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In der Mitte der Mensch
Der Architekt Johann Georg Gsteu beging dieser Tage seinen 80. Geburtstag.
Der Architekt Johann Georg Gsteu beging dieser Tage seinen 80. Geburtstag.
Wenn jemand gerade sein achtes Lebensjahrzehnt vollendet hat, darf man behaupten, er gehöre der alten Garde an. Das trifft auch auf Johann Georg Gsteu zu, obwohl man das auf den ersten Blick kaum wahrhaben wird. Wer in kurzen Hosen sonnenverbrannt durchs Leben federt, ist nicht alt. Aber die alte Garde, die stimmt trotzdem, man muss ihm nur zuhören.
Und zuschauen. Denn Gsteu verlässt das Haus bis heute nicht ohne Bleistift und Radiergummi in der Hosentasche. Auch er zählt zu denjenigen, die dem fast schon karikaturhaften Bild des ewig skizzierenden Architekten gerecht werden. „Warten S', ich muss das aufzeichnen!“ Und dann genügen ein paar präzise Striche, um das Wesen und den Charakter von Projekten quasi röntgenologisch klar darzulegen - und irgendwie hat dieses gekonnte grafische Herunterbrechen der so ungeheuer komplizierten Materie Architektur auf logische Prinzipien etwas ausgesprochen Tröstliches in einer Zeit, die ganz anders geworden ist im Laufe einer fast sechs Jahrzehnte währenden Architektenkarriere.
Gsteu, 1927 in Hall in Tirol geboren, gehört einer ganz bestimmten, die Nachkriegsarchitekturgeschichte dieses Landes prägenden Generation an. Große Namen. Alte Bande. Alle sprechen sie eine sehr ähnliche Sprache, und es wäre ausgesprochen vermessen, würde die heute so erfreulich tüchtige jüngere Generation nicht genau zuhören. Denn vieles dessen, was die spezifische Qualität der zeitgenössischen heimischen Baukünstler und Baukünstlerinnen ausmacht, wurde von Leuten wie Gsteu bereits vor Jahrzehnten definiert.
Im Mittelpunkt steht der Mensch und seine Bedürfnisse. Zu Beginn stehen Aufgabenstellung und die Rahmenbedingungen. Dazwischen stehen Überlegungen, wie alle Parameter in eine schlanke, unaufwändig, funktionierende und bautechnisch gute Form gebracht werden können. Am Ende steht ein Gebäude, das technisch, formal, funktional möglichst viel kann.
Kristallisationspunkt für diese Art Architektur zu machen war kurz nach Kriegsende die Akademie-Klasse von Clemens Holzmeister. Gsteu: „Dort waren wir alle beieinander - der Wilhelm Holzbauer, der Friedrich Kurrent, der Fritz Achleitner, der Hans Puchhammer und ich. Wir sind vorher auch schon miteinander in die HTL gegangen. In der Holzmeister-Klasse waren dann auch noch der Johannes Spalt und der Gustav Peichl. Jedenfalls haben wir alle ziemlich zugleich Diplom gemacht.“
Clemens Holzmeister, so Gsteu, habe ihnen zumal professoral die Ernsthaftigkeit des Berufs beigebracht. „Aber wir waren froh, dass er nicht immer da war.“ Warum? Weil ihn dann zum Beispiel andere gestandene Architekten wie Erich Boltenstern vertraten - und: „Weil wir dann die internationale Szene studieren und alles aufarbeiten konnten, was vor dem Krieg gebaut worden war.“
Für Holzmeister sei das kein Thema gewesen, für die Jungen, Hungrigen sehr wohl. Vor allem dem etwas älteren Johannes Spalt verdanke man unglaublich viel: „Der Spalt war wie ein wissender Motor. Wir sind an den Wochenenden ständig gemeinsam unterwegs gewesen und haben uns alles angeschaut, haben alles analysiert und dann darüber debattiert. Der Spalt hat immer gesagt - Hast du das schon gelesen? Nein? Lies erst, und dann reden wir darüber! Wir haben in der Bibliothek nach Informationen gesucht, aber es gab kaum etwas.“
Also wurden Bücher und Zeitschriften importiert und von englischsprachigen Freunden übersetzt. Die jungen Architekten studierten die schwedische Moderne, den Schweizer Siedlungsbau, die großen österreichischen Emigranten wie Richard Neutra, die Bauten von Josef Hoffmann, Adolf Loos, Josef Frank. „Nachdem jeder von uns ein kaltes Zimmer gehabt hat, in dem das Wasser im Krug gefroren ist, sind wir fast jeden Abend im Kaffeehaus beieinander gesessen, das war fast so etwas wie eine Notgemeinschaft. Aber es war phantastisch.“
Die erste Arbeit unternimmt Gsteu gemeinsam mit Friedrich Achleitner. „Wir haben gemeinsam sein Heimathaus aufgebaut, das abgebrannt war.“ Die beiden gehen eine Bürogemeinschaft ein und arbeiten fünf Jahre zusammen. Achleitner sagt ihm dann: „Du, ich geh jetzt andere Wege, ich fang zu schreiben an.“ Zwischen 1956 und 1958 bauen sie aber gemeinsam noch die Rosenkranzkirche in Hetzendorf um. „Der Pfarrer hat damals gemeint, er wolle keine Roserlkirche haben, wenn es sich um eine Rosenkranzkirche handelt. Wir waren froh, so einen Bauherren zu haben, sonst hätten wir das nicht so radikal umsetzen können.“
Anfang der 60er-Jahre gewinnt Gsteu den Wettbewerb für das Seelsorgezentrum am Baumgartner Spitz in Wien und realisiert dort bis 1965 ein noch radikaleres Konzept: Ein nicht in eine bestimmte Richtung orientierter Raum entspricht architektonisch den Grundaussagen des Konzils von 1962. Gsteu: „Das Wesentliche war für mich, dass die Kirche aus vier Bauteilen besteht, die nur durch Glas und Sprossen miteinander verbunden sind. In der Architekturgeschichte hat sich immer etwas zu einem Spitz oder zu einer Kuppel bewegt, und außen wurden die Kräfte abgeleitet. Doch hier steht jeder einzelne Teil für sich allein.“
Überhaupt - neue Wege zu gehen war immer wichtig und Triebkraft: „Ich habe immer versucht, das zu ändern, was mir bei anderen, gegebenen Situationen als unbefriedigend aufgefallen ist. Bei Wohnbauten waren das die finsteren Gänge oder die nicht gut genutzten Ecken.“
Bis heute entstanden so rund dreißig ausgeführte Projekte, zuletzt etwa erst im Vorjahr die raffinierte Müllsammelstelle am Meidlinger Markt in Wien, die sich hydraulisch öffnen lässt und selbst in der Nacht dank ihrer durchbrochenen Lochblechhaut wie eine urbane Stadtskulptur wirkt. Eine ganz ähnliche Sprache, die der Technik und der Reduktion, sprechen auch Arbeiten wie der 1997 fertiggestellte Nordsteg bei der Nordbrücke auf die Donauinsel oder die fünf Stationen der Wiener U-Bahn-Linie 6.
Der Beruf des Architekten, so Gsteu, habe sich in den vergangenen Jahren im Vergleich zu früher enorm verändert: „Der Druck von allen Seiten ist ein Wahnsinn, es ist unvergleichlich ärger geworden.“ Wenn Bürokratie, Vertrags- und Terminkorsett zu den Hauptentwerfern werden, bleibt die Architektur auf der Strecke.
„Wir leben momentan in einer Übergangszeit, in der man die Tür aufmachen muss, weil alles ausgelaugt ist. Da kommt natürlich frische Luft herein, aber auch Mief. Vieles dessen, was derzeit gebaut wird, ist mir zu persönlich, zu eitel. Ich glaube, dass diese betont originellen Sachen, für die man irgendwelche Preise kriegt, nicht halten werden. Es gehört eine gewisse neutralere Behandlung her. Ich denke, dass eine gute Stangenbekleidung in der Architektur gefragter ist als der Maßanzug. Doch diese Zeiten müssen wir überdauern, damit wieder etwas Neues kommt.“
Junges Holz und arme Kunst
Ein Querkopf, der Architekturgeschichte geschrieben – und nie das Originelle und Authentische aus den Augen verloren hat. Johann Georg Gsteu zum 80. Geburtstag.
Ein Querkopf, der Architekturgeschichte geschrieben – und nie das Originelle und Authentische aus den Augen verloren hat. Johann Georg Gsteu zum 80. Geburtstag.
Unheimlich wird einem schon, wenn man sich folgendes Bild vergegenwärtigt: Nachkriegszeit, ein Klassenzimmer in der Salzburger Staatsgewerbeschule, und in einer Reihe sitzen Friedrich Achleitner, Wilhelm Holzbauer, Johann Georg Gsteu und Hans Puchhammer, ein paar Reihen weiter vorne Friedrich Kurrent. Und alle gehen nach Wien – Puchhammer an die Technik, die anderen zu Holzmeister an die Akademie –, und alle werden Architekten. Irgendwie muss in diesem Klassenzimmer ein Rumpelstilzchen seinen magischen Moment ausgelebt haben. Das Ergebnis ist jedenfalls österreichische Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und Johann Georg Gsteu hat sie mitgetragen, mitentwickelt, mitbefördert. Er feiert kommende Woche seinen 80. Geburtstag.
Gsteu gehört zu einer Generation von Architekten, die mit Aufträgen nicht reich beschenkt wurde. Sein Werk ist relativ klein. Aber das gilt, mit Ausnahme von Wilhelm Holzbauer und Gustav Peichl in Wien und von Josef Lackner in Tirol, für die Mehrzahl der „Ambitionierten“ dieser Altersklasse. Es war eben noch nicht die Zeit des organisierten Wettbewerbswesens. Noch nicht die Zeit der versuchsweisen Demokratisierung von Auftragsvergaben.
Obendrein war Gsteu ein Querkopf, der Aufträge, Programme auf ihre Sinnhaftigkeit befragt hat und bei der Umsetzung die Originalität, die Authentizität eines Projekts nie aus den Augen verlor. Die noch nicht da gewesene materielle, technologische, konstruktive Lösung – auch um den Preis eines gelegentlich gewöhnungsbedürftigen formalen Ergebnisses – war seine Sache. Architektur als Denk- und Erfindungsprozess, als Prototyp. Und da kam es nicht auf die Größenordnung einer Aufgabe an, da ging es um die Substanz einer Idee.
Die Büroanfänge, gemeinsam mit Friedrich Achleitner, der sich nach einem ersten realisierten Werk allerdings gleich in die Gefilde der Sprache abgesetzt hat, sind heute schon Legende. Immerhin, die „Ausräumung“der Rosenkranzkirche, ihre innere Bereinigung, die auch so manchen Kirchendiener wieder den substanziellen Gehalt eines sakralen Raums erkennen ließ, wurde zum Merkstein. Auf dem Gebiet der Sakralarchitektur konnte Gsteu noch zweimal nachhaltig tätig werden: Gemeinsam mit den „Dreiviertlern“(Kurrent, Spalt) in Steyr-Ennsleiten und bei seiner Anlage in Baumgarten, die wohl bis heute einen Höhepunkt in seiner Arbeit darstellt. Man schrieb die Sechzigerjahre, und die Seminare von Konrad Wachsmann in Salzburg waren nicht fern. Und das spürt man. Industrielles Bauen, Module, die sich reihen lassen und doch eine (angeblich preisgünstige) räumliche Vielfalt ergeben, strukturelles Denken – die Prämissen sind Legion, an denen sich die jungen, aufmüpfigen Geister damals aufgerieben – und die träge Volksmeinung zerrieben haben.
Beim Seelsorgezentrum Baumgarten war das allerdings anders. Da konnte Gsteu tatsächlich viel von dem umsetzen, was damals in den Köpfen der jungen Architekten für Unruhe sorgte. Seine ursprüngliche Entwurfsidee eines quadratischen Kirchengrundrisses mit zwei hohen und zwei halbhohen Raumeinheiten ging zwar nicht auf, die einheitlich hohe Kirchenhalle ist aber bis heute ein bleibender Eindruck. Ebenso die stringente Gliederung der Außenanlage mit Pfarrhof,Sakristei, Pfarrsaal und Glockenträger. Die Kirche ist ein Meisterwerk in Bezug auf die Präzision des Entwurfs. Alle Details stimmen, ohne mit allzu vielen Bedeutungen überfrachtet zu sein. Diese Selbstverständlichkeit in der Komplexität des Angedachten wird Gsteu nur selten übertreffen können.
Es war eine schwierige Zeit. Gsteu hat sehrbescheidene Bauaufgaben gelöst. Wenn mansich die Bildhauerunterkünfte in St. Margarethen ansieht, die ja eigentlich nur ein Um- und Ausbau sind, dann weiß man aber gleich,was er immer gekonnt hat: die Bedingungen eines Ortes verstehen und ganz sensibel darauf reagieren, egal ob sie nun im innerstädtischen Gründerzeitviertel oder im Steinbruch liegen. Und noch etwas konnte er immer: eine Art mönchische, archaische, gleichzeitig sinnliche Raumqualität schaffen.
Die wurde aber nicht immer und zu allen Zeiten von jedermann verstanden. Die mönchische Lösung, die hat er zwar auch mit den Druckrohren in seinem Gemeindebau realisiert. Na ja, und stützenfreie Erker sind dabei ja auch wirklich zustande gekommen, obwohl es ursprünglich ein Erkerverbot gab; und die Röhren können tatsächlich alles Mögliche – vom Liegeplatz über das Blumenfenster bis zum Terrarium sind zahlreiche Nutzungen denkbar. Auch lösen sie den Anspruch der preisgünstigen industriellen Fertigung ein. Trotzdem hat nie jemand diese Idee aufgegriffen, weitergeführt. Die Röhren mögen originell sein – als schön werden sie von den wenigsten empfunden.
Der Gemeindebau war übrigens schon das zweite Anwendungsbeispiel für Gsteus Idee mit den Druckrohren. Erstmals kamen sie in einer Bankfiliale zum Einsatz, wo er auch ein ganz spezielles Tor geschaffen hat. Es wiegt gewissermaßen Tonnen – und ist doch so ausgetüftelt gelagert, dass man es mit einer Hand bewegen kann.
Gsteu hat oft eigenständige Ideen entwickelt, die er dann bei verschiedenen Anwendungen durchgetestet hat. In seinen neueren Arbeiten war das ein Verfahren, mit dem man Aluminium-Trapezblech verformen kann. Er hat es sowohl bei seinen U-Bahn-Bauten als auch beim Nordbrücken-Steg und einem Kindergarten angewendet. Vor allem bei den Verkehrsbauten hat sich die Technologie als herausragend erwiesen, weilMaterialqualität, Verarbeitungsweise und visuelle Erscheinung dabei eine glückliche Symbiose eingehen.
Aber gerade was die Verkehrsbauten betrifft, hat die Sache auch ihren Pferdefuß. Es waren, vereinfacht gesagt, halt immer alle anderen beauftragt, nur nicht Johann Georg Gsteu. Er kam immer erst dann dazu, wenn irgendwem in irgendeiner Magistratsabteilung aufgefallen ist, dass die, die den Auftraghatten, nicht gut genug dafür waren. Und das hat ihn einmal auch fast in den Bankrott getrieben. Er redet nicht viel darüber. Aber es kann einem schon bitter aufstoßen, wie dieses „andere“ Wien mit seinen verdienstvollen Söhnen umgeht. Andererseits: Kassel war auch nicht viel besser. Gsteu hat an der Gesamthochschule zwar zehn Jahre unterrichtet, gebaut hat er dort aber nie.
Nur ein wunderschönes Projekt gibt es von ihm, gedacht als temporäre Installation während der Documenta. Beuys hat seine Bäume gepflanzt, junges Holz, gewachsen auf sicher nicht ganz ungeschädigtem Boden, Gsteu hat beschädigte Bäume genommen und eine temporäre Brückenkonstruktion vorgeschlagen. Sozusagen ein „armes“ Projekt, „arme“ Kunst, die schon damals zukunftweisend war. Was hätte auch besser zu Gsteu gepasst?
Profil
1941 – 1944 Bildhauerfachschule Hallstatt
1946 – 1949 HTL Salzburg
1950 – 1953 Akademie der bildenden Künste Wien, Meisterschule für Architektur bei Clemens Holzmeister
1953 – 1955 Akademie der bildenden Künste Wien, Meisterschule für Bühnenbildnerei bei Emil Pirchan
Seit 1953 freischaffender Architekt in Wien, bis 1958 gemeinsam mit Friedrich Achleitner
1953, 1956/57 Internationale Sommerakademie Salzburg bei Hans Hofmann und Konrad Wachsmann
Der Nachlass von Johann Gsteu wurde 2015 dem Wiener Stadt- und Landesarchiv übergeben und erschlossen. Einen Überblick über die
darin enthaltenen Projekte findet man im Wiener
Archivinformationssystem (WAIS): http://bit.ly/2ttMOqR
Lehrtätigkeit
1983 – 1993 Professor für Architektur und Design, Gesamthochschule Kassel
2000 – 2005 Gastprofessor für Entwurf an der Universität Innsbruck
Publikationen
Johann Georg Gsteu, , Verlag Anton Pustet
konstantmodern, aut. architektur und tirol, SpringerWienNewYork
Auszeichnungen
1976 Architekturpreis der Stadt Wien
1968 Österreichischer Staatspreis für Architektur
Links
Nachlass von Johann Georg Gsteu WAIS - Wiener Archivinformationssystem