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18. Januar 2024Erik Meinharter
dérive

(K)ein Ende der Obdachlosigkeit in Sicht. Endlich Wohnen für Alle?

Dass es im Jahr 2023 noch – oder wieder – Politiker:innen gibt, die Obdachlosen zuschreiben, sie würden ihre Lebensumstände freiwillig als lifestyle wählen,...

Dass es im Jahr 2023 noch – oder wieder – Politiker:innen gibt, die Obdachlosen zuschreiben, sie würden ihre Lebensumstände freiwillig als lifestyle wählen,...

Dass es im Jahr 2023 noch – oder wieder – Politiker:innen gibt, die Obdachlosen zuschreiben, sie würden ihre Lebensumstände freiwillig als lifestyle wählen, ist mehr als beschämend. Vor allem wenn es sich wie bei der – mittlerweile zurückgetretenen – britischen Innenministerin auch noch um die Politikerin eines entwickelten Industrielandes handelt.1 Möglicherweise hätte Großbritannien auch nicht die Erklärung von Lissabon der EU mitgetragen, die sich der Herausforderung der Beendigung der Obdachlosigkeit bis 2030 annimmt, wäre es noch Mitglied der europäischen Union. 2021, mitten in der Pandemie, haben alle EU-Staaten einstimmig ein Programm angenommen, welches mit fünf Zielen versucht, homelessness zu überwinden.

»Alle Beteiligten haben sich verpflichtet, ihre Bemühungen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu verstärken, insbesondere durch die Stärkung der Prävention und die Umsetzung integrierter, wohnungsbezogener Ansätze, die darauf abzielen, Obdachlosigkeit zu beenden und nicht nur zu verwalten.« (EMPL k.A.)

Besonders bemerkenswert ist, dass die Deklaration auch das Thema der Prävention einschließt und somit eine Wende von der Verwaltung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit hin zur Beendigung nimmt. Folgende fünf Ziele sind explizit in der Vereinbarung (siehe Combatting Homelessness Conference 2021) festgehalten:

— niemand muss wegen eines Mangels an zugänglichen, sicheren und geeigneten Notunterkünften auf der Straße schlafen

— niemand ist länger in Not- und Übergangsunterkünften untergebracht, als für den erfolgreichen Übergang 
in eine dauerhafte Unterkunft erforderlich ist

— niemand wird ohne das Angebot einer angemessenen Unterkunft aus einer Einrichtung (z. B. Haftanstalt, Krankenhaus, Pflegeeinrichtung) entlassen

— Zwangsräumungen sollten, wenn möglich, vermieden werden und niemand wird seiner Wohnung verwiesen, ohne Unterstützung bei der Suche einer angemessenem Unterbringungslösung zu erhalten, soweit dies erforderlich ist

— niemand wird aufgrund seiner Obdachlosigkeit diskriminiert

Auf Basis dieser Deklaration wurde eine Europäische Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit gegründet, welche im Austausch zwischen den Ländern und deren Strategien zu einer gemeinschaftlichen Lösung führen soll. Daneben wird der Zugang zu Finanzmitteln und die Verstärkung der Evidenz über Obdachlosigkeit vereinbart. Diese Strategie steht im Einklang und basiert auf den Zielen für nachhaltige Entwicklung (sogenannte SDG – Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen. Die Ziele 1 – »Armut in all ihren Formen und überall beenden« und 11 – »nachhaltige Städte und Gemeinden«, beinhalten die Aufgabenstellung, bis 2030 Ungleichheit beim Zugang zu leistbarem Wohnraum zu beseitigen und diesen auch allen anbieten zu können (United Nations 2023).2

Obdach- oder Wohnungslos

Schon die Wortwahl in der Übersetzung der Lissaboner Erklärung lässt die Ziele fokussierter erscheinen, als sie sind, denn ›Obdachlosigkeit‹ ist nur ein Teilbereich der Wohnungslosigkeit. Diese ist viel umfassender und zeigt sich in vielfältigen Formen von ›unvollständigem Wohnen‹. Die ETHOS-Definition von Wohnungs- und Obdachlosigkeit (feantsa.org/download/at___6864666519241181714.pdf), entwickelt vom europäischen Dachverband der Wohnungslosenhilfe (FEANTSA), bietet einen klareren Einblick in die vielfältigen Herausforderungen bei der Bewältigung dieser sozialen Frage. Obdachlosigkeit ist nur die sichtbarste aller Formen der Wohnungslosigkeit, die mit ›wohnungslos‹ (z. B. Menschen, die in Wohnungsloseneinrichtungen, Frauenhäusern etc. wohnen) über ›ungesichertes Wohnen‹ (z. B. von Delogierung bedrohte, temporär bei Verwandten Wohnende etc.) bis hin zu ›ungenügendes Wohnen‹ (Wohnprovisorien, ungeeignete Wohnungen etc.) alle Menschen einschließt, die keine vollwertige Wohnung bewohnen können. Durch diese Definition wird auch klarer, wie groß die Herausforderungen tatsächlich sind, bis 2030 die Ziele der Erklärung von Lissabon umzusetzen – auch, da aufgrund der Preisdynamiken am Wohnungsmarkt und der steigenden Neben- und Lebenshaltungskosten die Sicherung des Wohnens zu einer noch größeren Herausforderung für die Gesellschaft wird.

Wie wieder wohnen?

Da in der Lissabonner Erklärung die Frage nach der Überwindung der Wohnungslosigkeit mittels bereits erprobter Strategien gefordert wird, rückt ›Housing First‹ als strategischer und nachhaltiger Ansatz zur Bewältigung in den Vordergrund. Das Konzept ›Housing First‹ besagt, dass die Behebung sozialer Herausforderungen von Wohnungslosen dann nachhaltig erfolgreich sein kann, wenn die Lösung der Wohnungsfrage als Erstes in Angriff genommen wird. Mit dem – eigenständigen – Wohnen starten die Beratungen und Unterstützungen durch Sozialarbeiter:innen der Hilfsorganisationen, wie Caritas, Diakonie, Volkshilfe, Heilsarmee, Hilfswerk, Rotes Kreuz, Obdach Wien oder eben neunerhaus, um die Herausforderungen zu überwinden und die soziale Integration zu schaffen. Das Wohnen steht somit am Anfang einer Strategie zur nachhaltigen Bekämpfung von Armut. Neben dem europäischen Vorreiterland Finnland haben sich auch Spanien und viele weitere Länder dem ›Housing-First‹-Ansatz geöffnet, der ursprünglich aus Nordamerika kommt. Auch in Österreich wird er verfolgt und insbesondere durch die BAWO 3 als Dachorganisation der Obdachlosenhilfsorganisationen vertreten. Auch wenn ›Housing First‹ in der Praxis bereits umgesetzt wird, reicht die Zahl der angebotenen Wohnungen natürlich noch bei weitem nicht aus, um das Problem der Wohnungslosigkeit aus der Welt zu schaffen. Heute, sieben Jahre vor dem vereinbarten Zieldatum, lässt sich bereits konstatieren, dass eine Umsetzung der Ziele nur mit einiger Kraftanstrengung und vor allem mit mehr Beteiligten als nur den Sozialministerien der EU-Staaten bewältigt werden kann. Im Zentrum der vielfältigen Herausforderungen steht die große Aufgabe, leistbaren Wohnraum zu schaffen und diesen tatsächlich nachhaltig zur Verfügung stellen zu können. Da diese Aufgabe bereits beim geförderten Wohnraum eine wirtschaftliche Herausforderung darstellt, ist sie beim Projekt ›Housing First‹ sogar noch anspruchsvoller.

Eine gemeinsame Herausforderung, ein neuer Blickwinkel

Es geht bei der Bewältigung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit also vor allem um eine gemeinsame Anstrengung, Menschen, die ohne die Chance, über den Wohnungsmarkt ihre Wohnbedürfnisse befriedigen zu können, in eine sozial benachteiligte Position gelangen, eine Zukunftsperspektive zu geben. Exklusion und Stigmatisierung sind Begleiterscheinungen des Wohnungsverlusts, die in Folge in eine Negativspirale münden und damit zu einem weiteren sozialen Abstieg führen können. Gegen negative Zuschreibungen und die Stigmatisierung von wohnungslosen Menschen vorzugehen und aufzuklären, dass es keineswegs vorrangig individuelle Faktoren sind, die Menschen in die Obdachlosigkeit rutschen lassen, ist eine weitere Aufgabe bei ihrer Überwindung. Nur das Wissen über und ein Verständnis für die unterschiedlichen und vielfältigen Einflussfaktoren, welche eine Wohnungslosigkeit auslösen können, können dazu führen, diese auch nachhaltig zu verhindern. Wohnen bildet einen Grundstein des Selbstverständnisses des Menschen. Das Recht auf Wohnen wird sowohl in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen als auch im Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)4, der in Österreich Rechtsgültigkeit besitzt, erwähnt. Im Gegensatz zum Artikel 31 der Europäischen Sozialcharta (Europarat 2018), in dem ein Recht auf Wohnen beschrieben wird, der aber nur von wenigen Ländern (z.B. Andorra, Finnland, Frankreich, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Ukraine …) ratifiziert wurde. Das im CESCR verwendete einfache Wort ›Unterbringung‹ in Artikel 11 birgt gewiss weiten Interpretationsspielraum, Ziel sollte in jedem Fall ein angemessener und adäquater Raum zum Wohnen für alle sein.

Erik Meinharter ist Landschaftsarchitekt, Partner bei PlanSinn Büro für Planung und Kommunikation. Mitbegründer und Redakteur bei dérive – Zeitschrift für Stadtforschung. Lehraufträge an der Universität für Bodenkultur und der Technischen Universität Wien.

1
www.derstandard.at/story/3000000193784/britische-innenministerin-will-gegen-zelte-von-obdachlosen-vorgehen.

2
»By 2030, ensure access for all to adequate, safe and affordable housing and basic services and upgrade slums«, UN Sustainable Development Goals: Goal 11.1; www.un.org/sustainable-development/cities/.

3 
Die BAWO – Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ist ein 1991 gegründeter gemeinnütziger Verein, der als österreichweiter Dachverband der Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe fungiert. www.bawo.at

4
Aus dem Artikel 11 des CESCR: »Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unter–bringung sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen.« www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000629


Literatur

Combatting Homelessness Conference (2021): Lisbon Declaration on the European Platform on Combatting Homelessness; www.ec.europa.eu/social BlobServlet?docId=24120&langId
EMPL – Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration (k.A.): Obdachlosigkeit. www.ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1061&langId=de.
Europarat (2018) Europäische Sozialcharta. www.rm.coe.int/eeuropaische-sozialcharta-/16808b6382
United Nations (2023): The Sustainable Development Goals Report. S. 34–35; www.unstats.un.org/sdgs/report/2023/The-Sustainable-Development-Goals-Report-2023.pdf.

dérive, Do., 2024.01.18



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Die grüne Nachkriegsmoderne 1

Wer heute durch den großen Donaupark im Norden Wiens spaziert, wird an einigen wenigen Stellen an die erste international ausgerichtete Gartenschau in...

Wer heute durch den großen Donaupark im Norden Wiens spaziert, wird an einigen wenigen Stellen an die erste international ausgerichtete Gartenschau in...

Wer heute durch den großen Donaupark im Norden Wiens spaziert, wird an einigen wenigen Stellen an die erste international ausgerichtete Gartenschau in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Dieser Park ist – im Vorhinein geplant – der im positiven Sinne verstandene Rest der 1964 gezeigten Wiener Internationale Gartenschau, kurz »WIG 64«.

Die unterschiedliche Rezeption der WIG 64 bringt der Direktor des Wien Museums, Wolfgang Kos, treffend in seinem Vorwort auf den Punkt: »Als wir im Museum über dieses Projekt diskutierten, zeigte sich, dass das Kürzel ›WIG 64‹ sehr unterschiedliche Assoziationen auslöst – entweder starke oder gar keine. Das hängt mit unterschiedlichen Erinnerungen zusammen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht in Wien aufgewachsen sind, verbinden keine persönlichen Erinnerungen mit der Gartenschau im heutigen Donaupark oder wissen gar nicht, dass im heute eher diffusen Gelände zwischen Donauturm, UNO- Zentrum und Donau City ein für Wiens Nachkriegsgeschichte wichtiges Ereignis stattfand. Menschen aus Wiener Familien, die seit zwei oder drei Generationen hier leben, reagieren dagegen sehr unmittelbar auf die Nennung der WIG 64, hat diese ›Garten- Weltausstellung‹ doch einen Platz in ihrer Erinnerung – sei es, weil Eltern und Großeltern davon erzählt haben, sei es, weil sie als Kinder mit dem Sessellift über Blumenbeete geschwebt sind oder zum ersten Mal eine legendäre Hollywood-Schaukel mit eigenen Augen gesehen haben.«

Die WIG 64 gehört – hier ist Wolfgang Kos zu folgen – zu jenen Großveranstaltungen der Ära des Wiederaufbaus und der Modernisierung, die noch von einem ungebrochenen Fortschrittsdenken geprägt war: »vergleichbar der Wiedereröffnung der Staatsoper und der Eröffnung der Opernpassage im Jahr 1955.«

Zahlreiche Autorinnen und Autoren widmen sich im Ausstellungskatalog in unterschiedlichen, relativ kurzen Beiträgen der Gartenschau und dem Donaupark, wobei die weitgehend in Vergessenheit geratene und teils verdrängte Vorgeschichte des Areals nicht ausgeblendet wird.

Die Schweizerin Annemarie Bucher spannt im ersten Text einen kurzweiligen Bogen vom Beginn von Gartenausstellungen im 19. Jahrhundert zu den mitteleuropäischen Gartenschauen im 20. Jahrhundert und stellt damit die WIG 64 in einen planerischen und gartenhistorischen Kontext. Martina Nußbaumer geht in ihrem Beitrag auf die Wiener Stadtplanung in den 1950er- und 1960er-Jahren ein, die noch stark von einer Funktionstrennung bzw. großräumigen Entmischung von Funktionen geprägt war, und setzt die WIG 64 in Bezug zum damals weit verbreiteten »Begehren der Nachkriegszeit nach Ordnung, Planbarkeit und Kontrollierbarkeit«. Mit der Geschichte des WIG 64/Donaupark-Areals vor 1964 beschäftigt sich Ulrike Krippner. Zu nennen sind hier die damals so wahrgenommenen »Un-Orte« Militär-schießstätte, städtische Mülldeponie und informelle Siedlungen. In einem Interview mit drei (ehemaligen) BewohnerInnen der Siedlung Bruckhaufen, die auch heute noch am Rande des Donauparks liegt, kommt eine individuelle Note in den Ausstellungskatalog.

Ulrike Krippner gibt einen groben Überblick auf die handelnden Personen bei der Gestaltung und die wichtigsten Teile des WIG-Geländes. Auf die Spuren der Berichterstattung zur WIG 64 in den Medien begibt sich Nicole Theresa Raab. Die Autorin schafft es im Text, den enormen Werbeaufwand für die Gartenschau deutlich zu machen.

Im Beitrag »Der Donauturm als Attraktion und Attrappe« fokussiert Andreas Nierhaus auf die Kritik am Sinn, an den Kosten und der Ausführung des Aussichtsturmes, der in 150 Meter Höhe eine neue Sicht auf Wien ermöglichte. Just 50 Jahre nach Eröffnung des Turms verlor der Donauturm sein Alleinstellungsmerkmal: Nur wenige hundert Meter entfernt wurde Anfang 2014 im DC Tower (am Rande des einstigen WIG-Geländes) in 207 Metern Höhe eine Aussichtsterrasse eröffnet, von der aus man auf den degradierten Donauturm hinunterblicken kann.

Nicole Theresa Raab widmet sich im anschließenden Beitrag der Frage, wieweit die USA in den 1960er-Jahren Einfluss auf die österreichischen Gärtnerei-Großbetriebe und somit auf den Privatgarten hatten. Einen pointierten kulturhistorischen Beitrag über ?die Hollywood-Schaukel, die auf dem WIG 64 Gelände als Sitzmöbel weit verbreitet war, liefert Peter Payer. Lilli Lic ?ka skizziert in aller Kürze die Entwicklung des Geländes – als Donaupark – in der Zeit nach 1964. In einem Interview mit einer Landschaftsarchitektin und einem Landschaftsarchitekten, die beide in den letzten Jahren im Donaupark aktiv tätig waren, wird über die einstigen und heutigen Qualitäten des Donauparks sowie die Notwendigkeiten für die Zukunft diskutiert. Es folgt ein kurzer Text von Helmut Neundlinger zur gegenwärtigen Nutzung des Donauparks. Abgeschlossen wird die Publikation mit dem Katalogteil.

Die Ausstellung und der Katalog sollen – so die Einleitung – die Gartenschau in den Kontext der planerischen Utopien nach 1945 stellen und nach den Intentionen und den konkreten städtebaulichen und soziokulturellen Auswirkungen dieses Großprojekts fragen. Dies gelingt in weiten Teilen. Ein Wermutstropfen bleibt: Auf die Diskussion über das »Soll und Ist« bei den hard facts der WIG 64 – hier sind vor allem die Besucherzahlen und die massive Kostenüberschreitung zu nennen – wird nicht eingegangen. Sie hätte unter anderem gezeigt, dass massive Kostenüberschreitungen bei Gartenschauen kein junges Phänomen sind. Leider wird im Katalogteil die Mär übernommen, der nationale, extrem kurz angesetzte Ideenwettbewerb für österreichische Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten hätte für die Stadtverwaltung »kein zufriedenstellendes Ergebnis« gebracht. Das Studium des Juryprotokolls lässt erahnen, dass der damalige Wiener Stadtgartendirektor die Gesamtplanung eher aus Eigennutz übernahm. Erst relativ spät kam – wie Ulrike Krippner richtig festhält – Kritik am »Amtsprojekt« WIG 64 auf.

Hoch anzurechnen ist den HerausgeberInnen und AusstellungsmacherInnen, dass sie sich dem Thema der Grünflächen nach 1945 am Beispiel des Donauparks angenommen haben. Dass die Ausstellung und der Katalog nicht den Raum haben, um weitere Details zur Gartenschau zu präsentieren, ist ein Wermutstropfen. Hilfreich für die Forschung zur »grünen Nachkriegsmoderne« ist neben den zahlreichen Fotos jedenfalls die Auflistung aller beteiligten Gartenarchitektinnen (sic!) und Gartenarchitekten, ArchitektInnen sowie KünstlerInnen. Spätestens zum Jubiläum »50 Jahre Wiener Internationale Gartenschau 1974 [sic!]« wird man auf diese wieder zurückgreifen.


Die grüne Nachkriegsmoderne 2
Die Ausstellung

Ein Park, ein Raum. Aus Anlass ihres 50-jährigen Geburtstags wird der Wiener Internationalen Gartenschau 1964 eine Ausstellung im Wien Museum gewidmet. Die Geschichte und Gegenwart der WIG 64, welche mit dem Donaupark einen der größten Parks Wiens hinterlassen hat, wurde in einem Raum verdichtet. Aufgrund der Vielfältigkeit der Exponate und Medien erschließt sich jedoch selbst in diesem kleinen Raum die vielschichtige Vergangenheit eines der größten Freiräume Wiens. Die Runde im Uhrzeigersinn führt vom Gestern ins Heute. In einem Pult präsentierte Exponate aus dem Archiv des Wien Museums und des Gartenbaumuseums ergänzen die historischen Informationen mit sehr persönlichen Eindrücken. Originaldokumente – wie die Brettldorfer Zeitung – zeigen die Situation der BewohnerInnen des Brettldorfes, einer informellen Siedlung, welche sich nach 1945 in direkter Nachbarschaft einer Müllhalde befand. Das ausgestellte Typoskript der Ansprache des damaligen Bundespräsidenten Schärf zeigt, wie selbst diese für damalige Zeiten nüchterne Parkgestaltung auf einer Müllhalde für den Vergleich mit dem religiösen Ideal des Paradieses in Gebrauch genommen werden konnte. Die WIG 64-Bierdeckel und der Donauturmkugelschreiber vermitteln die bis heute angewandten Strategien der Vermarktung von Großprojekten. In der Mitte des Raumes geben Originalmöblierungen wie die Bogenleuchte von Carl Auböck einen Eindruck der durch diese Gartenschau vermittelten Modernität. Die bespannten Metallgartenmöbel, welche sich seit kurzem auch wieder in den Katalogen der Gartenmöbelhersteller präsentieren, verweisen auf die derzeitige Aktualisierung des Designs der 60er Jahre. Die gezeigten Filmdokumente verbinden auf intelligente Weise die Zeitabschnitte. Sie reichen von Werbefilmen über Found-Footage-Aufnahmen damaliger BesucherInnen bis zu einer extra für die Ausstellung produzierten Dokumentation der gegenwärtigen Nutzungen. Dieser Film bietet ausgewählte Einblicke in den Alltag im Park. Die nach 1964 vorgenommenen Adaptierungen, z.B. im Bereich der Sportangebote, werden so sichtbar. Deutlich wird, dass der bestehende Park aufgrund seiner Größe unterschiedlichste NutzerInnen, vom 90-jährigen Schachspieler bis zum mit Langzeitarbeitslosen Tennis spielenden Investmentbanker Raum zur Begegnung bietet. Welche Veränderungen der Park auch in den 50 Jahren seines Bestehens durchlaufen hat und noch werden wird, ob die zukünftigen Veränderungen geplant – wie mittels Parkpflegewerken in aktuelleren Beispielen der Bundesgartenschauen in Deutschland (München, Berlin, Potsdam) – oder als Stückwerk erfolgen werden, ist noch offen und wird den BesucherInnen als offen stehende Frage präsentiert. Die NutzerInnen werden ihren Raum im Park finden und die BesucherInnen der Ausstellung werden angeregt aus dem Raum im Museum auch wieder den Donaupark zu besuchen und dort selbst im Raum tätig zu werden.


Ulrike Krippner, Lilli Licka, Martina Nußbaumer (Hg.)
WIG 64. Die grüne Nachkriegsmoderne Wien
Metroverlag, 2014
160 Seiten, 24 Euro

dérive, Mi., 2014.07.23



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13. August 2012Erik Meinharter
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Stadt Klima Wandel

Besonders viel Aufmerksamkeit wird der Diskussion über den Klimawandel in der Öffentlichkeit zumeist dann geschenkt, wenn in der Fachwelt weitgehend unbestrittene...

Besonders viel Aufmerksamkeit wird der Diskussion über den Klimawandel in der Öffentlichkeit zumeist dann geschenkt, wenn in der Fachwelt weitgehend unbestrittene...

Besonders viel Aufmerksamkeit wird der Diskussion über den Klimawandel in der Öffentlichkeit zumeist dann geschenkt, wenn in der Fachwelt weitgehend unbestrittene Positionen in Frage gestellt werden. Das aktuellste Beispiel betrifft Fritz Vahrenholt, den ehemaligen Umweltsenator der Stadt Hamburg (1991 – 1997), der derzeit Vorstandsvorsitzender von RWE Innogy, einem Tochterunternehmen des deutschen Energieversorgungskonzerns RWE, ist. Mit seinem gemeinsam mit Sebastian Lüning verfassten, jüngst erschienen Buch Die kalte Sonne sorgt er für Aufregung im deutschen Blätterwald. Die Bild-Zeitung widmet dem Aufreger eine eigene Serie: »Die CO2-Lüge«.

Der einzige Effekt solcher Debatten ist eine verminderte Akzeptanz der Ziele des Klimaschutzes oder von Maßnahmen der Klimawandelanpassung. Ergebnisse jahrelanger seriöser Forschung und Prognosen, wie sie vom Intergovernmental Panel on Climate Change (www.ipcc.ch) errechnet werden, für die zumeist der Mittelweg des möglichen Temperaturanstiegs gewählt wird, werden dadurch aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt.

Die zentrale Frage ist jedoch, wie mit der Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung des Klimas und damit der Veränderung der Lebensumstände in den Städten umzugehen ist. Nicht zuletzt durch die stetig steigende Bevölkerungszahl der Städte haben die Auswirkungen des Klimawandels eine besondere Bedeutung für diese Siedlungsform. Gleichzeitig sind Maßnahmen des Klimaschutzes oder der Anpassung an den Klimawandel in der Stadt nur langsam umzusetzen, da ihre baulichen, infrastrukturellen und organisatorischen Strukturen sehr unflexibel sind. Es sollte nicht darum gehen, mit Katastrophenszenarien Denkprozesse anzustoßen, die dann im Falle einer langsameren Entwicklung oder des Ausbleibens der Untergangsszenarien die durch Umdenken in Gang gekommenen Veränderungen wieder einschlafen lassen.

Wichtig ist ein ruhiger, voraus denkender Umbauprozess des urbanen Lebens, welcher sich auf die zukünftigen Unsicherheiten vorbereitet, diese mitdenkt und Maßnahmen setzt, damit die städtischen Strukturen weiterhin als gemeinschaftliche Lebensumwelt funktionieren können.

Veränderungen sind am direktesten in den Freiräumen umsetzbar. Gleichzeitig geraten diese jedoch in budgetären Belangen unter Druck, wie Stephanie Drlik und Andreas Muhar in ihrem Beitrag für diesen Schwerpunkt schreiben. Dafür verantwortlich ist ein erhöhter Pflegeaufwand aufgrund trockenerer Vegetationsphasen bei gleichzeitiger Aufnahme sanfter infrastruktureller Anpassungsmaßnahmen, wie z.B. der Versickerungsleistung für benachbarte versiegelte Verkehrsflächen. Wohl wurde erkannt, dass auch auf privaten Grundstücken mit geringerer Versiegelung, Dach- oder Fassadenbegrünung Maßnahmen gesetzt werden können, die einen Beitrag zur Eindämmung der steigenden Temperaturen leisten.

Doch es kann nicht nur um lokal begrenzte Räume gehen, die die gesamtstädtische Struktur erfassende Temperaturregelung muss im Auge behalten werden. Entscheidend ist hier, wie Wolfgang Gepp, Simon Tschannett und Matthias Ratheiser in ihrem Artikel schreiben, wie mit den heißen Nächten verfahren wird, da diese auf die Gesundheit der StadtbewohnerInnen den größten negativen Einfluss ausüben. In der Neuplanung von Straßen-, Park- und Platzanlagen muss auf klimatische Bedingungen wieder mehr Rücksicht genom-men werden, wobei Vorbilder aus dem südeuropäischen Raum helfen können, wie Katrin Hagen in ihrem auf Beispiele aus Granada und Sevilla eingehenden Beitrag darlegt.

Es stellt sich die Frage, ob es gelingen kann, das regionale Klima für das thermische Empfinden der StadtbewohnerInnen durch derartige Maßnahmen innerhalb des derzeitigen Schwankungsbereiches zu halten: Ein Hitzetag in Nordeuropa beginnt in viel niedrigeren Temperaturbereichen für die Bevölkerung wahrnehmbar und beschreibbar zu sein als in Mittel- und dann weiter in Südeuropa. Es gibt jedoch größere Herausforderungen als die mitteleuropäische Problematik der steigenden urbanen Temperatur. Meeresnahe urbane Siedlungen oder Infrastrukturen sind Risiken ausgesetzt, die nicht mehr so leicht kalkulierbar sind.

Auch wenn Einzelereignisse, die gar nicht ursächlich mit dem Klimawandel in Zusammenhang stehen müssen, verheerende Auswirkungen auf gesamte Landstriche haben, wie Fukushima gezeigt hat, sollen diese Schreckens- und Katastrophenszenarien nicht dazu dienen, um Infrastrukturmaßnahmen gegen den steigenden Meeresspiegel oder häufigeren Starkregenereignissen zu legitimieren. Alleine die Kombination aus Urbanisierung und Kanalisierung lässt bereits sichtbar werden, dass alternative Strategien des Umganges mit dem Gut Wasser notwendig sein werden, um in Zukunft die gewachsenen Städte noch mit den Basisleistungen einer Agglomeration versorgen zu können. Es ist leicht einzusehen, dass ein bestehendes Kanalnetz einer Stadt nicht innerhalb kürzester Zeit für eine höhere Durchflussleistung umgebaut werden kann.

Parallel zu diesen Entwicklungen erleben bottom up-Strategien, begleitet von einer Renaissance der urbanen Gärten, eine Wiederbelebung. Waren Gärten in der Zwischenkriegszeit der Not geschuldet, ist Ihre Anlage heutzutage eine trendige Freizeitbeschäftigung. Das ändert nichts daran, dass die urbane gärtnerische Arbeit und die positive Resonanz, die sie erhält, einen Beitrag für nachhaltige Freizeitnutzung innerhalb der Stadt leistet.

Hier sind lokale Initiativen Vorreiter für eine an den Klimawandel angepasste Lebensform. Im Beitrag von Nadine Kuhla wird sichtbar, wie sich private Initiativen ganz konkret zu Aktivitäten innerhalb der Stadt zusammenschließen, die sowohl einen Gemeinwesensaspekt als auch einen Effekt im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung nach sich ziehen. Die zentrale Frage ist nicht, ob Klimaschutz oder Klimawandelanpassung oder Nachhaltigkeit ein Vorrang in der Stadtentwicklung und Stadterneuerung einzuräumen ist, sondern wie die Ziele dieser Strategien vereinbart werden können, um eine zukünftig tragfähige urbane Lebensumwelt zu sichern.

dérive, Mo., 2012.08.13



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dérive 48 Stadt Klima Wandel

04. November 2011Erik Meinharter
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Urbane Vergnügungen

»Allen entgegen dringt der Lärm des Wurstelpraters; und über dem Gewühl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes...

»Allen entgegen dringt der Lärm des Wurstelpraters; und über dem Gewühl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes...

»Allen entgegen dringt der Lärm des Wurstelpraters; und über dem Gewühl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes Glockenklingeln, das Heulen der Werkel, schmetternde Fanfaren, dröhnende Paukenschläge. Und ein sonniger Himmel wölbt sich licht und klar über dem Brausen und Toben und senkt sich weit hinter den grünen Bäumen in verschwimmendem Blau hernieder, als sei hier das Land aller Freude und Seligkeit, und als sei jede Sorge und jedes Unglück zurückgeblieben dort, wo über dem grauen Häusermeer Dunst und Nebel in schweren Wolken lagert.« (Mattl et.al., 2004)

Mit diesem Stimmungsbild beginnt Felix Salten in einer Ausgabe von 1911 eine Beschreibung der Attraktionen und Tätigkeiten im Wurstelprater Wien. Als Nachdruck ist dieser Text 2004 erschienen und im Vorwort wird er als »Knoten in einem kulturellen Bedeutungsgewebe« bezeichnet.
Räumlich fixiertes urbanes Vergnügen (Freizeitpark, Vergnügungspark, Amusementpark, Lunapark) ist schon immer als Gegenwelt zum urbanen Alltag beschrieben worden und ist doch ein immanenter Teil desselben, und könnte im obigen Sinne als ein Knoten im urbanen Gewebe beschrieben werden. Folgend der Aufteilung des Tages in Arbeits- und Freizeit, verdichtet sich das Sinnbild der Freizeit in den Stätten urbanen Vergnügens (vgl. König 2000). Die hohe Anzahl der StadtbewohnerInnen lässt die jahreszeitlichen Vergnügungen des Landes (Jahrmarkt, Kir(ch)tag) in einer großen Flächenausdehnung sesshaft werden.

Zusätzlich wird diese Form der Gegenwelt auch säkularisiert und zum profanen Ereignis. Tendenzen der Moderne verdichten sich also an den Orten urbanen Vergnügens. Die im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert entstandenen permanenten Orte urbaner Vergnügungen sind Bestandteil der zu dieser Zeit stattfindenden Modernisierung des Urbanen. Christan Schmid verdeutlicht eine Erkenntnis Henri Lefebvres, dass in Folge der Expansion des urbanen Gewebes ein urbanes System von Werten entsteht, von welchem das »urbane Vergnügen« ein Teil ist (vgl. Schmid 2005). Der Vergnügungs- oder Lunapark, zu dieser Zeit noch begleitet von Themenparks, Tiergärten, Weltausstellungen, kann also als Reaktion auf die extreme Verdichtung der Städte angesehen werden. Es sind bauliche Repräsentationen phantastischer Ereignisse. Die damals noch phantastische Reise zum Mond hielt sich stellvertretend im Namen Luna-Park. Am Beispiel des Wiener Praters lässt sich auch ablesen, wie aus einer öffentlichen Parkanlage durch Weltausstellung, Themenpark (Venedig in Wien) schlussendlich eine abwechslungsreiche Aneinanderreihung »bürgerlicher behäbiger Vergnügen« und »technischem Nervenkitzel« wurde (vgl. Scherreiks 2005, König 2000).

Nicht nur im Namen dieser Orte scheint in jedem Fall ein Park dabei zu sein. Auch in seiner räumlichen Konfiguration ist der Ort des urbanen Vergnügens von der Topographie und der Lage in der Stadt einer Parkanlage gleich, oder profitiert von einer Gunstlage wie z.B. der Küste bei Coney Island oder Venice Beach. Diese beiden Anlagen sind mit einigen anderen noch Zeugen einer vergangenen Form des urbanen Vergnügens, die sich bis in die heutige Zeit nur in einigen wenigen Städten halten konnte. Coney Island (New York City, USA), Tivoli (Kopenhagen, Dänemark), Gröna Lund und Liseberg (Stockholm und Göteborg, Schweden), Parque de Atracciones und Tibidabo (Madrid und Barcelona, Spanien), Gorki Park (Moskau) oder auch der Wiener Prater (Wien, Österreich) haben sich im Gegensatz zu den größten Luna Parks, die um 1910 in Deutschland entstanden und in den 30er Jahren wieder untergegangen sind, gehalten.

Die Rolle, die diese Orte in der Stadt spielen, werden in dieser Schwerpunktausgabe aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Sie dienen als Referenz für die Strategie der Ökonomie der Faszination diese in den Raum des Alltags zu exportieren (Geographien der Faszination – Heiko Schmid). Sie dienen als Mittel und Strategie der Politik (Flower Power für Medellin – Eva Schwab). Sie bilden Anknüpfungspunkte für Städtebau und Regulation urbaner Entwicklung (Die Welt als Luna Park – Ein Wiedersehen in Coney Island – André Krammer), und dienen auch als Projektionsraum der Imagination (Schwellenräume der Imagination und des Gespenstischen – Thomas Ballhausen).

Das Besondere der urbanen Vergnügungen ist ihre Institutionalisierung, die sich bis zu einer räumlichen Permanenz steigern kann. War der Kirchtag (Kirtag) und der Jahrmarkt nun eben eine rurale Form aus dem Alltag auszubrechen, boten vor allem in Folge der Industrialisierung entstandene permanente Orte des Vergnügens eine Konterposition zum urbanen Arbeitsalltag. Die parallele Entwicklung von Freizeit, Tourismus und Erholung als zeitlich fixierte Handlungen im Alltag, mit einer Entwicklung der technischen Möglichkeiten, die sich in den großen Weltausstellungen in Orten der Faszination manifestierten.

Vergnügungen gab es immer schon, die urbane Ausformulierung hatte bereits in der Antike eine andere Dimension als die des ländlichen Raumes. Groß dimensionierte Sportarenen und Theater als Einzelarchitekturen galten als Magnete der Abwechslung vom Alltag und dienten vor allem politischen Zielen der ErrichterInnen.

Die im Beitrag von Heiko Schmid klargelegte Umleitung der Faszination in eine Strategie der Ökonomie und Wirtschaft, als Mehrwert z.B. im Wettbewerb der Städte bedeutet jedoch nicht, dass die politische Funktion des Vergnügens verlorenging. Nicht nur die Beispiele, die Eva Schwab in ihrem Beitrag aus Medellin beschreibt, welche eine sichtbare Ambivalenz zwischen den politischen und den gesellschaftlichen Zielen beim Einsatz der urbanen Vergnügungen zeigen, verdeutlichen dies. Sind die politischen Ziele klar sichtbare »Handlungsanweisungen« zur Reglementierung der BewohnerInnen, können doch die Versammlungen und dadurch Besetzungen der öffentlichen Räume in Medellin die Situation der Benützbarkeit dieser erhöhen. Anwesenheit schafft Sicherheit in einer Stadt, in der nach Einbruch der Dunkelheit besser alle Wege mit dem Taxi zurückgelegt werden sollten.

Urbane Vergnügungen ermöglichen einen neuen Blick auf die Stadt, so schrieb 1897 zur Eröffnung des Riesenrades im »Venedig in Wien« das neue Wiener Tagblatt: »Je höher man emporschwebte, desto mehr hatte man die Empfindung, als wäre man zur Unbeweglichkeit verurteilt. Es war wie bei einer ruhigen Luftballonfahrt, wo der Boden immer tiefer zu sinken scheint. Immer großartiger wird zugleich das Bild, das sich den Augen darbietet. Gleich einem colorierten Reliefplan breitet sich die Stadt mit ihrem Hausmeere, mit ihrem Gewirre von Kirchtürmen und Kuppeln aus, und im Norden wird das vom Stahlband der Donau begrenzte Marchfeld sichtbar (...).«

Inwiefern Areale urbanen Vergnügens in die Mühlen der Stadtentwicklung geraten können, stellt Andre Krammer in seinem Abriss über die Geschichte Coney Islands dar. Das zur Jahrhundertwende (19/20) überlaufene öffentliche Areal, das als Badestrand für die Arbeitenden diente, wurde aufgrund seiner Regellosigkeit zum Vergnügungsviertel umgebaut. Um 1897 sollte der Steeplechase-Park die Benützung der bereits überlaufenen Strandzone in geregelte Bahnen lenken. Hier zeigt sich die Verwendung von inszenierten Vergnügungen als Mechanismus hoheitlicher Regelungen. Es wird also ein Ventil geschaffen, das Ordnung durch Ablenkung herstellt. Nicht nur der offizielle Pratersong definiert diesen als: »Völlig losgelöst von Raum und Zeit …«

Jenseits der räumlichen Regelungen entwickelt der Ort des Anderen, der Ort, an dem das Andere Faszination oder Schrecken zulassen darf, in der Literatur, Comic und Film eine Rolle eines Gefäßes für Phantasmen. Das bereits die Namen der Luna-Parks als Filmtitel (Gorky-Park, Apted 1983; Prater, Ottinger 2007), Buchtitel (Bambiland, Jelinek) oder Song- bzw. Albumtitel (Coney Island Baby, Lou Reed 1975 ) viele Imaginationen und Assoziationen hervorrufen, sie entfernen sich auch von den realen Orten und destillieren aus jenen eine Essenz der Ausflucht. Thomas Ballhausen beschreibt eine Steigerungsform der Abstraktion, die in der narrativen Form den Ort des Vergnügens abstrahiert, bis er nur mehr als Sinnbild für die Grenzübertretung eingesetzt wird. So lässt sich auch in Bambiland nicht nur der Titel von Elfriede Jelineks Theaterstück über den Irak-Krieg erkennen, sondern auch der Freizeitpark in Pozarevac, der Geburtsstadt Milosevics, welcher im Jahr 1999 von seinem Sohn Marko Milosevics gegründet wurde, um mittels der dort angestellten Personen die EinwohnerInnen des Ortes einzuschüchtern (OSCE 2000[1]). Konkreter Schrecken und vermeintliches Vergnügen treffen an dieser Stelle im realen Freizeitpark zusammen. Die politische Dimension des urbanen Vergnügens ist aber zumeist eine der geordneten reglementierten Unterhaltung. Sie sind zwar Orte des Konsums, jedoch ist ihre Form eine lesbare auf das Produkt ausgerichtete Inszenierung.

Der Wiener Prater und der öffentliche Raum als Sinnbild der Urbanität des Vergnügens

Orte urbaner Vergnügungen sind nicht »Dritte Orte« folgend den Definitionen Ray Oldenburgs, die dem eigenen Zuhause und dem Arbeitsplatz als »Orte des Wohlfühlens« beigestellt werden. Niemand soll sich an diesem Ort wie zu Hause fühlen, es ist das inhärente Ziel des urbanen Vergnügens hier aus sich heraustreten zu können (schreiend) oder eigene Grenzen zu überschreiten (Die Angst in der Geisterbahn), die an keinem anderen Ort so stellvertretend und ungefährlich getestet werden können. So sind diese Orte trotz der nur gegen Entgelt zu benützenden Fahrgeschäfte keine »Räume des Konsums« (vgl. Hellmann K.U., Zurstiege G., 2008), wenn sie wie der Wiener Prater frei zugänglich sind. Diese freie Zugänglichkeit gewährleistet eine permanente Öffentlichkeit und einen Austausch zwischen dem urbanen Alltag und dem urbanen Vergnügen. Dass auch der Ort Alltag beinhaltet, verdeutlicht der preisgekrönte Film Prater (2007) von Ulrike Ottinger, in welchem die Arbeitswelten der SchaustellerInnen sichtbar werden, die ganz im Gegensatz zu den kurzweiligen Vergnügungen im Sommer annähernd durchgehende Arbeitszeiten aufweisen.

Der öffentliche Raum der urbanen Vergnügungen ist sachlich, funktional und ausgeräumt. Asphaltstraßen, mit einigen wenigen Bäumen winden sich an möglichst vielen Erlebnisfassaden vorbei. Der Freiraum der Zonen des urbanen Vergnügens ist eine minimalistische Transportfläche, die aufgrund der oben genannten Inszenierungen auch nicht sehr viel Aufmerksamkeit durch die BesucherInnen erhält. Der Prater besticht vor allem durch seine Öffentlichkeit und freie Zugängigkeit, die es ermöglicht an diesem Ort des Vergnügens Stadtleben zuzulassen. Ein Spazieren durch den Ort der Entrückung mit den Augen der PassantInnen ist möglich. Kein Eintrittsgeld, keine Einzäunungen grenzen den Alltag aus dem Raum des Vergnügens aus. Das führte schon immer dazu, dass der Ort auch zur Zone subkultureller Handlungen von Jugendbanden bis illegaler Prostitution wurde, und auch aus diesem Faktum eine zusätzliche Faszination zog. Faszinierend auch insofern, als durch unterschiedlichste Maßnahmen versucht wurde Sicherheit und Sauberkeit an einen Ort zu bringen, der durchaus aufgrund der Anzahl an anwesenden Vergnügten ein hohes Potenzial an Öffentlichkeit hat. Diesen auch informell entstandenen Raum zu regulieren hatte Emmanuel Mongon 2004 mit dem Masterplan zwar versucht, nur stellt sich die Frage ob nicht das authentische des Praters eben diese Unordnung darstellt. Diese ist in jedem Fall stabil.

Mongons Bestreben – »das typisch Wienerische soll front stage zu sehen sein, hinter den Kulissen sollen die Geschäfte technisch modern aufgerüstet werden.« (Falter 2004) – hat bzw. hätte zum Ergebnis, dass Zuckergebäckglasur-verzierte Hallen als die auf die Spitze getriebene Karikatur der eigenen Stadt präsentiert werden. Damit wird Klaus Ronneberger in seiner Einschätzung »Disneyland ist authentischer als Wien«, die er vor Jahren in einem Interview mit dérive (Heft 1, 2000) getroffen hat, neuerlich bestätigt. Sie gilt damit nicht nur für die Wiener Innenstadt, die im Spannungsfeld zwischen historischen Fassaden und Einkaufswelten zur Inszenierung des Historischen neigt und sich selbst nicht als »Raum des Konsums« präsentieren will, sondern auch für den Prater selbst. Nichtsdestotrotz muss man sich fragen, ob es sinnvoll ist, Retrostil und Vergnügungsdesign in einem Kontext zu kritisieren, der außerhalb der Imagination der Wunschwelten liegt, wie es in der Diskussion um die Neugestaltung des Pratervorplatzes geschehen ist.

Faszinierend auch, dass allen Ernstes gedacht wurde, der Prater hätte eine Neuorientierung nötig. Das Besondere dieses Ortes urbanen Vergnügens ist jedoch das Unthematische, Öffentliche und Neutrale. Er ist kein Themenpark, sondern eine permanente Collage an Vergnügungen, die sich in ihrem urbanen Kontext nach der jeweiligen Zeit richten können. Fahrgeschäfte kommen und gehen. Da der Prater in seiner Lage mit dem bereits 1766 durch Kaiser Joseph II übergebenen ehemaligen Jagdrevier als Parkanlage mehr als nur ein Vergnügungspark ist, bieten sich auch Räume fernab des Konsums der Faszination an.

Schon in dem durch Robert Stolz bekannt gewordenen Lied »blüh’n im Prater wieder die Bäume«, wobei hier die Lust auf eine Landpartie geweckt werden soll und der große Park nur als Fenster der urbanen Naturwahrnehmung dient. Das führt sogar soweit, dass in der populären Kultur der Prater noch immer für Textzeilen geeignet ist, wie wenn die Sportfreunde Stiller in ihrem Lied »Lass mich nie mehr los« singen, ohne dich wär‘s »Wie New York ohne Sinatra, Wie Wien ohne Prater«. Diese Orte sind, wenn sie sich wie der Wiener Prater über Jahrzehnte gehalten haben, aufgrund ihrer in sie projizierten Wünsche nicht mehr aus dem Stadtgewebe wegzudenken.

Der Unterschied zur Selbst-Inszenierung ist in den Orten des urbanen Vergnügens der Raum selbst, mit seinen großen Leuchtreklamen, Figuren, Schienen, Fassadenbildern und Kunstlandschaften, so überbordend expressiv gestaltet, dass die Aufmerksamkeit sich gar nicht im öffentlichen Raum auf die darin befindlichen Personen richten kann.

Einzig innerhalb spezifischer Fahrgeschäfte, wie zum Beispiel dem Tagada, ist es möglich, innerhalb einer Gruppe Aufmerksamkeit zu erhalten und sich zu inszenieren. Das unterscheidet diese spezifischen Orte urbanen Vergnügens, die als Knoten im urbanen Gewebe Wünsche baulich manifestieren, stark von den »öffentlichen Wohlfühlmassagen«, wie dem Museumsquartier Wien, welche Christian Mikunda als Berater der Exporteure des Erlebnisses in die Orte des Konsums dann als dritten Ort definiert.

Anmerkung:
[01] http://www.osce.org/fom/52012

Literaturverzeichnis:
Becker, Tobias, Littmann, Anna & Niedbalski Johanna (Hg.) (2011): Die tausend Freuden der Metropole. Vergnügungskultur um 1900. Bielefeld: transcript.

Eberstaller, Gerhard (2005): Schön ist so ein Ringelspiel. Schausteller, Jahrmärkte und Volksfeste in Österreich. Geschichte und Gegenwart. Wien: Brandstätter.

Hellmann, Kai-Uwe & Zurstiege, Guido (Hg.) (2008): Räume des Konsums. Über den Funktionswandel von Räumlichkeit im Zeitalter des Konsumismus. Wiesbaden: VS Verlag.

Mattl, Siegfried, Müller-Richter, Klaus & Schwarz, Werner M. (Hg.) (2004): Felix Salten: Wurstelprater. Ein Schlüsseltext zu Wiener Moderne. Wien: promedia.

König, Wolfgang (2000): Geschichte der Konsumgesellschaft. VSWG Beihefte 154. Stuttgart: Franz Steiner (S. 333ff).

Schmid, Christian (2005): Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefebvre und die Theorie der Produktion des Raumes. Stuttgart: Steiner.

Scherreiks, Sandra (2005): Grüne Hölle oder schillerndes Paradies? Zur Geschichte und kulturellen Bedeutung von Erlebnisparks in Deutschland. Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte, Bd. 4. Münster u.a.: Waxmann.

dérive, Fr., 2011.11.04



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Presseschau 12

18. Januar 2024Erik Meinharter
dérive

(K)ein Ende der Obdachlosigkeit in Sicht. Endlich Wohnen für Alle?

Dass es im Jahr 2023 noch – oder wieder – Politiker:innen gibt, die Obdachlosen zuschreiben, sie würden ihre Lebensumstände freiwillig als lifestyle wählen,...

Dass es im Jahr 2023 noch – oder wieder – Politiker:innen gibt, die Obdachlosen zuschreiben, sie würden ihre Lebensumstände freiwillig als lifestyle wählen,...

Dass es im Jahr 2023 noch – oder wieder – Politiker:innen gibt, die Obdachlosen zuschreiben, sie würden ihre Lebensumstände freiwillig als lifestyle wählen, ist mehr als beschämend. Vor allem wenn es sich wie bei der – mittlerweile zurückgetretenen – britischen Innenministerin auch noch um die Politikerin eines entwickelten Industrielandes handelt.1 Möglicherweise hätte Großbritannien auch nicht die Erklärung von Lissabon der EU mitgetragen, die sich der Herausforderung der Beendigung der Obdachlosigkeit bis 2030 annimmt, wäre es noch Mitglied der europäischen Union. 2021, mitten in der Pandemie, haben alle EU-Staaten einstimmig ein Programm angenommen, welches mit fünf Zielen versucht, homelessness zu überwinden.

»Alle Beteiligten haben sich verpflichtet, ihre Bemühungen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu verstärken, insbesondere durch die Stärkung der Prävention und die Umsetzung integrierter, wohnungsbezogener Ansätze, die darauf abzielen, Obdachlosigkeit zu beenden und nicht nur zu verwalten.« (EMPL k.A.)

Besonders bemerkenswert ist, dass die Deklaration auch das Thema der Prävention einschließt und somit eine Wende von der Verwaltung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit hin zur Beendigung nimmt. Folgende fünf Ziele sind explizit in der Vereinbarung (siehe Combatting Homelessness Conference 2021) festgehalten:

— niemand muss wegen eines Mangels an zugänglichen, sicheren und geeigneten Notunterkünften auf der Straße schlafen

— niemand ist länger in Not- und Übergangsunterkünften untergebracht, als für den erfolgreichen Übergang 
in eine dauerhafte Unterkunft erforderlich ist

— niemand wird ohne das Angebot einer angemessenen Unterkunft aus einer Einrichtung (z. B. Haftanstalt, Krankenhaus, Pflegeeinrichtung) entlassen

— Zwangsräumungen sollten, wenn möglich, vermieden werden und niemand wird seiner Wohnung verwiesen, ohne Unterstützung bei der Suche einer angemessenem Unterbringungslösung zu erhalten, soweit dies erforderlich ist

— niemand wird aufgrund seiner Obdachlosigkeit diskriminiert

Auf Basis dieser Deklaration wurde eine Europäische Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit gegründet, welche im Austausch zwischen den Ländern und deren Strategien zu einer gemeinschaftlichen Lösung führen soll. Daneben wird der Zugang zu Finanzmitteln und die Verstärkung der Evidenz über Obdachlosigkeit vereinbart. Diese Strategie steht im Einklang und basiert auf den Zielen für nachhaltige Entwicklung (sogenannte SDG – Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen. Die Ziele 1 – »Armut in all ihren Formen und überall beenden« und 11 – »nachhaltige Städte und Gemeinden«, beinhalten die Aufgabenstellung, bis 2030 Ungleichheit beim Zugang zu leistbarem Wohnraum zu beseitigen und diesen auch allen anbieten zu können (United Nations 2023).2

Obdach- oder Wohnungslos

Schon die Wortwahl in der Übersetzung der Lissaboner Erklärung lässt die Ziele fokussierter erscheinen, als sie sind, denn ›Obdachlosigkeit‹ ist nur ein Teilbereich der Wohnungslosigkeit. Diese ist viel umfassender und zeigt sich in vielfältigen Formen von ›unvollständigem Wohnen‹. Die ETHOS-Definition von Wohnungs- und Obdachlosigkeit (feantsa.org/download/at___6864666519241181714.pdf), entwickelt vom europäischen Dachverband der Wohnungslosenhilfe (FEANTSA), bietet einen klareren Einblick in die vielfältigen Herausforderungen bei der Bewältigung dieser sozialen Frage. Obdachlosigkeit ist nur die sichtbarste aller Formen der Wohnungslosigkeit, die mit ›wohnungslos‹ (z. B. Menschen, die in Wohnungsloseneinrichtungen, Frauenhäusern etc. wohnen) über ›ungesichertes Wohnen‹ (z. B. von Delogierung bedrohte, temporär bei Verwandten Wohnende etc.) bis hin zu ›ungenügendes Wohnen‹ (Wohnprovisorien, ungeeignete Wohnungen etc.) alle Menschen einschließt, die keine vollwertige Wohnung bewohnen können. Durch diese Definition wird auch klarer, wie groß die Herausforderungen tatsächlich sind, bis 2030 die Ziele der Erklärung von Lissabon umzusetzen – auch, da aufgrund der Preisdynamiken am Wohnungsmarkt und der steigenden Neben- und Lebenshaltungskosten die Sicherung des Wohnens zu einer noch größeren Herausforderung für die Gesellschaft wird.

Wie wieder wohnen?

Da in der Lissabonner Erklärung die Frage nach der Überwindung der Wohnungslosigkeit mittels bereits erprobter Strategien gefordert wird, rückt ›Housing First‹ als strategischer und nachhaltiger Ansatz zur Bewältigung in den Vordergrund. Das Konzept ›Housing First‹ besagt, dass die Behebung sozialer Herausforderungen von Wohnungslosen dann nachhaltig erfolgreich sein kann, wenn die Lösung der Wohnungsfrage als Erstes in Angriff genommen wird. Mit dem – eigenständigen – Wohnen starten die Beratungen und Unterstützungen durch Sozialarbeiter:innen der Hilfsorganisationen, wie Caritas, Diakonie, Volkshilfe, Heilsarmee, Hilfswerk, Rotes Kreuz, Obdach Wien oder eben neunerhaus, um die Herausforderungen zu überwinden und die soziale Integration zu schaffen. Das Wohnen steht somit am Anfang einer Strategie zur nachhaltigen Bekämpfung von Armut. Neben dem europäischen Vorreiterland Finnland haben sich auch Spanien und viele weitere Länder dem ›Housing-First‹-Ansatz geöffnet, der ursprünglich aus Nordamerika kommt. Auch in Österreich wird er verfolgt und insbesondere durch die BAWO 3 als Dachorganisation der Obdachlosenhilfsorganisationen vertreten. Auch wenn ›Housing First‹ in der Praxis bereits umgesetzt wird, reicht die Zahl der angebotenen Wohnungen natürlich noch bei weitem nicht aus, um das Problem der Wohnungslosigkeit aus der Welt zu schaffen. Heute, sieben Jahre vor dem vereinbarten Zieldatum, lässt sich bereits konstatieren, dass eine Umsetzung der Ziele nur mit einiger Kraftanstrengung und vor allem mit mehr Beteiligten als nur den Sozialministerien der EU-Staaten bewältigt werden kann. Im Zentrum der vielfältigen Herausforderungen steht die große Aufgabe, leistbaren Wohnraum zu schaffen und diesen tatsächlich nachhaltig zur Verfügung stellen zu können. Da diese Aufgabe bereits beim geförderten Wohnraum eine wirtschaftliche Herausforderung darstellt, ist sie beim Projekt ›Housing First‹ sogar noch anspruchsvoller.

Eine gemeinsame Herausforderung, ein neuer Blickwinkel

Es geht bei der Bewältigung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit also vor allem um eine gemeinsame Anstrengung, Menschen, die ohne die Chance, über den Wohnungsmarkt ihre Wohnbedürfnisse befriedigen zu können, in eine sozial benachteiligte Position gelangen, eine Zukunftsperspektive zu geben. Exklusion und Stigmatisierung sind Begleiterscheinungen des Wohnungsverlusts, die in Folge in eine Negativspirale münden und damit zu einem weiteren sozialen Abstieg führen können. Gegen negative Zuschreibungen und die Stigmatisierung von wohnungslosen Menschen vorzugehen und aufzuklären, dass es keineswegs vorrangig individuelle Faktoren sind, die Menschen in die Obdachlosigkeit rutschen lassen, ist eine weitere Aufgabe bei ihrer Überwindung. Nur das Wissen über und ein Verständnis für die unterschiedlichen und vielfältigen Einflussfaktoren, welche eine Wohnungslosigkeit auslösen können, können dazu führen, diese auch nachhaltig zu verhindern. Wohnen bildet einen Grundstein des Selbstverständnisses des Menschen. Das Recht auf Wohnen wird sowohl in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen als auch im Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)4, der in Österreich Rechtsgültigkeit besitzt, erwähnt. Im Gegensatz zum Artikel 31 der Europäischen Sozialcharta (Europarat 2018), in dem ein Recht auf Wohnen beschrieben wird, der aber nur von wenigen Ländern (z.B. Andorra, Finnland, Frankreich, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Ukraine …) ratifiziert wurde. Das im CESCR verwendete einfache Wort ›Unterbringung‹ in Artikel 11 birgt gewiss weiten Interpretationsspielraum, Ziel sollte in jedem Fall ein angemessener und adäquater Raum zum Wohnen für alle sein.

Erik Meinharter ist Landschaftsarchitekt, Partner bei PlanSinn Büro für Planung und Kommunikation. Mitbegründer und Redakteur bei dérive – Zeitschrift für Stadtforschung. Lehraufträge an der Universität für Bodenkultur und der Technischen Universität Wien.

1
www.derstandard.at/story/3000000193784/britische-innenministerin-will-gegen-zelte-von-obdachlosen-vorgehen.

2
»By 2030, ensure access for all to adequate, safe and affordable housing and basic services and upgrade slums«, UN Sustainable Development Goals: Goal 11.1; www.un.org/sustainable-development/cities/.

3 
Die BAWO – Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ist ein 1991 gegründeter gemeinnütziger Verein, der als österreichweiter Dachverband der Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe fungiert. www.bawo.at

4
Aus dem Artikel 11 des CESCR: »Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unter–bringung sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen.« www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000629


Literatur

Combatting Homelessness Conference (2021): Lisbon Declaration on the European Platform on Combatting Homelessness; www.ec.europa.eu/social BlobServlet?docId=24120&langId
EMPL – Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration (k.A.): Obdachlosigkeit. www.ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1061&langId=de.
Europarat (2018) Europäische Sozialcharta. www.rm.coe.int/eeuropaische-sozialcharta-/16808b6382
United Nations (2023): The Sustainable Development Goals Report. S. 34–35; www.unstats.un.org/sdgs/report/2023/The-Sustainable-Development-Goals-Report-2023.pdf.

dérive, Do., 2024.01.18



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23. Juli 2014Christian Hlavac
Erik Meinharter
dérive

Die grüne Nachkriegsmoderne 1

Wer heute durch den großen Donaupark im Norden Wiens spaziert, wird an einigen wenigen Stellen an die erste international ausgerichtete Gartenschau in...

Wer heute durch den großen Donaupark im Norden Wiens spaziert, wird an einigen wenigen Stellen an die erste international ausgerichtete Gartenschau in...

Wer heute durch den großen Donaupark im Norden Wiens spaziert, wird an einigen wenigen Stellen an die erste international ausgerichtete Gartenschau in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Dieser Park ist – im Vorhinein geplant – der im positiven Sinne verstandene Rest der 1964 gezeigten Wiener Internationale Gartenschau, kurz »WIG 64«.

Die unterschiedliche Rezeption der WIG 64 bringt der Direktor des Wien Museums, Wolfgang Kos, treffend in seinem Vorwort auf den Punkt: »Als wir im Museum über dieses Projekt diskutierten, zeigte sich, dass das Kürzel ›WIG 64‹ sehr unterschiedliche Assoziationen auslöst – entweder starke oder gar keine. Das hängt mit unterschiedlichen Erinnerungen zusammen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht in Wien aufgewachsen sind, verbinden keine persönlichen Erinnerungen mit der Gartenschau im heutigen Donaupark oder wissen gar nicht, dass im heute eher diffusen Gelände zwischen Donauturm, UNO- Zentrum und Donau City ein für Wiens Nachkriegsgeschichte wichtiges Ereignis stattfand. Menschen aus Wiener Familien, die seit zwei oder drei Generationen hier leben, reagieren dagegen sehr unmittelbar auf die Nennung der WIG 64, hat diese ›Garten- Weltausstellung‹ doch einen Platz in ihrer Erinnerung – sei es, weil Eltern und Großeltern davon erzählt haben, sei es, weil sie als Kinder mit dem Sessellift über Blumenbeete geschwebt sind oder zum ersten Mal eine legendäre Hollywood-Schaukel mit eigenen Augen gesehen haben.«

Die WIG 64 gehört – hier ist Wolfgang Kos zu folgen – zu jenen Großveranstaltungen der Ära des Wiederaufbaus und der Modernisierung, die noch von einem ungebrochenen Fortschrittsdenken geprägt war: »vergleichbar der Wiedereröffnung der Staatsoper und der Eröffnung der Opernpassage im Jahr 1955.«

Zahlreiche Autorinnen und Autoren widmen sich im Ausstellungskatalog in unterschiedlichen, relativ kurzen Beiträgen der Gartenschau und dem Donaupark, wobei die weitgehend in Vergessenheit geratene und teils verdrängte Vorgeschichte des Areals nicht ausgeblendet wird.

Die Schweizerin Annemarie Bucher spannt im ersten Text einen kurzweiligen Bogen vom Beginn von Gartenausstellungen im 19. Jahrhundert zu den mitteleuropäischen Gartenschauen im 20. Jahrhundert und stellt damit die WIG 64 in einen planerischen und gartenhistorischen Kontext. Martina Nußbaumer geht in ihrem Beitrag auf die Wiener Stadtplanung in den 1950er- und 1960er-Jahren ein, die noch stark von einer Funktionstrennung bzw. großräumigen Entmischung von Funktionen geprägt war, und setzt die WIG 64 in Bezug zum damals weit verbreiteten »Begehren der Nachkriegszeit nach Ordnung, Planbarkeit und Kontrollierbarkeit«. Mit der Geschichte des WIG 64/Donaupark-Areals vor 1964 beschäftigt sich Ulrike Krippner. Zu nennen sind hier die damals so wahrgenommenen »Un-Orte« Militär-schießstätte, städtische Mülldeponie und informelle Siedlungen. In einem Interview mit drei (ehemaligen) BewohnerInnen der Siedlung Bruckhaufen, die auch heute noch am Rande des Donauparks liegt, kommt eine individuelle Note in den Ausstellungskatalog.

Ulrike Krippner gibt einen groben Überblick auf die handelnden Personen bei der Gestaltung und die wichtigsten Teile des WIG-Geländes. Auf die Spuren der Berichterstattung zur WIG 64 in den Medien begibt sich Nicole Theresa Raab. Die Autorin schafft es im Text, den enormen Werbeaufwand für die Gartenschau deutlich zu machen.

Im Beitrag »Der Donauturm als Attraktion und Attrappe« fokussiert Andreas Nierhaus auf die Kritik am Sinn, an den Kosten und der Ausführung des Aussichtsturmes, der in 150 Meter Höhe eine neue Sicht auf Wien ermöglichte. Just 50 Jahre nach Eröffnung des Turms verlor der Donauturm sein Alleinstellungsmerkmal: Nur wenige hundert Meter entfernt wurde Anfang 2014 im DC Tower (am Rande des einstigen WIG-Geländes) in 207 Metern Höhe eine Aussichtsterrasse eröffnet, von der aus man auf den degradierten Donauturm hinunterblicken kann.

Nicole Theresa Raab widmet sich im anschließenden Beitrag der Frage, wieweit die USA in den 1960er-Jahren Einfluss auf die österreichischen Gärtnerei-Großbetriebe und somit auf den Privatgarten hatten. Einen pointierten kulturhistorischen Beitrag über ?die Hollywood-Schaukel, die auf dem WIG 64 Gelände als Sitzmöbel weit verbreitet war, liefert Peter Payer. Lilli Lic ?ka skizziert in aller Kürze die Entwicklung des Geländes – als Donaupark – in der Zeit nach 1964. In einem Interview mit einer Landschaftsarchitektin und einem Landschaftsarchitekten, die beide in den letzten Jahren im Donaupark aktiv tätig waren, wird über die einstigen und heutigen Qualitäten des Donauparks sowie die Notwendigkeiten für die Zukunft diskutiert. Es folgt ein kurzer Text von Helmut Neundlinger zur gegenwärtigen Nutzung des Donauparks. Abgeschlossen wird die Publikation mit dem Katalogteil.

Die Ausstellung und der Katalog sollen – so die Einleitung – die Gartenschau in den Kontext der planerischen Utopien nach 1945 stellen und nach den Intentionen und den konkreten städtebaulichen und soziokulturellen Auswirkungen dieses Großprojekts fragen. Dies gelingt in weiten Teilen. Ein Wermutstropfen bleibt: Auf die Diskussion über das »Soll und Ist« bei den hard facts der WIG 64 – hier sind vor allem die Besucherzahlen und die massive Kostenüberschreitung zu nennen – wird nicht eingegangen. Sie hätte unter anderem gezeigt, dass massive Kostenüberschreitungen bei Gartenschauen kein junges Phänomen sind. Leider wird im Katalogteil die Mär übernommen, der nationale, extrem kurz angesetzte Ideenwettbewerb für österreichische Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten hätte für die Stadtverwaltung »kein zufriedenstellendes Ergebnis« gebracht. Das Studium des Juryprotokolls lässt erahnen, dass der damalige Wiener Stadtgartendirektor die Gesamtplanung eher aus Eigennutz übernahm. Erst relativ spät kam – wie Ulrike Krippner richtig festhält – Kritik am »Amtsprojekt« WIG 64 auf.

Hoch anzurechnen ist den HerausgeberInnen und AusstellungsmacherInnen, dass sie sich dem Thema der Grünflächen nach 1945 am Beispiel des Donauparks angenommen haben. Dass die Ausstellung und der Katalog nicht den Raum haben, um weitere Details zur Gartenschau zu präsentieren, ist ein Wermutstropfen. Hilfreich für die Forschung zur »grünen Nachkriegsmoderne« ist neben den zahlreichen Fotos jedenfalls die Auflistung aller beteiligten Gartenarchitektinnen (sic!) und Gartenarchitekten, ArchitektInnen sowie KünstlerInnen. Spätestens zum Jubiläum »50 Jahre Wiener Internationale Gartenschau 1974 [sic!]« wird man auf diese wieder zurückgreifen.


Die grüne Nachkriegsmoderne 2
Die Ausstellung

Ein Park, ein Raum. Aus Anlass ihres 50-jährigen Geburtstags wird der Wiener Internationalen Gartenschau 1964 eine Ausstellung im Wien Museum gewidmet. Die Geschichte und Gegenwart der WIG 64, welche mit dem Donaupark einen der größten Parks Wiens hinterlassen hat, wurde in einem Raum verdichtet. Aufgrund der Vielfältigkeit der Exponate und Medien erschließt sich jedoch selbst in diesem kleinen Raum die vielschichtige Vergangenheit eines der größten Freiräume Wiens. Die Runde im Uhrzeigersinn führt vom Gestern ins Heute. In einem Pult präsentierte Exponate aus dem Archiv des Wien Museums und des Gartenbaumuseums ergänzen die historischen Informationen mit sehr persönlichen Eindrücken. Originaldokumente – wie die Brettldorfer Zeitung – zeigen die Situation der BewohnerInnen des Brettldorfes, einer informellen Siedlung, welche sich nach 1945 in direkter Nachbarschaft einer Müllhalde befand. Das ausgestellte Typoskript der Ansprache des damaligen Bundespräsidenten Schärf zeigt, wie selbst diese für damalige Zeiten nüchterne Parkgestaltung auf einer Müllhalde für den Vergleich mit dem religiösen Ideal des Paradieses in Gebrauch genommen werden konnte. Die WIG 64-Bierdeckel und der Donauturmkugelschreiber vermitteln die bis heute angewandten Strategien der Vermarktung von Großprojekten. In der Mitte des Raumes geben Originalmöblierungen wie die Bogenleuchte von Carl Auböck einen Eindruck der durch diese Gartenschau vermittelten Modernität. Die bespannten Metallgartenmöbel, welche sich seit kurzem auch wieder in den Katalogen der Gartenmöbelhersteller präsentieren, verweisen auf die derzeitige Aktualisierung des Designs der 60er Jahre. Die gezeigten Filmdokumente verbinden auf intelligente Weise die Zeitabschnitte. Sie reichen von Werbefilmen über Found-Footage-Aufnahmen damaliger BesucherInnen bis zu einer extra für die Ausstellung produzierten Dokumentation der gegenwärtigen Nutzungen. Dieser Film bietet ausgewählte Einblicke in den Alltag im Park. Die nach 1964 vorgenommenen Adaptierungen, z.B. im Bereich der Sportangebote, werden so sichtbar. Deutlich wird, dass der bestehende Park aufgrund seiner Größe unterschiedlichste NutzerInnen, vom 90-jährigen Schachspieler bis zum mit Langzeitarbeitslosen Tennis spielenden Investmentbanker Raum zur Begegnung bietet. Welche Veränderungen der Park auch in den 50 Jahren seines Bestehens durchlaufen hat und noch werden wird, ob die zukünftigen Veränderungen geplant – wie mittels Parkpflegewerken in aktuelleren Beispielen der Bundesgartenschauen in Deutschland (München, Berlin, Potsdam) – oder als Stückwerk erfolgen werden, ist noch offen und wird den BesucherInnen als offen stehende Frage präsentiert. Die NutzerInnen werden ihren Raum im Park finden und die BesucherInnen der Ausstellung werden angeregt aus dem Raum im Museum auch wieder den Donaupark zu besuchen und dort selbst im Raum tätig zu werden.


Ulrike Krippner, Lilli Licka, Martina Nußbaumer (Hg.)
WIG 64. Die grüne Nachkriegsmoderne Wien
Metroverlag, 2014
160 Seiten, 24 Euro

dérive, Mi., 2014.07.23



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13. August 2012Erik Meinharter
dérive

Stadt Klima Wandel

Besonders viel Aufmerksamkeit wird der Diskussion über den Klimawandel in der Öffentlichkeit zumeist dann geschenkt, wenn in der Fachwelt weitgehend unbestrittene...

Besonders viel Aufmerksamkeit wird der Diskussion über den Klimawandel in der Öffentlichkeit zumeist dann geschenkt, wenn in der Fachwelt weitgehend unbestrittene...

Besonders viel Aufmerksamkeit wird der Diskussion über den Klimawandel in der Öffentlichkeit zumeist dann geschenkt, wenn in der Fachwelt weitgehend unbestrittene Positionen in Frage gestellt werden. Das aktuellste Beispiel betrifft Fritz Vahrenholt, den ehemaligen Umweltsenator der Stadt Hamburg (1991 – 1997), der derzeit Vorstandsvorsitzender von RWE Innogy, einem Tochterunternehmen des deutschen Energieversorgungskonzerns RWE, ist. Mit seinem gemeinsam mit Sebastian Lüning verfassten, jüngst erschienen Buch Die kalte Sonne sorgt er für Aufregung im deutschen Blätterwald. Die Bild-Zeitung widmet dem Aufreger eine eigene Serie: »Die CO2-Lüge«.

Der einzige Effekt solcher Debatten ist eine verminderte Akzeptanz der Ziele des Klimaschutzes oder von Maßnahmen der Klimawandelanpassung. Ergebnisse jahrelanger seriöser Forschung und Prognosen, wie sie vom Intergovernmental Panel on Climate Change (www.ipcc.ch) errechnet werden, für die zumeist der Mittelweg des möglichen Temperaturanstiegs gewählt wird, werden dadurch aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt.

Die zentrale Frage ist jedoch, wie mit der Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung des Klimas und damit der Veränderung der Lebensumstände in den Städten umzugehen ist. Nicht zuletzt durch die stetig steigende Bevölkerungszahl der Städte haben die Auswirkungen des Klimawandels eine besondere Bedeutung für diese Siedlungsform. Gleichzeitig sind Maßnahmen des Klimaschutzes oder der Anpassung an den Klimawandel in der Stadt nur langsam umzusetzen, da ihre baulichen, infrastrukturellen und organisatorischen Strukturen sehr unflexibel sind. Es sollte nicht darum gehen, mit Katastrophenszenarien Denkprozesse anzustoßen, die dann im Falle einer langsameren Entwicklung oder des Ausbleibens der Untergangsszenarien die durch Umdenken in Gang gekommenen Veränderungen wieder einschlafen lassen.

Wichtig ist ein ruhiger, voraus denkender Umbauprozess des urbanen Lebens, welcher sich auf die zukünftigen Unsicherheiten vorbereitet, diese mitdenkt und Maßnahmen setzt, damit die städtischen Strukturen weiterhin als gemeinschaftliche Lebensumwelt funktionieren können.

Veränderungen sind am direktesten in den Freiräumen umsetzbar. Gleichzeitig geraten diese jedoch in budgetären Belangen unter Druck, wie Stephanie Drlik und Andreas Muhar in ihrem Beitrag für diesen Schwerpunkt schreiben. Dafür verantwortlich ist ein erhöhter Pflegeaufwand aufgrund trockenerer Vegetationsphasen bei gleichzeitiger Aufnahme sanfter infrastruktureller Anpassungsmaßnahmen, wie z.B. der Versickerungsleistung für benachbarte versiegelte Verkehrsflächen. Wohl wurde erkannt, dass auch auf privaten Grundstücken mit geringerer Versiegelung, Dach- oder Fassadenbegrünung Maßnahmen gesetzt werden können, die einen Beitrag zur Eindämmung der steigenden Temperaturen leisten.

Doch es kann nicht nur um lokal begrenzte Räume gehen, die die gesamtstädtische Struktur erfassende Temperaturregelung muss im Auge behalten werden. Entscheidend ist hier, wie Wolfgang Gepp, Simon Tschannett und Matthias Ratheiser in ihrem Artikel schreiben, wie mit den heißen Nächten verfahren wird, da diese auf die Gesundheit der StadtbewohnerInnen den größten negativen Einfluss ausüben. In der Neuplanung von Straßen-, Park- und Platzanlagen muss auf klimatische Bedingungen wieder mehr Rücksicht genom-men werden, wobei Vorbilder aus dem südeuropäischen Raum helfen können, wie Katrin Hagen in ihrem auf Beispiele aus Granada und Sevilla eingehenden Beitrag darlegt.

Es stellt sich die Frage, ob es gelingen kann, das regionale Klima für das thermische Empfinden der StadtbewohnerInnen durch derartige Maßnahmen innerhalb des derzeitigen Schwankungsbereiches zu halten: Ein Hitzetag in Nordeuropa beginnt in viel niedrigeren Temperaturbereichen für die Bevölkerung wahrnehmbar und beschreibbar zu sein als in Mittel- und dann weiter in Südeuropa. Es gibt jedoch größere Herausforderungen als die mitteleuropäische Problematik der steigenden urbanen Temperatur. Meeresnahe urbane Siedlungen oder Infrastrukturen sind Risiken ausgesetzt, die nicht mehr so leicht kalkulierbar sind.

Auch wenn Einzelereignisse, die gar nicht ursächlich mit dem Klimawandel in Zusammenhang stehen müssen, verheerende Auswirkungen auf gesamte Landstriche haben, wie Fukushima gezeigt hat, sollen diese Schreckens- und Katastrophenszenarien nicht dazu dienen, um Infrastrukturmaßnahmen gegen den steigenden Meeresspiegel oder häufigeren Starkregenereignissen zu legitimieren. Alleine die Kombination aus Urbanisierung und Kanalisierung lässt bereits sichtbar werden, dass alternative Strategien des Umganges mit dem Gut Wasser notwendig sein werden, um in Zukunft die gewachsenen Städte noch mit den Basisleistungen einer Agglomeration versorgen zu können. Es ist leicht einzusehen, dass ein bestehendes Kanalnetz einer Stadt nicht innerhalb kürzester Zeit für eine höhere Durchflussleistung umgebaut werden kann.

Parallel zu diesen Entwicklungen erleben bottom up-Strategien, begleitet von einer Renaissance der urbanen Gärten, eine Wiederbelebung. Waren Gärten in der Zwischenkriegszeit der Not geschuldet, ist Ihre Anlage heutzutage eine trendige Freizeitbeschäftigung. Das ändert nichts daran, dass die urbane gärtnerische Arbeit und die positive Resonanz, die sie erhält, einen Beitrag für nachhaltige Freizeitnutzung innerhalb der Stadt leistet.

Hier sind lokale Initiativen Vorreiter für eine an den Klimawandel angepasste Lebensform. Im Beitrag von Nadine Kuhla wird sichtbar, wie sich private Initiativen ganz konkret zu Aktivitäten innerhalb der Stadt zusammenschließen, die sowohl einen Gemeinwesensaspekt als auch einen Effekt im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung nach sich ziehen. Die zentrale Frage ist nicht, ob Klimaschutz oder Klimawandelanpassung oder Nachhaltigkeit ein Vorrang in der Stadtentwicklung und Stadterneuerung einzuräumen ist, sondern wie die Ziele dieser Strategien vereinbart werden können, um eine zukünftig tragfähige urbane Lebensumwelt zu sichern.

dérive, Mo., 2012.08.13



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dérive 48 Stadt Klima Wandel

04. November 2011Erik Meinharter
dérive

Urbane Vergnügungen

»Allen entgegen dringt der Lärm des Wurstelpraters; und über dem Gewühl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes...

»Allen entgegen dringt der Lärm des Wurstelpraters; und über dem Gewühl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes...

»Allen entgegen dringt der Lärm des Wurstelpraters; und über dem Gewühl der Menge schlagen seine Wellen zusammen. Das Schreien der Ausrufer, gellendes Glockenklingeln, das Heulen der Werkel, schmetternde Fanfaren, dröhnende Paukenschläge. Und ein sonniger Himmel wölbt sich licht und klar über dem Brausen und Toben und senkt sich weit hinter den grünen Bäumen in verschwimmendem Blau hernieder, als sei hier das Land aller Freude und Seligkeit, und als sei jede Sorge und jedes Unglück zurückgeblieben dort, wo über dem grauen Häusermeer Dunst und Nebel in schweren Wolken lagert.« (Mattl et.al., 2004)

Mit diesem Stimmungsbild beginnt Felix Salten in einer Ausgabe von 1911 eine Beschreibung der Attraktionen und Tätigkeiten im Wurstelprater Wien. Als Nachdruck ist dieser Text 2004 erschienen und im Vorwort wird er als »Knoten in einem kulturellen Bedeutungsgewebe« bezeichnet.
Räumlich fixiertes urbanes Vergnügen (Freizeitpark, Vergnügungspark, Amusementpark, Lunapark) ist schon immer als Gegenwelt zum urbanen Alltag beschrieben worden und ist doch ein immanenter Teil desselben, und könnte im obigen Sinne als ein Knoten im urbanen Gewebe beschrieben werden. Folgend der Aufteilung des Tages in Arbeits- und Freizeit, verdichtet sich das Sinnbild der Freizeit in den Stätten urbanen Vergnügens (vgl. König 2000). Die hohe Anzahl der StadtbewohnerInnen lässt die jahreszeitlichen Vergnügungen des Landes (Jahrmarkt, Kir(ch)tag) in einer großen Flächenausdehnung sesshaft werden.

Zusätzlich wird diese Form der Gegenwelt auch säkularisiert und zum profanen Ereignis. Tendenzen der Moderne verdichten sich also an den Orten urbanen Vergnügens. Die im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert entstandenen permanenten Orte urbaner Vergnügungen sind Bestandteil der zu dieser Zeit stattfindenden Modernisierung des Urbanen. Christan Schmid verdeutlicht eine Erkenntnis Henri Lefebvres, dass in Folge der Expansion des urbanen Gewebes ein urbanes System von Werten entsteht, von welchem das »urbane Vergnügen« ein Teil ist (vgl. Schmid 2005). Der Vergnügungs- oder Lunapark, zu dieser Zeit noch begleitet von Themenparks, Tiergärten, Weltausstellungen, kann also als Reaktion auf die extreme Verdichtung der Städte angesehen werden. Es sind bauliche Repräsentationen phantastischer Ereignisse. Die damals noch phantastische Reise zum Mond hielt sich stellvertretend im Namen Luna-Park. Am Beispiel des Wiener Praters lässt sich auch ablesen, wie aus einer öffentlichen Parkanlage durch Weltausstellung, Themenpark (Venedig in Wien) schlussendlich eine abwechslungsreiche Aneinanderreihung »bürgerlicher behäbiger Vergnügen« und »technischem Nervenkitzel« wurde (vgl. Scherreiks 2005, König 2000).

Nicht nur im Namen dieser Orte scheint in jedem Fall ein Park dabei zu sein. Auch in seiner räumlichen Konfiguration ist der Ort des urbanen Vergnügens von der Topographie und der Lage in der Stadt einer Parkanlage gleich, oder profitiert von einer Gunstlage wie z.B. der Küste bei Coney Island oder Venice Beach. Diese beiden Anlagen sind mit einigen anderen noch Zeugen einer vergangenen Form des urbanen Vergnügens, die sich bis in die heutige Zeit nur in einigen wenigen Städten halten konnte. Coney Island (New York City, USA), Tivoli (Kopenhagen, Dänemark), Gröna Lund und Liseberg (Stockholm und Göteborg, Schweden), Parque de Atracciones und Tibidabo (Madrid und Barcelona, Spanien), Gorki Park (Moskau) oder auch der Wiener Prater (Wien, Österreich) haben sich im Gegensatz zu den größten Luna Parks, die um 1910 in Deutschland entstanden und in den 30er Jahren wieder untergegangen sind, gehalten.

Die Rolle, die diese Orte in der Stadt spielen, werden in dieser Schwerpunktausgabe aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Sie dienen als Referenz für die Strategie der Ökonomie der Faszination diese in den Raum des Alltags zu exportieren (Geographien der Faszination – Heiko Schmid). Sie dienen als Mittel und Strategie der Politik (Flower Power für Medellin – Eva Schwab). Sie bilden Anknüpfungspunkte für Städtebau und Regulation urbaner Entwicklung (Die Welt als Luna Park – Ein Wiedersehen in Coney Island – André Krammer), und dienen auch als Projektionsraum der Imagination (Schwellenräume der Imagination und des Gespenstischen – Thomas Ballhausen).

Das Besondere der urbanen Vergnügungen ist ihre Institutionalisierung, die sich bis zu einer räumlichen Permanenz steigern kann. War der Kirchtag (Kirtag) und der Jahrmarkt nun eben eine rurale Form aus dem Alltag auszubrechen, boten vor allem in Folge der Industrialisierung entstandene permanente Orte des Vergnügens eine Konterposition zum urbanen Arbeitsalltag. Die parallele Entwicklung von Freizeit, Tourismus und Erholung als zeitlich fixierte Handlungen im Alltag, mit einer Entwicklung der technischen Möglichkeiten, die sich in den großen Weltausstellungen in Orten der Faszination manifestierten.

Vergnügungen gab es immer schon, die urbane Ausformulierung hatte bereits in der Antike eine andere Dimension als die des ländlichen Raumes. Groß dimensionierte Sportarenen und Theater als Einzelarchitekturen galten als Magnete der Abwechslung vom Alltag und dienten vor allem politischen Zielen der ErrichterInnen.

Die im Beitrag von Heiko Schmid klargelegte Umleitung der Faszination in eine Strategie der Ökonomie und Wirtschaft, als Mehrwert z.B. im Wettbewerb der Städte bedeutet jedoch nicht, dass die politische Funktion des Vergnügens verlorenging. Nicht nur die Beispiele, die Eva Schwab in ihrem Beitrag aus Medellin beschreibt, welche eine sichtbare Ambivalenz zwischen den politischen und den gesellschaftlichen Zielen beim Einsatz der urbanen Vergnügungen zeigen, verdeutlichen dies. Sind die politischen Ziele klar sichtbare »Handlungsanweisungen« zur Reglementierung der BewohnerInnen, können doch die Versammlungen und dadurch Besetzungen der öffentlichen Räume in Medellin die Situation der Benützbarkeit dieser erhöhen. Anwesenheit schafft Sicherheit in einer Stadt, in der nach Einbruch der Dunkelheit besser alle Wege mit dem Taxi zurückgelegt werden sollten.

Urbane Vergnügungen ermöglichen einen neuen Blick auf die Stadt, so schrieb 1897 zur Eröffnung des Riesenrades im »Venedig in Wien« das neue Wiener Tagblatt: »Je höher man emporschwebte, desto mehr hatte man die Empfindung, als wäre man zur Unbeweglichkeit verurteilt. Es war wie bei einer ruhigen Luftballonfahrt, wo der Boden immer tiefer zu sinken scheint. Immer großartiger wird zugleich das Bild, das sich den Augen darbietet. Gleich einem colorierten Reliefplan breitet sich die Stadt mit ihrem Hausmeere, mit ihrem Gewirre von Kirchtürmen und Kuppeln aus, und im Norden wird das vom Stahlband der Donau begrenzte Marchfeld sichtbar (...).«

Inwiefern Areale urbanen Vergnügens in die Mühlen der Stadtentwicklung geraten können, stellt Andre Krammer in seinem Abriss über die Geschichte Coney Islands dar. Das zur Jahrhundertwende (19/20) überlaufene öffentliche Areal, das als Badestrand für die Arbeitenden diente, wurde aufgrund seiner Regellosigkeit zum Vergnügungsviertel umgebaut. Um 1897 sollte der Steeplechase-Park die Benützung der bereits überlaufenen Strandzone in geregelte Bahnen lenken. Hier zeigt sich die Verwendung von inszenierten Vergnügungen als Mechanismus hoheitlicher Regelungen. Es wird also ein Ventil geschaffen, das Ordnung durch Ablenkung herstellt. Nicht nur der offizielle Pratersong definiert diesen als: »Völlig losgelöst von Raum und Zeit …«

Jenseits der räumlichen Regelungen entwickelt der Ort des Anderen, der Ort, an dem das Andere Faszination oder Schrecken zulassen darf, in der Literatur, Comic und Film eine Rolle eines Gefäßes für Phantasmen. Das bereits die Namen der Luna-Parks als Filmtitel (Gorky-Park, Apted 1983; Prater, Ottinger 2007), Buchtitel (Bambiland, Jelinek) oder Song- bzw. Albumtitel (Coney Island Baby, Lou Reed 1975 ) viele Imaginationen und Assoziationen hervorrufen, sie entfernen sich auch von den realen Orten und destillieren aus jenen eine Essenz der Ausflucht. Thomas Ballhausen beschreibt eine Steigerungsform der Abstraktion, die in der narrativen Form den Ort des Vergnügens abstrahiert, bis er nur mehr als Sinnbild für die Grenzübertretung eingesetzt wird. So lässt sich auch in Bambiland nicht nur der Titel von Elfriede Jelineks Theaterstück über den Irak-Krieg erkennen, sondern auch der Freizeitpark in Pozarevac, der Geburtsstadt Milosevics, welcher im Jahr 1999 von seinem Sohn Marko Milosevics gegründet wurde, um mittels der dort angestellten Personen die EinwohnerInnen des Ortes einzuschüchtern (OSCE 2000[1]). Konkreter Schrecken und vermeintliches Vergnügen treffen an dieser Stelle im realen Freizeitpark zusammen. Die politische Dimension des urbanen Vergnügens ist aber zumeist eine der geordneten reglementierten Unterhaltung. Sie sind zwar Orte des Konsums, jedoch ist ihre Form eine lesbare auf das Produkt ausgerichtete Inszenierung.

Der Wiener Prater und der öffentliche Raum als Sinnbild der Urbanität des Vergnügens

Orte urbaner Vergnügungen sind nicht »Dritte Orte« folgend den Definitionen Ray Oldenburgs, die dem eigenen Zuhause und dem Arbeitsplatz als »Orte des Wohlfühlens« beigestellt werden. Niemand soll sich an diesem Ort wie zu Hause fühlen, es ist das inhärente Ziel des urbanen Vergnügens hier aus sich heraustreten zu können (schreiend) oder eigene Grenzen zu überschreiten (Die Angst in der Geisterbahn), die an keinem anderen Ort so stellvertretend und ungefährlich getestet werden können. So sind diese Orte trotz der nur gegen Entgelt zu benützenden Fahrgeschäfte keine »Räume des Konsums« (vgl. Hellmann K.U., Zurstiege G., 2008), wenn sie wie der Wiener Prater frei zugänglich sind. Diese freie Zugänglichkeit gewährleistet eine permanente Öffentlichkeit und einen Austausch zwischen dem urbanen Alltag und dem urbanen Vergnügen. Dass auch der Ort Alltag beinhaltet, verdeutlicht der preisgekrönte Film Prater (2007) von Ulrike Ottinger, in welchem die Arbeitswelten der SchaustellerInnen sichtbar werden, die ganz im Gegensatz zu den kurzweiligen Vergnügungen im Sommer annähernd durchgehende Arbeitszeiten aufweisen.

Der öffentliche Raum der urbanen Vergnügungen ist sachlich, funktional und ausgeräumt. Asphaltstraßen, mit einigen wenigen Bäumen winden sich an möglichst vielen Erlebnisfassaden vorbei. Der Freiraum der Zonen des urbanen Vergnügens ist eine minimalistische Transportfläche, die aufgrund der oben genannten Inszenierungen auch nicht sehr viel Aufmerksamkeit durch die BesucherInnen erhält. Der Prater besticht vor allem durch seine Öffentlichkeit und freie Zugängigkeit, die es ermöglicht an diesem Ort des Vergnügens Stadtleben zuzulassen. Ein Spazieren durch den Ort der Entrückung mit den Augen der PassantInnen ist möglich. Kein Eintrittsgeld, keine Einzäunungen grenzen den Alltag aus dem Raum des Vergnügens aus. Das führte schon immer dazu, dass der Ort auch zur Zone subkultureller Handlungen von Jugendbanden bis illegaler Prostitution wurde, und auch aus diesem Faktum eine zusätzliche Faszination zog. Faszinierend auch insofern, als durch unterschiedlichste Maßnahmen versucht wurde Sicherheit und Sauberkeit an einen Ort zu bringen, der durchaus aufgrund der Anzahl an anwesenden Vergnügten ein hohes Potenzial an Öffentlichkeit hat. Diesen auch informell entstandenen Raum zu regulieren hatte Emmanuel Mongon 2004 mit dem Masterplan zwar versucht, nur stellt sich die Frage ob nicht das authentische des Praters eben diese Unordnung darstellt. Diese ist in jedem Fall stabil.

Mongons Bestreben – »das typisch Wienerische soll front stage zu sehen sein, hinter den Kulissen sollen die Geschäfte technisch modern aufgerüstet werden.« (Falter 2004) – hat bzw. hätte zum Ergebnis, dass Zuckergebäckglasur-verzierte Hallen als die auf die Spitze getriebene Karikatur der eigenen Stadt präsentiert werden. Damit wird Klaus Ronneberger in seiner Einschätzung »Disneyland ist authentischer als Wien«, die er vor Jahren in einem Interview mit dérive (Heft 1, 2000) getroffen hat, neuerlich bestätigt. Sie gilt damit nicht nur für die Wiener Innenstadt, die im Spannungsfeld zwischen historischen Fassaden und Einkaufswelten zur Inszenierung des Historischen neigt und sich selbst nicht als »Raum des Konsums« präsentieren will, sondern auch für den Prater selbst. Nichtsdestotrotz muss man sich fragen, ob es sinnvoll ist, Retrostil und Vergnügungsdesign in einem Kontext zu kritisieren, der außerhalb der Imagination der Wunschwelten liegt, wie es in der Diskussion um die Neugestaltung des Pratervorplatzes geschehen ist.

Faszinierend auch, dass allen Ernstes gedacht wurde, der Prater hätte eine Neuorientierung nötig. Das Besondere dieses Ortes urbanen Vergnügens ist jedoch das Unthematische, Öffentliche und Neutrale. Er ist kein Themenpark, sondern eine permanente Collage an Vergnügungen, die sich in ihrem urbanen Kontext nach der jeweiligen Zeit richten können. Fahrgeschäfte kommen und gehen. Da der Prater in seiner Lage mit dem bereits 1766 durch Kaiser Joseph II übergebenen ehemaligen Jagdrevier als Parkanlage mehr als nur ein Vergnügungspark ist, bieten sich auch Räume fernab des Konsums der Faszination an.

Schon in dem durch Robert Stolz bekannt gewordenen Lied »blüh’n im Prater wieder die Bäume«, wobei hier die Lust auf eine Landpartie geweckt werden soll und der große Park nur als Fenster der urbanen Naturwahrnehmung dient. Das führt sogar soweit, dass in der populären Kultur der Prater noch immer für Textzeilen geeignet ist, wie wenn die Sportfreunde Stiller in ihrem Lied »Lass mich nie mehr los« singen, ohne dich wär‘s »Wie New York ohne Sinatra, Wie Wien ohne Prater«. Diese Orte sind, wenn sie sich wie der Wiener Prater über Jahrzehnte gehalten haben, aufgrund ihrer in sie projizierten Wünsche nicht mehr aus dem Stadtgewebe wegzudenken.

Der Unterschied zur Selbst-Inszenierung ist in den Orten des urbanen Vergnügens der Raum selbst, mit seinen großen Leuchtreklamen, Figuren, Schienen, Fassadenbildern und Kunstlandschaften, so überbordend expressiv gestaltet, dass die Aufmerksamkeit sich gar nicht im öffentlichen Raum auf die darin befindlichen Personen richten kann.

Einzig innerhalb spezifischer Fahrgeschäfte, wie zum Beispiel dem Tagada, ist es möglich, innerhalb einer Gruppe Aufmerksamkeit zu erhalten und sich zu inszenieren. Das unterscheidet diese spezifischen Orte urbanen Vergnügens, die als Knoten im urbanen Gewebe Wünsche baulich manifestieren, stark von den »öffentlichen Wohlfühlmassagen«, wie dem Museumsquartier Wien, welche Christian Mikunda als Berater der Exporteure des Erlebnisses in die Orte des Konsums dann als dritten Ort definiert.

Anmerkung:
[01] http://www.osce.org/fom/52012

Literaturverzeichnis:
Becker, Tobias, Littmann, Anna & Niedbalski Johanna (Hg.) (2011): Die tausend Freuden der Metropole. Vergnügungskultur um 1900. Bielefeld: transcript.

Eberstaller, Gerhard (2005): Schön ist so ein Ringelspiel. Schausteller, Jahrmärkte und Volksfeste in Österreich. Geschichte und Gegenwart. Wien: Brandstätter.

Hellmann, Kai-Uwe & Zurstiege, Guido (Hg.) (2008): Räume des Konsums. Über den Funktionswandel von Räumlichkeit im Zeitalter des Konsumismus. Wiesbaden: VS Verlag.

Mattl, Siegfried, Müller-Richter, Klaus & Schwarz, Werner M. (Hg.) (2004): Felix Salten: Wurstelprater. Ein Schlüsseltext zu Wiener Moderne. Wien: promedia.

König, Wolfgang (2000): Geschichte der Konsumgesellschaft. VSWG Beihefte 154. Stuttgart: Franz Steiner (S. 333ff).

Schmid, Christian (2005): Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefebvre und die Theorie der Produktion des Raumes. Stuttgart: Steiner.

Scherreiks, Sandra (2005): Grüne Hölle oder schillerndes Paradies? Zur Geschichte und kulturellen Bedeutung von Erlebnisparks in Deutschland. Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte, Bd. 4. Münster u.a.: Waxmann.

dérive, Fr., 2011.11.04



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dérive 45 Urbane Vergnügungen

26. September 2010Erik Meinharter
dérive

GartenSTADTLandschaft

Sehr gerne und sehr oft werden in Essays zur Stadt und Stadtforschung Begriffe wie Freiraum, öffentlicher Raum, Außenraum, Platz, Park, Boulevard, Garten...

Sehr gerne und sehr oft werden in Essays zur Stadt und Stadtforschung Begriffe wie Freiraum, öffentlicher Raum, Außenraum, Platz, Park, Boulevard, Garten...

Sehr gerne und sehr oft werden in Essays zur Stadt und Stadtforschung Begriffe wie Freiraum, öffentlicher Raum, Außenraum, Platz, Park, Boulevard, Garten bis hin zur Landschaft analog für den unbebauten Raum städtischer Agglomerationen eingesetzt. Welche Rolle spielt die Landschaftsarchitektur, die diesen Raum als ihr Arbeitsfeld und ihren Forschungsgegenstand definiert, bei der Erforschung urbaner Landschaften?

Freiraum

Die Definition des öffentlichen Raums, des Freiraumes der StadtbewohnerInnen, ist im Diskurs aufgrund der vielfältigen unterschiedlichen in der Stadt forschenden Disziplinen nicht eindeutig. Nicht immer ist erkennbar, welchen konkreten Raum dieser Begriff umschreibt. Ein Ansatz kann es jedoch sein zu hinterfragen, wie dieser öffentliche Raum im Hinblick auf Eigentum und rechtliche Verfügbarkeit, Lage innerhalb der bebauten Strukturen oder Materialität tatsächlich beschaffen ist. Das Forschungsprojekt StaRS1 der RWTH Aachen hat sich der Untersuchung der Konfiguration des vermeintlich Öffentlichen angenommen. Im Beitrag von Klaus Selle wird augenscheinlich, wie viele Ebenen hinter der einfachen räumlichen Situation des nicht umbauten Stadtraums verborgen sind, die direkt auf ihn einwirken. Die Frage nach der reinen Öffentlichkeit des nicht umbauten Stadtraumes stellt sich, aufgrund einer im engeren Sinne schon immer existierenden Privatisierung des Öffentlichen Raums, nicht mehr. Welchen Freiraum die StadtbewohnerInnen noch nutzen können und welche Verfügungs- und Aneignungsmöglichkeiten ihnen zur Auswahl stehen, wird in einem koproduzierten Raum eine nicht so leicht zu beantwortende Frage sein. Der gerne beschworene Vergleich mit der griechischen agora hinkt nicht nur, da diese neben ihrer Versammlungsfunktion auch Marktplatz und religiöses Zentrum war, sondern auch weil oft vergessen wird, dass an diesem gerne idealisierten öffentlichen Raum nur bestimmte Bürger Rechte besaßen.

Der individuelle Freiraum

Aufgrund des sich im öffentlichen Raum manifestierenden öffentlichen Lebens finden soziale und soziologische Ansätze seit jeher ihren Weg auch in die Profession der Landschaftsarchitektur. Partizipation und Bottom up-Planungsprozesse, Planungswerkstätten, Nachbarschaftsgärten und temporäre Gärten – all diese Strategien versuchen auf die neuen Anforderungen einer sozial nachhaltigen Entwicklung und Planung der Stadt Rücksicht zu nehmen. Sie sind jedoch sehr weiche Formen der Beteiligung von oder Aneigung durch StadtbewohnerInnen, die aufgrund der vielfältigen Verflechtungen mit anderen Themenbereichen nur selten auf stadtstrukturelle Entscheidungen einwirken können. Dass die Forderung einer Demokratisierung des Anspruches auf Raum neu wäre oder gar aufgrund eines vermeintlichen Rückzugs der Öffentlichkeit aus diesen Räumen geschieht, ist ein Trugschluss. Fundamentale Ansätze einer emanzipatorischen Stadtplanung und Stadtentwicklung fußen auf einer gesellschaftlichen Wende der 1960er Jahre des 20. Jahrhunderts, zielen auf die Veränderung des Planungsprozesses und damit auf die Änderung einer Verwaltungsstruktur. Wenige Ansätze haben sich so viele Jahre halten können wie das West Philadelphia Landscape Project, das im Artikel von Anne Spirn (ab Seite 59) vorgestellt wird. Es ist nicht der aktuellste, jedoch der über Jahrzehnte immer wieder neu entwickelte Versuch, die sozialen und räumlichen Strategien zu vereinen. Der Freiraum der Stadt ist ein Raum der allgemeinen Mitsprache. Dieser Arbeitsbereich der Landschaftsarchitektur ist also immer ein Raum mit unbestimmter, öffentlicher NutzerInnenstruktur. Diese Form der Öffentlichkeit kann nicht von einer einzigen Disziplin alleine betrachtet werden, wodurch die fast zwingende interdisziplinäre Forschung schon im Forschungsgegenstand begründet liegt.

Neue Wege der Beschreibung urbaner Freiräume

Für die Erfassung dieses Raumes der Stadt eine adäquate methodische Vorgehensweise zu finden, um mehr als nur die physischen Konfigurationen aufzunehmen, ist eine zentrale Forschungsfrage der Landschaftsarchitektur. In den letzten Jahren wurden die klassischen deskriptiven Methoden durch weichere dokumentarische Beschreibungen erweitert. Das Umherschweifen in Form einer dérive hat plötzlich eine modische Ausformung der Ortsbeschreibung erhalten und wird in universitären Projekten als Analyseform eingesetzt. Gleichzeitig wird durch Spaziergangswissenschafter wie Bertram Weisshaar, Künstler wie Boris Sieverts und Kollektive wie stalker eine abgewandelte Form als Methode zur Beschreibung von Raum eingesetzt. Wenn jedoch versucht wird, die tatsächlichen Konfigurations-, Produktions- und Verfügungsverhältnisse des Freiraums zu beschreiben, greifen – aus Gründen der Komplexität – fast alle Methoden zu kurz. Es stellt sich daher stärker denn je, wie Philipp Rode in seinem Beitrag (ab Seite 124) hervorhebt, die Frage nach dem Substantiellen des Negativraums. Die Suche nach den letzten verbliebenen unbeschriebenen Orten, die einem In-Wert-Setzen noch offen stehen, wurde schon durch Marc Augés Nicht-Orte begonnen. Dieser positiven Umdeutung des davor unbeschriebenen und abseitigen Raumes, des komplexen und unbeachteten Restraumes sind die in der Stadt tätigen Disziplinen gefolgt. Freiraum gewinnt dadurch einen Charakter des potenziellen Forschungsgegenstandes. Er bleibt Neuland für Stadtforschungsreisende.

Auch die von Charles Waldheim geprägte Wortfindung des Landscape Urbanism beruft sich auf eine Strategie der Beschreibung und Transformation des terrain vague. Aus der konservativen Utopie der Gartenstadt wurde Landscape Urbansim. Es findet ein Wechsel der Perspektive von der Parzelle und dem kleinbürgerlichen Leben hin zu städtischen urbanen Strukturen statt. Dieser Wechsel scheint mit den Begriffen Garten und Landschaft im urbanen Kontext einherzugehen. Der Garten als Ziel allen bürgerlichen Lebens steht mit der Gartenstadt im Widerspruch zur urbanen Dichte. Die Landschaft wird als Synonym für komplexere urbane Systeme dem entgegengesetzt. Landschaft ist nicht an Land und damit an den vermeintlichen Gegenpol der Stadt gebunden, auch wenn der Begriff ursächlich mit der Urbanisierung zusammenhängt. Hierzu müssen sich Forschende schon mit dem komplexen Diskurs zur Kulturtheorie der Landschaft auseinandersetzen, der maßgeblich von Ulrich Eisel geprägt wurde. Stadt ist immer abhängig von Land. Das städtische Umland ist immer stark in die Struktur und das Funktionieren der Stadt eingebunden. Schon alleine aufgrund der Güter, die in einer Stadt nicht produziert werden können, steht diese in einem Abhängigkeitsverhältnis von der sie umgebenden Landschaft. Landscape Urbanism – als Re-Import einer europäischen Tendenz der 1990er Jahre – verspricht eine Trendwende hin zum neuen Verständnis des Verhältnisses von Stadt und Landschaft. Dazu muss jedoch auch geklärt werden, was Landschaft ist.

Frei Räumen. Das Verschwimmen der Disziplingrenzen

VertreterInnen des Landscape Urbanism wie auch des Ecological urbansim, wie Mohsen Mostafavi, fordern interdiszipliäres Forschen und Arbeiten an der Stadt. Faszinierenderweise hat die ökologische Urbanistik keinen direkten Bezug zur schon seit Herbert Sukopps Entdeckung der Großstadt als Gegenstand ökologischer Forschung bestehenden Stadtökologie. Faszinierend insofern als das grundlegende Verständnis des Ökosystems Stadt eigentlich die Voraussetzung für ein ökologisches Handeln in dieser sein müsste. Der Fluss, in den nicht nur die Entwicklung der Stadt, sondern auch die Entwicklung der planerischen Methoden, mittels derer versucht wird, Stadtplanung zu betreiben, geraten ist, führt zu einer Annäherung der Methoden der Stadtplanung und des Städtebaus an die Arbeitsmethoden der Landschaftsarchitektur. Gegenstand der Bearbeitung ist eine sich permanent verändernde Struktur. Im Falle der Landschaftsarchitektur waren es die natürlichen Prozesse und die NutzerInnen, die von sich aus unausweichlich Planungen über die Zeit veränderten und dadurch den Methodendiskurs beeinflussten (vgl. das Studio Urbane Landschaften).2

Die in der Stadt in Bewegung geratenen Rahmenbedingungen führen zu neuen Methoden, die auch in der Vergangenheit streng und dirigistisch agierende Planungsbereiche aufweichen. Das Neue ist hier jedoch lediglich die Transformation der Methoden aus einer in die nächste Disziplin. Zusätzlich werden die Anforderungen an urbane Strategien in mehreren Bereichen, wie z. B. Mobilität oder Ressourcenmanagement, noch erheblich erhöht werden. Forschung wird ebenfalls multidisziplinär werden müssen, nicht zuletzt aufgrund der Nachfrage nach neuen urbanen und ökologischen Strategien, die weit mehr erforschen als die kleinklimatischen Veränderungen an Fassaden aufgrund einer vorgesetzten Begrünung. Es geht um die Erforschung einer stadtstrukturellen, interdisziplinären Integration von energetischen, ökologischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Belangen im Rahmen der Urbanisierung, in der die Disziplin der Landschaftsarchitektur, wie alle andern auch, nur einen Teil abdecken kann. Bei dieser Form der multidisziplinären Arbeit muss, um eine Forderung Herbert Sukopps aufzugreifen, »die Integration (humanwissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Bereiche) professionell und nicht von den Einzelwissenschaftlern durchgeführt werden.«

dérive, So., 2010.09.26



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09. Juli 2009Erik Meinharter
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Die Ordnung der unORTnung.

Ein leerstehender Industriebau aus Backstein in der Randlage eines historischen Arbeiterbezirks. Nebenan hat eine große Baufirma eine Wohnhausanlage über...

Ein leerstehender Industriebau aus Backstein in der Randlage eines historischen Arbeiterbezirks. Nebenan hat eine große Baufirma eine Wohnhausanlage über...

Ein leerstehender Industriebau aus Backstein in der Randlage eines historischen Arbeiterbezirks. Nebenan hat eine große Baufirma eine Wohnhausanlage über einer Autobahn neu errichtet. Im Gebäude sind in den Räumen noch die vergangenen Produktionsbedingungen ablesbar. Funktionelle, aber veraltete bauliche Strukturen, die von den Arbeitsprozessen nur mehr andeutungsweise erzählen. Die Ankerbrot-Fabrik im zehnten Wiener Gemeindebezirk ist ein ungeschliffenes Museum der Produktion. Sie war im April 2009 Schauplatz von unORTnung V, einer Serie von Ausstellungen, die von zwei Künstlerinnen aus dem Bedarf nach Möglichkeiten der Präsentation 2007 etabliert wurde. Veronika Barnas und Andrea Maria Krenn (bis Nov. 2008) haben in den letzten zwei Jahren Leerstände in Wien mit von ihnen kuratierten Ausstellungen „bespielt“. Bei unORTnung V war als Gastkurator Georg Schöllhammer (Chefredakteur der Kunstzeitschrift Springerin) geladen. Das Konzept der Initiatorinnen für die auf sechs Orte beschränkte Ausstellungsserie fußt auf der Verschränkung des von ihnen gesuchten und definierten Ortes mit den Beiträgen der teilnehmenden KünstlerInnen. Dies geschieht, wie es Georg Schöllhammer formuliert, mit einer „strengen Nonchalance“. Das Projekt wirkt mit einer gewissen Ambivalenz in den Stadtraum hinein. Das in der Beschreibung des Projekts verwendete Wort des Leerstandes als Auswahlkriterium für die Räume trifft auf die ausgewählten genauer zu als das negativ konnotierte Wort des Unortes. Vielmehr handelt es sich um eine Serie der unORTnung innerhalb der Regeln der städtischen Ordnung, wovon ja jeder Leerstand einen Teil darstellt.

Die Theorie des Ortes, als Bedeutungsträger im Gegensatz zum Nicht-Ort, trifft im Falle der Ausstellungsserie nur bedingt zu. Die Orte, die gesucht und gefunden wurden, entsprachen den Anforderungen der Organisatorinnen. Aus der Summe der Orte von unORTnung I-VI entsteht nun eine Abfolge, eine Serie, die Muster erkennen lässt. Die Ankerbrotfabrik ist nur ein Schritt in einer Abfolge von spezifischen städtischen Räumen. Das Muster der aufgefundenen und verfügbaren Leerstände oder Zwischenräume, die sich in einem Transformationsprozess befinden. So meint Georg Schöllhammer, dass es einer der großen Vorteile des Projektes ist, dass es einer gewissen Logik von Transformation in der Stadt folgt. Die unORTnungen fanden nur an Orten statt, an denen es zugelassen wird, so etwas Ungeordnetes stattfinden zu lassen. Etwas, das nicht kontrollieret werden kann. Die BesitzerInnen können sich zwar einen Image-Transfer erhoffen, aber sie begeben sich gleichzeitig auf ein unsicheres Terrain. Das folgt der Logik von Transformation in der Stadt. Die Ordnung, die dabei entsteht, bezieht sich auf Orte der Unordnung in der Stadt. Orte und Räume, die aus dem planerischen System der geordneten Funktion ausgetreten sind und sich in einer Phase des Übergangs befinden. Dieser Übergang birgt Chancen. Er kann eine Lücke für eine kuratorische, künstlerische Initiative in der Stadt jenseits der bekannten und regulierten Orte der Kunst sein. Er ist ein Raum in der Stadt, der zeitlich begrenzt als Ausstellungsort fungiert, statt ein nach klaren Regeln und Auslesemechanismen bespielter Ort der Kunst zu sein. Es ist auch nicht Kunst in einem geschichtslosen „Containerraum“.
Die Vorgabe der KuratorInnen, sich mit dem gegebenen Ort auch im Werk auseinanderzusetzen, fixiert die künstlerischen Äußerungen auf diesen einen kurzen Moment der freien Ausstellungsmöglichkeit. Der Ort und die Beiträge der KünstlerInnen treten in einen Dialog auf Zeit. Diese Auseinandersetzung findet in unterschiedlicher Intensität statt, unterscheidet sich jedoch bei jeder weiteren Ausstellung von den vorangegangenen. Die Unterschiedlichkeit der Orte generiert die Differenz der Charakteristik der Ausstellungen und zeigt sich auch in den Beiträgen der KünstlerInnen. Die Umgebung wird so mit in die Arbeiten und in den Ort der Ausstellung getragen. Die unORTnung verbindet sich mit dem Stadtteil, in dem sie stattfindet. So beschreibt Veronika Barnas die ursprüngliche Intention der Ausstellungsserie als ein Wechselspiel aus Interesse am Raum und auch mit dem Raum zu arbeiten und ihn gleichzeitig auch als Ausstellungsraum für die KünstlerInnen zu nutzen.

Ein Ort, der in der Serie zuvor als Störung erscheint, wie das leerstehende Restaurant an der Copa Kagrana, der eigentlich aufgrund seiner Monofunktionalität der Definition eines Nicht-Ortes nach Marc Augé am nächsten kommt, fügt sich, wenn die Ordnung der Leerstände als Zeitfenster in der Transformation gelesen wird, perfekt ein. Das Umfeld ändert sich und lässt an diesem Ort ganz andere Beiträge entstehen als in abgelegenen leerstehenden Räumen ehemaliger Produktionsstätten, die fast schon als Museen der fordistischen Ära fungieren. Damit ist die unORTnung eine Sammlung von künstlerischen Statements zu dem die Orte der Ausstellung umgebenden Stadtteil. Die Ausstellung ist damit selbst als Indikator für die Machbarkeit von Eigeninitiative in der Off-Szene innerhalb einer Stadt zu sehen. Es verwundert nicht, dass die bereits stattgefundenen Ausstellungen in Räumen der Hoffnung – also in den Räumen, deren Funktion überholt ist und die in eine neuen Funktion übergehen sollen – stattfanden. Die Hoffnung der Kuratorinnen, eine Ausstellung jenseits der reglementierten Räume zu ermöglichen, trifft einerseits auf die Hoffnung der einreichenden KünstlerInnen auszustellen, wie auch andererseits auf die Hoffnung der Personen und Institutionen, die einen Raum zu Verfügung stellen, diesem neue Funktionen zuweisen zu können. Das Projekt bewegt sich in jeder Hinsicht in einem Randbereich.

Für eine (verkürzte und vereinfachende) Kritik an einer einen möglichen Aufwertungsprozess unterstützenden, vermuteten Institutionalisierung von KünstlerInnen oder Kunst war das Projekt allerdings ein ungeeigneter Gegenstand. Einerseits führt die bewusste Vorgabe der InitiatorInnen an die teilnehmenden KünstlerInnen, ein Werk einzureichen, das sich auch mit dem Ort selbst beschäftigt, auch zu möglichen kritischen Beiträgen. Andererseits ist durch die kurze Laufzeit der Ausstellung keine große „Verwertungs- und Marketingchanc­e“ gegeben. Zumeist wird der individuelle Faktor bei Aufwertungsprozessen gegenüber dem ökonomischen überschätzt (vgl. hierzu dérive Heft 4!). Eine mit dem mittlerweile schon zum unreflektiert verwendeten Schlagwort gewordenen Begriff der gentrification verkürzte Kritik an einer Initiative von Künstlerinnen, ausstellen zu wollen und dafür Räume in der Stadt zu suchen, greift sicher zu kurz. Einerseits sind an den meisten Orten die Prozesse schon gelaufen, wie bei der Ankerbrot-Fabrik, andererseits reagieren, wie Georg Schöllhammer meint, verschiedene Unternehmensstrukturen ja auch in den Stadtraum hinein, und aufgrund dieser differenzierten urbanen Faktoren sollte man nicht immer versuchen, nur mit generellen Theorien alles zu beschreiben. unORTnung bewegt sich entlang von Hoffnungsräumen, die in jeder Stadt vorhanden sind, kommen und wieder vergehen. Dass eine Ausstellung in der denkmalgeschützten und für die Produktion der Firma Ankerbrot nicht mehr geeigneten Fabrik stattfindet, die bereits vor der Ausstellung längst von einer Entwicklungsgesellschaft für eine Nachnutzung vorbereitet wurde, ist sicher kein herausragender Faktor in der zukünftigen Veränderung des zehnten Wiener Gemeindebezirkes. Es ist ein gravierender Unterschied, ob eine Ausstellung als einmalige Initiative einen Ort öffnet, BesucherInnen aus der Umgebung in das ehemalige Arbeitsumfeld oder den unbekannten, ehemals unzugänglichen Ort einlädt oder einen Stadtteil immer wieder zur Galerie umdeutet.

Die Ausstellungsserie springt also entlang von Orten der Transformation und Hoffnung durch die Stadt und öffnet auf Zeit für die Öffentlichkeit sonst geschlossene Orte. Dass parallel dazu der geregelte Kunstmarkt ebenfalls die Orte der Veränderung für sich entdeckt, scheint nicht weiter verwunderlich. Im Rahmen der viennafair wurde die ehemalige Markthalle in Wien Mitte als Ausstellungsort genutzt. Der Raum dient hier jedoch als Nebenschauplatz. Er ist eine Erweiterung des institutionellen Raums der Galerie.

UnORTnung wird mit seiner sechsten Folge einen Zyklus abschließen, der von Anfang an begrenzt gedacht wurde. Bis es sich einen neuen Ort sucht, um ein Fenster der Transformation zu nutzen. Das Thema aber ist wieder dasselbe: der Ort, in welcher Ausformung auch immer.


Der Artikel beruht auf einem im Mai 2009 geführten Gespräch mit Veronika Barnas und Georg Schöllhammer.
www.unortnung.net

dérive, Do., 2009.07.09



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dérive 36 Aufwertung

27. März 2009Erik Meinharter
dérive

Stadt ist Sport?

Eventisierung, Trendsport und Stadien, oder was hat Sport mit Stadt zu tun? Der neu erschienene Band acht „Bewegungsraum und Stadtkultur“ der Reihe „transcript...

Eventisierung, Trendsport und Stadien, oder was hat Sport mit Stadt zu tun? Der neu erschienene Band acht „Bewegungsraum und Stadtkultur“ der Reihe „transcript...

Eventisierung, Trendsport und Stadien, oder was hat Sport mit Stadt zu tun? Der neu erschienene Band acht „Bewegungsraum und Stadtkultur“ der Reihe „transcript Materialitäten“ basiert auf dem 18. Sportwissenschaftlichen Hochschultag der deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft zum Thema „Stadt-Sport-Kultur“, der im Jahr 2007 stattfand. Das Buch versucht, wie im Titel schon erkennbar, das Thema breiter anzusetzen und das Verhältnis Bewegungsraum und Stadtkultur fassbarer zu machen. Die im Untertitel vorgenommene Fokussierung auf „sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven“ ist zutreffend, da sich urbanistische oder planerische Betrachtungen und Schlüsse nicht direkt aus den Beiträgen ableiten lassen. Dies ist gut so. Der Band ist in drei Themenbereiche gegliedert, die „Kulturen der Bewegung“, „Sporträume“ und „Stadtentwicklung“ umfassen. Den grundlegendsten und umfassendsten Diskurs bietet das erste Themenfeld. Wie der Beitrag von Mitherausgeber Jürgen Funke-Wieneke zeigt, ist die Auseinandersetzung, unter welchem Aspekt Bewegung in der Stadt betrachtet werden muss, noch Gegenstand weiterer Diskussionen. Staunend erfahren wir nach einer ausführlichen Beschreibung der alltäglichen Bewegungsabläufe des Autors, dass die Bewegungsforschung „von solchen Szenen und ihrem eigentümlichen Bewegungsstil noch so gut wie nichts“ weiß. Erklärtermaßen beginnt für die Sportwissenschaft die Bewegung an einer anderen Grenze als für einen Bewegungspädagogen, nämlich „dort wo die Bewegung sich selbst thematisiert“. Sich diese grundsätzlichen Diskussionen zur Bewegungsforschung und Bewegungspädagogik vor Augen zu führen, ist jedoch, selbst wenn sie sehr einheitlich auf Piaget oder Merleau-Ponty basieren, für jedeN StadtforscherIn sehr aufschlussreich. Für ein neues Verständnis davon, welche Formen Bewegung und deren Erforschung in der Stadt annehmen kann, ist gesorgt. Werden doch Person und Umwelt als sich gegenseitig bedingende und formende „plastische Systeme“ gesehen. Die räumlich konkreteren Themenfelder „Sporträume“ und „Stadtentwicklung“ fallen in ihrer Inhaltlichen Tiefe stark ab. Die Beiträge in den beiden Gebieten, die sich anhand von Fallbeispielen weiter in die direkte Relation von Bewegung und Raum wagen, bleiben – wahrscheinlich auch aufgrund der Einschränkungen des gewählten Formats des Mediums – oberflächlich und rufen eher den Wunsch nach mehr Information hervor. Ärgerlich wird diese Form des „kleinen Einblicks“ nur dann, wenn die im Beitrag ausformulierten Vermutungen auch als nicht belegt oder noch nicht empirisch nachweisbar dargestellt sind. So werden die im Beitrag von Ahlfeldt und Maenning angenommenen relevanten Folgeerscheinungen des „ikonischen Stadionbaus“ in der Stadt unkritisch mit Aufwertungsprozessen in Zusammenhang gebracht und diese auch noch als eine Möglichkeit gewertet, die investierten Allgemeinkosten wieder in die Gesellschaft rückzuführen. Anhand dieses Beispiels ist die dem Buch zugrundeliegende Form der Tagung zu erkennen, die ja auch Fragen aufwerfen will und Anregungen für Forschungen geben kann, Diskurs wecken und provozieren will, aber nicht per se als vollwertiger Beitrag in einer Publikation enden muss. Für einen Einblick in den Diskurs über die Bedeutung der Bewegung und nicht ausschließlich des Sports in der Stadt ist der Band in jedem Fall empfehlenswert.


Funke-Wieneke, Jürgen; Klein, Gabriele (Hg.)
Bewegungsraum und Stadtkultur
„sozial und kulturwissenschaftliche Perspektiven“
Bielefeld: transcript, 2008
275 Seiten, 26,80 Euro

dérive, Fr., 2009.03.27



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dérive 35 Stadt und Comic

23. Oktober 2007Erik Meinharter
dérive

Transformation der Produktion

Sinkende Beschäftigtenzahlen, Auslagerung, Schließung oder Abzug der Produktionsstätten, das Ende des modernen Industriezeitalters, … solche und ähnliche...

Sinkende Beschäftigtenzahlen, Auslagerung, Schließung oder Abzug der Produktionsstätten, das Ende des modernen Industriezeitalters, … solche und ähnliche...

Sinkende Beschäftigtenzahlen, Auslagerung, Schließung oder Abzug der Produktionsstätten, das Ende des modernen Industriezeitalters, … solche und ähnliche Schlagworte prägen den Diskurs über das Verhältnis von Industrie und Stadt. Prognosen und Szenarien überschlagen sich in Superlativen um die wirtschaftlichen Veränderungen in den Industrieländern zu beschreiben. Industriestaaten sind sie jedoch immer noch. Eine Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts hat für Österreich im Betrachtungszeitraum 1995 bis 2003 sogar, wenn Industrie nach Wirtschaftskammersystematik definiert wird, eine Steigerung der industriellen Produktion festgestellt.[1] EUROSTAT konstatiert ebenfalls eine steigende Industrie­produktion in der Eurozone im Betrachtungszeitraum 2004 bis 2006.[2] Tendenziell ist in Westeuropa und der EU industrielle Produktion nicht rückläufig, sondern steigert ihre Produktivität, bei gleichzeitigem Beschäftigungsabbau. Die Industrie schrumpft also nicht,[3] sondern transfor­miert ihre Produktionsweisen auf dem globalen Markt. Eine Veränderung der Unternehmensstruktur als Reaktion auf den Wandel vom fordistischen zum post-fordistischen Wirtschaftssystem ist ablesbar. Es ist davon auszugehen, dass dieser Wechsel der ökonomischen Rahmenbedingungen nicht ruckartig und allumfassend vollzogen wird,[4] sondern Systeme nebeneinander bestehen und aufeinander Einfluss ausüben. Am Beispiel der Stahlindustrie kann die Umformung in global aufgestellte groß dimensionierte und dezentralisierte Konzerne festgestellt werden. Diese produzieren zwar noch immer lokal, aber differenzieren ihre internationalen Standorte nach Produkten. AcelorMittal lieferte zum Beispiel aus Differdange in Luxemburg diesen August 2007 die Stahl-Träger für das WTC Memorial in New York, obwohl Mittal-Steel auch in den USA stark präsent ist. Transportkosten werden geringer eingestuft als Zeitkosten. Eine De-Industrialisierung findet also nicht statt, eine Wandlung zur postindustriellen Informationsgesellschaft vielleicht, eine Veränderung der Relation von Produktion und Standort ist allerdings eindeutig erkennbar. Die alten – fordistischen - räumlich stabilen Verhältnisse zwischen Industrie und Stadt geraten in Bewegung.

Das Verhältnis von Stadt und Industrie

Das Zeitalter der Industrialisierung war auch eines der Urbanisierung. Technische Neuerungen ermöglichten die Verwertung von Bodenschätzen. Fabriken und Werke entstanden und forcierten die urbanen Entwicklungen der nahegelegenen Dörfer und Städte. Ein Beispiel dafür ist die SaarLorLux-Region[5], die aufgrund der Möglichkeit die Minette, ein „armes Erz“, mittels des Thomas-Verfahrens zu verarbeiten, Mitte des 19. Jahrhunderts einen Urbanisie­rungsschub erlebte. In Folge der großen Arbeitskräftenachfrage und des kapitalistischen Liberalismus wurden urbane Entwicklungen, wie der massive Wohnbau der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahr­hundert, an Industriestandorte und Industrieentwicklungen gebunden. Solche schubartigen urbanen Entwicklungen sind auch in Wien bis heute in den Gründerzeitvierteln sichtbar. Diese Bautätigkeit in Folge des massiven Wohnraumbedarfes war nicht mehr von sozialen Utopien der Modellsiedlungen des späten 19. Jahrhunderts, wie jener in Saltaire, Kronenberg oder die frühe Form der Familistere Godins, geprägt, die mehr vom Wohnen einer kleinen sozialen Gemeinschaft in einer ländlichen Idylle ausgingen. Die rasende Entwicklung der Produktionstechniken hat diese idea­lisierten und idealistischen Wohnformen der neuen industriellen Gesellschaft schnell überholt. Die Suche nach einer Antwort auf die Produktionsbedingungen in urbaner Dimension, wie die Vision einer Bandstadt für Wolgograd von Miljutin, war der nächs­te Schritt der Tradierung von industriellen Produktionsbedingungen und Anforderungen auf eine städtische Struktur.

Neben den baulichen Ansprüchen ergab sich auch eine ideelle Verbindung von urbanen Entwicklungen und industriellem Wachstum. Wie Berthold Hub in seinem Artikel in diesem Heft zeigt, haben auch Architekten wie Peter Behrens auf die ihn umgebenden sozialen Bedingungen wie auch auf die Anforderungen der Technik reagiert. Die Bauwirtschaft ist heute selbst Teil der Industrie, auch wenn sie nur sai­sonbereinigt in die Kennzahlen einfließt. Der Industriebau ist ein eigener hochspezialisierter Sektor in Architektur und Bauingenieurwesen. Der historisch stark geprägte Zusammenhang von industrieller und urbaner Entwicklung blieb in den Köpfen bestehen.

Das Erbe der Industrialisierung

Ein spezifisches räumliches Symptom einer Veränderung der Produktionsweisen und deren Produkte ist in ihrer Form und Größe oft sehr auffällig. Es überstrahlt den Diskurs über Prozesse, die weit über den realen Ort hinaus reichen: Die Transformation der Flächen der Stahl- und Kohleindustrie. Dies hängt nicht nur mit ihrer räumlichen Dimension zusammen. Stahl und Kohle ist die Gründungsindustrie der Europäischen Union, die aus der ursprünglichen Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGKS hervorgegangen ist. Der Anteil der im Sektor Metallerzeugung und –bearbeitung sowie Herstellung von Metallerzeugnissen Beschäftigten an der Zahl aller ArbeitnehmerInnen ist immer noch einer der größten. Besonders für die Gründungsmitglieder und deren Wirtschaftsgeschichte ist jede Änderung in diesem Sektor stark mit der eigenen Geschichte verbunden. Die IBA Emscher Park im Ruhrgebiet bildete in Deutschland den Anfang einer bis heute, zum Beispiel mit dem Teilbereich Ronneburg der Buga2007,[6] fortgesetzten Veränderung und Konversion alter Industriestandorte dieses Produktionsbereiches. Luxemburg, das seinen Reichtum auch dem Erzabbau und Stahl verdankt, ist ebenfalls stark an einem sensiblen Umgang mit der eigenen Regionalentwicklung im Süden des Landes und der eigenen Wirtschaftsgeschichte interessiert. Auch hier sind in der Südregion des Landes viele Projekte zur Entwicklung der aufgelassenen Werksgelände und Lagerflächen entwickelt worden. Konversionen, Musealisierungen, urbane Integrationen, Industrieparks, Erlebnisgelände, … ; die Bandbreite der angewandten Strategien ist groß, und fast so unterschiedlich wie die geographische Lage der Produktionsstätten war. Die Produktion bleibt in der Nachbarschaft so lange sie kann. Das erste und größte industrielle UNESCO Weltkulturerbe in Deutschland, die Völklinger Hütte, ist im Vergleich mit dem sie umgebenden, noch im Betrieb befindlichen, Werksgelände der Saarstahl ein kleines historisches Relikt.

Diese Herausforderungen, diesen Erbstücken der lokalen Produktionsstätten neue urbane Positionen zuzuweisen, reichen von problematischen städtischen Erweiterungen auf abgelegenen und von den bestehenden urbanen Strukturen abgetrennten Flächen, unwägbarem Risiko aufgrund der im Boden vorhandenen Kontaminierungen bis hin zur Gefahr einer romantischen Verklärung des Verfalls. Auf diese Vielfalt der Strategien und deren gesellschaftlichen Zusammenhang verweist Susanne Hauser in ihrem Beitrag.

Geänderte Rahmenbedingungen

Die Stadt hat mit ihrem Erbe der Industrialisierung zu arbeiten und verändert sich mit den neuen räumlichen An­sprüchen oder verlassenen Terrains des globalen Wirt­schaftens. Dies geht über die offensicht­lichen durch Produktionsverlagerung frei gewordenen Flächen hinaus. Sie sind jedoch die eindringlichsten Symptome einer Verlagerung der großformatigen, flächenverbrauchenden Produktion aus der Stadt in eine andere Region. Oder sie sind Folge der Entwicklung einer flächen- und ressourcenschonenderen Produktionsweise. Ist daher die moderne urbane Ökonomie ruraler, kleinteiliger, disperser und „sauberer“ geworden? Ist die globale Stadt ein global wirtschaftendes Dorf? Die Form des oben beschriebenen Überganges und Bruches hat einen starken Einfluss auf die Entwicklungsfähigkeit der Stadt-Umland-Region. Findet, so wie bei der ehemaligen DDR, ein – im Verhältnis zur westeuropäischen Wirtschaftsentwicklung – spontaner Wechsel der Rahmenbedingungen statt, hat dies nicht nur auf die Stellung der Industrie Auswirkungen. Wie Christoph Haller in seinem Beitrag zeigt, ist auch das individuelle Festhalten an der eigenen Geschichte und Entstehungsgeschichte der Stadt direkt mit der Veränderung konfrontiert. Auch soziale Gemeinschaften wie Gewerkschaften und über viele Dienst­leister verbundene StadtbewohnerInnen, z.B. in den USA[7], die ihre Entstehung und Struktur in der fordistischen Industrieentwicklung erarbeitet haben, reagieren empfindlich auf das Verändern des Stellenwerts der industriellen Produktion ihrer Stadt. Die Beziehung Stadt – Industrie ist in Bewegung ge­raten. Das zeigt sich sehr deutlich in der Diskussion über die räumliche Stellung der Produktion, wie Mariusz Czepcyn´ski sie anhand der Entwicklung Danzigs nachweist.

Blickfelderweiterung

In einem Paper von Kathy Pain[8] werden die Erkenntnisse des Forschungsvorhabens POLYNET[9] der Universität Loughborough große Stadtregionen in West­europa (Randstad, Ruhrgebiet, …) betreffend mit den antizipierten globalen wirtschaftlichen Entwicklungen einer „Asianation“ kombiniert. Dies zeigt deut­lich auf, dass bei einer globalen Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklungen und deren beweglichem Netzwerk die einzubeziehende räumliche Ausdehnung einer Untersuchung von urbanen Prozessen ebenfalls größer werden muss. Die in den Ländern des europäischen Raumes feststellbaren urbanen Entwicklungstendenzen entsprechen laut dieser Studie denen einer globalen Stadt, wie sie von Saskia Sassen schon 2001 beschrieben wurden: Globale Städte müssen mit dem Paradox einer Gleichzeitigkeit von Verdichtung und Streuung der Produktion umgehen können.

[ Erik Meinharter ist Redakteur von dérive, Mitarbeiter eines Planungsbüros und Lektor an der Universität für Bodenkultur. ]

dérive, Di., 2007.10.23



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dérive 29 Transformation der Produktion

03. Februar 2007Erik Meinharter
dérive

Stichprobe Stadt

4816 ist Wien. Die Stadt hat im Global Positioning System die Lage 48° nördlich des Äquators, und 16° östlich von Greenwich, daher beginnen alle GPS-Koordinaten in Wien mit N48° E16°.

4816 ist Wien. Die Stadt hat im Global Positioning System die Lage 48° nördlich des Äquators, und 16° östlich von Greenwich, daher beginnen alle GPS-Koordinaten in Wien mit N48° E16°.

Das Projekt >>4816 von Evamaria Trischak in Kooperation mit Nina Achathaller (Konzept), Oswald Berthold und sansculotte (Datenbank) vermisst die Stadt neu. Es wendet GPS-Minutenschnittpunkte1 – also Punkte, die sich als vierstelliger Code lesen lassen – als Raster auf die Stadt an, um mit Hilfe freiwilliger TeilnehmerInnen eine neue Form der Stadtbeschreibung zu vollziehen. Alle DokumentarInnen sind aufgefordert diese Orte aufzusuchen und mittels Fotos in die vier Haupthimmelsrichtungen und einem kurzen Kommentar festzuhalten. Diese Dokumentationen werden dann in eine Datenbank übernommen und online abrufbar zur Verfügung gestellt. Der fortlaufende Prozess der Kartierung wird dadurch auf der Website direkt ablesbar.

Im gesamten Stadtgebiet gibt es 185 dieser Kreuzungspunkte. Auf Grund der Gleichwertigkeit aller Punkte findet ein „Aufheben der Differenz von Peripherie und Zentrum“* statt. Die teilnehmenden Personen erweitern gleichzeitig mittels ihrer „Erkundungsfahrten“* zu den Minutenschnittpunkten ihre Sichtweisen auf die Stadt. Diese Orte können sich, aufgrund der Rückprojektion eines mathematischen Rasters in den Raum, auch als schwer zugänglich erweisen.

Der methodische Ansatz hat einerseits Ähnlichkeiten mit einer naturwissenschaftlichen Untersuchung, die beispielsweise um Pflanzengesellschaften zu beschreiben die statistische Repräsentativität von zufälligen Punktverteilungen auf das zu untersuchende Areal anwendet2, ihr fehlt jedoch jeglicher Objektivierungsanspruch hinsichtlich einer statistischen Repräsentativität. Anders als bei den künstlerischen Konzepten des Figurenfahrens der Situationistischen Internationale wird keine Figur in die Stadt eingeschrieben, sondern die Stichprobe als singuläre Repräsentation der Stadt aufgefasst.3

Über die Dokumentation der Aufnahmen wird deutlich, wie die Stadtform als Konstruktion wahrgenommen wird, abhängig davon unter welchem System man sie betrachtet. Das Projekt >>4816 streicht damit sowohl die Abhängigkeit der Stadtbeschreibung von ihren gewählten Mitteln hervor, wie es auch die TeilnehmerInnen auf Reisen zu unbekannten Punkten der Stadt schickt, und generiert aufgrund der Möglichkeiten neuer Stadterfahrungen neue individuelle Stadtbeschreibungen. Anders als bei einer spielerischen Form des „Geocoaching“4 findet die Person keinen Gegenstand, sondern einen unbekannten Ort der Stadt als seinen „Schatz“. Diese dokumentierten Reisen finden sich im Forum der TeilnehmerInnen dann wieder. Dort werden beim Aufsuchen der Punkte erlebte Erfahrungen ausgetauscht. Schwierigkeiten und Problempunkte, wie aber auch konkrete Erlebnisse werden dokumentiert, ein „Schatz“ an Erzählungen zur Stadt versammelt. Die Gemeinschaft derer, die diese spezifischen Orte ansteuern, verstärkt sich im Online-Forum. Die Gruppe der >>4816-DokumentaristInnen bildet wie die der rasterförmige Stadtbeschreibung über die Vernetzung der Einzelpersonen im Online-Forum einen virtuellen „öffentlichen“ Raum.

Damit wird mit dem Projekt nicht nur die Abstraktion eines scheinbar exakten, mathematischen netzförmigen Prinzips von Knotenpunkten auf die Stadt angewandt, sondern auch auf die räumlich fragmentierte Gemeinschaft der Punktsuchenden selbst. Im Netzwerk der Erfahrungen wird dann gemeinsam die Hoffnung ausgesprochen, dass ein baldiges Zufrieren des „Schwanensees“, doch noch die Erreichbarkeit eines Punktes ermöglicht. Um so die „Stichprobe Stadt“ zu vervollständigen.

[ Erik Meinharter ist Redakteur von dérive, Mitarbeiter eines Planungsbüros und Lektor an der Universität für Bodenkultur. ]

Alle mit (*) gekennzeichneten Zitate sind der Website entnommen.


dérive, Sa., 2007.02.03



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dérive 26 Sofia, Banlieus, Broadacre City, Guantanamo, Kreative Milieus, Stadtaussenpolitik

23. Oktober 2006Erik Meinharter
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Stadt mobil

Mobilität, verstanden als Beweglichkeit und nicht als Bewegung an sich, stellt eine Grundfunktion des gesellschaftlichen Systems und der städtischen Entwicklung...

Mobilität, verstanden als Beweglichkeit und nicht als Bewegung an sich, stellt eine Grundfunktion des gesellschaftlichen Systems und der städtischen Entwicklung...

Mobilität, verstanden als Beweglichkeit und nicht als Bewegung an sich, stellt eine Grundfunktion des gesellschaftlichen Systems und der städtischen Entwicklung dar. Sie ist keine ziel- oder zweckbestimm-te Ressource, sondern eine Basis des gesellschaftlichen Handelns. Auch wenn sie noch so eingeschränkt oder in ihren Möglichkeiten begrenzt ist, stellt sie einen individuellen Faktor des gesellschaftlichen und auch städtischen Lebens dar. Deshalb wird in dieser Ausgabe nicht Verkehr, Verkehrspolitik, Verkehrsplanung, Verkehrsrecht etc. behandelt, sondern die zentral beim Menschen situierte Mobilität in all ihrer städtischen Differenzierung. Am ehesten nähert sich die Ausgabe der Forderung Stephan Rammlers an, die vernachlässigte Disziplin einer Verkehrssoziologie weiter auszubauen, stadtwissenschaftliche Beiträge zum Verkehr zu liefern.

Mobilität und Stadt sind untrennbar verbunden

Stadtgründung fußt auf der Möglichkeit des Transports von produzierten Gütern aus dem Umland in die primärproduktionslose Stadt. Die Stadtentwicklung reagiert als Netzwerk von Bewegungsräumen und den dazwischenliegenden „statischen“ Elementen der Parzellen auf die Bewegungen von Menschen und Gütern. Stadt ist auf diese Bewegungen angewiesen und verändern sich deren Formen, verändert sich auch die Stadt. Aus der räumlichen Anordnung von unterschiedlichen Funktionen resultiert ein Transport entlang dieses Netzwerks. Lageveränderungen und Verbindungsveränderungen aufgrund politischer, ökonomischer, gesellschaftlicher und technischer Neuordnungen, die Auswirkungen auf die Mobilität der Gesellschaft haben, zeigen sich, wenn auch aufgrund der Stabilität des städtischen Netzwerks sehr langsam, in der Stadtstruktur. Ändert sich die Mobilität, ändert sich auch die Stadt.

Stadtplanerische Eingriffe, wie zum Beispiel eine forcierte Stadtentwicklung ent-lang radialer Achsen, ziehen erst Jahre später Modifikationen des Mobilitätsverhaltens und weitere Entwicklungen entlang dieser Achsen nach sich. Auch ver-änderte Regulationsmechanismen oder ökonomische Wandlungen beeinflussen die Mobilität. Diese Entwicklungen sind voneinander abhängig. Die Auswirkungen der Pendlerpauschale in Österreich oder der km-Pauschale in Deutschland um 1955 (vgl. Kühne) auf die Wahl des Verkehrsmittels bei notwendiger Mobilität sind sicherlich als sehr stark das Mobilitätsverhalten beeinflussende Faktoren einzuschätzen. Dadurch können Versuche, wie z.B. mittels Aufklärungsprogrammen auf eine neue „nachhaltige Mobilitätskultur“ hinzuwirken nur kleine Teilerfolge erzielen.

Missverständnis Automobilität

Mobilität wird zumeist als Automobili-tät missverstanden. Nicht nur auf der Basis dieses Missverständnisses werden soziale Komponenten der Mobilität wie unterschiedliche Verfügbarkeiten, Tagesabläufe oder Anforderungen nicht mobiler Gruppen in den Betrachtungen negiert. Die räumliche Dominanz des motorisierten Individualverkehrs, seine Eroberung der Straße durch die Durchsetzung einer „Dromokratie“ (vgl. Virilio) blendet andere Formen der Mobilität aus.

Das motorisierte Individualfahrzeug hat den Straßenraum entdemokratisiert und die Verfügbarkeit des städtischen Raumes gemäß seinen technischen Anforderungen differenziert und doch ist diese Entwicklung gleichzeitig mit einer Mobilitätssteigerung zuvor immobiler Gruppen verbunden. In der gesellschaftlichen Entwicklung hat das Automobil selbst keinen Individualisierungsschub ausgelöst. Es ist jedoch ein probates Mittel, dieser Tendenz Vorschub zu leisten, als soziale Praxis des individualisierten Verkehrs die gesellschaftliche Differenzierung zu unterstützen. Dies schlägt sich auch räumlich in einer Verfügbarkeit von zentrumsfernen Wohnorten nieder.

Das Automobil wird mit allem Optimismus eines intermodalen Verkehrsansatzes auch nur soweit tragbar sein, wie seine Infrastruk-tur eine Ausweitung und Verdichtung der Verkehrsmenge verkraftet. In einer Studie zur Mobilität 2025 im Auftrag des deutschen Automobilherstellers BMW wurde bereits vom Mythos des „individuell verfügbaren Fortbewegungsmittels“ Automobil abgegangen. Bei sinkenden Haus-halts-einkommen und steigenden Treibstoffpreisen wird dies auch nicht mehr leistbar sein.1

Der Mythos der Befreiung der Gesellschaft durch ein motorisiertes Individualverkehrsmittel ist schon aufgrund der Geschichte der Verbreitung des Automobils nicht halt-bar. Dementsprechend wird sich die Stadtstruktur wie auch die gesellschaftliche Mobilität verändern. Dass diese Entwicklungen jedoch auch in einem historisch-kritischen Zusammenhang gesehen werden können, beschreibt Sándor Békési eindrucksvoll in seinem Beitrag.

Orte der Mobilität in der Stadt

Auch die scheinbar statischen Orte der hohen Beweglichkeit sind für die soziale Struktur der Stadt von Bedeutung. Bahnhöfe, die bei ihrer Entstehung in ihrem Umfeld für Aufwertungen und städtische Verdichtungsmaßnahmen sorgen, sind als Gebäude im Stadtraum Transiträume und daher Zufluchtsorte ebenso wie Orte der Repräsentation. Die hohe Frequenz des Kommens und Gehens bietet die Möglichkeit, in überdachten Räumen nicht aufzufallen und gleichermaßen auffallend zu sein. Manfred Russo beschreibt in seinem Beitrag den Bahnhof als einen schon immer hoch verdichteten sozialen Ort.

Die Straße als Raum und Initial städtischer Entwicklung hat, wie an den radialen Entwicklungsachsen zu sehen ist, ebenfalls eine neue Zuschreibung bekommen. Wenn J. B. Jackson schreibt: „Roads no longer lead to places, they are places“, dann ist ein Schritt über die Mobilisierung des Raumes wieder retour zu dessen Fixierung geschehen. Stefan Bendiks von Artgineering be-trachtet in seinem Text so einen Raum, der nach einer rasanten Entwicklung als Verkehrsachse einen Urbanisierungsschub erfahren hat und dann durch eine neue Autobahn aus der kollektiven Erfahrung ausgeschieden ist. Was geschieht mit den Räumen der Bewegung, wenn sich diese von dort zurückzieht?2

Stadt formt Mobilität formt Stadt

Das Verhältnis von Stadt und Mobilität ist dialektisch. Mobilität von Menschen und Gütern verformt die Stadt im gleichen Maße wie die bestehende Stadtstruktur Formen der Mobilität ermöglicht oder ausschließt. Die „Stadt der kurzen Wege“ muss nicht eine Stadt mit weniger Verkehr bedeuten. Der Mythos vom im virtuellen Netzwerk verbundenen Heimarbeiter, der durch seine neue „freie“ Erwerbsarbeit (die nebenbei Nebenkosten des Arbeitgebers spart) auch noch für den Abbau von CO2, Feinstaub und sonstigen Umweltbelastungen sowie für die Befreiung verstopfter Straßen sorgt, sollte aufgelöst werden.

Das Verkehrsaufkommen, welches in der Mehrzahl vom Freizeitverkehr mitdominiert wird (vgl. Badrow), ist ein ge-sellschaftliches Phänomen, das sich nicht durch Schritte in Richtung der alten Zunfthäuser, die Arbeiten und Wohnen im Verband ermöglichten, stoppen lässt. Aus der Freiheit zur Mobilität ist längst ein Zwang erwachsen. Eine Dienstleistungsgesellschaft mit gestiegener Anforderung an Waren und Gütertransport und dem Transport von DienstleisterInnen zwischen verschiedenen Orten führt zu einer gene-rellen Mobilisierung des Individuums. Richard Sennet schreibt in seinem Buch Der flexible Mensch, dass nicht nur die äußere, sondern auch die geforderte innere Flexibilität des modernen Menschen Auswirkungen auf den Raum wie auch auf die Gesellschaftsstruktur hat. „Die moderne Kultur des Risikos weist die Eigenheit auf, schon das bloße Versäumen des Wechsels als Zeichen des Misserfolgs zu bewerten, Stabilität erscheint fast als Lähmung. Das Ziel ist weniger wichtig als der Akt des Aufbruchs. Gewaltige soziale und ökonomische Kräfte haben an dieser Insistenz auf ständiger Veränderung gearbeitet: die Entstrukturierung von Institutionen, das System der flexiblen Produktion – auch die handfesten Immobilien scheinen in Fluss geraten zu sein. Da will niemand zurückbleiben. Wer sich nicht bewegt, ist draußen.“(Sennet, S. 115). Im Beitrag von Anja Simma wird deutlich, dass unterschiedliche Alltagsstrukturen verschiedene Verfügbarkeiten von Mobilität erfordern und sich dadurch gesellschaftliche Differenzierungen oder Unausgewogenheiten über Bewegungsradien und verfügbare Handlungsspielräume der StadtbewohnerInnen ausdrücken. Diese Faktoren scheinen stärker zu wirken als die gemeinhin als bedeutend angenommenen von Raum und Mobilität.

Stadtrand und Zwischenstadt

Der Stadtrand hat sich als Form der autogerechten Stadtentwicklung in die ländlichen Bereiche ausgeweitet. Mobilität und Verkehr sind die treibenden Kräfte der Veränderung einer Stadt. Schon mit der industriellen Revolution und dem zunehmenden Waren- und Personenverkehr hat sich die Konfiguration der Stadt massiv verändert. Distanzen haben sich relativiert, feste räumliche Bezüge aufgelöst. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vor der Entstehung der modernen Massenmobilität, wurde die verändernde Kraft des (motorisierten) Verkehrs für die Städte thematisiert. Mit der auf dem 4. CIAM-Kongress 1933 (Thema „funktionale Stadt“) beschlossenen Charta von Athen war der mobilitätsgerechte – damals automobilitätsgerechte – Städtebau durch die Forderung einer Differenzierung der Straßen nach ihrer Funktion als eine zentrale Aufgabe der Stadtentwicklung entstanden. Diese Mobilisierung durchzieht dann die städtischen und städtebaulichen Strategien des 20. Jahrhunderts.

Heute ist offensichtlich, dass jede neue Maßnahme in der Stadt verschiedenste Formen von Verkehr nach sich zieht. Die unterschiedlichsten Verkehrsmittel (Automobil, Eisenbahn etc.) haben den Städtebau und die Stadt so maßgeblich verändert wie z. B. der Aufzug die Architektur. Die Bezeichnungen städtebaulicher Strategien binden sich an Mobilität, wie die Begriffe und Konzepte der „Bandstadt“3 (Soria y Mata 1882) oder „Zwischenstadt“ (Sieverts 1999) oder das Schlagwort der idealisierten „Stadt der kurzen Wege“ zeigen, und dokumentieren damit, wie untrennbar Stadt und Mobilität ineinander verwoben sind.

Die oben beschriebene Automobilisierung der Gesellschaft produzierte einhergehend mit einer Tendenz zur Individualisierung einen breiten, netzartigen Rand der Stadt. Der Urban Fringe ist in seiner patchworkartigen Netzstruktur die ideale Umsetzung der Stadt auf der Basis eines motorisierten Individualverkehrs. Eine Nivellierung der Zentren und eine Überbetonung der linearen Entwicklung entlang netzartig verlaufender Infrastrukturen führt zu einer Vermischung von Stadt und Land, die schlussendlich ihre Differenz auflöst. Diese Stadtlandschaft oder Metropole ist der Schlusspunkt der Auflösung des Stadtrandes.

Bewegung schafft Stadtbetrachtung und Stadterfahrung. Die Form der Bewegung kann entscheidend dafür sein, wie Stadt beschrieben, erfahren und betrachtet wird. Ob es die Initialerfahrung des U-Bahn-fahrenden späteren Stadtforschers ist, wie der Beitrag von Christoph Gollner zeigt, oder das Gehen am Stadtrand als künstlerische (Boris Sieverts) oder wissenschaftliche (Lucius Burckhardt) Praxis. Die Form der Bewegung kann aus diesen Zonen zu Erkenntnissen führen, die ein tieferes Verständnis von Stadt und Mobilität fördern und Strategien basierend auf alternativen Mobilitätsdefinitionen unterstützen.

dérive, Mo., 2006.10.23



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dérive 25 Stadt mobil

20. Juli 2006Erik Meinharter
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Die Experimente, die Landschaft, die Theorie und ihre Stadt

Die Dichotomie zwischen Stadt und Land verschwimmt. Der öffentliche Raum gerät als Metapher für die aus dem Raum in die Medien verlagerte Öffentlichkeit...

Die Dichotomie zwischen Stadt und Land verschwimmt. Der öffentliche Raum gerät als Metapher für die aus dem Raum in die Medien verlagerte Öffentlichkeit...

Die Dichotomie zwischen Stadt und Land verschwimmt. Der öffentliche Raum gerät als Metapher für die aus dem Raum in die Medien verlagerte Öffentlichkeit in den Fokus. Die Stadtlandschaft (wie Sieverts seine Weiterführung der Zwischenstadt nennt) weitet die Schnittstellen der Städte mit der Landschaft aus. Dieser Trend der letzten Jahre führt auch zu einem interdisziplinären Verschwimmen von Professionen und Methoden. Das Interesse an der Landschaft und deren Bedeutung im kritischen Diskurs steigt, Landschaftsarchitektur steht nicht mehr im Gegensatz zum Urbanen und der Architektur. Die Landschaft rückt in das kritische Interesse anderer Disziplinen – Lili Licka spricht vom „Phänomen der Auflösung methodischer Grenzen“. In diesem Kontext sind die zahlreichen Symposien, Kongresse und Workshops, wie jene, die jüngst in Wien stattgefunden haben1, als Statements und Versuche der Positionierung der Disziplin zu werten.

landscape-X-periments (27.04.2006) war eine dieser Veranstaltungen. Der Schwerpunkt des vom Institut für Landschaftsarchitektur der Universität für Bodenkultur Wien in Kooperation mit der ÖGLA, der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung, und dem Alumnidachverband der Universität für Bodenkultur organisierten eintägigen Symposiums fokussierte auf einen Theoriediskurs zur Idee und Strategie des Experiments. Experimente sind nach der Wende von der klassischen (Natur)Wissenschaft zur fundamentalen Unsicherheit auf drei Basisprinzipien aufgebaut: Unvorhersehbarkeit, Kontext und Prozess. Martin Prominski von der Universität Hannover liest diesen Paradigmenwechsel als zentral im Arbeiten mit und in der Landschaft und damit als Strategie der Landschaftsarchitektur. Die Hinwendung zu breiteren Untersuchungsformen beim Arbeiten an der Stadt kann auch als eine Ursache der Aktualisierung von Landschaft im urbanen Diskurs gesehen werden. Es zeigt sich eine Parallelität zwischen der Prozesshaftigkeit aller Maßnahmen und deren schwer vorhersehbaren Auswirkungen auf die Arbeitsstrategie in der Landschaftsarchitektur.

Einen Versuch diesem Phänomen der Unsicherheit mit experimentellen Strategien zu begegnen, stellt das Projekt Herhugowaard/Schuytgraaf des niederländischen Landschaftsarchitekturbüros Karres en Brands dar. Es zeigt einen fast spielerisch anmutenden Umgang mit Abhängigkeiten. In einem in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich (www.kaisersrot.com) entwickelten digitalen Modell einer Stadtentwicklungsmaßnahme wurde aus voneinander abhängigen Einzel-Faktoren ein Netzwerk gebildet, innerhalb dessen lokale planerische Eingriffe komplexe Verschiebungen nach sich ziehen. Die „unsichtbare Landschaft“ wird in die Entscheidungsfindung miteinbezogen. Die gestalterische Entscheidung behielten Karres en Brands – im Wissen um die Unvollständigkeit digitaler Simulationen – dann doch in ihren Händen.

Die bei solchen Algorithmen nicht erfassbaren sozialen Zusammenhänge wurden von Gareth Doherty von der Universität Harvard in der Einleitung seines Vortrags „Landscape as Urbanism“ als zentral auch für kleinstädtische Entwicklungen beschrieben. Doherty entwickelte mit CHORA eine experimentelle Strategie, mittels einer zufälligen Streuung von Aufnahmepunkten („Bean-Map“) aufschlussreiche Aufnahmen einer Region zu erhalten, und damit vom Landschaftlichen auf das Urbane schließen zu können. Um die Erkenntnisse in kleinen Projekten vor Ort umzusetzen, erwies sich diese „Zufalls-Methodik als wenig geeignet, da die sehr kleinteiligen, nicht aus sich selbst entwickelten Maßnahmen den Ansatz einer Initialzündung konterkarierten.

Hier stellten die von Stefan Bendiks von der Gruppe Artgineering vorgestellten so genannten non-physical interventions schon eher eine Form der gezielten experimentellen Intervention dar. Von Staustadt und Stauerleben bis zum Wohnen und Arbeiten an einer ehemaligen Schnellstraße wird Banalität und Informalität als Qualität definiert. Als Staubetreuer auf Motorrädern mit einem filekit (Stau-Versorgungspaket) ausgestattet, karikierten sie bei der Biennale in Rotterdam 2003 gemeinsam mit feld72 und D+.nl die mobile Gesellschaft. Die Untersuchung von Regionen, die durch Mobilität zuerst geformt und später verlassen werden, zeigen architektonische (Wohn)Formen des Informellen, deren Qualität erst entdeckt werden muss.

In den postsozialistischen Ländern ist diese Qualität zurzeit wegen des Bedeutungsverlusts des Öffentlichen kein Thema, wie die Projekte von ProstoRoz zeigten. Gezeigt wurden ästhetisch ansprechende, experimentelle Installationen, die versuchten, öffentliche Räume in Ljubljana positiv zu definieren. Problematisch dabei die mangelnde Auseinandersetzung mit den realen Gegebenheiten, lässt sich diese Form der Kunst im öffentlichen Raum doch allzu leicht für Aufwertungsprozesse instrumentalisieren, damit in der Folge lukrativer privatisiert oder in Bauland umgewidmet werden kann. Vorhandene Nutzungen, Aneignungen und das „verwahrloste“ Erscheinungsbild gelten als nicht erhaltenswert. Der Grund dafür liegt nicht alleine in der Notwendigkeit einer ökonomischen Nutzung öffentlicher Räume: Im Kontext des „Zurücklassens eines alten Systems“ wird Verwilderung als Teil einer überholten Wirtschaftsweise gelesen. Brachen, so Frank Lohrberg in seinem Vortrag, werden in Zeiten der Schrumpfung auch immer mit ökonomischem Niedergang assoziiert. Er plädierte – am Beispiel von Projekten im Ruhrgebiet – für eine aktive Beschäftigung mit dieser Verwilderung und einer einhergehenden Wertschätzung der verbliebenen Anwohner.
Die Grenze der experimentellen Zugänge schien insgesamt eher zwischen „Poesie und Treue“ (Lebalto) im Garten und kritischem Zugang zur Landschaft zu verlaufen. Die regen Diskussionen, die um die Projekte von ProstoRoz sowie über die Gärten von LeBalto geführt wurden, zeigten auf, dass durch den erweiterten Arbeitskontext, die Aktualisierung des Öffentlichen und die Auflösung methodischer Grenzen eine Abwendung vom romantischen Bild der Landschaftsarchitektur vollzogen ist und Landschaft nicht mehr das grüne heilsversprechende und natürliche Gegenstück der Stadt darstellt.


1 Der Kongress GROW! (31.03.-02.04.2006) deckte mittels Einzelvorträgen mehrere Themenfelder ab. Ein Themenblock war zum Beispiel scaping the urban. Zum Kongress ist eine Publikation in Planung. Das Seminar Urban Landscapes – Common Challenges Shared Strategies (19.05.2006) an der TU Wien organisiert vom Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen orientierte sich im Rahmen des LE:NOTRE-Projekts als Startveranstaltung des EULP (European Urban Landscape Partnership) an der Form eines workshopartigen Informationsaustausches zwischen Städten.

dérive, Do., 2006.07.20



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dérive 24 Sicherheit - Ideologie und Ware

14. April 2006Erik Meinharter
dérive

Urbane Feldarbeiten in Prata Sannita

Trotz der vielbeachteten urbanen Leerstände, denen mit dem Diskurs über „shrinking cities“ ausgiebigst Aufmerksamkeit gewidmet wird, leben fast drei Viertel der Menschen Europas in Städten. Leerstand ist also kein rein urbanes Phänomen, sondern auch ein rurales Symptom. Dass dadurch auch im ländlichen Raum eine „urbane Strategie“ wirksam eingesetzt werden kann, beweist das Projekt Million Donkey Hotel“(1) von feld72.

Trotz der vielbeachteten urbanen Leerstände, denen mit dem Diskurs über „shrinking cities“ ausgiebigst Aufmerksamkeit gewidmet wird, leben fast drei Viertel der Menschen Europas in Städten. Leerstand ist also kein rein urbanes Phänomen, sondern auch ein rurales Symptom. Dass dadurch auch im ländlichen Raum eine „urbane Strategie“ wirksam eingesetzt werden kann, beweist das Projekt Million Donkey Hotel“(1) von feld72.

Die ArchitektInnen wurden eingeladen, sich im Rahmen von Villaggio dell’Arte(2) in Italien mit Prata Sannita, einem Dorf in der Provinz Caserta im Parco del Matese, zu beschäftigen. Das Dorf hat eine bewegte Geschichte, die durch Migration und Mobilität bestimmt wird und wurde.

Prata Sannita ist als „Erfolg“ der Automobilisierung in zwei sehr unterschiedliche Teile getrennt: das am Hang liegende mittelalterliche Prata Inferiore, das auch „Borgo“ genannt wird, und das getrennt davon an einer Verbindungsroute den (auto)mobilen Ansprüchen entsprechend entstandene Prata Superiore. Durch die wirtschaftliche Entwicklung der Region ist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine stetige Fluktuation der BewohnerInnen festzustellen. Viele wanderten aus, manche von Ihnen besuchen jährlich im Sommer und zur Weihnachtszeit „ihr Dorf“ als Gäste, teilweise ziehen die Ausgewanderten im Alter wieder zurück und die Jungen sind noch da. Prata ist, wie auch die anderen an dem Projekt teilnehmenden Orte Capriati al Volturno, Fontegreca, Gallo Matese und Letino, durch seine erzwungenermaßen mobilen EinwohnerInnen ein „urban node“ geworden. Es gibt große Ortsgemeinschaften in New York oder der Schweiz. (Im benachbarten Dorf Gallo Matese wohnten 1921 noch über 3.000 Menschen, heute wohnen dort 800 Personen, in New York werden aber 1.500 Gallisti gezählt.) So findet in den Dörfern die Urbansisierung des ländlichen Raumes in den Handlungsweisen der „Zurückgekehrten“ statt.

Diese Situation des Ortes, dass die Migration – die Bewegung – das Verbindende sowohl zwischen den beiden Ortsteilen wie auch zwischen den BewohnerInnen ist, nahmen feld72 als Anknüpfungspunkt für ihr Konzept. Sie lasen das gesamte Dorf als Hotel, in dem noch Zimmer frei sind, um damit eine neue Bedeutungsebene der Migration einzuführen. Im Bereich des Borgo sollten „Zimmer“ eingerichtet werden, die sowohl für die „nicht sorgengetriebenen Nomaden“ genannten Touristen wie auch für die DorfbewohnerInnen neue Räume erschließen.

Dass dieses Konzept nur eine mögliche Form der Intervention darstellte, die Dimension und Ausformulierung jedoch vor Ort in einer Workshop-Situation entschieden wurde, verlieh dem Prozess eine kräftige Eigendynamik. Das Konzept wurde zum Selbstläufer. Durch die Wahl des Zeitraumes (1.-31. August 2005), des ferragosto(3), als Durchführungszeitraum, war die Grundvoraussetzung zur gemeinsamen Intervention gegeben. Täglich nahmen bis zu 43 Personen vier Wochen lang gemeinsam mit den ArchitektInnen die Transformation des Ortes selbst in die Hand. Im wahrsten Sinn des Wortes, denn durch die Lage des Borgo am Hang sind die Gassen für Transportmaschinen zu eng. So fanden sonst nicht gemeinsam agierende BewohnerInnen mit verschiedensten Hintergründen eine Möglichkeit, mit vereinten Kräften einen Beitrag zum spielerischen Umdeuten zu leisten. Sie waren Bauherren und Bauarbeiter in Personalunion. Im Gegensatz zum solitären Heimwerker bot die permanente Diskussion mit den ArchitektInnen über das Konzept Entscheidungsmöglichkeiten über die Ausformulierung. Eine neue Verbindung entstand dadurch nicht nur zwischen davor einander distanziert begegnenden zurückgekehrten Alten und ausbrechenden Jungen, sondern auch zwischen ihnen und den ArchitektInnen. Der Wahnsinn der Anstrengung und der Wahnwitz der Entwürfe verbindet: „Ihr seid ja verrückt“ konnte feld72 mit „Ihr aber auch, denn ihr macht mit“ beantworten.

Das räumliche Ergebnis hat die Form eines lebhaften, widerspenstigen architektonischen Statements und widersetzt sich einer möglichen Kommerzialisierung. Die Zimmer sind alles andere als gemütlich – und doch stark in ihrer Ausdruckskraft. Silberraum, schwarzes Loch, das fliegende Bett oder das Bad mit 4,8 km Moschiera(4) wurden den fast verfallenen Leerräumen abgerungen. Sie bieten einmalige, mit dem Ort spielende Erlebnisse, aber keine gemütliche Atmosphäre zur distanzierten Erholung, wie sie einschlägige Hotelprospekte sonst versprechen. Der Gast muss sich mit dem Dorf und seinen BewohnerInnen auseinandersetzen. Er muss sich sein Hotel erarbeiten und es erforschen und kann sich nicht gemütlich in einem Transitraum abgekoppelt vom Umfeld niederlassen.

Nicht nur die Eingänge zu den Zimmern, auch der Ausgang des Projekts ist offen. In jedem Fall hat es einen positiven Impuls zur Annäherung doch so gegensätzlicher sesshafter „MigrantInnen“ geschaffen. Es hat wohl weniger Prata Superiore und Prata Inferiore verbunden als vielmehr Jung und Alt, wie auch Wohnende und Besuchende oder letztlich die DorfbewohnerInnen mit den ArchitektInnen.

Zukünftiges Konfliktpotenzial zwischen den WorkshopteilnehmerInnen und den anderen BewohnerInnen von Prata Sannita ist jedoch zu erwarten. Es sind die notwendigen gemeinsamen Definitionen der weiteren Schritte und die „alltägliche“ Betreuung, die ausdiskutiert werden müssen. Eine Gruppe der ortsansässigen Freiwilligen verwaltet als Verein das Hotel. Doch das verbindet sie auch wieder aufs Neue. Und dass nach dem Ende des Workshops noch ein weiteres „Zimmer“ durch die Dorfgemeinschaft ohne die ArchitektInnen errichtet wurde, ist ein Zeichen, dass das „frei von ...“ tatsächlich zu einem „frei zu ...“ umgedeutet werden konnte, wie es im Konzept erhofft wurde.

Mit dieser urbanen Strategie erarbeiteten feld72 mit den WorkshopteilnehmerInnen eine Situation, die das Anklingen einer spielerischen und gemeinschaftlichen Komponente in der Wiedererfindung des „Verlorenen“ beinhaltet und dadurch mehr Chancen bietet, die Leere in ein Potenzial zu verwandeln, als jedes durchkonstruierte „umfassende“ Projekt. Diese urbane Strategie, die vor allem aufgrund der im Dorf vorhandenen urbanisierten Handlungsweisen der BewohnerInnen einen Anknüpfungspunkt fand, kommerzialisiert den Ort nicht, denn das Million Donkey Hotel ist ein Hotel mit vielen Dauergästen.

Das „Million Donkey Hotel“ in Prata Sannita ist ein Projekt von feld72 im Themenbereich „memory“ des Villaggio dell’Arte 2005. Dieses ist ein Teil von PaeSEsaggio – Azione Matese.

dérive, Fr., 2006.04.14



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dérive 23 Visuelle Identität

03. Juni 2005Erik Meinharter
dérive

Wiederaufbau des Wiederaufbaus?

Ein großer Rückbau, Umbau oder Abriss? Oder: Was bleibt von gesunden Wohnungen? Glückliche Menschen?

Ein großer Rückbau, Umbau oder Abriss? Oder: Was bleibt von gesunden Wohnungen? Glückliche Menschen?

Wohnquartiere wie aus einem Guss. Viele preiswerte Wohnungen in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft. Zur schnellen Wohnungsproduktion wurden solche großformatigen, rein auf Wohnnutzung ausgelegten Quartiere bis in die späten 1970er Jahre als praktikable Lösung angesehen. In den letzten Jahren entstand jedoch eine neue große Bauaufgabe: Die Großsiedlungsrenovierung begann, besonders in den Niederlanden, den Neubau zu verdrängen.

Wie alles begann.

Doch wie hat alles begonnen? Die ersten Ansätze der großen Quartiere wurden Ende der fünfziger Jahre realisiert, als die zögerliche Bauentwicklung der Nachkriegsjahre im ökonomischen Aufschwung ihren Katalysator gefunden hatte. Vorausgehend hatte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein Modernisierungsschub an Wertesystemen und Lebenskonzepten stattgefunden. Die Ansätze eines Ernst May, als Vorreiter des Typus großformatigen sozialen Wohnbaus in der Zwischenkriegszeit und Autor des Artikels „Die Wohnung für das Existenzminimum“ für den zweiten CIAM-Kongress, wurden zum Vorbild weiterer groß angelegter Siedlungen nach 1945. Die Überlegungen der räumlichen Manifestation eines sozialen Gefüges, welche ihre erste Realisierung im städtischen Waisenhaus Aldo Ernest van Eycks 1960 gefunden hatten, wurden auf Siedlungs- und Wohnformen übertragen. Am Anfang der sechziger Jahre fanden die Konzepte eines baulich-räumlichen Verfestigens einer sozialen Utopie ihren Höhepunkt und gleichzeitig ihre maximale Verzerrung. Es begann die Zeit der „triumphierenden Ökonomie“ (Heinrich Klotz). Die gesellschaftlichen und sozialen, aber auch zum Teil ideologischen Vorstellungen eines gemeinschaftlichen Lebens wurden „in Beton gegossen“. Die Zeit der „Unterbringungsarchitektur“ brach, begleitet durch die Tendenz zur Standardisierung im Wohnbau, an. Somit wurde sie zur ökonomisch-räumlichen Interpretation einer sozialen Grundidee.

Mehrere Faktoren führten zu Lage und Dimension der Neubausiedlungen am Rande der Stadt. Aus der Idee der Siedlungserweiterungen in Trabantenform mit abgeschlossener Autonomie z. B. eines Bruno Taut wurde im Zuge der Verdichtung aus Verwertungsinteresse, der leichten und günstigen Verfügbarkeit der Peripherie sowie der Idee der verkehrsgerechten Stadt die Trabantenstadt. Es entstanden Siedlungen mit großer Dichte am Rande der Stadt, die selbst jedoch mit nicht finanzierbaren Schäden an ihrer Zentrumsstruktur zu kämpfen hatte. Gleichzeitig aus der Idee der Verschränkung von Stadt und Natur geboren, waren diese Siedlungen am Stadtrand in wichtigen Funktionen auf diese Zentren angewiesen. Eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr sowie der Bau wichtiger Infrastrukturmaßnahmen, zumeist zeitnah geplant, fanden erst Jahrzehnte nach Vollendung der Siedlungen statt.

Die ursprüngliche Intention der neuen „sozialen Bauweise“ war es jedoch, sich stark von den auf kapitalistische Verwertung ausgerichteten Bauformen der Gründerjahre abzugrenzen – einem neuen Begriff von Menschenwürde und sozialer Gleichberechtigung eine baulich adäquate Form zu geben. Hier entstand bereits das dann im Weiteren zu problematischen unflexiblen Wohnformen führende grundlegende Missverständnis: der Zweck, mittels baulicher Umwelt ein ideales Zusammenleben der Menschen anzubahnen, eine „soziale Harmonie“ als städtebauliches Leitbild zu manifestieren. Christine Hannemann bezeichnet das in ihrem Buch „Die Platte“ bezugnehmend auf die DDR das „Gleichheitspostulat“. Dadurch zeigt sich bereits die Problematik der „gebauten Gesellschaftsform“, die dann mit einer realen Gesellschaft und deren Veränderungen in Konflikt gerät: Der Städtebau als Mittel der Politik ist eine autoritäre Form der Gesellschaftsmanipulation.(1) Doch was bleibt von dieser, wenn die Ansprüche an die Wohnformen sich ändern?

Gibt es europäische Unterschiede in den Entwicklungen?

In den Niederlanden ist die sogenannte Erneuerung (die vom Abriss bis zu tatsächlicher Erneuerung der bestehenden Wohnviertel reichen kann) die größte Bauaufgabe der letzten Jahre. Sie hat den Neubau quantitativ von der ersten Position verdrängt. Es stellt sich die Frage: Gibt es eine Erneuerung ohne Verniedlichung? Die meistgewählte und meistgewünschte Wohnform der Niederlande ist das Reihenhaus.

Die dichten und mitunter sehr kompakten Großsiedlungsstrukturen erscheinen wie Inseln in einem Meer aus individuellen oder geförderten (vgl. VINEX (2)) Reihenhäusern mit Vorgärten und Gärten. Die Wohnform der Geschosswohnungsbaus ist in den Niederlanden eine Ausnahmeerscheinung. Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch aufgrund des schlechten Unterhalts und der hohen MieterInnenfluktuation haben viele dieser Siedlungen ein schlechtes Image. Doch Image ist nicht gleich reale Situation: Die gesellschaftspolitischen Probleme werden auf Bauformen und Wohnformen projiziert und so einer grundsätzlichen Kritik enthoben. Das Bijlmer – aufgrund seiner hauptsächlich aus Surinam stammenden BewohnerInnen bezeichnenderweise auch „Paramaribo aan de Amstel“ genannt – ist eine Wohnsiedlung, an der sich bereits viele ArchitektInnen versucht haben. Sie schwankt permanent zwischen Abriss und Neudefinition. Derzeit hat der Abriss bei gleichzeitigem Ersatz durch verdichtete flache Bauformen die Oberhand gewonnen. Mit ihrer Situierung nahe dem Aufwertungsgebiet Amsterdam Zuid liegt die Siedlung noch dazu in einem Konfliktfeld der Stadtentwicklung Amsterdams. In diesem Zusammenhang sind Aktionen zur Neudefinition wie jene der Stadtentwicklung Amsterdam Zuid Oost (3) durchaus kritisch zu sehen. Für welche BewohnerInnen wird neu definiert – für wen wird die Situation verbessert?

Mit dem Projekt RESTATE (4) wird diesem und einigen weiteren Projekten eine Untersuchung gewidmet, die versucht zu erforschen, inwieweit diese Prozesse lokal und inwieweit sie globalen Tendenzen folgen. In einer vergleichenden Studie wird an konkreten Orten verglichen, welche Faktoren am stärksten eine Abwertung nach sich ziehen. Ob dieses Forschungsprojekt die Zerreißprobe zwischen konkret dokumentierbaren Faktoren wie der Vernachlässigung im Unterhalt, Wechsel in den Förderungsbedingungen des sozialen Wohnens, wirtschaftlichem Status der Wohnbaugenossenschaften (Privatisierungen) und lokalen wie globalen Wirtschaftsprozessen auf der einen Seite und gesellschaftlichen Faktoren wie Image und Präferenzen in der Wohnungswahl als „weiche“ Faktoren auf der anderen Seite auflösen kann, wird sich Ende 2005 zeigen.

Schrumpfung und Großsiedlung vertragen sich nicht.

In Deutschland sind die ehemaligen Plattenbausiedlungen im Osten (und zum Teil auch im Westen (5)) zum Umbau- oder Abrissziel geworden, das Aufmerksamkeit sogar bis hin zu Bauherrenpreisen wie zum Beispiel in Leinefelde (6) erreicht. Die in den Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderjahrzehnten praktizierte Form des großformatigen ökonomischen Bauens ist in die Jahre gekommen. Wohnhäuser aus industrieller Vorfertigung und mittels Massenprodukten, ob „Platte“ oder nicht, haben nicht nur bauliche, sondern auch Infrastrukturelle Mängel entwickelt. In Deutschland wird dieser Alterungsprozess jedoch durch die ökonomischen und demographischen Randbedingungen beschleunigt und mit hervorgerufen. Die fast überfallsartige Privatisierung des Eigentums in den neunziger Jahren nach der Wende hat eine Entmischung der einst heterogen bewohnten Siedlungsstrukturen nach sich gezogen. Die wohlhabenderen, jüngeren BewohnerInnen verließen die Quartiere – teils aus beruflichen Gründen nach dem Westen, teils aus wirtschaftlichen Gründen in das neu erworbene Eigenheim. Die einst durchmischten Quartiere wurden zu Siedlungen der Marginalisierten.

Dieser Prozess steht in einem gesamtökonomischen Zusammenhang mit der Entwicklung im Osten der Bundesrepublik. Die Siedlungen und ihre Thematisierung als „Problemfall“, dessen Ursache durchaus mit der Entschuldungsstrategie der Wohnbaugesellschaften zusammenhängt, hat also einen stark volkswirtschaftlich geprägten Ursprung. Der sogenannte Prozess der Schrumpfung (7) ist ein gesellschaftlich-ökonomischer Prozess der „Wende“, mit dem Regionen und damit auch große Siedlungsgebiete im Osten in eine Stromschnelle der Ausdünnung und des Verschwindens gezogen wurden. Viele Projekte begleiten diesen Prozess. Sie versuchen durch Differenzierung („Kolorado“ / Halle- Neustadt), Ausdünnung und Aufwertung (Leinefelde) oder künstlerische Initialzündungen (Hotel Halle-Neustadt), eine Neudefinition der räumlichen Konfigurationen zu entwickeln. Doch sind diese räumlichen Strategien nur eine Zwischenstation auf dem Weg des unaufhaltsamen Umbauprozesses, der durch die demographischen (Überalterung) und mikroökonomischen (Monofunktionalität, Investitionsarmut) sowie gleich starken Globalisierungstendenzen forciert und vorangetrieben wird.

Man kann diese Projekte auch als „Tropfen auf den heißen Stein“ bezeichnen, wenn man wie Christoph Hein folgert: „Dritte Welt ist überall“. Denn diese Entwicklungen beschreiben eine Richtung: Die Wandlung der so genannten ersten Welt in eine nicht mehr an den Produktionsprozessen beteiligte Gesellschaft, welche sich von einer Gesellschaft der Möglichkeiten in Richtung einer Gesellschaft der Notwendigkeiten entwickelt hat.. Nicht unerheblichen Anteil daran hat der Fluss des internationalen Kapitals und die Dynamik, die Produktionsprozesse immer in die Länder der günstigsten Bedingungen zu verschieben. Es ist möglich, diesen Schrumpfungsprozess als einen positiven aufzufassen; jedoch stellt sich immer die Frage, für wen dieser Prozess als positiv anzusehen ist.

Hieraus lässt sich jedoch ablesen, dass nicht generell von einer Problematik der Großsiedlungen gesprochen werden kann. Vor allem nicht in einem rein städtebaulichen oder architektonischen Kontext.

Denn welcher Faktor macht den Umbau oder – wie zumeist – Abriss unumgänglich? Die städtebaulichen Konfigurationen, der jahrelange schlechte Unterhalt der Gebäude und der Freiräume oder das soziale Gefüge, das zu ändern sich die Erneuerung zum Ziel erkoren hat? Oder sind es am Ende nicht doch die mikro- und makroökonomischen Faktoren, die auf diese Entscheidung den größten Einfluss ausüben? Aufmerksamkeit ist gefragt, wenn Wolfgang Kil in seinem Buch „Luxus der Leere“ warnt: „Dass hier einige Entwicklungspfade einer spätkapitalistischen Gesellschaft auf härtestem Globalisierungskurs geradewegs in die Krise steuern, sollte zur Wachsamkeit in den noch nicht betroffenen Regionen anstiften.“

All diese Diskussionen und Auseinandersetzungen stecken in Österreich noch in den Kinderschuhen, doch es wird sich nicht vermeiden lassen, den wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen sowie demographischen Tendenzen auch hierzulande Rechnung zu tragen. Es wird sich auf die zentrale Fragestellung fokussieren: Wie wird mit dieser Aufgabe im städtischen und gesellschaftlichen Kontext umgegangen? Dafür ist eine fundamentale an den Komplexen Prozessen arbeitende Forschung notwendig, damit diese Siedlungsformen nicht immer nur in Ausnahmesituationen medial beäugt, karikiert oder als der „wilde Norden“ hie und da medienwirksam umschrieben werden.

Fußnoten
1 selbst die Profession der ArchitektInnen muss sich selbst immer wieder die Problematik des sozialutopischen Bauens vor Augen halten, wie etwa Rem Koolhaas in seinem Artikel „Nostalgiker der Moderne“ die Defizite in der Diskussion um das Berliner Stadtschloss beschreibt: „Das dritte Defizit liegt in der Selbstüberschätzung der Architekten. Vor allem in den sechziger Jahren behaupteten sie, durch befreiende Architektur die Gesellschaft befreien zu können. Damit verwickelten sie sich in einen Widerspruch, denn was sollte das sein: eine erzwungene Befreiung? (...) Weil wir den ideologischen Aspekt dieser Diskussion ignorieren, verfallen wir der nostalgischen Annahme, dass befreiende Architektur möglich sei.“ KOOLHAAS Rem in Die Zeit Nr.12, 17. 3. 2005

2 VINEX – Locatie: ausgewiesene Erweiterungsgebiete in den Niederlanden folgend der Vierden Nota Ruimtelijke Ontwikkeling Extra des Ministeriums VROM von 1993 (vgl. dazu auch die Publikation über das Wohnen in diesen Quartieren: „Villa Vinex – Bart Sorgedrager fotografeert Leidsche Rijn“ mit Texten von Tracy Metz und Irene Cieraad, Uitgeverij De Verbeelding, Amsterdam 2001

3 eines der lange lancierten Projekte zur Auf- und Umwertung des Umfeldes von Amsterdam Süd-Ost findet sich auf: www.straatvan1000culuturen.nl

4 RESTATE Projekt „Restructuring large-scale Housing Estates in European Cities: Good Practices and New Visions for Sustainable Neigbourhoods and Cities“ Key Action 4 Programme „City of Tomorrow and Cultural Heritage“ in the „Energy, Enviroment and Sustainable Developement“ Programme / www.restate.org

5 Im Bundesland Nordrhein-Westfalen wurde z. B. 2002 ein spezifischer „Runderlass zur Förderung von baulichen Maßnahmen in hochverdichteten Sozialwohnungsbeständen der 60er und 70er Jahre in Verbindung mit integrierten Bewirtschaftungskonzepten“ erlassen.
(IV A 3-322-521/02)

6 Stefan Forster Architekten haben mit ihrem Konzept des Teilabbaues (Reduktion der Zeilen z. B. um zwei Geschosse) eine sanftere und durchaus sehr stilsichere Form des Umbaus gefunden. Vgl. http://www.stefan-forster-architekten.de/

7 Auch auf der Plattform www.shrinking-cities.org stellen die Diskussionen über den Umgang mit den großen Siedlungsstrukturen einen großen Anteil.


LITERATUR:

DURTH Werner in „Architektur und Städtebau der fünfziger Jahre“ – Ergebnisse Fachtagung, Köllen Druck + Verlags GmbH, Hannover 1990, Schriftenreihe des deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 41, S. 24ff

DURTH Werner, GUTSCHOW Niels, „Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940-1950“, Braunschweig / Wiesbaden 1988

KLOTZ Heinrich, „Architektur und Städtebau. Die Ökonomie triumphiert“ In: HOFFMANN / KLOTZ (Hrsg.) „Die 60er. Die Kultur unseres Jahrhunderts. Econ Verlag, Düsseldorf 1987

RESTATE www.restate.org

TELLINGA Jaqueline, „De groote Verbouwing – Verandering van naoorlogse woonwijken“, NAI – Nederlands Architectuur Institute, 010 Publishers, Rotterdam 2004

HANNEMANN Christine, „Die Platte – Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR“, Verlag Schelzky & Jeep, Berlin 2000

KIL Wolfgang, „Luxus der Leere – Vom schwierigen Rückzug aus der Wachstumswelt“ Eine Streitschrift, Müller & Busmann Verlag, Wuppertal 2004

THOMSEN F. André, „Sloop en Sloopmotieven – tussenreportage“ enquete sociale huursector, TU-Delft Faculteit Bouwkunde – Real Estate & Housing, Delft 2004

FALTER 5/03 vom 29. 1. 2003 „Im wilden Norden“, Julia ORTNER, „Grossfelder im TV“ Christopher WURMDOBLER

HEIN Christoph, „Dritte Welt überall – Ostdeutschland als Avantgarde der Globalisierung: Wo das Kapital flieht, kommt der Nationalismus zurück“ in Die Zeit Nr. 41, 30. 9. 2004

dérive, Fr., 2005.06.03



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Profil

Landschaftsarchitekt. Mitbegründer (2000) und Redakteur bei dérive – Zeitschrift für Stadtforschung. Lehraufträge an der Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Landschaftsarchitektur (seit 2001), sowie der technischen Universität Wien, Institut für Städtebau und Landschaftsarchitektur (seit 2007). Seit 1998 mit und für PlanSinn tätig. Seit 2010 Partner

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