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30. Mai 2025Hartmut Möller
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Universitätsklinikum Münster

Sanierungen von Großkomplexen aus den 1970er und 1980er Jahren sind nicht unproblematisch. Insbesondere Krankenhausbauten stellen alle Beteiligten vor erhebliche Herausforderungen. Dem Team von wörner traxler richter gelingt beim UKM die Kür mit Bravour – und das im laufenden Betrieb.

Sanierungen von Großkomplexen aus den 1970er und 1980er Jahren sind nicht unproblematisch. Insbesondere Krankenhausbauten stellen alle Beteiligten vor erhebliche Herausforderungen. Dem Team von wörner traxler richter gelingt beim UKM die Kür mit Bravour – und das im laufenden Betrieb.

Das Universitätsklinikum Münster (UKM) zählt mit rund 12 000 Beschäftigten und über 1 500 Betten zu einem der am stärksten frequentierten Gesundheitszentren Deutschlands. Es blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück, die gut 250 Jahre lang eng mit der Medizinischen Fakultät verbunden ist. 1925 als Parkklinik in der westlichen Vorstadt errichtet, folgten nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Neubauten. Das gewaltige Zentralklinikum entstand 1972-83 nach den Plänen von Weber Brand & Partner, die zur selben Zeit auch mit der ungleich bekannteren Aachener Uniklinik beschäftigt waren.

Auf einem etwa 400 x 60 x 20 m messenden Quader thronen zwei über 60 m hohe Doppeltürme, die jeweils aus zwei Zylindern und einem diese übereck verbindenden Erschließungskern bestehen. Ihre ikonographische Erscheinung macht sie zum Symbol der Anlage und festem Bestandteil der münsterschen Stadtsilhouette. Die Kosten des geradezu gigantischen Bauwerks beliefen sich damals auf über 1 Milliarde D-Mark, doch keine 25 Jahre nach Fertigstellung stellte sich aufgrund ausufernder Sanierungs- und Energiekosten schon seine Existenzfrage. Überlegungen zu einem Neubau auf der grünen Wiese wurden jedoch nur halbherzig verfolgt, denn vermutlich hätte man den Münsteranern einen Abriss dieses Wahrzeichens nicht nahebringen können. So beschloss der Aufsichtsrat des UKM 2007 eine grundlegende Modernisierung und ließ einen städtebaulichen Masterplan entwickeln. Seit 2018 erstrahlen die vier Bettentürme in neuem Glanz. Kleihues+Kleihues schlugen den Zimmern die ehemals umlaufenden Fluchtbalkone zu, indem sie vor die vorhandenen Betonbrüstungselemente eine gebänderte Fassade hängten. Heute setzt sich der Wechsel von weiß beschichteten Aluminiumblechen und bündigen Glasflächen über die vormals vertikal strukturierten Ecktürme fort und stärkt somit deren Ensemblewirkung.

Münsters Vierzylinder

Das von DS-Plan (eine Ausgründung des Beratungsunternehmens Drees & Sommer) vorgeschlagene zweistufig getrennte Vorgehen ermöglicht für den Anschluss an die Fassadensanierung eine innere Entkernung der Bettentürme. Die an ihre Kapazitätsgrenze stoßenden Aufzüge sind bereits erneuert, doch gut Ding will Weile haben. Allein die Befreiung vom Asbest nahm über ein halbes Jahr Zeit in Anspruch. Demnächst steht die Freiziehung des östlichen Bettenturms an, 2027-29 soll es dann mit dem Ausbau losgehen. Den internen Wettbewerb hierzu konnte das für Krankenhausbauten renommierte Architekturbüro wörner traxler richter für sich entscheiden. Noch heute mutet die Ausstattung der identitätsstiftenden Form mit ihren runden Stationsgrundrissen futuristisch an. Während aber aktuell zwei völlig autarke Pflegestationen auf einer Ebene liegen, sollen die beiden Teller der Türme später zu einer Einheit zusammengeschaltet werden. Übrig bleibt ein eingerückter, zentraler Stützpunkt; dort, wo sich zuvor der zweite befand, entsteht eine Aufenthaltsfläche. Statt bisher 56 wird es lediglich 40 Patient:innen pro Ebene geben. Deren Zimmer mäandern dann als durchgehende Schlange an der Fassade entlang. Dank ihres tortenstückartigen Zuschnitts verfügt jedes über eine 5 m breite Glasfassade mit wintergartenähnlichem Bereich. Jede zweite Zimmertrennwand nimmt zwei Nasszellen auf, sodass jedes Zimmer über eine eigene Badeinheit verfügt. Vor dem Fenster und in der Nische zwischen den Nasszellen sind die Betten gegenüberliegend angeordnet. Schmunzelnd fühlt man sich an die Bettenkonstellation der Eheleute Schminke in Hans Scharouns berühmter Villa in Löbau erinnert. Hierdurch soll ein bevorteilter Platz vermieden, hingegen mehr Raum für Pflege und Besucher:innen geschaffen werden.

In Zusammenarbeit mit Haverkamp Interior Design entstand 2021 auf dem Ostturm als Ebene 21 ein vollverglastes Bistro. Aus dem Fahrstuhl kommend führt der Weg über ein kleines Foyer auf dem einen Zylinder zu einer Lounge mit angrenzendem üppigem Terrassenbereich. Sechs Kiefern neigen sich in ihren mit Bänken gefassten Kübeln, als hätte sie der Wind hier oben in unterschiedliche Richtungen gedrückt. Auf dem anderen Zylinder breitet sich kreisförmig das Café aus. Die jeweiligen lastabtragenden, monumentalen Säulen sind als Sitzlandschaften arrangiert; dank leichter Erhöhung bietet selbst der innere Bereich spektakuläre Aussichten über den Campus und die Weite des Münsterlandes. Ein besonderer Clou: Die Gastronomie ist auch für externe Personen geöffnet.

Luftige Fortschreibung

Der ebenfalls von wörner traxler richter entworfene »Interdisziplinäre Erweiterungsbau am Zentralklinikum« (IEZ) dockt im Westen an den kolossalen Bestand an und erweitert ihn in dessen Längsrichtung um 40 m. Gestalterisches Ziel war eine äußerlich wahrnehmbare formale Einheit von Türmen und Sockelbau, deshalb orientieren sich seine Fassaden in ihrer Lineatur und der Materialwahl – Glas und poliertes Aluminium – in Hochweiß und Braunschwarz an der neuen Optik der Doppelzylinder. Die dunkle Variante ist eine Reminiszenz an die entsprechende Fensterrahmung des in Sichtbeton ausgeführten Vorgängerbaus. Das elegant wirkende Aussehen soll dabei medizinische Präzision ausstrahlen. Hinter den geschlossenen Streifen, die zwar wie Brüstungen anmuten, befinden sich tatsächlich die zwischen den drei Nutzgeschossen eingeschobenen Technikgeschosse gleicher Anzahl. Nicht grundlos verweisen die Architekten auf die weitsichtige Planung ihrer Vorgänger, denn diese Schichtung erst ermöglichte eine Sanierung im laufenden Betrieb. Damit dies auch in Zukunft funktioniert, setzt sich jenes Gefüge im Inneren der Erweiterung fort, ebenso die Säulenstruktur mit Auflagern und die das Rückgrat bildende Magistrale. Deren eingeschnittene, geschossübergreifende Lichtschächte, mächtige Glasflächen, weiße Wände und Böden in Kombination mit Holz lassen den Raum hell, offen, großzügig und freundlich wirken. An der inneren Hauptverkehrsstraße liegen mit Kreißsaal, Wöchnerinnenstation und Neonatologie Wohl und Wehe direkt beieinander.

Auf den sechsgeschossigen Breitfuß setzten die Planenden zudem eine siebte Etage und vergrößern somit die Fläche der Behandlungsbereiche um satte 25 %. In der gemeinsam mit Haverkamp Interior Design gestalteten Privatstation verfügen die Zimmer über eigene, angrenzende Terrassen. Patienten:innen von heute sind »als Kunde eben auch König«. Aufenthalts-, Pflege- und Versorgungsräume greifen fließend ineinander, bepflanzte Lichthöfe, eine weitläufige Führung um die als Sitzbank und mit Lichtbändern inszenierten Pilzstützen erzeugen eine hotelähnliche Atmosphäre; Blickbeziehungen nach außen erleichtern die Orientierung. Im Zentrum der Etage ist ein großer Dachgarten, eine kleine Oase inmitten des Klinikbetriebs, als luftige Erholungsfläche und »gebaute Wertschätzung« für das Personal in Planung. Immerhin ist das UKM der größte Arbeitgeber der Stadt. Zudem verbringen die dort arbeitenden Menschen – im Gegensatz zu den Patientinnen und Patienten, die das Gebäude in der Regel nach ein paar Tagen wieder verlassen – über Jahre hinweg sehr viel Zeit vor Ort.

Zusammen mit dem Planungsteam des UKM wird im laufenden Betrieb der logistische Aufwand gemeistert, einzelne Stationen umzugruppieren und temporär teilweise mehrfach zu verlegen. In der inzwischen wieder über den gekürzten Verbindungsgang angeschlossenen Cafeteria (die wtr bereits 2007 realisiert haben) zeigt sich obendrein, dass die gewählte Architektur wunderbar zeitlos daherkommt: Beide Bauten wirken wie aus einem Guss.

db, Fr., 2025.05.30



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db 2025|06 Gesundheitsbauten

22. März 2023Hartmut Möller
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Wohnungsbau mit Mehrwert

Leihautos, Cluster-Wohnungen, soziale Angebote, Nachbarschaftshilfe, Gemeinschaftsbereiche und ein Gästeapartment: In Wolfsburg zeigen BAYER & STROBEL ARCHITEKTEN beispielhaft, wie modernes, städtisches Wohnen in Großform funktionieren kann.

Leihautos, Cluster-Wohnungen, soziale Angebote, Nachbarschaftshilfe, Gemeinschaftsbereiche und ein Gästeapartment: In Wolfsburg zeigen BAYER & STROBEL ARCHITEKTEN beispielhaft, wie modernes, städtisches Wohnen in Großform funktionieren kann.

Wolfsburgs südwestlich gelegener Stadtteil Detmerode entstand in den frühen 60er Jahren am Reißbrett. Das rasante wirtschaftliche Wachstum des nahe gelegenen Volkswagenwerks verlangte, der sich daraus ergebenden sprunghaften Bevölkerungszunahme gerecht zu werden. Gut 15 000 Menschen lebten hier zu Hochzeiten v. a. in Hochhaussiedlungen, aber auch in Zeilenbauten, Reihenhäusern und Bungalows. Architektonische Highlights sind Alvar Aaltos Stephanuskirche sowie Hans Scharouns Kindergarten Stephanus I. Obendrein bietet der Ort dank angrenzender großer Waldgebiete, Trimm-dich-Pfaden und Teich die perfekte Naherholung.

Noch bis vor Kurzem fiel der Blick von der Autobahn kommend hinter einer Kleeblattkreuzung unweigerlich auf Paul Baumgartens kolossales Stufenhochhaus (1965-67). Ausgeführt in Thermocrete-Beton (unbewehrter Leichtbeton), musste das ikonische Bauwerk jedoch wegen nicht behebbarer Baumängel 2018 abgerissen werden.

Für die Eigentümerin, die NEULAND Wohnungsgesellschaft mbH, bedeutete dies eine enorme Herausforderung, da das beliebte Wohngebäude mit 172 Wohneinheiten voll vermietet war. Mit rund 12 000 Mietwohnungen hält das städtische Unternehmen für sogenannte Umsetzer praktischerweise jedoch stets einen strategischen Leerstand bereit. Ein eigens vor Ort eingerichtetes Büro bot den Mietern einen Rundumservice, sodass sie in einem über zwei Jahre währenden Prozess im Bestand des Unternehmens untergebracht werden konnten. Den zweistufigen Wettbewerb für die Neubebauung entschieden BAYER & STROBEL ARCHITEKTEN aus Kaiserslautern nach einer Überarbeitungsphase für sich.

Prägnante Fernwirkung

Die für Detmerode typischen Zeilenbauten bilden die Grundlage der neuen Struktur aus drei winkelförmigen Baukörpern, deren Außenecken von Hochpunkten betont werden. Durch deren Anordnung ergeben sich drei Wohnhöfe, ausgestattet mit abwechslungsreichen Spielplätzen, die von überall gut einsehbar sind und soziale Kontrolle ermöglichen. Durch großzügige, zwei Etagen hohe Hausdurchgänge hindurch, jeweils im Winkel zwischen viergeschossigem Riegel und Hochpunkt gelegen, schlängelt sich ein als »Loop« bezeichneter Fußweg und dient dem Wohnbauensemble als Klammer.

Das Wohnangebot von Ein- bis Fünfzimmerwohnungen, passt wunderbar zur heterogenen Umgebung. Es reicht vom »Durchwohnen« in den Kopfbauten über nach Süden orientierte Wohnungen in den Riegeln – deren kleinere Wohneinheiten bzw. Maisonetten mit Garten im EG werden über zu den Wohnhöfen hin orientierten Laubengänge erschlossen – bis hin zu übereckbelichteten Wohnungen in den Hochhäusern.

Die drei Punkthochhäuser mit 14, 11 und 7 Geschossen liegen in der Flucht des ehemaligen Stufenhochhauses und zeichnen durch die abnehmende Gebäudehöhe ihrer Kubatur dessen Silhouette nach. Wobei genau genommen das kleinste von ihnen kein Hochhaus ist – es kann von außen angeleitert werden und hat einen vorgesetzten Fluchtweg. Ein achtes Geschoss hätte zwar der akkuraten Nachzeichnung der vormaligen Profillinie Rechnung getragen, wurde jedoch aus wirtschaftlichen Gründen nicht realisiert. Zufahrten an den jeweiligen nördlichen Kopfseiten der Häuser führen über eine flachstufige Treppe nebst Schieberampe in den Fahrradkeller. Die Gestaltung der über zwei Stockwerke reichenden Entrees jeweils vis-à-vis des Riegeldurchbruchs fällt schon von Weitem ins Auge und lässt sich getrost als nobel bezeichnen. Eltern mit Nachwuchs wissen zudem sicher den Abstellraum für Kinderwagen im opulenten Eingangsbereich zu schätzen.

Um jeweils einen Erschließungskern gruppieren sich die Wohnungen. Neben Treppe und Fahrstuhl befindet sich auch das in F90 ausgeführte Nottreppenhaus im Erschließungskern. Dessen Entrauchung erfolgt über einen auf jeder Etage eingerückten Balkon. Nach Ausschalung der Decken und Treppen zeigte sich eine hohe Qualität im Sichtbeton, sodass man sich in den öffentlichen Bereichen dafür entschied, diese Flächen unverspachtelt und offen sichtbar zu belassen. Die Architekten schwärmen in diesem Zusammenhang vollkommen zu Recht von einem »veredelten Rohbau«.

Zeitgemäße Wohnformen

Alle 218 Einheiten sind in ihrer Ausstattung gleich beschaffen. So ließen sich die 66 öffentlich geförderten Wohnungen frei auf das Objekt verteilen. In den Wohnungen sorgt eine Fußbodenheizung unter einem Vinylbelag für ein angenehmes Raumklima, Lüftungsöffnungen in Fensterrahmen und Laibungen garantieren einen kontinuierlichen Luftaustausch. Die luxuriös anmutenden En-Suite-Bäder in den größeren Wohnungen sind äußerst beliebt.

Als größte Wohnungsanbieterin Wolfsburgs nimmt die NEULAND Wohnungsgesellschaft auch eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung wahr, sodass sie das Thema »Wohnformen« fortwährend auszuloten und zu optimieren versucht: Beim Projekt in Detmerode z. B. waren Wunschwohnungen mittels interaktiver 3D-Modelle vorab virtuell begehbar, Filter zur Größe oder Zimmeranzahl halfen bei der Auswahl, Mustermöblierungen erleichterten die Vorstellungskraft von Raumwirkung und die Kontaktaufnahme zur persönlichen Besichtigung oder Bewerbung konnte online erfolgen.

Die voll möblierte Dreizimmer-Gästewohnung in der Anlage bietet bis zu vier Personen Platz, z. B. um Besuch unterzubringen, und ist auch von externen Gästen reservierbar. Zudem lässt sich ein Multifunktionsraum samt Küche, WC und Seminarequipment für Feiern, Meetings oder sonstige Veranstaltungen buchen. Die ansässige Beratungsstelle des WIN e. V. fördert das nachbarschaftliche Miteinander durch Vermittlung von Haushaltshilfen, Terminbegleitung, Transporten zu umliegenden Nachbarschaftstreffs und leistet dadurch Unterstützung für ein im Alter selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden. Eine weitere Besonderheit sind die beiden Clusterwohnungen, die für moderne WGs über zwei Etagen einen großzügigen, möblierten Gemeinschaftsbereich mit voll ausgestatteter Einbauküche und Gäste-WC aufweisen. Für die Privatsphäre dienen je Wohngruppe fünf autarke Apartments mit Pantry-Küche und eigenem Bad.

In Sachen Mobilität und Energie stehen ebenfalls neue Konzepte zur Probe. Passend zur VW-Stadt haben die Anlieger Zugriff auf drei anmietbare Elektroautos und vier E-Lastenfahrräder. Zur Ausweisung von Stellplätzen (bei einem Schlüssel von 1,0) entschied man sich bewusst gegen eine Tiefgarage. Stattdessen wurde östlich der Bebauung eine zweistöckige Parkpalette (auf Wunsch inklusive Wallbox als privater Lademöglichkeit) errichtet, die sich in Zukunft einfach zurückbauen und als Grünfläche umgestalten ließe. Auf der Dachfläche des Parkdecks erzeugt eine Solaranlage eines externen Anbieters Ökostrom, der den Mietern vertraglich geregelt als umweltfreundlich und obendrein günstig angeboten wird.

Würdiger Nachfolger

Um Streit während der Bauzeit vorzubeugen, schwört die Bauherrschaft übrigens auf das Bauteamverfahren, bei dem der Generalunternehmer als Ausführender bereits während der Planungsphase involviert ist. Mit dem Arbeiten in Partnerschaft wurden bislang durchgängig gute Erfahrungen gemacht, die sich oft durch eine preisgünstige Entwicklung qualitätserhöhend auf das Ergebnis auswirkten. Lediglich zwei Jahre Bauzeit sprechen auch bei diesem Projekt für sich.

Zur Nachhaltigkeit und Integration in den »weißen Stadtteil« Detmerode setzt der Entwurf auf eine Konstruktion aus Stahlbeton mit hellem, vorgemauertem Vollklinker. Leicht zurückversetzte, kontrastierende Grauflächen erinnern an die Brüstungsbänder des Vorgängerbaus. Die Loggien fügen sich dabei zurückhaltend in die Fassade ein. Zudem lassen sich in diesen Feldern dank der eingesetzten dunklen Fensterrahmen die unterschiedlichen Öffnungsformate optimal kaschieren. An manchen Fassadenflächen setzt ein verputztes, weiß gestrichenes WDVS Akzente. Insgesamt erzielen die Bauten den KfW-Standard 55.

Bei Investitionskosten von über 50 Mio. Euro für knapp 15 000 m² Wohnfläche erweist sich der in Anlehnung an seinen Standort am Kurt-Schumacher-Ring betitelte Komplex »Kurt 2.0« als würdiger Nachfolger, der sich souverän ins Nachbarschaftsgefüge eingliedert.

db, Mi., 2023.03.22



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db 2023|03 Generationenwohen

03. April 2014Hartmut Möller
db

Spielen statt parken

Der neue Treffpunkt einer Wohnsiedlung der 70er Jahre schafft auf dem vormaligen Parkdeck einer Siedlungsgarage einen wohltuenden und identitätsstiftenden Stadtraum, der seinen Nutzern mit seiner eigenständigen Gestaltung vielfältige Angebote macht.

Der neue Treffpunkt einer Wohnsiedlung der 70er Jahre schafft auf dem vormaligen Parkdeck einer Siedlungsgarage einen wohltuenden und identitätsstiftenden Stadtraum, der seinen Nutzern mit seiner eigenständigen Gestaltung vielfältige Angebote macht.

Der im Westen Göttingens gelegene Stadtteil Grone besteht zum einen aus der kleinteiligen Struktur des vormaligen Dorfkerns im Norden und zum anderen aus großmaßstäblichen Wohnsiedlungen, die seit den 70er Jahren südlich davon entstanden. Diese Bereiche Grones werden neben ihrem großen Wohnanteil v. a. durch die hohe Konzentration ihrer größtenteils einkommensschwachen Bewohnerschaft geprägt. Den daraus resultierenden gesellschaftlichen Problemen versucht die Stadt mit öffentlichen Fördermitteln auch seitens der EU, des Bundes und des Landes Niedersachsen entgegenzuwirken. So wurde bereits 2007 im Rahmen des »Soziale Stadt«-Konzepts in Grone-Süd ein Nachbarschaftszentrum errichtet.

In Grone-Nord zeichnete sich schon seit längerer Zeit ein Sanierungsstau ab und dies besonders deutlich in einem Quartier des ehemaligen Gewerkschaftskonzerns »Neue Heimat« aus den 70er Jahren, das aus heutiger Sicht deutliche stadtplanerische Mängel aufweist. Dem seinerzeit vorherrschenden Ideal einer modernen Stadt folgt die räumliche Trennung von Wohnen und öffentlichen Einrichtungen entlang der St.-Heinrich-Straße: Während sich im Westen Kindertagesstätte, Schule, Sporthallen, Kirche und Supermarkt aufreihen, stehen im Osten entlang der Quartiersachse ausschließlich Wohnungsbauten. Immerhin zeigen sich mittlerweile die Fassaden der üppig durchgrünten Wohnblöcke saniert, und ein kleiner bestehender Teich wurde jüngst ebenfalls wieder hergerichtet. Außer wenigen Spielplätzen für Kleinkinder beschränkte sich der öffentliche Raum jedoch bislang im Wesentlichen auf breite Stichstraßen mit einem Übermaß an Parkplätzen – es mangelte an Begegnungsflächen mit Aufenthaltsqualität.

An zentraler Stelle des Areals befand sich eine baufällige Quartiersgarage, deren Oberdeck schon seit etlichen Jahren gesperrt war. Die Renovierung des Bestands oder der Neubau eines neuen, höheren Garagenhofs mit zusätzlichen überdachten Stellplätzen standen für die Verwaltungsgesellschaft des Wohnkomplexes zur Disposition. Für deren Projektpartner war Fabian Lippert von LKA Lippert Kavelly Architekten aus Berlin schon öfter tätig und bekam so die Gelegenheit, einen Quartierplatz auf dem Parkdeck umzusetzen. Lediglich 40 Stellplätze des unteren Niveaus der Bestandsgarage mussten, behördlich vorgeschrieben, bestehen bleiben. Nach einer Vorstudie erhielt er den Direktauftrag, 1,70 m über Straßenniveau einen Ort der Begegnung mit Spielmöglichkeiten und Sitzgelegenheiten zu planen.

Neue Mitte

Der 2013 eingeweihte Quartiersplatz schafft eine Mitte für die Nachbarschaft und vermittelt zudem stadträumlich zwischen den Geschosswohnungsbauten und den westlich liegenden Einfamilienhäusern. Der Straßenecke im Nordwesten folgend wird er an zwei Seiten über eine umlaufende Treppe aus Betonfertigteilen erschlossen. Um jedoch die Grundstücksgrenze nicht zu überschreiten, fällt diese im Steigungsverhältnis 19/26 cm recht steil aus. Trotz der baugenehmigungsrelevanten Geländer an ihren Stirnseiten, bzw. über der Garageneinfahrt, mutet das Podest wie ein Miniatur-Tempel der Maya an und lässt sich dadurch kaum übersehen. An den beiden Seiten zum Blockinnern vermitteln begrünte Böschungen, die im Winter offensichtlich bereits als Rodelhügel genutzt wurden, zur anschließenden Vegetation. Eine Zick-Zack-Rampe gewährt hier auch barrierefreien Zugang zur Platzebene, auf der zwei schlank detaillierte und räumlich wirkungsvoll versetzt angeordnete Pergolen wunderbar in ihrer Maßstäblichkeit mit den benachbarten fensterlosen Gebäudestirnseiten korrespondieren.

Die beiden Stahlkonstruktionen sollen die Bewohner durch ihre Tiefenstaffelung auf das Plateau locken und dienen außerdem einer Tischtennisplatte sowie einer u-förmigen Sitzbank als Witterungsschutz. Ihre abgehängten Leuchtkästen spenden abends einerseits direktes Licht, tauchen den Platz andererseits in ein von den mit Edelstahlblech bekleideten Dachuntersichten reflektiertes, indirektes Licht. Während zwei Sitzgruppen mit Brettspieltischen sich älterem Publikum anbieten, können kleinere Kinder eine Tafelfläche mit Kreidezeichnungen bemalen oder die beiden dauerhaften Bodenzeichnungen für Himmel und Hölle auf dem federnden Untergrund des hellen Gummibelags in Beschlag nehmen. Hell zeigen sich auch die nach Eigenentwürfen mit Weißzement betonierten, minimalistischen Möbel und die Treppenstufen. Sämtliche dunkel beschichteten Stahlelemente sowie der asphaltgraue Plattenbelag des kleinen Vorplatzes mit seinen in Anthrazit durchgefärbten Betonbänken stehen dazu effektvoll im Kontrast.

Diese »Unfarbigkeit« der Anlage wird jedoch durch ein farbiges Bodenbild gebrochen, das sich beinahe über die ganzen gut 1 000 m² der oberen Ebene erstreckt: Gerade und geschwungene Linien bilden als ineinander verschränkte Buchstaben das Wort »GRONE«. Das »E« definiert dabei ein Federballfeld. Erdacht hat dieses heitere und identitätsstiftende Schriftlogo Ina Geißler, die auch an der Müllbox und den Außenpfeilern der Tiefgarage neonrot-leuchtende Farbakzente gesetzt hat. Die Künstlerin und ihr Mann, Architekt Fabian Lippert, haben bereits einige Projekte gemeinsam verwirklicht.

Dünne Decken

Ohne Bestandsunterlagen gestaltete sich der Umbau als konstruktive Herausforderung. Die massiven Brüstungen des Parkdecks wurden abgebrochen; dank des Kunstgriffs der breiten Treppe und der Anböschung konnte auf eine weitläufige Absturzsicherung verzichtet werden. Lediglich zu den umliegenden Hauszeilen übernehmen Ortbetonwände diese Funktion. Das ehemals weitgehend offene untere Parkgeschoss wurde, abgesehen von vier Lüftungsgittern zur Entrauchung im Brandfall, beinahe vollständig mit Betonfertigteilen geschlossen.

Die Änderung der Verkehrslast von 3,5 KN/m² (Parkplatzfläche) auf 5 KN/m² (Versammlungsstätte) bedingte – angesichts der bestehenden schwach bewehrten, 10 cm dicken Betondecke aus Pi-Platten – sowohl die Lage der Pergolen auf das Stützraster der Garage abzustimmen als auch einen möglichst leichten Bodenaufbau zu verwenden. Zur Verringerung der Eigenlast wurde zudem die marode Asphalt-Abdichtung abgeschliffen. Unterhalb des wasserdurchlässigen Gummi-Oberbelags überbrückt nun ein druckfester, kunststoffgebundener Glasschaum (ebenfalls wasserdurchlässig) den bis zu 30 cm großen Abstand zur Betonkonstruktion darunter. Da die meisten der bestehenden Felder der Betondecke bereits für eine Entwässerung geeignete Neigungen aufwiesen, wurde lediglich bei den wenigen waagerechten Elementen ein »Rücken« aufgespachtelt und anschließend eine durchgehende Dichtungsebene aufgebracht. Aus dieser Ebene schließlich wird das anfallende Oberflächenwasser dem naheliegenden Teich zugeleitet.

Ausnahmeerscheinung

Selten genug hat ein Architekt eine solch umfassende Gestaltungsfreiheit wie Fabian Lippert bei der Umnutzung des Parkdecks. Dass er seine Chance nutzte, zeigt sich u. a. am variantenreichen, sorgfältig geplanten und spielerisch anmutenden Umgang mit dem Werkstoff Beton – egal ob schalungsglatt, sandgestrahlt, gesäuert oder geschliffen – für die möglichst robuste Außenmöblierung. Die Motive von Pyramidenstumpf und Raute kehren bei näherer Betrachtung in etlichen Details (Sitzbänke, Lampenabhängung, Rolltor, Geländermaschen) wieder.

Den Anwohnern, die sich den Platz bereits zu eigen gemacht haben, kann man zum Quartierstreffpunkt nur gratulieren. Großes Lob gebührt auch der Wohnungsgesellschaft, die als Bauherr beim Quartiersplatz Grone neben wirtschaftlichen offensichtlich auch gestalterische Ansprüche ernsthaft verfolgte.

db, Do., 2014.04.03



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db 2014|04 Aussenraum

03. März 2014Hartmut Möller
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Postmoderne Brotzeit

Wie lässt sich kulinarische Qualität durch gebaute Form vermitteln? Man nehme hochwertige Materialien, verarbeitet durch exklusive Fachfirmen, und füge diese auf 170 m² zu einem transparenten Ganzen zusammen. Als Bäckerei der besonderen Art gelingt mit »Das Brot« ein Bogenschlag zwischen ehrlichem Back- und ebensolchem Handwerk.

Wie lässt sich kulinarische Qualität durch gebaute Form vermitteln? Man nehme hochwertige Materialien, verarbeitet durch exklusive Fachfirmen, und füge diese auf 170 m² zu einem transparenten Ganzen zusammen. Als Bäckerei der besonderen Art gelingt mit »Das Brot« ein Bogenschlag zwischen ehrlichem Back- und ebensolchem Handwerk.

Aufgrund ihrer Historie als »Stadt des KdF-Wagens« genießt Wolfsburg nicht unbedingt den allerbesten Ruf. Dabei hat die auf dem Reißbrett geplante Stadt kulturell und baugeschichtlich durchaus einiges zu bieten: Neben etlichen Bauten von Alvar Aalto und Hans Scharoun sowie einem hervorragenden Kunstmuseum sorgt der ansässige Volkswagen-Konzern als potenter Sponsor regelmäßig für Konzerte und Veranstaltungen von internationalem Rang. Zudem lockt die im Jahr 2000 eröffnete Autostadt jährlich gut 2 Mio. Besucher an. Der von HENN Architekten Ingenieure konzipierte, 28 ha große, Themenpark dient dem Autokonzern als Kommunikationsplattform für seine diversen Marken. Herzstück der Anlage ist das Kunden-Center mit seinen zwei 48 m hohen, gläsernen Autotürmen, in denen über 800 Neuwagen zur Auslieferung bereitstehen. Für dessen Ausfahrt hat man sich jüngst eine opulente Überdachung in Form eines »Kartoffelchips« von Graft Architekten gegönnt. Zur Erbauung zukünftiger Kunden sorgt neuerdings zudem ein kinderfreundlicher Kletter- und Erlebnisparcours von J. Mayer H. Architekten. Hauseigene Restaurants sorgen auch außerhalb der Öffnungszeiten der Autostadt für die kulinarische Versorgung. In dem Zusammenhang wurde im Dezember 2012 die Bäckerei »Das Brot« eröffnet. Sie führt den Manufakturgedanken bei den Gastronomie-Konzepten konsequent weiter. Wie bereits die Eismanufaktur »Cool and Creamy« und die Pastamanufaktur »La Coccinella« beliefert nun die Brotmanufaktur sämtliche anliegenden Gaststätten.

Draussen Autos, drinnen (Bio-)Geschmack

Vom Bahnhof her kommend führt der Weg durch eine hügelige Betonlandschaft unterhalb Zaha Hadids »phaeno« zur Autostadtbrücke und über den Mittellandkanal. Vorbei an der riesigen, gläsernen Entreehalle befindet sich »Das Brot« im EG des Service-Hauses auf der Grenze zwischen Kanal und artifizieller VW-Welt und ist somit jederzeit auch für externe Kunden zu erreichen. Eine durchgängige, raumhohe Glasfassade, die nur durch Wandscheiben im Raster des Gebäudes unterbrochen wird, erlaubt die totale Einsicht in den Bistrobereich. Auf der linken Seite kann man den in drei Schichten arbeitenden Bäckern von draußen bei der Arbeit zusehen, rechts daneben liegt der Eingang. Die unbedingt gewünschte Transparenz setzt sich im Innern fort. Der offene Raum ist lediglich optisch durch seine Einbauten zoniert. Im über Eck gelegenen Verkaufsbereich werden verschiedene Brot- und Backwaren sowie Aufstriche aus der Region feilgeboten. Besonderer Wert wird auf die 100 %-ige Bio-Qualität gelegt. Dabei ist die Volldeklaration fester Bestandteil des Services: Auf dem Kassenzettel ist im Einzelnen aufgeführt, welche Rohstoffe in welchen Produkten verarbeitet wurden. Im Backraum erreicht der mit hellem Tuff bekleidete Ofen schnell hohe Temperaturen, verfügt aber über gute Dämmeigenschaften. Platten, ebenfalls aus vulkanischer Erde der Eifel, erlauben seine Unterteilung und ermöglichen es auch kleinere Stückzahlen ökonomisch abzubacken. Die Trennwand zwischen der sogenannten Schaubackstube und der Ladentheke ist vollverglast. Rechterhand schließt sich der Gastraum an.

Zitatesammlung

Einen internen Gestaltungswettbewerb konnte das Münchener Büro Design- liga für sich entscheiden. Um den Gästen das Thema Brot nahezubringen, entwarf es ein Corporate Design, bei dem sich das ehrliche, handgemachte Produkt in der Architektur und den verwendeten Materialien widerspiegelt. Mit dem Leitmotiv »Vom Feld zum Ladentisch« versinnbildlichen die Planer den Wertschöpfungsprozeß des Brots. Am eindrucksvollsten ist dies in der Bodenfläche ablesbar. Über die Längsseite des Raums breitet sich ein Mosaik aus, das sich augenmerklich nur minimal wandelt. Erst beim näheren Betrachten wird der Verlauf in der organischen Form sichtbar, der die fließende Metamor- phose – vom Feld zum Korn, das wiederum zu Mehl gemahlen in Kombination mit Wasser zu Brot wird – symbolisieren soll. Das durchgehend ausgebildete Fliesenkunstwerk, das hinsichtlich der Rutschfestigkeit hohe Anforderungen erfüllen muss, setzt sich aus über 25 000 handgeschnittenen Einzelteilen zusammen und erinnert ein wenig an die Zeit des Rokoko.

Den aus drei Blöcken zusammengesetzten, kolossalen Verkaufstresen bezeichnet die ausführende Fachfirma als Edelstahl-Origami. Die gefaltete, teilweise handgebogene Konstruktion scheint mit ihren lediglich drei kleinen Stützenauflagern zu schweben. Der »Gastraum« wird von einer hellblauen, 6 m langen Eichenholztafel dominiert. Hier bieten Birkenholzstühle angenehmen Sitzkomfort. Oberhalb der aus einem Stück bestehenden Tischplatte verbreitet ein weißes Dach in inverser Biberschwanzpfannen-Optik eine heimelige Atmosphäre. Ein Stuckateur hat die mittels Silikonwannen erstellten Einzelmatrizen vor Ort mit feinem Mörtel an die Trockenbaudecke geklebt und dabei nahtlos zu einem Ganzen gefügt. Die handgefertigten Einbaumöbel aus Vollholz der Robinie und Birke wurden mit einem Korbgeflecht aus geschältem Rattan versehen und stellen in ihrem Farbwechsel eine Reminiszenz an das niedersächsische Fachwerkhaus dar. Gepolsterte Nischen laden zum Verweilen und Ausruhen ein, kleine »Holzblöcke« lassen sich als Beistelltisch aus der Schrankwand ziehen. Erstaunlich, wie intensiv und erfolgreich sich die vorwiegend aus dem Münchener Raum angereisten Firmen mit der norddeutschen Bautradition beschäftigt haben. Ob sich die abstrakten Zitate jedem unbedarften Besucher erschließen, bleibt indes ungewiss. Macht aber auch nichts, denn der Raum überzeugt mit seiner schlüssigen Gestaltung in solider Handwerkskunst auch so. Außerdem geht die »Haus-im-Haus-Taktik« auf: Schnell kommt man an der langen Tafel miteinander ins Gespräch. Dank der schallschluckenden Wände und Decken ist die Akustik wohltuend gedämpft.

Kaum eine Branche ist so um ihr Nachhaltigkeitsimage bemüht wie die Automobilindustrie. Über die Präsentation von ökologischer, sozialer und ökonomischer Verantwortung soll die eigene Reputation aufgepeppt werden. »Das Brot« erfüllt die selbst auferlegten Kriterien mit Bravour – dass sich diese Ideen auch im Fahrzeugbau fortsetzen ist wünschenswert.

db, Mo., 2014.03.03



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db 2014|03 Lebensmittel

01. Juli 2013Hartmut Möller
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Moderne Verwandtschaft

Die Heinrich-Schütz-Schule von Heinrich Tessenow aus den späten 20er Jahren gilt als prägendes Beispiel der »Frühen Moderne«. Ihre Sanierung war lange überfällig, der Anbau eines Klassentrakts dringend nötig. Den Spagat zwischen historischer Verpflichtung und eigenständigem Ausdruck meistern die Architekten durch einen zurückhaltenden aber dennoch selbstbewussten Umgang mit dem baulichen Erbe.

Die Heinrich-Schütz-Schule von Heinrich Tessenow aus den späten 20er Jahren gilt als prägendes Beispiel der »Frühen Moderne«. Ihre Sanierung war lange überfällig, der Anbau eines Klassentrakts dringend nötig. Den Spagat zwischen historischer Verpflichtung und eigenständigem Ausdruck meistern die Architekten durch einen zurückhaltenden aber dennoch selbstbewussten Umgang mit dem baulichen Erbe.

Die wachsende Anzahl von Schülerinnen des 1909 gegründeten ersten Mädchengymnasiums im Regierungsbezirk Kassel erforderte 1927 einen Neubau, dessen Wettbewerb der Reformarchitekt Heinrich Tessenow gewann. Zur Fertigstellung 1930 wurde die Schule »Malwida-von-Meysenbug-Schule«, nach der progressiven Kämpferin für Pressefreiheit und Emanzipation, benannt. Weil jedoch deren verkörpertes Frauenbild nicht in die Ideologie der Nationalsozialisten passte, benannten diese sie 1940 um; bis heute trägt sie aufgrund ihres musikalischen Schwerpunkts den Namen des frühbarocken Komponisten Heinrich Schütz. Im Krieg wenig beschädigt, beschlagnahmten die amerikanischen Besatzer das Gebäude, die Turnhalle wurde kurzerhand zur Garagenwerkstatt und die Aula zum Kino »Liberty« umfunktioniert. Seit Wiedereinzug der ursprünglichen Institution 1947 folgten etliche interne organisatorische Veränderungen – gegenwärtig beheimatet die kooperative Gesamtschule gut 1000 Schüler der fünften bis zehnten Klassenstufe.

Fußläufig vom Bahnhof Wilhelmshöhe entfernt liegt das Bundessozialgericht (ehemaliges Generalkommando, 1938) in unmittelbarer Nachbarschaft zur Heinrich-Schütz-Schule. Die Entwurfsansätze beider aus annähernd gleicher Zeit stammenden Bauten könnten kaum unterschiedlicher sein. Während auf der einen Seite wuchtig gerahmte Fenster in tiefen Laibungen den Eindruck von Masse verstärken, scheinen ihre gegenüber flachbündig gesetzten Pendants in feinen Faschen die Fassade als gläserne Wand auflösen zu wollen. Um das viergeschossige, in Nord-Süd-Richtung axialsymmetrische Schulhaus mit Innenhof gruppieren sich an den Ecken drei, mit ähnlichen Ansichten aber unterschiedlichen Volumen, gestaltete Flügel: Aula, Hausmeisterwohnung und Turnhalle. Flach geneigte Dächer und rigide Lochfassaden der quaderförmigen Baukörper verweisen dabei auf Tessenows Drang hin zum »Neuen Bauen«.

Weitergedacht

2009 erhielten die ortsansässigen Architekten Schultze + Schulze für die Renovierung der Aula und Einfügung einer Mensa in Tessenows Schule aus Mitteln des Konjunkturprogramms von Bund und Land den Direktauftrag. Darüber hinaus sollte ein 1975 rücksichtslos angefügter Waschbetonbau abgebrochen und statt seiner der Neubau eines Fachklassentrakts mit 13 Unterrichts- und Sammlungsräumen entstehen. Dessen Lage auf dem Grundstück – als Weiterführung des östlichen Turnhallenannexes – bewahrt die freie Sicht auf das als Endpunkt einer angrenzenden Grünanlage gedachte Schulgebäude. Zudem schafft seine Position eine Straßenanbindung der zuvor ringsum durch Grün auf Abstand gehaltenen Anlage und lenkt damit die Personenströme Richtung Haupteingang. Wie selbstverständlich fügt sich der als »Malwida-von-Meysenbug-Flügel« bezeichnete Trakt in die Dramaturgie des Tessenow’schen Grundrisses ein. Seine klaren Linien unterstreichen das puristische Erscheinungsbild des Gesamtensembles. Für ganz unterschiedliche Ansichten der Ergänzung sorgt ihre Hanglage: Hofseitig betrachtet duckt sie sich überwiegend eingeschossig nah am Boden, nach Süden zeigt sie ihre drei Etagen in voller Höhe. Bei aller Demut gegenüber dem wenig zugänglichen »Weißen Schloss« gibt sich der Flachbau offen, freundlich, und daher durchaus eigenständig.

Modern(e) fortgeführt

Zur Herstellung einer Verwandtschaft mit modernen Mitteln begegnen die Architekten der denkmalgeschützten Ikone im wahrsten Wortsinn auf Augenhöhe. In Verlängerung der Turnhalle nehmen sie deren Traufhöhe, Breite und Farbigkeit auf. Eine obligatorische Glasfuge trennt den Erweiterungsbau vom Bestand und belichtet das dahinterliegende Treppenhaus. Der zweite Aufgang als Fluchtweg befindet sich am anderen Kopfende, wo der lang gestreckte Riegel dreigeschossig an die Freiherr-vom-Stein-Straße andockt. Ein kleiner in Wandscheiben ausgeführter Balkon lockert die Straßenfassade auf und gibt ihr – zusammen mit den lang gezogenen Fensterbändern – den Anstrich der »Neuen Sachlichkeit«. Die Südansicht hingegen erinnert in ihrer Struktur an die »Zweite Moderne«, an Bauten von Sep Ruf oder Egon Eiermann. Stationäre Sonnensegel gliedern die fast vollständig verglaste Front. Das spannbare und mit Kunststoff überzogene Textilgewebe lässt dabei aufgrund seiner Mikroperforierung natürliches Licht aber keine Wärme ins Innere.

Auf der Hofseite führt ein Laubengang in direkter Verlängerung zum Haupteingang des historischen Hauptgebäudes und verknüpft so bereits im Außenbereich Alt und Neu. Nicht nur bei schlechtem Wetter ist dies ein beliebter Ort von Schülern, Skateboardern und Inlineskatern. Die reduzierte Materialwahl der Ergänzung aus Putz, Glas und Stahl versprüht zeitlose Noblesse. Dank weit außen liegender Pfosten-Riegel-Konstruktion im Wandaufbau kaschieren die Aluminiumfenster mit ihren raumhohen, außenbündig gesetzten Scheiben, bauphysikalisch sinnvoll, die Außenkanten des eingesetzten WDVS'. Um die Langlebigkeit des druckanfälligen Fassadenaufbaus zu gewährleisten, wurde er auf Eingangsebene großflächig mit einer 11,5 cm breiten Vorsatzmauerschale verstärkt. Erst bei genauerem Hinsehen zeichnet sich diese als minimaler Versatz ab.

Behutsam wiederbelebt

Vom Pausenhof aus gelangt man am Haupteingang über eine respekteinflößend breite Treppe ins Foyer des mächtigen Klassenblocks. Während rechter Hand der alte Klassentrakt anschließt, führt der Weg geradeaus in die frisch sanierte Aula. Im UG direkt unterhalb der Vorhalle befindet sich die neue Mensa. Ihre nach Süden vorgelagerte Terrasse öffnet sich zum Park an der Wilhelmshöher Allee, wo einst der unsensible Betonklotz den Blick auf die Südfassade verstellte. Tiefe Fensternischen, die den Schülern als Sitzgelegenheiten dienen, erlauben nun eine freie Aussicht ins Grüne.

Mit Eintritt in die grundlegend sanierte Aula durch die den Originalproportionen nachempfundene Türanlage begibt sich der Besucher auf eine Zeitreise. Bühnengestaltung (nach heutigem Orchesteranspruch etwas vergrößert), Vorhänge, Messinglampen sowie Farbanstriche an Holzverkleidung der Stützen und Decke orientieren sich an Fotobelegen des ursprünglichen Zustands; die wie Marmor wirkende Kalkschlämme an den Wänden leitet sich aus Vor-Ort-Befunden ab. Brandflecken im abgeschliffenen Parkett zeugen von einem Bombentreffer aus dem Zweiten Weltkrieg. Zwei Originalstuhlreihen auf der Empore vermitteln den von Tessenow gewollt spartanischen Eindruck – der heutige Zuhörer hat es dagegen gern etwas bequemer, sodass der Rest des Gestühls rot gepolstert ist. Die in schwarz gehaltene Technik entspricht dem aktuellen Stand und lässt sich je nach Anlass leicht entfernen. Als Glücksfall für die Erneuerung der Fenster in der Aula stellte sich der Abriss des ungelenken Appendix aus den 70ern heraus: ehemals vermauerte Öffnungen im Haupthaus gaben Originalrahmen preis, nach deren Vorbild die aktuellen Profile in schlanker Optik gefertigt werden konnten. So zeichnet der durch großflächige, hohe Fenster zweiseitig belichtete Saal auf wunderbare Weise ein Bild der Stimmung nach, die hier schon früher geherrscht haben mag.

Gezielt betont

Sowohl die reduzierte Formsprache als auch der punktuelle Einsatz von Farbe der sensibel wiederhergestellten Aula setzt sich innerhalb des neuen Fachklassentrakts wohltuend fort, ohne sie jedoch nachzuahmen. So betonen wenige Farbtupfer die Klassenzugänge und Treppen. Der Bodenbelag aus geflammtem Basalt und die schwarzen Türflügel kontrastieren in den weiß gehaltenen Erschließungsbereichen mit den je nach Etage rot bzw. hellblau gestrichenen Türlaibungen. Gleiches gilt für die hellblauen Stahlbleche der Treppenbrüstungen, die den skulpturalen Eindruck der freigestellten Stiege unterstützen. Im Gebäude orientieren sich alle Klassenräume nach Süden in die Grünanlagen; die opulenten Glasscheiben sind zum Arbeiten am PC zusätzlich über Rollos abblendbar. Lediglich die Sammlungsräume im UG liegen in der hangseitig bedingten Dunkelzone. Zur Belichtung des fensterlosen untersten Flurs bedienen sich die Planer eines effektiven Kniffs. Durch eine Reihe von selbsttragenden, stahlbewehrten Elementen aus Glasbausteinen leiten sie das über Lichtkuppeln gewonnene Tageslicht nach unten. Zwar erfüllt der Anbau mit seiner beheizbaren Be- und Entlüftungsanlage die Kriterien eines Passivhauses, um jedoch eine gewisse akustische Wahrnehmung des Parks zu gewährleisten, wurden als Kompromiss Öffnungsflügel in die Fassade integriert, die dazu noch als Zugang zu den Putzbalkonen dienen.

Abgesehen von einigen Spechthöhlen in ihrer Außenhaut weist die Schulerweiterung nach zwei Jahren noch keine Schäden auf. Selbst Graffitis sind nicht zu finden, obgleich sich die weißen Fassaden als Ziel von Attacken dieser Art bestens anböten. Dies lässt sowohl auf eine hohe Nutzerakzeptanz als auch auf die besondere Aufmerksamkeit der Schulleitung schließen. Eine größere Auszeichnung des Kleinods, das bereits u. a. die »Simon-Louis-du-Ry-Plakette« des BDA Hessen erhalten hat, kann es wohl kaum geben.

db, Mo., 2013.07.01



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db 2013|07-08 Dezent

07. November 2011Hartmut Möller
db

Sagengestalt im Passepartout

Der »Herkules«, Wahrzeichen der drittgrößten hessischen Stadt, soll nach deren Wunsch 2013 UNESCO-Weltkulturerbe werden. Im Rahmen der in diesem Zusammenhang geplanten Neuordnung der Museumslandschaft Hessen Kassel entwarf das Berliner Büro – des jüngst mit dem großen BDA-Preis geehrten – Volker Staab ein neues Besucherzentrum. Exemplarisch belegen die Architekten hierbei, dass Fenster nicht nur als schnöde Tageslichtquelle dienen, sondern als Kommunikationsmittel zwischen Innen- und Außenraum funktionieren.

Der »Herkules«, Wahrzeichen der drittgrößten hessischen Stadt, soll nach deren Wunsch 2013 UNESCO-Weltkulturerbe werden. Im Rahmen der in diesem Zusammenhang geplanten Neuordnung der Museumslandschaft Hessen Kassel entwarf das Berliner Büro – des jüngst mit dem großen BDA-Preis geehrten – Volker Staab ein neues Besucherzentrum. Exemplarisch belegen die Architekten hierbei, dass Fenster nicht nur als schnöde Tageslichtquelle dienen, sondern als Kommunikationsmittel zwischen Innen- und Außenraum funktionieren.

Zum Bau des gewaltigen Oktogon-Schlosses mit weitläufiger Grotten- und Kaskadenanlage am Hang des Habichtswalds ließ sich Landgraf Karl im ausgehenden 17. Jahrhundert von den barocken Park- und Gartenanlagen Italiens inspirieren. Ziel seines Baumeisters Giovanni Francesco Guerniero war das Verwischen der Grenze zwischen Kunst und Natur mit einem wie aus dem Fels gewachsenen achteckigen Kastell und dem daraus entspringenden künstlichem Wasserlauf. 1713 fiel die Entscheidung das artifizielle Steinmassiv zusätzlich mit einer aufgesetzten Pyramide und der 8,25 m hohen Herkules-Statue zu krönen. Die ungünstige Kombination aus Eisengerüst mit Kupferblechverkleidung bei der Figur und die Verwendung des besonders anfälligen Tuffsteins machen die Sehenswürdigkeit jedoch zu einem Dauersanierungsfall. Aus heutiger Sicht versprüht der Herkules mit seinen moosbewachsenen Brüstungszinnen etwas vom Kitsch eines Walt-Disney-Vergnügungsparks, obgleich er durch seine schiere Größe durchaus beeindruckt. Beeindruckend sind auch die Renovierungskosten von rund 30 Mio. Euro bzw. das Volumen von 200 Mio. Euro für die Neuordnung der Museumslandschaft Hessen Kassel. Immerhin hat sich diese mit dem Bergpark, seinen Wasserkünsten und dem Herkules 2013 für den Titel des Weltkulturerbes beworben. Geradezu zwergenhaft erscheint dagegen die Bausumme von etwa 3,5 Mio. Euro für den knapp 700 m² großen Neubau, der durch eine winterbedingte Zwangspause mit leichter Verspätung nach zweijähriger Bauzeit im Juni 2011 eröffnet wurde. Staab Architekten waren nach einem vorangegangenen Realisierungswettbewerb und einer Machbarkeitsstudie hinsichtlich des Standorts 2007 mit der Planung beauftragt worden.

Monolithischer Findling

Vom neu angelegten Parkplatz führt der Weg direkt zum Besucherzentrum. Seine geknickte Form und der helle Beton verleihen ihm eine starke Präsenz, obwohl es sich flach an den steigenden Hangverlauf schmiegt und so den Blick auf das dahinter gelegene Wahrzeichen freilässt. Zwei waagerechte, bündig gesetzte Langfenster gestatten nur wenig Einsicht in den Bau. In der reliefartigen Fassade zeichnet sich die Brettchenschalung aus sägerauem Nadelholz in verschiedenen Dicken und Formaten ab – ein Verweis auf das poröse Felsgestein des Monuments. Dehnungsfugen verlaufen im Muster dieser Schalung und gewährleisten so ein homogenes Erscheinungsbild. Das vom Herkules-Denkmal gut einsehbare Dach wurde als fünfte Ansichtsseite bewusst von Aufbauten freigehalten und mit großformatigen, zu den Außenwänden analogen Sichtbetonplatten bedeckt. Die Entwässerung erfolgt über eine umlaufende, versenkt eingebaute Rinne mit innenliegenden Abläufen.

Sei es noch so erforderlich, von oben betrachtet stellen die angrenzenden Kohorten von bunten Pkws und Bussen ein wahres Ärgernis inmitten der Idylle dar. Dennoch wird der Baukörper ganz nach den Wünschen der Planer zum landschaftlichen Element – wie ein bearbeiteter Findling am Übergang zum Grünraum. Der tiefe Einschnitt an der Längsseite dient der darin untergebrachten Bushaltestelle als Unterstand und leitet die Ankömmlinge über seine Trichterform ins Innere.

Gerahmter Held

Dass Wandöffnungen nicht ausschließlich dem Tageslichteinfall dienen, wird unmittelbar beim Betreten des Hauptraums deutlich. Aus dem Halbdunkel heraus orientiert sich das Auge nach Licht, so dass der Blick leicht nach oben gerichtet geradewegs durch ein 3 x 6 m hohes Panoramafenster auf die griechische Sagengestalt fällt. Während linker Hand in das Gebäude Schließfächer und der Zugang zum Personenaufzug ausgezähnt wurden, führt eine axial zum Herkules ausgerichtete Treppe zur oberen Ebene, wobei der Besucher permanent eine gerahmte Ansicht des Helden vor sich hat. Die gekonnte Blickinszenierung lässt keinen Zweifel aufkommen, wer oder was hier im Mittelpunkt steht. Fast scheint es, als würde man sich durch ein überdimensioniertes Fernrohr bewegen. Seitlich des Aufgangs sind über die Raumbreite Sitzstufen angegliedert, von denen aus Filme, Vorträge und Präsentationen verfolgt werden können. Ein weiteres großes Fenster erlaubt im oberen Bereich den Ausblick in das südliche Drusetal. Vor diesem informiert eine kleine Ausstellung über die Historie des Komplexes. Der optisch im Beton eingelassene, aus Holz gefertigte Museumsshop bietet die Tickets und allerlei Souvenirs, wobei die Merchandise-Palette mit Publikationen, Postkarten, Tassen, Schlüsselanhängern sowie Herkulessekt, -wein und -pralinen beinahe an amerikanische Verhältnisse erinnert.

Die spärliche Verwendung von Materialien – polygonale Wände und das gefaltete Dach in glattem Sichtbeton, geschliffener Estrichboden, alle Möbel und Einbauten in dunklem Holz – und das diskret gesetzte Licht über Deckeneinbaustrahlern und Downlights verleihen dem fließenden Raum eine geradezu andächtige Atmosphäre. Umso eindrucksvoller wirken auch die Bezüge durch die gerahmte Außenwelt. Der Ausgang (oder wahlweise zweiter Eingang) neben der Verkaufsfläche führt den Besucher schließlich zum Wahrzeichen.

Kleiner Bau - grosse Architektur

Die Fenster wurden als großflächige Wandöffnungen mit ungeteilter Festverglasung und Profilen in dunkel eloxiertem Aluminium ausgeführt. Der Sonnenschutz erfolgt über Beschichtungen der Glasscheiben, zudem setzt eine Nano-Beschichtung die Oberflächenspannung des Regenwassers herab, so dass dieses durch leichteres Abfließen den Schmutz hinwegschwemmt. Lediglich die Fenster in Büro- und Aufenthaltsraum verfügen als zweiter Fluchtweg über Öffnungsflügel. Ein im UG untergebrachtes raumlufttechnisches Gerät sorgt über Schlitzauslässe für den ständigen Luftaustausch. Die Abluft aus dem Besucherraum wird mittels eines Radialventilators in den Sanitärbereich eingeblasen und von dort über das RLT-Gerät abgeführt. Da vor Ort weder Fernwärme noch Erdgas zur Verfügung standen, entschied man sich für eine naheliegende Lösung: Die Wärmeversorgung erfolgt über eine Fußbodenheizung mittels Wärmepumpe bei Nutzung geothermaler Energie durch ein Erdsondenfeld unter dem Parkplatz.

Der Koloss von Kassel mag gefallen oder nicht, Wohnungssuchende in der Umgebung zahlen jedenfalls trotz kilometerweiter Entfernung für den »Herkulesblick« sehr viel Geld. Insbesondere die zweimal wöchentlich stattfindenden Wasserspiele und der von englischen Landschaftsvorstellungen geprägte Bergpark locken auch verstärkt internationales Publikum an. Das neue Besucherzentrum zeugt in seiner hervorragenden Ausführung in jedem Fall von höchster Handwerkskunst und sorgfältiger Detailplanung. Wie so oft sind es die kleinen Dinge, die große Wirkung haben und große Architektur manifestiert sich eben nicht unbedingt über ihre (Erscheinungs-)Größe. Diese Bereicherung für die Anlage dürfte der UNESCO-Bewerbung definitiv zugutekommen!

db, Mo., 2011.11.07



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20. Juli 2010Hartmut Möller
db

Lernen im Schmuckkästchen

Die lange, knapp sechsjährige Planungszeit hat sich gelohnt. Das aufgrund seiner dekorativen, v. a. nachts funkelnden Fassade »Schmuckkästchen« genannte Gebäude schlägt in Norwegen hohe Wellen. Zunächst bietet es als Ort des fachlichen wie persönlichen Austauschs eine offene, kommunikative Atmosphäre. Die Zusammenarbeit zwischen Architekturbüro, Stadtbauamt, Denkmalschutzbehörde und etlichen Fachfirmen führte zudem – ausgerechnet im Land des Erdöls – zu einer Niedrigenergie-Lösung, die bereits einige nationale Preise erhalten hat und für weitere nominiert ist.

Die lange, knapp sechsjährige Planungszeit hat sich gelohnt. Das aufgrund seiner dekorativen, v. a. nachts funkelnden Fassade »Schmuckkästchen« genannte Gebäude schlägt in Norwegen hohe Wellen. Zunächst bietet es als Ort des fachlichen wie persönlichen Austauschs eine offene, kommunikative Atmosphäre. Die Zusammenarbeit zwischen Architekturbüro, Stadtbauamt, Denkmalschutzbehörde und etlichen Fachfirmen führte zudem – ausgerechnet im Land des Erdöls – zu einer Niedrigenergie-Lösung, die bereits einige nationale Preise erhalten hat und für weitere nominiert ist.

Auch in der norwegischen Hauptstadt wird Bildung vermehrt groß geschrieben. Einen Beitrag dazu soll das Lærernes Hus – also »Haus der Lehrenden« leisten, das sämtlichen Mitstreitern der Lehre vom Erzieher bis zum Hochschuldozenten zu Ausbildungs- und Konferenzzwecken dient. Die Gewerkschaft für Bildung versteht es als physisches Manifest, um den Zusammenhalt seiner 140 000 Mitglieder zu stärken und in Einklang zu bringen. Im Jahr 2003 erwarb sie ein Baulücken-Grundstück, welches rückwärtig an ihren in der Hausmannsgate, einer der Hauptstraßen Oslos, gelegenen Hauptsitz anschließt. Das Areal liegt knappe zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt in einem belebten, zentrumsnahen Wohnviertel mit kleinen Imbissstuben, Bars und Geschäften. 2004 folgte ein geladener Wettbewerb, in dem sich das junge Büro Element Arkitekter gegen zwei etablierte Konkurrenten durchsetzen konnte.

Die alleinige Nutzung als Konferenzzentrum war in der Umsetzung nicht ganz unproblematisch. Um der Stadtflucht junger Familien entgegenzuwirken, strebt das örtliche Bauamt u. a. durch Vergrößerung und Neuschaffung von Wohnraum eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität im Stadtkern an. Laut Bebauungsplan musste die Bebauung an der ruhigeren Osterhausgate deshalb einen Wohnanteil von mindestens 20 % aufweisen. Nach etlichen Diskussionen wurde ein angrenzendes Gebäude in den Planungsprozess integriert. Nun verschneiden sich beide – wenn auch nur minimal. Im denkmalgeschützten Nachbarhaus plant das Architekturbüro zurzeit neue, große Wohnungen, wie die Seniorpartnerin Cathrine Vigander erläutert. Eine verlockende Folgeakquise, doch der Bestand offenbarte auch große Herausforderungen: Zum einen mussten die hölzernen Fundamente beider anliegenden Bauten während der gesamten Bauphase feucht gehalten werden, zum anderen reichen sie über die jeweilige Hauskubatur hinaus – dieser Raum fehlt dem UG des Neubaus; dessen Sohlplatte lastet deshalb auf einer im Erdboden verankerten Pfahlgründung.

Kunst und Fassade

Für die künstlerische Gestaltung der südwestlichen, von Glasschwertern gehaltenen Straßenfassade zeichnet Jorunn Sannes verantwortlich, die schon verschiedene architektonische Projekte (u . a. in Zusammenarbeit mit Snøhetta) realisiert hat. Buchstaben und Symbole unterschiedlicher Schriftgröße und -art, teilweise gespiegelt und gedreht, überziehen 50 % der 200 m² großen Fläche. Als Sinnbild von Wissen deuten sie die Bestimmung des Gebäudes an und schützen es gleichzeitig vor Überhitzung. Im Innern erzeugen die Zeichen wahrhaft anmutige Licht- und Schattenspiele. Fast scheint es, sie würden sich dem Besucher nähern, um in ihn einzudringen.

Das dekorative Muster wurde per Siebdruck auf die zum Innenraum hin eingebauten Verbundglasscheiben der Doppelverglasung gebrannt. In der äußeren Doppelglasscheibe spiegeln sich Himmel und Nachbarschaft ungebrochen, wodurch das Gebäude jegliche Schwere verliert. Insgesamt fügt sich der moderne Bau unter Einhaltung der Straßenflucht, Trauf- und Geschosshöhe erstaunlich gut in seine Nachbarbebauung aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein. Nachts bringen ihn energiesparende, langlebige LEDs beinahe zum Glühen. Dann nimmt er sich nicht mehr vornehm zurück und das Innenleben der »Schmuckschatulle« leuchtet im Viertel als strahlender Kontrast, während die verzerrten Konturen der Lettern jetzt scheinbar nach außen drängen. In naher Zukunft ist der Einsatz von farbig steuerbaren LEDs für bunte Lichtspiele geplant.

Auch die Rückseite des Neubaus ist annähernd vollständig verglast. Lediglich ein über die Stirnseiten von Wänden und Decken gelegtes Kupferband lässt seine Ansicht wie eine Schnittzeichnung aussehen. Die Drehtüren in beiden Fassaden liegen zusammen mit einer neu gepflanzten Baumreihe im Innenhof auf einer Achse zum Hintereingang des Hauptgebäudes. Das Konferenzzentrum funktioniert demnach zwar autark, aber durchaus auch als Portal zum Altbestand.

Vertikale Lobby, kein Treppenwitz

Ungewöhnlich ist die prominente Lage des zweiseitig verglasten Treppenhauses, das sich oberhalb des Entrées über die volle Fassadenbreite erstreckt. Der wuchtige, parallel zur Stirnseite flach ansteigende, zweiläufige Aufgang versteht sich nicht allein als funktionale Erschließung, sondern vielmehr als vertikale Lobby und Kommunikationszone. Auf jedem Podest steht eine Kaffeebar zur freien Nutzung bereit und sorgt für Entschleunigung beim Umrunden des länglichen Treppenauges und des darin eingeschlossenen Fahrstuhlschachts.

Der Empfangssaal im EG füllt – neben der Durchfahrt zum Hof – die gesamte Etage aus und macht einen überdimensionierten Eindruck; vermutlich wird er die meiste Zeit leer stehen. Selbst dem knallroten Textilrelief der Künstlerin May Bente Aronsen gelingt es kaum, sich gegen die Weite des Raums zu behaupten. Als gestreifte Stoffskulptur vor den glatten, harten Betonwandflächen besteht ihre Aufgabe in der Schallabsorption.

Oberhalb der Halle befindet sich der an zwei Seiten großflächig verglaste Vortragsraum mit nahezu 5,50 m lichter Höhe. Auf rund 400 m² können darin über 250 Personen tagen, für kleinere Gruppen lässt er sich durch eine Faltwand aufteilen. Im 2. Stock bietet ein Café mit anliegender Dachterrasse Raum für Entspannung. Rote Sitzlandschaften aus Polyethylen sind als Inselpunkte auf dem holzbeplankten Fußboden verteilt. Nebenräume wie Garderobe, Toiletten und Technikraum sind im Kellergeschoss, Lager, Küche und Fluchttreppenhaus im hinteren Teil des Nachbargebäudes untergebracht. Trotz des hohen Glas- und Sichtbetonanteils im Innern wirkt das »Haus der Lehrenden« keineswegs unterkühlt. Das helle Zementgrau in Kombination mit Holzeinbauten, der akzentuierte Einsatz von Farbtupfern sowie die Licht- und Schattenspiele haben vielmehr eine beruhigende, beinahe meditative Wirkung auf den Gast.

Wärmespeicher aus Lehm und Stein

Von Anfang an war allen am Bau Beteiligten eine umweltverträgliche und energiesparende Lösung wichtig. Gerade weil Norwegen diesbezüglich den europäischen Standards hinterherhinkt, sollte dieses Prestigeprojekt zeigen, dass auch eine innovative Bauweise ohne den hinlänglich bekannten Wärmedämmstoff-Wahnsinn zum gewünschten Ergebnis führt. Um eine möglichst hohe Effizienz zu erzielen, entschied man sich für ein Heizungs- und Kühlungskonzept, das Geothermie und thermische Bauteilaktivierung miteinander kombiniert. Der hohe Anteil an Glasflächen erlaubt im Sommer eine beträchtliche solare »Ausbeute«. In einem Netz aus Kunststoffrohren, die im Beton der Geschossdecken und der Haupttreppe (daher ihre Positionierung an der Fassade) eingelassen sind, zirkuliert ein Wasser-Glykol-Gemisch. Dieses Trägermedium transportiert die gewonnene Wärme zu zehn im Hinterhof befindlichen 150 bis 200 m tiefen Bohrlöchern und speichert sie über Erdwärmesonden im Boden. Im Winter wird die im Erdreich konzentrierte Energie dann zur Beheizung des Bauwerks herangezogen, die Kunststoffrohre wirken dabei wie eine Fußbodenheizung. Der große Vorteil der Betonkernaktivierung gegenüber konventionellen Heizsystemen besteht in der Speicherfähigkeit der massiven Bauteile, die eine gleichmäßige Wärmeabgabe über große Oberflächen ermöglichen. Dank des stetigen Energieaustauschs zwischen Speichermasse und Raumluft kommt es lediglich zu minimalen Schwankungen; Behaglichkeit ist gewährleistet.

Natürlich ist das vorliegende System zunächst eine kostspielige Investition, die sich laut Planern allerdings bereits nach drei bis fünf Jahren amortisiert haben soll. Ihren Angaben zufolge liegt der Energiebedarf des Bauwerks bei 80 KWh/m² im Jahr. Durch den Einsatz des noch leistungsfähigeren Naturkältemittels CO2 als Fluid für die Wärmepumpe ließe sich der Bedarf sogar auf bis zu 50 KWh/m²a drosseln.

Für deutsche Verhältnisse mögen diese Werte nicht unbedingt verblüffen, nach den norwegischen Regularien zählt der Bau aber als Niedrigenergiehaus der Klasse A – die Jahresdurchschnittstemperatur liegt in Oslo gut 4 °C tiefer als beispielsweise in Berlin. Tatsächlich soll sogar überschüssige Wärme in die Heizungsanlage des Haupthauses gespeist werden. Bei soviel positiver Energie sollte den Lehrenden das Lernen doch umso leichter fallen.

db, Di., 2010.07.20



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db 2010|07 Norwegen

Presseschau 12

30. Mai 2025Hartmut Möller
db

Universitätsklinikum Münster

Sanierungen von Großkomplexen aus den 1970er und 1980er Jahren sind nicht unproblematisch. Insbesondere Krankenhausbauten stellen alle Beteiligten vor erhebliche Herausforderungen. Dem Team von wörner traxler richter gelingt beim UKM die Kür mit Bravour – und das im laufenden Betrieb.

Sanierungen von Großkomplexen aus den 1970er und 1980er Jahren sind nicht unproblematisch. Insbesondere Krankenhausbauten stellen alle Beteiligten vor erhebliche Herausforderungen. Dem Team von wörner traxler richter gelingt beim UKM die Kür mit Bravour – und das im laufenden Betrieb.

Das Universitätsklinikum Münster (UKM) zählt mit rund 12 000 Beschäftigten und über 1 500 Betten zu einem der am stärksten frequentierten Gesundheitszentren Deutschlands. Es blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück, die gut 250 Jahre lang eng mit der Medizinischen Fakultät verbunden ist. 1925 als Parkklinik in der westlichen Vorstadt errichtet, folgten nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Neubauten. Das gewaltige Zentralklinikum entstand 1972-83 nach den Plänen von Weber Brand & Partner, die zur selben Zeit auch mit der ungleich bekannteren Aachener Uniklinik beschäftigt waren.

Auf einem etwa 400 x 60 x 20 m messenden Quader thronen zwei über 60 m hohe Doppeltürme, die jeweils aus zwei Zylindern und einem diese übereck verbindenden Erschließungskern bestehen. Ihre ikonographische Erscheinung macht sie zum Symbol der Anlage und festem Bestandteil der münsterschen Stadtsilhouette. Die Kosten des geradezu gigantischen Bauwerks beliefen sich damals auf über 1 Milliarde D-Mark, doch keine 25 Jahre nach Fertigstellung stellte sich aufgrund ausufernder Sanierungs- und Energiekosten schon seine Existenzfrage. Überlegungen zu einem Neubau auf der grünen Wiese wurden jedoch nur halbherzig verfolgt, denn vermutlich hätte man den Münsteranern einen Abriss dieses Wahrzeichens nicht nahebringen können. So beschloss der Aufsichtsrat des UKM 2007 eine grundlegende Modernisierung und ließ einen städtebaulichen Masterplan entwickeln. Seit 2018 erstrahlen die vier Bettentürme in neuem Glanz. Kleihues+Kleihues schlugen den Zimmern die ehemals umlaufenden Fluchtbalkone zu, indem sie vor die vorhandenen Betonbrüstungselemente eine gebänderte Fassade hängten. Heute setzt sich der Wechsel von weiß beschichteten Aluminiumblechen und bündigen Glasflächen über die vormals vertikal strukturierten Ecktürme fort und stärkt somit deren Ensemblewirkung.

Münsters Vierzylinder

Das von DS-Plan (eine Ausgründung des Beratungsunternehmens Drees & Sommer) vorgeschlagene zweistufig getrennte Vorgehen ermöglicht für den Anschluss an die Fassadensanierung eine innere Entkernung der Bettentürme. Die an ihre Kapazitätsgrenze stoßenden Aufzüge sind bereits erneuert, doch gut Ding will Weile haben. Allein die Befreiung vom Asbest nahm über ein halbes Jahr Zeit in Anspruch. Demnächst steht die Freiziehung des östlichen Bettenturms an, 2027-29 soll es dann mit dem Ausbau losgehen. Den internen Wettbewerb hierzu konnte das für Krankenhausbauten renommierte Architekturbüro wörner traxler richter für sich entscheiden. Noch heute mutet die Ausstattung der identitätsstiftenden Form mit ihren runden Stationsgrundrissen futuristisch an. Während aber aktuell zwei völlig autarke Pflegestationen auf einer Ebene liegen, sollen die beiden Teller der Türme später zu einer Einheit zusammengeschaltet werden. Übrig bleibt ein eingerückter, zentraler Stützpunkt; dort, wo sich zuvor der zweite befand, entsteht eine Aufenthaltsfläche. Statt bisher 56 wird es lediglich 40 Patient:innen pro Ebene geben. Deren Zimmer mäandern dann als durchgehende Schlange an der Fassade entlang. Dank ihres tortenstückartigen Zuschnitts verfügt jedes über eine 5 m breite Glasfassade mit wintergartenähnlichem Bereich. Jede zweite Zimmertrennwand nimmt zwei Nasszellen auf, sodass jedes Zimmer über eine eigene Badeinheit verfügt. Vor dem Fenster und in der Nische zwischen den Nasszellen sind die Betten gegenüberliegend angeordnet. Schmunzelnd fühlt man sich an die Bettenkonstellation der Eheleute Schminke in Hans Scharouns berühmter Villa in Löbau erinnert. Hierdurch soll ein bevorteilter Platz vermieden, hingegen mehr Raum für Pflege und Besucher:innen geschaffen werden.

In Zusammenarbeit mit Haverkamp Interior Design entstand 2021 auf dem Ostturm als Ebene 21 ein vollverglastes Bistro. Aus dem Fahrstuhl kommend führt der Weg über ein kleines Foyer auf dem einen Zylinder zu einer Lounge mit angrenzendem üppigem Terrassenbereich. Sechs Kiefern neigen sich in ihren mit Bänken gefassten Kübeln, als hätte sie der Wind hier oben in unterschiedliche Richtungen gedrückt. Auf dem anderen Zylinder breitet sich kreisförmig das Café aus. Die jeweiligen lastabtragenden, monumentalen Säulen sind als Sitzlandschaften arrangiert; dank leichter Erhöhung bietet selbst der innere Bereich spektakuläre Aussichten über den Campus und die Weite des Münsterlandes. Ein besonderer Clou: Die Gastronomie ist auch für externe Personen geöffnet.

Luftige Fortschreibung

Der ebenfalls von wörner traxler richter entworfene »Interdisziplinäre Erweiterungsbau am Zentralklinikum« (IEZ) dockt im Westen an den kolossalen Bestand an und erweitert ihn in dessen Längsrichtung um 40 m. Gestalterisches Ziel war eine äußerlich wahrnehmbare formale Einheit von Türmen und Sockelbau, deshalb orientieren sich seine Fassaden in ihrer Lineatur und der Materialwahl – Glas und poliertes Aluminium – in Hochweiß und Braunschwarz an der neuen Optik der Doppelzylinder. Die dunkle Variante ist eine Reminiszenz an die entsprechende Fensterrahmung des in Sichtbeton ausgeführten Vorgängerbaus. Das elegant wirkende Aussehen soll dabei medizinische Präzision ausstrahlen. Hinter den geschlossenen Streifen, die zwar wie Brüstungen anmuten, befinden sich tatsächlich die zwischen den drei Nutzgeschossen eingeschobenen Technikgeschosse gleicher Anzahl. Nicht grundlos verweisen die Architekten auf die weitsichtige Planung ihrer Vorgänger, denn diese Schichtung erst ermöglichte eine Sanierung im laufenden Betrieb. Damit dies auch in Zukunft funktioniert, setzt sich jenes Gefüge im Inneren der Erweiterung fort, ebenso die Säulenstruktur mit Auflagern und die das Rückgrat bildende Magistrale. Deren eingeschnittene, geschossübergreifende Lichtschächte, mächtige Glasflächen, weiße Wände und Böden in Kombination mit Holz lassen den Raum hell, offen, großzügig und freundlich wirken. An der inneren Hauptverkehrsstraße liegen mit Kreißsaal, Wöchnerinnenstation und Neonatologie Wohl und Wehe direkt beieinander.

Auf den sechsgeschossigen Breitfuß setzten die Planenden zudem eine siebte Etage und vergrößern somit die Fläche der Behandlungsbereiche um satte 25 %. In der gemeinsam mit Haverkamp Interior Design gestalteten Privatstation verfügen die Zimmer über eigene, angrenzende Terrassen. Patienten:innen von heute sind »als Kunde eben auch König«. Aufenthalts-, Pflege- und Versorgungsräume greifen fließend ineinander, bepflanzte Lichthöfe, eine weitläufige Führung um die als Sitzbank und mit Lichtbändern inszenierten Pilzstützen erzeugen eine hotelähnliche Atmosphäre; Blickbeziehungen nach außen erleichtern die Orientierung. Im Zentrum der Etage ist ein großer Dachgarten, eine kleine Oase inmitten des Klinikbetriebs, als luftige Erholungsfläche und »gebaute Wertschätzung« für das Personal in Planung. Immerhin ist das UKM der größte Arbeitgeber der Stadt. Zudem verbringen die dort arbeitenden Menschen – im Gegensatz zu den Patientinnen und Patienten, die das Gebäude in der Regel nach ein paar Tagen wieder verlassen – über Jahre hinweg sehr viel Zeit vor Ort.

Zusammen mit dem Planungsteam des UKM wird im laufenden Betrieb der logistische Aufwand gemeistert, einzelne Stationen umzugruppieren und temporär teilweise mehrfach zu verlegen. In der inzwischen wieder über den gekürzten Verbindungsgang angeschlossenen Cafeteria (die wtr bereits 2007 realisiert haben) zeigt sich obendrein, dass die gewählte Architektur wunderbar zeitlos daherkommt: Beide Bauten wirken wie aus einem Guss.

db, Fr., 2025.05.30



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db 2025|06 Gesundheitsbauten

22. März 2023Hartmut Möller
db

Wohnungsbau mit Mehrwert

Leihautos, Cluster-Wohnungen, soziale Angebote, Nachbarschaftshilfe, Gemeinschaftsbereiche und ein Gästeapartment: In Wolfsburg zeigen BAYER & STROBEL ARCHITEKTEN beispielhaft, wie modernes, städtisches Wohnen in Großform funktionieren kann.

Leihautos, Cluster-Wohnungen, soziale Angebote, Nachbarschaftshilfe, Gemeinschaftsbereiche und ein Gästeapartment: In Wolfsburg zeigen BAYER & STROBEL ARCHITEKTEN beispielhaft, wie modernes, städtisches Wohnen in Großform funktionieren kann.

Wolfsburgs südwestlich gelegener Stadtteil Detmerode entstand in den frühen 60er Jahren am Reißbrett. Das rasante wirtschaftliche Wachstum des nahe gelegenen Volkswagenwerks verlangte, der sich daraus ergebenden sprunghaften Bevölkerungszunahme gerecht zu werden. Gut 15 000 Menschen lebten hier zu Hochzeiten v. a. in Hochhaussiedlungen, aber auch in Zeilenbauten, Reihenhäusern und Bungalows. Architektonische Highlights sind Alvar Aaltos Stephanuskirche sowie Hans Scharouns Kindergarten Stephanus I. Obendrein bietet der Ort dank angrenzender großer Waldgebiete, Trimm-dich-Pfaden und Teich die perfekte Naherholung.

Noch bis vor Kurzem fiel der Blick von der Autobahn kommend hinter einer Kleeblattkreuzung unweigerlich auf Paul Baumgartens kolossales Stufenhochhaus (1965-67). Ausgeführt in Thermocrete-Beton (unbewehrter Leichtbeton), musste das ikonische Bauwerk jedoch wegen nicht behebbarer Baumängel 2018 abgerissen werden.

Für die Eigentümerin, die NEULAND Wohnungsgesellschaft mbH, bedeutete dies eine enorme Herausforderung, da das beliebte Wohngebäude mit 172 Wohneinheiten voll vermietet war. Mit rund 12 000 Mietwohnungen hält das städtische Unternehmen für sogenannte Umsetzer praktischerweise jedoch stets einen strategischen Leerstand bereit. Ein eigens vor Ort eingerichtetes Büro bot den Mietern einen Rundumservice, sodass sie in einem über zwei Jahre währenden Prozess im Bestand des Unternehmens untergebracht werden konnten. Den zweistufigen Wettbewerb für die Neubebauung entschieden BAYER & STROBEL ARCHITEKTEN aus Kaiserslautern nach einer Überarbeitungsphase für sich.

Prägnante Fernwirkung

Die für Detmerode typischen Zeilenbauten bilden die Grundlage der neuen Struktur aus drei winkelförmigen Baukörpern, deren Außenecken von Hochpunkten betont werden. Durch deren Anordnung ergeben sich drei Wohnhöfe, ausgestattet mit abwechslungsreichen Spielplätzen, die von überall gut einsehbar sind und soziale Kontrolle ermöglichen. Durch großzügige, zwei Etagen hohe Hausdurchgänge hindurch, jeweils im Winkel zwischen viergeschossigem Riegel und Hochpunkt gelegen, schlängelt sich ein als »Loop« bezeichneter Fußweg und dient dem Wohnbauensemble als Klammer.

Das Wohnangebot von Ein- bis Fünfzimmerwohnungen, passt wunderbar zur heterogenen Umgebung. Es reicht vom »Durchwohnen« in den Kopfbauten über nach Süden orientierte Wohnungen in den Riegeln – deren kleinere Wohneinheiten bzw. Maisonetten mit Garten im EG werden über zu den Wohnhöfen hin orientierten Laubengänge erschlossen – bis hin zu übereckbelichteten Wohnungen in den Hochhäusern.

Die drei Punkthochhäuser mit 14, 11 und 7 Geschossen liegen in der Flucht des ehemaligen Stufenhochhauses und zeichnen durch die abnehmende Gebäudehöhe ihrer Kubatur dessen Silhouette nach. Wobei genau genommen das kleinste von ihnen kein Hochhaus ist – es kann von außen angeleitert werden und hat einen vorgesetzten Fluchtweg. Ein achtes Geschoss hätte zwar der akkuraten Nachzeichnung der vormaligen Profillinie Rechnung getragen, wurde jedoch aus wirtschaftlichen Gründen nicht realisiert. Zufahrten an den jeweiligen nördlichen Kopfseiten der Häuser führen über eine flachstufige Treppe nebst Schieberampe in den Fahrradkeller. Die Gestaltung der über zwei Stockwerke reichenden Entrees jeweils vis-à-vis des Riegeldurchbruchs fällt schon von Weitem ins Auge und lässt sich getrost als nobel bezeichnen. Eltern mit Nachwuchs wissen zudem sicher den Abstellraum für Kinderwagen im opulenten Eingangsbereich zu schätzen.

Um jeweils einen Erschließungskern gruppieren sich die Wohnungen. Neben Treppe und Fahrstuhl befindet sich auch das in F90 ausgeführte Nottreppenhaus im Erschließungskern. Dessen Entrauchung erfolgt über einen auf jeder Etage eingerückten Balkon. Nach Ausschalung der Decken und Treppen zeigte sich eine hohe Qualität im Sichtbeton, sodass man sich in den öffentlichen Bereichen dafür entschied, diese Flächen unverspachtelt und offen sichtbar zu belassen. Die Architekten schwärmen in diesem Zusammenhang vollkommen zu Recht von einem »veredelten Rohbau«.

Zeitgemäße Wohnformen

Alle 218 Einheiten sind in ihrer Ausstattung gleich beschaffen. So ließen sich die 66 öffentlich geförderten Wohnungen frei auf das Objekt verteilen. In den Wohnungen sorgt eine Fußbodenheizung unter einem Vinylbelag für ein angenehmes Raumklima, Lüftungsöffnungen in Fensterrahmen und Laibungen garantieren einen kontinuierlichen Luftaustausch. Die luxuriös anmutenden En-Suite-Bäder in den größeren Wohnungen sind äußerst beliebt.

Als größte Wohnungsanbieterin Wolfsburgs nimmt die NEULAND Wohnungsgesellschaft auch eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung wahr, sodass sie das Thema »Wohnformen« fortwährend auszuloten und zu optimieren versucht: Beim Projekt in Detmerode z. B. waren Wunschwohnungen mittels interaktiver 3D-Modelle vorab virtuell begehbar, Filter zur Größe oder Zimmeranzahl halfen bei der Auswahl, Mustermöblierungen erleichterten die Vorstellungskraft von Raumwirkung und die Kontaktaufnahme zur persönlichen Besichtigung oder Bewerbung konnte online erfolgen.

Die voll möblierte Dreizimmer-Gästewohnung in der Anlage bietet bis zu vier Personen Platz, z. B. um Besuch unterzubringen, und ist auch von externen Gästen reservierbar. Zudem lässt sich ein Multifunktionsraum samt Küche, WC und Seminarequipment für Feiern, Meetings oder sonstige Veranstaltungen buchen. Die ansässige Beratungsstelle des WIN e. V. fördert das nachbarschaftliche Miteinander durch Vermittlung von Haushaltshilfen, Terminbegleitung, Transporten zu umliegenden Nachbarschaftstreffs und leistet dadurch Unterstützung für ein im Alter selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden. Eine weitere Besonderheit sind die beiden Clusterwohnungen, die für moderne WGs über zwei Etagen einen großzügigen, möblierten Gemeinschaftsbereich mit voll ausgestatteter Einbauküche und Gäste-WC aufweisen. Für die Privatsphäre dienen je Wohngruppe fünf autarke Apartments mit Pantry-Küche und eigenem Bad.

In Sachen Mobilität und Energie stehen ebenfalls neue Konzepte zur Probe. Passend zur VW-Stadt haben die Anlieger Zugriff auf drei anmietbare Elektroautos und vier E-Lastenfahrräder. Zur Ausweisung von Stellplätzen (bei einem Schlüssel von 1,0) entschied man sich bewusst gegen eine Tiefgarage. Stattdessen wurde östlich der Bebauung eine zweistöckige Parkpalette (auf Wunsch inklusive Wallbox als privater Lademöglichkeit) errichtet, die sich in Zukunft einfach zurückbauen und als Grünfläche umgestalten ließe. Auf der Dachfläche des Parkdecks erzeugt eine Solaranlage eines externen Anbieters Ökostrom, der den Mietern vertraglich geregelt als umweltfreundlich und obendrein günstig angeboten wird.

Würdiger Nachfolger

Um Streit während der Bauzeit vorzubeugen, schwört die Bauherrschaft übrigens auf das Bauteamverfahren, bei dem der Generalunternehmer als Ausführender bereits während der Planungsphase involviert ist. Mit dem Arbeiten in Partnerschaft wurden bislang durchgängig gute Erfahrungen gemacht, die sich oft durch eine preisgünstige Entwicklung qualitätserhöhend auf das Ergebnis auswirkten. Lediglich zwei Jahre Bauzeit sprechen auch bei diesem Projekt für sich.

Zur Nachhaltigkeit und Integration in den »weißen Stadtteil« Detmerode setzt der Entwurf auf eine Konstruktion aus Stahlbeton mit hellem, vorgemauertem Vollklinker. Leicht zurückversetzte, kontrastierende Grauflächen erinnern an die Brüstungsbänder des Vorgängerbaus. Die Loggien fügen sich dabei zurückhaltend in die Fassade ein. Zudem lassen sich in diesen Feldern dank der eingesetzten dunklen Fensterrahmen die unterschiedlichen Öffnungsformate optimal kaschieren. An manchen Fassadenflächen setzt ein verputztes, weiß gestrichenes WDVS Akzente. Insgesamt erzielen die Bauten den KfW-Standard 55.

Bei Investitionskosten von über 50 Mio. Euro für knapp 15 000 m² Wohnfläche erweist sich der in Anlehnung an seinen Standort am Kurt-Schumacher-Ring betitelte Komplex »Kurt 2.0« als würdiger Nachfolger, der sich souverän ins Nachbarschaftsgefüge eingliedert.

db, Mi., 2023.03.22



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db 2023|03 Generationenwohen

03. April 2014Hartmut Möller
db

Spielen statt parken

Der neue Treffpunkt einer Wohnsiedlung der 70er Jahre schafft auf dem vormaligen Parkdeck einer Siedlungsgarage einen wohltuenden und identitätsstiftenden Stadtraum, der seinen Nutzern mit seiner eigenständigen Gestaltung vielfältige Angebote macht.

Der neue Treffpunkt einer Wohnsiedlung der 70er Jahre schafft auf dem vormaligen Parkdeck einer Siedlungsgarage einen wohltuenden und identitätsstiftenden Stadtraum, der seinen Nutzern mit seiner eigenständigen Gestaltung vielfältige Angebote macht.

Der im Westen Göttingens gelegene Stadtteil Grone besteht zum einen aus der kleinteiligen Struktur des vormaligen Dorfkerns im Norden und zum anderen aus großmaßstäblichen Wohnsiedlungen, die seit den 70er Jahren südlich davon entstanden. Diese Bereiche Grones werden neben ihrem großen Wohnanteil v. a. durch die hohe Konzentration ihrer größtenteils einkommensschwachen Bewohnerschaft geprägt. Den daraus resultierenden gesellschaftlichen Problemen versucht die Stadt mit öffentlichen Fördermitteln auch seitens der EU, des Bundes und des Landes Niedersachsen entgegenzuwirken. So wurde bereits 2007 im Rahmen des »Soziale Stadt«-Konzepts in Grone-Süd ein Nachbarschaftszentrum errichtet.

In Grone-Nord zeichnete sich schon seit längerer Zeit ein Sanierungsstau ab und dies besonders deutlich in einem Quartier des ehemaligen Gewerkschaftskonzerns »Neue Heimat« aus den 70er Jahren, das aus heutiger Sicht deutliche stadtplanerische Mängel aufweist. Dem seinerzeit vorherrschenden Ideal einer modernen Stadt folgt die räumliche Trennung von Wohnen und öffentlichen Einrichtungen entlang der St.-Heinrich-Straße: Während sich im Westen Kindertagesstätte, Schule, Sporthallen, Kirche und Supermarkt aufreihen, stehen im Osten entlang der Quartiersachse ausschließlich Wohnungsbauten. Immerhin zeigen sich mittlerweile die Fassaden der üppig durchgrünten Wohnblöcke saniert, und ein kleiner bestehender Teich wurde jüngst ebenfalls wieder hergerichtet. Außer wenigen Spielplätzen für Kleinkinder beschränkte sich der öffentliche Raum jedoch bislang im Wesentlichen auf breite Stichstraßen mit einem Übermaß an Parkplätzen – es mangelte an Begegnungsflächen mit Aufenthaltsqualität.

An zentraler Stelle des Areals befand sich eine baufällige Quartiersgarage, deren Oberdeck schon seit etlichen Jahren gesperrt war. Die Renovierung des Bestands oder der Neubau eines neuen, höheren Garagenhofs mit zusätzlichen überdachten Stellplätzen standen für die Verwaltungsgesellschaft des Wohnkomplexes zur Disposition. Für deren Projektpartner war Fabian Lippert von LKA Lippert Kavelly Architekten aus Berlin schon öfter tätig und bekam so die Gelegenheit, einen Quartierplatz auf dem Parkdeck umzusetzen. Lediglich 40 Stellplätze des unteren Niveaus der Bestandsgarage mussten, behördlich vorgeschrieben, bestehen bleiben. Nach einer Vorstudie erhielt er den Direktauftrag, 1,70 m über Straßenniveau einen Ort der Begegnung mit Spielmöglichkeiten und Sitzgelegenheiten zu planen.

Neue Mitte

Der 2013 eingeweihte Quartiersplatz schafft eine Mitte für die Nachbarschaft und vermittelt zudem stadträumlich zwischen den Geschosswohnungsbauten und den westlich liegenden Einfamilienhäusern. Der Straßenecke im Nordwesten folgend wird er an zwei Seiten über eine umlaufende Treppe aus Betonfertigteilen erschlossen. Um jedoch die Grundstücksgrenze nicht zu überschreiten, fällt diese im Steigungsverhältnis 19/26 cm recht steil aus. Trotz der baugenehmigungsrelevanten Geländer an ihren Stirnseiten, bzw. über der Garageneinfahrt, mutet das Podest wie ein Miniatur-Tempel der Maya an und lässt sich dadurch kaum übersehen. An den beiden Seiten zum Blockinnern vermitteln begrünte Böschungen, die im Winter offensichtlich bereits als Rodelhügel genutzt wurden, zur anschließenden Vegetation. Eine Zick-Zack-Rampe gewährt hier auch barrierefreien Zugang zur Platzebene, auf der zwei schlank detaillierte und räumlich wirkungsvoll versetzt angeordnete Pergolen wunderbar in ihrer Maßstäblichkeit mit den benachbarten fensterlosen Gebäudestirnseiten korrespondieren.

Die beiden Stahlkonstruktionen sollen die Bewohner durch ihre Tiefenstaffelung auf das Plateau locken und dienen außerdem einer Tischtennisplatte sowie einer u-förmigen Sitzbank als Witterungsschutz. Ihre abgehängten Leuchtkästen spenden abends einerseits direktes Licht, tauchen den Platz andererseits in ein von den mit Edelstahlblech bekleideten Dachuntersichten reflektiertes, indirektes Licht. Während zwei Sitzgruppen mit Brettspieltischen sich älterem Publikum anbieten, können kleinere Kinder eine Tafelfläche mit Kreidezeichnungen bemalen oder die beiden dauerhaften Bodenzeichnungen für Himmel und Hölle auf dem federnden Untergrund des hellen Gummibelags in Beschlag nehmen. Hell zeigen sich auch die nach Eigenentwürfen mit Weißzement betonierten, minimalistischen Möbel und die Treppenstufen. Sämtliche dunkel beschichteten Stahlelemente sowie der asphaltgraue Plattenbelag des kleinen Vorplatzes mit seinen in Anthrazit durchgefärbten Betonbänken stehen dazu effektvoll im Kontrast.

Diese »Unfarbigkeit« der Anlage wird jedoch durch ein farbiges Bodenbild gebrochen, das sich beinahe über die ganzen gut 1 000 m² der oberen Ebene erstreckt: Gerade und geschwungene Linien bilden als ineinander verschränkte Buchstaben das Wort »GRONE«. Das »E« definiert dabei ein Federballfeld. Erdacht hat dieses heitere und identitätsstiftende Schriftlogo Ina Geißler, die auch an der Müllbox und den Außenpfeilern der Tiefgarage neonrot-leuchtende Farbakzente gesetzt hat. Die Künstlerin und ihr Mann, Architekt Fabian Lippert, haben bereits einige Projekte gemeinsam verwirklicht.

Dünne Decken

Ohne Bestandsunterlagen gestaltete sich der Umbau als konstruktive Herausforderung. Die massiven Brüstungen des Parkdecks wurden abgebrochen; dank des Kunstgriffs der breiten Treppe und der Anböschung konnte auf eine weitläufige Absturzsicherung verzichtet werden. Lediglich zu den umliegenden Hauszeilen übernehmen Ortbetonwände diese Funktion. Das ehemals weitgehend offene untere Parkgeschoss wurde, abgesehen von vier Lüftungsgittern zur Entrauchung im Brandfall, beinahe vollständig mit Betonfertigteilen geschlossen.

Die Änderung der Verkehrslast von 3,5 KN/m² (Parkplatzfläche) auf 5 KN/m² (Versammlungsstätte) bedingte – angesichts der bestehenden schwach bewehrten, 10 cm dicken Betondecke aus Pi-Platten – sowohl die Lage der Pergolen auf das Stützraster der Garage abzustimmen als auch einen möglichst leichten Bodenaufbau zu verwenden. Zur Verringerung der Eigenlast wurde zudem die marode Asphalt-Abdichtung abgeschliffen. Unterhalb des wasserdurchlässigen Gummi-Oberbelags überbrückt nun ein druckfester, kunststoffgebundener Glasschaum (ebenfalls wasserdurchlässig) den bis zu 30 cm großen Abstand zur Betonkonstruktion darunter. Da die meisten der bestehenden Felder der Betondecke bereits für eine Entwässerung geeignete Neigungen aufwiesen, wurde lediglich bei den wenigen waagerechten Elementen ein »Rücken« aufgespachtelt und anschließend eine durchgehende Dichtungsebene aufgebracht. Aus dieser Ebene schließlich wird das anfallende Oberflächenwasser dem naheliegenden Teich zugeleitet.

Ausnahmeerscheinung

Selten genug hat ein Architekt eine solch umfassende Gestaltungsfreiheit wie Fabian Lippert bei der Umnutzung des Parkdecks. Dass er seine Chance nutzte, zeigt sich u. a. am variantenreichen, sorgfältig geplanten und spielerisch anmutenden Umgang mit dem Werkstoff Beton – egal ob schalungsglatt, sandgestrahlt, gesäuert oder geschliffen – für die möglichst robuste Außenmöblierung. Die Motive von Pyramidenstumpf und Raute kehren bei näherer Betrachtung in etlichen Details (Sitzbänke, Lampenabhängung, Rolltor, Geländermaschen) wieder.

Den Anwohnern, die sich den Platz bereits zu eigen gemacht haben, kann man zum Quartierstreffpunkt nur gratulieren. Großes Lob gebührt auch der Wohnungsgesellschaft, die als Bauherr beim Quartiersplatz Grone neben wirtschaftlichen offensichtlich auch gestalterische Ansprüche ernsthaft verfolgte.

db, Do., 2014.04.03



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db 2014|04 Aussenraum

03. März 2014Hartmut Möller
db

Postmoderne Brotzeit

Wie lässt sich kulinarische Qualität durch gebaute Form vermitteln? Man nehme hochwertige Materialien, verarbeitet durch exklusive Fachfirmen, und füge diese auf 170 m² zu einem transparenten Ganzen zusammen. Als Bäckerei der besonderen Art gelingt mit »Das Brot« ein Bogenschlag zwischen ehrlichem Back- und ebensolchem Handwerk.

Wie lässt sich kulinarische Qualität durch gebaute Form vermitteln? Man nehme hochwertige Materialien, verarbeitet durch exklusive Fachfirmen, und füge diese auf 170 m² zu einem transparenten Ganzen zusammen. Als Bäckerei der besonderen Art gelingt mit »Das Brot« ein Bogenschlag zwischen ehrlichem Back- und ebensolchem Handwerk.

Aufgrund ihrer Historie als »Stadt des KdF-Wagens« genießt Wolfsburg nicht unbedingt den allerbesten Ruf. Dabei hat die auf dem Reißbrett geplante Stadt kulturell und baugeschichtlich durchaus einiges zu bieten: Neben etlichen Bauten von Alvar Aalto und Hans Scharoun sowie einem hervorragenden Kunstmuseum sorgt der ansässige Volkswagen-Konzern als potenter Sponsor regelmäßig für Konzerte und Veranstaltungen von internationalem Rang. Zudem lockt die im Jahr 2000 eröffnete Autostadt jährlich gut 2 Mio. Besucher an. Der von HENN Architekten Ingenieure konzipierte, 28 ha große, Themenpark dient dem Autokonzern als Kommunikationsplattform für seine diversen Marken. Herzstück der Anlage ist das Kunden-Center mit seinen zwei 48 m hohen, gläsernen Autotürmen, in denen über 800 Neuwagen zur Auslieferung bereitstehen. Für dessen Ausfahrt hat man sich jüngst eine opulente Überdachung in Form eines »Kartoffelchips« von Graft Architekten gegönnt. Zur Erbauung zukünftiger Kunden sorgt neuerdings zudem ein kinderfreundlicher Kletter- und Erlebnisparcours von J. Mayer H. Architekten. Hauseigene Restaurants sorgen auch außerhalb der Öffnungszeiten der Autostadt für die kulinarische Versorgung. In dem Zusammenhang wurde im Dezember 2012 die Bäckerei »Das Brot« eröffnet. Sie führt den Manufakturgedanken bei den Gastronomie-Konzepten konsequent weiter. Wie bereits die Eismanufaktur »Cool and Creamy« und die Pastamanufaktur »La Coccinella« beliefert nun die Brotmanufaktur sämtliche anliegenden Gaststätten.

Draussen Autos, drinnen (Bio-)Geschmack

Vom Bahnhof her kommend führt der Weg durch eine hügelige Betonlandschaft unterhalb Zaha Hadids »phaeno« zur Autostadtbrücke und über den Mittellandkanal. Vorbei an der riesigen, gläsernen Entreehalle befindet sich »Das Brot« im EG des Service-Hauses auf der Grenze zwischen Kanal und artifizieller VW-Welt und ist somit jederzeit auch für externe Kunden zu erreichen. Eine durchgängige, raumhohe Glasfassade, die nur durch Wandscheiben im Raster des Gebäudes unterbrochen wird, erlaubt die totale Einsicht in den Bistrobereich. Auf der linken Seite kann man den in drei Schichten arbeitenden Bäckern von draußen bei der Arbeit zusehen, rechts daneben liegt der Eingang. Die unbedingt gewünschte Transparenz setzt sich im Innern fort. Der offene Raum ist lediglich optisch durch seine Einbauten zoniert. Im über Eck gelegenen Verkaufsbereich werden verschiedene Brot- und Backwaren sowie Aufstriche aus der Region feilgeboten. Besonderer Wert wird auf die 100 %-ige Bio-Qualität gelegt. Dabei ist die Volldeklaration fester Bestandteil des Services: Auf dem Kassenzettel ist im Einzelnen aufgeführt, welche Rohstoffe in welchen Produkten verarbeitet wurden. Im Backraum erreicht der mit hellem Tuff bekleidete Ofen schnell hohe Temperaturen, verfügt aber über gute Dämmeigenschaften. Platten, ebenfalls aus vulkanischer Erde der Eifel, erlauben seine Unterteilung und ermöglichen es auch kleinere Stückzahlen ökonomisch abzubacken. Die Trennwand zwischen der sogenannten Schaubackstube und der Ladentheke ist vollverglast. Rechterhand schließt sich der Gastraum an.

Zitatesammlung

Einen internen Gestaltungswettbewerb konnte das Münchener Büro Design- liga für sich entscheiden. Um den Gästen das Thema Brot nahezubringen, entwarf es ein Corporate Design, bei dem sich das ehrliche, handgemachte Produkt in der Architektur und den verwendeten Materialien widerspiegelt. Mit dem Leitmotiv »Vom Feld zum Ladentisch« versinnbildlichen die Planer den Wertschöpfungsprozeß des Brots. Am eindrucksvollsten ist dies in der Bodenfläche ablesbar. Über die Längsseite des Raums breitet sich ein Mosaik aus, das sich augenmerklich nur minimal wandelt. Erst beim näheren Betrachten wird der Verlauf in der organischen Form sichtbar, der die fließende Metamor- phose – vom Feld zum Korn, das wiederum zu Mehl gemahlen in Kombination mit Wasser zu Brot wird – symbolisieren soll. Das durchgehend ausgebildete Fliesenkunstwerk, das hinsichtlich der Rutschfestigkeit hohe Anforderungen erfüllen muss, setzt sich aus über 25 000 handgeschnittenen Einzelteilen zusammen und erinnert ein wenig an die Zeit des Rokoko.

Den aus drei Blöcken zusammengesetzten, kolossalen Verkaufstresen bezeichnet die ausführende Fachfirma als Edelstahl-Origami. Die gefaltete, teilweise handgebogene Konstruktion scheint mit ihren lediglich drei kleinen Stützenauflagern zu schweben. Der »Gastraum« wird von einer hellblauen, 6 m langen Eichenholztafel dominiert. Hier bieten Birkenholzstühle angenehmen Sitzkomfort. Oberhalb der aus einem Stück bestehenden Tischplatte verbreitet ein weißes Dach in inverser Biberschwanzpfannen-Optik eine heimelige Atmosphäre. Ein Stuckateur hat die mittels Silikonwannen erstellten Einzelmatrizen vor Ort mit feinem Mörtel an die Trockenbaudecke geklebt und dabei nahtlos zu einem Ganzen gefügt. Die handgefertigten Einbaumöbel aus Vollholz der Robinie und Birke wurden mit einem Korbgeflecht aus geschältem Rattan versehen und stellen in ihrem Farbwechsel eine Reminiszenz an das niedersächsische Fachwerkhaus dar. Gepolsterte Nischen laden zum Verweilen und Ausruhen ein, kleine »Holzblöcke« lassen sich als Beistelltisch aus der Schrankwand ziehen. Erstaunlich, wie intensiv und erfolgreich sich die vorwiegend aus dem Münchener Raum angereisten Firmen mit der norddeutschen Bautradition beschäftigt haben. Ob sich die abstrakten Zitate jedem unbedarften Besucher erschließen, bleibt indes ungewiss. Macht aber auch nichts, denn der Raum überzeugt mit seiner schlüssigen Gestaltung in solider Handwerkskunst auch so. Außerdem geht die »Haus-im-Haus-Taktik« auf: Schnell kommt man an der langen Tafel miteinander ins Gespräch. Dank der schallschluckenden Wände und Decken ist die Akustik wohltuend gedämpft.

Kaum eine Branche ist so um ihr Nachhaltigkeitsimage bemüht wie die Automobilindustrie. Über die Präsentation von ökologischer, sozialer und ökonomischer Verantwortung soll die eigene Reputation aufgepeppt werden. »Das Brot« erfüllt die selbst auferlegten Kriterien mit Bravour – dass sich diese Ideen auch im Fahrzeugbau fortsetzen ist wünschenswert.

db, Mo., 2014.03.03



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db 2014|03 Lebensmittel

01. Juli 2013Hartmut Möller
db

Moderne Verwandtschaft

Die Heinrich-Schütz-Schule von Heinrich Tessenow aus den späten 20er Jahren gilt als prägendes Beispiel der »Frühen Moderne«. Ihre Sanierung war lange überfällig, der Anbau eines Klassentrakts dringend nötig. Den Spagat zwischen historischer Verpflichtung und eigenständigem Ausdruck meistern die Architekten durch einen zurückhaltenden aber dennoch selbstbewussten Umgang mit dem baulichen Erbe.

Die Heinrich-Schütz-Schule von Heinrich Tessenow aus den späten 20er Jahren gilt als prägendes Beispiel der »Frühen Moderne«. Ihre Sanierung war lange überfällig, der Anbau eines Klassentrakts dringend nötig. Den Spagat zwischen historischer Verpflichtung und eigenständigem Ausdruck meistern die Architekten durch einen zurückhaltenden aber dennoch selbstbewussten Umgang mit dem baulichen Erbe.

Die wachsende Anzahl von Schülerinnen des 1909 gegründeten ersten Mädchengymnasiums im Regierungsbezirk Kassel erforderte 1927 einen Neubau, dessen Wettbewerb der Reformarchitekt Heinrich Tessenow gewann. Zur Fertigstellung 1930 wurde die Schule »Malwida-von-Meysenbug-Schule«, nach der progressiven Kämpferin für Pressefreiheit und Emanzipation, benannt. Weil jedoch deren verkörpertes Frauenbild nicht in die Ideologie der Nationalsozialisten passte, benannten diese sie 1940 um; bis heute trägt sie aufgrund ihres musikalischen Schwerpunkts den Namen des frühbarocken Komponisten Heinrich Schütz. Im Krieg wenig beschädigt, beschlagnahmten die amerikanischen Besatzer das Gebäude, die Turnhalle wurde kurzerhand zur Garagenwerkstatt und die Aula zum Kino »Liberty« umfunktioniert. Seit Wiedereinzug der ursprünglichen Institution 1947 folgten etliche interne organisatorische Veränderungen – gegenwärtig beheimatet die kooperative Gesamtschule gut 1000 Schüler der fünften bis zehnten Klassenstufe.

Fußläufig vom Bahnhof Wilhelmshöhe entfernt liegt das Bundessozialgericht (ehemaliges Generalkommando, 1938) in unmittelbarer Nachbarschaft zur Heinrich-Schütz-Schule. Die Entwurfsansätze beider aus annähernd gleicher Zeit stammenden Bauten könnten kaum unterschiedlicher sein. Während auf der einen Seite wuchtig gerahmte Fenster in tiefen Laibungen den Eindruck von Masse verstärken, scheinen ihre gegenüber flachbündig gesetzten Pendants in feinen Faschen die Fassade als gläserne Wand auflösen zu wollen. Um das viergeschossige, in Nord-Süd-Richtung axialsymmetrische Schulhaus mit Innenhof gruppieren sich an den Ecken drei, mit ähnlichen Ansichten aber unterschiedlichen Volumen, gestaltete Flügel: Aula, Hausmeisterwohnung und Turnhalle. Flach geneigte Dächer und rigide Lochfassaden der quaderförmigen Baukörper verweisen dabei auf Tessenows Drang hin zum »Neuen Bauen«.

Weitergedacht

2009 erhielten die ortsansässigen Architekten Schultze + Schulze für die Renovierung der Aula und Einfügung einer Mensa in Tessenows Schule aus Mitteln des Konjunkturprogramms von Bund und Land den Direktauftrag. Darüber hinaus sollte ein 1975 rücksichtslos angefügter Waschbetonbau abgebrochen und statt seiner der Neubau eines Fachklassentrakts mit 13 Unterrichts- und Sammlungsräumen entstehen. Dessen Lage auf dem Grundstück – als Weiterführung des östlichen Turnhallenannexes – bewahrt die freie Sicht auf das als Endpunkt einer angrenzenden Grünanlage gedachte Schulgebäude. Zudem schafft seine Position eine Straßenanbindung der zuvor ringsum durch Grün auf Abstand gehaltenen Anlage und lenkt damit die Personenströme Richtung Haupteingang. Wie selbstverständlich fügt sich der als »Malwida-von-Meysenbug-Flügel« bezeichnete Trakt in die Dramaturgie des Tessenow’schen Grundrisses ein. Seine klaren Linien unterstreichen das puristische Erscheinungsbild des Gesamtensembles. Für ganz unterschiedliche Ansichten der Ergänzung sorgt ihre Hanglage: Hofseitig betrachtet duckt sie sich überwiegend eingeschossig nah am Boden, nach Süden zeigt sie ihre drei Etagen in voller Höhe. Bei aller Demut gegenüber dem wenig zugänglichen »Weißen Schloss« gibt sich der Flachbau offen, freundlich, und daher durchaus eigenständig.

Modern(e) fortgeführt

Zur Herstellung einer Verwandtschaft mit modernen Mitteln begegnen die Architekten der denkmalgeschützten Ikone im wahrsten Wortsinn auf Augenhöhe. In Verlängerung der Turnhalle nehmen sie deren Traufhöhe, Breite und Farbigkeit auf. Eine obligatorische Glasfuge trennt den Erweiterungsbau vom Bestand und belichtet das dahinterliegende Treppenhaus. Der zweite Aufgang als Fluchtweg befindet sich am anderen Kopfende, wo der lang gestreckte Riegel dreigeschossig an die Freiherr-vom-Stein-Straße andockt. Ein kleiner in Wandscheiben ausgeführter Balkon lockert die Straßenfassade auf und gibt ihr – zusammen mit den lang gezogenen Fensterbändern – den Anstrich der »Neuen Sachlichkeit«. Die Südansicht hingegen erinnert in ihrer Struktur an die »Zweite Moderne«, an Bauten von Sep Ruf oder Egon Eiermann. Stationäre Sonnensegel gliedern die fast vollständig verglaste Front. Das spannbare und mit Kunststoff überzogene Textilgewebe lässt dabei aufgrund seiner Mikroperforierung natürliches Licht aber keine Wärme ins Innere.

Auf der Hofseite führt ein Laubengang in direkter Verlängerung zum Haupteingang des historischen Hauptgebäudes und verknüpft so bereits im Außenbereich Alt und Neu. Nicht nur bei schlechtem Wetter ist dies ein beliebter Ort von Schülern, Skateboardern und Inlineskatern. Die reduzierte Materialwahl der Ergänzung aus Putz, Glas und Stahl versprüht zeitlose Noblesse. Dank weit außen liegender Pfosten-Riegel-Konstruktion im Wandaufbau kaschieren die Aluminiumfenster mit ihren raumhohen, außenbündig gesetzten Scheiben, bauphysikalisch sinnvoll, die Außenkanten des eingesetzten WDVS'. Um die Langlebigkeit des druckanfälligen Fassadenaufbaus zu gewährleisten, wurde er auf Eingangsebene großflächig mit einer 11,5 cm breiten Vorsatzmauerschale verstärkt. Erst bei genauerem Hinsehen zeichnet sich diese als minimaler Versatz ab.

Behutsam wiederbelebt

Vom Pausenhof aus gelangt man am Haupteingang über eine respekteinflößend breite Treppe ins Foyer des mächtigen Klassenblocks. Während rechter Hand der alte Klassentrakt anschließt, führt der Weg geradeaus in die frisch sanierte Aula. Im UG direkt unterhalb der Vorhalle befindet sich die neue Mensa. Ihre nach Süden vorgelagerte Terrasse öffnet sich zum Park an der Wilhelmshöher Allee, wo einst der unsensible Betonklotz den Blick auf die Südfassade verstellte. Tiefe Fensternischen, die den Schülern als Sitzgelegenheiten dienen, erlauben nun eine freie Aussicht ins Grüne.

Mit Eintritt in die grundlegend sanierte Aula durch die den Originalproportionen nachempfundene Türanlage begibt sich der Besucher auf eine Zeitreise. Bühnengestaltung (nach heutigem Orchesteranspruch etwas vergrößert), Vorhänge, Messinglampen sowie Farbanstriche an Holzverkleidung der Stützen und Decke orientieren sich an Fotobelegen des ursprünglichen Zustands; die wie Marmor wirkende Kalkschlämme an den Wänden leitet sich aus Vor-Ort-Befunden ab. Brandflecken im abgeschliffenen Parkett zeugen von einem Bombentreffer aus dem Zweiten Weltkrieg. Zwei Originalstuhlreihen auf der Empore vermitteln den von Tessenow gewollt spartanischen Eindruck – der heutige Zuhörer hat es dagegen gern etwas bequemer, sodass der Rest des Gestühls rot gepolstert ist. Die in schwarz gehaltene Technik entspricht dem aktuellen Stand und lässt sich je nach Anlass leicht entfernen. Als Glücksfall für die Erneuerung der Fenster in der Aula stellte sich der Abriss des ungelenken Appendix aus den 70ern heraus: ehemals vermauerte Öffnungen im Haupthaus gaben Originalrahmen preis, nach deren Vorbild die aktuellen Profile in schlanker Optik gefertigt werden konnten. So zeichnet der durch großflächige, hohe Fenster zweiseitig belichtete Saal auf wunderbare Weise ein Bild der Stimmung nach, die hier schon früher geherrscht haben mag.

Gezielt betont

Sowohl die reduzierte Formsprache als auch der punktuelle Einsatz von Farbe der sensibel wiederhergestellten Aula setzt sich innerhalb des neuen Fachklassentrakts wohltuend fort, ohne sie jedoch nachzuahmen. So betonen wenige Farbtupfer die Klassenzugänge und Treppen. Der Bodenbelag aus geflammtem Basalt und die schwarzen Türflügel kontrastieren in den weiß gehaltenen Erschließungsbereichen mit den je nach Etage rot bzw. hellblau gestrichenen Türlaibungen. Gleiches gilt für die hellblauen Stahlbleche der Treppenbrüstungen, die den skulpturalen Eindruck der freigestellten Stiege unterstützen. Im Gebäude orientieren sich alle Klassenräume nach Süden in die Grünanlagen; die opulenten Glasscheiben sind zum Arbeiten am PC zusätzlich über Rollos abblendbar. Lediglich die Sammlungsräume im UG liegen in der hangseitig bedingten Dunkelzone. Zur Belichtung des fensterlosen untersten Flurs bedienen sich die Planer eines effektiven Kniffs. Durch eine Reihe von selbsttragenden, stahlbewehrten Elementen aus Glasbausteinen leiten sie das über Lichtkuppeln gewonnene Tageslicht nach unten. Zwar erfüllt der Anbau mit seiner beheizbaren Be- und Entlüftungsanlage die Kriterien eines Passivhauses, um jedoch eine gewisse akustische Wahrnehmung des Parks zu gewährleisten, wurden als Kompromiss Öffnungsflügel in die Fassade integriert, die dazu noch als Zugang zu den Putzbalkonen dienen.

Abgesehen von einigen Spechthöhlen in ihrer Außenhaut weist die Schulerweiterung nach zwei Jahren noch keine Schäden auf. Selbst Graffitis sind nicht zu finden, obgleich sich die weißen Fassaden als Ziel von Attacken dieser Art bestens anböten. Dies lässt sowohl auf eine hohe Nutzerakzeptanz als auch auf die besondere Aufmerksamkeit der Schulleitung schließen. Eine größere Auszeichnung des Kleinods, das bereits u. a. die »Simon-Louis-du-Ry-Plakette« des BDA Hessen erhalten hat, kann es wohl kaum geben.

db, Mo., 2013.07.01



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db 2013|07-08 Dezent

07. November 2011Hartmut Möller
db

Sagengestalt im Passepartout

Der »Herkules«, Wahrzeichen der drittgrößten hessischen Stadt, soll nach deren Wunsch 2013 UNESCO-Weltkulturerbe werden. Im Rahmen der in diesem Zusammenhang geplanten Neuordnung der Museumslandschaft Hessen Kassel entwarf das Berliner Büro – des jüngst mit dem großen BDA-Preis geehrten – Volker Staab ein neues Besucherzentrum. Exemplarisch belegen die Architekten hierbei, dass Fenster nicht nur als schnöde Tageslichtquelle dienen, sondern als Kommunikationsmittel zwischen Innen- und Außenraum funktionieren.

Der »Herkules«, Wahrzeichen der drittgrößten hessischen Stadt, soll nach deren Wunsch 2013 UNESCO-Weltkulturerbe werden. Im Rahmen der in diesem Zusammenhang geplanten Neuordnung der Museumslandschaft Hessen Kassel entwarf das Berliner Büro – des jüngst mit dem großen BDA-Preis geehrten – Volker Staab ein neues Besucherzentrum. Exemplarisch belegen die Architekten hierbei, dass Fenster nicht nur als schnöde Tageslichtquelle dienen, sondern als Kommunikationsmittel zwischen Innen- und Außenraum funktionieren.

Zum Bau des gewaltigen Oktogon-Schlosses mit weitläufiger Grotten- und Kaskadenanlage am Hang des Habichtswalds ließ sich Landgraf Karl im ausgehenden 17. Jahrhundert von den barocken Park- und Gartenanlagen Italiens inspirieren. Ziel seines Baumeisters Giovanni Francesco Guerniero war das Verwischen der Grenze zwischen Kunst und Natur mit einem wie aus dem Fels gewachsenen achteckigen Kastell und dem daraus entspringenden künstlichem Wasserlauf. 1713 fiel die Entscheidung das artifizielle Steinmassiv zusätzlich mit einer aufgesetzten Pyramide und der 8,25 m hohen Herkules-Statue zu krönen. Die ungünstige Kombination aus Eisengerüst mit Kupferblechverkleidung bei der Figur und die Verwendung des besonders anfälligen Tuffsteins machen die Sehenswürdigkeit jedoch zu einem Dauersanierungsfall. Aus heutiger Sicht versprüht der Herkules mit seinen moosbewachsenen Brüstungszinnen etwas vom Kitsch eines Walt-Disney-Vergnügungsparks, obgleich er durch seine schiere Größe durchaus beeindruckt. Beeindruckend sind auch die Renovierungskosten von rund 30 Mio. Euro bzw. das Volumen von 200 Mio. Euro für die Neuordnung der Museumslandschaft Hessen Kassel. Immerhin hat sich diese mit dem Bergpark, seinen Wasserkünsten und dem Herkules 2013 für den Titel des Weltkulturerbes beworben. Geradezu zwergenhaft erscheint dagegen die Bausumme von etwa 3,5 Mio. Euro für den knapp 700 m² großen Neubau, der durch eine winterbedingte Zwangspause mit leichter Verspätung nach zweijähriger Bauzeit im Juni 2011 eröffnet wurde. Staab Architekten waren nach einem vorangegangenen Realisierungswettbewerb und einer Machbarkeitsstudie hinsichtlich des Standorts 2007 mit der Planung beauftragt worden.

Monolithischer Findling

Vom neu angelegten Parkplatz führt der Weg direkt zum Besucherzentrum. Seine geknickte Form und der helle Beton verleihen ihm eine starke Präsenz, obwohl es sich flach an den steigenden Hangverlauf schmiegt und so den Blick auf das dahinter gelegene Wahrzeichen freilässt. Zwei waagerechte, bündig gesetzte Langfenster gestatten nur wenig Einsicht in den Bau. In der reliefartigen Fassade zeichnet sich die Brettchenschalung aus sägerauem Nadelholz in verschiedenen Dicken und Formaten ab – ein Verweis auf das poröse Felsgestein des Monuments. Dehnungsfugen verlaufen im Muster dieser Schalung und gewährleisten so ein homogenes Erscheinungsbild. Das vom Herkules-Denkmal gut einsehbare Dach wurde als fünfte Ansichtsseite bewusst von Aufbauten freigehalten und mit großformatigen, zu den Außenwänden analogen Sichtbetonplatten bedeckt. Die Entwässerung erfolgt über eine umlaufende, versenkt eingebaute Rinne mit innenliegenden Abläufen.

Sei es noch so erforderlich, von oben betrachtet stellen die angrenzenden Kohorten von bunten Pkws und Bussen ein wahres Ärgernis inmitten der Idylle dar. Dennoch wird der Baukörper ganz nach den Wünschen der Planer zum landschaftlichen Element – wie ein bearbeiteter Findling am Übergang zum Grünraum. Der tiefe Einschnitt an der Längsseite dient der darin untergebrachten Bushaltestelle als Unterstand und leitet die Ankömmlinge über seine Trichterform ins Innere.

Gerahmter Held

Dass Wandöffnungen nicht ausschließlich dem Tageslichteinfall dienen, wird unmittelbar beim Betreten des Hauptraums deutlich. Aus dem Halbdunkel heraus orientiert sich das Auge nach Licht, so dass der Blick leicht nach oben gerichtet geradewegs durch ein 3 x 6 m hohes Panoramafenster auf die griechische Sagengestalt fällt. Während linker Hand in das Gebäude Schließfächer und der Zugang zum Personenaufzug ausgezähnt wurden, führt eine axial zum Herkules ausgerichtete Treppe zur oberen Ebene, wobei der Besucher permanent eine gerahmte Ansicht des Helden vor sich hat. Die gekonnte Blickinszenierung lässt keinen Zweifel aufkommen, wer oder was hier im Mittelpunkt steht. Fast scheint es, als würde man sich durch ein überdimensioniertes Fernrohr bewegen. Seitlich des Aufgangs sind über die Raumbreite Sitzstufen angegliedert, von denen aus Filme, Vorträge und Präsentationen verfolgt werden können. Ein weiteres großes Fenster erlaubt im oberen Bereich den Ausblick in das südliche Drusetal. Vor diesem informiert eine kleine Ausstellung über die Historie des Komplexes. Der optisch im Beton eingelassene, aus Holz gefertigte Museumsshop bietet die Tickets und allerlei Souvenirs, wobei die Merchandise-Palette mit Publikationen, Postkarten, Tassen, Schlüsselanhängern sowie Herkulessekt, -wein und -pralinen beinahe an amerikanische Verhältnisse erinnert.

Die spärliche Verwendung von Materialien – polygonale Wände und das gefaltete Dach in glattem Sichtbeton, geschliffener Estrichboden, alle Möbel und Einbauten in dunklem Holz – und das diskret gesetzte Licht über Deckeneinbaustrahlern und Downlights verleihen dem fließenden Raum eine geradezu andächtige Atmosphäre. Umso eindrucksvoller wirken auch die Bezüge durch die gerahmte Außenwelt. Der Ausgang (oder wahlweise zweiter Eingang) neben der Verkaufsfläche führt den Besucher schließlich zum Wahrzeichen.

Kleiner Bau - grosse Architektur

Die Fenster wurden als großflächige Wandöffnungen mit ungeteilter Festverglasung und Profilen in dunkel eloxiertem Aluminium ausgeführt. Der Sonnenschutz erfolgt über Beschichtungen der Glasscheiben, zudem setzt eine Nano-Beschichtung die Oberflächenspannung des Regenwassers herab, so dass dieses durch leichteres Abfließen den Schmutz hinwegschwemmt. Lediglich die Fenster in Büro- und Aufenthaltsraum verfügen als zweiter Fluchtweg über Öffnungsflügel. Ein im UG untergebrachtes raumlufttechnisches Gerät sorgt über Schlitzauslässe für den ständigen Luftaustausch. Die Abluft aus dem Besucherraum wird mittels eines Radialventilators in den Sanitärbereich eingeblasen und von dort über das RLT-Gerät abgeführt. Da vor Ort weder Fernwärme noch Erdgas zur Verfügung standen, entschied man sich für eine naheliegende Lösung: Die Wärmeversorgung erfolgt über eine Fußbodenheizung mittels Wärmepumpe bei Nutzung geothermaler Energie durch ein Erdsondenfeld unter dem Parkplatz.

Der Koloss von Kassel mag gefallen oder nicht, Wohnungssuchende in der Umgebung zahlen jedenfalls trotz kilometerweiter Entfernung für den »Herkulesblick« sehr viel Geld. Insbesondere die zweimal wöchentlich stattfindenden Wasserspiele und der von englischen Landschaftsvorstellungen geprägte Bergpark locken auch verstärkt internationales Publikum an. Das neue Besucherzentrum zeugt in seiner hervorragenden Ausführung in jedem Fall von höchster Handwerkskunst und sorgfältiger Detailplanung. Wie so oft sind es die kleinen Dinge, die große Wirkung haben und große Architektur manifestiert sich eben nicht unbedingt über ihre (Erscheinungs-)Größe. Diese Bereicherung für die Anlage dürfte der UNESCO-Bewerbung definitiv zugutekommen!

db, Mo., 2011.11.07



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20. Juli 2010Hartmut Möller
db

Lernen im Schmuckkästchen

Die lange, knapp sechsjährige Planungszeit hat sich gelohnt. Das aufgrund seiner dekorativen, v. a. nachts funkelnden Fassade »Schmuckkästchen« genannte Gebäude schlägt in Norwegen hohe Wellen. Zunächst bietet es als Ort des fachlichen wie persönlichen Austauschs eine offene, kommunikative Atmosphäre. Die Zusammenarbeit zwischen Architekturbüro, Stadtbauamt, Denkmalschutzbehörde und etlichen Fachfirmen führte zudem – ausgerechnet im Land des Erdöls – zu einer Niedrigenergie-Lösung, die bereits einige nationale Preise erhalten hat und für weitere nominiert ist.

Die lange, knapp sechsjährige Planungszeit hat sich gelohnt. Das aufgrund seiner dekorativen, v. a. nachts funkelnden Fassade »Schmuckkästchen« genannte Gebäude schlägt in Norwegen hohe Wellen. Zunächst bietet es als Ort des fachlichen wie persönlichen Austauschs eine offene, kommunikative Atmosphäre. Die Zusammenarbeit zwischen Architekturbüro, Stadtbauamt, Denkmalschutzbehörde und etlichen Fachfirmen führte zudem – ausgerechnet im Land des Erdöls – zu einer Niedrigenergie-Lösung, die bereits einige nationale Preise erhalten hat und für weitere nominiert ist.

Auch in der norwegischen Hauptstadt wird Bildung vermehrt groß geschrieben. Einen Beitrag dazu soll das Lærernes Hus – also »Haus der Lehrenden« leisten, das sämtlichen Mitstreitern der Lehre vom Erzieher bis zum Hochschuldozenten zu Ausbildungs- und Konferenzzwecken dient. Die Gewerkschaft für Bildung versteht es als physisches Manifest, um den Zusammenhalt seiner 140 000 Mitglieder zu stärken und in Einklang zu bringen. Im Jahr 2003 erwarb sie ein Baulücken-Grundstück, welches rückwärtig an ihren in der Hausmannsgate, einer der Hauptstraßen Oslos, gelegenen Hauptsitz anschließt. Das Areal liegt knappe zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt in einem belebten, zentrumsnahen Wohnviertel mit kleinen Imbissstuben, Bars und Geschäften. 2004 folgte ein geladener Wettbewerb, in dem sich das junge Büro Element Arkitekter gegen zwei etablierte Konkurrenten durchsetzen konnte.

Die alleinige Nutzung als Konferenzzentrum war in der Umsetzung nicht ganz unproblematisch. Um der Stadtflucht junger Familien entgegenzuwirken, strebt das örtliche Bauamt u. a. durch Vergrößerung und Neuschaffung von Wohnraum eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität im Stadtkern an. Laut Bebauungsplan musste die Bebauung an der ruhigeren Osterhausgate deshalb einen Wohnanteil von mindestens 20 % aufweisen. Nach etlichen Diskussionen wurde ein angrenzendes Gebäude in den Planungsprozess integriert. Nun verschneiden sich beide – wenn auch nur minimal. Im denkmalgeschützten Nachbarhaus plant das Architekturbüro zurzeit neue, große Wohnungen, wie die Seniorpartnerin Cathrine Vigander erläutert. Eine verlockende Folgeakquise, doch der Bestand offenbarte auch große Herausforderungen: Zum einen mussten die hölzernen Fundamente beider anliegenden Bauten während der gesamten Bauphase feucht gehalten werden, zum anderen reichen sie über die jeweilige Hauskubatur hinaus – dieser Raum fehlt dem UG des Neubaus; dessen Sohlplatte lastet deshalb auf einer im Erdboden verankerten Pfahlgründung.

Kunst und Fassade

Für die künstlerische Gestaltung der südwestlichen, von Glasschwertern gehaltenen Straßenfassade zeichnet Jorunn Sannes verantwortlich, die schon verschiedene architektonische Projekte (u . a. in Zusammenarbeit mit Snøhetta) realisiert hat. Buchstaben und Symbole unterschiedlicher Schriftgröße und -art, teilweise gespiegelt und gedreht, überziehen 50 % der 200 m² großen Fläche. Als Sinnbild von Wissen deuten sie die Bestimmung des Gebäudes an und schützen es gleichzeitig vor Überhitzung. Im Innern erzeugen die Zeichen wahrhaft anmutige Licht- und Schattenspiele. Fast scheint es, sie würden sich dem Besucher nähern, um in ihn einzudringen.

Das dekorative Muster wurde per Siebdruck auf die zum Innenraum hin eingebauten Verbundglasscheiben der Doppelverglasung gebrannt. In der äußeren Doppelglasscheibe spiegeln sich Himmel und Nachbarschaft ungebrochen, wodurch das Gebäude jegliche Schwere verliert. Insgesamt fügt sich der moderne Bau unter Einhaltung der Straßenflucht, Trauf- und Geschosshöhe erstaunlich gut in seine Nachbarbebauung aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein. Nachts bringen ihn energiesparende, langlebige LEDs beinahe zum Glühen. Dann nimmt er sich nicht mehr vornehm zurück und das Innenleben der »Schmuckschatulle« leuchtet im Viertel als strahlender Kontrast, während die verzerrten Konturen der Lettern jetzt scheinbar nach außen drängen. In naher Zukunft ist der Einsatz von farbig steuerbaren LEDs für bunte Lichtspiele geplant.

Auch die Rückseite des Neubaus ist annähernd vollständig verglast. Lediglich ein über die Stirnseiten von Wänden und Decken gelegtes Kupferband lässt seine Ansicht wie eine Schnittzeichnung aussehen. Die Drehtüren in beiden Fassaden liegen zusammen mit einer neu gepflanzten Baumreihe im Innenhof auf einer Achse zum Hintereingang des Hauptgebäudes. Das Konferenzzentrum funktioniert demnach zwar autark, aber durchaus auch als Portal zum Altbestand.

Vertikale Lobby, kein Treppenwitz

Ungewöhnlich ist die prominente Lage des zweiseitig verglasten Treppenhauses, das sich oberhalb des Entrées über die volle Fassadenbreite erstreckt. Der wuchtige, parallel zur Stirnseite flach ansteigende, zweiläufige Aufgang versteht sich nicht allein als funktionale Erschließung, sondern vielmehr als vertikale Lobby und Kommunikationszone. Auf jedem Podest steht eine Kaffeebar zur freien Nutzung bereit und sorgt für Entschleunigung beim Umrunden des länglichen Treppenauges und des darin eingeschlossenen Fahrstuhlschachts.

Der Empfangssaal im EG füllt – neben der Durchfahrt zum Hof – die gesamte Etage aus und macht einen überdimensionierten Eindruck; vermutlich wird er die meiste Zeit leer stehen. Selbst dem knallroten Textilrelief der Künstlerin May Bente Aronsen gelingt es kaum, sich gegen die Weite des Raums zu behaupten. Als gestreifte Stoffskulptur vor den glatten, harten Betonwandflächen besteht ihre Aufgabe in der Schallabsorption.

Oberhalb der Halle befindet sich der an zwei Seiten großflächig verglaste Vortragsraum mit nahezu 5,50 m lichter Höhe. Auf rund 400 m² können darin über 250 Personen tagen, für kleinere Gruppen lässt er sich durch eine Faltwand aufteilen. Im 2. Stock bietet ein Café mit anliegender Dachterrasse Raum für Entspannung. Rote Sitzlandschaften aus Polyethylen sind als Inselpunkte auf dem holzbeplankten Fußboden verteilt. Nebenräume wie Garderobe, Toiletten und Technikraum sind im Kellergeschoss, Lager, Küche und Fluchttreppenhaus im hinteren Teil des Nachbargebäudes untergebracht. Trotz des hohen Glas- und Sichtbetonanteils im Innern wirkt das »Haus der Lehrenden« keineswegs unterkühlt. Das helle Zementgrau in Kombination mit Holzeinbauten, der akzentuierte Einsatz von Farbtupfern sowie die Licht- und Schattenspiele haben vielmehr eine beruhigende, beinahe meditative Wirkung auf den Gast.

Wärmespeicher aus Lehm und Stein

Von Anfang an war allen am Bau Beteiligten eine umweltverträgliche und energiesparende Lösung wichtig. Gerade weil Norwegen diesbezüglich den europäischen Standards hinterherhinkt, sollte dieses Prestigeprojekt zeigen, dass auch eine innovative Bauweise ohne den hinlänglich bekannten Wärmedämmstoff-Wahnsinn zum gewünschten Ergebnis führt. Um eine möglichst hohe Effizienz zu erzielen, entschied man sich für ein Heizungs- und Kühlungskonzept, das Geothermie und thermische Bauteilaktivierung miteinander kombiniert. Der hohe Anteil an Glasflächen erlaubt im Sommer eine beträchtliche solare »Ausbeute«. In einem Netz aus Kunststoffrohren, die im Beton der Geschossdecken und der Haupttreppe (daher ihre Positionierung an der Fassade) eingelassen sind, zirkuliert ein Wasser-Glykol-Gemisch. Dieses Trägermedium transportiert die gewonnene Wärme zu zehn im Hinterhof befindlichen 150 bis 200 m tiefen Bohrlöchern und speichert sie über Erdwärmesonden im Boden. Im Winter wird die im Erdreich konzentrierte Energie dann zur Beheizung des Bauwerks herangezogen, die Kunststoffrohre wirken dabei wie eine Fußbodenheizung. Der große Vorteil der Betonkernaktivierung gegenüber konventionellen Heizsystemen besteht in der Speicherfähigkeit der massiven Bauteile, die eine gleichmäßige Wärmeabgabe über große Oberflächen ermöglichen. Dank des stetigen Energieaustauschs zwischen Speichermasse und Raumluft kommt es lediglich zu minimalen Schwankungen; Behaglichkeit ist gewährleistet.

Natürlich ist das vorliegende System zunächst eine kostspielige Investition, die sich laut Planern allerdings bereits nach drei bis fünf Jahren amortisiert haben soll. Ihren Angaben zufolge liegt der Energiebedarf des Bauwerks bei 80 KWh/m² im Jahr. Durch den Einsatz des noch leistungsfähigeren Naturkältemittels CO2 als Fluid für die Wärmepumpe ließe sich der Bedarf sogar auf bis zu 50 KWh/m²a drosseln.

Für deutsche Verhältnisse mögen diese Werte nicht unbedingt verblüffen, nach den norwegischen Regularien zählt der Bau aber als Niedrigenergiehaus der Klasse A – die Jahresdurchschnittstemperatur liegt in Oslo gut 4 °C tiefer als beispielsweise in Berlin. Tatsächlich soll sogar überschüssige Wärme in die Heizungsanlage des Haupthauses gespeist werden. Bei soviel positiver Energie sollte den Lehrenden das Lernen doch umso leichter fallen.

db, Di., 2010.07.20



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