Editorial

Ob im Supermarkt, im Feinkost- oder Bioladen oder in der Bäckerei, um Aufmerksamkeit und Kauflust zu wecken, will die Ware präsentiert und in Szene gesetzt sein. Dabei spielt der differenzierte Umgang mit Beleuchtung, Tages- und Kunstlicht, Farben, Oberflächen und Materialien eine entscheidende Rolle. Doch nicht nur um das »Innenleben« geht es in dieser Ausgabe, denn erfreulicherweise schenken endlich auch einige deutsche Supermarkt-Ketten dem architektonischen Erscheinungsbild ihrer Märkte gesteigerte Aufmerksamkeit. Da vor der Präsentation und dem Verkauf der Anbau und die Produktion stehen, widmen wir uns mit zwei Projektbeispielen auch dem Umgang mit Lebensmitteln und den daraus resultierenden planerischen Anforderungen und blicken in der Rubrik Energie (S. 66 ff.) auf eventuell vielversprechende Ergänzungen zur herkömmlichen Landwirtschaft: »Urban Farming« u. a. in Berlin und New York. | Ulrike Kunkel

Milchlehrpfad

(SUBTITLE) Gläserne Molkerei in Dechow

Eine der wichtigsten Grundsätze, durch die sich die ökologische Landwirtschaft von der herkömmlichen unterscheidet, ist die Transparenz: Der Verbraucher soll Einblick in Herkunft und Produktion der Lebensmittel erhalten. Dass sich dies nicht auf Herkunftsangaben und Biosiegel beschränken muss und zudem architektonisch überzeugend umhüllt sein kann, zeigt die »Gläserne Molkerei« in Dechow in Mecklenburg- Vorpommern.

Weit ragen die Vorstellung des Konsumenten und die Wirklichkeit in der ökologischen Landwirtschaft auseinander. In den Wunschträumen des Stadtmenschen grasen glückliche Kühe in pittoresken Landschaften und der Bauer bringt die von Hand gemolkene Milch in Kannen zur Molkerei. In der Realität wird der Ökolandbau heute, trotz aller Unterschiede, genauso professionell und effizient betrieben wie die konventionelle Landwirtschaft, ansonsten wäre der rasant wachsende Markt nicht zu bedienen.

Michael Müller und Hubert Böhmann führen das Unternehmen mit dem Ziel, den Weg der Bio-Milch vom Bauern über die Produktion bis zum Verbraucher aufzuzeigen. Zunächst errichteten sie 2011 die Gläserne Molkerei Münchehofe im nördlichen Spreewald, die v. a. den Großraum Berlin beliefert. Die 2012 im Biosphärenreseservat Schaalsee fertiggestellte zweite Molkerei bedient hingegen den deutschen Norden mit dem Schwerpunkt Hamburg. Sie gleicht der ersten wie ein Zwillingsbruder – kein Wunder, denn beide wurden von den Berliner Architekten Lehrecke Witschurke geplant. Der 91 m lange und 33 m breite Bau liegt wunderschön nahe des Naturparks Lauenburgische Seen und inmitten der Schaalsee-Region. Gewiss spielten die landschaftlichen Reize bei der Standortwahl für eine Molkerei, die auch Besucher anlocken soll, eine wichtige Rolle, doch wichtiger waren die finanzielle Förderung durch das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und die Lage nahe der Biohöfe, um die Transportwege der Milch kurz zu halten. Der Betrieb liegt nun auf dem aufgegebenen Hof einer ehemaligen LPG am Rande des kleinen Dörfchens Dechow unweit des Röggeliner Sees. Das Zweihundert-Seelen-Dorf ist bemerkenswert: Sein Konzept »Lebendiges Dorf Dechow« gibt Leitlinien für die Gemeinschaft und das Erscheinungsbild des Orts vor, umgesetzt von gleich zwei Fördervereinen. So wurde eine Gestaltungssatzung erlassen, die eine ortsangepasste Bebauung sicherstellen soll. Historische Bausubstanz wird erhalten, die innerörtliche Begrünung fügt sich in das Biosphärenreservat ein und eine nachhaltige Wirtschaftweise aller örtlichen Betriebe trägt zum Erhalt der schützenswerten Kulturlandschaft bei. Lohn der Mühen war die Goldmedaille beim Bundeswettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft«.

Die Gläserne Molkerei dürfte ihren Anteil an der Vergabe des Preises gehabt haben, vereint sie doch eine zeitgemäße Produktionsweise mit Offenheit und einer zurückhaltenden, disziplinierten Gestaltung. Ziel ist es, Besuchern in die Herstellung von Bio-Milch-Produkten Einblick zu geben, sie zu bewerben und zu verkaufen. Dies ergibt durchaus einen Sinn, denn die Region ist mit ihren vielen Seen ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsziel; von Ratzeburg ist es hierher nur ein Katzensprung. Auf dem Weg durch das Dorf bemerkt man die Molkerei erst spät, denn der kompakte Massivbau fügt sich dank einer Lärchenholz-Lamellenfassade diskret in die Landschaft – wären da nur nicht drei riesige Tanks direkt vor dem Holzriegel. Die Architekten hätten sie lieber auf der dorfabgewandten Gebäudeseite gesehen, wo, gleich neben der Anlieferung, ohnehin zahlreiche Rohmilch-Lagertanks stehen, doch ließen produktionstechnische Zwänge keine andere Wahl. Die Konstruktion des Hallenbaus besteht aus tragenden Stahlbetonwänden, Konstruktionsvollholz-Stützen und 31 m weit spannenden Dachbindern. Die Außenwände wurden konsequent mit rhombisch geschnittenen Lärchenholz-Lamellen umhüllt: Türen und Anlieferungstore sind ebenso bekleidet wie die Fenster von Büros und Produktionsbereichen, diese allerdings mit großen Sichtschlitzen. Ausgenommen wurde lediglich der in der nordöstlichen Ecke integrierte Hofladen, der durch die raumhohe, zurückgesetzte Verglasung eine Betonung im gleichförmigen Fassadenbild erhält – eine einladende Geste, die Besucher wie von selbst in die Molkerei leitet. Betritt man diesen Bereich, ist man überrascht von der Weite des sich über beide Etagen erstreckenden Raums mit seiner eingezogenen Galerieebene. Ebenerdig befindet sich ein Verkaufsraum, der in seiner Modernität eher an einen Supermarkt als an einen Hofladen denken lässt. Hier kann man die Erzeugnisse der Molkerei und andere regionale Bio-Produkte kaufen, sich aber auch zu Kaffee und Kuchen niederlassen. Wände, Regale und der frei stehende Verkaufstresen sind mit Holzlamellen bekleidet und führen somit das Fassadenthema im Innern fort. Die vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster leiten viel Licht in den Raum und lassen weite Blicke in die Landschaft zu – eine geradezu symbolische Verknüpfung der Molkerei mit ihrem Umfeld. Gleich nebenan und doch den Blicken verborgen befinden sich die Büroarbeitsplätze in der nordwestlichen Gebäudeecke, erschlossen von einem separaten Eingang.

Transparenz in der Produktion

Auf der Galerieebene des Ladens sammeln sich die Besucher zu den Führungen durch die Produktion. Nach der Einführung geht es durch eine Tür. Der Überraschungseffekt ist groß, denn jäh befindet man sich in einem langen, gläsernen Gang, der im oberen Geschoss die Produktionshalle durchmisst. Durchschreitet man ihn, erhält man Einblicke in alle Bereiche des Betriebs – von der Anlieferung über die Herstellung von Milch, Butter, Quark und Joghurt bis zu den Verpackungs- und Lagerbereichen. Ein hoch kompliziertes Gewirr von Tanks, Rohren und Maschinen vertreibt jede romantische Vorstellung vom ländlichen Idyll – man wähnt sich eher in einem aseptischen Labor. Alles ist hier auf Effizienz getrimmt und durchrationalisiert; nur wenige Mitarbeiter sieht man in der Halle. Die Architektur endet abrupt, hier hatten allein Ingenieure und Anlagenplaner das Sagen. Immerhin konnten die Architekten dafür sorgen, dass die meisten Rohre, Tanks und Maschinen an die Außenwände gerückt wurden um so einen Überblick zu ermöglichen. Dennoch herrscht eine gewisse Enge in der Halle; die Butterei steht mitten in der Erschließungsgasse, und man spürt, dass die Produktion voll ausgelastet und die Halle schon jetzt, kurz nach Inbetriebnahme, an ihre Kapazitätsgrenzen stößt. Hinter dem Produktionsbereich wandelt sich der gläserne Gang in einen geschlossenen Flur, von dem durch Fenster weitere Blicke in Technik-, Lager- und Verpackungsräume möglich sind. Der Gang endet schließlich in einem Veranstaltungsraum, in dem bei Snacks und Getränken die Führungen ausklingen, aber auch Informationsveranstaltungen für interessierte Bauern stattfinden. Der Raum mündet in eine geschützte Außenterrasse; die dank der Lärchenholz-Lamellenbekleidung eine ganz eigene, skulpturale Qualität erhält. Von hier führt schlussendlich eine Treppe hinunter ins Freie.

Es ist ein fast schon ans Absurde grenzender Kontrast, nach dem Gang durch diesen hochtechnisierten Lebensmittelbetrieb plötzlich wieder in der lieblichen, verwunschenen Landschaft zu stehen. Die Gläserne Molkerei gibt tiefe Einblicke in den heutigen durchrationalisierten Ökolandbau und gibt ihm einen zeitgemäßen architektonischen Ausdruck, der alle Latzhosen-Klischees vergessen lässt. Wem das zu modern ist, der kann sich mit den Butter- und Milch-Packungen des Betriebs trösten. Darauf prangen ein Leuchtturm und zwei reetgedeckte Bauernhäuser. Das alte, ruhige Landleben – zumindest hier ist es erhalten geblieben.

db, Mo., 2014.03.03

03. März 2014 Claas Gefroi

Die Topografie des Weins

(SUBTITLE) Umbau und Erweiterung der Kellerei Nals Margreid (I)

Die Einbeziehung der Topografie spielt bei diesem selbstbewusst, aber nicht prätentiös auftretenden Neubau der Südtiroler Kellerei Nals Margreid in zweierlei Hinsicht eine besondere Rolle. Zum einen bildet sie die Grundlage eines von Anfang an dreidimensional gedachten Architekturkonzepts, zum anderen wird durch die in einem Kelterturm genutzte Schwerkraft eine besonders schonende Verarbeitung der Trauben möglich.

Apfel- und Weinanbaugebiete sind im Südtiroler Etschtal kaum voneinander zu unterscheiden. Die Ausdehnung der auf beiden Talseiten von schroffen Porphyrfelswänden begrenzten Gebiete ist enorm, und auch die Pflanzen wachsen an vergleichbaren Spalieren. Während das Kernobst nach der Ernte allerdings meist in großen Kühlhäusern landet, stehen zur Kelterung der Weintrauben immer häufiger architektonische Schmuckstücke bereit. Zwar gehört es zu ihren Hauptaufgaben, Geschichten über die Eigenheiten der Weine, Kellereien und Weinlandschaften zu erzählen, wirklich entscheidend sind dennoch die für die Weinherstellung und -lagerung richtigen Rahmenbedingungen. Der Neubau der Kellereigenossenschaft Nals Margreid vereint diese Anforderungen zu einem stimmigen Ganzen, sodass am Ende nicht nur die Architekturtouristen, sondern v. a. die Weine profitieren: Erst kürzlich kürte ein italienischer Weinführer einen 2012er Weißburgunder von Nals Margreid zum besten Weißwein Italiens.

Die insgesamt 150 ha großen Anbaugebiete der Kellerei liegen zwischen Nals im Etschtal und Margreid, 30 km südlich von Bozen. Mit dem Ziel, den Standort Nals zum Hauptsitz auszubauen und dabei die architektonische Qualität der Kellereigebäude an die stetig zunehmende Weinqualität anzupassen, entschloss sich die Genossenschaft im Jahr 2007 zur Neustrukturierung und Erweiterung der dortigen Weinproduktion – Abfüll-, Verpackungs- und Verwaltungsbereiche sowie Vinothek sollten hingegen unverändert bleiben. Einen Architektenwettbewerb konnte Markus Scherer aus Meran für sich entscheiden. Nicht zuletzt, weil sein Entwurf dem Bedürfnis der Bauherren nach »Charakter und Authentizität« entspricht: durch eine selbstbewusste, aber nicht prätentiös wirkende Formensprache, sowie durch natürliche regionaltypische Materialien, z. B. Eichenholz oder mit gemahlenem Porphyr rötlich durchgefärbter Beton. Ebenso wichtig wie die gestalterische Verzahnung mit dem dörflichen Umfeld, etwa durch das Motiv der Terrassierung von Freibereichen, waren seine Konzepte zur schonenden Weinproduktion sowie zur städtebaulichen Neuordnung des Kellereigeländes.

Eichenholz und Porphyr

Bestand das nach Osten abfallende Areal bislang aus räumlich kaum verknüpften Gebäudestrukturen, ermöglicht das in die Topografie eingepasste Neubauensemble nun die Ausbildung eines mittig gelegenen »Weinhofs«, der als Arbeitshof für kleinere Arbeiten und als zentraler Eingangsbereich für die Besucher dient. Talseitig wird die mit Porphyr gepflasterte Hoffläche von einem bis auf wenige Fensterstreifen geschlossenen Eichenholzquader begrenzt, in dem kleine Eichenholzfässer mit reifenden Barrique-Rotweinen zu sehen sind. Auf der Bergseite befindet sich das eigentliche Produktionsgebäude, hinter dessen in unregelmäßigen Streifen gegliederter Beton-Glas-Fassade Edelstahl- geräte zur Traubenverarbeitung ins Auge fallen. Das charakteristische bauliche Element bildet eine Dachplatte aus rötlichem Spannbeton, die als durchgehender begrünter Deckel das gesamte neue Kellereiensemble nach oben hin abschließt. Die origamihaft skulpturale Unterseite spiegelt die statischen Kräftelinien wider und wirkt durch die Faltungen zudem aussteifend, sodass im Freibereich lediglich zwei Stützen mit dreieckigem Querschnitt genügten, um die teils bis zu 70 cm dicke Platte in rund acht Metern Höhe zu halten. In funktionaler Hinsicht schützt die Dachplatte einerseits den Weinhof und die Dachterrasse des Holzquaders vor Witterungseinflüssen, andererseits verbindet sie Freifläche und Gebäude zu einer Einheit, deren Offenheit die Besucher dazu einlädt, das Gelände zu betreten. Ein Erlebnis für alle Sinne bietet sich ihnen freilich erst, wenn sie über den Weinhof ins Gebäudeinnere gelangen und den intensiven Traubenduft und die unterschiedlichen Temperaturen und Luftfeuchten der Weinkeller spüren.

Gezielter Einsatz der Schwerkraft

Wesentliches Merkmal von Scherers Idee einer schonenden Weinproduktion ist die Realisierung eines Kelterturms, bei dem die Trauben – dem natürlichen Höhenunterschied des Geländes und der Schwerkraft folgend – zu keinem Zeitpunkt aufwärts transportiert oder gar gepumpt werden müssen. Auf diese Weise lässt sich vermeiden, dass zu früh vom Stielgerüst abgelöste Beeren oder zerquetschte Kerne biologische Prozesse in Gang setzen, die den späteren Geschmack des Weins negativ beeinflussen.

Über den Anlieferungsbereich am höchsten Punkt des Geländes – der einzigen Stelle, an der der Neubau eher unterkühlt und abweisend erscheint – kommen die Trauben zunächst in eine Halle, die außerhalb der Erntezeit als Lagerfläche dient. Über Edelstahlwannen mit Förderschnecken fallen die Trauben zur Entfernung der Stielgerüste direkt in die auf Weinhof-Niveau platzierten Entbeerungsgeräte – hier liegt auch der Zugang zu einem völlig unspektakulär in den Neubau integrierten Bestands-Weinkellers. Wiederum ein Geschoss tiefer, am Rand des eigentlichen neuen Weinkellers, erfolgt das Pressen der abgelösten Trauben. Von dort gelangt der Saft ins tiefste Geschoss des Kelterturms, wo er so lange zwischengelagert wird, bis der größte Teil der Schwebstoffe auf natürliche Weise abgesunken ist. Erst dann kommt der Most in die Edelstahltanks bzw. die Holzfässer, in denen schließlich die Weinreife beginnt.

Der sorgfältigen Verarbeitung der Trauben entspricht die gestalterische Sorgfalt der neuen Kellerräume. Zum einen ist – wie schon in den Außenbereichen – der mit Porphyr rötlich gefärbte Beton auch hier prägend, zum anderen blicken die Teilnehmer zahlreicher Führungen auf eine wohlgeordnete Haustechnik, sodass der neue Weinkeller unter dem Weinhof als Mischung aus wissenschaftlichem Labor und Reinraum-Industriebetrieb erscheint. Hinzu kommen linear gereihte Edelstahltanks, ein dunkler Industrieestrich sowie eine überaus klar strukturierte oder gleich ganz verborgene Leitungsführung. Beispielsweise befinden sich störende Schalt- kästen oder Lüftungsleitungen in separaten, außen umlaufenden Technik- gängen, während Schalter und Wasseranschlüsse auf kleine Wandbereiche konzentriert sind.

»Weinkeller« über der Erde

Wer von diesem Weinkeller aus eine unscheinbare Edelstahl-Wendeltreppe emporsteigt, verspricht sich zunächst nur eine andere Raumperspektive – bis die Luft im Bereich der Geschossdecke aber schließlich nach Holz zu duften beginnt und man von den Fässern des bereits erwähnten Holzkörpers umgeben ist. Letzte Zweifel, dass es sich bei diesem Raum nur um ein repräsentatives Schein-Lager handeln könnte, sind angesichts der fast schon sakralen Atmosphäre bündiger Eichenholzoberflächen und der offensichtlich rege genutzten Fässer wie weggeblasen. Was heute wie selbstverständlich wirkt, bedurfte jedoch einer besonderen Planungssorgfalt, schließlich liegt der Weinkeller über der Erde, noch dazu als reine Holzkonstruktion. Natürlich soll dieser »Barrique-Keller« auf plakative Weise traditionelles Weinhandwerk zeigen. Dennoch, betont Kellermeister Harald Schraffl, würde es diesen Raum in dieser Form nicht geben, wenn es nicht gelungen wäre, ideale Bedingungen für den Wein zu schaffen. Wesentlich für alle Weinkeller ist für ihn letztlich nicht die Lage im Gebäude, sondern ein kontrolliertes Raumklima – insbesondere in Bezug auf Temperatur und Luftfeuchtigkeitsverhältnisse. Um kein Risiko einzugehen, entschied sich die Kellerei für den Einbau einer Raumbefeuchtungsanlage, die allerdings seit Fertigstellung kaum in Betrieb war, weil sich herausstellte, dass allein das regelmäßige Abwaschen der Fässer und Abspritzen des Bodens ausreichen, um für einen konstanten Feuchtegehalt der Holzfässer zu sorgen. Wesentlich für das Funktionieren dieses Konzepts ist die weitgehende Abschottung des Holzbaukörpers vor Witterungseinflüssen. Aus diesem Grund verfügt er auch über eine hochwärmegedämmte Außenhülle sowie über nur wenige Fenster, die überdies so ausgerichtet sind, dass es keine Sonnenen- ergieeinträge gibt.

Weinlandschaft, Weinproduktion und Wein als Einheit

Der »Barrique-Keller« liegt nicht nur aus repräsentativen Gründen unmittelbar am Eingangsbereich, sondern auch, weil im UG schlicht kein Platz mehr war. Letztlich bietet dieser Standort jedoch viele Vorteile. So trägt der niedrige Baukörper mit geölter Eichenholzbekleidung wesentlich zur angenehm kleinteiligen Gliederung des Neubauensembles bei. Zugleich ergab sich für die Kellerei die Chance, Weinlandschaft, Weinproduktion und Wein auf eine überaus sinnliche Art und Weise auf der Dachterrasse zusammenzuführen. Für die Besucher ist es jedenfalls ein besonderes Erlebnis, aus dem Weinkeller über den Kelterturm an einen Ort mit derart überwältigender Aussicht auf das Etschtal zu kommen und dort jenen Wein zu probieren, dessen Trauben in Sichtweite geerntet und verarbeitet wurden. Richtige Weinverkostungen finden zwar nach wie vor in der gediegenen Atmosphäre der alten Vinothek statt, ohne den Neubau wäre das Markenerlebnis Nals Margreid allerdings nur halb so intensiv.

db, Mo., 2014.03.03

03. März 2014 Roland Pawlitschko

Eine heitere Verführung

(SUBTITLE) Erweiterung eines Schokoladenladens in Berlin

Vor die Aufgabe gestellt, ein bemerkenswertes historisches Laden-Interieur um einen modernen Teil zu erweitern, entwickelte die Innenarchitektin Frédérique Desvaux auf kleinem Raum und mit geringen Mitteln Gestaltungslösungen, die durch Funktionalität und heitere Poesie gleichermaßen beeindrucken.

Eigentlich – also unter rein ökonomischen Gesichtspunkten – hätte man Martin Hesse dringend abraten müssen, diesen Laden zu mieten. Wo doch im Einzelhandel bezüglich der Standortwahl die eherne Regel gilt: Lage, Lage und nochmals Lage! Und die Lage, Varziner Straße in Berlin-Friedenau, einem Quartier ohne nennenswerte Laufkundschaft, war für einen Schokoladenladen mit Coffee-Shop alles andere als vielversprechend. Herr Hesse aber war einfach begeistert von diesem Laden, in dem sich einst eine Filiale der berühmten Berliner Zigarren-Handlung Loeser & Wolf befunden hatte, deren rund 100 Jahre alte, originale Einrichtung hier wie durch ein Wunder erhalten geblieben ist. Man kann das verstehen. Die dunklen, wandhohen Holzregale samt vorgelagerten Verkaufstresen, reich verziert mit gründerzeitlichem Dekor erleihen dem Ecklokal tatsächlich eine unnachahmliche, herrlich nostalgische Atmosphäre.

Ob es dem besonderen Ambiente des Geschäfts, dem Charme des Betreibers, der Qualität seines Angebots oder dem demografischen Wandel im Kiez (der von einem zunehmend jüngeren Publikum belebt wird) geschuldet ist, dass Hesses Geschäft mit dem Namen »Süßkramdealer« trotz problematischer Lage floriert – wir können es dahingestellt sein lassen. Als sich dann vor ein paar Jahren die Möglichkeit eröffnete, einen direkt benachbarten Laden anzumieten, zögerte Hesse nicht lange. Er ergriff die Chance, durch eine räumliche Erweiterung seine Angebotspalette zu vergrößern: um ein kleines Café und um Verkaufsflächen für Accessoires (Kochbücher, ausgewähltes Geschirr, Nippes, Geschenkpapier, etc.).

Im Gegensatz zum bestehenden Geschäft war der neue Laden freilich so leer, wie es Ladenlokale normalerweise eben sind, und Herr Hesse erkannte klug, dass er für eine in sich stimmige Einrichtung professioneller Unterstützung bedürfe. Er fand sie bei der in München ansässigen Innenarchitektin Frédérique Desvaux. Die Vorgabe für die Gestaltung war knapp und präzise: kleines Budget, möglichst viele Sitzplätze für das Café auf kleinem Raum, Präsentationsmöbel, die für spezifische Warengruppen – etwa Bücher und Geschenkpapiere – geeignet sind, sowie eine gestalterische Verbindung zwischen Alt und Neu ohne stilistische Anbiederung an den historischen Teil des Geschäfts.

Das auf Grundlage und unter Beachtung dieses Briefings von Desvaux entwickelte Interieur überzeugt auf ganzer Linie. Es ist konzeptionell schlüssig, funktional durchdacht, unprätentiös und doch ganz eigenständig. V. a. aber verströmt es eine heiter-unbeschwerte Atmosphäre, die dem Süßkramdealer weitere Sympathiewerte beschert.

Als gestalterisches Bindeglied zwischen historischem und modernem Teil des Ladens dienen die wandhohen Regale und das ihnen gemeinsame Prinzip der Schichtung und der raumdefinierenden Wirkung. Das dunkelbraune Mahagoni- und Eichenholz im ehemaligen Zigarren-Laden kontrastiert im neuen Teil mit L-förmigen Regaltablaren aus dünnem, weiß gespritzten Stahlblech, die gegenüber den massiven und reich verzierten historistischen Möbeln denkbar schlicht und fein erscheinen. Ihre Tiefe, ihr Abstand und ihr Neigungswinkel variieren je nach der zu präsentierenden Warengruppe. Auf spielerische, grafisch ansprechende Weise tragen die Tablare so zu einer lebendigen Rhythmisierung der Wandflächen bei.

Für die Einrichtung des Cafés ließ sich die Innenarchitektin von einem typischen, von ihr und Hesse gleichermaßen geschätzten Confiserie-Produkt inspirieren: dem Macaron. Die runde Form dieses Kleingebäcks und die dafür charakteristische pastellige Farbigkeit tauchen als Motive in mannigfachen Variationen auf: bei den Sitzhockern, den Gebäck-Etageren auf dem Kuchenbuffet, den eigens entworfenen zierlichen Beistelltischchen und nicht zuletzt bei den großen bunten Knöpfen, die in scheinbar zufälliger Anordnung die Rückenpolster der Sitzbänke zieren und einen unwillkürlich an Smarties oder Konfetti erinnern.

Schlank, fein und schlicht, wie die gesamte Gestaltung des Raums wirken auch die schmalen Café-Tische mit ihrem filigranen, weißen Metalluntergestellen, die Desvaux eigens für den knapp bemessenen Raum entwarf und nun eventuell in Serienproduktion bringen kann. Von entscheidender Bedeutung für die Wirkung des Cafés, für den Eindruck von Leichtigkeit und Heiterkeit, den es vermittelt – v. a. aber im Gegensatz zum historischen Teil, der damit verglichen altväterlich ernst und vielleicht etwas schwerfällig erscheinen mag – sind die Leuchten-Cluster, die in fein austarierter Unordnung von der Decke baumeln. Einfacher und poetischer als mit diesen nackten Glühbirnen verschiedener Größe, die gruppenweise an farbigen textilummantelten Kabeln hängen, lässt sich ein Raum schwerlich beleuchten.

Alles in allem ist im Süßkramladen eine gestalterische Lösung gelungen, die bei aller demonstrativen Verspieltheit voll sinnfälliger Ideen steckt und dabei die mit dem Projekt verbundenen Beschränkungen – kleiner Raum, kleines Budget – souverän vergessen lässt.

db, Mo., 2014.03.03

03. März 2014 Mathias Remmele

Postmoderne Brotzeit

(SUBTITLE) Brotmanufaktur in der Autostadt Wolfsburg

Wie lässt sich kulinarische Qualität durch gebaute Form vermitteln? Man nehme hochwertige Materialien, verarbeitet durch exklusive Fachfirmen, und füge diese auf 170 m² zu einem transparenten Ganzen zusammen. Als Bäckerei der besonderen Art gelingt mit »Das Brot« ein Bogenschlag zwischen ehrlichem Back- und ebensolchem Handwerk.

Aufgrund ihrer Historie als »Stadt des KdF-Wagens« genießt Wolfsburg nicht unbedingt den allerbesten Ruf. Dabei hat die auf dem Reißbrett geplante Stadt kulturell und baugeschichtlich durchaus einiges zu bieten: Neben etlichen Bauten von Alvar Aalto und Hans Scharoun sowie einem hervorragenden Kunstmuseum sorgt der ansässige Volkswagen-Konzern als potenter Sponsor regelmäßig für Konzerte und Veranstaltungen von internationalem Rang. Zudem lockt die im Jahr 2000 eröffnete Autostadt jährlich gut 2 Mio. Besucher an. Der von HENN Architekten Ingenieure konzipierte, 28 ha große, Themenpark dient dem Autokonzern als Kommunikationsplattform für seine diversen Marken. Herzstück der Anlage ist das Kunden-Center mit seinen zwei 48 m hohen, gläsernen Autotürmen, in denen über 800 Neuwagen zur Auslieferung bereitstehen. Für dessen Ausfahrt hat man sich jüngst eine opulente Überdachung in Form eines »Kartoffelchips« von Graft Architekten gegönnt. Zur Erbauung zukünftiger Kunden sorgt neuerdings zudem ein kinderfreundlicher Kletter- und Erlebnisparcours von J. Mayer H. Architekten. Hauseigene Restaurants sorgen auch außerhalb der Öffnungszeiten der Autostadt für die kulinarische Versorgung. In dem Zusammenhang wurde im Dezember 2012 die Bäckerei »Das Brot« eröffnet. Sie führt den Manufakturgedanken bei den Gastronomie-Konzepten konsequent weiter. Wie bereits die Eismanufaktur »Cool and Creamy« und die Pastamanufaktur »La Coccinella« beliefert nun die Brotmanufaktur sämtliche anliegenden Gaststätten.

Draussen Autos, drinnen (Bio-)Geschmack

Vom Bahnhof her kommend führt der Weg durch eine hügelige Betonlandschaft unterhalb Zaha Hadids »phaeno« zur Autostadtbrücke und über den Mittellandkanal. Vorbei an der riesigen, gläsernen Entreehalle befindet sich »Das Brot« im EG des Service-Hauses auf der Grenze zwischen Kanal und artifizieller VW-Welt und ist somit jederzeit auch für externe Kunden zu erreichen. Eine durchgängige, raumhohe Glasfassade, die nur durch Wandscheiben im Raster des Gebäudes unterbrochen wird, erlaubt die totale Einsicht in den Bistrobereich. Auf der linken Seite kann man den in drei Schichten arbeitenden Bäckern von draußen bei der Arbeit zusehen, rechts daneben liegt der Eingang. Die unbedingt gewünschte Transparenz setzt sich im Innern fort. Der offene Raum ist lediglich optisch durch seine Einbauten zoniert. Im über Eck gelegenen Verkaufsbereich werden verschiedene Brot- und Backwaren sowie Aufstriche aus der Region feilgeboten. Besonderer Wert wird auf die 100 %-ige Bio-Qualität gelegt. Dabei ist die Volldeklaration fester Bestandteil des Services: Auf dem Kassenzettel ist im Einzelnen aufgeführt, welche Rohstoffe in welchen Produkten verarbeitet wurden. Im Backraum erreicht der mit hellem Tuff bekleidete Ofen schnell hohe Temperaturen, verfügt aber über gute Dämmeigenschaften. Platten, ebenfalls aus vulkanischer Erde der Eifel, erlauben seine Unterteilung und ermöglichen es auch kleinere Stückzahlen ökonomisch abzubacken. Die Trennwand zwischen der sogenannten Schaubackstube und der Ladentheke ist vollverglast. Rechterhand schließt sich der Gastraum an.

Zitatesammlung

Einen internen Gestaltungswettbewerb konnte das Münchener Büro Design- liga für sich entscheiden. Um den Gästen das Thema Brot nahezubringen, entwarf es ein Corporate Design, bei dem sich das ehrliche, handgemachte Produkt in der Architektur und den verwendeten Materialien widerspiegelt. Mit dem Leitmotiv »Vom Feld zum Ladentisch« versinnbildlichen die Planer den Wertschöpfungsprozeß des Brots. Am eindrucksvollsten ist dies in der Bodenfläche ablesbar. Über die Längsseite des Raums breitet sich ein Mosaik aus, das sich augenmerklich nur minimal wandelt. Erst beim näheren Betrachten wird der Verlauf in der organischen Form sichtbar, der die fließende Metamor- phose – vom Feld zum Korn, das wiederum zu Mehl gemahlen in Kombination mit Wasser zu Brot wird – symbolisieren soll. Das durchgehend ausgebildete Fliesenkunstwerk, das hinsichtlich der Rutschfestigkeit hohe Anforderungen erfüllen muss, setzt sich aus über 25 000 handgeschnittenen Einzelteilen zusammen und erinnert ein wenig an die Zeit des Rokoko.

Den aus drei Blöcken zusammengesetzten, kolossalen Verkaufstresen bezeichnet die ausführende Fachfirma als Edelstahl-Origami. Die gefaltete, teilweise handgebogene Konstruktion scheint mit ihren lediglich drei kleinen Stützenauflagern zu schweben. Der »Gastraum« wird von einer hellblauen, 6 m langen Eichenholztafel dominiert. Hier bieten Birkenholzstühle angenehmen Sitzkomfort. Oberhalb der aus einem Stück bestehenden Tischplatte verbreitet ein weißes Dach in inverser Biberschwanzpfannen-Optik eine heimelige Atmosphäre. Ein Stuckateur hat die mittels Silikonwannen erstellten Einzelmatrizen vor Ort mit feinem Mörtel an die Trockenbaudecke geklebt und dabei nahtlos zu einem Ganzen gefügt. Die handgefertigten Einbaumöbel aus Vollholz der Robinie und Birke wurden mit einem Korbgeflecht aus geschältem Rattan versehen und stellen in ihrem Farbwechsel eine Reminiszenz an das niedersächsische Fachwerkhaus dar. Gepolsterte Nischen laden zum Verweilen und Ausruhen ein, kleine »Holzblöcke« lassen sich als Beistelltisch aus der Schrankwand ziehen. Erstaunlich, wie intensiv und erfolgreich sich die vorwiegend aus dem Münchener Raum angereisten Firmen mit der norddeutschen Bautradition beschäftigt haben. Ob sich die abstrakten Zitate jedem unbedarften Besucher erschließen, bleibt indes ungewiss. Macht aber auch nichts, denn der Raum überzeugt mit seiner schlüssigen Gestaltung in solider Handwerkskunst auch so. Außerdem geht die »Haus-im-Haus-Taktik« auf: Schnell kommt man an der langen Tafel miteinander ins Gespräch. Dank der schallschluckenden Wände und Decken ist die Akustik wohltuend gedämpft.

Kaum eine Branche ist so um ihr Nachhaltigkeitsimage bemüht wie die Automobilindustrie. Über die Präsentation von ökologischer, sozialer und ökonomischer Verantwortung soll die eigene Reputation aufgepeppt werden. »Das Brot« erfüllt die selbst auferlegten Kriterien mit Bravour – dass sich diese Ideen auch im Fahrzeugbau fortsetzen ist wünschenswert.

db, Mo., 2014.03.03

03. März 2014 Hartmut Möller

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