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Texte

20. Mai 2025Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Das ETH-Hauptgebäude in Zürich ist eine Schweizer Architektur-Ikone. Vor hundert Jahren erhielt sie ihre heutige Gestalt

Es ist das bauliche Symbol der Hochschule, geschaffen von den beiden Grossmeistern Gottfried Semper und Gustav Gull. Hinter den Fassaden wurde seither viel verändert, doch künftige Umbauten sollen dem ETH-Hauptgebäude ein kohärentes Erscheinungsbild zurückgeben.

Es ist das bauliche Symbol der Hochschule, geschaffen von den beiden Grossmeistern Gottfried Semper und Gustav Gull. Hinter den Fassaden wurde seither viel verändert, doch künftige Umbauten sollen dem ETH-Hauptgebäude ein kohärentes Erscheinungsbild zurückgeben.

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13. Februar 2025Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Das Glattzentrum sollte die Autos aus den Innenstädten verbannen und dem «Zerfall der Zentren» entgegenwirken

Das Einkaufszentrum Glatt in Wallisellen ist 50-jährig. Die Prinzipien einer Shoppingmall wurden hier prototypisch umgesetzt. Die charaktervolle Gestaltung von Victor Gruen, dem Erfinder der Shoppingmall, ist verschwunden.

Das Einkaufszentrum Glatt in Wallisellen ist 50-jährig. Die Prinzipien einer Shoppingmall wurden hier prototypisch umgesetzt. Die charaktervolle Gestaltung von Victor Gruen, dem Erfinder der Shoppingmall, ist verschwunden.

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02. Januar 2025Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Die Cité Bel-Air Métropole in Lausanne ist das erste Hochhaus der Schweiz – eine Würdigung

Es ist das Rockefeller des Genfer Sees: Das Hochhaus aus den 1930er Jahren ist noch heute ein visionäres Projekt modernen Städtebaus.

Es ist das Rockefeller des Genfer Sees: Das Hochhaus aus den 1930er Jahren ist noch heute ein visionäres Projekt modernen Städtebaus.

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29. Oktober 2024Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Das längste Haus der Schweiz – die Genfer Grosssiedlung Le Lignon setzt bis heute Massstäbe

Vor sechzig Jahren war in Genf die Wohnungsnot ebenso gross wie heute. Die Grosssiedlung Le Lignon trug mit 2780 Wohnungen zur Linderung bei. Seit 2009 steht sie unter Denkmalschutz.

Vor sechzig Jahren war in Genf die Wohnungsnot ebenso gross wie heute. Die Grosssiedlung Le Lignon trug mit 2780 Wohnungen zur Linderung bei. Seit 2009 steht sie unter Denkmalschutz.

Die Satellitenstadt Le Lignon bei Genf ist ein gebauter Superlativ: Über einen Kilometer lang ist die geknickte, y-förmige Wohnhausscheibe. 12 bis 15 Geschosse zählt sie in der Höhe, daneben setzen zwei Turmhäuser mit 26 und 32 Stockwerken vertikale Akzente. Ein feines Gitter aus Aluminiumprofilen überzieht die Fassaden. Aus der Ferne betrachtet flimmern sie im Licht, aus der Nähe erinnern die quadratisch geteilten Flächen an ein Mondrian-Bild. Dahinter verbergen sich 2780 Wohnungen.

Addiert man die Zahl der Zimmer – nach Genfer Zählweise inklusive Küchen –, kommt man auf 10 687. Im Zentrum der «Cité satellite» stehen ein Einkaufszentrum, zwei Kirchen, Kindergärten, ein Schulhaus, Alterswohnungen und vier Tiefgaragen. Man kennt andere Grosssiedlungen wie das Tscharnergut in Bern oder die Grünau in Zürich. Doch in den Dimensionen und in der architektonischen Stringenz ist Le Lignon einmalig in der Schweiz.

Anlass für den Bau der Cité war die Wohnungsnot. Allein für die Jahre 1962 bis 1965 rechnete der Kanton mit einem Bedarf von 15 000 Wohnungen. Der Bau von sogenannten Grands Ensembles und Cités satellites sollte die Lösung bringen.

Auf einem ehemaligen Landwirtschaftsgut zwischen der Rhone und dem Bach Nant in der Gemeinde Vernier plante ein Architektenteam um Georges Addor und Dominique Juillard Le Lignon. Die Konzentration der Wohnungen auf wenige, dafür umso höhere und längere Gebäude erlaubte es, den grössten Teil des Terrains frei zu halten. 1963 begannen die Bauarbeiten, zwei Jahre später zogen die ersten Mieter ein. 1971 waren die letzten Häuser fertig.

Wohnungen mit Weitblick

Insgesamt bestehen die Grossformen aus 84 einzelnen Häusern. Allein 74 Eingänge zählt die lange Wohnhausscheibe. In jedem dieser Häuser gibt es pro Geschoss bloss zwei Wohnungen. Praktisch alle sind nach dem gleichen Muster gestrickt: Im Kern liegen die offene Küche, das Bad und die separate Toilette. Auf der einen Seite sind die Schlafzimmer aufgereiht, auf der anderen liegt der Wohn- und Essbereich. Eine filigrane Konstruktion aus Mahagoni und Glas trennt eine Loggia ab.

Sämtliche Wohnungen sind nach zwei Seiten ausgerichtet. In den oberen Etagen geht der Blick Richtung Jura und den Flughafen oder zum Jet d’Eau und zum Montblanc. Nach Deutschschweizer Zählung haben die Wohnungen 2½, 3½ oder 4½ Zimmer, Wohn- und Essraum, die Küche und die Sanitärräume sind bei allen identisch.

Jedes vierte Geschoss ist allseitig eingeschnürt. Laubengänge verbinden die einzelnen Häuser miteinander. Diese «coursives» erschliessen die Wasch- und Trockenräume, die hier angesiedelt sind, und sie dienen als Fluchtwege. Das Pendant zu den Laubengängen sind die gedeckten Wege, die im Erdgeschoss über einen Kilometer den Hauseingängen entlangführen.

Die Wände sind mit Marmor belegt, die Haustüren aus Mahagoni und Glas konstruiert. Für jeden der 84 Hauseingänge hat Hans Erni aus einer eloxierten Kupferplatte ein Bild zum Thema «Candide» von Voltaire entworfen. Massenwohnungsbau kann auch hochwertig gestaltet sein.

Angesichts der schieren Masse an Wohnungen denkt man unweigerlich an Plattenbau – und liegt damit falsch: Die Betonkonstruktion von Le Lignon wurde an Ort gegossen. Die Effizienz erreichte man durch eine Standardisierung des Bauprozesses: Wohnungsgrosse Eisenschalungen ermöglichten es, Wände und Decken in einem Arbeitsgang zu betonieren. Dank dieser monolithischen Betonkonstruktion liessen sich Armierung und somit Baukosten sparen.

Vor dieses vieltausendzellige Betonskelett wurden die 14 000 Teile der 86 600 Quadratmeter grossen, von der Tragkonstruktion unabhängigen Vorhangfassade montiert. Ein Pionier für diese Bauweise war 1952 das Lever House in New York, 1957 erlebte sie am PKZ-Haus an der Zürcher Bahnhofstrasse ihre Schweizer Premiere.

Georges Addor, der federführende Architekt von Le Lignon, machte die Vorhangfassade aus transparenten und grau emaillierten Gläsern zu einem Merkmal seines Schaffens. Zum ersten Mal verwendete er diese «mur rideau» am Hôtel de l’Ancre in Genf, später in den Überbauungen Meyrin Parc und Ciel bleu in Meyrin sowie am Hotel Intercontinental in Genf.

Kritische Betrachtung

Als Le Lignon entstand, war «Satellitenstadt» ein positiver Begriff. Der Mensch beherrschte das Atom und eroberte den Weltraum. Diesem Zukunftsglauben widmete die Expo 1964 im nahen Lausanne einen ganzen Sommer. Kurz nachdem die letzten Mieter ihre Wohnungen in Le Lignon bezogen hatten, begann das Pendel in die andere Richtung auszuschlagen. Öl- und Wirtschaftskrise zeichneten düstere Zukunftsbilder.

In der Architektur bediente die Postmoderne die Sehnsucht nach der vermeintlich guten alten Zeit. In seiner mit düsteren Schwarz-Weiss-Fotos illustrierten Anklageschrift «Bauen als Umweltzerstörung» von 1973 stellte Rolf Keller Le Lignon einer Überbauung in Leningrad gegenüber und nutzte eine Aufnahme der Fassade als Symbolbild für die Vereinsamung in der Masse.

«Cages à lapins», Hasenställe, nennen denn auch viele Genferinnen und Genfer die Cité du Lignon. Soziale Probleme gab es durchaus, leben doch Menschen aus 120 Nationen hier. Doch ein Ghetto, wie die Medien suggerierten, war Le Lignon nie. Allein die Eigentümerstruktur verhinderte das: Von den 84 Häusern wurden 53 von privaten Bauherrschaften für den freien Wohnungsmarkt erstellt, in 31 Häusern sind subventionierte Wohnungen eingerichtet.

Zu den grossen Eigentümern gehören die Anlagestiftungen der Pensimo-Gruppe mit 16 Häusern sowie die Pensionskasse BVK des Kantons Zürich und die Stiftungen HLM und HBM. Eine Plattform, der «Contrat de Quartier», animiert die Bewohnerinnen und Bewohner zur Teilnahme am öffentlichen Leben. Der Effekt zeigte sich sowohl in der Kriminalitätsstatistik als auch in der steigenden Bewohnerzahl.

Konzipiert war die Siedlung für 10 000 Personen, doch selbst zur Blütezeit wohnten hier nur gut 8000. Nach einem Rückgang auf 5500 stieg die Zahl auf gegen 7000 an, etliche davon ehemalige «enfants du Lignon» mit ihren Familien.

Die Renaissance

Im Mai 2009 erlebte die Cité satellite einen Ritterschlag, als sie der Genfer Staatsrat unter Denkmalschutz stellte. Bereits waren bei einzelnen Häusern die Holz-Metall-Fenster durch Kunststofffenster ersetzt worden. Angesichts der grossen Anzahl von Eigentümern hätte bei weitergehenden Sanierungen ein Patchwork gedroht. Die Einheitlichkeit im grossen Massstab, eines der Hauptmerkmale von Le Lignon, wäre zerstört worden.

Wie saniert man eine industriell hergestellte Fassade aus den sechziger Jahren, so dass sie nicht nur gleich aussieht, sondern auch die heutigen Wärmedämmvorschriften erfüllt? Diese Frage wurde zu einem Forschungsprojekt am Labor für Techniken und Schutz der modernen Architektur (TSAM) an der ETH Lausanne. Das oberste Prinzip: Das sanierte Lignon muss exakt so aussehen wie das nicht sanierte.

Im Forschungsprojekt von Franz Graf und Giulia Marino kristallisierten sich zwei Varianten als sinnvoll heraus: die Instandsetzung der bestehenden Fassade mit zusätzlicher Dämmung und dem Ersatz des einen Fensterglases sowie die Renovation mit dem Ersatz der ganzen Holz-Metall-Fenster und neuem Fassadenaufbau.

Die Architekten Jaccaud + Associés entwickelten eine Art Projektbaukasten, ein fachlich breit abgestütztes Komitee überwacht die Arbeiten. Ein Augenschein vor Ort zeigt, dass dieses Prinzip funktioniert: Die sanierten Teile des kilometerlangen Wohnblocks unterscheiden sich praktisch nicht von den nicht sanierten.

Mit diesem sorgfältigen Umgang mit Bausubstanz aus den sechziger Jahren kann die Cité du Lignon Vorbild für andere Ensembles dieser Zeit sein. Und angesichts der heutigen Wohnungsnot in den Städten wünscht man sich durchaus etwas von der Energie und dem Optimismus der Zeit zurück, als das Projekt für Le Lignon lanciert wurde.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2024.10.29

23. Oktober 2015Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Ein besseres Warschau bauen

Die Ausstellung «Streit um den Wiederaufbau» in Warschau wirft einen neuen Blick auf den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Die jungen Kuratoren haben die ideologischen Scheuklappen abgelegt.

Die Ausstellung «Streit um den Wiederaufbau» in Warschau wirft einen neuen Blick auf den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Die jungen Kuratoren haben die ideologischen Scheuklappen abgelegt.

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18. Juni 2012Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Boomende Metropole

Vor über zwanzig Jahren hat Polen sein politisches und wirtschaftliches System grundlegend verändert. Verändert hat sich auch das Bauwesen. Ein Blick auf Warschau zeigt: Architektonisch hat man den Anschluss an Europa bereits gefunden. Defizite bestehen im Städtebau und in der Pflege des öffentlichen Raums.

Vor über zwanzig Jahren hat Polen sein politisches und wirtschaftliches System grundlegend verändert. Verändert hat sich auch das Bauwesen. Ein Blick auf Warschau zeigt: Architektonisch hat man den Anschluss an Europa bereits gefunden. Defizite bestehen im Städtebau und in der Pflege des öffentlichen Raums.

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01. April 2012Werner Huber
Bauwelt

Neuer Glanz auf Bewährung

Der 1975 eröffnete Warschauer Zentralbahnhof war ein Prestigeobjekt jener Zeit. Nach der Wende verkam das Meisterwerk der Architekten Arseniusz Roma­nowicz und Piotr Szymaniak. Die nun abgeschlossene Sanierung holt die Qualitäten von „Warszawa Centralna“ wieder ans Licht. Gesichert ist die Zukunft des Gebäudes aber nicht.

Der 1975 eröffnete Warschauer Zentralbahnhof war ein Prestigeobjekt jener Zeit. Nach der Wende verkam das Meisterwerk der Architekten Arseniusz Roma­nowicz und Piotr Szymaniak. Die nun abgeschlossene Sanierung holt die Qualitäten von „Warszawa Centralna“ wieder ans Licht. Gesichert ist die Zukunft des Gebäudes aber nicht.

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verknüpfte Zeitschriften
Bauwelt 2012|13 Dekorvariationen

13. Februar 2012Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Auferstehung einer Architektur-Ikone

Warschau boomt. Gebaut wird ohne viel Rücksicht auf den Bestand. Doch nun konnte ein Prestigeobjekt der Ära Gierek, der 1975 eröffnete Bahnhof Warszawa Centralna, restauriert werden. Die abgeschlossene Sanierung holt seine Qualitäten wieder ans Licht. Gesichert ist die Zukunft des Gebäudes aber nicht.

Warschau boomt. Gebaut wird ohne viel Rücksicht auf den Bestand. Doch nun konnte ein Prestigeobjekt der Ära Gierek, der 1975 eröffnete Bahnhof Warszawa Centralna, restauriert werden. Die abgeschlossene Sanierung holt seine Qualitäten wieder ans Licht. Gesichert ist die Zukunft des Gebäudes aber nicht.

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Presseschau 12

20. Mai 2025Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Das ETH-Hauptgebäude in Zürich ist eine Schweizer Architektur-Ikone. Vor hundert Jahren erhielt sie ihre heutige Gestalt

Es ist das bauliche Symbol der Hochschule, geschaffen von den beiden Grossmeistern Gottfried Semper und Gustav Gull. Hinter den Fassaden wurde seither viel verändert, doch künftige Umbauten sollen dem ETH-Hauptgebäude ein kohärentes Erscheinungsbild zurückgeben.

Es ist das bauliche Symbol der Hochschule, geschaffen von den beiden Grossmeistern Gottfried Semper und Gustav Gull. Hinter den Fassaden wurde seither viel verändert, doch künftige Umbauten sollen dem ETH-Hauptgebäude ein kohärentes Erscheinungsbild zurückgeben.

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13. Februar 2025Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Das Glattzentrum sollte die Autos aus den Innenstädten verbannen und dem «Zerfall der Zentren» entgegenwirken

Das Einkaufszentrum Glatt in Wallisellen ist 50-jährig. Die Prinzipien einer Shoppingmall wurden hier prototypisch umgesetzt. Die charaktervolle Gestaltung von Victor Gruen, dem Erfinder der Shoppingmall, ist verschwunden.

Das Einkaufszentrum Glatt in Wallisellen ist 50-jährig. Die Prinzipien einer Shoppingmall wurden hier prototypisch umgesetzt. Die charaktervolle Gestaltung von Victor Gruen, dem Erfinder der Shoppingmall, ist verschwunden.

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02. Januar 2025Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Die Cité Bel-Air Métropole in Lausanne ist das erste Hochhaus der Schweiz – eine Würdigung

Es ist das Rockefeller des Genfer Sees: Das Hochhaus aus den 1930er Jahren ist noch heute ein visionäres Projekt modernen Städtebaus.

Es ist das Rockefeller des Genfer Sees: Das Hochhaus aus den 1930er Jahren ist noch heute ein visionäres Projekt modernen Städtebaus.

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29. Oktober 2024Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Das längste Haus der Schweiz – die Genfer Grosssiedlung Le Lignon setzt bis heute Massstäbe

Vor sechzig Jahren war in Genf die Wohnungsnot ebenso gross wie heute. Die Grosssiedlung Le Lignon trug mit 2780 Wohnungen zur Linderung bei. Seit 2009 steht sie unter Denkmalschutz.

Vor sechzig Jahren war in Genf die Wohnungsnot ebenso gross wie heute. Die Grosssiedlung Le Lignon trug mit 2780 Wohnungen zur Linderung bei. Seit 2009 steht sie unter Denkmalschutz.

Die Satellitenstadt Le Lignon bei Genf ist ein gebauter Superlativ: Über einen Kilometer lang ist die geknickte, y-förmige Wohnhausscheibe. 12 bis 15 Geschosse zählt sie in der Höhe, daneben setzen zwei Turmhäuser mit 26 und 32 Stockwerken vertikale Akzente. Ein feines Gitter aus Aluminiumprofilen überzieht die Fassaden. Aus der Ferne betrachtet flimmern sie im Licht, aus der Nähe erinnern die quadratisch geteilten Flächen an ein Mondrian-Bild. Dahinter verbergen sich 2780 Wohnungen.

Addiert man die Zahl der Zimmer – nach Genfer Zählweise inklusive Küchen –, kommt man auf 10 687. Im Zentrum der «Cité satellite» stehen ein Einkaufszentrum, zwei Kirchen, Kindergärten, ein Schulhaus, Alterswohnungen und vier Tiefgaragen. Man kennt andere Grosssiedlungen wie das Tscharnergut in Bern oder die Grünau in Zürich. Doch in den Dimensionen und in der architektonischen Stringenz ist Le Lignon einmalig in der Schweiz.

Anlass für den Bau der Cité war die Wohnungsnot. Allein für die Jahre 1962 bis 1965 rechnete der Kanton mit einem Bedarf von 15 000 Wohnungen. Der Bau von sogenannten Grands Ensembles und Cités satellites sollte die Lösung bringen.

Auf einem ehemaligen Landwirtschaftsgut zwischen der Rhone und dem Bach Nant in der Gemeinde Vernier plante ein Architektenteam um Georges Addor und Dominique Juillard Le Lignon. Die Konzentration der Wohnungen auf wenige, dafür umso höhere und längere Gebäude erlaubte es, den grössten Teil des Terrains frei zu halten. 1963 begannen die Bauarbeiten, zwei Jahre später zogen die ersten Mieter ein. 1971 waren die letzten Häuser fertig.

Wohnungen mit Weitblick

Insgesamt bestehen die Grossformen aus 84 einzelnen Häusern. Allein 74 Eingänge zählt die lange Wohnhausscheibe. In jedem dieser Häuser gibt es pro Geschoss bloss zwei Wohnungen. Praktisch alle sind nach dem gleichen Muster gestrickt: Im Kern liegen die offene Küche, das Bad und die separate Toilette. Auf der einen Seite sind die Schlafzimmer aufgereiht, auf der anderen liegt der Wohn- und Essbereich. Eine filigrane Konstruktion aus Mahagoni und Glas trennt eine Loggia ab.

Sämtliche Wohnungen sind nach zwei Seiten ausgerichtet. In den oberen Etagen geht der Blick Richtung Jura und den Flughafen oder zum Jet d’Eau und zum Montblanc. Nach Deutschschweizer Zählung haben die Wohnungen 2½, 3½ oder 4½ Zimmer, Wohn- und Essraum, die Küche und die Sanitärräume sind bei allen identisch.

Jedes vierte Geschoss ist allseitig eingeschnürt. Laubengänge verbinden die einzelnen Häuser miteinander. Diese «coursives» erschliessen die Wasch- und Trockenräume, die hier angesiedelt sind, und sie dienen als Fluchtwege. Das Pendant zu den Laubengängen sind die gedeckten Wege, die im Erdgeschoss über einen Kilometer den Hauseingängen entlangführen.

Die Wände sind mit Marmor belegt, die Haustüren aus Mahagoni und Glas konstruiert. Für jeden der 84 Hauseingänge hat Hans Erni aus einer eloxierten Kupferplatte ein Bild zum Thema «Candide» von Voltaire entworfen. Massenwohnungsbau kann auch hochwertig gestaltet sein.

Angesichts der schieren Masse an Wohnungen denkt man unweigerlich an Plattenbau – und liegt damit falsch: Die Betonkonstruktion von Le Lignon wurde an Ort gegossen. Die Effizienz erreichte man durch eine Standardisierung des Bauprozesses: Wohnungsgrosse Eisenschalungen ermöglichten es, Wände und Decken in einem Arbeitsgang zu betonieren. Dank dieser monolithischen Betonkonstruktion liessen sich Armierung und somit Baukosten sparen.

Vor dieses vieltausendzellige Betonskelett wurden die 14 000 Teile der 86 600 Quadratmeter grossen, von der Tragkonstruktion unabhängigen Vorhangfassade montiert. Ein Pionier für diese Bauweise war 1952 das Lever House in New York, 1957 erlebte sie am PKZ-Haus an der Zürcher Bahnhofstrasse ihre Schweizer Premiere.

Georges Addor, der federführende Architekt von Le Lignon, machte die Vorhangfassade aus transparenten und grau emaillierten Gläsern zu einem Merkmal seines Schaffens. Zum ersten Mal verwendete er diese «mur rideau» am Hôtel de l’Ancre in Genf, später in den Überbauungen Meyrin Parc und Ciel bleu in Meyrin sowie am Hotel Intercontinental in Genf.

Kritische Betrachtung

Als Le Lignon entstand, war «Satellitenstadt» ein positiver Begriff. Der Mensch beherrschte das Atom und eroberte den Weltraum. Diesem Zukunftsglauben widmete die Expo 1964 im nahen Lausanne einen ganzen Sommer. Kurz nachdem die letzten Mieter ihre Wohnungen in Le Lignon bezogen hatten, begann das Pendel in die andere Richtung auszuschlagen. Öl- und Wirtschaftskrise zeichneten düstere Zukunftsbilder.

In der Architektur bediente die Postmoderne die Sehnsucht nach der vermeintlich guten alten Zeit. In seiner mit düsteren Schwarz-Weiss-Fotos illustrierten Anklageschrift «Bauen als Umweltzerstörung» von 1973 stellte Rolf Keller Le Lignon einer Überbauung in Leningrad gegenüber und nutzte eine Aufnahme der Fassade als Symbolbild für die Vereinsamung in der Masse.

«Cages à lapins», Hasenställe, nennen denn auch viele Genferinnen und Genfer die Cité du Lignon. Soziale Probleme gab es durchaus, leben doch Menschen aus 120 Nationen hier. Doch ein Ghetto, wie die Medien suggerierten, war Le Lignon nie. Allein die Eigentümerstruktur verhinderte das: Von den 84 Häusern wurden 53 von privaten Bauherrschaften für den freien Wohnungsmarkt erstellt, in 31 Häusern sind subventionierte Wohnungen eingerichtet.

Zu den grossen Eigentümern gehören die Anlagestiftungen der Pensimo-Gruppe mit 16 Häusern sowie die Pensionskasse BVK des Kantons Zürich und die Stiftungen HLM und HBM. Eine Plattform, der «Contrat de Quartier», animiert die Bewohnerinnen und Bewohner zur Teilnahme am öffentlichen Leben. Der Effekt zeigte sich sowohl in der Kriminalitätsstatistik als auch in der steigenden Bewohnerzahl.

Konzipiert war die Siedlung für 10 000 Personen, doch selbst zur Blütezeit wohnten hier nur gut 8000. Nach einem Rückgang auf 5500 stieg die Zahl auf gegen 7000 an, etliche davon ehemalige «enfants du Lignon» mit ihren Familien.

Die Renaissance

Im Mai 2009 erlebte die Cité satellite einen Ritterschlag, als sie der Genfer Staatsrat unter Denkmalschutz stellte. Bereits waren bei einzelnen Häusern die Holz-Metall-Fenster durch Kunststofffenster ersetzt worden. Angesichts der grossen Anzahl von Eigentümern hätte bei weitergehenden Sanierungen ein Patchwork gedroht. Die Einheitlichkeit im grossen Massstab, eines der Hauptmerkmale von Le Lignon, wäre zerstört worden.

Wie saniert man eine industriell hergestellte Fassade aus den sechziger Jahren, so dass sie nicht nur gleich aussieht, sondern auch die heutigen Wärmedämmvorschriften erfüllt? Diese Frage wurde zu einem Forschungsprojekt am Labor für Techniken und Schutz der modernen Architektur (TSAM) an der ETH Lausanne. Das oberste Prinzip: Das sanierte Lignon muss exakt so aussehen wie das nicht sanierte.

Im Forschungsprojekt von Franz Graf und Giulia Marino kristallisierten sich zwei Varianten als sinnvoll heraus: die Instandsetzung der bestehenden Fassade mit zusätzlicher Dämmung und dem Ersatz des einen Fensterglases sowie die Renovation mit dem Ersatz der ganzen Holz-Metall-Fenster und neuem Fassadenaufbau.

Die Architekten Jaccaud + Associés entwickelten eine Art Projektbaukasten, ein fachlich breit abgestütztes Komitee überwacht die Arbeiten. Ein Augenschein vor Ort zeigt, dass dieses Prinzip funktioniert: Die sanierten Teile des kilometerlangen Wohnblocks unterscheiden sich praktisch nicht von den nicht sanierten.

Mit diesem sorgfältigen Umgang mit Bausubstanz aus den sechziger Jahren kann die Cité du Lignon Vorbild für andere Ensembles dieser Zeit sein. Und angesichts der heutigen Wohnungsnot in den Städten wünscht man sich durchaus etwas von der Energie und dem Optimismus der Zeit zurück, als das Projekt für Le Lignon lanciert wurde.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2024.10.29

23. Oktober 2015Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Ein besseres Warschau bauen

Die Ausstellung «Streit um den Wiederaufbau» in Warschau wirft einen neuen Blick auf den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Die jungen Kuratoren haben die ideologischen Scheuklappen abgelegt.

Die Ausstellung «Streit um den Wiederaufbau» in Warschau wirft einen neuen Blick auf den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Die jungen Kuratoren haben die ideologischen Scheuklappen abgelegt.

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18. Juni 2012Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Boomende Metropole

Vor über zwanzig Jahren hat Polen sein politisches und wirtschaftliches System grundlegend verändert. Verändert hat sich auch das Bauwesen. Ein Blick auf Warschau zeigt: Architektonisch hat man den Anschluss an Europa bereits gefunden. Defizite bestehen im Städtebau und in der Pflege des öffentlichen Raums.

Vor über zwanzig Jahren hat Polen sein politisches und wirtschaftliches System grundlegend verändert. Verändert hat sich auch das Bauwesen. Ein Blick auf Warschau zeigt: Architektonisch hat man den Anschluss an Europa bereits gefunden. Defizite bestehen im Städtebau und in der Pflege des öffentlichen Raums.

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01. April 2012Werner Huber
Bauwelt

Neuer Glanz auf Bewährung

Der 1975 eröffnete Warschauer Zentralbahnhof war ein Prestigeobjekt jener Zeit. Nach der Wende verkam das Meisterwerk der Architekten Arseniusz Roma­nowicz und Piotr Szymaniak. Die nun abgeschlossene Sanierung holt die Qualitäten von „Warszawa Centralna“ wieder ans Licht. Gesichert ist die Zukunft des Gebäudes aber nicht.

Der 1975 eröffnete Warschauer Zentralbahnhof war ein Prestigeobjekt jener Zeit. Nach der Wende verkam das Meisterwerk der Architekten Arseniusz Roma­nowicz und Piotr Szymaniak. Die nun abgeschlossene Sanierung holt die Qualitäten von „Warszawa Centralna“ wieder ans Licht. Gesichert ist die Zukunft des Gebäudes aber nicht.

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Bauwelt 2012|13 Dekorvariationen

13. Februar 2012Werner Huber
Neue Zürcher Zeitung

Auferstehung einer Architektur-Ikone

Warschau boomt. Gebaut wird ohne viel Rücksicht auf den Bestand. Doch nun konnte ein Prestigeobjekt der Ära Gierek, der 1975 eröffnete Bahnhof Warszawa Centralna, restauriert werden. Die abgeschlossene Sanierung holt seine Qualitäten wieder ans Licht. Gesichert ist die Zukunft des Gebäudes aber nicht.

Warschau boomt. Gebaut wird ohne viel Rücksicht auf den Bestand. Doch nun konnte ein Prestigeobjekt der Ära Gierek, der 1975 eröffnete Bahnhof Warszawa Centralna, restauriert werden. Die abgeschlossene Sanierung holt seine Qualitäten wieder ans Licht. Gesichert ist die Zukunft des Gebäudes aber nicht.

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11. April 2011Werner Huber
hochparterre

Baustein der Geschäftscity

Ein Neubau anstelle des «Grünenhofs» aus den Vierzigerjahren, Umbau und Sanierung des «Del­phins» von 1912 - so stellt man sich Denkmal­pflege landläufig...

Ein Neubau anstelle des «Grünenhofs» aus den Vierzigerjahren, Umbau und Sanierung des «Del­phins» von 1912 - so stellt man sich Denkmal­pflege landläufig...

Ein Neubau anstelle des «Grünenhofs» aus den Vierzigerjahren, Umbau und Sanierung des «Del­phins» von 1912 - so stellt man sich Denkmal­pflege landläufig vor. Der TU­-Wettbewerb, den die UBS für die Umstrukturierung ihrer Liegen­schaften am Talacker und Pelikanplatz in Zürich ausschrieb, brachte das gegenteilige Ergebnis. Das Team aus Halter GU und Stücheli Architekten überzeugte Jury und Denkmalpflege, den neue­ren Bau, den «Grünenhof», stehen zu lassen und den älteren, den «Delphin», abzubrechen. Die­ sem, einst ein stolzes Haus mit hohem Giebel an der Ecke, hatten Umbauten, insbesondere Justus Dahindens Attikageschoss aus massivem Beton, stark zugesetzt. Der «Grünenhof» hingegen, von Werner Frey in der Nachkriegszeit in Etappen er­stellt, war in weiten Teilen erhalten.
Also entliess die Denkmalpflege den «Delphin» aus dem Inventar und vereinbarte mit der UBS einen Schutzvertrag für den «Grünenhof». Stücheli Architekten sanierten das Gebäude, mach­ten es erdbebensicher, entrümpelten das Dach, rekonstruierten die Schaufenster und restaurier­ten die schönen Treppenhäuser. Die Büroflächen wurden modernisiert und neu eingerichtet. Anstelle des alten «Delphin» von Bollert & Her­ter Architekten entstand an der Ecke Talacker / St.­Peter­ Strasse ein Neubau. Er schliesst naht­los an die Nachbarn rechts und links an und strickt das Muster der seriellen Bürofenster wei­ter. An der Ecke ragt der Neubau siebengeschos­sig empor und setzt einen markanten Akzent - so wie es einst der Giebel des alten «Delphin» tat und es die Kuppeln des «Astoria» und des Eck­hauses gegenüber noch immer tun.

Die Fassade aus Betonelementen vermittelt zwi­schen den Naturstein­ und den Putzfassaden der Nachbarn. An der Strassenfront ist der Beton sandgestrahlt veredelt, gegen den Hof - in dem übrigens Theo Hotz’ gläsernes Konferenzzentrum von 1991 steht - hingegen glatt. Die kastenar­tigen Fenster mit schmalen, fassadenbündigen Lüftungsflügeln verleihen der Fassade aussen wie innen Tiefe. Die Betonelemente der Fassade prägen auch die rationell möblierten Büroräume - gegen tausend Mitarbeiterinnen und Mitar­beiter haben im «Delphin» und im «Grünenhof» ihren Arbeitsplatz. «Ein schönes Beispiel einer ansprechenden und eigenwertigen Lösung des modernen Geschäftsbaus», schrieb das «Werk» 1914 über den alten «Delphin». Dies gilt heute auch für den Neubau.

hochparterre, Mo., 2011.04.11



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hochparterre 2011-04

11. April 2011Werner Huber
hochparterre

Beton auf Bruchstein

Dicht gedrängt stehen die Häuser in Charrat. Der alte Dorfkern liegt am südlichen Hangfuss des Rhonetals bei Martigny, abseits der Haupt­ verkehrsachsen...

Dicht gedrängt stehen die Häuser in Charrat. Der alte Dorfkern liegt am südlichen Hangfuss des Rhonetals bei Martigny, abseits der Haupt­ verkehrsachsen...

Dicht gedrängt stehen die Häuser in Charrat. Der alte Dorfkern liegt am südlichen Hangfuss des Rhonetals bei Martigny, abseits der Haupt­ verkehrsachsen mit Autobahn, Hauptstrasse und Eisenbahn, die den Boden des Walliser Haupttals zerschneiden. Dorthin, in die Ebene hinein, sind die neueren Quartiere gewachsen.

Es gebe Walliser Gemeinden, die nur Scheussli­ches bewilligten, meint Architekt Valéry Clavien angesichts des architektonischen Wildwuchses. Aber manche genehmigten auch Gutes, sagt er augenzwinkernd - und er meint damit Charrat, wo er mit seinem Büropartner Nicolas Rossier ein Haus realisiert hat. Es steht beim alten Dorf, hart an der Strasse. Die Beschränkung auf weni­ge Elemente und ein grosses Fenster pro Fassa­de machen das Haus massstablos, das Sockel­geschoss aus Naturstein verankert es in der vom Rebbau geprägten Landschaft.

Vorhanden war ein schon mehrfach umgebauter und erweiterter Altbau - und ein beschränktes Budget. Deshalb haben die Architekten von der alten Substanz erhalten, was brauchbar war: die Mauern des Sockel­ und des halben Ober­geschosses. Sie entfernten den Putz und holten das Natursteinmauerwerk hervor, auf das sie den ein­ bis zweigeschossigen Neubauteil aus eingefärbtem Beton setzten. Die alten Mauern blieben bis auf die Brüstungshöhe des oberen Geschosses stehen und gaben die Wandstärke vor: sechzig Zentimeter plus Dämmung - achtzig insgesamt. Um dicke, lichtfressende und wenig elegante Leibungen zu vermeiden, schnitten die Architekten ihre neuen Betonwände konisch zu und reduzierten die Zahl der Fenster auf eines pro neuem Fassadenteil.

Der Eingang liegt neu im Sockel direkt an der Strasse. Aus der Halle führt eine Treppe entlang der Bruchsteinmauer nach oben in den Wohn­- und Essraum. Hinter der alten Mauer liegen die Küche und daneben ein Zimmer mit Bad. Zwei weitere Zimmer und ein Bad liegen im obersten Stock. Die Räume sind so organisiert, dass zahlreiche Wege durch das Haus entstehen, entlang der Fassaden wird es so in seiner ganzen Länge erlebbar. Auf der einen Seite schweift der Blick über die Ebene des Rhonetals, auf der ande­ren Seite öffnet sich das Haus gegen den sanft ansteigenden Rebhang. Das Gegenstück zu den «Lichttrichtern» der Fassade sind die «Vorhang­garagen» im Innern.

hochparterre, Mo., 2011.04.11



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20. Oktober 2010Werner Huber
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Weiche Schale, harter Kern

Das Schulhaus Eichmatt ist ein gemeinsames Werk der zwei Gemeinden Cham und Hünenberg; die Gemeindegrenze verläuft unsichtbar mitten durch das Gebäude....

Das Schulhaus Eichmatt ist ein gemeinsames Werk der zwei Gemeinden Cham und Hünenberg; die Gemeindegrenze verläuft unsichtbar mitten durch das Gebäude....

Das Schulhaus Eichmatt ist ein gemeinsames Werk der zwei Gemeinden Cham und Hünenberg; die Gemeindegrenze verläuft unsichtbar mitten durch das Gebäude. Das lang gestreckte, hölzerne Haus steht parallel zur Eichmattstrasse. Mit seiner kompakten Form ermöglicht es den geforderten Minergie-P-Standard, mit seiner Lage setzt es im entstehenden Wohnquartier einen starken Akzent, begründet nachträglich die Richtung der neu erstellten Strasse und betont seine Eigenständigkeit gegenüber der benachbarten Schulanlage aus den Achtzigerjahren. Geschickt nutzten die Architekten Bünzli & Courvoisier das leicht fallende Terrain aus: Gegen die Strasse, wo ein Kirschbaumhain dem Quartier als öffentlicher Ort zur Verfügung steht, ist das Volumen dreigeschossig. An der Rückseite hingegen, wo Sport- und Pausenplatz liegen, zählt es nur zwei Geschosse. Neben den Klassenzimmern und Nebenräumen der Primarschule sind darin eine Doppelturnhalle, eine Aula, drei Kindergärten, die Abwartwohnung und — organisatorisch abgetrennt — die Musikschule untergebracht.

Die gehobelte Lärchenschalung der Fassade prägt die äussere Erscheinung des Neubaus. Sie wird mit den Jahren vergrauen. Wer genau hinschaut, entdeckt hinter den Fenstern hölzerne Stützen, die nicht dem Wetter ausgesetzt sind und ihr hölzernes Antlitz behalten werden. Ein Holzhaus also? Wer in die Eingangshalle tritt, ist überrascht. Ein Boden aus geschliffenem Beton, gestrichene Wände, Gipsdecken — das Hölzerne ist weg. Einzig die Fassadenstützen aus massivem Brettschichtholz transportiert das Äussere in das Innere. Und tatsächlich ist das, was man sieht, auch das, was ist: Das Haus ist nicht ein verkleideter Holzbau, sondern ein Massivbau mit tragenden hölzernen Fassadenstützen.

Das räumliche Rückgrat des Gebäudes ist seine Erschliessung, die sich von der grossen Halle im unteren Geschoss z-förmig ins mittlere Geschoss entwickelt. Hier liegt die zum Aussenbereich orientierte Haupthalle, von der aus drei Treppen abgehen. Sie münden im obersten Stock jeweils in einen Vorbereich, den sich vier Klassenzimmer und zwei Gruppenräume teilen. Drei Höfe bringen Licht in diese Vorräume und ermöglichen vielfältige Sichtverbindungen längs und quer durchs Haus; Peter Regli hat sie je mit einer Grundfarbe künstlerisch gestaltet.

hochparterre, Mi., 2010.10.20



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23. August 2010Werner Huber
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Am Bahnhof gestapelt

Die symmetrische Gestalt des historischen Winterthurer Bahnhofgebäudes täuscht: Seit je ist das eine Ende, wo die Altstadt liegt und die Bus­ se warten, viel belebter als das andere, wo einst die Milch aus dem Tösstal angeliefert wurde und sich die SBB­Angestellten in der Milchküche verpflegten. Folgerichtig hat die Kommerzialisierung des Bahnhofs vor zehn Jahren am belebten, südlichen Teil begonnen. Dort baute Oliver Schwarz das «Stadttor» — Jahre bevor die grossen Bahnhöfe «Railcity» getauft wurden [siehe HP 4 / 01].

Die symmetrische Gestalt des historischen Winterthurer Bahnhofgebäudes täuscht: Seit je ist das eine Ende, wo die Altstadt liegt und die Bus­ se warten, viel belebter als das andere, wo einst die Milch aus dem Tösstal angeliefert wurde und sich die SBB­Angestellten in der Milchküche verpflegten. Folgerichtig hat die Kommerzialisierung des Bahnhofs vor zehn Jahren am belebten, südlichen Teil begonnen. Dort baute Oliver Schwarz das «Stadttor» — Jahre bevor die grossen Bahnhöfe «Railcity» getauft wurden [siehe HP 4 / 01].

Als Gegenstück realisierten AGPS Architekten nun das «Stellwerk Railcity», ein Büro­ und Geschäftshaus mit einem Veloparking im Unter­ Geschoss. 160 Meter lang soll das Haus werden — falls die zweite Etappe auch realisiert wird. Vor­ läufig muss man sich mit der Hälfte begnügen. Drei Teile stapelten die Architekten übereinander: das Erdgeschoss mit ausladendem Vordach, das Hauptvolumen mit drei Büro geschossen und ein kürzeres zweigeschossiges Volumen, das über die eine Ecke hinausgeschoben ist. Das Motiv der Stapelung, verstärkt durch das dunkle «Fugengeschoss» des 3. Stocks, bricht die Höhe des Gebäudes und zieht es optisch in die Länge. Da nicht klar ist, wann (und ob überhaupt) die zweite Etappe realisiert wird, musste das halbe Gebäude als ganzes Haus erscheinen. So wartet zwar die geschlossene Wand auf den Weiterbau, doch die beiden auskragenden Geschosse verwischen den Brandmauercharakter. Blechpaneele in unterschiedlichen Grautönen und mit einem je nach Baukörper variierenden Rhythmus kleiden das Gebäude ein und unterstützen die Stapelung. Wie bei anderen Projekten von AGPS siehe HP 11 / 06 wurde bei der Gestaltung der Fassade die Künstlerin Blanca Blarer beigezogen. Dort, wo unter dem Vordach die Unterführung auf den Platz mündet, ist die strenge Ordnung unterbrochen: Da liess Blanca Blarer die Bleche des Vordachs «aus der Reihe tanzen» und im imaginären Fahrtwind der Züge flattern. Die Kommerzialisierung der «Railcity» Winterthur erreicht da bei weitem nicht das Mass des «Stadttors» am anderen Ende: Die Raiffeisenbank hat sich den einen, bei der Unterführung prominent gelegenen Laden gesichert, Migrolino ist in den anderen eingezogen. Für die Stadt von grösserer Bedeutung sind jedoch die Veloparkplätze im Untergeschoss, mussten dem Neubau doch zahlreiche Abstellplätze weichen, an denen viele Kantischüler ihren Drahtesel über Nacht deponierten.

hochparterre, Mo., 2010.08.23



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10. Mai 2010Werner Huber
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Markant rationell

Das Areal liegt in der Nähe der Place des Nations in Genf. Ein Quartierplan gab vor, was darauf zu bauen ist: drei Wohnhäuser. Auf dem obersten Grundstück...

Das Areal liegt in der Nähe der Place des Nations in Genf. Ein Quartierplan gab vor, was darauf zu bauen ist: drei Wohnhäuser. Auf dem obersten Grundstück...

Das Areal liegt in der Nähe der Place des Nations in Genf. Ein Quartierplan gab vor, was darauf zu bauen ist: drei Wohnhäuser. Auf dem obersten Grundstück baute eine Stiftung für günstigen Wohnraum ein Mehrfamilienhaus mit dreissig Wohnungen à 2 bis 4 Zimmern. Mit Ausnahme der übereck orientierten Wohnungen am Südwestkopf durchstossen die Wohneinheiten das ganze Gebäude.

Die Grundrisse sind rationell organisiert, rationell ist auch die Fassade gestaltet: Es gibt zwei Fenstertypen und — mit Ausnahme der Ecken — ein Fassadenelement. Helle Betonstreifen markieren die Deckenstirnen, darauf stehen die braun eingefärbten, tragenden Betonelemente. Eine Schutzschicht verleiht ihnen einen seidenen Glanz und holt die Unregelmässigkeiten der Oberfläche hervor. Jede Wohnung hat einen grossen Balkon, deren gelbe und grüne Glasbrüstungen ein farbliches Spiel erzeugen. Das von den Architekten angedachte Wegnetz über das ganze Quartierplanareal liess sich leider nicht realisieren.

hochparterre, Mo., 2010.05.10



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02. März 2010Werner Huber
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Solitär mit grosser Wirkung

Der Zylinder mit dem neuen Personalrestaurant für Nestlé zeigt, wie man eine Architekturikone erweitern kann.

Der Zylinder mit dem neuen Personalrestaurant für Nestlé zeigt, wie man eine Architekturikone erweitern kann.

Wie ein Reissverschluss reihen sich die Tabletts auf den Abräumbändern des Personalrestaurants am Nestlé-Hauptsitz in Vevey hintereinander ein. Vier Bänder fliessen zunächst paarweise zusammen, um sich schliesslich zu einem einzigen zu vereinigen und in der Abwäscherei zu verschwinden. Sensoren sorgen dafür, dass die Tabletts nicht kollidieren. Das Herz jedes Modelleisenbahners schlägt hier wohl höher. Fällt ein Band aus, laufen die verbleibenden etwas schneller, damit am Ende die Geschwindigkeit stimmt, wo flinke Hände das Geschirr im Gleichschritt des grünen Bandes in die Abwaschmaschine räumen. 1400 Mittagessen gibt das Restaurant täglich aus, da ist Effizienz auch im letzten Glied der Kette das oberste Gebot. Effizient organisiert ist auch die übrige Infrastruktur des Restaurants: Von der Anlieferung führt ein Korridor der Fassade entlang direkt zu den Lagern, den Küchen, den Liften und Treppen.

Architektur ist auch Logistik

Die Angestellten, die aus den Büros des Hauptsitzes und aus den übrigen Nestlé-Gebäuden in Vevey zur Mittagszeit in den «WellNes Centre» genannten Neubau strömen, kriegen davon nichts mit. Wer Gäste hat, nimmt im bedienten Restaurant «Le Léman » Platz, wo man gediegen tafeln kann. Die meisten jedoch schreiten die elegante Wendeltreppe empor ins Selbstbedienungsrestaurant «La Coupole». Die Treppe ist ein architektonisches Ereignis, zweifellos. Aber auch ein logistisches Element, denn sie bringt die hungrigen Nestlé-Leute mitten ins Herz des Restaurants: zum Selbstbedienungsbuffet — das gar nicht wie ein Selbstbedienungsbuffet aussieht. In einem hohen, mit einer umgestülpten Kuppel gedeckten und von einem Oblichtring belichteten Raum sind Menu- und Getränkeausgaben und Salatbuffets so grosszügig dimensioniert, dass der Ort als wirklicher «Free Flow» funktioniert.

Wer schliesslich mit beladenem Tablett die Kasse passiert, hat die Qual der Platzwahl: direkt am Fenster? Und wenn ja: mit Blick zum Park oder zum See? Oder lieber etwas erhöht mit guter Übersicht? Oder doch besser auf die Schnelle, an einem der hohen Tische? Schlechte Plätze gibt es keine; auf 270 Grad bietet die Glasfront Panoramasicht. Der Beton der kraftvollen Konstruktion, der Holzboden, die dunklen Holzeinbauten, die weisse Decke und weisse Möbel erzeugen eine lichte, angenehme Atmosphäre. Selbst an einem Januartag kommt Ferienstimmung auf, wenn die Sonne weit in den Raum hineinscheint. Die Logistiker waren besorgt, dass den Gästen der Raum so gut gefällt, dass sie zu lange sitzen bleiben. Das wäre für den Betrieb aber fatal: Es käme zum Stau, werden die Plätze pro Mittag doch bis zu dreimal belegt. Darum gibt es den Kaffee nicht hier, sondern im «Le Café» im Erdgeschoss. Dorthin gelangt man nicht über die Wendeltreppe (sie ist den hungrigen Gästen vorbehalten), sondern zwei gerade Treppenläufe führen nach unten. Diese sind — der Logistiker lässt grüssen — von je zwei Abräumbändern flankiert. So finden nicht nur die Angestellten den Weg zum Café, sondern ihre Tabletts auch den Weg in die Abwäscherei.

Der übermächtige Nachbar

Als die Architekten Richter et Dahl Rocha sich an die Arbeit machten, war zunächst der Umbau des bestehenden Restaurants geplant. Dieses lag im Erdgeschoss des «Bâtiment B», das Burckhardt Partner Architekten in den Siebzigerjahren dem Nestlé-Hauptsitz von Jean Tschumi zur Seite gestellt hatten. Doch die hohen Kosten für ein Provisorium während der Umbauzeit unterstützten den Entscheid, einen Neubau zu erstellen und das alte Restaurant in Konferenzräume umzubauen. Als Bauplatz stand das Areal zur Verfügung, auf dem einst Gustave Eiffels Villa gestanden hatte und dessen Hafen noch erhalten ist. Das leicht abfallende Terrain erlaubte es, mit wenig Aufwand die Parkplätze, die bisher fast die ganze Fläche belegten, auf zwei Geschossen zu versorgen. Damit war Platz geschaffen, um den Park am See zu erweitern und darin das Restaurant zu platzieren. Das Raumprogramm ergänzte man um ein Fitnesscenter für Angestellte und ihre Angehörigen, um einige Sitzungszimmer und eine kleine Praxis des Betriebsarztes. Die Lage am See ist prächtig, der Nachbar jedoch übermächtig: Jean Tschumis Nestlé-Hauptsitz von 1960 ist eine Ikone der Schweizer Architektur. Seine drei Gebäudearme greifen in den Raum, an deren Schnittpunkt verbindet die Doppelhelix der Wendeltreppe — benannt nach der berühmten «Escalier Chambord» im gleichnamigen Schloss in Frankreich — die Geschosse. Wie kann man Tschumis Meisterwerk erweitern? Vor 35 Jahren standen schon Burckhardt Partner Architekten vor dieser Frage. Sie setzten an das Ende des langen Y-Armes zwei weitere Gebäudeflügel. Damit wollten sie den offenen, parkartigen Hof schliessen. Das war gut gemeint, aber falsch gedacht, denn die drei Gebäudearme müssen ungehindert in die Landschaft ausgreifen können. Wie also das Ypsilon erweitern? Die Antwort ist einfach: gar nicht. Doch man kann ihm einen Solitärbau zur Seite stellen. Das hatte Tschumi selbst mit einem Hochhaus einst skizziert. So machten es auch Richter et Dahl Rocha Architectes mit ihrem Neubau: Sein Grundriss ist ein Kreis mit 50 Metern Durchmesser — solitärer geht es nicht.

Doch ganz so richtungslos, wie der Baukörper auf den ersten Blick erscheint, ist er nicht. Schliesslich hat das Grundstück unterschiedliche Qualitäten und darum kragen das Dach und die umlaufende Terrasse nicht rundherum gleich weit aus: Gegen Norden, wo die Küchen und Vorbereitungsräume liegen und die Sonne nicht scheint, ist die Auskragung klein. Gegen Süden jedoch, wo die Fensterfront im Sommer vor der warmen Sonne geschützt werden will, sind Dachvorsprung und Terrasse breiter. Geschickt haben die Architekten diese Differenz in den Stützen aufgenommen: Hinten stehen sie senkrecht, vorne sind sie nach aussen gekippt.

Das Gleichgewicht gefunden

Richter et Dahl Rocha Architectes hatten zwischen 1996 und 2000 bereits Jean Tschumis Architekturikone gründlich saniert. Dabei setzten sie sich ausführlich mit den Eigenheiten seiner Architektur auseinander. Der Geist Tschumis sollte bewahrt, wiederhergestellt oder weitergestrickt werden. Das Ergebnis ist gelungen, Tschumis Geist (wieder) spürbar — und die «Escalier Chambord» samt Linoleumbelag ist gar integral erhalten. Beim Neubau des Restaurants haben die Architekten drei Elemente bei Tschumi entlehnt: die markanten Betonstützen, die den äusseren Dachring und die inverse Kuppel tragen, das auskragende Blechdach und — als Zitat, nicht als Kopie — die Wendeltreppe, diesmal jedoch nicht als Doppelhelix. Doch Projektleiter Kenneth Ross betont: «Unser Ziel war nicht, ein Zeichen zu setzen, sondern wir wollten fortschreiben, integrieren und ergänzen. Das «WellNes Centre» ist nicht der kleine Bruder von Tschumis Gebäude, sondern ein Cousin.»

Eine luftige gläserne Passage stellt die funktionale Verbindung zu Jean Tschumis Gebäude her. Ein Wandbild, das Hans Erni 1960 für die damalige Kantine geschaffen hatte, hängt jetzt im Foyer des Neubaus und erinnert an das längst verschwundene Restaurant, das einst im Attikageschoss eingerichtet war. Der zeitgenössische Kunstbeitrag stammt von Daniel Schläpfer. In den Raum des Restaurants «La Coupole» hat er grosse Kugelkalotten gehängt, die das Nest im Nestlé-Logo symbolisieren und als indirekt beleuchtete Lampenschirme wirken. Bei der Sanierung vor zehn Jahren war der grösste Eingriff der Verbindungsbau zwischen Tschumis «Bâtiment A» und Burckhardts «Bâtiment B». Wo einst ein Schacht mit Treppen und Rampen die beiden Gebäude mit ihren unterschiedlichen Geschosshöhen aneinanderkoppelte, setzten Richter et Dahl Rocha eine lichtdurchflutete Halle mit aufgefächerten Rampen und schönem Blick auf das Hauptgebäude. Die Rampen sind auch nötig, weil bei Nestlé noch immer zweimal täglich Damen mit Chariots durch die Gänge fahren, um Kaffee und Tee zu servieren. Mit dieser neuen attraktiven Verbindung setzten die Architekten einen Gegenpol zur Wendeltreppe.

Allerdings rutschte damit das Schwergewicht des Ensembles definitiv weg von der Doppelhelix-Treppe — umso mehr, als im Erdgeschoss des «Bâtiment B» noch das Personalrestaurant untergebracht war. Das «WellNes Centre» hat die Pole erneut verschoben. Nun hat das ganze Ensemble sein Gleichgewicht gefunden. Das zeigt sich allein daran, dass die «Escalier Chambord», Jean Tschumis Prunkstück, wieder fleissig begangen wird.

hochparterre, Di., 2010.03.02



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18. Januar 2010Werner Huber
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Diskret, aber wirkungsvoll

Die Jury des Prix Lumière setzt die neue Beleuchtung des St. Galler Hauptbahnhofs auf Rang eins. Kunstvoll rückt sie die Halle ins beste Licht.

Die Jury des Prix Lumière setzt die neue Beleuchtung des St. Galler Hauptbahnhofs auf Rang eins. Kunstvoll rückt sie die Halle ins beste Licht.

Bald hundert Jahre steht die Perronhalle des Bahnhofs St. Gallen nun schon an ihrem Platz, doch so brillant wie heute war sie noch nie. Helles Licht strahlt an die Hallendecke, holt die Details der Stahlkonstruktion heraus und erzeugt ein abwechslungsreiches Schattenspiel am hölzernen Unterdach. Insbesondere abends und nachts ist der prächtige Raum in seiner Grossartigkeit erlebbar. Denn ein Bahnhof ist nicht nur eine Verkehrsmaschine, sondern die Visitenkarte der Stadt. Der erste Eindruck zählt! Doch nicht allein die Decke ist ins beste Licht gerückt, auch auf den Perrons ist das Licht brilliant und einladend. Rund 250 Leuchten sind in der Halle und auf den Perrons unter freiem Himmel montiert. Sie alle sind vom gleichen Typ, doch die Charakteristiken der Ausstrahlung unterscheiden sich - je nach Aufgabe und gewünschter Lichtwirkung.

Studie stellt Weichen

Die Perronhalle wurde 1915 als Teil des zwei Jahre zuvor erbauten neuen Bahnhofs fertiggestellt. In den Neunzigerjahren erhielt sie einen neuen Anstrich, der den Kontrast zwischen der Stahlkonstruktion und der Holzschalung betonte. Die alte Hallenbeleuchtung - Bänder aus Fluoreszenzröhren - blieb damals erhalten. Doch die inzwischen vierzigjährige Anlage erreichte gerade mal ein Viertel der heute in Bahnhöfen geforderten Luxzahl. Zudem waren die Unterhaltskosten hoch und die Ersatzteile schwierig zu beschaffen. Die Durchsagen der Lautsprecheranlage waren ausserdem schlecht verständlich. Die SBB erteilten dem Architekten-Kollektiv Winterthur den Auftrag, eine Studie für eine neue Beleuchtung und Beschallung der Perrons des St. Galler Hauptbahnhofs auszuarbeiten. In dieser ersten Phase unterstützten der Innenarchitekt und Lichtplaner Kaspar Diener und der Lichtarchitekt Walter Moggio die Architekten. Das Team erkannte schnell, dass die SBB-Normbeleuchtung diesen Raum nicht in ein richtiges Licht rücken kann; die Aufgabe war anspruchsvoller. Die anfängliche Idee der Architekten, die Halle ausschliesslich indirekt zu beleuchten, musste man frühzeitig ausschliessen. Indirektes Licht konnte zwar die Hallenkonstruktion zur Geltung bringen, doch reichte es nicht, um auch auf den Perrons die geforderten Werte zu erreichen. Eher skeptisch gegenüber einer indirekten Beleuchtung waren auch die SBB, die auf den Perrons grundsätzlich direktes Licht bevorzugen.

Mit Skizzen und lichttechnischen CAD-Raummodellen entwarfen die Planer die Integration der Lichtkörper und die «Klaviatur» der Lichtführung und -wirkung. Aus den Ergebnissen dieser ersten Studie formulierten sie die Ziele der künftigen Beleuchtung: Als raumbildende Komponente und zur Verminderung des Kontrastes verfolgte man die indirekte minimale Ausleuchtung der Hallenstruktur weiter. Für eine gleichermassen angenehme wie brillante Perronausleuchtung sollte hingegen direktes, entblendetes Licht sorgen. Eine vergleichbare hohe Lichtqualität strebte man auch in den ungedeckten Bereichen der Perrons an. Ein einheitliches Standardleuchtenmodell, das mit verschiedenen Leuchtenoptiken ausgerüstet werden kann, sollte einen unterhaltsarmen Betrieb und Lichtquellenwechsel garantieren. Als Lichtquelle sollten Produkte der Energieeffizienzklasse A mit höchstmöglicher Farbwiedergabe eingesetzt werden.

Ein Werk mehrerer Disziplinen

Nach einer Ausschreibung beauftragten die SBB das Ingenieur- und Planungsbüro Ernst Basler Partner mit der Planung der Fachbereiche Licht, Ton und Elektro. Walter Moggio, Leiter der Lichtarchitektur bei Ernst Basler Partner, entwickelte die szenische Lichtführung weiter, das Architekten-Kollektiv begleitete das Projekt auf der architektonischen und gestalterischen Seite. Die neue Beleuchtung sollte nicht zu einem prägenden Element des Raumes werden, sondern sie sollte sich möglichst unauffällig darin einfügen. Die Wahl fiel auf eine robuste Leuchte aus Aluminiumguss mit einer resistenten Oberfläche, deren Farbe an die historische Halle angelehnt ist. Ein Klappmechanismus gewährleistet das einfache Auswechseln der Leuchtmittel.

Für die Befestigung der Leuchten auf einer unterhaltsfreundlichen Höhe entwarfen die Architekten ein Montageschwert. Die lichttechnischen Vorgaben und der Rhythmus der Hallenkonstruktion ergaben den maximalen Leuchtenabstand und die optimale Leuchtenanzahl. Frühzeitig band man die Denkmalpflege von SBB, Kanton und Stadt in den Prozess ein. Man bestimmte, dass siebzig Prozent des Lichtes für die Beleuchtung der Perrons sorgen und dreissig Prozent indirekt als «subjektive Raumerweiterung» an die Deckestrahlen. Mit der präzisen asymmetrischen Lichtführung wirkt sich der indirekte Anteil auf die psychologische Wahrnehmung positiv aus und unterstützt das Kontrastverhältnis.

Sehkomfort ohne Blendung

In der weiteren Planung war die Blendung eines der zentralen Themen. Insbesondere die Lokomotivführer dürfen keinesfalls von den Leuchten geblendet oder abgelenkt werden, wenn sie in den Bahnhof einfahren; die Perronkante mit den wartenden Passagieren muss in sicherem Licht erstrahlen. Die Perronbeleuchtung darf aber auch die Bahnpassagiere nicht blenden — weder jene, die auf dem Perron warten, noch jene, die bereits im Zug sitzen. Diese hohen Ansprüche an den Sehkomfort sind insbesondere mit gerichtetem Licht eine grosse Herausforderung für den Lichtarchitekten. Doch nicht nur die quantitativ messbare psychologische Blendung (gemäss der Norm SN12464-1) wurde mit einberechnet, sondern auch die Blendung, die die Sehfähigkeit beeinträchtigt — die «Nachbilder», wenn man direkt in eine helle Lichtquelle blickt. Speziell für den St. Galler Hauptbahnhof entwickelte Reflektoren und in die Leuchte eingebaute Abblendvorrichtungen garantieren die an der Perronkante geforderte mittlere kontinuierliche Beleuchtungsstärke von 180 Lux, und sie erreichen auch die verlangte hohe Entblendung.

Auf Empfehlung des Lichtarchitekten überprüfte man die Skizzen und Computerentwürfe der Beleuchtung mit einem Muster vor Ort an einem Fragment der eins zu eins aufgebauten Beleuchtung. Die Planer, Verantwortliche der SBB, Denkmalpfleger und weitere Beteiligte konnten so das Konzept «in natura» kontrollieren, wobei die Vertreter der Lokführer das Augenmerk auf die Blendung warfen.

Das Muster bestätigte, was die Simulationen versprachen; nur feine Justierungen waren notwendig. Für gut befunden wurde an der Bemusterung auch das Konzept der differenzierten Lichtfarben: neutralweiss mit bester Farbwiedergabe für das direkte Licht, ein wärmerer Farbton für das indirekte Licht, das die Decke anstrahlt. Dieses ist gegen das Glasoblicht präzise abgeschirmt, damit kein Licht direkt in den Himmel strahlt.

Die Umsetzung in Etappen

Was sich im Test am Hallenfragment bewährt hatte, musste nun noch auf die gesamte Halle und auf die Perronteile ausserhalb umgesetzt werden. Denn so regelmässig wie die Perronanlage und die Stahlkonstruktion auf den ersten Blick sind, so zahlreich sind bei genauerer Betrachtung die Ausnahmen: Das Konstruktionsraster macht Sprünge, die Perronbreiten sind unterschiedlich, und die Wartehallen - die asymmetrisch auf den Perrons stehen - dürfen Lichtniveau und Lichtkontinuität nicht beeinträchtigen.

Auf den Seitenperrons konnten die Montageschwerter an der Hallenkonstruktion befestigt werden, über dem Mittelperron sind sie an einem Kabelkanal montiert, der an einer Seilkonstruktion in die Halle gespannt ist. Für die Befestigung der ganzen Beleuchtung am historischen Bauwerk entwickelten die Architekten eine Klemmkonstruktion, die den Stahl nicht verletzt oder in seiner Tragfähigkeit einschränkt. Zudem musste gewährleistet sein, dass ein durchfahrender Zug nicht die Beleuchtung und damit die ganze Halle in gefährliche Schwingungen versetzt. Der Bahnbetrieb war zu jeder Zeit gewährleistet und sicher, die Beleuchtung während der Betriebszeiten stets garantiert. Die seitlichen Montageschwerter konnte man tagsüber befestigen, beim Hauptträger in der Hallenmitte ging man wie beim Gleisbau vor: In drei Etappen während drei Nächten demontierte man jeweils die alte Beleuchtung und Beschallung, montierte einen Abschnitt der neuen Anlage und nahm sie gleich in Betrieb. Als die ganze Halle erstmals in der neuen Beleuchtung erstrahlte, war die Freude bei den Beteiligten gross: Die Realität entspricht der Idee. Die Mühe und den planerischen Aufwand, der dafür nötig war, sieht man der Beleuchtung nicht an. Genau darum ist sie so gelungen.

hochparterre, Mo., 2010.01.18



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08. Dezember 2009Werner Huber
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Hase in Bronze

Mit einem luftigen Einfamilienhaus über Vevey hebt das junge Büro Made in aus Genf ab und setzt zum Karrieresprung an.

Mit einem luftigen Einfamilienhaus über Vevey hebt das junge Büro Made in aus Genf ab und setzt zum Karrieresprung an.

Wie ein Brückenträger schiesst der Fachwerkbalken ins Land hinaus — gerade so, als wolle er kein Quäntchen der prächtigen Aussicht über das Lavaux und den Genfersee verpassen und jeden Sonnenstrahl bis aufs Letzte auskosten. Wir stehen in Chardonne, einem Winzerdorf auf halber Höhe zwischen Vevey und dem Mont Pèlerin. Die Aussicht stand zuoberst auf der Prioritätenliste der Bauherrschaft. Zudem wünschte sie sich viel Garten auf dem schmalen Hanggrundstück.

Die Konstruktion

Der Skelettkasten des Hauses besteht aus zwei 21 Meter langen Vierendeelträgern, die zusammen mit den Querprofilen einen Fachwerkkasten bilden. Die Bodenplatte ist eine Verbundkonstruktion aus Stahlblech und Beton, Trapezblech spannt die Dachfläche auf. Mit Ausnahme der geschlossenen Rückwand sind alle vertikalen Öffnungen grossflächig verglast. Die horizontalen Flächen hingegen sind aussen reflektierend ausgebildet: Eine dünne Wasserschicht macht das Dach zur Spiegelfläche, eine aluminiumbedampfte Kunststofffolie haftet an der Untersicht. Die Stahlkonstruktion liegt auf der rückseitigen Betonmauer auf und führt die Querkräfte in den Boden ab. Vorne stützt sich das Haus mit zwei dünnen Ärmchen zaghaft auf dem Terrain ab — scheinbar jederzeit bereit wegzuspringen, um sich ein anderes Plätzchen am sonnigen Rebhang zu suchen.

Ein betoniertes Kellergeschoss unter dem vorderen Teil des Hauses verbindet die gespreizten Arme miteinander. Die vier Felder der in den Ecken biegesteif verbundenen Fachwerkträger definieren vier Kammern im Stahlskelett und damit die vier Haupträume des Hauses.

Am Gebäudekopf liegt das dreiseitig verglaste Wohnzimmer. Daran schliessen Küche und Esszimmer an, gefolgt vom Eingangsbereich und einem Schlafzimmer mit Bad. Im letzten Viertel gibt es ein weiteres Schlafzimmer, ein Bad und ein Arbeitszimmer. Ein Streifen mit einem Sanitär- und Technikraum bildet den Rücken.
In Natura ist das Haus kleiner, als die Fotos erwarten lassen, doch der Platz im Innern ist intelligent ausgenützt. Raumhaltige Trennwände nehmen Regale, Schränke oder ein Cheminée auf. Alles erinnert ein wenig an ein Flugzeug oder an ein Luftschiff — ein Eindruck, den die Zugangstreppe verstärkt: Wenn niemand zu Hause ist, lässt sie sich wie eine Gangway hochklappen; das Haus bleibt dann unerreichbar.

Es waren jedoch nicht Science-Fiction-Träume oder das Berufsleben des Bauherrn als Swissair-Pilot, die den Architekten beim Entwurf Pate standen. Die Architekten François Charbonnet und Patrick Heiz spitzten einfach die Wünsche der Bauherrschaft zu und setzten sie in ein radikales Projekt um. Die Funktionen, die Form und die Konstruktion des Hauses wurden eins und so stark «eingekocht» wie möglich. Dann fügten die Architekten pragmatisch die Elemente an, die es noch brauchte, etwa die Heizung: Weil sich eine dickere Bodenplatte zu stark abgezeichnet hätte, verzichteten sie auf eine unsichtbare Bodenheizung. Stattdessen setzten sie runde, lamellenförmige Heizkörper, wie wir sie aus älteren Industriegebäuden kennen, vor die Glasfronten. Bei den Lavabos und Duschen griffen die Architekten auf Modelle der Zwanzigerjahre zurück und setzen damit einen Kontrapunkt zum kantigen Haus.

Das Büro

François Charbonnet und Patrick Heiz diplomierten beide 1999 bei Hans Kollhoff an der ETH Zürich. Sind die altertümlichen Lavabos auf den Stahlgestellen kollhoffsche Reminiszenzen? Die Architekten verneinen. Nach dem Diplom schlugen sie ohnehin nicht den Weg des Historismus ein, sondern verdienten ihre Sporen bei Herzog & de Meuron ab. Charbonnet arbeitete dort als Entwerfer, unter anderem am gemeinsamen Projekt mit Rem Koolhaas für den Astor Place in New York. Heiz widmete sich hauptsächlich der Konstruktion, so als Projektleiter bei der Erweiterung des Château Petrus in Bordeaux. Vor sechs Jahren gründeten sie das Büro «Made in» — und zwar in Genf, obwohl die beiden Romands nach dem Studium in Zürich und der Praxis in Basel in der Deutschschweiz besser vernetzt sind. «Unser Deutschschweizer Hintergrund schafft eine gesunde Distanz zur Westschweizer Szene», meint François Charbonnet, schiebt aber nach, dass es eine starke Westschweizer Szene eigentlich gar nicht gebe: «In der Deutschschweiz passiert einfach mehr. Das gibt uns die Gelegenheit, hier etwas zu sagen.»

Von sich reden machten die beiden bislang vor allem mit ihren Wettbewerbsprojekten, die das Spektrum ihres Schaffens zeigen. 2005 machte das junge Büro erstmals ein breites Publikum auf sich aufmerksam, als es in dem vom BSA organisierten Wettbewerb «Genève 2020» den zweiten Preis errang siehe hpw 5 / 05. Der Entwurf für das Château Cheval Blanc im französischen Saint-Émilion von 2006 wirkt wie ein Prototyp des Hauses in Chardonne im grösseren Massstab: Mit Vierendeelträgern entwerfen sie dort einen schwebenden eingeschossigen Stahl-Glas-Bau, der auch Erinnerungen an das Werk Ludwig Mies van der Rohes weckt. Ganz anders der Beitrag im Wettbewerb für eine Wohnüberbauung in Lausanne siehe hpw 4 / 09, wo sie die Zimmer aller Wohnungen kurzerhand entlang der maximal möglichen Mantellinie des Hauses aufreihten. Damit erzeugten sie einen Baublock mit einem Innenhof, dessen Form sich aus der Abwicklung der unterschiedlichen Zimmergrössen ergibt.

Die Bauherrschaft

Das in die Landschaft ragende Haus in den Rebbergen von Chardonne ist nicht das erste Objekt, das Made in realisieren konnte. Es ist aber das erste Gebäude, das die Überlegungen der beiden Architekten im Massstab eins zu eins zeigt. Gute Architektur braucht gute Bauherren — an solch einzigartigen Lagen erst recht. Dass sie bei diesem Entwurf weitgehend freie Hand hatten, ist einem einfachen Umstand zu verdanken: Patrick Heiz ist der Sohn der Bauherren. Sie wollten den beiden jungen Architekten die Möglichkeit bieten, ihre Ideen und ihr Können, das sie in Projekten und Wettbewerben schon zeigen konnten, auch an einem gebauten Objekt zu demonstrieren.

Zuvor wohnten Heidi und Samuel Heiz 35 Jahre lang in einem Bauernhaus. «Wenn schon ein Wechsel, dann richtig», fanden sie. Radikaler könnte der Wechsel kaum sein. Doch die Möbel aus dem alten Haus fanden auch im neuen Platz. Das mag das Puristenauge schmerzen, die Architektur hat keine Berührungsängste. Die Anforderungen, die die Bauherrschaft am Anfang zu Papier brachte, sind erfüllt: Der Garten ist gross, die Aussicht grandios inszeniert. Doch das Haus ist nicht nur ein Schönwetterhaus, wie die Bauherrin versichert: Ebenso faszinierend wie der sonnige Blick sei das Spiel von Wind, Wetter und Nebel.
Die einzigartige Mischung aus Lage und Architektur hat dem Gebäude und dem Schaffen von Made in Auftritte in zahlreichen Publikationen beschert. Der Paukenschlag wurde gehört — auch von der Jury des Wettbewerbs für die Erweiterung des Kunsthauses Basel: Made in ist eines von 24 Teams, die Ende September ihren Entwurf einreichten. Der Juryentscheid lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor, aber allein die Tatsache, dass es sich mit Koryphäen wie Peter Zumthor, Tadao Ando, Zaha Hadid und etlichen anderen messen darf, dürfte die Karriere von François Charbonnet und Patrick Heiz beflügeln.

hochparterre, Di., 2009.12.08



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16. November 2009Werner Huber
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Zahlen, Noten und Krawatten

Der Ecoparc Neuenburg ist zu einem vielfältigen Bahnhofquartier angewachsen – dank dem Grosseinsatz der Bauart Architekten.

Der Ecoparc Neuenburg ist zu einem vielfältigen Bahnhofquartier angewachsen – dank dem Grosseinsatz der Bauart Architekten.

Eine Musikschule an der Bahnlinie? Die Skepsis war gross, als Bauart Architekten dem Kanton Neuenburg vorschlugen, das Konservatorium im geplanten Neubau beim Bahnhof unterzubringen. Auch der Vorschlag, unter dem gleichen Dach die Hochschule für Wirtschaft einzuquartieren, war nicht nahe liegend. Doch das Projekt hatte zwei Vorteile: die verkehrsmässig ausgezeichnete Lage und die schnelle Verfügbarkeit. Die anfängliche Skepsis ist spätestens mit der Eröffnung des Neubaus Mitte Mai 2009 verflogen. «Die Studenten brauchten etwas Zeit, um sich an diese Kohabitation zu gewöhnen», blickt Emmanuel Rey von Bauart Architekten auf die ersten Tage zurück. Heute geben die angehenden Musiker den krawattierten Businessleuten gerne eine spontane Kostprobe ihres Könnens.

Musik und Wirtschaft

Dass unter einem Dach Musik und Wirtschaft gelehrt wird, merken Aussenstehende an den unterschiedlichen Farben der Raumbezeichnungen. Gemeinsam sind der Eingang, die Cafeteria und das grosse Auditorium. Gemeinsam ist auch das organisatorische Dach: die Fachhochschule Westschweiz (HES-SO). Allerdings gehört die Hochschule für Wirtschaft zur Hochschule Arc (Neuenburg, Bern, Jura), die professionelle Musikerausbildung hingegen ist eine Antenne der Genfer Haute Ecole de Musique. Unabhängig davon bietet das Konservatorium Neuenburg hier eine nicht professionelle Musikausbildung an.

Seine Hauptfront richtet der Neubau gegen den Espace de l’Europe. Der vom Landschaftsarchitekturbüro Paysagestion gestaltete öffentliche Raum, oszillierend zwischen Strasse und Platz, zieht sich vom Bahnhof dem Gebäude des Bundesamts für Statistik entlang und weitet sich im hinteren Bereich zu einem Platz. Vier zweigeschossige schwarze Kuben, die auf unterschiedlichen Höhen weit in den Platz hinausstossen, bilden den Blickfang der Doppelschule. Darin sind die grossen Volumen untergebracht: Auditorium, Mehrzwecksaal, Rhythmiksaal, Cafeteria. Verankert sind diese Black Boxes an einem viergeschossigen Rücken an der Bahnlinie. In ihm sind die übrigen Räume beidseitig eines langen Korridors aufgereiht. Vier doppelgeschossige Hallen, die «Espaces transparents», durchstossen den Baukörper und rhythmisieren den langen Gang. Baurechtlich sind sie eine Konzession an die durchgehende Viergeschossigkeit des Hauses, architektonisch sind sie mehr: Sie öffnen den Blick auf die Stadt und lassen die Stadt am Innenleben teilhaben. Die in leuchtendem Gelbgrün gestrichenen, beidseitig verglasten Hallen sind Treffpunkte und Kommunikationsorte. Im Gegensatz zur knalligen Farbe der «Espaces transparents » und der Korridore steht das Innere der schwarzen Kisten. Hier erzeugt ein mehrschichtiger Anstrich einen metallischen Effekt.

Seit zwanzig Jahren am Werk

Der Neubau des Konservatoriums und der Hochschule für Wirtschaft ist ein weiterer Baustein des Quartiers Ecoparc in Crêt-Taconnet, einer urbanen Brache beim Bahnhof Neuenburg. In einem Zeitraum von zwanzig Jahren schufen hier die Architekten von Bauart einen Stadtteil, der unterschiedliche Nutzungen in vielfältigen Gebäuden vereint — und dies erst noch auf ökologisch sinnvolle Art.
Der Startschuss fiel 1990 mit dem Wettbewerb für das Bundesamt für Statistik (BfS), das von Bern nach Neuenburg übersiedeln sollte.

Die Architekten hatten einen engeren Wettbewerbsund einen weiteren Ideenperimeter zu bearbeiten. Bauart Architekten übersetzten die geforderte hohe Dichte in grosse Gebäude und setzten ein Langhaus und ein Turmhaus. 1998 war das Langhaus des BfS vollendet und hob Neuenburg auf die Karte der zeitgenössischen Architektur. Imposant waren nicht nur die Dimensionen, eindrücklich war auch seine ökologische Bauweise siehe HP 10 / 98. Wobei diese gar nicht von Anfang an so umfassend eingeplant war, wie Emmanuel Rey betont: Erst während der Planung wurde das Thema ein konkretes Ziel für Bauart Architekten und die Bauherrschaft.

Beim 2004 vollendeten BfS-Hochhaus siehe HP 3 / 04 war die Nachhaltigkeit von Anfang an Programm.

Gelegenheit gepackt

Schon bald nach dem Wettbewerb waren Bauart Architekten mehr als Architekten. Sie witterten die Chance, der Planung des Gebiets Crêt-Taconnet zusätzlichen Schwung zu verleihen, umso mehr, als die Stadt zu jener Zeit einen neuen Zonenplan und eine neue Bauordnung entwickelte. Bauart kontaktierte die vier Besitzer des Areals — die SBB, einen Baumaterialunternehmer und zwei Private — und überzeugte sie davon, dass die neue Bauordnung eine gute Gelegenheit ist, um ein gemeinsames Projekt zu entwickeln. Die Architekten erhielten das Mandat, einen Quartierplan zu erarbeiten, den Kontakt mit der Stadt zu suchen und das Gebiet zu vermarkten. In der Folge flossen die Elemente des Wettbewerbs in die städtische Planung ein und das Gebiet wurde zum wichtigsten der drei Entwicklungsschwerpunkte Neuenburgs.

Die Architekten überzeugten die Eigentümer davon, die Grenzen vorerst ausser Acht zu lassen. «Wir lassen die Parzellengrenzen beiseite und machen das Beste für den Ort», erklärt Rey die Devise.

Als das Quartier auf dem Plan fertig war, legte Bauart die Grenzen so, dass alle Grundstücke in etwa gleichwertig waren. Rechtskräftig wurden die Grenzen indes etappenweise im Takt der Wandlung des Quartiers. Dieses fand seine Gestalt gemäss drei Prinzipien. Erstens: Die grösste Dichte gibt es auf dem Plateau mit den hohen Objekten an der Geländekante. Zweitens: Die Objekte unterhalb des Plateaus sind kleiner, Altbauten bleiben wo möglich bestehen und nehmen den Massstab des Quartiers auf. Drittens: Entlang der Gleise kommt «ein langer Schlitten» zu stehen. Nutzungsmässig gab der Quartierplan wenig vor; er wollte die Räumlichkeit bewahren und die Entwicklungsmöglichkeiten offen halten. Definiert war ein Anteil von mindestens vierzig Prozent Wohnen; realisiert hat man mehr.

Ein Labor für die nachhaltigkeit

Das «Experiment Nachhaltigkeit», das Bauart mit dem Bundesamt für Statistik begann, floss auch ins Gesamtprojekt ein. Dafür konstituierte sich eine rund 15-köpfige Gruppe aus Stadt, Kanton, Bund, SBB, ETH Lausanne, Universität Neuenburg, Vertretern von Bauart und weiteren Interessierten. Die Gruppe schrieb nicht vor, was zu tun ist, sondern sie verstand sich als Laboratorium auf der Suche nach Lösungen. Aus der Gruppe wurde 2000 der Verein Ecoparc. Er hat sich die Förderung der Nachhaltigkeit über den Ecoparc und über Neuenburg hinaus auf die Fahnen geschrieben. Über 250 Personen besuchen jeweils die Biennale «Forum Ecoparc» in der Uni Neuenburg. Ging die Planung mit den vier Grundeigentümern bis zur Baureife im Jahr 2000 noch flott voran, so harzte es zunächst mit der Vermarktung. Crêt-Taconnet war noch eine öde Brache, keine attraktive Adresse. Interesse war zwar vorhanden — von der Helvetia Versicherung für die Wohnbauten, vom Kanton allenfalls für die beiden Schulen. Bloss fehlte die Initialzündung. Da beschloss Bauart, ein Haus selbst zu kaufen und zu einem Lofthaus aus- und umzubauen. Das gab den entscheidenden Kick. «Wenn die Architekten hier selbst investieren, dann müssen sie wohl von ihrem Projekt überzeugt sein», mutmasst Emmanuel Rey über die Beweggründe von Helvetia, zwei Wohnhäuser zu erstellen. Später übernahm die Versicherung auch die beiden anderen, während eine Villa in private Hände ging und Bauart einen Altbau für ihr Neuenburger Büro übernahm.

Und noch eine Schule

Dank der erfolgreichen Entwicklung des östlichen Teils des Plateaus hatten auch die SBB das Potenzial des Standorts erkannt und Bauart mit dem Vorprojekt für den Neubau TransEurope auf dem schmalen Landstreifen zwischen BfS-Langhaus und Gleisen beauftragt, wo die Architekten einen 285 Meter langen Riegel planten. Mit zwei weiteren Abteilungen der Haute Ecole Arc wurde eine Mieterin gefunden, die eine eindrückliche Dynamik in den Planungsprozess brachte: Innerhalb eines Jahres planten die Architekten das Büro- und Geschäftshaus zu einem Schulhaus um, erstellten den Kostenvoranschlag, reichten die Baueingabe ein — und begannen mit dem Bau. Dieser erste Teil der letzten Etappe des Quartiers Ecoparc wird bis 2011 fertig gestellt. Vier Jahre später wollen die SBB den zweiten Teil realisieren und damit das Quartier vollenden.

Das Zeug zum symbolträchtigen Schlussstein von Ecoparc hat jedoch eine andere Initiative von Bauart: die Passerelle in der Verlängerung des Espace de l’Europe, die den Bahnhof mit den Gebäuden der Wissenschaftlichen Fakultät der Universität verbindet. «Passerelle du Millénaire» könnte sie heissen, die Finanzierung wird zurzeit aufgegleist. 2011, zum 1000-Jahr-Jubiläum der Stadt Neuenburg, soll die Brücke stehen.

hochparterre, Mo., 2009.11.16



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16. November 2009Werner Huber
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Jedem seine Wohnung

Eng umschlungen von den Gleisen der Sihltalbahn, der Sihl samt Hochstrasse und der stark befahrenen Giesshübelstrasse lag der östliche Teil des Giesshübelquartiers...

Eng umschlungen von den Gleisen der Sihltalbahn, der Sihl samt Hochstrasse und der stark befahrenen Giesshübelstrasse lag der östliche Teil des Giesshübelquartiers...

Eng umschlungen von den Gleisen der Sihltalbahn, der Sihl samt Hochstrasse und der stark befahrenen Giesshübelstrasse lag der östliche Teil des Giesshübelquartiers in Zürich lange Zeit abseits grosser städtebaulicher Umwälzungen. Das war einmal. Beflügelt von der exzellenten Verkehrserschliessung und auch vom nahen Einkaufszentrum Sihlcity wird das Gewerbeviertel immer mehr zur Wohnadresse.

Mittendrin sitzt Edeneins, eine Überbauung aus zwei Häusern mit insgesamt 61 Eigentumswohnungen. Die beiden Baukörper stehen direkt an der Strasse und spannen so die ganze Grundstücksfläche auf. In der Mitte liegt der gemeinschaftliche Hof, der dank den leicht geknickten Fassaden räumlich gefasst ist und die beiden Teile von Edeneins zu einer Einheit verbindet. Die Setzung der Bauten direkt an die Trottoirkante nimmt das im Quartier typische Muster auf und unterstreicht den städtischen Charakter der Neubauten. Die identischen, hier gegeneinander leicht versetzten grossen Fensterformate setzen die beiden neuen Häuser in Beziehung zu den älteren Gewerbehäusern.

Im Innern der kraftvollen Grossformen verbergen sich unterschiedliche Wohnungstypen von 52 bis 220 Quadratmetern: konventionelle Grundrisse, Maisonettes, Lofts und Wohnateliers. Allen Wohnungen gemeinsam ist ihr Bezug sowohl zur Strasse als auch zum Hof. Ein meist frei stehender Kern besetzt die Mitte jeder Wohnung und nimmt Küchen, Sanitärzellen und Nebenräume auf. Weitere Wände hatten die Architekten zwar nicht vorgegeben, aber als Möglichkeit vorgesehen. Sie konfektionierten jede Wohnung nach den Wünschen der Eigentümer — von der grosszügigen Einraumwohnung bis zur kleinformatigen Zimmeraufteilung.

Besonders raffiniert sind die Maisonettewohnungen im Erdgeschoss, die auf der einen Seite direkt aufs Trottoir blicken: An einer Stelle entstand in einer durchgehenden zweigeschossigen Raumscheibe mit eingestellter Treppe ein städtischer Raum innerhalb der Wohnung.
Darin kann man sich vor Einblicken schützen, ohne von der Aussenwelt abgeschottet zu sein.
Die Transformation des Quartiers geht weiter: Gleich gegenüber von Edeneins klafft eine Lücke, wo bis vor Kurzem noch ein Gewerbehaus stand, und einen Steinwurf entfernt entsteht Edendrei, ein weiterer Neubau der gleichen Architekten, ebenfalls mit Eigentumswohnungen.

hochparterre, Mo., 2009.11.16



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12. Oktober 2009Werner Huber
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Der Berner Bär erweitert seinen Horizont

Bern, die gemächliche Beamtenstadt? Das war einmal. Eindrückliche Neubauten zeigen eine Dynamik, die die Bundesstadt zu einem Ziel für Architekturtouristen macht.

Bern, die gemächliche Beamtenstadt? Das war einmal. Eindrückliche Neubauten zeigen eine Dynamik, die die Bundesstadt zu einem Ziel für Architekturtouristen macht.

Paris ist der Eiffelturm, London der Big Ben, New York die Skyline. Und Bern? Bern ist die Altstadt in der Aareschlaufe. Von keiner anderen Schweizer Stadt machen wir uns ein so klares Bild. Selbst Bern Tourismus hat die Aareschlaufe in ihr Logo aufgenommen. Einzigartig und prächtig ist das Unesco-Weltkulturerbe — aber ist es nicht auch etwas langweilig, etwas gar gemütlich? Tatsächlich scheint in der Berner Altstadt, die auch Einkaufs- und Geschäftsstadt ist, kaum je Hektik aufzukommen. Nicht einmal an den Samstagen vor Weihnachten, wenn die ganze Stadt samt Agglomeration am «Rohren» ist, die Lauben rauf- und runterströmt. Liegt das am sprichwörtlichen Berner Charakter? Vielleicht. Doch selbst ungestüme Zürcher werden hier schnell gebremst: Platz zum Überholen gibt es in den engen Lauben nicht; die Gemächlichen geben das Tempo vor. Ganz anders geht es am Bahnhof zu und her, dem einzigen Ort, wo Bern Grossstadt ist. Hier, am Ende der Spitalgasse, ist das Ventil, an dem der Druck der geschäftigen Altstadtgassen Richtung Westen entweicht — und sogleich verpufft.

Denn wenn Bernerinnen und Berner «Stadt» sagen, dann meinen sie die Altstadt, und wenn sie dort einkaufen gehen, bewegen sie sich zwischen Bahnhofplatz und Zytglogge. Selbst durchaus städtische Quartiere, wie die Länggasse oberhalb des Bahnhofs oder der Breitenrain jenseits der Kornhausbrücke, gelten in der Berner Wahrnehmung nicht wirklich als Stadt. Auch aus der «Länggyge» oder dem «Breitsch» geht man «in die Stadt» und meint damit die Altstadt. Wohnen tun hier allerdings keine 4000 Seelen mehr.

Der Blick weitet sich

Zwei Neubauten haben in den letzten Jahren den Blick aus der Altstadt an den Stadtrand gelenkt: das «Zentrum Paul Klee» siehe HP 8 / 05 und das Freizeit- und Einkaufszentrum «Westside» siehe HP 1–2 / 09. Dieses ist der Magnet des neuen Stadtteils Brünnen, in dem Wohnraum für 2600 Bernerinnen und Berner entsteht, ein Stück Stadt mit klar definierten Strassen- und Platzräumen und mit Projekten aus unterschiedlichen Büros, erstellt für unterschiedliche Bauträger. Die ersten Konturen kann man heute besichtigen, doch für eine Bilanz ist es noch zu früh. Die Neubauten brauchen Zeit, um mit ihrer Umgebung zu verwachsen. Neue Ausrufezeichen stehen auch im Zentrum, die jüngsten sind eben erst fertig geworden: der Bärenpark, der am 25. Oktober eingeweiht wird, und der Annexbau des Historischen Museums siehe Seite 24. Zahlreiche neu gestaltete Strassen und Plätze — Bundesplatz, Casinoplatz, Bahnhofplatz — geben Orte, die einst vom Auto beherrscht waren, den Menschen zurück. Man mag sich darüber streiten, ob das Kleezentrum an der Autobahn draussen wirklich am richtigen Ort steht und ob «Westside» trotz idealem Bahn-, Bus- und bald auch Tramanschluss eben nicht doch mehr Autoverkehr erzeugt. Beiden ist es jedoch innerhalb kurzer Zeit gelungen, den Horizont der Stadt beträchtlich zu erweitern — nicht nur bei den Auswärtigen, sondern auch bei den Einheimischen. Huldigt das eine der Kultur, frönt das andere dem Kommerz, beides sind Architekturikonen geworden. Sie stehen nicht allein. Mehr über das «neue Bern» gibts in Hochparterres Architekturführer «Bern baut», der ab Ende Oktober im Buchhandel erhältlich ist. Rund 130 000 Menschen wohnen in der Stadt Bern.

Ihnen stehen 150 000 Arbeitsplätze gegenüber. «Das bedeutet nicht nur den Verkehr von täglich 70 000 Zupendlern, sondern auch hohe Belastungen für Berns Rolle als Zentrum, denen keine entsprechenden Steuereinnahmen gegenüber stehen », unterstreicht Regula Buchmüller, die Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung. Die Stadt will dieses Verhältnis ändern und strebt eine Einwohnerzahl von 140 000 an — 1962 lag sie noch bei 165 768. Seit den Neunzigerjahren steht der Wohnungsbau zuoberst auf der Prioritätenliste der Stadtentwicklung. In eigener Regie kann die Stadt nur wenig bauen. Als der alte Staat Bern 1852 unter dem Kanton, der Stadt und der Burgergemeinde aufgeteilt wurde, erhielt die Stadt vor allem die Bauten, die Burgergemeinde hingegen das Land. Diese tritt denn auch bei etlichen Projekten als Baurechtsgeberin auf.

Mehr Genossenschaftsbauten

Untervertreten ist in Bern der gemeinnützige Wohnungsbau. Im «roten Zürich» und im «roten Biel» förderten die sozialdemokratischen Mehrheiten in den Zwanziger- und Dreissigerjahren den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbau. Ein «rotes Bern» gab es damals nicht. Heute ist immerhin ein Drittel der Wohnungen, die in den letzten acht Jahren entstanden, genossenschaftlich. Der Turnaround bei der Bevölkerungsentwicklung ist jedenfalls gelungen. Nach fast vierzig Jahren Rückgang ist die Einwohnerzahl seit Anfang des Jahrzehnts fast jedes Jahr gestiegen.

hochparterre, Mo., 2009.10.12



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Genial oder banal?

Das neue Schulhaus Leutschenbach spaltet die Architekturkritiker. Sechs kontroverse Meinungen zum Bau von Christian Kerez.

Das neue Schulhaus Leutschenbach spaltet die Architekturkritiker. Sechs kontroverse Meinungen zum Bau von Christian Kerez.

Es ist das zweitgrösste Schulhaus der Stadt Zürich und von der Kindergärtlerin bis zum Sekschüler gehen hier alle ein und aus. Der Bau dauerte ein Jahr länger als vorgesehen. Die Erscheinung ist für ein Schulhaus so ungewöhnlich, dass sie polarisieren muss. Seit August ist das Schulhaus Leutschenbach nun in Betrieb und Hochparterres Redaktorinnen und Redaktoren besichtigten es mit dem Architekten Christian Kerez.

Die Heiligsprechung des Banalen

Ivo Bösch: Die Jury traute dem Entwurf von Christian Kerez nicht zu, dass er baubar ist. Im Wettbewerb aus dem Jahr 2003 liess sie zwei Projekte überarbeiten. Zwar gefielen damals die Zonen zwischen den Schulzimmern. Doch dieser Bereich war Fluchtweg, also nicht nutzbar. Erst nach der Überarbeitung schlug Kerez die Fluchtbalkone vor. Der Feuerpolizist entwarf also beträchtlich mit. Eine Turnhalle auf dem Dach, eine Doppeltreppe, aneinander gereihte, hohe Schulzimmer und eine stützenfreie Fassade im Erdgeschoss: Mehr steckt nicht im Entwurf. Der Kern des Projekts ist die Konstruktion.

Das Haus steht nur auf sechs Dreifachstützen. Für den Handstand auf dem kleinen Finger scheute der Architekt keine Kosten. Doch bestimmte der Bauingenieur, wo welche Querschnitte welche Lasten tragen. Was Kerez mit dem kompakten Entwurf gewinnt, verliert er mit dieser Konstruktion. Obwohl beim Ausbau gespart wurde und obwohl es die zweitgrösste Schule der Stadt Zürich ist, ist der Bau im Kubikmetervergleich (BKP 1– 9: CHF 1108.–/m3, Stand August 2009) eines der teuersten Schulhäuser. Schon die Jury schrieb nach der ersten Stufe: «Die durch die kompakte Gebäudeform gegebene Ausgangslage für eine günstige Ökonomie wird durch zu erwartende erhöhte konstruktive Aufwendungen gemindert.» Dass diese Aufwendungen so gross werden und der Ausbau so leiden musste, konnte sie nicht voraussehen: Wände aus Industrieglas, in den Schulgeschossen Kunststeinplatten am Boden, sichtbare PE-Abwasserleitungen. Alles wirkt banal, Kerez würde es reduziert nennen. Glück für ihn, dass das Schulhaus in Schwamendingen steht und die Stadt endlich ein Signal für die Quartierentwicklung neben der Kehrichtverbrennungsanlage setzen musste.

Alles schrumpft

Roderick Hönig: 1994 stellte Pipilotti Rist im Kunstmuseum St. Gallen zwei überdimensionale Fernsehsessel neben eine meterhohe Stehlampe. Wer versuchte, die gigantischen, kaum handhabbaren Möbel zu besteigen, lernte physisch seine Lektion in Raumwahrnehmung. Die drei ungewöhnlich hohen Klassenzimmergeschosse erinnern an Rists Installation. Nur ists im Schulhaus Leutschenbach umgekehrt: Die Räume sind überdurchschnittlich hoch — satte 3,6 Meter, das Minimum schreibt 3 Meter vor. Die Überhöhe verleiht weiten Atem und Grosszügigkeit und lässt, wie in Rists Arbeit, Schülerin und Lehrer auf Kindergrösse «schrumpfen ». Die Architektur stellt so die Machtverhältnisse im Schulhaus in Frage, sie demokratisiert Subjekt und Objekt. Kerez sichert mit seinen überhohen Klassenzimmern und Pausenhallen aber auch die Souveränität seines Werks. Die Überhöhe sorgt dafür, dass Möblierung und Raum kaum in ein Verhältnis treten und dass man nicht plötzlich vor lauter Schulmöbel und farbigem Kinderleben Kerez’ «architecture brut» nicht mehr sieht. Elegant ist, dass der eitle Wunsch nach Wahrung der Reinheit der eigenen Architektur nicht auf Kosten der Nutzer geht — im Gegenteil: Die überdurchschnittliche Raumhöhe ist die Attraktion und Qualität des Schulhauses. Der Luxus, bezahlt auf Kosten des Ausbaus.

Die Paulista-Schule

Axel Simon: Wo ist da die Angemessenheit? Und was ist mit den hohen Kosten? Spätere Erweiterungsmöglichkeiten? Es gibt Bauwerke, an denen perlen solche Fragen ab. Radikalität imprägniert sie zum Manifest. In Leutschenbach steht man vor einem solchen, schaut einfach nur, blöd vor Staunen. Hier liegt Zürich nicht in der Schweiz, sondern am Rande São Paulos. Sicher, Kerez’ Konstruktionen sind komplizierter als diejenigen von Artigas, Bo Bardi oder Mendes da Rocha, die hiesigen Anforderungen sind es sowieso. Die räumliche Idee jedoch ist ähnlich: eine weite Landschaft rundum, die sich im Inneren widerspiegelt, sowie ein Raum, der mit zunehmender Schwere des Hauses an Leichtigkeit gewinnt. Die eidgenössische Komplexität der scheinbar einfachen Struktur überspielt der Architekt, indem er sich jede Oberflächengüte versagt. Der sichtbaren Stapelung der Etagen entsprechen der sichtbar gegossene Beton, der sichtbar geschweisste Stahl, das sichtbar gefügte Gussglas. Die Rohheit des Materials und der immense Raum machen aus der Schule eine Werkstatt, einen Ort, an dem man ohne die Bürde des Perfekten schaffen, sich ausbreiten, auf dem Trottinette durchjagen kann. Keine gebeugten Rücken, keine Schulkrüppel! Diese Forderung, die der spätere Bauhausdirektor Hannes Meyer 1926 seinem konstruktivistischen Petersschul-Entwurf beilegte, könnte auch auf den Leutschenbacher Beton gesprüht stehen — als Kunst am Bau versteht sich.

Ein starkes Stück

Werner Huber: Wie ein Equilibrist steht das Schulhaus auf der Wiese am Rand von Leutschenbach, scheint unter Hochspannung zu sein. Es berührt den Boden kaum, die Tragstruktur balanciert die Lasten der aufeinandergetürmten Nutzungen ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Die gleiche Spannung ist im Innern zu spüren, auch wenn die Fachwerkträger nicht immer zu sehen sind und es nicht auf Anhieb klar ist, wie die Statik überhaupt funktioniert. Kräfte werden über Umwege spazieren geführt, bevor sie den Boden erreichen. Es wäre einfacher gegangen. Ein paar Stützen hier und da diskret platziert — wer würde den Unterschied schon sehen? Kaum jemand, doch spüren würde man ihn bestimmt.

Der Architekt ist seinen Weg konsequent gegangen und hat alles seinem Konzept untergeordnet. Das ist seine grosse Leistung. Die Betonoberflächen sind nicht perfekt, der Ausbau ist karg, konstruktive Ausnahmen gibt es zuhauf. An irgendeinem anderen Bau würde man das beklagen, hier ist das sekundär. Kerez hat die richtigen Prioritäten gesetzt. Nur im Erdgeschoss musste das Konzept vor der Nutzung zurücktreten — und prompt ist
es daneben geraten: Nie und nimmer dürfte es verglast sein.

Republikanisch geschärft

Benedikt Loderer: Zwei Gründe, warum ich das Schulhaus Leutschenbach gut finde: Es ist republikanisch und es ist geschärft. In Schwamendingen leben viele jener Leute, denen man eine bildungsferne Herkunft nachsagt und die ihre Kinder nicht vor allem zum Lernen anstacheln. Für sie baute die Stadt Zürich ein republikanisches Schulhaus. Es ist ein Versprechen. Nie, sagt die Stadt, werden wir vom Prinzip der allgemeinen und obligatorischen Volksschule abweichen. Wir wollen weder Kloster-, noch Koran- oder Eliteschulen. Vor der Schule ist jedes Kind gleich und wir geben keines auf. Wir bilden sie zu Zürchern. Wir bauen Integrationsschulen. Dort, wo die Kinder am schwierigsten sind, machen wir nicht weniger, sondern mehr. Wir sparen nicht an den Bedürftigen. Gut genug gibt es nicht, wo es ein Mehr braucht. Das Schulhaus repräsentiert den Bildungsanspruch der Stadt. Dieses republikanische Schul- und Selbstverständnis strahlt das neue Schulhaus aus. Das Konzept ist einfach: Kerez stapelt. Er setzt die Nutzungen nicht neben-, sondern schichtet sie übereinander. Den Rest des Grundstücks lässt er frei. Das Konzept überzeugte im Wettbewerb, doch dann begann die Arbeit. Es nahm die Hürden der Feuerpolizei, bewältigte das gerade geltende pädagogische Programm, überwand die Schwierigkeiten seiner eigenen Statik, besiegte den Kostendruck, kurz, es wurde verwirklicht.

Selbstverständlich sieht es heute anders aus als im Wettbewerb — aber nicht verwässert, sondern geschärft. Kerez ist einer der wenigen Architekten, die Konzessionen machen können, ohne Schaden an ihrem architektonischen Konzept zu nehmen. Er ist nicht stur, er ist nur konsequent. Er weiss: Wer alles verteidigt, verteidigt nichts. Und er weiss, was er aufgeben kann, um das zu behalten, was er unbedingt haben will. Selektives Wichtignehmen heisst diese Schärfungskunst. Kerez ist ein Meister darin.

Die Konsequenzen der Konsequenz

Rahel Marti: Christian Kerez will konsequente Architektur schaffen. Er kämpft für die Reinheit der einen, einfachen Idee. Offenbar gelang es ihm, die Beteiligten für diese heroische Haltung zu gewinnen. Kerez stapelt, der Park soll frei bleiben. Er baut Glaswände, dazwischen soll Raum zum Lernen entstehen. Er will ein klares und rohes Schulhaus, in dem sich Schülerinnen und Lehrer entfalten. Paradoxerweise braucht es dafür ein komplexes Tragwerk und Bauarbeiten, die ein Jahr länger dauerten als geplant. Was aussieht wie eine strukturalistische Höchstleistung, ist eine Reihung von Ausnahmen und Kompromissen. Um etwa den Park ins Haus fliessen zu lassen — und dies bildlich, denn in der Tat gibt es ja eine Glasfassade —, ist das Gebäude an einer komplexen Fachwerkkonstruktion aufgehängt. Um die Reinheit dieser statischen Idee zu belassen, nimmt der Architekt verschiedenste Fachwerkdimensionen und damit verschiedenste Deckenfelder in Kauf, was zu zahllosen konstruktiven Anpassungen führt. Um den freien Grundriss in den Treppenhallen zu ermöglichen, sind breite, umlaufende Fluchtbalkone nötig. Damit hier keine Kinder herumrennen, werden sich Lehrerinnen und Lehrer Regeln ausdenken müssen. Um die Transluzenz des Industrieglases nicht zu stören, sind an den Wänden der Schulzimmer und der Turngarderoben nicht metallene Kleiderhaken montiert, sondern kleine, ab - bruchgefährdete Plastikhaken aufgeklebt. Die Konsequenz reicht soweit, dass Kerez auch Massnahmen durchsetzt, die mit pädagogischen Zielen nichts mehr zu tun haben. Etwa, dass keine Leuchten, dass nichts von den hohen Decken hängen darf, was aufwändige Betoneinlegearbeiten erforderte. Man wird sehen, denn nun muss sich das aussergewöhnliche Schulhaus bewähren. Sonst war die reine Idee architektonischer Selbstzweck und der Preis dafür hoch.

hochparterre, Mo., 2009.10.12



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11. August 2009Werner Huber
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Fünfzig Jahre Verkehrsmuseum

Zum Jubiläum schenkt sich das Museum in Luzern einen Umbau. Das Architekturbüro Gigon / Guyer verhilft zu neuem Glanz.

Zum Jubiläum schenkt sich das Museum in Luzern einen Umbau. Das Architekturbüro Gigon / Guyer verhilft zu neuem Glanz.

Wann waren Sie zum letzten Mal im Verkehrshaus in Luzern? Als Kind vor Jahrzehnten mit Ihren Eltern oder auf der Schulreise? Erinnern Sie sich an das starre Rössli vor dem Tram, an die aufgeschnittenen SBB-Waggons und die Coronado im Hof? Vielleicht waren Sie auch erst vor wenigen Jahren dort, mit Ihren Kindern oder gar Enkeln. Dann ist bestimmt das wohlige «Weisch-no»-Gefühl heraufgekrochen und hat die alten Erinnerungen an frühere Ausflüge geweckt. Als Architektin oder Architekt haben Sie dann auch die Gebäude betrachtet, den Fünfziger- oder Siebzigerjahre-Charme begutachtet und gedacht: Hier müsste man wieder mal etwas machen!
Jetzt, pünktlich zu seinem fünfzigsten Geburtstag, hat das Verkehrshaus etwas gemacht: Zwei neue Häuser — FutureCom und Halle Strassenverkehr — und in der Mitte eine grosse Leere: die Arena. Die Neubauten gehen auf den Wettbewerb zurück, mit dem das Verkehrshaus vor zehn Jahren ein Entwicklungskonzept bis 2020 und einen Entwurf für eine neue Strassenverkehrshalle suchte. Das Zürcher Architekturbüro Gigon / Guyer schuf eine grosse, vielfältig nutzbare Freifläche im Zentrum des Museumskomplexes und gewann damit den Wettbewerb. Über Jahre, während denen das Museum seine strukturellen Probleme löste, passierte nichts; erst 2005 erhielten Gigon / Guyer den Auftrag — nicht nur für die Halle Strassenverkehr, wie in der ersten Etappe beabsichtigt, sondern auch für den neuen Eingang.

5000 glänzende Räder

Das Eingangsgebäude empfängt schon seit vergangenem November die Besucherinnen und Besucher des Verkehrshauses. Blickfang ist die Profilglas-Fassade, hinter der über 5000 Räder aller Art die Mobilität symbolisieren. Hauptsächlich prangt hier Altmetall in Form von Autofelgen, dazwischen eingestreut sind aber auch Holzräder, Schiffsschrauben, Steuer- und Transmissionsräder, die hinter der Glasmembran im Sonnenlicht glänzen. Einzelne Fensteröffnungen durchbrechen die Fassade und gewähren einen Blick ins Haus. Im Erdgeschoss öffnet eine Glasfront das Haus fast auf der ganzen Breite und gewährt den Blick quer durch die Halle. Auf einer grossen Fläche sind hier alle Funktionen angeordnet, die ein Museum braucht: Foyer, Kasse, Informationsstand und natürlich der grosse Shop. Direkt an die Eingangshalle angeschlossen sind auch die Halle Schienenverkehr, das IMAX-Kino und die beiden Restaurants, das bediente «Piccard» und das «Mercato» mit Selbstbedienung, das seine beiden gläsernen Finger weit in den Hof hinausstreckt.

In der Eingangshalle lenkt eine grosse Deckenöffnung den Blick nach oben, und eine Rolltreppe animiert zur Fahrt in den 1. Stock. Hier ist die Media-Factory untergebracht, einer der neuen ausstellerischen Höhepunkte des Verkehrshauses, der dem ganzen Eingangsgebäude auch den unglücklichen Namen «FutureCom» verliehen hat. Die Ausstellung thematisiert an elf Stationen die Welt der modernen Kommunikation. Insbesondere die Kinder sind fasziniert vom Fernsehstudio, in dem sie in originaler Umgebung mit echter Technik Beiträge und Sendeabläufe gestalten können. Die Architektur spielt hier kaum mehr eine Rolle; verlangt war eine beliebig bespielbare schwarze Kiste. Immerhin konnten die Architekten zwei Fenster in die Fassade schneiden. Davon ist eines zwar abgedeckt, kann jedoch problemlos geöffnet werden, wenn sich die Museumslandschaft dereinst von der Blackbox verabschiedet. Viel Platz nimmt in diesem Geschoss die Haustechnik ein, eine Folge des Budgets und des Hochwassers von 2005. Im zweiten Obergeschoss des FutureCom-Gebäudes ist das Konferenzzentrum mit einem fünfhundertplätzigen Saal und drei Sitzungszimmern untergebracht. Hier gewähren grosse Glasflächen den Blick aus dem Foyer ins Museumsgelände und auf den See. So konnten die Architekten die Verkehrshausatmosphäre ins Haus holen, ohne den Raum mit Versatzstücken von Autos, Eisenbahnen oder Flugzeugen dekorieren zu müssen.

344 bunte Tafeln

Bereits aus der neuen Eingangshalle ist der zweite Neubau auf dem Museumsgelände zu sehen: die Halle für Strassenverkehr. Blaue Verkehrsschilder, die schon bei wenig Licht hell leuchten, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Unweigerlich beginnt man zu lesen: «Grenchen, Arch, Büren a. A.», «Bellinzona Sud, Locarno, Polizia», «Tuggen 1000 m»; Ortsnamen aus der ganzen Schweiz geben sich hier ein Stelldichein. An der rechten Fassade sind die Tafeln grün wie auf der Autobahn, und die weissen Schilder der Nebenstrassen bekleiden die linke Fassade. Die Schilder an der Rückseite des Hauses sind verkehrt herum aufgehängt, die Nachbarn schauen also von hinten auf die Tafeln. Mit diesen Fassaden reagierten Gigon / Guyer auf den Wunsch der Ausstellungsmacher nach einer Blackbox.

Das Wettbewerbsprojekt von 1999 war nämlich noch ein grosszügig verglastes Gebäude aus Wandscheiben und aussen liegenden Rampen, bei dem innen und aussen eng ineinander verzahnt waren.
Der Schilder-Schild ist eine originelle Lösung für die «dekorierte Kiste», ohne dem Sauglattismus zu verfallen. Bei Venturis «Learning von Las Vegas» haben wir gelernt, wie der Autoverkehr — oder vielmehr die auf das schnelle Auto ausgerichtete Beschilderung — die Architektur beeinflusst. Noch stimmiger wäre das Bild, wenn man (wie ursprünglich beabsichtigt) hier auch Altmetall, nämlich gebrauchte Tafeln montiert hätte, die dann nicht nur Fassade, sondern auch Ausstellungsgut wären. Jetzt sind es jedoch Duplikate von bestehenden Schildern. «Falsch» sind einzelne Schilder wie jenes für die Route 66 oder der Wegweiser nach Moskau, Kiew und Murmansk oder das Beton-Schild, das auf die Konstruktion verweist.

Im Innern ist die Strassenverkehrshalle zweigeschossig und flexibel nutzbar. Fix eingebaut als starker Rücken des Hauses ist die Hauptattraktion: ein Hochregallager, das die ganze Längsseite einnimmt und auf 42 Paletten über 80 Zeitzeugen zeigt — von der Kutsche übers Velo bis zum Auto. Im Autotheater gleich nebenan wählen die Besucher ihr Lieblingsgefährt aus, das der Parkierroboter dann aus dem Regal holt und auf der Drehscheibe des Theaters zur genauen Betrachtung abstellt. Mehrere Themeninseln sind weiteren Aspekten des Strassenverkehrs gewidmet und in einem Schauatelier können die Besucher verfolgen, wie das Verkehrshaus seine Fahrzeuge konserviert und restauriert.

Auch in dieser Halle zieht sich die Architektur gegenüber der Ausstellung in den dunklen Hintergrund zurück. Sie ist die neutrale Hülle, die jeden be-liebigen Inhalt zulässt — «architektonische Instrumente», auf denen irgendwelche «Melodien» gespielt werden können, wie es Annette Gigon ausdrückt. Jeglicher Bezug nach aussen fehlt, denn auch sind die beiden Fenster weitgehend zugeklebt und werden es wohl auch bleiben. Wer in der Halle ist, blendet das übrige Verkehrshaus zwangsläufig aus.

Ein grosser Platz

So eindrücklich die beiden Neubauten auch sind — die Halle Strassenverkehr gar mit Ikonenpotenzial —, die grösste Überraschung im neuen Verkehrshaus bereitet die grosse Leere in dessen Mitte. Woher kam plötzlich dieser Platz? Ganz einfach: Die Gebäude von 1959 mussten weichen. Nun erinnert einzig der alte Teil der Abteilung Schienenverkehr an die heiteren Bauten und den idyllischen Gartenhof des ersten Verkehrshaus-Architekten Otto Dreyer. Man mag diesen Verlust bedauern, sollte dabei aber die Gewinnseite beachten.

Mit der Öffnung der Anlage gehören jetzt auch Gebäude, die bislang etwas peripher lagen, zum Ensemble, etwa die Hallen Luftverkehr und Schifffahrt aus den Siebzigerjahren von Hans Ulrich Gübelin. Stolz weisen der frisch lackierte Coronado-Jet und das Dampfschiff Rigi auf ihre Abteilungen. Im grossen Hof bildet ein flaches Wasserbecken die Zäsur zwischen dem öffentlichen Bereich und dem Museum; das Eintrittsbillett ist der Brückenzoll. Etwas im Abseits scheint einzig die Halle Schienenverkehr von Uli Huber zu stehen, obschon sie eine ganze Platzseite besetzt. Doch die davor im Freien ausgestellten Waggons sind nicht gerade die Prachtstücke der Sammlung, ausserdem besetzen der Verkehrsgarten und die Strassenbauarena den Vorplatz des Schienenverkehrs. Die beiden bei den Kindern beliebten Einrichtungen und auch die Steuerpulte der Modellschiffe und die Lastwagenfahranlage erscheinen wie zufällige Ablagerungen auf der leeren Bühne der Arena. Es hätte der Arena an dieser Flanke gut getan, wenn diese wohl dauerhaften Spielgeräte in einen gestalterischen Rahmen eingebunden wären, dies umso mehr, als nun die spielenden Kinder der Sonne ausgesetzt sind. Die Idee, Baumtröge wie an der Expo.02 mit Rädern auszustatten, war eine reizvolle Idee, die sich jedoch nicht verwirklichen liess — mehr als eine Saison hätten die Gehölze kaum überlebt. Nun muss man sich in den Schatten der Flugzeuge und temporären Installationen zurückziehen.

Nutzen wird das Verkehrshaus die Arena als Ort für Sonderausstellungen und Veranstaltungen, ohne die ein Museum heute kaum mehr funktionieren kann. Die grosse Betonplatte in der Mitte bietet dazu alle Möglichkeiten. Über einen Fahrweg durch die Eingangshalle gelangt auch der beliebte Oldtimercorso in die Arena. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag hat das Verkehrshaus die Voraussetzungen dafür geschaffen, auch weiterhin das meistbesuchte Museum der Schweiz zu bleiben. Es ist jetzt nicht nur eine Verkehrs-, sondern auch eine Architekturdestination.

hochparterre, Di., 2009.08.11



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17. Juni 2009Werner Huber
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Gleichberechtigte Partner

Das Grundstück am Ende der Sackgasse, dort wo das Einfamilienhausquartier in die Landwirtschaftszone übergeht, bot Platz für drei Wohnungen. Reihenhäuser?...

Das Grundstück am Ende der Sackgasse, dort wo das Einfamilienhausquartier in die Landwirtschaftszone übergeht, bot Platz für drei Wohnungen. Reihenhäuser?...

Das Grundstück am Ende der Sackgasse, dort wo das Einfamilienhausquartier in die Landwirtschaftszone übergeht, bot Platz für drei Wohnungen. Reihenhäuser? So ist das eingeklemmte Mittelhaus be­nachteiligt. Geschosswohnungen? So hat die mittlere Wohnung weder Garten noch Dachterrasse. Daher entwickelten die m3 Architekten aus Zürich ein sternförmig organisiertes Dreieinfamilienhaus. Darin ist jeder Teil gleichberechtigt, hat einen Garten und eine Dachterrasse mit Blick ins Glattal. Die drei Wohneinheiten sind bis auf die Ausrichtung identisch, stehen mit dem Rücken zueinander und bilden dort den spannendsten Raum des Dreizacks: den Lichthof über der gemeinsamen Eingangshalle. Wer das Haus von aussen betrachtet, versteht auf Anhieb nicht, wie es funktioniert. Die drei Teile sind nicht sofort zu erkennen, denn die einheitliche Farbe, die Einschnitte im Attikageschoss und das Spiel mit Fensterformaten verwischen die Eigentumsgrenzen. In jedem der drei Hausteile gibt es auf drei Geschossen 7 ½ Zimmer — und die sind intensiv genutzt: Neun Kinder sind hier daheim.

hochparterre, Mi., 2009.06.17



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06. April 2009Werner Huber
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Bildung im Klinkerkleid

Dem Careum ist ein starker Auftritt gelungen. Die Mauern bieten der Schule mehr Platz und verleihen dem Platte-Quartier einen neuen Charakter.

Dem Careum ist ein starker Auftritt gelungen. Die Mauern bieten der Schule mehr Platz und verleihen dem Platte-Quartier einen neuen Charakter.

Die Platte, eine Geländestufe am Zürichberg, ist seit Langem ein Brennpunkt des Gesundheitswesens und der Architektur. Das jüngste Familienmitglied ist der Careum Campus, eine Überbauung von GWJ Architekten mit dem Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe und Wohnungen. Dort wo die Platte in den Hang übergeht, stehen fünf kantige, in Klinker gehüllte Kuben. Die Hauptrolle spielt das Schulgebäude an der Ecke Gloria- / Pestalozzistrasse, das mit einem «Schaufenster» in die Stadt blickt. Dahinter ragt eine höher gestellte Hausscheibe mit weiteren Schul- und Laborräumen empor. Diese spannt mit dem Haupthaus einen Winkel auf und umschliesst den dreieckigen Platz, den eine Sandsteinklippe von Piero Maspoli gegen die Strasse abschliesst. Drei weitere Gebäude stehen im hinteren Teil des Areals; im einen gibt es Büros in den Sockel- und Wohnungen in den Obergeschossen, die beiden anderen sind Wohnhäuser.

Harte Hülle

GWJ Architekten haben den Careum Campus als ein Stück Stadt komponiert. Die fünf Häuser vermitteln zwischen dem grossen Massstab des Spital- und Hochschulquartiers mit dem Zahnärztlichen Institut und dem Schwesternhochhaus in der unmittelbaren Nachbarschaft und der kleinmassstäblichen Bebauung des Zürichbergs. Die Architekten nutzten das abfallende Gelände, um Höfe und Terrassen zu bilden, die Landschaftsarchitekten Klötzli und Friedli haben diese Aussenräume gestaltet.

Wer durch die Höfe und Gassen spaziert, begibt sich auf eine Promenade architecturale; zwischen den Neubauten hindurch öffnen sich Blicke auf die anderen Bauten des Campus, auf die stolzen Villen des Zürichbergs oder auf die Grossbauten der Sechzigerjahre. Die verschiedenartig gemauerten Klinkersteine verbinden die unterschiedlich genutzten Gebäude zu einem Ensemble: An den Sockelbereichen, an den Deckenstirnen und den Stützmauern bilden Läuferverbände homogene Flächen, in den Geschossen ist jede zweite Läuferschicht zurückgesetzt, sodass eine starke horizontale Zeichnung entsteht, die entweder als geschlossene Wand oder als lichtdurchlässiges Gitter ausgeführt ist.

Im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten changieren die Fassaden in unterschiedlichen Farben, nicht nur dank dem lebendigen Material, sondern auch dank dem Relief, das wie ein präzises Ornament über den Gebäuden liegt. Der Klinker ist als Material so dominant, dass man erst auf den zweiten Blick die unterschiedlich gros-sen, aber immer geschosshohen Öffnungen registriert — Fensterbänder an den Schulgebäuden, Lochfenster an den Wohnhäusern.

Weicher Kern

Das Herzstück des Hauptgebäudes ist die sogenannte «Kommunikations- und Bildungslandschaft» mit Bibliothek, Cafe-teria und Studierhof im Erd- und Sockelgeschoss. In den Obergeschossen sind die vielfältig nutz- und umnutzbaren Unterrichtsräume untergebracht. Dazu gehören die «Skillslabs», originalgetreu nachgebildete Krankenzimmer und Operationsräume, in denen die künftigen Pflegefachfrauen und -männer üben können — zum Teil an Schauspielerpatienten. Das Gebäude erinnert weniger an ein Schulhaus, bei dem die pädagogischen Anforderungen in Beton gegossen oder in Stein gemauert sind, sondern eher an ein Bürogebäude. Wer an die Trennwände klopft, stellt fest: Leichtbau! Die Raumaufteilung ist eine Momentaufnahme der aktuellen Bedürfnisse. Wandeln sich diese, bricht man die Wände mit wenig Aufwand ab und zieht sie an anderer Stelle neu ein.
Massiv und unverrückbar ist das Gebäude hingegen in seinem Kern. Treppenturm und Lichthof verbinden die «Bildungslandschaft» der unteren mit den Unterrichtsräumen der oberen Geschosse. Urs Eberles kräftige farbliche Gestaltung dieser beiden Räume unterstreicht die Bedeutung dieser Vertikalen als Orte der Kommunikation.

Das Erbe des Pfarrers

So neu die Gebäude und so modern der Name, so alt ist die Tradition, die hinter dem Careum steht. Im Jahr 1880 regte Pfarrer Walter Bion an, eine Anstalt zu gründen, an der Krankenpflegerinnen frei von religiöser Propaganda ausgebildet werden können. 1882 nahm sie ihre Arbeit auf und wurde bald zur Stiftung. Die Ausbildung war immer das wichtigste Standbein, obschon das angegliederte Rotkreuzspital in der Öffentlichkeit bekannter war. Als in den Neunzigerjahren die Belegung stark zurückging, prüfte die Stiftung Kooperationen mit anderen Privatspitälern. Diese waren aber nicht realisierbar, auch wegen des Vetos der kantonalen Gesundheitsdirektion, die Akutbetten und Kosten reduzieren wollte.

Schliesslich beschloss die Stiftung, das Rotkreuzspital Ende September 1997 zu schliessen. «Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende», meinte Stiftungspräsident Arnold Saxer.
Die Neuausrichtung zielte auf die Erhaltung der Bildung in den Gesundheitsberufen. Dafür wurde eine neu konzipierte Berufsschule für Pflege geplant. Neben der Schule sollten aber auch Wohnungen des mittleren und oberen Segments entstehen. Dies, um den gesetzlichen Wohnanteil von vierzig Prozent zu erfüllen, aber auch als Immobilienanlage, deren Erträge wieder in den Stiftungszweck investiert werden.

Zwei Workshops mit der Stadt Zürich bildeten die Basis für die Planung. Ende 1999 lud die Stiftung fünf Architektenteams zu einem begleiteten Studienauftrag ein. «Begleitet» heisst, dass die Architekten während des Verfahrens ihre Skizzen und Entwürfe in zwei Workshops vorstellten.

Nicht hinter verschlossenen Türen planen

Die erste Veranstaltung fand im Februar 2000 statt. Das Tagesziel waren eine Auslegeordnung der städtebaulichen und planerischen Strategie sowie das Verhältnis zwischen Alt- und Neubauten. Während des ganzen Tages waren auch sämtliche Wettbewerbsteams anwesend. Am Abend wusste also nicht nur die Stiftung, in welche Richtung die einzelnen Teams arbeiteten, sondern auch die Konkurrenten waren gegenseitig über ihre Konzepte orientiert.

Im zweiten Workshop im Mai 2000 stellten die Teams ihre Projekte unter Ausschluss ihrer Konkurrenten vor. «Erhärtung der Projektstrukturen» lautete das Tagesziel. Die letzte Runde des Studienauftrags endete mit der Abgabe der fünf Projekte im Sommer 2000 und dem Entscheid des Beurteilungsgremiums.
Mark Werren von GWJ Architekten erinnerten die Workshops an die Zwischenkritiken zu Studienzeiten: «Dieses Verfahren hat uns motiviert. Wir lernten die Bauherrschaft kennen und verstanden, welche Programmpunkte noch offen sind.» Damals war in der angestrebten neuen Art der Ausbildung noch nicht alles definiert und die Stiftung gewann die Erkenntnis, dass sie das Projekt allenfalls etappieren oder einzelne Bauten erhalten will — was schliesslich ein wichtiger Punkt für die Wahl von GWJ Architekten war. Als einziges skizzierte ihr Projekt die Verwirklichung in zwei voneinander unabhängigen, städtebaulich überzeugenden Etappen.

Neue Schule fürs neue Haus

Parallel zu den Planungen am neuen Haus arbeitete die «Stiftung Schwesternschule und Krankenhaus vom Roten Kreuz in Zürich-Fluntern», wie sie immer noch hiess, an den neuen Ausbildungsgängen. Der Kanton wollte seinerseits die 26 bestehenden Ausbildungsstätten für Gesundheitsberufe auf zwei reduzieren, in Winterthur und in Zürich. Mit der neuen Ausbildung und dem neuen Haus, das bereits im Bau war, stand die Stiftung für diese Aufgabe bereit. Die Bemühungen haben sich gelohnt: Anfang 2005 wurde mit dem Kanton Zürich die Leistungsvereinbarung abgeschlossen. Zusammen mit den drei Partnern Kalaidos, Neumünster und Eleonorenstiftung wurde das «Careum Bildungszentrum, Zürich» gegründet. Damit waren die Voraussetzungen für den Start der zweiten Bauetappe gegeben.
Für die Gebäude, die nicht vom eigenen Bildungszentrum benötigt werden, wurden weitere Mieter gesucht, die dem Stiftungszweck entsprechen. So zogen die Medizinbibliothek der Universität und des Universitätsspitals, das Dekanat und das Studiendekanat der Medizinischen Fakultät ins Haus. Dazu gesellten sich weitere Institutionen aus dem Gesundheits- und Bildungsbereich. Doch auch die Stiftung Careum expandierte, gründete einen Verlag oder ein Fachportal im Internet.

Das erste Jahr unter Vollbetrieb ist abgeschlossen; gegen 2000 Studierende beleben den Campus — zur Zufriedenheit aller, wie Stiftungsrat René Kühne unterstreicht: «Die Reaktionen der Schülerinnen und der Bewohner sind positiv. Das hat nicht zuletzt mit der Architektur zu tun.»

hochparterre, Mo., 2009.04.06



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16. Januar 2009Werner Huber
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Mit Ecken und Kanten

Gedrungen steht der grünlich schimmernde St.-Jakob-Turm zwischen dem Stadion St.-Jakob und dem Flüsschen Birs. Auf einen Blick ist seine Form kaum zu erfassen....

Gedrungen steht der grünlich schimmernde St.-Jakob-Turm zwischen dem Stadion St.-Jakob und dem Flüsschen Birs. Auf einen Blick ist seine Form kaum zu erfassen....

Gedrungen steht der grünlich schimmernde St.-Jakob-Turm zwischen dem Stadion St.-Jakob und dem Flüsschen Birs. Auf einen Blick ist seine Form kaum zu erfassen. Vielwinklig im Grund- und Aufriss ragt er samt Sockel 19-geschossig in die Höhe. Doch weil die obersten 10 Geschosse spitz zulaufen, sieht man dem Turm seine Höhe nicht an, und wenn man genug nahe steht, fällt die obere Hälfte gänzlich aus dem Sichtfeld. Ein Hochhaus, das sich klein macht? Wendet man den Blick aufs Ganze, erklärt sich der Turm fast von selbst — als Schlusspunkt und Ausrufezeichen in der Silhouette des St.-Jakob-Parks.

Der Sockelbau mit der Eventplattform auf dem Dach und dem Autohaus in der Ecke schliesst nahtlos ans Bestehende an und im Untergeschoss dockt der Neubau an das Einkaufszentrum und vervollständigt die Mall zu einem Rundgang. Die Schrägen und die schiefen Ebenen, die das St.-Jakob-Stadion und die angegliederte Altersresidenz prägen, haben die Architekten weitergestrickt und am Turm in die Höhe gefaltet.

Gegen die Bahnlinie in seinem Rücken überzieht eine geschlossene Glasfassade aus raumhohen Elementen den Turm. Hier — gegen Norden — sind Büroräume und Dienstleistungsflächen angeordnet. Richtung Süden wird die Fassade zu einer raumhaltigen Schicht. Die grünlich schimmernden Gläser verjüngen sich zu Brüstungs- und Schürzenelementen vor einem schmalen Loggiastreifen. Konventionelle Holzfenster mit Rafflamellenstoren bilden hier die Klimagrenze und weisen auf die dahinter liegende Nutzung hin: Wohnen. Insgesamt gibt es in dieser besser besonnten Turmhälfte zwischen dem 5. und dem 17. Stock 37 Wohnungen von 2 ½ bis 5 ½ Zimmern. Die vier obersten Geschosse sind vollständig dem Wohnen vorbehalten.

Wie die Gesamtform fügt sich auch die Detaillierung des St.-Jakob-Turms ins Stadionensemble ein: Was aus der Ferne als filigrane Glashaut erscheint, entpuppt sich aus der Nähe als robuste Konstruktion, die zudem so weit vom Boden abgehoben ist, dass sie kaum vom rauen Treiben der Fussballfans tangiert ist; der Turmfuss schafft hier Distanz.

hochparterre, Fr., 2009.01.16



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13. Oktober 2008Werner Huber
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In Alt bau neu

Das Doppeleinfamilienhaus stammt von 1911 und besass die für jene Zeit typische kleinräumige Struktur. Um grosszügige Räume zu schaffen und die heutigen...

Das Doppeleinfamilienhaus stammt von 1911 und besass die für jene Zeit typische kleinräumige Struktur. Um grosszügige Räume zu schaffen und die heutigen...

Das Doppeleinfamilienhaus stammt von 1911 und besass die für jene Zeit typische kleinräumige Struktur. Um grosszügige Räume zu schaffen und die heutigen bauphysikalischen Anforderungen zu erfüllen, wäre ein Neubau der einen Haushälfte möglich gewesen, denn geschützt war sie nicht. Doch die Sicherung der anderen Hälfte wäre aufwendig gewesen, der gestalterische Anschluss schwierig. Also entschied man sich zum Neubau in der alten Hülle. Diese neue Füllung ist ein von der alten Fassade unabhängiger Massivbau mit durchlaufenden Decken ohne tragende Zwischenwände. Ein Lift verbindet die vier Geschosse miteinander, steift das Gebäude aus und zoniert die Flächen. Zwei gegen die Strasse und den Garten gerichtete grosse Erker transformieren das neue Innere nach aussen und sie kompensieren die Fläche, die durch die verdoppelten Aussenwände verloren ging. Im Erdgeschoss liegt der Wohn- und Essraum mit der Küche, im ersten Stock die Schlafzimmer und das Bad und der zweite Stock ist für Gäste eingerichtet. Im Untergeschoss gibt es einen Wellnessbereich. Wände und Decken sind durchgehend mit einem glatten, weissen Putz überzogen, der den nach wie vor nicht allzu grossen Räumen mehr Weite gibt. Am Boden liegt ein dunkler Basaltino.

hochparterre, Mo., 2008.10.13



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11. März 2008Werner Huber
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Gewordenes Wahrzeichen

Schon vor Baubeginn machte die Jugendherberge in Scuol aufgrund der Ausstellung ‹Werdende Wahrzeichen› von sich reden. Jetzt ist sie ein gewordenes Wahrzeichen,...

Schon vor Baubeginn machte die Jugendherberge in Scuol aufgrund der Ausstellung ‹Werdende Wahrzeichen› von sich reden. Jetzt ist sie ein gewordenes Wahrzeichen,...

Schon vor Baubeginn machte die Jugendherberge in Scuol aufgrund der Ausstellung ‹Werdende Wahrzeichen› von sich reden. Jetzt ist sie ein gewordenes Wahrzeichen, das sich in die Perlenkette der Schweizer Jugendherbergen einreiht (Beilage zu HP 3/05). Die Herberge in Scuol ist die erste gänzlich neu erstellte ‹Jugi› seit Jahren. Die vier Engadiner Architekten, die sich für das Projekt in der ARGE Sursass zusammenschlossen, bauten Engadiner Architektur frei von Kitsch und Anbiederung. Das Dach des Monolithen ist leicht geneigt, die vier Wände sind jeweils leicht geknickt. Die Fenster der 45 Zimmer haben tiefe Leibungen und sitzen in unregelmässigen Abständen in der Fassade. Übereck-Fenster und grosse Gläser kennzeichnen die Gemeinschaftsräume, schmale Schlitze bieten Ausblick aus den Korridoren. Der Grundriss bringt an den Tag, wie das Haus aufgebaut ist: Im Zentrum steht der Kern mit Treppe, Lift und gemeinschaftlichen Sanitärräumen, darum herum sind, leicht aus der Orthogonalen abgedreht und in gebührendem Abstand zueinander, vier Zimmerblöcke angeordnet. Darin gibt es Zweier- und Viererzimmer mit eigener Dusche und Sechserzimmer, die die Gemeinschaftsanlagen benutzen. Obschon sich die Jugendherberge an ein eher junges Publikum richtet, wollten die Architekten keine coole Stimmung erzeugen: «Wir sind in den Bergen und das soll man auch spüren», sagen sie. Das ist ihnen gelungen, auch wenn – oder weil – das knappe Budget den Ausbau auf wenige Materialien beschränkte; Beton, Holz und Putz bestimmen das Bild. Das Schmuckstück des Hauses ist die ganz in Holz ausgekleidete Stüva mit grossem Eckfenster. Allein der Hartnäckigkeit der Architekten ist es übrigens zu verdanken, dass auf den Zimmerböden Holz und nicht der jugi-standardmässige Linoleum liegt. Eigentlich dürfte es diese Jugendherberge gar nicht geben. Gemäss der dreistufigen Netzwerkstrategie ist Scuol ein B-Standort – zwar national bekannt, aber nicht zwingender Ort für eine Jugendherberge. Weil das Unterengadin bislang ein weisser Fleck auf der Karte war, haben die Jugendherbergen den Pfad der Tugend verlassen. 2001 schloss die Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus einen Baurechtsvertrag mit dem Bauernverband Unterengadin ab, der auf dem Grundstück früher seinen Viehmarkt abgehalten hatte. Doch dann zogen düstere Wolken über dem Projekt auf: In Scuol sollte ein Hotel ‹Cube› (HP 4/06) errichtet werden. Das wäre das Aus für die ‹Jugi› gewesen, denn für zwei Hotels mit ähnlichem Publikum gibt es keinen Platz. Erst als sich dieses Projekt zerschlagen hatte, nahmen die Jugendherbergen ihr Vorhaben wieder auf. Im April 2005 sicherten die Bergbahnen (einer der ‹Cube›-Promotoren) und die Gemeinde die Finanzierung zu und im selben Jahr fand der Studienauftrag statt. Die Bauzeit betrug gerade mal ein halbes Jahr.

hochparterre, Di., 2008.03.11



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Jugendherberge



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11. März 2008Werner Huber
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Blickfeld der alten Römer

Weil der Kanton Zürich die Werkhöfe von Uster und Pfäffikon an einem Ort konzentrieren wollte, entschloss er sich, denjenigen in Pfäffikon zu erweitern....

Weil der Kanton Zürich die Werkhöfe von Uster und Pfäffikon an einem Ort konzentrieren wollte, entschloss er sich, denjenigen in Pfäffikon zu erweitern....

Weil der Kanton Zürich die Werkhöfe von Uster und Pfäffikon an einem Ort konzentrieren wollte, entschloss er sich, denjenigen in Pfäffikon zu erweitern. Das Areal liegt zwischen Bahnlinie und Strasse am südöstlichen Rand des Orts. Jenseits der Bahn ragt die Ruine des römischen Kastells empor und blickt über die Moorlandschaft, die sich bis zum nahen Ufer des Pfäffikersees erstreckt. Ein z-förmiger Anbau aus Werkhalle, Dienstgebäude und Salzsilo ergänzt die bestehende Halle und schafft zwei Höfe: den Vorplatz an der Hauptstrasse und den abgeschirmten Werkhof. Die Neubauten sind in Holz konstruiert und mit Lärchenschindeln verkleidet. Diese Haut unterstreicht die Plastizität der Baukörper und vermittelt zwischen den landwirtschaftlichen Bauten und den Wohn- und Gewerbebauten. Mit den Jahren wird die hölzerne Fassade verwittern und sich den Natursteinmauern des Kastells annähern. Im Kontrast dazu bestehen die Deckenuntersichten und die grossen Tore aus transluzentem Fiberglas, das nachts leuchtet. Ein gelungener Zweckbau, den das Architekturforum Zürcher Oberland 2007 mit dem Baupreis Zürcher Oberland ausgezeichnet hat.

hochparterre, Di., 2008.03.11



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Werkhof Irgenhusen - Erweiterung



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06. November 2007Werner Huber
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Das ‹neue Moskau› wird fünfzehn

Seit 15 Jahren ist in Moskau Bürgermeister Jurij Lushkow an der Macht. In dieser Zeit hat der Kapitalismus Einzug gehalten und aus der tristen Sowjetmetropole ist eine glitzernde Boomtown geworden. Es wird tüchtig gebaut und noch tüchtiger verdient an der Moskwa.

Seit 15 Jahren ist in Moskau Bürgermeister Jurij Lushkow an der Macht. In dieser Zeit hat der Kapitalismus Einzug gehalten und aus der tristen Sowjetmetropole ist eine glitzernde Boomtown geworden. Es wird tüchtig gebaut und noch tüchtiger verdient an der Moskwa.

«So etwas gab es noch nie in der Geschichte unseres Staates, in der Geschichte unserer Architektur und in der Geschichte unserer Stadt», sprach der Moskauer Bürgermeister Jurij Michajlowitsch Lushkow am 18. September anlässlich der Grundsteinlegung des Turms ‹Rossija›. 612 Meter hoch, so hoch wie kein anderes Gebäude in Europa, wird der von Norman Foster geplante und von Lushkow-Freund Schalwa Tschigirinskij bezahlte Bau aufragen! Das Internationale Moskauer Geschäftszentrum MMDZ ‹Moskwa-City›, in dem Lushkow den Grundstein des ‹Rossija›-Turms legte, liegt rund fünf Kilometer westlich des Kremls an der Moskwa. Auf einem Areal von 90 Hektaren soll im Endausbau für 10 bis 12 Milliarden Dollar eine Geschossfläche von 2,5 bis 3 Millionen Quadratmetern entstehen. Bereits hat die Stadt zwei Metrostationen gebaut, und die Automobilisten gelangen über den dritten Verkehrsring direkt ins MMDZ – falls sie nicht in einem der endlosen täglichen Staus stehen. 1991 genehmigte der damalige Bürgermeister Popow das Konzept der ‹Moskwa-City›, und im Frühjahr 1993 tauchten an den spärlichen Plakatwänden Moskaus Affichen auf, die für Aktien der ‹City› warben. Die Skizze einer Hochhausschar zeigte, worum es ging. Die Leute schüttelten den Kopf über ein solches Hirngespinst, doch die Promotoren meinten es ernst: Am 1. Dezember 1995 legte Premierminister Tschernomyrdin den Grundstein des MMDZ. In die ‹Baschni na Nabereshnoj› (Türme am Ufer) sind die ersten Mieter eingezogen, und auch das Geschäftshaus ‹Federazija› gehört zu den Pionieren der ‹Moskwa-City›. ‹Gorod Stoliz›, die Stadt der Hauptstädte, illustriert das russische Flair für bedeutungsschwere Namen: Die Überbauung besteht aus den Türmen ‹Moskau› und ‹St. Petersburg›, und es ist klar, welcher der grössere ist: ‹Moskau› mit 73 Geschossen stellt ‹St. Petersburg› mit bloss 62 in den Schatten. Auch der Turm ‹Rossija› hat bildliche Bedeutung: «Dieser Turm wird zum Symbol Russlands, das in die Zukunft, nach oben, gerichtet ist», sprach Jurij Lushkow, und Metropolit Kliment segnete die Baugrube.

Aufschwung und Krise

Die Zeremonie in den Fundamenten am Ufer der Moskwa war ein weiterer Höhepunkt in Lushkows Karriere. Diese dauert nun schon 15 Jahre, in denen der Bürgermeister seine Stadt geprägt hat wie kein anderer Magistrat in Europa. Dabei hatte damals, als er die Nachfolge des Glasnost- und Perestrojka-Reformers Gawriil Popow antrat, nichts nach einer Erfolgsgeschichte ausgesehen. Die Sowjetunion war soeben auseinandergebrochen, die Wirtschaft lag am Boden. Schon seit dem Beginn seiner Amtszeit macht sich Bürgermeister Lushkow jeweils samstags auf den Weg, um die Baustellen in seiner Stadt zu besuchen und korrigierend einzugreifen. In den ersten Jahren umfasste diese Fahrt wenige Stationen, die Neubauten liessen sich an einer Hand abzählen; nach dem Zusammenbruch der UdSSR mussten erst das wirtschaftliche und das politische System neu eingerichtet werden. Der Tiefpunkt war im Oktober 1993 erreicht, als Präsident Boris Jelzin das noch aus der Sowjetzeit stammende Parlament mit Panzern aus dem ‹Weissen Haus› vertrieb. Bürgermeister Lushkow kurbelte die Entwicklung seiner Stadt nach Kräften an. Mit der grossen Kelle richtete er im Vorfeld der 850-Jahr-Feier Moskaus an, die 1997 ins Haus stand. Er liess die unter Stalin gesprengte Christi-Erlöser-Kathedrale neu aufbauen und unter dem Manegeplatz ein dreigeschossiges Einkaufszentrum anlegen; der Zoo erhielt einen neuen Eingang und neue Tiere. Der Feier vom Herbst 1997 folgte im nächsten Sommer der Kater, als die Wirtschaft zusammenbrach. Doch nach dieser ‹Krisis› fasste die russische Wirtschaft bald wieder Tritt. Der von Präsident Jelzin als Nachfolger vorgeschlagene Wladimir Putin versucht bis heute Russland den Grossmachtstatus zurückzugeben. Die Russinnen und Russen danken es ihm mit Zustimmung, denn jetzt haben sie endlich das, was sie während der Neunzigerjahre so vermissten: Stabilität. Aus der abgehalfterten Sowjetmetropole von einst ist die überbordende Boomtown des kapitalistischen Russland geworden. Jurij Lushkow, dem Präsident Putin kürzlich den Segen zu einer weiteren – seiner fünften – Amtszeit gegeben hat, muss sich auf seinen Samstagsausflügen auf die wichtigsten Brennpunkte konzentrieren.

Viel Gebautes – wenig Architektur Anders als vor neunzig Jahren, als die Oktoberrevolution Architekten und Künstler zu Höchstleistungen beflügelte und Russland zu einem Brennpunkt des konstruktivismus wurde, sind heute in der Architektur kaum neue Impulse auszumachen. Kein Wunder, geht es doch heute nicht darum, eine grundlegend neue Welt zu erschaffen. Vielmehr sucht die russische Nation nach alten Traditionen und alter Grösse und bedient sich dabei einmal in der Zarenzeit, ein andermal in der Stalinzeit.

Moderne Architektur hatte in Russland schon immer einen schweren Stand, selbst der Konstruktivismus war ein Phänomen, das nur wenige Architekten praktizierten. Der sozialistische Realismus mit seinen Palästen für das Volk traf den Geschmack der Masse viel besser. Damit war aber 1955 Schluss, und die Architekten waren gezwungen, in modernen Formen Massenware zu produzieren. Dieser Druck liess Ende der Achtzigerjahre nach, das Pendel begann in die andere Richtung auszuschlagen. So war den Behörden die Unterstützung gewiss, als sie in den Neunzigern für Bauten in der Innenstadt den ‹Moskauer Stil› forderten – was immer auch darunter zu verstehen war. Einen Höhepunkt dieser Strömung markiert der ‹Triumph-Palast›, eine 265 Meter hohe schlechte Kopie eines der sieben stalinistischen Zuckerbäckerhochhäuser.

Seit einigen Jahren ist das Spektrum breiter geworden.

Architekturbüros wie ABD von Boris Lewjant oder Sergej Kiseljow und Partner (HP 3/02), die als kleine Kooperativen begannen, zählen heute über fünfzig Mitarbeiter und sind zu Garanten für Qualität geworden. Zudem rückt eine junge Architektengeneration nach, die von der Reisefreiheit Gebrauch macht und über das Internet kommuniziert. Diese Leute wissen, was sich auf dem internationalen Architekturparkett abspielt und lassen sich nicht durch ein Stildiktat einschränken. Allmählich dringen sie auch ins Stadtgebiet innerhalb des Gartenrings vor. So entdeckten die Projektentwickler die Qualitäten des zentral, aber dennoch ruhig gelegenen Ostoshenka-Quartiers, das zur ‹Goldenen Meile› avancierte. Hier entstanden für Gutbetuchte zeitgenössische Wohnbauten, frei von jeder russischen Dekoration und ein Zeichen dafür, dass die russische Architektur die Zeiten der Extreme hinter sich lässt.

Moskau in Gefahr!

Der Nachholbedarf an Geschäftsräumen liess die Mietpreise im Zentrum explodieren. Diesem Druck können die alten Häuser nicht standhalten, und der Denkmalschutz kann das Abbruchfieber nicht stoppen. Die russische Bauordnung beruht ebenso stark auf Beziehungen wie auf Paragrafen (HP 4/02), und schliesslich profitiert auch die Stadtkasse vom Boom. Dieser hat Elena Baturina, die Besitzerin der Immobilien- und Baufirma Inteko, zur reichsten Frau Russlands gemacht. Ihr Vermögen beträgt 2,3 Milliarden Dollar, ihr Ehemann heisst – Jurij Lushkow. Die ‹Chronik der Vernichtung des alten Moskau 1990–2006› verzeichnet 650 Bauten. Mancherorts steht nun ein Neubau, der alt tut, doch beliebt ist auch die Formel von Abriss und ‹verbessertem› Neubau. Diese kam beim Kaufhaus ‹Woentorg› von 1913 zur Anwendung, dessen neue Fassaden eine schlechte Mischung aus dem Altbau und den beliebten ‹neo-neoklassizistischen› Zutaten sind. So erging es auch dem Hotel ‹Moskwa›, das 1935 die Sowjetarchitektur einläutete. Angeblich wegen Baufälligkeit hat man das Gebäude platt gewalzt und baut es ‹verbessert› wieder auf. In Trümmer fielen auch das ‹Intourist›, das dem ‹Ritz-Carlton› Platz machte, und als grösstes das ‹Rossija›. Falls die Gerichte den Landhandel nicht stoppen (HP 1-2/07), wird auf dem Areal des grössten Hotels Europas die gleiche Trojka wie beim Turm ‹Rossija› – Bürgermeister Lushkow, Investor Tschigirinskij und Norman Foster – den Grundstein für ein neues Stadtquartier legen.


Architekturführer Moskau
Der Hochparterre-Redaktor Werner Huber hat 1992–1994 in Moskau gelebt und seither das Geschehen in der russischen Hauptstadt nicht aus den Augen gelassen. Sein Buch ‹Moskau – Metropole im Wandel› beleuchtet die städtebauliche und architektonische Entwicklung der Stadt von den Anfängen bis heute. Das Schwergewicht liegt dabei auf den Jahren nach 1935, als der Stalin-Plan den Grundstein für den Umbau der Stadt legte. Besondere Aufmerksamkeit wird zudem der Entwicklung der letzten 15 Jahre zuteil, in denen aus der sozialistischen eine kapitalistische Metropole wurde.
--› Werner Huber: Moskau – Metropole im Wandel, Böhlau Verlag, Köln 2007, CHF 35.40
--› Bestellung: 044 271 25 00, info@hochparterre-buecher.ch
--› Buchpräsentation: Hochparterre Bücher, Gasometerstrasse 28, 8005 Zürich, Donnerstag, 22. November 2007, 18 Uhr

Das Zentrum Moskaus
Neubauten und Rekonstruktionen:
1 MMDZ ‹Moskwa-City›
2 Christi-Erlöser-Kathedrale
3 Manegeplatz
4 Zoo
5 Wohnhaus ‹Triumph-Palast›
6 Ostoshenka-Quartier
7 Ehemaliges Kaufhaus ‹Woentorg›
8 Hotel ‹Moskwa›
9 Hotel ‹Ritz-Carlton› (ehem. ‹Intourist›)
10 Ehemaliges Hotel ‹Rossija›
Historisches:
11 Kreml
12 Roter Platz
13 Bolschoj-Theater
14 Zentrosojuz (Le Corbusier)
15 Neuer Arbat (ehem. Kalininprospekt)
16 Gartenring

hochparterre, Di., 2007.11.06



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06. November 2007Werner Huber
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Im Titanzinkpanzer

Der Bielersee ist ein beliebtes Naherholungsgebiet, und besonders an dessen Südufer gibt es inmitten der scheinbar unberührten Natur zahlreiche Wochenendhäuschen....

Der Bielersee ist ein beliebtes Naherholungsgebiet, und besonders an dessen Südufer gibt es inmitten der scheinbar unberührten Natur zahlreiche Wochenendhäuschen....

Der Bielersee ist ein beliebtes Naherholungsgebiet, und besonders an dessen Südufer gibt es inmitten der scheinbar unberührten Natur zahlreiche Wochenendhäuschen. Heute hier neu zu bauen, ist kaum möglich, und so musste sich auch dieses Haus präzise am ‹Fussabdruck› seines Vorgängers orientieren. Auf diese Basis stellten die Architekten einen scharf geschnittenen, vollständig mit vorverwittertem Titanzink verkleideten Baukörper. Dieser ist zwar mit einem herkömmlichen Satteldachhaus verwandt, doch die nahtlose Fassaden- und Dachhaut und die versetzte Firstlinie brechen diese Tradition gleich wieder. Einschnitte in dem kompakten Baukörper schaffen Raum für Terrassen und Vorzonen, die mit Eichenholz ausgekleidet sind. Im Innern überrascht das Haus durch seine Raumfülle und die vielfältigen Raumbezüge, die man in diesem kleinen Bau nicht erwarten würde. Die ganz in Weiss gehaltenen Wände und Decken verbinden sich zu einer Raumskulptur, die den Wohn- und Essbereich, die angrenzende Küche, den Korridor und vor allem auch die nach oben führende Treppe samt Galerie umfasst. Der dunkle, glänzende Boden des Erdgeschosses wirkt dabei wie ein Spiegel, der eine weitere Dimension ins Innere bringt. Neben diesem zusammenhängenden Raum, der die Enge geschickt überspielt, gibt es als geschlossene Zellen die Zimmer und die Sanitärräume.

hochparterre, Di., 2007.11.06



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02. Oktober 2007Werner Huber
hochparterre

Noblesse in ‹der Landlüten Hus›

Im Sommer 2005 wurde Sarnen überschwemmt und die Sarneraa setzte auch das Rathaus unter Wasser. Dies beschleunigte den geplanten Umbau. Die Architekturbüros Joos & Mathys mit Diener & Diener gewannen den Studienauftrag. Der gläserne Lift ist der Blickfang im umgebauten Haus, wo sich Alt und Neu kontrastieren, aber nicht konkurrieren.

Im Sommer 2005 wurde Sarnen überschwemmt und die Sarneraa setzte auch das Rathaus unter Wasser. Dies beschleunigte den geplanten Umbau. Die Architekturbüros Joos & Mathys mit Diener & Diener gewannen den Studienauftrag. Der gläserne Lift ist der Blickfang im umgebauten Haus, wo sich Alt und Neu kontrastieren, aber nicht konkurrieren.

Stolz ragt das Rathaus am Dorfplatz von Sarnen empor. ‹Der Landlüten Hus› mit seiner barocken Pracht ist der bedeutendste Profanbau des Kantons Unterwalden ‹ob dem Wald› und zeugt von seiner jahrhundertealten Geschichte. Dass ‹ob dem Wald› nicht ‹hinter dem Wald› bedeutet wird spätestens klar, wenn man die paar Stufen der Aussentreppe erklimmt und das Haus durch sein Hauptportal betritt. Zwar entspricht der edle Raum mit seinen feinen Stuckaturen an der Decke und dem feinen Sandsteinboden durchaus den Erwartungen. Doch mittendrin steht ein Schrank, hinter dessen gläsernen Wänden ein ebenfalls gläserner Vorhang den Durchblick verwehrt. Grosse, dunkle Rahmen fassen die Glasscheiben, drei in der gleichen Manier gearbeitete Tore teilen den Raum.

Der gläserne Kubus ist der Liftschacht, der das Haus durchstösst und das Rathaus auch für Behinderte zugänglich macht. Die grossen Tore schirmen die Büros und Ratssäle vor ungewünschten Besuchern ab, die es – wie der Amokschütze von Zug gezeigt hat – auch hierzulande geben kann. Der mit seinem Vorhang geheimnisvoll schimmernde Liftschacht fordert zum Nähertreten auf, zum Betrachten und Berühren. Er ist ein Meisterwerk der Handwerkskunst: Die dunklen Rahmen sind aus Stahl und Holz gefertigt und mit Kunstleder überzogen, der Vorhang besteht aus unzähligen Glasstäben, die fast, aber nicht ganz präzise hinter den grossen Glasscheiben eingespannt sind. Auch die Lifttür ist gläsern und raumhoch; eine übliche Liftkabine ist im Schacht jedoch nicht zu sehen. Der Liftbauer hat ganze Arbeit geleistet. Dank einer zweifachen Übersetzung pendelt das Gegengewicht nur versteckt in den beiden oberen Geschossen, wo der Lift nicht freisteht, und die Kabine ist ein edler, 3,5 Meter hoher Schrein, der Erinnerungen an die Art-déco-Zeit weckt. Bei grösseren Anlässen und den Sitzungen des Kantonsrats sind die grossen Tore in der Halle auf die Seite geklappt und ein Sicherheitsmann sorgt für die Personenkontrolle. Dann kommt die Noblesse, die der Raum ausstrahlt, besonders zur Geltung.

Das Original gibt es nicht

Die Eingriffe in die historische Bausubstanz waren massiv und man stellt sich die Frage: Darf man das? Ja, man darf – zu diesem Schluss kam auch die Denkmalpflege. Denn das Gebäude ist ja nicht einfach sechshundert Jahre alt (1419 wurde es erstmals erwähnt), sondern es hat eine sechshundertjährige Geschichte, während der jede Epoche ihren Teil zum heutigen Bau beigetragen hat. So baute man das Gebäude nach dem Dorfbrand von 1468 wieder auf und Mitte des 16. Jahrhunderts gestaltete es Werkmeister Heinz Troger um. Damals richtete man im Erdgeschoss das obrigkeitliche Metzglokal ein, denn die Metzgbänke waren ein Vorrecht der Obrigkeit. Anfang des 17. Jahrhunderts gesellte sich zur Metzg das Salzmagazin. Um 1730 setzte Werkmeister Hans Georg Urban auf das alte Erdgeschoss einen Neubau, dessen Südwestecke man dreissig Jahre später mit einem Archiv zubaute. Kurz vor 1900 erhielt das Haus die erste Warmwasserheizung, die Metzgerei zog aus dem früheren obrigkeitlichen Metzglokal im Erdgeschoss aus und beim Innenumbau von 1907 bis 1909 wirkte mit Robert Durrer erstmals ein Historiker mit. Als letzte Zutat erhielt das Haus 1948 auch moch in der Südostecke einen Anbau, nachdem die Schweizerische Organisation für Landschaftspflege ‹Pro Campagna› die denk-malpflegerischen Bedenken ausgeräumt hatte. Vor dreissig Jahren schliesslich erlebte das Sarner Rathaus seine letzte gründliche Restaurierung: 1975, im Europäischen Jahr für Heimatschutz und Denkmalpflege, genehmigte die Landsgemeinde den Kredit für das Projekt von Architekt Klaus Beat Gasser und im April 1978 nahm der Kantonsrat das Rathaus wieder in Besitz.

Getreu der damaligen Denkmalpflege-Praxis versuchte man das Gebäude in den ‹ursprünglichen› Zustand zurück-zuversetzen. Die wechselvolle Geschichte zeigt, dass es diesen Zustand gar nie gab, also behalf man sich mit dem ‹So-Tun-als-ob›. Die Eidgenössische Denkmalpflege wollte den Anbau von 1949 abreissen lassen, wogegen sich die Kantonsregierung energisch wehrte, weil sie die Räume dringend brauchte. Also mauerte man, dem Gebot der ‹Stilreinheit› folgend, hier ein Fenster zu, brach dort eine neue Öffnung aus und machte das Gebäude so fast originaler als das Original. Auch im Innern verwischte man Spuren der Geschichte. Die neu eingefügte Treppe aus dem Erd- ins 1. Obergeschoss tut so, als ob sie schon immer da-gestanden hätte, und im Empfangsraum des Erdgeschosses legte man die Holzbalkendecke frei, obwohl sie in der ganzen Geschichte zuvor gar nie zu sehen war. Die gemütliche Stube mit Schiefertischen und Stabellenstühlen, die man hier einrichtete, erinnert eher an ein Tirolerhaus als ans Rathaus des Standes Obwalden.

Sarneraa als Katalysator

Der Auslöser für die jüngsten Arbeiten war die Hochwasserkatastrophe vom Sommer 2005, als die Sarneraa ihr Bett verliess, den ganzen Ortskern unter Wasser setzte und Schä--den in Millionenhöhe verursachte. Im Rathaus stand das Wasser im Erdgeschoss brusthoch, machte das Haus unbenutzbar und beschleunigte den seit längerer Zeit vorgesehenen Umbau. Neben dem Schutz vor Hochwasser standen vor allem die Zugänglichkeit für Behinderte und eine verbesserte Sicherheit im Pflichtenheft des Studienauftrags, zu dem der Kanton noch im selben Jahr sechs Architekturbüros einlud (hpw 2/06).

Das siegreiche Projekt der Architektengemeinschaft Joos & Mathys und Diener & Diener, dessen Lift so spektakulär die Hallen des Erd- und des 1. Obergeschosses durchstösst, ist im Grunde ebenso pragmatisch wie die Umbauten in den früheren Jahrhunderten. Was sich erhalten liess, das blieb, was heute keinen Sinn mehr macht oder am falschen Platz sass, hat man entfernt. So hat der Schreiner die beiden überzähligen Plätze an den Regierungspulten abgeschnitten und die Verkleidung der Heizkörper entfernt, sodass sie nun den Raum ausreichend zu heizen vermögen. Ein zeitgemässer hellgrüner Teppich schluckt den Schall und unterstützt das Empire-Ambiente dieses einzigen nicht-barocken Raums im Haus. Wer nicht weiss, wies vorher war, merkt vom Umbau nichts – ausser dem Geruch des neuen Teppichs.

Am meisten veränderten die Architekten die Raumstruktur zuunterst und zuoberst. So drehten sie im Erdgeschoss den Empfangsraum um neunzig Grad, räumten eine der ältesten Wände beiseite und schufen daneben ein Foyer. Während der Bauarbeiten kamen in den Deckenkonstruktionen neben morschen Balken auch Stahlträger zum Vorschein und schliesslich beschloss man, die Decke über dem Foyer abzubrechen, als Stahl-Beton-Verbundkonstruktion neu aufzubauen und so eine Basis für den neuen Sandsteinboden der Haupthalle zu schaffen – auch die kommenden Generationen dürften also ihre Überraschungen erleben. So wie jetzt die Architekten im dritten Stock, wo unter der grauen, scheinbar alten Kassettendecke des Vorplatzes gewöhnliche Spanplatten zum Vorschein kamen. Der erweiterte Vorplatz bildet den Schlusspunkt des Weges durch das Haus und dient als Pausenraum. An die telle der Hauswartwohnung sind Büros und Besprechungszimmer getreten. Einbauschränke – in Nussbaum oder Weiss – schliessen die Räume ab.

Der Hochwassergefahr begegneten die Architekten mit baulichen und organisatorischen Massnahmen. So erhielten die Türen des Erdgeschosses neue Schwellen, die ins Erdreich stossen und verhindern, dass das Wasser einfach unten reinläuft. Ausserdem sind die Türen nun massiver und mit doppelten Gummidichtungen versehen und die Fenster lassen sich von aussen mit Holzabdeckungen abdichten. «Schotten dicht!», heisst es nun bei drohendem Hochwasser. Sollte dennoch einmal Wasser ins Haus laufen, hat man dafür gesorgt, dass die Schäden möglichst gering bleiben. Sämtliche Elektrotableaus, der Hauptanschluss und die Steuerungen sind im ersten Obergeschoss installiert und das Archiv ist nach oben umgezogen.

Um das Dorf vor Überschwemmungen zu schützen, will der Kanton das Bett der Sarneraa ausweiten und vertiefen. Ende November stimmt die Bevölkerung über das Projekt ab. Die Sarner hätten zwar einen Entlastungsstollen bevorzugt, der jedoch an den hohen Kosten scheiterte.

Der Wandel der Denkmalpflege

Der Umbau des Rathauses zeigt, welchen Weg die Denkmalpflege in den letzten Jahrzehnten gegangen ist. Strebte man vor dreissig Jahren danach, einen möglichst ursprünglichen Zustand wieder herzustellen –  den Lift hätte man bis zur Unauffindbarkeit kaschiert –, hätte man vor fünfzehn Jahren den Kontrast zwischen Alt und Neu um jeden Preis betont. Wo man 1977 historisierende Schmiedeeisenleuchten aufgehängt hatte, wären 1992 Halogenleuchten an Stahlseilen aufgespannt worden.

Auch den Einbauten von 2007 sieht man an, dass sie nicht aus der Barockzeit stammen, doch sie setzen sich nicht in Szene. So vereinen sich in den Schreinerarbeiten die Präzision des Computerzeitalters und die runden Formen der Barockzeit. Auch die neuen Leuchten biedern sich weder beim Alten an, noch suchen sie die Konfrontation: Im Em-pfangsraum des Erdgeschosses hängen zwei grosse Kristallleuchter aus denselben Glasstäben, die auch den Liftvorhang bilden und die andernorts als Wandappliquen vorkommen. Das Haus hat sich vom mumifizierten Museumsstück zu einem lebendigen Gebäude gewandelt, das die Spuren seiner Geschichte nicht verleugnet, sondern selbstbewusst –  aber unaufdringlich – zeigt.

hochparterre, Di., 2007.10.02



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05. September 2007Werner Huber
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Sparhaus an der Autobahn

Adliswil war der traditionelle Standort von Mövenpick, dem von Ueli Prager 1948 gegründeten Gastrounternehmen. Die stolze Möwe musste schon einige Federn...

Adliswil war der traditionelle Standort von Mövenpick, dem von Ueli Prager 1948 gegründeten Gastrounternehmen. Die stolze Möwe musste schon einige Federn...

Adliswil war der traditionelle Standort von Mövenpick, dem von Ueli Prager 1948 gegründeten Gastrounternehmen. Die stolze Möwe musste schon einige Federn lassen, und jetzt ist der Vogel aus dem Tal der Sihl ausgeflogen und hat sich im Tal der Kempt niedergelassen. Dabei hat er gleich auch den Namen gewechselt: Aus der ‹Mövenpick Gastronomie Schweiz› wurde die ‹Marché Restaurants Schweiz›. Auch in der dreissigjährigen Raststätte Kemptthal an der A1 zwischen Zürich und Winterthur, wo einst die ‹Landbeiz› und die ‹Silberkugel› um die Gunst der Autofahrer buhlten, hat sich vor einiger Zeit das ‹Marché› als Flaggschiff des Unternehmens eingerichtet.

Gleich nebenan baute der Architekt Beat Kämpfen nun ein Verwaltungsgebäude. Es ist das erste Nullenergie-Bürogebäude der Schweiz und erhielt dafür das Minergie-P-Eco-Zertifikat. Minergie-P heisst, dass der Gesamtenergieverbrauch 40 Prozent unter dem Minergie-Standard liegt, Eco steht für eine ökologische Bauweise. Zur optimalen Nutzung der passiven Solarenergie ist der Neubau Nord-Süd ausgerichtet. Gegen Norden sind kleine Fenster in die Fassade geschnitten, dafür öffnete der Architekt das Haus im Süden mit einer grosszügigen Glasfassade (U-Wert: 0,46 W / m²K), um damit von der Solarenergie zu profitieren. Damit sich die Büros im Sommer nicht übermässig aufheizen – und sich die Mitarbeiter eine Rauchpause gönnen können –, spannt sich vor der ganzen Südfassade eine Balkonschicht auf. Sie hält die hoch stehende Sommersonne ab, lässt aber die flach eintretenden Wintersonnenstrahlen ins Haus.

Das Haus speichert die Wärme vor allem in den Unterlagsböden, aber auch in den Spezialgläsern der Südfassade, die eine Wärmespeicherkapazität einer 20 Zentimeter dicken Betonwand haben, was angenehme Oberflächentemperaturen erzeugt und den Luftzug ausgleicht. In die Konstruktion eingelegte Wasserleitungen kühlen oder heizen das Gebäude je nach Bedarf mittels einer Erdsonden-Wärmepumpe. Eine Lüftung bläst frische Aussenluft ein und saugt die verbrauchte Luft über einen Wärmetauscher ab. Das mit zwölf Grad gegen Süden geneigte Pultdach ist auch eine Fotovoltaikanlage, die dafür sorgt, dass dem Haus keine Fremde Energie zugeführt werden muss. In der Eco-Bewertung schnitt das Holz besonders gut ab: Der nachwachsende Rohstoff erzeugt ein gesundes Raumklima, ist leicht zu bearbeiten und (meist) lokal zu beziehen. Die Holzkonstruktion des Gebäudes nimmt überschüssige Feuchtigkeit auf und gibt diese bei Trockenheit an die Räume zurück. Ausserdem gibt es auf jedem Geschoss eine bepflanzte und bewässerte Torfmatte, eine ‹grüne Wand›, die als Luftbefeuchter für ein angenehmes Klima sorgt und mittels Fotosynthese die Luft reinigt. Der Zementverbundboden und die eigens entworfenen Büromöbel mit einbezogener Schalldämmung sorgen für eine gute Akustik im Gebäude. Das Bürohaus wurde mit dem Solarpreis 2007 ausgezeichnet.

hochparterre, Mi., 2007.09.05



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15. August 2007Werner Huber
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Umgekehrter Handschuh

Das Schulhaus Eichhölzli in Glattfelden ist ein typisches Landschulhaus aus den Sechzigerjahren: grauer Putz und Beton, etwas Sichtbackstein und darauf...

Das Schulhaus Eichhölzli in Glattfelden ist ein typisches Landschulhaus aus den Sechzigerjahren: grauer Putz und Beton, etwas Sichtbackstein und darauf...

Das Schulhaus Eichhölzli in Glattfelden ist ein typisches Landschulhaus aus den Sechzigerjahren: grauer Putz und Beton, etwas Sichtbackstein und darauf ein flach geneigtes Satteldach. Die Turnhalle folgte etwas später und versuchte, sich mehr schlecht als recht an das Schulhaus anzulehnen. Die jüngste, winkelförmige Erweiterung mit Schulräumen und einer Turnhalle definiert mit dem Altbau einen Hof und schliesst die Anlage gegen das Wohnquartier ab. Architekt Peter Kunz entwarf ein einfaches, kostengünstiges Volumen. Der Klassentrakt zählt drei Geschosse, die angebaute Turnhalle ist zur Hälfte im Boden versenkt. Wer Kunz’ Bauten kennt, für den ist das Schulhaus wie ein umgekehrter Handschuh: Den sonst üblichen Beton sucht man am Äussern vergeblich; ein brauner Putz überzieht die Fassaden. Im Innern jedoch ist er wieder präsent, der Sichtbeton an Boden, Decken und Wänden der Korridore. In frischem Kontrast dazu steht die farbliche Gestaltung von Jörg Niederberger, die mit einem kräftigen Orange in der offenen Vorhalle beginnt. In jedem Geschoss zeigen die Zimmer eine andere Farbe.

hochparterre, Mi., 2007.08.15



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Erweiterung Schulanlage Eichhölzli



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21. Juni 2007Werner Huber
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Ein Schiff fürs Auge

Die MS ‹Panta Rhei›, das jüngste Schiff der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft (ZSG), warf seine ersten grossen Wellen in den Medien – wegen seines Namens....

Die MS ‹Panta Rhei›, das jüngste Schiff der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft (ZSG), warf seine ersten grossen Wellen in den Medien – wegen seines Namens....

Die MS ‹Panta Rhei›, das jüngste Schiff der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft (ZSG), warf seine ersten grossen Wellen in den Medien – wegen seines Namens. ‹Stadt Zürich›, ‹Linth› oder ‹Glärnisch› hiessen die Schiffe bis anhin; bei dieser Zürichsee-Tradition erscheint das griechische ‹Panta Rhei› (alles fliesst) geradezu als Affront. Kaum hatten sich diese Wogen geglättet, gingen sie – diesmal auf dem See – erst recht hoch: Das Schiff wirft auf der Fahrt zu hohe Wellen, die am Ufer zu Schäden führen. Siebzig Tonnen schwerer als geplant, lautete der Befund. Die ZSG zog das Schiff aus dem Verkehr und beriet, wie ihm mehr Auftrieb gegeben werden kann. Die Lösung ist gefunden und im Herbst wird das Schiff für rund eine Million Franken umgebaut. Bis Mitte August ist die ‹Panta Rhei› ein Restaurant und liegt am Bürkliplatz vor Anker.

Der äussere Eindruck ist zwiespältig: Anders als seine windschnittigen Vorgänger aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren versucht das kantige, drei Geschosse hoch aufragende Schiff gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, dass es in hohem Tempo über den See flitzt. Diesen Ausdruck kann man ‹ehrlich› nennen, elegant ist er nicht; wenn die ‹Panta Rhei› einem die Breitseite zuwendet, erinnert sie eher an ein Floss, auf dem Wintergärten aufgestapelt sind. Dieses Äussere stand weitgehend fest, als sich die Architekten an die Arbeit machten und sich um die Gestaltung der Innenräume kümmerten.

Lautlos gleitet die Glasschiebetür zur Seite und öffnet den Zugang in einen grosszügigen Raum. «Am liebsten hätten wir ein Einraumschiff gebaut», erläutert Architekt Manfred Huber. Dies war zwar nicht möglich, doch haben die Architekten grösstmögliche Transparenz geschaffen. So öffnet sich aus dem Eingangsraum der Blick nach vorne und nach hinten in die Salons zweiter Klasse, und die raumhohen Verglasungen heben die Trennung von innen und aussen auf. Der wichtigste Blickfang ist jedoch die über alle vier Decks durchlaufende, geschwungene Treppe, für die sich die Architekten von der ‹Titanic› inspirieren liessen. Sie ist nicht einfach eine Verbindung von unten nach oben, sie ist Teil einer ‹Promenade architecturale›. Diese findet ihre Fortsetzung in den Salons, wo eine elegant geschwungene Öffnung das Haupt- und das Oberdeck zu einer räumlichen Einheit verbindet.

Für den Innenausbau haben die Architekten hochwertige Materialien verwendet: In der zweiten Klasse und den Aussenbereichen liegt am Boden Teakholz (aus Plantagen), in der ersten Klasse ein weicher Teppich. Edler Vogelaugen-Ahorn überzieht die Treppenwangen und die übrigen hölzernen Teile; die Decken sind je nach Klasse matt oder glänzend weiss. Blickfang bleiben in den Salons jedoch die Theken aus Schleiflack: glänzend rot in der zweiten Klasse, zurückhaltend dunkel in der ersten.

hochparterre, Do., 2007.06.21



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21. Juni 2007Werner Huber
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Kongressklotz Zürich

Die Überlagerung von Moneos Projekt für das Zürcher Kongresszentrum mit anderen Bauten zeigt: Für den Standort am See ist der Bau zu gross. Doch um Spitzenarchitektur zu sein, ist er zu klein. Damit aus dem Programm nicht nur Fläche, sondern Raum wird, müsste das Gebäude doppelt so gross sein. Das Kongresszentrum braucht einen anderen Standort.

Die Überlagerung von Moneos Projekt für das Zürcher Kongresszentrum mit anderen Bauten zeigt: Für den Standort am See ist der Bau zu gross. Doch um Spitzenarchitektur zu sein, ist er zu klein. Damit aus dem Programm nicht nur Fläche, sondern Raum wird, müsste das Gebäude doppelt so gross sein. Das Kongresszentrum braucht einen anderen Standort.

In Rafael Moneos Projekt für das Zürcher Kongresszentrum gibt es auch nach der Überarbeitung viel Fläche, aber kaum Raum (HP 5/07). Die Ansicht der Seefront illustriert, wie das Projekt über dem benachbarten Roten Schloss aufragen würde und wie das architektonische Irgendetwas des Kongresshotels die Villa Rosau und das Ho-tel Baur au Lac zu Statisten degradieren würde. Die vergleichende Fassadenkunde zeigt Überraschendes: Etliche stattliche Bauten schrumpfen im Schatten des Kongressklotzes Zürich (KKZ) zu Zwergen. Das Warenhaus Globus wird zum Globüsli, das Opernhaus zum Opernhüsli und selbstverständlich verschwindet auch das Kongresshaus von Haefeli Moser Steiger vollständig hinter der Silhouette des geplanten Neubaus. Auch das hoch aufragende Betonsechseck des St. Galler Stadttheaters liesse sich bequem im KKZ versorgen. Diese Bauten umfassen zwar nur einen Bruchteil der Räume des Kongresszentrums, doch selbst Gebäude, die der Inbegriff von Grösse sind, sehen neben dem Moneo-Projekt niedlich aus. Auch die Fassaden des Hallenstadions sind nur halb so hoch und die Limmatfront des Hauptbahnhofs mit den beiden Thermenfenstern verschwindet vollständig hinter den Umrissen. Der Hochhausscheibe des Locherguts reicht das Kongresszentrum bis zum Bauchnabel, vom Hochhaus zur Palme ist gerade mal das obere Drittel sichtbar und an seinem höchsten Punkt kitzelt Moneo das Opernhaus.

Noch grösser als der KKZ

Einen noch monumentaleren Auftritt als das Kongresszentrum scheint einzig das Bundeshaus zu haben, dessen drei Kuppeln in grosse Höhen aufragen. Doch diese Monumentalität muss man relativieren: Die Kuppeln sind von der Bundesplatzfassade zurückgesetzt und auf die Fernwirkung angelegt. Und dort stimmt der Massstab, denn die Südseite des Bundespalastes ist Teil der langen Front aus den drei Monumentalbauten Bundeshaus West, Parlamentsgebäude und Bundeshaus Ost.

Die grossen Vorbilder in Sachen Spitzenarchitektur sind Jean Nouvels Kultur- und Kongresszentrum in Luzern (KKL) und Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao. Beide sind ähnlich gross wie das Zürcher Projekt, doch der Vergleich hinkt: In Luzern gibts viel weniger Räume und deshalb viel mehr Platz und vor allem öffentlichen Raum unter dem grossen Dach. Nouvels KKL steht auf zwei Seiten frei, so kann es seine Wirkung entfalten. Moneos Projekt hingegen ist eingezwängt. Das Guggenheim-Museum andererseits sprengt jeden schweizerischen Rahmen. Der Architekt konnte aus dem Vollen schöpfen und seine Formen frei im Stadtraum tanzen lassen; ein Spektakel, das die schwierige Situation überspielt.
Zusammenfassend: Der Architekt konnte knapp die Pflicht (das Raumprogramm) erfüllen, für die Kür (die Architektur) hat ihm der Platz gefehlt. Das Resultat verdient die Note Viereinhalb. Um eine Fünfeinhalb oder gar die Sechs zu erreichen, muss für das Kongresszentrum ein anderer Standort gefunden werden, einer, der den Architekten den Atem lässt, den es für ein Projekt dieser Grösse braucht.

Bestehende Gebäude im Vergleich:
1 Seefront mit Rotem Schloss (Heinrich Ernst, 1893), neuem Kongresszentrum, neuem Hotel, Villa Rosau (Ferdi-nand Stadler, 1845) und Hotel Baur au Lac (ab 1844)
2 Hochhaus zur Palme Zürich, Haefeli Moser Steiger, 1964
3 Lochergut Zürich, Karl Flatz, 1966
4 Stadttheater St. Gallen, Claude Paillard, 1968
5 Kultur- und Kongresszentrum KKL Luzern, Jean Nouvel, 2000
6 Globus Zürich, Karl Egender, 1967
7 Hauptbahnhof Zürich (Limmatfassa-de), Jakob Friedrich Wanner, 1871
8 Kongresshaus Zürich, Haefeli Moser Steiger, 1939
9 Hallenstadion Zürich, Steger Egender, 1939
10 Opernhaus Zürich, Fellner und Hellmer,1891; Annexbau: Paillard, Leemann und Partner, 1984
11 Bundeshaus Bern, Hans Wilhelm Auer, 1902
12 Guggenheim-Museum Bilbao, Frank Gehry, 1997

hochparterre, Do., 2007.06.21



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16. Mai 2007Werner Huber
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Vorhang auf!

Der Schulhausplatz in Baden ist ein Resultat der Verkehrssanierung der Sechzigerjahre. Damals verlegte man die Bahnlinie in einen neuen Tunnel und baute...

Der Schulhausplatz in Baden ist ein Resultat der Verkehrssanierung der Sechzigerjahre. Damals verlegte man die Bahnlinie in einen neuen Tunnel und baute...

Der Schulhausplatz in Baden ist ein Resultat der Verkehrssanierung der Sechzigerjahre. Damals verlegte man die Bahnlinie in einen neuen Tunnel und baute das alte Trassee samt Eisenbahntunnel zur Hauptstrasse um. Dieser verkehrstechnische Befreiungsschlag hinterliess im Stadtbild Wunden, die erst vierzig Jahre später allmählich verheilen. Dazu gehört auch das Falken-Areal. Der einstige Gasthof fiel schon in den Sechzigern der über- und unterirdischen Verkehrsmaschine des Schulhausplatzes zum Opfer, die Brauerei überlebte etwas länger. Anläufe, das Areal neu zu bebauen, scheiterten zahlreich: an der schwierigen Situation, an der ungünstigen Erschliessung, am Lärm der überlasteten Kreuzung, an fehlenden Investoren. Der jüngste Anlauf, noch unter Denner als damaligem Arealbesitzer begonnen, war von Erfolg gekrönt. Auf die heterogene Umgebung mit der Altstadt an der einen Ecke der Kreuzung, dem klassizistischen Schulhaus an der anderen Ecke und dem Gemisch von Sechzigerjahre-Geschäftshäusern und vorstädtischer Bebauung entlang der Mellingerstrasse reagierten die Architekten von Burkard, Meyer mit einer grossen plastischen Figur. Deren unregelmässiger Grundriss widerspiegelt in den unteren Geschossen die Randbedingungen mit einer öffentlichen Strasse im rückwärtigen Bereich, dem Bahntunnel dahinter und dem Velotunnel, der den Schulhausplatz in weitem Bogen unterfährt. In den oberen Geschossen löst sich der Baukörper von den Vorgaben im Baugrund und inszeniert sich im Stadtraum. Nach über vierzig Jahren hat der grossflächige Schulhausplatz endlich ein Pendant in der dritten Dimension erhalten. Der Platz bleibt zwar eine Verkehrsmaschine (daran werden auch die geplanten Umbauten nichts ändern), aber nun ist die Fläche gebunden und ufert nicht mehr nach allen Seiten aus. Das grosse, auf einem Ladensockel stehende Volumen ist im Innern zweigeteilt: Das Bezirksgericht und Büros belegen die drei unteren Geschosse, in den beiden obersten Stockwerken gibt es 14 Maisonettewohnungen. Der Kern des Hauses ist ein Hof, der die Büros mit Licht versorgt und sich oben zum grossen Eingangshof der Wohnungen weitet. Die innere Ordnung folgt dem fast orthogonalen Hof, was zu schräg angeschnittenen Räumen an den Fassaden führt. Aus dem umlaufenden Bürokorridor gibt es immer wieder Ausblicke auf die Strasse und in den Hof. Der holzbeplankte Eingangshof im vierten Obergeschoss ist der kollektive Aussenraum der Wohnungen. Gemeinsam ist den Büro- und Wohngeschossen die raumhaltige Glasfassade. Deren innere Schicht bildet die Klima- und Schallgrenze und lässt sich nur in den Wohnungen öffnen; die äussere Glashaut ist fix und hinterlüftet. Im Zwischenraum hängen raumhohe Vorhänge als Sonnenschutz. Deren zweischichtige Stoffbahnen – ein grobes Gewebe aussen, ein metallbedampftes innen – kontrastieren mit dem kantigen Glaskörper und bringen etwas Theater-atmosphäre auf den Schulhausplatz.

hochparterre, Mi., 2007.05.16



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Wohn- und Geschäftshaus



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23. Januar 2007Werner Huber
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Doppelplatz

Im 20. Jahrhundert legte das Zentrum von Dietikon sein dörfliches Gepräge schrittweise ab. Jedes Jahrzehnt hinterliess seine Spuren: Herausragend ist die...

Im 20. Jahrhundert legte das Zentrum von Dietikon sein dörfliches Gepräge schrittweise ab. Jedes Jahrzehnt hinterliess seine Spuren: Herausragend ist die...

Im 20. Jahrhundert legte das Zentrum von Dietikon sein dörfliches Gepräge schrittweise ab. Jedes Jahrzehnt hinterliess seine Spuren: Herausragend ist die Betonskulptur des ehemaligen Kaufhauses ‹Regina›, den Tiefpunkt setzte vor zwanzig Jahren das ‹Löwenzentrum›. Dem öffentlichen Raum schenkte die Stadt zunächst nur wenig Beachtung, bis Ueli Zbinden vor gut zehn Jahren dem Bahnhofplatz ein neues Gesicht gab (HP 11/93). Die zweite Etappe – der Umbau des Kirchplatzes – war bereits geplant, konnte aber erst jetzt verwirklicht werden. Wie in Agglomerationsgemeinden ist der Platz nicht ein präzis definierter Raum, sondern er läuft nach allen Seiten aus; zudem zerschneidet die Bremgarten-Dietikon-Bahn die Fläche entzwei.
Also gestaltete Ueli Zbinden nicht einen Platz, sondern zwei Platzteile, die er mit zwei rechteckigen Feldern aus hellem Gneis belegte. Ein Wasserbecken und Beleuchtungskandel aber auf dem einen Platzfeld nehmen die Mittelachse der Kirche auf, auf dem anderen steht eine offene Markthalle, die sich mit Stoffstoren schliessen lässt. Ueli Zbinden arbeitete mit dem gleichen gestalterischen Repertoire wie beim Bahnhofplatz. Dadurch bilden die beiden Etappen eine Einheit, wenn auch die jüngsten Bauten noch etwas straffer gestaltet sind als die älteren.

hochparterre, Di., 2007.01.23



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Kirch- und Marktplatz Dietikon



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23. Januar 2007Werner Huber
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Flügel für die Flieger

Der Lausanner Flugplatz bei der Autobahnausfahrt Blécherette im Norden der Stadt stand nach dem Abzug des Militärs vor 15 Jahren fast vor dem Ende; ein...

Der Lausanner Flugplatz bei der Autobahnausfahrt Blécherette im Norden der Stadt stand nach dem Abzug des Militärs vor 15 Jahren fast vor dem Ende; ein...

Der Lausanner Flugplatz bei der Autobahnausfahrt Blécherette im Norden der Stadt stand nach dem Abzug des Militärs vor 15 Jahren fast vor dem Ende; ein Hangar mit einem raffinierten Tor zeugt noch von der Pionierzeit. Heute gewinnt das zum Aéroport mutierte Aérodrome dank einer neuen Betreibergesellschaft immer mehr an Bedeutung für Geschäftsflüge von Lausanner Firmen. Am Rand des Rollfeldes, wo das Terrain an einer Hangkante steil abfällt, erstellte das Büro CCHE Architecture ein Verwaltungsgebäude. Auf einem luftseitig ein- und landseitig dreigeschossigen Sockelbau mit Schulungsräumen und dem Restaurant liegt das Hauptgeschoss mit dem Kontrollraum und dem Zollbüro. Bei der Form liessen sich die Architekten von den Flugzeugen inspirieren. Das ist zwar nicht besonders originell, aber wirkungsvoll: Das Gebäude wurde sofort zum Wahrzeichen des Flugplatzes und zum Symbol für dessen Dynamik. Holzelemente aus geklebten Lamellen bilden die Tragstruktur des Flügels, der mit Zinkblech verkleidet ist. Dass die Lausanner Flugplatzgesellschaft – im Gegensatz zum Zürcher Flughafen – nicht aus dem Vollen schöpfen kann, zeigt sich darin, dass die Architekten auf den Innenausbau kaum mehr Einfluss hatten.

hochparterre, Di., 2007.01.23



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Flugplatz Blécherette



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27. November 2006Werner Huber
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Begegnung im Zentrum

WH
Begegnungszentrum, 2006
Klinik Königsfelden, Windisch
--› Bauherrschaft: Kanton Aargau, Departement Finanzen
und Ressourcen
--› Architektur: Liechti Graf Zumsteg Architekten, Brugg
--› Landschaftsarchitektur: Schweingruber Zulauf, Zürich
--› Baukosten (BKP 1–9): CHF 7,47 Mio.
--› Gebäudekosten (BKP 2/m_): CHF 513.–

WH
Begegnungszentrum, 2006
Klinik Königsfelden, Windisch
--› Bauherrschaft: Kanton Aargau, Departement Finanzen
und Ressourcen
--› Architektur: Liechti Graf Zumsteg Architekten, Brugg
--› Landschaftsarchitektur: Schweingruber Zulauf, Zürich
--› Baukosten (BKP 1–9): CHF 7,47 Mio.
--› Gebäudekosten (BKP 2/m_): CHF 513.–

Die psychiatrische Klinik Königsfelden besteht aus dem Klinikgebäude aus dem 19. Jahrhundert, der campusartigen Anlage mit Pavillons aus den Sechzigerjahren und der Klosterkirche mit den berühmten Fensterscheiben. Der neuste Blickpunkt ist das Begegnungszentrum mit Kaffee, das die Patienten empfängt. Der Neubau bildet den Auftakt der Pavillonanlage und übernimmt deren Körnung. Um dessen öffentlichen Charakter zu unterstreichen, entwarfen die Architekten ein grosses, auf schlanken Stützen ruhendes Dach, unter dem sie drei hölzerne und zwei gemauerte Kuben versorgten, die eine Halle umschliessen. Im Erdgeschoss liegen die Räume mit viel Publikumsverkehr, im Obergeschoss der Coiffeur sowie der Mehrzweckraum und Sitzungszimmer. Zu den rohen Materialien des Äussern und der Halle – Beton, Klinker und Holz – setzten die Architekten in den Raumzellen die ‹künstlichen› Materialien des Epoxydharzbodens, der Metalldecken und der gestrichenen Glasfasertapete. Teil der Architektur ist auch die Kunst: Roland Fässlers ‹Zug der Mutanten›, dessen Fabelwesen der Dachkante entlang schleichen.

hochparterre, Mo., 2006.11.27



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27. November 2006Werner Huber
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Licht im Untergrund

Die SBB-Flughafenlinie brachte 1980 nicht nur den Zug zum Flug, sie bescherte Opfikon auch den unterirdischen Bahnhof an der Linie Zürich-Winterthur. Die...

Die SBB-Flughafenlinie brachte 1980 nicht nur den Zug zum Flug, sie bescherte Opfikon auch den unterirdischen Bahnhof an der Linie Zürich-Winterthur. Die...

Die SBB-Flughafenlinie brachte 1980 nicht nur den Zug zum Flug, sie bescherte Opfikon auch den unterirdischen Bahnhof an der Linie Zürich-Winterthur. Die S-Bahn Zürich nahm damals erst auf dem Papier Gestalt an und ein Regionalbahnhof war ein Zweckbauwerk, in dessen Gestaltung niemand investieren wollte. Das Resultat: eine spärlich beleuchtete und ungastliche Betonschachtel; ein Reich der Sprayer und Vandalen. 25 Jahre später hat sich das hässliche Entlein zum stolzen Schwan gemausert. Nun liegt am Boden Granit statt Asphalt, an den Wänden decken weisse Paneele den versprayten Beton ab und an der Decke reflektieren weisse Platten das Licht. Gläserne Kuben, auf denen der Stationsname ‹Opfikon› klein und unendlich oft aufgedruckt ist, stellen die Verbindung zur Oberfläche her – als Treppe, Lift oder Lichtschacht. 80 Prozent der Kosten übernahm die Gemeinde. Der Bahnhof als Visitenkarte soll die Bevölkerung zum Umsteigen animieren. Wenige Kilometer entfernt macht die Stadt Dübendorf in der Station ‹Stettbach› das Gegenteil: Sie lässt drei vom Künstler Gottfried Honegger gestaltete Emailtafeln an den Wänden demontieren. Eine Kapitulation vor den Sprayern – und eine Einladung zugleich.

hochparterre, Mo., 2006.11.27



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17. Oktober 2006Werner Huber
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Weitergestrickt

Mit dem Neubau der Graubündner Kantonalbank (GKB) haben Otto Schäfer und Martin Risch 1911 am Churer Postplatz gleich in zweifacher Hinsicht einen Pflock...

Mit dem Neubau der Graubündner Kantonalbank (GKB) haben Otto Schäfer und Martin Risch 1911 am Churer Postplatz gleich in zweifacher Hinsicht einen Pflock...

Mit dem Neubau der Graubündner Kantonalbank (GKB) haben Otto Schäfer und Martin Risch 1911 am Churer Postplatz gleich in zweifacher Hinsicht einen Pflock eingeschlagen. Sie setzten einen Akzent am Eingang zur Altstadt und sie bauten ein Schlüsselwerk des Bündner Heimatstils: Ein wuchtiges Haus mit hohem Dach, kräftigen Tuffsteinarbeiten und einer grossstädtischen Arkade an der Poststrasse. Äusserlich hat der Bau die Zeiten unbeschadet überstanden, im Innern hat ihn die Bank ihren Bedürfnissen und dem wechselnden Geschmack der Zeiten angepasst – und dabei manches zerstört.

Der Auslöser für die jüngsten Veränderungen war die zu kleine Kundenhalle und der Wunsch nach zusätzlichen, rationeller nutzbaren Büroräumen. Also schrieb die Bank einen Wettbewerb aus, den Dieter Jüngling und Andreas Hagmann gewannen. Ihr Bau besteht aus drei Teilen: der Verlängerung des Altbaus an der Poststrasse, dem neuen Flügel gegen den Fontanapark und der Kundenhalle im Hof. 95 Jahre nach Schäfer und Risch haben Jüngling und Hagmann nicht mehr einen Pflock eingeschlagen, sondern mit vielen ‹kleinen Pflöcken› auf die unterschiedlichen Situationen reagiert. Die Architekten studierten den Altbau genau und strickten ihn an der Poststrasse weiter. Sie übernahmen die Geschosshöhen, das mächtige Dach, die Proportionen der Fenster, die Arkade, die kräftigen Fenstereinfassungen und die Ornamente. Diese Ingredienzien interpretierten sie aber neu. So finden sich die Ornamente nicht auf den Fenstereinfassungen aus Tuff, sondern als feines Relief auf den Fassadenflächen. Dadurch wirken die hellen, mit einem Hauch Lasur überzogenen Betonelemente leicht und textil wie eine Klöppelarbeit und durch die mit feinem Ornament durchbrochenen Metallläden fällt orientalisch gedämpftes Licht in die Räume.

Ein ganz anderes Gesicht zeigt die Bank gegen den von Guido Hager gestalteten Fontanapark. Hier hüllten die Architekten die in der Höhe und der Tiefe gestapelten Büroflächen in eine gläserne Haut. Ein von den Schilfmatten der Gewächshäuser inspirierter Sonnenschutz aus goldglänzenden Aluröhrchen macht aus dem Bürohaus eine grosse ‹Serre›, die hinter der Parkmauer aufragt.

Von aussen nicht zu sehen, dafür von innen umso eindrücklicher ist die Kundenhalle. Der im Grundriss drei-eckige, in der Höhe gestaffelte Raum ist das Herz der GKB. Fachwerkträger tragen die Decke der Halle und die Bürogeschosse im Glasbau und sie prägen den Raum: Die Dreiecksfelder machen zusammen mit den Glasflächen und den von Elisabeth Arpagaus gestalteten farblichen Akzenten – ein Bilderfries in der Halle und Stoffbahnen an den Fenstern – aus der Bank ein Kaleidoskop.

hochparterre, Di., 2006.10.17



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Erweiterung Graubündner Kantonalbank



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17. Oktober 2006Werner Huber
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Klein aber fein: Hochschule Liechtenstein

Innert weniger Jahre hat sich die Architekturabteilung des damaligen Abendtechnikums Vaduz zu einer modernen Schule mit internationaler Ausstrahlung entwickelt. Damit diese Operation gelingen konnte, lockerte die Hochschule Liechtenstein die engen Verbindungen zur Schweiz und knüpfte neue Beziehungen mit der weiteren Welt.

Innert weniger Jahre hat sich die Architekturabteilung des damaligen Abendtechnikums Vaduz zu einer modernen Schule mit internationaler Ausstrahlung entwickelt. Damit diese Operation gelingen konnte, lockerte die Hochschule Liechtenstein die engen Verbindungen zur Schweiz und knüpfte neue Beziehungen mit der weiteren Welt.

Emsiges Treiben erfüllt die Hallen, in den mit Stellwänden abgetrennten Kojen hängt Plan an Plan. In der einen Ecke unterhalten sich Gastkritiker Elia Zenghelis und Dozent Xavier Calderón mit einem Studenten über seinen Entwurf für das Pier San Miguel irgendwo in Mexiko, nebenan besprechen Angelus Eisinger und Frank Zierau mit ihrer Gruppe Planungen für Balzers.
Es ist Schlusskritik am Architekturinstitut der Hochschule Liechtenstein und der Institutsleiter Hansjörg Hilti weibelt von Koje zu Koje, unterhält sich da mit einer Studentin, dort mit einem Gast und nebenan mit einem Dozenten. Man merkt: Er fühlt sich wohl in seinem Team, dass von jungen Schweizer Professoren wie Johannes Käferstein, Urs Meister, Angelus Eisinger und Lehrbeauftragte wie Thomas Schregenberger, Markus Buschor, Dieter Jüngling und anderen stark geprägt ist. Hilti gehört zu einer aussterbenden Gattung: jener der glücklichen Architekturschulleiter. Denn Hiltis Schule ist unabhängig. Unabhängig vom Verteilungskampf zwischen den Kantonen, unabhängig aber auch vom schweizerischen Konkurrenzkampf zwischen den Fachhochschulen und den ETHs. So wie die Liechtensteinische Post oder die Telecom FL hat sich auch die Hochschule Liechtenstein aus den Verflechtungen mit der Schweiz gelöst. Gegründet wurde sie 1961 als Abendtechnikum, dann wurde sie zur HTL nach Schweizer Muster, später zur Fachhochschule und heute heisst sie stolz Hochschule Liechtenstein. Sie hat gerade noch zwei Bereiche: die Architektur und die dreimal grössere Wirtschaft – ein Grössenverhältnis, das auch die Bedeutung des einen und des anderen für das Land illustriert.

Begonnen hat der Wandel in Vaduz vor fünf Jahren. Wollte die Architekturschule weiterhin bestehen bleiben, musste sie sich öffnen und den eigenen Studierenden die Möglichkeit geben, ins Ausland zu gehen. Im Austausch dazu sollten auch Ausländer an der Liechtensteiner Schule studieren können. Wobei in Liechtenstein unter ‹Ausländern› Studierende aus den nicht deutschsprachigen Ländern gemeint sind. Doch wie macht man auf sich aufmerksam? Wie sollte es gelingen, Studenten aus ganz Europa ins kaum bekannte Fürstentum zu holen? Die Liechtensteiner gingen in die Offensive und luden Kritiker aus aller Herren Länder an ihre Schule ein. Diese machten die Schule in ihren Heimatländern bekannt und bald schon weilten die ersten Gäste unter den Studierenden, die es umgekehrt den Einheimischen ermöglichten, einen Platz für ihr obligatorisches Auslandjahr zu finden.

Braucht Vaduz eine Architekturschule?

Die zahlreichen Studenten des Erasmus-Programms brachten eine Vielfalt an die Schule, wie sie die eigenen Leute nicht schaffen könnten, für Hansjörg Hilti eine «extreme Bereicherung». An der Schule herrscht ein 24-Stunden-Betrieb und von Litauisch bis Japanisch hört man alle Sprachen. Tiago Leal da Costa ist einer der rund 20 fremdsprachigen Ausländer unter den insgesamt 130 Studierenden. Er absolvierte in Vaduz das Austauschjahr, weil ein Professor seiner Schule in Lissabon die Schule kannte. Die Atmosphäre an der Liechtensteiner Schule empfindet er als «geistig sehr offen». Wenn hier auch die Urbanität fehle, so ermöglichte ihm dieser Aufenthalt im Zentrum Europas den Besuch zahlreicher umliegender Länder. Einzig die Sprache habe er nicht so gelernt, wie erhofft – da kamen ihm die Dialekte in die Quere.

Aus dem Fürstentum stammen gerade noch zehn bis fünfzehn Prozent der Studierenden. Das ist denn auch eine Sorge Hiltis: Die Auswahl aus der Region – ein Umkreis von fünfzig Kilometern – sei zu klein. Dabei sei das wichtig für die politische Anerkennung der Schule. Dies führt zur zentralen Frage: Braucht das Fürstentum Liechtenstein überhaupt eine eigene Architekturschule? Hansjörg Hilti schmunzelt; diese Frage hört er nicht zum ersten Mal. Sicherlich würde man in Vaduz keine Architekturschule gründen, wenn es sie nicht schon gäbe. Doch Ende der Neunzigerjahre lautete die Frage, was mit der bestehenden Schule passieren soll. Dass sich niemand gerne selbst abschafft, ist klar, und so hat die Architekturschule mit der Öffnung eine Möglichkeit gefunden, sich in der veränderten Bildungslandschaft einen Platz zu sichern. Die Politiker akzeptieren diesen Weg, mit dem die Schule übrigens einen ähnlichen Prozess durchmacht wie das Land mit dem Beitritt zum EWR oder der Gründung der liechtensteinischen Telecomgesellschaft und der Post. Die eigene Hochschule schafft auch einen Ausgleich, schickt Liechtenstein doch jährlich rund 500 Studierende in die Schweiz, aber auch nach Österreich und Deutschland.

In einem kleinen Land wie Liechtenstein sind die Verflechtungen der Schule mit der Politik noch enger als in der Schweiz, die Entscheidungswege entsprechend kürzer. Seit Jahren diskutieren die Schweizer Fachhochschulen über Inhalte, über die Abgrenzung untereinander und vor allem zur ETH. Letztlich geht es dabei immer ums Geld. Hansjörg Hilti ist froh, diese Diskussionen nicht führen zu müssen, was ihm eine «enorme inhaltliche Freiheit» gibt. Im luftleeren Raum agiert die Schule dennoch nicht, denn die Schweizer Fachhochschulen, die ETH oder die Architekturschule in Innsbruck sind Konkurrenten. Wo sich die Liechtensteiner Architekturschule in diesem Spannungsfeld positioniert, ist auch für Hilti nicht ganz eindeutig. Liegt sie näher bei der ETH oder bei einer FH? «Die Hochschule Liechtenstein ist eine kompakte Architekturschule», meint er sibyllinisch, wobei die internationalen Kontakte über Universitäten laufen.

Unabhängig von den Diskussionen in der Schweiz erreichte die Hochschule Liechtenstein längst die europäische Anerkennung ihres Abschlusses, was vor allem für die vielen EU-Studenten wichtig ist, für die der Titel die Voraussetzung für eine Arbeit als Architekt oder im Staatsdienst ist. Vor drei Jahren führte die Schule das Bachelor-Master-System ein, ab kommendem Studienjahr wird der Master-Studiengang ausschliesslich in Englisch durchgeführt. Deutsch bleibt der Bachelor-Studiengang, den Hilti in Zukunft verstärkt zu einer dreijährigen kompakten Grundausbildung formen will. «Die Leute sollen in den Büros auch wirklich brauchbar sein», meint er.

Gegenüber früher, als viele Hochbauzeichner, Zimmerleute oder Studenten mit einer österreichischen technischen Matura an der Vaduzer HTL studierten, wird die Hochschule heute für viele zum zweiten Bildungsweg. Rund die Hälfte der Studierenden hat eine normale Matura im Sack. Dies bedeutet, dass der Unterricht heute praktisch bei Null anfangen muss, was für manch altgedienten Lehrer schwierig zu akzeptieren war. Doch die Studenten helfen sich gegenseitig und können so die Wissensunterschiede ausgleichen und für Maturanden gibt es Stützkurse.

Im Fürstentum verankert?

Finanziert wird die Schule durch den Staat – ein weiterer Grund also, die lokale Verankerung zu pflegen. So nimmt sie Themen auf, die im Land aktuell sind, oder bearbeitet Aufgaben im Auftrag von Gemeinden oder Firmen wie der Post. Diese Arbeiten stärken die Akzeptanz der Schule. «Wir können uns ja nicht nur mit dem Hafen von Mexiko befassen», meint Hansjörg Hilti. So untersuchten die Studierenden in Zusammenarbeit mit dem KMU-Zentrum Entwicklungsmöglichkeiten für die Gemeinde Balzers. Diese ist von der Industrie und deren wechselhaften Steuererträgen geprägt. Nun zeigten die Studierenden auf, wie mit hochklassigem Wohnraum Balzers für eine zahlungskräftige Klientel attraktiver werden könnte.
Ihre Umgebung haben die Studierenden auch in der Schule stets präsent: Cafeteria und Bibliothek sind in einem gläsernen Kasten untergebracht, der auf Stützen frei vor dem alten Fabrikgebäude steht. Dieser unterstreicht die Lage über dem Rheintal, öffnet den Nahblick auf die Peripherie von Vaduz und den Weitblick über den Rhein in die Schweiz. Der Umzug der Hochschule in die von den Münchner Architekten Karl Probst umgebaute einstige Baumwollspinnerei Jenny, Spoerry&Cie. war ein Glücksfall für die Architekturabteilung. Sie konnte nicht nur massgeschneiderte Räume beziehen, sie konnte sich auch von altem Ballast befreien und in den neuen Hüllen ein neues Selbstverständnis entwickeln. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil für die Hochschule: Hierher lädt man mit Freude Ausländer ein!

Lehrbeauftragte:
Katia Accossato, Doris Agotai, Alberto Dell’Antonio, Inge Beckel, André Bideau, Patrik Birrer, Bosco Büeler, Martin Bühler, Christoph Bürkle, Johannes Brunner, Ingrid Burgdorf, Markus Buschor, Xavier Calderón, Andrea Cejka, Hugo Dworzak, Angelus Eisinger, Roland Fäh, Oliver Fritz, Christoph Frommelt, Barbara Geyer, Pascal Gnädinger, Hanni Diethelm-Grauer, Peter Diethelm-Grauer, Gert Gschwendtner, David Gubler, Andreas Hagmann, David van Handel, Beni Heeb, Hansjörg Hilti, Ulrike Hugl, Andres Janser, Stefan Jäschke, Dieter Jüngling, Tibor Joanelly, Johannes Käferstein, Susanne Karn, Charles Kel-ler, Nathan Lutz, Philip Lutz, Urs Marquart, Ulrike Mayer, Urs Meister, Erica Overmeer. Moreno Piccolotto, Hansjörg Quaderer, Andrea Rüedi, Thomas Schregenberger, Eugen Schuler, Dietrich Schwarz, Ferdi Stadlin, Karl Tor-ghele, Robert Veneri, Janine Vogelsang, Hansjörg Vogt, Christian Vonier, Erich Walter, Richard Widmer, Henning von Winning, Elia Zenghelis, Frank Zierau

hochparterre, Di., 2006.10.17



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30. Juni 2006Werner Huber
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Ein Diamant in neuer Fassung

Damit ‹The Dolder Grand› weiterhin das Flaggschiff der Zürcher Hotellerie bleibt, wird es aufwändig umgebaut und erweitert. Foster and Partners haben es entworfen, Itten + Brechbühl und Ernst Basler + Partner setzen die Pläne in die Realität um – eine Parforce-Leistung für alle Beteiligten.

Damit ‹The Dolder Grand› weiterhin das Flaggschiff der Zürcher Hotellerie bleibt, wird es aufwändig umgebaut und erweitert. Foster and Partners haben es entworfen, Itten + Brechbühl und Ernst Basler + Partner setzen die Pläne in die Realität um – eine Parforce-Leistung für alle Beteiligten.

Hoch über Zürich eröffnete 1899 das von Landesmuseum-Architekt Jacques Gros entworfene Grand Hotel und Curhaus Dolder seine Türen. Das romantische Bergschloss kostete 1,7 Millionen Franken und war schon damals das teuerste Haus der Stadt - trotz Bad auf der Etage. Das Hotel war zunächst nur in der Sommersaison geöffnet, erst 1916 stellte es auf Ganzjahresbetrieb um, vor allem, um betuchte Flüchtlinge zu beherbergen, die der Erste Weltkrieg aus ihrer Heimat vertrieben hatte. Stets passte sich die Herberge den Bedürfnissen der Zeit an: In den Zwanzigerjahren wurde der Hoteleingang von der Hauptfront an die Rückseite verlegt, um an dessen Stelle ein Restaurant zu bauen, und hinter dem Hotel entstand ein Personalhaus. In den Sechzigerjahren wurde das Hotel umfassend renoviert, es erhielt einen zusätzlichen Zimmertrakt und einen Ballsaal im ersten Stock. Die Aus-sen-renovation- Ende der Siebzigerjahre war die letzte aussen sichtbare Veränderung. Während mehr als hundert Betriebsjahren konnte das Grand Hotel Dolder seine führende Rolle in der Zürcher Hotellerie zwar halten, doch ohne grössere Investitionen wäre die Position des traditionsreichen Hauses gefährdet gewesen; denn weltweit rüsten die Hotels der Spitzenklasse massiv auf. 2001 stiegen Devisenhändler Urs Schwarzenbach und Gastronom Martin Candrian beim Dolder ein. Sie vereinigten, was für die Zukunft des Hauses nötig ist: Geld und Know-how.

Das Projekt des Lords

Die Pläne für das neue Dolder, das seit April ‹The Dolder Grand› heisst, zeichneten Foster and Partners, die für Schwarzenbachs Sisa Immobilien bereits die Chesa Futura in St.Moritz entworfen hatten (HP 12/03). Ziel der Arbeiten ist es, das Haus wieder von seiner besten Seite zu zeigen. Dafür werden die späteren Zubauten abgerissen und der Haupteingang wieder an seine ursprüngliche Stelle verlegt. Zwei neue Zimmertrakte - der Spa-Flügel und der Golf-Flügel - umschliessen den Altbau von hinten, in der Achse des Haupteingangs kommt der Ballsaal zu stehen. Zu Füssen des Haupthauses, unter der Hotelzufahrt, kommen Restaurant, Konferenzsäle und der Spa-Bereich zu liegen. Kurz: Lord Foster gibt dem alten Diamanten einen neuen Schliff und setzt ihn in eine neue Fassung.

Itten+Brechbühl als Gesamtleiter und Ausführer sowie Ernst Basler+Partner als Ingenieure sind die Juweliere, die Fosters Schmuckstück vom Papier in die Realität umsetzen. Doch anders als im Schmuckatelier, wo der Diamant erst zum Schluss in die Fassung eingesetzt wird, steht auf der Baustelle hoch über Zürich der edle Stein bereits an seinem Platz und die Fassung muss um ihn herum gebaut werden - eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten. Denn die bis zu 18 Meter tiefe Baugrube rückt dem Altbau von allen Seiten zu Leibe, gleichzeitig erhält das alte Haus neue, tiefer gelegte Fundamente und hinter den alten Fassaden wird sein Innenleben, mit Ausnahme weniger, Teile komplett neu erstellt.

Den Altbau am Ort behalten

Auf einem Rundgang durch das im Rohbau weitgehend vollendete Haus schildern der Chefbauleiter Kuno Zimmermann und der Ingenieur Consuelo Senn, wie sie dafür sorgten, dass der Altbau nicht in die Baugrube rutschte, und wie sie das ausgehölte Haus stabilisierten, damit es nicht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. 150 Arbeiter waren während den Tiefbau- und Rohbauarbeiten auf der Baustelle beschäftigt. Zunächst wurde das Grand Hotel von seinen An- und Erweiterungsbauten befreit und aus dem Innern wurden die nichttragenden Bauteile entfernt. Dann wurden im Keller Mikropfähle in den Boden eingelassen und das Haus für die Abfangung und Stabilisierung vorbereitet. Nun wuchs im Innern, die alten Holzböden durchdringend, ein provisorisches Stahlskelett in die Höhe. Die Aussenfassaden wurden in 500 Bauetappen unterfangen und nach unten verlängert, um die Höhe des Untergeschosses zu erhöhen. Gleichzeitig hob man die Baugrube allmählich auf das Bodenniveau des neuen Kellergeschosses aus. Im nächsten Schritt wurde der Altbau von oben nach unten ausgekernt und die Stabilisierung der Fassade auf die Stahlkonstruktion verlagert.

Erhalten blieben vom alten Haus die Aussenwände, Teile des Daches, der Mittelteil mit Steinhalle, Haupttreppe und vorgelagerten Zimmern, die beiden Seitentreppen und - jeweils rechts und links des Mittelteils - zwei Zimmer pro Geschoss, die nun am Stahlskelett frei in der Luft hingen. Nun konnte man unter dem ausgeräumten Haus die Bodenplatte des neu als Gartengeschoss bezeichneten Untergeschosses betonieren. Das Haus hatte wieder festen Boden unter den Füssen gewonnen - jedoch nur für kurze Zeit. Denn jetzt begann die Baustelle in zwei Richtungen zu wachsen: Während nach oben in den alten Mauern sukzessive der neue Rohbau in die Höhe wuchs, gingen unten die Grabungen weiter; die Neubauten dringen tief in den Boden ein und schieben sich teilweise unter den Altbau. 110000 Kubikmeter Aushub führten die Lastwagen teilweise im Drei-Minuten-Takt ab - das waren bis zu 300 Fahrten pro Tag. Zur Grundsteinlegung am 4. Februar 2005 schien das alte Grand Hotel wie ein Hochseedampfer in einem tiefen, ausgetrockneten Ozean zu stehen.

Chirurgenarbeit im Hotel

Dieser schon auf dem Papier komplizierte und aufwändige Ablauf war auf der Baustelle noch komplexer und hielt manche Überraschungen bereit. So war die Bauqualität der alten Fassade sehr unterschiedlich. Zwar weise der Sandstein eine hohe Festigkeit auf, doch sei stellenweise sehr wenig Zement vorhanden gewesen, erläutert Kuno Zimmermann. Zudem sei während 100 Jahren sehr viel geflickt und verändert worden, was die Stabilität weiter beeinträchtigte. Zur Sicherung der Baustelle hatte man ein aufwändiges System installiert, das in heiklen Phasen kontinuierlich allfällige Verschiebungen registrierte und selbsttätig Alarm geschlagen hätte. Fast täglich standen Planer und Ausführende vor neuen Hürden, mussten unter Zeitdruck Lösungen für unerwartete Probleme finden.

Auch das Füllen der alten Hülle bot einige Knackpunkte, so beim Anschluss des Neuen ans Alte und bei der Haustechnik, die bei gleich bleibender Raumhöhe unsichtbar eingebaut werden muss. Für horizontale Lüftungskanäle blieb so kein Platz, sie mussten via Dach zur Technikzentrale in den Keller geführt werden. Und in den Wänden und Decken blieb neben den orangen Bündeln der Elektrorohre für Beton manchmal kaum mehr Raum. Chirurgenarbeit war am Dachstock nötig, wo die zimmermännische Tragstruktur grösstenteils entfernt, die charakteristischen Dachvorsprünge aber an Ort belassen werden.

Ohne Geometer geht nichts

Fragen solcher Art sind bei Sanierungen oder Umbauten an der Tagesordnung. Dafür würde man erwarten, dass bei den Neubauten, also der Fassung des Diamanten, alles routinemässig ablaufen kann. Doch weit gefehlt, denn Norman Foster und sein Team haben im Grundriss kaum gerade Linien gezeichnet; alles ist geschwungen und gebogen. Selbst der Ballsaal, der zunächst wie ein einfacher Zylinder aussieht, hat keine regelmässige Form. Komplex war da bereits das Zeichnen und Vermassen der Pläne im Büro, das Umsetzen auf der Baustelle mit der nötigen Präzision stellte Bauleiter und Polier vor neue Hürden. Bei den engen Radien liess sich der Kreisbogen zwar konventionell mit einem Mittelpunkt vor Ort bestimmen, bei den weiten Radien wäre der Mittelpunkt aber weit ausserhalb des Areals zu liegen gekommen. Also haben die Ingenieure das ganze Bauwerk auf dem Landeskoordinatennetz aufgebaut. Im Abstand von zwei Metern, bei komplexen Teilen auch von nur einem halben Meter, übertrugen die Geometer die Punkte aus den Plänen auf die Baustelle. Der Baumeister stellte dafür eigens eine Equipe zusammen, die eine Geometer-Grundausbildung erhielten. Ohne sie konnte selbst der Polier auf der Baustelle gar nichts mehr ausrichten, wie Kuno Zimmermann erzählt.

Zurzeit werken im neuen Hotelkomplex über 400 Arbeiter am Innenausbau. Anfang 2008 soll ‹The Dolder Grand›, wie das Hotel neu heisst, eröffnet werden. Insgesamt wird es 174 Zimmer zählen, 115 normale Deluxe-Zimmer, 48 Junior Suiten und 7 Suiten, alle mit Whirlpool und Dampfduschen, sowie 4 Top Suiten, in denen zusätzlich eine Sauna zur Verfügung steht. Zwei Restaurants, eine Bar, ein Spa-Café und eine grosszügige Lobby wird es im Haus geben und für Feste und Bankette stehen Säle von 35 bis 600 Quadratmeter zur Verfügung. Wie es sich für Häuser dieser Klasse gehört, wird auch das Dolder seinen Gästen und Clubmitgliedern einen Spa-Bereich anbieten. Wenn das stolze Schloss oben am Zürichberg erst seinen Betrieb aufgenommen hat und geschäftig brummen wird, werden die Mühen der Planer und Bauarbeiter fast vergessen sein. Von ihnen wird man nur sprechen, wenn etwas nicht so funktioniert, wie es sollte. Ansonsten wird das Haus als ‹Norman Fosters Meisterwerk› durch die Presse ziehen - als gleissender Diamant in neuer Fassung.

hochparterre, Fr., 2006.06.30



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Um- und Neubau The Dolder Grand



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30. Juni 2006Werner Huber
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Schulhaus zwischen Stadt und Wald

Für die Wirtschaftsschule KV Baden-Zurzach haben die Architektinnen Barbara Neff und Bettina Neumann eine Erweiterung erstellt. Der Betonbau sitzt an der Hangkante, wo die Stadt aufhört und der Wald anfängt. Herzstück des kantigen Baus ist die dreigeschossige Halle.

Für die Wirtschaftsschule KV Baden-Zurzach haben die Architektinnen Barbara Neff und Bettina Neumann eine Erweiterung erstellt. Der Betonbau sitzt an der Hangkante, wo die Stadt aufhört und der Wald anfängt. Herzstück des kantigen Baus ist die dreigeschossige Halle.

Die Gegend um den Bahnhof Oberstadt ist eine vergessene Ecke Badens, erst recht, seit die SBB vor zwei Jahren den Personenverkehr auf der Linie zwischen Baden und Lenzburg einstellten. Noch fünf Güterzüge fahren täglich an dem funktionslos gewordenen Bahnhof vorbei. Etwas Leben ins Quartier bringen die 1500 Schülerinnen und Schüler der Wirtschaftsschule KV Baden-Zurzach, die täglich über die Passerelle in ihr Schulhaus jenseits der Gleise strömen. Anfang der Achtzigerjahre stellte die Architektengemeinschaft Meier+Kern und Obrist+Partner eine grün befensterte braune Kiste zwischen die Gleise und den Wald. Der Pausenplatz beschränkte sich auf eine schmale Terrasse im Winkel zwischen dem Schulhaus und den zur Hälfte in den Boden eingelassenen Turnhallen.

Für eine Erweiterung der Schule stand also nicht viel Platz zur Verfügung. Eines der zentralen Anliegen von Barbara Neff und Bettina Neumann, die 2001 den Wettbewerb für den Erweiterungsbau gewannen, war die Verbesserung des Aussenraums. Sie gaben dem Pausenplatz mit einem scharf geschnittenen Betonkörper eine räumliche Fassung. Er entwickelt sich aus dem Sockel heraus, der als Rampe zur tiefer gelegenen Kreuzlibergstrasse vermittelt. Nach Osten definiert der Neubau einen präzisen Abschluss des Schulareals. Nach Westen hingegen - zum Altbau und zum Pausenplatz - öffnet er sich mit der Geste der spektakulären Auskragung der beiden Obergeschosse über das Erdgeschoss. Damit vergrössern die Architektinnen den knappen Aussenraum, schaffen einen gedeckten Pausenplatz und verschränken das Äussere mit dem Innern. Präzise sichtbar wird dadurch auch die Lage des Gebäudes im Gelände: Von hinten her fliesst der Waldboden bis unter die Auskragung, entlang der Gleise reicht Vegetation bis an die Gebäudekante.

Im Herz die Halle

Eine halb in den Beton eingelassene Uhr, eine künstlerische Arbeit von Guido Nussbaum, markiert den Eingang und macht den Bau zum Schulhaus. Der öffentliche Raum des Pausenplatzes setzt sich im Innern des Neubaus fort und erklimmt auch die oberen Geschosse. Die dreigeschossige, im Grundriss quadratische Halle ist das Herz des Hauses. Zwei Treppen ermöglichen vielfältige Promenaden durchs Haus und die Galerien öffnen den Durchblick von Geschoss zu Geschoss. Eine Raumausweitung auf jedem Stock öffnet die introvertierte Halle nach aussen und bietet Platz für Tische mit Pausen- oder Arbeitsplätzen. Die Halle bildet den idealen Rahmen für eine der Lieblingsbeschäftigungen der KV-Schülerinnen und -Schüler während den Pausen: dem Sehen und Gesehenwerden. „Das haben wir doch damals auch gemacht“, erinnert sich Bettina Neumann. Die Bühne für diese im Rhythmus der Pausenglocke stattfindenden Auftritte haben die Architektinnen neutral gehalten; Beton beherrscht die Szene an Wänden und Decken und am Boden liegt betongrauer Terrazzo. Doch Beton ist nicht gleich Beton, wie die haushohe Wand gleich nach dem Betreten der Halle demonstriert. Hier wechseln sich schalungsrohe mit gestockten Betonflächen ab. Ein aufmerksamer Gang durchs Haus zeigt erstens, dass sich die beiden unterschiedlichen Oberflächen wie eine Schlaufe den Wänden entlang durchs ganze Gebäude ziehen, und zweitens, dass die schalungsrohen Flächen mit einer Farbe gestrichen sind, die die Wand je nach Lichteinfall geheimnisvoll schimmern lässt. Der Künstler Mayo Bucher hat die Behandlung der Oberflächen als Kunst-am-Bau-Arbeit zusammen mit den Architektinnen entwickelt. Es ist eine feine Arbeit, die man an der grossen Hallenwand zwar auf Anhieb erkennt, die sich aber in ihrer Gesamtheit erst allmählich erschliesst.

Einen Kontrapunkt zum kantigen Beton setzen die runden Oberlichter der Halledecke und die ebenfalls runden Leuchten auf den Galerien; mit mattem Glas gedeckte, violett schimmernde Öffnungen im Hallenboden weisen darauf hin, dass auch im Untergeschoss etwas los ist. Die gestockten und die schimmernd gestrichenen Betonwände leiten über die Treppen nach unten in den Gymnastik- und Kraftraum, dessen professionelle Ausrüstung die Bedeutung illustriert, die die Schulleitung dem Sport zumisst. Nun löst sich auch das Rätsel des violetten Lichts, das durch die fünf runden Oberlichter in die Halle schimmerte: Auf dem Boden liegt ein dunkelvioletter Belag.

Eine andere, lichtere Stimmung als in der kargen kantigen Halle herrscht in den Unterrichtszimmern, deren Wände und Decken in Weiss strahlen und auf deren Boden ein gelber Linoleum liegt. „Wir wollten ein neutrales Gefäss schaffen“, erläutert Bettina Neumann die Absicht der Architektinnen. Alle Zimmer sind identisch gestaltet, einzig durch ihre Grösse unterscheiden sie sich - die Informatikzimmer sind etwas grösser als die Klassenzimmer, die Gruppenräume etwas kleiner. Trotz der einheitlichen Farben und Oberflächen ist die Atmosphäre in jedem Raum anders, je nach dem, ob vor dem schwarz gerahmten Fenster der Wald aufragt oder sich die Weite der Stadt ausbreitet. Während des Unterrichts sind die beiden Welten von Halle und Zimmer hermetisch voneinander getrennt. Während der Pause jedoch, wenn die Türen geöffnet sind, überträgt sich dank dem gelben Boden die heitere Raumatmosphäre auch auf die Halle, die dann vom Leben der pausierenden Schülerinnen und Schüler erfüllt ist.

In den innen ausgekleideten Zimmern ahnt man auch, wie das ganze Haus konstruiert ist: aus innen gedämmtem Beton, bei dem die Anschlussprobleme so gut gelöst wurden, dass das Haus den Minergie-Standard erfüllt. Monolithischer Beton war von Anfang an der Wunsch der Architektinnen und die Auskragung über dem Erdgeschoss hätte eine andere Konstruktion gar nicht zugelassen. Erst als die letzte Wand und die letzte Decke betoniert waren, durfte man die Spriessen unter der Auskragung entfernen.

Frisch, statt verzagt

Der Neubau von Barbara Neff und Bettina Neumann macht aus dem etwas verloren in der Gegend sitzenden Schulhaus der Achtzigerjahre ein präzis definiertes Ensemble aus zwei Bauten. 25 Jahre liegen zwischen den beiden Teilen und der Unterschied ist offensichtlich: Dem Altbau ist die Verzagtheit und Orientierungslosigkeit der Architektur seiner Zeit anzusehen. Er ist zwar ein in der Tradition- der Moderne stehender Kubus, zeigt aber mit seinen auf dem Quadratraster aufgebauten Fensterteilungen auch Attribute der Postmoderne. Wie viel frischer und selbstbewusster tritt da der Neubau auf und zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Kein Wunder, musste die Schulleitung für Ortsunkundige an der Zugangspasserelle eiligst ein Schild montieren: ‹Verwaltung› steht drauf, und es weist - wie schade - nach rechts, zum Altbau.

hochparterre, Fr., 2006.06.30



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Erweiterung der Wirtschaftsschule KV Baden-Zurzach



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12. Mai 2006Werner Huber
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Raffinierte Erweiterung

Direkt neben dem Luzerner Hofbezirk entstanden in den Siebzigerjahren die Neubauten des Priesterseminars Sankt Beat, ein bemerkenswerter Betonbau des Architekten...

Direkt neben dem Luzerner Hofbezirk entstanden in den Siebzigerjahren die Neubauten des Priesterseminars Sankt Beat, ein bemerkenswerter Betonbau des Architekten...

Direkt neben dem Luzerner Hofbezirk entstanden in den Siebzigerjahren die Neubauten des Priesterseminars Sankt Beat, ein bemerkenswerter Betonbau des Architekten Wal-ter Rüssli, und das Schulhaus der Kaufmännischen Berufsschule. Auf ein frei gebliebenes Dreieck vor diesen beiden Schulbauten, wo früher die Treibhäuser der Hofgärtnerei standen, setzten Lussi+Halter Architekten jetzt die Erweiterung der Kaufmännischen Berufsschule mit zwei Turnhallen, Klassenzimmern, Aula und Mensa.

Das Raumprogramm war gross, das Grundstück eng und die nahen historischen Bauten verlangten von den Architekten viel Fingerspitzengefühl. Deshalb beschränkten sie das sichtbare Bauvolumen aufs Minimum, rückten es möglichst weit nach hinten und platzierten es so, dass die wichtigen Sichtbeziehungen im Quartier erhalten blieben. Entstanden ist ein im Grundriss fünfeckiger Bau, der sich nach oben zum Rechteck mit einer vorstehenden Spitze verjüngt. Das im Verhältnis zum Raumprogramm bescheidene Volumen liess sich nur erreichen, weil die zwei grössten Brocken des Schulhauses – die beiden Turnhallen – im Boden eingegraben sind. Dabei liessen sich die Architekten nicht einfach vom Prinzip ‹aus den Augen, aus dem Sinn› leiten, sondern sie loteten das Potenzial des unterirdischen Bauens aus: So macht gleich beim Eintreten im Erdgeschoss ein schmaler Lichtschlitz klar, dass das Haus noch vier weitere Geschosse in die Tiefe und zwei in die Höhe geht. Über drei grosse Fenster erhält die halb eingegrabene obere Turnhalle Tageslicht und über Lichtschächte fällt auch die ganz im Boden vergrabene untere Halle fast sakral anmutendes Tageslicht. In den Untergeschossen erschliesst ein Wegsystem spiralförmig die seitlich angeordneten Garderoben und schafft interessante räumliche Bezüge in die beiden Hallen; selbst am tiefsten Punkt entsteht nie der Eindruck eines Kellerlochs.

So breit wie die Turnhallen ragen Erd- und Obergeschosse aus dem Baukörper hervor. Im Eingangsgeschoss liegen Mensa und Aula, in den beiden Obergeschossen sind beidseits des breiten Mittelganges die Unterrichtsräume angeordnet. Auf beiden Etagen öffnet am Ende des Korridors ein Panoramafenster den Weitblick über die Stadt und die umliegende Landschaft. Eichenholz, Beton und der Marmorboden aus Botticino Semiclassico erzeugen eine warme Atmosphäre, die an die Blütezeit der Schweizer Schulhausarchitektur der Sechzigerjahre erinnert. Anspruchsvoll zu planen und herzustellen waren die Fassaden aus reliefartig gestreiften Sichtbetonelementen: 400 davon gibt es und kaum eines gleicht dem anderen. Eine aufwändige Planungs- und Herstellungsarbeit, die der Bauunternehmer mit Bravour gelöst hat.

Die Umgebung hat Robert Gissinger als terrassierten Park gestaltet. Ein Meter hohe Mauern zeichnen das Relief nach, davor sind geschnittene Eibenhecken gesetzt, die beim Schrägblick den Eindruck eines grünen Hangs erzeugen. Die horizontalen Flächen sind jedoch mit Kiesrasen belegt und öffentlich zugänglich.

hochparterre, Fr., 2006.05.12



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12. Mai 2006Werner Huber
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Mit Kartografenpräzision

Mit ihrer begehbaren Topografie aus Asphalt und Buchs im Hof der Landestopografie in Wabern bei Bern hat die Künstlerin Katja Schenker den Hasen in Gold...

Mit ihrer begehbaren Topografie aus Asphalt und Buchs im Hof der Landestopografie in Wabern bei Bern hat die Künstlerin Katja Schenker den Hasen in Gold...

Mit ihrer begehbaren Topografie aus Asphalt und Buchs im Hof der Landestopografie in Wabern bei Bern hat die Künstlerin Katja Schenker den Hasen in Gold in der Landschaftsarchitektur gewonnen (HP 12/05). Den Rahmen dafür haben die Architekten Christian Oeschger und Andreas Reimann mit dem Erweiterungsbau des Bundesamtes geschaffen, das Swisstopo heisst. Diese Öffnung drückt sich im Neubau aus. Im Erdgeschoss öffnet sich das Haus zur Strasse hin mit dem Kartenladen und einem Ausstellungsraum. Der erste Stock hingegen, wo die Konferenz- und Vortragssäle liegen, wendet der Strasse den Rücken zu und öffnet sich zum Hof und zum Altbau. Im obersten Geschoss mit ein paar Büros umschliesst ein Fensterband das Gebäude auf drei Seiten. Der Neubau ist eine wohl austarierte Komposition aus offenen und geschlossenen Flächen. Doch wer das statische System verstehen möchte, ist irritiert. Die grossen Wandscheiben scheinen im Raum zu hängen, vergeblich sucht man Stützen oder Wände. Das Geheimnis liegt in der Fensterfront: Diese ist als massive Stahlkonstruktion konzipiert, die nicht nur die Gläser hält, sondern auch noch gleich die Lasten der darüber liegenden Geschosse aufnimmt.

hochparterre, Fr., 2006.05.12



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27. April 2006Werner Huber
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Breslau unterwegs nach Europa

Breslau, die polnische Stadt an der Oder, fungiert nicht auf der Hitliste der Städtereisenden. Dabei gibt es gerade für Architekten vieles zu entdecken. Sie finden zum Beispiel die Jahrhunderthalle, eine Werkbundsiedlung und einen Bau von Mendelsohn. Oder die polnische und deutsche Vergangenheit und eine europäische Zukunft.

Breslau, die polnische Stadt an der Oder, fungiert nicht auf der Hitliste der Städtereisenden. Dabei gibt es gerade für Architekten vieles zu entdecken. Sie finden zum Beispiel die Jahrhunderthalle, eine Werkbundsiedlung und einen Bau von Mendelsohn. Oder die polnische und deutsche Vergangenheit und eine europäische Zukunft.

Wer als Architekt ‹Breslau› hört, denkt an die Jahrhunderthalle oder die Werkbundsiedlung. Mehr fällt dazu kaum jemandem ein und auf die Frage, wo Breslau liegt, wissen nur wenige eine Antwort – jedenfalls in der Schweiz, die von den Wirren des Krieges und dessen Folgen verschont blieb. Ist Breslau Bratislava? Nein, Breslau liegt in Polen, heisst dort Wrocław (sprich ‹Wrotzwuaff›) und ist die Hauptstadt der Wojewodschaft Dolny Śląsk, Niederschlesien.

Das war nicht immer so: Breslau war der Reihe nach tschechisch, polnisch, wieder tschechisch, österreichisch und preussisch. Bis 1945 gehörte Niederschlesien zum Deutschen Reich und Breslau war eine deutsche Grossstadt mit 660 000 Einwohnern. Diese mussten als Folge der von den Alliierten beschlossenen Westverschiebung Polens ihre Stadt nach Kriegsende verlassen. An ihrer Stelle wurden Polen aus den von der Sowjetunion annektierten ostpolnischen Gebieten und aus dem übrigen Land angesiedelt – eine für Deutsche und Polen gleichermassen traumatische Erfahrung. Heute ist Wrocław mit 632 000 Einwohnern nach Warschau, Lódż und Krakau die viertgrösste Stadt des Landes.

Herausgeputzte Fassaden, neues Pflaster auf dem Boden, attraktive Geschäfte und belebte Restaurants – die gute Stube Breslaus, der Rynek (Marktplatz) und der Plac Solny (Salzmarkt), hat seit der Wende von 1989 ihren sozialistischen Grauschleier abgestreift. Auch die Geschäftsstrasse ulica Świdnicka erhielt ein neues Gesicht und zurzeit pflügen die Baumaschinen die ulica Oławska um. Mehrere der immer noch zahlreichen Brachen, die der Krieg hinterlassen hat, sind in den letzten Jahren bebaut worden. Zwar sind das Wratislavia Center, das Qubus-Hotel oder andere Neubauten keine architektonischen Highlights, doch schliessen sie die Strassenräume und geben der Stadt ihre einstige bauliche Dichte zurück. Der Neubau für die juristische Fakultät neben dem barocken Uni-Hauptgebäude zeigt, dass sich die Altstadt auch ausserhalb der beiden Hauptplätze wandelt. An manchen Stellen erinnert Breslau an das boomende Leipzig der Neunzigerjahre, während sich an anderen Ecken, so am Nowy Targ (Neumarkt), noch immer der Geist des Sozialismus festzuklammern scheint.

Polnische Vergangenheit

Weil die Rote Armee im Mai 1945 die ‹Festung Breslau› aus Süden und Westen umklammert hatte, waren die nördlichen und östlichen Quartiere weit gehend intakt geblieben. Hier siedelten sich die ersten Polen an und der Platz vor dem Bahnhof ‹ Wrocław Nadodrze› war das erste Zentrum des polnischen Breslaus. Für die neuen Bewohner war die Stadt fremd; alle Aufschriften waren deutsch, deutsch geprägt war die Architektur. Viele zweifelten, dass sie lange in den ‹wiedergewonnenen Gebieten›, so die offizielle Sprachregelung, bleiben könnten. Die polnischen Machthaber wollten Fakten schaffen und beweisen, dass Breslau eine polnische Stadt ist. Weil die gotischen Kirchen die einzigen Zeugen der polnischen Piastenzeit waren, liessen die Kommunisten ausgerechnet die Kirchen als erstes wieder aufbauen, wie der Architekturprofessor Janusz Dobesz erzählt. Doch bevor der Wiederaufbau im grossen Stil überhaupt einsetzte, musste Breslau, getreu der Losung ‹Das ganze Volk baut seine Hauptstadt›, Millionen Trümmersteine nach Warschau verfrachten. Wegen dem verspäteten Wiederaufbau hinterliess der sozialistische Realismus, der das Baugeschehen zwischen 1949 und 1956 bestimmte, in Breslau nur wenige Spuren, so das Kościuszko-Wohnviertel KDM und die Ostseite der ulica Świdnicka. In den Sechzigerjahren machte man sich an den Aufbau des am stärksten zerstörten nordöstlichen Teils der Altstadt rund um den Nowy Targ, den Neumarkt. Hier wähnt man sich eher in einem Neubauviertel als in der Altstadt. Zwei bemerkenswerte Bauten aus der Zeit der Volksrepublik sind die Überbauung am Plac Grunwaldzki und der Rundbau für das Panoramagemälde der Schlacht von Racławice.

Fast ebenso stark wie der Sturm der ‹Festung Breslau› in den letzten Kriegstagen zerstörten in den Siebzigerjahren die Tiefbauer die Stadt, als sie eine sechsspurige Schnellverkehrsstrasse samt Tramtrassee durch die Altstadt legten, die nach Kazimir dem Grossen benannte . ulica Kazimierza Wielkiego. Im Anschluss an die ‹Trasa W-Z›, wie die Propaganda die Ost-West-Transversale in Anlehnung an das Warschauer Prestigeobjekt der späten Vierzigerjahre nannte, verschwanden in den Achtzigerjahren mehrere Strassengevierte der einstigen Ohlauer Vorstadt unter einem Strassenkreuzungsbau, wie man ihn sonst nur an grösseren Autobahneinfahrten findet.

Deutsche Vergangenheit

Erst mit der Zeit haben die neuen Bewohner die deutsche zu einer polnischen Stadt gemacht. Doch ist gerade in Polen, das bis 1918 während über hundert Jahren als Staat nicht existierte, die Unterscheidung zwischen deutsch und polnisch gar nicht so einfach. So gibt es auch in Poznań, Bydgoszcz und Toruń Bauten aus preussischer Zeit, weil diese Städte als Posen, Bromberg und Thorn bis 1918 Teil des Deutschen Reiches waren.

Einmalig für Polen ist in Breslau jedoch die Dichte an Bauten der Moderne der Zwanziger- und Dreissigerjahre. Mitten in der Altstadt ragt seit 1930 das zehngeschossige ‹Hochhaus› der Breslauer Stadtsparkasse in die Höhe und gleich daneben steht Adolf Radings Mohrenapotheke von 1928 (HP 1-2/01). An der ulica Oławska streckt das einstige Kaufhaus Petersdorff von Erich Mendelsohn seinen Erker in die Strasse und zwei Häuser weiter steht das frühere C & A-Gebäude von 1930. Überdauert haben auch ein Geschäftshaus von Hans Poelzig, das Warenhaus Wertheim von Hermann Dernburg, das Postcheckamt von Max Neumann und das Generalstabsgebäude von Otto Rudolf Salvisberg. Auch die Bauten der Werkbundsiedlung von 1929 mit Hans Scharouns Wohnheim für Ledige und frisch Verheiratete sind in ihrer Substanz weit gehend erhalten. Eines der Wahrzeichen der Stadt ist schliesslich die Jahrhunderthalle, die Stadtbaurat Max Berg 1913 zum hundertjährigen Jubiläum der Völkerschlacht von Leipzig baute.

Die polnische Denkmalpflege hat den Wert dieser Gebäude längst erkannt. Den Bewohnern ist es aber schwierig zu vermitteln, dass sie in einem Architekturdenkmal leben. «Für sie sind Denkmäler alt», erzählt Jadwiga Urbanik, die sich am Institut für Architekturgeschichte des Polytechnikums mit der Werkbundsiedlung befasst. Weil die Einfamilienhäuser privat sind, komme es auch zu Konflikten zwischen den Bewohnern und der Denkmalpflege. Für eine umfassende Sanierung fehlt das Geld, staatliche Hilfe gibt es praktisch nicht. Fachgerecht saniert sind die Jahrhunderthalle und der Scharoun-Bau, bei dem man jetzt laut Jadwiga Urbanik immerhin die bauphysikalischen Probleme im Griff habe und das Farbkonzept mit dem Original übereinstimme.

Europäische Zukunft

Die Perspektiven Breslaus sind günstig: Die politische und administrative Neuordnung Polens hat den Regionen mehr Eigenständigkeit und Budgetkompetenz gebracht. Nach der Öffnung der Grenzen zu Deutschland und Tschechien liegt Breslau in einem Dreiländereck, das dank der Mitgliedschaft in der EU Dynamik gewinnt. Das lange vernachlässigte Niederschlesien liegt heute, gemessen an den ausländischen Investitionen, auf Platz drei, zwar weit hinter Masowien mit Warschau, aber nur knapp hinter dem stark industrialisierten Oberschlesien. Trotzdem sagen demografische Prognosen, dass Breslau in den nächsten dreissig Jahren bis zu 40 000 Einwohner verlieren könnte.

Wer es sich leisten kann, erfüllt sich den Traum vom Haus im Grünen. Dieser Tendenz will die Stadt entgegenwirken, Arbeitsplätze und attraktive Wohnzonen schaffen. «Insbesondere wollen wir den 150 000 Studierenden unserer Stadt eine Perspektive geben, so dass sie nach Abschluss ihres Studiums in Breslau bleiben», hält der stellvertretende Stadtplaner Jacek Barski fest. Als grösstes Problem sieht Barski den Verkehr: Bis anhin musste sich der ganze Transitverkehr in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung durch das Zentrum quälen. Seit zwei Jahren ist die Millenniums-Brücke als Teil eines inneren Umfahrungsringes in Betrieb. Doch bis der ganze Ring fertig gestellt ist, dürften noch Jahre vergehen – ganz zu schweigen vom äusseren Ring, der dereinst die Stadt weiträumig umschliessen soll. Sind diese Strassen erst einmal gebaut, dann könne vielleicht auch die ‹Trasa W-Z› in der Altstadt zu einem Boulevard umgebaut, das Tram sogar in den Boden verlegt werden, sinniert Barski. Den öffentlichen Verkehr will die Stadt mit einem Park-and-Ride-System und mit einer besseren Verknüpfung von Bahn, Tram und Bus attraktiver gestalten. Wer die alten polnischen Vorortszüge und die oft völlig vernachlässigten Bahnhöfe, etwa ‹ Wrocław Nadodrze› kennt, kann sich vorstellen, welche Anstrengungen nötig sind. Doch der Neubau der die Altstadt querenden Tramlinie mit Geldern der EU beweist, dass die Stadt ihre Zukunft anpackt.

hochparterre, Do., 2006.04.27



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10. März 2006Werner Huber
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Für Markt und mehr

Montags trafen sich die Viehhändler und Bauern jeweils in der Kälberhalle zu Liechtensteig zum Markt. Diese bald hundertjährige Tradition findet nun in...

Montags trafen sich die Viehhändler und Bauern jeweils in der Kälberhalle zu Liechtensteig zum Markt. Diese bald hundertjährige Tradition findet nun in...

Montags trafen sich die Viehhändler und Bauern jeweils in der Kälberhalle zu Liechtensteig zum Markt. Diese bald hundertjährige Tradition findet nun in der Markthalle von Wattwil ihre Fortsetzung. Solide steht der fast 80 Meter lange Bau am Ortsrand. Die Längswände sind leicht schräg gestellt, sodass der Bau ‹mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen scheint. Unter dem Kleid aus groben Brettschindeln und der Stülpschalung verbirgt sich eine Reihe von gebogenen Bindern aus Brettschichtholz, die dem Raum eine sakrale Note geben. An der einen Schmalseite bildet ein vorstehender, mit wenigen Fenstern durchbrochener Gebäudeteil einen massiven Rücken. Hier ragt auch das Restaurant mit der Tribüne auf dem Dach in die Halle. Am anderen Ende ist der Holzbau scharf abgeschnitten und die Aussenwand zurückgesetzt, sodass ein gedeckter Vorbereich entstand. Das gesamte Baumaterial – fast ausschliesslich Fichte – stammt aus dem Toggenburg. Hochbetrieb herrscht übrigens nicht nur beim Kälbermarkt. Der Blick in den mit Schlachtviehmarkt, Stierenmarkt, Braunviehauktion, Churfirstenfestival und schliesslich auch der Toggenburger Misswahl dick bepackten Kalender zeigt: Die Markt- ist auch eine Mehrzweckhalle.

hochparterre, Fr., 2006.03.10



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Viehmarkthalle



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10. März 2006Werner Huber
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Happy End

Man kann sich vorstellen, wie den beiden Knaben zumute war, als sie erfuhren, dass der Pavillon, an dem sie ‹gezeuselt› hatten, abgebrannt war. Dabei hatten...

Man kann sich vorstellen, wie den beiden Knaben zumute war, als sie erfuhren, dass der Pavillon, an dem sie ‹gezeuselt› hatten, abgebrannt war. Dabei hatten...

Man kann sich vorstellen, wie den beiden Knaben zumute war, als sie erfuhren, dass der Pavillon, an dem sie ‹gezeuselt› hatten, abgebrannt war. Dabei hatten sie doch das Isoliermaterial wieder gelöscht – meinten sie. Für die Schule Sulgenbach war der Brand eine Katastrophe: Schulkinder hatten den 85-jährigen Holzbau wenige Jahre zuvor selbst zurechtgemacht; er diente seither als Aula und Theater.

Dass die Schule den Pavillon braucht, darüber waren sich alle einig, und so schrieb die Stadt Bern einen Wettbewerb aus. Architekt Lorenzo Guetg und Erne Holzbau gewannen mit einem Pavillon, der Lage und Abmessungen vom Altbau übernimmt, doch eine zeitgenössische Sprache spricht. Die beiden Seiten und die Rückfassade des aus Holzrahmen erstellten Baus sind mit horizontalen Lärchenlamellen verkleidet. Die Hauptfassade gegen die Spielwiese ist weit gehend in Glas und in sieben horizontale Bänder gegliedert, die mit unterschiedlichen Glas-füllungen und Holz, das der raumhaltigen Glasfassade die Kraft einer soliden Wand gibt, ausgefacht sind. Rote Stoff-storen schützen den Raum vor Sonne und lassen den Holz-pavillon bei schönem Wetter wie ein Zelt aussehen.

hochparterre, Fr., 2006.03.10



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Schulpavillon Schulhaus Sulgenbach



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22. Januar 2006Werner Huber
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Wellenschlag im Gleisfeld

Stolz präsentierte der damalige Berner Planungsdirektor und heutige Stadtpräsident Alexander Tschäppät im April 2002 das siegreiche Wettbewerbsprojekt...

Stolz präsentierte der damalige Berner Planungsdirektor und heutige Stadtpräsident Alexander Tschäppät im April 2002 das siegreiche Wettbewerbsprojekt...

Stolz präsentierte der damalige Berner Planungsdirektor und heutige Stadtpräsident Alexander Tschäppät im April 2002 das siegreiche Wettbewerbsprojekt für die Überbauung Bahnhof Bern West (hpw 3/02). «Es wäre die erste grössere Bahnhofüberbauung der Schweiz», frohlockte er. Wäre gewesen, denn das Projekt kam bald ins Trudeln, röchelte kurz und scheiterte schnell. Dafür ging – noch als halbe Baustelle – im Dezember 2004 ‹die Welle› des Berner Büros Smarch Architekten in Betrieb. Jetzt ist sie fertig und wird fortan für 50 000 Personen täglich der Bahnhof sein.

Elegant stossen die sechs Dächer über den verlängerten Perrons aus Westen auf den Bahnhof zu, wölben sich, wie von der Schanzenbrücke gebremst, auf, verbreitern sich und schlüpfen im letzten Moment unter der Brücke durch. Wie ein Rechen kämmen die Perrons das Gleisfeld, bündeln die Schienenstränge und kündigen die Zäsur an, die den Verkehrsfluss bremst: den Bahnhof. Zwar weinen wir dem räumlich spannenden Überbauungsprojekt von 2002 eine kleine Träne nach, sind aber doch froh, dass die Gleise nun doch nicht unter einem Haus verschwunden sind. Das Bauwerk besteht aus zwei Hauptelementen: der Passerelle und den Dächern. Sechs Betontürme mit den verglasten Liften stehen auf den Perrons. Sie tragen die Passerelle und dienen als Auflager der hölzernen Dächer.

Zwischen die Betontürme sind Torsionsrohre gelegt, die die Glasdächer zwischen den Holzwellen tragen; eine leicht verständliche, schlüssig gelöste Tragkonstruktion. Doch damit steht das Bauwerk noch nicht. Um die Wellen und die schmalen Perrondächer zu tragen, braucht es zusätzliche Stützen, die in einer dichten Doppelreihe auf den schmalen Perrons stehen – an einzelnen Stellen sind sie noch knapp schulterbreit auseinander. Dazu gesellen sich die Fahrleitungsmasten, die, mal hier, mal dort, die Dächer durchstossen und wie die dicken Brüder der Dachstützen auf dem Perron stehen.

Den Architekten kann man nicht vorwerfen, sie hätten ihr Konzept nicht konsequent umgesetzt. Die Dächer liegen wie in den frühesten Modellen elegant auf der Betonkonstruktion und jede der Zutaten hat ihre Logik: Die Glasdächer brauchts, damit man nicht nass wird, aus Glas sollen sie sein, weil sie konzeptuell nicht zu den Wellendächern gehören, die Stützen brauchts, weil die Dächer ja nicht einfach schweben können, und schliesslich braucht es auch die zahlreichen Attribute, die aus der Passerelle einen funktionierenden Bahnhof machen. Die gewählten Lösungen sind pragmatisch, was sie wegen dem enormen Zeitdruck auch sein mussten. Doch insbesondere bei Sonnenschein erzeugen der Wechsel von offenen und geschlossenen Dachflächen, der ‹Wellengang› der Konstruktion, das Stahlgerüst der Glasdächer und die zahlreichen Zutaten ein unruhiges Spiel von Licht und Schatten. Der Raum unter der Welle zerfällt in Fragmente, das aus der Ferne so klare Konzept verliert seine Kraft.

hochparterre, So., 2006.01.22



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Passerelle West Bahnhof Bern



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12. Dezember 2005Werner Huber
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Marke im Bildungsquartier

«Das Projekt ‹mark› besticht durch eine städtebaulich überzeugende Ausformung des Gebäudevolumens und eine spannende Materialisierung sowie ein für eine...

«Das Projekt ‹mark› besticht durch eine städtebaulich überzeugende Ausformung des Gebäudevolumens und eine spannende Materialisierung sowie ein für eine...

«Das Projekt ‹mark› besticht durch eine städtebaulich überzeugende Ausformung des Gebäudevolumens und eine spannende Materialisierung sowie ein für eine moderne Berufsschule adäquates Gepräge», stand 1997 im Wettbewerbsbericht. Und der fertige Bau? Das Gebäude, bestehend aus fünf Unterrichtsgeschossen und fünf aufgetürmten Sporthallen, steht selbstbewusst am Sihlquai und markiert das ‹Bildungsquartier› im Kreis 5 (HP 5/05). Die laut Bericht ‹spannende Materialisierung› hat sich gewandelt: Nicht dunkelgrau verputzt sind die Aussenwände, sondern sie bestehen aus Sichtbetonelementen. Deren Struktur diktierte den Architekten den Rhythmus der Öffnungen, gab ihnen aber insbesondere am Turmbau auch die Freiheit, Fenster dort anzuordnen, wo sie benötigt wurden, ohne dass der Bau in Fragmente zerfallen würde. Beton prägt auch das Innere an Stützen und Wänden und als Kunststein auch am Boden. Damit folgten die Architekten «der Zürcher Tradition der zwinglianischen Bescheidenheit», wie sie einer Zeitung sagten. Und der rote Turm auf dem Dach? Er ist die Kunst und setzt einen virtuosen Kontrapunkt zum massiven Betonturm.

hochparterre, Mo., 2005.12.12



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Schulgebäude TBZ Sihlquai



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20. November 2005Werner Huber
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Auch ein Appenzellerhaus

Im Dorfkern von Teufen gibt es schöne Appenzellerhäuser und Fabrikantenhäuser zeugen von der Weberei und dem Textilhandel. Wenig unterhalb des Bahnhofs...

Im Dorfkern von Teufen gibt es schöne Appenzellerhäuser und Fabrikantenhäuser zeugen von der Weberei und dem Textilhandel. Wenig unterhalb des Bahnhofs...

Im Dorfkern von Teufen gibt es schöne Appenzellerhäuser und Fabrikantenhäuser zeugen von der Weberei und dem Textilhandel. Wenig unterhalb des Bahnhofs haben die Architekten Covas Hunkeler Wyss im engen Korsett, das ihnen eine Zivilschutzanlage und die Grenzabstände vorgaben, ein Haus mit sechs Wohnungen errichtet. Die geknickten Fassaden und das gefaltete Dach brechen die grosse Form und nehmen den Massstab der Umgebung auf. Die Architekten interpretierten traditionelle Elemente auf eine frische Art. Dies zeigt sich bei der Dachlandschaft, die ein Motiv der zusammengebauten Altbauten der Umgebung zeigt, aber auch bei der hölzernen Fassade und den Fenstern, die sich teilweise mit Schiebeläden schliessen lassen. Die unterschiedlichen Fenster weisen darauf hin, dass sich unter dem Dach nicht einfach cremeschnittenartig aufeinander gestapelte Geschosse befinden. Jede der sechs Wohnungen besitzt einen überhohen Wohnraum und in der einen Dachwohnung scheinen die Winkel und Treppen kein Ende zu nehmen, bis man schliesslich die prächtige Dachterrasse erreicht. Rechte Winkel gibt es im Grundriss kaum und wer den Schnitt sieht, der staunt, dass am Ende alles zusammenpasste.

hochparterre, So., 2005.11.20



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Sechsfamilienhaus



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20. November 2005Werner Huber
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Drei für Fünf

In drei Etappen haben die Waadtländer Gemeinden Denens, Lussy, Saint-Prex, Villars-sous-Yens und Yens ihr Sekundarschulhaus in Saint-Prex gebaut: 1978...

In drei Etappen haben die Waadtländer Gemeinden Denens, Lussy, Saint-Prex, Villars-sous-Yens und Yens ihr Sekundarschulhaus in Saint-Prex gebaut: 1978...

In drei Etappen haben die Waadtländer Gemeinden Denens, Lussy, Saint-Prex, Villars-sous-Yens und Yens ihr Sekundarschulhaus in Saint-Prex gebaut: 1978 entstand Cherrat I, 1984 die Turnhalle, 1991 Cherrat II, im April 2005 Cherrat III. Dieser erhöht die Kapazität von 260 auf 400 Schüler und gibt der Schule ein Gesicht. Im Erdgeschoss hält der Neubau die Flucht des Altbaus mit seiner beigen Betonelementfassade und den braun eloxierten Fenstern ein.
Die Obergeschosse kragen jedoch kühn aus und überdecken den Pausenplatz. Dieser niedrige Aussenraum weitet sich im Innern zu einer doppelgeschossigen Halle, aus der eine Treppe ins 1. Obergeschoss führt. Der weitere Weg nach oben führt durch einen Durchgang zur Treppe im etwas heruntergekommenen Altbau, in dem bunte Dreiecke über den Türen freundlich wirken wollen. Da bleibt man lieber im Neubau, geht den Korridor entlang und entdeckt am Ende eine schmale Treppe, die in den 2. und 3. Stock führt. Dort sind 12 Klassen- und fünf Spezialzimmer untergebracht, im kleineren Bau Musiksäle und Bibliothek. Dass die Jugend aus fünf Gemeinden die Schule von Saint-Prex besucht, zeigt sich an der komfortabel ausgefallenen Vorfahrt für die Schulbusse.

hochparterre, So., 2005.11.20



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Collège du Cherrat III



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16. September 2005Werner Huber
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Der Radtempel wird zur Arena

Das bald siebzigjährige Hallenstadion in Zürich-Oerlikon hat eine Verjüngungskur hinter sich, die aus dem einstigen Radtempel eine zeitgemässe Veranstaltungshalle machte. Das denkmalgeschützte Haus blieb erhalten, Zusatznutzungen haben in einem Vorbau Platz gefunden. Eine Würdigung des neuen Hallenstadions als Match in drei Dritteln samt Schlusspfiff.

Das bald siebzigjährige Hallenstadion in Zürich-Oerlikon hat eine Verjüngungskur hinter sich, die aus dem einstigen Radtempel eine zeitgemässe Veranstaltungshalle machte. Das denkmalgeschützte Haus blieb erhalten, Zusatznutzungen haben in einem Vorbau Platz gefunden. Eine Würdigung des neuen Hallenstadions als Match in drei Dritteln samt Schlusspfiff.

1. Drittel: Der Altbau

Die 1912 errichtete offene Radrennbahn in Oerlikon war der Stolz der damals noch selbstständigen, reichen Industriegemeinde vor den Toren Zürichs. Doch häufig vergällte der Regen das sonntägliche Vergnügen, und so tat sich 1932 ein Initiativkomitee zusammen, um eine gedeckte Rennbahn zu erstellen. 1938 – Oerlikon gehörte nun zur Stadt Zürich – war aus dem Initiativkomitee die Aktiengesellschaft Hallenstadion geworden, die dank Beiträgen von Bund, Stadt und Kanton Zürich im Frühling 1938 mit dem Bau des Hallenstadions beginnen konnte. Am 4. November 1939 eröffnete ein Fest ‹unter dem Protektorat des Stadtzürcherischen Verbandes für Leibesübungen› den von Architekt Karl Egender, den Ingenieuren Ernst Rathgeb und R. A. Naef erstellten Bau.

Dieser besteht aus zwei Teilen: der massiven ‹Schüssel› mit Rennbahn, Tribünen und Garderoben und dem stählernen ‹Deckel›. Die Schüssel ist als Betonrahmenstruktur konstruiert, an der die nur gerade acht Zentimeter dicken Betonplatten von einer Zeit zeugen, in der die Arbeit billig und das Material kostbar war. Unabhängig von der Schüssel steht, als Meisterleistung der Ingenieure, die Stahlkonstruktion des Daches auf vier Stützen an den äusseren Ecken der Tribüne. Zwei mal zwei Hauptbinder, je zehn Meter hoch, spannen ein Rechteck auf, in das vier weitere Binder eingehängt sind. Darauf liegt die 10 000 Quadratmeter grosse Dachfläche aus Holzsparren, Schalung und Kiesklebedach. Um das zu beheizende Volumen zu reduzieren, hängte man auf halber Höhe der Hauptträger eine Decke aus Eternitplatten an ein Holzgebälk. Die darin ‹versinkenden› Fachwerkträger der Haupttragebene haben den Raumeindruck geprägt.

Durch die zwischen die Schüssel und den Deckel gespannte Glashaut strömte viel Licht in die Halle, doch war diese lichte Atmosphäre nur noch auf alten Fotos zu bewundern. Längst waren die Glasflächen hinter grossen Vorhängen verschwunden, die das Tageslicht aussperrten. Denn obschon die Radrennen zunächst den Kalender dominierten, war das Hallenstadion von Beginn weg als Mehrzweckhalle geplant. So gab es Boxkämpfe, Reitwettbewerbe, Opernaufführungen oder Zirkusvorstellungen, und schliesslich erlebte das Hallenstadion am 18. November 1950 seinen ersten Eishockeymatch: ZSC gegen Arosa.

Zwischenresultat des 1. Drittels: Bei seiner Eröffnung war das Hallenstadion eine der grössten Veranstaltungshallen Europas. Die ‹Schildkröte›, wie das sechseckige Gebäude mit seinem nur minimal geneigten Dach genannt wurde, ist zu einem Wahrzeichen Oerlikons geworden. Seit der Eröffnung hat man es stets in Schuss gehalten, repariert, was nötig war, und hier und dort kleinere Umbauten durchgeführt. Doch mit den Jahren machten sich die Altersbeschwerden bemerkbar; das alte Haus genügte den Ansprüchen nicht mehr. So musste die Beleuchtung für jeden Anlass separat an der Decke befestigt werden, und in einer Zeit, wo die grossen Stars ihr Equipment in 40-Tönnern antransportieren, konnte bloss ein Gabelstapler von aussen ins Hallenstadion fahren. Zudem büsste der Radrennsport seine Bedeutung ein und die Rennbahn stand den meisten Veranstaltungen im Weg. Nach Aufgabe des Sechstagerennens war der Weg frei für eine zeitgemässe Mehrzweckhalle.

2. Drittel: Die Sanierung

In einer Bauzeit von nur einem guten Jahr haben Pfister Schiess Tropeano Architekten, Meier + Steinauer Partner und der Totalunternehmer Karl Steiner den Bau gründlich saniert und aufgerüstet. Die innere Betonstruktur, die Fassaden samt Fenster und Türen waren beim Umbau tabu, denn das Hallenstadion steht unter Denkmalschutz. Hingegen hat man die nicht mehr benötigte Radrennbahn ent-fernt und den Hallenboden mit dem Eisfeld um 1,50 Meter abgesenkt. Das erlaubte, eine Zu- und Wegfahrt für grosse Lastwagen durch die beiden seitlichen Tribünen in die Halle zu führen und an Stelle der einstigen Radrennbahn eine ansteigende Bestuhlung mit guten Sichtverhältnissen einzubauen.

Rund 13 000 Plätze zählt das Hallenstadion auf – je nach Rang – mehr oder weniger gepolsterten, blauen Sesseln; 19 verschiedene Varianten für die Bespielung des Raumes sind ausgearbeitet und feuerpolizeilich abgeklärt. Der markanteste Eingriff in der Halle ist der dreigeschossige Bau in der Südkudve, der zwanzig Logen und die Kabinen für Regie, Dolmetscher und Sprecher aufnimmt. Von hier aus können Gäste der Logenmieter (250 000 Franken pro Jahr) das Geschehen aus bester Perspektive verfolgen.

An der imposanten Stahlkonstruktion des Daches mussten die Ingenieure Walt + Galmarini sorgfältig rechnen, um den heutigen Vorschriften zu genügen. So brachte die Entfernung der abgehängten Decke die nötige Gewichtsersparnis, um die Dachfläche zu isolieren und neu einzudecken und um Videowände, Sprinkler und Beleuchtungseinrichtungen an die Stahlkonstruktion zu montieren. Den Veranstaltern steht eine Tragkraftreserve von 20 Tonnen zur Verfügung, die sie für eigene Installationen nutzen können. Die Dachkonstruktion, die 65 Jahre lang zur Hälfte verborgen war, ist nun sichtbar. Da fast alle Veranstalter eine dunkle Umgebung verlangen, ist die Decke dunkelblau und selbstverständlich sind Verdunkelungsvorhänge eingebaut. Immerhin lassen sich diese nun automatisch zuziehen.

Dunkelblau ist auch ein breites Betonband, das sich über den grossen Glasflächen der Deckenkante entlangzieht. Was auf den ersten Blick wie ein unverständliches Tragelement aussieht, ist der seinerzeit in fünf Zentimeter dickem Ortbeton erstellte Zuluftkanal. Diesen haben die Haustechniker zum Abluftkanal umgepolt und die Zuluft unter die Sitze verlegt. Die umfangreichen Lüftungsaggregate, welche die Halle im Normalbetrieb stündlich mit 200 000 Kubikmeter Luft versorgen, sind in Türmen untergebracht, die an den Längsseiten ausserhalb des Hallenstadions stehen und mit den neuen Fluchttreppen kombiniert sind. Die zunächst geplante Versenkung der Lüftung unter den Hallenboden scheiterte bald an Kosten und Terminen.

Zwischenresultat des 2. Drittels: Nach dem Umbau spielt das Hallenstadion wieder in der ersten Liga mit. Die geschwungene, weiss gestrichene Betonwand inmitten der Sitzreihen erinnert an die einstige Rennbahn und das Logenbauwerk setzt sich als eigenständiges Element vom Alten ab. Ein Wermutstropfen bleibt: die Decke. Nach Entfernung der Zwischendecke ist zwar die Stahlkonstruktion in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Doch gerade die eigentümliche Zwischendecke war charakteristisch für den Raumeindruck. Als Ersatz hat man einen Gitterrost geprüft, musste die Idee aber wegen des Gewichts und der Kosten fallen lassen.

Nun fehlt im Mittelteil dieses Element völlig – und in den Randbereichen ist bloss der Holzrost übrig geblieben. So interessant die Konstruktion ist, die einheitliche dunkelblaue Farbe verunklärt deren Lesbarkeit. Zwar untersuchten die Architekten zusammen mit der Denkmalpflege verschiedene Farbvarianten, doch setzte sich der von der Bauherrschaft verlangte einheitliche dunkle Farbton durch. Der dunkelblaue Anstrich der Dachkonstruktion verwischt aber auch den ansonsten deutlichen Kontrast zwischen Alt und Neu: Mit ihrer Farbe verbindet sich die alte Stahlkonstruktion optisch mit der neuen Bestuhlung und setzt sich von der alten Betonstruktur ab.

3. Drittel: Der Vorbau

Bereits in ihrem Projekt von 1937 hatten die Architekten Egender und Müller vor dem Hallenbau ein viergeschossiges, konkav geschwungenes Gebäude mit Eingangshalle und Restaurant vorgeschlagen. Weil damals die Mittel für die Realisierung nicht vorhanden waren, fehlten dem Hallenstadion seither ein Foyer und ein richtiges Restaurant. Jetzt stand dieser Platz zur Verfügung, um Kassen, Restaurants, Konferenzräume und Büros zu erstellen. Die Architekten entwarfen einen viergeschossigen Riegel, der an die beiden seitlichen, weit vorstehenden Treppenhäuser des Altbaus andockt. Ein Knick in der Fassade markiert die Längsachse des Stadions und lässt den Bau gegenüber dem Portikus der benachbarten Messe etwas zurückweichen.

Gegen aussen verschliesst sich der Vorbau weitgehend. Nur die Kassen und Imbissstände im Erdgeschoss und einzelne Räume in den Obergeschossen öffnen sich zur Strasse hin. Weil das verbleibende Trottoir für grosse Menschenmassen zu schmal ist, führt der Hauptzugang nicht mehr frontal auf den Bau zu, sondern die beiden Haupteingänge liegen an den Stirnseiten des Vorbaus. Aus einer offenen Vorzone gelangt man über einen niedrigen Bereich, dessen Raumhöhe von der Kote des ersten Ranges im Altbau bestimmt ist, ins hohe, von Oberlichtkuppeln erhellte Foyer. Dieses ist die Überraschung des Umbaus und die Drehscheibe, die dem Stadion bis anhin fehlte. Vom Foyer aus führen die Treppen auf die Ränge oder in das grosse Restaurant im 1. Stock, das sich mit breiten Schiebetüren zum Foyer hin öffnen lässt. Die Besucher der VIP-Lounges gelangen via separaten Eingang direkt ins 2. Obergeschoss. Dort steht ihnen ein eigenes Restaurant zur Verfügung.

Damit der ehrgeizige Terminplan überhaupt einzuhalten war, wurde die gesamte Betonkonstruktion vorfabriziert und auf der Baustelle montiert. Ausgefacht ist die Tragstruktur aber nicht mit Backstein wie am Altbau, sondern mit Tafeln aus verzinktem Blech, die einen ähnlichen industriellen Touch vermitteln. Dazu gesellt sich der homogene Boden aus schwarzem Gummigranulat mit eingestreuten Aluminiumspänen, der sich durch das Foyer, über die Treppen und durch die Räume zieht.

Zwischenresultat des 3. Drittels: Ein Foyer, ein anständiges Restaurant, Konferenzsäle, ein VIP-Bereich sowie angemessene Räume für die Verwaltung – das ist für das Hallenstadion kein Luxus. Diese Räume haben bis anhin gefehlt und es ist nahe liegend, sie dort unterzubringen, wo die Architekten bereits vor fast siebzig Jahren ein Gebäude vorgesehen hatten. Mit ihrer Materialwahl haben die Architekten den Charakter des alten Hallenstadions aufgenommen, ohne sich mit einer simplen Übernahme der Materialpalette anzubiedern oder gar den Eindruck zu erwecken, der Vorbau habe schon immer hier gestanden. Als Folge des neuen Vorbaus ist aber das Hallenstadion als ‹Landmark› – das Rund der Südspitze über dem von den Treppenhäusern gefassten Platz – aus dem Stadtbild verschwunden. Ein Wiedersehen mit dem vertrauten Bau gibt es erst im Foyer. Doch da die Architekten aus Kostengründen kein Glasdach einbauen konnten, zerschneidet eine Betondecke den Blick auf die Fassade. Nur deren unterer Teil ist zu sehen – das Aha-Erlebnis bleibt in der Hälfte stecken.

Obschon der Neubau im grossen Ganzen das bereits von Egender vorgesehene Volumen umfasst, wirkt er zu klein. Denn die Umgebung des Hallenstadions hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert – insbesondere mit der benachbarten Messe und ihrem kolossalen Vordach. Haben sich vor dem Umbau des Hallenstadions die beiden Bauten zu einem grossmassstäblichen Ensemble verbunden, bringt nun der Vorbau einen kleineren Massstab ins Spiel. Dieser wird den beiden Hallenbauten, aber auch dem Hallenstadion allein und seiner Bedeutung nicht gerecht. Die Architekten hatten dieses Problem erkannt und gegenüber dem Amt für Hochbauten der Stadt Zürich die Ansicht vertreten, ein zusätzliches Geschoss wäre eine adäquate Antwort gewesen. Zu Recht, wie der fertige Bau zeigt.

Schlusspfiff

Den Schönheitsfehlern zum Trotz: der Umbau des Hallenstadions ist gelungen. Man mag es bedauern, dass der spröde Charme von einst dem zeitgemässen Komfort und der Effizienz hat Platz machen müssen. Doch muss man bedenken, dass das Hallenstadion, wie es war, keine Zukunft gehabt hätte. 2005 ist nicht 1939 und zeitweise stand sogar der Abbruch des Egender-Baus zur Debatte. Jetzt hat Zürich wieder eine Veranstaltungshalle, die auf der Höhe der Zeit ist und dennoch die Vergangenheit spüren lässt. Denn die Architektur des Altbaus hat unter dem Umbau kaum gelitten; das Gebäude mit seinen grossen Glasflächen blieb erhalten und die neuen Zutaten zerstörten vom Alten nur wenig. Nichts hindert künftige Generationen daran, die Stahlkonstruktion dereinst anders zu streichen, wieder eine Zwischendecke einzubauen, den Vorbau abzureissen – oder ihn aufzustocken, damit er das Gewicht erhält, das er an dieser Stelle braucht.

[ Zur Eröffnung ist ‹Das Hallenstadion – Arena der Emotionen›, herausgegeben von Heiner Spiess erschienen. Das Buch erzählt auf 282 Seiten und in 300 Bildern 65 Jahre Hallenstadion-Geschichte und schildert ausführlich den Umbau. CHF 78.– ]

hochparterre, Fr., 2005.09.16



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Hallenstadion Zürich - Erweiterung, Umbau und Renovation



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16. September 2005Werner Huber
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Wie die SBB die Früchte ernten

«Mir faared mit der SBB im schöne Schwyzerland», textete Walter Wild vor siebzig Jahren, und wir tun dies – meist – in guten Zügen ab gelungenen Bahnhöfen. Dies bestätigen die Brunel Awards, die Architektur- und Designpreise der Bahnen, immer wieder. 2005 mit besonders vielen Preisen.

«Mir faared mit der SBB im schöne Schwyzerland», textete Walter Wild vor siebzig Jahren, und wir tun dies – meist – in guten Zügen ab gelungenen Bahnhöfen. Dies bestätigen die Brunel Awards, die Architektur- und Designpreise der Bahnen, immer wieder. 2005 mit besonders vielen Preisen.

Was für die Filmwelt die Oscars, das sind für die Welt der Bahnarchitektinnen und -designer die Brunel Awards. Seit 1985 zeichnet eine Jury alle paar Jahre die besten Werke in den Kategorien ‹Architektur›, ‹Grafik, In-dustriedesign und Kunst›, ‹Technische Infrastruktur und Umwelt› sowie ‹Rollmaterial› aus. Ein Preisregen geht in diesem Jahr auf die ohnehin Brunel Awards verwöhnten SBB nieder: Drei Awards, fünf Anerkennungen und den Spezial-preis der Jury dürfen sie von der Preisverleihung in Kopenhagen mit nach Hause tragen. Ein schöner Erfolg für Johannes Schaub, den Leiter der Abteilung Architektur der Infrastruktur SBB, der die Brunel Awards als Aufruf an die Sorgfalt versteht. «Damit möchte ich auch die von meinem Vorgänger Uli Huber begründete Tradition fortsetzen.»

Veranstalterin des Wettbewerbs ist die Watford-Gruppe, eine Vereinigung von Architekten und Designerinnen von 50 Eisenbahnverwaltungen aus 15 Ländern. Der Schwerpunkt der 1963 im südenglischen Watford gegründeten Vereinigung liegt in Europa, doch gehören ihr auch Eisenbahngesellschaften aus den USA, Kanada und Japan an. Namenspate der Auszeichnung ist der britische Ingenieur und Eisenbahnpionier Isambard Kingdom Brunel (1806–1859). Der Preis sollte in erster Linie ‹nach oben› wirken und die Bedeutung von Architektur und Design in die Chefetagen der Bahngesellschaften tragen. «Die Brunel Awards sollten auch ein Ansporn sein, den Wettstreit unter den Gestaltern der Bahnen zu fördern», erinnert sich Uli Huber. Zumindest bei den Schweizerischen Bundesbahnen erfüllen die Brunel Awards diese Absichten durchaus, wie Johannes Schaub feststellt: «Das Management sieht, dass sich die Leute engagieren, und mit den Preisen erhalten sie die Bestätigung für diese Leistungen.»

Ein Spezialpreis für die SBB

In diesem Jahr haben die SBB zwanzig Projekte auf je einer A0-Tafel in Bild und Text dokumentiert. Die Jury traf sich im Gastgeberland Dänemark, um aus den insgesamt 157 Eingaben die Auszeichnungen und die Anerkennungen zu bestimmen. Jurymitglied Uli Huber (der sich bei den SBB-Eingaben der Diskussion und Abstimmung enthielt) schildert die Eigenheiten der diesjährigen Brunel Awards: Obschon die letzte Preisverleihung bereits vier Jahre zurückliege – üblich war früher der Zwei- oder Dreijahresrhythmus –, wurden diesmal weniger Projekte eingereicht. In ihrem Bericht hält die Jury denn auch fest, sie vergebe diesmal weniger Preise. Für Uli Huber ist dies eine Folge des Neoliberalismus und der überhand nehmenden Kommerzialisierung: «Die British Rail, die früher eine Vorbildfunktion ausübte, gibt es nicht mehr, und ihre Nachfolgegesellschaften haben gar keine Projekte eingereicht.» Auch die Bahnleute aus Norwegen, die in früherern Jahren «so tolle Sachen» gemacht hätten, stellten nur eine Brücke vor.

Das ernüchternde Fazit der Jury traf auf die Schweizer Eingaben offenbar nicht zu. Denn für die «auf allen Stufen konsistenten, aber im Design vielfältigen Wettbewerbseingaben» erhielten die SBB den Spezialpreis der Jury. «Die SBB haben während Jahrzehnten ihren hohen Qualitätsstandard beibehalten und arbeiten mit den besten Architektinnen zusammen», heisst es dazu im Bericht. Erst zum fünften Mal überhaupt – und davon schon das zweite Mal an die SBB – vergibt die Jury diesen Spezialpreis. Das freut Johannes Schaub besonders: «Wie andere Bahngesellschaften wurden auch die SBB in mehrere Einheiten mit je eigener Bilanz aufgeteilt. Doch ich habe den Eindruck, dass in der Schweiz das System- und Verbunddenken noch immer vorhanden ist.» So haben die SBB-Architektinnen und -Designer ihre Objekte gemeinsam eingereicht, die Designabteilung hat die Eingaben gestaltet. «Die Zusammenarbeit funktioniert gut, auch wenn die Architekten zur Infrastruktur und wir zum Personenverkehr gehören», hält Ueli Thalmann, der Leiter der Designabteilung fest.

Städtebaulicher Beitrag der Bahn

Genugtuung herrscht ob dem Preissegen auch in der obersten Chefetage. Generaldirektor Benedikt Weibel freut sich, dass die SBB «einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Sensibilisierung für Architekturfragen leisten kann.» Bahn-Architektur müsse eben nicht allein rein funktionalen Kriterien genügen, sie könne auch einen nicht unwesentlichen städtebaulichen Beitrag leisten. Weibel weiter: «Seit jeher geniessen Architektur und Design bei uns einen hohen Stellenwert. Diese Haltung wurde mit den Awards auf internationalem Parkett einmal mehr von Spezialistenseite bestätigt. Auf nationaler Ebene schlug sie sich mit dem Erhalt des diesjährigen Wakkerpreises nieder.»

Besonders hell leuchten bei den diesjährigen Brunel Awards Zug und seine Stadtbahn: Als «sehr erfolgreiches architektonisches Projekt, in dem die Funktionalität und die räumliche Form zu einer wunderschönen Einheit finden», darf sich der Bahnhof Zug (HP 1-2/04) mit einem Award schmücken, zu dem sich gleich noch ein weiterer für James Turrells Lichtkunst gesellt – eine «konsequente, moderne und auf Raum, Architektur und Struktur bezogene Gestaltung», die den «Dialog mit dem städtischen Umfeld eröffnet». Den ‹Flirt›-Pendelzug, den auch die Zuger Stadtbahn einsetzt, würdigt die diesjährige Brunel-Jury in der Kategorie ‹Rollmaterial› als einzige Eingabe überhaupt mit einer Anerkennung für das «saubere, spielerische und inte-ressante Interieur». Als weiterer Bahnhof erhält die neue S-Bahn-Station Bern-Wankdorf einen Award für die «grosse skulpturale und künstlerische Qualität, die in Richtung einer neuen Typologie für Bahnhöfe weist». Zwei weiteren kleinen Stationen – Muntelier-Löwenberg und Längenbold – zollt die Jury ihre Anerkennung.

Überhaupt keine Awards gab es diesmal für ‹Rollmaterial› sowie für ‹Technische Infrastruktur und Umwelt›. Dafür dürfen sich die SBB mit zwei Anerkennungen schmücken: Die eine für die Landschaftsgestaltung Brunnmatten bei Langenthal entlang der Neubaustrecke Mattstetten–Rothrist, die andere für das Unterhaltszentrum in Genf. Dieser Bau wurde zum zweiten Mal eingereicht, was bei den Brunel Awards ausdrücklich erlaubt ist. Es kann also durchaus sein, dass Bauten, die diesmal keine Gnade fanden, etwa die Sanierung der Perronhalle in Lausanne oder die Passerelle und die Sanierung des Bahnhofs Basel, von der nächsten Jury als preiswürdig befunden werden.

Augenmerk auf Regionalbahnhöfe

Trotz des guten Abschneidens in diesem Jahr kann sich die Bahn nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Mit Sorge verfolgt Schaub die Folgen der Unternehmensreform: «Es besteht die Gefahr, dass jeder Bereich – Infrastruktur, Personenverkehr, Immobilien und Güterverkehr – seine eigenen Ziele verfolgt und der Blick aufs Ganze verloren geht. Darunter würde die Marke SBB leiden.» Mit der gemeinsamen Eingabe versuchen Johannes Schaub und Ueli Thalmann Gegensteuer zu geben, und sie legen Wert darauf, dass der ‹Flirt›-Pendelzug inmitten der baulichen Projekte gebührende Beachtung findet! Eine negative Folge des Auseinanderdividierens zeigt sich für Johannes Schaub auch bei den verwaisten Aufnahmegebäuden neben den gemäss Konzept ‹Faceliftung Stationen› umgestalteten Stationen: Für den eigentlichen Zugang zur Bahn ist die Infrastruktur zuständig, für die leer stehenden alten Bahnhöfe der Bereich Immobilien – für letztere sind sie Kostenfaktoren. Sie suchen nach Vermarktungsmöglichkeiten. Aber an vie-len abgelegenen Orten altern die Bahnhöfli dahin. «Dieses Problem ist noch nicht gelöst», stellt Johannes Schaub fest. «Immerhin macht man nichts kaputt», tröstet er sich und hofft auf Besserung. So werden die SBB in Zusammenarbeit mit der ETH untersuchen, welche vernetzten Möglichkeiten im ‹Bahnhof› noch stecken.

Generaldirektor Benedikt Weibel geht noch weiter: «Die Brunel Awards helfen uns, die Bahnhöfe weiterhin attraktiv und lebendig zu erhalten und ermöglichen so überhaupt erst eine gut durchmischte Mieterstruktur. So können Bahnkunden ihre Einkäufe während sieben Tagen in der Woche in den Stadtzentren tätigen.»

Die Verleihung des Wakkerpreises und der Brunel-Preis-segen bestätigen, was Bahnreisende immer wieder feststellen: Das gestalterische Niveau bei den SBB ist hoch. Das Augenmerk liegt hierzulande nicht nur bei den grossen Bahnhöfen und den schnellen Zügen, sondern auch bei den kleinen Stationen und den Regionalzügen. Wer kann da noch mithalten? «Dänemark», sagen Johannes Schaub und Uli Huber unisono.

hochparterre, Fr., 2005.09.16



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07. August 2005Werner Huber
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Häuser für hohe Ansprüche

Die Stadt Zürich baute das Werd-Hochhaus, in dem früher die Bankgesellschaft ihre Wertschriften verwaltete, zum Verwaltungszentrum für das Finanz- und Sozialdepartement um. Wie lässt sich ein Hochhaus aus den Siebzigerjahren den aktuellen Bedürfnissen anpassen? Diese Frage stellte sich auch den Planern in St.Gallen und Winterthur.

Die Stadt Zürich baute das Werd-Hochhaus, in dem früher die Bankgesellschaft ihre Wertschriften verwaltete, zum Verwaltungszentrum für das Finanz- und Sozialdepartement um. Wie lässt sich ein Hochhaus aus den Siebzigerjahren den aktuellen Bedürfnissen anpassen? Diese Frage stellte sich auch den Planern in St.Gallen und Winterthur.

Der ‹Mond von Aussersihl›, die Leuchtreklame am 18.Stock des Bürohauses Werd der Schweizerischen Bankgesellschaft, strahlte hell über dem Zürcher Stadtkreis 4. Der Bau von 1975 stammt von den Architekten Sauter und Dirler und beherbergte die Wertschriftenabteilung der Grossbank. In Kombination mit dem Turm der benachbarten Peter-und-Paul-Kirche diente das hellblau verspiegelte Haus ab und zu als Symbol für den Wirtschaftsstandort Zürich, ansonsten fristete der Bürokomplex ein Schattendasein. Zutritt hatten einzig die Bankgesellen und ausserhalb der manchmal im Kulturpavillon veranstalteten Ausstellungen wäre es kaum jemandem in den Sinn gekommen, die edle, marmorbelegte Plattform zu betreten. Anders als die Grossbank in Zürich hatte die Firma Sulzer an ihrem Hochhaus in Winterthur eine Leuchtschrift gar nicht nötig.

Als der Büroturm in den Sechzigerjahren als höchstes Haus der Schweiz in den Himmel wuchs, war es in der Stadt jedermann klar, das solch ein Bau nur ‹de Sulzere› gehören konnte: Mehr als 14000 Winterthurer standen damals auf der Gehaltsliste des Industriekonzerns – ein Viertel aller Arbeitsplätze in der Stadt Winterthur. Das war Sulzer und die Zeiten waren so zukunftsgläubig, dass nebenan gar ein Zwilling entstehen sollte. Ein Symbol des Aufbruchs der Sechzigerjahre wuchs – leicht verspätet – auch neben dem St.Galler Hauptbahnhof in den Himmel. Der goldbronzene Turm des Rathauses – einst als Hotel geplant – setzte 1976 den Schlusspunkt unter die baulichen Veränderungen am Bahnhofplatz, die Mitte der Fünfzigerjahre mit dem Brand des Hotels ‹Walhalla› angefangen hatten.

Die Stadt im Bankenturm

So unterschiedlich die Bürohäuser in ihrer Grösse und Lage sind, eines haben sie gemeinsam: Alle drei wurden zu Sanierungsfällen. Schon in den Achtzigerjahren bereitete die Rathausfassade den St.Gallern Sorge, als die metallbedampften Scheiben oxidierten und sich in den Büros trübes Nebelwetter einstellte. Sanierungsvarianten wurden geprüft und verworfen, bis ein Brand in der Tiefgarage das Hochhaus mit Rauch füllte und die Planungen beflügelte. In Zürich und in Winterthur waren es Besitzerwechsel, die die Sanierung der Hochhäuser auslösten. Die zur UBS fusionierte Bankgesellschaft verkaufte das Werd-Hochhaus an die Stadt Zürich, die den Komplex zum Verwaltungszentrum für das Finanz- und das Sozialdepartement umbaute. Die Stadt konnte die Standorte der Verwaltung reduzieren und prestigeträchtige Liegenschaften verkaufen oder im Baurecht Gewinn bringend an Private abgeben. Der Sulzer-Konzern – oder was davon übrig geblieben war – verkaufte sein einstiges Symbol an ein anderes Winterthurer ‹Symbol›, an Bruno Stefanini. Der öffentlichkeitscheue Immobilienkönig gründete zu diesem Zweck die Wintower AG, die wiederum Stefanins Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte gehört, zu der unter anderem eine der bedeutendsten Sammlungen von Schweizer Kunst gehört.

Alte Hülle, neuer Kern in Zürich

Bei der Sanierung eines Bürohauses aus den frühen Siebzigerjahren denkt jeder zuerst an die Fassade: eine Energieschleuder, technisch jenseits jedwelcher Norm und auf jeden Fall zu ersetzen. Davon gingen auch die Planer der Umbaustudie für das Werd-Hochhaus aus. Doch eine neue Fassade hätte einen grossen Teil der zur Verfügung stehenden Mittel verschlungen. Zudem waren BurkhalterSumi Architekten mit dem Äusseren des zweiteiligen Hochhauses durchaus zufrieden und hatten nicht das Bedürfnis, diesem Turm nachträglich ihre Handschrift aufzuzwingen. So beschränkte man sich darauf, die Fenstergläser zu ersetzen und die Brüstungen zusätzlich zu dämmen.
Jenes Geld, das nicht für die Fassade ausgegeben werden mus-te, stand für den Umbau des Innern zur Verfügung. Hier hat man das Haus auf den Rohbau zurückgeführt. Hatte die Bank ihre Büros beidseitig eines Mittelganges angeordnet, sind nun gemäss der städtischen Verwaltungsreform die Arbeitsplätze zu Gruppen zusammengefasst. Dadurch liess sich der Flächenbedarf pro Platz von 15,2 auf 12,5 Quadratmeter reduzieren. Besprechungszonen oder Einzelbüros wurden zusammengefasst und als raumgliedernde Elemente eingefügt. Der raumprägende Entscheid ist der Verzicht auf eine abgehängte Decke. Die Räume wurden um 50 Zentimeter höher und es entstand Atelierstimmung. Die Architekten liessen die Betondecke dunkelgrau streichen und die Haustechniker montierten daran die Installationen für Heizung und Kühlung. Ihre Aufgabe war verzwickt. Zwar konnten die neuen Gläser und die zusätzliche Dämmung den Wärmedurchgang der Fassade verbessern, Werte einer neuen Konstruktion sind damit aber nicht zu erreichen und an kalten Wintertagen kann sich der Kaltluftabfall bemerkbar machen. Die grösste Knacknuss war das Abführen der Wärme: Eine Klimaanlage, wie einst, sollte nicht wieder installiert werden, ein äusserer Sonnenschutz, der die Hitze aus den Räumen fern gehalten hätte, liess sich nicht montieren. Nun sorgen thermoaktive Bauteilsysteme, so genannte TABS, für die richtige Temperatur.

Jedes der im Rhythmus des Fassadenrasters an die Decke geschraubten TABS-Module erfüllt drei Aufgaben: es kühlt, es heizt – und es schluckt den Schall. Die am Verwaltungszentrum Werd eingesetzten Module sind eine Neuentwicklung, die die Betondecke als thermoaktives Element nur zur Kühlung nutzt, die Wärme aber direkt abstrahlt. Dadurch kann die Trägheit eines solchen Systems bei plötzlicher Sonneneinstrahlung besser beherrscht werden. Blieben bei den Bankern die Fenster wegen der Klimatisierung geschlossen, so können die städtischen Angestellten jetzt die Fenster einen Spalt breit öffnen, um Luft in den Raum zu lassen und das Gefühl des Eingeschlossen-Seins zu vertreiben.

Bürgerstolz in St.Gallen

Am St.Galler Rathaus stand der Erhalt der Fassade nie zur Diskussion, sie hatte die Sanierung ja ausgelöst. Mit der Fassade stand auch die Erscheinung des Hauses zur Disposition. Insbesondere in den hochhauskritischen Achtziger- und Neunzigerjahren hätten wohl viele St.Galler gerne einen radikal veränderten Turm am Bahnhof gesehen. Doch Boltshauser Architekten wählten im Wettbewerb von 2001 eine andere Strategie. Sie versuchten, die Qualitäten des Baus besser zur Geltung zu bringen – und hatten damit Erfolg. Sie schlugen vor, dem Turm drei Geschosse aufzusetzen und ihn mit einer vertikal strukturierten Fassade zusätzlich in die Höhe zu ziehen. Anbauten beruhigen den gestaffelten Sockelbau und binden ihn besser in seine Umgebung ein. Wenn auch die drei geplanten Zusatzgeschosse zu einem überhohen Attikageschoss zusammenschrumpften, so wird das St.Galler Rathaus nach der Sanierung doch eindeutiger als vertikales Element am Bahnhofplatz stehen und zusammen mit dem Bahnhof und der Hauptpost ein Ensemble öffentlicher Grossbauten bilden.
Das Innere des Rathauses wird wie das Werd-Hochhaus bis auf den Rohbau ausgeräumt. Im Sockelbau werden wie bis anhin die Abteilungen mit Publikumsverkehr logieren, in den Hochhausgeschossen die Büros. Hier gestatten grossräumige Strukturen statt Einzelbüros eine höhere Ausnutzung der Geschosse – wobei grossräumig relativ ist: Allein die Staffelung des Turms in zwei Teile sorgt für überblickbare Einheiten. Die Fassade ist als zweischichtige Kastenfassade ausgebildet. Die dazwischenliegende Luftschicht wirkt als Klimapuffer und nimmt die Lamellenstoren des Sonnenschutzes auf. Die inneren Fenster werden sich öffnen lassen, die äussere, nicht luftdicht geschlossene Glasschicht ist fix. Im überhohen Attikageschoss sind Konferenz- und Sitzungszimmer untergebracht.

Hin und her in Winterthur

Die jüngste Geschichte des Sulzer-Hochhauses liest sich wie ein Krimi. Per 1.Januar 1999 verkaufte Sulzer das Haus für in der Presse geschätzte 15 bis 20 Millionen Franken an die zunächst noch unbekannte WintowerAG. Bald war klar, dass hinter der Käuferin Bruno Stefanini steht, der die baldige Sanierung versprach. Ende 2002 zog der letzte Mieter aus, und im Jahr drauf kündigte Stefanini an, am Fuss des Hochhauses ein Museum für die Sammlungen seiner Stiftung zu bauen. Da sich kein Mieter für den Büroturm finden liess, rottete er vor sich hin, und im Februar 2004 wurde das leerstehende Haus von Linksautonomen besetzt.

Obschon das in ‹Wintower› umbenannte Sulzer-Hochhaus noch immer nicht vermietet ist, hat die Unirenova mit der Sanierung begonnen. Wie am Werd-Hochhaus bleibt die Fassade erhalten, lediglich die Fenster werden ersetzt. Im Bereich der Brüstungen und der tragenden Fassadenpfeiler wird von innen eine zusätzliche Dämmung aufgebracht. Ob die Sanierung nur die gesetzlichen Normen erfüllen wird oder darüber hinausgeht, ist nicht entschieden. Da die Nutzer der Räume noch nicht feststehen, beschrän-ken sich die inneren Arbeiten auf einen Grundausbau: Lifte, Liftvorplätze, WC-Anlagen, Eingangshalle. Ein zusätzlicher Lift wird die beiden obersten Geschosse erschliessen, die bislang nur über eine Treppe zu erklimmen waren. Zudem entsteht ein zurückgesetztes Attikageschoss mit Sitzungszimmern. Die Büros werden mit Radiatoren ausgestattet. Ob die Räume belüftet oder klimatisiert werden, werden die künftigen Mieter entscheiden.

Die Mieter, das könnten durchaus die städtischen Ämter sein, denn auch in Winterthur ist die Verwaltung über zu viele Standorte verteilt – und die Stadt liebäugelt mit einem Umzug in den Büroturm. Wie das Werd-Hochhaus und das St.Galler Rathaus wäre dann auch der Wintower nicht mehr bloss ein bauliches Wahrzeichen, sondern auch ein weit herum sichtbares Symbol für die städtische Gemeinschaft. In Zürich hat der Mond von Aussersihl dem Stadtwappen Platz gemacht. Vielleicht lässt auch Winterthur seine roten Löwen am Hochhaus spazieren.

hochparterre, So., 2005.08.07



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16. Juni 2005Werner Huber
hochparterre

Vermittelnd eigenständig

Die Hafenstrasse in Romanshorn könnte sich überall und nirgendwo in der Schweiz befinden: Zweigeschossige Wohn- und Gewerbehäuser mit Satteldächern zeugen...

Die Hafenstrasse in Romanshorn könnte sich überall und nirgendwo in der Schweiz befinden: Zweigeschossige Wohn- und Gewerbehäuser mit Satteldächern zeugen...

Die Hafenstrasse in Romanshorn könnte sich überall und nirgendwo in der Schweiz befinden: Zweigeschossige Wohn- und Gewerbehäuser mit Satteldächern zeugen von der fernen Vergangenheit, Wohnblocks setzen ein Zeichen der Hochkonjunktur und eine Überbauung aus den Neunzigerjahren illustriert den Versuch einer Verdichtung. Kurz: Es gibt alles, doch nichts passt zusammen. Zu dieser heterogenen Umgebung gehörte auch die Hälfte eines alten Riegelhauses mit einer grossen Parzelle als Baulandreserve. Der Architekt Peter Felix hat den Altbau renoviert und daneben einen Neubau erstellt. Der Neubau kam zwischen das alte Haus und ein hart an der Grenze stehendes 08-15-Mietshaus aus den Sechzigerjahren zu stehen. Wie sollte der Architekt also reagieren? Den Massstab des alten Hauses aufnehmen oder sich dem grossen Geschossbau anlehnen? Peter Felix hat beides getan: Gegen die Strasse ragt der Neubau viergeschossig in die Höhe, zum Garten hin ist er ein Stock niedriger. Das dunkel verputzte Haus mit den unregelmässig gesetzten Fensteröffnungen schiebt sich als schmale Scheibe zwischen seine beiden ungleichen Nachbarn. Es bildet den Hintergrund, vor dem sich das alte Haus in seiner Pracht präsentiert.

Versucht der Neubau mit seinem Volumen zwischen den Nachbarn zu vermitteln, so nimmt er mit seiner Ausrichtung Partei: Er wendet sich dem renovierten Riegelhaus zu. Gegen den Sechzigerjahre-Block gibt es nur wenige kleine Öffnungen – dessen aufdringlich hellbau gestrichene Fassade ist nicht jedermanns Sache. Die Wohnungen im Erd- und im 1.Obergeschoss sind praktisch identisch: Entlang eines Gangs sind drei Zimmer und die Nasszellen aufgereiht, am Ende liegt der Wohn- und Essbereich mit der verglasten Küche. Die oberste Wohnung ist zweigeschossig, mit einem Zimmer mit Dachterrasse im 4.Stock, die ausserdem über eine Aussentreppe direkt mit dem darunter liegenden Wohnraum verbunden ist. Zugang zu grossen Aussenräumen haben auch die beiden anderen Wohnungen: Aus der Erdgeschosswohnung tritt man einfach in den Garten, aus dem ersten Stock geht man über eine Aussentreppe nach unten. So ist dafür gesorgt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner nicht nur in den Wohnungen sitzen, sondern auch vom Garten profitieren können.

Ist das Innere des Neubaus geprägt von weissen Wänden und Decken, Parkettböden und dunkelgrauen Küchen, tritt man im Altbau in eine andere Welt. Die raumhohen Täferungen, niedrige, schiefe Decken, ein Kachelofen und alte gestemmte Türen zeugen von der Geschichte des Hauses. Peter Felix hat eine neue Schicht hinzugefügt, um im Haus zwei komfortable Wohnungen unterzubringen. Die eine belegt das Erd- und das erste Obergeschoss, die andere führt vom Eingang über drei Geschosse bis unters Dach, wo voll verglaste Dachgauben Licht in den mächtigen Dachraum mit den alten Balken bringen.

Mit dem Neubau und dem renovierten Altbau hat der Architekt an der Hafenstrasse einen Blickfang gebaut, der seine Aufmerksamkeit auf sich zieht und die Umgebung spielend in den Hintergrund rücken lässt.

hochparterre, Do., 2005.06.16



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Profil

Studium der Architektur, ETH Zürich (1985–1991), Kurze Engagements in Architekturbüros in Zürich, Aufenthalt in Moskau (1992–1994) mit kurzem Engagement in Innenausbaufirma, Redaktor für Architektur bei Hochparterre, der Schweizer Zeitschrift für Architektur, Planung und Design (seit 2001), Co-Geschäftsleiter seit 2019, Verwaltungsrat seit 2021.

Lehrtätigkeit

Informelle Assistenz am Moskauer Architekturinstitut MArchI, Diplomklasse Ewgenij Ass (1993–94), Assistent an der Professur für Architektur Helmut Spieker (1994–1998).

Publikationen

Warschau – Phönix aus der Asche (Böhlau-Verlag, Köln 2005), Moskau – Metropole im Wandel (Böhlau-Verlag, Köln 2007), Bern baut (Edition Hochparterre, 2009), Bahnhof Bern 1860–2010 (Scheidegger & Spiess, Zürich 2010), Bahnhofstrasse Zürich. Geschichte – Gebäude – Geschäfte (Edition Hochparterre, 2015), Zürich Hauptbahnhof (Scheidegger & Spiess, Zürich 2015), Architekturführer Warschau (Co-Autor, Dom Publishers, Berlin 2015), Architekturführer Zürich (Edition Hochparterre, 2020)

Veranstaltungen

Schweizergeschichten – Architekturgeschichten (Staatliches Architekturmuseum Moskau, 2002), zahlreiche Vorträge und Führungen

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