessen hätten sie sich den Investorenwünschen gebeugt. - Neben solch konkreten Projekten geht es den Architektenverbänden aber auch um grundsätzliche Planungsfragen: Ist der Standort fürs kommende Bundesverwaltungsgericht wirklich optimal gewählt, oder handelt es sich bei der heute noch unbebauten Wiese mit Südexposition einfach um jenen Bauplatz, der am wenigsten Schwierigkeiten macht, weil er bereits der kantonalen Versicherungskasse gehört? Droht damit das scharf begrenzte Baugebiet des Stadtkerns auszufransen? Wären nicht auch die unternutzten Geleisefelder von Hauptbahnhof, Güterbahnhof und Bahnhof St. Fiden geeignete Standorte? Nur für jenes des Hauptbahnhofs gibt es ein Projekt. Giuliani Hönger aus Zürich gewannen den Wettbewerb für die Fachhochschule mit einem Hochhaus im engen Talboden der von zwei Hügelketten flankierten Stadt. Dessen Schattenwurf erhitzte die Gemüter schon in der Vorprojektphase. Und am Rande des Areals steht der Rundbau der Lokremise. Einige Jahren diente sie der Galerie Hauser und Wirth als Museum. Jetzt steht sie leer und sucht einen neuen Inhalt.

Schliesslich drohen an den Stadträndern langjährige Verdichtungsbemühungen zu scheitern. So wurde das aus einem Wettbewerb hervorgegangene Projekt für eine Blockrandüberbauung nahe der Empa von Theo Hotz mangels Investoren bisher nicht gebaut und dann abgeschrieben. Jetzt baut Lidl auf der Parzelle einen banalen, eingeschossigen Kubus, geplant vom Architekten und SVP-Kantonsrat Hans Richle.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.04.01

Presseschau 12

08. Dezember 2008René Hornung
hochparterre

Spuren hinterlassen

Eine Reihe Apfelbäume, zugemauerte Fensternischen und abgebrochene Gewölbe: Subtile Spuren als Zeichen der verschwundenen Kartäuserklausen.

Eine Reihe Apfelbäume, zugemauerte Fensternischen und abgebrochene Gewölbe: Subtile Spuren als Zeichen der verschwundenen Kartäuserklausen.

Die Risse in den Kreuzgangmauern und in der untersten Reihe der Klausen in der Kartause Valsainte im Greyerzerland waren bedenklich gross geworden. Der schlecht drainierte Hang hatte den Untergrund instabil gemacht. Der beigezogene Ingenieur rechnete vor: In den engen Mönchsklausen neu drainieren, unterfangen und reparieren hätte rund 12 Millionen Franken gekostet. Eine umfassende Drainage, dabei aber die Reihe der baufälligen 14 Klausen abbrechen, kostete 7,5 Millionen. Doch wie konnte man der Denkmalpflege des Bundes und des Kantons beibringen, dass in einem Monument von nationaler Bedeutung ein Abbruch vernünftiger wäre?

Abbruch eines Denkmals

Die Klosterbrüder selbst gaben den Ausschlag: Diese Zeile Mönchszellen stand schon während Jahrzehnten leer, warum sie also erhalten, wenn man sie eh nicht mehr braucht? Die pragmatische Haltung der Mönche überraschte die Planer und daraus entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit. Bald war man sich einig: Nicht nur Drainage und Abbruch der baufälligen Klausen, sondern auch der Rückbau der Aussenmauer auf die Baulinie vor 1903 werden dazu beitragen, den Weiterbestand der Kartause zu sichern.

Möglich wurde der Abbruch im Denkmalschutzobjekt auch deshalb, weil es hier immer wieder Brände, Zerstörungen und Wiederaufbauten gegeben hatte, die Anlage also immer wieder verändert wurde. Die Gründung der Chartreuse de la Valsainte geht aufs 13. Jahrhundert zurück. Das Gewölbe der Kirche stammt aus dem Jahr 1380, die Kirchenfassade aber von 1729. 1778 wurde das Kloster aufgehoben, danach teilweise zerstört und verkauft. Doch 1861 konnte der Orden das Land zurückkaufen und wieder aufbauen. Um die aus Frankreich vertriebenen Brüder aufzunehmen, war bis 1903 die südlichste und am tiefsten liegende Reihe der Klosterklausen gebaut worden. Der nun erfolgte Rückbau auf den Zustand vor 1903 ist also ein dokumentierter Teil der Klostergeschichte, was nicht zuletzt die Denkmalpflege veranlasste, dem Abbruch zuzustimmen. Dazu kam die Erkenntnis, dass die heutige Hülle des Klosters zwar im Kernbestand relativ jung ist, dieses letzte bewohnte Kartäuserkloster der Schweiz im Grundkonzept aber immer gleich geblieben ist.

Planung im Team

Via die kantonale Denkmalpflege kam der Architekt und Geograf Pascal Amphoux zum Projekt. Er spannte sein Lausanner Netzwerk auf, «denn ich arbeite immer in Teams», wie er betont. Zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Christoph Hüsler und den beigezogenen Spezialisten wurde das Projekt erarbeitet. Klaus Holzhausen ergänzte das Team für Fragen der Gartendenkmalpflege, Sylvia Krenz für architektonische Details, denn bisherige Innenmauern sind mit den Abbrüchen zu Fassaden geworden. Mit dabei war auch Roger Simond, Fachmann für Mörtel und Verputze. Die zurzeit 18 Brüder und Patres in der Chartreuse de la Valsainte pflegen einen sorgsamen Umgang mit Ressourcen und Natur. Und wenn es um schöne Planerideen ging, waren sie es, die immer wieder die Frage stellten: «Wozu? A quoi ça sert?» Nein, Bänke wollten sie in der neu entstandenen «Terrasse» keine, sie setzten sich selbst sowieso nicht drauf, also nützten sie in der nicht öffentlich zugänglichen Anlage auch nichts. Wichtig war dagegen die Drainage. Auch das Dachwasser musste gefasst und abgeleitet werden.

Mönche für nützliche Lösungen

Immer wieder bewiesen die Mönche den Planern während der Planungs- und Bauphase, dass sie sich im Wirtschaften, in der Ökologie und mit der Natur auskennen: Sie pflegen entlang der inneren Klostermauern rund 1500 Laufmeter Spalierobst, Bäume, die bis zu 150 Jahre alt sind. «Das ist wahrscheinlich die grösste derartige Spalieranlage der Schweiz», stellt Klaus Holzhausen fest, «und dies auf fast 1000 Meter über Meer.» Und weil zu jeder Kartäuserzelle ein eigener Garten gehört, ist das Kloster mit Gemüse und Früchten mehr als nur Selbstversorger. Zusätzlich betreiben die Mönche eine Schreinerei und eine Schlosserei, aber auch ein eigenes Kraftwerk. Das alles gibt viel zu tun — dabei sind die meisten Mönche nicht mehr so jung. Die Kartäuser in ihren hellen Kutten leben zwar den grössten Teil des Tages zurückgezogen und schweigend in ihren Klausen, aber die reale Welt ist ihnen keineswegs fremd. Nützliche Lösungen sind ihnen wichtig. Es war deshalb ganz in ihrem Sinn, dass der Bauschutt der abgebrochenen Klausen für die über fünf Kilometer neue Drainage und für den Bau der neuen Abschlussmauer geschreddert und wiederverwendet wurde. Doch in der Kartause wurde nicht einfach Baufälliges abgebrochen und zum Verschwinden gebracht. Die Planerinnen und Planer gingen auf den Geist des Ortes und auf die von den Kartäusern bewusst gewählte Stille ein. Bevor abgebrochen wurde, waren auf Betreiben des Denkmalschutzes und unter Leitung von Klaus Holzhausen die nun verschwundenen Klausen minutiös dokumentiert worden — mitsamt der dazugehörenden Gärten. Und es wurden danach ganz bewusst «Spuren hinterlassen, aber keine Beweise», wie Pascal Amphoux unterscheidet. Zwar wurde mit der Denkmalpflege zuerst über sichtbare Ruinen diskutiert, doch dann überzeugte die subtilere Lösung.

Zeichen setzen

Die deutlichsten Spuren sind ein dem früheren Verbindungsgang folgender Mauerabsatz. Er war die Baupiste für die Abbruchfahrzeuge. Jetzt ist er bekiest und durch schlichte, in regelmässigen Abständen gesetzte Wasserspeier entwässert. Die zweite markante Spur setzt die schnurgerade Reihe der Apfelbäume, die im Zent-rum der ehemaligen Gärten stehen, die zu jeder Klause gehörten. Sie hinterlassen ein Lebenszeichen der verschwundenen Anlagen, stehen nun aber in einer Mähwiese. Eine gärtnerische Lösung stand für die Klosterbrüder nicht zur Debatte. Mit ihren bestehenden Gärten haben sie schon mehr als genug zu tun. Die bergseitige Begrenzungsmauer, an der der doppelstöckige Erschliessungsgang zu den Kartausen angebaut war, ist von einer Innen- zu einer Aussenwand geworden. Doch auch hier sind Spuren zurückgeblieben: Die Ansätze der Gewölbedecken, aber auch zwei Waschbecken, die den oberen Gang flankierten, sind — fast Mahnmalen gleich — in der Höhe der früheren Fensterreihe erhalten. Die Fenster selbst wurden zwar zugemauert, bleiben aber ihrerseits erkennbare Nischen.

Bauschutt wiederverwendet

Mit dem Abbruch ergab sich auch die Möglichkeit, die Westmauer der Klosteranlage auf die Baulinie, wie sie zwischen 1884 und 1903 bestanden hatte, zurückzuversetzen. Dadurch entstand ein «Talweg». Diesen Begriff verwenden die Fachleute in der Westschweiz für eine Geländemulde. Das Kloster hat nun mit diesem kleinen Einschnitt wieder einen Abstand und einen Grünraum zur Strasse bekommen. Entlang der Strasse wurde auf einer Seite die einstige Lindenallee neu angepflanzt, ein Eingriff, der nicht zuletzt die umliegende Landschaft aufwertet.

Entstanden ist die neue Betonmauer ebenfalls aus Bauschutt. Der Verzögerer hat ihr eine Waschbeton-ähnliche Struktur gegeben und sie zeigt sich klar als neues Element, indem sie auf die Plattenabdeckung verzichtet, die man auf allen alten Mauern der Anlage hier findet. Doch selbst von der alten Umgrenzungsmauer haben die Architekten eine Spur hinterlassen: eine unvermittelt neben der Strasse verlaufende Kurve. Die subtilsten Spuren aber werden sich wohl erst in einigen Jahren zeigen. Die Mauern der abgebrochenen Klausen wurden bis rund 20 Zentimeter unter der neuen Humusschicht abgebrochen. «In einem trockenem Sommer werden sie sich in der Wiese abzeichnen», erwartet Christoph Hüsler. All diese Eingriffe sind allerdings nur aus Distanz zu sehen. «Die Kartause Valsainte kann nicht besichtigt werden», steht auf einer schon ziemlich lädierten Hinweistafel an der Abzweigung am Jaunpass zum Kloster. Aber dank der Hanglage sind gute Einblicke in die Anlage gegeben. Gerade die Mauerspuren der abgebrochenen Klausen wird man nach ein paar Jahren deutlich erkennen können. Finanziert wurde die Sanierung durch die Kartause selbst und einen speziell gegründeten Unterstützungsverein sowie durch kantonale und eidgenössische Beiträge.

hochparterre, Mo., 2008.12.08



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19. Dezember 2007René Hornung
hochparterre

Am Strand von Opfikon

Sandburgen bauen und Streckenschwimmen. Beach-Volleyball und Skaten auf der fünf Meter hohen Rampe. Am offenen Feuer Würste und Steaks braten oder einfach nur unter Platanen einen Schwatz halten. Der Opfikerpark zwischen Zürich und dem Flughafen bietet alles.

Sandburgen bauen und Streckenschwimmen. Beach-Volleyball und Skaten auf der fünf Meter hohen Rampe. Am offenen Feuer Würste und Steaks braten oder einfach nur unter Platanen einen Schwatz halten. Der Opfikerpark zwischen Zürich und dem Flughafen bietet alles.

So hat noch keine Schweizer Gemeinde ein entstehendes Quartier den Investoren übergeben: Mit einem funktionierenden ‹Herz›, einem Park mit Sportanlagen, Räumen für Begegnungen und Sandstrand. Der Opfikerpark war fertig, als die ersten Mieter in die neu erstellten Wohnungen einzogen: Umgebung vor Hochbauten.
Opfikon, Zürichs Nachbarstadt im Glattal, hat gehandelt, als in den Neunzigerjahren klar wurde, dass das Oberhauserriet nach rund 50 Jahren Planungsdiskussionen – oft war die Rede von der «teuersten Wiese Europas» – nun überbaut wird. Der Ort war ziemlich unwirtlich. Eine ehemalige Sumpffläche, für die Landwirtschaft drainiert, lag offen hinterm Fernsehstudio und den Bürobauten Leutschenbachs. Am Nordrand die sechsspurige Autobahn, im Osten die Kläranlage und der Ausbildungsplatz für den Zivilschutz, flankiert von der begradigten und kanalisierten Glatt – kaum eine Spur von Natur.
2001 wurde ein Wettbewerb für eine regionale Parkanlage ausgeschrieben, die zum Zentrum des künftigen Stadtquartiers werden soll. ‹Agglos Traum› hiess das Siegerprojekt von Gabriele G. Kiefer aus Berlin, einer der zur Zeit führenden deutschen Landschaftsarchitektinnen. Sie hat hier ihr Credo umgesetzt: «Wenn es um die Entwicklung in der Peripherie geht, muss Landschaftsarchitektur ein Stück Urbanität schaffen.» So ist aus dem freien Feld in Opfikon ein klar strukturiertes Gebiet geworden. – In der Schweiz sei eine konsequente Ausführung einer solchen Planung deutlich einfacher umzusetzen als in Deutschland, «wo auch bei der Planung immer alle dreinreden», zieht Gabriele G. Kiefer zufrieden Bilanz.

Aushub als Lärmschutz

Die Akzeptanz des Parks bei den Nutzern ist hoch. Schon im ersten Sommer waren hier nicht nur die neu zugezogenen Quartierbewohner anzutreffen, sondern auch Leute aus der Umgebung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fernsehstudios und der Bürokomplexe rundum nutzen den 400 Meter langen See zum Streckenschwimmen. Andere kommen zum Joggen oder einfach nur zum Ausruhen. Die Jugend hat die Sportplätze in Beschlag genommen und die fünf Meter hohe Steilrampe am Autobahn-Lärmschutzwall wird mit allem befahren, was Räder hat. Hauptattraktivität des Parks ist der See mit seiner urbanen Klarheit, überspannt von drei Brücken und den zwei unterschiedlich gestalteten Ufern – hier Sandstrand, dort Schilf. Damit dem See das Wasser nicht ausläuft, mussten zuerst die alten Drainagerohre ausgegraben und der Grund abgedichtet werden. Nur noch in ihrem obersten Teil sichtbare, massive Betonmauern – bis zu sieben Meter hoch – stehen am Ufer. Über die Höhe der Mauerbrüstungen gabs einige Diskussionen. Gabriele Kiefer erinnert sich, wie sich Haftungs- und Gestaltungsfragen in die Quere kamen: «Während es an natürlichen Seen selbstverständlich ist, dass Ufermauern keine Absturzsicherung Kunstprodukt.» Die Kanzelbrüstungen, die darauf montierten massiven Rohre, aber auch der nur sanft abfallende Sandstrand sind solche Sicherheitselemente, die zusammen mit der Beratungsstelle für Unfallverhütung entwickelt wurden. In der Mitte ist der See allerdings schwimmtauglich – immerhin drei Meter tief.
Und auf Ökologie wurde geachtet. Der Seegrund wurde mit dem Ton aus dem vorhandenen Aushubmaterial abgedichtet, der insgesamt zehn Meter hohe Autobahn-Lärmschutzwall wurde ebenfalls aus diesem Material aufgeschüttet und ist als Magerpflanzen-Gebiet angelegt. Die Steine am Schilfufer des Sees lagen ebenfalls vor Ort im Boden. «Nur den Sandstrand haben wir mit zugeführtem Material verfeinert», so Projektleiter Patrick Altermatt, Partner im Zürcher Landschaftsarchitekturbüro Hager, das das Projekt vor Ort leitete.

Regulierter Wasserstand

In den Schilfgürteln wachsen Seerosen und Iris und hier nisten Enten und Vögel und das Schilf reinigt das Wasser. Es wird vom Westwind durch die Wurzeln gedrückt, dahinter abgesogen und ans Nordende des Sees gepumpt. Von dort fliesst es durch eine Sandschicht wieder zurück. Der Schilfgürtel, der die Nährstoffe aus dem Wasser aufnimmt, wird künftig im Sommer teilweise gemäht. Sollte die Algenbildung zu intensiv werden, kommt – wie in den Uferpartien der grossen Seen – das Saugboot zum Einsatz. Der Wasserstand im neuen See schwankt bis zu 50 Zentimeter. Gespiesen wird er unter anderem vom Meteorwasser der Überbauung. Sinkt der Pegel zu tief, wird nachgepumpt, steigt er zu hoch, sorgt ein Überlauf für den Abfluss in die Glatt. Dort, in Flussnähe, wurden die Wald-Restparzellen durch typische Flussufer-Gehölze ergänzt. Die Kanzeln am See und die nördliche Promenade sind mit geschnittenen Platanen bepflanzt, die rasch ein geschlossenes Dach bilden werden.
«Der Park kann mit den Bedürfnissen wachsen», erläutert Patrick Altermatt. Es können nicht nur mehr Bänke aufgestellt oder Feuerstellen eingerichtet werden. Die nicht mehr genutzten Teile der Kläranlage mit den runden Absetzbecken sollen später Teil der Anlage werden. Die Betonmauer über der Rampe am Nordabschluss kann für eine später zu bauende Velo- und Fussgängerbrücke über die Autobahn geöffnet werden. Insgesamt wird der Nutzungsdruck noch markant steigen, denn in der Umgebung werden in wenigen Jahren rund 10 000 Menschen arbeiten und wohnen, was Gabriele G. Kiefer allerdings wundert, «in die-ser peripheren Lage und bei so viel Fluglärm».

Schweizer vorsichtiger

Der grosszügige Opfikerpark war im Wettbewerbsprojekt noch vielfältiger. Der Kostendruck zwang zu einigen Abstrichen. Die 23 beteiligten Grundeigentümer haben zwar den Boden gratis abgetreten, doch die Perimeter-Beiträge reichten nicht aus, das Projekt voll zu finanzieren. Wäre das ursprüngliche Wettbewerbsprojekt umgesetzt worden, hätte das rund 24 Mio. Franken gekostet. Schliesslich standen 10 Millionen von Grundeigentümern und 7,5 Millionen aus der Stadtkasse Opfikon zur Verfügung. Schritt für Schritt soll die Anlage dennoch weiter ausgebaut werden. Die Rede ist von einem Kiosk- und WC-Bau bei der Haltestelle ‹Fernsehstudio› der Glattalbahn.

Entstanden ist der Park im grossen Team mit Bau- und Wasserbauingenieuren, mit Licht- und Elektroplanern. Gabriele G. Kiefer arbeitete ihrerseits mit dem Zürcher Landschaftsarchitekturbüro Hager zusammen, für das sie selbst zuvor in Berlin eine Bauleitung übernommen hatte. Obwohl man sich lange kennt, waren für die Zusammenarbeit mit so vielen Beteiligten ein paar Übersetzungshilfen nötig. Gabriele G. Kiefer: «Trotz scheinbar gleicher Sprache verstanden wir manchmal Unterschiedliches. Mitunter hab ich vor allem die Herren vom Amt wohl auch etwas überfahren, denn bei uns sind die Diskussionen kontrovers und heftig – bei euch in der Schweiz ist alles viel vorsichtiger, langsamer.» An eine solche kurze Auseinandersetzung mit einem Bauleiter erinnern sich die Beteiligten «Erklären sie mir, wie ich das machen soll», ergänzte aber umgehend: «Ich machs dann sowieso anders».


Kommentar der Jury:
Der Opfikerpark liegt in einem ehemaligen Sumpfgebiet, das sich in einen urbanen Stadtteil wandelt. Der Park beeindruckt durch seine Grösse, die für die Schweiz ein Novum ist, und seine schlichte Gestaltung. Die lang gestreckte Wasserfläche bildet eine Zäsur zwi--schen den Wohnüberbauungen und dem freien Raum der Wiese dahinter. Dank der frühzeitigen Realisierung des Opfikerparks reagierte die entstehende Stadt auf den Freiraum, um möglichst vielen Wohnungen den Bezug zum Wasser zu geben. Kontrovers diskutiert wurden die Lage und die Gestaltung der Brücken: Sie sind relativ massiv, zerschneiden die Perspektive und brechen dessen Grosszügigkeit.

hochparterre, Mi., 2007.12.19



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07. Mai 2007René Hornung
TEC21

Gegen Verkehrsstau

Sechs Prozent aller Wegstrecken werden in der Schweiz per Velo zurückgelegt. Dieser Anteil soll markant erhöht werden, denn mehr Veloverkehr ist nicht zuletzt ein Mittel gegen überlastete Strassen. Mit den Agglomerationsprogrammen wollen Bund und Kantone dieses Ziel erreichen.

Sechs Prozent aller Wegstrecken werden in der Schweiz per Velo zurückgelegt. Dieser Anteil soll markant erhöht werden, denn mehr Veloverkehr ist nicht zuletzt ein Mittel gegen überlastete Strassen. Mit den Agglomerationsprogrammen wollen Bund und Kantone dieses Ziel erreichen.

Velofahren hat in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen. Über die in Mode gekommene Freizeitnutzung baut das Velo seinen Anteil auch im alltäglichen Verkehr aus – zwar langsam, aber stetig. Im Stadtverkehr ist längst klar, dass Velofahrende auf kurzen Distanzen die Schnellsten sind. Gesamtschweizerisch sind laut Mikrozensus 20001 noch immer knapp 28 % der Haushalte ohne Velo, doch in rund 30 % der Haushalte gibt es drei und mehr Velos. Im Durchschnitt verfügen 72 % aller Haushalte über mindestens ein Velo.

Damit ist allerdings noch nichts über die Nutzung gesagt. Jugendliche gehen überdurchschnittlich häufig zu Fuss und nehmen vor allem zwischen zehn und vierzehn Jahren das Velo für den Schulweg. Bei den jungen Erwachsenen zwischen 25 und 29 Jahren liegt der Anteil der mit dem Velo zurückgelegten Arbeitswege bei 5 %, bei älteren Bevölkerungsgruppen bei rund 4 %.

Förderung des langsamverkehrs
Das wollen die rund 30 Agglomerationsprogramme, die zurzeit in der Schweiz in Bearbeitung sind, ändern. Ziel der Programme ist es, die aktuellen Verkehrsprobleme zu lösen und die notorischen Staustellen zu entschärfen. Ausserdem soll damit die künftige Siedlungsstruktur gesteuert werden. Angestrebt wird eine nachhaltige Verbesserung der Verkehrssituation und der Siedlungsplanung. Der Modalsplit (Aufteilung der Verkehrsetappen auf die verschiedenen Verkehrsmittel) soll zugunsten des öffentlichen Verkehrs und des Fuss- und Veloverkehrs erhöht werden.

Der Grundsatz des Bundes lautet daher «Vermeiden, umlagern und optimieren». Dazu hat der Bund im Jahr 2000 die Fachstelle für Langsamverkehr im Bundesamt für Strassen geschaffen, die sich der Anliegen der zu Fuss Gehenden und der Velo Fahrenden annimmt. Jedes Agglomerationsprogramm muss Projekte zugunsten der zu Fuss Gehenden und Velofahrenden – samt Infrastrukturbauten – vorschlagen. Dazu gehören sowohl Reparaturmassnahmen am bestehenden Netz als auch gezielte Ausbauten ausschliesslich für den Fuss- und den Veloverkehr. Das Bundesamt für Raumentwicklung überprüft danach, ob die Förderung des Langsamverkehrs in der Planung gebührend berücksichtigt ist.Betrachtet man allerdings die ersten fertig ausgearbeiteten Agglomerationsprogramme, etwa jenes für Lausanne und Morges, stellt man fest, dass der Veloverkehr hier stiefmütterlich behandelt wurde. Das Agglomerationsprogramm für Lausanne, von seiner Topografie alles andere als eine Velostadt, enthält vor allem verbale Bekenntnisse zum Veloverkehr und schlägt für zahlreiche Stellen eine bessere Verknüpfung mit dem öffentlichen Verkehr vor. Der Ausbau des Velonetzes beschränkt sich aber auf die Verknüpfung schon vorhandener Teilstücke.

Heute, bevor die Agglomerationsprogramme greifen, stellt man unterschiedliche Anteile des Veloverkehrs in den Agglomerationen und den Städten fest. Winterthur, aus Tradition und dank der Topografie die Schweizer Vorzeige-Velostadt, bringt es auf einen Anteil an Velofahrten von 25 %, Basel liegt nur wenig darunter. In der Agglomeration Zürich werden 7.3 % der Fahrten per Velo zurückgelegt, und gesamtschweizerisch liegt der Durchschnitt bei 6 %.

Allerdings: Betrachtet man in den genannten Beispielen nur die Kernstädte, so liegt der Veloanteil deutlich höher. Grund dafür sind die kürzeren innerstädtischen Distanzen und die ausgebaute Veloinfrastruktur. Erfahrungen zeigen, dass Fördermassnahmen erfolgreich sind. Das Stadtzürcher Velonetz wurde ab Anfang der 1980er-Jahre ausgebaut, was den Veloanteil um das Dreifache, auf immerhin 7 %, steigen liess. Bis 2010 soll ein Veloanteil von12 % erreicht werden.

Dafür sind jedoch mehr zusammenhängende Velostrecken nötig, die zügig befahren werden können, denn im Alltag sind die Velofahrenden genau so in Eile wie die Autofahrenden. Wenn es mit solchen Massnahmen gelingt, mehr Arbeitspendler dazu zu bringen, das Velo zu benutzen, schafft dies nicht zuletzt Platz auf den Strassen und könnte ein Beitrag zur Lösung der Stauprobleme sein.

Grundlagen erarbeiten

Die Fachleute sind überzeugt, dass gerade in den Agglomerationen der Veloverkehr noch markant gesteigert werden kann. In der Agglomeration Bern sind beispielsweise 60 % aller Fahrten maximal 5 km lang – Strecken, die für Velos ideal sind. Bis ins Jahr 2011 soll der Veloanteil hier auf 55 % erhöht werden. Dazu werden in den insgesamt sechs Agglomerationsprogrammen auf dem Gebiet des Kantons Bern viele «unspektakuläre Einzelmassnahmen» ergriffen, so Ulrich Seewer, Leiter der Fachstelle Gesamtmobilität in der kantonalen Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion. Der kantonal-bernische «Richtplan Veloverkehr» vom Dezember 2004, ausgearbeitet von der Fachstelle Langsamverkehr, verlangt schon heute, dass bei Strassenprojekten 10 bis 20 % der Mittel für den Velo- und den Fussverkehr aufgewendet werden. In den Agglomerationsprogrammen findet man auch neue Projekte wie eine Velobrücke über die Aare (Länggasse–Nordquartier). Für die sechs bernischen Programme sind insgesamt 56 Mio. Franken für den Langsamverkehr vorgesehen.

In vielen anderen Regionen müssen die Grundlagen, über die Bern bereits verfügt, zuerst noch erarbeitet werden: Hansueli Hohl (verantwortlicher Planer für den Fuss- und Veloverkehr des Agglomerationsprogramms der Region St. Gallen - Arbon - Rorschach) stellt fest, dass es in seinem Gebiet vorerst nur wenige Ausbauprojekte gebe. «Wir haben schon vor zwei Jahren die 23 Gemeinden unserer Agglomeration – verteilt auf die drei Kantone St. Gallen, Thurgau und Appenzell-Ausserrhoden – nach ihren Wünschen zum Fuss- und Veloverkehr befragt – diese waren bescheiden.» Nun wird nochmals nachgehakt, um möglicherweise entsprechende Projekte in die Planung aufnehmen zu können.
Der Druck auf die Planungsfachleute des Veloverkehrs dürfte in den nächsten Monaten zunehmen. Die IG Velo Schweiz fordert die Regionalverbände nämlich zu Interventionen auf und liefert dazu Kontaktadressen. Im Frühjahr 2007 wird an einem Workshop eine Umsetzungshilfe vorgestellt, denn «nur wenn in den Regionen die Veloverkehrsprojekte gebündelt eingegeben werden, erhalten sie das nötige Gewicht, um mit Bundesgeldern mitfinanziert zu werden», sagt Christoph Merkli, Geschäftsführer der IG Velo Schweiz.
Das Bundesamt für Strassen arbeitet ebenfalls an einer Umsetzungshilfe in Sachen Langsamverkehr. Wann die Checkliste veröffentlicht wird, ist noch nicht bekannt.

Auch parlamentarisch soll die Veloförderung beschleunigt werden: Die SP Schweiz hat eine Mus- terinterpellation ausgearbeitet, die bei den Kantonen eingebracht werden kann. Die Regierungen sollen Zahlen über den Modalsplit in ihren Städten und Agglomerationen erfassen und veröffentlichen. Anschliessend sollen Gelder bereitgestellt und Fachstellen geschaffen werden. Im Kanton Zürich wird zurzeit gar über die Lancierung von zwei Volksinitiativen diskutiert. Die eine will vom Kanton eine Veloförderung, damit der Veloanteil in den Agglomerationen des Kantons auf 15 % ansteigt. Die zweite Initiative soll eine wirksamere Veloförderung in der Schule bringen, denn der Anteil Velofahrender Jugendlicher geht in den letzten Jahren ständig zurück.

[ René Hornung ist freier Journalist im Pressebüro St.Gallen, Mitarbeiter von «Hochparterre» und «Velojournal» ]

TEC21, Mo., 2007.05.07



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07. Dezember 2006René Hornung
hochparterre

Das Spiel mit dem Platz

Die Claramatte sei der ‹Jardin du Luxembourg› des Kleinbasel, sagen die Einheimischen. Eine rechteckige öffentliche Grünanlage, die intensiv genutzt wird. Die von Platanen überdachte Freifläche lehnt sich in ihrer neuen Gestaltung an historische Vorbilder aus dem 19. Jahrhundert an, schafft aber ein neues Gefühl von Weite.

Die Claramatte sei der ‹Jardin du Luxembourg› des Kleinbasel, sagen die Einheimischen. Eine rechteckige öffentliche Grünanlage, die intensiv genutzt wird. Die von Platanen überdachte Freifläche lehnt sich in ihrer neuen Gestaltung an historische Vorbilder aus dem 19. Jahrhundert an, schafft aber ein neues Gefühl von Weite.

Die Claramatte hat alles, was ein öffentlicher Platz braucht: eine Freifläche unter einem dichten Platanen-Dach, ein gelber Stabilizerbelag, der wie eine klassische Chaussierung wirkt, und die mit gebundenem Kies belegten Wege am Rand. Dazu ein Musikpavillon, Planschbecken, Kiosk, WC-Häuschen – und viele, viele Spielmöglichkeiten für Kinder. Die Aufteilung und Nutzung dieser – neben der Kaserne – einzigen grösseren Freifläche im Kleinbasel geht auf die intensive Mitsprache der Anwohner und des Vereins Claramatte zurück.

Schon bevor sich die Christoph Merian Stiftung und die Stadt Basel des etwas heruntergekommenen Platzes annahmen und im Jahr 2000 den Wettbewerb für die Neugestaltung ausschrieben, lagen Dutzende von Anwohnerwünschen auf dem Tisch. Den Wettbewerb mit fünf eingeladenen Büros gewannen Raderschall Landschaftsarchitekten mit einem Konzept, das sich an die Platzgestaltung aus dem 19. Jahrhundert anlehnt. Allerdings: «Wir sind nicht historisierend vorgegangen, wir haben das Alte uminterpretiert», betont Sibylle Aubort Raderschall.

Blenden wir zurück: Entstanden war die Claramatte aus einem Teil des einstigen Obstgartens des Frauenklosters St. Clara. Die Obstbäume standen noch, als die in einer Mulde liegende Wiese ab 1820 im Sommer als Turnplatz und im Winter als Eisbahn genutzt wurde. Bis 1865 die Liegenschaftenbesitzer rundum reklamierten, weil das auftauende Eis als Wasser in ihre Keller lief. Knappe zehn Jahre später war bürgerliches Promenieren angesagt. Die Mulde wurde eingeebnet und 1872 ein ‹Square› nach englischem Vorbild eingerichtet – eine nobilitierte Anlage direkt vor der Türe des öffentlichen ‹Brausebades›. Die letzte einschneidende Änderung erfolgte in den Fünfzigerjahren, als die Längsseiten der Claramatte abgeschnitten und zu Parkplätzen verwandelt wurden. Immerhin verschonte man die Bäume, zwischen die die Autos fortan platzsparend schräg einparkiert wurden. Jetzt, wo die Autos in der neuen Quartierparkgarage unterm Boden stehen, haben diese alten Bäume ihren Platz wieder im Park.

Eine weitere Altlast war die Unterteilung: Weil man die spielenden Kinder in den letzten Jahrzehnten vor Clochards verschonen und von der Hundekot-Plage befreien wollte, wurde der Kinderspielplatz in der Platzmitte mit Zaun und Tor abgesperrt. Die Claramatte war zweigeteilt, die Restfläche mit dem Musikpavillon wurde eine unattraktive Asphaltfläche. Nachts war und ist das Geviert teils heute noch düsteres Revier der Prostituierten und Freier. Die dicht stehenden Platanen liessen kaum Licht durch.

Als sich Raderschall Landschaftsarchitekten an die Detailplanung machten, ging es nicht nur um den Kinderspielplatz. Es begann auch eine Diskussion um den dichten Baumbestand ab. «Wir wollten die heute in zwei Kreisen stehenden Platanen ursprünglich schrittweise durch zwei ‹Dächer› aus geschnittenen Platanen ersetzen, um so dem anfänglichen Ruf aus dem Quartier nach mehr Licht nachzukommen», erinnert sich Roland Raderschall. Doch weil sich im Jahrhundertsommer 2003 die Leute nach kühle ren Schattenplätzen sehnten, kippte die Stimmung: «Die alten Bäume erhalten», hiess die Forderung nun – und so stehen die zwei Platanenkreise weiterhin. Dennoch ist die Claramatte heller geworden: Die Parkplätze am Rand sind weg, die Chaussierung ist hell und dank den Zugängen in den Ecken – die dank der Hartnäckigkeit der Landschaftsarchitekten wieder geöffnet wurden – kann man die Anlage wieder von überall her betreten. Aber auch Vertrautes finden die Quartierbewohner wieder: Der Brunnen mit der wasserspeienden Schlange steht wieder hier und auch der Frosch hat seinen Platz bekommen. Neu ist der ‹Kinderkiosk›, in dem es Trinkbares gibt und die Spielgeräte über Nacht eingestellt werden. Weil die Kinderspielplätze nun am Rand angelegt sind, wirkt die Platzmitte grosszügig weit. Kein festes Mobiliar versperrt den Weg, die Tisch-und-Bank-Einheiten können frei herumgetragen werden, die dreissig Einzelstühle ebenfalls.

Hauptattraktion der Claramatte ist der Kinderspielplatz, der nicht mehr abgetrennt ist und Offenheit gegenüber allen Bevölkerungsgruppen signalisiert. Der Augenschein zeigt: Das funktioniert bestens. Entworfen und gebaut wurde die burgähnliche Anlage mit Brücken und Kletterturm, Rutschbahnen, Seilbahnen und anderen Attraktionen von Fabio Guidi und Urs Wiskemann von der Motorsänger GmbH (HP 9/05). Die zwei Gestalter begeistern die Kinderherzen, ohne auf das meist öde Spielplatzmobiliar zurückzugreifen, und erfüllen dabei erst noch die bfu-Sicherheitsempfehlungen. Ein paar Meter weiter steht eine andere Kinderattraktion: Aus der einen Wand des u-förmigen Wasserkanals spritzt es alle Viertelstunde. Wer Mut zeigt, springt dazwischen oder fährt mit dem Velo durch Raderschalls ‹Planschbecken›. Im Boden eingelassen erkennt man den Lauf des Rheins von der Quelle bis nach Rotterdam. Der Rhein? Klar: Der Fluss liegt nur ein paar Steinwürfe entfernt. «Der Rhein aber auch, weil ich ursprünglich Rheinländer bin», lacht Roland Raderschall. Und noch ein Eingriff trägt die Handschrift der Landschaftsarchitekten: die Farbe der Bänke. «Wie überall ist auch in Basel das Stadtmobiliar streng normiert», stellt Sibylle Aubort Raderschall fest. Zugelassen ist eigentlich die Bank nur mit Sitzflächen in Naturholz oder in Dunkelblau. Die Projektgewinner redeten dann so lange auf die Verantwortlichen der Stadt ein, bis das Einheitsmodell in frischem Grün-Gelb bewilligt war. Und jetzt realisiert es auch der Laie: Dieser spärlich gesetzte Farbakzent gibt der Claramatte einen frischen Touch. Nachts sorgen farbige Diodenlichter für eine besondere Stimmung: Im Planschbecken schimmert das Wasser und im Innern der Platanenkreise beleuchten sie das grüne Dach vom Boden her.

So einfach, klar und offen sich die im Juni 2006 wieder eröffnete Claramatte heute präsentiert, so gross war der Aufwand, dies zu erreichen: Alles Oberflächenwasser wird gesammelt und versickert über neu angelegte Schächte zurück in den natürlichen Kreislauf. Die gesamte technische Infrastruktur musste unter den Wurzeln der alten Bäume hindurch gefädelt werden, Baumpfleger standen permanent auf Pikett – und es hat sich gelohnt. Der Anlage mit den alten Platanen gehts prächtig.

hochparterre, Do., 2006.12.07



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30. Juni 2006René Hornung
Rahel Marti
hochparterre

Zwei Klangfeuer entfacht

Herzog & de Meuron planen auf einer Weide bei Courgenay im Jura einen Konzertsaal und Peter Zumthor soll am Schwendisee im Toggenburg ein Klanghaus entwerfen. Zwei mutige Projekte, die auf architektonische Strahlkraft und Musikgenuss in Abgeschiedenheit setzen.

Herzog & de Meuron planen auf einer Weide bei Courgenay im Jura einen Konzertsaal und Peter Zumthor soll am Schwendisee im Toggenburg ein Klanghaus entwerfen. Zwei mutige Projekte, die auf architektonische Strahlkraft und Musikgenuss in Abgeschiedenheit setzen.

Ein ‹Oeuvre d'art› nennt Georges Zaugg das Konzerthaus, das Herzog & de Meuron für eine Weide oberhalb des jurassischen Weilers Courtemautruy entworfen haben (‹Gefühlte Architektur›, Seite 45). Zaugg ist doppelter Vater des Projekts: Zum einen gründete er 1977 das kleine, aber feine ‹Festival du Jura›, das endlich einen Konzertsaal bekommen soll, der Topinterpreten und ein Toppublikum anlockt. Zaugg ist Vorsitzender der Stiftung ‹Auditorium du Jura›, die sieben jurassische Politik- und Kulturpersönlichkeiten gründeten, um das Haus mit 700 Plätzen zu bauen und zu betreiben. Zum anderen ist Georges der Bruder des Künstlers Rémy Zaugg, der bis zu seinem Tod im August 2005 oft mit Herzog & de Meuron zusammengearbeitet hatte. Georges Zaugg, Jacques Herzog und Pierre de Meuron bezeichnen das Gebäude als ihre Hommage an den Künstler; im Konzerthaus sollen Werke von ihm und anderen internationalen Künstlern ausgestellt werden. Die Brüder hatten den besonderen Platz nicht weit ihres Geburtsorts Courgenay noch gemeinsam ausgesucht. Rémy Zaugg zeichnete zwischen den künftigen Standort des Auditoriums, Le Corbusiers Kappelle in Ronchamp und dem französischen Ornans, Geburtsort des Malers Gustave Courbet, ein virtuelles Kulturdreieck.

Hört man Georges Zaugg zu, so funkelt im Entwurf ein werdendes Wahrzeichen des jurassischen Aufbruchs. „Wir beleben die Kultur im ganzen Jurabogen. Das Haus wird ein Emblem unseres Kantons mit landesweiter Ausstrahlung.“ Pierre de Meuron doppelt nach: „Es wird ein Statement für die Schweiz. Wir rücken diesen magischen Ort ins Bewusstsein.“ Der Kanton Jura liegt auf der Karte des ETH Studios Basel (HP 9/05) in einer ‹Stillen Zone›: Gebiete, die fern grösserer Zentren und eher statisch sind. „Differenzen erkennen und fruchtbar werden lassen; in einzelnen Gebieten unterschiedliche Qualitäten entwickeln“ - das Projekt in Courtemautruy liegt im Sinn des ETH Studios Basel. Georges Zaugg ist überzeugt, das ‹Auditorium du Jura› werde die jurassische Wirtschaft ankurbeln. Es locke Musikliebhaber, Architekturtouristen und Unternehmen in die Region. Die heute auf 20 Millionen Franken veranschlagten Baukosten sieht Zaugg vornehmlich in die jurassische Wirtschaft fliessen; lokale Unternehmer sollen mit einheimischem Holz bauen.

Die Weide: Glück oder Grab

Die Architektur von Herzog & de Meuron ist Zauggs Trumpf. Der magische Ort aber könnte Glück wie Grab sein. Basel und Biel sind gut 50 Autominuten entfernt, weitere Städte - Muhlhouse, Besançon, Montbéliard, Belfort, Solothurn - eine Stunde und mehr; als Infrastruktur sind lediglich 400 Wiesenparkplätze geplant. Ein Musiksaal auf der Weide im tiefsten Jura - wer fährt für ein Konzert dorthin? Das Publikum sei da, antwortet die Musikszene überraschend. „Raus aus der Stadt, hinein in einen Saal in der Natur, das wird immer beliebter“, weiss Christoph Müller, Geschäftsführer des Kammerorchesters Basel und künstlerischer Leiter des Menuhin Festivals in Gstaad.

Der Leiter Musik bei der Pro Helvetia, Thomas Gartmann, stimmt zu. Beide nennen zahlreiche Festivals, die dank dieses Konzepts grossen Zulauf verzeichnen: etwa das Schleswig-Holstein Musik Festival, das als ‹Musikfest auf dem Lande› in Gutshöfen stattfindet, oder die Schubertiade in Schwarzenberg im Bregenzerwald. Das Schweizer Musikinformationszentrum listet allein 45 Schweizer Festspiele auf, gut die Hälfte davon in ländlichen Orten. „Gerade abgeschiedene Orte ziehen ein grosses Publikum an“, ist Christoph Müller überzeugt. Die Reise sei kein Hindernis, sondern Teil des Erlebnisses. Thomas Gartmann schätzt: „In den Köpfen liegt der Jura weit weg. Doch das Projekt könnte funktionieren, wenn die Musik und die Ambiance erstklassig sind.“ Das Festival müsse ein eigenes Fenster öffnen, sich zum Beispiel in Barock-, Welt- oder zeitgenössischer Musik einen Namen schaffen. Problematisch finden aber beide Experten, dass keine Restaurants und Hotels geplant sind, die den Konzertbesuch abrunden könnten. Und beide fragen: „Wer nutzt das Haus in der festivalfreien Zeit? Das Geld für den Betrieb aufzutreiben ist schwieriger als jenes für den Bau!“

Dann könnten regionale Chöre, Gastorchester, Kongresse und Firmenanlässe das Haus füllen, zählt Georges Zaugg auf. Das tönt nach Allerweltsmix - möglich, dass die zündende Idee noch fehlt. Die Baukosten von 20 Millionen Franken sollen ganz von privaten Sponsoren und Mäzenen aufgebracht werden. Ebenso 5 Millionen Franken für einen Fonds, mit dem das Haus während der ersten Phase, die Zaugg auf 10 bis 15 Jahre schätzt, betrieben werden soll. Dass der Kanton Jura in der Rechnung nicht vorkommt, hat gute Gründe. Die Regierung lehnte ein Engagement für das Auditorium wegen der knappen Finanzen ab, sagt Jean Marc Voisard vom kantonalen Kulturamt. Dem Kanton stehen für kulturelle Institutionen und Projekte jährlich 1,2 Millionen Franken eigene Mittel und rund 1,5 Millionen aus dem Lotteriefonds zur Verfügung.

„Sehr mutige Investition“

Georges Zaugg muss Optimist sein und er steckt mit seiner Begeisterung an. Wie realistisch sind seine Pläne? Christoph Weckerle, der an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich (HGKZ) nationale und internationale Expertisen zur Kulturpolitik erstellt, hält Zweifel für angebracht. „Sponsoren investieren in der Regel nicht in Infrastrukturen, sondern in zeitlich beschränkte Projekte; das Engagement hängt auch stark von Wirtschaftslage, Firmenprofil und Trends ab.“ Geld könnte also eher für das Festival fliessen, weniger für das Gebäude. Für die längerfristigere Perspektive, das Mäzenatentum, sei die Schweiz mit ihrer Stiftungstradition zwar prädestiniert. Doch dürfe man auch gewichtige Mäzene nicht überschätzen, wie etwa die Fondation Beyeler in Riehen zeige: „Lage, Architektur und finanzieller Grundstock waren vielversprechend, doch die Fondation braucht heute staatliche Unterstützung.“ Und was ist mit dem dritten Weg, mit dem Zaubermittel ‹Public Private Partnership›? „Der Kanton Jura müsste das Auditorium finanziell bevorzugen, um es ausreichend zu unterstützen“, meint Weckerle. Das sei in der Schweiz unüblich, hier werde niemandem viel, sondern allen ein bisschen zugesprochen. Beim Zürcher Opernhaus zum Beispiel setzt der Kanton Zürich einen solchen Schwerpunkt, es erhält jährlich über 60 Millionen Franken - die es trotzhoher Auslastung benötigt. Kein Museum, kein Konzerthaus könne von Eintritten leben. „Eine Institution wie das Auditorium du Jura wird ohne staatliche Gelder langfristig kaum überleben können, auch wenn dies zurzeit tabu ist“, sagt Weckerle, warnt jedoch: „Staatliches Geld wird knapper; in zehn Jahren ist die Situation für die Kultur prekärer als heute.“

Noch skeptischer ist Christian Laesser, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St.Gallen. Seine Bedenken gelten Lage und Auslastung: "Der Kanton Jura ist kein ‹Hotspot›, etwa wie das Tessin." Laesser ist skeptisch, ob Musik, Architektur und Ausstellungen die erforderliche Besuchermasse an den abgelegenen Ort zu locken vermögen und ob das Reservoir an Interessierten, die immer wieder kommen, genügend gross ist. Seine Grobrechnung: 20 Millionen investierte Franken führen jährlich zu mindestens 500.000 Franken Zins- und Amortisationskosten, Betriebs- und Unterhaltskosten nicht eingerechnet. Bei 200 Betriebstagen muss jeder Tag 2500 Franken Gewinn bringen. Ist das 700-Plätze-Haus voll besetzt, muss jede Person gut 3.50 Franken Gewinn abwerfen - nur um die Bauinvestitionen zu finanzieren. „Auch wenn 20 Millionen nicht viel sind - die Investition ist sehr mutig.“ Immerhin, die erste Hürde hat das ‹Auditorium du Jura› genommen; das Stimmvolk von Courgenay erteilte dem Projekt am 22. Mai das Baurecht.

Chöre am Schwendisee

Weniger auf ein Festival-Publikum wie im Jura, sondern auf aktive Musikerinnen und Musiker ausgerichtet ist das ‹Klanghaus›-Projekt im Toggenburg. Bauen soll es Peter Zumthor am Schwendisee oberhalb des Ortes Unterwasser. Die Geländemulde, so die Initianten, bilde einen natürlichen Klangraum. Wie beim Auditorium du Jura ist ein Holzbau geplant. Herz des auf 15 bis 20 Millionen Franken geschätzten Projekts wäre ein 200 Quadratmeter grosser Saal, konstruiert aus den Instrumentenhölzern Fichte und Ahorn. Dazu kämen Kursräume, Dokumentationszentrum, Bibliothek und Restaurant - aber, ebenfalls wie im Jura, keine Übernachtungsmöglichkeiten. Wie Peter Zumthors Gebäude aussehen könnte, ist im Gegensatz zum Auditorium du Jura völlig offen: Es gibt nicht einmal Skizzen.

Das Haus will vielfältige Bedürfnisse abdecken: Probewochen für Chöre und Orchester, Meisterkurse und Kurse zu Klang, Rhythmus und Naturjodel sind vorgesehen, die technische Ausrüstung wird entsprechend aufwändig. Dieses Programm mache die ‹Klangwelt Toggenburg› zu einem kulturwirtschaftlichen Projekt. „Es richtet sich an eine touristisch noch wenig erfasste, aber durchaus kaufkräftige Zielgruppe: Chöre und Orchester, für die noch kein spezifisches Angebot existiert“, schreiben die Initianten. Im Einzugsgebiet des Klanghauses gebe es mehrere Tausend Chöre und mehrere Hundert Orchester. Diese verreisen jährlich mindestens für ein Wochenende oder eine Woche, um zu proben und zusammenzusein - das abgelegene Toggenborg könnte da zu einem beliebten Ziel werden, Tausende von Übernachtungen wären möglich. Allein der Betrieb des Klanghauses werde bis zu einem Dutzend neuer Arbeitsplätze schaffen. Die Projektskizze rechnet eine Wertschöpfung für die Region zwischen 1,9 und 2,6 Millionen Franken pro Jahr vor. Laut Businessplan soll das Haus nach vier Jahren selbsttragend sein.

Träumen erlaubt

Auch Initianten aus dem Toggenburg ist klar: Das Haus braucht erstklassige Architektur und Akustik. Ein Zumthor-Bau erfülle diese Anforderungen und er setze ein Zeichen. Als Vergleich wird die Therme Vals angeführt, die
das noch abgelegenere Tal bekannt machte und die Übernachtungszahlen in die Höhe treibt. An Vals knüpft man im Toggenburg auch an, weil mit dem Klanghaus ein ‹Zumthor-Dreieck› entstünde: Kunsthaus Bregenz - Therme Vals - Klanghaus Schwendisee. Die Idee des Kulturdreiecks - eine wohl nicht zufällige Parallele zum jurassischen Projekt: Dahinter steht die Absicht, das eigene Projekt in den regionalen Zusammenhang zu fügen.

Das Klanghaus-Projekt hat eine Vorgeschichte: Es zählte zu jenen Kulturprojekten, die mit dem ‹Zukunftsfonds› hätten finanziert werden sollen, den die St.Galler Regierung aus den Sondererträgen der Kantonalbank-Teilprivatisierung äuffnen wollte. Dieser Fonds fiel aber in der Abstimmung Ende 2004 durch. Danach wollten die Initianten aufgeben, weil sie in der Region keinen Rückhalt mehr spürten, rappelten sich aber wieder auf, und inzwischen ist das Verständnis in der Region gewachsen: Regionalplanungsgruppe, Touristiker und Hoteliers unterstützen jetzt das Projekt. Peter Zumthor erhält aber erst grünes Licht für die Weiterarbeit, wenn die Finanzierung klarer ist. Vielleicht führt die beharrliche Kleinarbeit zum Erfolg: Breit angelegte musikalische Kurse führt Klanghaus-Initiant Peter Roth, Musiker und Chorleiter, schon heute im alten Kurhaus ‹Seegüetli› vor Ort durch. Dieses Jahr sollen über 600 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer in der Region übernachten und die dritte Etappe des ‹Klangwegs› wird diesen Juli eröffnet. Die Initianten widmen sich zurzeit der Geldsuche: „Wir sind mit zahlreichen Sponsoren im Gespräch, mit Kulturträgern und mit dem Kanton“ - Konkreteres gibt ‹Klangwelt›-Geschäftsführer Stephan K. Haller nicht preis. Ein Bericht in der Regionalzeitung, wonach die UBS das Haus nun zahle, war leider ein 1. April-Scherz. Trotzdem davon zu träumen, sei ja nicht verboten, meinen die Initianten.


‹Gefühlte Architektur›
Expressionistische Krone, archaische Hütte, chinesische Pagode oder krude Märchenburg - im Entwurf von Herzog & de Meuron ist vieles lesbar. Die Sinne schwelgen, bevor der Verstand begreift, was er sieht. Wie entsteht diese Architektur? Die Entwurfsgedanken von Grund auf: Wie ein Amphitheater soll die zentrale Bühne in die Erde eingelassen werden; die Musiker und ein Teil der Zuschauer sitzen und stehen also auf der Weide. Das Erdgeschoss, oder der obere Teil des Sockels, sei ‹immateriell›, sagen die Architekten, es wird rundum verglast und damit nicht sichtbar, denn das Gebäude soll die Weidelandschaft nicht unterbrechen. Über dem Bühnensockel soll eine hölzerne Kuppel auf nur drei Stützen ruhen, Vorbild war hier eine über dem Raum schwebende barocke Kuppel. Weil die ideale Kuppelform, die Rundform, aus akustischen Gründen unmöglich ist, nähern sich ihr Herzog & de Meuron mit einem Sechseck an. Dessen Seiten verformten sie mit dem Akustiker Yoshio Toyota zu Krümmungen, sodass eine Blümchenform entstand. Diesen Grundriss schichteten sie stockwerkartig übereinander und drehten ihn jeweils um einige Grade. Die Form ist das Ergebnis zweier Regeln: Überall hervorragende Akustik und freie Sicht auf die Bühne. Die nach innen gewölbten Kurven sollen als Balkonnischen und Lichtöffnungen dienen, wie Schwalbennester scheinen sie in der Kuppel zu kleben. Die nach aussen gewölbten Kurven werden aus der Dachfläche drücken und den Dachhut von aussen verformen. Das Gebäude, das nur aus Dach besteht, soll mit Holzschindeln eingekleidet werden, allenfalls mit Eternit.

Die Grundform des Gebäudes geht auf das Kulturdreieck von Rémy Zaugg zurück; im Grundriss verlängert das gleichseitige Dreieck geometrisch den Sechsecksaal. Von aussen verleiht die pyramidale Form dem Gebäude einen Hauch Monumentalität.
Hochparterre erhielt keine Pläne von H & de M, weil sich das Projekt erst im Anfangsstadium befinde.

hochparterre, Fr., 2006.06.30



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hochparterre 2006-06|07

01. April 2005René Hornung
Neue Zürcher Zeitung

Suche nach der verlorenen Baukultur

In St. Gallen erhitzen sich seit Monaten die Gemüter über die verlorene Baukultur. Die Architektenverbände machen sich für einen unabhängigen Gestaltungsbeirat stark. Und sie wollen erreichen, dass die vakante Stelle des Stadtbaumeisters mit einer starken Persönlichkeit besetzt wird - für diese aber brauche es mehr Kompetenzen.

In St. Gallen erhitzen sich seit Monaten die Gemüter über die verlorene Baukultur. Die Architektenverbände machen sich für einen unabhängigen Gestaltungsbeirat stark. Und sie wollen erreichen, dass die vakante Stelle des Stadtbaumeisters mit einer starken Persönlichkeit besetzt wird - für diese aber brauche es mehr Kompetenzen.

Die Bevölkerung von St. Gallen schimpft derzeit über Neubauten und Bauprojekte. Ein Stein des Anstosses ist der vom Generalunternehmer HRS ohne Wettbewerb gebaute Bürogebäudekomplex an der exponierten nordwestlichen Ecke des Bahnhofareals. St. Leonhard heisst der Bau, «St. Leopard» frotzeln die Stadtbewohner wegen der unregelmässig angeordneten Fassadenelemente, die an Militär-Tarnfarben erinnern. Das in einer späten Bauphase entwickelte Farbkonzept stammt aus dem Zufallsgenerator des St. Galler Künstlers Bernhard Tagwerker, doch Anerkennung findet die Gestaltung nicht. HRS und die städtischen Baubewilligungsbehörden müssen sich nicht nur wegen «St. Leopard» Kritik anhören: Auch das Stadionprojekt auf öffentlichem Grund im Westen St. Gallens wurde vom Generalunternehmer ohne Wettbewerb geplant. Wie beim «St. Leopard» stammen die Pläne aus einem Direktauftrag an den örtlichen Architekten Bruno Clerici. Gebaut ist die Kombination von Einkaufszentrum und Stadion noch nicht, die Rekurse sind aber bereinigt, und der Überbauungsplan steht kurz vor der Genehmigung.

Grosse Projekte

Solch grosse Projekte ohne Wettbewerbe zu realisieren. sei «Baupolitik, keine Baukultur», kritisiert der aus St. Gallen stammende Kultur- und Kunstwissenschafter Peter Röllin. Als Kenner der Stadtentwicklung vermisst er in den letzten Jahren einen «personell und fachlich kompetenten Diskurs». In Architektenkreisen diskutiert man zurzeit heftig über die Ursachen dieses Malaises: Der bisherige Stadtbaumeister Martin Hitz - er wechselt im März in die Baudirektion der Migros Ostschweiz - habe kaum architektonische Ambitionen gezeigt. SP-Baustadträtin Elisabeth Beéry kümmere sich zu wenig um Architektur und Stadtplanung. Und schliesslich entscheide die bisher politisch besetzte Baupolizeikommission jeweils nach der Maxime: Nur nicht die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt durch Planungs- und Bauvorschriften hemmen.

Die Kritik blieb nicht ohne Wirkung: Die revidierte städtische Bauordnung, die noch dieses Jahr in Kraft gesetzt wird, soll eine grössere und neu zusammengesetzte Baubewilligungsbehörde bringen: Das Parlament kann dann nicht mehr Lobbyisten installieren. Künftig will die Stadtregierung externe Fachleute berufen. Damit werde der Architektur mehr Gewicht zukommen, so Stadträtin Beéry. Zusätzlich soll die Bauberatung verstärkt werden. Weiter soll St. Gallen einen Gestaltungsbeirat bekommen - dies fordern die Berufsverbände BSA, SIA, SWB, FSIA und das Architekturforum. Sie lobbyierten in den letzten Monaten bei Parteien und bei der Stadträtin. Wie rasch der Beirat installiert wird und welche Aufgaben und Kompetenzen er haben wird, ist noch offen: Die Architektenverbände verlangen einen «unabhängigen, externen Beirat», der sowohl zu Planungsfragen als auch zu Bauprojekten in einem frühen Stadium Stellungnahmen abgeben kann. Beéry hält nichts «von zu vielen Experten» und will den Beirat der Stadtplanung unterstellen und ihm nur Gestaltungs- und Überbauungspläne sowie Grossprojekte vorlegen.

Nun muss St. Gallen auch noch einen neuen Stadtbaumeister wählen. Die Architektenverbände fordern eine starke Persönlichkeit, die der Baulobby die Stirn bieten kann. Dazu aber eigne sich das schwammige Profil im Stelleninserat nicht, kritisieren sie: Um kompetente Diskussionen über gutes Bauen und Stadtplanung neu zu lancieren, brauche es mehr als einen Verwalter für die städtischen Liegenschaften. Fachkompetenz in Städtebau und Managementfähigkeiten wären gefragt, auch damit St. Gallen sein Image als «schwieriger Ort für kultivierte Investoren» wieder los werde, meint der Architekt Marcel Ferrier, einer der Initianten des Gestaltungsbeirates.

Die bevorstehende Umkrempelung der St. Galler Baubewilligungsinstanzen ist eine Reaktion auf bald acht Jahre Laisser-faire-Politik. Als 1997 der heutige Direktor des Zürcher Amtes für Städtebau, Franz Eberhard, sein Amt als St. Galler Stadtbaumeister verliess, nutzte die Baulobby die Gelegenheit und erreichte, dass die früher dem Stadtbaumeister unterstellte Stadtplanung abgetrennt wurde. Seither ist der St. Galler Stadtbaumeister nur noch für die stadteigenen Gebäude zuständig. Eberhard und der damalige Stadtplaner Fritz Schumacher (heute Kantonsbaumeister in Basel) hatten noch regelmässig Studienaufträge an die ETH und an Fachhochschulen vergeben. Die Resultate wurden öffentlich präsentiert und regten zu Diskussionen an. Inzwischen sind St. Galler Studienaufträge rar geworden und die Planungsdebatten verstummt.

Immerhin sind in den letzten Jahren auch in St. Gallen einige architektonische Vorzeigebauten realisiert worden, darunter die Erweiterung des Hauptsitzes der Helvetia-Patria-Versicherungen von Herzog & de Meuron oder das vom Wiener Heinz Tesar zur Stadtpolizeizentrale umgebaute ehemalige städtische Lagerhaus, das nun auch noch einen prägnanten Rundbau als «Kopf» bekommen hat. Zu den Vorzeigeprojekten gehören auch das zurzeit im Bau befindliche Polysportive Zentrum - das Resultat eines vom jungen St. Galler Andy Senn gewonnenen Wettbewerbs - sowie ein Bürohaus der Raiffeisengruppe, dessen Fassade der Künstler Olivier Mosset konzipierte. Jetzt werden Pipilotti Rist und Carlos Martinez noch die Umgebung des Bankenkomplexes gestalten: Sie wollen Strassen und Trottoirs, ja selbst Bänke mit einem roten Belag überziehen und so eine «Stadt-Lounge» einrichten - in einem Quartier allerdings, das nach Büroschluss kaum belebt ist. Ein anderes architektonisch verheissungsvolles Projekt für St. Gallen scheiterte: Der Erweiterungsbau für das Kunstmuseum Baumann Buffoni Roserens aus Zürich wurde von den Stimmberechtigten abgelehnt.

Galerie der Hilflosigkeiten

Neben den wenigen guten Bauen der letzten Jahre dominiere in St. Gallen zurzeit «die Galerie der Hilflosigkeiten», kritisiert Ferrier. Der mangelnde Mut der Bewilligungsbehörde habe eine Reihe von Belanglosigkeiten hervorgebracht oder zu Situationen geführt, die mit einer sorgfältigen Diskussion hätten verhindert werden können. Ein Beispiel ist der über die alte Baulinie herausragende Querbau, der an die städtischen Lagerhäuser im Stickereiquartier andockt und die Sichtachse unterbricht. Gebaut hat ihn das Generalunternehmen Gebrüder Senn - und einer der Brüder ist Mitglied der Bewilligungsbehörde.

In anderen Planungen seien Grundsatzdiskussionen verpasst worden, beanstanden die Architektenverbände. Etwa bei der angelaufenen Sanierung des Rathaushochhauses aus den siebziger Jahren. Auf eine grundsätzliche neue Lösung an diesem prominenten Standort direkt neben dem Bahnhof wollte sich niemand wirklich einlassen. Auch ein erstes Projekt am Rande der Güterbahnhof-Brache wurde ohne vorgängige Planungsdiskussion bewilligt: Baumschlager & Eberle werden dort einen nicht sonderlich geistreichen Bürobau mit strenger Rasterfassade bauen.

Neben umstrittenen Auslegungen des Altstadtschutzes taucht immer wieder die Frage auf, wie weit die Bewilligungsbehörde wirtschaftlichen Interessen nachgibt. Etwa im Falle des geplanten Kongressgebäudes beim Hotel «Einstein», das der Textilunternehmer Kriemler bauen will. Dazu wurde ein privater, eingeladener Wettbewerb organisiert. Das architektonisch umstrittene Siegerprojekt stammt von Hilmer & Sattler und Albrecht aus München. Weil es nach der Meinung der Opponenten auf die Massstäblichkeit des Quartiers zu wenig Rücksicht nimmt, muss es nun vom Bundesgericht beurteilt werden. Im Jahre 1999 hatte sich Stadtplaner Mark Besselaar strikte für die Erhaltung der Vorstadtstruktur mit Einzelbauten ausgesprochen. Doch jetzt plädiert er plötzlich für den 80 Meter langen Baukörper, der an der gleichen Stelle errichtet werden soll.

Den Behörden wird ausserdem vorgeworfen, sie hätten sich nie der Diskussion gestellt, wie man mit der Situation am Hangfuss und mit der alten Vorstadt umgehen wolle. Stattdessen hätten sie sich den Investorenwünschen gebeugt. - Neben solch konkreten Projekten geht es den Architektenverbänden aber auch um grundsätzliche Planungsfragen: Ist der Standort fürs kommende Bundesverwaltungsgericht wirklich optimal gewählt, oder handelt es sich bei der heute noch unbebauten Wiese mit Südexposition einfach um jenen Bauplatz, der am wenigsten Schwierigkeiten macht, weil er bereits der kantonalen Versicherungskasse gehört? Droht damit das scharf begrenzte Baugebiet des Stadtkerns auszufransen? Wären nicht auch die unternutzten Geleisefelder von Hauptbahnhof, Güterbahnhof und Bahnhof St. Fiden geeignete Standorte? Nur für jenes des Hauptbahnhofs gibt es ein Projekt. Giuliani Hönger aus Zürich gewannen den Wettbewerb für die Fachhochschule mit einem Hochhaus im engen Talboden der von zwei Hügelketten flankierten Stadt. Dessen Schattenwurf erhitzte die Gemüter schon in der Vorprojektphase. Und am Rande des Areals steht der Rundbau der Lokremise. Einige Jahren diente sie der Galerie Hauser und Wirth als Museum. Jetzt steht sie leer und sucht einen neuen Inhalt.

Schliesslich drohen an den Stadträndern langjährige Verdichtungsbemühungen zu scheitern. So wurde das aus einem Wettbewerb hervorgegangene Projekt für eine Blockrandüberbauung nahe der Empa von Theo Hotz mangels Investoren bisher nicht gebaut und dann abgeschrieben. Jetzt baut Lidl auf der Parzelle einen banalen, eingeschossigen Kubus, geplant vom Architekten und SVP-Kantonsrat Hans Richle.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.04.01

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