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05. Dezember 2016Claudia Moll
anthos

Die Kunst- und Handelsgärtner Froebel

Zur potenten Gesellschaftsschicht angestiegen, demonstrierte das Bürgertum des 19. Jahrhunderts seinen Reichtum mit prächtigen Gärten. Für deren Realisierung waren sogenannte Kunstgärtner verantwortlich, die in ihrem Werk praktisches und theoretisches Wissen vereinten.

Zur potenten Gesellschaftsschicht angestiegen, demonstrierte das Bürgertum des 19. Jahrhunderts seinen Reichtum mit prächtigen Gärten. Für deren Realisierung waren sogenannte Kunstgärtner verantwortlich, die in ihrem Werk praktisches und theoretisches Wissen vereinten.

Im 19. Jahrhundert erlebte die demokratisch regierte Eidgenossenschaft eine gartenkulturelle Blüte. Vor allem ab 1850 entstanden erste öffentliche ­Anlagen und eine Vielzahl privater Gärten. Für letztere waren die Vertreter des aufstrebenden Bürgertums verantwortlich. Sie manifestierten ihren Reichtum nicht nur mit dem Bau herrschaftlicher Villen, ­sondern auch mit prächtigen Gärten, die im Stil des spätklassizistischen oder historistischen Landschaftsgartens entstanden. Hier nahmen Pflanzen – vor allem auch exotische – eine bedeutende Rolle ein. Im Vordergrund stand neben der damit zu erzielenden Raumbildung eine möglichst grosse Vielfalt an Arten und Sorten: Pflanzen galten als Statussymbole und der Austausch botanischen Wissens zählte zum guten Ton.

Neues Berufsfeld

Für die Gestaltung ihrer Gärten zogen die Bauherren sogenannte «Kunstgärtner» hinzu. Diese waren keine ausgesprochenen Gestalter, sondern verbanden geschickt Wissen und Können aus unterschiedlichen Disziplinen. Meist stand eine Gärtnerlehre am Anfang ihres Werdegangs, die sie autodidaktisch in Richtung Botanik und Planung vervollständigten. Um die gewünschten Pflanzen liefern zu können, betrieben sie darüber hinaus meist eine eigene Handelsgärtnerei, besassen eine Baumschule und/oder Gewächshäuser und unterhielten Handelsbeziehungen weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Akklimatisierung und züchterische Weiterentwicklung einzelner Sorten festigte das Sortiment, das von der zierlichen Alpenpflanze über die kostbare Orchidee bis hin zum Urweltmammutbaum reichte.

Die Kunst- und Handelsgärtner Froebel

Theodor (1810–1893) und Otto Froebel (1844–1906) führten Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur die ­bedeutendste Handelsgärtnerei der Deutschschweiz, sondern waren auch für die Realisation einer Vielzahl von Gärten in und um Zürich verantwortlich. Der aus Thüringen stammende Theodor Froebel kam nach praktisch ausgerichteten Ausbildungsjahren 1834 nach Zürich. Hier beteiligte er sich als erster Universitätsgärtner massgeblich an Planung und Bau des neuen Botanischen Gartens. Bereits 1835 machte er sich selbstständig, gab wenige Jahre später die Stelle an der Universität auf und konzentrierte sich fortan auf zwei Bereiche: Einerseits zogen ihn öffentliche und private Auftraggeber für Planung und Bau von Grünanlagen und Gärten hinzu, andererseits baute er eine Handelsgärtnerei mit Baumschule und Gewächshäusern auf. Sein Sohn Otto absolvierte die Ausbildung im väterlichen Geschäft und in renommierten Betrieben im europäischen Ausland. Nach dem Eintritt in das Familienunternehmen 1865 wuchsen das Pflanzensortiment und die Anzahl der vom «gartentechnischen Bureau» geplanten und realisierten Gärten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Kunst- und Handelsgärtnerei Froebel die bedeutendste des Landes und über dessen Grenzen hinaus bekannt.

Sichtbare Zeitzeugen

Bis heute sind die Spuren der Kunstgärtner erkennbar: Die prächtigen Villengärten mit ihren zu eindrücklichen Solitären herangewachsenen Gehölzen prägen das Bild von Zürich genauso wie die mit dem Zutun der Kunstgärtner entstandenen öffentlichen Anlagen. Darüber hinaus trugen die Vorfahren des heutigen Landschaftsarchitekten zur Entwicklung der Profession in der Schweiz bei. Aus den Wurzeln, die das Kunstgärtnertum für die Landschaftsarchitektur bedeutet, sind selbstbewusste Planer und Gestalter erwachsen, und es ist bemerkenswert, dass sie sich im kurzen Zeitraum von lediglich rund hundert Jahren in der Schweiz so breit etablieren konnten.

anthos, Mo., 2016.12.05



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anthos 2016/03 Grenzen überwinden

20. Mai 2016Claudia Moll
TEC21

Erholung vor der Haustür

Es muss nicht immer das grosse Spektakel sein: Oft sind es unscheinbare Flecken und Orte, die eine Auszeit im gehetzten Leben der Metropolitan­region Zürich erlauben. Doch häufig wird das Potenzial der Landschaft in nächster Umgebung nicht erkannt. Ein Projekt der Regionalplanung Zürich und Umgebung (RZU) will die Augen dafür öffnen.

Es muss nicht immer das grosse Spektakel sein: Oft sind es unscheinbare Flecken und Orte, die eine Auszeit im gehetzten Leben der Metropolitan­region Zürich erlauben. Doch häufig wird das Potenzial der Landschaft in nächster Umgebung nicht erkannt. Ein Projekt der Regionalplanung Zürich und Umgebung (RZU) will die Augen dafür öffnen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierten sich in den grösseren Schweizer Städten eine ganze Reihe sogenannter «Verschönerungsvereine». Ihren Mitgliedern – zu einem grossen Teil waren es Laien, die sich selbst als «Naturfreunde» bezeichneten – lag die tägliche Erholung der stetig wachsenden Stadtbevölkerung am Herzen. Unter der Leitung von Gartenbauinspektoren, Forstingenieuren, Professoren oder Lehrern werteten sie die an das Siedlungsgebiet angrenzenden Wald- und Wiesenpartien auf: Sie liessen Wege anlegen und Sitzbänke, Denkmäler oder Gedenksteine aufstellen, inszenierten Aussichtspunkte und bauten Brücken über Wasserläufe oder Wege entlang von Teichen und Seen.

Auch wenn die Vereine teilweise bis heute bestehen, traten die ästhetischen Aspekte, die in ihrer Arbeit eine wichtige Rolle spielten, im Lauf der Zeit in den Hintergrund. Der gesamthafte Blick löste sich auf, und Einzelaufgaben wie der Bau und Erhalt von Wegen und Infrastrukturanlagen rückten ins Zentrum ­ihrer Bestrebungen. Schliesslich verlor die unmittelbare ­Siedlungsumgebung selbst als Erholungsziel an Be­deutung. Der Aufschwung der Nachkriegsjahrzehnte bescherte jedem Haushalt mindestens ein Auto, so­dass der Besuch ­weiter entfernt gelegener Ausflugs­ziele möglich wurde. Die zuvor ästhetisch betrachtete Landschaft wandelte sich zum Verkehrsträger, die rasante bauliche Entwicklung und eine Intensivierung der Landwirtschaft setzten die siedlungsnahen Erholungsräume gleichermassen unter Druck.

Heute, rund eineinhalb Jahrhunderte nach der Gründung der ersten Verschönerungsvereine, kommt den Freiräumen in und am Rand von Siedlungsgebieten wieder eine grössere Bedeutung zu.

Gerade im Zug der baulichen Verdichtung nach innen übernehmen sie wichtige Funktionen. Sie sind sozialer Treffpunkt und Aufenthaltsort, ermöglichen eine kurze Auszeit vom Alltag und bieten Raum zum Auftanken. Von ihrem hohen Stellenwert ist auch die Geschäftsstelle der RZU überzeugt. Unter dem Titel «Räume der Alltagserholung» erarbeitete sie 2015 eine Studie und plädierte darin für ihren Erhalt und ihre Weiterentwicklung sowie für eine stärkere Gewichtung des Themas innerhalb der Planung.

Kaum Konzepte zu Freiräumen

Was genau macht diese Räume der Alltagserholung aus? Oft handelt es sich um beiläufig erscheinende, eher kleine Flächen: Eine Sitzbank an einem Aussichtspunkt, ein Weg durch eine ansprechende Topografie, Tisch und Bank unter einer markanten Baumgruppe, ein Denkmal, das an die Geschichte eines Orts erinnert – meist reicht wenig, um Erholungsuchenden eine Auszeit ­vom Alltag zu ermöglichen. Das wichtigste Merkmal der Räume ist ihre Unbestimmtheit: Sie bieten keine Freizeitbeschäftigung an, indem sie ihre Besucher mit einem nutzungsorientierten Angebot vom Alltag ablenken. Vielmehr ermöglichen sie Entspannung, ­ohne Aktionen einzufordern.

Eine gewisse Unbestimmtheit macht also den Wert siedlungsnaher Freiräume aus. Diese kann ihnen aber auch zum Verhängnis werden. Selten im Rahmen einer räumlichen Gesamtstrategie entstanden und deshalb auch nicht in planerischen Regelwerken erfasst, gelten sie kaum als erhaltenswert. Ganz im Gegenteil wird ihre hohe Qualität oft erst dann erkannt, wenn sie bereits verschwunden sind. Ihre fehlende übergeordnete Bedeutung führt ausserdem dazu, dass die Räume in zukunftsorientierten Entwicklungsvorstellungen kaum auftauchen. Obwohl regionale und kantonale Richtpläne das Thema Erholung behandeln, finden sich darin wenig gesamt­räumliche Konzepte zu Freiräumen im siedlungsnahen Umfeld. So widmet der Richtplan des Kantons Zürich dem Thema zwar ein eigenes Kapitel, fokussiert aber lediglich auf eigentliche Hotspots – beispielsweise auf das Zürichseeufer, den Uetliberg oder die landschaftlich ansprechende Tössegg. Die Räume dazwischen bleiben hingegen mehrheitlich unbeachtet. Zudem birgt deren Lage in Landwirtschaftszonen oder in Naturschutz­gebieten oft Poten­zial für Nutzungs­konflikte: Hier gilt Erholung eher als störend denn als bereichernd.

Erholung und Ökologie

Angesichts der ungünstigen planerischen Voraussetzungen entstand eine Vielzahl jener Orte, die heute als wichtige Räume der Alltagserholung gelten, eher aus einem glücklichen Zufall denn aus strategischen Überlegungen heraus. So auch das Naherholungsgebiet Schübelweiher in Küsnacht, dessen ansprechender Rundweg täglich eine Vielzahl von Spaziergängern anzieht. Zu Beginn der über 15 Jahre dauernden Planungsgeschichte stand hier ein ökologisch ausgerichtetes Projekt: Das 1998 erarbeitete Grünkonzept Küsnacht zeigte unter anderem die Entwicklung der kleinen, von Äckern umgebenen Wasserfläche auf. Diese war als überkommunales Schutzobjekt eingestuft, das Land gehörte der Gemeinde, zählte zur Freihaltezone und war an Bauern verpachtet. Zur ökologischen Aufwertung entstand in einem ersten Schritt eine Flachwasserzone am einen Ende des Weihers. Rund zehn Jahre später hatte man sich mit den Landwirten geeinigt: Fortan sollten keine Äcker, sondern artenreiche Magerwiesen die Wasserfläche säumen.

Neben naturschützerischen Überlegungen fanden auch solche zum Erholungswert der Landschaft Eingang. Dies ist der interdisziplinären Zusammensetzung des beauftragten Planungsbüros quadra zu verdanken: Ökologen und Landschaftsarchitekten entwickelten gemeinsam ein Projekt, das, statt lediglich auf ökologische Inhalte abzuzielen, auch die Bedürfnisse der Erholungsuchenden berücksichtigte. Stege verbinden heute einzelne Wegabschnitte zu einem attraktiven Rundweg und führen die Spaziergänger ganz nah an wertvolle Biotope, ohne dass diese beschädigt werden.

So erfreulich das Resultat auch ist – es ist ein planerischer Glücksfall. Solche Räume entstehen nicht von allein, erläutert Gudrun Hoppe: «Es muss das Bewusstsein wachsen, dass man sich um sie kümmern muss», ist die Überzeugung der im Projekt involvierten Landschaftsarchitektin. Ihr Kollege, der Biologe Christian Wiskemann, ist zudem der Meinung, eine Kombination von Aspekten, die auf den ersten Blick nicht vereinbar scheinen, könne durchaus zu einem Mehrwert führen: Eine ökologisch wertvolle Wiese, deren Blumen gepflückt werden dürfen, erhöht in seinen Augen das Verständnis für Biodiversität weit mehr als Faltblätter und Informationskampagnen.

Alltagserholung muss also künftig in der Agenda der Planungsverantwortlichen einen festen Platz haben. Hierbei dürfen unterschiedliche Ansprüche an einen Raum nicht als Gegensätze gelten, sondern können sich ganz im Gegenteil gegenseitig stärken.

Definieren, katalogisieren, entwickeln

Auch in den Augen der Verfasser der RZU-Studie gilt es, «Räume der Alltagserholung» in einem ersten Schritt als eigene Freiraumkategorie zu definieren.

Danach heisst es, sie auf Gemeindeebene zu erfassen und in einem Übersichtsplan festzuhalten. Für eine Bestandsaufnahme schlagen die Experten die Analyse topografischer Karten und Begehungen vor; dabei lassen sich sowohl prägende Raumelemente als auch die atmosphärischen Qualitäten der Orte erfassen. Als dritten Schritt empfehlen sie die Befragung ortskundiger Personen. Gerade bei solchen Gesprächen lässt sich Wissen erschliessen, das mit konventionellen raumplanerischen Methoden nicht greifbar ist, da hier die Geschichte und Nutzung eines Orts und seine Identität in den Fokus der Betrachtung rücken. Die so erfassten Räume werden schliesslich in einer Synthesekarte zusammengefasst und nach Handlungsprio­ritäten kategorisiert.

Nur wenn man die lokalen Gegebenheiten vertieft analysiert, kann man Projekte entwickeln, die gut zum jeweiligen Ort passen, finden die Hauptverant­wortlichen für die Studie, der Geograf Matthias Loepfe und der Forstingenieur und Raumplaner Roger Strebel.

Dennoch wollen sie mit ihren Untersuchungen keine aufwendigen Planungsprozesse anstossen, sondern warnen vielmehr vor einem Zuviel an Gestaltungswillen. Dieser sei zwar gut gemeint, könne der nutzungsoffenen Alltagserholung jedoch widersprechen. Stattdessen empfehlen die Planer ein pragmatisches Vorgehen und wollen in erster Linie grundlegende Kriterien erfüllt sehen: Sind die Freiräume gut aufzufinden und zu erreichen? Kann sich ihr Besucher im Raum orientieren? In welchem Kontext stehen sie zur Siedlung und anderen Nutzungen? Und wie lassen sie sich aufwerten?

Ihre theoretischen Überlegungen haben die Verfasser der Studie mit einer ganzen Reihe von Experten abgeglichen und verfeinert. Gespräche mit Interview­partnern – Vertretern aus Politik und Verwaltung ausgewählter Gemeinden des RZU-Gebiets – erlaubten ihnen, die Charakteristika der Räume der Alltagserholung klar zu umreissen. Eine vierköpfige Begleitgruppe unterstützte das Fortschreiten des Projekts, und zwei praxisnahe Akteure – der Architekt und Städtebauer Stefan Kurath und der Landschaftsarchitekt und Stadtplaner Lorenz Eugster – begleiteten die Studie inhaltlich. So skizzierte Eugster Lösungsvorschläge, wie sich potenzielle Erholungsräume mit wenig Eingriffen aufwerten lassen. Zur Steigerung der Attraktivität des Ruinsbergs, einer kleinen Erhöhung zwischen Bassersdorf und Dietlikon, empfahl er lediglich einen markanten Einzelbaum und eine Sitzgelegenheit. Der bescheidene Eingriff genügt, um den Ort einerseits zu einem Orientierungspunkt, andererseits zu einer identitätsprägenden Station innerhalb des Fuss- und Radwegenetzes der Region zu wandeln.

Alltagserholung im Fokus

Nicht nur die Geschäftsstelle der RZU befasst sich zurzeit mit dem Thema Alltagserholung. Die Hochschulen Rapperswil und Luzern schlossen unlängst ein gemeinsames Forschungsprojekt über Erholungsräume im suburbanen Raum ab, und die Geschäftsstelle Regio Appenzell AR – St. Gallen – Bodensee setzt sich mit Räumen zwischen Siedlung und Landschaft auseinander. Der Verein Metropolitanraum Zürich möchte ausserdem das Thema Erholung in der Raumplanung stärken und differenzierter betrachten und gab erste Grundlagenarbeiten zum Thema in Auftrag (vgl. «Weitere Projekte zur Alltagserholung», rechts). Und auch die Veran­stalter des Anfang April eröffneten Gartenjahrs 2016 sind ­davon überzeugt, dass siedlungsnahen Freiräumen ­eine hohe soziale Bedeutung zukommt. Anlässlich der Eröffnung der nationalen Kampagne im vergangenen April skizzierten sie ihre Vision: In ein paar Jahren stehen allen Bewohnern der Schweiz hochwertige ­Freiräume zur Verfügung, sie sind schnell und gut ­erreichbar und tragen zur Qualität der Siedlungsgebiete bei. Darüber hinaus ist ihre Relevanz anerkannt, Weiterentwicklung und Unterhalt sind feste Bestandteile übergeordneter Planungen.

TEC21, Fr., 2016.05.20



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TEC21 2016|21 Landschaft im Dialog

01. September 2008Claudia Moll
db

Badenixen und Zauneidechsen

Während langsam auch in deutschen Städten ein Trend zur Neugestaltung und »Öffnung« von Flussufern zu verzeichnen ist – etwa in Frankfurt, Ingolstadt oder unlängst in Wuppertal –, verdeutlichen mehrere bereits in den vergangenen vier Jahren realisierte Projekte in Zürich den vorbildlichen Umgang der Stadt mit ihren Flussufern. Diese bietet ihren Bewohnern kurzfristige Naherholung direkt am Wohn- oder Arbeitsort – und das auf bemerkenswert einfache und dennoch großzügige Art und Weise.

Während langsam auch in deutschen Städten ein Trend zur Neugestaltung und »Öffnung« von Flussufern zu verzeichnen ist – etwa in Frankfurt, Ingolstadt oder unlängst in Wuppertal –, verdeutlichen mehrere bereits in den vergangenen vier Jahren realisierte Projekte in Zürich den vorbildlichen Umgang der Stadt mit ihren Flussufern. Diese bietet ihren Bewohnern kurzfristige Naherholung direkt am Wohn- oder Arbeitsort – und das auf bemerkenswert einfache und dennoch großzügige Art und Weise.

Sommers wandelt sich Zürich, allseits eher als korrekte Bankenmetropole bekannt, zu einem wahren Badeparadies. Am See und entlang der zwei die Stadt durchfließenden Flüsse Limmat und Sihl laden zehn Badeanstalten und eine Vielzahl öffentlicher Zugänge zu den Gewässern zum Baden mitten in der Stadt ein. Vor allem die Ufer, an denen sich in der Vergangenheit Fabriken und Lagerhallen angesiedelt hatten, haben sich zu begehrten Bade- und Aufenthaltsorten gewandelt. Die konstant gute Wasserqualität hat bestimmt ihren Anteil an der hohen Beliebtheit. Dass immer mehr neue, öffentlich zugängliche Freiräume am Wasser entstanden, ist aber auch mit einem gesellschaftlichen Wertewandel und damit einher gehenden, neuen Ansprüchen an Erholungsgebiete in der Stadt zu begründen.

Bis heute wurden vor allem an der immer schon prominenteren Limmat – Ausfluss des Zürichsees – Projekte realisiert. Planungen und erste neu gebaute Anlagen zur Aufwertung der Ufer der Sihl – der Fluss, der von einem Seitental herkommend in die Limmat mündet – gibt es jedoch auch.

Wiederentdeckung der Flüsse – Wipkingerpark

In den letzten Jahren weihte die Stadt vier größere Projekte ein, die die neue Wertschätzung der Orte am Wasser verdeutlichen. Seinen vierten Sommer erlebt dieses Jahr der Wipkingerpark. Prägendes Element dieses Freiraums an der Limmat ist eine großzügige Treppenanlage zum Fluss. Sie befindet sich anstelle einer ehemaligen Ufermauer. Der heute intensiv genutzte Hauptteil des Parks war früher nicht mehr als ein Grünstreifen entlang dieser Mauer. Im Laufe der Zeit marode geworden, wollte das Tiefbauamt sie zuerst durch ein Low-Budget-Projekt ersetzen: Der Weg sollte verbreitert werden und eine Grünböschung die Mauer ersetzen. Das AWEL (Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft) bewilligte diesen Vorschlag nicht und plädierte für mehr Gestaltung. Drei Büros wurden aufgefordert, eine Projektstudie mit Honorarofferte und Ideenskizzen einzureichen, Sieger waren schließlich die Landschaftsarchitekten asp aus Zürich. Zu ihrer ursprünglichen Planung gesellten sich schon bald die Erneuerung des in die Jahre gekommenen Spielplatzes des angrenzenden Gemeinschaftszentrums, eine bessere Anbindung des Parks an den bestehenden Uferweg und eine Neuorganisation der großen Wiese neben dem Spielplatz. Kernstück blieb aber die großzügige Treppenanlage: Auf 180 Metern Länge führen Stufen direkt ans Wasser. Sandsteinblöcke mit rauen Oberflächen unterbrechen an mehreren Stellen die lang gestreckten, glatten Betonbänder. Neben einer visuellen Auflockerung dienen sie als Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Genauso der vor den Stufen abgeflachte Flussgrund und die partiell aufgeschütteten Buhnen. Die Geröllpackungen unter den hohl aufliegenden Betonstufen werden zudem von den an der Limmat angesiedelten Zauneidechsen bewohnt.

Die langen Betonstufen haben zwar einerseits eine angenehme, unzürcherische Großzügigkeit. Andererseits kann die Treppenanlage gestalterisch aber auch als unsensibel gewertet werden: Das Projekt nimmt wenig Bezug auf den Fluss und seine Strömung, zudem spendet nur ein Baum auf der gesamten Länge Schatten. Dennoch scheint die Treppenanlage dem Bedürfnis vieler zu entsprechen: Kaum wärmen die ersten Sonnenstrahlen die Stufen, sind sie dicht besetzt von Schülern der angrenzenden Berufsschulen, Beschäftigten des neuen Quartiers Limmat-West und Bewohnern der umliegenden, mit Grünflächen eher unterversorgten Stadtteile. Bis spät in die Nacht wird hier der neue Ort am Fluss genossen.

Lettenareal – Bühne und Tribüne

Nicht weit flussaufwärts lockt ein weiterer beliebter Ort die Bevölkerung ans Wasser. Auch hier herrscht im Sommer Hochbetrieb, der »Oberen Letten« ist Zürichs Badeplatz schlechthin und Bühne und Tribüne für das alltägliche Theater. Ohne Tattoo und Piercing fällt man auf. Der ehemals als Bahntrasse genutzte, schmale Streifen entlang dem Wasserwerkkanal, einem Teil der Limmat, hat eine kontrastreiche Geschichte hinter sich: 1990 wurde der Zugverkehr eingestellt, das Gelände blieb sich selbst überlassen. Es wurde zu einem innerstädtischen Ruderalstandort – eine urspünglich vegetationslose Fläche, bei der sich im Laufe der Zeit wieder Pflanzen und Tiere ansiedelten, die sich am stark der Sonne exponierten Standort wohlfühlten. Und nicht nur das: Bald darauf hatte sich hier die offene Drogenszene eingerichtet, das Gelände wurde trotz zentraler Lage von der Bevölkerung gemieden. Nach der polizeilichen Räumung Anfang 1995 sollte es so schnell wie möglich neu genutzt werden. Die Stadt schlug die Fläche der Erweiterung der Badeanstalt am gegenüberliegenden Flussufer zu. Im Sommer desselben Jahres wurden eine Liegewiese, ein Beachvolleyballfeld und ein Holzrost am Wasser eingeweiht. Gerade sein provisorischer Charakter verlieh dem Ort seinen Charme und ließ ihn schnell zum In-Spot der Zürcher Szene werden. Als 2002 der wenige hundert Meter entfernte Lettentunnel aufgefüllt werden und die ehemalige Bahntrasse für den Zeitraum der Bauarbeiten als Baupiste dienen sollte, gab das Anlass zur Neugestaltung – weg vom Provisorium zu einer standhafteren Gestaltung. Das beauftragte Büro Rotzler Krebs Partner entwickelte ein Konzept, das zwei Hauptnutzergruppen gerecht werden musste: Erholungssuchenden und Eidechsen – auf dem Areal hatten sich in der Zwischenzeit so viele bedrohte Pflanzen- und Tierarten angesiedelt, dass es als kommunales Naturschutzgebiet gilt.

Der östliche Teil des Geländes blieb weiterhin Pflanzen und Tieren vorbehalten. Mit Bahnschotter bedeckt, führt er bis zum zugemauerten Tunnel und ist idealer Lebensraum für die wärmeliebenden und geschützten Zaun- und Mauereidechsen – Barfüssige betreten diesen Abschnitt lieber nicht. Sie nutzen den westlich davon gelegenen Hauptteil mit Liegewiese, Sandflächen, Beachvolleyballfeldern und einem heute für Skater gestalteten Asphaltplatz. Zum etwas tiefer liegenden Uferweg führen Betonstufen, unterbrochen von teils neu gesetzten, teils spontan gewachsenen Bäumen. In einer Reihe fest installierter Container befinden sich während des Sommers eine Bar und ein Restaurant, dessen Außensitzplatz auf dem Dach der Container man über eine breite, hölzerne Freitreppe erreicht.

Obwohl der Holzrost nochmals um 16 Meter verlängert wurde und ein großzügiges Angebot an Liegeflächen besteht, findet man an einem schönen Tag nur schwer ein Plätzchen für sein Handtuch. Die Neugestaltung hat der Beliebtheit des Ortes keinen Abbruch getan. Die neuen Elemente ergänzen die bestehenden wie selbstverständlich. Keine gestalterischen Spielereien, sondern das Potenzial des Ortes – das kühle, stark strömende Wasser des Kanals – steht nach wie vor im Vordergrund.

»Kulturufer« Gessnerallee

Im Sommer 2005 konnte eine weitere Treppenanlage am Wasser der Sihl von der Bevölkerung in Beschlag genommen werden. Sie ist Teil der Außenräume der »Kulturinsel Gessnerallee«. In einer ehemaligen Militärreithalle und ihren Nebengebäuden hat sich seit den siebziger Jahren ein reges kulturelles Leben etabliert: ein Theaterhaus mit Restaurant und Bar auf der einen Seite der Straße, Schauspielakademie und Jugendtheater auf der anderen. Der Komplex liegt an der Spitze der Halbinsel, die Sihl und Schanzengraben bilden, längs geteilt durch die stark befahrene Gessnerallee. Durch den Entschluss der Stadt, unter dem Straßenraum eine Tiefgarage zu bauen, konnten zwei Parkdecks aufgehoben werden, die seit den fünfziger Jahren über den Flussraum kragten. Der Bau der Tiefgarage gab zudem Anlass, die Freiräume an der Oberfläche neu zu gestalten. Auch dieses Projekt planten die Landschaftsarchitekten von Rotzler Krebs Partner, die bereits an der Erstellung des Leitbilds Sihls (siehe nächste Seite) beteiligt waren. Mit einem durchgehenden Materialkonzept vereinheitlichten sie die einzelnen, kleinteiligen Außenräume. Die Stufen zum Wasser und neue Ufermauern bestehen aus grauem Sandstein, derzeit noch kleine Weiden nehmen Bezug zum Standort am Fluss und spenden künftig Schatten. Bis diese Treppenanlage zu einem angenehmen Aufenthaltsort wird, müssen die Bäumchen allerdings noch kräftig wachsen. Zurzeit sind die Stufen der Sonne und den Immissionen der viel befahrenen, angrenzenden Straßen stark ausgesetzt und werden erst zögerlich genutzt. Zudem hat die Sihl ein natürlicheres Geschiebe als die Limmat, was nach Regenfällen braunes Wasser bedeutet. Schwimmer vermochte der Ort noch nicht anzulocken, er wird bislang vor allem von den Schülern der Schauspielakademie während ihrer Mittagspause genutzt.

Schräg gegenüber, auf dem Areal, das heute noch von der Zürcher Hauptpost besetzt ist, soll ab 2010 das Quartier »Stadtraum HB« (Hauptbahnhof) entstehen. Den Wettbewerb für die Außenräume konnten auch Rotzler Krebs Partner für sich entscheiden. Ihren Plänen zufolge wird sich der Neue Bahnhofplatz an seinem flussseitigen Ende mit einer Treppenanlage bis an die Sihl schieben.

Historische Atmosphäre – Fabrik am Wasser

Auf halbem Weg zwischen Wipkingerpark und der nicht weit flussabwärts gelegenen Badeanstalt auf der Werdinsel gibt es seit 2007 eine weitere Bereicherung des Fußweges entlang der Limmat: der Außenraum der Ende 19. Jahrhunderts erbauten Fabrik am Wasser. Das Hauptgebäude der ehemaligen Seidenstoffweberei nutzt heute eine bunte Mischung von Handwerkern und Kreativen als Arbeitsort. Am Platz der 1992 abgebrannten Shedhalle entstand eine Grundschule und unmittelbar daran angrenzend neue Wohngebäude.
Zwischen Gebäudekomplex und Fluss befand sich früher der Fabrikkanal, das darin fließende Wasser formten die Landschaftsarchitekten Schweingruber Zulauf – sie gewannen bereits 1994 den nach dem Brand der Halle ausgelobten Wettbewerb – nach: Rasen-, Kies- und Betonbänder wechseln sich ab, in ihrer dynamischen Form erinnern sie an sanfte Wellen. Die Ufermauer ließen die Planer teilweise abreißen, hier »strömt« der Kanal in Form eines kleinen steinigen Strands in den Fluss. Eine partielle Tieferlegung des Uferwegs ermöglichte diese grundsätzliche Änderung des Außenraums. Das kurze »Strandstück« ist dank des direkten Zugangs zum Wasser eine willkommene Abwechslung am Uferweg, der ansonsten immer über dem Wasserspiegel des Flusses liegt. Die der Flussströmung angepasste Steingröße des Strands eignet sich zwar nicht zum In-der-Sonne-räkeln, Sand wäre hier aber im Nu weggespült.

Limmataufwärts, auf der anderen Seite des an das Haupthaus angebauten Turbinengebäudes, setzt sich das Band des ehemaligen Kanals fort. Hier in Form einer Kiesfläche, die dem Restaurant innerhalb des historischen Baus als Außensitzplatz dient. Ein Spielplatz schließt die lang gestreckte Form ab.

Eschen und Erlen stehen locker gestreut auf dem neu gestalteten Grünstreifen. Ob Passanten und Anwohner den nachgeformten Fabrikkanal als solchen erkennen, ist fraglich. Mithilfe des Bandes konnten die Planer aber der Fülle geforderter Nutzungsarten, klar zoniert, gerecht werden. Zudem bleibt die Geschichte des Ortes – wenn auch nur für Eingeweihte – ablesbar.

Eigenverantwortung statt Vorschriften

Allen Projekten ist eines gemein: Keinerlei Zäune oder Mauern trennen die Anlagen vom Wasser, obwohl die Strömung zeitweise stark und das Baden nicht immer ungefährlich ist. Steigt beispielsweise der Pegel der Limmat an, werden beim Wipkingerpark die untersten Stufen überspült. Die Stadt zeigt sich demgegenüber bemerkenswert offen und setzt auf Eigenverantwortung. Für sie sind die neuen Zugänge zum Fluss – ausgenommen das Lettenareal – offiziell keine Badeplätze. Baden ist zwar nicht verboten, geschieht aber auf eigene Gefahr. Genau diese Haltung ermöglicht die verblüffend großzügigen Lösungen.

All diese Einzelprojekte sind Teil übergeordneter Planungsinstrumente. Für die beiden Flüsse sind dies das Leitbild Sihlraum, seit 2003 in Kraft, und das Leitbild Limmatraum, das 2001 veröffentlicht wurde. Ziel dieser Leitbilder und des heutigen Umgangs mit den Flussufern ist es, einerseits den vorhandenen Erholungsraum aufzuwerten, neuen zu schaffen sowie Fahrrad- und Fußwegverbindungen zu verbessern. Gleichzeitig soll sich der ökologische Wert der Ufer erhöhen.

Die Leitbilder definieren auch für die Zukunft Visionen zur Aufwertung der Uferstreifen: Weitere, vor allem stadtauswärts gelegene Abschnitte sollen sich auch künftig zu attraktiven Naherholungsgebieten wandeln, ohne die Bedürfnisse von Pflanzen und Tiere außer Acht zu lassen.

db, Mo., 2008.09.01



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db 2008|09 Draußen

17. März 2008Claudia Moll
TEC21

Pflanzen in Gesellschaft

Mit abwechslungsreichen Pflanzungen öffentliche Flächen in der Stadt bereichern – dies wollten die Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau in Wädenswil1 und entwickelten zu diesem Zweck integrierte Pflanzsysteme. Dafür verleiht ihnen der Schweizer Heimatschutz dieses Jahr den Schult hess- Gartenpreis.

Mit abwechslungsreichen Pflanzungen öffentliche Flächen in der Stadt bereichern – dies wollten die Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau in Wädenswil1 und entwickelten zu diesem Zweck integrierte Pflanzsysteme. Dafür verleiht ihnen der Schweizer Heimatschutz dieses Jahr den Schult hess- Gartenpreis.

Sie sind schön anzuschauen, machen aber auch viel Arbeit: öffentliche Pflanzfl ächen mit so genanntem Sommerfl or, akkurat gepflanzt, streng gepflegt und jährlich mehrfach erneuert. Wegen der hohen Pflegekosten sind die bunten Schmuckrabatten jedoch in Gefahr, aus dem Stadtbild zu verschwinden – ersetzt durch Kleingehölze, die jahrein, jahraus mehr oder weniger gleich aussehen. Gegen das «Einheitsgrün» im öffentlichen Raum entwickelten Forscherinnen und Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil Stauden-Mischpflanzungen, so genannte integrierte Pflanzsysteme.

Grundlagenforschung

Integrierte Pflanzensysteme basieren auf den Erkenntnissen der Pflanzensoziologie, eines Fachgebiets der Geobotanik. Laut dieser Theorie leben Pflanzen nicht isoliert, sondern bilden von Standort und klimatischen Bedingungen abhängige Gruppen, sprich Gesellschaften. In diesem Verbund bilden die Pflanzen ein wechselseitiges Wirkungsgefüge, das im Laufe der Zeit stabil ist. Dies ist auch bei den integrierten Pflanzsystemen – eigentliche künstlich geschaffene Pflanzengesellschaften – der Fall. Praktisch umgesetzt werden sie folgendermassen: Gärtner pflanzen auf Freifl ächen von mindestens 30 Quadratmetern eine Mischung aus Stauden, Gräsern und Zwiebelgewächsen, durchsetzt von eingesäten ein- bis zweijährigen Krautpflanzen. Letztere wachsen schnell und decken die Fläche bereits im Sommer nach der Einsaat ab, sodass nicht erwünschtes Unkraut geringe Chancen hat, zu wachsen. Die sich langsamer entwickelnden Stauden – mehrjährige nicht verholzende Pflanzen mit Blütenschmuck – dehnen sich dann aus, wenn die Krautpflanzen sich bereits reduzieren oder weiter wandern, das heisst, in der zweiten oder dritten Vegetationsperiode. Die ausgewählten Stauden blühen vom Frühsommer bis im Herbst, die dazwischen eingebrachten Zwiebelpflanzen setzen schon im Frühjahr leuchtende Akzente.

«Silbersommer»

Das Bild von Pflanzungen mit integrierten Pflanzsystemen verändert sich von Jahr zu Jahr. Im ersten dominieren die eingesäten Arten, im Laufe der Zeit nehmen die Stauden Überhand. Je nach Standortbestimmungen und Pflegeeingriffen entwickeln sich die einen mehr als die anderen. Auf Basis derselben Initialpflanzung entstehen immer wieder andere Bilder. Diese Dynamik der Pflanzen fasziniert Jean Bernard Bächtiger, der mit seiner Crew die Pflanzenmischungen entwickelte, und ist für die Forschergruppe Antrieb für ihre Arbeit. Erste Schritte in der angewandten Forschung zu integrierten Pflanzsystemen machte die Hochschule Wädenswil in Zusammenarbeit mit deutschen Fachhochschulen; zu diesem Zweck entstand der Arbeitskreis Pflanzenverwendung. Im Frühjahr 1999 konnte die aus dieser Zusammenarbeit entstandene Mischung aus Stauden und Zwiebelpflanzen, «Silbersommer » (Bild 1), auf Versuchsfl ächen in acht Städten der Schweiz ausgebracht werden. Die begonnenen Studien setzte die Hochschule Wädenswil im Rahmen eines neuen Forschungsprojektes fort. Nun entwickelten die Forscher integrierte Pflanzungen, bei denen zusätzlich zu Stauden- und Zwiebelpflanzen Krautpflanzen eingesät werden.

«Sommernachtstraum»

2001 hatte Bächtiger zusammen mit Mirjam Bucher und Martina Föhn sechs verschiedene integrierte Pflanzsysteme zusammengestellt. Auf Versuchsfl ächen an der Hochschule Wädenswil und an 13 weiteren Standorten in mehreren Schweizer Städten wurden die Mischungen angepflanzt. Sie konnten so unter unterschiedlichen klimatischen und edaphischen (den Boden betreffenden) Bedingungen auf ihre Tauglichkeit getestet werden. Die damit betrauten Gartenbaubetriebe bewerteten die Pflanzfl ächen mittels eines Fragebogens. Am besten schnitt die Mischung «Sommernachtstraum» ab. Bei dieser Mischung kombinierten die Fachleute aus Wädenswil dunkellaubige Stauden mit fi ligranen Gräsern. Die ausgewählten Pflanzen blühen von Mai bis Oktober in blauen, violetten und weissen Tönen, die Zwiebelpflanzen bereits ab Februar, ebenfalls in unterschiedlich abgestuften Blautönen. Schon in der ersten Vegetationsperiode wiesen die Pflanzfl ächen dieser Zusammensetzung einen hohen Deckungsgrad auf, zudem bewerteten sie die Gärtner in allen Jahreszeiten als attraktiv. Seit 2005 kann der «Sommernachtstraum» bei den Partnern des Stauden Ring – ein Zusammenschluss von Staudenproduzenten im deutschsprachigen Raum – von Garten- und Landschaftsbauern per Quadratmeter bestellt werden.

Neue Aufgaben

Zurzeit beschäftigen sich die Spezialistinnen Doris Tausendpfund und Martina Föhn in Wädenswil mit einem Pflanzenmix für Flächen im «trockenen Schatten», also beispielsweise unter dichten Baumkronen, wo Licht, Wasser und Nährstoffe ein rares Gut sind. Im Frühjahr 2006 startete die Hochschule in Wädenswil mit den Gartenbauämtern von Chur, Luzern, St. Gallen und Zürich eine Zusammenarbeit, um diese oftmals stiefmütterlich behandelten Flächen aufzuwerten. Getestet wird, welche Pflanzen in welcher Zusammensetzung den nicht optimalen Standortbestimmungen standhalten können und die Flächen zudem ansprechend erscheinen lassen. Aussagen zu diesen Pflanzsystemen lassen sich noch keine machen. Die auch bei diesen Mischungen eingebrachten Zwiebelpflanzen erfreuten jedoch bereits Anwohner und Passanten. Die Entwicklung der «Robinsonschen Blumenwiese » ist ein weiteres Projekt, mit dem sich das Zentrum Urbaner Gartenbau seit 2004 auseinandersetzt. Hier greifen sie die Idee des irischen Gärtners William Robinson (1838– 1935) auf, der Blütenpflanzen in Wiesen pflanzte. So sollen Stauden und Zwiebelpflanzen künftig monoton wirkende Rasenfl ächen durchsetzen, ihre Attraktivität steigern – mit einem geringeren Pflegeaufwand als für die Rasenpflege.

Neue Kompetenzen

Das für die öffentliche Hand überzeugendste Argument, diese Pflanzsysteme anzuwenden, ist denn auch der deutlich reduzierte Pflegeaufwand: Nur noch 12 Minuten müssen pro Jahr und Quadratmeter für den Unterhalt aufgewendet werden; bei Mosaikpflanzungen eines klassischen Staudengartens rechnet man für dieselbe Fläche mit dem Fünffachen an Zeit. Die Unterhaltsarbeiten der in Wädenswil erforschten Pflanzenmischungen sind auf ein Minimum reduziert: Bewässern muss man nur während der Anwachsphase oder einer ausserordentlichen Trockenperiode. Im November werden die Stauden, mancherorts sogar maschinell, eine Handbreit über dem Boden abgeschnitten, und da die gewählten Stauden allesamt winterhart sind, entfällt auch ein Winterschutz. Im ersten Wachstumsjahr der Pflanzung ist aber vor allem im Frühjahr eine aufmerksame Pflegeleistung gefragt. Dann gilt es nämlich, die nicht gewollten spriessenden Blättchen des Unkrauts von denen zu unterscheiden, die sich weiterentwickeln sollen. Damit die Pflegefachleute hierfür den richtigen Blick gewinnen, bietet die Hochschule in Wädenswil Weiterbildungskurse an. Sie sind in gewisser Weise Teil des Pakets, für das sich Auftraggeber entscheiden. Denn: «Die gärtnerische Arbeit ist eine andere», meint Jean-Bernard Bächtiger. «Es geht nicht mehr nur um Sauberkeit in der Pflanzfl äche – die Gärtner müssen die einzelnen Pflanzen und ihr Wuchsverhalten kennen.» Die Gärtner entwickeln ihrerseits eine Eigenverantwortung für «ihre» Pflanzen, und das sieht man den Rabatten auch an. «Der Gärtner moderiert die Pflanzungen, er wehrt nicht mehr nur Veränderungen ab», so Bächtiger. Dadurch werden diePflegepersonen zu Fachleuten und auch als solche wahrgenommen: Passanten stellen ihnen immer wieder Fragen zu den einzelnen Pflanzenarten, klagen ihr Leid, wenn die Topfpflanze in der Stube serbelt, und holen sich Rat für den eigenen Garten.

Blumenwiese statt Rasen

Die Jahreszeiten in der Stadt erfahrbar zu machen und der Stadtbevölkerung einen direkten Kontakt zu Pflanzen zu ermöglichen ist für Bächtiger das Ziel hinter der Entwicklung der integrierten Pflanzsysteme, das Geldeinsparen ein willkommener Nebeneffekt. Ein Schlüsselerlebnis war für ihn ein Kurs, den er in einem Primarschulhaus in Thalwil gab. Kinder, dazu befragt, was für sie Natur sei, nannten unter anderem den Rasen2 – eine botanisch und ökologisch verarmte Wuchsform. Bächtiger ist davon überzeugt, dass das Potenzial von Grünfl ächen im urbanen Raum bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist, und möchte das Bild einer Blumenwiese wieder in das Bewusstsein der Menschen bringen.

[ Claudia Moll, Landschaftsarchitektin BSLA, Institut für Landschaftsarchitektur ETHZ ]

TEC21, Mo., 2008.03.17



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10. März 2006Claudia Moll
TEC21

Das geheimnisvolle Tal

Der diesjährige Schulthess-Gartenpreis geht an die Stiftung Ermitage Arlesheim und Schloss Birseck. Der Schweizer Heimatschutz zeichnet damit das Engagement der Stiftung aus, die sich für den Erhalt des grössten sentimentalen Landschaftsgartens der Schweiz einsetzt.

Der diesjährige Schulthess-Gartenpreis geht an die Stiftung Ermitage Arlesheim und Schloss Birseck. Der Schweizer Heimatschutz zeichnet damit das Engagement der Stiftung aus, die sich für den Erhalt des grössten sentimentalen Landschaftsgartens der Schweiz einsetzt.

In einem schattigen Tal östlich des historischen Ortskerns von Arlesheim liegt eine der bedeutendsten Gartenanlagen der Schweiz: die Ende des 18. Jahrhunderts entstandene Ermitage.
Der landschaftliche Stil des Parks hatte als Gegenströmung zu den streng gestalteten Barockgärten in den 1770er-Jahren in Europa Einzug gehalten. Neu stand die wilde, ungezähmte Natur als Schönheitsideal im Mittelpunkt. Die Landschaft selbst wurde als Garten begriffen und mit wenigen Eingriffen zu diesem gewandelt. So auch bei der Ermitage in Arlesheim.

Früher Erlebnispark

Das über dem Tal thronende Schloss Birseck, die im Talgrund stehenden Gebäude, der von Grotten und bizarren Felsformationen durchsetzte Schlosshügel boten die optimalen Voraussetzungen für die Anlage eines romantischen Gartens. Die beiden Urheber, die Baronin Balbina von Andlau-von Staal und ihr Vetter Domherr Heinrich von Ligertz, erkannten die Reize des Waldtales und wandelten es in einen romantischen Park. Haupteingriff war die Anlage eines labyrinthischen Wegnetzes, das die Besucher zu Aussichtspunkten führte, von denen aus die Blicke gezielt auf die Schönheiten der Umgebung gerichtet wurden: die weite Birsebene, die im Talgrund gelegenen Fischweiher, die zum Anwesen gehörenden Ökonomiegebäude oder die Domkirche von Arlesheim. Zudem führten die Wege die Besucher zu Gartenszenen, die sie mit Attraktionen überraschten oder als Orte der Besinnung zur Naturbetrachtung einluden. So wurden Szenen aus der antiken Mythologie in den bestehenden Höhlen nachgestellt, zum Beispiel in der Dianagrotte oder in der Appollogrotte. Von einem als Holzstoss getarnten Kabinett wurde der Blick des Eintretenden durch ein Fenster auf das Tal und seine drei Weiher gerichtet. Drei Gartenszenen widmeten sich – ganz im Sinne der Zeit – der christlichen Askese: die Grotte des Eremiten, der Eremitengarten und die Eremitenhütte. Diese Einsiedelei gab dem Garten, der anfangs noch «Solitude romantique près d’Arlesheim» hiess, bald seinen noch heute verwendeten Namen: die Ermitage.

Als der Garten 1785 eingeweiht wurde, befanden sich darin 15 dieser Gartenszenen. Die von Beginn an öffentlich zugängliche Anlage wurde schnell berühmt und erfreute sich sogar im Ausland eines grossen Ansehens; Reisende aus ganz Europa besuchten sie und gaben Anregungen zu ihrer Erweiterung und Verbesserung.

Umgestaltung, Zerstörung und Wiederaufbau

So wurde das Programm in den folgenden Jahren laufend verändert und neuen Moden angepasst. 1787 entstand zum Beispiel – sehr wahrscheinlich beeinflusst vom Epos «Die Alpen» von Albrecht von Haller aus dem Jahr 17291 – das Chalet des Alpes, eine rustikale Sennhütte, in der sich ein Konzert- und Speisesaal befand. Der Tod des Zürcher Idyllendichters Salomon Gessner gab 1888 den Ausschlag zur Umgestaltung der Grotte des Eremiten zur Gessnergrotte.

1793 wurde der Besucherstrom vorübergehend jäh unterbrochen: Im Zuge der Französischen Revolution zerstörten Franzosen und Einheimische die Anlage komplett und setzten die Ermitage und das Schloss in Brand. Balbina von Andlau kehrte danach nicht mehr in ihren Garten zurück und starb 1798 im Exil. Ihr Sohn, Conrad von Andlau, erwarb 1808 den Hof, den Burghügel und die Ruine des Schlosses Birseck. Zusammen mit dem schon alten Heinrich von Ligertz baute er die Ermitage wieder auf. Sie stellten einige der Gartenszenen wieder so her, wie sie ursprünglich waren; neue kamen hinzu, so zum Beispiel die Sophienruhe, ein Aussichtskabinett am mittleren Weiher. Als wichtigste Änderung integrierte Conrad von Andlau die Schlossruine in den Garten: Ein neu gebauter Rittersaal und die bestehende Kapelle wurden in neugotischem Stil ausgemalt und brachten als neues Thema das Mittelalter in die Gartenanlage.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts blieb die Ermitage im Besitz der Familie Andlau. Danach kaufte die Industriellenfamilie Alioth das Anwesen und bewohnte es bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Julius Achilles Alioth gestaltete die Anlage ebenfalls in einigen Bereichen nach seinem Geschmack weiter, er liess zum Beispiel zwischen dem mittleren und dem unteren Weiher eine Kaskade bauen. Zudem liess er als Erster in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts detaillierte Pläne vom Gut und auch von der Ermitage zeichnen. Mitte des 20. Jahrhunderts kam die Ermitage in den Besitz der Familie Iselin. Diesen Besitzern ist es zu verdanken, dass der gesamte Bereich – die Ermitage und die daran angrenzenden Baumgärten, Wiesen, Waldflächen und ein Rebhügel – dem wachsenden Bebauungsdruck ab Mitte des 20. Jahrhunderts standhalten konnte und frei blieb. So ist das ganze Ensemble mit der Ermitage als Kern bis heute als Einheit erlebbar.

Ort der Stille

Seit 1997 gehören Garten und Schloss Birseck der Stiftung Schloss Birseck und Ermitage Arlesheim. Zum Stiftungsrat gehören Vertreter des Kantons Baselland und der Gemeinde Arlesheim sowie Nachkommen der Familie Iselin. Die Stiftung setzt sich dafür ein, dass das wichtige geschichtliche Erbe auch heute noch weiterbestehen kann. Als ersten Schritt veranlasste sie, dass Parkanlage und Schlossruine 1999 unter Denkmalschutz gestellt wurden.

Die kosten- und pflegeintensiven Unterhaltsarbeiten wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte immer weiter reduziert. Heute sind grosse Teile der ursprünglich offenen Wiesenflächen verwaldet, wichtige Sichtachsen zugewachsen und die Gartenszenen teilweise verschwunden. Ein 1992 erstelltes Konzept zur Parkpflege und ein daraus resultierender Massnahmenkatalog von 2002 dienen seit der Unterschutzstellung als Leitfaden für Pflegemassnahmen, die von der Gemeinde Arlesheim ausgeführt werden. 2003 gab der Kanton Baselland ein Nutzungskonzept in Auftrag, das als Leitlinie für künftige Nutzungen gelten soll. Das Resultat dieser Arbeit kann in einem Satz zusammengefasst werden: Die Ermitage ist «ein Ort der Stille und Abgeschiedenheit». Dieser Leitgedanke wurde von allen beteiligten Partnern als verbindlicher Grundsatz verabschiedet. Konkret heisst das: Die Anlage ist zwar nach wie vor öffentlich zugänglich, es sollen aber keinerlei wirtschaftliche Nutzungen, wie zum Beispiel ein Wirtsbetrieb in einem der Waldhäuser, dazukommen. Die Ermitage soll weiterhin ein ruhiger, beschaulicher Ort bleiben, der vor allem von Spaziergängern genutzt wird.

Parkpflegewerk

Im Zusammenhang mit der Unterschutzstellung und der weiteren Mittelbeschaffung für die Unterhalts- und Pflegearbeiten forderte die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (EKD) ein umfassendes Parkpflegewerk. Seit April letzten Jahres ist das Wettinger Büro SKK Landschaftsarchitekten AG damit beauftragt. Das Parkpflegewerk wertet zum ersten Mal alle bislang entdeckten historischen Grundlagen aus: Gästebücher, Reisebeschreibungen, Stiche, Aquarelle und Pläne. Zudem orientieren sich die Landschaftsarchitekten an einer Bestandesaufnahme aller Elemente, die ein Ingenieurbüro im Auftrag der Denkmalpflege 2005 angefertigt hat, sowie an vegetationskundlichen Untersuchungen. Diese Fülle an Grundlagenmaterial zeichnet ein präzises Bild der Anlage und bildet die Grundlage für ein Leitkonzept und Massnahmenpläne.

Laut der mit der Arbeit beauftragten Landschaftsarchitektin Petra Schröder ist es wichtig, die Entwicklungsgeschichte der Anlage in ihrer ganzen Spannweite zu erforschen. Bislang wurden vor allem die beiden ersten Epochen der Entstehungsgeschichte – die Zeitspanne zwischen der Einweihung 1785 und 1792 und der Wiederaufbau ab 1812 – analysiert. Die späteren Besitzer beeinflussten die Anlage aber auch, genauso wie die heutigen neuen Nutzungsanforderungen oder die aktuelle Pflegesituation an ihr ablesbar sind. Dem zeitgenössischen Ansatz einer aufgeklärten Denkmalpflege folgend ist die Mehrschichtigkeit des Parks genauso schützens- und beachtenswert wie die ursprüngliche Anlage an sich. Ziel des Parkpflegewerkes soll laut Schröder auf keinen Fall die Rekonstruktion der ersten Epoche sein, vielmehr eine Darstellung des Wandels, den die einzelnen Orte im Laufe der Jahrzehnte erlebt haben. Vor allem sollen in Zukunft die unterschiedlichen Raumerlebnisse – enge und weite Situationen, bewachsene und freie Flächen sowie die Blickachsen – wieder erfahrbar werden. So ist auf den unter Alioth erstellten Plänen erkennbar, dass die Bewaldung ehemals offener Bereiche stark zugenommen hat – zum Beispiel bei der offenen Wiese, auf der früher das Chalet des Alpes stand. Heute unterliegt diese Fläche dem Waldgesetz. Es gilt nun nach Wegen zu suchen, um damit einen Umgang zu finden.

Die Bestandesaufnahme und die Analyse der Grundlagen sind weitgehend abgeschlossen. Im Moment werden das Leitkonzept und Massnahmenpläne erarbeitet. Diesen April soll das Parkpflegewerk als Entwurf der Stiftung vorgelegt werden. Die Stiftung will dann die darin enthaltenen Empfehlungen etappenweise umsetzen.

TEC21, Fr., 2006.03.10



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05. Dezember 2016Claudia Moll
anthos

Die Kunst- und Handelsgärtner Froebel

Zur potenten Gesellschaftsschicht angestiegen, demonstrierte das Bürgertum des 19. Jahrhunderts seinen Reichtum mit prächtigen Gärten. Für deren Realisierung waren sogenannte Kunstgärtner verantwortlich, die in ihrem Werk praktisches und theoretisches Wissen vereinten.

Zur potenten Gesellschaftsschicht angestiegen, demonstrierte das Bürgertum des 19. Jahrhunderts seinen Reichtum mit prächtigen Gärten. Für deren Realisierung waren sogenannte Kunstgärtner verantwortlich, die in ihrem Werk praktisches und theoretisches Wissen vereinten.

Im 19. Jahrhundert erlebte die demokratisch regierte Eidgenossenschaft eine gartenkulturelle Blüte. Vor allem ab 1850 entstanden erste öffentliche ­Anlagen und eine Vielzahl privater Gärten. Für letztere waren die Vertreter des aufstrebenden Bürgertums verantwortlich. Sie manifestierten ihren Reichtum nicht nur mit dem Bau herrschaftlicher Villen, ­sondern auch mit prächtigen Gärten, die im Stil des spätklassizistischen oder historistischen Landschaftsgartens entstanden. Hier nahmen Pflanzen – vor allem auch exotische – eine bedeutende Rolle ein. Im Vordergrund stand neben der damit zu erzielenden Raumbildung eine möglichst grosse Vielfalt an Arten und Sorten: Pflanzen galten als Statussymbole und der Austausch botanischen Wissens zählte zum guten Ton.

Neues Berufsfeld

Für die Gestaltung ihrer Gärten zogen die Bauherren sogenannte «Kunstgärtner» hinzu. Diese waren keine ausgesprochenen Gestalter, sondern verbanden geschickt Wissen und Können aus unterschiedlichen Disziplinen. Meist stand eine Gärtnerlehre am Anfang ihres Werdegangs, die sie autodidaktisch in Richtung Botanik und Planung vervollständigten. Um die gewünschten Pflanzen liefern zu können, betrieben sie darüber hinaus meist eine eigene Handelsgärtnerei, besassen eine Baumschule und/oder Gewächshäuser und unterhielten Handelsbeziehungen weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Akklimatisierung und züchterische Weiterentwicklung einzelner Sorten festigte das Sortiment, das von der zierlichen Alpenpflanze über die kostbare Orchidee bis hin zum Urweltmammutbaum reichte.

Die Kunst- und Handelsgärtner Froebel

Theodor (1810–1893) und Otto Froebel (1844–1906) führten Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur die ­bedeutendste Handelsgärtnerei der Deutschschweiz, sondern waren auch für die Realisation einer Vielzahl von Gärten in und um Zürich verantwortlich. Der aus Thüringen stammende Theodor Froebel kam nach praktisch ausgerichteten Ausbildungsjahren 1834 nach Zürich. Hier beteiligte er sich als erster Universitätsgärtner massgeblich an Planung und Bau des neuen Botanischen Gartens. Bereits 1835 machte er sich selbstständig, gab wenige Jahre später die Stelle an der Universität auf und konzentrierte sich fortan auf zwei Bereiche: Einerseits zogen ihn öffentliche und private Auftraggeber für Planung und Bau von Grünanlagen und Gärten hinzu, andererseits baute er eine Handelsgärtnerei mit Baumschule und Gewächshäusern auf. Sein Sohn Otto absolvierte die Ausbildung im väterlichen Geschäft und in renommierten Betrieben im europäischen Ausland. Nach dem Eintritt in das Familienunternehmen 1865 wuchsen das Pflanzensortiment und die Anzahl der vom «gartentechnischen Bureau» geplanten und realisierten Gärten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Kunst- und Handelsgärtnerei Froebel die bedeutendste des Landes und über dessen Grenzen hinaus bekannt.

Sichtbare Zeitzeugen

Bis heute sind die Spuren der Kunstgärtner erkennbar: Die prächtigen Villengärten mit ihren zu eindrücklichen Solitären herangewachsenen Gehölzen prägen das Bild von Zürich genauso wie die mit dem Zutun der Kunstgärtner entstandenen öffentlichen Anlagen. Darüber hinaus trugen die Vorfahren des heutigen Landschaftsarchitekten zur Entwicklung der Profession in der Schweiz bei. Aus den Wurzeln, die das Kunstgärtnertum für die Landschaftsarchitektur bedeutet, sind selbstbewusste Planer und Gestalter erwachsen, und es ist bemerkenswert, dass sie sich im kurzen Zeitraum von lediglich rund hundert Jahren in der Schweiz so breit etablieren konnten.

anthos, Mo., 2016.12.05



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20. Mai 2016Claudia Moll
TEC21

Erholung vor der Haustür

Es muss nicht immer das grosse Spektakel sein: Oft sind es unscheinbare Flecken und Orte, die eine Auszeit im gehetzten Leben der Metropolitan­region Zürich erlauben. Doch häufig wird das Potenzial der Landschaft in nächster Umgebung nicht erkannt. Ein Projekt der Regionalplanung Zürich und Umgebung (RZU) will die Augen dafür öffnen.

Es muss nicht immer das grosse Spektakel sein: Oft sind es unscheinbare Flecken und Orte, die eine Auszeit im gehetzten Leben der Metropolitan­region Zürich erlauben. Doch häufig wird das Potenzial der Landschaft in nächster Umgebung nicht erkannt. Ein Projekt der Regionalplanung Zürich und Umgebung (RZU) will die Augen dafür öffnen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierten sich in den grösseren Schweizer Städten eine ganze Reihe sogenannter «Verschönerungsvereine». Ihren Mitgliedern – zu einem grossen Teil waren es Laien, die sich selbst als «Naturfreunde» bezeichneten – lag die tägliche Erholung der stetig wachsenden Stadtbevölkerung am Herzen. Unter der Leitung von Gartenbauinspektoren, Forstingenieuren, Professoren oder Lehrern werteten sie die an das Siedlungsgebiet angrenzenden Wald- und Wiesenpartien auf: Sie liessen Wege anlegen und Sitzbänke, Denkmäler oder Gedenksteine aufstellen, inszenierten Aussichtspunkte und bauten Brücken über Wasserläufe oder Wege entlang von Teichen und Seen.

Auch wenn die Vereine teilweise bis heute bestehen, traten die ästhetischen Aspekte, die in ihrer Arbeit eine wichtige Rolle spielten, im Lauf der Zeit in den Hintergrund. Der gesamthafte Blick löste sich auf, und Einzelaufgaben wie der Bau und Erhalt von Wegen und Infrastrukturanlagen rückten ins Zentrum ­ihrer Bestrebungen. Schliesslich verlor die unmittelbare ­Siedlungsumgebung selbst als Erholungsziel an Be­deutung. Der Aufschwung der Nachkriegsjahrzehnte bescherte jedem Haushalt mindestens ein Auto, so­dass der Besuch ­weiter entfernt gelegener Ausflugs­ziele möglich wurde. Die zuvor ästhetisch betrachtete Landschaft wandelte sich zum Verkehrsträger, die rasante bauliche Entwicklung und eine Intensivierung der Landwirtschaft setzten die siedlungsnahen Erholungsräume gleichermassen unter Druck.

Heute, rund eineinhalb Jahrhunderte nach der Gründung der ersten Verschönerungsvereine, kommt den Freiräumen in und am Rand von Siedlungsgebieten wieder eine grössere Bedeutung zu.

Gerade im Zug der baulichen Verdichtung nach innen übernehmen sie wichtige Funktionen. Sie sind sozialer Treffpunkt und Aufenthaltsort, ermöglichen eine kurze Auszeit vom Alltag und bieten Raum zum Auftanken. Von ihrem hohen Stellenwert ist auch die Geschäftsstelle der RZU überzeugt. Unter dem Titel «Räume der Alltagserholung» erarbeitete sie 2015 eine Studie und plädierte darin für ihren Erhalt und ihre Weiterentwicklung sowie für eine stärkere Gewichtung des Themas innerhalb der Planung.

Kaum Konzepte zu Freiräumen

Was genau macht diese Räume der Alltagserholung aus? Oft handelt es sich um beiläufig erscheinende, eher kleine Flächen: Eine Sitzbank an einem Aussichtspunkt, ein Weg durch eine ansprechende Topografie, Tisch und Bank unter einer markanten Baumgruppe, ein Denkmal, das an die Geschichte eines Orts erinnert – meist reicht wenig, um Erholungsuchenden eine Auszeit ­vom Alltag zu ermöglichen. Das wichtigste Merkmal der Räume ist ihre Unbestimmtheit: Sie bieten keine Freizeitbeschäftigung an, indem sie ihre Besucher mit einem nutzungsorientierten Angebot vom Alltag ablenken. Vielmehr ermöglichen sie Entspannung, ­ohne Aktionen einzufordern.

Eine gewisse Unbestimmtheit macht also den Wert siedlungsnaher Freiräume aus. Diese kann ihnen aber auch zum Verhängnis werden. Selten im Rahmen einer räumlichen Gesamtstrategie entstanden und deshalb auch nicht in planerischen Regelwerken erfasst, gelten sie kaum als erhaltenswert. Ganz im Gegenteil wird ihre hohe Qualität oft erst dann erkannt, wenn sie bereits verschwunden sind. Ihre fehlende übergeordnete Bedeutung führt ausserdem dazu, dass die Räume in zukunftsorientierten Entwicklungsvorstellungen kaum auftauchen. Obwohl regionale und kantonale Richtpläne das Thema Erholung behandeln, finden sich darin wenig gesamt­räumliche Konzepte zu Freiräumen im siedlungsnahen Umfeld. So widmet der Richtplan des Kantons Zürich dem Thema zwar ein eigenes Kapitel, fokussiert aber lediglich auf eigentliche Hotspots – beispielsweise auf das Zürichseeufer, den Uetliberg oder die landschaftlich ansprechende Tössegg. Die Räume dazwischen bleiben hingegen mehrheitlich unbeachtet. Zudem birgt deren Lage in Landwirtschaftszonen oder in Naturschutz­gebieten oft Poten­zial für Nutzungs­konflikte: Hier gilt Erholung eher als störend denn als bereichernd.

Erholung und Ökologie

Angesichts der ungünstigen planerischen Voraussetzungen entstand eine Vielzahl jener Orte, die heute als wichtige Räume der Alltagserholung gelten, eher aus einem glücklichen Zufall denn aus strategischen Überlegungen heraus. So auch das Naherholungsgebiet Schübelweiher in Küsnacht, dessen ansprechender Rundweg täglich eine Vielzahl von Spaziergängern anzieht. Zu Beginn der über 15 Jahre dauernden Planungsgeschichte stand hier ein ökologisch ausgerichtetes Projekt: Das 1998 erarbeitete Grünkonzept Küsnacht zeigte unter anderem die Entwicklung der kleinen, von Äckern umgebenen Wasserfläche auf. Diese war als überkommunales Schutzobjekt eingestuft, das Land gehörte der Gemeinde, zählte zur Freihaltezone und war an Bauern verpachtet. Zur ökologischen Aufwertung entstand in einem ersten Schritt eine Flachwasserzone am einen Ende des Weihers. Rund zehn Jahre später hatte man sich mit den Landwirten geeinigt: Fortan sollten keine Äcker, sondern artenreiche Magerwiesen die Wasserfläche säumen.

Neben naturschützerischen Überlegungen fanden auch solche zum Erholungswert der Landschaft Eingang. Dies ist der interdisziplinären Zusammensetzung des beauftragten Planungsbüros quadra zu verdanken: Ökologen und Landschaftsarchitekten entwickelten gemeinsam ein Projekt, das, statt lediglich auf ökologische Inhalte abzuzielen, auch die Bedürfnisse der Erholungsuchenden berücksichtigte. Stege verbinden heute einzelne Wegabschnitte zu einem attraktiven Rundweg und führen die Spaziergänger ganz nah an wertvolle Biotope, ohne dass diese beschädigt werden.

So erfreulich das Resultat auch ist – es ist ein planerischer Glücksfall. Solche Räume entstehen nicht von allein, erläutert Gudrun Hoppe: «Es muss das Bewusstsein wachsen, dass man sich um sie kümmern muss», ist die Überzeugung der im Projekt involvierten Landschaftsarchitektin. Ihr Kollege, der Biologe Christian Wiskemann, ist zudem der Meinung, eine Kombination von Aspekten, die auf den ersten Blick nicht vereinbar scheinen, könne durchaus zu einem Mehrwert führen: Eine ökologisch wertvolle Wiese, deren Blumen gepflückt werden dürfen, erhöht in seinen Augen das Verständnis für Biodiversität weit mehr als Faltblätter und Informationskampagnen.

Alltagserholung muss also künftig in der Agenda der Planungsverantwortlichen einen festen Platz haben. Hierbei dürfen unterschiedliche Ansprüche an einen Raum nicht als Gegensätze gelten, sondern können sich ganz im Gegenteil gegenseitig stärken.

Definieren, katalogisieren, entwickeln

Auch in den Augen der Verfasser der RZU-Studie gilt es, «Räume der Alltagserholung» in einem ersten Schritt als eigene Freiraumkategorie zu definieren.

Danach heisst es, sie auf Gemeindeebene zu erfassen und in einem Übersichtsplan festzuhalten. Für eine Bestandsaufnahme schlagen die Experten die Analyse topografischer Karten und Begehungen vor; dabei lassen sich sowohl prägende Raumelemente als auch die atmosphärischen Qualitäten der Orte erfassen. Als dritten Schritt empfehlen sie die Befragung ortskundiger Personen. Gerade bei solchen Gesprächen lässt sich Wissen erschliessen, das mit konventionellen raumplanerischen Methoden nicht greifbar ist, da hier die Geschichte und Nutzung eines Orts und seine Identität in den Fokus der Betrachtung rücken. Die so erfassten Räume werden schliesslich in einer Synthesekarte zusammengefasst und nach Handlungsprio­ritäten kategorisiert.

Nur wenn man die lokalen Gegebenheiten vertieft analysiert, kann man Projekte entwickeln, die gut zum jeweiligen Ort passen, finden die Hauptverant­wortlichen für die Studie, der Geograf Matthias Loepfe und der Forstingenieur und Raumplaner Roger Strebel.

Dennoch wollen sie mit ihren Untersuchungen keine aufwendigen Planungsprozesse anstossen, sondern warnen vielmehr vor einem Zuviel an Gestaltungswillen. Dieser sei zwar gut gemeint, könne der nutzungsoffenen Alltagserholung jedoch widersprechen. Stattdessen empfehlen die Planer ein pragmatisches Vorgehen und wollen in erster Linie grundlegende Kriterien erfüllt sehen: Sind die Freiräume gut aufzufinden und zu erreichen? Kann sich ihr Besucher im Raum orientieren? In welchem Kontext stehen sie zur Siedlung und anderen Nutzungen? Und wie lassen sie sich aufwerten?

Ihre theoretischen Überlegungen haben die Verfasser der Studie mit einer ganzen Reihe von Experten abgeglichen und verfeinert. Gespräche mit Interview­partnern – Vertretern aus Politik und Verwaltung ausgewählter Gemeinden des RZU-Gebiets – erlaubten ihnen, die Charakteristika der Räume der Alltagserholung klar zu umreissen. Eine vierköpfige Begleitgruppe unterstützte das Fortschreiten des Projekts, und zwei praxisnahe Akteure – der Architekt und Städtebauer Stefan Kurath und der Landschaftsarchitekt und Stadtplaner Lorenz Eugster – begleiteten die Studie inhaltlich. So skizzierte Eugster Lösungsvorschläge, wie sich potenzielle Erholungsräume mit wenig Eingriffen aufwerten lassen. Zur Steigerung der Attraktivität des Ruinsbergs, einer kleinen Erhöhung zwischen Bassersdorf und Dietlikon, empfahl er lediglich einen markanten Einzelbaum und eine Sitzgelegenheit. Der bescheidene Eingriff genügt, um den Ort einerseits zu einem Orientierungspunkt, andererseits zu einer identitätsprägenden Station innerhalb des Fuss- und Radwegenetzes der Region zu wandeln.

Alltagserholung im Fokus

Nicht nur die Geschäftsstelle der RZU befasst sich zurzeit mit dem Thema Alltagserholung. Die Hochschulen Rapperswil und Luzern schlossen unlängst ein gemeinsames Forschungsprojekt über Erholungsräume im suburbanen Raum ab, und die Geschäftsstelle Regio Appenzell AR – St. Gallen – Bodensee setzt sich mit Räumen zwischen Siedlung und Landschaft auseinander. Der Verein Metropolitanraum Zürich möchte ausserdem das Thema Erholung in der Raumplanung stärken und differenzierter betrachten und gab erste Grundlagenarbeiten zum Thema in Auftrag (vgl. «Weitere Projekte zur Alltagserholung», rechts). Und auch die Veran­stalter des Anfang April eröffneten Gartenjahrs 2016 sind ­davon überzeugt, dass siedlungsnahen Freiräumen ­eine hohe soziale Bedeutung zukommt. Anlässlich der Eröffnung der nationalen Kampagne im vergangenen April skizzierten sie ihre Vision: In ein paar Jahren stehen allen Bewohnern der Schweiz hochwertige ­Freiräume zur Verfügung, sie sind schnell und gut ­erreichbar und tragen zur Qualität der Siedlungsgebiete bei. Darüber hinaus ist ihre Relevanz anerkannt, Weiterentwicklung und Unterhalt sind feste Bestandteile übergeordneter Planungen.

TEC21, Fr., 2016.05.20



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01. September 2008Claudia Moll
db

Badenixen und Zauneidechsen

Während langsam auch in deutschen Städten ein Trend zur Neugestaltung und »Öffnung« von Flussufern zu verzeichnen ist – etwa in Frankfurt, Ingolstadt oder unlängst in Wuppertal –, verdeutlichen mehrere bereits in den vergangenen vier Jahren realisierte Projekte in Zürich den vorbildlichen Umgang der Stadt mit ihren Flussufern. Diese bietet ihren Bewohnern kurzfristige Naherholung direkt am Wohn- oder Arbeitsort – und das auf bemerkenswert einfache und dennoch großzügige Art und Weise.

Während langsam auch in deutschen Städten ein Trend zur Neugestaltung und »Öffnung« von Flussufern zu verzeichnen ist – etwa in Frankfurt, Ingolstadt oder unlängst in Wuppertal –, verdeutlichen mehrere bereits in den vergangenen vier Jahren realisierte Projekte in Zürich den vorbildlichen Umgang der Stadt mit ihren Flussufern. Diese bietet ihren Bewohnern kurzfristige Naherholung direkt am Wohn- oder Arbeitsort – und das auf bemerkenswert einfache und dennoch großzügige Art und Weise.

Sommers wandelt sich Zürich, allseits eher als korrekte Bankenmetropole bekannt, zu einem wahren Badeparadies. Am See und entlang der zwei die Stadt durchfließenden Flüsse Limmat und Sihl laden zehn Badeanstalten und eine Vielzahl öffentlicher Zugänge zu den Gewässern zum Baden mitten in der Stadt ein. Vor allem die Ufer, an denen sich in der Vergangenheit Fabriken und Lagerhallen angesiedelt hatten, haben sich zu begehrten Bade- und Aufenthaltsorten gewandelt. Die konstant gute Wasserqualität hat bestimmt ihren Anteil an der hohen Beliebtheit. Dass immer mehr neue, öffentlich zugängliche Freiräume am Wasser entstanden, ist aber auch mit einem gesellschaftlichen Wertewandel und damit einher gehenden, neuen Ansprüchen an Erholungsgebiete in der Stadt zu begründen.

Bis heute wurden vor allem an der immer schon prominenteren Limmat – Ausfluss des Zürichsees – Projekte realisiert. Planungen und erste neu gebaute Anlagen zur Aufwertung der Ufer der Sihl – der Fluss, der von einem Seitental herkommend in die Limmat mündet – gibt es jedoch auch.

Wiederentdeckung der Flüsse – Wipkingerpark

In den letzten Jahren weihte die Stadt vier größere Projekte ein, die die neue Wertschätzung der Orte am Wasser verdeutlichen. Seinen vierten Sommer erlebt dieses Jahr der Wipkingerpark. Prägendes Element dieses Freiraums an der Limmat ist eine großzügige Treppenanlage zum Fluss. Sie befindet sich anstelle einer ehemaligen Ufermauer. Der heute intensiv genutzte Hauptteil des Parks war früher nicht mehr als ein Grünstreifen entlang dieser Mauer. Im Laufe der Zeit marode geworden, wollte das Tiefbauamt sie zuerst durch ein Low-Budget-Projekt ersetzen: Der Weg sollte verbreitert werden und eine Grünböschung die Mauer ersetzen. Das AWEL (Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft) bewilligte diesen Vorschlag nicht und plädierte für mehr Gestaltung. Drei Büros wurden aufgefordert, eine Projektstudie mit Honorarofferte und Ideenskizzen einzureichen, Sieger waren schließlich die Landschaftsarchitekten asp aus Zürich. Zu ihrer ursprünglichen Planung gesellten sich schon bald die Erneuerung des in die Jahre gekommenen Spielplatzes des angrenzenden Gemeinschaftszentrums, eine bessere Anbindung des Parks an den bestehenden Uferweg und eine Neuorganisation der großen Wiese neben dem Spielplatz. Kernstück blieb aber die großzügige Treppenanlage: Auf 180 Metern Länge führen Stufen direkt ans Wasser. Sandsteinblöcke mit rauen Oberflächen unterbrechen an mehreren Stellen die lang gestreckten, glatten Betonbänder. Neben einer visuellen Auflockerung dienen sie als Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Genauso der vor den Stufen abgeflachte Flussgrund und die partiell aufgeschütteten Buhnen. Die Geröllpackungen unter den hohl aufliegenden Betonstufen werden zudem von den an der Limmat angesiedelten Zauneidechsen bewohnt.

Die langen Betonstufen haben zwar einerseits eine angenehme, unzürcherische Großzügigkeit. Andererseits kann die Treppenanlage gestalterisch aber auch als unsensibel gewertet werden: Das Projekt nimmt wenig Bezug auf den Fluss und seine Strömung, zudem spendet nur ein Baum auf der gesamten Länge Schatten. Dennoch scheint die Treppenanlage dem Bedürfnis vieler zu entsprechen: Kaum wärmen die ersten Sonnenstrahlen die Stufen, sind sie dicht besetzt von Schülern der angrenzenden Berufsschulen, Beschäftigten des neuen Quartiers Limmat-West und Bewohnern der umliegenden, mit Grünflächen eher unterversorgten Stadtteile. Bis spät in die Nacht wird hier der neue Ort am Fluss genossen.

Lettenareal – Bühne und Tribüne

Nicht weit flussaufwärts lockt ein weiterer beliebter Ort die Bevölkerung ans Wasser. Auch hier herrscht im Sommer Hochbetrieb, der »Oberen Letten« ist Zürichs Badeplatz schlechthin und Bühne und Tribüne für das alltägliche Theater. Ohne Tattoo und Piercing fällt man auf. Der ehemals als Bahntrasse genutzte, schmale Streifen entlang dem Wasserwerkkanal, einem Teil der Limmat, hat eine kontrastreiche Geschichte hinter sich: 1990 wurde der Zugverkehr eingestellt, das Gelände blieb sich selbst überlassen. Es wurde zu einem innerstädtischen Ruderalstandort – eine urspünglich vegetationslose Fläche, bei der sich im Laufe der Zeit wieder Pflanzen und Tiere ansiedelten, die sich am stark der Sonne exponierten Standort wohlfühlten. Und nicht nur das: Bald darauf hatte sich hier die offene Drogenszene eingerichtet, das Gelände wurde trotz zentraler Lage von der Bevölkerung gemieden. Nach der polizeilichen Räumung Anfang 1995 sollte es so schnell wie möglich neu genutzt werden. Die Stadt schlug die Fläche der Erweiterung der Badeanstalt am gegenüberliegenden Flussufer zu. Im Sommer desselben Jahres wurden eine Liegewiese, ein Beachvolleyballfeld und ein Holzrost am Wasser eingeweiht. Gerade sein provisorischer Charakter verlieh dem Ort seinen Charme und ließ ihn schnell zum In-Spot der Zürcher Szene werden. Als 2002 der wenige hundert Meter entfernte Lettentunnel aufgefüllt werden und die ehemalige Bahntrasse für den Zeitraum der Bauarbeiten als Baupiste dienen sollte, gab das Anlass zur Neugestaltung – weg vom Provisorium zu einer standhafteren Gestaltung. Das beauftragte Büro Rotzler Krebs Partner entwickelte ein Konzept, das zwei Hauptnutzergruppen gerecht werden musste: Erholungssuchenden und Eidechsen – auf dem Areal hatten sich in der Zwischenzeit so viele bedrohte Pflanzen- und Tierarten angesiedelt, dass es als kommunales Naturschutzgebiet gilt.

Der östliche Teil des Geländes blieb weiterhin Pflanzen und Tieren vorbehalten. Mit Bahnschotter bedeckt, führt er bis zum zugemauerten Tunnel und ist idealer Lebensraum für die wärmeliebenden und geschützten Zaun- und Mauereidechsen – Barfüssige betreten diesen Abschnitt lieber nicht. Sie nutzen den westlich davon gelegenen Hauptteil mit Liegewiese, Sandflächen, Beachvolleyballfeldern und einem heute für Skater gestalteten Asphaltplatz. Zum etwas tiefer liegenden Uferweg führen Betonstufen, unterbrochen von teils neu gesetzten, teils spontan gewachsenen Bäumen. In einer Reihe fest installierter Container befinden sich während des Sommers eine Bar und ein Restaurant, dessen Außensitzplatz auf dem Dach der Container man über eine breite, hölzerne Freitreppe erreicht.

Obwohl der Holzrost nochmals um 16 Meter verlängert wurde und ein großzügiges Angebot an Liegeflächen besteht, findet man an einem schönen Tag nur schwer ein Plätzchen für sein Handtuch. Die Neugestaltung hat der Beliebtheit des Ortes keinen Abbruch getan. Die neuen Elemente ergänzen die bestehenden wie selbstverständlich. Keine gestalterischen Spielereien, sondern das Potenzial des Ortes – das kühle, stark strömende Wasser des Kanals – steht nach wie vor im Vordergrund.

»Kulturufer« Gessnerallee

Im Sommer 2005 konnte eine weitere Treppenanlage am Wasser der Sihl von der Bevölkerung in Beschlag genommen werden. Sie ist Teil der Außenräume der »Kulturinsel Gessnerallee«. In einer ehemaligen Militärreithalle und ihren Nebengebäuden hat sich seit den siebziger Jahren ein reges kulturelles Leben etabliert: ein Theaterhaus mit Restaurant und Bar auf der einen Seite der Straße, Schauspielakademie und Jugendtheater auf der anderen. Der Komplex liegt an der Spitze der Halbinsel, die Sihl und Schanzengraben bilden, längs geteilt durch die stark befahrene Gessnerallee. Durch den Entschluss der Stadt, unter dem Straßenraum eine Tiefgarage zu bauen, konnten zwei Parkdecks aufgehoben werden, die seit den fünfziger Jahren über den Flussraum kragten. Der Bau der Tiefgarage gab zudem Anlass, die Freiräume an der Oberfläche neu zu gestalten. Auch dieses Projekt planten die Landschaftsarchitekten von Rotzler Krebs Partner, die bereits an der Erstellung des Leitbilds Sihls (siehe nächste Seite) beteiligt waren. Mit einem durchgehenden Materialkonzept vereinheitlichten sie die einzelnen, kleinteiligen Außenräume. Die Stufen zum Wasser und neue Ufermauern bestehen aus grauem Sandstein, derzeit noch kleine Weiden nehmen Bezug zum Standort am Fluss und spenden künftig Schatten. Bis diese Treppenanlage zu einem angenehmen Aufenthaltsort wird, müssen die Bäumchen allerdings noch kräftig wachsen. Zurzeit sind die Stufen der Sonne und den Immissionen der viel befahrenen, angrenzenden Straßen stark ausgesetzt und werden erst zögerlich genutzt. Zudem hat die Sihl ein natürlicheres Geschiebe als die Limmat, was nach Regenfällen braunes Wasser bedeutet. Schwimmer vermochte der Ort noch nicht anzulocken, er wird bislang vor allem von den Schülern der Schauspielakademie während ihrer Mittagspause genutzt.

Schräg gegenüber, auf dem Areal, das heute noch von der Zürcher Hauptpost besetzt ist, soll ab 2010 das Quartier »Stadtraum HB« (Hauptbahnhof) entstehen. Den Wettbewerb für die Außenräume konnten auch Rotzler Krebs Partner für sich entscheiden. Ihren Plänen zufolge wird sich der Neue Bahnhofplatz an seinem flussseitigen Ende mit einer Treppenanlage bis an die Sihl schieben.

Historische Atmosphäre – Fabrik am Wasser

Auf halbem Weg zwischen Wipkingerpark und der nicht weit flussabwärts gelegenen Badeanstalt auf der Werdinsel gibt es seit 2007 eine weitere Bereicherung des Fußweges entlang der Limmat: der Außenraum der Ende 19. Jahrhunderts erbauten Fabrik am Wasser. Das Hauptgebäude der ehemaligen Seidenstoffweberei nutzt heute eine bunte Mischung von Handwerkern und Kreativen als Arbeitsort. Am Platz der 1992 abgebrannten Shedhalle entstand eine Grundschule und unmittelbar daran angrenzend neue Wohngebäude.
Zwischen Gebäudekomplex und Fluss befand sich früher der Fabrikkanal, das darin fließende Wasser formten die Landschaftsarchitekten Schweingruber Zulauf – sie gewannen bereits 1994 den nach dem Brand der Halle ausgelobten Wettbewerb – nach: Rasen-, Kies- und Betonbänder wechseln sich ab, in ihrer dynamischen Form erinnern sie an sanfte Wellen. Die Ufermauer ließen die Planer teilweise abreißen, hier »strömt« der Kanal in Form eines kleinen steinigen Strands in den Fluss. Eine partielle Tieferlegung des Uferwegs ermöglichte diese grundsätzliche Änderung des Außenraums. Das kurze »Strandstück« ist dank des direkten Zugangs zum Wasser eine willkommene Abwechslung am Uferweg, der ansonsten immer über dem Wasserspiegel des Flusses liegt. Die der Flussströmung angepasste Steingröße des Strands eignet sich zwar nicht zum In-der-Sonne-räkeln, Sand wäre hier aber im Nu weggespült.

Limmataufwärts, auf der anderen Seite des an das Haupthaus angebauten Turbinengebäudes, setzt sich das Band des ehemaligen Kanals fort. Hier in Form einer Kiesfläche, die dem Restaurant innerhalb des historischen Baus als Außensitzplatz dient. Ein Spielplatz schließt die lang gestreckte Form ab.

Eschen und Erlen stehen locker gestreut auf dem neu gestalteten Grünstreifen. Ob Passanten und Anwohner den nachgeformten Fabrikkanal als solchen erkennen, ist fraglich. Mithilfe des Bandes konnten die Planer aber der Fülle geforderter Nutzungsarten, klar zoniert, gerecht werden. Zudem bleibt die Geschichte des Ortes – wenn auch nur für Eingeweihte – ablesbar.

Eigenverantwortung statt Vorschriften

Allen Projekten ist eines gemein: Keinerlei Zäune oder Mauern trennen die Anlagen vom Wasser, obwohl die Strömung zeitweise stark und das Baden nicht immer ungefährlich ist. Steigt beispielsweise der Pegel der Limmat an, werden beim Wipkingerpark die untersten Stufen überspült. Die Stadt zeigt sich demgegenüber bemerkenswert offen und setzt auf Eigenverantwortung. Für sie sind die neuen Zugänge zum Fluss – ausgenommen das Lettenareal – offiziell keine Badeplätze. Baden ist zwar nicht verboten, geschieht aber auf eigene Gefahr. Genau diese Haltung ermöglicht die verblüffend großzügigen Lösungen.

All diese Einzelprojekte sind Teil übergeordneter Planungsinstrumente. Für die beiden Flüsse sind dies das Leitbild Sihlraum, seit 2003 in Kraft, und das Leitbild Limmatraum, das 2001 veröffentlicht wurde. Ziel dieser Leitbilder und des heutigen Umgangs mit den Flussufern ist es, einerseits den vorhandenen Erholungsraum aufzuwerten, neuen zu schaffen sowie Fahrrad- und Fußwegverbindungen zu verbessern. Gleichzeitig soll sich der ökologische Wert der Ufer erhöhen.

Die Leitbilder definieren auch für die Zukunft Visionen zur Aufwertung der Uferstreifen: Weitere, vor allem stadtauswärts gelegene Abschnitte sollen sich auch künftig zu attraktiven Naherholungsgebieten wandeln, ohne die Bedürfnisse von Pflanzen und Tiere außer Acht zu lassen.

db, Mo., 2008.09.01



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db 2008|09 Draußen

17. März 2008Claudia Moll
TEC21

Pflanzen in Gesellschaft

Mit abwechslungsreichen Pflanzungen öffentliche Flächen in der Stadt bereichern – dies wollten die Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau in Wädenswil1 und entwickelten zu diesem Zweck integrierte Pflanzsysteme. Dafür verleiht ihnen der Schweizer Heimatschutz dieses Jahr den Schult hess- Gartenpreis.

Mit abwechslungsreichen Pflanzungen öffentliche Flächen in der Stadt bereichern – dies wollten die Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau in Wädenswil1 und entwickelten zu diesem Zweck integrierte Pflanzsysteme. Dafür verleiht ihnen der Schweizer Heimatschutz dieses Jahr den Schult hess- Gartenpreis.

Sie sind schön anzuschauen, machen aber auch viel Arbeit: öffentliche Pflanzfl ächen mit so genanntem Sommerfl or, akkurat gepflanzt, streng gepflegt und jährlich mehrfach erneuert. Wegen der hohen Pflegekosten sind die bunten Schmuckrabatten jedoch in Gefahr, aus dem Stadtbild zu verschwinden – ersetzt durch Kleingehölze, die jahrein, jahraus mehr oder weniger gleich aussehen. Gegen das «Einheitsgrün» im öffentlichen Raum entwickelten Forscherinnen und Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil Stauden-Mischpflanzungen, so genannte integrierte Pflanzsysteme.

Grundlagenforschung

Integrierte Pflanzensysteme basieren auf den Erkenntnissen der Pflanzensoziologie, eines Fachgebiets der Geobotanik. Laut dieser Theorie leben Pflanzen nicht isoliert, sondern bilden von Standort und klimatischen Bedingungen abhängige Gruppen, sprich Gesellschaften. In diesem Verbund bilden die Pflanzen ein wechselseitiges Wirkungsgefüge, das im Laufe der Zeit stabil ist. Dies ist auch bei den integrierten Pflanzsystemen – eigentliche künstlich geschaffene Pflanzengesellschaften – der Fall. Praktisch umgesetzt werden sie folgendermassen: Gärtner pflanzen auf Freifl ächen von mindestens 30 Quadratmetern eine Mischung aus Stauden, Gräsern und Zwiebelgewächsen, durchsetzt von eingesäten ein- bis zweijährigen Krautpflanzen. Letztere wachsen schnell und decken die Fläche bereits im Sommer nach der Einsaat ab, sodass nicht erwünschtes Unkraut geringe Chancen hat, zu wachsen. Die sich langsamer entwickelnden Stauden – mehrjährige nicht verholzende Pflanzen mit Blütenschmuck – dehnen sich dann aus, wenn die Krautpflanzen sich bereits reduzieren oder weiter wandern, das heisst, in der zweiten oder dritten Vegetationsperiode. Die ausgewählten Stauden blühen vom Frühsommer bis im Herbst, die dazwischen eingebrachten Zwiebelpflanzen setzen schon im Frühjahr leuchtende Akzente.

«Silbersommer»

Das Bild von Pflanzungen mit integrierten Pflanzsystemen verändert sich von Jahr zu Jahr. Im ersten dominieren die eingesäten Arten, im Laufe der Zeit nehmen die Stauden Überhand. Je nach Standortbestimmungen und Pflegeeingriffen entwickeln sich die einen mehr als die anderen. Auf Basis derselben Initialpflanzung entstehen immer wieder andere Bilder. Diese Dynamik der Pflanzen fasziniert Jean Bernard Bächtiger, der mit seiner Crew die Pflanzenmischungen entwickelte, und ist für die Forschergruppe Antrieb für ihre Arbeit. Erste Schritte in der angewandten Forschung zu integrierten Pflanzsystemen machte die Hochschule Wädenswil in Zusammenarbeit mit deutschen Fachhochschulen; zu diesem Zweck entstand der Arbeitskreis Pflanzenverwendung. Im Frühjahr 1999 konnte die aus dieser Zusammenarbeit entstandene Mischung aus Stauden und Zwiebelpflanzen, «Silbersommer » (Bild 1), auf Versuchsfl ächen in acht Städten der Schweiz ausgebracht werden. Die begonnenen Studien setzte die Hochschule Wädenswil im Rahmen eines neuen Forschungsprojektes fort. Nun entwickelten die Forscher integrierte Pflanzungen, bei denen zusätzlich zu Stauden- und Zwiebelpflanzen Krautpflanzen eingesät werden.

«Sommernachtstraum»

2001 hatte Bächtiger zusammen mit Mirjam Bucher und Martina Föhn sechs verschiedene integrierte Pflanzsysteme zusammengestellt. Auf Versuchsfl ächen an der Hochschule Wädenswil und an 13 weiteren Standorten in mehreren Schweizer Städten wurden die Mischungen angepflanzt. Sie konnten so unter unterschiedlichen klimatischen und edaphischen (den Boden betreffenden) Bedingungen auf ihre Tauglichkeit getestet werden. Die damit betrauten Gartenbaubetriebe bewerteten die Pflanzfl ächen mittels eines Fragebogens. Am besten schnitt die Mischung «Sommernachtstraum» ab. Bei dieser Mischung kombinierten die Fachleute aus Wädenswil dunkellaubige Stauden mit fi ligranen Gräsern. Die ausgewählten Pflanzen blühen von Mai bis Oktober in blauen, violetten und weissen Tönen, die Zwiebelpflanzen bereits ab Februar, ebenfalls in unterschiedlich abgestuften Blautönen. Schon in der ersten Vegetationsperiode wiesen die Pflanzfl ächen dieser Zusammensetzung einen hohen Deckungsgrad auf, zudem bewerteten sie die Gärtner in allen Jahreszeiten als attraktiv. Seit 2005 kann der «Sommernachtstraum» bei den Partnern des Stauden Ring – ein Zusammenschluss von Staudenproduzenten im deutschsprachigen Raum – von Garten- und Landschaftsbauern per Quadratmeter bestellt werden.

Neue Aufgaben

Zurzeit beschäftigen sich die Spezialistinnen Doris Tausendpfund und Martina Föhn in Wädenswil mit einem Pflanzenmix für Flächen im «trockenen Schatten», also beispielsweise unter dichten Baumkronen, wo Licht, Wasser und Nährstoffe ein rares Gut sind. Im Frühjahr 2006 startete die Hochschule in Wädenswil mit den Gartenbauämtern von Chur, Luzern, St. Gallen und Zürich eine Zusammenarbeit, um diese oftmals stiefmütterlich behandelten Flächen aufzuwerten. Getestet wird, welche Pflanzen in welcher Zusammensetzung den nicht optimalen Standortbestimmungen standhalten können und die Flächen zudem ansprechend erscheinen lassen. Aussagen zu diesen Pflanzsystemen lassen sich noch keine machen. Die auch bei diesen Mischungen eingebrachten Zwiebelpflanzen erfreuten jedoch bereits Anwohner und Passanten. Die Entwicklung der «Robinsonschen Blumenwiese » ist ein weiteres Projekt, mit dem sich das Zentrum Urbaner Gartenbau seit 2004 auseinandersetzt. Hier greifen sie die Idee des irischen Gärtners William Robinson (1838– 1935) auf, der Blütenpflanzen in Wiesen pflanzte. So sollen Stauden und Zwiebelpflanzen künftig monoton wirkende Rasenfl ächen durchsetzen, ihre Attraktivität steigern – mit einem geringeren Pflegeaufwand als für die Rasenpflege.

Neue Kompetenzen

Das für die öffentliche Hand überzeugendste Argument, diese Pflanzsysteme anzuwenden, ist denn auch der deutlich reduzierte Pflegeaufwand: Nur noch 12 Minuten müssen pro Jahr und Quadratmeter für den Unterhalt aufgewendet werden; bei Mosaikpflanzungen eines klassischen Staudengartens rechnet man für dieselbe Fläche mit dem Fünffachen an Zeit. Die Unterhaltsarbeiten der in Wädenswil erforschten Pflanzenmischungen sind auf ein Minimum reduziert: Bewässern muss man nur während der Anwachsphase oder einer ausserordentlichen Trockenperiode. Im November werden die Stauden, mancherorts sogar maschinell, eine Handbreit über dem Boden abgeschnitten, und da die gewählten Stauden allesamt winterhart sind, entfällt auch ein Winterschutz. Im ersten Wachstumsjahr der Pflanzung ist aber vor allem im Frühjahr eine aufmerksame Pflegeleistung gefragt. Dann gilt es nämlich, die nicht gewollten spriessenden Blättchen des Unkrauts von denen zu unterscheiden, die sich weiterentwickeln sollen. Damit die Pflegefachleute hierfür den richtigen Blick gewinnen, bietet die Hochschule in Wädenswil Weiterbildungskurse an. Sie sind in gewisser Weise Teil des Pakets, für das sich Auftraggeber entscheiden. Denn: «Die gärtnerische Arbeit ist eine andere», meint Jean-Bernard Bächtiger. «Es geht nicht mehr nur um Sauberkeit in der Pflanzfl äche – die Gärtner müssen die einzelnen Pflanzen und ihr Wuchsverhalten kennen.» Die Gärtner entwickeln ihrerseits eine Eigenverantwortung für «ihre» Pflanzen, und das sieht man den Rabatten auch an. «Der Gärtner moderiert die Pflanzungen, er wehrt nicht mehr nur Veränderungen ab», so Bächtiger. Dadurch werden diePflegepersonen zu Fachleuten und auch als solche wahrgenommen: Passanten stellen ihnen immer wieder Fragen zu den einzelnen Pflanzenarten, klagen ihr Leid, wenn die Topfpflanze in der Stube serbelt, und holen sich Rat für den eigenen Garten.

Blumenwiese statt Rasen

Die Jahreszeiten in der Stadt erfahrbar zu machen und der Stadtbevölkerung einen direkten Kontakt zu Pflanzen zu ermöglichen ist für Bächtiger das Ziel hinter der Entwicklung der integrierten Pflanzsysteme, das Geldeinsparen ein willkommener Nebeneffekt. Ein Schlüsselerlebnis war für ihn ein Kurs, den er in einem Primarschulhaus in Thalwil gab. Kinder, dazu befragt, was für sie Natur sei, nannten unter anderem den Rasen2 – eine botanisch und ökologisch verarmte Wuchsform. Bächtiger ist davon überzeugt, dass das Potenzial von Grünfl ächen im urbanen Raum bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist, und möchte das Bild einer Blumenwiese wieder in das Bewusstsein der Menschen bringen.

[ Claudia Moll, Landschaftsarchitektin BSLA, Institut für Landschaftsarchitektur ETHZ ]

TEC21, Mo., 2008.03.17



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10. März 2006Claudia Moll
TEC21

Das geheimnisvolle Tal

Der diesjährige Schulthess-Gartenpreis geht an die Stiftung Ermitage Arlesheim und Schloss Birseck. Der Schweizer Heimatschutz zeichnet damit das Engagement der Stiftung aus, die sich für den Erhalt des grössten sentimentalen Landschaftsgartens der Schweiz einsetzt.

Der diesjährige Schulthess-Gartenpreis geht an die Stiftung Ermitage Arlesheim und Schloss Birseck. Der Schweizer Heimatschutz zeichnet damit das Engagement der Stiftung aus, die sich für den Erhalt des grössten sentimentalen Landschaftsgartens der Schweiz einsetzt.

In einem schattigen Tal östlich des historischen Ortskerns von Arlesheim liegt eine der bedeutendsten Gartenanlagen der Schweiz: die Ende des 18. Jahrhunderts entstandene Ermitage.
Der landschaftliche Stil des Parks hatte als Gegenströmung zu den streng gestalteten Barockgärten in den 1770er-Jahren in Europa Einzug gehalten. Neu stand die wilde, ungezähmte Natur als Schönheitsideal im Mittelpunkt. Die Landschaft selbst wurde als Garten begriffen und mit wenigen Eingriffen zu diesem gewandelt. So auch bei der Ermitage in Arlesheim.

Früher Erlebnispark

Das über dem Tal thronende Schloss Birseck, die im Talgrund stehenden Gebäude, der von Grotten und bizarren Felsformationen durchsetzte Schlosshügel boten die optimalen Voraussetzungen für die Anlage eines romantischen Gartens. Die beiden Urheber, die Baronin Balbina von Andlau-von Staal und ihr Vetter Domherr Heinrich von Ligertz, erkannten die Reize des Waldtales und wandelten es in einen romantischen Park. Haupteingriff war die Anlage eines labyrinthischen Wegnetzes, das die Besucher zu Aussichtspunkten führte, von denen aus die Blicke gezielt auf die Schönheiten der Umgebung gerichtet wurden: die weite Birsebene, die im Talgrund gelegenen Fischweiher, die zum Anwesen gehörenden Ökonomiegebäude oder die Domkirche von Arlesheim. Zudem führten die Wege die Besucher zu Gartenszenen, die sie mit Attraktionen überraschten oder als Orte der Besinnung zur Naturbetrachtung einluden. So wurden Szenen aus der antiken Mythologie in den bestehenden Höhlen nachgestellt, zum Beispiel in der Dianagrotte oder in der Appollogrotte. Von einem als Holzstoss getarnten Kabinett wurde der Blick des Eintretenden durch ein Fenster auf das Tal und seine drei Weiher gerichtet. Drei Gartenszenen widmeten sich – ganz im Sinne der Zeit – der christlichen Askese: die Grotte des Eremiten, der Eremitengarten und die Eremitenhütte. Diese Einsiedelei gab dem Garten, der anfangs noch «Solitude romantique près d’Arlesheim» hiess, bald seinen noch heute verwendeten Namen: die Ermitage.

Als der Garten 1785 eingeweiht wurde, befanden sich darin 15 dieser Gartenszenen. Die von Beginn an öffentlich zugängliche Anlage wurde schnell berühmt und erfreute sich sogar im Ausland eines grossen Ansehens; Reisende aus ganz Europa besuchten sie und gaben Anregungen zu ihrer Erweiterung und Verbesserung.

Umgestaltung, Zerstörung und Wiederaufbau

So wurde das Programm in den folgenden Jahren laufend verändert und neuen Moden angepasst. 1787 entstand zum Beispiel – sehr wahrscheinlich beeinflusst vom Epos «Die Alpen» von Albrecht von Haller aus dem Jahr 17291 – das Chalet des Alpes, eine rustikale Sennhütte, in der sich ein Konzert- und Speisesaal befand. Der Tod des Zürcher Idyllendichters Salomon Gessner gab 1888 den Ausschlag zur Umgestaltung der Grotte des Eremiten zur Gessnergrotte.

1793 wurde der Besucherstrom vorübergehend jäh unterbrochen: Im Zuge der Französischen Revolution zerstörten Franzosen und Einheimische die Anlage komplett und setzten die Ermitage und das Schloss in Brand. Balbina von Andlau kehrte danach nicht mehr in ihren Garten zurück und starb 1798 im Exil. Ihr Sohn, Conrad von Andlau, erwarb 1808 den Hof, den Burghügel und die Ruine des Schlosses Birseck. Zusammen mit dem schon alten Heinrich von Ligertz baute er die Ermitage wieder auf. Sie stellten einige der Gartenszenen wieder so her, wie sie ursprünglich waren; neue kamen hinzu, so zum Beispiel die Sophienruhe, ein Aussichtskabinett am mittleren Weiher. Als wichtigste Änderung integrierte Conrad von Andlau die Schlossruine in den Garten: Ein neu gebauter Rittersaal und die bestehende Kapelle wurden in neugotischem Stil ausgemalt und brachten als neues Thema das Mittelalter in die Gartenanlage.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts blieb die Ermitage im Besitz der Familie Andlau. Danach kaufte die Industriellenfamilie Alioth das Anwesen und bewohnte es bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Julius Achilles Alioth gestaltete die Anlage ebenfalls in einigen Bereichen nach seinem Geschmack weiter, er liess zum Beispiel zwischen dem mittleren und dem unteren Weiher eine Kaskade bauen. Zudem liess er als Erster in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts detaillierte Pläne vom Gut und auch von der Ermitage zeichnen. Mitte des 20. Jahrhunderts kam die Ermitage in den Besitz der Familie Iselin. Diesen Besitzern ist es zu verdanken, dass der gesamte Bereich – die Ermitage und die daran angrenzenden Baumgärten, Wiesen, Waldflächen und ein Rebhügel – dem wachsenden Bebauungsdruck ab Mitte des 20. Jahrhunderts standhalten konnte und frei blieb. So ist das ganze Ensemble mit der Ermitage als Kern bis heute als Einheit erlebbar.

Ort der Stille

Seit 1997 gehören Garten und Schloss Birseck der Stiftung Schloss Birseck und Ermitage Arlesheim. Zum Stiftungsrat gehören Vertreter des Kantons Baselland und der Gemeinde Arlesheim sowie Nachkommen der Familie Iselin. Die Stiftung setzt sich dafür ein, dass das wichtige geschichtliche Erbe auch heute noch weiterbestehen kann. Als ersten Schritt veranlasste sie, dass Parkanlage und Schlossruine 1999 unter Denkmalschutz gestellt wurden.

Die kosten- und pflegeintensiven Unterhaltsarbeiten wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte immer weiter reduziert. Heute sind grosse Teile der ursprünglich offenen Wiesenflächen verwaldet, wichtige Sichtachsen zugewachsen und die Gartenszenen teilweise verschwunden. Ein 1992 erstelltes Konzept zur Parkpflege und ein daraus resultierender Massnahmenkatalog von 2002 dienen seit der Unterschutzstellung als Leitfaden für Pflegemassnahmen, die von der Gemeinde Arlesheim ausgeführt werden. 2003 gab der Kanton Baselland ein Nutzungskonzept in Auftrag, das als Leitlinie für künftige Nutzungen gelten soll. Das Resultat dieser Arbeit kann in einem Satz zusammengefasst werden: Die Ermitage ist «ein Ort der Stille und Abgeschiedenheit». Dieser Leitgedanke wurde von allen beteiligten Partnern als verbindlicher Grundsatz verabschiedet. Konkret heisst das: Die Anlage ist zwar nach wie vor öffentlich zugänglich, es sollen aber keinerlei wirtschaftliche Nutzungen, wie zum Beispiel ein Wirtsbetrieb in einem der Waldhäuser, dazukommen. Die Ermitage soll weiterhin ein ruhiger, beschaulicher Ort bleiben, der vor allem von Spaziergängern genutzt wird.

Parkpflegewerk

Im Zusammenhang mit der Unterschutzstellung und der weiteren Mittelbeschaffung für die Unterhalts- und Pflegearbeiten forderte die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (EKD) ein umfassendes Parkpflegewerk. Seit April letzten Jahres ist das Wettinger Büro SKK Landschaftsarchitekten AG damit beauftragt. Das Parkpflegewerk wertet zum ersten Mal alle bislang entdeckten historischen Grundlagen aus: Gästebücher, Reisebeschreibungen, Stiche, Aquarelle und Pläne. Zudem orientieren sich die Landschaftsarchitekten an einer Bestandesaufnahme aller Elemente, die ein Ingenieurbüro im Auftrag der Denkmalpflege 2005 angefertigt hat, sowie an vegetationskundlichen Untersuchungen. Diese Fülle an Grundlagenmaterial zeichnet ein präzises Bild der Anlage und bildet die Grundlage für ein Leitkonzept und Massnahmenpläne.

Laut der mit der Arbeit beauftragten Landschaftsarchitektin Petra Schröder ist es wichtig, die Entwicklungsgeschichte der Anlage in ihrer ganzen Spannweite zu erforschen. Bislang wurden vor allem die beiden ersten Epochen der Entstehungsgeschichte – die Zeitspanne zwischen der Einweihung 1785 und 1792 und der Wiederaufbau ab 1812 – analysiert. Die späteren Besitzer beeinflussten die Anlage aber auch, genauso wie die heutigen neuen Nutzungsanforderungen oder die aktuelle Pflegesituation an ihr ablesbar sind. Dem zeitgenössischen Ansatz einer aufgeklärten Denkmalpflege folgend ist die Mehrschichtigkeit des Parks genauso schützens- und beachtenswert wie die ursprüngliche Anlage an sich. Ziel des Parkpflegewerkes soll laut Schröder auf keinen Fall die Rekonstruktion der ersten Epoche sein, vielmehr eine Darstellung des Wandels, den die einzelnen Orte im Laufe der Jahrzehnte erlebt haben. Vor allem sollen in Zukunft die unterschiedlichen Raumerlebnisse – enge und weite Situationen, bewachsene und freie Flächen sowie die Blickachsen – wieder erfahrbar werden. So ist auf den unter Alioth erstellten Plänen erkennbar, dass die Bewaldung ehemals offener Bereiche stark zugenommen hat – zum Beispiel bei der offenen Wiese, auf der früher das Chalet des Alpes stand. Heute unterliegt diese Fläche dem Waldgesetz. Es gilt nun nach Wegen zu suchen, um damit einen Umgang zu finden.

Die Bestandesaufnahme und die Analyse der Grundlagen sind weitgehend abgeschlossen. Im Moment werden das Leitkonzept und Massnahmenpläne erarbeitet. Diesen April soll das Parkpflegewerk als Entwurf der Stiftung vorgelegt werden. Die Stiftung will dann die darin enthaltenen Empfehlungen etappenweise umsetzen.

TEC21, Fr., 2006.03.10



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tec21 2006|11 ...ist immer der Gärtner

Profil

Claudia Moll, Landschaftsarchitektin, Assistentin an der Professur für Landschaftsarchitektur von Prof. Christophe Girot an der ETH Zürich, freie journalistische Tätigkeit.

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