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17. Juli 2025Roland Pawlitschko
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Energieautarkes Ferienhaus in Noto (I)

Die Fassaden und Innenräume dieses puristischen Sichtbeton-Gebäudes auf Sizilien sind mit lokalen mineralischen Materialien veredelt, die traditionell auch die Bauernhöfe im ländlichen Raum der Insel prägen.

Die Fassaden und Innenräume dieses puristischen Sichtbeton-Gebäudes auf Sizilien sind mit lokalen mineralischen Materialien veredelt, die traditionell auch die Bauernhöfe im ländlichen Raum der Insel prägen.

Das Val di Noto bezeichnet eine dünn besiedelte Region rund 100 km südlich des Ätna. Sie ist bekannt für eine Reihe von Städten, die nach einem Erdbeben im Jahr 1693 allesamt fast vollständig zerstört und dann jeweils als einheitlich spätbarocke, inzwischen auch zum Weltkulturerbe erhobene Ensembles wiederaufgebaut wurden.

Einen besonderen Charme versprüht auch die karge Landschaft unweit des Mittelmeers. Die sanft hügelige Umgebung der Stadt Noto ist geprägt von Ackerflächen und weitläufigen Mandel- und Olivenhainen. Vereinzelt sind auch Ferienhäuser zu finden, die hier aber nur dann neu errichtet werden dürfen, wenn sie einige Spielregeln beachten. Baugrundstücke müssen beispielsweise eine Mindestgröße von 1 ha aufweisen, und die Neubauten dürfen nur ein Geschoss hoch sein, sodass sie die Kronen der oft jahrhundertealten Bäume nicht überragen. Konkrete Vorgaben zu Abmessungen, Gebäudehöhen und -formen oder Dachneigungen gibt es aber nicht.

In die Landschaft eingebettet

Als ein italienischer Fotograf das Pariser Architekturbüro Gaëtan Le Penhuel Architectes beauftragte, hier ein energieautarkes Ferienhaus zu bauen, war für die verantwortliche Büropartnerin Corina Laza eines sofort klar: „Hier sollte kein weiterer weißer Kubus entstehen – eine Typologie, die gerade in dieser Region verbreitet ist, obwohl sie eher an die Kykladen als an Sizilien erinnert. Wir sahen uns vielmehr von der archaischen Kraft der örtlichen Bauernhäuser inspiriert. Diese sind meist als Massivbauten mit Naturstein- oder Putzfassaden ausgeführt, die sich ebenso dezent wie elegant in die Landschaft einfügen.“

Dass die Casa Bendico hauptsächlich aus Sichtbeton besteht, liegt nicht nur an der Tatsache, dass es sich hierbei ebenfalls um ein mineralisches Material handelt. Es hat vielmehr auch mit der Erdbebensicherheit und den hier häufig wütenden Waldbränden zu tun. Darüber hinaus zählt ein weiterer Aspekt: „Dank der zweischaligen kerngedämmten Wand- und Deckenkonstruktion bleiben alle Innenräume selbst in der sengenden Sommerhitze Siziliens stets angenehm kühl“, erläutert Corina Laza.

Wer die nur 3 km südlich von Noto situierte Casa Bendico besucht, findet ein Ensemble aus vier Bauwerken vor. Am Ende der geschwungenen Zufahrt von der Via Gioi liegen ein filigraner Carport mit Schilfdach und das vorgelagerte kleine Ateliergebäude, hinter dem schließlich das 200 m² große Haupthaus steht. Hiervon wiederum nur einen Steinwurf entfernt ist der Outdoorpool zu sehen.

Grund für diese verteilte Anordnung war der Wunsch des Bauherrn nach einer kleinteiligen Bebauungsstruktur, durch die Orte mit unterschiedlichem Charakter und vielfältigen Perspektiven auf die Landschaft entstehen. Eine Rolle spielte aber auch der Respekt gegenüber den alten Olivenbäumen, die trotz der Baumaßnahme möglichst alle erhalten bleiben sollten.

Was am Haupthaus auffällt, ist sein durch und durch monolithisches Erscheinungsbild. Denn neben den Fassaden und der Umfassungsmauer für zwei windgeschützte Außenbereiche sind auch die geneigten Flächen des Satteldachs in Sichtbeton gefertigt. All diese Bauteile sind nicht betongrau, sondern sandfarben und zeigen die Abdrücke einer horizontalen Brettschalung.

Monolithisch bis ins Detail

Der erdige Farbton entstand durch den Einsatz von Puzzolanbeton, der Vulkangestein aus der Ätna-Region enthält. Eine weitere Komponente stellt die Beimengung von Sandstein dar, der auf dem Grundstück vorgefunden und gemahlen wurde.

Dank des Puzzolans ist dieser Beton kohlenstoffarm – zudem verbessert die hohe Porosität des Zuschlagstoffs die Wärmedämmeigenschaften. Betoniert wurde ausnahmslos vor Ort – mit lokalen Handwerksbetrieben, die hierfür Holzgerüste und 10 cm breite, gebrauchte Holz-Schalbretter verwendeten. „Eines der wichtigsten Ziele dieses Projekts bestand darin, die lokalen handwerklichen Fähigkeiten und Bautechniken zu nutzen, anstatt auf Industrieprodukte zu setzen“, sagt Laza. „Unregelmäßige Fugen und imperfekte Oberflächen mit einem lebhaften Wechsel aus helleren und dunkleren sowie eher grauen beziehungsweise sandfarbenen Farbfeldern waren ausdrücklich erwünscht.“ Wie die kerngedämmten Außenwände sind auch die Dachflächen zweischalig ausgeführt. Über der rund 20 cm starken, inneren Sichtbetonschale ordneten die Architekten zunächst eine Dampfsperre und eine druckfeste Mineralwolle-Wärmedämmung an, auf der eine Dichtungsbahn und schließlich die äußere Betonschicht aufgebracht wurde.

Um die Dachfläche mit der für die Wände typischen Oberflächenstruktur zu versehen, drückten die Handwerker die Holz-Schalbretter von oben in den noch feuchten Beton. Auf jegliche Blechverwahrungen wurde verzichtet, so dass der monolithische Charakter des Hauses vollkommen unbeeinträchtigt bleibt.

Sämtliche Innenräume – vom offenen Wohn-Koch-Essbereich über die drei Schlafräume bis hin zu den Bädern – sind ebenfalls fast vollständig von Sichtbeton mit Brettschalung geprägt. Das lässt die Räume kühl wirken, und im Sommer sind sie es dank der zweischaligen Konstruktion in der Tat. Für die zusätzliche Kühlung konzipierten die Architekten ein natürliches Lüftungssystem. Dabei gelangt zunächst warme Außenluft in eine 2 m tief verlegte gusseiserne Erdröhre und strömt dann über Auslässe im geschliffenen Betonfußboden in die Wohnräume. Die erwärmte Luft wird durch die Nassräume wiederum nach außen geführt.

Die Folge: Es entsteht eine natürliche Luftzirkulation. Den geringen Heizbedarf im Winter deckt ein offener Kamin sowie eine Fußbodenheizung. Heizwärme und Warmwasser stammen von einer Solarthermieanlage, die zusammen mit einem Speicher in einem der umfassten Außenbereiche untergebracht ist.

Puristisches Interior

Gemäß den Vorstellungen des Bauherrn nach einem energieautarken Haus verfügt das Gebäude außerdem über eine neben den Bauten installierte Photovoltaik-Freiflächenanlage. Passend zum archaischen, erdfarbenen Purismus der Gebäudehülle erwecken auch die wenigen in den Innenräumen eingesetzten Materialien den Eindruck, das ganze Haus sei aus einem Guss.

Sämtliche Zimmertüren und maßkonfektionierten Einbaumöbel bestehen aus unbehandeltem Eichenholz. Hinzu kommt römischer Travertin, der sich im Tresen des freistehenden Kochblocks, im Esstisch und in der Sofaecke ebenso findet wie in den Waschbecken, Regalböden und der Wandbekleidung der Duschen.

Große, schwellenlose Glas-Schiebetüren in allen Räumen ermöglichen fließende Übergänge zwischen innen und außen. Die Fensteröffnungen lassen sich mit Metall-Schiebeelementen schließen, die mit ihrem eleganten Maschrabiyya-Muster grazile Schatten auf Böden und Wände werfen und gleichermaßen als Lichtfilter und Einbruchsicherung dienen.

Die Öffnungen an den Gebäudestirnseiten verfügen außerdem über Holz-Schiebeelemente. Diese setzen sich aus jenen Brettern zusammen, die schon auf der Baustelle verwendet wurden und sind deshalb auf den ersten Blick kaum von den Sichtbetonoberflächen zu unterscheiden.

Das kleine Atelierhaus basiert auf den gleichen Gestaltungsprinzipien wie das Haupthaus. Es beherbergt ein Studio, eine Küche und ein Bad sowie einige technische Einrichtungen, für die im Haupthaus kein Platz war. Während das Atelierhaus nur vom Bauherrn genutzt wird, kann das nicht dauerhaft bewohnte Haupthaus über einschlägige Internetplattformen von Urlaubsreisenden gemietet werden. Auf diese Weise eröffnet sich für alle die Gelegenheit, nicht nur die außergewöhnliche Casa Bendico, sondern auch den grandiosen Ausblick über das Val di Noto und das Mittelmeer hautnah zu erleben.

db, Do., 2025.07.17



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db 2025|07-08 Material wirkt

28. März 2025Roland Pawlitschko
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Regenbrücke in Roding

Die neue 130 m lange Fuß- und Radwegbrücke im Oberpfälzer Roding erscheint als filigranes integrales Bauwerk. Nicht weniger interessant ist der Planungs- und Bauprozess, bei dem das Architekturteam von DKFS, Mayr Ludescher Partner und Lex_Kerfers Landschaftsarchitekten ein offenes Miteinander zelebrierten.

Die neue 130 m lange Fuß- und Radwegbrücke im Oberpfälzer Roding erscheint als filigranes integrales Bauwerk. Nicht weniger interessant ist der Planungs- und Bauprozess, bei dem das Architekturteam von DKFS, Mayr Ludescher Partner und Lex_Kerfers Landschaftsarchitekten ein offenes Miteinander zelebrierten.

Der Regen ist ein gut 190 km langer Fluss, der weite Teile des Bayerischen Walds durchquert und in Regensburg in die Donau mündet. Im bergigen Oberlauf noch leichter Wildfluss, erscheint er weiter flussabwärts als gemächlich durch herrliche Naturlandschaften mäandrierendes Fließgewässer, das sich insbesondere unter Bootswandernden großer Beliebtheit erfreut. Immer wieder gehen vom Regen jedoch großflächige Überschwemmungen aus, von denen auch die Oberpfälzer Kleinstadt Roding betroffen ist. Um sowohl den Hochwasserschutz für den Ortsteil Mitterdorf als auch dessen Anbindung an die Altstadt mithilfe einer neuen Fuß- und Radwegeverbindung zu verbessern, initiierte die Stadt den Wettbewerb »Regenpromenade und -brücke Mitterdorf«. Mit dem Ziel, eine »harmonische und anspruchsvoll gestaltete« Lösung zu erreichen, richtete sich die Auslobung ausschließlich an interdisziplinäre Teams aus Architektur-, Tragwerks- und Landschaftsplanenden.

Das Siegerteam aus DKFS, Mayr Ludescher Partner und Lex_Kerfers Landschaftsarchitekten war nach einigen gemeinsam durchgeführten Wettbewerben und Projekten bereits gut eingespielt. Und so wartete es mit einem integralen, ganzheitlich durchdachten Entwurf auf, der bislang allerdings nur teilweise realisiert ist. Denn der ursprünglich geplante Hochwasserschutz entlang des rechten Regenufers, über den die Fuß- und Radwegeverbindung eigentlich hinwegführen sollte, verzögert sich u. a. aus Kostengründen auf unbestimmte Zeit.

Integraler Ansatz

Schon beim ersten Vor-Ort-Termin in der Wettbewerbsphase entwickelten Architekt Dirk Krolikowski und Tragwerksplaner Hubert Busler die Vorstellung einer Brücke, die als selbstverständliche Verlängerung der vorhandenen Wege sensibel in die bisweilen überflutete Auenlandschaft eingebettet ist. »Ein oben liegendes Tragwerk, z. B. mit Bögen oder Pylonen, hatten wir nie ernsthaft in Betracht gezogen, weil es sich aus unserer Sicht unangemessen in den Vordergrund gespielt hätte«, sagt Busler. Über einen weiteren Punkt waren sie sich ebenfalls schnell einig: Entstehen sollte eine materialsparende integrale Stahl-Rahmenbrücke, also ein Bauwerk gleichsam aus einem Guss – ohne Lager und Dehnfugen. Dies bedeutete zum einen den Wegfall wartungsintensiver Bauteile. Andererseits ermöglichte es die Realisierung eines gestalterisch reduzierten monolithischen Baukörpers. »Wir wollten keine Maschinenoptik schaffen, sondern ein feingliedriges Bauwerk, das als Teil der Auenlandschaft erscheint und bei dem Tragwerk und Architektur eins sind«, erläutert Krolikowski. Diesen Gedanken widerspiegelt auch der eingesetzte Cortenstahl. Die erdfarbene Oxidschicht harmoniert nicht nur wunderbar mit dem natürlichen Umfeld. Sie dient vielmehr zugleich als Witterungsschutz. Dies vermeidet sowohl Kosten für Korrosionsschutzbehandlungen als auch für potenzielle Umweltbelastungen durch deren zukünftig unerlässliche Wartung und Erneuerung.

DKFS und Mayr Ludescher Partner entwarfen gemeinsam eine in Brückenmitte um rund 140° abknickende Brücke in Form eines luftdicht verschweißten (und somit auch von innen korrosionsgeschützten) gevouteten Stahl-Hohlkastens. Dieser überspannt den Regen mit einer Hauptstützweite von 56 m, während der östliche Teil in der Auenlandschaft als Rampe mit Stützweiten von 21 bzw. 27 m konzipiert ist. Um die im Feld über dem Fluss lediglich 55 cm schlanke Seitenansicht des Überbaus zu erreichen, wurde der im Querschnitt dreiecksförmige Überbau am westlichen Widerlager und am mittigen Pfeiler mittels Stahllamellen biegesteif angeschlossen. Widerlager, Pfeiler und Gründungsbauteile bestehen aus anthrazitfarben eingefärbtem Ortbeton.

Insgesamt besteht der Stahl-Hohlkasten aus sechs Bauteilen, die von einer Stahlbaufirma im nur 20 km entfernten Cham hergestellt, mit Tiefladern auf die Baustelle gebracht, mit einem Autokran eingehoben und verschweißt wurden. Der kurze Transportweg erwies sich in Bezug auf Kosten- und Nachhaltigkeitsaspekte als vorteilhaft. Für die Bauausführung war er jedoch essenziell. Schließlich maß das größte Bauteil 25 m Länge und 8,5 m Breite und wog stattliche 68 t. Wesentlich größere Distanzen wären unwillkürlich mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden gewesen.

Bewehrte Erde

Der höchste Punkt der Brücke befindet sich am westlichen Ufer, wo sie an den als Schutzmauer geplanten Hochwasserschutz anschließt – die Hauptspannweite über dem Fluss liegt 15 % über der HQ100-Marke. Da nicht ausgeschlossen ist, dass diese Mauer eines Tages ergänzt wird, realisierte das Planungsteam die in den Ortsteil Mitterdorf führende, rund 3,5 m hohe Rampe aus geokunststoffbewehrter Erde – eine ebenso kostengünstige wie nachhaltige Lösung. »Der durch lagenweise angeordnete Geotextilien versteifte und dadurch entsprechend tragfähige Erdkörper lässt sich nicht nur innerhalb weniger Tage herstellen und leicht begrünen. Er kann auch vollständig recycelt und das Erdmaterial wiederverwendet werden«, sagt Hubert Busler. Eine Dammschüttung anstelle des aufgeständerten Brückenbauwerks kam auf der östlichen Flussseite nicht infrage, weil es möglich sein musste, dass sich der Regen bei Hochwasser ungehindert in die Auenlandschaft ausdehnt. Hinzu kommt, dass ein Damm hier zu einer unbedingt zu vermeidenden Erhöhung der Wasserfließgeschwindigkeit geführt hätte. Die schlanken Stützen und die strömungsgerechte Form des Hohlkastens, der im Rampenbereich in die HQ-Höhen eintaucht, sind Ausdruck eines klaren Gestaltungswillens und erlauben zudem ein störungsfreies Abfließen des Wassers im Hochwasserfall.

Die an der Innenseite der Biegung in Brückenmitte gemäß dem Kräfteverlauf organisch geformte Voute war statisch notwendig. Zugleich lässt sie einen Ort entstehen, der dank einer hölzernen Sitzbank zum Verweilen einlädt. Dass dies nicht zuletzt auch für die Abendstunden gilt, liegt an den durchlaufenden, dimmbaren LED-Leisten, die kaum sichtbar in die Handläufe links und rechts der Fahrbahn integriert sind. Dank eines Abstrahlwinkels von 20° aus der Vertikalen erzeugen sie einen angenehm blendfreien Lichtteppich auf dem hellgrauen, nur 6 mm dünnen reaktionsharzgebundenen Fahrbahnbelag. Auf diese Weise werden Fußgänger:innen und Radfahrende nicht geblendet, und auch für Insekten und andere Tiere bleiben die Beeinträchtigungen gering. Das leichte Erscheinungsbild der Brücke wird darüber hinaus von einem filigranen Stabgeländer unterstrichen, das wegen des Radverkehrs konstant auf 1,30 m Höhe durchläuft.

Gemeinschaftlich geplant

Was dieses Projekt besonders macht, ist nicht allein die bemerkenswerte Symbiose aus Architektur und Tragwerk, die in einer unerhört filigranen Fuß- und Radwegebrücke resultiert. Außergewöhnlich ist vielmehr auch das völlig unvoreingenommene, uneitle Miteinander während des parametrischen Entwurfs- und Ausführungsprozesses. »Alle Planungsbeteiligten, und das gilt ausdrücklich auch für die ausführende Stahlbaufirma, sind sich zu jedem Zeitpunkt auf Augenhöhe begegnet. Auf diese Weise fand das Projekt gleichsam in der Schnittmenge unserer jeweiligen Fähigkeiten statt, und das betrachte ich definitiv als Zukunftsmodell«, erläutert Dirk Krolikowski, dessen gemeinsam mit Falko Schmitt gegründetes Planungsbüro sich v. a. auf Infrastrukturbauten spezialisiert hat. Letztlich ist die Brückenkonstruktion ebenso integral wie der Planungsprozess – beste Voraussetzungen also für ein ganzheitlich durchdachtes, langlebiges, ästhetisches und dadurch nachhaltiges Bauwerk.

db, Fr., 2025.03.28



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db 2025|04 Ingenieurbaukunst

03. Januar 2025Roland Pawlitschko
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U-Halle in Mannheim

Wenn einfache Lagerhallen wie diese in Mannheim aus der Nutzung fallen, werden sie meist abgebrochen. Die mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2024 ausgezeichnete U-Halle zeigt, welches Potenzial selbst in solchen Gebäuden schlummert – nicht nur mit Blick auf das zirkuläre Bauen, sondern auch ästhetisch.

Wenn einfache Lagerhallen wie diese in Mannheim aus der Nutzung fallen, werden sie meist abgebrochen. Die mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2024 ausgezeichnete U-Halle zeigt, welches Potenzial selbst in solchen Gebäuden schlummert – nicht nur mit Blick auf das zirkuläre Bauen, sondern auch ästhetisch.

Seit gut 90 Jahren ist auf dem 79 ha großen Gelände 4 km östlich der Mannheimer Innenstadt nichts so stetig wie der Wandel. Ende der 1930er-Jahre errichtete die Wehrmacht eine Kaserne mit Lagergebäuden. In der Nachkriegszeit übernahmen US-Streitkräfte das Areal, um hier ein Distributionszentrum für Kleidung, Waffen und Fahrzeuge einzurichten. Dabei wurde ein bestehendes Lagergebäude aus vier direkt angrenzenden Hallen so erweitert, dass ein 350 m langes Gebäude in U-Form entstand, das einen zentralen Verladehof mit Gleisanschluss umschließt. Nachdem die Spinelli Barracks 2014 an den Bund zurückgingen, dienten die Kasernenbauten einige Jahre als Notunterkunft für Geflüchtete. 2023 war das Gelände schließlich Austragungsort der Bundesgartenschau (BUGA), in deren Fokus die vier Leitthemen Klima, Energie, Umwelt und Nahrungssicherung standen.

Um Neubauten für die BUGA-Ausstellung zu vermeiden, aber auch, um Impulse für ein zeitgemäßes Nutzungskonzept der nun mitten im Park liegenden U-Halle zu erhalten, lobte die Stadt als Eigentümerin einen Realisierungswettbewerb aus. Im ehemaligen Lagergebäude waren zunächst temporäre Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Gastronomieflächen sowie Blumenhallen und ein Rundfunkstudio unterzubringen. Nach der BUGA sollte es in der Lage sein, noch nicht näher definierte Kultur- und Freizeitnutzungen zu beherbergen.

Subtraktives Entwurfskonzept

Das mit dem 1. Platz ausgezeichnete Siegerprojekt des Berliner Architekturbüros Hütten & Paläste knüpft an den Wandel und die Transformationen an, die für dieses Gelände, aber auch für die U-Halle charakteristisch sind. Vor allem jedoch ist es ein bemerkenswertes Beispiel für die vielfältigen Möglichkeiten, die das zirkuläre Bauen selbst unspektakulären und im Lauf der Jahre »verbastelten« Bestandsgebäuden eröffnet.

Im Mittelpunkt des Entwurfs steht die Wieder- und Weiterverwendung der baulichen Strukturen. Die Berliner Architekt:innen planten kein fertiges Gebäude, sondern entwickelten einen auf zukünftige Szenarien ausgerichteten Umbauprozess. Bauliche Maßnahmen und Nutzungen wurden dabei nicht additiv zu einem großen Ganzen zusammengefügt. Hütten & Paläste kuratierte vielmehr den teilweisen Rückbau der aus insgesamt 16 Einzelhallen bestehenden U-Halle. Mit anderen Worten: Sie extrahierten das »neue« Gebäude subtraktiv aus dem bestehenden Baukörper. Da in den rückgebauten Bereichen lediglich die Tragstruktur erhalten blieb, entstanden spannungsreiche Abfolgen von Innen- und Außenräumen, die von den BUGA-Besucher:innen als Parcours durchschritten und erlebt werden konnten. Durch die freigelegten Tragwerke und das Bepflanzen der punktuell geöffneten Bodenplatten schufen die Architekt:innen eine kreative Markthallenatmosphäre, die den einst drögen Lagerhallen eine neue Identität und einen menschlichen Maßstab verleiht. Diese Reduzierung der Baumasse war nicht nur dramaturgisches Mittel. Sie entsprach auch der Forderung der Ausloberin nach einer verbesserten Winddurchlässigkeit des Geländes, die im Sommer einer Überhitzung der Innenstadt entgegenwirken soll.

Zirkuläre Strategien

Wesentlich für das Entwurfskonzept war die Wiederverwendung vorhandener Bauteile. Diese stammten z. T. aus der näheren Umgebung – für die Fassaden kamen etwa Polycarbonatplatten aus dem kürzlich renovierten Pflanzenschauhaus im Mannheimer Luisenpark zum Einsatz – oder aus der U-Halle selbst. Ein konkretes Beispiel für Letzteres ist die alte, aber noch intakte Blech-Dachdeckung. Während sie in den erhaltenen Einzelhallen unangetastet blieb, wurde sie in den rückgebauten Bereichen sorgfältig demontiert, neu zugeschnitten und als vertikale Fassade der nun freigelegten Brandwände eingesetzt. Ansonsten wurde wo immer möglich repariert, anstatt Bauteile auszutauschen.

Wo Erneuerungen unumgänglich waren, wie etwa bei der Ergänzung um Fluchttüren, wurden diese reversibel mit lösbaren Steckverbindungen montiert. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieses Vorgehen bei den temporären Fassaden, die während der BUGA als neuer Raumabschluss der durch den Rückbau einzelner Hallen offenen Stirnseiten dienten. Sie bestehen entweder aus modularen Holzrahmenbauwänden oder aus Mischkonstruktionen aus gemieteten Baugerüsten, die eine mit Klemmleisten befestigte Holzunterkonstruktion mit Polycarbonatplatten trugen. Durch die Seitenwände zu den neuen Höfen gelang es den Architekt:innen, großflächig Tageslicht in die bislang nur durch Oberlichtbänder belichteten Hallen zu bringen. Zudem entstanden vielfältige Sichtbeziehungen zum Freiraum. Teile dieser Konstruktion sind heute am KIT in Karlsruhe im Einsatz.

Experimentelle Erkundung des Bestands

Was die Umsetzung dieses Konzepts erschwerte, war der Umstand, dass die durchgängig 27 m breite U-Halle keineswegs über ein einheitliches Tragwerk verfügt, sondern seit den 1930er-Jahren verschiedene Bauweisen zur Ausführung kamen. Die vier ältesten Hallen wurden als Stahlbetonrahmen errichtet und von den amerikanischen Streitkräften seitlich um Stahlskelettbauten erweitert. Bei den jüngeren zwölf Hallen kamen robuste, aber uneinheitliche Stahlfachwerkbinder und Stützen zum Einsatz, deren bauzeitliche Verzinkung einen ausreichenden Korrosionsschutz bot. Ebenfalls unterschiedlich ist die Ausführung der Außenwände und der Brandwände zwischen den Einzelhallen teils als Betonskelettkonstruktionen mit Mauerwerksausfachungen, teils als massive Mauerwerkswände. Der heterogene Bestand eröffnete aber auch Gestaltungsspielräume: So ließen sich die Wände gemäß der jeweiligen Nutzungen ganz unterschiedlich gestalten, z. B. mit den zuvor demontierten Glasbausteinen, Profilgläsern oder Dachpaneelen.

Nicht zuletzt, weil keinerlei Planmaterial zum Baubestand vorlag, experimentierten die Architekt:innen zunächst in einen kleinen Hallenabschnitt. Hier erprobten und optimierten sie ihr Rückbaukonzept. Zudem gewannen sie wichtige Erkenntnisse zum Aufbau von Tragwerk, Wand und Dach sowie zu den Materialeigenschaften und eventuell enthaltenen Schadstoffen. Hierbei entwickelte Strategien wurden anschließend auf die Gesamtmaßnahme übertragen. Eine Herausforderung ergab sich etwa aus der Tatsache, dass die nach Entfernen der Dächer und Fassaden der Witterung ausgesetzten Böden kein Gefälle aufwiesen, sodass sich Regenwasser in großen Pfützen sammelte. Auf Grundlage eines »Pfützenmappings« öffneten die Architekt:innen dann jeweils genau dort die Bodenplatte, um große Pflanzflächen zu schaffen, in die das Regenwasser nun versickern kann. Der entfernte Beton wurde geschreddert oder zurechtgeschnitten und für Ausstellungsbeiträge während der BUGA verwendet.

Flexibilität für zukünftige Nutzungen

Durch die BUGA-Nutzung ausschließlich während der Sommermonate sind die Hallenbereiche mit Ausnahme der noch immer betriebenen Gastronomiebereiche bis heute unbeheizt. Mit Blick auf spätere Nutzungsphasen erhielt die U-Halle jedoch einen Fernwärmeanschluss sowie eine 6 400 m² große PV-Anlage auf dem Dach, deren Leistung rund 1 MW beträgt. Die Strom-, Wasser- und Medienversorgung erfolgt über eine zentrale, leicht von allen Hallenbereichen erreichbare Leitungsachse.

Der von der städtischen MWS Projektentwicklungsgesellschaft (MWSP) aktuell durchgeführte weitere Rückbau des Gebäudes basiert auf den von Hütten & Paläste gesammelten Erkenntnissen. Da einige Mitarbeitende, die das Projekt auftraggeberseitig während der BUGA geleitet haben, zur MWSP gewechselt sind, ist zu erwarten, dass sich die U-Halle im Sinne des zirkulären Umbau- und Organisationsprinzips weiterentwickelt. Noch ohne konkrete neue Nutzungen sollen drei weitere Hallen rückgebaut werden, u. a., um das Windströmungsprofil auf dem Gelände zu optimieren und die bebaute Fläche zusätzlich zu entsiegeln. Dies wird nichts daran ändern, dass die U-Halle als multifunktionales, nachhaltiges und partizipativ veränderbares Gebäude weiterhin die Identität seines Umfelds prägt. Und theoretisch könnten die freigelegten Tragwerke auch wieder zu geschlossenen Bauvolumen ausgebaut werden.

db, Fr., 2025.01.03



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db 2025|01-02 Anders Bauen

03. Juni 2024Roland Pawlitschko
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Forsthaus »Maison de la Forêt« in Carcassonne

Das kleine Bürogebäude der Holzgenossenschaft Cosylva besteht aus gänzlich unbehandeltem Vollholz. Der Einsatz natürlicher Materialien war für die Architektin Pauline Chauvet und Archiekt Emanuele Moro aus Carcassonne ebenso selbstverständlich wie das Entwickeln sinnlicher, präzise durchkomponierter Details.

Das kleine Bürogebäude der Holzgenossenschaft Cosylva besteht aus gänzlich unbehandeltem Vollholz. Der Einsatz natürlicher Materialien war für die Architektin Pauline Chauvet und Archiekt Emanuele Moro aus Carcassonne ebenso selbstverständlich wie das Entwickeln sinnlicher, präzise durchkomponierter Details.

Um es gleich vorwegzunehmen: La Maison de la Forêt – das Haus des Waldes – liegt nicht im Wald, sondern am Rand eines ausufernden Gewerbegebiets mit Lagerhallen, Autowerkstätten, einem Shoppingcenter und Schnellrestaurants. Dennoch haben die Forsttechniker der kleinen Holzgenossenschaft Cosylva beim Blick aus den großen Fenstern ihrer neuen Büros das Gefühl, auf eine idyllische Waldlichtung zu schauen. Dieser Kunstgriff gelang dem Architekturbüro, indem es den Gebäudewinkel so auf dem Grundstück platzierte, dass er das Gewerbegebiet auf subtile Weise ausblendet. Charakteristisch für den Entwurf ist auch die ästhetische Inszenierung von Holz als natürlicher, sinnlicher Baustoff – vollkommen ohne Leim, Lasuren und industrielle Beschichtungen.

Lange bevor er sich auf die Suche nach einem geeigneten Standort machte, war für Philippe Gamet, Geschäftsführer von Cosylva und Bauherr, klar, dass das Haus des Waldes ein Holzhaus sein würde. Schließlich zählt die Waldbewirtschaftung in den Privatwäldern der südfranzösischen Departements Aude, Tarn, Hérault, Ariège und Pyrénées-Orientales zu den Hauptaufgaben der Genossenschaft. Sie berät Waldbesitzer:innen, plant und realisiert gemeinsam mit ihnen Waldarbeiten und Holzfällungen und vermarktet das geschlagene Holz.

Ausschlaggebend für die Wahl dieses Standorts am westlichen Stadtrand von Carcassonne waren der waldartige Baumbestand im Südteil des Grundstücks, dem im Norden eine einst als Autowaschplatz genutzte Brachfläche gegenüberstand. Dafür sprach aber auch, dass er sich unweit der Wohnorte der Mitarbeiter:innen und zugleich in der Nähe der Wälder befindet, die sie betreuen. Nicht zuletzt, weil die Genossenschaft hier immer wieder Mitglieder und Gäste empfangen würde, die es von der ganzheitlichen Qualität ihrer Arbeit zu überzeugen gilt, wollte Gamet mit dem Neubau beispielhaft gleichsam die Essenz des Baustoffs Holz präsentieren. Aus diesem Grund initiierte er 2019 einen geladenen Wettbewerb für Teams aus Architekt:innen und Zimmerer:innen aus der Region. Das Raumprogramm umfasste neben sieben Einzelbüros auch einen großzügigen Empfangsbereich, Sanitärräume mit Dusche sowie einen Besprechungsraum.

Spektakulär unprätentiös

Der Wettbewerbsbeitrag von PAUEM Atelier vereint die Bedürfnisse der Genossenschaft und die Eigenheiten des Grundstücks zu einer architektonischen Symbiose. Resultat ist ein eingeschossiger Gebäudewinkel mit gleich langen Seitenflügeln und einem Eingang an der Außenecke. Diesen Winkel platzierten die Architekten – ohne einen Baum fällen zu müssen – so auf dem dreieckigen Grundstück, dass sowohl ein großzügiger Vorplatz mit gedeckten Parkplätzen als auch ein abgeschirmter Hof entstanden.

Nord- und Ostfassaden verfügen über hoch liegende Bandfenster, die keine Einblicke gewähren. Dass die Fassaden dennoch nicht abweisend wirken, ist den feinen vertikalen Zinkblechstreifen zu verdanken, deren unterschiedlich breite Felder eine dezente Eleganz ausstrahlen und zugleich Hinweise auf die schottenartige Tragwerksstruktur geben. Die eher hermetische Blechfassade harmoniert dabei gut mit den umliegenden Gewerbebauten, sodass das Holzhaus bei Ankunft auf dem Gelände zunächst nicht kunstvoll elaboriert erscheint, obwohl es das in Wirklichkeit ist, sondern angenehm unprätentiös und selbstverständlich in sein Umfeld eingebettet.

Nach Passieren des gedeckten Eingangsbereichs eröffnet sich ankommenden Gästen ein faszinierendes Schauspiel. Sie verlassen die sich noch eben in der Glastür spiegelnde Wüste belangloser Lager- und Verkaufsbauten und betreten eine liebevoll in warmem Holz gestaltete Welt. Der erste Eindruck: Das unwillkürlich als behaglich empfundene Gebäudeinnere verfügt über wesentlich mehr Tageslicht als gedacht. Ursache hierfür sind die hoch liegenden Fenster in den Außenwänden der beiden Erschließungsflure entlang der Blechfassade sowie die großflächige Verglasung sämtlicher Innenräume in Richtung des Hofs. Hinzu kommt eine herrlich klare Grundrissgestaltung, durch die sich unmittelbar die Grundriss- und Tragwerksstruktur erschließen. Sofort ablesbar sind beispielsweise die 2,45 m breiten Raumachsen – alle 4,90 m sind abwechselnd die in den Flur ragenden Untergurte der Dach-Fachwerkträger bzw. die Stirnseiten von Sichtbetonwänden zu erkennen, die gemeinsam das zum Hof abfallende Pultdach tragen. Die Betonwände dienen als Aussteifungselemente und Speichermasse und verbessern den Schallschutz zwischen den Büros. Gleichzeitig stehen sie im angenehmen Kontrast zu den allgegenwärtigen Holzoberflächen.

Nachhaltig und beispielhaft bis ins Detail

Teil des Qualitäts- und Nachhaltigkeitsanspruchs, den PAUEM Atelier und Bauherr gleichermaßen verfolgen, sind der ausschließliche Einsatz von unverleimtem, auch im Außenbereich gänzlich unbehandeltem Vollholz und die mit minutiöser Präzision durchkomponierten und umgesetzten Details. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Holzstütze am Eingang, die in einer dreidimensionalen Verschränkung mit dem Sichtbetonfuß zu verschmelzen scheint. Um dieses skulpturale Detail realisieren zu können, entwickelten und bauten Pauline Chauvet und Emanuele Moro einen Schalungskörper aus Holz, der das exakte Gegenstück zur Holzstütze bilden musste. Die kraftschlüssige Verbindung dieser Materialien erwies sich als echte Herausforderung, da sie sich aufgrund völlig unterschiedlicher Toleranzbereiche (Millimeter versus Zentimeter) üblicherweise kaum je so eng aneinanderschmiegen wie hier. Minimale Toleranzen gab es auch bei den in den Gebäudeachsen direkt auf den Sichtbetonwänden aufliegenden Holzbalken, was – weil die Architekt:innen generell auf kaschierende Deckleisten verzichteten – eine extrem hohe Präzision beim Gießen der geneigten Ortbetonkanten erforderte.

Konstruktive Bauteile bestehen im ganzen Gebäude grundsätzlich aus Douglasie – jenem hochtragfähigen Holz aus den Wäldern rund um Carcassonne, für dessen Pflanzung sich Cosylva bei den Waldbauern besonders stark macht. Sämtliche Bauteilverbindungen sind zimmermannsmäßig und stets mit minimalem Schraubenanteil ausgeführt. Douglasienholz findet sich z. B. in den Dach-Fachwerkträgern, in der Holzständerkonstruktion der gipskartonbekleideten Bürotrennwände oder in den als Rahmenkonstruktion vorgefertigten Außenwand- oder Dachelementen. Erforderliche Aussteifungen erfolgen dabei nicht etwa mit industriellen OSB-Platten, sondern mittels diagonal aufgebrachter Bretterschalungen.

Natürliche Materialien waren für die Architekt:innen auch bei der Wärmedämmung des Bereichs unter der Betonbodenplatte selbstverständlich. Hier setzten sie auf Platten aus portugiesischer Korkeiche – ein Material, das zwar über ideale Druck- und Wasserfestigkeitseigenschaften, nicht aber über eine französische Zulassung für diesen Anwendungsfall verfügt. Überzeugt von der dauerhaften Materialperformance von Kork übernahmen die Architekt:innen kurzerhand selbst die Verantwortung. Als Dachdämmung wählten sie Holzwolle.

Verschiedene Holzarten als Einheit

Neben dem Konstruktionsholz aus Douglasie kamen gemäß ihrer spezifischen Eigenschaften noch einige weitere Holzarten zum Einsatz. Der Parkettboden beispielsweise wurde ebenso wie die sämtlich von PAUEM Atelier entworfenen Einbaumöbel und Tische in Eichenholz ausgeführt. Und die Fensterrahmen und Wandbekleidungen der Innenräume sowie die Fassade und der Boden der gedeckten Veranda bestehen aus verschiedenen Arten von Lärchenholz. Die dabei entstehende Variationsbreite zeigt Gästen und Genossenschaftsmitgliedern beispielhaft die vielfältigen Farbtöne, Oberflächen und Verwendungsmöglichkeiten der einzelnen Holzarten. Die Veranda dient zugleich als Musterbeispiel für den konstruktiven Sonnen- und Holzschutz.

Die Einzigartigkeit dieses Projekts liegt nicht zuletzt in der kongenialen Zusammenarbeit zwischen den Architekt:innen und Philippe Gamet, dem Planungsprozesse so vertraut sind wie die heimischen Wälder und der Baustoff Holz. Cosylva bezog daher das meiste Bauholz direkt aus den von seinen Mitgliedern bewirtschafteten Forsten, während die Weiterverarbeitung in Partnerbetrieben erfolgte, sodass die Transportwege des Holzes meist weniger als 30 km betrugen. Hinzu kommt jene Poesie der Präzision, mit der sich Pauline Chauvet und Emanuele Moro jeder noch so kleinen Einzelheit des Hauses widmeten. Beispielsweise bauten sie 1:1-Modelle der geschwungenen Büroschreibtische in den Rohbau ein, um deren ergonomische Eignung für die nur 9 m² großen Büros zu testen. Eine solche Sorgfalt, die weniger Pedanterie als vielmehr Ausdruck einer Liebe zur Architektur ist, zeigt sich auch in dem aus den Anfangsbuchstaben der Architektenvornamen zusammengesetzten Büronamen PAUEM, der im Französischen wie »poème« – Gedicht – ausgesprochen wird. Welch eine Poesie.

db, Mo., 2024.06.03



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db 2024|06 Südfrankreich

08. Januar 2024Roland Pawlitschko
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Zentrum für Kunstproduktion »Powerhouse Arts« in New York City

Durch die Sanierung und Erweiterung eines ehemaligen Kohlekraftwerks entstand ein 15 800 m² großes multidisziplinäres Zentrum für die Kunstproduktion. Alt und neu bilden ein kraftvolles, konsistentes Bauensemble, das sich uneitel und unprätentiös in den Dienst der Kunst stellt.

Durch die Sanierung und Erweiterung eines ehemaligen Kohlekraftwerks entstand ein 15 800 m² großes multidisziplinäres Zentrum für die Kunstproduktion. Alt und neu bilden ein kraftvolles, konsistentes Bauensemble, das sich uneitel und unprätentiös in den Dienst der Kunst stellt.

Der Gowanus-Kanal ist ein verzweigter Seitenarm der Upper Bay, angelegt Mitte des 19. Jahrhunderts, um ein Industrieareal im Stadtteil Gowanus in Brooklyn an das Wasserstraßennetz New Yorks anzubinden. Inzwischen sind die meisten Betriebsgebäude abgebrochen und die giftigen Altlasten aus dem Kanal entfernt, sodass die benachbarten Wohnviertel zusammenzuwachsen beginnen – erste Wohnhochhäuser sind bereits fertiggestellt. Einer der wenigen erhaltenen baulichen Zeugen der Industriegeschichte des Areals ist das 1904 fertiggestellte Kohlekraftwerk der Brooklyn Rapid Transit Company, das einst U-Bahnen mit Strom versorgte. Umstrukturierungen und modernere Energieerzeugungsmethoden führten in den 50er Jahren zum Abbruch des Kesselhauses und 1972 zum Betriebsschluss auch in der direkt angrenzenden Turbinenhalle. Letztere wurde anschließend von Hausbesetzern und der Graffitiszene eingenommen und war Veranstaltungsort für Underground-Raves.

Dieser Teil der Kraftwerksgeschichte endete 2015, als Joshua Rechnitz die Non-Profit-Organisation Powerhouse Arts gründete, die das Kraftwerk mit seiner tatkräftigen finanziellen Unterstützung kaufte, um hier ein multidisziplinäres Zentrum für die Kunstproduktion einzurichten. In den Produktionsanlagen und Werkstätten für Holz, Metall, Keramik, Textilien und Druckgrafik können Künstler und Kultureinrichtungen ihre Werke selbst herstellen oder produzieren lassen. Zudem stehen ihnen Ausstellungs- und Eventflächen zur Verfügung. Mit der Planung betraute die Organisation die Architekten des Büros Herzog & de Meuron, die die Turbinenhalle behutsam sanierten und um einen Neubau erweiterten.

Identitätsstiftende Landmarke

Eines der wichtigsten Ziele der Architekten war es, die alte Bausubstanz der Turbinenhalle und die Spuren ihrer wechselvollen Geschichte zu erhalten und nahtlos in den Kunstbetrieb des Powerhouse Arts zu integrieren. So blieb nicht nur das äußere Erscheinungsbild des als Stahlbau mit feingliedriger Ziegelfassade errichteten Gebäudes bestehen, sondern auch ein Großteil der in den letzten 50 Jahren darin entstandenen Graffiti. Als augenscheinlich neue Elemente sind heute von außen lediglich die bogenförmigen Fenster und der Haupteingang an der Ostseite auszumachen. Unverkennbar neu ist natürlich auch der auf den alten Fundamenten des Kesselhauses in Stahlbetonbauweise errichtete Kubus, dessen Grundfläche und Höhe ebenso mit dem Vorgängerbau übereinstimmen wie die Größe und Lage der Bogenfenster in der Ost- und Westfassade. Dass die Erweiterung nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als die Turbinenhalle, obwohl sie diese um einige Meter überragt, liegt an der schlichten, schmucklosen Gebäudehülle und am rötlich durchgefärbten Sichtbeton, der unverkennbar Bezug auf die Ziegel des Altbaus nimmt.

Der Haupteingang des Powerhouse Arts liegt – von der 3rd Avenue und mit mehreren U-Bahn-Linien leicht erreichbar – an der Ostseite der Turbinenhalle, während sich der Anlieferungshof an der Gebäuderückseite am Gowanus-Kanal befindet. Angesichts der Gebäudegröße wirkt der kaum 5 m breite und 3 m hohe Eingang auf den ersten Blick vergleichsweise bescheiden. Für die Dimensionen der neu in die Außenwand gebrochenen Öffnung gibt es jedoch gute Gründe: beispielsweise den Wunsch nach einem minimalinvasiven Eingriff, der es ermöglichte, so viel wie möglich von der historischen Bausubstanz zu erhalten. Eine Rolle spielten aber auch Nebenräume und Fluchttreppenhäuser, die die Architekten gebündelt im Bereich über und neben dem Eingang anordneten, um so die Kernfläche der Turbinenhalle frei gestalten zu können. Der wichtigste Grund resultiert jedoch aus der von Anfang an verfolgten Entwurfsidee, mit dem Eingang eine starke räumliche Sequenz aus komprimierten und dekomprimierten Räumen zu schaffen, sodass das Gebäudeinnere nach Passieren des Windfangs umso großzügiger erscheint.

Klare Strukturen

Haben Künstler:innen, Mitarbeiter:innen und Gäste das Eingangsfoyer erst einmal erreicht, finden sie sich in einem schmalen, hohen Raum, der mit Empfangstresen, Cafébereich und Sitzstufen die gesamte Breite der Turbinenhalle einnimmt und voller Geschichte(n) steckt. Sorgfältig restaurierte genietete Stahlstützen und -träger sowie behutsam gereinigte Betonbögen und Ziegelwände mit Graffiti zeugen von vergangenen Zeiten. Dagegen verweisen ein neuer Holzdielenboden, eine mächtige neue Sichtbetonwand und neue Stahltreppen zu den OGs auf die heutige Nutzung – beim Blick nach oben ist ein Teil der Stahl-Dachkonstruktion zu erkennen. Der zunächst nur gefühlte Eindruck eines extrem klar strukturierten Raums bestätigt sich bei der Lektüre der Grundrisspläne. Dabei wird beispielsweise klar, dass die Sichtbetonwand Teil eines zweigeschossigen Betonskelettkörpers ist, der – gleich einem Schiff in der Flasche – in die Turbinenhalle implantiert wurde. Im überhohen EG befinden sich Werkstätten für großmaßstäbliche, schwere Objekte insbesondere aus Metall, die über die Anlieferung leicht abtransportiert werden können. Im OG des Betonkörpers sind v. a. Büros und ein kleiner Vortragssaal untergebracht.

Die im Neubau in allen sieben Geschossen entlang der nördlichen Außenwand der Turbinenhalle angeordnete Nebenraumzone mit Aufzügen, Treppen und Sanitärräumen ermöglicht die flexible Nutzung der Werkstattbereiche für Holz, Keramik, Druckgrafik und Textilien sowie der zweigeschossigen Eventhalle. Ebenfalls in diesem Bereich untergebracht sind Lüftungsgeräte, die die Abluft der emissionsintensiven Nutzungen der obersten Geschosse (Druck und Keramik) auf kurzem Weg zu den Absauganlagen auf dem Dach befördern. Diese Anlagen befinden sich neben weiterer Gebäudetechnik in zwei langen rechteckigen Einhausungen, die an die Schornsteine des historischen Kesselhauses erinnern.

Die Gestaltung sowohl des Betonkörpers in der Turbinenhalle als auch des Erweiterungsbaus basiert auf derselben Architektursprache und denselben Materialien. Tragwerkselemente sind in Sichtbeton ausgeführt, für den weder Zeichnungen angefertigt noch besondere Anforderungen definiert wurden. Hinzu kommen gewöhnliche Betonsteine für Mauerwerkswände, Glas-Trennwände mit Rahmen aus verzinktem Stahl, graue Estrichböden und an Wänden und Decken stets sichtbar geführte Installationen. So entsteht eine unprätentiöse, robuste Werkstattatmosphäre, die dank des Verzichts auf exaltierte Sonderlösungen zugleich half, die Kosten im Zaum zu halten. Einziger, immer wiederkehrender Farbakzent ist der rote Farbton, der seit jeher zur Grundierung von Stahlbauteilen verwendet wird – auch die Stahlkonstruktion des alten Gebäudes war hiermit versehen. Heute erscheinen nicht nur diese, sondern auch sämtliche neuen Stahlbauteile, Fensterrahmen, Geländer, Leuchten, Technikelemente und die Fassade des Neubaus in dieser Farbe. Letztere besteht aus durchgefärbtem Beton, bei dem die Schalung mit einer speziellen Flüssigkeit behandelt wurde, die das Abbinden verzögert und es so nach dem Ausschalen möglich machte, die obere feine Zementschicht abzuwaschen. Resultat ist eine angeraute, vorgealterte Betonfassade, die perfekt mit der Ziegelfassade der Turbinenhalle harmoniert.

Lebendige Geschichte

Die Grand Hall im obersten Geschoss der Turbinenhalle dient als Ort für Ausstellungen, Aufführungen, Kunstinszenierungen, Kunstmessen und andere öffentliche Veranstaltungen und fasst bis zu 1 234 Besucher. Sie füllt den kompletten Raum über der in die Halle implantierten Betonskelettkonstruktion und lässt das eng verzahnte Miteinander von altem Kraftwerk und neuer Nutzung so intensiv wie nirgendwo sonst im Powerhouse Arts erleben. Die überwältigende Raumwirkung basiert auf der gleichermaßen wuchtigen wie filigranen historischen Stahl-Dachkonstruktion, die so gut in Schuss war, dass nichts komplett ersetzt werden musste, und die dank der Sprinkleranlage unbekleidet bleiben konnte. Eine Rolle spielen natürlich auch die vielen großflächig erhaltenen Graffiti, die nur dann in Mitleidenschaft gerieten, wenn neue Wanddurchbrüche für Installationen oder Türen unerlässlich waren. Herausgebrochene Ziegel wurden jedoch nicht entsorgt, sondern zum Aufmauern neuer Wände oder zum Ausbessern alter Wände verwendet. Da die farbigen Vorderseiten dann nicht immer perfekt zusammenpassten oder nur unvollständige Bilder zeigten, entstanden einige skurrile Graffiti-Puzzles. Diese zeugen – ebenso wie die sichtbaren Schnittflächen abgeschnittener Stahlträger – von einem gewissen Pragmatismus der Architekten sowie von ihrem Wunsch nach Authentizität. Mit beidem feiern sie die Geschichte des Orts und schaffen Bezüge zur Kreativität des hier stattfindenden handwerklich-künstlerischen Geschehens. Ging es früher um die Erzeugung von Energie für U-Bahnen, sprüht das Powerhouse Arts heute nur so vor kreativer Energie. Zugleich sorgt es aber auch für den Verbleib des verarbeitenden Gewerbes in diesem Viertel und wirkt so der in Brooklyn allgegenwärtigen Gentrifizierung entgegen.

db, Mo., 2024.01.08



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db 2024|01-02 Kulturbauten

06. Juli 2023Roland Pawlitschko
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Wahrhaftig nachhaltig

Das neue Besucherzentrum eines Herstellers für Bio-Lebensmittel von Haas Cook Zemmrich Studio 2050 ist sowohl Begegnungsort als auch Bildungsstätte. Vor allem aber bietet es vielschichtige Erlebnisräume in einer authentischen und nachhaltigen Materialwelt.

Das neue Besucherzentrum eines Herstellers für Bio-Lebensmittel von Haas Cook Zemmrich Studio 2050 ist sowohl Begegnungsort als auch Bildungsstätte. Vor allem aber bietet es vielschichtige Erlebnisräume in einer authentischen und nachhaltigen Materialwelt.

Wenn einer der Pioniere für Bio-Lebensmittel ein Besucherzentrum mit Museum, Supermarkt, Restaurant und Räumen für Events und Veranstaltungen eröffnet, dann wirft das Fragen auf. Noch dazu in einem ziemlich unscheinbaren Ort im Unterallgäu zwischen Memmingen und dem Bodensee. Wozu braucht »Rapunzel« so etwas überhaupt? Und wie lassen sich die ideellen und ökologischen Ansprüche in ein Gebäude übersetzen?

Angefangen hat alles im Jahr 1974 auf einem Bauernhof 50 km westlich von München. Ohne Businessplan, aber voller Ideen gründeten Jennifer Vermeulen und Joseph Wilhelm eine Landkommune. Ihre Motivation war allumfassend: Sie wollten die industrialisierte Ernährung hinter sich lassen und stattdessen einen Beitrag für eine gesündere Welt leisten.

Ideale statt Nabelschau

Ein Jahr später produzierten sie Müsli, Nussmuse und Fruchtschnitten und eröffneten in Augsburg den Naturkostladen »Rapunzel«. Den Namen entlehnten sie dem in Süddeutschland verbreiteten Wort für Feldsalat. Auf der Welle der gerade entstehenden Bio-Bewegung expandierte man so Schritt für Schritt zu einem Unternehmen mit heute 500 Mitarbeitern. Als Stammsitz und wichtigster Produktionsstandort dient seit 1985 ein ehemaliges Milchwerk in Legau.
Joseph Wilhelm, noch immer geschäftsleitend tätig, spricht davon, ein »Testimonial für einen anderen und mutigeren Lebensstil an den Schnittstellen zwischen ökologischem Landbau, gesunder Ernährung und sozialer Verantwortung zu schaffen«.

Dass es bei der »Rapunzel«-Welt um mehr als eine Nabelschau geht, zeigt die aktuelle Veranstaltungsvorschau. Neben Ayurveda-Kochkursen und Yoga stehen auch Kino, Lesungen und »Hippie-Partys« auf dem Programm. Von der Hauptstraße Legaus kommend, treffen die Besucher auf ein im Grundriss Y-förmiges Gebäude, das auf Anhieb eine angenehme Wärme ausstrahlt. Dieser Eindruck entsteht insbesondere durch das wellige, bis auf die im Erdgeschoss umlaufende Glasfassade heruntergezogene Dach. Hinzu kommt die Dachdeckung.

Authentische Materialien

Sie besteht aus 120 000 Schindeln, die dank der Vielzahl verschiedener Farbtöne von Ocker bis Rostbraun eine flirrende Kleinteiligkeit erzeugen. Dass es sich hierbei nicht um Holzschindeln, sondern um Biberschwanzziegel handelt, ist erst auf den zweiten Blick auszumachen. Diese Überraschung macht neugierig auf mehr. Über den zum Ort orientierten »Marktplatz« mit leise plätscherndem Brunnen gelangen die Gäste direkt in die zentrale zweigeschossige Eingangshalle. Hier herrscht geschäftiges Treiben. Denn die Halle ist im Erdgeschoss zugleich Restaurant mit rund hundert Sitzplätzen sowie Dreh- und Angelpunkt für die räumliche Verknüpfung aller Bereiche im Haus.

Vielfältige Sichtbezüge ins Freie und zu den durch Glaswände einsehbaren Erdgeschossnutzungen, vor allem für die Kaffeerösterei, die Bäckerei, sowie den Bio-Supermarkt sind wichtig für die behagliche Atmosphäre. Sie verschaffen den Gästen sofort einen guten Überblick und erleichtern die Orientierung. Entscheidend für die Raumwirkung ist aber der authentische Materialeinsatz.
Die Architekten des Stuttgarter Büros Haas Cook Zemmrich Studio 2050 verwenden sämtliche Oberflächen materialsichtig – verunklärende Anstriche oder undefinierbare Verbundwerkstoffe sind nicht auszumachen. Der Boden ist als geschliffener Terrazzoestrich mit grünen Andeer-Steinsplittern ausgeführt. Wände und Decken erscheinen in Sichtbeton. Die lange Ausgabetheke des Restaurants, die Brüstungen zur Galerieebene im 1. OG und die Untersicht der Dachschräge sind mit Eichenholz bekleidet.

Hinzu kommen von einem Allgäuer Möbelschreiner angefertigte Massivholz-Sitzbänke, -Stühle und -Tische. Letztere verfügen zum Teil – ebenso wie die Ausgabetheke – über Marmor-Tischplatten. Im Zusammenspiel ergibt sich ein wohltemperiertes Ensemble, das zugleich gemütlich und geradlinig-modern, unprätentiös und gewollt wirkt. Und das alles in einer sinnlichen Präzision, die die Wertschätzung für das Material und das traditionelle Handwerk eindeutig zum Ausdruck bringt.

Attraktion Wendeltreppe

Den wichtigsten gestalterischen Akzent in der Eingangshalle setzt die 12 t schwere, zugleich federleicht wirkende Wendeltreppe in der Raummitte. Sie ist 14 m hoch und besteht aus tragenden Außen- und Innenwangen aus Fichten-Brettschichtholz, die mit 5 mm starkem Eichenholzfurnier bekleidet sind. Einerseits erschließt sie die Besucherbereiche im UG, also Weinkeller, Bar, Garderobe und Toiletten. Andererseits führt sie ins 1. OG zu drei Veranstaltungsräumen und einem Museum rund um das Thema Bio. Die Bereiche sind von den Architekten und vom Atelier Markgraph in derselben Leichtigkeit und Detailverliebtheit gestaltet wie der Rest des Hauses. Interaktive Stationen zu ökologischem Landbau, gesunder Ernährung und fairem Handel sind hier ebenso zu finden wie zum Thema Lebensmittelverschwendung.

»Nachwachsenden oder wiederverwertbaren Baustoffen wurde, wann immer möglich, der Vorzug gegeben«, sagt Architekt Martin Haas in einem Interview für eine Art Reisetagebuch, mit dem »Rapunzel« die Entstehungsgeschichte des Besucherzentrums dokumentiert. Der Terrazzoestrich ist über einer Ausgleichsschicht aus Glasschaumzement angelegt und nicht mit kunststoffbasiertem Epoxidharz, sondern mit einer Schutzschicht auf silikatischer Basis versiegelt. Zur Wärmedämmung der Dachflächen kam Zellulosedämmung zum Einsatz.

Der Beton für das Tragwerk des Gebäudes stammt aus einem nur 14 km entfernten Sand-, Kies- und Transportbetonwerk. Und für das mit natürlichen Ölen behandelte Parkett im 1. OG wurden Eichenholzabfälle verwendet, die beim Bau der Treppe anfielen - und das, obwohl ein Angebot für billigeres neues Holz vorlag.

Ziegel statt Lärchenholz

Jede Materialentscheidung kam bereits während der Entwurfsphase auf den Prüfstand. »Wir haben eine Ökobilanz erstellt und die Materialien nach eingebundener Energie, der Wiederverwertbarkeit und dem Transport gewählt«, so Haas.

Dies führte bei der Wahl der Dachdeckung zur Entscheidung für die gebrannten Tonziegel und gegen den ursprünglichen Favorit Lärchenholz. Bezogen auf den gesamten Lebenszyklus erwiesen sich die Ziegel als nachhaltigere Lösung: Sie bestehen ebenfalls aus einem Naturprodukt (Ton), sind aber wetterfest, langlebig und nicht brennbar. Zudem eignen sie sich besser für die weniger stark geneigten Bereiche. Die typische variationsreiche Farbigkeit der Dachflächen entstand einerseits durch die unregelmäßige Beschichtung mit einer flüssigen Tonmineralmasse (Engobe), andererseits durch das unregelmäßige Untersortieren etwas längerer Ziegel.

Den Gästen der »Rapunzel«-Welt steht nicht nur mehr als drei Viertel aller Innenräume offen. Im Sinne eines ganzheitlichen Besuchererlebnisses ist auch die komplette, großflächig begrünte Dachfläche zugänglich. Im Wortsinn den Höhepunkt bildet die Dachterrasse über den Mehrzweckräumen im 2. OG. Hier, im höchstgelegenen Gebäudeteil, ordneten die Architekten ein »Krähennest« an, von dem aus sich die direkt benachbarten Produktionsanlagen ebenso gut überblicken lassen wie das Allgäuer Umland. Umgekehrt definiert dieser Bereich mit einer bis zu 21 m hohen Fassade eine weithin sichtbare Landmarke in der Landschaft.

Vom Dach führt der Weg über Treppen schließlich schrittweise zu den rückwärtigen Freiflächen und von dort zurück zum Haupteingang. Dieser architektonische Rundgang steht sinnbildlich für das Ideal von Rapunzel, in Kreisläufen zu denken und den Menschen mit gutem Beispiel voranzugehen. Insofern ist das Besucherzentrum tatsächlich mehr als eine Nabelschau. Es ist vielmehr der ernst gemeinte, aber eher spielerisch als überheblich formulierte Versuch, die Menschen zu sensibilisieren: für einen respektvollen Umgang mit ihren Mitmenschen und den endlichen natürlichen Ressourcen unseres Planeten.

db, Do., 2023.07.06



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db 2023|07 Material wirkt

04. April 2023Roland Pawlitschko
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Maßstäbe setzen ohne Allüren

Ein Gebäude für Sport, Lehre und Forschung legt die Latte des im Holzbau Machbaren höher – mit einem Vordach, das als reine Holzkonstruktion auf 150 m Länge spektakuläre 18,6 m frei auskragt und zugleich subtile Bezüge zu den legendären Olympiabauten aufnimmt.

Ein Gebäude für Sport, Lehre und Forschung legt die Latte des im Holzbau Machbaren höher – mit einem Vordach, das als reine Holzkonstruktion auf 150 m Länge spektakuläre 18,6 m frei auskragt und zugleich subtile Bezüge zu den legendären Olympiabauten aufnimmt.

Die sanft wogenden Zeltdachkonstruktionen und Hügellandschaften des Münchener Olympiaparks bilden eines der bedeutendsten baulichen Gesamtkunstwerke Deutschlands. Weniger bekannt, aber nicht weniger wichtig, ist der nördliche Teil des Parks. Dort befinden sich das Olympische Dorf, das sich unter den heute 6 000 Bewohnern enormer Beliebtheit erfreut, sowie eine der größten deutschen Hochschulsportanlagen. Letztere diente ursprünglich als zusätzlicher Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1972 sowie als Pressezentrum und wurde danach von der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität München (TUM) sowie vom Zentralen Hochschulsport (ZHS) genutzt. Nach knapp einem halben Jahrhundert intensiver Nutzung wiesen die Sporthallen und Institutsgebäude insbesondere gravierende Brandschutz- und Platzprobleme auf. Um der TUM und dem ZHS optimal nutzbare Räume bieten zu können, fiel 2015 die Entscheidung, die Bauten abzubrechen und an ihrer Stelle nach einem Architektenwettbewerb den neuen »TUM Campus im Olympiapark« zu errichten.

Verzahnung von Alt und Neu

Das Siegerprojekt des Architekturbüros Dietrich | Untertrifaller zeigt einen 150 x 180 m großen Baukörper, der sich zweigeschossig und mit zahlreichen Innenhöfen gut in die rechtwinklige Struktur der umliegenden Außensportfelder einfügt. Da dessen Realisierung bei laufendem Betrieb erfolgen sollte, konzipierten die Architekten zwei diagonal verschränkte Hallen- und Bürocluster, die sich in zwei Bauabschnitten errichten lassen sollten und so einen schrittweisen Abbruch des Gebäudebestands ermöglichten. Im ersten Bauabschnitt, der nun fertiggestellt ist, entstanden die beiden Hallencluster: Sporthallen mit insgesamt 14 Sportfeldern, Büro-, Seminar- und Vorlesungsräume, eine Mensa, eine Bibliothek sowie Werkstätten und Labore. Nach Abbruch der Bestandsgebäude, an die der Neubau zentimetergenau herangerückt war, laufen nun die Arbeiten am zweiten Bauabschnitt auf Hochtouren. Die Fertigstellung der beiden komplementären Bürocluster mit Verwaltungs- und Institutsräumen ist für 2024 geplant.

Zentrales Element des Neubauprojekts ist die 165 m lange »Rue intérieure«, die die Architekten im 1. OG platzierten, wo ein Steg am Haupteingang die Anbindung an die erhöht angelegten Wege des Olympiaparks Nord übernimmt. Die Haupterschließungsachse bietet vielfältige Einblicke in die großflächig verglasten Sporthallen, Hörsäle und Seminarräume sowie in die Seitenflure und Innenhöfe der Bürocluster. Dank der durchgängigen Breite von 12 m und der vollflächigen Sprinklerung ist sie zugleich großzügiger Aufenthalts-, Lern- und Veranstaltungsbereich.

Prägnant und doch unaufdringlich

Wesentlich für die räumliche Qualität der in Ost-West-Richtung verlaufenden Rue intérieure ist neben ihren großen Nutzungsspielräumen das Farb- und Materialkonzept. Die Oberflächen spielen sich eher in den Hintergrund: ein polierter Betonfußboden, graue Sichtbetonwände, viel Glas sowie eine Decke mit zurückhaltender Fichtenholzbekleidung. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die den Raum mit Farbe und Leben füllen. Was auffällt, gerade weil es nicht auffällt, ist das Tragwerk. Stützen, Pfeiler oder Unterzüge, die das Lastabtragen offensichtlich machen würden, stechen nicht ins Auge. Stattdessen bestimmen große raumbegrenzende Flächen das Bild. So entsteht ein angenehmes Gefühl von Leichtigkeit – die Stützen vor den verglasten Seitenwänden sind so schlank und zudem dunkel gestrichen, dass sie vor den ebenfalls dunklen Fensterprofilen kaum auffallen. Sichtbar ist das Dachtragwerk aus Fichten-Brettschichtholzträgern mit 5 m Achsabstand lediglich an den Seitenrändern, wo Oberlichter reichlich Tageslicht in den Raum bringen.

Rue intérieure, Treppenkerne, Hörsaal, Teile der Sporthallen und das UG sind im Sinne brandschutztechnischer und statischer Kriterien als Stahlbetonkonstruktion ausgeführt, während Sporthallen, Institutsbereiche und die komplette Dachkonstruktion in Holzbauweise errichtet sind. In den Sporthallen prägt eine klare Struktur aus Brettschichtholzträgern, Oberlichtelementen und präzise gesetzten Sport- und Technikeinrichtungen das Bild. Erstere sind über allen Sportfeldern nur 16 cm breit, 27 m lang, in Feldmitte 1,80 m und am Auflager 1,40 m hoch und im Achsabstand von 2,5 m angeordnet. Dazwischen liegen einfache Kantholzpfetten, die mit einfachen OSB-Platten eine aussteifende Dachscheibe ausbilden. Im Zusammenspiel mit den Seitenwandbekleidungen aus Weißtanne entstehen standardisierte, maßstäblich gegliederte und unaufdringlich bewegte Räume mit behaglicher Raumatmosphäre. Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang sind die konischen Oberlichtelemente aus Dreischichtplatten, die dank integrierter Blendroste viel blendfreies Tageslicht einfallen lassen.

An der Grenze des im Holzbau Machbaren

Am westlichen Ende der Rue intérieure befinden sich die Bibliothek und die Mensa sowie eine große Außenterrasse, zu deren Füßen die orthogonal kreuzende Haupterschließungsachse der Außensportflächen – die Rue extérieure – sowie eine Leichtathletik-Außenanlage liegen. Der eigentliche Hingucker ist jedoch das über der Außenterrasse schwebende Vordach: eine vollverleimte Holzkonstruktion, die über die gesamte Gebäudebreite bemerkenswerte 18,6 m frei auskragt. Maßgeblich für dessen Gestaltung waren jene Vorgaben, die die Architekten schon im Wettbewerb zusammen mit den Holzbauingenieuren von merz kley partner definierten: Zum einen sollte die Höhe des Dachs der Höhe des umlaufenden Dachrands entsprechen, woraus eine Konstruktionshöhe von maximal 1,60 m resultierte. Zum anderen waren die Untersicht des Vordachs flächig auszubilden und sichtbare Unterzüge unbedingt zu vermeiden. Selbstredend musste die Lösung bei allen bautechnischen Herausforderungen wirtschaftlich umsetzbar sein. Aus diesen Vorgaben resultierten insgesamt vierzig 28 m x 3,75 m x 1,60 m große, jeweils selbstständig tragende Hohlkästen. Diese wurden komplett mit Oberlichtöffnungen, Entwässerungsleitungen und Wärmedämmungen vorgefertigt, angeliefert und per Autokran zunächst auf ein Hilfsgerüst eingehoben. Die Vordachelemente bestehen aus Längsrippen und Querträgern in Brettschichtholz sowie aus bis zu 20 m langen Furnierschichtholz-Beplankungsplatten, die zusammen für eine hohe Steifigkeit und geringe Verformungen sorgen. Beeindruckend ist angesichts der enormen Auskragung v. a. die Leichtigkeit, mit der die Elemente im Gebäude rückverankert sind – zumal der Teil über dem Innenraum lediglich 9,3 m lang ist und jeweils auf vier Punkten aufliegt. Die druckbelasteten Pendelstützen in Fassadenebene dienen je zwei benachbarten Elementen als Auflager. In die Hohlkästen integrierte verstärkte Querträger sowie Kopfplatten mit Querdruckverstärkungen gewährleisten dabei die erforderliche Lastverteilung. Die Auflager entlang der fassadenparallelen Glaswände zur Sporthalle bzw. zum Innenhof nehmen hingegen nur Zugkräfte auf, die mittels Zugstangen in Rückverankerungen im Boden eingeleitet werden. Rund 1 m lange Schrauben in den Querträgern der Hohlkästen übernehmen dabei die Kraftübertragung. Kleiner Wermutstropfen: Brandschutzbestimmungen führten dazu, dass die Zugstäbe mit Brandschutzbekleidungen aus Holz versehen werden mussten, die sie massiver erscheinen lassen als die druckbelasteten Pendelstützen. Die horizontale Aussteifung erfolgt über die Anbindung des Dachs an Treppenhauskerne und andere Betonwände.

Neue Landmarke im Olympiapark

Der TUM Campus ergänzt den denkmalgeschützten Olympiapark um ein selbstbewusstes, ikonisches Bauwerk, das auf den ersten Blick keinen Bezug auf die denkmalgeschützten Olympiabauten nimmt. Mit seinen dunkel lasierten Holzfassaden und der zurückhaltenden Gestaltung erscheint der TUM Campus, der von 125 000 Studierenden und 30 000 Beschäftigten aller Münchner Universitäten und Hochschulen genutzt wird, vielmehr auf angenehme Weise geerdet. Entwurfsentscheidungen basierten hier immer auch auf funktionalen Aspekten. Das zeigt sich nicht zuletzt am Vordach: Im EG unter der Mensa sind Sportlabore untergebracht, in denen Forscher die Leistungsperformance von Sportlern während und nach den Trainingseinheiten untersuchen. Dank des weit über der Außenterrasse und Teilen der Laufbahnen schwebenden Vordachs können diese Messungen witterungsgeschützt stattfinden. Zugleich lässt das Dach einen geschützten Zuschauerbereich für Sportveranstaltungen auf der Leichtathletik-Außenanlage entstehen. Auf den zweiten Blick offenbart der TUM Campus dann doch subtile Parallelen zu den legendären Zeltdachkonstruktionen: die Alltagstauglichkeit, die weitläufige räumliche Offenheit und die Leichtigkeit eines Tragwerks, das die Grenzen des Machbaren austestet. Es ist diese Art der bescheidenen Reduktion auf das Wesentliche, die den Neubau zum selbstverständlichen, integralen Teil des Olympiaparks werden lässt.

db, Di., 2023.04.04



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12. September 2022Roland Pawlitschko
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Ein Park klettert über die Häuser

Mit dem Quartier Le Ray schuf das Pariser Architekturbüro Maison Edouard François ein einzigartiges Wohnumfeld. Der Gemeinschaftsgedanke steht dabei ebenso im Vordergrund wie eine Begrünung, die den benachbarten Park gleichsam bis in die Wohnungen holt.

Mit dem Quartier Le Ray schuf das Pariser Architekturbüro Maison Edouard François ein einzigartiges Wohnumfeld. Der Gemeinschaftsgedanke steht dabei ebenso im Vordergrund wie eine Begrünung, die den benachbarten Park gleichsam bis in die Wohnungen holt.

Nizza verzeichnet nach Paris die meisten Städtetouristen in Frankreich, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass es als die französische Großstadt mit den meisten Sonnenstunden gilt. Im Sommer wird jedoch genau das oft zum Problem, weil sich die Straßen und Gebäude über den Tag auch ohne Hitzewelle so aufheizen, dass die Temperaturen selbst nachts kaum unter 30 °C fallen. Darunter leiden v. a. jene innerstädtischen Bereiche, die nur über wenige Grünflächen verfügen. Das neue Quartier Le Ray liegt nur ein paar Kilometer nördlich der mondänen Promenade des Anglais am Mittelmeer, dort, wo die dichte Bebauung der Stadt in die geschwungene Hügellandschaft der Seealpen übergeht. Bis vor fünf Jahren befand sich hier noch das Stade du Ray des Erstliga-Fußballvereins OGC Nice, der heute in einem Neubau am Stadtrand spielt.

Um das Gelände nach Abriss des alten Stadions neu zu ordnen, initiierte die Stadt einen Wettbewerb für Partnerschaften aus Bauunternehmen und Architekten. Neben einem 2 ha großen öffentlichen Park sollten – ohne konkrete ökologische Vorgaben – auf einem weiteren Hektar insbesondere Ladenflächen und Wohnungen entstehen. Zum Raumprogramm gehörten ein Supermarkt und Einzelhandelsflächen (insgesamt 6 000 m²), ein Trainingsraum für japanische Kampfkünste (1 000 m²), 650 Stellplätze und insgesamt 350 Wohnungen.

Dass das Pariser Architekturbüro Maison Edouard François das Verfahren gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten von La Compagnie du Paysage und dem Baukonzern VINCI für sich entscheiden konnte, hatte v. a. eine Ursache: Die Architekten entwarfen ein Projekt, das so eng mit den urbanen und klimatischen Eigenheiten der Stadt sowie mit den Besonderheiten des Grundstücks verwoben ist, dass es seinerzeit wie heute noch schwerfällt, sich hier alternative Lösungen vorzustellen. Wesentlich hierbei ist die Tatsache, dass sich die Neubebauung nicht als eitle architektonische Landmarke präsentiert. Im Gegenteil: Sie verschwimmt subtil sowohl mit dem bestehenden städtischen Umfeld als auch mit dem neuen, ebenfalls von der Compagnie du Paysage geplanten Park.

Wohnen im Mittelpunkt

Wer sich aus der Innenstadt auf den Weg zum Quartier Le Ray macht, beispielsweise mit der Straßenbahnlinie 1, ist angesichts der Kleinteiligkeit zunächst einmal überrascht. Am Boulevard Gorbella gibt es weder Hinweise auf die Präsenz eines großen Supermarkts noch auf eine Parkgarage mit 650 Stellplätzen. Während das EG wegen der wenigen bescheidenen Schaufenster und der einfachen Markisen einen kleinen Lebensmittelmarkt erwarten lässt, entpuppt sich das Ganze beim Eintreten als Hypermarché mit allem Pipapo. Dass dieser Markt von außen nahezu unsichtbar bleibt, hat damit zu tun, dass der größte Teil seiner Fläche dank des sorgfältig modellierten Geländes unter der Erde liegt – ebenso wie die beiden Tiefgaragengeschosse, deren Zufahrt in einer Nebenstraße angeordnet wurde. Im Mittelpunkt stehen stattdessen die insgesamt zehn Wohnhäuser mit 260 Eigentums- und 90 Sozialwohnungen, die sich mit überbordender Boden-, Fassaden- und Dachbegrünung allesamt über der Ladenfläche befinden. Sie, und nicht der Kommerz oder das Auto, definieren das weithin sichtbare, einprägsame Erscheinungsbild des neuen Quartiers.

Zwei dieser Wohnhäuser, die wegen der Erdbebengefahr in der Region alle in Stahlbeton konstruiert sind, nehmen eine Sonderposition ein. Sie beherbergen an der Gebäudeecke über dem Eingang zum Hypermarché die Sozialwohnungen und suggerieren durch die unterschiedliche Fassadengestaltung drei unprätentiöse Einzelgebäude, die einen vermeintlich im Lauf der Jahre gewachsenen Blockrand ausbilden. In Wirklichkeit handelt es sich (auch bei dem Bau mit den historisch anmutenden Klappläden) um Neubauten von Edouard François, die nur scheinbar nachträglich um ein bis zwei OGs aufgestockt wurden. Diese Geschosse verfügen über die gleiche begrünte Gebäudehülle und die gleichen weit auskragenden Balkonplatten wie die meisten der anderen Neubauten und definieren so den fließenden Übergang zwischen Stadt und Park. Bis ins EG begrünte Fassaden hätten hier deplatziert gewirkt, und ohne dieses Bindeglied wären die Blockränder nicht als Teil der Gesamtanlage erkennbar gewesen.

Begrünung als integraler Teil des Gebäudeentwurfs

Der zentrale Zugang zum Quartier liegt am Boulevard Gorbella. Von hier gelangen alle Bewohner zunächst in eine mondäne Eingangshalle mit Devotionalien des OGC Nice und über eine breite Treppe schließlich nach oben in den Freibereich zwischen den in drei Zeilen angeordneten Häusern. Was beim Vor-Ort-Besuch angesichts der sengenden Julihitze sofort spürbar ist: Dank der engen Stellung der Häuser und der üppigen Begrünung herrscht ein sehr angenehmes Kleinklima. Nicht zu übersehen ist auch, dass die Bepflanzung sowohl am Boden als auch an der Gebäudehülle heute sehr viel dichter geschlossener ist als auf den Fotos, die ziemlich genau ein Jahr zuvor entstanden. Dieser Erfolg ist insbesondere den Landschaftsarchitekten der Compagnie du Paysage zu verdanken. Sie haben in enger Abstimmung mit den Architekten mehrere Hundert Pflanzenarten ausgewählt, die optimal an das mediterrane Klima angepasst und zugleich robust und anspruchslos sind.
Außer den zwei Blockrandhäusern gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Typen von Gebäuden. In der Mitte stehen zwei aufgeständerte Laubenganghäuser mit Fassaden, die an Staketenzäune erinnern. In deren EGs liegen von allen Bewohnern genutzte Bereiche: Fahrradabstellplätze, eine E-Bike-Ladestation sowie ein Gemeinschaftsraum. Ebenfalls gemeinschaftlich genutzt sind die beiden Dachflächen. Sie sind als Dachgärten angelegt, die von einem externen Verein betreut werden und mit Hochbeeten den Anbau von Gemüse, Salat, Beeren etc. ermöglichen. Zwei Gewächshäuser dienen als zusätzliche Pflanzfläche bzw. als Ort zur Aufbewahrung von Gartenutensilien.

Die Kubatur der sechs seitlichen Gebäude ist geprägt von den lebhaft vor- und rückspringenden Sichtbetonwänden sowie von den unterschiedlich weit auskragenden Balkonplatten. Ihr Erscheinungsbild wird dennoch wesentlich von einem filigranen Gerüst aus robustem unbehandeltem Kastanienholz bestimmt, das die Architekten vor den Wänden und Balkonen platzierten. Teil des Gerüsts sind unregelmäßig in unterschiedlichen Höhen angebrachte Holz-Pflanztröge mit Kletterpflanzen, die am Holzgerüst und an diagonal gespannten Edelstahlseilen entlangwachsen. Um die darin eingesetzten Pflanzen müssen sich die Bewohner ebenso wenig kümmern wie um die Grünflächen am Boden. Nach rund fünf Jahren sollen die Pflanzen ein in sich geschlossenes Ökosystem ausgebildet haben, in dem sie so zusammenwirken, dass sie nicht mehr gegossen werden müssen. Bis dahin übernehmen Landschaftsgärtner zweimal pro Jahr die notwendige Pflege. Ohne die Wohnungen betreten zu müssen, gelangen sie mit Hubsteigern an die Pflanztröge. Deren Bewässerung erfolgt – sofern es Niederschläge gibt – mittels Regenwassers, das in einer zentralen unterirdischen Zisterne gesammelt und über ein sichtbares Schlauchsystem verteilt wird. Was das Erscheinungsbild der begrünten Gebäudehülle so faszinierend und zugleich kostengünstig macht, ist die angenehm unprätentiöse und luftige Konstruktion: Die Kanthölzer sind simpel verschraubt, völlig unregelmäßig gemasert und häufig nicht im Lot.

Typisch Nizza

Ein weiterer Grund, weshalb sich das Quartier Le Ray so selbstverständlich in sein Umfeld einfügt, sind die vielen kleinen Details, die die Gebäude klar als nizzaisch kennzeichnen: die azurblauen Stühle in den Freiflächen, die seit Jahrzehnten die Promenade des Anglais säumen; die mit einem Trompe-l’Œil bemalte Fassade – eine Hommage an die vielen historischen Pendants, die einst in der Stadt entstanden, um die für echte Fenster fälligen Steuern zu sparen; oder die sand- und erdfarbenen Putz- und Steinfassaden zum Boulevard Gorbella, die den typischen Fassaden der Stadt entsprechen.

Auch wenn gut drei Viertel der 350 Wohnungen Eigentumswohnungen sind, die bei einer Vermietung gute Preise erzielen dürften, handelt es sich bei dieser Neubebauung nicht um ein elitäres Luxusquartier. Dafür sorgt eine Architektur des Augenmaßes und der Maßstäblichkeit, bei der nicht die einzigartige Außenwirkung im Vordergrund steht, sondern die Gemeinschaft der Menschen und das Miteinander von Stadt und Natur. Und das sollte in Wohnquartieren kein Luxus, sondern vielmehr die Regel sein.

db, Mo., 2022.09.12



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db 2022|09 Begrünte Gebäude

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Presseschau 12

17. Juli 2025Roland Pawlitschko
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Energieautarkes Ferienhaus in Noto (I)

Die Fassaden und Innenräume dieses puristischen Sichtbeton-Gebäudes auf Sizilien sind mit lokalen mineralischen Materialien veredelt, die traditionell auch die Bauernhöfe im ländlichen Raum der Insel prägen.

Die Fassaden und Innenräume dieses puristischen Sichtbeton-Gebäudes auf Sizilien sind mit lokalen mineralischen Materialien veredelt, die traditionell auch die Bauernhöfe im ländlichen Raum der Insel prägen.

Das Val di Noto bezeichnet eine dünn besiedelte Region rund 100 km südlich des Ätna. Sie ist bekannt für eine Reihe von Städten, die nach einem Erdbeben im Jahr 1693 allesamt fast vollständig zerstört und dann jeweils als einheitlich spätbarocke, inzwischen auch zum Weltkulturerbe erhobene Ensembles wiederaufgebaut wurden.

Einen besonderen Charme versprüht auch die karge Landschaft unweit des Mittelmeers. Die sanft hügelige Umgebung der Stadt Noto ist geprägt von Ackerflächen und weitläufigen Mandel- und Olivenhainen. Vereinzelt sind auch Ferienhäuser zu finden, die hier aber nur dann neu errichtet werden dürfen, wenn sie einige Spielregeln beachten. Baugrundstücke müssen beispielsweise eine Mindestgröße von 1 ha aufweisen, und die Neubauten dürfen nur ein Geschoss hoch sein, sodass sie die Kronen der oft jahrhundertealten Bäume nicht überragen. Konkrete Vorgaben zu Abmessungen, Gebäudehöhen und -formen oder Dachneigungen gibt es aber nicht.

In die Landschaft eingebettet

Als ein italienischer Fotograf das Pariser Architekturbüro Gaëtan Le Penhuel Architectes beauftragte, hier ein energieautarkes Ferienhaus zu bauen, war für die verantwortliche Büropartnerin Corina Laza eines sofort klar: „Hier sollte kein weiterer weißer Kubus entstehen – eine Typologie, die gerade in dieser Region verbreitet ist, obwohl sie eher an die Kykladen als an Sizilien erinnert. Wir sahen uns vielmehr von der archaischen Kraft der örtlichen Bauernhäuser inspiriert. Diese sind meist als Massivbauten mit Naturstein- oder Putzfassaden ausgeführt, die sich ebenso dezent wie elegant in die Landschaft einfügen.“

Dass die Casa Bendico hauptsächlich aus Sichtbeton besteht, liegt nicht nur an der Tatsache, dass es sich hierbei ebenfalls um ein mineralisches Material handelt. Es hat vielmehr auch mit der Erdbebensicherheit und den hier häufig wütenden Waldbränden zu tun. Darüber hinaus zählt ein weiterer Aspekt: „Dank der zweischaligen kerngedämmten Wand- und Deckenkonstruktion bleiben alle Innenräume selbst in der sengenden Sommerhitze Siziliens stets angenehm kühl“, erläutert Corina Laza.

Wer die nur 3 km südlich von Noto situierte Casa Bendico besucht, findet ein Ensemble aus vier Bauwerken vor. Am Ende der geschwungenen Zufahrt von der Via Gioi liegen ein filigraner Carport mit Schilfdach und das vorgelagerte kleine Ateliergebäude, hinter dem schließlich das 200 m² große Haupthaus steht. Hiervon wiederum nur einen Steinwurf entfernt ist der Outdoorpool zu sehen.

Grund für diese verteilte Anordnung war der Wunsch des Bauherrn nach einer kleinteiligen Bebauungsstruktur, durch die Orte mit unterschiedlichem Charakter und vielfältigen Perspektiven auf die Landschaft entstehen. Eine Rolle spielte aber auch der Respekt gegenüber den alten Olivenbäumen, die trotz der Baumaßnahme möglichst alle erhalten bleiben sollten.

Was am Haupthaus auffällt, ist sein durch und durch monolithisches Erscheinungsbild. Denn neben den Fassaden und der Umfassungsmauer für zwei windgeschützte Außenbereiche sind auch die geneigten Flächen des Satteldachs in Sichtbeton gefertigt. All diese Bauteile sind nicht betongrau, sondern sandfarben und zeigen die Abdrücke einer horizontalen Brettschalung.

Monolithisch bis ins Detail

Der erdige Farbton entstand durch den Einsatz von Puzzolanbeton, der Vulkangestein aus der Ätna-Region enthält. Eine weitere Komponente stellt die Beimengung von Sandstein dar, der auf dem Grundstück vorgefunden und gemahlen wurde.

Dank des Puzzolans ist dieser Beton kohlenstoffarm – zudem verbessert die hohe Porosität des Zuschlagstoffs die Wärmedämmeigenschaften. Betoniert wurde ausnahmslos vor Ort – mit lokalen Handwerksbetrieben, die hierfür Holzgerüste und 10 cm breite, gebrauchte Holz-Schalbretter verwendeten. „Eines der wichtigsten Ziele dieses Projekts bestand darin, die lokalen handwerklichen Fähigkeiten und Bautechniken zu nutzen, anstatt auf Industrieprodukte zu setzen“, sagt Laza. „Unregelmäßige Fugen und imperfekte Oberflächen mit einem lebhaften Wechsel aus helleren und dunkleren sowie eher grauen beziehungsweise sandfarbenen Farbfeldern waren ausdrücklich erwünscht.“ Wie die kerngedämmten Außenwände sind auch die Dachflächen zweischalig ausgeführt. Über der rund 20 cm starken, inneren Sichtbetonschale ordneten die Architekten zunächst eine Dampfsperre und eine druckfeste Mineralwolle-Wärmedämmung an, auf der eine Dichtungsbahn und schließlich die äußere Betonschicht aufgebracht wurde.

Um die Dachfläche mit der für die Wände typischen Oberflächenstruktur zu versehen, drückten die Handwerker die Holz-Schalbretter von oben in den noch feuchten Beton. Auf jegliche Blechverwahrungen wurde verzichtet, so dass der monolithische Charakter des Hauses vollkommen unbeeinträchtigt bleibt.

Sämtliche Innenräume – vom offenen Wohn-Koch-Essbereich über die drei Schlafräume bis hin zu den Bädern – sind ebenfalls fast vollständig von Sichtbeton mit Brettschalung geprägt. Das lässt die Räume kühl wirken, und im Sommer sind sie es dank der zweischaligen Konstruktion in der Tat. Für die zusätzliche Kühlung konzipierten die Architekten ein natürliches Lüftungssystem. Dabei gelangt zunächst warme Außenluft in eine 2 m tief verlegte gusseiserne Erdröhre und strömt dann über Auslässe im geschliffenen Betonfußboden in die Wohnräume. Die erwärmte Luft wird durch die Nassräume wiederum nach außen geführt.

Die Folge: Es entsteht eine natürliche Luftzirkulation. Den geringen Heizbedarf im Winter deckt ein offener Kamin sowie eine Fußbodenheizung. Heizwärme und Warmwasser stammen von einer Solarthermieanlage, die zusammen mit einem Speicher in einem der umfassten Außenbereiche untergebracht ist.

Puristisches Interior

Gemäß den Vorstellungen des Bauherrn nach einem energieautarken Haus verfügt das Gebäude außerdem über eine neben den Bauten installierte Photovoltaik-Freiflächenanlage. Passend zum archaischen, erdfarbenen Purismus der Gebäudehülle erwecken auch die wenigen in den Innenräumen eingesetzten Materialien den Eindruck, das ganze Haus sei aus einem Guss.

Sämtliche Zimmertüren und maßkonfektionierten Einbaumöbel bestehen aus unbehandeltem Eichenholz. Hinzu kommt römischer Travertin, der sich im Tresen des freistehenden Kochblocks, im Esstisch und in der Sofaecke ebenso findet wie in den Waschbecken, Regalböden und der Wandbekleidung der Duschen.

Große, schwellenlose Glas-Schiebetüren in allen Räumen ermöglichen fließende Übergänge zwischen innen und außen. Die Fensteröffnungen lassen sich mit Metall-Schiebeelementen schließen, die mit ihrem eleganten Maschrabiyya-Muster grazile Schatten auf Böden und Wände werfen und gleichermaßen als Lichtfilter und Einbruchsicherung dienen.

Die Öffnungen an den Gebäudestirnseiten verfügen außerdem über Holz-Schiebeelemente. Diese setzen sich aus jenen Brettern zusammen, die schon auf der Baustelle verwendet wurden und sind deshalb auf den ersten Blick kaum von den Sichtbetonoberflächen zu unterscheiden.

Das kleine Atelierhaus basiert auf den gleichen Gestaltungsprinzipien wie das Haupthaus. Es beherbergt ein Studio, eine Küche und ein Bad sowie einige technische Einrichtungen, für die im Haupthaus kein Platz war. Während das Atelierhaus nur vom Bauherrn genutzt wird, kann das nicht dauerhaft bewohnte Haupthaus über einschlägige Internetplattformen von Urlaubsreisenden gemietet werden. Auf diese Weise eröffnet sich für alle die Gelegenheit, nicht nur die außergewöhnliche Casa Bendico, sondern auch den grandiosen Ausblick über das Val di Noto und das Mittelmeer hautnah zu erleben.

db, Do., 2025.07.17



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db 2025|07-08 Material wirkt

28. März 2025Roland Pawlitschko
db

Regenbrücke in Roding

Die neue 130 m lange Fuß- und Radwegbrücke im Oberpfälzer Roding erscheint als filigranes integrales Bauwerk. Nicht weniger interessant ist der Planungs- und Bauprozess, bei dem das Architekturteam von DKFS, Mayr Ludescher Partner und Lex_Kerfers Landschaftsarchitekten ein offenes Miteinander zelebrierten.

Die neue 130 m lange Fuß- und Radwegbrücke im Oberpfälzer Roding erscheint als filigranes integrales Bauwerk. Nicht weniger interessant ist der Planungs- und Bauprozess, bei dem das Architekturteam von DKFS, Mayr Ludescher Partner und Lex_Kerfers Landschaftsarchitekten ein offenes Miteinander zelebrierten.

Der Regen ist ein gut 190 km langer Fluss, der weite Teile des Bayerischen Walds durchquert und in Regensburg in die Donau mündet. Im bergigen Oberlauf noch leichter Wildfluss, erscheint er weiter flussabwärts als gemächlich durch herrliche Naturlandschaften mäandrierendes Fließgewässer, das sich insbesondere unter Bootswandernden großer Beliebtheit erfreut. Immer wieder gehen vom Regen jedoch großflächige Überschwemmungen aus, von denen auch die Oberpfälzer Kleinstadt Roding betroffen ist. Um sowohl den Hochwasserschutz für den Ortsteil Mitterdorf als auch dessen Anbindung an die Altstadt mithilfe einer neuen Fuß- und Radwegeverbindung zu verbessern, initiierte die Stadt den Wettbewerb »Regenpromenade und -brücke Mitterdorf«. Mit dem Ziel, eine »harmonische und anspruchsvoll gestaltete« Lösung zu erreichen, richtete sich die Auslobung ausschließlich an interdisziplinäre Teams aus Architektur-, Tragwerks- und Landschaftsplanenden.

Das Siegerteam aus DKFS, Mayr Ludescher Partner und Lex_Kerfers Landschaftsarchitekten war nach einigen gemeinsam durchgeführten Wettbewerben und Projekten bereits gut eingespielt. Und so wartete es mit einem integralen, ganzheitlich durchdachten Entwurf auf, der bislang allerdings nur teilweise realisiert ist. Denn der ursprünglich geplante Hochwasserschutz entlang des rechten Regenufers, über den die Fuß- und Radwegeverbindung eigentlich hinwegführen sollte, verzögert sich u. a. aus Kostengründen auf unbestimmte Zeit.

Integraler Ansatz

Schon beim ersten Vor-Ort-Termin in der Wettbewerbsphase entwickelten Architekt Dirk Krolikowski und Tragwerksplaner Hubert Busler die Vorstellung einer Brücke, die als selbstverständliche Verlängerung der vorhandenen Wege sensibel in die bisweilen überflutete Auenlandschaft eingebettet ist. »Ein oben liegendes Tragwerk, z. B. mit Bögen oder Pylonen, hatten wir nie ernsthaft in Betracht gezogen, weil es sich aus unserer Sicht unangemessen in den Vordergrund gespielt hätte«, sagt Busler. Über einen weiteren Punkt waren sie sich ebenfalls schnell einig: Entstehen sollte eine materialsparende integrale Stahl-Rahmenbrücke, also ein Bauwerk gleichsam aus einem Guss – ohne Lager und Dehnfugen. Dies bedeutete zum einen den Wegfall wartungsintensiver Bauteile. Andererseits ermöglichte es die Realisierung eines gestalterisch reduzierten monolithischen Baukörpers. »Wir wollten keine Maschinenoptik schaffen, sondern ein feingliedriges Bauwerk, das als Teil der Auenlandschaft erscheint und bei dem Tragwerk und Architektur eins sind«, erläutert Krolikowski. Diesen Gedanken widerspiegelt auch der eingesetzte Cortenstahl. Die erdfarbene Oxidschicht harmoniert nicht nur wunderbar mit dem natürlichen Umfeld. Sie dient vielmehr zugleich als Witterungsschutz. Dies vermeidet sowohl Kosten für Korrosionsschutzbehandlungen als auch für potenzielle Umweltbelastungen durch deren zukünftig unerlässliche Wartung und Erneuerung.

DKFS und Mayr Ludescher Partner entwarfen gemeinsam eine in Brückenmitte um rund 140° abknickende Brücke in Form eines luftdicht verschweißten (und somit auch von innen korrosionsgeschützten) gevouteten Stahl-Hohlkastens. Dieser überspannt den Regen mit einer Hauptstützweite von 56 m, während der östliche Teil in der Auenlandschaft als Rampe mit Stützweiten von 21 bzw. 27 m konzipiert ist. Um die im Feld über dem Fluss lediglich 55 cm schlanke Seitenansicht des Überbaus zu erreichen, wurde der im Querschnitt dreiecksförmige Überbau am westlichen Widerlager und am mittigen Pfeiler mittels Stahllamellen biegesteif angeschlossen. Widerlager, Pfeiler und Gründungsbauteile bestehen aus anthrazitfarben eingefärbtem Ortbeton.

Insgesamt besteht der Stahl-Hohlkasten aus sechs Bauteilen, die von einer Stahlbaufirma im nur 20 km entfernten Cham hergestellt, mit Tiefladern auf die Baustelle gebracht, mit einem Autokran eingehoben und verschweißt wurden. Der kurze Transportweg erwies sich in Bezug auf Kosten- und Nachhaltigkeitsaspekte als vorteilhaft. Für die Bauausführung war er jedoch essenziell. Schließlich maß das größte Bauteil 25 m Länge und 8,5 m Breite und wog stattliche 68 t. Wesentlich größere Distanzen wären unwillkürlich mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden gewesen.

Bewehrte Erde

Der höchste Punkt der Brücke befindet sich am westlichen Ufer, wo sie an den als Schutzmauer geplanten Hochwasserschutz anschließt – die Hauptspannweite über dem Fluss liegt 15 % über der HQ100-Marke. Da nicht ausgeschlossen ist, dass diese Mauer eines Tages ergänzt wird, realisierte das Planungsteam die in den Ortsteil Mitterdorf führende, rund 3,5 m hohe Rampe aus geokunststoffbewehrter Erde – eine ebenso kostengünstige wie nachhaltige Lösung. »Der durch lagenweise angeordnete Geotextilien versteifte und dadurch entsprechend tragfähige Erdkörper lässt sich nicht nur innerhalb weniger Tage herstellen und leicht begrünen. Er kann auch vollständig recycelt und das Erdmaterial wiederverwendet werden«, sagt Hubert Busler. Eine Dammschüttung anstelle des aufgeständerten Brückenbauwerks kam auf der östlichen Flussseite nicht infrage, weil es möglich sein musste, dass sich der Regen bei Hochwasser ungehindert in die Auenlandschaft ausdehnt. Hinzu kommt, dass ein Damm hier zu einer unbedingt zu vermeidenden Erhöhung der Wasserfließgeschwindigkeit geführt hätte. Die schlanken Stützen und die strömungsgerechte Form des Hohlkastens, der im Rampenbereich in die HQ-Höhen eintaucht, sind Ausdruck eines klaren Gestaltungswillens und erlauben zudem ein störungsfreies Abfließen des Wassers im Hochwasserfall.

Die an der Innenseite der Biegung in Brückenmitte gemäß dem Kräfteverlauf organisch geformte Voute war statisch notwendig. Zugleich lässt sie einen Ort entstehen, der dank einer hölzernen Sitzbank zum Verweilen einlädt. Dass dies nicht zuletzt auch für die Abendstunden gilt, liegt an den durchlaufenden, dimmbaren LED-Leisten, die kaum sichtbar in die Handläufe links und rechts der Fahrbahn integriert sind. Dank eines Abstrahlwinkels von 20° aus der Vertikalen erzeugen sie einen angenehm blendfreien Lichtteppich auf dem hellgrauen, nur 6 mm dünnen reaktionsharzgebundenen Fahrbahnbelag. Auf diese Weise werden Fußgänger:innen und Radfahrende nicht geblendet, und auch für Insekten und andere Tiere bleiben die Beeinträchtigungen gering. Das leichte Erscheinungsbild der Brücke wird darüber hinaus von einem filigranen Stabgeländer unterstrichen, das wegen des Radverkehrs konstant auf 1,30 m Höhe durchläuft.

Gemeinschaftlich geplant

Was dieses Projekt besonders macht, ist nicht allein die bemerkenswerte Symbiose aus Architektur und Tragwerk, die in einer unerhört filigranen Fuß- und Radwegebrücke resultiert. Außergewöhnlich ist vielmehr auch das völlig unvoreingenommene, uneitle Miteinander während des parametrischen Entwurfs- und Ausführungsprozesses. »Alle Planungsbeteiligten, und das gilt ausdrücklich auch für die ausführende Stahlbaufirma, sind sich zu jedem Zeitpunkt auf Augenhöhe begegnet. Auf diese Weise fand das Projekt gleichsam in der Schnittmenge unserer jeweiligen Fähigkeiten statt, und das betrachte ich definitiv als Zukunftsmodell«, erläutert Dirk Krolikowski, dessen gemeinsam mit Falko Schmitt gegründetes Planungsbüro sich v. a. auf Infrastrukturbauten spezialisiert hat. Letztlich ist die Brückenkonstruktion ebenso integral wie der Planungsprozess – beste Voraussetzungen also für ein ganzheitlich durchdachtes, langlebiges, ästhetisches und dadurch nachhaltiges Bauwerk.

db, Fr., 2025.03.28



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db 2025|04 Ingenieurbaukunst

03. Januar 2025Roland Pawlitschko
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U-Halle in Mannheim

Wenn einfache Lagerhallen wie diese in Mannheim aus der Nutzung fallen, werden sie meist abgebrochen. Die mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2024 ausgezeichnete U-Halle zeigt, welches Potenzial selbst in solchen Gebäuden schlummert – nicht nur mit Blick auf das zirkuläre Bauen, sondern auch ästhetisch.

Wenn einfache Lagerhallen wie diese in Mannheim aus der Nutzung fallen, werden sie meist abgebrochen. Die mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur 2024 ausgezeichnete U-Halle zeigt, welches Potenzial selbst in solchen Gebäuden schlummert – nicht nur mit Blick auf das zirkuläre Bauen, sondern auch ästhetisch.

Seit gut 90 Jahren ist auf dem 79 ha großen Gelände 4 km östlich der Mannheimer Innenstadt nichts so stetig wie der Wandel. Ende der 1930er-Jahre errichtete die Wehrmacht eine Kaserne mit Lagergebäuden. In der Nachkriegszeit übernahmen US-Streitkräfte das Areal, um hier ein Distributionszentrum für Kleidung, Waffen und Fahrzeuge einzurichten. Dabei wurde ein bestehendes Lagergebäude aus vier direkt angrenzenden Hallen so erweitert, dass ein 350 m langes Gebäude in U-Form entstand, das einen zentralen Verladehof mit Gleisanschluss umschließt. Nachdem die Spinelli Barracks 2014 an den Bund zurückgingen, dienten die Kasernenbauten einige Jahre als Notunterkunft für Geflüchtete. 2023 war das Gelände schließlich Austragungsort der Bundesgartenschau (BUGA), in deren Fokus die vier Leitthemen Klima, Energie, Umwelt und Nahrungssicherung standen.

Um Neubauten für die BUGA-Ausstellung zu vermeiden, aber auch, um Impulse für ein zeitgemäßes Nutzungskonzept der nun mitten im Park liegenden U-Halle zu erhalten, lobte die Stadt als Eigentümerin einen Realisierungswettbewerb aus. Im ehemaligen Lagergebäude waren zunächst temporäre Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Gastronomieflächen sowie Blumenhallen und ein Rundfunkstudio unterzubringen. Nach der BUGA sollte es in der Lage sein, noch nicht näher definierte Kultur- und Freizeitnutzungen zu beherbergen.

Subtraktives Entwurfskonzept

Das mit dem 1. Platz ausgezeichnete Siegerprojekt des Berliner Architekturbüros Hütten & Paläste knüpft an den Wandel und die Transformationen an, die für dieses Gelände, aber auch für die U-Halle charakteristisch sind. Vor allem jedoch ist es ein bemerkenswertes Beispiel für die vielfältigen Möglichkeiten, die das zirkuläre Bauen selbst unspektakulären und im Lauf der Jahre »verbastelten« Bestandsgebäuden eröffnet.

Im Mittelpunkt des Entwurfs steht die Wieder- und Weiterverwendung der baulichen Strukturen. Die Berliner Architekt:innen planten kein fertiges Gebäude, sondern entwickelten einen auf zukünftige Szenarien ausgerichteten Umbauprozess. Bauliche Maßnahmen und Nutzungen wurden dabei nicht additiv zu einem großen Ganzen zusammengefügt. Hütten & Paläste kuratierte vielmehr den teilweisen Rückbau der aus insgesamt 16 Einzelhallen bestehenden U-Halle. Mit anderen Worten: Sie extrahierten das »neue« Gebäude subtraktiv aus dem bestehenden Baukörper. Da in den rückgebauten Bereichen lediglich die Tragstruktur erhalten blieb, entstanden spannungsreiche Abfolgen von Innen- und Außenräumen, die von den BUGA-Besucher:innen als Parcours durchschritten und erlebt werden konnten. Durch die freigelegten Tragwerke und das Bepflanzen der punktuell geöffneten Bodenplatten schufen die Architekt:innen eine kreative Markthallenatmosphäre, die den einst drögen Lagerhallen eine neue Identität und einen menschlichen Maßstab verleiht. Diese Reduzierung der Baumasse war nicht nur dramaturgisches Mittel. Sie entsprach auch der Forderung der Ausloberin nach einer verbesserten Winddurchlässigkeit des Geländes, die im Sommer einer Überhitzung der Innenstadt entgegenwirken soll.

Zirkuläre Strategien

Wesentlich für das Entwurfskonzept war die Wiederverwendung vorhandener Bauteile. Diese stammten z. T. aus der näheren Umgebung – für die Fassaden kamen etwa Polycarbonatplatten aus dem kürzlich renovierten Pflanzenschauhaus im Mannheimer Luisenpark zum Einsatz – oder aus der U-Halle selbst. Ein konkretes Beispiel für Letzteres ist die alte, aber noch intakte Blech-Dachdeckung. Während sie in den erhaltenen Einzelhallen unangetastet blieb, wurde sie in den rückgebauten Bereichen sorgfältig demontiert, neu zugeschnitten und als vertikale Fassade der nun freigelegten Brandwände eingesetzt. Ansonsten wurde wo immer möglich repariert, anstatt Bauteile auszutauschen.

Wo Erneuerungen unumgänglich waren, wie etwa bei der Ergänzung um Fluchttüren, wurden diese reversibel mit lösbaren Steckverbindungen montiert. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieses Vorgehen bei den temporären Fassaden, die während der BUGA als neuer Raumabschluss der durch den Rückbau einzelner Hallen offenen Stirnseiten dienten. Sie bestehen entweder aus modularen Holzrahmenbauwänden oder aus Mischkonstruktionen aus gemieteten Baugerüsten, die eine mit Klemmleisten befestigte Holzunterkonstruktion mit Polycarbonatplatten trugen. Durch die Seitenwände zu den neuen Höfen gelang es den Architekt:innen, großflächig Tageslicht in die bislang nur durch Oberlichtbänder belichteten Hallen zu bringen. Zudem entstanden vielfältige Sichtbeziehungen zum Freiraum. Teile dieser Konstruktion sind heute am KIT in Karlsruhe im Einsatz.

Experimentelle Erkundung des Bestands

Was die Umsetzung dieses Konzepts erschwerte, war der Umstand, dass die durchgängig 27 m breite U-Halle keineswegs über ein einheitliches Tragwerk verfügt, sondern seit den 1930er-Jahren verschiedene Bauweisen zur Ausführung kamen. Die vier ältesten Hallen wurden als Stahlbetonrahmen errichtet und von den amerikanischen Streitkräften seitlich um Stahlskelettbauten erweitert. Bei den jüngeren zwölf Hallen kamen robuste, aber uneinheitliche Stahlfachwerkbinder und Stützen zum Einsatz, deren bauzeitliche Verzinkung einen ausreichenden Korrosionsschutz bot. Ebenfalls unterschiedlich ist die Ausführung der Außenwände und der Brandwände zwischen den Einzelhallen teils als Betonskelettkonstruktionen mit Mauerwerksausfachungen, teils als massive Mauerwerkswände. Der heterogene Bestand eröffnete aber auch Gestaltungsspielräume: So ließen sich die Wände gemäß der jeweiligen Nutzungen ganz unterschiedlich gestalten, z. B. mit den zuvor demontierten Glasbausteinen, Profilgläsern oder Dachpaneelen.

Nicht zuletzt, weil keinerlei Planmaterial zum Baubestand vorlag, experimentierten die Architekt:innen zunächst in einen kleinen Hallenabschnitt. Hier erprobten und optimierten sie ihr Rückbaukonzept. Zudem gewannen sie wichtige Erkenntnisse zum Aufbau von Tragwerk, Wand und Dach sowie zu den Materialeigenschaften und eventuell enthaltenen Schadstoffen. Hierbei entwickelte Strategien wurden anschließend auf die Gesamtmaßnahme übertragen. Eine Herausforderung ergab sich etwa aus der Tatsache, dass die nach Entfernen der Dächer und Fassaden der Witterung ausgesetzten Böden kein Gefälle aufwiesen, sodass sich Regenwasser in großen Pfützen sammelte. Auf Grundlage eines »Pfützenmappings« öffneten die Architekt:innen dann jeweils genau dort die Bodenplatte, um große Pflanzflächen zu schaffen, in die das Regenwasser nun versickern kann. Der entfernte Beton wurde geschreddert oder zurechtgeschnitten und für Ausstellungsbeiträge während der BUGA verwendet.

Flexibilität für zukünftige Nutzungen

Durch die BUGA-Nutzung ausschließlich während der Sommermonate sind die Hallenbereiche mit Ausnahme der noch immer betriebenen Gastronomiebereiche bis heute unbeheizt. Mit Blick auf spätere Nutzungsphasen erhielt die U-Halle jedoch einen Fernwärmeanschluss sowie eine 6 400 m² große PV-Anlage auf dem Dach, deren Leistung rund 1 MW beträgt. Die Strom-, Wasser- und Medienversorgung erfolgt über eine zentrale, leicht von allen Hallenbereichen erreichbare Leitungsachse.

Der von der städtischen MWS Projektentwicklungsgesellschaft (MWSP) aktuell durchgeführte weitere Rückbau des Gebäudes basiert auf den von Hütten & Paläste gesammelten Erkenntnissen. Da einige Mitarbeitende, die das Projekt auftraggeberseitig während der BUGA geleitet haben, zur MWSP gewechselt sind, ist zu erwarten, dass sich die U-Halle im Sinne des zirkulären Umbau- und Organisationsprinzips weiterentwickelt. Noch ohne konkrete neue Nutzungen sollen drei weitere Hallen rückgebaut werden, u. a., um das Windströmungsprofil auf dem Gelände zu optimieren und die bebaute Fläche zusätzlich zu entsiegeln. Dies wird nichts daran ändern, dass die U-Halle als multifunktionales, nachhaltiges und partizipativ veränderbares Gebäude weiterhin die Identität seines Umfelds prägt. Und theoretisch könnten die freigelegten Tragwerke auch wieder zu geschlossenen Bauvolumen ausgebaut werden.

db, Fr., 2025.01.03



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db 2025|01-02 Anders Bauen

03. Juni 2024Roland Pawlitschko
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Forsthaus »Maison de la Forêt« in Carcassonne

Das kleine Bürogebäude der Holzgenossenschaft Cosylva besteht aus gänzlich unbehandeltem Vollholz. Der Einsatz natürlicher Materialien war für die Architektin Pauline Chauvet und Archiekt Emanuele Moro aus Carcassonne ebenso selbstverständlich wie das Entwickeln sinnlicher, präzise durchkomponierter Details.

Das kleine Bürogebäude der Holzgenossenschaft Cosylva besteht aus gänzlich unbehandeltem Vollholz. Der Einsatz natürlicher Materialien war für die Architektin Pauline Chauvet und Archiekt Emanuele Moro aus Carcassonne ebenso selbstverständlich wie das Entwickeln sinnlicher, präzise durchkomponierter Details.

Um es gleich vorwegzunehmen: La Maison de la Forêt – das Haus des Waldes – liegt nicht im Wald, sondern am Rand eines ausufernden Gewerbegebiets mit Lagerhallen, Autowerkstätten, einem Shoppingcenter und Schnellrestaurants. Dennoch haben die Forsttechniker der kleinen Holzgenossenschaft Cosylva beim Blick aus den großen Fenstern ihrer neuen Büros das Gefühl, auf eine idyllische Waldlichtung zu schauen. Dieser Kunstgriff gelang dem Architekturbüro, indem es den Gebäudewinkel so auf dem Grundstück platzierte, dass er das Gewerbegebiet auf subtile Weise ausblendet. Charakteristisch für den Entwurf ist auch die ästhetische Inszenierung von Holz als natürlicher, sinnlicher Baustoff – vollkommen ohne Leim, Lasuren und industrielle Beschichtungen.

Lange bevor er sich auf die Suche nach einem geeigneten Standort machte, war für Philippe Gamet, Geschäftsführer von Cosylva und Bauherr, klar, dass das Haus des Waldes ein Holzhaus sein würde. Schließlich zählt die Waldbewirtschaftung in den Privatwäldern der südfranzösischen Departements Aude, Tarn, Hérault, Ariège und Pyrénées-Orientales zu den Hauptaufgaben der Genossenschaft. Sie berät Waldbesitzer:innen, plant und realisiert gemeinsam mit ihnen Waldarbeiten und Holzfällungen und vermarktet das geschlagene Holz.

Ausschlaggebend für die Wahl dieses Standorts am westlichen Stadtrand von Carcassonne waren der waldartige Baumbestand im Südteil des Grundstücks, dem im Norden eine einst als Autowaschplatz genutzte Brachfläche gegenüberstand. Dafür sprach aber auch, dass er sich unweit der Wohnorte der Mitarbeiter:innen und zugleich in der Nähe der Wälder befindet, die sie betreuen. Nicht zuletzt, weil die Genossenschaft hier immer wieder Mitglieder und Gäste empfangen würde, die es von der ganzheitlichen Qualität ihrer Arbeit zu überzeugen gilt, wollte Gamet mit dem Neubau beispielhaft gleichsam die Essenz des Baustoffs Holz präsentieren. Aus diesem Grund initiierte er 2019 einen geladenen Wettbewerb für Teams aus Architekt:innen und Zimmerer:innen aus der Region. Das Raumprogramm umfasste neben sieben Einzelbüros auch einen großzügigen Empfangsbereich, Sanitärräume mit Dusche sowie einen Besprechungsraum.

Spektakulär unprätentiös

Der Wettbewerbsbeitrag von PAUEM Atelier vereint die Bedürfnisse der Genossenschaft und die Eigenheiten des Grundstücks zu einer architektonischen Symbiose. Resultat ist ein eingeschossiger Gebäudewinkel mit gleich langen Seitenflügeln und einem Eingang an der Außenecke. Diesen Winkel platzierten die Architekten – ohne einen Baum fällen zu müssen – so auf dem dreieckigen Grundstück, dass sowohl ein großzügiger Vorplatz mit gedeckten Parkplätzen als auch ein abgeschirmter Hof entstanden.

Nord- und Ostfassaden verfügen über hoch liegende Bandfenster, die keine Einblicke gewähren. Dass die Fassaden dennoch nicht abweisend wirken, ist den feinen vertikalen Zinkblechstreifen zu verdanken, deren unterschiedlich breite Felder eine dezente Eleganz ausstrahlen und zugleich Hinweise auf die schottenartige Tragwerksstruktur geben. Die eher hermetische Blechfassade harmoniert dabei gut mit den umliegenden Gewerbebauten, sodass das Holzhaus bei Ankunft auf dem Gelände zunächst nicht kunstvoll elaboriert erscheint, obwohl es das in Wirklichkeit ist, sondern angenehm unprätentiös und selbstverständlich in sein Umfeld eingebettet.

Nach Passieren des gedeckten Eingangsbereichs eröffnet sich ankommenden Gästen ein faszinierendes Schauspiel. Sie verlassen die sich noch eben in der Glastür spiegelnde Wüste belangloser Lager- und Verkaufsbauten und betreten eine liebevoll in warmem Holz gestaltete Welt. Der erste Eindruck: Das unwillkürlich als behaglich empfundene Gebäudeinnere verfügt über wesentlich mehr Tageslicht als gedacht. Ursache hierfür sind die hoch liegenden Fenster in den Außenwänden der beiden Erschließungsflure entlang der Blechfassade sowie die großflächige Verglasung sämtlicher Innenräume in Richtung des Hofs. Hinzu kommt eine herrlich klare Grundrissgestaltung, durch die sich unmittelbar die Grundriss- und Tragwerksstruktur erschließen. Sofort ablesbar sind beispielsweise die 2,45 m breiten Raumachsen – alle 4,90 m sind abwechselnd die in den Flur ragenden Untergurte der Dach-Fachwerkträger bzw. die Stirnseiten von Sichtbetonwänden zu erkennen, die gemeinsam das zum Hof abfallende Pultdach tragen. Die Betonwände dienen als Aussteifungselemente und Speichermasse und verbessern den Schallschutz zwischen den Büros. Gleichzeitig stehen sie im angenehmen Kontrast zu den allgegenwärtigen Holzoberflächen.

Nachhaltig und beispielhaft bis ins Detail

Teil des Qualitäts- und Nachhaltigkeitsanspruchs, den PAUEM Atelier und Bauherr gleichermaßen verfolgen, sind der ausschließliche Einsatz von unverleimtem, auch im Außenbereich gänzlich unbehandeltem Vollholz und die mit minutiöser Präzision durchkomponierten und umgesetzten Details. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Holzstütze am Eingang, die in einer dreidimensionalen Verschränkung mit dem Sichtbetonfuß zu verschmelzen scheint. Um dieses skulpturale Detail realisieren zu können, entwickelten und bauten Pauline Chauvet und Emanuele Moro einen Schalungskörper aus Holz, der das exakte Gegenstück zur Holzstütze bilden musste. Die kraftschlüssige Verbindung dieser Materialien erwies sich als echte Herausforderung, da sie sich aufgrund völlig unterschiedlicher Toleranzbereiche (Millimeter versus Zentimeter) üblicherweise kaum je so eng aneinanderschmiegen wie hier. Minimale Toleranzen gab es auch bei den in den Gebäudeachsen direkt auf den Sichtbetonwänden aufliegenden Holzbalken, was – weil die Architekt:innen generell auf kaschierende Deckleisten verzichteten – eine extrem hohe Präzision beim Gießen der geneigten Ortbetonkanten erforderte.

Konstruktive Bauteile bestehen im ganzen Gebäude grundsätzlich aus Douglasie – jenem hochtragfähigen Holz aus den Wäldern rund um Carcassonne, für dessen Pflanzung sich Cosylva bei den Waldbauern besonders stark macht. Sämtliche Bauteilverbindungen sind zimmermannsmäßig und stets mit minimalem Schraubenanteil ausgeführt. Douglasienholz findet sich z. B. in den Dach-Fachwerkträgern, in der Holzständerkonstruktion der gipskartonbekleideten Bürotrennwände oder in den als Rahmenkonstruktion vorgefertigten Außenwand- oder Dachelementen. Erforderliche Aussteifungen erfolgen dabei nicht etwa mit industriellen OSB-Platten, sondern mittels diagonal aufgebrachter Bretterschalungen.

Natürliche Materialien waren für die Architekt:innen auch bei der Wärmedämmung des Bereichs unter der Betonbodenplatte selbstverständlich. Hier setzten sie auf Platten aus portugiesischer Korkeiche – ein Material, das zwar über ideale Druck- und Wasserfestigkeitseigenschaften, nicht aber über eine französische Zulassung für diesen Anwendungsfall verfügt. Überzeugt von der dauerhaften Materialperformance von Kork übernahmen die Architekt:innen kurzerhand selbst die Verantwortung. Als Dachdämmung wählten sie Holzwolle.

Verschiedene Holzarten als Einheit

Neben dem Konstruktionsholz aus Douglasie kamen gemäß ihrer spezifischen Eigenschaften noch einige weitere Holzarten zum Einsatz. Der Parkettboden beispielsweise wurde ebenso wie die sämtlich von PAUEM Atelier entworfenen Einbaumöbel und Tische in Eichenholz ausgeführt. Und die Fensterrahmen und Wandbekleidungen der Innenräume sowie die Fassade und der Boden der gedeckten Veranda bestehen aus verschiedenen Arten von Lärchenholz. Die dabei entstehende Variationsbreite zeigt Gästen und Genossenschaftsmitgliedern beispielhaft die vielfältigen Farbtöne, Oberflächen und Verwendungsmöglichkeiten der einzelnen Holzarten. Die Veranda dient zugleich als Musterbeispiel für den konstruktiven Sonnen- und Holzschutz.

Die Einzigartigkeit dieses Projekts liegt nicht zuletzt in der kongenialen Zusammenarbeit zwischen den Architekt:innen und Philippe Gamet, dem Planungsprozesse so vertraut sind wie die heimischen Wälder und der Baustoff Holz. Cosylva bezog daher das meiste Bauholz direkt aus den von seinen Mitgliedern bewirtschafteten Forsten, während die Weiterverarbeitung in Partnerbetrieben erfolgte, sodass die Transportwege des Holzes meist weniger als 30 km betrugen. Hinzu kommt jene Poesie der Präzision, mit der sich Pauline Chauvet und Emanuele Moro jeder noch so kleinen Einzelheit des Hauses widmeten. Beispielsweise bauten sie 1:1-Modelle der geschwungenen Büroschreibtische in den Rohbau ein, um deren ergonomische Eignung für die nur 9 m² großen Büros zu testen. Eine solche Sorgfalt, die weniger Pedanterie als vielmehr Ausdruck einer Liebe zur Architektur ist, zeigt sich auch in dem aus den Anfangsbuchstaben der Architektenvornamen zusammengesetzten Büronamen PAUEM, der im Französischen wie »poème« – Gedicht – ausgesprochen wird. Welch eine Poesie.

db, Mo., 2024.06.03



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db 2024|06 Südfrankreich

08. Januar 2024Roland Pawlitschko
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Zentrum für Kunstproduktion »Powerhouse Arts« in New York City

Durch die Sanierung und Erweiterung eines ehemaligen Kohlekraftwerks entstand ein 15 800 m² großes multidisziplinäres Zentrum für die Kunstproduktion. Alt und neu bilden ein kraftvolles, konsistentes Bauensemble, das sich uneitel und unprätentiös in den Dienst der Kunst stellt.

Durch die Sanierung und Erweiterung eines ehemaligen Kohlekraftwerks entstand ein 15 800 m² großes multidisziplinäres Zentrum für die Kunstproduktion. Alt und neu bilden ein kraftvolles, konsistentes Bauensemble, das sich uneitel und unprätentiös in den Dienst der Kunst stellt.

Der Gowanus-Kanal ist ein verzweigter Seitenarm der Upper Bay, angelegt Mitte des 19. Jahrhunderts, um ein Industrieareal im Stadtteil Gowanus in Brooklyn an das Wasserstraßennetz New Yorks anzubinden. Inzwischen sind die meisten Betriebsgebäude abgebrochen und die giftigen Altlasten aus dem Kanal entfernt, sodass die benachbarten Wohnviertel zusammenzuwachsen beginnen – erste Wohnhochhäuser sind bereits fertiggestellt. Einer der wenigen erhaltenen baulichen Zeugen der Industriegeschichte des Areals ist das 1904 fertiggestellte Kohlekraftwerk der Brooklyn Rapid Transit Company, das einst U-Bahnen mit Strom versorgte. Umstrukturierungen und modernere Energieerzeugungsmethoden führten in den 50er Jahren zum Abbruch des Kesselhauses und 1972 zum Betriebsschluss auch in der direkt angrenzenden Turbinenhalle. Letztere wurde anschließend von Hausbesetzern und der Graffitiszene eingenommen und war Veranstaltungsort für Underground-Raves.

Dieser Teil der Kraftwerksgeschichte endete 2015, als Joshua Rechnitz die Non-Profit-Organisation Powerhouse Arts gründete, die das Kraftwerk mit seiner tatkräftigen finanziellen Unterstützung kaufte, um hier ein multidisziplinäres Zentrum für die Kunstproduktion einzurichten. In den Produktionsanlagen und Werkstätten für Holz, Metall, Keramik, Textilien und Druckgrafik können Künstler und Kultureinrichtungen ihre Werke selbst herstellen oder produzieren lassen. Zudem stehen ihnen Ausstellungs- und Eventflächen zur Verfügung. Mit der Planung betraute die Organisation die Architekten des Büros Herzog & de Meuron, die die Turbinenhalle behutsam sanierten und um einen Neubau erweiterten.

Identitätsstiftende Landmarke

Eines der wichtigsten Ziele der Architekten war es, die alte Bausubstanz der Turbinenhalle und die Spuren ihrer wechselvollen Geschichte zu erhalten und nahtlos in den Kunstbetrieb des Powerhouse Arts zu integrieren. So blieb nicht nur das äußere Erscheinungsbild des als Stahlbau mit feingliedriger Ziegelfassade errichteten Gebäudes bestehen, sondern auch ein Großteil der in den letzten 50 Jahren darin entstandenen Graffiti. Als augenscheinlich neue Elemente sind heute von außen lediglich die bogenförmigen Fenster und der Haupteingang an der Ostseite auszumachen. Unverkennbar neu ist natürlich auch der auf den alten Fundamenten des Kesselhauses in Stahlbetonbauweise errichtete Kubus, dessen Grundfläche und Höhe ebenso mit dem Vorgängerbau übereinstimmen wie die Größe und Lage der Bogenfenster in der Ost- und Westfassade. Dass die Erweiterung nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als die Turbinenhalle, obwohl sie diese um einige Meter überragt, liegt an der schlichten, schmucklosen Gebäudehülle und am rötlich durchgefärbten Sichtbeton, der unverkennbar Bezug auf die Ziegel des Altbaus nimmt.

Der Haupteingang des Powerhouse Arts liegt – von der 3rd Avenue und mit mehreren U-Bahn-Linien leicht erreichbar – an der Ostseite der Turbinenhalle, während sich der Anlieferungshof an der Gebäuderückseite am Gowanus-Kanal befindet. Angesichts der Gebäudegröße wirkt der kaum 5 m breite und 3 m hohe Eingang auf den ersten Blick vergleichsweise bescheiden. Für die Dimensionen der neu in die Außenwand gebrochenen Öffnung gibt es jedoch gute Gründe: beispielsweise den Wunsch nach einem minimalinvasiven Eingriff, der es ermöglichte, so viel wie möglich von der historischen Bausubstanz zu erhalten. Eine Rolle spielten aber auch Nebenräume und Fluchttreppenhäuser, die die Architekten gebündelt im Bereich über und neben dem Eingang anordneten, um so die Kernfläche der Turbinenhalle frei gestalten zu können. Der wichtigste Grund resultiert jedoch aus der von Anfang an verfolgten Entwurfsidee, mit dem Eingang eine starke räumliche Sequenz aus komprimierten und dekomprimierten Räumen zu schaffen, sodass das Gebäudeinnere nach Passieren des Windfangs umso großzügiger erscheint.

Klare Strukturen

Haben Künstler:innen, Mitarbeiter:innen und Gäste das Eingangsfoyer erst einmal erreicht, finden sie sich in einem schmalen, hohen Raum, der mit Empfangstresen, Cafébereich und Sitzstufen die gesamte Breite der Turbinenhalle einnimmt und voller Geschichte(n) steckt. Sorgfältig restaurierte genietete Stahlstützen und -träger sowie behutsam gereinigte Betonbögen und Ziegelwände mit Graffiti zeugen von vergangenen Zeiten. Dagegen verweisen ein neuer Holzdielenboden, eine mächtige neue Sichtbetonwand und neue Stahltreppen zu den OGs auf die heutige Nutzung – beim Blick nach oben ist ein Teil der Stahl-Dachkonstruktion zu erkennen. Der zunächst nur gefühlte Eindruck eines extrem klar strukturierten Raums bestätigt sich bei der Lektüre der Grundrisspläne. Dabei wird beispielsweise klar, dass die Sichtbetonwand Teil eines zweigeschossigen Betonskelettkörpers ist, der – gleich einem Schiff in der Flasche – in die Turbinenhalle implantiert wurde. Im überhohen EG befinden sich Werkstätten für großmaßstäbliche, schwere Objekte insbesondere aus Metall, die über die Anlieferung leicht abtransportiert werden können. Im OG des Betonkörpers sind v. a. Büros und ein kleiner Vortragssaal untergebracht.

Die im Neubau in allen sieben Geschossen entlang der nördlichen Außenwand der Turbinenhalle angeordnete Nebenraumzone mit Aufzügen, Treppen und Sanitärräumen ermöglicht die flexible Nutzung der Werkstattbereiche für Holz, Keramik, Druckgrafik und Textilien sowie der zweigeschossigen Eventhalle. Ebenfalls in diesem Bereich untergebracht sind Lüftungsgeräte, die die Abluft der emissionsintensiven Nutzungen der obersten Geschosse (Druck und Keramik) auf kurzem Weg zu den Absauganlagen auf dem Dach befördern. Diese Anlagen befinden sich neben weiterer Gebäudetechnik in zwei langen rechteckigen Einhausungen, die an die Schornsteine des historischen Kesselhauses erinnern.

Die Gestaltung sowohl des Betonkörpers in der Turbinenhalle als auch des Erweiterungsbaus basiert auf derselben Architektursprache und denselben Materialien. Tragwerkselemente sind in Sichtbeton ausgeführt, für den weder Zeichnungen angefertigt noch besondere Anforderungen definiert wurden. Hinzu kommen gewöhnliche Betonsteine für Mauerwerkswände, Glas-Trennwände mit Rahmen aus verzinktem Stahl, graue Estrichböden und an Wänden und Decken stets sichtbar geführte Installationen. So entsteht eine unprätentiöse, robuste Werkstattatmosphäre, die dank des Verzichts auf exaltierte Sonderlösungen zugleich half, die Kosten im Zaum zu halten. Einziger, immer wiederkehrender Farbakzent ist der rote Farbton, der seit jeher zur Grundierung von Stahlbauteilen verwendet wird – auch die Stahlkonstruktion des alten Gebäudes war hiermit versehen. Heute erscheinen nicht nur diese, sondern auch sämtliche neuen Stahlbauteile, Fensterrahmen, Geländer, Leuchten, Technikelemente und die Fassade des Neubaus in dieser Farbe. Letztere besteht aus durchgefärbtem Beton, bei dem die Schalung mit einer speziellen Flüssigkeit behandelt wurde, die das Abbinden verzögert und es so nach dem Ausschalen möglich machte, die obere feine Zementschicht abzuwaschen. Resultat ist eine angeraute, vorgealterte Betonfassade, die perfekt mit der Ziegelfassade der Turbinenhalle harmoniert.

Lebendige Geschichte

Die Grand Hall im obersten Geschoss der Turbinenhalle dient als Ort für Ausstellungen, Aufführungen, Kunstinszenierungen, Kunstmessen und andere öffentliche Veranstaltungen und fasst bis zu 1 234 Besucher. Sie füllt den kompletten Raum über der in die Halle implantierten Betonskelettkonstruktion und lässt das eng verzahnte Miteinander von altem Kraftwerk und neuer Nutzung so intensiv wie nirgendwo sonst im Powerhouse Arts erleben. Die überwältigende Raumwirkung basiert auf der gleichermaßen wuchtigen wie filigranen historischen Stahl-Dachkonstruktion, die so gut in Schuss war, dass nichts komplett ersetzt werden musste, und die dank der Sprinkleranlage unbekleidet bleiben konnte. Eine Rolle spielen natürlich auch die vielen großflächig erhaltenen Graffiti, die nur dann in Mitleidenschaft gerieten, wenn neue Wanddurchbrüche für Installationen oder Türen unerlässlich waren. Herausgebrochene Ziegel wurden jedoch nicht entsorgt, sondern zum Aufmauern neuer Wände oder zum Ausbessern alter Wände verwendet. Da die farbigen Vorderseiten dann nicht immer perfekt zusammenpassten oder nur unvollständige Bilder zeigten, entstanden einige skurrile Graffiti-Puzzles. Diese zeugen – ebenso wie die sichtbaren Schnittflächen abgeschnittener Stahlträger – von einem gewissen Pragmatismus der Architekten sowie von ihrem Wunsch nach Authentizität. Mit beidem feiern sie die Geschichte des Orts und schaffen Bezüge zur Kreativität des hier stattfindenden handwerklich-künstlerischen Geschehens. Ging es früher um die Erzeugung von Energie für U-Bahnen, sprüht das Powerhouse Arts heute nur so vor kreativer Energie. Zugleich sorgt es aber auch für den Verbleib des verarbeitenden Gewerbes in diesem Viertel und wirkt so der in Brooklyn allgegenwärtigen Gentrifizierung entgegen.

db, Mo., 2024.01.08



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db 2024|01-02 Kulturbauten

06. Juli 2023Roland Pawlitschko
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Wahrhaftig nachhaltig

Das neue Besucherzentrum eines Herstellers für Bio-Lebensmittel von Haas Cook Zemmrich Studio 2050 ist sowohl Begegnungsort als auch Bildungsstätte. Vor allem aber bietet es vielschichtige Erlebnisräume in einer authentischen und nachhaltigen Materialwelt.

Das neue Besucherzentrum eines Herstellers für Bio-Lebensmittel von Haas Cook Zemmrich Studio 2050 ist sowohl Begegnungsort als auch Bildungsstätte. Vor allem aber bietet es vielschichtige Erlebnisräume in einer authentischen und nachhaltigen Materialwelt.

Wenn einer der Pioniere für Bio-Lebensmittel ein Besucherzentrum mit Museum, Supermarkt, Restaurant und Räumen für Events und Veranstaltungen eröffnet, dann wirft das Fragen auf. Noch dazu in einem ziemlich unscheinbaren Ort im Unterallgäu zwischen Memmingen und dem Bodensee. Wozu braucht »Rapunzel« so etwas überhaupt? Und wie lassen sich die ideellen und ökologischen Ansprüche in ein Gebäude übersetzen?

Angefangen hat alles im Jahr 1974 auf einem Bauernhof 50 km westlich von München. Ohne Businessplan, aber voller Ideen gründeten Jennifer Vermeulen und Joseph Wilhelm eine Landkommune. Ihre Motivation war allumfassend: Sie wollten die industrialisierte Ernährung hinter sich lassen und stattdessen einen Beitrag für eine gesündere Welt leisten.

Ideale statt Nabelschau

Ein Jahr später produzierten sie Müsli, Nussmuse und Fruchtschnitten und eröffneten in Augsburg den Naturkostladen »Rapunzel«. Den Namen entlehnten sie dem in Süddeutschland verbreiteten Wort für Feldsalat. Auf der Welle der gerade entstehenden Bio-Bewegung expandierte man so Schritt für Schritt zu einem Unternehmen mit heute 500 Mitarbeitern. Als Stammsitz und wichtigster Produktionsstandort dient seit 1985 ein ehemaliges Milchwerk in Legau.
Joseph Wilhelm, noch immer geschäftsleitend tätig, spricht davon, ein »Testimonial für einen anderen und mutigeren Lebensstil an den Schnittstellen zwischen ökologischem Landbau, gesunder Ernährung und sozialer Verantwortung zu schaffen«.

Dass es bei der »Rapunzel«-Welt um mehr als eine Nabelschau geht, zeigt die aktuelle Veranstaltungsvorschau. Neben Ayurveda-Kochkursen und Yoga stehen auch Kino, Lesungen und »Hippie-Partys« auf dem Programm. Von der Hauptstraße Legaus kommend, treffen die Besucher auf ein im Grundriss Y-förmiges Gebäude, das auf Anhieb eine angenehme Wärme ausstrahlt. Dieser Eindruck entsteht insbesondere durch das wellige, bis auf die im Erdgeschoss umlaufende Glasfassade heruntergezogene Dach. Hinzu kommt die Dachdeckung.

Authentische Materialien

Sie besteht aus 120 000 Schindeln, die dank der Vielzahl verschiedener Farbtöne von Ocker bis Rostbraun eine flirrende Kleinteiligkeit erzeugen. Dass es sich hierbei nicht um Holzschindeln, sondern um Biberschwanzziegel handelt, ist erst auf den zweiten Blick auszumachen. Diese Überraschung macht neugierig auf mehr. Über den zum Ort orientierten »Marktplatz« mit leise plätscherndem Brunnen gelangen die Gäste direkt in die zentrale zweigeschossige Eingangshalle. Hier herrscht geschäftiges Treiben. Denn die Halle ist im Erdgeschoss zugleich Restaurant mit rund hundert Sitzplätzen sowie Dreh- und Angelpunkt für die räumliche Verknüpfung aller Bereiche im Haus.

Vielfältige Sichtbezüge ins Freie und zu den durch Glaswände einsehbaren Erdgeschossnutzungen, vor allem für die Kaffeerösterei, die Bäckerei, sowie den Bio-Supermarkt sind wichtig für die behagliche Atmosphäre. Sie verschaffen den Gästen sofort einen guten Überblick und erleichtern die Orientierung. Entscheidend für die Raumwirkung ist aber der authentische Materialeinsatz.
Die Architekten des Stuttgarter Büros Haas Cook Zemmrich Studio 2050 verwenden sämtliche Oberflächen materialsichtig – verunklärende Anstriche oder undefinierbare Verbundwerkstoffe sind nicht auszumachen. Der Boden ist als geschliffener Terrazzoestrich mit grünen Andeer-Steinsplittern ausgeführt. Wände und Decken erscheinen in Sichtbeton. Die lange Ausgabetheke des Restaurants, die Brüstungen zur Galerieebene im 1. OG und die Untersicht der Dachschräge sind mit Eichenholz bekleidet.

Hinzu kommen von einem Allgäuer Möbelschreiner angefertigte Massivholz-Sitzbänke, -Stühle und -Tische. Letztere verfügen zum Teil – ebenso wie die Ausgabetheke – über Marmor-Tischplatten. Im Zusammenspiel ergibt sich ein wohltemperiertes Ensemble, das zugleich gemütlich und geradlinig-modern, unprätentiös und gewollt wirkt. Und das alles in einer sinnlichen Präzision, die die Wertschätzung für das Material und das traditionelle Handwerk eindeutig zum Ausdruck bringt.

Attraktion Wendeltreppe

Den wichtigsten gestalterischen Akzent in der Eingangshalle setzt die 12 t schwere, zugleich federleicht wirkende Wendeltreppe in der Raummitte. Sie ist 14 m hoch und besteht aus tragenden Außen- und Innenwangen aus Fichten-Brettschichtholz, die mit 5 mm starkem Eichenholzfurnier bekleidet sind. Einerseits erschließt sie die Besucherbereiche im UG, also Weinkeller, Bar, Garderobe und Toiletten. Andererseits führt sie ins 1. OG zu drei Veranstaltungsräumen und einem Museum rund um das Thema Bio. Die Bereiche sind von den Architekten und vom Atelier Markgraph in derselben Leichtigkeit und Detailverliebtheit gestaltet wie der Rest des Hauses. Interaktive Stationen zu ökologischem Landbau, gesunder Ernährung und fairem Handel sind hier ebenso zu finden wie zum Thema Lebensmittelverschwendung.

»Nachwachsenden oder wiederverwertbaren Baustoffen wurde, wann immer möglich, der Vorzug gegeben«, sagt Architekt Martin Haas in einem Interview für eine Art Reisetagebuch, mit dem »Rapunzel« die Entstehungsgeschichte des Besucherzentrums dokumentiert. Der Terrazzoestrich ist über einer Ausgleichsschicht aus Glasschaumzement angelegt und nicht mit kunststoffbasiertem Epoxidharz, sondern mit einer Schutzschicht auf silikatischer Basis versiegelt. Zur Wärmedämmung der Dachflächen kam Zellulosedämmung zum Einsatz.

Der Beton für das Tragwerk des Gebäudes stammt aus einem nur 14 km entfernten Sand-, Kies- und Transportbetonwerk. Und für das mit natürlichen Ölen behandelte Parkett im 1. OG wurden Eichenholzabfälle verwendet, die beim Bau der Treppe anfielen - und das, obwohl ein Angebot für billigeres neues Holz vorlag.

Ziegel statt Lärchenholz

Jede Materialentscheidung kam bereits während der Entwurfsphase auf den Prüfstand. »Wir haben eine Ökobilanz erstellt und die Materialien nach eingebundener Energie, der Wiederverwertbarkeit und dem Transport gewählt«, so Haas.

Dies führte bei der Wahl der Dachdeckung zur Entscheidung für die gebrannten Tonziegel und gegen den ursprünglichen Favorit Lärchenholz. Bezogen auf den gesamten Lebenszyklus erwiesen sich die Ziegel als nachhaltigere Lösung: Sie bestehen ebenfalls aus einem Naturprodukt (Ton), sind aber wetterfest, langlebig und nicht brennbar. Zudem eignen sie sich besser für die weniger stark geneigten Bereiche. Die typische variationsreiche Farbigkeit der Dachflächen entstand einerseits durch die unregelmäßige Beschichtung mit einer flüssigen Tonmineralmasse (Engobe), andererseits durch das unregelmäßige Untersortieren etwas längerer Ziegel.

Den Gästen der »Rapunzel«-Welt steht nicht nur mehr als drei Viertel aller Innenräume offen. Im Sinne eines ganzheitlichen Besuchererlebnisses ist auch die komplette, großflächig begrünte Dachfläche zugänglich. Im Wortsinn den Höhepunkt bildet die Dachterrasse über den Mehrzweckräumen im 2. OG. Hier, im höchstgelegenen Gebäudeteil, ordneten die Architekten ein »Krähennest« an, von dem aus sich die direkt benachbarten Produktionsanlagen ebenso gut überblicken lassen wie das Allgäuer Umland. Umgekehrt definiert dieser Bereich mit einer bis zu 21 m hohen Fassade eine weithin sichtbare Landmarke in der Landschaft.

Vom Dach führt der Weg über Treppen schließlich schrittweise zu den rückwärtigen Freiflächen und von dort zurück zum Haupteingang. Dieser architektonische Rundgang steht sinnbildlich für das Ideal von Rapunzel, in Kreisläufen zu denken und den Menschen mit gutem Beispiel voranzugehen. Insofern ist das Besucherzentrum tatsächlich mehr als eine Nabelschau. Es ist vielmehr der ernst gemeinte, aber eher spielerisch als überheblich formulierte Versuch, die Menschen zu sensibilisieren: für einen respektvollen Umgang mit ihren Mitmenschen und den endlichen natürlichen Ressourcen unseres Planeten.

db, Do., 2023.07.06



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db 2023|07 Material wirkt

04. April 2023Roland Pawlitschko
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Maßstäbe setzen ohne Allüren

Ein Gebäude für Sport, Lehre und Forschung legt die Latte des im Holzbau Machbaren höher – mit einem Vordach, das als reine Holzkonstruktion auf 150 m Länge spektakuläre 18,6 m frei auskragt und zugleich subtile Bezüge zu den legendären Olympiabauten aufnimmt.

Ein Gebäude für Sport, Lehre und Forschung legt die Latte des im Holzbau Machbaren höher – mit einem Vordach, das als reine Holzkonstruktion auf 150 m Länge spektakuläre 18,6 m frei auskragt und zugleich subtile Bezüge zu den legendären Olympiabauten aufnimmt.

Die sanft wogenden Zeltdachkonstruktionen und Hügellandschaften des Münchener Olympiaparks bilden eines der bedeutendsten baulichen Gesamtkunstwerke Deutschlands. Weniger bekannt, aber nicht weniger wichtig, ist der nördliche Teil des Parks. Dort befinden sich das Olympische Dorf, das sich unter den heute 6 000 Bewohnern enormer Beliebtheit erfreut, sowie eine der größten deutschen Hochschulsportanlagen. Letztere diente ursprünglich als zusätzlicher Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1972 sowie als Pressezentrum und wurde danach von der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität München (TUM) sowie vom Zentralen Hochschulsport (ZHS) genutzt. Nach knapp einem halben Jahrhundert intensiver Nutzung wiesen die Sporthallen und Institutsgebäude insbesondere gravierende Brandschutz- und Platzprobleme auf. Um der TUM und dem ZHS optimal nutzbare Räume bieten zu können, fiel 2015 die Entscheidung, die Bauten abzubrechen und an ihrer Stelle nach einem Architektenwettbewerb den neuen »TUM Campus im Olympiapark« zu errichten.

Verzahnung von Alt und Neu

Das Siegerprojekt des Architekturbüros Dietrich | Untertrifaller zeigt einen 150 x 180 m großen Baukörper, der sich zweigeschossig und mit zahlreichen Innenhöfen gut in die rechtwinklige Struktur der umliegenden Außensportfelder einfügt. Da dessen Realisierung bei laufendem Betrieb erfolgen sollte, konzipierten die Architekten zwei diagonal verschränkte Hallen- und Bürocluster, die sich in zwei Bauabschnitten errichten lassen sollten und so einen schrittweisen Abbruch des Gebäudebestands ermöglichten. Im ersten Bauabschnitt, der nun fertiggestellt ist, entstanden die beiden Hallencluster: Sporthallen mit insgesamt 14 Sportfeldern, Büro-, Seminar- und Vorlesungsräume, eine Mensa, eine Bibliothek sowie Werkstätten und Labore. Nach Abbruch der Bestandsgebäude, an die der Neubau zentimetergenau herangerückt war, laufen nun die Arbeiten am zweiten Bauabschnitt auf Hochtouren. Die Fertigstellung der beiden komplementären Bürocluster mit Verwaltungs- und Institutsräumen ist für 2024 geplant.

Zentrales Element des Neubauprojekts ist die 165 m lange »Rue intérieure«, die die Architekten im 1. OG platzierten, wo ein Steg am Haupteingang die Anbindung an die erhöht angelegten Wege des Olympiaparks Nord übernimmt. Die Haupterschließungsachse bietet vielfältige Einblicke in die großflächig verglasten Sporthallen, Hörsäle und Seminarräume sowie in die Seitenflure und Innenhöfe der Bürocluster. Dank der durchgängigen Breite von 12 m und der vollflächigen Sprinklerung ist sie zugleich großzügiger Aufenthalts-, Lern- und Veranstaltungsbereich.

Prägnant und doch unaufdringlich

Wesentlich für die räumliche Qualität der in Ost-West-Richtung verlaufenden Rue intérieure ist neben ihren großen Nutzungsspielräumen das Farb- und Materialkonzept. Die Oberflächen spielen sich eher in den Hintergrund: ein polierter Betonfußboden, graue Sichtbetonwände, viel Glas sowie eine Decke mit zurückhaltender Fichtenholzbekleidung. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die den Raum mit Farbe und Leben füllen. Was auffällt, gerade weil es nicht auffällt, ist das Tragwerk. Stützen, Pfeiler oder Unterzüge, die das Lastabtragen offensichtlich machen würden, stechen nicht ins Auge. Stattdessen bestimmen große raumbegrenzende Flächen das Bild. So entsteht ein angenehmes Gefühl von Leichtigkeit – die Stützen vor den verglasten Seitenwänden sind so schlank und zudem dunkel gestrichen, dass sie vor den ebenfalls dunklen Fensterprofilen kaum auffallen. Sichtbar ist das Dachtragwerk aus Fichten-Brettschichtholzträgern mit 5 m Achsabstand lediglich an den Seitenrändern, wo Oberlichter reichlich Tageslicht in den Raum bringen.

Rue intérieure, Treppenkerne, Hörsaal, Teile der Sporthallen und das UG sind im Sinne brandschutztechnischer und statischer Kriterien als Stahlbetonkonstruktion ausgeführt, während Sporthallen, Institutsbereiche und die komplette Dachkonstruktion in Holzbauweise errichtet sind. In den Sporthallen prägt eine klare Struktur aus Brettschichtholzträgern, Oberlichtelementen und präzise gesetzten Sport- und Technikeinrichtungen das Bild. Erstere sind über allen Sportfeldern nur 16 cm breit, 27 m lang, in Feldmitte 1,80 m und am Auflager 1,40 m hoch und im Achsabstand von 2,5 m angeordnet. Dazwischen liegen einfache Kantholzpfetten, die mit einfachen OSB-Platten eine aussteifende Dachscheibe ausbilden. Im Zusammenspiel mit den Seitenwandbekleidungen aus Weißtanne entstehen standardisierte, maßstäblich gegliederte und unaufdringlich bewegte Räume mit behaglicher Raumatmosphäre. Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang sind die konischen Oberlichtelemente aus Dreischichtplatten, die dank integrierter Blendroste viel blendfreies Tageslicht einfallen lassen.

An der Grenze des im Holzbau Machbaren

Am westlichen Ende der Rue intérieure befinden sich die Bibliothek und die Mensa sowie eine große Außenterrasse, zu deren Füßen die orthogonal kreuzende Haupterschließungsachse der Außensportflächen – die Rue extérieure – sowie eine Leichtathletik-Außenanlage liegen. Der eigentliche Hingucker ist jedoch das über der Außenterrasse schwebende Vordach: eine vollverleimte Holzkonstruktion, die über die gesamte Gebäudebreite bemerkenswerte 18,6 m frei auskragt. Maßgeblich für dessen Gestaltung waren jene Vorgaben, die die Architekten schon im Wettbewerb zusammen mit den Holzbauingenieuren von merz kley partner definierten: Zum einen sollte die Höhe des Dachs der Höhe des umlaufenden Dachrands entsprechen, woraus eine Konstruktionshöhe von maximal 1,60 m resultierte. Zum anderen waren die Untersicht des Vordachs flächig auszubilden und sichtbare Unterzüge unbedingt zu vermeiden. Selbstredend musste die Lösung bei allen bautechnischen Herausforderungen wirtschaftlich umsetzbar sein. Aus diesen Vorgaben resultierten insgesamt vierzig 28 m x 3,75 m x 1,60 m große, jeweils selbstständig tragende Hohlkästen. Diese wurden komplett mit Oberlichtöffnungen, Entwässerungsleitungen und Wärmedämmungen vorgefertigt, angeliefert und per Autokran zunächst auf ein Hilfsgerüst eingehoben. Die Vordachelemente bestehen aus Längsrippen und Querträgern in Brettschichtholz sowie aus bis zu 20 m langen Furnierschichtholz-Beplankungsplatten, die zusammen für eine hohe Steifigkeit und geringe Verformungen sorgen. Beeindruckend ist angesichts der enormen Auskragung v. a. die Leichtigkeit, mit der die Elemente im Gebäude rückverankert sind – zumal der Teil über dem Innenraum lediglich 9,3 m lang ist und jeweils auf vier Punkten aufliegt. Die druckbelasteten Pendelstützen in Fassadenebene dienen je zwei benachbarten Elementen als Auflager. In die Hohlkästen integrierte verstärkte Querträger sowie Kopfplatten mit Querdruckverstärkungen gewährleisten dabei die erforderliche Lastverteilung. Die Auflager entlang der fassadenparallelen Glaswände zur Sporthalle bzw. zum Innenhof nehmen hingegen nur Zugkräfte auf, die mittels Zugstangen in Rückverankerungen im Boden eingeleitet werden. Rund 1 m lange Schrauben in den Querträgern der Hohlkästen übernehmen dabei die Kraftübertragung. Kleiner Wermutstropfen: Brandschutzbestimmungen führten dazu, dass die Zugstäbe mit Brandschutzbekleidungen aus Holz versehen werden mussten, die sie massiver erscheinen lassen als die druckbelasteten Pendelstützen. Die horizontale Aussteifung erfolgt über die Anbindung des Dachs an Treppenhauskerne und andere Betonwände.

Neue Landmarke im Olympiapark

Der TUM Campus ergänzt den denkmalgeschützten Olympiapark um ein selbstbewusstes, ikonisches Bauwerk, das auf den ersten Blick keinen Bezug auf die denkmalgeschützten Olympiabauten nimmt. Mit seinen dunkel lasierten Holzfassaden und der zurückhaltenden Gestaltung erscheint der TUM Campus, der von 125 000 Studierenden und 30 000 Beschäftigten aller Münchner Universitäten und Hochschulen genutzt wird, vielmehr auf angenehme Weise geerdet. Entwurfsentscheidungen basierten hier immer auch auf funktionalen Aspekten. Das zeigt sich nicht zuletzt am Vordach: Im EG unter der Mensa sind Sportlabore untergebracht, in denen Forscher die Leistungsperformance von Sportlern während und nach den Trainingseinheiten untersuchen. Dank des weit über der Außenterrasse und Teilen der Laufbahnen schwebenden Vordachs können diese Messungen witterungsgeschützt stattfinden. Zugleich lässt das Dach einen geschützten Zuschauerbereich für Sportveranstaltungen auf der Leichtathletik-Außenanlage entstehen. Auf den zweiten Blick offenbart der TUM Campus dann doch subtile Parallelen zu den legendären Zeltdachkonstruktionen: die Alltagstauglichkeit, die weitläufige räumliche Offenheit und die Leichtigkeit eines Tragwerks, das die Grenzen des Machbaren austestet. Es ist diese Art der bescheidenen Reduktion auf das Wesentliche, die den Neubau zum selbstverständlichen, integralen Teil des Olympiaparks werden lässt.

db, Di., 2023.04.04



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12. September 2022Roland Pawlitschko
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Ein Park klettert über die Häuser

Mit dem Quartier Le Ray schuf das Pariser Architekturbüro Maison Edouard François ein einzigartiges Wohnumfeld. Der Gemeinschaftsgedanke steht dabei ebenso im Vordergrund wie eine Begrünung, die den benachbarten Park gleichsam bis in die Wohnungen holt.

Mit dem Quartier Le Ray schuf das Pariser Architekturbüro Maison Edouard François ein einzigartiges Wohnumfeld. Der Gemeinschaftsgedanke steht dabei ebenso im Vordergrund wie eine Begrünung, die den benachbarten Park gleichsam bis in die Wohnungen holt.

Nizza verzeichnet nach Paris die meisten Städtetouristen in Frankreich, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass es als die französische Großstadt mit den meisten Sonnenstunden gilt. Im Sommer wird jedoch genau das oft zum Problem, weil sich die Straßen und Gebäude über den Tag auch ohne Hitzewelle so aufheizen, dass die Temperaturen selbst nachts kaum unter 30 °C fallen. Darunter leiden v. a. jene innerstädtischen Bereiche, die nur über wenige Grünflächen verfügen. Das neue Quartier Le Ray liegt nur ein paar Kilometer nördlich der mondänen Promenade des Anglais am Mittelmeer, dort, wo die dichte Bebauung der Stadt in die geschwungene Hügellandschaft der Seealpen übergeht. Bis vor fünf Jahren befand sich hier noch das Stade du Ray des Erstliga-Fußballvereins OGC Nice, der heute in einem Neubau am Stadtrand spielt.

Um das Gelände nach Abriss des alten Stadions neu zu ordnen, initiierte die Stadt einen Wettbewerb für Partnerschaften aus Bauunternehmen und Architekten. Neben einem 2 ha großen öffentlichen Park sollten – ohne konkrete ökologische Vorgaben – auf einem weiteren Hektar insbesondere Ladenflächen und Wohnungen entstehen. Zum Raumprogramm gehörten ein Supermarkt und Einzelhandelsflächen (insgesamt 6 000 m²), ein Trainingsraum für japanische Kampfkünste (1 000 m²), 650 Stellplätze und insgesamt 350 Wohnungen.

Dass das Pariser Architekturbüro Maison Edouard François das Verfahren gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten von La Compagnie du Paysage und dem Baukonzern VINCI für sich entscheiden konnte, hatte v. a. eine Ursache: Die Architekten entwarfen ein Projekt, das so eng mit den urbanen und klimatischen Eigenheiten der Stadt sowie mit den Besonderheiten des Grundstücks verwoben ist, dass es seinerzeit wie heute noch schwerfällt, sich hier alternative Lösungen vorzustellen. Wesentlich hierbei ist die Tatsache, dass sich die Neubebauung nicht als eitle architektonische Landmarke präsentiert. Im Gegenteil: Sie verschwimmt subtil sowohl mit dem bestehenden städtischen Umfeld als auch mit dem neuen, ebenfalls von der Compagnie du Paysage geplanten Park.

Wohnen im Mittelpunkt

Wer sich aus der Innenstadt auf den Weg zum Quartier Le Ray macht, beispielsweise mit der Straßenbahnlinie 1, ist angesichts der Kleinteiligkeit zunächst einmal überrascht. Am Boulevard Gorbella gibt es weder Hinweise auf die Präsenz eines großen Supermarkts noch auf eine Parkgarage mit 650 Stellplätzen. Während das EG wegen der wenigen bescheidenen Schaufenster und der einfachen Markisen einen kleinen Lebensmittelmarkt erwarten lässt, entpuppt sich das Ganze beim Eintreten als Hypermarché mit allem Pipapo. Dass dieser Markt von außen nahezu unsichtbar bleibt, hat damit zu tun, dass der größte Teil seiner Fläche dank des sorgfältig modellierten Geländes unter der Erde liegt – ebenso wie die beiden Tiefgaragengeschosse, deren Zufahrt in einer Nebenstraße angeordnet wurde. Im Mittelpunkt stehen stattdessen die insgesamt zehn Wohnhäuser mit 260 Eigentums- und 90 Sozialwohnungen, die sich mit überbordender Boden-, Fassaden- und Dachbegrünung allesamt über der Ladenfläche befinden. Sie, und nicht der Kommerz oder das Auto, definieren das weithin sichtbare, einprägsame Erscheinungsbild des neuen Quartiers.

Zwei dieser Wohnhäuser, die wegen der Erdbebengefahr in der Region alle in Stahlbeton konstruiert sind, nehmen eine Sonderposition ein. Sie beherbergen an der Gebäudeecke über dem Eingang zum Hypermarché die Sozialwohnungen und suggerieren durch die unterschiedliche Fassadengestaltung drei unprätentiöse Einzelgebäude, die einen vermeintlich im Lauf der Jahre gewachsenen Blockrand ausbilden. In Wirklichkeit handelt es sich (auch bei dem Bau mit den historisch anmutenden Klappläden) um Neubauten von Edouard François, die nur scheinbar nachträglich um ein bis zwei OGs aufgestockt wurden. Diese Geschosse verfügen über die gleiche begrünte Gebäudehülle und die gleichen weit auskragenden Balkonplatten wie die meisten der anderen Neubauten und definieren so den fließenden Übergang zwischen Stadt und Park. Bis ins EG begrünte Fassaden hätten hier deplatziert gewirkt, und ohne dieses Bindeglied wären die Blockränder nicht als Teil der Gesamtanlage erkennbar gewesen.

Begrünung als integraler Teil des Gebäudeentwurfs

Der zentrale Zugang zum Quartier liegt am Boulevard Gorbella. Von hier gelangen alle Bewohner zunächst in eine mondäne Eingangshalle mit Devotionalien des OGC Nice und über eine breite Treppe schließlich nach oben in den Freibereich zwischen den in drei Zeilen angeordneten Häusern. Was beim Vor-Ort-Besuch angesichts der sengenden Julihitze sofort spürbar ist: Dank der engen Stellung der Häuser und der üppigen Begrünung herrscht ein sehr angenehmes Kleinklima. Nicht zu übersehen ist auch, dass die Bepflanzung sowohl am Boden als auch an der Gebäudehülle heute sehr viel dichter geschlossener ist als auf den Fotos, die ziemlich genau ein Jahr zuvor entstanden. Dieser Erfolg ist insbesondere den Landschaftsarchitekten der Compagnie du Paysage zu verdanken. Sie haben in enger Abstimmung mit den Architekten mehrere Hundert Pflanzenarten ausgewählt, die optimal an das mediterrane Klima angepasst und zugleich robust und anspruchslos sind.
Außer den zwei Blockrandhäusern gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Typen von Gebäuden. In der Mitte stehen zwei aufgeständerte Laubenganghäuser mit Fassaden, die an Staketenzäune erinnern. In deren EGs liegen von allen Bewohnern genutzte Bereiche: Fahrradabstellplätze, eine E-Bike-Ladestation sowie ein Gemeinschaftsraum. Ebenfalls gemeinschaftlich genutzt sind die beiden Dachflächen. Sie sind als Dachgärten angelegt, die von einem externen Verein betreut werden und mit Hochbeeten den Anbau von Gemüse, Salat, Beeren etc. ermöglichen. Zwei Gewächshäuser dienen als zusätzliche Pflanzfläche bzw. als Ort zur Aufbewahrung von Gartenutensilien.

Die Kubatur der sechs seitlichen Gebäude ist geprägt von den lebhaft vor- und rückspringenden Sichtbetonwänden sowie von den unterschiedlich weit auskragenden Balkonplatten. Ihr Erscheinungsbild wird dennoch wesentlich von einem filigranen Gerüst aus robustem unbehandeltem Kastanienholz bestimmt, das die Architekten vor den Wänden und Balkonen platzierten. Teil des Gerüsts sind unregelmäßig in unterschiedlichen Höhen angebrachte Holz-Pflanztröge mit Kletterpflanzen, die am Holzgerüst und an diagonal gespannten Edelstahlseilen entlangwachsen. Um die darin eingesetzten Pflanzen müssen sich die Bewohner ebenso wenig kümmern wie um die Grünflächen am Boden. Nach rund fünf Jahren sollen die Pflanzen ein in sich geschlossenes Ökosystem ausgebildet haben, in dem sie so zusammenwirken, dass sie nicht mehr gegossen werden müssen. Bis dahin übernehmen Landschaftsgärtner zweimal pro Jahr die notwendige Pflege. Ohne die Wohnungen betreten zu müssen, gelangen sie mit Hubsteigern an die Pflanztröge. Deren Bewässerung erfolgt – sofern es Niederschläge gibt – mittels Regenwassers, das in einer zentralen unterirdischen Zisterne gesammelt und über ein sichtbares Schlauchsystem verteilt wird. Was das Erscheinungsbild der begrünten Gebäudehülle so faszinierend und zugleich kostengünstig macht, ist die angenehm unprätentiöse und luftige Konstruktion: Die Kanthölzer sind simpel verschraubt, völlig unregelmäßig gemasert und häufig nicht im Lot.

Typisch Nizza

Ein weiterer Grund, weshalb sich das Quartier Le Ray so selbstverständlich in sein Umfeld einfügt, sind die vielen kleinen Details, die die Gebäude klar als nizzaisch kennzeichnen: die azurblauen Stühle in den Freiflächen, die seit Jahrzehnten die Promenade des Anglais säumen; die mit einem Trompe-l’Œil bemalte Fassade – eine Hommage an die vielen historischen Pendants, die einst in der Stadt entstanden, um die für echte Fenster fälligen Steuern zu sparen; oder die sand- und erdfarbenen Putz- und Steinfassaden zum Boulevard Gorbella, die den typischen Fassaden der Stadt entsprechen.

Auch wenn gut drei Viertel der 350 Wohnungen Eigentumswohnungen sind, die bei einer Vermietung gute Preise erzielen dürften, handelt es sich bei dieser Neubebauung nicht um ein elitäres Luxusquartier. Dafür sorgt eine Architektur des Augenmaßes und der Maßstäblichkeit, bei der nicht die einzigartige Außenwirkung im Vordergrund steht, sondern die Gemeinschaft der Menschen und das Miteinander von Stadt und Natur. Und das sollte in Wohnquartieren kein Luxus, sondern vielmehr die Regel sein.

db, Mo., 2022.09.12



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db 2022|09 Begrünte Gebäude

04. September 2020Roland Pawlitschko
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Im Dialog mit der Stadt

Der Neubau in Portos Altstadt ist kein Manifest des Betonpurismus. Er schlägt vielmehr eine Brücke zwischen den Jahrhunderten und trägt zur Heilung städtebaulicher Wunden bei. Dreh- und Angelpunkt in diesem Zusammenhang sind die Loggien. Sie lassen eine fast 2 m tiefe Raumschicht entstehen, die als feinsinniger Filter zwischen innen und außen vermittelt.

Der Neubau in Portos Altstadt ist kein Manifest des Betonpurismus. Er schlägt vielmehr eine Brücke zwischen den Jahrhunderten und trägt zur Heilung städtebaulicher Wunden bei. Dreh- und Angelpunkt in diesem Zusammenhang sind die Loggien. Sie lassen eine fast 2 m tiefe Raumschicht entstehen, die als feinsinniger Filter zwischen innen und außen vermittelt.

Portos Altstadt genießt seit 1996 Weltkulturerbestatus, und innerhalb des hügeligen Stadtgebiets liegt auch der vor gut 100 Jahren eröffnete Bahnhof São Bento. In unmittelbarer Nähe des Gebäudes befindet sich eine große Brachfläche, die recht irritierend wirkt, wenn man bedenkt, dass die UNESCO explizit das »städtische Gefüge« unter Schutz stellte. Doch städtebauliche Brüche haben an diesem Standort Tradition: Dem Bau des Bahnhofs fiel ein Kloster aus dem 16. Jahrhundert zum Opfer, und um eine prächtige Achse zur berühmten Stahlbogenbrücke Ponte Luís I anzulegen, wurde in den 50er Jahren eigens ein ganzes Altstadtviertel abgerissen und eine breite Schneise in den Fels gesprengt. Dieses ambitionierte Projekt verlief freilich ebenso im Sand wie die inzwischen 20 Jahre alten Pläne Álvaro Sizas, das Areal an der Avenida Dom Afonso Henriques wieder zu verdichten. Bis vor Kurzem prägte den nordöstlichen Rand jener felsigen, kaum vernarbten Wunde im Stadtkörper, noch ein unbebautes Grundstück mit der ruinösen Straßenfassade eines Wohnhauses aus dem 18. Jahrhundert.

Durch eine Konstellation, deren Erläuterung hier zu weit führen würde, ­erhielt ein Investor die Möglichkeit einer Baurechtsprüfung für eben dieses Grundstück. Der von Alexandra Coutinho und Nuno Grande vom Architekturbüro Pedra Líquida hierfür erstellte Vorentwurf eines Wohnhauses wurde zwar nicht umgesetzt, bildete aber den Ausgangspunkt für das von den Architekten stattdessen realisierte Apartmenthotel São Bento Residences. Das Grundstück ist, wie bei Wohnbebauungen in der Altstadt Portos üblich, schmal und lang und war früher mit mehreren Hinterhäusern bebaut. Diese waren bei Planungsbeginn bereits ebenso verschwunden wie die Räume ­hinter der Fassade und auch die einst westlich direkt angrenzenden Nachbarhäuser, sodass sich die völlige Neuinterpretation des Orts geradezu auf­drängte. Entstanden ist ein Neubau aus zwei optisch eigenständigen, gestal­terisch jedoch einheitlichen Bauvolumen, die an einem haushohen Spalt, in dem sich der Hoteleingang befindet, aufeinandertreffen.

Neu interpretiert

Die alte denkmalgeschützte Natursteinfassade musste penibel genau wiederhergestellt werden, und für die Aufstockung um ein leicht rückspringendes DG in Sichtbeton gab es verbindliche Auflagen. Zum einen war ein Dach­gesims vorzusehen, das die Fassade analog zu den Nachbargebäuden optisch nach oben abschließt. Dem entsprachen die Architekten mit einer einfachen auskragenden Betonplatte. Zum andern mussten beide Volumen über ein geneigtes Ziegeldach verfügen – dieses Dach verbirgt sich hinter den über den Traufpunkt hochgezogenen Sichtbetonaußenwänden.

Prägnantester Teil des Neubaus ist das große Bauvolumen an der Avenida Dom Afonso Henriques. Was beim Blick auf dessen Sichtbetonfassade sofort auffällt, sind zwei Dinge: Erstens weisen die gleichförmigen Fassadenöffnungen über dem Restaurant im EG jene Vertikalität auf, von der auch alle alten Häuser Portos gekennzeichnet sind. Zweitens erscheint das Haus durch die tiefen Einschnitte sehr massiv und plastisch. Fenster im herkömmlichen Sinn sind nicht zu erkennen – sämtliche Öffnungen sind, außer im Restaurant im EG, als Loggien ausgebildet. Aus der Entfernung mag diese »Massivität« vielleicht ein wenig unnahbar anmuten. Beim Näherkommen wirkt der mit Stockhämmern großflächig aufgeraute Sichtbeton jedoch angenehm vertraut. Nicht zuletzt deshalb, weil durch die Oberflächenbearbeitung ein wichtiger Zuschlagstoff freigelegt wurde: eine lebhafte Mischung von Körnern verschiedener Granitsorten. Und Granit ist in Porto allgegenwärtig – in Kopfsteinpflastern und Hausfassaden ebenso wie im freigelegten Felsen neben dem Neubau.

Geheimnisvolle Nischen

Die mit versetzt offenen und geschlossenen Feldern präzise komponierte ­Fassade erscheint auf den ersten Blick als neutrale, zurückhaltend elegante Bauskulptur. Was sich in ihrem Innern verbirgt, wird vielen Passanten auch beim zweiten Blick ein Rätsel bleiben – allein anhand des am Eingang an­gebrachten Schriftzugs »S. Bento Residences« gibt sich das Haus jedenfalls nicht eindeutig als Hotel zu erkennen. Hotelgäste sehen darin wohl eher den Reiz des Geheimnisvollen als einen Nachteil.

Hat man eines der zwölf Apartments mit Loggia gebucht, begibt man sich nach Passieren der kleinen Lobby (weitere öffentliche Bereiche gibt es nicht) nach oben. Wie aber sehen die Räume hinter der massiven Außenwand aus, insbesondere der Übergang zu den Loggien? Wie fühlen sich die Loggien an? Wie viel Licht fällt durch sie in die Innenräume? Von dieser Neugier getrieben, zieht es einen zuallererst in Richtung Straßenfassade. Auf dem Weg dorthin fällt auf, wie wunderbar asketisch die Räume mit nur wenigen Materialien definiert wurden: Betonestrich, Sichtbetondecken und -außenwände, Fensterrahmen aus Kambala-Holz und Messinggeländer. Wirkt die Loggienfassade von außen monolithisch und ruhig, so erscheint sie von innen feingliedrig und bewegt. Die Abfolge aus unterschiedlich dimensionierten Nischen spiegelt im Innern nicht das gleiche Regelmaß wider, das noch von außen zu sehen war. Das liegt daran, dass die Seitenwände der Nischen jeweils entweder kurz oder lang, aber nie gleich lang sind, und die Verglasung – von außen kaum erkennbar – stets übereck geführt ist. Dadurch öffnen sich die Loggien zum Raum und es entstehen unerwartete Durchblicke und Spiegelungen.

Die Loggien sind recht klein und für herkömmliche Balkonmöblierungen nicht geeignet. Dennoch sind sie so groß, dass zwei Personen dort entspannt sitzen und den Ausblick genießen können. Zu manchen der für 2-4 Gäste geeigneten Apartments gehört eine Doppelloggia mit zwei Öffnungen. Je nach Größe verfügen die Apartments über zwei oder drei Öffnungen, die – nachdem das Haus zur Rückseite komplett geschlossen ist – zugleich die einzigen Tageslichtquellen bieten. Von räumlicher Enge kann dennoch keine Rede sein, eher von einer kontemplativen Konzentration auf den Innenraum, der durch die tiefen Öffnungen gerahmte Ausblicke in die Altstadt zeigt. Einen besonders geborgenen Rückzugsort bieten die meist als Sitzecken genutzten ­Nischen, deren Raumhöhe hinter einem breiten Betonunterzug jener des Apartments entspricht. Angeregt vom Raumerlebnis dieses unkonventio­nellen Raums kommt unwillkürlich die Frage auf, wie das Gebäudetragwerk funktioniert.

Ein Abschnitt des Gebäudeteils mit den Loggien liegt oberhalb der unterirdischen Metrostation São Bento, sodass Stützen nur links und rechts der breiten Glasfront des Restaurants zur Avenida Dom Afonso Henriques möglich waren. Über diesen Stützen spannt in Gebäudelängsrichtung in jedem Geschoss ein langer Unterzug, der die Vertikallasten sowohl aus den Apartments als auch aus den um fast 2 m auskragenden Loggien aufnimmt. Diese Rahmenbedingungen erforderten ein komplexes Tragsystem, bei dem die Scheibenwirkung der straßenseitigen Außenwand ebenso wichtig ist wie die Unterzüge, die betonierten Geschossdecken und das Gewicht der rückseitigen, geschlossenen Betonwand. Im Zusammenspiel entsteht ein dreidimensionales Tragsystem, das lediglich in puncto Wärmebrücken Defizite aufweist. So gibt es zwar kerngedämmte Außenwände und Nischen, doch die Übergänge von Balkon- zu Deckenplatten blieben ­ungedämmt, weil der Bauherr die Kosten für die thermische Trennung scheute. Bauphysikalisch ist dies weniger brisant als es scheint. Schließlich sinken die Temperaturen in Porto auch im Winter nicht einmal bis in die Nähe des Gefrierpunkts.

Bindeglied zur Altstadt

Es ist eine Binsenweisheit, dass die Außenwände eines Hauses die Innenwände der Stadt bilden. Sie erklärt aber, warum die Loggien nicht wesentlich breiter hätten sein dürfen. In diesem Fall hätten sie den Rahmen gesprengt und den Dialog des Neubaus mit den Häusern der Altstadt zerstört. Ein Gebäude mit vorgehängter Glasfassade hätte hier geradezu obszön gewirkt. Fenster in Fassadenebene kamen für die Architekten schon allein deshalb nicht infrage, weil Denkmalschutzvorgaben dann nach Fenstersprossen verlangt hätten. Zurückgesetzte Fenster, wie jene in den Loggien, sind von dieser Regelung hingegen nicht betroffen.

Wie selbstverständlich sich São Bento Residences in sein urbanes Umfeld einfügt, ist gut vom nur wenige Gehminuten entfernten, 75 m hohen Torre dos Clérigos zu erkennen. Dort zeigt sich auch, dass die leicht verspielt hin und her hüpfenden Loggien nicht wie Fremdkörper wirken. Im Gegenteil, sie machen bewusst, dass die Stadt nicht aus einer, sondern aus vielen verschiedenen steingewordenen Zeitschichten besteht – insofern tritt der dezidiert aus der heutigen Zeit stammende Neubau als Brücke zwischen den Jahrhunderten auf. Mit diesem Bild spielt schließlich auch die um die Ecke geführte Natursteinfassade des »Altbaus«, aus dem der Neubau herauszuwachsen scheint. Würde auch die restliche Brachfläche am Bahnhof São Bento mit der gleichen Sorgfalt neu bebaut werden, wäre diese Wunde in Portos Stadtkörper rasch verheilt.

db, Fr., 2020.09.04



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db 2020|09 Balkone und Loggien

07. Mai 2020Roland Pawlitschko
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In den Hang komponiert

Das Miteinander steht im Schulcampus Neustift an erster Stelle. Das zeigt das pädagogische Konzept der ­offenen Lerncluster, aber auch das Schulhaus selbst: Nach Plänen von fasch&fuchs.architekten entstand eine faszinierende Architekturlandschaft, die viel Bewegungsfreiheit bietet und zugleich behutsam in die Tiroler Bergwelt eingebettet ist.

Das Miteinander steht im Schulcampus Neustift an erster Stelle. Das zeigt das pädagogische Konzept der ­offenen Lerncluster, aber auch das Schulhaus selbst: Nach Plänen von fasch&fuchs.architekten entstand eine faszinierende Architekturlandschaft, die viel Bewegungsfreiheit bietet und zugleich behutsam in die Tiroler Bergwelt eingebettet ist.

Die Gemeinde Neustift im Stubaital befindet sich auf rund 1 000 m Seehöhe einige Kilometer südlich von Innsbruck, ganz in der Nähe des Skigebiets ­Stubaier Gletscher. Sie setzt sich aus zahlreichen Ortsteilen zusammen, die als gleichmäßig verteilte Bebauungsinseln aus Wohnhäusern und Hotels fast nahtlos ineinander übergehen. Prägend für das Erscheinungsbild des Tals ist jedoch nach wie vor die weitläufige Wald- und Wiesenlandschaft. Am westlichen Rand des Ortsteils Kampl, am Übergang zu eben dieser Naturlandschaft, realisierte die Gemeinde im Rahmen eines zweistufigen, EU-weit offenen Architektenwettbewerbs den Schulcampus Neustift. Ziel des von ihr ausgelobten Verfahrens war die Zusammenführung mehrerer bislang auf dem Gemeindegebiet verstreuter Schulen mit insgesamt rund 450 Schülern der 1.-9. Klassenstufe. Teil des Campus sind die Volksschule, die Neue Mittelschule, die Polytechnische Schule und die Skimittelschule mit Ski-Trainingszentrum (inklusive Internat) und Mensa sowie eine auch für Breitensportaktivitäten und andere Veranstaltungen konzipierte Sporthalle. Sieger des Wettbewerbs wurde das Wiener Büro fasch&fuchs.architekten, das die Konkurrenz so klar für sich entschied, dass die Jury keinen zweiten, dafür aber zwei dritte Preise vergab.

Schule mit Weitblick

Das 12 000 m² große, zuvor unbebaute Grundstück liegt gut erschlossen direkt an einer Landesstraße am Rand des Ortsteils Kampl. Es fällt nach Westen leicht ab und bietet eine geradezu kitschig schöne Aussicht auf die Wälder, Almwiesen und Heuschober der nur spärlich bebauten westlichen Talflanke. Dass dieses einzigartige Umfeld eine bauliche Lösung erforderte, die die Landschaft in besonderer Weise würdigt, war für die Architekten schon nach der ersten Begehung klar. Entsprechend entwarfen sie ein kleinteiliges, sensibel mit einem eingeschossigen und zwei höheren Bauvolumen in den Hang komponiertes Gebäudeensemble. Dies ermöglicht von fast jedem Innenraum Blickbezüge in die Umgebung, ohne gleichzeitig mit den Baukörpern den dörflichen Maßstab zu sprengen. Zur Einbettung in die dörflichen Strukturen tragen auch die unaufdringlich eleganten Holzfassaden bei. Die OGs der beiden höheren Gebäude verfügen über Fassaden aus grazilen vorvergrauten Lärchenholzstäben, während das beide Gebäude verbindende EG mit einer einfachen Schalung aus Fichtenholzbrettern bekleidet ist.

Auch wenn im Bewerbungsverfahren der ersten Wettbewerbsphase explizit nach Referenzprojekten mit hoher Qualität in Bezug auf »maßstäbliches und landschaftsbezogenes Bauen« verlangt wurde, ist der Landschaftsbezug nicht der einzige Grund für das Konzept einer gebauten Landschaft. Vielmehr übersetzten die Architekten damit auch den Wunsch der Ausloberin nach einer »Schule von morgen«, die vielfältige pädagogische Ansätze und insbesondere einen »offenen« und »verschränkten« Unterricht mit ineinander übergehenden Lern- und Freizeitphasen ermöglichen soll. Zu den unerlässlichen Voraussetzungen zur Umsetzung solcher Ansätze zählt nicht zuletzt eine hohe Aufenthaltsqualität der Innen- und Außenräume, über die der Schulcampus heute zweifellos verfügt.

Auf Entdeckungsreise

An der Landesstraße tritt die Schule zunächst als zweigeschossiger Baukörper in Erscheinung. Dass dieser Kopfbau neben der Volksschule im OG auch eine gut 8 m hohe Dreifachturnhalle mit Zuschauertribüne beherbergt, lässt sich nur anhand der Glas-Oberlichter auf dem Vorplatz zur Straße erahnen. Von hier aus ebenfalls kaum auszumachen sind die sechs eingeschossigen Lerncluster, die terrassenartig gestaffelt links und rechts einer mittigen Erschließungsachse angeordnet sind. Die Polytechnische (Berufs-)Schule und die Skimittelschule für junge Ski- und Snowboardtalente belegen jeweils einen der oberen Cluster; die Neue Mittelschule ist in den unteren vier Clustern ­untergebracht. Den talseitigen Abschluss des Gebäudeensembles bilden schließlich eine von allen Schülern gemeinsam genutzte Mensa und das fünfgeschossige Trainingszentrum der Skimittelschule.

Wer den Schulcampus über den Haupteingang am Vorplatz betritt, taucht in ein lichtdurchflutetes Gebäude ein, das sich sofort als vielschichtige Architekturlandschaft entpuppt. Faszinierend ist dabei keineswegs nur die Präsenz der umgebenden Natur, sondern auch die strukturelle Offenheit – im EG selbst, aber auch von hier zu den darüber und darunter liegenden Geschossen. Das macht neugierig und weckt die Lust, sich auf Entdeckungsreise zu begeben. Den Auftakt bildet die Aula mit Schulbibliothek und Lesearena in der Eingangsebene. Wirklich interessant wird es aber erst, wenn man eine der zahlreichen Treppen und Rampen begeht. Letztere sind mit 9,5 % Steigung nicht wirklich rollstuhlgerecht, aber für Selbstfahrer in der Regel noch machbar. Um den Vorschriften Genüge zu tun, gibt es an jeder der vier Treppen in der mittigen Erschließungsachse einen Treppenlift – im Kopfbau und im Ski-Trainingszentrum gibt es zudem Aufzüge. Die Wahrscheinlichkeit, sich im Haus zu verlaufen, ist denkbar gering; und das liegt v. a. an zwei Aspekten: an der Hanglage und an der Erschließungszone in der Mitte. Im Zusammenspiel bilden sie perfekte Orientierungselemente, die stets vor Augen halten, wo man sich gerade befindet.

Wie in einem Bergdorf

Prinzipiell führen von jedem Ort im Gebäude zwei Wege nach oben oder unten. Da gibt es einmal die Möglichkeit, sich auf dem Dach im Freien zu bewegen: Grasflächen, Holzdecks, flache Treppen sowie Sitzgelegenheiten an Bäumen dienen hier zudem als kleinteilige Aufenthaltsbereiche. Hinzu kommen die sechs Innenhöfe der Lerncluster, die jeweils einen Zugang ins Gebäudeinnere bieten und zusammen mit den Wegen eine Art dezentralen Pausenhof bilden. Räumlich ganzheitlich erlebbar wird der Schulcampus aber erst, wenn man auch die mittige innere »Straße« einbezieht. Sie schließt den Kreis und lässt ein engmaschig vernetztes Wegesystem entstehen, das den Schülern und ­Lehrern viel Bewegungsfreiheit beschert. Das Besondere an diesem Rückgrat ist zum einen der leichte Knick, der dafür sorgt, dass von einem Ende nicht das andere zu sehen ist, zum anderen ist es nicht einfach als abgetreppter Flur konzipiert; wie auf dem Dach gibt es auch hier Treppen, Rampen und Sitzstufen sowie als Garderoben genutzte Auf­weitungen unmittelbar vor jedem Cluster, die den Weg wie in einem Bergdorf in Straßen, offene und eher zurückgezogene Bereiche gliedern. Großzügig wirkt die innere Straße aber nicht nur deshalb, sondern auch, weil die zahl­reichen Glasfelder der Fassade zu den Innenhöfen für viel Tageslicht sorgen.

Flexibilität und Farbverläufe

Alle Lerncluster sind gleich aufgebaut: Es gibt zwischen zwei und vier Klassenräume, die dem zum Innenhof orientierten Bereich für offenes Lernen gegenüberstehen, sowie seitlich je ein Lehrerzimmer und einen Gruppenraum. Große Glaswände zwischen den einzelnen Räumen unterstützen den Austausch. Zugleich gewährleisten sie, dass die Schüler auch dann beaufsichtigt werden können, wenn sie sich zum Lernen, Arbeiten oder Erholen auf den ganzen Cluster oder die Innenhöfe verteilen. Eine Besonderheit des offenen Lernbereichs ist seine Ausstattung mit eigens von den Architekten entworfenen Möbeln. Dazu zählen etwa unterschiedlich hohe, aufklappbare und mit Rollen versehene Schränke, in denen sich u. a. Unterrichtsmaterialien befinden, und die sich auch als Stehtisch oder Raumteiler eignen. Hinzu kommen frei im Raum verteilte Sitzsäcke und rechtwinklige Sitz- und Liegepolster. Resultat ist ein flexibel nutzbares Umfeld, das offene Lernformen ebenso fördert wie alternative Körperhaltungen. Die angenehme Offenheit und die inspirierende Vielfalt der Ausstattung sind nur möglich, weil sämt­liche Bereiche über eine Sprinkleranlage verfügen.

Im Wesentlichen prägen fein verarbeiteter Sichtbeton sowie weiße Geländer, Holzfußböden, Akustikelemente und Einbauten die Innenräume. Dass bei aller Gleichförmigkeit der Cluster und der Haupterschließungsachse dennoch individuelle Bereiche entstehen, liegt am feinsinnigen Farbkonzept der Künstler Hanna Schimek und Gustav Deutsch. Auf Grundlage des Naturphänomens, dass Farben mit zunehmender Entfernung immer mehr verblassen, gestalteten sie die mittige Straße mit sanften Verläufen von hellen zu dunklen Farbtönen. Von oben nach unten lässt die Farbintensität z. B. der roten Akustikdeckenfelder zusehends nach, während die türkisfarbenen Setzstufen und Rampen von unten nach oben immer heller werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Mobiliar in den Clustern, dessen Farbigkeit gemäß dieser Idee ebenfalls variiert.

Die insgesamt eher zarte Farbgebung unterstreicht den Natur- und Ortsbezug der Schule ebenso wie das im pädagogischen und räumlichen Sinne inklusive Gebäudekonzept: In einer sorgfältig in die Topografie und Dorfstruktur eingebetteten Architekturlandschaft treffen Kinder aus vier Schularten und neun Klassenstufen aufeinander, die sich hier völlig selbstverständlich und frei bewegen können und sollen, und die nicht zuletzt dank der in jeder Hinsicht offenen Gestaltung eine große Gemeinschaft ausbilden.

db, Do., 2020.05.07



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db 2020|05 Potenzial Topografie

12. November 2019Roland Pawlitschko
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Haus in der Natur – Natur im Haus

Beim Flagshipstore mit Produktionsstandort des Ökolabels Grüne Erde steht nicht allein das aus natürlichen Baustoffen errichtete Gebäude im Vordergrund. Im oberösterreichischen Pettenbach wurde viel Wert auch auf die Einbeziehung eines natürlichen Umfelds gelegt. Es entstanden Wohlfühlräume mit geringem ökologischen Fußabdruck.

Beim Flagshipstore mit Produktionsstandort des Ökolabels Grüne Erde steht nicht allein das aus natürlichen Baustoffen errichtete Gebäude im Vordergrund. Im oberösterreichischen Pettenbach wurde viel Wert auch auf die Einbeziehung eines natürlichen Umfelds gelegt. Es entstanden Wohlfühlräume mit geringem ökologischen Fußabdruck.

Grüne Erde wurde in Österreich Mitte der 80er Jahre mit dem Ziel gegründet, nachhaltig zu wirtschaften, ohne Mensch und Natur auszubeuten. Gab es zu Beginn nur ein Matratzenmodell, verfügt das Unternehmen heute über ein großes Sortiment aus Massivholzmöbeln, Modeartikeln, Naturkosmetik sowie Produkten der Bereiche Wohnen und Schlafen. Anfänglich erfolgte der Warenverkauf nur mittels Katalog, später kamen Läden in österreichischen und deutschen Städten sowie das Internet hinzu. Trotz 50 Mio. Euro Jahresumsatz bestehen noch immer unverändert hohe Ambitionen. So werden nur natürliche, nachwachsende Rohmaterialien eingesetzt, die ohne petrochemisch erzeugte Kunststoffe und genmanipulierte Stoffe auskommen; Produkte toter Tiere, wie z. B. Leder, sind tabu; Möbel bestehen aus Vollholz und enthalten keine Metallbauteile; und Rohstoffe wie Naturlatex werden im Ursprungsland des Kautschuks verarbeitet, um die Wertschöpfung vor Ort zu belassen. Hinzu kommen handwerklich geprägte Arbeitstechniken und eine schlichte, puristisch zeitlose Gestaltung. Doch wie ist es gelungen, diese Ansprüche in einen Flagshipstore zu übersetzen?

Einbindung in die Landschaft

Pettenbach im oberösterreichischen Voralpenland erwies sich als Standort für die »Grüne Erde Welt« aus mehreren Gründen als geeignet. Von hier ist es nicht weit zum Firmenhauptsitz in Scharnstein, und es gab ein Grundstück, das genug Platz bot, um das gesamte Produktangebot zu präsentieren, aber auch um Produkte wie z. B. Matratzen, Möbel und Textilien herzustellen.

Wesentlich war zudem die Lage inmitten von Wäldern, Wiesen und Bergen in einer dünn besiedelten Gegend unweit der Autobahn Wien-Salzburg. Um ihre Geschichte mithilfe eines neuen Hauses in der Natur möglichst stimmig ­erzählen zu können, suchten die Bauherren einen Planer, der sich mit der Natur genauso gut auskennt wie mit Häusern. Fündig wurden sie bei Klaus K. Loenhart – jenem Architekten und Landschaftsarchitekten, der 2015 mit seiner Planung für den österreichischen Pavillon auf der Expo Mailand Aufsehen erregte. Dort legten er und sein Studio Terrain einen gut 500 m² großen Wald mit Wassernebelanlage an, der für ein angenehmes Mikroklima, frische Luft und eine spürbare Temperaturabsenkung sorgte.

Der Weg ist das Ziel

Auf dem Weg zur Grüne Erde Welt ist das fast 200 m lange, eingeschossige Gebäude erst einmal kaum auszumachen, weil es vor einem bewaldeten Hügel von zahlreichen Bäumen, Büschen und Sträuchern verdeckt wird. Vom Kundenparkplatz aus müssen die Besucher 200 m zu Fuß zurücklegen. Dabei durchqueren sie eine üppig u. a. mit 450 Bäumen neu bepflanzte Grünfläche, die zuvor landwirtschaftlich genutzt war und heute aussieht wie eine ­Mischung aus Naturlandschaft, Bauerngarten und Gartenschau.

Vorbei an Gewächshäusern, Gemüse- und Blumenfeldern führt ein Schotterweg in organischen Schwüngen in Richtung Eingang, bis schließlich zur äußeren Stille eine mit Wohlgefühlen gepaarte innere Ruhe hinzutritt und das unspektakulär in den Baukörper eingeschnittene Entree zu sehen ist. Nach und nach wird deutlich, dass viele der Bäume lediglich ein Spiegelbild in der Glasfassade sind. Die schachbrettartig flirrenden Grautöne im Glas entstehen durch die Spiegelung des Himmels in den unterschiedlich stark geneigten, geschuppt angeordneten Scheiben – ein Effekt, der an ein Landart-Projekt denken lässt.

Schöne weite Welt

Der Eingangsbereich ist unscheinbar und kommt völlig ohne Werbebotschaften aus. Blicke von außen ins Gebäudeinnere sind allerdings nicht möglich, weil die Glasfassade kein Raumabschluss ist, sondern eine Holz-Ständerwandkonstruktion bekleidet. Wirkten die Grautöne aus der Ferne noch spielerisch leicht, erscheinen sie aus der Nähe abweisend. Dass die drei anderen Gebäudeseiten mit identisch großen Schuppen aus stimmungsvoll verwittertem, unbehandelten Weißtannen-Brettschichtholz bekleidet sind, erschließt sich erst, wenn man das Haus umrundet oder auf die Bistro-Terrasse hinaustritt.

Angesichts des als spiegelnde Barriere erscheinenden Gebäudes umso über­raschender ist die offene Durchlässigkeit im Innern. Da ist erst einmal der Geruch: frisch, unaufdringlich, mit einer leichten Note sanfter ­Naturkosmetik. Vor den Besuchern liegt ein lichtdurchfluteter Raum, geprägt von einem Tragwerk aus weiß lasierten Holzstützen und Leimholz-Dach­trägern aus Fichte. Basierend auf einem Rastermaß von 2,4 x 2,4 m sind die statisch als Rost wirkenden Deckenfelder und die Stützen ungleichmäßig verteilt, was ­eine flexible Nutzung zulässt und eine angenehme Mischung aus Klarheit und Unordnung ergibt. Der ebenso simple wie ästhetische, geschliffene Betonboden erscheint dank des verwendeten Weißzements ebenfalls hell. Hinzu kommen hell lasierte Holzmöbel, Warenträger und Produkte sowie insgesamt 13 von bodentiefen Glasfassaden umschlossene und üppig bepflanzte Innenhofinseln. Dass der sinnliche Ruhe ausstrahlende Raum offensichtlich weitläufig ist, aber dennoch nicht als Ganzes erfasst werden kann, lässt die Besucher unwillkürlich sofort auf Entdeckungsreise gehen.

Wald im Haus

Die jeweils mit österreichtypischen »Waldgesellschaften« bepflanzten Inseln übernehmen viele wichtige Aufgaben: Als sattgrüne Felder im durchgängig milchig-erdfarbenen Innenraum schaffen sie angenehme Kontraste. Sie gliedern auf subtile Weise den Weg durchs Haus und grenzen die offenen Bereiche voneinander ab. Sie bringen Tageslicht in die gestalterisch identischen Verkaufs- und Produktionsflächen und sorgen dafür, dass die Besucher nicht den Bezug zur Außenwelt verlieren. Zweifellos stehen die Waldinseln aber auch symbolhaft für die ökologische Ausrichtung und den Baum als Markenlogo des Unternehmens. Außerdem leisten sie (wie auch schon die Freiflächen vor dem Eingang) einen wichtigen Beitrag zur CO2-Kompensation und zur Verbesserung des Mikroklimas. Durch öffenbare Schiebefenster strömt ­frische würzige Waldluft ins Innere, die die Luftqualität verbessert. Die darüber hinaus nötige Belüftung stammt aus einer Lüftungsanlage, die Frischluft von einem Luftbrunnen am Waldrand direkt in die Bodenauslässe an den Fenstern bringt.

Die von Biologen genau definierten, teilweise mit Wassernebel besprühten Waldgesellschaften unterstützen zudem die natürliche sommerliche Kühlung. Den Rest des Kühlbedarfs übernehmen Heiz-Kühlschleifen im Boden, deren temperiertes Wasser aus einer Tiefenbohrung stammt. Der für die damit verknüpfte Wärmepumpe und für den Gebäudebetrieb erforderliche Strom kommt in ausreichender Menge von einer flächendeckend auf dem Dach ­installierten Photovoltaikanlage mit einer Nennleistung von rund 310 kWp.

Roter Faden Nachhaltigkeit

Die Ökologie- und Nachhaltigkeitsaspekte ziehen sich – meist für Besucher kaum merklich – als roter Faden durch das ganze Haus. Beispielsweise als Konstruktions- und Fassadenholz aus lokalen Wäldern, als langlebige Holz-Alu-Pfosten-Riegel-Konstruktion, als mit Schafwolle gedämmte Außenwände, aber auch in Form der Verwendung von Naturkautschuk statt erdölbasierter Kunststoffe oder der lösungsmittelfreien Lasuren der Holzoberflächen. Hinzu kommt noch ein Aspekt, der den Besuchern völlig verborgen bleibt: Auf dem Grundstück befand sich ehemals ein rund 50 Jahre altes Fabrikationsgebäude, das bis auf eine Lagerhalle komplett abgebrochen wurde. Die Halle blieb samt gespeicherter grauer Energie erhalten und wurde – ebenso wie eine potenzielle Erweiterungsfläche daneben – mit neuer Fassade in den Neubau integriert. Erhalten blieb auch der Footprint des Vorgängerbaus, sodass das heutige Gebäudeensemble nicht mehr Fläche versiegelt als zuvor. Außerdem wurden die Betonteile der abgebrochenen Bauten vor Ort geschreddert und als Unterboden für die geschotterten Wege wiederverwendet.

Vielleicht ist die Architektur der Grüne Erde Welt nicht ganz so hundertprozentig konsequent wie etwa die metallfreien Vollholzmöbel – das Holztragwerk ohne sichtbare Verbindungsmittel kam jedenfalls nicht gänzlich ohne Metallverbindungsteile aus. Letztlich ist sie aber ­tatsächlich genau das, was sie sein soll: ein Statement für die ganzheitliche Verbindung zwischen Haus und Natur. Und so zeigt das Gebäude wesentlich mehr Möglichkeiten auf als die meisten anderen Neubauten unserer Zeit.

Zugleich weckt es den Entdeckergeist und bietet gesunde Verkaufsflächen und Arbeitsplätze. Wie wohl sich die Gäste dort fühlen, könnten die Umsatzzahlen zeigen, die allerdings ebenso wenig öffentlich sind wie die Baukosten. Ein aussagekräftiger Indikator ist jedoch die Tatsache, dass die Küche des Bistros in naher Zukunft so umgebaut werden soll, dass sich dort mehr Speisen zube­reiten lassen. Die Gästezahlen scheinen also auf jeden Fall zu stimmen.

db, Di., 2019.11.12



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12. Juni 2019Roland Pawlitschko
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Nur scheinbar unscheinbar

Vergleichsweise unscheinbar steht das neue Bürogebäude an einer breiten Bahnschneise in einem neuen Viertel am nördlichen Pariser Stadtrand. Dabei hat das mit bescheidener Eleganz über einem begrenzt tragfähigen Bahndeckel errichtete Plusenergiehaus mit hybrider Holz-Leichtkonstruktion durchaus einiges zum Thema Suffizienz und somit zukunftsweisendem Bürobau zu erzählen.

Vergleichsweise unscheinbar steht das neue Bürogebäude an einer breiten Bahnschneise in einem neuen Viertel am nördlichen Pariser Stadtrand. Dabei hat das mit bescheidener Eleganz über einem begrenzt tragfähigen Bahndeckel errichtete Plusenergiehaus mit hybrider Holz-Leichtkonstruktion durchaus einiges zum Thema Suffizienz und somit zukunftsweisendem Bürobau zu erzählen.

Obwohl er noch nicht ganz fertiggestellt ist, präsentiert sich der Martin-Luther-King-Park schon heute als bemerkenswert urbane Grünfläche. Der insgesamt 10 ha große Park ist nicht nur voller großer Bäume, Wiesen und Wasserflächen, sondern auch voller Menschen und Aktivitäten. Er bildet die Mitte des neuen Viertels Clichy-Batignolles, das sich – wie der Park selbst – seit gut zehn Jahren vom stillgelegten Güterbahnhof in einen offenbar wirklich vitalen Stadtteil mit 7500 Einwohnern und fast doppelt so vielen Arbeitsplätzen verwandelt. Östlich des Parks befindet sich ein altes Quartier aus Haussmann’scher Zeit, im Norden und Süden stehen dicht an dicht bis zu 18 Geschosse hohe Wohnhäuser (nebst Schulen, Kindergärten, Läden etc.), und den Blick nach Westen dominiert Renzo Pianos abgetreppter Glasturm der neuen Cité judiciaire. Wäre der Vergleich nicht so vermessen, man könnte sich hier atmosphärisch fast an den Central Park in New York erinnert fühlen, zumindest an dessen äußersten nördlichen Rand.

Fluch und Segen des Standorts

In zweiter Reihe, hinter den südlichen Wohnhäusern befinden sich einige neue Bürohäuser, die dem Viertel gleichsam als Sicht- und Lärmschutz zur breiten Bahnschneise zum Bahnhof Saint-Lazare dienen. Hier steht auch das neue, von Baumschlager Eberle Architekten mit dem Partnerbüro Scape Architecture geplante Bürogebäude, das vom Bauherrn unter dem euphemistischen Namen »Green Office® Enjoy« vermarktet wird.

Das Baugrundstück ist durchaus privilegiert. Zum einen profitiert es von ­einer exponierten Randlage und verfügt über eine polygonale Umrisslinie, die die Ausbildung eines differenzierten Baukörpers begünstigt, zum anderen liegt es – leicht erhöht – an einem der breiten Hauptzugänge zum Park, was den nördlichen Büroräumen einen herrlichen Blick ins Grüne beschert. Diese erhöhte Lage hat jedoch ihren Preis, denn sie entsteht durch einen brückenartigen Betondeckel, unter dem noch immer Züge verkehren, sodass der Neubau an keiner Stelle den Boden berührt. Außerdem waren sowohl die Form als auch die Auflagerpunkte und Gesamtlasten des bereits vor zehn Jahren errichteten Deckels unveränderbar. Insofern lag eine der Hauptaufgaben der Architekten darin, das Gesamtgewicht ihres Gebäudes mit 17.400 m² Nutzfläche so gering wie möglich zu halten.

Haus und Park

Besucher und Mitarbeiter (momentan ist das ganze Haus an einen Versicherungskonzern vermietet) ahnen nichts von diesen Herausforderungen, wenn sie sich dem Haus vom Park aus nähern – in zwei Jahren öffnet dort zudem eine neue Métro-Station der Linie 14. Sie gelangen an ein unaufgeregtes Bürogebäude mit elegant cappuccinofarbener Aluminiumfassade und Ladenlokalen zur Straße. Dessen Gliederung in drei horizontale Schichten mithilfe von einzelnen bzw. geschossübergreifenden, hochrechteckigen Fensteröffnungen wird vermutlich nur wenigen auffallen – ebenso wie die Tatsache, dass die Laibungen der Fenster zur Bahntrasse aufgrund der verschiebbaren Lochblech-Sonnenschutzelemente wesentlich tiefer und damit plastischer sind als jene zum nördlichen Park. Details wie diese tragen aber dazu bei, das Haus insgesamt wesentlich differenzierter erscheinen zu lassen als die meisten der benachbarten Investorenprojekte.

Die große Eingangshalle an der Rue Mstislav Rostropovitch zeigt sich repräsentativ. Weniger wegen der Eichenholzbekleidung und des Natursteinbodens (Bleu de Hainaut) als vielmehr durch die angenehme Weite. In Verlängerung der Achse vom Park zum Haus führt eine breite Himmelsleitertreppe hinauf ins 1. OG – u.a. in einen begrünten Innenhof, der sich terrassenförmig bis auf eine Dachfläche im 3. OG entwickelt. Das Panorama von hier über die Bahngleise und die Stadt ist imposant, nicht zuletzt, weil sich dieses Geschoss dank des gut 10 m hohen Betondeckels bereits 19 m über den Gleisen befindet. Noch spannender ist jedoch der Blick zurück auf eine verwinkelte Terrassenlandschaft, die auf drei Ebenen völlig verschiedene Außenräume bietet – für Pausen und zurückgezogene Gespräche ebenso wie für kleine Events. Bedauerlich nur, dass dieser Raum, der in gewisser Weise den Park ins Haus fortführt, ausschließlich den Büromitarbeitern offensteht.

Hybride Konstruktion aus Beton, Holz und Stahl

Da ein Bürogebäude aus Stahlbeton allein aufgrund des zu hohen Gewichts nicht infrage kam, entschieden sich die Architekten für Holz als wesentliches Tragwerksmaterial. Auf Grundlage eines eher pragmatischen als dogmatischen konstruktiven Ansatzes entstand ein hybrides Gebäude, dessen untere beide Ebenen in Beton errichtet wurden. Diese Betonkonstruktion, die zum Abfangen der Schwingungen aus dem Bahnbetrieb vollständig auf dämpfenden Federn aufliegt, war unerlässlich, um die erheblichen Höhenunterschiede auf dem Betondeckel zu nivellieren und eine geeignete Basis für die nahezu identischen Bürogeschosse auszubilden. Für den Skelettbau ab dem 2. OG kamen dann hauptsächlich Holz, aber auch Stahlbeton für die Erschließungskerne und Stahl für die Aussteifungselemente und den Dachaufbau zum ­Einsatz.

Bürogeschosse in Holzbauweise

U.a., weil der Mieter zum Zeitpunkt der Planung noch nicht feststand, sollten die Bürogeschosse frei aufteilbar sein. Dies gelingt durch die Gebäudeform, die dank der mittigen Anordnung von Eingangshalle und Haupterschließungskern drei große, voneinander unabhängige Mieteinheiten pro Geschoss erlaubt und zugleich relativ wenige innenliegende Bürobereiche schafft. Für Flexibilität sorgt natürlich auch das Büroraster von 1,35 m, das entlang der Außenfassaden die in heutigen Büros üblichen Raumgrößen ermöglicht.

Die wesentlichen Tragwerkselemente sind: Fichten- und Tannen-Brettschichtholz (BSH)-Stützen in Fassadenebene und im Gebäudeinneren, die Deckenelemente aus Kiefern-Brettsperrholz tragen. Letztere sind im Bereich der Fassadenstützen mithilfe von Stahl-Einbauteilen an den BSH-Randbalken und -Stützen montiert, während sie auf der anderen Seite auf Stahl-I-Trägern bzw. direkt an den Betonwänden der Erschließungskerne befestigt sind. Horizontal ausgesteift wird das System zum einen durch die Kerne, zum anderen durch die in jeder Fassade im Innern über alle Geschosse hinweglaufenden Stahl-Diagonalen.

Baustellenfotos zeigen ein sehr klar strukturiertes, hybrides Skeletttragwerk. Insgesamt dominiert Holz zwar das Bild, dennoch ist es auf selbstverständliche Art und Weise nur einer von vielen Baustoffen. Die Architekten verspürten jedenfalls nicht den Drang, Holz ostentativ zeigen zu müssen. Hierzu passt, dass der Holzbau von außen nur am Abend bei illuminierten Büros zu erkennen ist, aber auch, dass die Fassadenelemente im Kern zwar aus Holz ­bestehen, dieses allerdings ebenfalls unsichtbar bleibt.

Green Office® Enjoy

Der Anteil von Sichtholzflächen im Innenraum ist angesichts der teppichbelegten Doppelböden und der weißen Leichtbauwände und Heiz-Kühldecken zwar relativ gering.

Dennoch prägt es auf angenehme Weise maßgeblich den Raumeindruck. Überall sind die Holzrippen der Deckenelemente und die Holz-Fassadenstützen und -Randbalken zu sehen, die v.a. in den kleinen Büros mit nur 2,7 m Achsbreite einen wohltuend warmen Rahmen bilden. Zur Nutzerfreundlichkeit tragen auch die öffenbaren Fensterflügel bei, deren vorgelagerte Lochbleche vor Wind, Wetter und Insekten schützen. Direkten Kontakt ins Freie ermöglichen dagegen die drei zweigeschossigen Loggien im 6. OG. Sie bieten geschützte Außenräume mit Blick zu Montmartre, Eiffelturm und Cité judiciaire und dienen – gleichsam als Störelemente – der Auflockerung der Fassade. Noch erhebender ist naturgemäß nur der Blick vom Dach.

In diesem Fall lohnt aber auch der Blick aufs Dach. Über einer leichten Stahlkonstruktion und den dort untergebrachten haustechnischen Anlagen befinden sich gut 1700 m² Photovoltaikelemente, die mit einer Gesamtleistung von 22 kWh/(m²a) nicht nur den niedrigen Energiebedarf von 19,1 kWh/(m²a) decken. Vielmehr machen sie das ans Pariser Fernwärmenetz angeschlossene Bürogebäude zudem zum Plusenergiehaus.

Dies alles ist von der Straße genauso wenig zu sehen wie die Ökozertifizierungen, über die das Gebäude verfügt (z.B. HQE, BREEAM, BBCA), oder die Tatsache, dass es durch die Verwendung von 2700 m³ Holz hilft, 520 To CO2 zu binden. Dennoch machen sie das nur scheinbar unscheinbare Gebäude unverwechselbar. Und sie lassen noch einmal über den Projektnamen nachdenken. Am Ende muss man zugeben, dass darin vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit steckt: dass es sich hierbei um ein grünes Büro handelt, in dem sich Menschen wohlfühlen können.

db, Mi., 2019.06.12



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db 2019|06 Anders bauen!

05. März 2019Roland Pawlitschko
db

Ein Haus wie ein Chamäleon

Das Bürohochhaus »La Marseillaise« sieht von jeder Seite, zu jeder Tageszeit und bei jedem Wetter ein wenig anders aus. Was sich allerdings nicht verändert, ist die unmittelbar auf das Umfeld abgestimmte Farbwirkung. Ein expressiv bildhaftes Gebäude, das aber keineswegs nur wegen der Farben eng mit Marseille verbunden ist.

Das Bürohochhaus »La Marseillaise« sieht von jeder Seite, zu jeder Tageszeit und bei jedem Wetter ein wenig anders aus. Was sich allerdings nicht verändert, ist die unmittelbar auf das Umfeld abgestimmte Farbwirkung. Ein expressiv bildhaftes Gebäude, das aber keineswegs nur wegen der Farben eng mit Marseille verbunden ist.

Kurz bevor das Flugzeug in Marseille landet, bietet sich beim Blick aus dem Fenster eine wahrlich spektakuläre Aussicht. Während in südlicher Richtung bis zum Horizont nichts als das blaue Mittelmeer zu sehen ist, liegt auf der anderen Seite der Parc national des Calanques. Schroffe Kalksteinfelsen mit karger Vegetation prägen das Bild – bis unvermittelt Frankreichs zweitgrößte Stadt auftaucht. Überraschenderweise ist der Übergang von der Natur zur Stadt nicht so abrupt wie erwartet, weil die meisten Häuser in den Erdtönen erscheinen wie gerade noch die Felslandschaft. Ganz gleich, ob es sich um die im ganzen Stadtgebiet verteilten Wohnhochhausscheiben oder das Fort Saint-Jean am alten Hafen handelt – helle Kalkstein- und Putzfassaden sorgen für ein erstaunlich homogenes Stadtgefüge. Trotz, irgendwie aber auch gerade wegen seiner blau-weiß-roten Gebäudehülle ist Jean Nouvels Büroturm selbstverständlicher Teil dieses Gefüges geworden.

La Tricolore

Macht man sich, in der Stadt angekommen, vom Fort Saint-Jean auf den Weg nach Norden zum Passagier- und Industriehafen, gelangt man zunächst in das an der Stelle einer Industriebrache entstandene Viertel Quais d’Arenc. Theater, Büro- und Wohngebäude finden sich hier ebenso wie hipsterschick revitalisierte Silos und Lagergebäude, und rasch gelangt auch »La Marseillaise« ins Blickfeld. Mit 135 m Höhe überragt das größtenteils von der Stadtverwaltung und anderen öffentlichen Einrichtungen genutzte Gebäude die umliegenden Häuser um ein Vielfaches. Ein wenig höher ist nur der benachbarte, inzwischen fast zehn Jahre alte Büroturm von Zaha Hadid. Während dieser mit ­seiner glatten Glasfassade beliebig wirkt und problemlos auch in Frankfurt, Shenzen oder Atlanta stehen könnte, entsteht bei Jean-Nouvels-Turm sofort das Gefühl, er sei speziell für diesen Standort entworfen. Ist auf der Südfassade nicht schemenhaft eine Tricolore zu erkennen? Handelt es sich dabei etwa um eine Anspielung auf Eugène Delacroix’ berühmtes Gemälde »Die Freiheit führt das Volk«, das die Nationalfigur Marianne mit blau-weiß-rot wehender Fahne zeigt? Kaum ein Kunstwerk ist so eng mit der französischen Nationalhymne, der Marseillaise, verknüpft wie dieses.

Um es vorwegzunehmen: Der Projektname stammt nicht von findigen Marketingstrategen, sondern von Jean Nouvel selbst, der vom Bauherrn direkt zur Planung des Turms beauftragt wurde. Assoziationen zu nationalen Symbolen sind durchaus beabsichtigt, aber keineswegs der Grund, weshalb das Gebäude so selbstverständlich mit seinem Umfeld harmoniert. Maßgeblich hierfür sind andere Faktoren.

Farblandschaft

Insgesamt verfügt die Hochhausfassade über 30 verschiedene blau-weiß-rote Farbtöne, die von den Architekten computergestützt so angeordnet wurden, um ein atmosphärisch flirrendes Bild mit sanften Übergängen zu schaffen. Das Blau bezieht sich dabei auf den Himmel, das Weiß auf den Horizont und die Wolken der Provence und das Rot auf die Dachziegel und Hauswände der Stadt. Egal, von welcher Seite man sich nähert – die Gebäudefassade ist chamäleonartig stets an das angepasst, was sich jeweils hinter ihr befindet. So ist die Ostfassade überwiegend blau, damit der Turm beim Blick auf das weite Meer mit dem Himmel verschwimmt, während die Nord- und Westfassaden – mit den Häusern Marseilles im Hintergrund – überwiegend rot sind. Für einen fließenden Übergang zum Himmel nimmt die Farbsättigung nach ­oben grundsätzlich ab. Die Integration des Hochhauses ins Stadtgefüge funktioniert. Das zeigt sich beim Blick aus dem Flugzeug ebenso wie von anderen Aussichtspunkten der Stadt.
Kleid aus filigranen ultrahochfesten Faserbetonfertigteilen.

Farbig sind nicht nur die Fensterrahmenprofile, sondern auch alle vor die Fenster gehängten Fertigteilelemente aus ultrahochfestem Faserbeton (UHPC). Dieser Beton ist dank seiner feinporigen Struktur luft- und wasserdicht und somit beständig gegenüber salzhaltiger Meeresluft und witterungsbedingten Kapriolen. Außerdem ermöglicht das Material hochfeste und zugleich extrem filigrane und leichte Bauteile. Konstruktiv ist das Hochhaus ansonsten wenig spektakulär: Rund um einen Kern aus Beton entwickelt sich ein 30 Stockwerke hoher Stahlskelettbau mit Stahl-Beton-Verbunddecken und jeweils rund 1200 m² pro Geschoss in die Höhe.

Die hier eingesetzten UHPC-Fassadenelemente erfüllen wichtige Aufgaben. Als mineralisches Material nehmen sie Bezug auf die Felslandschaft der Calanques und die zum Häuserbau in Marseille früher oft dort abgebauten Kalksteine. Im Zusammenspiel mit den drei zurückspringenden mittleren Geschossen und der sich nach oben auflösenden Stahl-Dachstruktur verleihen sie dem Gebäude räumliche Tiefe und sorgen für ein lebendiges Licht- und Schattenspiel. Außerdem hüllen sie das Hochhaus in ein farbenfrohes, gleichsam luftig flatterndes Kleid und ermöglichen die Ablesbarkeit der Geschosse, wodurch es trotz seiner Höhe maßstäblich bleibt. Und schließlich sorgen sie für den in der südfranzösischen Metropole zwingend benötigten Sonnenschutz.

Außen und innen als farbliche Einheit

An der Nord- und Ostfassade besteht der UHPC-Sonnenschutz aus 8 cm dicken, immer gleich schräg stehenden Paneelen. Diese wurden im Büroraster von 1,35 m an L-förmigen Fertigteilen montiert, die den seitlichen Deckenabschluss bilden und die Deckenunterkante als dünne Platte nach außen verlängern. Optisches Ergebnis sind filigrane Betonrahmen rund um jede raum­hohe Verglasung, die im Sinne des optimalen Sonnenschutzes bei tiefstehender Sonne in eine nördliche Richtung weisen.
Weitaus raumgreifender sind die rund 2 m tiefen UHPC-Elemente der Süd- und Westfassade, die einen guten Sonnenschutz v. a. bei hochstehender Sonne bieten. Hier entstanden zweiachsig breite Rahmen, bestehend aus einer leichten vertikalen Gitterstruktur (die fast an Gartenlauben erinnert) sowie schräg liegenden Lamellen, die außen in ebenfalls L-förmige Fertigteile eingeklebt sind. Unmittelbar entlang der Fenster bilden diese Fertigteile eine leichte Rippendecke aus. Die geschlossene Fläche verhindert den geschossweisen Brandüberschlag und kann zudem von Fassadenreinigern zum Fensterputzen begangen werden. Die einzigen Bauteile, die hier nicht aus Beton bestehen, sind die Stahl-Absturzsicherungen.

Wie wichtig das Betonkleid nicht nur für die Außenwirkung, sondern auch für die Innenräume ist, macht ein Blick aus dem Fenster eines Büros deutlich. Aus der Nähe betrachtet, strahlen die UHPC-Elemente eine eigentümlich wohnliche Wärme aus, die sowohl auf die konstruktive als auch die farbliche Kleinteiligkeit zurückzuführen ist – manche Elemente verfügen an verschiedenen Seiten über verschiedene Farben. Eine Rolle spielen hierbei auch die für Beton typischen Poren, die das Material im Gegensatz etwa zu industriell wirkendem Stahl angenehm handwerklich erscheinen lassen. Einen etwas aufgesetzten Eindruck machen hingegen die farbigen Gipslamellen und Deckenstreifen bzw. -paneele, die die Fassadenelemente optisch in die Büros fortsetzen sollen. Angesichts der farblichen Vielfalt, die die Büronutzung ohnehin mit sich bringt, fallen diese am Ende aber kaum mehr ins Gewicht. Den gleichsam nichtfarbigen Ruhepol im Innern des Turms bildet der elegant mit bewusst sichtbar ausgeführten Ausbesserungsspuren gestaltete Sichtbetonkern. Hier befinden sich neben Erschließungsflächen auch gemeinschaftlich genutzte Bereiche und die Toiletten.

Nachhaltig auch im Bauprozess

Jedes Betonbauteil trägt Edelstahlmarken, auf denen der NCS-Farbcode der hierfür jeweils verwendeten Farben eingeprägt ist. So können bei eventuellen Instandhaltungsarbeiten auch in vielen Jahren noch problemlos die gleichen Zweikomponenten-Wasserlacke zum Einsatz kommen wie zur Entstehungszeit des Gebäudes. Hergestellt mit insgesamt nur 16 Schalungsformen in einem Betonwerk in der Nähe des Flughafens, wurden sämt­liche Bauteile vorwiegend in einer Halle direkt neben der Baustelle von Hand geschliffen und anschließend mit gewöhnlichen Farbrollern gestrichen. U.a. hierfür kamen Marseiller Arbeiter zum Einsatz, die an einem eigens mit der Stadt entwickelten Beschäftigungsprogramm teilnahmen.

La Marseillaise verfügt über einen Anschluss an das gerade für das ganze Quartier neu errichtete Meeresgeothermiekraftwerk, das die sommerliche Fernkühlung des Gebäudes ermöglicht. Zudem ist es LEED-Gold- und HQE-Excellence-zertifiziert. Wirklich nachhaltig ist es jedoch v.a. deshalb, weil es spürbar lokal und damit in den Köpfen der Menschen verankert ist. Davon zeugen die Fassaden, die Materialien und die Bauprozesse, aber auch die hauseigene Kinderkrippe und das Restaurant im 2. und 3. OG, das auch externen Gästen offensteht. Sowohl die zurückgesetzten mittleren Geschosse als auch die Dachterrasse sind leider nur zu Wartungszwecken zugänglich.

Könnten die Menschen hinauf aufs Dach, würden sie dort ebenfalls die Pinien riechen, fühlen und im Wind rauschen hören wie überall an der Mittelmeerküste.

db, Di., 2019.03.05



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db 2019|03 Farbe

05. November 2018Roland Pawlitschko
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Licht, Luft und Holz

Diese Bergkapelle im Salzburger Lungau ist ein Statement – für konstruktive Klarheit, für die Ausdrucksmöglichkeiten eines archaisch anmutenden Raums und für den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Zugleich macht der Strickbau das Material Holz auf eine Weise spürbar, die unwillkürlich zum Nachdenken über das menschliche Sein in der Natur anregt.

Diese Bergkapelle im Salzburger Lungau ist ein Statement – für konstruktive Klarheit, für die Ausdrucksmöglichkeiten eines archaisch anmutenden Raums und für den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Zugleich macht der Strickbau das Material Holz auf eine Weise spürbar, die unwillkürlich zum Nachdenken über das menschliche Sein in der Natur anregt.

Allein der Weg zu dieser Bergkapelle ist schon ein Ereignis. Von Ramingstein bis dorthin sind es Luftlinie zwar nur 4 km, allerdings liegen zwischen den beiden Punkten 900 Höhenmeter, die sich nur in einer zwei bis drei Stunden langen Wanderung oder im Auto auf einer serpentinenreichen, 14 km langen Forststraße zurücklegen lassen – vorausgesetzt man verfügt über den Schlüssel für die Schranke im Tal.

Der Forstweg führt zu einem 200 ha großen Waldgrundstück, das Johann Müllners Familie seit vielen Generationen bewirtschaftet. Die Familie lebt seit jeher im Tal, hat aber vor 150 Jahren in 1 850 m Höhe ein Steinhaus errichtet, das seitdem als Alm dient. Der Standort von Haus und daneben in Holz ­gebauter Scheune direkt unterhalb eines Bergrückens ist klug gewählt, sind die Gebäude in einer kleinen, von Felsen flankierten Senke doch vor heftigen Winden und winterlichen Schneestürmen geschützt, während sich zugleich der Blick auf ein atemberaubendes Alpenpanorama eröffnet. Nutznießer dieses Ausblicks sind vereinzelte Wanderer und Tourenskigeher sowie allsommerlich die in den Wiesen rund um die Häuser grasenden Jungkühe eines benachbarten Bauern. Seit Mai letzten Jahres steht etwas oberhalb dieses Ensembles eine stets offene Bergkapelle, deren Bauherr Johann Müllner ist.

Diese Kapelle hat keinen Namen. Und sie ist, obwohl gesegnet, kein konsekrierter Gottesdienstraum im kirchlichen Sinn. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass sie keine spirituelle oder architektonische Bedeutung als ­Sakralraum hätte. Dass das Gegenteil der Fall ist, hat mit ihrer Geschichte zu tun, und mit den Menschen, die sie geformt haben.

Nutzung lokaler Ressourcen

Am Anfang stehen die Jugendfreunde Johann Müllner und Hannes Sampl, die sich vor einigen Jahren nach langer Zeit zufällig wiederbegegnet sind. Der eine studierte Holz- und Naturfasertechnik und hatte als Waldbauer kürzlich den elterlichen Hof übernommen, der andere begann nach einer Ausbildung zum Möbeltischler sowie einem Architekturstudium gerade mit dem postgradualen Lehrgang »überholz« an der Kunstuniversität Linz. Das Gespräch fiel schnell auf die Idee einer Kapelle, die Müllner gewissermaßen als Ersatz für die in den 60er Jahren wegen eines Straßenneubaus abgebrochene Hofkapelle errichten wollte. Als Baugrundstück hatten die beiden von Anfang an nicht etwa den Hof als vielmehr die Alm im Sinn – jenen Ort, der im Wortsinn über eine natürliche Erhabenheit verfügt. Sampl, der aus dem Projekt schließlich seine Abschlussarbeit machte, war begeistert, nicht zuletzt wegen der zwei einzigen Vorgaben, die zur Umsetzung der Idee im Raum standen: Erstens sollten sowohl das Baumaterial als auch sämtliche Ressourcen, wie z. B. Arbeitsmittel und -leistungen, im lokalen Umfeld verfügbar sein. Zweitens musste der Bau in Selbstbauweise realisiert werden können – aus eigenem Holz und gemeinsam mit der Familie und Freunden.

Es spielt keine Rolle, ob die Besucher, die den Weg zur Kapelle gefunden haben, von diesen Geschichten wissen oder nicht. Was sie dort so oder so sofort spüren, ist jene unprätentiöse Dezidiertheit, von der schon die Idee geprägt war. Ziel war ja kein opulenter Kirchenraum, der für wirtschaftliche und religiöse Potenz stehen sollte. Ja, es ging noch nicht einmal darum, die Kapelle allein dem christlichen Glauben zu widmen. Vielmehr sollte sie einen zwanglosen und in jeder Hinsicht stillen Andachtsraum für alle bieten, Raum der Kontemplation, des In-sich-Gehens und des Zu-sich-selbst-Findens. Dieses jedem Glauben innewohnende Streben nach Ursprünglichkeit und Reinheit widerspiegelt der fensterlose, ungedämmte Neubau ohne außen angebrachte religiöse Symbole nicht zuletzt in seiner einfachen Konstruktion.

Gleiche Holzbalken für Boden, Wand und Dach

Über einem schlichten Sockel aus unweit des Bauplatzes gefundenen Natursteinen und einer umlaufend leicht zurückspringenden Lärchenholzschwelle erhebt sich die 3,24 m breite und 5,52 m lange Kapelle als reiner Holzbau. Wände, Boden und die Dachkonstruktion bestehen aus unbehandelten, sägerauen einheitlich 12 x 12 cm großen Fichtenholzbalken mit doppelter Nut-Feder-Verkämmung, die ohne zusätzliche Verbindungsmittel – wie z. B. Leim, Metallnägel oder -schrauben – zu einem Blockbau »verstrickt« wurden.

Mittels Schwalbenschwanzverzinkung übereck verbunden, bilden die Balken vier verwindungssteife Wände. Für zusätzliche Stabilität sorgen 16 mm dicke, vertikale Lärchenholzdübel, die immer zwei Balken miteinander verbinden. Ins abgebundene, aber noch feuchte Holz eingebracht, quollen die trockenen Dübel auf und sorgten dadurch für eine noch festere Verbindung. Zur Ausbildung des 63° steilen Satteldachs wurden die längsgerichteten Balken dann von Lage zu Lage jeweils um die halbe Balkenbreite nach innen versetzt, bis sie schließlich zwei geschlossene, abgetreppte Dachflächen ausbildeten. Den Witterungsschutz für das Dach übernehmen zweilagig auf eine Unterkonstruktion genagelte Lärchenholzschindeln.

Genaue Ausrichtung nach Osten

Zwischen den äußeren Holzlamellen im Giebeldreieck und der um 84 cm zurückversetzten Außenwand entsteht an der westlichen Eingangsseite ein leicht erhöhter Vorraum. Dieser kann von Wanderern als Rastplatz genutzt werden, v. a. aber bietet er Kapellenbesuchern die Möglichkeit, vor Eintritt ins Gebäudeinnere noch einmal kurz innezuhalten und im Schutz der Seitenwände die Berglandschaft wirken zu lassen. Wer nun durch Anheben eines runden Holzgriffs die schlichte Holztür öffnet, findet sich in einem vollkommen leeren Raum wieder, der nur aus geschichteten Holzbalken und Licht besteht. Die östliche Außenwand ist in gleißend helles Licht getaucht, das durch eine weitere Schicht aus Holzlamellen im äußeren Giebeldreieck auf den Boden fällt – ebenso wie eine sanfte Brise würziger Bergluft, die den Raum durchströmt und im Winter auch Schnee in den Raum weht. Die Lamellen werden – vom Eingang aus betrachtet – von einem massiven, ebenfalls um 84 cm eingerückten Giebeldreieck verdeckt, sodass hier ein dem Vorraum ganz ähnlicher Zwischenbereich entsteht. In dieses Giebeldreieck ist ein Kreuz einge­arbeitet, durch das dank der genauen Ausrichtung der Kapelle jedes Jahr am 15. August bei Sonnenaufgang direktes Sonnenlicht eintritt. Dieser Tag, das Fest Mariä Himmelfahrt, hat für die Familie eine besondere Bedeutung und wird daher alljährlich feierlich begangen. Als Kreuzform wurde bewusst nicht das an die Kreuzigung Jesu erinnernde lateinische Kreuz gewählt, sondern ein griechisches Kreuz, eines der einfachsten und ältesten Symbole religiösen Glaubens.

Spiritualität und Geborgenheit

Auch wer nicht selbst wahrgenommen hat, dass dieser Standort von einem Radiästheten als Kraftplatz identifiziert wurde, spürt doch die von diesem Raum ausgehende Spiritualität, die kraftvolle Stille, die Reduzierung auf das Sein in der Natur – das leise Rauschen der Bäume ist zu hören, sanfte Windstöße bewegen die Luft und halten das fantastische Landschaftsbild vor der Tür in der Vorstellung präsent. Das Gefühl von Entrücktheit bei gleichzeitiger Geborgenheit ist beim Verlassen der Kapelle fast noch stärker als beim Betreten, denn der Kontrast zum reduzierten Innern könnte kaum größer sein. Der Blick auf den umliegenden Wald rückt die Wirkung der im Umkreis von wenigen Kilometern geschlagenen Bäume ins Bewusstsein, als befinde man sich im Innern des Waldes, im Innern der Bäume gar. Das macht nicht der Raum allein, sondern auch die Tatsache, dass alles unmittelbar aus dem Umfeld stammt.

Wie geplant, haben Müllner, Sampl sowie einige Familienmitglieder und Freunde die Kapelle gemeinschaftlich und unentgeltlich errichtet. Genauso sorgfältig wie den Bauplatz haben sie die Bäume ausgewählt und in der saftarmen Zeit im November bei abnehmendem Mond gefällt und anschließend bearbeitet. Die Frage, was die Kapelle kostete, können weder Sampl noch Müllner beantworten. Nicht weil sie diese für unangebracht halten, sondern schlicht weil eine solche Summe kaum berechenbar ist, wenn sämtliche Ressourcen und Arbeitsleistungen selbst eingesetzt werden. Das Teuerste am ganzen Bau, sagt Müllner scherzhaft, sei am Ende wohl die Verpflegung der Helfer gewesen.

db, Mo., 2018.11.05



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db 2018|11 Architektur der Stille

04. September 2018Roland Pawlitschko
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Vielfältiges Kontinuum

Stanton Williams restaurierten und erweiterten das »Musée d’arts de Nantes« mit größter Sorgfalt. Dabei gelang es ihnen, Freiflächen, Kunstwerke, Bestand und Neubauten zu einer Einheit zu verknüpfen, deren Reiz gerade in ihrer Vielfalt liegt. Für den Besucher entsteht so ein Zugewinn an Kunstgenuss, der weit über die reine Erweiterung der Ausstellungsflächen hinausgeht.

Stanton Williams restaurierten und erweiterten das »Musée d’arts de Nantes« mit größter Sorgfalt. Dabei gelang es ihnen, Freiflächen, Kunstwerke, Bestand und Neubauten zu einer Einheit zu verknüpfen, deren Reiz gerade in ihrer Vielfalt liegt. Für den Besucher entsteht so ein Zugewinn an Kunstgenuss, der weit über die reine Erweiterung der Ausstellungsflächen hinausgeht.

Sieben Jahre nach Baubeginn öffnete das »Musée des Beaux-Arts« in Nantes im Jahr 1900 erstmals seine Pforten. Fast genauso lang dauerte die Res­taurierung und Erweiterung des Museums, ehe es vor gut einem Jahr als »Musée d’arts de Nantes« wiedereröffnet wurde. Von außen hat sich das Palais im ­Beaux-Arts-Stil kaum verändert. Allein der kleine Ehrenhof zur Rue Georges Clemenceau zeigt sich sichtlich neu gestaltet: Statt der einzelnen Treppen, die einst zu den drei Eingängen führten – wie Landungsbrücken zu einem Schiff – laden nun breite Sitzstufen zum Verweilen ein. Hinzu kommen zwei Glaskuben, in denen sich ein Aufzug bzw. temporäre Kunstinstallationen befinden, sowie eine Freiraumgestaltung mit parkettartig verlegten Pflastersteinen, die die Straße in einen einladenden Vorplatz verwandeln. Angesichts der langen Bauarbeiten am Museum und der zugleich nahezu unveränderten Fassaden ist klar: Das Entrée stellt nur einen kleinen Teil der Umbau­maßnahmen dar. Dass auch die Chapelle de l’Oratoire aus dem 17. Jahrhundert und ein schmaler Neubau an dieser Straße sowie ein weiteres neues Gebäude an der rückwärtigen Rue Gambetta ebenfalls Teil des Museums sind, offenbart sich dem Besucher erst nach und nach bei seinem Ausstellungsrundgang.

Durchgängig

In der Eingangshalle weist das Nebeneinander aus jahrhundertealten Marmorfiguren, einer bunten Pop-Art-Leuchtskulptur und zeitgenössischen ­Gemälden auf eine Besonderheit des Kunstmuseums hin: Es widmet sich nicht nur einer einzigen Epoche, sondern zeigt Exponate der bildenden Kunst vom 13. Jahrhundert bis heute. Diese große Bandbreite und eine von Anfang an rege Sammlungstätigkeit haben dazu geführt, dass das Haus in den letzten Jahrzehnten aus allen Nähten zu platzen begann. Da es zudem sowohl hinsichtlich seiner Haustechnik als auch museumspädagogisch in die Jahre gekommen war (z. B. gab es weder einen Vortragssaal noch Räume für Seminare oder Workshops), erwies sich eine umfassende Modernisierung und Erweiterung als unumgänglich. Den hierfür 2009 ausgelobten Wettbewerb gewann das im Museumsbau erfahrene Londoner Architekturbüro Stanton Williams mit einem Entwurf, der die vielfältigen Kunstwerke ebenso zelebriert wie die Vielfalt der Wege, Räume, Materialien und Lichtstimmungen. Die Architektur drängt sich dabei nirgendwo in den Vordergrund. Sie sorgt vielmehr dafür, die unterschiedlichen Bereiche durch eine einheitliche Gestaltungssprache zusammenzubinden.

Dreh- und Angelpunkt des Musée d’arts ist der zentrale Patio. Als neutraler weißer Innenhof bietet er Platz für temporäre Ausstellungen, während sich um ihn herum im EG die ständige Sammlung des 13. bis 18. Jahrhunderts und im OG jene des 19. und 20. Jahrhunderts entwickeln. Da die filigranen Stuckarbeiten und Malereien der Wand- und Deckenflächen bereits einer früheren Renovierung zum Opfer fielen, entspricht sein heutiges Erscheinungsbild in etwa dem vor der Modernisierung. Ort eines massiven baulichen Eingriffs war der Patio dennoch: er wurde aufgegraben und – wie der Rest des Palais – komplett neu unterkellert.

Der Weg ins UG führt über zwei Treppen zunächst in eine Zwischenebene mit Schließfächern und von dort schließlich ganz nach unten. Dort befinden sich neben einem Auditorium mit 150 Sitzplätzen auch der museumspädagogische Bereich, Garderoben, Toiletten und ein weiterer Wechselausstellungsraum (Salle Blanche). Letzterer dient aufgrund seiner Lage im Westteil des ­Palais gleichsam als unterirdisches Bindeglied zum »Cube«, dem Museumsneubau zeitgenössischer Kunst an der rückwärtigen Rue Gambetta.

Empfängt das Museum den Besucher im Palais mit den beiden äußerst sorgfältig restaurierten Räumen der Eingangshalle und des prachtvollen Haupttreppenhauses, so vermittelt das UG fast den Eindruck, sich in einem Neubau zu befinden: Im Zuge der Bauarbeiten an der neuen Bodenplatte wurden sämtliche Fundamente freigelegt, weshalb sich das UG heute deutlich vom Rest des Bestands abhebt. In den öffentlichen Bereichen entstanden elegante Räumlichkeiten mit Sockeln und Rippendecken aus Sichtbeton sowie Eichenholz-Wandbekleidungen, deren zurückhaltend natürliche Farb- und Formensprache perfekt mit den freigelegten Bruchsteinfundamenten harmoniert.

Ein weiterer Bereich massiver Umbaumaßnahmen ist das Dach. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um eine höhengestaffelte Landschaft aus unterschiedlich geneigten Glasflächen verschiedener Abmessungen (insgesamt 3 500 m²), die die natürliche Belichtung aller Ausstellungsräume des OGs sowie des Patios und des Haupttreppenhauses ermöglichen. Der elegante Stahl-Dachstuhl des Bestands blieb unangetastet, während Dachdeckungen und Verglasungen ausgetauscht und um ein automatisch steuerbares Verschattungssystem mit Textilbahnen ergänzt wurden.

Hiermit lässt sich die bisher unkontrolliert einfallende Tageslichtmenge erstmals präzise regulieren und nach Bedarf auch Kunstlicht zuschalten. Was die Besucher davon wahrnehmen, ist das sinnliche Schattenspiel der historischen Dachkonstruktion, das sich bei Sonnenschein schemenhaft an den Glasdecken abzeichnet.

Bei der technischen Ausstattung des Palais setzten die Architekten auf möglichst »passive« Maßnahmen: Neben der intensiven Tageslichtnutzung sorgen LEDs und innen wärmegedämmte Außenwände für Energieeffizienz. Hinzu kommt der Ansatz, bei der Raumtemperatur und -feuchte keine fest einzuhaltenden Werte zu definieren, sondern größere, sich langsam verändernde ­saisonale Schwankungen zuzulassen.

Durchscheinend

Wer auf dem Rundgang durch das Palais in der Kunstsammlung des 20. Jahrhunderts angelangt ist, dem bietet sich die Möglichkeit, die Tour im nordwestlich benachbarten Cube fortzusetzen. Der Weg dorthin führt über eine breite Brücke, die dank geschlossener Seitenwände und eines Oberlichts als Ausstellungsraum erscheint – damit sich die Besucher dennoch orientieren können, ordneten die Architekten direkt neben der Brücke ein schmales Fenster mit Blick auf die dem Museum angegliederte Kapelle an. Wie die anderen Ebenen ist auch das teilweise zweigeschossige 1. OG des Museumsneubaus als neu­traler White Cube konzipiert, der mit nicht tragenden Trennwänden eine ­flexible Bespielung der Flächen gewährleistet.

Die Brücke führt aber auch in einen lichtdurchfluteten Treppenraum, der sich in seiner Erhabenheit, wenn auch auf völlig andere Art und Weise, auf die Haupttreppe des Palais bezieht. Maßgeblich für diese Wirkung ist die Südfassade mit ihrer filigranen Stahlkonstruktion und der außen mit dünnen Platten aus portugiesischem Marmor versehenen Verglasung, deren Farbton und horizontale Fugenabstände mit der sandgelben Natursteinfassade (Tuffeau nantais) des Palais korrespondieren. Während des Tags sorgen die Platten für ein weiches, warmes Licht im Innenraum, während sie von außen den Eindruck einer massiven Wand erzeugen. Am Abend, bei beleuchtetem Innenraum, kehrt sich das Bild um. Dann beginnt die Fassade zu glühen, sodass sie in Richtung des begrünten Innenhofs eher als Lichtinstallation denn als Treppenhaus erscheint.

Im EG des Cube gelangen die Besucher in den neuen Skulpturenhof und von dort über einen verglasten Treppenraum in die Kapelle. Die Chapelle de l’Oratoire dient schon seit Längerem als Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst und blieb, abgesehen von der neuen Erschließung, von den Um­baumaßnahmen unberührt. Den südlichen Abschluss des Skulpturenhofs bildet das für Besucher nicht zugängliche Archivgebäude, das neben Werkstätten v. a. Lagerräume beherbergt und daher an seiner Natursteinfassade nur wenige Öffnungen aufweist.

Der Weg wieder zurück zur Eingangshalle im Palais führt entweder über den Garderobenbereich im UG oder über die Brücke im OG – eine Verbindung im EG ist nicht möglich, weil sich zwischen Cube und Palais der Anlieferungsbereich befindet.

Es gibt zahlreiche Gründe, warum der Rundgang durch das Musée d’arts de Nantes so spannend ist. Zunächst sind da die erstklassigen Exponate aus dem 13. bis 21. Jahrhundert – von Künstlern wie Perugino, Gustave Courbet, ­Claude Monet, Auguste Rodin, Wassily Kandinsky oder Anish Kapoor. Dann gibt es den erfrischenden Ansatz, Werke verschiedener Entstehungszeiten gezielt nebeneinander zu stellen, um oftmals irritierende, neue Querbezüge zu schaffen. Eine Rolle spielt auch das Miteinander der Gebäude aus vier ­Jahrhunderten. Wesentlich ist, dass die Architekten nicht nur für die Gebäudeplanung und die Freiraumgestaltung am Haupteingang zuständig waren, sondern auch die Gelegenheit hatten, den Großteil der Möblierung, der Einbauelemente in den Ausstellungsräumen, das grafische Erscheinungsbild sowie die Signaletik des Museums zu entwerfen. Auf diese Weise wird der Museumsbesuch zu einem ganzheitlichen Erlebnis.

db, Di., 2018.09.04



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db 2018|09 Kunst und Architektur

02. Februar 2018Roland Pawlitschko
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Ordnende Räume

Das Gebäudeensemble aus Kita und Schule des Montessorizentrums in Freising bei München zeigt sich nach außen hin eher unscheinbar. Im Innern der beiden Baukörper jedoch offenbaren sich klar strukturierte und gut gestaltete Räume, die neben dem Lernen insbesondere das kreative Miteinander von Pädagogen und Kindern in den Mittelpunkt rücken.

Das Gebäudeensemble aus Kita und Schule des Montessorizentrums in Freising bei München zeigt sich nach außen hin eher unscheinbar. Im Innern der beiden Baukörper jedoch offenbaren sich klar strukturierte und gut gestaltete Räume, die neben dem Lernen insbesondere das kreative Miteinander von Pädagogen und Kindern in den Mittelpunkt rücken.

Pisa-Schock, überfrachtete Lehrpläne, zu große Klassen, Lehrer- und Platzmangel haben das Vertrauen in öffentliche Schulen erschüttert. Laut Bildungsbericht 2016 besuchen inzwischen fast 9 % aller Schüler in Deutschland Schulen freier Träger. Neben kirchlichen Einrichtungen und Waldorf-Schulen verzeichnen insbesondere die Montessori-Schulen, wachsenden Zulauf. Der pädagogische Ansatz, den die Ärztin, Reformpädagogin und Philosophin Maria Montessori zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründete, hat auch gut 100 Jahre später nichts von seiner Gültigkeit verloren. Er betrachtet Kinder als individuelle Persönlichkeiten, die keine standardisierten Lehrpläne, sondern freie Entfaltungsmöglichkeiten brauchen. Wesentliches Merkmal dieser Pädagogik ist daher das Eingehen auf die wechselnden, entwicklungsabhängigen Lerninteressen und sensiblen Lernphasen jedes einzelnen Kindes. Zusammen mit den eingesetzten Montessori-Unterrichtsmaterialien, wie z. B. numerische Stangen, Perlen oder trinomische Würfel, übernimmt das Schulhaus dabei die Rolle der »vorbereiteten Umgebung«, die das selbstständige, selbstbestimmte und soziale Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung fördert. Träger des Montessorizentrums in Freising ist ein gemeinnütziger Verein, den engagierte Eltern 1986 gründeten, um kurz darauf in den Räumen des katholischen Palotti-Hauses in Freising zunächst eine Grundschule und einen Kindergarten zu betreiben. Einige Jahre später folgten eine Spielgruppe und eine Mittagsbetreuung der ersten vier Klassenstufen sowie eine Montessori-Mittelstufe in einem vormaligen Gewerbegebäude am Stadtrand.

Steigende Kinder- und Schülerzahlen sowie auslaufende Genehmigungen für den Betrieb an zwei Standorten führten 2011 zum Beschluss, einen Neubau zu errichten, in dem sowohl ein Kinderhaus mit Krippe und Kindergarten als auch eine Grund- und Mittelschule Platz finden. Nach langer Suche im Stadtgebiet stieß der Verein auf ein geeignetes Grundstück zwischen einem Wohn- und einem Gewerbegebiet im Südosten Freisings und lud fünf Architekturbüros zur Bearbeitung der Aufgabe ein. Auf Grundlage der Entwurfsplanung des Berliner Büros Numrich Albrecht Klumpp, das für Kinderhaus und Schule je ein separates Gebäude vorsah, lobte der Verein schließlich ein EU-weites VOF-Verfahren aus. Dieselben Architekten konnten abermals überzeugen und wurden somit auch mit der umfassenden Objektplanung beauftragt.

Äußere und innere Ordnung

Um fördermittelrelevante Fristen einzuhalten, begannen die Planungen und Baumaßnahmen beim eingeschossigen Kinderhaus. Dieses liegt im rückwärtigen Grundstücksbereich und umschließt zusammen mit dem L-förmigen Schulgebäude einen gemeinsamen Spiel- und Pausenhof, der sich nach Westen hin zu einem kleinen Wäldchen mit Bachlauf orientiert. Ein zu diesem Naturraum offener eingeschnittener Innenhof gliedert das Kinderhaus am Eingangsfoyer in zwei Bereiche, dient zugleich aber auch als verbindende Terrasse. Auf der einen Seite ist eine Krippe mit maximal 13 Kindern zwischen einem und drei Jahren untergebracht, auf der anderen Seite befinden sich zwei Kindergartengruppen für insgesamt 50 Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Jede der Gruppen verfügt über einen Gruppen- und einen Nebenraum, hinzukommen ein Mehrzweckraum für gemeinsame Veranstaltungen und sportliche Aktivitäten sowie Nebenräume und Räume für die Erzieher. Dass das Kinderhaus sehr klar strukturiert ist, entspricht dem Montessori-Prinzip, nach dem eine äußere Ordnung auch zur inneren Ordnung führt.

Die Innenraumgestaltung basiert auf wenigen, farblich angenehm zurück‧haltenden Oberflächen: weiße Wände und Decken (im Eingangsbereich Sichtbetonwände), Holz-Alu-Fenster, Naturholzmöbel, hellgrüner Linoleum-Bodenbelag. Leuchtend gelbe Farbakzente hingegen setzen insbesondere die Garderobenwände im Eingangsbereich und die freistehenden Küchenblöcke in den Gruppenräumen des Kindergartens. Hier können die Kinder Erfahrungen im Zubereiten von Essen sammeln. Ungeachtet dessen wird das Mittagessen – ebenso wie in der Mensa der Schule – von einem Caterer geliefert. Für eine klare äußere Ordnung des Gebäudes sorgt eine zweigeteilte, mit dem Schulhaus korrespondierende Fassade aus grauen Faserzementplatten und vertikalen Lärchenholzbrettern. Übernehmen die Faserzementplatten beim Kinderhaus v. a. die Aufgabe eines robusten, widerstandsfähigen Gebäudesockels, machen sie beim dreigeschossigen Schulhaus zudem noch das Innenraumkonzept ablesbar. Dort bekleiden sie das gesamte EG, in dem sich neben der Sporthalle und den Büros der Schulleitung auch eine Mensa und ein Schülercafé befinden – sämtliche Unterrichtsräume für die insgesamt 320 Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 10 befinden sich im 1. OG (Grundstufe) und 2. OG (Mittelstufe). Hinsichtlich der Farb- und Oberflächengestaltung entspricht das Schulhaus fast vollständig dem Kinderhaus – allein die Klassenzimmer und die Klassenzimmerflure verfügen über dunkelgraue Teppichböden.

»Raum der Mitte«

Obwohl das Schulgebäude in Bezug auf die Flächen grundsätzlich einer vergleichbaren Regelschule entspricht, stellt sich schon im Foyer das Gefühl ein, sich in einem besonders großzügigen und einladenden Gebäude zu befinden. Das liegt v. a. an der offenen Haupttreppe und der großen Pausenhalle mit ihren jeweils über drei Geschosse reichenden Lufträumen, die sowohl für weite Durchblicke als auch für viel Tageslicht sorgen. Darüber hinaus signalisieren Sitzstufen entlang der Straßenfassade und ein an eine Kanzel erinnerndes Treppenpodest, dass die in Gebäudemitte platzierte Pausenhalle auch als Bereich vielfältiger Aktivitäten dient. Und tatsächlich finden hier im »Raum der Mitte« neben Schulfesten und Präsentationen auch Veranstaltungen von Sportvereinen und anderen Gästen statt, die je nach Raumbedarf zusätzlich noch die Sporthalle oder die Mensa anmieten können. Diese Bespielungsmöglichkeiten, der dezidiert »öffentliche« Charakter und die kleinteilige Gestaltung schaffen eine wohltuende räumliche Qualität und lassen das klar gegliederte EG außerdem größer erscheinen als es in Wirklichkeit ist. Diese Großzügigkeit ist auch deshalb möglich, weil die dreigeschossige Pausenhalle kein Bestandteil des Rettungswegekonzepts der drei Unterrichtsbereiche im OG ist. Sie sind mit jeweils einem eigenen Fluchttreppenhaus ausgestattet und von dem über alle Geschosse offenen Bereich mit Glas-Brandschutztüren abgetrennt.

Aktives Lernen

Wie alle bayerischen Montessori-Schulen orientiert sich auch die in Freising an den Bildungs- und Erziehungszielen für staatliche bayerische Schulen. Im Unterschied zu diesen kann sie jedoch frei über die Lehr- und Erziehungsmethoden, die Lehrinhalte und die Formen der Unterrichtsorganisation entscheiden. Und so gibt es statt Frontalunterricht und starren, abgeschlossenen Klassenzimmern jahrgangsgemischte Klassen (1-3, 2-4, 5-7 und 8-10) und flexible Lernräume, die den Kindern vielfältige Erfahrungs- und Bewegungsspielräume eröffnen. Hier können sie sich frei gewählten Aufgaben widmen, die sie sich nach dem Montessori-Leitsatz »Hilf mir, es selbst zu tun« in Begleitung der Pädagogen selbst erschließen. Als Teil der Lernumgebung sind die Flure so gestaltet, dass sie aktiv in den Unterricht miteinbezogen werden können, z. B. wenn sich die Schüler zur Freiarbeit oder zur Arbeit in kleineren Gruppen zeitweise aufteilen. Sie verfügen (ebenso wie die Unterrichtsräume) über weiche Teppichböden und große Sitz- und Sichtfenster in den Klassenzimmerwänden. In den Klassenzimmern – vorgesehen für max. 25 Schüler – gibt es leichte Stühle sowie dreieckige Tische auf Rollen, die sich schnell und mühelos umkonfigurieren lassen, um auf diese Weise alle denkbaren Unterrichtsformen zu unterstützen. Einige der Klassenzimmer verfügen noch über die alte Möblierung aus dem Vorgängerbau, die jedoch in den nächsten Jahren ersetzt werden soll.

Die Schüler erhalten im Verlauf der 9. Klasse den Montessori-Abschluss und legen anschließend die Prüfungen für den Haupt- und den Realschulabschluss ab. Die Fachhochschulreife und Hochschulreife können die Schüler dann an der Montessori Fachoberschule in München erwerben, die der Verein als einer von acht Gründungsgesellschaftern mitgegründet hat. Bislang gibt es keine Pläne, das Montessorizentrum um eine Oberstufe zu erweitern, um vor Ort ein vollständiges Schulangebot bereitstellen zu können – eine wesentliche Rolle in der Schullandschaft Freisings nimmt dieser Standort zweifellos dennoch ein. Nicht nur, weil der Landkreis direkt nebenan gerade eine Realschule errichtet, sondern v. a., weil das Schulhaus ebenso unprätentiös wie beispielhaft aufzeigt, wie Architektur die Kommunikation und das gemeinschaftliche Lernen und Arbeiten fördern kann – jene Fähigkeiten, die sowohl im privaten Bereich als auch im Berufsleben eines jeden immer wichtiger werden.

db, Fr., 2018.02.02



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db 2018|1-2 Bauen für Kinder

02. November 2017Roland Pawlitschko
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Gemeinsam stark

Die Komposition aus drei unterschiedlichen Baukörpern bringt an einer Art Dorfplatz Pflegeheim, soziale Dienste, verschiedene Formen des Altenwohnens und sogar geförderten Wohnraum für Familien zusammen. Natürliche Belichtung mit Blickbeziehungen zur Außenwelt, sinnesanregende Farbgestaltung und die ortsüblichen Materialien Putz und Holz sorgen dabei für Übersichtlichkeit und Behaglichkeit.

Die Komposition aus drei unterschiedlichen Baukörpern bringt an einer Art Dorfplatz Pflegeheim, soziale Dienste, verschiedene Formen des Altenwohnens und sogar geförderten Wohnraum für Familien zusammen. Natürliche Belichtung mit Blickbeziehungen zur Außenwelt, sinnesanregende Farbgestaltung und die ortsüblichen Materialien Putz und Holz sorgen dabei für Übersichtlichkeit und Behaglichkeit.

Integration gelingt selten so gut wie beim neuen »Haus der Generationen« in Koblach. Ausgangspunkt war ein in die Jahre gekommenes Versorgungsheim, das umfunktioniert und um ein Pflegeheim wie auch um einen integrativen Wohnungsbau ergänzt wurde, und heute tatsächlich Menschen aller Altersgruppen als Ort zum Leben bzw. als Beratungsstelle dient.

Vor nunmehr 15 Jahren schlossen sich die vier rund um den Kummenberg ­situierten Vorarlberger Gemeinden Altach, Götzis, Koblach und Mäder zur Region »amKumma« zusammen. Unter dem Motto »Vier Gemeinden – ein Lebensraum« verfolgen sie seitdem das Ziel, die Lebensqualität durch eine ­enge Zusammenarbeit und eine »umsichtige, langfristige, nachhaltige und aktive Planung« zu stärken. Inzwischen kann die Region auf viele gemeinsame Projekte und Erfolge zurückblicken: auf dem Gebiet des öffentlichen Nahverkehrs und auf wirtschaftlicher Ebene ebenso wie beim Umweltschutz, in der ­Jugendarbeit oder im Umgang mit Flüchtlingen.

Das vom Bregenzer Architekturbüro Cukrowicz Nachbaur nach einem Architektenwettbewerb realisierte Haus der Generationen in Koblach ist ein weiteres Projekt dieser bemerkenswerten Erfolgsgeschichte. Es befindet sich im Ortskern unweit des neuen Gemeindezentrums »DorfMitte« und bildet als Sozialzentrum nun einen weiteren wichtigen Treffpunkt für Jung und Alt.

Geleitet wird das von der Vorarlberger gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft gebaute Ensemble aus zwei Neubauten und einem Altbau von den Sozialdiensten Götzis, eine Gesellschaft der Gemeinde Götzis, die eine vergleichbare Einrichtung bereits bei sich im Ort betreibt.

Vernetzung von Innen und Aussen

Dass das zweigeschossige Pflegeheim, das dreigeschossige Wohnhaus und das ehemalige Versorgungsheim nicht zufällig nebeneinander stehen, ist auf den ersten Blick zu sehen. Alle drei sind architektonisch ähnlich zurückhaltend gestaltet und verfügen über warmtonige grau-beigefarbene Putzfassaden mit hell gerahmten Fenstern. V. a. aber bilden die frei stehenden, unterschiedlich großen und hohen Gebäude einen zur Landesstraße offenen Platzraum, der zum Verweilen einlädt. Dafür sorgen z. B. neutrale EG-Zonen, Bäume, ein Brunnen, Sitzbänke und nicht zuletzt der großzügige, überdeckte Eingangsbereich des Pflegeheims, der mit gelbgrünen Stühlen und Sonnenschirmen an den Außenbereich eines Cafés denken lässt. Dass dieser Eindruck nicht ganz falsch ist, wird beim Betreten des Gebäudes klar. Gleich nach dem Passieren des Foyers stehen Besucher nämlich in einem zum Platz und zu einem Innenhof raumhoch verglasten Raum mit weiteren Tischen und Stühlen, Kuchen­vitrine und Ausgabetheke. Und tatsächlich ist dies weniger der Eingangs­bereich eines Pflegeheims als vielmehr eine Art Cafeteria und Treffpunkt, an dem sich sowohl die Bewohner und Besucher des Pflegeheims als auch Menschen aus der Nachbarschaft aufhalten – zum Mittagessen, das hier nach Vorbestellung für jedermann möglich ist, zu Kaffee, Kuchen und kleinen Snacks am Nachmittag, oder zu Veranstaltungen.

Bei letzteren werden in der angrenzenden, professionell ausgestatteten Küche Speisen zubereitet.

Drei Raumschichten rund um einen Innenhof

Die bereits im Eingangsbereich spürbare Offenheit ist auch das wesentliche Merkmal im Innern des Pflegeheims. Grundsätzlich erfolgt die Grundriss­organisation um einen zentralen Innenhof, um den sich insgesamt drei Raumschichten anlagern: zunächst Nebenräume und kleine offene Gemeinschafts- bzw. Rückzugsbereiche, dann ein ringförmiger Erschließungsgang, der sich in der Südwestecke zu einem großen Wohnbereich aufweitet, und schließlich die 36 Zimmer der beiden nahezu identisch übereinander liegenden Wohnbereiche. Durch die Aufweitungen des Flurs – mal zum Dorfplatz bzw. zum rückwärtigen Dorfbiotop mit Bachlauf, mal zum Innenhof – ent­stehen vielfältige Raum- und Sichtbezüge, die das einfache quadratische Bauvolumen durchlässig machen und viel komplexer erscheinen lassen als es ­tatsächlich ist. Dank der räumlichen Unterschiede ist für die Bewohner immer nachvollziehbar, wo sie sich gerade befinden.

Für Klarheit sorgt auch die Tatsache, dass sämtliche zum Innenhof orientierten Flurwände verputzt und weiß gestrichen sind, und sämtliche Zimmerwände auf der anderen Seite – ebenso wie der Boden und andere Einbauten – in geölter Eiche erscheinen. Die angenehme Wohnatmosphäre in den gemeinschaftlich genutzten Bereichen entsteht durch die natürlichen Materialien und die abwechslungsreiche räumliche Kleinteiligkeit, aber auch durch die vielen alten Möbelstücke, die teils von Bewohnern stammen, teils hinzugekauft wurden. Ebenso sorgfältig ausgeführt sind die einzelnen Zimmer. Wie der Rest des Gebäudes, verfügen auch sie über hochwertige Detaillösungen: z. B. präzise eingepasste Eicheneinbaumöbel, die zugleich als Bad-Trennwand dienen. Diese Wände reichen nicht ganz bis zur Decke – einerseits, um das ­innenliegende Bad mit Tageslicht zu versorgen, andererseits, damit die Pflegekräfte bettlägerige Bewohner mithilfe eines Deckenlifters zum Duschen ins Bad bringen können. Die für den Lifter entlang der Zimmerwände nötigen Decken-Laufschienen sind in allen Zimmern vorhanden, Querbalken und Hebevorrichtung werden aber nur bei Bedarf eingebaut. Diese Einrichtung stört zwar das ansonsten harmonische Bild, bietet den Mitarbeitern jedoch ­eine erhebliche Erleichterung in der täglichen Pflege. Versöhnlicher ist da der Blick in die umliegende Natur, der dank der tiefen Brüstung der Fichtenholzfenster auch vom Bett aus gut möglich ist.

Aktive Gemeinschaft und teilnehmende Beobachtung

Unabhängig vom Pflegebedarf steht im Pflegeheim die Förderung der Gemeinschaft im Vordergrund. Und so gibt es im Wohnbereich neben viel Platz für Tische, Stühle, Sofas und eine Terrasse bzw. einen Balkon auch jeweils eine große offene Küche mit frei stehender Theke. Während die Hauptbestandteile des Mittagessens aus wirtschaftlichen Gründen im Haus der Generationen in Götzis gekocht und angeliefert werden, erfolgt die Zubereitung der Beilagen vor Ort. Die Küche wird natürlich ebenso zum gemeinsamen Backen, für Frühstück und Abendessen und Anderes genutzt. Selbst wenn sich Bewohner aus gesundheitlichen Gründen nicht direkt beteiligen können, so sind sie doch Teil des Ganzen.

Von dieser Art der teilnehmenden Beobachtung dürften viele Bewohner ebenfalls profitieren, wenn es im nächsten Jahr auf der dem Pflegeheim südlich vorgelagerten Wiese Hochbeete und Hühner geben wird. Gemeinsame religiöse Erlebnisräume eröffnet eine kleine Kapelle. Sie befindet sich am Gemeinschafts- und Veranstaltungsbereich über dem Haupteingang, vom dem aus eine Brücke den Übergang zum ehemaligen ­Versorgungsheim ermöglicht.

Das ehemalige Versorgungsheim als Teil des neuen Ensembles blieb baulich nahezu unverändert, wurde aber bei gleicher Raumaufteilung grundlegend renoviert und mit neuen Böden, Fenstern, Türen und Anstrichen versehen. Hier befinden sich die Büros der Hauskrankenpflege, des Mobilen Hilfsdiensts, der Elternberatung, der Gruppe »z’Kobla dahoam« und der Beratungsstelle für Gesundheit, Pflege & Koordination sowie Besprechungsräume.

Das dritte Gebäude am Dorfplatz ist ein Wohnungsbau mit 16 um einen zentralen Lichthof gruppierten, barrierefreien Wohnungen in den beiden unteren Geschossen und einer betreuten Wohngruppe für zwölf Personen mit maximal mittlerem Pflegebedarf im 2. OG. In den Wohnungen leben Menschen ­jeden Alters, auch junge Familien, die größtenteils ohne direkten Bezug zum Pflegeheim stehen. Es besteht für sie aber die Möglichkeit, einen Betreuungsvertrag abzuschließen und zeitweise oder dauerhaft verschiedene Angebote des Pflegeheims oder des Mobilen Hilfsdiensts zu nutzen: z. B. Funknotruf, Mittagessen oder kleinere Pflege-Dienstleistungen.

In der betreuten Wohngruppe mit Bewohnern verschiedenen Alters, aber ähnlichen Bedürfnissen geht es nicht in erster Linie um körperliche Pflege, sondern um die Unterstützung im Alltag. Aus diesem Grund stehen zwischen 7 und 21 Uhr Fachkräfte in der Wohnung für Hilfeleistungen zur Verfügung – nachts sind für Notfälle die Mitarbeiter des Pflegeheims zuständig. Die Ausstattung der Wohnbereiche entspricht den Standards des Pflegeheims – auch hier prägt geöltes Eichenholz das Bild. Die Zimmer werden von den Bewohnern komplett selbst eingerichtet.

Verantwortung für Mensch und Umwelt

Durch die Nutzungsmischung innerhalb der drei Gebäude ist in Koblach ein wirklich generationenübergreifendes Sozialzentrum entstanden, das Beratungs- und Betreuungsangebote für fast alle Altersgruppen bereithält. Und selbst wer hier keine Antworten findet, begegnet fachlich kompetenten Menschen, die wissen, wohin man sich mit Fragen wenden kann. Das gleiche Verantwortungsgefühl, das die Region »amKumma« für ihre Einwohner zeigt, hat sie seit Jahren auch für den Umweltschutz. Und so erscheint es den hiermit gut bekannten Architekten beim Rundgang fast schon nebensächlich zu erwähnen, dass Passivhaus-Standard erreicht wurde und selbstverständlich ökologische, heimische Baumaterialien zum Einsatz kamen. Errichtet wurden die Neubauten in Massivbauweise aus Tonziegeln mit Vollwärmeschutz aus Mineralwolledämmung und Fensterrahmen aus Fichtenholz. Heizwärme und Warmwasser werden mithilfe von Erdwärme erzeugt.

Und da sich die Einwohnerzahl Koblachs in den letzten 40 Jahren auf rund 4 500 fast verdoppelt hat, gibt es selbst für den Fall, dass der Bedarf an Pflegeheim­plätzen weiter steigt, schon eine Lösung. Weil eine Aufstockung des Pflegeheims städtebaulich unverträglich wäre, haben die Architekten die Baukörper so platziert, dass in nördlicher Richtung auf dem eigenen Grundstück ein ­Erweiterungsbau errichtet werden könnte.

db, Do., 2017.11.02



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db 2017|11 Wohnen im Alter

02. Oktober 2017Roland Pawlitschko
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Holzschatulle im Prinzessinnenpalais

Von der Ausstellung ist zwar noch nichts zu sehen, denn das Stadtmuseum öffnet erst im April 2018 seine Tore, dafür ist die ins entkernte Wilhelmspalais eingepasste Architektur derzeit in voller Klarheit erlebbar. Das Raumgefüge aus hellem Birkenholz, Sichtbeton und dunklen Terrazzoböden überrascht hinter der klassizistischen Fassade zunächst.

Von der Ausstellung ist zwar noch nichts zu sehen, denn das Stadtmuseum öffnet erst im April 2018 seine Tore, dafür ist die ins entkernte Wilhelmspalais eingepasste Architektur derzeit in voller Klarheit erlebbar. Das Raumgefüge aus hellem Birkenholz, Sichtbeton und dunklen Terrazzoböden überrascht hinter der klassizistischen Fassade zunächst.

Als das Wilhelmspalais 1840 fertiggestellt war, bildete es den östlichen ­Abschluss der Planie – eine von Alleen gesäumte Grünachse, an der einige der historisch wichtigsten Gebäude Stuttgarts aufgereiht sind, z. B. das Alte Waisenhaus, die Alte Kanzlei sowie das Alte und Neue Schloss. Dass diese Achse heute kaum mehr als solche erkennbar ist, hat v.a. mit dem Ausbau Stuttgarts zur autogerechten Stadt zu tun. Und so ist hier seit den 60er Jahren kein ­Vogelgezwitscher mehr, sondern Autolärm zu hören, ausgehend von zwei Bundesstraßen, die sich kreuzungsfrei begegnen und die Sicht- und Fußwegeverbindungen kappen. Direkt vor dem von Hofbaumeister Giovanni Salucci für die beiden Töchter von König Wilhelm I. geplanten Wilhelmspalais befindet sich die rechtwinklig zur Planie (B27) verlaufende Konrad-Adenauer-Straße (B14) – jene Stadtautobahn, die seit Jahrzehnten das Entstehen einer fühlbaren Kulturmeile vereitelt.

Zahlreiche hochkarätige Kulturinstitutionen (z.B. Landesbibliothek, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Haus der Geschichte, Staatsgalerie und Staatstheater) liegen neben dem »Prinzessinnenpalais« dicht an dicht, ein Ort zum Flanieren ist die Verkehrsschneise freilich nicht.

Seit 1918 im Besitz der Stadt und im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, wurde das Wilhelmspalais Mitte der 60er Jahre entkernt und durch den ­Architekten Wilhelm Tiedje zur Stadtbücherei umgebaut. Erhalten geblieben sind dabei lediglich die Außenwände.

Das neue Innere folgte funktionalen Gesichtspunkten und nahm mit dem von hohen geschlossenen Wänden flankierten Foyer in der Mittelachse und der dort platzierten, unrepräsentativen Haupttreppe nur wenig Bezug zur Altbausubstanz. Einige Jahre vor dem 2011 erfolgten Umzug der Stadtbücherei in den würfelförmigen Neubau (Architekt: Eun Young Yi) im Europaviertel fiel der Entschluss, hier das Stadtmuseum unterzubringen und einen Architektenwettbewerb auszuloben.

Offenheit und Aktivität statt bloßen Präsentierens

Den Zuschlag der Jury erhielt in der zweiten Runde einstimmig der Beitrag der Arbeitsgemeinschaft der Architekten Lederer Ragnarsdóttir Oei (LRO) und der Ausstellungsplaner jangled nerves. Während der Entwurf die Gremien des Gemeinderats passierte und ehe 2014 schließlich Baubeginn war, wurde das Haus fast eineinhalb Jahre lang als Ort für Kulturevents und täglichen Cafébetrieb zwischengenutzt. Dies war keineswegs nur als temporäre Bereicherung der Gastronomie- und Veranstaltungsszene gedacht, sondern sollte gezielt dazu beitragen, das Gebäude als offenes, kommunikatives Haus in den Köpfen der Menschen zu verankern. In die gleiche Richtung zielte das ebenfalls schon vorab aktive Stadtlabor, das seinen Platz nun im Gartengeschoss des Stadtmuseums finden wird. Zu dessen Aufgaben zählt es, Kindern und Jugendlichen grundlegende Aspekte von Architektur und Stadtplanung zu vermitteln.

Das Selbstverständnis des Stadtmuseums, nicht nur Artefakte zu konservieren und zu archivieren, sondern ein lebendiger Ort der Begegnung zu sein, verlangt nach einem Gebäude, das sich in besonderer Weise offen und durch­lässig zeigt. Da Veränderungen an der denkmalgeschützten Fassade nicht ­zulässig waren, kam zur Umsetzung dieser Idee nur der Innenraum infrage. Weil die vorgefundenen Räume hierfür zu hermetisch und daher ungeeignet waren, entschlossen sich die Planer, das Wilhelmspalais abermals vollständig zu entkernen und den Bestand durch einen selbsttragenden Stahlbetonbau zu ersetzen.

Wie schon die Stadtbücherei verfügt auch das Stadtmuseum über zwei Eingänge, durch die die Besucher ins erdgeschossige Foyer gelangen:­ ­einen Haupteingang mit Kutschenauffahrt von der Stadtseite und einen Eingang von der rückwärtigen Gartenseite. Letzterer führt von der erhöht liegenden Urbanstraße über eine bereits von Tiedje geschaffene, nun aber erneuerte Brücke ins Haus. Das Gebäudeinnere nimmt direkt Bezug auf das ursprüng­liche klassizistische Raumgefüge Saluccis. Zum einen durch die zwei an ähnlicher Stelle symmetrisch im vorderen Gebäudeteil gesetzten offenen Treppenräume, die eine von Einbauten freie Sichtachse zwischen Garten- und Stadtseite und dadurch eine enge visuelle Verknüpfung zur Stadt entstehen lassen, zum anderen durch das sich in jedem Geschoss wiederholende Motiv eines von tragenden Stützen gerahmten Bereichs in Gebäudemitte – eine Reverenz an die einstige Säulenhalle, die aber nur bedingt funktioniert, weil es keinen durchgängigen Luftraum gibt.

Neue Holzschatulle in klassizistischer Gebäudehülle

Das EG wirkt deshalb so erstaunlich großzügig, weil die beiden Haupt- und die beiden gartenseitigen Fluchttreppenräume derart geschickt angeordnet sind, dass ebenso offene wie klar definierte Bereiche entstehen: Empfangsbereich, Café, Museumsshop sowie zwei zur Planie orientierte Säle für Vorträge bzw. Diskussionen. Hinzu kommt, dass sich Garderoben, Schließfächer und Toiletten in einem darüber liegenden, niedrigen Zwischengeschoss befinden. Das zum Foyer im Bereich der »Säulenhalle« offene Zwischengeschoss, aber auch die großen Raumhöhen der oberen Ausstellungsgeschosse, erforderten aufgrund der aufeinander abzustimmenden Geschossdecken und Fassadenöffnungen minimierte Deckenaufbauten. Aus diesem Grund liegen – hier wie auch in den OGs – sämtliche haustechnischen Anlagen, Leitungen und Geräte nicht in abgehängten Decken, sondern im Zwischenraum von Neubau und alten Außenwänden. Die dadurch sehr tiefen Laibungen wirken dank der von innen kaum sichtbaren Fensterrahmen wie Vitrinen, die eine jeweils andere Ansicht der Stadt zeigen.

Alle vertikalen Oberflächen im Haus sind einheitlich mit einer hellen, präzise bündig eingepassten Birkenholzbekleidung versehen. Die Architekten sprechen in diesem Zusammenhang bildhaft von einer Schatulle, die das Innere einer »leeren Schachtel« auskleidet. EG und Zwischengeschoss bilden zusammen einen Bereich, den das Museum als »erweitertes Wohnzimmer der Stadt« betrachtet und der für abendliche Veranstaltungen genutzt oder auch vermietet werden kann.

Ausstellungsgestaltung noch geheim

Im 1. OG befindet sich der Dauerausstellungsbereich, der sich auf 900 m² »Stuttgarter Stadtgeschichte(n)« des 18. - 20. Jahrhunderts widmet – für die weiter zurückreichende Geschichte ist heute wie auch in Zukunft das Museum im Alten Schloss zuständig. Wie die Ausstellungsgestaltung im Detail aussieht und welche Objekte, Dokumente, Fotos und Filme hier genau präsentiert werden, will das Stadtmuseum heute, ein halbes Jahr vor Eröffnung, ­leider nicht veröffentlicht sehen. Fest steht allerdings, dass die Exponate aufgrund des Außenwandaufbaus, in dem auch die Lüftung untergebracht ist, nicht an den Wänden hängen, sondern frei im Raum stehen werden.

Im Gang zwischen den Haupttreppenräumen und dem großen Balkon am Haupteingang sollte ursprünglich das Café untergebracht werden, was ihm zweifellos eine einzigartige Präsenz zur Planie und Kunstmeile beschert hätte. Diese Idee blieb letztlich unrealisiert, v.a., weil die Lage im Foyer einige Vorteile bietet: Dort ist mehr Platz für Gäste und Küche, und auch der Veranstaltungs- und Ausstellungsbetrieb lässt sich so klarer trennen.

Außerdem erlaubt diese Lösung einen von Cafébesuchern unbeeinträchtigten Rundgang durch die Dauerausstellung. Ein Überbleibsel dieser erst spät im Realisierungs­prozess gefallenen Entscheidung sind die in die Fensternischen zum Balkon eingelassenen Sitzbänke.

Eine Außenbewirtung wird es statt auf dem Balkon nun auf der breiten Brücke am rückwärtigen Eingang geben. Von hier aus gelangen Besucher dann auch zu Veranstaltungen im neu gestalteten Garten – vor allem die Fläche ­unter der Brücke soll dem Stadtlabor als geschützter Freibereich für Aktivi­täten dienen. Eine mit Pflastersteinen befestigte Fläche ermöglicht dank ­vorgerichteter Anschlüsse auch hier die Bewirtung von Gästen.

Der Sonderausstellungsbereich im 2.OG beschränkt sich auf den gartensei­tigen Gebäudeteil und ist räumlich ebenso wie das EG stark geprägt vom ­Motiv der Säulenhalle. In diesem Fall wird der Raum innerhalb des Säulenkarrees von neun runden Oberlichtern bestimmt, die sich zur Steuerung der Tageslichtmenge von jeweils zwei halbkreisförmigen Klappflügeln schritt­weise schließen lassen. Bei geschlossenen Klapp­flügeln und zugleich ­geschlossenen, bündig in die Laibung integrierten Holz-Klappläden lässt sich der Raum bei Bedarf auch weitgehend ohne Tageslicht bespielen. Der Blick zur Planie bleibt in diesem Geschoss leider nur den Mitarbeitern des Stadtmuseums vorbehalten, deren Büros sich hier befinden.

Stadtreparatur in kleinen Schritten

Anders als die Stadtbücherei dürfte das Stadtmuseum als dezidiert mit der Öffentlichkeit interagierende Einrichtung nicht zuletzt wegen seinem einladend offenen Raumgefüge zum vollwertigen Baustein der Kulturmeile werden. Und mit dem bisher unerfüllten Wunsch der Architekten nach einer bis zur ­Konrad-Adenauer-Straße reichenden, flachen Sitztreppe, dürfte es auch ­gelingen, ein Stück Stadtraum zurückzuerobern. Wie gut es tut, wenn sich ­Gebäude der Verkehrsschneise zuwenden anstatt sich abzuschotten, zeigt auch der Entwurf einer solchen Treppe beim Erweiterungsbau der Landesbibliothek, den LRO ebenfalls gerade realisieren. Bleibt nur noch abzuwarten, wann und wie es gelingt, das Straßenmonster selbst zu bändigen. Ein neuer städtebaulicher Wettbewerb soll bald weitere Ideen liefern.

db, Mo., 2017.10.02



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01. September 2017Roland Pawlitschko
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Eins mit Ort und Menschen

Die rund 1 000 Einwohner zählende Gemeinde Krumbach liegt 15 km östlich von Bregenz im Bregenzerwald und hat mit Arnold Hirschbühl einen Bürgermeister,...

Die rund 1 000 Einwohner zählende Gemeinde Krumbach liegt 15 km östlich von Bregenz im Bregenzerwald und hat mit Arnold Hirschbühl einen Bürgermeister,...

Die rund 1 000 Einwohner zählende Gemeinde Krumbach liegt 15 km östlich von Bregenz im Bregenzerwald und hat mit Arnold Hirschbühl einen Bürgermeister, der seit gut 20 Jahren aktiv daran arbeitet, jener Abwanderung junger Menschen entgegenzuwirken, die vielen Dörfern die Existenzgrundlage entzieht. So entstanden rund um die Kirche z. B. ein neues Dorfhaus mit Nahversorgern, Café und Bank (1999), die Modernisierung des Gemeindehauses (2002) und ein neues Pfarrhaus mit Bibliothek und Mehrzwecksaal (2013) – allesamt nach Plänen des Architekten Hermann Kaufmann, letzteres in einer Arbeitsgemeinschaft mit Bernardo Bader und Bechter Zaffignani Architekten. Diese und noch einige andere Projekte treten dabei nicht als isolierte Einzelprojekte auf, sondern bilden ein bemerkenswertes architektonisches und funktionales Ensemble, das auf einer umfassenden, von Bernardo Bader, Rene Bechter und Hermann Kaufmann durchgeführten Ortskernstudie basiert.

Große Aufmerksamkeit erhielt Krumbach auch durch das Bus:Stop-Projekt, bei dem im Jahr 2014 sieben internationale Architekten – darunter Sou Fujimoto, Ensamble Studio und der Pritzker-Preisträger Wang Shu – jeweils ein Bushaltestellen-Häuschen planten. Das wirklich Besondere dabei sind keineswegs die ausgefallenen Bauwerke selbst, sondern vielmehr der Rahmen, in dem sie realisiert wurden. Weil es zur Umsetzung der vom Verein »Kultur Krumbach« an die Gemeinde herangetragenen Idee der Zusammenarbeit mit namhaften Architekten nur so viel Geld gab wie für die ohnehin nötigen ­Standard-Häuschen, erhielten die Architekten kein Honorar, sondern je eine Woche Urlaub in der Gegend. Darüber hinaus wurden die Projekte ehren­amtlich betreut und von regionalen Architekten und lokalen Handwerkern z. T. aus gespendetem Material gebaut.

Gemeinschaftswerk

Diese Vorgeschichte ist wichtig, um das Projekt der Lourdes-Kapelle Salgenreute besser einordnen zu können. Denn ursprünglich errichtet wurde sie nicht etwa von der Gemeinde oder der Kirche, sondern auf Eigeninitiative ­einer ortsansässigen Familie. Sie hatte um 1880 auf einem Nagelfluh-Berg­rücken eine Holzkapelle gebaut, die von Einwohnern der umliegenden Ortsteile Zwing, Au und Salgenreute genutzt wurde: zur stillen Einkehr, für Maiandachten und Marienfeste, als Wetterglocke und um insbesondere im Winter nicht mehr zur einige Kilometer entfernten Dorfkirche gehen zu müssen. Nachdem die nicht denkmalgeschützte Kapelle im Lauf der Zeit marode geworden war, entschieden sich die Bewohner 2014 für einen Abriss und Ersatzneubau – ohne zu diesem Zeitpunkt genau zu überblicken, was im Folgenden zu tun war. Um in Krumbach an einem solchen Punkt weiterzukommen, ­bedurfte es freilich keiner öffentlichen Bekanntmachung. Nicht zuletzt, weil die Dorfgemeinschaft dank der vorherigen Projekte gut funktionierte, fanden sich schnell kompetente Helfer. Einer von ihnen war Bernardo Bader, der hier nicht nur aufgewachsen ist, sondern auch lebt. Dass er das Projekt gern in Form einer unentgeltlichen Projektplanung und -koordination unterstützen würde, war ihm sofort klar.

Nach gemeinsamen Exkursionen zu vergleich­baren Projekten und zahlreichen, quasi öffentlichen Besprechungen im Gasthaus Löwen, begann Bader mit der Arbeit – einen Vertrag, eine konkrete Beschreibung der Bauaufgabe oder ein definiertes Budget erhielt er bis zum Schluss nicht. Die einzigen Entwurfsvorgaben betrafen den Standort: die ­Kapelle sollte, wie zuvor, über 24 Sitzplätze verfügen, sie musste aufgrund der exponierten Lage auf dem Bergrücken sowohl gleich breit und in etwa gleich lang als auch möglichst nicht höher als der Vorgängerbau sein. Die daraufhin präsentierten Modellstudien fanden rasch breite Zustimmung und zeigten im Prinzip das heutige Projekt: ein monolithisch wirkendes Gebäude mit steilem Dach und vollflächiger, von einer Tropfkante in Traufhöhe gegliederten Holzschindelbekleidung.

Ortsverbundenheit

Von einer schmalen Straße führt kein richtiger Weg, sondern ein breiter, mit dichtem Gras bewachsener Trampelpfad aus verdichtetem Kies in weitem Schwung zur Kapelle hin. Eine solche Lösung war einerseits nötig, weil die Kapelle nur über eine private Wiese erreichbar ist, deren Bewirtschaftung nicht durch asphaltierte Flächen, Bordsteine o. ä. beeinträchtigt werden ­durfte. Andererseits zeugt dieser Fußweg auch von der sensiblen Einbettung der Kapelle in die örtlichen Gegebenheiten: sie wird in mehrfachem Wortsinn nicht auf einen Sockel gehoben, sondern ist selbstverständlicher Teil ihres landschaftlichen und sozialen Umfelds.

Ein niedriger, offener Vorraum mit einer festlichen Tür aus gehämmerten Messingstreifen empfängt die Besucher und bremst ihren Bewegungsfluss sanft ab – über dem Vorraum befindet sich, in einem geschlossenen Hohlraum, die Glocke. Sollte die Tür für Menschen, die hier innehalten möchten, je verschlossen sein, erlauben zwei große, seit­liche Fest­verglasungen zumindest den Blick ins schlichte Innere der Kapelle.

Der dem äußeren Gebäudevolumen entsprechende Innenraum ist zweigeteilt. Im vorderen Bereich mit den Tannenholz-Bänken bestehen die unmittelbar in die geneigten Dachflächen übergehenden Wände und die zwölf grazilen Spanten – ebenso wie der Boden – aus unbehandelter Tanne. Anders als diese auf traditionelle bäuerliche Stuben bezugnehmende Materialität erscheint die dreiecksförmige, um eine Stufe erhöhte Apsis als eine Art Schmuckkästchen in weiß getünchter Tannenholztäfelung. Der Raum wirkt sehr natürlich, was nicht nur an seinen Holzoberflächen, sondern v. a. auch an seiner archaischen Form liegt. So verengt sich die Apsis trichterförmig nach Osten hin bis zu ­einer mittig angeordneten, rahmenlos verglasten Öffnung, die den Blick auf eine nahe Baumgruppe, sowie auf die Felder, Wälder und Wiesen des Bregenzerwalds freigibt. Die stille Symmetrie des Raums wird von der asymmetrischen Platzierung des Altarblocks, der Kerzenständer und der aus der alten Kapelle stammenden Marienfigur – deren blaue Schärpe den einzigen Farbakzent im Innenraum bildet – überlagert: Im Raum ergibt sich eine unaufgeregte Spannung, die der durchweg feinsinnig ­detaillierten Komposition mit denkbar wenigen Mitteln ein hohes Maß sakraler Würde verleiht. Über einem Betonsockel, bekleidet mit Bregenzerwälder Sandstein, ist die Kapelle konstruktiv als Holz-Faltwerk aus 6 cm dicken Fichten-Kreuzlagenholzplatten (mit innerer Tannenholz-Deckschicht) konzipiert, das durch die polygonale Dachform ausgesteift wird. Die Spanten minimieren hierbei lediglich die Durchbiegung der Massivholzwände. Eine offene Fuge zwischen Sockel und Holzaufbau ermöglicht eine natürliche Luftzirkulation sowohl im unbeheizten Innenraum als auch im Bereich der gesamten Holzkonstruktion und verhindert so in der kalten Jahreszeit die Kondensatbildung.

Handeln statt reden

Der Bau der Kapelle erfolgte v. a. mithilfe von Geld- und Materialspenden ­sowie durch verbilligt bzw. kostenlos erbrachte Arbeitsleistungen. Sowohl der Abbruch der alten Kapelle als auch der Neubau erfolgten weitgehend in ­Eigenregie, wobei sich Menschen aus Krumbach, aber auch aus umliegenden Gemeinden, entsprechend ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten einbrachten: Schreiner, Metallbauer, Holzschindelhersteller, aber auch die Restauratorin der Marienfigur sowie eine Bank, die ein zinsloses Darlehen ermöglichte.

Durch das von Anfang an zelebrierte Miteinander entwickelte sich die Kapelle zu einer identitätsstiftenden öffentlichen Angelegenheit. Und so war es geradezu selbstverständlich, dort bereits während der Bauphase gemeinschaftsfördernde Veranstaltungen durchzuführen.

Insgesamt betrugen die Baukosten für die Kapelle knapp 100.000 Euro, von denen lediglich ein Fünftel von der Gemeinde beigesteuert wurde. Ein kleiner Teil der heute noch offenen Rechnungen wird durch den Erlös aus dem Verkauf eines von Bernardo Bader herausgegebenen, ebenso informativen wie ­ästhetischen Buchs (sowohl im Gemeindeamt als auch in der Kapelle erhältlich) beglichen. In der Kapelle ist hierfür ein kleiner Opferstock aufgestellt und die Chancen stehen gut, dass auch der Restbetrag in nicht allzu ferner Zukunft abbezahlt sein wird.

Was die Kapelle Salgenreute neben ihrer archaischen Ausstrahlung so faszinierend macht, ist ihre raumgewordene Haltung, die für etwas steht, was ­heute mehr denn je wünschenswert ist: das vertrauensvolle gemeinsame ­Handeln anstelle des ebenso end- wie ergebnislosen Redens.

db, Fr., 2017.09.01



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01. März 2017Roland Pawlitschko
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Die Kultur des zweiten Blicks

Ideale Voraussetzungen: Die jungen Bauherren verfügten über ein brachliegendes Grundstück, hatten klare Wohnvorstellungen, wenig Zeitdruck und waren offen für Neues. Im engen Austausch mit dem nach einjähriger Eigenrecherche ausgewählten Büro Eberle Architekten entstand ein Wohnhaus, das sich – nicht nur wegen seines weißen Kammputzes – auf eine angenehm bescheidene und bodenständige Art experimentierfreudig zeigt.

Ideale Voraussetzungen: Die jungen Bauherren verfügten über ein brachliegendes Grundstück, hatten klare Wohnvorstellungen, wenig Zeitdruck und waren offen für Neues. Im engen Austausch mit dem nach einjähriger Eigenrecherche ausgewählten Büro Eberle Architekten entstand ein Wohnhaus, das sich – nicht nur wegen seines weißen Kammputzes – auf eine angenehm bescheidene und bodenständige Art experimentierfreudig zeigt.

Als weißer, dreigeschossiger Würfel mit knapp 9 m Kantenlänge steht das letzten Sommer bezogene Wohnhaus inmitten eines suburbanen Umfelds aus drögen, zweigeschossigen Ein- und Mehrfamilienhäusern mit Satteldach. Dank des maßstäblichen Bauvolumens und der Lochfassade erscheint es zwar als selbstverständlicher Baustein im Ortsgefüge, wegen seiner Gebäudeform und der Lage an einer Straßenkreuzung erhält es aber zugleich wesentlich mehr Aufmerksamkeit als seine Nachbarn. Unterstrichen wird der besondere Charakter des Hauses auch durch die in zwei quadratischen Formaten unregelmäßig gesetzten Fenster, insbesondere aber durch die Kammputz-Fassade. Die erst beim Näherkommen allmählich erkennbare vertikale Rillenstruktur ist eine Reminiszenz an diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitete Form des Putzauftrags. Sie zeugt aber auch von einem Entwurf, der an vielen Stellen im und am Gebäude auf subtile Weise eine Kultur des zweiten Blicks pflegt.

Die Grundrissorganisation des Gebäudes ist leicht erklärt: Im EG befinden sich neben der Gästetoilette und einer Speisekammer eine offene Küche und ein Wohnzimmer. Das 1. OG bietet Platz für die beiden Kinder- und ein Fernsehzimmer, während das 2. OG mit Schlafzimmer, kleiner Bibliothek und Arbeitsplatz eher den Eltern vorbehalten bleibt. Abgesehen von dieser Verteilung der Räume auf drei Ebenen hatten die Bauherren kaum etwas vorab festgelegt, als sie auf Architektensuche gingen. Den dadurch entstandenen Freiraum nutzten Architekten und Bauherren, um sich während der Planungsphase immer wieder gegenseitig den Ball zuzuspielen. So entstand etwa aus der Idee eines »richtigen« Kellers, der sich gut zum Einlagern von Kartoffeln eignen sollte, der Vorschlag der Architekten, die Kellertreppe nicht im Haus, sondern in der direkt östlich anschließenden Garage zu platzieren. Die enge Verknüpfung von Keller und Garage ist in vielerlei Hinsicht sinnvoll: beide sind unbeheizt und ungedämmt und dienen als untergeordnete Nebenräume – der Keller mehr noch als die Garage, die den leidenschaftlichen Radfahrern auch als Werkstatt dient. Hinzu kommt, dass der im EG freigewordene Raum unter der Treppe zur wertvollen Abstellfläche wurde und außerdem die Möglichkeit für eine dem Wohnzimmer zugeordnete Wandsitznische eröffnete.

Massgefertigte handwerkliche Lösungen

Ebenso klar, sinnlich und zurückhaltend wie die Einrichtung der Familie ist auch der von den Architekten gesteckte gestalterische Rahmen: Aluminiumfenster, die durch rahmenlose Fensterflügel in der Außenansicht extrem schlank wirken, raumhohe Türen mit zweigeteilten Stahlzargen, die die Decken ungehindert von einem in den nächsten Raum übergehen lassen, sowie bündig in den Deckenputz eingelassene Vorhangschienen und Einbauleuchten. Letztere sind von den Architekten eigens entwickelt und so eingebaut, dass neben einer extrem schmalen Fuge zum Putz lediglich das weiße Abdeckglas des Leuchtmittels zu sehen ist – Abdeckringe, Rahmen und Ähnliches sucht man vergeblich, sodass die Leuchten eigentlich nur dann in Erscheinung treten, wenn sie eingeschaltet sind.

Von der Freude am handwerklich präzisen Denken und Machen zeugen auch die vor Ort mit Bretterschalung gegossenen Sichtbetontreppen, die im wohltuenden Kontrast zu den ansonsten vorherrschenden weißen, glatten Oberflächen stehen. Mit all ihren Lunkern, Verfärbungen und Holzmaserungen erscheint vor diesem Hintergrund v. a. die Faltwerk-Treppe ins 2. OG als minimalistisches Kunstwerk. Einen ähnlichen Eindruck hinterlassen die äußeren Betonfertigteil-Fensterbänke. Damit diese außenwandbündig ohne Tropfkanten an der Putzfassade anschließen können, verfügen sie über ein Innengefälle und einen mittigen Abfluss, durch den das Regenwasser in einen Entwässerungsspeier gelangt – Wasserschlieren in der Fassade werden auf diese Weise dauerhaft erfolgreich vermieden.

Experiment Kammputz

Handwerklich besonders anspruchsvoll und aufwendig war bei diesem Projekt sicherlich der an den Außenfassaden realisierte Kammputz. Ins Spiel gebracht wurde diese Lösung von den Bauherren, die sich eine schlichte, zeitlos elegante Fassade wünschten. Während die meisten historischen Vorbilder horizontale Kamm-Strukturen aufweisen, kamen bei diesem Wohnhaus vertikale Rillen zur Ausführung – insbesondere um den turmartigen Charakter des Gebäudes zu unterstreichen und um eventuelle Probleme mit stehendem Wasser ausschließen zu können.

Da diese Technik in den letzten Jahrzehnten etwas in Vergessenheit geraten ist, gestaltete sich das Verputzen als herausforderndes Experiment für alle Beteiligten. Das monolithische Ziegelmauerwerk von 42,5 cm Dicke versah die ausführende Firma zunächst mit einem Grundputz und einer vollflächigen Gewebespachtelung. Nach Fertigstellung und Austrocknung dieser Schicht wurde abschnittsweise ein faserarmierter Kalkzementputz aufgespritzt und mit einer eigens hergestellten, ca. 1 m breiten Metallschiene von unten nach oben mehrmals »durchkämmt«, bis die 1 x 1 cm breiten Rillen deutlich zu sehen waren. Zur Beseitigung von Unregelmäßigkeiten wurde der noch nasse Putz schließlich mit einem nassen Schwamm geglättet. Die Größe der Bearbeitungsfelder ergab sich aus der maximalen, gerade noch mit zwei Händen bedienbaren Breite des Kamms und der Lage der Gerüstebenen. Das Verputzen erfolgte bahnenweise von der Attika zum Boden und von der Mitte des Hauses hin zu den Ecken, und erst nachdem eine gesamte Bahn getrocknet war, kamen die benachbarten Bahnen an die Reihe. Fertiggestellte Rillen dienten dabei ebenso zur gleichmäßigen Führung des Kamms wie temporär im Mauerwerk befestigte Metallschienen. Besondere Sorgfalt war insbesondere an den Bereichen rund um die Fenster nötig, deren unregelmäßige Abstände mitunter den Einsatz schmalerer Schienen erforderten. Nach Ende der Putzarbeiten erhielt die Fassade einen wasserabweisenden, gebrochen weißen Anstrich aus Silikonharzfarbe.

Wenn heute sowohl die Arbeitsfelder- und -bahnen als auch unregelmäßige und gebrochene Putzrillen zu erkennen sind, so tut dies der eindrucksvollen Wirkung des Kammputzes keinen Abbruch. Im Gegenteil: beide zeugen von einem gesunden Verhältnis zwischen architektonischem Gestaltungswillen, verfügbarem Budget und handwerklich Möglichem. Insofern, und weil die Familie nun in einem Haus wohnt, das sie nach eigenen Angaben rundum glücklich macht, ist dieses Gebäude in jeder Hinsicht beispielhaft und gelungen.

db, Mi., 2017.03.01



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10. Januar 2017Roland Pawlitschko
db

Elegant eingekleidet

Die neue Gebäudehülle des Münchner Büro- und Wohngebäudes der 70er Jahre zeigt beispielhaft, wie sehr ein Haus sich selbst, aber auch sein Umfeld mit einer neuen Fassade verändern kann. Dünne Glasfaserbeton-Fertigteile spielen dabei die entscheidende Rolle. Von der umfassenden Neugestaltung haben auch die neu strukturierten Bürogeschosse profitiert.

Die neue Gebäudehülle des Münchner Büro- und Wohngebäudes der 70er Jahre zeigt beispielhaft, wie sehr ein Haus sich selbst, aber auch sein Umfeld mit einer neuen Fassade verändern kann. Dünne Glasfaserbeton-Fertigteile spielen dabei die entscheidende Rolle. Von der umfassenden Neugestaltung haben auch die neu strukturierten Bürogeschosse profitiert.

Wer sich vom erhabenen Hügel der Bavaria-Statue quer über die Theresienwiese auf den Weg nach Osten macht, gelangt in ein gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandenes Stadtviertel mit repräsentativen, meist frei stehenden Villen. Direkt am gegenüberliegenden Rand der »Wiesn«, am Esperantoplatz, entstand 1976 ein Büro- und Wohngebäude für den Verband baugewerb­licher Unternehmer Bayerns nach den Plänen Kurt Ackermanns. Die eigenwillige Gebäudeform resultiert aus dem Grundstückszuschnitt, der durch zwei spitzwinklig auf den Platz zulaufende Straßen entsteht. Als kompakter Baukörper mit Zeltdach korrespondierte das Haus gut mit seiner Umgebung, während es architektonisch immer ein Fremdkörper blieb. Ursache hierfür war insbesondere eine vorgehängte Fassade, die sich aus kleinteilig gerasterten, teils transparenten, teils opaken Glasfeldern zusammensetzte. Diese ­Fassade war fast 40 Jahre später sanierungsbedürftig geworden, und weil sich der Bauherr ohnehin ein neues Innenraumkonzept für die unteren drei Büroetagen wünschte, initiierte er im Jahr 2012 einen geladenen Architektenwettbewerb zur umfassenden Neugestaltung des Gebäudes.

Aus diesem Verfahren ging der Architekt Andreas Ferstl, damals verantwortlicher Partner im Büro Muck Petzet und Partner Architekten, siegreich hervor. Sein Entwurfskonzept sah neben der neuen Gebäudehülle aus vorgefertigten Betonelementen im Wesentlichen eine Kernsanierung und Neustrukturierung der unteren drei Büroebenen vor. Das vormals weitgehend von Lager- und Archivräumen geprägte, halb im Boden liegende EG dient nun als offene Konferenzebene, die sich mithilfe akustisch wirksamer Vorhänge in unterschiedlich große, auch für externe Veranstaltungen genutzte Raumeinheiten aufteilen lässt. Völlig neu präsentieren sich auch die beiden darüber liegenden Bürogeschosse: An die Stelle dunkler, um den Erschließungs- und Sanitärkern herumgeführter Flure und aneinandergereihter ­Zellenbüros rückte eine Raumstruktur mit abwechselnd offenen und geschlossenen Bereichen. Die so neu entstandene Offenheit erlaubt nicht nur vielfältige Blickbezüge in die Umgebung, sondern auch ein kommunikatives Miteinander. Der Grundriss der vierten Ebene mit insgesamt vier Wohnungen blieb ebenso unangetastet wie die beiden Wohngeschosse unter dem erst im Jahr 2004 erneuerten Blechdach. Als bewusste Reminiszenz an die Entstehungszeit des Gebäudes, verfügt das unveränderte Treppenhaus noch heute über einen Bodenbelag aus röt­lichen Klinkern, schwarze Handläufe und Glas-Brüstungselemente.

Vielfältig ambivalent

Egal von welcher Seite man sich heute nähert – das Gebäude reiht sich maßstäblich in die ensemblegeschützte Villenstruktur ein, obwohl es sich zugleich deutlich davon abhebt. Einerseits ist das Grau des Sichtbetons ebenso unfarbig wie die meisten Putzfassaden des Viertels, andererseits gibt es weit und breit keine weiteren Sichtbetonflächen. Einerseits erscheint die Gebäudehülle wie bei den Nachbargebäuden als massive Lochfassade, andererseits ist deren Glasanteil aber mehr als doppelt so hoch. Einerseits wirkt die Fassade so geordnet und ruhig wie bei all den eklektizistischen Villen nebenan, andererseits zeigt sich auf den zweiten Blick, dass die unterschiedlich breiten, bodentiefen Fenster innerhalb der passepartoutartigen Betonrahmen hin und her springen. Dank dieser subtilen Ambivalenz lässt das Gebäude arglose Passanten unbehelligt passieren – sie nehmen nur den selbstverständlich wirken wollenden Stadtbaustein wahr.

Architekturinteressierte hingegen werden neugierig – v. a. jene, die den Bau noch vor der Neugestaltung in Erinnerung haben – und beginnen unwillkürlich, sich über die Fassadenkonstruktion Gedanken zu machen. Ihre Blicke bleiben beispielsweise an den Gehrungsfugen der Betonrahmen hängen, die sofort zu erkennen geben, dass die vermeintliche Massivität ein mit vorgefertigten Elementen realisiertes, gestalterisches Mittel ist.

Material der Wahl

Dass die Fassade aus Beton bestehen würde, stand für Andreas Ferstl schon früh in der Wettbewerbsphase fest – nicht zuletzt weil der Bauherr als Lobbyist für das Baugewerbe eine besondere Affinität zu diesem Material hat. Im Zuge der Entwurfsplanung stellte sich heraus, dass die Verwendung gewöhnlicher Betonfertigteile nicht infrage kam. Wegen der nötigen Betonüber­deckung der Stahlbewehrung wären sie für das skelettartige Tragwerk, aus Deckenplatten, mittigen Rundstützen, breiten Rand­pfeilern und einem aussteifenden Kern, zu schwer gewesen. Ausgeschlossen war aber auch eine auf eigenem Fundament vor das Gebäude gestellte Fassadenkonstruktion – diese hätte zusätzliche Unterzüge in der bis unter die Grün­flächen reichenden Tiefgarage erfordert, die sowohl zu kostspielig als auch räumlich einschränkend gewesen wären. Da eine Lösung mit nur 13 mm Materialdicke der dreidimensional geformten Faserbetonelemente nicht zum gewünschten Eindruck von Massivität geführt hatte, entschieden sich Bauherr und Architekt am Ende für die Ausführung der Elemente mit einer Dicke von rund 30 mm.

Elf Varianten

Da die Herstellung der Schalungen zu den wesentlichen Kostenfaktoren bei der Produktion von Betonfertigteilen zählt, entwickelte der Architekt eine Art Baukastensystem aus lediglich elf unterschiedlichen Elementen, mit denen sich – einschließlich gedrehter und gespiegelter Varianten – letztlich die ­gesamte hinterlüftete Fassade bespielen ließ. Während die Fertigteile entlang der Deckenstirnseiten durchgängig die gleiche Form haben (eine Ausnahme bilden lediglich die halbierten Elemente am Dachrand), gibt es bei den vertikalen Teilen eine größere Variationsbreite. Grundlage für die Einteilung der einzelnen »Rahmenfelder« ist sowohl die Lage der bestehenden Randpfeiler als auch der gleichmäßige Abstand der Bürotrennwände im Innern. Die unterschiedlichen Größen der Öffnungen hängen zudem noch von der jeweils dahinterliegenden Raumnutzung ab: Offene Bürobereiche verfügen bei gleichem Achsabstand über breitere Fensterflächen, d. h. die Betonelemente sind vergleichsweise schmal. Bei Einzelbüros hingegen ist der Fensteranteil etwas geringer, sodass am Ende ein lockerer Wechsel aus Winkeln, Flächen und Kanten entsteht, der dem Gebäude – trotz aller »Massivität« – eine elegante Leichtigkeit verleiht.

Fassade auf Probe

Die Fassade lebt jedoch nicht nur von der Plastizität der Betonteile, sondern auch von einer hohen Ausführungsqualität. Besonders auffällig sind beispielsweise die dank einer fein justierbaren Stahl-Unterkonstruktion sehr präzise aufeinander zulaufenden Betonkanten. Bei der Beschaffenheit der Fertigteile ist es ausnahmsweise sogar wirklich legitim, von einer samtigen Betonober­fläche zu sprechen, sind bei genauem Hinsehen doch tatsächlich feine Härchen der Glasfaserbeimischung zu erkennen. Perfekt im Sinne eines absoluten Gleich- und Ebenmaßes ist der im Werk gesäuerte und vor Ort hydrophobierend beschichtete Beton nicht. Wie so oft sind auch hier durch fehlerhafte Zwischenlagerungen oder Witterungseinflüsse entstandene Verfärbungen zu sehen. Dass keine Tropfkantendetails ausgebildet wurden, lässt sich anhand stellenweise sichtbarer Schlieren ebenfalls erkennen. Doch genau das macht den mit einem hellen, feinkörnigen Zuschlagstoff versehenen Beton auf eine sympathische Art authentisch. Diese Wirkung ist freilich kein Zufall, sondern das Ergebnis eines gut neunmonatigen Tests, den ein Mock-up vor Ort – gleichsam am Original-Schauplatz – durchlief. Als wei­tere, daraus hervorgehende Erkenntnis stellte sich heraus, dass sich die Betonoberflächen am besten mit einem Schwamm und nicht etwa mit Hochdruckreinigern säubern lassen.

Die sorgfältige Planung hat den Bewohnern des 3. OG nicht nur einen Fas­sadentausch in bewohntem Zustand innerhalb von nur wenigen Wochen ­beschert, v. a. hat sie dieses Gebäude zum neuen repräsentativen Aushängeschild für den Verband Baugewerblicher Unternehmer Bayern gemacht – an einem Standort, der während des Oktoberfests alljährlich von gut 6 Mio. Menschen besucht wird.

db, Di., 2017.01.10



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db 2017|01-02 Vorgefertigt

05. November 2016Roland Pawlitschko
db

Gestalt gewordenes Zusammengehörigkeitsgefühl

Mit Geduld und durch die Bündelung des politischen Willens geriet die Neugestaltung der dörflichen Ortsmitte zu einer architektonischen Erfolgsgeschichte. Sinnfällig zoniert und ebenso gefällig wie nutzbar möbliert hebt der Platz die örtlichen Besonder­heiten hervor und hat mit der frei auskragenden Stahlbetonkonstruktion des Schutzdachs nun ein weiteres staunenswertes Unikum zu bieten.

Mit Geduld und durch die Bündelung des politischen Willens geriet die Neugestaltung der dörflichen Ortsmitte zu einer architektonischen Erfolgsgeschichte. Sinnfällig zoniert und ebenso gefällig wie nutzbar möbliert hebt der Platz die örtlichen Besonder­heiten hervor und hat mit der frei auskragenden Stahlbetonkonstruktion des Schutzdachs nun ein weiteres staunenswertes Unikum zu bieten.

Viele Autofahrer, die den oberösterreichischen Ort Handenberg auf dem Weg von Salzburg nach Braunau am Inn durchqueren, nehmen die Qualitäten des neuen Dorfplatzes oberhalb der Landesstraße 156 vermutlich gar nicht wahr. Und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil der neue Platz zwischen Kirche und Gemeindeamt so gut gelungen ist.

Die 1453 geweihte Pfarrkirche St. Martin ist mit Abstand das dominanteste, höchste und vermutlich auch älteste Gebäude Handenbergs. Umgeben von ­einer ringförmigen Friedhofsmauer liegt sie am höchsten Punkt des Orts, unmittelbar neben einem Teich, auf dem sich, der Sage nach, einst eine Ente mit Hostie im Schnabel zeigte. Eine solche Ente ziert zwar das heutige Gemeindewappen, Historikern zufolge geht der Ortsname aber nicht aus »Antenberg« hervor, sondern ist auf einen Mönch namens Hanto zurückzuführen, der hier um 1100 das erste Gotteshaus errichten ließ. Geschichte und Geschichten spielen im gut 1 000 Einwohner zählenden Handenberg bis heute eine große Rolle, und so ist es umso erstaunlicher, dass es gerade hier zu einer Ortsplatzgestaltung kam, die sich als dezidiert zeitgenössisches, weit über den Ort ­hinaus wirkendes Statement lesen lässt.

In diesem Zusammenhang steht eine schnörkellose Sicht­betonkonstruktion im Mittelpunkt: Sie besteht aus einer 8,5 m langen, sich nach oben verjüngenden Wandscheibe, auf die eine 12 m frei auskragende, rund 80 m² große Dachfläche scheinbar nur aufgelegt ist. Für sich betrachtet sind diese Abmessungen so gewaltig, dass unwillkürlich Fragen zur Statik des Bauwerks aufkommen. Errichtet wurde es gänzlich ohne vorgespannte Bauteile, dafür aber mit einbetonierten I-Stahlträgern in nur einem Betonierabschnitt, wobei aufgrund der langen Anfahrtswege für die geforderte Betonqualität C40/50 B5 ­lediglich eine Einbauzeit von 60 Minuten zur Verfügung stand. Die Über­höhung der Auskragung betrug vor dem Betonieren 26 cm.

Flugdach als Vermittler

So herausfordernd die Konstruktion des Betondachs für den Statiker und das Bauunternehmen aber auch gewesen sein mag, so selbstverständlich steht es heute vor der Pfarrkirche St. Martin. Das liegt einerseits daran, dass es als ein auf das wirklich Nötigste reduziertes Bauwerk erscheint: vollkommen glatt und monolithisch, ohne jegliche Ornamentik und ohne sichtbare Details und aufgesetzte Bauteile wie z. B. Leuchten, Verblechungen oder Rinnen. Die Entwässerung erfolgt durch seitliche Betonaufkantungen und innenliegende Fallrohre, zur Beleuchtung wurden an den Stößen der Schaltafeln flächenbündige Leuchtkörper einbetoniert. Andererseits lässt sich das Flugdach aber auch keiner Bauwerkskategorie – wie z. B. Haus, Pavillon, Dach – zuordnen. Vielmehr ­erscheint es als künstlerische Freiform, der es gelingt, gestalterisch ­zwischen einer gotischen Kirche mit barock anmutendem Turm, schmuck­losen Wohngebäuden und einem in den 70er Jahren mit volkstümlichen Sgraffiti verzierten Gemeindeamt zu vermitteln.

Integration des städtebaulichen Kontexts

Wesentlich wichtiger noch als die Gestalt des Flugdachs ist seine konzeptionelle Einbindung in den städtebaulichen, aber auch politischen Gesamtkontext. Ausgangspunkt war ein von der Gemeinde Mitte 2014 ausgelobter geladener Architekturwettbewerb für eine Fläche, die erst durch den ein Jahr zuvor erfolgten Abbruch des nicht erhaltenswerten »Lamprechthauses« entstand – ein Altbau, der den westlichen Kirchenvorplatz zwischen Friedhofsmauer, Landesstraße und dem damals völlig überwucherten Teich besetzte. Die in der Auslobung formulierten Ziele, »die Nutzungsmöglichkeiten gemeinschaftlichen Lebens und Begegnens im öffentlichen Raum zu stärken« und einen neuen »Mittelpunkt des Dorfgeschehens« zu schaffen, erfüllte das siegreiche Projekt des Linzer Architekten Andreas Heidl am besten. Er sah ­eine einheitlich gepflasterte Platzfläche vor, die durch lang gestreckte Holz-Sitzbänke, den neu in Szene gesetzten Teich und das am ehemaligen Standort des Lamprechthauses platzierte Flugdach in drei Bereiche gegliedert wird.

Formelle und informelle Platzbereiche

Der östliche Bereich zwischen Kirche und Gemeindeamt dient v. a. als formeller Vorplatz für Kirche und Friedhof – sowohl für Beerdigungen als auch für Hochzeiten – sowie als Veranstaltungsfläche z. B. für Feuerwehr- und Musikfeste. Eher informell wirkt dagegen der westliche Teil der Platzfläche, der mit einem großflächigen Holzdeck mit Sitzstufen zum Teich orientiert ist. Hier treffen sich sonntägliche Kirchgänger, Hochzeitsgäste, aber auch Passanten oder die Kinder der unmittelbar benachbarten Volksschule für einen Moment der Ruhe. Das Flugdach grenzt diese beiden Platzflächen voneinander ab, ­ohne sie jedoch räumlich oder visuell zu trennen – aus der Fußgängerperspektive erscheint es ja lediglich als dünner horizontaler Beton­streifen. Trotzdem bietet es einen 80 m² großen, vor Witterung und gegenüber der Landesstraße geschützten »Raum«: für Standkonzerte der Kapelle Handenberg, für Bars und/oder Verpflegungsstationen bei Festen und für Jugendliche, die hier abends »chillen« wollen.

Integration des politischen Kontexts

Selbstverständlich bildet der Entwurf von Andreas Heidl den dreidimensionalen Rahmen für dieses Miteinander. Maßgeblich daran beteiligt ist aber auch die jahrelange Grundlagenarbeit des Bürgermeisters Gottfried Alois Neumaier, die bereits 2009 ihren Ausgang nahm als die Gemeinde das Grundstück des Lamprechthauses kaufte und zugleich die Ortsumgestaltung beschloss. Zu seinen wesentlichen Zielen zählte einerseits die Einbeziehung aller politischen Kräfte im Ort.

Aus diesem Grund stellte beim Architekturwettbewerb jede im Gemeinderat vertretene Partei ein Jurymitglied, andererseits wurde aber auch ein Dorf- und Stadtentwicklungsverein gegründet und an der Erstellung der Auslobungsunterlagen beteiligt. Beides diente dazu, die gesamte Bürgerschaft in die Planung einzubinden, damit am Ende möglichst wenig Konfliktpotenzial und kein bauliches Flickwerk entstehen. Der Wett­bewerb selbst war dabei als Instrument unverzichtbar. Er brachte den unverstellten, neutralen Blick eines auswärtigen Architekten ins Spiel, v. a. aber konnten nach der einstimmigen Juryentscheidung Ziele festgezurrt werden, die sich im Hin und Her des von persönlichen Interessen geprägten poli­tischen Tages­geschäfts nie hätten erreichen lassen. Hinzu kommt die aus den unterschied­lichen Regional-, Landes- und Bundesfördermitteln zusammengesetzte ­Finanzierung des am Ende mit 420 000 Euro (brutto) bezifferten ­Projekts, die sich durch dieses Verfahren wesentlich vereinfachte. All diese Aspekte zusammen haben dazu geführt, dass der Platz von den Handenbergern heute als ­Gestalt gewordenes Zusammengehörigkeitsgefühl wahrgenommen und genutzt wird. Als nächstes Projekt steht nun die Neugestaltung des Umfelds von Leichenhalle und Kindergarten an. Die Chancen stehen gut, dass auch diese Planungen die Dorfgemeinschaft weiter stärken werden.

db, Sa., 2016.11.05



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db 2016|11 Kleine Bauten

01. Mai 2016Roland Pawlitschko
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Große Geste am Meer

Mit diesem Gebäude ist dem Architekten Luís Pedro ­Silva zweifellos ein großer Wurf gelungen: ein ästhetischer Fels in der Brandung der Belanglosigkeit, aber auch ein eng mit seiner Umgebung vernetztes, funktionales Bauwerk, das sich mühelos gegenüber den »schwimmenden Hochhäusern« am Landungssteg behaupten kann.

Mit diesem Gebäude ist dem Architekten Luís Pedro ­Silva zweifellos ein großer Wurf gelungen: ein ästhetischer Fels in der Brandung der Belanglosigkeit, aber auch ein eng mit seiner Umgebung vernetztes, funktionales Bauwerk, das sich mühelos gegenüber den »schwimmenden Hochhäusern« am Landungssteg behaupten kann.

Gegründet vor gut zwei Jahrtausenden an einem Ort am Atlantik, der schon von Steinzeitmenschen und Kelten bewohnt war, zählt Porto zu den ältesten Städten Europas. Sie ist die namensgebende Stadt des Landes und des Portweins, ihre Altstadt gehört zum Weltkulturerbe, zugleich ist sie aber auch ein wissenschaftliches, kulturelles und industrielles Zentrum von internationalem Rang. Kein Wunder also, dass Porto längst auch ein wichtiges touristisches Ziel ist. Während der weitaus größte Teil der Touristen immer noch mit dem Flugzeug anreist, stieg in den letzten Jahren auch die Zahl derer, die die Stadt mit großen Kreuzfahrtschiffen ansteuern. Bis Mitte 2015 stand hierfür eine Anlegestelle im Industriehafen Porto de Leixões zur Verfügung. Die relativ schlechte Anbindung an die Innenstadt, die unattraktive Lage zwischen Frachtschiffen, Kränen und Containern, und nicht zuletzt fehlende Platz­reserven führten dazu, dass die Stadt und die Hafenverwaltung im Jahr 2004 erste städtebauliche Überlegungen für eine Neuordnung anstellten.

Empfang und Verbindung

Den kurz darauf ausgelobten Wettbewerb zur Ausarbeitung eines Strategieplans für das Hafengelände konnte der Architekt Luís Pedro Silva für sich entscheiden. Zu seinen Aufgaben zählte u. a., den neuen Standort für ein Kreuzfahrtschiffsterminal zu finden, das er schließlich an einem funktionslos gewordenen, geschwungenen Pier aus dem 19. Jahrhundert an der Hafeneinfahrt vorsah. Was zu dieser Zeit noch kaum mehr als ein schriftlicher Eintrag auf einem Plan war, entwickelte sich im Laufe von zehn Jahren zu jenem einzigartigen Gebäude, das heute von ca. 80 000 Kreuzfahrtreisenden jährlich frequentiert wird. Für die Architekten stand der Wunsch nach einem ebenso einprägsamen wie einladenden Gebäude im Mittelpunkt, das den Hafen nicht als hermetisch abgeschlossenes Areal begreift, sondern wie selbstverständlich in die Stadt integriert ist, indem es sich ihr gegenüber wörtlich und im übertragenen Sinn öffnet.

In einer ersten Realisierungsphase wurde der alte Pier seitlich um einen rund 340 m langen und 18 m breiten Landungssteg erweitert, der zugleich als An­legestelle für ein großes Kreuzfahrtschiff und als Umfassung eines neuen Yachthafens für bis zu 170 Boote dient. Der Bau der entsprechenden Anlege­stege sowie eines kleinen Gebäudes mit Café und Räumen des Hafenmeisters stehen noch aus. Unmittelbar dort, wo sich die Straße vom Festland in den ­alten Pier und den Landungssteg gabelt, befindet sich das neue Terminal. Ganz gleich, ob sich Besucher nun vom Schiff, vom Yachthafen oder vom Festland aus annähern, der erste Eindruck ist aus allen Richtungen fast der­selbe.

Das Gebäude erscheint zunächst nicht als »Haus« mit Wänden, Fenstern und Dach, sondern vielmehr als kunstvoll drapierte Struktur aus ineinander verschlungenen, weißen Bändern, zwischen denen horizontale Glasstreifen liegen. Um die Geometrie dieses eleganten Knäuels zu verstehen (tatsächlich handelt es sich um zwei lange »Schlaufen«, die sich von außen ins Gebäude hinein und wieder hinaus winden), bräuchte man ein Architekturmodell – oder einen Helikopterrundflug. In beiden Fällen würde man in dem opulent geschwungenen Körper unwillkürlich einen riesigen Oktopus erkennen, der drei seiner weichen Tentakeln von sich streckt. ­Bilder wie die des Tintenfischs spielten für Luís Pedro Silva überall im Gebäude eine wichtige Rolle – einfach nur Selbstzweck sind sie dennoch nirgendwo. Die Tentakeln beispielsweise bieten Fußwege ins Gebäudeinnere: von der Straße, vom alten Pier bzw. vom Landungssteg.

Glasierte Schuppen

Beim Näherkommen wird deutlich, dass die Oberflächen der weißen Bänder nicht aus einem Guss sind, sondern sich aus glänzend glasierten Keramikfliesen zusammensetzen, die die Form von flachen, oben schräg »abgeschnittenen« Sechsecksäulen haben. Natürlich erinnern sie sofort an Fischschuppen, aber auch an die in Porto an fast allen älteren Bauten vorzufindenden blau-weißen Azulejo. Nach vielen Voruntersuchungen und Diskussionen mit dem Bauherrn fiel die Wahl aber letztlich aus ganz praktischen Gründen auf die Fliesen – schlicht weil es der verantwortlichen Baufirma nicht gelang, die zuvor favorisierten Lösungen aus Sichtbeton oder weißem Glas fristgerecht zu kalkulieren. Die gegen Wind, Wetter und die aggressive Seeluft unempfindlichen Fliesen hatten den Vorteil, dass sich ihre Herstellung und das Verkleben mit Spezialkleber relativ einfach in Quadratmeterpreisen errechnen ließen. Dass dies dennoch eine besondere Herausforderung bedeutete, zeigt die Tatsache, dass auf einer Fläche von 16 000 m² (Innenräume und Fassade) insgesamt rund 900 000 Fliesen zu verlegen waren, ein Arbeiter pro Tag aber lediglich 5 m² Fläche bewältigte. Verlegepläne gab es nicht, wohl aber die Vorgabe, dass direkt nebeneinander liegende Fliesen mit ihrer schrägen Oberfläche nicht in dieselbe Richtung zeigen durften. Das Ergebnis zeigt sich als unregelmäßige, aber homogene Oberfläche, die durch die schillernden Lichtreflexionen von jedem Standpunkt aus anders anmutet.

Reisen und Forschen

Die fensterlosen Bänder lassen von außen kaum erkennen, wie üppig das Terminal eigentlich dimensioniert ist. Wer z. B. von dem teilweise unter der Tentakel zur Straße situierten Busparkplatz in die Empfangsebene im EG gelangt, steht in einem runden, überraschend großen und hohen Atrium. Von hier aus windet sich, verknüpft mit einem der weißen Bänder, eine Rampe nach oben – in Richtung eines flach geneigten Glasdachs. Im 1. OG befinden sich ins­besondere die Räumlichkeiten zur Abfertigung der ankommenden und abreisenden Kreuzfahrtschiffspassagiere (Zollkontrollen, Gepäckausgabe, Wartebereiche, Cafeteria etc.). Eine der Tentakeln bietet von hier als lang gestreckter Steg die witterungsgeschützte Verbindung zum Schiff. Im 2. OG waren ­ursprünglich Shopflächen vorgesehen, die im Planungsverlauf den Labor- und Büroflächen des »Interdisciplinary Centre of Marine and Environmental Research« der Universität Porto gewichen sind. Insgesamt 250 Forscher widmen sich hier in zweigeschossigen, zum Atrium vollverglasten Raumeinheiten der meeresbiologischen Forschung – im UG sind deshalb, neben einer Tiefgarage, zusätzlich noch etliche Fischzuchtbecken eingerichtet worden. Im 3. OG schließlich liegt ein 600 m² großer Ausstellungs- bzw. Multifunktionsbereich, ein Vortragssaal und ein Restaurant.

Brandschutztechnisch konnten die ­Architekten das sämtliche Bereiche flankierende Atrium wie einen Außenraum behandeln, weil im Dach eine mechanische Rauchabzugsanlage installiert wurde, und zudem hohe Unterzüge an den Geschossdecken den Brandüberschlag zum Atrium hin verhindern. So wurden sämtliche Erschließungsbereiche offen und durchlässig ausgeführt, gänzlich ohne spezielle Brandschutzverglasungen der zum Atrium orientierten Räume.

Detailreich und komplex

Der räumlichen Komplexität und dem im Wesentlichen aus Deckenplatten und unregelmäßig gesetzten, teils geneigten Stützen bestehenden Tragwerk stehen einheitlich weiße Oberflächen gegenüber: Böden mit weißem Industrieestrich, weiß verputzte Wände (teilweise mit dunklen Wischspuren), ­weiße Glaspaneele, weiße Möbel und Theken sowie die auch im Innern prägenden weißen Fliesenbänder. Farbakzente bieten z. B. die knallig roten, in abstrahierter Form als Fische gestalteten Kästen, die zur Unterbringung des Feuermelders, eines Wasserschlauchs und des Feuerlöschers dienen. Aus all dem Weiß stechen einige Räume mit besonderen Funktionen hervor: der Vortragssaal gänzlich mit tiefblauem Samt ausgeschlagen oder das Restaurant mit einer Wand- und Bodenbekleidung aus goldbraunen Alupaneelen.

Noch ist das neue Kreuzfahrtschiffsterminal nicht vollständig in Betrieb. Zwar legen bereits Kreuzfahrtschiffe an, doch sind längst nicht alle ­Labore bezogen und auch das Restaurant ist noch nicht eröffnet. Und weil die Straße zum Festland immer noch als Teil des Hafengeländes gilt, also nicht ­öffentlich zugänglich ist, bleibt auch die in Form eines Amphitheaters angelegte Dachterrasse bislang weitgehend ungenutzt. Das ist nicht nur wegen des atemberaubenden Blicks über den Atlantik, die Strände und den Hafen bedauerlich, sondern weil sie als quasi öffentlicher Raum den bildhaften krönenden und opulenten Abschluss des Gebäudes bildet. Hier können Stadt­touristen, Reisende, Anwohner und Universitätsmitarbeiter gemeinsam ein vielfältiges Stück Stadt leben: sonnenbaden, picknicken, entspannen, sich besprechen, arbeiten. Wie gut die Idee der Vernetzung mit der Stadt aufgeht, zeigte ein letzten September veranstalteter Tag der offenen Tür, an dem 16 000 Besucher gezählt wurden. Der Grund für die bislang fehlende Anbindung an die Stadt ist einfach: für die letzten Umstrukturierungsmaßnahmen (z. B. Yachthafen, Straßenneubau, Verlängerung einer Tramlinie bis direkt zum Terminal) fehlt es schlicht an den nötigen öffentlichen Geldern. In diesem Zusammenhang hat Luís Pedro Silva seinen Beitrag bereits geleistet. Statt der ursprünglich veranschlagten 28,5 Mio. Euro kostete das Terminal am Ende nur 26 Mio. Euro – und das, obwohl es mit großem Detailreichtum als ganzheitlich durchdachtes Baukunstwerk ausgeführt ist.

db, So., 2016.05.01



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03. April 2016Roland Pawlitschko
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Einer für alle

Eine neue Waldorfschule in München versteht sich als »Mehrgenerationenplatz«, der nicht nur vielfältige Schulgebäude umfasst, sondern auch Geschosswohnungsbau...

Eine neue Waldorfschule in München versteht sich als »Mehrgenerationenplatz«, der nicht nur vielfältige Schulgebäude umfasst, sondern auch Geschosswohnungsbau...

Eine neue Waldorfschule in München versteht sich als »Mehrgenerationenplatz«, der nicht nur vielfältige Schulgebäude umfasst, sondern auch Geschosswohnungsbau beinhaltet. Mit zahlreichen baulichen und organisatorischen Angeboten zur Ausbildung einer engen Hausgemeinschaft bietet der Neubau beste Voraussetzungen für ein aktives Miteinander verschiedener Bevölkerungsgruppen.

»Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.« Dieses afrikanische Sprichwort nahm die vor sechs Jahren auf einer ehemaligen Brachfläche in München-Forstenried eröffnete Freie Waldorfschule München Südwest zum Leitmotiv sowohl für ihren pädagogischen Ansatz als auch für die städtebauliche Struktur des Schulgeländes. Da sich die Schule derzeit noch in der Aufbauphase befindet, d. h. es gibt noch nicht alle Klassen bis zur Oberstufe, sind von dieser Gesamtstruktur bislang nur Fragmente realisiert: in Grund- und Aufriss unregelmäßig geformte Bauten, die mit überwiegend kräftigen Fassadenfarben und begrünten Dächern in lockerer Beziehung zueinander stehen. Bereits fertiggestellt sind ein kleines Schulgebäude aus dem Gründungsjahr (2010), ein großes Schulgebäude mit Mensa (2014) sowie ein Kinderhaus zur Betreuung von Ein- bis Sechsjährigen (2015). Teil des Ensembles ist aber auch ein neuer, zickzackförmiger, rund 130 m langer Wohnungsbau am westlichen Rand des Areals.

Initiiert wurde dieser ursprünglich von einigen Mitgliedern des Fördervereins Freie Waldorfschule München Südwest. Sie gingen 2010 auf die Wohnungsbaugenossenschaft Wogeno zu, um mit ihr zusammen die Idee eines »Dorfs« umzusetzen, in dem die »Strukturen der Großfamilie wieder ins Zentrum der Gesellschaft« rücken. Aus der daraufhin entstandenen Kooperation ging das Konzept eines »Mehrgenerationenplatzes« hervor, das ein Jahr später mithilfe eines Architektenwettbewerbs für das gesamte Schulgelände in die Realisierungsphase ging. Zu den erklärten Zielen der beiden Auslober zählen u. a. »vielfältige Synergien, Kooperationen und soziale Impulse«, die sich aus der gemeinsamen Nutzung nicht nur der Freiflächen, sondern auch der Mensa, des Theatersaals, der Turnhalle und der Werkstätten ergeben sollen – die letzten drei Nutzungen werden in den im Lauf der nächsten Jahre noch zu errichtenden Gebäuden untergebracht sein.

Wegenetz aus Treppen und Laubengängen

Der nach Plänen der siegreichen Architekten von bogevischs buero errichtete, größtenteils fünfgeschossige Wohnungsbau (Schulgebäude und Kinderhaus wurden von anderen Architekten realisiert) vermittelt zwischen der Waldorfschule und den westlich benachbarten Wohn- und Bürogebäuden an der Limmatstraße. Während sich die privaten Balkone und Terrassen dorthin orientieren, ist das Gebäude auf der Ostseite nicht zuletzt wegen der offenen Laubengangerschließung eng mit dem Schulgelände verknüpft. Die an drei Treppenhäusern angebundenen Laubengänge können von den Bewohnern der 70 Wohnungen frei »durchwandert« werden. Um zufällige Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten im Haus zu fördern, verfügen sie über vereinzelt vor Fenstern aufgestellte Sitzbänke sowie Balkonerweiterungen, die sich z. B. als zusätzlicher Freisitz eignen. Wesentlich mehr Spielräume bieten in diesem Zusammenhang die beiden Dachterrassen, die sich – eingebunden in ein Wegenetz aus Treppen und Laubengängen – wie die Sonnendecks auf einem Kreuzfahrtschiff großflächig nach beiden Seiten und zum Himmel öffnen. Dies gilt insbesondere für die südliche Dachterrasse im 3. OG, an der einer der beiden Gemeinschaftsräume mit Küche sowie ein Gästeapartment liegen. Die enorme Größe der Terrasse, die beiden offenen Treppen zum 4. OG bzw. zur Dachfläche sowie die beidseitig aufragenden Stirnwände des 3. und 4. Wohngeschosses schaffen einen angenehm kleinmaßstäblichen Bereich mit fast dörflicher Atmosphäre. Davon dass die Terrasse tatsächlich viel genutzt wird, zeugen neben Grillutensilien aufgestellte Tische, Bänke und Hochbeete. Gemeinschaftliche Angebote wie diese lassen es verschmerzen, dass die zum Laubengang orientierten Küchen, Wohn- und Schlafräume dank der großen Fenster gut belichtet, aber eben auch gut einsehbar sind. Viele Bewohner betrachten dies als Chance zum offenen Miteinander, während sich andere mit blickdichten Vorhängen und Jalousien eher abschotten.

Vielfältige Gemeinschaft

Ein weiterer Gemeinschaftsraum, der zudem über einen Waschsalon und eine Mobilitätsstation verfügt (hier lassen sich Car- und E-Bike-Sharing-Angebote nutzen), befindet sich zwischen mittlerem Treppenhaus und dem zweigeschossig hohen Durchgang zwischen Limmatstraße und Schulgelände. Einen wesentlichen Beitrag zum Entstehen der heutigen Hausgemeinschaft leistete der Entschluss, die Bewohner gleich nach Vergabe der Wohnungen in den Planungsprozess einzubinden. Selbst wenn es dabei weniger um Grundsätzliches als vielmehr um Ausbaudetails ging, war es im Sinne des Zusammenhalts doch wichtig, die überaus heterogene Bewohnerschaft an einen Tisch zu bringen. Einerseits wohnen dort Lehrer und Schüler der Waldorfschule, die den Mehrgenerationen-Gedanken bewusst leben wollen. Auf der anderen Seite wurde fast die Hälfte der Wohnungen im Rahmen der einkommensorientierten Förderung (EOF, Amt für Wohnen und Migration) bzw. nach dem »München Modell« (Sozialreferat) vergeben. Hinzu kommen eine »familienorientierte traumapädagogische Wohngruppe« für acht Kinder und Jugendliche ab sechs Jahren, acht Apartments für einzelbetreutes Wohnen sowie eine betreute Wohngemeinschaft für insgesamt acht sehbehinderte Menschen.

Konstruktion und Ausbau

Um dieser Vielfalt entsprechend Raum geben zu können, entschlossen sich die Architekten für eine tragende Struktur aus Betonschotten. Diese Bauweise sorgt zwar für klar definierte, unverrückbare Wohnungsbreiten, ermöglicht zugleich aber eine völlig flexible Grundrissaufteilung, bei der übereinanderliegende Abwasserschächte die einzigen Fixpunkte darstellen. Und so gibt es Single-Wohnungen oder zweigeschossige Maisonette-Wohnungen zwischen zwei Betonschotten ebenso wie große Familienwohnungen, die sich über drei Schottenfelder erstrecken. Die Außenwände bestehen zum großen Teil aus nichttragenden Holzrahmenelementen, die mitsamt Fenstern und vorvergrauter Holzfassade aus Weißtanne vorgefertigt wurden – woraus sich relativ kurze Montagezeiten und Kostenvorteile ergaben. Positiv auf die Gesamtkostenbilanz wirkte sich auch aus, dass im gesamten Bauvorhaben, neben Terrassen- und Balkontüren, nur zwei Fensterformate zum Einsatz kamen – teils mit Schwing-, teils mit Drehflügeln. Aufgrund solcher seriellen Lösungen und dank des einfachen konstruktiven Prinzips, zu der auch die aus Fertigteilen vor die Außenwand gestellte Betonkonstruktion der Balkone zählt, war es den Architekten an anderer Stelle möglich, hohe Standards zu verwirklichen: z. B. Holzfenster und Eichenparkett in allen Wohnungen, unabhängig von Größe, Förderungsmodell und Nutzer. Am Ende lagen die Baukosten des im KfW-55-Standard errichteten Wohnungsbaus nach Angaben der Architekten im Münchener Durchschnitt.

Energiekonzept und Synergien

Der Einsatz nachwachsender Rohstoffe spielt nicht nur in der Fassade, sondern auch beim Energiekonzept eine wesentliche Rolle. So befindet sich im UG des Wohnungsbaus ein mit Holzpellets betriebenes Blockheizkraftwerk mit 40 kW elektrischer Leistung, mit dem sowohl die Wohnungen als auch die Schule mit Warmwasser, Heizwärme und Strom versorgt werden – Betreiber ist ein eigens gemeinsam von der Wohnungsbaugenossenschaft und der Waldorfschule gegründetes Unternehmen. Hinzu kommt eine Photovoltaikanlage auf dem Dach des nördlichen Gebäudeteils, die u. a. zum Aufladen der Elektroautos bzw. E-Bikes in der Tiefgarage beiträgt. Die Tatsache, dass dort überdies Fahrzeuge eines Carsharing-Anbieters zur Verfügung stehen, ermöglichte die Anwendung eines reduzierten Stellplatzschlüssels, sodass weniger Stellplätze gebaut werden mussten als baurechtlich gefordert – was wiederum zu Kosteneinsparungen führte.

Inwieweit die Rechnung des gemeinsamen Energiekonzepts und die gegenseitige Nutzung von Wohn- und Schulräumen aufgeht, wird sich in den nächsten Jahren nach Fertigstellung des Schulcampus’ zeigen. Schon heute sind allerdings zwei Dinge sichtbar. Zum einen bilden der eher rationale, fast monochrom graubraune Wohnungsbau (Akzente setzen grüne Blumenkästen, Sitzbänke und Treppenhauswände) und die eher frei geformten und farblich gestalteten Schulgebäude – trotz ihrer unterschiedlichen architektonischen Haltung – eine harmonische Einheit. Zum anderen machen rege genutzte Balkone, Laubengänge, Dachterrassen und Gemeinschafträume deutlich, dass die kommunikativen Angebote tatsächlich wahrgenommen werden.

db, So., 2016.04.03



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db 2016|04 Wohnen – gut und günstig

01. März 2016Roland Pawlitschko
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Ein Holz-Hohlkastenelement für alle Fälle

Grobspanplatten werden von Architekten gern als kostengünstiges Baumaterial für temporäre Bauten verwendet. Wie groß ihr konstruktives und gestalterisches Potenzial aber tatsächlich ist, zeigt nun ein Bürogebäude, das auf einem seit einigen Jahren immer weiter verfeinerten Konstruktionsprinzip für vorgefertigte Hohlkastenelemente basiert.

Grobspanplatten werden von Architekten gern als kostengünstiges Baumaterial für temporäre Bauten verwendet. Wie groß ihr konstruktives und gestalterisches Potenzial aber tatsächlich ist, zeigt nun ein Bürogebäude, das auf einem seit einigen Jahren immer weiter verfeinerten Konstruktionsprinzip für vorgefertigte Hohlkastenelemente basiert.

Wer im März vor zwei Jahren am Stammsitz des Holzwerkstoff-Herstellers Egger in St. Johann vorbeifuhr, sah vor der Kulisse aus Feldern, Wiesen und dem Kitzbüheler Horn v. a. ein dicht gedrängtes Ensemble aus gesichtslosen Produktionsgebäuden und Bergen von Baumstämmen und Holzspänen. Keine zwölf Monate später bot sich an gleicher Stelle eine völlig andere Perspektive. Am nördlichen Ende des Werksgeländes zieht seitdem ein frei stehender Neubau die Blicke auf sich: ein viergeschossiges Bürogebäude mit schachbrettartig gegliederter Fassade aus Glas und Lärchenholzlamellen. In nur einem Jahr Bauzeit entstand hier eines der größten Bürogebäude Österreichs in reiner Holzbauweise.

Genau genommen reicht dessen Geschichte zurück bis ins Jahr 2008, als der Familienbetrieb einen Architekturwettbewerb für ein neues Verwaltungsgebäude am rumänischen Produktionsstandort Radauti auslobte. Ziel war ein nachhaltiger, energieeffizienter, modularer Holzbau, der unter vorwiegender Verwendung firmeneigener Produkte errichtet werden und zugleich Standards für neue Bürogebäude an anderen Unternehmensstandorten definieren sollte. Der siegreiche Entwurf des Tiroler Architekten Bruno Moser basiert auf der Verwendung der größtmöglich erhältlichen Grobspanplatte OSB4Top von Egger, die erst zu 11,40 x 2,80 m großen Wand- bzw. Deckenelementen und schließlich zu 11,40 x 2,80 x 2,80 m großen Raummodulen gefügt wurden. Diese Module verfügen nicht nur über fertige, weiß lasierte Oberflächen, sondern enthalten auch sämtliche Lüftungs- und Elektro-Rohinstallationen. Nach Fertigstellung des mit dem DGNB-Zertifikat in Gold ausgezeichneten Gebäudes entwickelte Moser dieses System an zwei vergleichbaren Folgeprojekten für Egger weiter, sodass das Verwaltungsgebäude in St. Johann das nunmehr vierte dieser Art ist.

Die bisherigen Büroflächen am Gründungsort und Hauptsitz wiesen einige Nachteile auf: Sie waren auf mehrere Gebäude verteilt und befanden sich – für Geschäftspartner und Besucher eher schwierig zugänglich – innerhalb des Werksgeländes. V. a. aber waren sie für ein Unternehmen mit einem stattlichen Jahresumsatz von derzeit 2,26 Mrd. Euro wenig repräsentativ und überdies zu klein geworden. Für einen Neubau sprach zudem, dass sich dadurch die Chance bot, eine Art überdimensionalen Showroom zu realisieren, der – ohne diesen Aspekt penetrant in den Vordergrund zu rücken – einen umfassenden Überblick über die gesamte Produktpalette Eggers vom Konstruktionsholz über Fußböden bis hin zur Büromöblierung liefert.

Konstruktiver Aufbau der Wand- und Deckenelemente

In Bezug auf die Abmessungen der Raummodule und deren konstruktiven Aufbau entspricht der Neubau prinzipiell seinen drei Vorgängern. Die Wandelemente bestehen aus 280 mm dicken Holzriegeln, die – umgeben von einer Wärmedämmschicht – innen mit sichtbaren, weiß lasierten OSB4Top-Platten (22 mm) und außen mit diffusionsoffenen feuchtebeständigen Holzfaserplatten beplankt sind. Die Decken sind als frappierend einfach konstruierte Hohlkastenelemente ausgebildet: Den statisch wirksamen Kern bilden 520 mm hohe Brettschichtholzrippen mit schalldämmender Splittschüttung sowie eine weiß lasierte untere Beplankung (die gleichzeitig die Deckenuntersicht ausbildet) und eine obere Beplankung aus jeweils 30 mm dicken OSB4Top-Platten. Als Bodenaufbau dient eine Schicht aus Weichfaserplatten, über der sich weitere OSB-Platten (18 mm), dünne Trittschallmatten und der Laminatfußboden befinden – mit einer Gesamtaufbaudicke von lediglich rund 60 mm. Die Deckenelemente spannen grundsätzlich über die Längsrichtung, wobei Lasten stets über die vier Eckpunkte abgetragen werden; Installationen liegen auch hier im Innern der Hohlkastenelemente und in speziellen Vertiefungen der Tragbalken.

Zahlreiche baurechtliche Anforderungen, konzeptionelle Vorstellungen des Architekten und Bauherrenwünsche führten trotz vieler Gemeinsamkeiten mit den seit 2008 nach diesem Konstruktionsprinzip realisierten Gebäuden dazu, dass das Stammhaus als völlig eigenständige Variation zum freien »Spiel« mit Raummodulen erscheint. Wesentlich in diesem Zusammenhang sind insbesondere das offene Atrium und die Viergeschossigkeit der beiden seitlichen Gebäuderiegel. ›

Architektur und Brandschutz

Dass der Eingang nicht direkt ins Atrium führt, wie man aus der Entfernung noch vermuten könnte, sondern an der Gebäudelängsseite liegt, hat mit der geplanten Anbindung an den zweiten Bauabschnitt zu tun, der sich eines Tages im Norden befinden soll. Der seitliche Zugang liefert aber auch die dramaturgisch spannendere Lösung, weil der viergeschossige, oben und seitlich voll verglaste Innenraum nach Passieren des vergleichsweise niedrigen Empfangsbereichs dadurch umso eindrucksvoller erscheint. Was im Atrium dann sofort ins Auge fällt, ist einerseits die Offenheit und Großzügigkeit, andererseits die allgegenwärtige Verwendung von Holz bzw. Holzwerkstoffen: Wandbekleidungen aus Lärchenholzlamellen, eine Dachkonstruktion aus Brettschicht- und Lärchenholz sowie Wandoberflächen, Balkone, Aufzugschacht und Haupttreppe aus Grobspanplatten – letztere aus sieben nagelpressverleimten Platten mit je 30 mm. Nicht zuletzt, weil sämtliche Oberflächen ganz offensichtlich brennbar sind, kommt schnell die Frage nach dem Brandschutzkonzept auf. Grundsätzlich gelten das gesamte EG und das Atrium als ein in sich geschlossener Brandabschnitt. Die Abschottung zu den dreigeschossigen Büroflügeln, die zwei weitere Brandabschnitte ausbilden, erfolgt mithilfe einer REI90-Decke zum 1. OG; der 90 minütige Feuerwiderstand wird durch 2 x 20 mm Gipskartonplatten an der Unterseite des Standard-Deckenelements und einer Fassadensprinklerung im Atrium, die zusammen mit auskragenden Balkonen einem Brandüberschlag entgegenwirken, erreicht. Als Rettungswege dienen zwei, außerhalb der brandschutzverglasten Stirnseiten des Atriums liegende Stahl-Treppenhäuser, die über die mittigen Flure der Bürogeschosse erreichbar sind – der Verbindungssteg im Atrium bietet überdies die Möglichkeit, von einem zum anderen Brandabschnitt zu gelangen. Teil des Brandschutzkonzepts ist es auch, dass nicht nur das gesamte UG mit Tiefgarage, Technik-, Lager- und Personalräumen in Stahlbeton errichtet wurde, sondern auch die tragenden Elemente des EGs (Wandscheiben und Stützen). Dadurch reduziert sich die Anzahl der Geschosse mit prinzipiell brennbarem Tragwerk auf drei – optisch ist dies kaum wahrnehmbar, weil lediglich wenige Stützen in der Kantine, im Seminar- und im Verwaltungsbereich nicht mit OSB-Platten bekleidet wurden.

Vielfalt im Raster

Trotz des strikt eingehaltenen Rasters von 11,40 x 2,80 m, das unwillkürlich an schmale lange Industriecontainer denken lässt, erscheinen die aus jeweils insgesamt 5 x 5 Modulen zusammengesetzten Bürogeschosse offen und durchlässig. Erreicht wurde dies zum einen durch die mit Glaswänden voneinander, aber auch zum Flur abgetrennten Büroräume, zum anderen sind Raummodule, wie bereits erwähnt, nur an den Eckpunkten aufgelagert, sodass die Wandelemente – sofern die Gebäudeaussteifung als Ganzes gesichert ist – grundsätzlich völlig frei gestaltet werden können. In diesem Fall ergeben geschlossene Wandflächen, großflächige Verglasungen und breite Kommunikationsflure einen offenen Grundriss, der die Verwirklichung eines zeitgemäßen Bürokonzepts unterstützt. Hierzu trägt auch bei, dass die Maximalabmessungen der OSB4Top-Platten mit einem Grundraster von 71,25 x 70 cm ziemlich genau den ansonsten in der Büroplanung üblichen Rastermaßen entsprechen, so lassen sich am Ende sowohl ein wirtschaftliches Tragwerk als auch ebenso flächeneffiziente wie räumlich vielfältige Grundrisse schaffen.

Dass das in St. Johann realisierte konstruktive Konzept nicht nur in ökologischer, sondern auch in architektonischer Hinsicht wegweisend ist, zeigen die von Bruno Moser und Egger bereits bis ins Detail entwickelte Ideen für »Konzepthäuser« – Wohnhäuser, die innerhalb kürzester Zeit (z. B. als Flüchtlingsunterkunft) errichtet, später demontiert und anderswo wiederaufgebaut werden können. Ein zweigeschossiges Wohnhaus mit insgesamt zwölf Raummodulen und 420 m² BGF lässt sich so innerhalb von wenigen Wochen herstellen und bezugsfertig vor Ort montieren. Die Möglichkeiten der Bauweise mit Holz-Hohlkastenelementen scheinen noch längst nicht erschöpft zu sein.

db, Di., 2016.03.01



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31. Januar 2016Roland Pawlitschko
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Mit Präzision

Die neue Produktionsstätte eines Hydraulikspezialisten in Kaufbeuren bietet weit mehr als nur attraktive Fotomotive mit saftig grünen Wiesen und dem Blick zu den Allgäuer Alpen. Die für ihre Industriebauten bekannten Architekten Barkow Leibinger schufen ein Gebäudeensemble, bei dem die Architektur und die Bedürfnisse des Bauherrn und der Mitarbeiter gleichberechtigt nebeneinanderstehen.

Die neue Produktionsstätte eines Hydraulikspezialisten in Kaufbeuren bietet weit mehr als nur attraktive Fotomotive mit saftig grünen Wiesen und dem Blick zu den Allgäuer Alpen. Die für ihre Industriebauten bekannten Architekten Barkow Leibinger schufen ein Gebäudeensemble, bei dem die Architektur und die Bedürfnisse des Bauherrn und der Mitarbeiter gleichberechtigt nebeneinanderstehen.

Vermutlich hat kaum je ein Leser dieses Artikels von Proportional-Wegeschiebern gehört – kleinen kompakten Bauteilen zur Steuerung hydraulischer Komponenten, die z. B. in Bau- und Werkzeugmaschinen, Kränen und Erdölbohrgeräten unerlässlich sind. Dass es sich hierbei um Präzisionsbauteile handelt, zeigen u. a. die Vorgaben des Hydraulikspezialisten HAWE, der bei der Fertigung lediglich Maßtoleranzen von maximal 0,002 mm zulässt. Allein angesichts dieses Werts erscheint es fast selbstverständlich, dass in dem in Kaufbeuren eigens und ausschließlich zur Produktion solcher Bauteile errichteten Werk funktional und räumlich absolut klar strukturierte Produktionsabläufe im Mittelpunkt stehen.

Bis zur Eröffnung des Neubaus im Sommer 2014 wurden die Proportional-Wegeschieber in einem Münchner Werk gefertigt, das wegen der in den letzten Jahren stetig steigenden Produktionszahlen zu klein wurde. Im Rahmen einer Analyse, bei der rund 200 bayerische Standorte in Gewerbegebieten im Umkreis von München untersucht wurden, erwies sich das Grundstück am östlichen Rand von Kaufbeuren als ideal. Direkt an der viel befahrenen B12 zwischen Landsberg am Lech und Kempten gelegen, bot es bei einem guten Kaufpreis die Aussicht sowohl auf ein rasch abgewickeltes Genehmigungsverfahren als auch auf ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte aus der Umgebung. Insbesondere jedoch war es groß genug – nicht nur für die heutige Produktion, sondern auch für potenzielle Erweiterungen.

Prozessoptimiert

Nach dem Kauf des Grundstücks lobte HAWE einen Architektenwettbewerb aus, der den teilnehmenden Büros zwar reichlich Informationen zu den Produktionsprozessen bot, dabei aber große Spielräume bei der Gestaltung der Produktionsgebäude ließ. Das letztlich siegreiche Konzept des Architekturbüros Barkow Leibinger überzeugte den Bauherrn von Beginn an durch das tiefe Verständnis für die Betriebsabläufe, das eine Vereinbarkeit von Produktion und Architektur ermöglichte: Auf der einen Seite finden sich vollkommen pragmatisch organisierte Produktionshallen mit effizientem Tragsystem, die unverkennbar ganz im Zeichen wirtschaftlicher und funktionaler Zwänge stehen; auf der anderen Seite kommen spannungsvolle Fassaden sowie das sorgfältig komponierte Zusammenspiel von Holz, Sichtbeton und Profilglas zum Einsatz, insbesondere in den Büro- und Aufenthaltsbereichen.

In einem Überarbeitungsprozess entwickelten Architekten und Bauherr gemeinsam aus dem Wettbewerbsbeitrag mit sieben Gebäuden das heutige Konzept der windmühlenartig um einen begrünten Innenhof angeordneten Produktionshallen. Von diesem geschützten Bereich ist von außen jedoch zunächst einmal nichts zu sehen. Was bei der Annäherung an das Werksgelände hingegen sofort auffällt, ist ein feinsinnig gestaltetes Gebäudeensemble. Dessen weithin sichtbares Charakteristikum sind mit transparenter Wärmedämmung gefüllte Profilglasfelder in Form stehender und an der unteren Ecke gekappter Dreiecke, die nahtlos in ein sich nach Norden öffnendes Sheddach übergehen. Im Wechsel mit großflächig in Aluminiumtrapezbleche gehüllten Fassaden tragen diese prägenden Großformen dazu bei, die bis zu 120 m langen Baukörper optisch zu gliedern. Zugleich sorgen sie für sehr gute Lichtverhältnisse im Innern der Hallen und ermöglichen dank der transparenten Glasfelder im unteren Bereich den Blickkontakt von fast jedem der derzeit rund 350 Arbeitsplätze ins Freie. Umgekehrt erhalten Passanten und Autofahrer auf der B12 durch diese Glasfelder v. a. am Abend, wenn die Hallen gleichsam wie riesige Schatzkästchen zu leuchten beginnen, Einblicke in die Produktion.

Besucher, die auf diese Weise beim Rundgang um die Hallen neugierig geworden sind, werden beim Betreten der Eingangshalle erneut überrascht. Hier herrscht nämlich keineswegs nüchterne Fabrikhallenatmosphäre. Vielmehr erscheint dieser leicht aus der Flucht der Produktionshalle gerückte, zweigeschossige Gebäudeteil mit raumhoher Verglasung, ausladendem Empfangstresen, Loungesesseln und skulpturaler Holzlamellenwandbekleidung wie eine Hotellobby. Im EG befinden sich temporäre Büroarbeitsplätze für externe Mitarbeiter, im OG liegen die Büros der Geschäftsleitung sowie Besprechungsbereiche.

Attraktivität und Flexibilität

Vom EG führt ein ganz in samtigem Sichtbeton und transluzentem Profilglas gehaltener Gang – vorbei am nördlichen Mitarbeitereingang – direkt in eine der vier, 8 m hohen Produktionshallen. Obwohl hier keineswegs nur montiert, sondern auch produziert wird, steigt einem lediglich ein leichter Geruch von Maschinenschmierstoffen in die Nase. Der Grund hierfür sind u. a. Anlagen, die unter Schutzabdeckungen vernebelte Kühlmittel absaugen, abscheiden und am Ende gesäuberte Luft entlassen. Eine wesentliche Rolle für die hohe Luftqualität spielt aber auch das Quelllüftungssystem, das für einen dreifachen Luftwechsel pro Schicht sorgt und im Winter (gespeist von einem Blockheizkraftwerk) die Beheizung der Halle übernimmt. Zur angenehmen Atmosphäre tragen zudem die relative Ruhe (sämtliche lärmemittierende Maschinen sind akustisch wirkungsvoll abgeschirmt) und das dank der Sheddächer hohe und blendfreie Tageslichtniveau bei. Energieeffizientes LED-Kunstlicht wird bedarfsweise mithilfe intelligenter Lichtsteuerungssysteme automatisch zugeschaltet.

Diese Arbeitsplatzqualitäten bilden eine Einheit mit den allgegenwärtigen ordnenden räumlichen Strukturen. So erfolgt die gesamte Versorgung der Maschinen und Arbeitsplätze u. a. mit Frischluft, Strom und Medien über die Decke, sodass der hochbelastbare und vollkommen leitungsfreie Boden vollkommen flexibel einteilbar bleibt und veränderte Produktionsabläufe jederzeit problemlos umsetzbar sind. Zur Flexibilität trägt nicht zuletzt auch das Betonfertigteil-Tragwerk bei, dessen Stützenraster (12 x 24 m) maximale Freiheit in der Grundrissgestaltung schafft. Aussparungen in den Betonbindern reduzieren dabei nicht nur das Gewicht und ermöglichen die Durchführung von deckengeführten Leitungen. Sie lassen auch das durch die Sheddächer einfallende Tageslicht bis tief in die Hallen strömen.

Treffpunkt in der Mitte

Grundsätzlich sind die hinsichtlich ihrer Abmessungen unterschiedlichen, strukturell aber identischen Hallen so angeordnet, dass die Produktion ausgehend von der Anlieferung der Rohmaterialien in der südlichen Halle über die Bohr- und Feinbearbeitung bis hin zur Endmontage und Auslieferung der fertigen Proportional-Wegeschieber im Uhrzeigersinn abläuft. Dazwischen ordneten die Architekten jeweils einen verbindenden Bereich an. Hier befinden sich Durchgänge zum Transport der teilbearbeiteten Werkstücke mittels personengeführter Routenzüge, v. a. aber dienende, unmittelbar der jeweiligen Hallennutzung zugeordnete Bereiche wie etwa Toiletten, Umkleiden, Materiallager, Werkstätten, Mess- und Technikräume sowie Büros und Besprechungsbereiche. Letztere orientieren sich insbesondere zum zentralen Innenhof, der zugleich das soziale Herz des Produktionsstandorts bildet – nicht zuletzt wegen der im 1. OG situierten Kantine. Die Innenhoffassaden erinnern dank der raumhohen Verglasung und der dunklen Blechbekleidung an den bereits erwähnten Eingangsbereich, und ähnlich wie das Eingangsgebäude versprüht auch der Innenhof einen geradezu urbanen Charme.

Es gelingt, den im Hof für kurze Pausen, informelle Gespräche oder zum Mittagessen aus den Industriehallen auf der »grünen Wiese« zusammenkommenden Mitarbeitern eine wirklich regenerative Auszeit zu verschaffen. Ein zur Umgebung orientierter Pausenbereich wäre im Gegensatz hierzu überdies nie in der Lage gewesen, die Belegschaft im gleichen Maße als Gemeinschaft zu zelebrieren.

Dass beim Produktionswerk in Kaufbeuren am Ende jedes Planungsdetail in irgendeiner Weise als Baustein dazu beiträgt, die Gesamtqualität zu heben, hat zum einen mit einem hohen architektonischen Anspruch zu tun, den HAWE auch an all seine anderen Firmenstandorte stellt. Zum anderen ist sich das Unternehmen aber auch bewusst, dass es als Hersteller von Präzisionsprodukten unerlässlich ist, den Begriff Qualität und eine gewisse Detailverliebtheit – für die Kunden gut sichtbar – auch in den Firmengebäuden fest zu verankern. Nicht zu unterschätzen ist darüber hinaus die Wirkung auf die derzeitigen und zukünftigen Mitarbeiter, die sich letztlich stets für den attraktivsten Arbeitgeber entscheiden.

db, So., 2016.01.31



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db 2016|01-02 Produktion

02. November 2015Roland Pawlitschko
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Understatement

Der neue Weinkeller des kleinen Guts in Südtirol ließ sich auf dem Grundstück nur durch Eingraben sinnvoll unterbringen. Das Wellenmuster der Stampfbetonwände...

Der neue Weinkeller des kleinen Guts in Südtirol ließ sich auf dem Grundstück nur durch Eingraben sinnvoll unterbringen. Das Wellenmuster der Stampfbetonwände...

Der neue Weinkeller des kleinen Guts in Südtirol ließ sich auf dem Grundstück nur durch Eingraben sinnvoll unterbringen. Das Wellenmuster der Stampfbetonwände und die entsprechende Beleuchtung lassen ein poetisches Ambiente entstehen, das zur Weinherstellung allein fast zu schade ist. Obenauf gedeihen die Reben – wie zuvor.

Auch wenn der Weinkeller auf den ersten Blick wie eine Kunstgalerie in einem New Yorker Szeneviertel aussieht, gehört er in Wirklichkeit zu einem kleinen, ganzheitlich denkenden Familienbetrieb, für den die Themen Architektur und Gestaltung untrennbar mit der Qualität der hergestellten Weine verknüpft sind.

Der größte Teil der Südtiroler Weinbauern produziert Wein nicht selbst, sondern liefert seine Ernte zur Weiterverarbeitung alljährlich an eine der großen lokalen Winzergenossenschaften. Dies bietet insbesondere jenen Winzern Vorteile, denen die Weinherstellung und der Vertrieb zu aufwendig oder zu kostenintensiv sind. Dass Armin Kobler im Jahr 2006 damit begonnen hat, die Hälfte der in sechs Weingärten auf insgesamt knapp 5 ha Fläche angebauten Trauben selbst zu verarbeiten, hat v. a. damit zu tun, dass er – gemeinsam mit seiner Frau – den gesamten Weg von der Traube zum Wein zum Kunden eigenverantwortlich gehen wollte. Als mehr oder weniger provisorischer Ort der Weinproduktion diente seitdem der ursprünglich zur Unterbringung landwirtschaftlicher Maschinen und als Lager konzipierte Keller ihres Hauses an der Margreider Weinstraße (die Geräte stehen seitdem im Freien). Um die bislang rund 15 000 pro Jahr abgefüllten Flaschen selbst vermarkten zu können, eröffnete Kobler 2010 den »Weinraum« – einen multifunktionalen Verkaufs- und Verkostungsraum im EG, den die Südtiroler Architekten Theodor Gallmetzer und Lukas Mayr als minimalistischen White Cube mit versenkbarer Glasfront in die Straßenfassade des Bestandsgebäudes schoben (siehe db 9/2011, S. 30).

Da es inzwischen Pläne gibt, die gesamte Ernte selbst zu vinifizieren, der bestehende Keller hierfür jedoch nicht genügend Platz bot, entstand die Idee, einen neuen Keller zu bauen, der vereinfachte Arbeitsprozesse zur Verarbeitung der gesamten Traubenernte und dadurch langfristig deutlich mehr Lebens- und Arbeitsqualität ermöglichen sollte. Da Kobler einerseits passionierter Winzer ist, andererseits aber auch eingefleischter Analytiker und studierter Landwirtschaftler, der viele Jahre die Sektion Kellerwirtschaft am Versuchszentrum Laimburg leitete, versteht es sich fast von selbst, dass der Neubau in jeder Hinsicht perfekt zu sein hatte. Aufgrund der positiven Erfahrungen mit den Architekten des Weinraums – auch hinsichtlich der Gestaltungsfragen – wurden erneut Gallmetzer und Mayr mit der Planung beauftragt.

Weinkeller unter Weinreben

Der Standort des neuen Weinkellers auf der Gebäuderückseite unter einer Rebbaufläche erwies sich als ideal, obwohl damit durch die Bauarbeiten gleichzeitig der Verlust zahlreicher alter Rebstöcke verbunden war. Hier ließ sich die geeignete Kubatur für allgemeine und Flaschen-Lagerflächen sowie für Edelstahltanks und Eichenholzfässer sowohl in der Höhe als auch in der Fläche frei von statischen Zwängen des Bestandsgebäudes errichten und die Erschließung leicht mithilfe einer Verlängerung der existierenden, befahrbaren Rampe lösen. Außerdem sorgt die Lage 80 cm unter dem Boden für eine optimale, gleich bleibende Temperatur und Luftfeuchtigkeit und ermöglichte gleichzeitig den problemlosen Wiederanbau neuer Rebstöcke.

Dass die Architekten die Idee entwickelten, einen Teil der Kellerwände in Stampfbeton auszuführen, hatte zwei Gründe. Erstens liegt das Baugrundstück in einem von Kalkschottern geprägten Gebiet, das heißt, beim Aushub der Baugrube fiel viel Kies an, den man zum Bau der Wände verwenden wollte. Letztlich wäre dessen Reinigung vor Ort aber zu aufwendig und langwierig geraten; die Steine wurden abtransportiert und neuer Kies eines nahe gelegenen Kieswerks eingesetzt. Der zweite Grund liegt in der Ästhetik des von Hand schichtweise verarbeiteten Stampfbetons, der nicht nur an die natürlichen Sedimentschichten der westlich von Margreid aufragenden Felswände erinnert, sondern mit dem sich auch Parallelen zur Schichtung der festen und flüssigen Traubenbestandteile ziehen lassen, die hier in der Maische vergoren werden. ›

Ästhetik und Funktion als Einheit

Den Rundgang durch die neuen Kellerräumlichkeiten, den Armin Kobler auch seinen Kunden anbietet, prägt v. a. das Bild des ebenso sorgfältig wie detailverliebt ausgeübten Handwerks. Weinproduktion und Architektur erscheinen dabei gleichsam als gestalterische und funktionale Einheit. Edelstahltanks und -leitungen wirken wie funkelnde Skulpturen in einem Ausstellungsraum, in dem das harmonische Zusammenspiel unterschiedlicher Grau- und Silbertöne im Mittelpunkt steht: ein glatt geschliffener Sichtbetonboden, mit Weißzement ausgeführte Stampfbetonwände (mit transparentem, hydrophobierendem Anstrich) und Betondecken, satinierte Edelstahlschiebewände. Definiert werden die tageszeitabhängig wechselnden »Farbtöne« weniger durch die bündig eingebauten Deckenleuchten, die die lebhafte Textur der Wände unterstreichen, als vielmehr durch ein als befahrbare Glasplatte ausgebildetes Oberlicht, das, an den Weinreben vorbei, den Blick zum Himmel freigibt.

Im ursprünglichen Konzept der Architekten sollte dieses Oberlicht die Möglichkeit eröffnen, die geernteten Trauben zur Verarbeitung direkt in den Keller zu bringen. Dass Kobler diese Option bislang nicht wahrnimmt, hat damit zu tun, dass er die Trauben nach wie vor auf der dafür vorgesehenen Fläche an der Gebäuderückseite anliefert und im alten Keller presst, um den Saft oder die Maische von dort in den tiefer gelegenen neuen Keller zu befördern. Das war zwar nicht so vorgesehen, schließlich sollte der alte Keller wieder zum Abstellen landwirtschaftlicher Maschinen dienen, dafür aber wesentlich einfacher, weil entsprechende Leitungen und Schächte schon vorhanden sind. Genau an diesem Punkt gerät das ursprüngliche Ziel des Weinguts wieder ins Bewusstsein: ein Weinkeller, der im Sinne der Weinherstellung optimal funktionieren muss, zugleich aber auch den Arbeitsalltag erleichtert. Dieses Ziel ist zweifellos erreicht. Erst so richtig glücklich sind die Koblers mit dem unterirdischen Neubau aber v. a. deshalb, weil sie damit etwas geschaffen haben, das ihrer Lebens- und Arbeitsphilosophie entspricht, in der die Themen Gestaltung und Baukultur wie selbstverständlich fest verankert sind. Und so spielt es auch eine untergeordnete Rolle, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis sich diese Investition amortisiert haben wird.

db, Mo., 2015.11.02



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db 2015|11 Unter der Erde

11. Oktober 2015Roland Pawlitschko
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Investition in die Zukunft

Die neue Grundschule bietet nicht nur zeitgemäße Lernräume für rund 40 Grundschüler aus 5 Jahrgangsstufen sowie eine öffentliche Bibliothek, sie ist gewissermaßen Zeichen einer neuen Zeit und Teil einer komplexen Umstrukturierungsmaßnahme, die dem auf 1 250 m über dem Meeresspiegel gelegenen Straßendorf eine neue Perspektive gibt.

Die neue Grundschule bietet nicht nur zeitgemäße Lernräume für rund 40 Grundschüler aus 5 Jahrgangsstufen sowie eine öffentliche Bibliothek, sie ist gewissermaßen Zeichen einer neuen Zeit und Teil einer komplexen Umstrukturierungsmaßnahme, die dem auf 1 250 m über dem Meeresspiegel gelegenen Straßendorf eine neue Perspektive gibt.

Für einen Ort mit knapp 1 000 Einwohnern zählt die Durchführung eines Ideen- und Planungswettbewerbs keineswegs zum Tagesgeschäft. Entsprechend sorgfältig ging die Gemeinde Taufers im Südtiroler Vinschgau vor und ließ sich zunächst einmal v. a. viel Zeit. Ziel des 2006 ausgelobten Verfahrens war daher die Entwicklung eines in den darauffolgenden 10-15 Jahren umzusetzenden Gesamtkonzepts zur Neustrukturierung der öffentlichen Einrichtungen. Mit anderen Worten: Es ging um nichts Geringeres als um die Zukunft des Dorfs, das – wie viele andere Dörfer auch – unter der stetigen Abwanderung junger Familien leidet. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das in einer Informationsveranstaltung präsentierte Vorprojekt der neuen Grundschule bei den Einwohnern im Mittelpunkt des Interesses stand.

Die Jury, zu der u. a. die mit dem alpinen Bauen vertrauten Schweizer Architekten Carl Fingerhuth und Conradin Clavuot gehörten, entschieden sich unter den 32 eingereichten Arbeiten für das Projekt des Bozener Büros CeZ Calderan Zanovello Architekten, weil es sich fast so lesen ließ wie die dreidimensionale Übersetzung des Auslobungstexts. Entsprechend heißt es im Juryprotokoll: »Die selbstbewusste und doch subtile Eingliederung und der liebevolle, erfinderische und sinnvolle Umgang mit dem Bestand zeigt den Willen der Verfasser, einen respektvollen und doch Neues und Befreiendes bringenden Eingriff vorzunehmen.«

Im Anschluss erfolgte auf Grundlage des siegreichen Masterplans und der ebenfalls beauftragten Planung des Grundschulneubaus die gesetzlich vorgeschriebene Auslobung weiterer Realisierungswettbewerbe: beispielsweise der Umbau des Rathauses, die Erweiterung des ehemaligen Gasthauses »Schwarzer Adler« zum kulturellen Treffpunkt mit Vereinsräumen (Jugendgruppe, Schützen, Heimatbühne, Frauenchor) sowie der Neubau eines Kindergartens. All diese Verfahren konnten Calderan Zanovello Architekten aufgrund des jeweils preisgünstigsten Angebots für sich entscheiden – mit dem positiven Nebeneffekt, dass die im Umkreis von lediglich 100 m an der Hauptstraße Taufers liegenden Gebäude heute funktional und architektonisch miteinander verbunden sind und harmonieren.

Das neue Schulhaus für ca. 40 Grundschüler der ersten bis fünften Klasse platzierten die Architekten als Solitär an der Stelle eines baufälligen Altbaus unmittelbar an der Hauptstraße. Dass es sich hierbei auf den ersten Blick um ein außergewöhnliches Gebäude handelt, vermitteln allein schon die unregelmäßigen, teils flächenbündigen, teils in abgeschrägte Laibungen gesetzte Fenster sowie der abgerundete Übergang von Außenwand und Traufe (ein Merkmal, über das in der Region nur besondere Bauten verfügen). Ebenso offensichtlich ist aber auch, dass es gleichzeitig ganz selbstverständlich in die bestehende Dorfstruktur integriert ist. Beispielsweise, weil seine Kubatur und die verputzten Wärmedämmbetonwände dem Erscheinungsbild der Nachbargebäude entsprechen, und weil es zusammen mit dem Schwarzen-Adler-Haus und einer 2006 nach Plänen von Christian Kapeller fertiggestellten Sporthalle einen kleinmaßstäblichen Dorfplatz bildet. Dieser Dorfplatz öffnet sich als neuer Kommunikationsraum im Zentrum Taufers in voller Breite zur Straße und ist dank dreier schmaler Treppen mit dem nach Norden ansteigenden Dorf vernetzt. Eine der Treppen führt über einen glasgedeckten Gang zwischen Sporthalle und Neubau zu dem vom 1. OG der Grundschule erreichbaren Pausenhof.

Vernetzung mit den Nachbargebäuden

So klein der schachbrettartig zum Dorfplatz versetzte und vor Straßenlärm geschützte Pausenhof auch ist, so wichtig ist seine Funktion als Vermittler zwischen den von hier aus erreichbaren alten, neuen, erweiterten bzw. noch zu erweiternden Gebäuden: Ein lang gestreckter Neubau, verknüpft mit dem unteren Geschoss des alten Mehrzweckhauses (hier befinden sich u. a. die Räumlichkeiten der örtlichen Feuerwehr), soll in einem nächsten Bauabschnitt den Kindergarten aufnehmen. In diesem Zusammenhang erhielt die Sporthalle einen zusätzlichen Eingang zum Pausenhof und einen Aufzug, um so die neu über dem Eingangsbereich der Sporthalle eingerichtete Mensa sowie die Sporthalle selbst für die Grundschüler und Kindergartenkinder barrierefrei zugänglich zu machen. Die dreigeschossige Schule öffnet sich zum Hof mit einer großflächigen Holz-Glas-Fassade, hinter der sich ein zweigeschossiger Flurbereich mit einer als Lehrküche dienenden Kinder-Küchenzeile befindet.

Der Haupteingang der Schule liegt unmittelbar am Dorfplatz, die eigentlichen Schulräume befinden sich in den beiden Obergeschossen. Den Großteil der Erdgeschossfläche nimmt eine Bibliothek ein, die sich dank großer Schaufenster in der Straßenfassade deutlich als öffentliche Einrichtung zu erkennen gibt. Als solche bietet sie neben einem umfangreichen Angebot an Büchern, Zeitschriften und Medien auch verschiedene Lesebereiche für Erwachsene und Kinder sowie eine von der Straße abgeschirmte Terrasse unterhalb des Schulgartens. Für die Dorfbevölkerung ist sie über einen eigenen Zugang von der Hauptstraße erreichbar, während Schülern und Lehrern ein Nebeneingang direkt im Eingangsflur der Schule zur Verfügung steht. An diesem zentralen Verteilerbereich liegen überdies der Computerraum und die Werkstatt der Grundschule und ein neu geschaffener interner Verbindungsgang zur Sporthalle. Dieser Gang spielt eine besondere Rolle, da die Halle nicht nur als Mehrzweckhalle und dem Schulsport dient, sondern auch als Ort für Schulveranstaltungen – auf eine eigene Aula wurde im Schulhaus aus Kosten- und Platzgründen verzichtet.

Natürliche Materialien

Der Weg zu den Klassenzimmern führt vom Eingangsflur, an der Bibliothek vorbei, über eine einläufige Treppe ins 1. OG. Ebenso wie der Verbindungsgang zur Sporthalle, die Eingangsbereiche der Gebäude am Dorfplatz und alle anderen Verkehrsflächen des Schulneubaus, verfügt die Treppe über einen Belag aus grauem Luserna-Gneis. Dieser Naturstein aus dem Piemont eignet sich aufgrund seiner hohen Widerstandsfähigkeit insbesondere sehr gut für fließende Übergänge von außen nach innen, wo in schneereichen Wintern mit einem hohen Wassereintrag zu rechnen ist. Für warme Farbtöne und eine angenehm natürliche Atmosphäre sorgen die im gesamten Gebäude verwendeten Lärchenholz-Paneele, die aus Brandschutzgründen mit einer transparenten Brandschutzbeschichtung versehen werden mussten. Sie finden sich als Wand- und Deckenbekleidung ebenso wieder wie bei Einbaumöbeln, Geländern, Türblättern und -zargen.

Neue pädagogische Konzepte

Trotz des großzügig verglasten Windfangs, trotz Glastür zur Bibliothek und Oberlicht im Gang zur Sporthalle – das EG wirkt unwillkürlich düster und kann es kaum verbergen, zur Hälfte in den Hang eingegraben zu sein. Im Gegensatz hierzu erscheint das 1. OG offen, luftig und hell. Hierzu trägt die Glasfassade zum Pausenhof, der großzügige Flur mit offener Lehrküche, aber auch der große Garderobenbereich an der Westfassade wesentlich bei. In der nordöstlichen Ecke des Gebäudes, mit strategisch günstigem Blick auf den Dorfplatz und den Pausenhof, liegt das Lehrerzimmer, während sich zwei Klassenzimmer an der Südfassade um einen »Ausweichraum« für Intensivierungsstunden gruppieren. Die Unterrichtsräume sind »offene Klassenzimmer«, die sich nicht zuletzt dank der beweglichen, flexibel konfigurierbaren Dreieckstische für offene und kommunikative pädagogische Konzepte eignen. Im 2. OG finden sich drei weitere Klassenräume, die sich von den anderen v. a. durch die sichtbar belassene Kiefernholzkonstruktion des Dachs und den noch eindrucksvolleren Blick in die umliegende Bergwelt unterscheiden.

Egal, ob städtebaulich, architektonisch oder funktional – der Schulneubau zeigt sich aus jeder Perspektive und auf jeder Maßstabsebene als überaus sorgfältig in sein Umfeld integriert, ohne sich diesem jedoch in irgendeiner Form anzubiedern. Gerade dies verleiht dem Gebäude jene Kraft, die den Dorfbewohnern signalisiert, dass ihr Bedürfnis nach qualitätvollen öffentlichen Einrichtungen ernst genommen wird. Man wird in ein paar Jahren an den Einwohner- und Kinderzahlen ablesen können, wie gut das Gesamtkonzept zur Neustrukturierung der öffentlichen Einrichtungen aufgeht. Mit den vernetzten neuen bzw. neu strukturierten Einrichtungen stehen die Chancen sicher nicht schlecht, dass die vor gut zehn Jahren in Angriff genommenen Pläne der Gemeinde aufgehen.

db, So., 2015.10.11



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db 2015|10 Südtirol

11. Oktober 2015Roland Pawlitschko
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Vermittelnde Zick-Zack-Form

Die Volksbank Südtirol verfügt über rund 200 Filialen zwischen Brenner und Venedig, die Mehrheit der Mitglieder stammt aus Südtirol und der größte Teil des Kapitals liegt in Südtiroler Händen. So bekennt sich auch der erst im März bezogene neue Hauptsitz der Bank klar zum Standort Bozen, indem er vermittelnd auftritt, sich zur heterogenen Umgebung hin öffnet und damit einen neuen Identifikationspunkt schafft.

Die Volksbank Südtirol verfügt über rund 200 Filialen zwischen Brenner und Venedig, die Mehrheit der Mitglieder stammt aus Südtirol und der größte Teil des Kapitals liegt in Südtiroler Händen. So bekennt sich auch der erst im März bezogene neue Hauptsitz der Bank klar zum Standort Bozen, indem er vermittelnd auftritt, sich zur heterogenen Umgebung hin öffnet und damit einen neuen Identifikationspunkt schafft.

Das Umfeld des neuen Hauptsitzes der Südtiroler Volksbank könnte diffuser nicht sein. Im Umkreis von 200 m befinden sich neben Einfamilienhäusern, Geschosswohnungsbauten und Tennisplätzen auch ein Bürohochhaus, ein weiterer Verwaltungsbau, Gewerbehallen und ein Multiplexkino – das Ganze eingeklemmt zwischen einem Rangierbahnhof und einem entlang des Flusses Eisack angelegten Straßengeflecht, das diesen Ort über eine Bundesstraße mit der am anderen Ufer vorbeiführenden Brennerautobahn verknüpft. Die traditionsreiche Bank ließ sich u. a. deshalb in dem von der Innenstadt isolierten Quartier an der Schlachthofstraße nieder, weil sie hier bereits seit 30 Jahren Büros unterhält. Eine eher untergeordnete Rolle für die Standortentscheidung, mit Blick auf die Zukunft aber dennoch nicht ganz unwichtig, spielte die Tatsache, dass es seit dem 2011 durchgeführten Städtebauwettbewerb zum Bahnhofsareal die begründete Hoffnung einer besseren Anbindung an die Stadt gibt.

Da der Vorgängerbau weder hinsichtlich der räumlichen Potenziale noch in Bezug auf die Bausubstanz den heutigen Ansprüchen der Volksbank entsprach, entschloss man sich, diesen abzureißen und an seiner Stelle einen maßgeschneiderten Neubau zu errichten. Hierzu lobte die Bank 2008 einen Planungswettbewerb aus, der es nicht zuletzt ermöglichen sollte, die bislang auf mehrere Standorte verteilten Abteilungen zusammenzulegen. Für Christian Rübbert, den Architekten des Siegerprojekts, war sehr schnell klar, dass »man mit einer herkömmlichen Baukörperdisposition entweder keine innenräumlichen Qualitäten oder zu wenig Bürofläche erzielen würde«. Und so präsentiert sich sein Projekt – anders als die meisten Arbeiten der 62 weiteren Wettbewerbsteilnehmer – nicht als orthogonal gereihte oder mäandrierende Baustruktur, sondern in Zick-Zack-Form. Mit dieser Konfiguration entsteht ein durchgängig schlanker Baukörper mit viel Fassadenfläche und großen zusammenhängenden Geschossebenen, der das lange, schmale Grundstück optimal ausnutzt.

Eigenwilliger, aber integrierender Baukörper

Erscheint die Zick-Zack-Form aus der Vogelperspektive, z. B. von den umliegenden Bergen, recht eigenwillig und extravagant, wirkt der Baukörper aus der Fußgängerperspektive eher zurückhaltend, unprätentiös und wie selbstverständlich in sein Umfeld integriert. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist die – mit Ausnahme der Straßenseite – als hinterlüftete Lochfassade ausgebildete Gebäudehülle mit eigens entwickelten Keramikplatten bekleidet, deren anthrazitfarbene und kleinmaßstäblich gefaltete Oberfläche an das Gestein der steil aufragenden Felswände Bozens erinnert. Die matt glasierten Platten sorgen außerdem für ein feingliedriges Erscheinungsbild und lebhafte Reflexionen, die die Fassaden je nach Tageszeit und Sonneneinstrahlung unterschiedlich schimmern lassen. Zum anderen führt die mehrfach geknickte Gebäudeform zur Ausbildung von dreiecksförmigen Außenbereichen, die angenehm unregelmäßige Übergänge zur Nachbarbebauung schaffen. Während auf den Längsseiten klar definierte Freiflächen für eine hauseigene Kindertagesstätte, die Anlieferung und einen Mitarbeiterbereich entstehen, sorgt der asymmetrisch gesetzte Knick in der verglasten Nordfassade für die Aufweitung des Straßenraums. Auf diese Weise entsteht ein kleiner öffentlicher Vorplatz mit Sitzskulpturen, durch den sich der Neubau deutlich von den in der Straßenflucht platzierten Nachbargebäuden abhebt. Dennoch wirkt das Gebäude nicht aufdringlich inszeniert: »Es gibt nichts Auftrumpfendes an dem Projekt, keine Symmetrien, keine Achsen, keine Überhöhungen, keine Erhabenheit, keine großspurigen Gesten, keinen Schnickschnack«, sagt Rübbert, der damit auf das geschäftliche Selbstverständnis der Volksbank Bezug nimmt.

Kommunikationsräume überall

Die räumliche Begrenzung des Vorplatzes übernimmt eine Glasfassade mit vorgelagerter Rahmenstruktur, die dem Neubau Maßstäblichkeit verleiht und ihn gleichermaßen verträglich und selbstbewusst in das heterogene Umfeld integriert. Die Glasfassade dient der Bank darüber hinaus als »Kommunikationsfenster zur Stadt und zur Gesellschaft«, das die im Innern stattfindenden Tätigkeiten sichtbar macht und Kundenfreundlichkeit, Offenheit und Transparenz signalisieren soll. Wer dieser symbolischen Einladung folgt und sich ins Innere begibt, findet sich in einem weitläufigen und frei zugänglichen Eingangsbereich mit großem Empfangstresen, offen gestalteter Bankfiliale, Foyer eines auch extern zu mietenden Veranstaltungsraums sowie Cafeteria wieder. Im rückwärtigen Teil des EG befindet sich ein großer Besprechungsbereich mit unterschiedlich gestalteten und ausgestatteten Konferenzräumen. Hier sind Meetings in großer oder kleiner Runde möglich (in Loungeatmosphäre, im Stehen oder an Konferenztischen) – mit dem Vorteil, dass Gäste weder unerwünschte Einblicke in den Arbeitsalltag erhalten noch die rund 300 Mitarbeiter der oberen Bürogeschosse stören. Das gesamte Innenraumkonzept geht auf das Büro Innocad (Graz) mit bergundtal (Bruneck) zurück.

Dass die als »space4dialogue« bezeichnete kommunikative Offenheit auch in den Arbeitsbereichen der drei nahezu identischen Obergeschosse im Mittelpunkt steht, ist auf den ersten Blick erkennbar. Sämtliche Büroarbeitsplätze – auch jene der Geschäftsführung, der Personal- und Finanzabteilung – befinden sich im Open Space. Die grundsätzlich einzelnen Mitarbeitern fest zugeordneten Schreibtische sind in Vierergruppen entlang der Fassaden aufgereiht – der Eindruck eines unangenehmen Großraums entsteht dabei dennoch von keinem Standpunkt der gut 2000 m² großen, jeweils als ein Brandabschnitt konzipierten Fläche. Visuelle und akustische Privatsphäre entsteht nämlich schon allein durch die Zick-Zack-Form des Gebäudes, die den Grundriss in überschaubare Zonen aufteilt. Hinzu kommen immer wieder zwischen den Arbeitsbereichen für maximal zwölf Mitarbeiter eingeschobene, verglaste Besprechungs- und Rückzugsinseln, das eichenholzfurnierte Ablage-, Raumteilungs- und Akustikmöbel »Bergundtal« sowie die organisch geformten mittigen Kernzonen, die Treppenhäuser, Sanitär-, Kopier- und andere Nebenräume enthalten. Sämtliche Kerne sind von der Künstlerin Esther Stocker mit schwarzen Farbmustern versehen worden, die diesen »tragenden Säulen« des Gebäudes ein einheitliches, inspirierend kreatives, auf Dauer vielleicht aber auch etwas zu lebhaftes Erscheinungsbild verleihen.

Einbeziehung der Mitarbeiter

Trotz anfänglicher allgemeiner Vorbehalte gegenüber Open-Space-Lösungen werden die Büroräume von der Belegschaft heute durchwegs als positiv bewertet. Dies hat v. a. damit zu tun, dass sich bereits zwei Jahre vor dem Umzug 17 »Nutzervertreter« aus den unterschiedlichen Abteilungen zusammengeschlossen haben, um als Ansprechpartner sowohl für die übrigen Mitarbeiter als auch für die Geschäftsführung und die intern am Bau beteiligten zur Verfügung zu stehen. In insgesamt sechs Workshops untersuchte die Gruppe z. B., welche Erwartungen an die zukünftigen Arbeitsplätze bestehen und welche Arbeitskultur mit welchen Spielregeln dort gelebt werden soll. Zusätzlich wurden Umfragen durchgeführt und ein Internetportal eingerichtet, das alle wichtigen Informationen zum Neubau bereithielt. Ein unmittelbares Ergebnis der von den Mitarbeitern vorgetragenen Wünsche ist beispielsweise die Kindertagesstätte im südlichen Teil des EG, die 15 Betreuungsplätze für Kinder bis drei Jahre bietet und Volksbank-Mitarbeitern ebenso offensteht wie Mitarbeitern der umliegenden Unternehmen.

Zum Wohlbefinden am Arbeitsplatz trägt neben dem partizipativen Ansatz und der Vielfalt an Arbeits- und Rückzugsbereichen (z. B. Cafeteria, Lounges, Besprechungsnischen und -inseln, »Telefonzellen«, Regenerationsräume) auch der Raum selbst bei. Zum einen in Form einer ergonomischen Möblierung und einem zurückhaltenden Farbkonzept, zum anderen mit hellen Innenräumen, einer zonenweise steuerbaren Heiz- und Kühldecke sowie großen Doppelfenstern mit hinterlüfteter Prallscheibe und innenliegendem Sonnenschutz. Durch diese Doppelfenster gelangt bei geöffnetem Innenfester beruhigte Luft in die Büroräume, während der Zwischenraum bei geschlossenem Fenster als sommerlicher und winterlicher Klimapuffer dient. Zusammen mit den gut gedämmten Außenwänden erreicht der nach dem Südtiroler KlimaHaus-A-Standard errichtete Neubau einen Heizwärmebedarf von lediglich 15 kWh/m²a. Ohne mechanische Lüftungsanlage kommt das Gebäude aufgrund der vielen Sonnenstunden und der hohen sommerlichen Temperaturen im Bozener Talkessel allerdings nicht aus. Das Ziel der Bank, einen Ort der Offenheit und Kommunikation sowohl nach innen als auch nach außen zu schaffen, ist ebenso mühelos gelungen wie die Vorgabe, ein identitätsstiftendes und in sein Umfeld integriertes Gebäude zu realisieren.

Dass der neue Hauptsitz der Volksbank das Interesse der Menschen geweckt hat, zeigen die zahlreichen Berichte in den lokalen Medien und die Zugriffe auf die ausführlich über Planung und Realisierung informierende Website, aber auch die Tatsache, dass die immer wieder angebotenen Hausführungen regen Zulauf verzeichnen. Ein Teil dieses Interesses ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass es im insgesamt eher landwirtschaftlich geprägten Südtirol bislang kaum andere beispielhafte Bürogebäude dieser Größe gibt.

db, So., 2015.10.11



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01. September 2015Roland Pawlitschko
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Edles Dach für edlen Tropfen

Eine feingliedrige Stahlkonstruktion mit zwölf organisch geformten Baumstützen trägt das Ziegeldach des neuen Kellereigebäudes auf dem Weingut Château Margaux. Ebenso ästhetisch überzeugend und mit Liebe zum Detail durchgeplant zeigt sich der darunter liegende Quader, der jene zurückhaltende Noblesse ausstrahlt, die seit Hunderten von Jahren auch die Weine der Kellerei prägt.

Eine feingliedrige Stahlkonstruktion mit zwölf organisch geformten Baumstützen trägt das Ziegeldach des neuen Kellereigebäudes auf dem Weingut Château Margaux. Ebenso ästhetisch überzeugend und mit Liebe zum Detail durchgeplant zeigt sich der darunter liegende Quader, der jene zurückhaltende Noblesse ausstrahlt, die seit Hunderten von Jahren auch die Weine der Kellerei prägt.

Rund um den kleinen Ort Margaux, 30 km nördlich von Bordeaux mitten im Haut-Médoc, reichen die Weinreben in allen Himmelsrichtungen bis an den Horizont. Unterbrochen wird das grüne Blättermeer lediglich von vereinzelten Waldstücken und prachtvollen alten Châteaus, die von einer lange währenden Weinbautradition zeugen. Das Weingut Château Margaux zählt zu den weltweit renommiertesten und trägt aufgrund der herausragenden Qualität seiner Weine seit 1855 den Titel »Premier Grand Cru Classé«. Wie begehrt selbst die relativ jungen, nach eigenen Angaben aber bisweilen mehr als 100 Jahre lagerfähigen Rotweine sind, zeigt eine im Oktober 2013 für 195 000 Dollar verkaufte 12-Liter-Flasche »Balthazar 2009«.

Die heutige bauliche Form des gut 500 Jahre alten Weinguts entstand um 1815 und blieb seitdem nahezu unverändert: im Wesentlichen prägen das klassizistische Hauptgebäude, die südlich darum herum gruppierten Wirtschaftstrakte sowie die in einem weitläufigen Park situierte Orangerie das Bild. Ergänzt wurde vor 30 Jahren lediglich ein neuer unterirdischer Weinkeller für die Eichenfässer der drei hier erzeugten Rotweine. In den drei Qualitätsabstufungen »Château Margaux«, »Pavillon Rouge du Château Margaux« und »Margaux du Château Margaux« werden jährlich insgesamt 285 000 Flaschen abgefüllt. Weißweine werden im Vergleich hierzu in wesentlich geringerem Umfang erzeugt. ›

Behutsam neustrukturiert

Um das teilweise unter Denkmalschutz stehende Gebäudeensemble und die Weinproduktion besser an die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts anpassen und dadurch die besondere Güte des Weinguts festigen zu können, entschied sich die Eigentümerin, Corinne Mentzelopoulos, im Jahr 2009 für eine umfassende und doch sehr behutsame Neustrukturierung. Persönliche Kontakte führten schließlich zur Direktbeauftragung von Sir Norman Foster, der sich die Konzeption und bauliche Umsetzung eines entsprechenden Masterplans zur eigenen Aufgabe machte – zahlreiche seiner Skizzen, Pläne und Arbeitsmodelle sind nun in einem Besucherbereich zu besichtigen. Ziel war die Renovierung und Modernisierung der eingeschossigen Wirtschaftsgebäude und der Orangerie, aber auch der Umzug der bestehenden Vinothek in einen unterirdischen Neubau. Die mit Abstand wichtigste Baumaßnahme bildete jedoch die Errichtung eines neuen Kellereigebäudes (Nouveau Chai), dem ersten und bislang auch einzigen oberirdischen Neubau seit 200 Jahren. Hier sollte insbesondere die auf mehrere Geländestandorte verteilte Produktion der 12 000 Flaschen Weißwein »Pavillon Blanc du Château Margaux« zusammengeführt werden. Darüber hinaus waren noch ein ebenerdiger Weinkeller, ein Forschungslabor, ein intern genutzter Verkostungsbereich sowie das Büro des Kellermeisters unterzubringen.

So wie Corinne Mentzelopoulos den Kellermeister dazu anhält, durch die perfekte Zusammensetzung der vier separat vinifizierten Rebsorten (Cabernet Sauvignon, Merlot, Petit Verdot und Cabernet Franc) jedes Jahr aufs Neue großartige und lang lagerfähige Rotweine zu komponieren, so erwartete sie von Foster einen Entwurf, der funktional und ästhetisch auch in Jahrzehnten noch Bestand haben würde. Hinzu kam der Wunsch nach einer Architektur, die sich zurückhaltend, aber selbstbewusst in das historische Gebäudeensemble einfügt und sich zugleich flexibel an leicht veränderte Nutzungen anpassen lässt. Weitreichende Umstrukturierungen – wie z. B. die Vervielfachung der Lagerkapazitäten oder gar weitere Ergänzungsbauten – standen dabei zu keinem Zeitpunkt zur Debatte, da sich das Weingut seit jeher nicht für Expansion, sondern eher für die Optimierung des Status quo interessiert.

Markthalle

Dank des einfachen Walmdachs mit farblich unregelmäßiger Deckung aus neuen und gebrauchten Mönch- und Nonnenziegeln und der sorgfältigen Bezugnahme auf die Firsthöhen der Altbauten, harmoniert das direkt neben dem Wirtschaftstrakt als Solitär platzierte neue Kellereigebäude ganz selbstverständlich mit der bestehenden Dachlandschaft. Dennoch wird auf den ersten Blick deutlich, dass es darüber hinaus keinerlei bauliche Verwandtschaften gibt. So ist sofort klar erkennbar, dass das aus großer Entfernung noch eher schwer wirkende Dach nicht auf einem Massivbau ruht, sondern von im Verhältnis absurd schlank aussehenden Baumstützen emporgehoben wird. Je weiter man sich dem Neubau nähert, desto deutlicher wird, dass die Dachflächen kein abgeschlossenes DG umschließen. Vielmehr legen sie sich als dünne Schicht über einen abgeschlossenen Hallenraum, der sich – umgeben von einer Holz-Stahl-Fassade mit darüber liegender Glaswand – wie die Cella eines griechischen Tempels zwischen den im Freien platzierten Baumstützen befindet. In dieser umlaufenden Freifläche werden zur Erntezeit Trauben zwischengelagert, gepresst, gefiltert und der Traubensaft zur Abfüllung in die innenliegenden Edelstahltanks vorbereitet. Dass diese Raumkonfiguration an eine Markthalle erinnert, unter deren Dach sich die Nutzungen frei anordnen lassen, ist kein Zufall: Der Gebäudetypus war eine der Inspirationsquellen für Fosters Entwurf – in Bezug auf Erscheinungsbild und Flexibilität, aber auch hinsichtlich der eleganten Konstruktion.

Wie aus einem Guss

Dass die – unterhalb der Dachuntersicht aus weiß lasierten Sperrholzplatten offen sichtbare – Stahlkonstruktion so grazil erscheint, liegt v. a. daran, dass die im Querschnitt rautenförmigen »Stämme« der zwölf identischen Baumstützen trotz des komplexen Verbindungsknotens vollkommen nahtlos in die I-Profile der jeweils vier »Äste« übergehen. So wirkt der gesamte Stahlbau wie aus einem Guss. Um diesen Effekt zu erreichen, verwendeten die Stahlbauer für die Äste keine herkömmlichen Walzprofile, sondern unterschiedlich große, unterschiedlich dicke und unterschiedlich gebogene Stahlbleche, die nach Vorgabe eines eigens erstellten 3D-Modells passgenau zusammengeschweißt wurden. Die Herausforderung lag dabei keineswegs nur in der Herstellung der einzelnen Formstücke, sondern auch in der Zugänglichkeit und Präzision der Schweißnähte sowie in der Verwendung der je nach Lage und statischen Anforderungen unterschiedlichen Blechdicken. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Innere der Stützen nicht einfach nur hohl, sondern voller aussteifender Stegplatten ist, und dass die Äste – anders als gewöhnliche I-Profile – über zwei Stege und einen in der Mitte liegenden Hohlraum verfügen.

Das Schneiden und Biegen der Bleche erfolgte unter geschützten Bedingungen in einer Werkstatt im tschechischen Pilsen, wo die gesamte Tragkonstruktion – auf dem Kopf liegend – vormontiert, mithilfe von Schablonen geschliffen und nachgefräst, anschließend gespachtelt und dann in Hellbeige deckbeschichtet wurde. Danach zerlegten die Stahlbauer das Ganze in kleinere Segmente, die schließlich per Lastwagen nach Margaux gelangten. Dort wurden die Teile fest verschweißt, die Nahtstellen ausgebessert und die ganze Konstruktion mit einer finalen Farbschicht überzogen – da es keine Brandschutzanforderungen gab, konnte auf unschöne Schutzanstriche verzichtet werden.

Sein statt Schein

Wie bei der Dachkonstruktion so ist auch jedes Detail des Innenraums von großer Sorgfalt geprägt. Im vorderen, nicht klimatisierten Südteil befinden sich jene linear aufgereihten Edelstahltanks, in denen der Traubensaft zur ersten Reifung eingefüllt wird. Von hier führt eine filigrane, geschwungene Edelstahlwendeltreppe nach oben auf einen Gitterrost über den Tanks bzw. auf die Fläche über Forschungslabor und Weinkeller, wo der vorvergorene Traubensaft in Eichenfässern zum Wein reift. Während das EG eher von antiseptischer Sauberkeit und weitgehend geschlossenen Außenwänden geprägt ist, bietet das OG des hinteren Bereichs flächenbündige Einbaumöbel und Böden in warmen Holztönen sowie fantastische Ausblicke auf die umliegenden Weinberge. Hier liegt, direkt unter dreieckigen Oberlichtern, der lichtdurchflutete Verkostungsbereich, in dem die jungen Weine beurteilt und deren spätere Zusammensetzungen festgelegt werden.

So gut sich die nördlich anschließende Terrasse, der sowohl der Park als auch das Hauptgebäude zu Füßen liegen, für rauschend Feste und eindrucksvolle Erinnerungsfotos eignen würde – für Besucher und Publikumsverkehr ist dieser Bereich tabu. Führungen (z. B. durch Weinkeller, Vinothek und auch das EG des neuen Kellereigebäudes) sind zwar grundsätzlich möglich, jedoch nur wochentags, nur in Kleingruppen und nur nach vorheriger Anmeldung. Im Gegensatz zu dem, was die Gäste von vielen anderen Weingütern der Region an Eventkultur und Architekturspektakel rund um das Thema Wein geboten bekommen, ist das Angebot des Château Margaux eher klein – hinzu kommt, dass Wein nicht hier, sondern ausschließlich bei ausgesuchten Weinhändlern gekauft werden kann. Der extravagant auf das Wesentliche reduzierte und dezidiert zeitgenössische Neubau fügt sich vielleicht gerade deshalb so gut in das historische Gebäudeensemble ein, weil er nichts anderes darstellen muss, als das, worum es hier im innersten Kern geht: die Fortsetzung einer von großer Sorgfalt und hoher Qualität geprägten Tradition der Weinherstellung.

db, Di., 2015.09.01



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07. Juli 2015Roland Pawlitschko
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Konsequent raus aus dem Alltag

Zwei auf den ersten Blick in Bezug auf Gestaltung und Materialität völlig konträre vorgefertigte (Ferien-) Häuser aus österreichischer und dänischer Produktion...

Zwei auf den ersten Blick in Bezug auf Gestaltung und Materialität völlig konträre vorgefertigte (Ferien-) Häuser aus österreichischer und dänischer Produktion...

Zwei auf den ersten Blick in Bezug auf Gestaltung und Materialität völlig konträre vorgefertigte (Ferien-) Häuser aus österreichischer und dänischer Produktion verfügen bei genauerem Hinsehen über einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten: Beide sind ihrer jeweiligen Grundidee bis ins kleinste Detail treu und könnten daher vielleicht sogar für die gleichen Zielgruppen interessant sein.

Wer als eingefleischter Städter davon träumt, sich für eine bestimmte Zeit aus dem hektischen und lauten Stadtleben auszuklinken, entwickelt nicht selten das Bild von einem Geborgenheit spendenden, am besten weitab jeglicher Zivilisation situierten Refugium: irgendwo mitten auf dem Land, am Meer oder in den Bergen. Oder eben mal hier und mal dort. Für diesen Fall stehen Wohnmobile zur Verfügung, die allerdings entscheidende Nachteile mit sich bringen. Denn entweder sind die mobilen »Wohnungen« zu eng und unbequem – und damit zu weit entfernt von den trotz allem oft bestehenden Komfortwünschen – oder sie sind so groß, dass die gewundenen Pfade zu den wirklichen Traumzielen schlicht nicht zu bewältigen sind.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bieten Ferienhäuser, die sich als vorgefertigte Wohneinheiten an fast jeden Punkt der Erde transportieren und aufbauen, vielleicht sogar eines Tages wieder unbeschadet an beliebige andere Standorte versetzen lassen. Mit Häusern dieser Art beschäftigt sich beispielsweise der Vorarlberger Architekt und gelernte Zimmermann Johannes Kaufmann. Bereits 1998 entwickelte er zusammen mit seinem Cousin Oskar Leo Kaufmann unter dem Namen Su-Si ein komplett in Holz-Leichtbauweise vorgefertigtes, eingeschossiges Modulhaus mit standardmäßig 43 m² Wohnnutzfläche, das bis heute innerhalb weniger Wochen schlüsselfertig lieferbar ist.

Als es anlässlich der Bregenzerwälder Handwerksausstellung 2014 in Bezau darum ging, dieses bereits rund 50 mal innerhalb und außerhalb Österreichs realisierte Modulhaus weiterzuentwickeln, präsentierten Johannes Kaufmann und die Zimmerei Michael Kaufmann den Prototyp eines 90 m² großen zweigeschossigen Doppelhauses in Holz-Modulbauweise. Erstmals unter realen Bedingungen errichtet wurde das »Tinn« genannte Projekt Ende 2014 im Vorarlberger Ort Mellau. Im Gegensatz zu Su-Si bestehen die beiden als Ferienhaus genutzten Wohneinheiten für sechs bzw. acht Gäste nicht aus je einem ganzen Modul, sondern aus zwei mal vier »Boxen«. Jeweils zwei Boxen sind dabei übereinander gestapelt und über eine mittige Treppe verknüpft. Die beiden unteren Boxen enthalten einen Wohnbereich bzw. die Küche, die Gästetoilette und den Haustechnikraum, während sich im OG das Bad und ein weiterer Wohnbereich mit Schlafsofa bzw. zwei Schlafzimmern befinden.

Perfektionierte Vorfertigung

Die Boxen eines Hauses wurden in der Zimmerei komplett mit fertigen Oberflächen, Fenstern, Türen, Betten, Schränken, Tischen, Installationen (einschließlich Luftwärmepumpe für Heizung und Warmwasser), LED-Leuchten, Küchen- und Badeinrichtung hergestellt, mit dem Lastwagen angeliefert und paarweise übereinander im Abstand von ca. 1 m zueinander auf einer betonierten Bodenplatte aufgesetzt. Nachdem die vorgefertigte Holztreppe vor Ort in diese überdimensionale Fuge eingebaut und die Seiten mit einer Eingangs- und drei bodengleichen Fenstertüren geschlossen waren, erfolgte der Aufbau eines von Holz-Fachwerkbindern getragenen Satteldachs (dieses entspricht den lokalen Bauvorgaben, ein Flachdach wäre prinzipiell ebenso möglich). Beide Häuser erhielten außerdem einen ost- bzw. südorientierten »Schopf« – einen zweigeschossig vorgelagerten Außenbereich, der als witterungsgeschützter Eingangsbereich und Loggia dient, zugleich aber auch Platz für einen abschließbaren Stauraum im EG und eine Sauna im OG bietet. Erst ganz zum Schluss wurden auf den wärmegedämmten und mit einer schützenden Schalung versehenen Modulen die gebäudehohen Fertigteilelemente der Holzfassade montiert. Das Satteldach und die vereinheitlichende Holzfassade tragen heute maßgeblich dazu bei, dass das Doppelhaus von außen nicht als Modulbau zu erkennen ist. Das kann, muss man aber nicht bedauern, denn worauf es hier ankommt, ist nicht ein vordergründiges Schaulaufen modulbautypischer Ästhetik im dörflichen Kontext, sondern der Wille der Planer, die Bauprozesse in der Vorfertigung voranzutreiben.

Die zahlreichen, nach Anlieferung der Module auf der Baustelle nötigen Arbeitsschritte machen deutlich, dass es bei den Häusern nicht um eine neue Art des mobilen Wohnens oder des Wohnens auf Reisen geht. Die Demontage und der spätere Wiederaufbau an anderen Standorten wäre dennoch relativ einfach – beispielsweise, weil sämtliche Verbindungen zwischen den Modulen reversibel sind, und weil alle Wasser-, Heizungs- und Elektroleitungen so konzipiert sind, dass sie im leicht zugänglichen Bereich der mittigen Fuge bzw. im Bereich der Geschossdecken zerstörungsfrei getrennt und wieder neu gefügt werden können.

Ökologisch und gesellschaftlich verantwortungsvoll

Architekt und Zimmerei haben die Qualität solcher Details, aber auch die Bezugsfertigkeit dieses Hauses nur sechs Wochen nach Bestellung nicht zuletzt durch zahlreiche gemeinsame Modulbauprojekte – z. B. Hotels oder Sozialzentren – technisch-konstruktiv perfektioniert. Ein neuer Aspekt bei Tinn' ist jedoch das Ziel, ein hinsichtlich des gesamten Lebenszyklus und der Wertschöpfungskette durch und durch nachhaltiges Haus zu entwickeln. Hinzu kam der Wunsch, auch in der Modulbauweise einen Weg zurück zum strukturell-tektonischen Bauen zu finden. Daher verwendete Kaufmann keine flächigen Elemente wie etwa verleimte Brettschichthölzer (die die Zimmerei hätte zukaufen müssen), sondern einfache Balken und Bretter aus Fichten- und Eschenholz, die problemlos selbst hergestellt und bearbeitet werden konnten – hochwertige Hölzer kamen bei sichtbaren Oberflächen zum Einsatz, weniger hochwertige Hölzer im nicht sichtbaren Bereich, z. B. bei Schalungen oder Wandkonstruktionen. Die positiven Folgen: Verwendung ausschließlich typischer Bregenzerwälder Holzarten, kurze Transportwege, Sicherung der regionalen Arbeitsplätze und des sozialen Arbeitsplatzumfelds, nahezu kein Einsatz von Leim oder von Folien in Wandaufbauten im Sinne des einfachen Recyclings am Ende des Lebenszyklus.

Dass Tinn' keine Lösung für umtriebige Stadtnomaden ist, die sich mit ihrem Refugium bald hier und bald dort niederlassen wollen, zeigt sich nicht zuletzt am Preis. Fast 400 000 Euro müssen Bauherren für ein frei stehendes Haus mit vier Standardmodulen, Satteldach und Schopf investieren – zuzüglich Hausanschlüsse, Betonfundament und Außenanlagen. Dafür bietet sich aber eine Vielzahl an individuellen Variationsmöglichkeiten. So sind dreigeschossige Häuser (egal, ob frei stehend oder als Reihenhauszeile), Unterkellerungen, Sonderabmessungen bis ca. 5 m Breite je Modul (dem zulässigen Maß für Straßentransporte), aber auch an persönliche Bedürfnisse angepasste Modulgrundrisse oder Möblierungen möglich. Kommen die finanziellen Vorteile der Vorfertigung und die gesamte Flexibilität dieses Systems bei Errichtung eines einzelnen Hauses leider kaum zum Tragen, ließen sich enorme Vorteile erzielen, wenn z. B. für eine Wohnsiedlung gleichzeitig mehrere ähnliche Einheiten bestellt würden. Und bei einem Feriendorf wäre schließlich auch der Zeitfaktor wesentlich, weil es hier eine große Rolle spielt, ob sich durch die Holz-Modulbauweise gegenüber gewöhnlichen Holz-Leichtbauten einige Wochen Bauzeit einsparen lassen, um die Häuser z. B. in der tourismusarmen Zwischensaison zu errichten.


»What you see is what you get«

Gar keinen Spielraum lässt das 55 m² große, ebenfalls vorgefertigte Ferienhaus »Vipp Shelter«, angeboten von Vipp, einem dänischen Hersteller für High-End-Küchen- und Bad-Produkte. Bei diesem u. a. als »Premium Experience« vermarkteten Domizil für maximal vier Personen können weder die Größe noch die im fixen Kaufpreis von 485 000 Euro enthaltene Komplettausstattung (von der Möblierung bis hin zur Bettwäsche und zu Messer und Gabel) verändert werden. Dafür bekommen die Käufer sechs Monate nach Bestellung ein feinsinnig gestaltetes »Design-Produkt«, bei dem eigentlich nur die Frage offen bleibt, wohin es von den firmeneigenen Spezialisten geliefert und innerhalb von wenigen Tagen aufgebaut und eingerichtet werden soll – und ob dort der Anschluss an Wasser, Abwasser, Strom, Gas (je nachdem, was der Käufer haben will) möglich ist.

Von außen erinnert das Musterhaus an ein am Ufer eines einsamen Sees geparktes U-Boot, bei dem die Seitenwände durch riesige Panoramaglasscheiben ersetzt wurden. Dieser Eindruck entsteht insbesondere wegen der sich nach oben verjüngenden Dachaufbauten mit Haltestangen und Sprossenleitern aus Stahl sowie wegen der dunkelgrau gestrichenen Aluminiumzinkbleche, die sichtbar mit der darunter verborgenen Stahlrahmenkonstruktion verschraubt sind. Einer der beiden äußerlich identischen Aufbauten beherbergt das 6 m² große, mittels Leiter erreichbare, »Schlaf-Loft« für zwei Personen, das dank großflächiger Dachverglasung den Blick zum Himmel freigibt, während der andere »U-Boot-Turm« als Luftraum über dem Küchenbereich zur optischen Vergrößerung des 40 m² großen Wohnbereichs beiträgt.

Ein polierter Magnesiaestrich, mit weichem Filz bekleidete Wände, große Glasschiebetüren und einheitlich dunkelgraue Oberflächen erinnern an die Wohnungen designbewusster Städter und verkörpern jenen Minimalismus, der auch die Produktpalette von Vipp kennzeichnet. Vor diesem Hintergrund erscheint die Umgebung dann allerdings auch eher als dekorative Kulisse denn als echter Naturraum. Dieses Abgehobensein widerspiegelt nicht zuletzt auch die Tatsache, dass das Ferienhaus – punktuell nur über neun Stahlfüße mit dem Boden verknüpft – über dem Boden zu schweben scheint.

Beide Häuser lassen sich nach ihrer Vorfertigung innerhalb kürzester Zeit aufstellen und beziehen und sind grundsätzlich versetzbar. Beide bieten ihren Bewohnern einen außergewöhnlichen Bezug zur Umgebung. V. a. aber sind beide auf ihre Art mit sehr hohen gestalterischen Ansprüchen und größtmöglicher Konsequenz konzipiert und hergestellt – das eine eher als geerdete Symbiose mit der Umwelt, das andere eher als eleganter Außenposten der Großstadtwelt. Da es sich bei beiden nicht gerade um Schnäppchen handelt, ist wohl nicht damit zu rechnen, dass Passanten in naher Zukunft in der Wildnis zufällig auf eines der beiden Projekte stoßen. Doch vielleicht liegt ja gerade darin auch der Reiz dieser Ferienhäuser.

db, Di., 2015.07.07



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03. Mai 2015Roland Pawlitschko
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Kultur par excellence

Zunächst überwog die Skepsis gegenüber dem Neubau, heute ist das neue Kulturzentrum in Plaisance du Touch bei Toulouse kaum mehr aus dem Alltag der Menschen wegzudenken. Für diesen Wandel verantwortlich ist die Fähigkeit der Architekten, sich voll und ganz auf eine besondere Bauaufgabe und die damit verbundenen Rahmenbedingungen einzulassen.

Zunächst überwog die Skepsis gegenüber dem Neubau, heute ist das neue Kulturzentrum in Plaisance du Touch bei Toulouse kaum mehr aus dem Alltag der Menschen wegzudenken. Für diesen Wandel verantwortlich ist die Fähigkeit der Architekten, sich voll und ganz auf eine besondere Bauaufgabe und die damit verbundenen Rahmenbedingungen einzulassen.

Es ist nicht so, dass es hier keinen Kontext gegeben hätte. Unmittelbar südlich des neuen Kulturzentrums »Espace Monestié« in Plaisance du Touch liegt ein Kindergarten und eine Grundschule, westlich befinden sich vereinzelte Geschosswohnungsbauten, im Norden dominieren ein Autohaus und andere gesichtslose Gewerbebauten das Bild, während das weitläufige Gelände einer heilpädagogischen Einrichtung im Osten Therapieplätze für Kinder und Jugendliche bietet. Hinzu kommt das in den 80er Jahren errichtete Gebäudekonglomerat aus Kino, Jugendhaus und Sporthalle, das es nun im Rahmen des von der Gemeinde ausgelobten Architektenwettbewerbs zu renovieren und erheblich zu erweitern galt.

Mit zwei zusätzlichen Kinosälen, drei multifunktional nutzbaren Hallen (neue Sporthalle, Theater- bzw. Festsaal), einem Restaurant sowie Sitzungs-, Proben- und Nebenräumen sollte dieses Projekt den Menschen vor Ort ein kulturelles Leben bieten, das nicht zwangsläufig mit einer Fahrt ins 15 km entfernte Toulouse verbunden ist. Angesichts der Tatsache, dass sich die Einwohnerzahl der Gemeinde in den letzten 30 Jahren auf heute gut 16 000 fast vervierfacht hat, erscheint dieses Ziel mehr als plausibel. Dass es am Ende erfolgreich umgesetzt werden konnte (heute kommen Veranstaltunggäste auch aus Toulouse und dem Umland angereist!), hat nicht zuletzt damit zu tun, dass man im Rathaus bereit war, die für hiesige Verhältnisse enorme Summe von fast 5,5 Mio. Euro bereitzustellen – für die Umsetzung eines Wettbewerbsentwurfs, der keineswegs sofort die Herzen aller Gemeinderatsmitglieder und der Bevölkerung eroberte.

Sozialer Kontext

Den siegreichen Architekten des Büros PPA architectures aus Toulouse war von Anfang an klar, dass das heterogene Umfeld des bestehenden »kleinen« Kulturzentrums, aber auch der belanglose Bau selbst, kaum Anknüpfungspunkte bieten würden. Ebenso wenig kam aber auch eine Bauskulptur à la Bilbao infrage. Erstens wäre das Budget hierfür ohnehin zu klein gewesen. Zweitens hätte es wohl kaum dem Charakter einer Gemeinde entsprochen, die kein erkennbares Zentrum besitzt und v. a. von ausufernden Wohngebieten geprägt ist. Und drittens hätte eine solche Lösung den expliziten Wunsch des Bauherrn ignoriert, einen kleinmaßstäblichen generationenübergreifenden Ort für alle Bevölkerungsschichten zu schaffen. Diesen Anspruch erfüllte ansatzweise schon das Bestandsgebäude – z. B. durch das selbstverständliche Nebeneinander des »Point Jeune« für Kinder und Jugendliche von 11 bis 18 Jahren, einer von Vereinen und der benachbarten Grundschule genutzten Sporthalle sowie eines Einsaalkinos, das mit 70 000 verkauften Tickets jährlich zu den bestbesuchten in ganz Frankreich zählte.

Dass der Architektenentwurf nicht etwa mit Materialien, Baufluchten oder gar einer Formensprache auf den architektonisch-städtebaulichen Kontext einging, ließ anfänglich viele Menschen in Plaisance du Touch zweifeln. Als sich dann während der Bauzeit, die mit 18 Monaten zwischen Wettbewerb und Eröffnung extrem kurz ausfiel, immer deutlicher die weitgehend geschlossenen und mit glänzendem Wellaluminium bekleideten Fassaden abzeichneten, machte schnell der Begriff »Konservendose« die Runde. Einen ersten Anhaltspunkt für die intensive Auseinandersetzung der Architekten mit dem sozialen Kontext bot die sorgfältige Bauphasenplanung, durch die die bestehenden Einrichtungen fast während der gesamten Bauzeit insgesamt nur wenige Wochen geschlossen werden mussten.

Unkonventionell

Der vor diesem Hintergrund sicherlich wichtigste Bereich des heutigen »Espace Monestié« ist die große Freifläche zwischen den beiden Baukörpern, die sich zum westlichen Großparkplatz und zur nördlich vorbeiführenden Route Nationale öffnet, und so selbst eiligen Autofahrern erste Einblicke in die dort stattfindenden Aktivitäten ermöglicht. Der südliche Teil dieser Fläche hebt sich vom Rest durch schachbrettartig verlegtes helles und dunkles Kopfsteinpflaster sowie eine weitspannende Überdachung ab, wodurch ein zentraler Platz entsteht, von dem aus sämtliche Nutzungsbereiche erschlossen sind. Die sheddachartige Stahlkonstruktion mit transluzenter Kunststoffdeckung bietet Schutz vor Sonne und Regen, und sorgt durch die unbekleideten vertikalen Flächen für eine gute Luftzirkulation an heißen Sommertagen. Für das Kulturzentrum steht sie bildhaft für die unter einem Dach zusammenkommenden Menschen, zugleich dient sie aber auch als sämtliche Nutzungen verbindendes Freiluftfoyer. Dadurch konnten wertvolle umbaute Flächen eingespart werden, die entweder die Baukosten nach oben getrieben oder die letztlich realisierten Flächen verkleinert hätten.

Unkonventionelle Ideen wie diese zeigen das ehrliche Interesse der Architekten, Räume zu schaffen, die das soziale Umfeld der Menschen bereichern. Entsprechend sind es v. a. die gut durchdachten und kostengünstigen Lösungen, die – nicht ohne architektonisch-gestalterischen Anspruch – das Projekt prägen. Ein weiteres gutes Beispiel hierfür ist die Aluminiumfassade, hinter der sich eine banale Lagerhalle befinden könnte, gäbe es nicht jene kompositorische Klarheit im Zusammenspiel der Baukörper und jenen erst auf den zweiten Blick erkennbaren Wechsel aus geschlossenen und gelochten Blechen. Oder jenen eigenwilligen, von einem befreundeten Künstler einfach direkt auf die Nordfassade gemalten Schriftzug »Espace Monestié«. Oder jene Raumbezeichnungen über den Zugangstüren der Nutzungsbereiche, die den Menschen auf dem zentralen Platz auf wirkungsvoll plakative Weise zeigen, wo sich was befindet – und gleichzeitig den Charme eines Dorfplatzes versprühen, an dem üblicherweise einfache Schilder diese Aufgabe übernehmen.

Aus Alt und Neu

Mit der standardmäßigen (und damit kostengünstigen) vereinheitlichenden Blechfassade gelang es den Architekten, Alt und Neu zu einem gleichförmigen Ensemble zu verschmelzen. Der Altbau blieb dabei bis auf kleinere Umbauten weitgehend unverändert – beispielsweise wurde das Jugendhaus um zusätzliche Räume und einen Patio im OG ergänzt, während die Sporthalle vergrößerte Seitenfenster sowie neue Geräteräume erhielt (in Verlängerung der die gesamte Ostfassade entlang laufenden Nebenraumzone). Hinter der Metallhaut des Erweiterungsbaus befinden sich unspektakuläre, in erster Linie funktionale Räume, die allesamt den gleichen konstruktiven Prinzipien und der gleichen einfachen, aber klaren Architektursprache gehorchen. Egal, ob Restaurant, Sitzungsraum, Festsaal oder Kino – überall prägen naturbelassene Sperrholzplatten, ein heller kunstharzbeschichteter Betonboden und eine unbekleidete Stahl-Dachkonstruktion das Bild. Eine Ausnahme bietet allein der Theatersaal, der nicht nur über eine zusammenfaltbare Zuschauertribüne, sondern aufgrund erhöhter akustischer Anforderungen auch über besonders gut schallgedämmte Innenwände und Türen verfügt. Brandschutzthemen spielen weder in den Innenräumen noch unter der Platzüberdachung eine besondere Rolle, weil die Fluchtwege fast überall direkt aus dem EG ins Freie führen, und weil die unbekleidete Stahlkonstruktion kein Gefahrenpotenzial für heimtückische Schwelbrände bietet.

Spielbares Instrument

Weil sie das Kulturzentrum so konzipiert haben, dass es wie ein Musikinstrument gespielt werden kann, ist es PPA architectures gelungen, das anfängliche Unwohlsein der Menschen in Plaisance du Touch zu überwinden. Wesentlich hierfür war nicht zuletzt die maßgeschneiderte Funktionalität des Gebäudes, die in großen Teilen gar nicht Bestandteil der Auslobung war, sondern aus der im Vorfeld und während der Realisierungsphase erfolgten intensiven Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Bauherren, Nutzer und Betreiber resultierte. So war die Zusammenschaltbarkeit aller großen Säle zu einer rund 2 000 m² großen Halle (dort finden heute Messen, Bälle oder Flohmärkte statt) ebenso wenig gefordert wie der große Platz oder die Möglichkeit, auf dem niedrigen Dach über der Restaurantküche DJs für Open Air Clubbings oder Projektoren für ein Freiluftkino platzieren zu können. Gerade aber solche fast kostenneutralen Details haben dazu geführt, dass das neue Kulturzentrum seit seiner Eröffnung im Herbst 2013 nicht mehr als Konservendose wahrgenommen wird, sondern als selbstverständlich genutzter Ort, den jeder auf ganz individuelle Weise zu »seinem« Ort gemacht hat. Dies zeigt auch ein Bauamtschef, der nach der Wettbewerbsentscheidung zwar optimistisch, aber auch skeptisch war, und Besucher heute jedoch mit großem Stolz durch die Räume führt. Es sind aber auch Kleinigkeiten wie diese: Bis heute gibt es keinerlei Farbschmierereien, eingedellte Bleche oder andere Arten von Vandalismus. Und auch die Befürchtungen der örtlichen Ordnungshüter, dass Rowdys ohne absperrende Poller mit dem Auto auf dem Platz herumfahren würden, haben sich dank der großen allgemeinen Wertschätzung gegenüber diesem Gebäude als vollkommen unbegründet erwiesen.

db, So., 2015.05.03



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db 2015|05 Feiern und zusammenkommen

31. März 2015Roland Pawlitschko
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Parkdeck in Deggendorf

Parkhäuser zählen zumeist nicht zu den architektonisch herausragenden Bauwerken. Eine Ausnahme bildet das Parkdeck auf dem Gelände der bayerischen Landesgartenschau 2014, das zusammen mit dem Hochwasserschutzdeich eine räumliche Einheit bildet und nicht nur 437 Stellplätze, sondern auf seinem Dach auch reichlich Flächen zur Erweiterung des Grünraums am Donauufer bietet. Als gelungene Mischung aus Zweckbau und Landschaftselement erscheint es als sorgsam in sein Umfeld eingebettetes Baukunstwerk.

Parkhäuser zählen zumeist nicht zu den architektonisch herausragenden Bauwerken. Eine Ausnahme bildet das Parkdeck auf dem Gelände der bayerischen Landesgartenschau 2014, das zusammen mit dem Hochwasserschutzdeich eine räumliche Einheit bildet und nicht nur 437 Stellplätze, sondern auf seinem Dach auch reichlich Flächen zur Erweiterung des Grünraums am Donauufer bietet. Als gelungene Mischung aus Zweckbau und Landschaftselement erscheint es als sorgsam in sein Umfeld eingebettetes Baukunstwerk.

Obwohl das 345 m lange Parkdeck nur wenige Meter von der Donau entfernt liegt und es zudem eine viel befahrene Autobahnbrücke unterquert, ist es weder von da noch von dort als solches zu erkennen. Zum einen schmiegt es sich an die Rückseite eines Deichs, der die Deggendorfer Festwiese und die nahe gelegene Altstadt des niederbayerischen Orts vor Hochwasser schützt. Zum anderen verbirgt es sich unter den sogenannten Deichgärten, die 2014 zu den wichtigsten Attraktionen der hier veranstalteten Landesgartenschau zählten. Tatsächlich zu sehen ist das 10 000 m² große Bauwerk allein von der Nordseite. Doch auch hier erscheint das Parkdeck nicht als solches, sondern in Form einer psychedelischen, grün-gelb-weißen Struktur aus sich überlagernden Aluminiumstäben, die eine Wellenbewegung formen. Nicht obwohl, sondern gerade weil sich das Parkdeck nicht als ein tektonisch gegliedertes Gebäude zu erkennen gibt (das es in diesem ungewöhnlichen Kontext nie hätte sein können), handelt es sich hierbei um ein bemerkenswertes Stück Architektur.

Dessen Geschichte beginnt mit einem interdisziplinären Ideen- und Realisierungswettbewerb, zu dem neben einem Ausstellungs- und Nachnutzungskonzept für die Landesgartenschau Deggendorf 2014 auch die Errichtung einer Parkierungsanlage sowie einer Fuß- und Radwegebrücke über die Donau gehörte. Nicht zuletzt wegen dieser beiden Bauwerke war gemäß Auslobung die Bildung von Arbeitsgemeinschaften zwingend vorgeschrieben – die am Ende siegreichen Planer von k1 Landschaftsarchitekten kooperierten mit dem Architekturbüro raumzeit und den Bauingenieuren von StudioC Berlin (realisiert wurden die Projekte dann mit Fritsche Ingenieure). Im Rahmen dieser Zusammenarbeit entwickelten die Architekten sowohl eine als weitmaschiges Stahlfachwerk auf bestehenden Pfeilern konzipierte Fuß- und Radwegbrücke über die Donau als auch das Parkdeck.

Nah am Wasser gebaut

Mit der Bebauung der bisher als offener Parkplatz genutzten Fläche an der Deichrückseite verfolgte die Stadt Deggendorf v. a. zwei Ziele: Einerseits sollten auf der fließend in die Deichkrone übergehenden Dachfläche der Garage jene Deichgärten entstehen, die den zur Donau orientierten Grünraum vergrößern, andererseits waren die hier während der Landesgartenschau unvermeidlichen Automassen aus dem Blickfeld der Besucher zu rücken und der Hintergrund für eine ansehnliche Haupteingangssituation zu schaffen. Die vom Planerteam zunächst diskutierte Lösung eines zweigeschossigen, zur Hälfte in der Erde versenkten Parkhauses wurde rasch verworfen, weil sich dessen Gründung als zu kostspielig erwies: Aufgrund des bei Hochwasser hinter dem Deich durch die Auelehmschicht nach oben durchbrechenden Wassers wären nicht nur eine wasserundurchlässige Betonwanne, sondern wegen der Auftriebsgefahr auch eine aufwendige Rückverankerung notwendig geworden. Alternativ hierzu entstand die schließlich realisierte Lösung eines ebenerdigen, lang gestreckten Parkdecks in Betonskelettbauweise, das sich vom benachbarten Gelände der Technischen Hochschule im Osten – unter der Autobahnbrücke hindurch – bis hin zu einem bestehenden Gewerbebau im Westen erstreckt.

Unter Verzicht auf eine auftriebsgefährdete Bodenplatte erfolgte die punkt- bzw. linienförmige Gründung von Stützen und Wänden im »CSV-Verfahren«. Diese Technik der Bodenstabilisierung basiert darauf, dass in kleinen Abständen eine trockene Zement-Sand-Mischung in den Untergrund eingebracht wird, die durch die Bodenfeuchtigkeit zu unbewehrten, sogenannten Verdrängungssäulen aushärtet. Das vorhandene Erdreich wird bei diesen Vorgängen zur Seite und nach unten verdrängt und verdichtet. Von unten hochdrückendes Wasser wird in zahlreichen, unter dem Asphaltfahrbahnbelag verlegten Rigolen gesammelt und abgeleitet.

Ein unfreiwilliger, aber erfolgreich bestandener »Test« dieser Bauweise fand Mitte 2013 statt, als Deggendorf die verheerendste Flutkatastrophe seiner Geschichte erlebte. Im Parkdeck war vom höchsten Hochwasser aller Zeiten, das auf der Flussseite gegen den Deich drückte, nichts zu sehen oder spüren – vielmehr diente das Deck als witterungsgeschützte Verteilstelle für Hilfsgüter.

Ästhetik und Ökonomie in Beton

Wer das Parkdeck nutzt, merkt beim Aussteigen aus dem Auto sofort, dass dieses Infrastrukturbauwerk mit effizientem Kreisverkehrsystem und zweihüftig angeordneten Stellplätzen zwar wirtschaftlichen Kriterien gehorcht, zugleich aber auch über besondere räumlich-gestalterische Qualitäten verfügt. Trotz der Deichgärten, die durch Pflanz- und Verkehrsflächen zu einer hohen rechnerischen Flächenlast von rund 18 kN/m² führen, wirkt der »Innenraum« nicht bedrückend. Das liegt, erstens, an einer präzise geplanten Skelettkonstruktion aus Ortbetonstützen, auf denen (verknüpft mittels bündiger Beton-Vergussknoten und mit einheitlichen Unterkanten) vorgefertigte Betonunterzüge und p-Betondeckenplatten ruhen. Zweitens ist das Parkdeck nicht nur über die Nordfassade, sondern auch mit einem gitterrostbedeckten, die gesamte südliche Rückwand entlanglaufenden Oberlicht mit der Außenwelt verbunden – in diesem Streifen befinden sich auch insgesamt fünf Treppen, die die Besucher direkt nach oben in die Deichgärten führen. Dank dieses Gebäudequerschnitts ist es im Innern des Parkdecks so hell, dass untertags mitunter auf Kunstlicht verzichtet werden kann, während die natürliche Querlüftung für eine optimale Frischluftzufuhr sorgt. Die Folge sind geringe Technik- und Unterhaltskosten sowie eine trotz der Lage am Deich angenehm offene Raumatmosphäre – 2014 haben hiervon die Gäste der Landesgartenschau profitiert, heute sind es v. a. Spaziergänger, Besucher von Veranstaltungen auf dem Festplatz sowie Lehrkräfte und Studenten der benachbarten Hochschule, die ihr Auto hier abstellen.

Land Art statt Fassade

Den Status eines unverwechselbaren Schmuckstücks erreicht das Parkdeck freilich erst durch die insgesamt rund 2 000 Aluminiumstäbe, die die 437 Stellplätze vom nördlichen Außenraum trennen. Weil dieses Parkdeck kein gewöhnliches Gebäude ist, aber auch, weil es um die Gestaltung einer sehr eigentümlich proportionierten Fläche (Verhältnis Länge/Breite: 70/1) ging, konnten sich die Architekten hier keine »normale« Fassade vorstellen. Stattdessen entwickelten sie eine Struktur aus weißen, gelben, hell- und dunkelgrün pulverbeschichteten Aluminiumhohlprofilen, die sich in vier hintereinander gestaffelten Ebenen so verschränken, dass ein sich wiederholendes Muster aus rautenförmigen Öffnungen entsteht. Diese raumhaltige Schichtung präsentiert sich je nach Perspektive auf völlig unterschiedliche Art und Weise: Wer den Fußweg unmittelbar am Parkdeck entlanggeht, nimmt v. a. die äußeren dunkelgrünen Stäbe wahr, die sich im flachen Blickwinkel zu einer Fläche zusammenziehen. Erst wer die Struktur aus größerer Entfernung betrachtet, erkennt das übergeordnete Wellenmuster, das selbst bei genauerem Hinsehen Rätsel aufgibt. Schließlich scheinen die vier Stabscharen stets parallel zu stehen.

Tatsächlich entsteht die Wellenform durch minimale Verschiebungen der oberen und unteren Befestigungspunkte, was von einem Stab zum nächsten zu geringfügig abweichenden Winkeln führt. Konstruktiv war dies relativ einfach zu lösen: mit ausschließlich geraden Stäben, die sich mit dem immer gleichen Detail in einfachen Stahlschienen befestigen ließen. Um jedoch zuvor die richtigen Stabzuschnitte und Löcher an den Befestigungsprofilen definieren zu können, entwickelten die Architekten eigens ein Computerprogramm, das bei Veränderungen des Entwurfs ein unkompliziertes Variieren und Nachführen aller Stäbe ermöglichte, und mit dem sich unkompliziert zugleich auch die Montageplanung erstellen ließ. Letztlich entstand auf diese Weise nicht nur eine relativ kostengünstige Art, die hier geparkten Autos auszublenden, sondern auch ein bemerkenswertes Land Art-Objekt, das eine notwendige Parkierungsanlage zum anmutigen Vermittler zwischen der nördlichen Erschließungs- und Festplatzfläche und der südlichen Donaulandschaft werden lässt. Von diesem Fingerspitzengefühl der Architekten dürfen sich die Planer der leider zumeist seelenlosen Parkdecks dieser Welt gern eine Scheibe abschneiden.

db, Di., 2015.03.31



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db 2015|04 An und auf dem Wasser

01. März 2015Roland Pawlitschko
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Eine Ode ans Handwerk

Der neue Lehrsaaltrakt der Musikinstrumentenbauschule zeigt mit seinen markanten Putzfassaden deutlich Präsenz und bezieht sich dabei gleichzeitig auf die lokale Bautradition. Insgesamt 145 Schülern der Fachbereiche Geigenbau, Zupfinstrumentenbau, Holz- und Metallblasinstrumentenbau bietet er jene Funktionalität und Atmosphäre der Geborgenheit, die sie zum Erlernen ihres traditionsreichen Handwerks benötigen.

Der neue Lehrsaaltrakt der Musikinstrumentenbauschule zeigt mit seinen markanten Putzfassaden deutlich Präsenz und bezieht sich dabei gleichzeitig auf die lokale Bautradition. Insgesamt 145 Schülern der Fachbereiche Geigenbau, Zupfinstrumentenbau, Holz- und Metallblasinstrumentenbau bietet er jene Funktionalität und Atmosphäre der Geborgenheit, die sie zum Erlernen ihres traditionsreichen Handwerks benötigen.

Schwer zu sagen, ob Mittenwald heute über Südbayern hinaus bekannt wäre, wenn es den Geigenbauer Matthias Klotz nicht gegeben hätte. Mit seiner hier um 1680 eröffneten Werkstatt gilt er als Begründer einer Geigenbautradition, deren Meisterschaft mit kaum einer anderen in Deutschland vergleichbar ist. Weshalb er sich nach seiner Ausbildung bei italienischen Lehrern gerade hier niederließ, liegt sicherlich an den guten Absatzmöglichkeiten entlang der durch den Ort führenden Handelsstraße, die Augsburg und Bozen verband, insbesondere aber an den Bergwäldern des Karwendel- und Wettersteingebirges. Die auf den kargen Böden langsam und gleichmäßig wachsenden Bäume lieferten nämlich schon damals nicht nur hochwertiges Bau- und Möbelholz, sondern auch ganz besondere Tonhölzer – v. a. Fichte und Bergahorn –, wie sie für den Geigenbau unerlässlich sind.

Trotz der großen Bedeutung, die der Rohstoff Holz für den Ort bis heute zweifellos hat, entschied sich das im Wettbewerb zur Erweiterung der Mittenwalder Geigenbauschule einstimmig zum Sieger gekürte Büro abp architekten für Putzfassaden. Zum einen, weil Putzfassaden für fast alle historischen und neueren Häuser Mittenwalds prägend sind, zum anderen, weil sie den neuen Lehrsaaltrakt mit Mensa möglichst selbstverständlich in den Kontext der bestehenden Schulgebäude integrieren wollten – sowohl die einfachen Nachkriegsbauten als auch das im Zuge des Wettbewerbs von den Architekten liebevoll restaurierte ehemalige Forstamt von 1910 verfügen über Putzfassaden.

Brückenschlag

Die 1858 gegründete Geigenbauschule hatte zum Zeitpunkt der Wettbewerbsauslobung bereits einen Komplettumzug und zahlreiche Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen am aktuellen Standort nördlich des Ortszentrums hinter sich. In den 70er Jahren waren außerdem neue Fachbereiche hinzugekommen, sodass die staatliche »Berufsfachschule für Musikinstrumentenbau Mittenwald« neben dem Geigenbau inzwischen auch Ausbildungen zum Bau von Zupfinstrumenten, Holz- und Metallblasinstrumenten anbot. Das Gelände der aus allen Nähten platzenden Schule verfügte zwar über keinerlei eigene räumliche Ressourcen mehr, erhielt aber die einmalige Chance, das weitgehend unbebaute Grundstück und das schmucke Gebäude des unmittelbar benachbarten ehemaligen Forstamts mit in den Campus einzubeziehen. Mithilfe der Um- bzw. Neubaumaßnahmen konnte die Fläche der Schule nicht nur auf rund 7 000 m² verdoppelt, sondern auch der Lehrbetrieb völlig neu geordnet werden: Das repräsentative Forstamt beherbergt nun die Schulverwaltung und eine Bibliothek; die bisher gemischt genutzten Schulgebäude wurden zum reinen Werkstatttrakt, und im dazwischen liegenden Neubau – der mit beiden Bereichen über gläserne Verbindungsgänge verbunden ist – befinden sich die Lehrsäle für den Theorieunterricht, eine Mensa sowie ein resonanzarmer Raum zur präzisen akustisch-physikalischen Vermessung der neu gebauten Instrumente.

Das Ziel der Architekten, mit dem Neubau eine unaufgeregte, aber unverkennbar zeitgenössische Brücke zwischen allen Bestandsgebäuden zu schlagen, ist unmittelbar nach Betreten des Campus am ehemaligen Forstamt spürbar. So erhebt sich das neue Gebäude aus drei traufseitig aneinandergebauten Baukörpern mit Satteldach weder arrogant über das architektonisch eher belanglose Ensemble aus Nachkriegsgebäuden, noch versucht es mit dem denkmalgeschützten Altbau in Konkurrenz zu treten. Dennoch macht der hinter einem alten Torbogen erkennbare zweigeschossige Neubau mit großflächigen Holzfenstern sofort neugierig. Während der eine Baukörper respektvoll die Bauflucht des Forstamts aufnimmt, schiebt sich ein anderer so weit in den neu entstandenen Innenhof, dass die Besucher unwillkürlich auf den an einer leicht erhöhten Terrasse platzierten Haupteingang zusteuern.

Leiser Kanon

Im Gebäudeinnern bestimmen v. a. drei Materialien das Bild: Mit Bezug auf die beiden älteren Gebäudeteile erhielten auch die Fußböden des EG Solnhofener Platten, während verputzte Wände und Decken einheitlich in zurückhaltendem Hellbeige erscheinen. Eher in den Vordergrund spielen sich dagegen die in dunkel geöltem Eichenholz gehaltenen großflächigen Türumrahmungen und Türnischen der Unterrichtsräume. Der insgesamt eher leise Farb- und Materialkanon bestimmt prinzipiell auch das OG – einziger Unterschied sind die durchgängig schwarzen Linoleumböden und das dunkle Holzparkett des Musiklehrsaals.

Kennzeichnend für die Unterrichtsräume sind ansonsten besonders die großen Schiebefenster aus Lärchenholz, deren innenseitig mit dunklen Farbpigmenten geölte Oberflächen mit den Zimmertüren harmonieren. Sie sorgen einerseits für hervorragende Tageslichtverhältnisse und wunderbare Ausblicke auf die umliegende Bergwelt, andererseits sind sie Teil einer Fassadenkomposition, die im Wesentlichen aus zwei unterschiedlichen Fenstertypen mit oder ohne weiße Putzfaschen besteht. Untergeordnete Räume zeichnen sich in der hellgrauen Putzfassade grundsätzlich durch rahmenlose, unregelmäßig gesetzte Quadratfenster ab, die mit weißen, glatt verputzten Faschen optisch hervorgehoben werden. Im Gegensatz hierzu sorgen die gleichmäßig angeordneten und außen mit einer dunklen Pigmentlasur versehenen Schiebefenster der Unterrichtsräume für warme Farbakzente. Deren breite Holzrahmen sind mit den jeweils seitlichen »Holztaschen«, in die die Fenster beim Öffnen geschoben werden, flächenbündig in die WDVS-Fassade eingebaut. Anstatt die Rahmen allerdings mit umlaufenden Silikonfugen in die Putzfläche einzupassen, entwickelten die Architekten ein elegantes Schattenfugendetail. Möglich wurde diese Lösung mit zurückversetzter und daher nicht sichtbarer Dichtebene durch die Verwendung einer monolithischen Dämmung aus formstabilen Mineralschaumplatten. Diese Platten sind nicht nur ökologisch vorteilhafter als etwa Styropor- oder Polyurethanschäume, sie ermöglichen auch einen zusätzlichen Schallschutz sowie Wandaufbauten aus Materialien mit ähnlichen bauphysikalischen Eigenschaften – Stahlbetonwände, Dämmung und Putz bestehen allesamt aus mineralischen Stoffen.

Lokale Reminiszenzen

Die leider erst bei genauem Hinsehen deutlich erkennbare unregelmäßige Oberflächenstruktur der Putzfassade (Waschlputz) – entstanden durch das Bürsten des noch nicht trockenen Putzes – hätte zwar auch auf jedem anderen WDVS-Fassadensystem aufgebracht werden können, vor dem Hintergrund des dahinter gewählten Wandaufbaus zeugt sie hier allerdings von einer Haltung, die einerseits Bezüge zur regionalen Baukunst sucht und andererseits auf dezente Weise das Handwerkliche in den Vordergrund rückt. Von der Liebe zum Detail erzählt nicht zuletzt auch die Tatsache, dass viele maßgeschneiderte Einbauten, Möbel und Tische, z. B. in der Mensa oder der Bibliothek, aber auch die Schiebefenster nicht industriell, sondern nach Plänen der Architekten von einem ortsansässigen Schreiner gefertigt wurden. Dies erleichterte nicht nur die Entwicklung optimaler Anschlussdetails, sondern stellte sich zudem auch als kostengünstiger heraus. Der handwerklich geprägte Einsatz robuster, natürlicher Materialien ermöglicht einen visuell und funktional langlebigen Neubau, der so zeitlos erscheint wie viele andere Projekte von abp architekten. In diesem Fall wirkt das Konzept v. a. deshalb so überzeugend, weil es klare Parallelen zur Philosophie des Instrumentenbauens aufweist. Geht es Instrumentenbauern im Wesentlichen darum, Holz- und/oder Metallbauteile so zu formen und zu fügen, dass virtuose Musiker damit sinnliche Klangwelten erschaffen können, entwarfen und realisierten die Architekten ein Gebäude, das es den Schülern ermöglicht, sich voll und ganz auf das Erlernen des Instrumentenbaus zu konzentrieren. Dass sorgfältig ausgewählte Materialien mit viel Gefühl und handwerklicher Präzision zu einem Objekt verschmolzen werden, das in erster Linie seinen Zweck zu erfüllen hat, ist für Instrumentenbauer und Architekten ebenso selbstverständlich wie die angemessene Berücksichtigung optischer und haptischer Qualitäten.

db, So., 2015.03.01



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03. März 2014Roland Pawlitschko
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Die Topografie des Weins

Die Einbeziehung der Topografie spielt bei diesem selbstbewusst, aber nicht prätentiös auftretenden Neubau der Südtiroler Kellerei Nals Margreid in zweierlei Hinsicht eine besondere Rolle. Zum einen bildet sie die Grundlage eines von Anfang an dreidimensional gedachten Architekturkonzepts, zum anderen wird durch die in einem Kelterturm genutzte Schwerkraft eine besonders schonende Verarbeitung der Trauben möglich.

Die Einbeziehung der Topografie spielt bei diesem selbstbewusst, aber nicht prätentiös auftretenden Neubau der Südtiroler Kellerei Nals Margreid in zweierlei Hinsicht eine besondere Rolle. Zum einen bildet sie die Grundlage eines von Anfang an dreidimensional gedachten Architekturkonzepts, zum anderen wird durch die in einem Kelterturm genutzte Schwerkraft eine besonders schonende Verarbeitung der Trauben möglich.

Apfel- und Weinanbaugebiete sind im Südtiroler Etschtal kaum voneinander zu unterscheiden. Die Ausdehnung der auf beiden Talseiten von schroffen Porphyrfelswänden begrenzten Gebiete ist enorm, und auch die Pflanzen wachsen an vergleichbaren Spalieren. Während das Kernobst nach der Ernte allerdings meist in großen Kühlhäusern landet, stehen zur Kelterung der Weintrauben immer häufiger architektonische Schmuckstücke bereit. Zwar gehört es zu ihren Hauptaufgaben, Geschichten über die Eigenheiten der Weine, Kellereien und Weinlandschaften zu erzählen, wirklich entscheidend sind dennoch die für die Weinherstellung und -lagerung richtigen Rahmenbedingungen. Der Neubau der Kellereigenossenschaft Nals Margreid vereint diese Anforderungen zu einem stimmigen Ganzen, sodass am Ende nicht nur die Architekturtouristen, sondern v. a. die Weine profitieren: Erst kürzlich kürte ein italienischer Weinführer einen 2012er Weißburgunder von Nals Margreid zum besten Weißwein Italiens.

Die insgesamt 150 ha großen Anbaugebiete der Kellerei liegen zwischen Nals im Etschtal und Margreid, 30 km südlich von Bozen. Mit dem Ziel, den Standort Nals zum Hauptsitz auszubauen und dabei die architektonische Qualität der Kellereigebäude an die stetig zunehmende Weinqualität anzupassen, entschloss sich die Genossenschaft im Jahr 2007 zur Neustrukturierung und Erweiterung der dortigen Weinproduktion – Abfüll-, Verpackungs- und Verwaltungsbereiche sowie Vinothek sollten hingegen unverändert bleiben. Einen Architektenwettbewerb konnte Markus Scherer aus Meran für sich entscheiden. Nicht zuletzt, weil sein Entwurf dem Bedürfnis der Bauherren nach »Charakter und Authentizität« entspricht: durch eine selbstbewusste, aber nicht prätentiös wirkende Formensprache, sowie durch natürliche regionaltypische Materialien, z. B. Eichenholz oder mit gemahlenem Porphyr rötlich durchgefärbter Beton. Ebenso wichtig wie die gestalterische Verzahnung mit dem dörflichen Umfeld, etwa durch das Motiv der Terrassierung von Freibereichen, waren seine Konzepte zur schonenden Weinproduktion sowie zur städtebaulichen Neuordnung des Kellereigeländes.

Eichenholz und Porphyr

Bestand das nach Osten abfallende Areal bislang aus räumlich kaum verknüpften Gebäudestrukturen, ermöglicht das in die Topografie eingepasste Neubauensemble nun die Ausbildung eines mittig gelegenen »Weinhofs«, der als Arbeitshof für kleinere Arbeiten und als zentraler Eingangsbereich für die Besucher dient. Talseitig wird die mit Porphyr gepflasterte Hoffläche von einem bis auf wenige Fensterstreifen geschlossenen Eichenholzquader begrenzt, in dem kleine Eichenholzfässer mit reifenden Barrique-Rotweinen zu sehen sind. Auf der Bergseite befindet sich das eigentliche Produktionsgebäude, hinter dessen in unregelmäßigen Streifen gegliederter Beton-Glas-Fassade Edelstahl- geräte zur Traubenverarbeitung ins Auge fallen. Das charakteristische bauliche Element bildet eine Dachplatte aus rötlichem Spannbeton, die als durchgehender begrünter Deckel das gesamte neue Kellereiensemble nach oben hin abschließt. Die origamihaft skulpturale Unterseite spiegelt die statischen Kräftelinien wider und wirkt durch die Faltungen zudem aussteifend, sodass im Freibereich lediglich zwei Stützen mit dreieckigem Querschnitt genügten, um die teils bis zu 70 cm dicke Platte in rund acht Metern Höhe zu halten. In funktionaler Hinsicht schützt die Dachplatte einerseits den Weinhof und die Dachterrasse des Holzquaders vor Witterungseinflüssen, andererseits verbindet sie Freifläche und Gebäude zu einer Einheit, deren Offenheit die Besucher dazu einlädt, das Gelände zu betreten. Ein Erlebnis für alle Sinne bietet sich ihnen freilich erst, wenn sie über den Weinhof ins Gebäudeinnere gelangen und den intensiven Traubenduft und die unterschiedlichen Temperaturen und Luftfeuchten der Weinkeller spüren.

Gezielter Einsatz der Schwerkraft

Wesentliches Merkmal von Scherers Idee einer schonenden Weinproduktion ist die Realisierung eines Kelterturms, bei dem die Trauben – dem natürlichen Höhenunterschied des Geländes und der Schwerkraft folgend – zu keinem Zeitpunkt aufwärts transportiert oder gar gepumpt werden müssen. Auf diese Weise lässt sich vermeiden, dass zu früh vom Stielgerüst abgelöste Beeren oder zerquetschte Kerne biologische Prozesse in Gang setzen, die den späteren Geschmack des Weins negativ beeinflussen.

Über den Anlieferungsbereich am höchsten Punkt des Geländes – der einzigen Stelle, an der der Neubau eher unterkühlt und abweisend erscheint – kommen die Trauben zunächst in eine Halle, die außerhalb der Erntezeit als Lagerfläche dient. Über Edelstahlwannen mit Förderschnecken fallen die Trauben zur Entfernung der Stielgerüste direkt in die auf Weinhof-Niveau platzierten Entbeerungsgeräte – hier liegt auch der Zugang zu einem völlig unspektakulär in den Neubau integrierten Bestands-Weinkellers. Wiederum ein Geschoss tiefer, am Rand des eigentlichen neuen Weinkellers, erfolgt das Pressen der abgelösten Trauben. Von dort gelangt der Saft ins tiefste Geschoss des Kelterturms, wo er so lange zwischengelagert wird, bis der größte Teil der Schwebstoffe auf natürliche Weise abgesunken ist. Erst dann kommt der Most in die Edelstahltanks bzw. die Holzfässer, in denen schließlich die Weinreife beginnt.

Der sorgfältigen Verarbeitung der Trauben entspricht die gestalterische Sorgfalt der neuen Kellerräume. Zum einen ist – wie schon in den Außenbereichen – der mit Porphyr rötlich gefärbte Beton auch hier prägend, zum anderen blicken die Teilnehmer zahlreicher Führungen auf eine wohlgeordnete Haustechnik, sodass der neue Weinkeller unter dem Weinhof als Mischung aus wissenschaftlichem Labor und Reinraum-Industriebetrieb erscheint. Hinzu kommen linear gereihte Edelstahltanks, ein dunkler Industrieestrich sowie eine überaus klar strukturierte oder gleich ganz verborgene Leitungsführung. Beispielsweise befinden sich störende Schalt- kästen oder Lüftungsleitungen in separaten, außen umlaufenden Technik- gängen, während Schalter und Wasseranschlüsse auf kleine Wandbereiche konzentriert sind.

»Weinkeller« über der Erde

Wer von diesem Weinkeller aus eine unscheinbare Edelstahl-Wendeltreppe emporsteigt, verspricht sich zunächst nur eine andere Raumperspektive – bis die Luft im Bereich der Geschossdecke aber schließlich nach Holz zu duften beginnt und man von den Fässern des bereits erwähnten Holzkörpers umgeben ist. Letzte Zweifel, dass es sich bei diesem Raum nur um ein repräsentatives Schein-Lager handeln könnte, sind angesichts der fast schon sakralen Atmosphäre bündiger Eichenholzoberflächen und der offensichtlich rege genutzten Fässer wie weggeblasen. Was heute wie selbstverständlich wirkt, bedurfte jedoch einer besonderen Planungssorgfalt, schließlich liegt der Weinkeller über der Erde, noch dazu als reine Holzkonstruktion. Natürlich soll dieser »Barrique-Keller« auf plakative Weise traditionelles Weinhandwerk zeigen. Dennoch, betont Kellermeister Harald Schraffl, würde es diesen Raum in dieser Form nicht geben, wenn es nicht gelungen wäre, ideale Bedingungen für den Wein zu schaffen. Wesentlich für alle Weinkeller ist für ihn letztlich nicht die Lage im Gebäude, sondern ein kontrolliertes Raumklima – insbesondere in Bezug auf Temperatur und Luftfeuchtigkeitsverhältnisse. Um kein Risiko einzugehen, entschied sich die Kellerei für den Einbau einer Raumbefeuchtungsanlage, die allerdings seit Fertigstellung kaum in Betrieb war, weil sich herausstellte, dass allein das regelmäßige Abwaschen der Fässer und Abspritzen des Bodens ausreichen, um für einen konstanten Feuchtegehalt der Holzfässer zu sorgen. Wesentlich für das Funktionieren dieses Konzepts ist die weitgehende Abschottung des Holzbaukörpers vor Witterungseinflüssen. Aus diesem Grund verfügt er auch über eine hochwärmegedämmte Außenhülle sowie über nur wenige Fenster, die überdies so ausgerichtet sind, dass es keine Sonnenen- ergieeinträge gibt.

Weinlandschaft, Weinproduktion und Wein als Einheit

Der »Barrique-Keller« liegt nicht nur aus repräsentativen Gründen unmittelbar am Eingangsbereich, sondern auch, weil im UG schlicht kein Platz mehr war. Letztlich bietet dieser Standort jedoch viele Vorteile. So trägt der niedrige Baukörper mit geölter Eichenholzbekleidung wesentlich zur angenehm kleinteiligen Gliederung des Neubauensembles bei. Zugleich ergab sich für die Kellerei die Chance, Weinlandschaft, Weinproduktion und Wein auf eine überaus sinnliche Art und Weise auf der Dachterrasse zusammenzuführen. Für die Besucher ist es jedenfalls ein besonderes Erlebnis, aus dem Weinkeller über den Kelterturm an einen Ort mit derart überwältigender Aussicht auf das Etschtal zu kommen und dort jenen Wein zu probieren, dessen Trauben in Sichtweite geerntet und verarbeitet wurden. Richtige Weinverkostungen finden zwar nach wie vor in der gediegenen Atmosphäre der alten Vinothek statt, ohne den Neubau wäre das Markenerlebnis Nals Margreid allerdings nur halb so intensiv.

db, Mo., 2014.03.03



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11. November 2013Roland Pawlitschko
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Schwarzer Diamant

Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht so aussieht – der dunkle, kantige Neubau der »Tiroler Festspiele Erl« ist keineswegs eine autistische Bauskulptur, sondern das feinsinnig in die Berglandschaft eingebettete Pendant zum weißen Passionsspielhaus der 50er Jahre. Ebenso wie dieses ist auch das neue Festspielhaus ein Ort des reinen und auf das Wesentliche konzentrierten Musikgenusses.

Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht so aussieht – der dunkle, kantige Neubau der »Tiroler Festspiele Erl« ist keineswegs eine autistische Bauskulptur, sondern das feinsinnig in die Berglandschaft eingebettete Pendant zum weißen Passionsspielhaus der 50er Jahre. Ebenso wie dieses ist auch das neue Festspielhaus ein Ort des reinen und auf das Wesentliche konzentrierten Musikgenusses.

Erl wäre ein Dorf wie jedes andere, wenn die Dorfbewohner nicht seit dem 17. Jahrhundert jeden sechsten Sommer ihre Passionsspiele veranstalten würden. Den festlichen Rahmen hierfür bildet der weithin sichtbare, von Robert Schuller 1957-59 ganz in Weiß geplante Rundbau, dessen schneckenförmig verdrehter Bühnenturm auf elegante Weise die Baumasse eines 1500 Personen fassenden Zuschauerraums kaschiert.

Dass 2007 ein internationaler Architektenwettbewerb für einen weiteren Konzertsaal ausgelobt wurde, obwohl der zwischen Kufstein und Rosenheim am Inn gelegene Ort bereits mehr Theaterplätze als Einwohner zählte, hat mit der ganz persönlichen Passion von Gustav Kuhn zu tun. Fasziniert von der nachkriegsmodernen Authentizität und der großartigen Akustik des bis dahin nur alle sechs Jahre genutzten Passionsspielhauses, gründete der weltweit tätige Dirigent, Komponist und Regisseur 1997 die »Tiroler Festspiele Erl«. Wesentliches Merkmal und Erfolgsfaktor seiner Aufführungen sind sowohl die requisitenarmen und puristisch-handwerklichen Inszenierungen, die – anders als im Regietheater – ganz ohne Knalleffekte auskommen, als auch die volle Konzentration auf das Wesentliche: die Musik. Wegen des wachsenden Publikumsandrangs, u. a. bei den Opern Richard Wagners, sowie angesichts des nicht beheizbaren Altbaus mit unzureichenden Nebenräumen, entwickelte er schon bald die Idee, den Festspielbetrieb mithilfe eines neuen »Winterfestspielhauses« auszudehnen und zu professionalisieren. Überhaupt denkbar wurde dieser Wunsch freilich erst, als sich 2004 mit Hans Peter Haselsteiner, dem kunstsinnigen Chef eines österreichischen Bauunternehmens, ein Mäzen fand, der letztlich 20 der 36 Mio. Euro Baukosten plus Betriebskosten stiftete und dennoch keinerlei Ambitionen hatte, sich in die Arbeit Kuhns oder der Architekten einzumischen.

Ungleiche Zwillinge

Der von der Tagespresse für den anthrazitfarbenen Neubau gern ins Spiel gebrachte Spitzname »Tarnkappenbomber« weckt Assoziationen an ein in der dörflichen Idylle gestrandetes Ufo. In Wirklichkeit bilden Passions- und Festspielhaus vor der durchgängigen Bergwaldkulisse ein wunderbar harmonierendes Ensemble der Gegensätze und Gemeinsamkeiten. In respektvollem Abstand zueinander begegnen sich Alt- und Neubau auf Augenhöhe und erscheinen jeweils einzigartig: einer geschwungen, der andere kantig, einer eher hoch, der andere flach, einer weiß, der andere fast schwarz. Nach Vorstellung der Architekten Delugan Meissl tritt das Festspielhaus zur Sommerspielzeit eher in den Hintergrund, während das alte, weiße Gebäude vor dem dunklen Wald geradezu leuchtet. Im Winter hingegen kehrt sich die Situation um: dann steht das Winterfestspielhaus vor weißer Schneelandschaft im Rampenlicht. Dass dieses Konzept nicht ganz aufgeht, liegt zum einen daran, dass der Konzertsaal auch im Sommer bespielt wird, zum anderen spiegelt sich insbesondere bei Nässe der helle Himmel in den Dachflächen, die im Winter überdies so tief verschneit sind, dass auch das Festspielhaus größtenteils weiß erscheint.

Diese Unschärfe wiegt jedoch keineswegs so schwer, dass sie der Idee der ungleichen Zwillinge schaden könnte. Stattdessen werden auf diese Weise die Gemeinsamkeiten der beiden hervorgehoben: Beide liegen – leicht erhöht – am Fuß eines sanft ansteigenden Berghangs. Beide verfügen über weitgehend geschlossene Fassaden mit geringem Fensteranteil. Und beide erscheinen umso differenzierter, je mehr man sich ihnen annähert. So wird beim Festspielhaus schnell deutlich, dass die klare Großform nicht aus einem Guss ist, sondern sich aus Faserzementplatten zusammensetzt, die sich mit offenen Fugen und verdeckter Entwässerung gleichmäßig über alle Dachflächen verteilen. Die dunkelgrauen Platten mit hellen Sprenkeln sollten ein monolithisches, an ein Felsmassiv erinnerndes Erscheinungsbild, zugleich aber auch eine insgesamt relativ kostengünstige Lösung mit Standardmontagedetails ermöglichen. Grundlage für die Gliederung der Flächen bildete das Prinzip der Penrose-Teilung – eine Art der Kassettierung, die auf der aperiodischen Wiederholung von nur zwei Plattenformaten basiert. Gerade weil dieses Prinzip große Freiheiten bei der Entwicklung unregelmäßiger Muster erlaubt, gelang den Architekten nicht nur die Realisierung homogener Dachflächen mit ungerichtetem Fugenbild, sondern auch eine im Hinblick auf den unvermeidlichen Plattenverschnitt optimierte Lösung.

Dynamik und Ruhe

Der Eingang zum Festspielhaus befindet sich unverkennbar unter dem weit auskragenden Dachkörper, am Ende einer Freitreppe, die direkt auf eine breite, an Spielabenden atmosphärisch leuchtende Glasfuge zuführt. Im Innern erwartet die Besucher ein strahlend weißes, als sanft auf- und abwogende Landschaft konzipiertes Foyer. Wie in einer Schleuse können sie hier zur Ruhe kommen, den Alltag abstreifen und anschließend durch eine weitere Glasfront ebenerdig zum Passionsspielhaus oder aber direkt bzw. über das obere Foyer in den Konzertsaal gelangen. Der dynamischen Asymmetrie des Foyers folgt ein orthogonaler, geradezu statisch anmutender Zuschauerraum, der analog zum Passionsspielhaus als Parketttheater ohne Galerien oder seitliche Ränge konzipiert ist. Vollständig mit dunkel gebeiztem Akazienholz ausgekleidet, weckt der Raum mit gleichmäßig ansteigenden schwarzen Sitzreihen und 732 Sitzplätzen dabei Assoziationen an das Innere eines Streichinstruments, das nur darauf wartet, endlich erklingen zu dürfen. Dass hier tatsächlich die Musik im Vordergrund steht, wird spätestens beim Blick in den Orchestergraben deutlich. Mit 160 m² fast 40 m² größer als in der Wiener Staatsoper, sind selbst bei opulent orchestrierten Opern keine Platzprobleme zu erwarten. Wird der Boden des Orchestergrabens mit Hubpodien auf Parkettniveau angehoben und bestuhlt, finden im Konzertsaal bis zu 862 Personen Platz.

Massgeschneidert

Gemäß der im Wettbewerb von Kuhn definierten Vorgaben ist hier ein reiner Tempel für die Musik entstanden, in dem keinerlei Sprechtheaterstücke bzw. nichtmusikalische Events oder Kongresse stattfinden sollen. Die Akustik des Saals ließ sich daher perfekt auf Opern und Konzerte abstimmen. Außer drei Deckensegeln über dem Orchestergraben sind Wand- und Deckenelemente des Zuschauerraums unbeweglich. Bühnen- und Zuschauerraum sind nicht durch ein festes Portal voneinander getrennt, sondern bilden eine räumliche Einheit, sodass ein relativ großes, akustisch zusammenhängendes Raumvolumen für ein optimales Klangerlebnis sorgt. Ansonsten zeigt sich das Festspielhaus hinsichtlich seiner technischen Ausstattung eher schlicht: So gibt es zwar ein rechtwinkliges Hubpodium auf der Bühne und eine zeitgemäße Lichttechnik, jedoch keine computergesteuerten Bühnenmaschinerien, keinen hohen Schnürboden, keine Lautsprecheranlage und schon gar kein elektronisches Raumakustiksystem. Im Mittelpunkt von Kuhns Aufführungen stehen vielmehr ein authentischer »Naturklang« sowie Bühnenbilder und Schauspiele, die die Musik erläutern statt mit ihr in Konkurrenz zu treten.

Hybrides Tragwerk

Wer am Abend in der Pause eines solchen Musikerlebnisses auf den nach Westen orientierten Balkon des oberen Foyers tritt, blickt – zumindest bei gutem Wetter – direkt in eine Art Götterdämmerung in fantastischer Bergkulisse. Der Ausblick ist v. a. deshalb so imposant, weil er vom weit auskragenden Bauvolumen über dem Eingangsbereich überlagert wird. Dort und in den seitlich des Zuschauer- und Bühnenraums gelegenen OGs befinden sich jene Lager, Werkstätten, Büros, Neben-, Aufenthalts- und Probenräume, die im Passionstheater fehlten. Auf Grundlage des trotz expressiver Gebäudeform erstaunlich klaren Tragwerkskonzepts entstanden seitliche Gebäudeflügel, Zuschauer- und Bühnenraumwände in Stahlbeton, während die Auskragung und die Decke des Zuschauerraums als Stahl-Raumfachwerk ausgeführt wurden. Letztlich handelt es sich hierbei um eine Zweckkonstruktion, die sich – auch unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte – relativ frei im Raum zwischen der heute sichtbaren äußeren und inneren Hülle bewegt.

Beim Festspielhaus in Erl geht es Delugan Meissl nicht um abgehobene Theatralik oder kompromisslosen Detailfetischismus. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Übersetzung der Bauherrenanforderungen in eine Architektur, die perfekt auf die Gedankenwelt Gustav Kuhns zugeschnitten ist. Durch das überaus glückliche Zusammenspiel der Beteiligten aus Wirtschaft, Musik und Architektur ist hier gerade kein heimtückischer Tarnkappenbomber entstanden, sondern viel eher ein überaus seltener schwarzer Diamant, auf den die Einwohner Erls heute ebenso stolz sind wie auf ihre Passionsspieltradition.

db, Mo., 2013.11.11



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02. September 2013Roland Pawlitschko
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Häuser im Haus

Die Gliederung der Baumasse in sechs zusammenhängende »Häuser« schafft Identifikationspunkte sowie vielfältige Angebote und Freiräume für den Kindergartenalltag. Klare räumliche Strukturen und die Holzmassivbauweise sorgten überdies dafür, dass nur wenige Veränderungen am Gebäudekonzept nötig waren, als sich der Bauherr nach Abschluss der Entwurfsphase entschied, den Neubau als zertifiziertes Passivhaus zu realisieren.

Die Gliederung der Baumasse in sechs zusammenhängende »Häuser« schafft Identifikationspunkte sowie vielfältige Angebote und Freiräume für den Kindergartenalltag. Klare räumliche Strukturen und die Holzmassivbauweise sorgten überdies dafür, dass nur wenige Veränderungen am Gebäudekonzept nötig waren, als sich der Bauherr nach Abschluss der Entwurfsphase entschied, den Neubau als zertifiziertes Passivhaus zu realisieren.

Am östlichen Rand des zwischen Chiemsee und Chiemgauer Alpen gelegenen Orts Übersee liegt das lang gestreckte Grundstück der katholischen Kirche, auf dem sich bis vor Kurzem noch zwei unscheinbare Kindergartengebäude aus den 50er Jahren befanden. Eines der beiden Häuser steht nach einer energetischen Sanierung kurz vor der Wiedereröffnung als Kinderkrippe. Das andere galt als nicht mehr sanierungsfähig und wurde durch einen dreigruppigen Neubau von Hirner & Riehl Architekten ersetzt.

Der vom Erzbischöflichen Ordinariat München direkt beauftragte Kindergarten in Holzmassivbauweise korrespondiert trotz stattlicher 750 m² Bruttogeschossfläche erstaunlich gut mit der kleinteiligen Nachbarbebauung. Ursache hierfür ist einerseits die maßstäblich gegliederte Grundrissfigur mit gerader Straßen- und gestaffelter Gartenseite, andererseits eine Dachlandschaft, die die Baumasse in sechs gleich breite »Häuser« mit verschränkt asymmetrischen Satteldächern unterteilt. Die einzelnen Gruppenbereiche erstrecken sich dabei als Einheiten aus Gruppen-, Intensiv- und Abstellräumen jeweils über zwei dieser Hausstreifen, was sich von außen nicht zuletzt durch die großen Gartenterrassen abzeichnet. Während unterschiedlich breite und dicke Fichtenholzbretter in fünf Rottönen für eine plastische Außenfassade sorgen, schaffen die lediglich mit einem farblosen UV-Schutz angestrichenen Fichten-Leimholzplatten der Innenräume den ruhigen Hintergrund für das bunte Treiben von maximal 75, auf zwei Mittagsgruppen und eine Nachmittagsgruppe verteilten Kindern.

Rückzugsbereiche auch für die Erzieher

Erster Anlaufpunkt nach Betreten des Kindergartens ist ein langer Spielflur, der zugleich als großzügiger Garderobenbereich dient, in dem das Bringen der Kinder ab sieben Uhr morgens unkompliziert und ohne größeres Gedränge abläuft. Von den Architekten entworfene offene und geschlossene Ablagefächer bieten viel Platz für Schuhe, Jacken und Mützen, während eine höher gelegene Pinnwand mit Filzoberfläche den Informationsaustausch zwischen Eltern und Erziehern unterstützt. Vom Flur aus führt der Weg weiter zur Aula, zum stirnseitigen Mehrzweckraum, zur Küche und zum Personalraum im OG. Hierher können sich die Mitarbeiter zurückziehen – etwa für ungestörte Besprechungen oder um sich kurzzeitig vom Trubel in den Gruppenbereichen zu erholen, wo sie und die Kinder den größten Teil des Tages gemeinsam verbringen.

Raum und Möblierung als Einheit

Die von der Aula bzw. dem Spielflur erschlossenen Gruppenbereiche sind hinsichtlich Grundriss, Farbigkeit und Ausstattung identisch und entsprechen in der Fläche und der Aufteilung in große Gruppen- (50 m²) und kleine Intensivräume (20 m²) den üblichen staatlichen Förderrichtlinien. Die Geometrie der Dächer ermöglichte in den Gruppenräumen jedoch die Einrichtung zusätzlicher offener Spielgalerien, die den Kindern als Kuschelecken oder Rückzugsbereiche zur Verfügung stehen. Das Zusammenspiel dieser ganz unterschiedlich ausgeprägten Räume sowie der größtenteils von den Architekten gestalteten Möblierung (Tische, frei stehende Spielküchen, Einbauschränke etc.) eröffnet Kindern wie auch Erziehern vielfältige kreative Aneignungsmöglichkeiten. Einheitliche Oberflächen in Fichtenholz und die auch im Innern überall ablesbaren »Häuser« führen darüber hinaus zu einer ebenso geborgenen wie anregenden Atmosphäre mit Werkstattcharakter. Schade nur, dass derart feinsinnige Differenzierungen nicht auch den Übergang zwischen Gruppenbereichen und Garten definieren – zumindest bis heute stehen den Kindern dort zwar Terrassen, aber leider keinerlei witterungsgeschützte oder anderweitig gestaltete Bereiche zur Verfügung.

Klare, aber auch flexible Raumstrukturen

Während sich Kleingruppen z. B. zum konzentrierten Basteln oder zur Förderung von Vorschulkindern in den jeweiligen Intensivräumen treffen, finden sportliche oder musikalische Aktivitäten gruppenübergreifend im Mehrzweckraum statt – hier machen die Kinder der Nachmittagsgruppe auch ihren Mittagsschlaf, nachdem sie zuvor in der Aula mittaggegessen haben. Anders als heute sollen die einzelnen Gruppen bis zum jeweiligen Kindergartenschluss in Zukunft allerdings nicht mehr die meiste Zeit unter sich bleiben, sondern sich zeitweise über das ganze Gebäude verteilen können. Sowohl der Spiel- flur als auch die »durchspielbaren« Intensivräume bieten hierfür beste Voraussetzungen.

Nachträgliches Passivhauskonzept

Ebenfalls zukunftsorientiert, wenn auch erst nach Abschluss der Entwurfsphase getroffen, ist die Entscheidung der katholischen Gemeinde, den Kindergarten als zertifiziertes Passivhaus zu realisieren. Dies zog zwar einige Veränderungen im Entwurf nach sich, führte aber nirgendwo zu unlösbaren Problemen. Unkompliziert in das bestehende Raumkonzept integrieren ließen sich z.B. die dreifachverglasten Fenster und die dezentrale kontrollierte Raumlüftung mit Wärmerückgewinnung. Die entsprechenden vier Geräte platzierten die Planer u. a. wegen kürzerer Leitungswege und der einfachen Zu- und Abluftführung über dem Dach in den mittigen Lagern neben den Intensivräumen bzw. in der Küche. Für ausreichend Wärme auch an kalten Wintertagen sorgt eine Wärmepumpe mit Erdregistern, bei der bis zu 4 m tiefe Spiralkörbe das Wasser eines Multifunktionsspeichers für Fußbodenheizung und Warmwasserversorgung erwärmen. Relativ unkompliziert kompensieren ließ sich auch das aus der bewegten Dachlandschaft resultierende, für Passivhäuser eher ungünstige A/V-Verhältnis. Hierfür wurden einfach die Dämmstärken sämtlicher raumbegrenzender Bauteile erhöht – in Außenwänden und Dachflächen betragen diese nun 36 bzw. 40 cm. Da die tragenden Leimholzplatten generell nur 6 cm dick sind, und auch die OSB-Doppelsteg-Dachträger ohnehin große Aufbauhöhen benötigen, ergibt sich aus dieser Maßnahme keine merkwürdig überdimensioniert wirkende Gebäudehülle.

Als tatsächlich eher ungünstig erwies sich allein die ostseitige Ausrichtung der Gruppenbereiche, die jedoch angesichts des schmalen Grundstückszuschnitts kaum anders zu lösen gewesen wäre. Während Mitarbeiter ebenso wie das derzeit laufende Monitoring zum Schluss kommen, dass der Stromverbrauch für technische Anlagen und das Raumklima im Winter und in den Übergangszeiten den ehrgeizigen Passivhausstandards entsprechen, kam es im Sommer in den Gruppenräumen vereinzelt zu Wärmestaus. Diese resultierten z. T. aus den in der Nacht kaum absinkenden Temperaturen, die das nächtliche Auskühlen über die großflächigen Oberlichter verhinderten, z. T. aber auch aus dem allmorgendlichen Sonneneintrag. Grundlegend verändern wird sich dieser Zustand erst, wenn nach Fertigstellung der benachbarten Kinderkrippe endlich auch die längst geplante Gartengestaltung fertiggestellt ist. Mit der natürlichen Verschattung durch gezielt gepflanzte Bäume wird sich dann ein letzter Mosaikstein in ein Gesamtkonzept fügen, das auf der Idee der Architekten beruht, grundsätzlich mit möglichst einfachen, aber wirkungsvollen Mitteln ein gleichermaßen identitätsstiftendes, die Sinne anregendes und energieeffizientes Haus für Kinder und Erzieher zu schaffen.

db, Mo., 2013.09.02



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09. Januar 2013Roland Pawlitschko
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Empathie zum Bestand

Das am südlichen Rand der Ravensburger Altstadt situierte Kunstmuseum gilt als weltweit erstes zertifiziertes Museum in Passivhausbauweise. Ein besonderes Schmuckstück ist es aber nicht allein deshalb, sondern v. a., weil es zeigt, wie gut sich ein Gebäude in sein Umfeld einordnen kann, ohne auf eine unverwechselbare eigene Identität verzichten zu müssen.

Das am südlichen Rand der Ravensburger Altstadt situierte Kunstmuseum gilt als weltweit erstes zertifiziertes Museum in Passivhausbauweise. Ein besonderes Schmuckstück ist es aber nicht allein deshalb, sondern v. a., weil es zeigt, wie gut sich ein Gebäude in sein Umfeld einordnen kann, ohne auf eine unverwechselbare eigene Identität verzichten zu müssen.

Ziegelsteine, Kupfer, Beton, Holz, Glas – diese Baumaterialien verleihen dem Kunstmuseum Ravensburg einen dezidiert handwerklichen und zeitlosen Charakter. Sie vermitteln Vertrautheit und Nähe, zeugen aber auch vom offenen Dialog mit der großflächig erstaunlich gut erhaltenen Altstadt. Das Gebäude nimmt sich dabei bescheiden zurück – ohne sich zugleich wegzuducken. Im Gegenteil. Durch seine nicht unerhebliche Baumasse, die Hülle aus grob verfugten Recyclingziegeln und die erhabene Geste der sanften Bogenschwünge am Dachrand ist es in der kleinteilig bebauten Umgebung so präsent wie kaum ein anderes Haus. Das gleichzeitige Bedürfnis nach städtebaulicher Integration und architektonischer Präsenz irritiert und macht neugierig: etwas Besseres hätte dem neuen Kunstmuseum einer Kleinstadt mit 50 000 Einwohnern gar nicht passieren können.

Den Kern der Ausstellungstätigkeit bildet die Kunstsammlung von Gudrun Selinka, die der Stadt Ravensburg angeboten hatte, ihre 230 Werke des deutschen Expressionismus und der Künstlergruppen Cobra und Spur als Dauerleihgaben zur Verfügung zu stellen. Um hierfür einen adäquaten Rahmen bieten und auch bezahlen zu können, kooperierte die Stadt mit dem Bauunternehmer Georg Reisch, der das Museum als Investor auf einem sanierungsbedürftigen Areal nahe der Museen Humpis-Quartier und Ravensburger errichtete und nun für 30 Jahre vermietet. Den 2009 ausgelobten Architektenwettbewerb konnten die Architekten von Lederer Ragnarsdóttir Oei für sich entscheiden.

Die Komplexität der Einfachheit

Flankiert von einem winzigen roten Stadthäuschen und zur engen, aber viel befahrenen Burgstraße mit Glaslamellen abgegrenzt, führt der Weg ins Innere des Kunstmuseums über einen kleinen Vorplatz. Nach dem Passieren der kupferbekleideten Drehtür gelangen die Besucher auf einen ebenfalls kupfernen Gitterrost, der wie ein roter Teppich auf den Empfangsbereich zuführt. Am Ende dieser Achse steht eine elegante Thekenskulptur mit samtiger Sichtbetonoberfläche, hinter der sich eine große schwarze, von oben natürlich belichtete Ablagenische auftut.

Angesichts dieser subtilen räumlichen Inszenierung, aber auch im Vergleich zur feinsinnig materialsichtigen Gebäudehülle wirkt das längliche EG mit rohem Estrichboden und weißen Wand- und Deckenoberflächen zunächst eigenartig glatt und banal. Natürlich wird sich das Foyer nach der offiziellen Eröffnung im März als vielfältig bespielbare, lebhafte Fläche für Wechselausstellungen, Veranstaltungen und die Museumspädagogik präsentieren. Dennoch ist dieser Eindruck von Leere nicht ganz falsch, zeigt er doch, wie ernst es den Architekten ist, wenn sie davon sprechen, dass Architektur in den Ausstellungsflächen »sekundär« sei. Ähnlich wie auf städtebaulicher Ebene – wo sie zuerst »die Stadt, dann die Architektur« sehen und sich einem »Weiterbauen« im Sinne Hans Döllgasts verpflichtet fühlen – wollen sie hier weder die Haustechnik noch Architekturdetails oder Raumkonzepte, sondern: Kunstwerke ausstellen. Dass sie deshalb in anderen Bereichen nicht auf das für ihr Büro typische, von der Moderne inspirierte Formenvokabular verzichten mussten, zeigen eigens gestaltete Deckenleuchten und die Beleuchtungselemente im Treppenhaus ebenso wie die Wasserspeier oder die offenen vertikalen Kupfer-Regenwasserrinnen in der Fassade.

White Cube und Gewölbe aus Recyclingziegeln

Im Mittelpunkt des Entwurfskonzepts steht der rechtwinklige, dem Grundstück in maximaler Größe einbeschriebene Grundriss der neutralen, vielseitig konfigurierbaren Ausstellungsbereiche. Seitliche Restflächen enthalten einen Aufzug sowie zwei Treppenräume, die zahlreiche verschiedene Museumsrundgänge ermöglichen. Die nördliche Treppe wirkt eher funktional und introvertiert und führt nach oben in die fensterlosen Ausstellungsebenen sowie zum Depot, zur Anlieferung, zu den Toiletten und zu den Büroräumen der Museumsverwaltung im UG. Die einläufige Haupttreppe in die OGs hingegen bietet den Besuchern bei jedem Geschosswechsel viel Tageslicht und einen wunderbaren Blick in die Umgebung – etwa zum baumbestandenen Veitsburghügel oder zum »Mehlsack«, einem um 1400 erbauten Wehrturm.

In dem als White Cube konzipierten 1. OG werden unter immer wieder wechselnden Mottos jeweils Teile der Sammlung Selinka präsentiert, während das Dachgeschoss Wechselausstellungen zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts vorbehalten bleibt. Dort machen tragende, verschränkt konische Gewölbe aus Sichtmauerwerk einerseits die Form des geschwungenen Dachrands plausibel: »Wir spekulieren darauf, dass die Besucher genau dieser Form im Innern wieder begegnen wollen und das Treppensteigen deshalb als umso leichter empfinden«, sagen die Architekten. Andererseits findet sich am »Endpunkt der räumlichen Sequenz« durch die Verwendung der auch hier grob verfugten Recyclingziegel jene gestalterisch-ästhetische Kontinuität zwischen Innen und Außen, die man in den unteren Geschossen noch vermisst hat.

Auf kurzem Weg vom Wettbewerb zum Passivhaus

Die aus Abbruchgebäuden einer Klosteranlage in Belgien stammenden Ziegel sind aber nicht nur gestalterisches Element mit sinnlicher Patina, sondern Teil eines umfassenden Nachhaltigkeitskonzepts. Als Gebrauchtmaterial sind sie zwar keineswegs billiger als vergleichbare neue Ziegel, dafür weisen sie eine positivere Energiebilanz auf, weil sie nicht erst aufwendig hergestellt werden mussten. Überlegungen zu Lebenszyklus und Recyclingfähigkeit der Baumaterialien prägten den Entwurf von Anfang an ebenso wie ein kompakter und damit energetisch günstiger Baukörper, die Betonkerntemperierung für Heizung und Kühlung, eine Gas-Absorptions-Wärmepumpe und eine Lüftungsanlage, die je nach Luftqualität und Besucheranzahl Frischluft- bzw. Umluft liefert und damit Wärmeverluste reduziert. All diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass der Weg vom Wettbewerbsentwurf zum Passivhaus nicht mehr allzu weit war, als der Bauherr kurz vor der Werkplanung beschloss, das Kunstmuseum im Passivhausstandard zu realisieren. Und so kam ein hinzugezogener Passivhausberater schnell zum Schluss, dass das spärlich befensterte Gebäude zwar kaum solare Gewinne verzeichnet, dafür aber über zahlreiche andere Wärmequellen – von den Besuchern über permanent betriebene technische Anlagen bis hin zur Beleuchtung – sowie eine günstige Energiebilanz verfügt.

Energetische Optimierungen

Hauptaugenmerk der energetischen Optimierungen lag v. a. auf der zweischaligen Gebäudehülle. Hier wurde zunächst die Dämmstärke der Mineralfaserdämmung auf 24 cm erhöht und auch eine bessere Wärmeleitfähigkeitsgruppe ausgewählt. Hohe Aufmerksamkeit erhielt auch die konsequente Beseitigung von Wärmebrücken. Hierfür wurden Flankendämmungen im UG vergrößert, v. a. aber spezielle Mauerwerksanker eingesetzt. Statt der üblichen Konsolanker, deren massive Flachstahlquerschnitte starke Wärmebrücken ausbilden, kamen stabförmig aufgelöste Anker zum Einsatz, mit denen sich die Wärmeleitfähigkeit halbieren ließ. Hinzu kamen mitunter überraschende Fragen zu einzelnen Bauteilen. Beispielsweise waren zwar passivhauszertifizierte Automatik-Glasschiebetüren auf dem Markt erhältlich, aber keine Drehtüren. Rechnerisch hätte das Gebäude undichte Türen mit schlechten Dämmeigenschaften durchaus kompensiert. Doch wäre in diesem Fall mit großen winterlichen Kondenswassermengen zu rechnen gewesen. Gemeinsam mit einem Hersteller entwickelten die Planer daher eine Drehtür mit isolierverglasten Flügeln, gedämmten und thermisch getrennten Seitenwänden, Dach- und Bodenbekleidungen sowie doppelten Bürstendichtungen.

Dass die Zertifizierung als Passivhaus letztlich keine gravierenden Veränderungen des ursprünglichen Wettbewerbsbeitrags erforderte, liegt an einem Entwurfskonzept, das von Anfang an als in jeder Hinsicht nachhaltig angelegt war: im sensiblen Umgang mit der historischen Umgebung und der flexiblen Bespielbarkeit der Ausstellungsräume ebenso wie im Einsatz energieeffizienter Haustechnik und natürlicher Baumaterialien, die sich am Ende des Lebenszyklus' problemlos entsorgen lassen – ein Zeitpunkt, der hoffentlich noch weit entfernt liegt.

db, Mi., 2013.01.09



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db 2013|01-02 Präsentieren inszenieren

10. September 2012Roland Pawlitschko
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(K)ein Dach wie jedes andere

Auch wenn es zunächst nicht danach aussieht – diese Aufstockung unterscheidet sich von den umliegenden Häusern weniger durch die fließenden Formen, die fragile Dachreling oder die einheitliche Polyurethanbeschichtung der Gebäudehülle, als vielmehr durch ihre wunderbare Inszenierung von Außenraumbezügen.

Auch wenn es zunächst nicht danach aussieht – diese Aufstockung unterscheidet sich von den umliegenden Häusern weniger durch die fließenden Formen, die fragile Dachreling oder die einheitliche Polyurethanbeschichtung der Gebäudehülle, als vielmehr durch ihre wunderbare Inszenierung von Außenraumbezügen.

Abseits der Touristenzentren am Mittelmeer liegt die südostspanische Kleinstadt Cehegín in einer der trockensten und sonnigsten Regionen Europas. Umgeben von einem kompakten Stadtgefüge sowie einem Gürtel aus Gewerbebetrieben und vereinzelten Eigenheimen, bildet ein Kirchplatz den höchsten Punkt der kleinen Altstadt. Von hier aus schweift der Blick über eine karge Hügellandschaft mit Wäldern, Marmorsteinbrüchen, Mandel-, Oliven- und Pfirsichbaumplantagen. Obwohl auf einer Anhöhe am südlichen Stadtrand gelegen, und obwohl es sich hierbei um das derzeit mit Abstand ungewöhnlichste Bauwerk der Stadt handelt, ist die Casa Lude von hier aus kaum zu erkennen.

Klar, die auf ein zweigeschossiges Wohnhaus der 60er Jahre aufgepflanzte Aufstockung liegt knapp einen Kilometer entfernt, verfügt über eine Grundfläche von nur 81 m² und ist nicht höher als seine Nachbargebäude. Aus der Nähe wirkt sie weit weniger spektakulär als Fotos es vermuten lassen. Da das Nebeneinander unterschiedlicher Kubaturen und Gebäudeformen hier ebenso zur Normalität gehört wie große fensterlose Wandflächen, schräge Dächer, auskragende Erker und weitläufige Dachterrassen, integriert sich der Neubau – trotz aller Expressivität – städtebaulich erstaunlich gut in sein Umfeld. Dass es darüber hinaus freilich keinerlei Gemeinsamkeiten gibt, zeigt am deutlichsten ein Rundgang durch sein Inneres.

Strasse und Landschaft im Leuchtkasten

Der Weg dorthin führt zunächst ins dunkle Treppenhaus des L-förmigen Nachbargebäudes – eine eigene Treppe gab es auch vor 20 Jahren nicht, als die Eltern des Bauherrn das Haus kauften. Befand sich hinter der Tür im 2. OG vor Baubeginn lediglich eine Abstellkammer mit begehbarer Dachfläche, offenbart sich dort heute ein zweigeschossiges, weitgehend weißes und scheinbar lediglich aus Licht und Schatten bestehendes Raumkontinuum. Das anfängliche Gefühl fast klösterlicher Introvertiertheit verschwindet unmittelbar nach Durchqueren des sparsam möblierten Wohn-Ess-Kochbereichs, wenn Straßenraum und dahinter liegende Berge in den raumhohen Erkerfenstern wie ein sorgsam inszeniertes Großformatdia im Leuchtkasten erscheinen. Wirklich überwältigend sind aber erst die Aussicht von der Dachterrasse im oberen Geschoss und das 360°-Panorama auf der Dachfläche. Umso verwunderlicher ist es, wenn beim Blick über Cehegín und die weitläufige Hügellandschaft auffällt, dass keines der Nachbargebäude über ähnliche Außenraumbezüge verfügt und Dächer entweder gar nicht, nur zum Wäschetrocknen, als Ablageflächen für Sperrmüll oder zur Unterbringung von Haustieren genutzt werden.

Sämtliche Vorzüge dieses Bauplatzes in sieben Metern Höhe voll auszuspielen – diese Idee bildete für Martín López, Architekt und Partner im Büro Grupo Aranea, den Ausgangspunkt der Planung. Konkrete Entwurfsvorgaben erhielt er zuvor weder vom Auftraggeber, ein Grundschul- und Musiklehrer und Jugendfreund, noch von dessen im unteren Teil des Gebäudes wohnenden Verwandten. Dafür zeigten sie sich alle erstaunlich aufgeschlossen und ließen den Architekt nach zahlreichen gemeinsamen Vorgesprächen mehr oder weniger unbehelligt an die Arbeit gehen.

Funktionalität statt akademischer Kunstintervention

Nach Präsentation des ersten Konzepts, das letztlich ohne grundlegende Veränderungen realisiert wurde, rieb sich die Familie zunächst erstaunt die Augen. Zahlreiche Papp- und CAD-Modelle machten jedoch schnell klar, dass die für lokale Sehgewohnheiten ungewöhnliche Architektursprache und die fließenden Räume keine akademische Kunstintervention darstellten, sondern eine auf die Bedürfnisse des alleinstehenden Bauherrn zugeschnittene, überaus funktionale Maisonettewohnung. Beispielsweise ermöglicht die Lage der Erkerfenster im offenen Wohn-Ess-Kochbereich bzw. Schlafzimmer nicht nur den gerahmten Blick in die Umgebung, sondern auch ein hohes Maß an Privatsphäre, während die schattenspendenden äußeren Rahmen dafür sorgen, dass in den heißen Sommermonaten zwar viel Licht aber keine direkte Sonneneinstrahlung in die Wohnung gelangt. Bei geöffneten Fenstern durchströmt am Nachmittag außerdem ein angenehm kühler Ostwind die Innenräume, weshalb auf eine Klimaanlage – zumindest bisher – verzichtet werden konnte.

Im oberen Geschoss befinden sich u. a. offene Arbeitsbereiche sowie die nach Osten ausgerichtete Terrasse, auf der es v. a. an heißen Sommernachmittagen angenehm kühl bleibt. Die über steil ansteigende Sitzstufen erreichbare, komplett nutzbare Dachfläche eignet sich hingegen eher für die Wintermonate oder sommerliche Abend- und Nachtstunden. Zur komfortablen Nutzung dieser Fläche stehen in einer niedrigen Wandscheibe Beleuchtungselemente, Wasser- und Stromanschlüsse bereit. Dass Partys am besten mit begrenzten Alkoholmengen und ohne Kleinkinder stattfinden sollten, versteht sich angesichts der filigranen Dachreling von selbst. Die über zwei Geschosse wogende Metallrohrkonstruktion resultiert aber nicht nur aus dem Willen nach einem eleganten Kontrast zur kantig kristallinen Form der Aufstockung; sie ist vielmehr auch unmittelbare Folge baurechtlicher Einschränkungen – massive Brüstungen hätten schlicht zu einer Höhenüberschreitung geführt.

Den Baubeginn markierte der Abbruch der alten Dachdecke über dem 1. OG. Diese Maßnahme war notwendig geworden, um eine tragfähige Grundlage für die darüber geplante Skelettkonstruktion aus Stahlstützen und Betondecken zu schaffen. Grundsätzlich hatte sich die Statik des Sockels als tragfähig erwiesen, sodass der Einbau zusätzlicher Tragstrukturen überflüssig war – u. a. auch weil vertikale Lasten des Neubaus ausschließlich direkt in die bestehenden Wände des Altbaus einfließen. Und um Gewicht zu sparen, wurden zwischen die statisch wirksamen Bereiche der Stahlbetondecke großflächige Styroporelemente eingelegt. Die Decken zum DG und zur Dachfläche liegen auf dünnen Stahlstützen, sämtliche Innen- und Außenwände sind aus nichttragendem Mauerwerk ausgeführt. Eine reine Stahlkonstruktion kam allein aus Kostengründen nicht infrage. Zugleich hätte sie aber auch über zu wenig Speichermasse für die wärmende Wintersonne verfügt – aufgrund der Lage Cehegíns knapp 600 m über dem Meeresspiegel sind Winternächte mit mehreren Minusgraden keine Seltenheit. Daher erhielten alle Außenwände und -decken mit Gipskartonplatten verkleidete Innendämmungen. Nach außen wurden die gemauerten bzw. betonierten Wände und Decken zunächst glatt verputzt und dann mit einer dreilagigen grauen, als Dachabdichtung und fertige Fassadenoberfläche dienenden Polyurethanbeschichtung überzogen. Die Farbauswahl basiert dabei nicht zuletzt auf finanziellen Überlegungen. Zur Ausführung kam Grau – Farbtöne außerhalb der vier Standardfarben Rot, Grün, Weiß und Grau – hätten zwar problemlos gemischt werden können, wären aufgrund der kleinen Fläche unverhältnismäßig teuer geworden.

Die Einhaltung des relativ knappen Baubudgets war bei fast jeder Entscheidung bestimmend: bei der Polyurethanbeschichtung und der Dachreling ebenso wie bei der Wahl der hybriden Primärkonstruktion und den Styroporeinlagen in der Decke. Dennoch entstand ein konstruktiv vielleicht etwas heterogener, aber in sich konsequenter und v. a. räumlich absolut stimmiger Dachaufbau. Dass die Gebäudehülle heute nicht mehr ganz so elegant in der Sonne schimmert wie kurz nach der Fertigstellung, liegt an den seltenen, mitunter aber sehr heftigen Regenschauern, die sich mit abgelagertem Staub mischen und an den Fassaden Schlieren hinterlassen – der größte Teil des auf der Dachfläche anfallenden Niederschlags wird über einen am Fuß der Dachreling angebrachten Stahlwinkel in ein vertikales Fallrohr geleitet. Die etwas verblasste Fassade vermag die einzigartige Ausstrahlung der Casa Lude jedoch kein bisschen zu schmälern. Im Gegenteil: Sie lässt die Aufstockung in ihrem Umfeld noch selbstverständlicher wirken. Und auf die wunderbare Inszenierung von Raum und emporgehobenem Außenraum hat sie ohnehin keinen Einfluss.

db, Mo., 2012.09.10



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db 2012|09 Dachlandschaften

02. Juli 2012Roland Pawlitschko
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Haus der Geschichten

Zunächst einmal ist da nur die elegante, aber eher unscheinbare Straßenfassade eines für Porto typischen bürgerlichen Wohnhauses des 19. Jahrhunderts....

Zunächst einmal ist da nur die elegante, aber eher unscheinbare Straßenfassade eines für Porto typischen bürgerlichen Wohnhauses des 19. Jahrhunderts....

Zunächst einmal ist da nur die elegante, aber eher unscheinbare Straßenfassade eines für Porto typischen bürgerlichen Wohnhauses des 19. Jahrhunderts. Wie bei vielen seiner schmalen Nachbargebäude zwischen der wunderbaren Casa da Música von OMA und der quirligen Altstadt prägen auch hier drei Fensterachsen und blau-weiße Fliesen das Bild. Erst bei genauerem Hinsehen fallen hinter einer Balustrade im 2. OG ungewöhnlich große Glasschiebefenster sowie ein rechteckiger Dachaufbau mit Wellenstruktur auf. Dass es sich hierbei um Sichtbetonwellen handelt und nicht – wie bei solchen Aufbauten meist üblich – um angestrichenes Wellblech, ist bestenfalls mit dem Fernglas zu erkennen. Weder an der Eingangstür noch irgendwo sonst an der Fassade gibt es Hinweise darauf, dass es sich hier um ein kleines Hotel mit sechs Zimmern handelt. Dieses Gebäude produziert sich nicht, es will, wenn überhaupt, in Ruhe erlebt werden.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Schon beim ersten Blick in die erleuchteten Räume mit ihren reliefartig in die Sichtbetondecken eingelassenen Text-, Buchstaben- und Zeichenformationen wird klar, dass hier vieles anders ist als es scheint. So handelt es sich bei der Casa do Conto mitnichten um ein historisches Gebäude, sondern ganz offensichtlich um einen Neubau hinter alten Mauern. Mit dieser Irritation im Hinterkopf öffnen Hotelgäste eine schwere Holztür, lassen das Durcheinander der Rua Boavista hinter sich, steigen im Innern einige Stufen ins Hochparterre empor und erreichen einen offenen Empfangsbereich, der sich als Mischung aus Lounge und Büro darstellt. Ein erster Rundumblick offenbart einen ebenso harmonischen wie anregenden, bis ins kleinste Detail stimmigen Mikrokosmos, einen eigentümlichen Dialog aus eleganten alten und neuen Möbeln, opulenten Spiegeln, großflächig weißen Wänden und kühlem Sichtbeton.

Nicht selten trifft man gleich hier auf Alexandra Grande, die junge Eigentümerin, Managerin und Planerin des im Juni 2011 eröffneten Hotels. Von der Geschichte des Gebäudes, die zugleich ihre ganz persönliche ist, erzählt sie mit großer Leidenschaft. Und das, obwohl sie sich spätestens seit der letzten November-Ausgabe des Designmagazins Wallpaper immer öfter mit den Fragen von Gästen und Architekturtouristen konfrontiert sieht – im Rahmen des Titelthemas »Top 20 Reasons to be in Portugal« hatte das Hotel dort den bemerkenswerten fünften Platz erreicht.

Phönix aus der Asche

Eigentlich sollte alles ganz anders kommen. Ein privater Bauherr hatte Grande und ihr Architekturbüro Pedra Líquida – wörtlich: flüssiger Stein – 2008 beauftragt, das historische Wohnhaus für sich und seine Familie zu adaptieren. Noch während der Planungsphase gab er das Projekt allerdings auf, woraufhin sich für Grande die Gelegenheit ergab, das Gebäude zu kaufen, um es mit bescheidenem Budget in eine kleine aber feine Herberge zu verwandeln – nicht zuletzt für Gäste, die eine ästhetische, authentische und eher familiäre Atmosphäre den immergleichen Hotels globaler Ketten vorziehen. Zugleich sollte das Haus aber auch einen neuen Treffpunkt in der Kulturszene Portos etablieren. Eine sogenannte Pecha Kucha-Nacht und viele andere Events hatten auf der Baustelle und im rückwärtigen Garten bereits stattgefunden, als im März 2009, wenige Tage vor der feierlichen Eröffnung, ein verheerendes Feuer zwar das liebevoll modernisierte Gebäude, nicht aber die positive Grundeinstellung Alexandra Grandes zerstörte. Noch bei der ersten Besichtigung des aus ungeklärter Ursache bis auf die Garten- und Straßenfassade komplett niedergebrannten Gebäudes entschloss sie sich, das Projekt mit einem bankfinanzierten Budget von rund 320 000 Euro zu vollenden.

Gemeinschaft auf Zeit

Während die zwischen die Nachbargebäude eingeklemmten Außenfassaden allein aus Denkmalschutzgründen sehr sorgfältig wiederhergestellt wurden (ohne dabei die feuerbedingten Abplatzungen der Natursteinlaibungen zu kaschieren), entsprechen Grundrissaufteilung und Geschosshöhen des neuen, inneren und mit den Außenfassaden verzahnten Betonkörpers nur noch prinzipiell dem Vorgängerbau. Die zu jeder Gebäudeseite in den drei OGs situierten Zimmer begrenzen zwar nach wie vor einen zentralen Treppenraum mit Oberlicht. Um zwei turmartige Sichtbetonkörper mit Nebenräumen bzw. einem Aufzug erweitert, nimmt dieser jedoch nun deutlich mehr Platz in Anspruch als zuvor. Besonders ins Auge fallen die diagonale Schalungsstruktur der beiden »Türme«, eine Reminiszenz an die einst ebenso verschalten Holzwände des Altbaus, und die großen Glasfelder in den Zimmerwänden. Einerseits leiten diese mit Drehtüren schließbaren Öffnungen zusätzliches Tageslicht in die Zimmer, andererseits ermöglichen sie die Kommunikation zwischen den privaten Zimmern und dem quasi öffentlichen Treppenraum. Sind andere Gäste schon oder noch wach? Wie sehen deren Zimmer aus? Welche Reliefs befinden sich dort an der Decke? Fragen wie diese kommen auf, wenn man die Treppe bis hinunter zum Frühstücksraum läuft. Und tatsächlich: Spätestens nach dem ersten Frühstück kennt man alle anderen Gäste und fühlt sich unversehens als Teil einer Gemeinschaft auf Zeit. ›

Schwebende Buchstabenkunst

Bis auf eine Ausnahme mit einer kleinen Küchenzeile ausgestattet, sind sich die einzelnen, zurückhaltend eleganten Zimmer grundsätzlich sehr ähnlich: weiße Wände, grauer, geschliffener Estrich, jeweils ein großer weicher Berberteppich, teils alte, teils von Grande selbst entworfene Möbel, ein jeweils am Rand als eigenständiger Sichtbetonkörper platziertes Bad. Am charakteristischsten sind freilich die Decken, die sich in ihrer Ornamenthaftigkeit als zeitgenössische Interpretation der mit feinen Stuckornamenten verzierten Altbaudecken verstehen. Die Buchstabenreliefs basieren auf eigens geschaffenen Texten befreundeter Künstler, Designer und Architekten, die mit dem ursprünglichen Projekt auf unterschiedliche Weise vertraut waren und nach deren Initialen schließlich auch die Zimmer benannt wurden. Für die in jedem Raum eigenständige grafisch-künstlerische Umsetzung sorgte das Design Studio R2, sodass sich die Gäste heute vor dem Einschlafen mit ästhetisierten Wortspielen rund um Le Corbusiers Satz »la maison est une machine à habiter«, wild verstreuten Zeichen und Buchstaben oder längeren Fließtexten auseinandersetzen können. Worum es dabei im Einzelnen geht, ist leider nur schwer nachzuvollziehen, weil es bislang keine Übersetzungen gibt.

Mit Poesie und Gelassenheit

Dass manche Geschichten zwar wahrgenommen, aber nicht gelesen werden können, schadet der sinnlichen Atmosphäre ebenso wenig wie die Tatsache, dass der gesamte Entwurf auf sehr subjektiven und damit immer auch angreifbaren Kriterien basiert. Diese positive Aura entsteht dadurch, dass es im ganzen Gebäude grundsätzlich nichts gibt, was sich den Gästen in irgendeiner Form aufdrängen würde. Stattdessen präsentieren sich Alt und Neu in diesem Hotel wie aus einem Guss und mit großer Gelassenheit. Das zeigt sich in Grandes Überzeugung, dass »alles seine Bedeutung hat« – der verheerende Brand also einfach nur Teil eines irgendwie sinnhaften Gesamtprozesses ist. Es zeigt sich aber auch bei den Buchstabenkunstwerken: Als es etwa einige der als Formgeber auf die Schalung geklebten Styrodur-Zeichen beim Einfüllen des besonders flüssigen Betons wegriss, kam es weder zum Baustopp noch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit dem Bauunternehmer. In manchen Fällen wurden fehlende Buchstaben kurzerhand in erhabener Form ergänzt, während sie anderswo einfach fehlen und bis heute irgendwo im Innern des erstarrten Betons schwimmen – gleichsam als eine der vielen unentdeckt gebliebenen Geschichten.

Gesellschaft statt Kommerz

Die bemerkenswerte Auslastung dieses Hotels von derzeit stattlichen 80 bis 90 % beruht ganz wesentlich auf dem Selbstverständnis Grandes, nicht einfach nur ein architekturgewordenes Statement zu schaffen, sondern – im Gegensatz zu seelenlosen Design-Hotels – ein lebendiges Gesamtkunstwerk. Und dazu gehören die gelegentlichen Lesungen, Konzerte und Events auf der kleinen Bühne im Garten oder im »Wohnzimmer« auf der Gartenseite des Hochparterres ebenso wie die temporär im Haus verteilten Kunstinstallationen und Bilder. Zusätzlich soll ab dem Sommer alljährlich ein Künstler die gesamte freie Wandfläche im Treppenraum gestalten dürfen, während jeden November ein Kreativer bei freier Kost und Logis eingeladen wird, hier zu arbeiten.

Angesichts der durchwegs positiven Resonanz von Gästen aus der ganzen Welt, die hier einschließlich eines fantastischen Frühstücks zwischen 98 und 138 ausgesprochen verträgliche Euro pro Zimmer und Nacht (egal ob als Einzel- oder Doppelbelegung) bezahlen, ist es nicht verwunderlich, dass Alexandra Grande bereits unzählige Anfragen zur Realisierung vergleichbarer Hotels erhielt. Diese hat sie allerdings ausnahmslos abgelehnt, schlicht, weil dieses Konzept tatsächlich nur mit dieser Vorgeschichte und nur an diesem Ort realisierbar ist. Möglicherweise wird es aber eines Tages eine Erweiterung der Casa do Conto ins Nachbarhaus geben – in ein vom Feuer verschontes, weitgehend im Originalzustand erhaltenes Zwillingsgebäude.

db, Mo., 2012.07.02



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db 2012|07 Auf Reisen

11. Juni 2012Roland Pawlitschko
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Wie gemalt

Aus den Wirren des grauen Alltags gelangen die Kinder dieser staatlichen Realschule schrittweise in eine klar strukturierte Welt angenehm warmer Farbtöne. Deren Präsenz macht unwillkürlich neugierig; und so haben nach anfänglicher Skepsis letztlich auch alle beteiligten Behörden den Mut gefasst, sich für dieses Farbkonzept und damit für eine Schule mit unverwechselbarer Identität zu entscheiden – Rektorin, Lehrer und Schüler waren ohnehin sofort begeistert.

Aus den Wirren des grauen Alltags gelangen die Kinder dieser staatlichen Realschule schrittweise in eine klar strukturierte Welt angenehm warmer Farbtöne. Deren Präsenz macht unwillkürlich neugierig; und so haben nach anfänglicher Skepsis letztlich auch alle beteiligten Behörden den Mut gefasst, sich für dieses Farbkonzept und damit für eine Schule mit unverwechselbarer Identität zu entscheiden – Rektorin, Lehrer und Schüler waren ohnehin sofort begeistert.

Der rechtwinklige Baukörper an einer der Landstraßen zwischen Dachau und München gibt sich zunächst eher schweigsam und spröde. Dunkelgraue Faserzementplatten und pastellfarbene Blechpassepartouts um großformatige Fenster geben jedenfalls nicht ohne Weiteres preis, dass es sich hierbei um eine Realschule handelt. Letztlich kommen aber selbst bei nur sporadisch zum Elternabend erscheinenden Vätern keine Zweifel auf, sich an der richtigen Adresse, und nicht etwa vor einem Hotel oder einem Bürogebäude zu befinden. Dafür sorgt das benachbarte Nebeneinander aus Wohngebäuden, Kindergarten, Montessori-, Grund- und Berufsschule – vor allem aber die von außen nach innen zunehmende Farbigkeit und räumliche Vielschichtigkeit des Neubaus.

Pausenhalle als Architekturgewordene Schnittstelle

Den unübersehbaren Haupteingang definiert ein in den Baukörper eingeschnittener und im EG zu Wohngebiet und Schulcampus durchlässiger Eingangshof. Dessen Raumvolumen entspricht ziemlich genau jenem der hiervon nur durch eine leichte Glasfassade getrennten Pausenhalle. Für die gut 1 000 Schüler und Lehrer der Dr.-Josef-Schwalber-Realschule spielt dieser dreigeschossig hohe Raum allein aufgrund seiner Nutzung als Aula und Veranstaltungsfläche eine zentrale Rolle. Eine übergeordnete Bedeutung erhält er in seiner Eigenschaft als architekturgewordene Schnittstelle zwischen innen und außen, als Ort, an dem sich zwei farblich und gestalterisch unterschiedliche Welten verzahnen.

Die hellgrauen Faserzementplatten des Innenhofs und der Pausenhalle bilden dabei den gediegenen Hintergrund für die warme Farbigkeit der verputzten und gestrichenen Verkehrs- und Erschließungsflächen im Innern. Hinzu kommt, dass nirgendwo sonst im Gebäude das Konzept der räumlichen Verflechtungen und Blickbeziehungen deutlicher spürbar ist. Der nach außen etwas trutzig wirkende Baukörper ist nämlich keineswegs eine unwirtliche Bastion des Lernens, sondern bietet ein sinnliches und inspirierendes Wechselspiel aus Räumen und Leerräumen. Von der Pausenhalle sind tatsächlich fast alle Unterrichts-, Pausen- und Erschließungsbereiche der Schule einzusehen. Im Osten erweitert sie sich in Richtung der nach Schulschluss auch von Vereinen genutzten Dreifach-Sporthalle, unter der sich, halbgeschossig versetzt, das Parkdeck der Lehrkräfte befindet. Im Süden liegen der große Pausenhof, die Mensa und die Klassenzimmer.

Farbe als tragendes Gestaltungselement

Im Schulbetrieb erinnert die Aula an ein Theaterfoyer, in dem die Schüler und Lehrer während der Pausen flanieren, um zu sehen und gesehen zu werden. Besonders beliebt sind die Plätze an den großen Wandöffnungen der beiden oberen »Galerieebenen«, die gleichsam als Logenplätze fungieren. Hinter den grauen Rahmen mit leuchtend gelben Laibungen erscheinen die satt orange und roten Flurwände zunächst wie Tafelbilder. Gelangt man, unter den südlichen Galerieebenen hindurch, aber erst einmal zur großen Haupttreppe, wird deutlich, dass Farbe hier weit mehr als nur Dekoration ist. Der dreigeschossige Treppenraum mit orangefarbenen Wandflächen, Geländern und Deckenverkleidungen sowie einer frei stehenden Himmelsleitertreppe und Brücken zu den Schulfluren kennzeichnet die Farbigkeit des Gebäudes vielmehr als wesentliches und tragendes Element des Entwurfskonzepts. Davon zeugt nicht zuletzt auch das mit breiten vertikalen Farbstreifen gestaltete überdimensionale »Wandbild« des Münchener Farbkünstlers Herbert Kopp, der das Farbkonzept aller inneren und äußeren Oberflächen der Schule in enger Abstimmung mit den Architekten entwickelte. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass für die Farbgestaltung keine zusätzlichen Geldmittel zur Verfügung standen – etwa aus dem Kunst-am-Bau-Budget, das in einem am Rand der Pausenhalle aufgehängten Kunstwerk aufging.

NCS-Farbblätter statt Renderings

Ein Blick in das Portfolio der Architekten verrät eine glühende Leidenschaft insbesondere für den großflächigen und dennoch wohldosierten Einsatz warmer Farbtöne. Mit diesem verhältnismäßig günstigen Mittel zur Raumgestaltung – irgendeine Farbe ist ohnehin immer zu wählen – erzeugen sie emotionalisierende Räume, stellen aber auch Orientierung, Raumbezüge oder Abgrenzungen her. Im siegreichen Wettbewerbsprojekt, noch ohne konkrete Überlegungen zum Farbkonzept, standen räumlich-funktionale Aspekte klar im Vordergrund. Mit seinen klar abgegrenzten Raumvolumina trug der Entwurf jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt all jene Möglichkeiten in sich, die schließlich nach der Beauftragung und im Zusammenspiel mit dem Farbkünstler und den Gremien der Schule bzw. den Genehmigungsbehörden zur Entfaltung kamen.

Grundsätzlich stehen den zurückhaltenden Außenfarben vier Farbzuordnungen der inneren Verkehrsflächen gegenüber: Während Bodenbeläge stets in dunklem Naturstein oder Linoleum ausgeführt wurden, sind die äußeren Flurwände und -decken orange, entsprechende Flächen rund um den großen Pausenhof rot, zur Aula und zum Eingangshof gelb und zur Sporthalle – wie auch die Halle selbst – hellgrün. Treppenhäuser als eigenständige vertikale Verbindungselemente erscheinen dagegen in unterschiedlichen Blautönen. Die Farbauswahl basiert vor allem auf der Intuition des Künstlers und der Architekten, die stets das Ziel eines ebenso inspirierenden wie angenehmen Ortes vor Augen hatten. Einzelne Farbtöne testete Kopp an Arbeitsmodellen unterschiedlicher Maßstäbe. Computervisualisierungen spielten dabei eine untergeordnete Rolle, da sie sich zur Wiedergabe realer Farben als ungeeignet erwiesen. Stattdessen verwendete der Farbkünstler v. a. direkt aufgeklebte NCS- Farbblätter.

Anregen und Beruhigen

Die Abstimmung zwischen Kopp und den Architekten verlief deshalb relativ unkompliziert und ohne Kompetenzgerangel, weil beide bereits über lange Zeit und bei vielen Projekten als eingespieltes Team zusammenarbeiten. Und so bedurfte es auch keiner langen Diskussionen darüber, dass sämtliche Wände und Decken von Klassen- oder Lehrerzimmern, Sekretariat oder Mensa eher in zurückhaltenden gebrochenen Weißtönen erscheinen. Daraus ergibt sich in den Lernräumen eine im Vergleich zur anregenden Farbigkeit der Flure eher beruhigende Atmosphäre. Zur Konzentrationsfähigkeit der Schüler trägt dies ebenso bei wie eine kontrollierte Lüftung, die mit permanenter Messung der CO2-Werte und einem dreifachen Luftwechsel pro Stunde für ausreichend Sauerstoff sowie minimale Wärmeverluste sorgt. Insgesamt haben die Architekten mit großen Dämmpaketen, Wärmerückgewinnungsanlagen und Erdröhrenkollektoren einen Jahresprimärenergiebedarf von 112 kWh/m²a und damit Passivhausstandard erreicht. Eine offizielle Zertifizierung erfolgte nicht, da die konsequente Verfolgung dieses Ziels bis ins kleinste Detail das schmale Budget aus Steuermitteln überstiegen hätte.

Latexfarben versus Wanderklassen

Obwohl der Schulbetrieb der Dr.-Josef-Schwalber-Realschule erst im Herbst 2011 begann, weisen die farbigen Flurwände bereits heute unübersehbare Abnutzungsspuren aus dem Schulalltag auf, wie man sie eigentlich erst nach mehreren Jahren erwarten würde. Dies als Unmutsäußerung der Schüler zu interpretieren, wäre allerdings falsch. So zitierte die Rektorin Angelika Rogg in ihrer Eröffnungsrede Schüler, die sich über die präsenzmeldergesteuerte Beleuchtung oder das Fehlen der vor allem im Winter konfliktträchtigen Fensterlüftung ebenso positiv äußern wie über die Farben, die »so erfrischend und aufmunternd, so hell und kräftig sind und eine gute Stimmung machen«. Die Ursache für das Verschmutzungsproblem liegt vielmehr in der Tatsache, dass das ursprünglich im Raumprogramm definierte Stammklassenprinzip nach behördlichen Vorgaben kurz vor Bezug der Schule durch ein Fachraumprinzip ersetzt werden musste. Anstatt also über fest zugewiesene Klassenzimmer zu verfügen, machen sich die Schüler nun nach jeder Schulstunde als Wanderklasse auf den Weg in andere Räume. Wie sich heute zeigt, ist der zu diesem Zeitpunkt bereits aufgetragene matte Anstrich aus an sich strapazierfähigen und abwaschbaren Latexfarben für ein derartiges Bewegungsprofil allerdings ungeeignet.

In einem wesentlich besseren Zustand präsentieren sich dagegen die Treppenhäuser und das Wandbild an der Haupttreppe, die ebenfalls mit Latexfarben, jedoch mit einem zusätzlichen 2-Komponenten PU Klarlack beschichtet wurden. Diese Variante kam in den Fluren deshalb nicht zur Ausführung, weil man hier von relativ langen Intervallen für zeit- und kostenintensive Reinigungsmaßnahmen oder Neuanstriche ausging. Und dabei bieten die verwendeten Latexfarben den Vorteil, dass sie sich problemlos überstreichen lassen, während die beschichteten Flächen vor dem Neuanstrich erst mühsam abgeschliffen oder anderweitig mechanisch entfernt werden müssen.

Nach den Erfahrungen mit der hohen Frequentierung der Flure mit 10- bis 16-jährigen Schülern haben die Architekten bereits zahlreiche alternative Oberflächen untersucht. Wandbeläge und Verkleidungen schieden letztlich aus, weil auch sie sich – bei wesentlich höheren Investitionskosten – nicht dauerhaft vor den zu erwartenden Verschmutzungen und Oberflächenbeschädigungen schützen lassen. Aktuell werden Musterflächen verschiedenster Farbbeschichtungsqualitäten gestestet, die ebenso robust wie zu verträglichen Kosten erneuerbar sein müssen. Bis eine geeignete Lösung gefunden ist, wird die Schule wohl mit dem unerfreulichen Zustand der Wände leben müssen. Glücklicherweise bleibt der Gesamteindruck des bemerkenswerten Zusammenspiels zwischen Raum und Farbe davon unbeeinträchtigt.

db, Mo., 2012.06.11



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db 2012|06 Potenzial Farbe

29. Februar 2012Roland Pawlitschko
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Platz machen

Die neue Gestaltung des Eduard-Wallnöfer-Platzes scheint sich dem Nutzer schnell zu erschließen – als Skatepark, Puzzlespiel aus Betonfertigteilen oder...

Die neue Gestaltung des Eduard-Wallnöfer-Platzes scheint sich dem Nutzer schnell zu erschließen – als Skatepark, Puzzlespiel aus Betonfertigteilen oder...

Die neue Gestaltung des Eduard-Wallnöfer-Platzes scheint sich dem Nutzer schnell zu erschließen – als Skatepark, Puzzlespiel aus Betonfertigteilen oder Reminiszenz an die Innsbrucker Bauwerke Zaha Hadids. Allein, keine dieser Beschreibungen trifft zu. Vielmehr ist der Platz eine im Wortsinn aus dem Gesamtkontext erwachsene urbane Bodenskulptur, die den Menschen große Spielräume zur persönlichen Aneignung gibt.

Dass dringend etwas geschehen musste, darüber waren sich alle einig. Fast vollständig von einer Tiefgarage unterhöhlt, mit tristen Plattenbelägen im Norden und einer lieblosen Grünanlage im Süden, war der Eduard-Wallnöfer-Platz kaum mehr als eine 9 000 m² große Fläche, auf der einfach nur keine Häuser standen. Hinzu kam das unwürdige Nebeneinander von Hundehaufen, vier zusammenhangslos in einer Reihe abgestellten Denkmälern zur NS-Zeit bzw. zur Regionalgeschichte, in Büschen lebenden Ratten und dem allabendlichen Gefühl von Unsicherheit. 2008 initiierte die Tiroler Landesregierung schließlich einen Architektenwettbewerb zur umfassenden Neugestaltung der wegen ihrer Lage am Tiroler Landtag meist als »Landhausplatz« bezeichneten Fläche.

Mondlandschaft oder Bühne für städtisches Leben?

Zum Sieger des Konkurrenzverfahrens kürte die Jury einstimmig einen von LAAC Architekten gemeinsam mit Stiefel Kramer Architecture und dem Künstler Christopher Grüner entwickelten Entwurf, dessen Motto »Platz machen« ernster gemeint war, als es manche Innsbrucker erwarteten. Besonders polarisierend wirkte paradoxerweise der Umstand, dass hier mitten im Stadtzentrum, zwischen Hauptbahnhof und Altstadt, kein lieblicher Garten, sondern ein dezidiert urbaner Platz entstehen sollte. Mitte 2011 fertiggestellt, schien die »begehbare Bodenplastik« mit ihren sanft gewölbten »Geometrien« und hellen Betonoberflächen den gängigen Sehgewohnheiten der Bevölkerung so sehr zu widersprechen, dass an den Stammtischen schnell von einer »Mondlandschaft« die Rede war, die sich noch dazu ausgerechnet bei jugendlichen Skatern und BMX-Radfahrern größter Beliebtheit erfreute. Inzwischen sind die Wogen geglättet. Erstens hat sich der Landhausplatz tatsächlich als der von Anfang an geplante »Platz für alle« etabliert. Anstelle von Verboten regelt ein gemeinsam von Jugendgruppen und der Landesregierung erarbeiteter »Verhaltenskodex« heute das gut funktionierende Miteinander der Nutzer- und Altersgruppen. Und zweitens ist der Platz schon allein wegen dem im Vergleich zur Ausgangslage vergrößerten Baumbestand keine tumbe Betonwüste.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich zudem, dass der Beton neben Weißzement auch schwarze, weiße und gelbe Granitsplitter enthält, die zusammen mit den glatten, gefrästen bzw. polierten Oberflächentexturen von Platzfläche, gewölbten Übergängen bzw. Geometrie-Ober- seiten ein überaus lebendiges Erscheinungsbild ergeben.

Planungsvorgaben als Inspirationsquelle

Aus der Vogelperspektive mag die schwungvolle Kunstlandschaft im recht- winklig geprägten Stadtgefüge noch fremdartig anmuten. Nach Betreten des Platzes wird allerdings klar, dass die fließend aus der Platzfläche heraustretenden Geometrien wesentlich raumbildender sind als anfänglich angenommen und zudem mehrere Aufgaben überzeugend erfüllen: Sie definieren exponierte, aber auch eher geborgene Bereiche; schaffen klar zugeordnete Freischankflächen für zwei Lokale, integrieren Tiefgaragenzufahrt und -aufgänge, erzeugen eine Art Leitsystem für innerstädtische Wegeverbindungen und bieten nicht zuletzt anregende Bewegungsflächen für drei-, lauf- oder fahrradfahrende Kinder und skatende Jugendliche.

Die scheinbar so locker auf dem Landhausplatz ausgebreitete Plastik ist also keineswegs nur Ausdruck persönlichen Gestaltungswillens. Sie ist v. a. das Ergebnis eines komplexen Entwurfsprozesses, bei dem Planungsvorgaben als Inspirationsquellen dienten. Beispielsweise sorgt ein schwellenloses Wasserspiel auf der für feierliche Veranstaltungen frei zu haltenden Fläche vor dem Landhaus für sommerliche Abkühlung, während das unverrückbare zentrale Befreiungsdenkmal in der durchgängigen Homogenität des Platzes ebenso angenehm gliedernd wirkt wie der große »Hügel« an der Wilhelm-Greil-Straße, der die Tiefgaragenzufahrt ausblendet und zugleich Schattenplätze unter Ahornbäumen, flache Wassertreppen wie auch einen guten Rundumblick bietet.

Ein Platz, der sich nicht auf seine Umgebung verlassen kann

Dass der Landhausplatz kein historisch gewachsener Platz ist – er entstand nach dem Zweiten Weltkrieg durch Abbruch einer kleinteiligen Bebauung – ist von jedem Standpunkt aus spürbar. Die nördlich und westlich situierten Gebäude sind als Platzkanten architektonisch überfordert und auch deren Nutzungen im EG tragen nur wenig zur Belebung der Platzfläche bei. Zur Bühne seiner Nutzer wird der Platz nur deshalb, weil er gleichsam aus sich selbst heraus lebt. Diesem Gedanken entsprechen sowohl die bewegte Topografie als auch das Beleuchtungskonzept. Kennzeichnend hierfür ist, dass auf eine Inszenierung der Platzkanten und der Denkmäler gänzlich verzichtet wurde. Während die eigens gestalteten Laternen den Platz in ein gleichmäßiges Licht tauchen, verlieren sich die Denkmäler im Dunkel des Nachthimmels.

Geschichte und Gegenwart in einem lebendigen Zusammenspiel

Nicht weniger wichtig als der Freizeitwert, den der Landhausplatz bis zur offiziellen Nachtruhe um 23 Uhr bietet, war die Schaffung eines würdigen Rahmens für die vier, hier aufgestellten Denkmäler – eine Vorgabe, die die Planer so selbstverständlich umsetzten, dass selbst Schulklassen plötzlich Spaß an der Auseinandersetzung mit der regionalen Geschichte entwickeln. Die Menora, ein Mahnmal, das an die Ermordung jüdischer Bürger in der Reichskristallnacht 1938 erinnert, und der Gedenkstein zur 600-Jahr-Feier der Zugehörigkeit Tirols zu Österreich wurden versetzt und befinden sich nun frei stehend am Rand zweier Geometrien im Süden des Platzes. Den ebenfalls verschobenen Vereinigungsbrunnen, gewidmet der Eingemeindung einiger Dörfer zu Innsbruck, erweiterten die Planer um die bereits erwähnten Wassertreppen – momentan wird er als »Bereich zum Chillen« ausgewiesen.

Eine besondere Bedeutung kommt dem von französischen Alliierten 1948 auf einem hohen Stufensockel errichteten Befreiungsdenkmal zum Gedenken der für die Freiheit Österreichs Gestorbenen zu. Bislang als unnahbare Barriere zwischen den beiden Platzhälften wahrgenommen, wird es heute von einer sanft nach Süden ansteigenden Inselgeometrie umspült, die die Anzahl der alten Stufen verringert und das Monument so zum willkommenen »Hindernis« der Skater macht. Gemäß Verhaltenskodex sind die südlichen Stufen und sogar einige der Sitzbänke (!) und alle Kanten der geschwungenen Geometrien für Grinds und Slides freigegeben, während deren Nordseite, die Stufen des Landhauses und die anderen Denkmäler tabu sind.

Handwerklich vor Ort verarbeiteter Beton

Der Landhausplatz ist ausdrücklich kein Skatepark, dennoch wurden die Oberflächen etwa durch konsequent abgerundete Kanten oder durch einen besonders robusten B7-Beton so geplant, dass derlei Aktivitäten problemlos möglich sind. Störungen der homogenen Fläche haben die Architekten allein schon im Sinne der möglichst durchgängigen Flächenwirkung vermieden. Und statt sichtbarer Entwässerungsrinnen für Oberflächenwasser konzipierten sie unmittelbar unter den offenen Fugen liegende Rinnen bzw. gleichmäßig dazwischen verlegte Dränagerohre (s. Detailbogen S. 90).

Auch wenn die erstklassige Betonoberflächenqualität und das rasterförmige Fugenbild es nicht auf Anhieb vermuten lassen, ist die gesamte Topografie doch vor Ort hergestellt worden. Um die Lasten über der bestehenden Tiefgaragendecke möglichst gering zu halten, wurden ebene wie auch gewölbte Betonplatten über einer verlorenen Schalung aus Glasschaumschotter gegossen – im Bereich der Bäume kam stattdessen Substrat zum Einsatz. Die konkaven bzw. konvexen Geometrien formten die Betonbauer aus der jeweiligen Schüttung vor, um sie anschließend mit einer 15-20 cm dicken Schicht des zähflüssigen und schnell abbindenden Betons zu überziehen – jeweils bis zur Unterkante von in kurzen Abständen aufgestellten Holzschablonen. Fertigteile kamen deshalb nicht infrage, weil die endgültige Form der dreidimensionalen Boden- plastik erst dann fixiert werden konnte, nachdem der alte Platz vollständig abgebrochen war und auch alle infrastrukturellen Rahmenbedingungen feststanden – Zeit zur Vorbereitung des Vorfertigungsprozesses wäre da kaum geblieben. Letztlich spiegelt sich bei den nicht gerade unkomplizierten Betonarbeiten im Detail wider, was die Platzgestaltung auch als Ganzes prägt – eine bemerkenswert sorgfältige Planung, bei der persönliche Gestaltungsvor- stellungen, der gesunde Menschenverstand und der Gesamtkontext perfekt harmonieren.

db, Mi., 2012.02.29



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db 2012|03 Freiräume

09. August 2011Roland Pawlitschko
db

Schmuckstück im Verborgenen

Einst kaum mehr als eine unbedeutende Hinterhofseite, bietet die Rückseite des barocken Rathauses in Landsberg durch den Erweiterungsbau heute eine zweite Schaufassade. Ergebnis ist ein stimmiges Ensemble, bei dem sich selbstbewusste zeitgenössische Architektur und feinfühliges Einfügen in den Bestand an keiner Stelle widersprechen.

Einst kaum mehr als eine unbedeutende Hinterhofseite, bietet die Rückseite des barocken Rathauses in Landsberg durch den Erweiterungsbau heute eine zweite Schaufassade. Ergebnis ist ein stimmiges Ensemble, bei dem sich selbstbewusste zeitgenössische Architektur und feinfühliges Einfügen in den Bestand an keiner Stelle widersprechen.

Mit einer reich verzierten Stuckfassade und großen Fensterformaten präsentiert sich das zu Beginn des 18. Jahrhunderts von Dominikus Zimmermann erbaute Rathaus als prächtigstes Gebäude am Hauptplatz. Während die Stadtverwaltung bereits vor gut 70 Jahren in andere Gebäude ausgelagert wurde, verblieben hier einige repräsentative öffentliche Nutzungen. Im EG informiert das Fremdenverkehrsamt über Sehenswürdigkeiten und Veranstaltungen, in den drei OGs liegen einige prunkvoll mit dunklem Holz und Wandmalereien ausgestattete Räume: ein Trauungszimmer, der historische Sitzungssaal und der große Festsaal.

Um dieses Gebäude noch enger mit dem politisch-kulturellen Leben Landsbergs zu verknüpfen und den Standort zwischen Altstadt und Fluss zu stärken, initiierte die Stadt einen Architektenwettbewerb. Wichtiges Ziel war die Schaffung eines großen, modern ausgestatteten Sitzungssaals, zugleich sollten aber auch eklatante funktionale Mängel im Bestandsgebäude beseitigt werden – beispielsweise gab es bisher kaum Pausenflächen und Nebenräume etwa für Catering oder Garderoben; Aufzüge und öffentliche Toiletten fehlten ebenso wie eine barrierefreie Erschließung.

Ouvertüre für eine kraftvolle Architekturkomposition

Da der denkmalgeschützte Altbau keinerlei räumliches Potenzial für derlei Umstrukturierungsmaßnahmen aufwies, sah die Auslobung einen Erweiterungsbau im Innenhof vor. Die Architekten konzipierten hierfür ein dezidiert zeitgenössisches Gebäude mit großflächiger Verglasung und kupferner Streckmetallhülle, das mit dem Altbau eine bemerkenswerte formale und funktionale Einheit bildet. Vom Hauptplatz aus ist davon allerdings kaum etwas zu sehen. Den einzigen Hinweis auf das im Hof verborgene Schmuckstück liefern die neuen Glastüren und Fensterläden aus Tombak im EG, hinter denen sich links und rechts der als Hofdurchgang reaktivierten Mittelachse ein direkter Zugang zu den OGs des Altbaus bzw. das neu eingerichtete Fremdenverkehrsamt befinden. Die Anlaufstelle für Touristen bildet mit ihrem lang gestreckten Thekenmöbel und der schlichten Raumgestaltung – weiße Wand- und Deckenflächen, Boden in Weißbeton, Möblierung in dunkler Raucheiche – gleichsam die Ouvertüre für eine kraftvolle Architekturkomposition, von der die Besucher nach Passieren des Durchgangs überrascht werden. Dort erwartet sie nämlich kein düsterer Hinterhof, sondern eine sanft abfallende Passage, die sich zur rückwärtigen Salzgasse und zum Lech schrittweise aufweitet und die von dem sich dynamisch über den Weg schwingenden Neubau begleitet wird. ›

Streckmetall statt Stuck

Trotz des denkbar großen Kontrasts zur reich dekorierten Eingangsfassade und den Gewölbebögen des Durchgangs wirkt das neue Gebäude sofort vertraut und einladend. Das liegt einerseits an der bereits vom Tourismusbüro bekannten Architektur- und Materialsprache, andererseits am hohen Transparenzgrad der Fassade. Diese ist nahezu vollflächig verglast und in den OGs von einer durchgängigen Haut aus schuppenartig versetzten Streckmetall-Elementen aus Kupfer umgeben. Resultat ist eine feingliedrige Gebäudehülle, die den Baukörper durch ihren erdigen Farbton selbstverständlich in die Altstadtsilhouette integriert. Zugleich bietet die durchlässige Haut aber auch einen sehr guten Überblick über die klare Grundrissstruktur. V. a. bei eingeschalteter Innenbeleuchtung ist daher bereits lange vor Betreten des Neubaus erkennbar, dass der neue Sitzungssaal erhaben in den Innenhof auskragt, während der unmittelbar an einen Seitenflügel des alten Rathauses anschließende, konkav geschwungene Verbindungsbau neben der neuen Vertikalerschließung mit Aufzug auch die ebenerdig an den Altbau anschließenden Pausenfoyers beherbergt.

Sitzungen mit repräsentativer Würde

Mit seiner vollflächigen Verglasung und den von außen nach innen auf ganzer Länge durchlaufenden Stufen, Bodenbelägen und Deckenbekleidungen verschmelzen das neue Hauptfoyer und die Innenhofpassage zu einer optischen Einheit. Das EG wird als Ausstellungsfläche genutzt, hier befinden sich öffentliche Toiletten, Garderobe, eine Cateringküche und eine als Bar oder Ablage nutzbare Theke. In erster Linie aber dient das Foyer bei Veranstaltungen in den historischen Räumen oder im Sitzungssaal als zentraler Empfangs- und Verteilerbereich.

Über eine Treppe bzw. über den Aufzug erreichen Besucher das Pausenfoyer des 1. OG, von dem aus der Altbau wie auch der neue Sitzungssaal zugänglich sind. Dass dieser überwiegend für Stadtratsitzungen, durch einfache Demontage der festen Tischreihen aber häufig auch für andere Veranstaltungen genutzte Raum die gleiche repräsentative Würde aufweist wie der historische Sitzungssaal, hat v. a. zwei Gründe: Wesentlich ist zum einen die zurückhaltend elegante Auskleidung von Wänden, Boden und Decke mit dunkler Raucheiche, hinter der sich nicht nur einige technische Finessen befinden – vom versenkbaren Beamer über eine Verdunklungsanlage bis hin zur Live-Übertragungsmöglichkeit ins Foyer –, sondern auch eine Vollklimatisierung. Sie wird wegen der Verschattung durch ein hohes Nachbargebäude im Süden allerdings nur selten gebraucht. Für eine gewisse Noblesse sorgen zum anderen aber auch die erhöhte Lage und der Blick durch die schützende Streckmetall-Filterschicht auf die Dächer der Altstadt. Der durch Abrücken der Metallfassade entstehende Zwischenraum erzeugt dabei nicht nur eine angenehm plastische Innen- und Außenwirkung, hier verläuft auch ein Gitterroststeg, der sich zur Gebäudereinigung ebenso eignet wie als zweiter Rettungsweg – aufgrund ihrer hohen Stabilität dient die Metallfassade gleichzeitig als Absturzsicherung.

Eine heute unsichtbare, konstruktive Besonderheit bietet die weit auskragende Beton-Geschossdecke zwischen EG und Sitzungssaal. Da eine gewöhnliche Flachdecke mit der erforderlichen statischen Höhe von 50 cm wegen des hohen Eigengewichts nicht nur zu unerwünschten Durchbiegungen, sondern auch zu einer weit weniger luftigen Bauweise im EG geführt hätte, wurden in die Schalung rund 30 cm große Kunststoffkugeln integriert. Sie reduzieren das Gewicht der Decke erheblich, ohne deren Tragwirkung zu beeinträchtigen. Ebenfalls aus Gründen der Gewichtsersparnis wurde die Geschossdecke über dem Sitzungssaal als Elementdecke mit Beton-Hohldielen ausgeführt.

Respekt und Pragmatismus

Über dem Sitzungssaal liegt eine Dachterrasse, die allen Besuchern und Veranstaltungsteilnehmern des Gebäudeensembles offen steht und eine wunderbare Aussicht zum Lech und über die Altstadt eröffnet. Noch mehr Überblick bietet lediglich das oberste Geschoss des Verbindungsbaus – hier liegt auch der Hauptzugang zum bislang ganz ohne Vorraum erschlossenen Festsaal. Beim Blick nach unten auf die zahlreichen Rundwegmöglichkeiten wird klar, wie eng Alt und Neu miteinander verknüpft sind. Deutlich wird aber auch, dass die Hofseite des barocken Altbaus durch die schmale Anbindung zum Neubau hinsichtlich ihrer Wirkung und Belichtung kaum beeinträchtigt wird. Dieser Umstand steht exemplarisch für den sensiblen Umgang der Architekten mit alter und neuer Bausubstanz. Maßgeblich hierfür ist eine Mischung aus gegenseitigem Respekt und gesundem Pragmatismus, bei der sich weder das moderne Neue noch das prunkvolle Alte selbstverliebt in den Vordergrund drängt.

Von dieser Haltung ist in besonderer Weise auch das eigene Büro der Architekten im Schloss Greifenberg in der Nähe des Ammersees gekennzeichnet , wo sie drei Ebenen eines »Zehentstadels« mit minimalen Eingriffen in Arbeitsräume verwandelt haben. Mit viel Gespür für die Authentizität der Gebäudesubstanz entstand dort ein ebenso reversibler und kostengünstiger wie funktionaler und unkonventionell kreativer Umbau, der bei der Planung an der Rathauserweiterung in Landsberg sicherlich inspirierend gewirkt hat.

db, Di., 2011.08.09



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db 2011|08 In zweiter Reihe

04. Juli 2011Roland Pawlitschko
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Pflege mit Aussicht

Stille Gemütlichkeit und extrovertierte Transparenz sind hier keine Gegensätze, sondern Ausdruck einer bemerkenswerten Normalität, die auch die z. T. über hundert Jahre alten Bewohner sehr schätzen. Sicher, die herrliche Bergluft und die liebevollen Ordensschwestern tragen ihren Teil bei, einen ganz wesentlichen Beitrag leistet aber auch die sensibel ins soziale Umfeld eingepasste Architektur.

Stille Gemütlichkeit und extrovertierte Transparenz sind hier keine Gegensätze, sondern Ausdruck einer bemerkenswerten Normalität, die auch die z. T. über hundert Jahre alten Bewohner sehr schätzen. Sicher, die herrliche Bergluft und die liebevollen Ordensschwestern tragen ihren Teil bei, einen ganz wesentlichen Beitrag leistet aber auch die sensibel ins soziale Umfeld eingepasste Architektur.

In Serpentinen windet sich die Straße von der quirligen Ortschaft Lana gut 500 Höhenmeter hinauf in den rund 1 000 Einwohner zählenden Teilort Völlan und hinein in eine zurückgezogene Welt mit Wäldern, Wein- und Obstanbaugebieten und einem fantastischen Blick über das Etschtal. In dieser Abgeschiedenheit gründete der Deutsche Orden 1852 ein Hospiz, das zuletzt als Altenheim mit rund 40 Bewohnern genutzt wurde, sich aber aufgrund überalterter Baustrukturen kaum mehr für das von den Ordensschwestern propagierte »ganzheitliche Pflegekonzept« eignete. Also initiierten sie einen Planungswettbewerb zur Modernisierung des Gebäudebestands und Realisierung eines ergänzenden Neubaus. Ziel der Planungen war ein dezidiert modernes Haus mit großzügigen Räumen und wohnlichem Ambiente, das sowohl den Vorstellungen von einer menschenwürdigen Pflege als auch den umfassenden »Baurichtlinien für Alten- und Pflegeheime des Landes Südtirol« genügen sollte. Vor dem Hintergrund des hohen Bedarfs an Wohnplätzen und im Sinne eines wirtschaftlichen Betriebs sollte das Haus insgesamt 75 größtenteils schwer pflegebedürftige Bewohner aus Lana, Meran und Umgebung aufnehmen.

Selbstbewusstes Miteinander

Das neue Pflegeheim St. Josef des Südtiroler Architekten Arnold Gapp liegt exponiert auf einem Bergrücken unweit von Dorfkirche und Dorfmitte. Zur Talseite erscheint es als 85 m lange Großform mit drei Ober- und zwei Untergeschossen sowie einer relativ einheitlichen Fassadengestaltung. Damit zeigt es zwar jene selbstbewusste städtebauliche Präsenz, die angesichts des auch hier immer wichtigeren Themas »Wohnen im Alter« durchaus erwünscht war. Für Völlaner Verhältnisse unmaßstäblich ist es aber nur deshalb nicht, weil es aufgrund seiner Hanglage von kaum einem Standort aus in vollständiger Länge zu sehen ist. Im Gegensatz hierzu präsentiert sich das Gebäudeensemble aus Altbau, Neubau und nördlich angegliederter Hauskapelle von der Eingangsseite als überraschend plastisch und feingliedrig. Hier gruppieren sich der frei stehende, behutsam sanierte Alt- und der zweiflügelige Neubau um einen zur Dorfmitte offenen Innenhof, wobei die Abwechslung zwischen verputzten bzw. großflächig verglasten Holzfassaden für ein selbstverständliches Miteinander der Baukörper sorgt.

Mehr als Transparenz

Die Idee des gemeinschaftlichen Miteinanders spiegelt auch die transparente Eingangsfassade wider. Einerseits ist sie architektonischer Ausdruck der Erneuerung und wirkt mit herausfordernder Offenheit dem landläufigen Bild der ins Heim abgeschobenen Alten entgegen, andererseits gewährt sie vielfältige Einblicke auf die wichtigsten, quasi öffentlichen Hausbereiche – Küche, Mehrzwecksaal und Verwaltung im EG sowie Gemeinschaftsbereiche in den OGs. Dieser Überblick ist von besonderer Bedeutung, weil er den Bewohnern die Möglichkeit bietet, sich trotz Mobilitätseinschränkungen als Teil der Aktivitäten ihrer Lebensumwelt zu betrachten.

Der überschaubare Eingangsbereich ohne offene Theken (der verglaste Empfang ist gleichzeitig Teil der Verwaltung) und ohne aufdringliche Infotafeln oder Aushänge wirkt wie das großzügige Foyer eines Wohnhauses. Und tatsächlich bietet das Hauskonzept in den beiden OGs keine klassischen »Stationen«, sondern jeweils einen Pflegewohnbereich mit 28 Bewohnern. Dieser Bereich besteht neben den für solche Einrichtungen üblichen Nebenräumen überwiegend aus Einzelzimmern, die sich entlang der beiden Gebäudeflügel entweder zum Dorf oder zum Tal hin orientieren – vier Zimmer liegen jeweils im Altbau und sind über einen Glassteg mit dem Neubau verknüpft. ›

Bewohner statt Insassen

Für eine wohnliche Atmosphäre in den Fluren wie auch in den Zimmern sorgen Parkettfußböden in Kirsche, Wandverkleidungen in Lärche, gekalkte Wände, aber auch Holzfenster, über deren Brüstungen die Bewohner auch vom Bett aus noch gut ins Freie sehen können. Trotz vorgeschriebener technischer Anschlüsse für Sauerstoff- und Absauganlagen oder Notrufsysteme herrscht in den Zimmern keine Krankenhausatmosphäre – gäbe es nicht die Pflegebetten, könnten die Räume ebensogut Hotelzimmer sein. Bündig gesetzte Holzoberflächen, ein großes Oberlicht zum Bad sowie gestalterisch angenehm redu- zierte Möblierungen, Einbauleuchten und sogar Steckdosen bestimmen das Bild. Die konsequente Barrierefreiheit drängt sich weder hier noch in den Bädern oder anderswo im Haus auf. Um beispielsweise den Aufzug (der zugleich Rettungsaufzug ist) jederzeit ohne sichtbare Raumabschlüsse zugänglich zu halten, setzte der Architekt ein hinter der Wandverkleidung verstecktes Brandschutztor ein. Heimleiter Sepp Haller beschreibt dies als »Normalitätsprinzip«: Natürlich müssen die Oberflächen hygienischen und anderen Standards genügen. Doch warum sollten die Räume deshalb durch den Einsatz vertrauter Materialien nicht trotzdem »normal« aussehen und mit persönlichen Gegenständen ausgestattet werden dürfen? In ihren Zimmern machen die Bewohner von dieser Möglichkeit bislang nur zaghaft Gebrauch, weshalb diese letztlich dann doch eher unpersönlich wirken.

Sehen und gesehen werden

Anders als die Privaträume fungieren die Gemeinschaftsbereiche an der Eingangsfassade als offene Kommunikationsflächen, die durch ein vielfältiges räumliches und organisatorisches Angebot (essen, spielen, musizieren, malen, basteln) eine hohe Erlebnisdichte bieten – und damit der Vereinsamung als einem der größten Probleme in Pflegeheimen entgegenwirken. Wie in einem Hotel gibt es in jedem Geschoss unterschiedlich große, mehr oder weniger »öffentliche« Zonen. Für kleinere Runden eignen sich die in einer seitlichen Aufweitung untergebrachte »Stube«, ein weiterer Aufenthaltsraum im Altbau, aber auch die große Loggia, die gleichzeitig Rettungsbalkon für die Feuerwehr ist.

Das vielleicht wichtigste Stück Normalität und vertrautes Gesellschaftsleben ermöglicht den überwiegend katholischen Menschen die zweigeschossige, von den Fluren des 1. und 2. OG barrierefrei zugängliche Hauskapelle. Konzipiert als eigenständiger Baukörper, der sich von den Pflegewohnbereichen und von außen durch grob strukturierte Putzoberflächen abhebt, gibt sich das Innere der Kapelle – ganz im Gegensatz zu den sonst vorherrschenden warmen Holzfarbtönen und transparenten Glasflächen – angenehm kühl und hermetisch. Durch einheitlich sandfarbene Oberflächen, roh verputzte Wände, Natursteinboden und eine indirekte Lichtführung, v. a. aber durch die abstrakte Ausstattung des Meraner Künstlers Manfred Alois Mayr entstand ein Innenraum von bemerkenswert kraftvoller Klarheit und Spiritualität. ›

Sterben – selbstverständlicher Teil des Lebens

Ergänzt wird dieser Sakralraum durch eine seitliche »Totenkapelle«, die das Sterben als selbstverständlichen Teil des Lebens vor Augen führt. Mit ihrer archaischen Schmucklosigkeit, einem großen hochliegenden Fenster und gleichmäßigem Nordlicht korrespondiert sie wunderbar mit der Hauskapelle und schafft die Möglichkeit, verstorbene Bewohner würdevoll aufzubahren und in aller Ruhe und Ungestörtheit zu verabschieden. Aus diesem Grund ist die Totenkapelle nicht nur von innen, sondern (wegen des ansteigenden Geländes) auch von außen ebenerdig zugänglich – gänzlich unabhängig von den in der Kapelle stattfindenden Rosenkranzgebeten und Gottesdiensten.

Unter der Kapelle, im EG der nördlichen Gebäudeflügel befindet sich ein dritter Pflegewohnbereich für 18 Demenzkranke. Dieser entspricht grundsätzlich den Pflegewohnbereichen der OGs, ist jedoch wesentlich kompakter und introvertierter angelegt, um den Menschen mit massiven Orientierungs- und Gedächtnisproblemen die Orientierung zu erleichtern und störende Außen- reize zu minimieren.

Der große Aufenthaltsbereich am nördlichen Gebäudeende verfügt neben einem Koch- und Essbereich mit Küchenzeile auch über eine Original-Bauernstube aus dem 19. Jahrhundert, die durch typische Gerüche, Oberflächen und Materialien angenehme Erinnerungen bereiten soll. Ob dies tatsächlich funktioniert, können selbst die Schwestern nicht mit Sicherheit sagen. Allerdings haben sie festgestellt, und dies gilt für alle Heimbewohner, dass die während der Bauphase in ein anderes Pflegeheim ausquartierten Bewohner seit dem Rückzug ins neue Pflegeheim St. Josef deutlich weniger typische Winterkrankheiten aufwiesen als bisher – obwohl sie wegen des erneuten Umzugs, noch dazu in der kalten Jahreszeit, eigentlich mit einem Anstieg gerechnet hatten. Sie führen diesen Effekt nicht zuletzt auf die hohe Behaglichkeit und Offenheit des Hauses, aber auch auf die durch die Glasfassaden wesentlich erhöhte Sonnenein- strahlung zurück.

Die durchschnittlich 90 Jahre alten Bewohner lassen im Gespräch keinen Zweifel daran, dass sie sich hier rundum wohlfühlen. Und stets ist dabei auch ein bisschen Stolz auf das neue Gebäude hoch über dem Etschtal herauszuhören, in dem sie mit den Ordensschwestern wie in einer großen Familie wohnen.

db, Mo., 2011.07.04



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db 2011|07 In Würde altern

04. Mai 2011Roland Pawlitschko
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Zusammen ein Ganzes

Dem Wunsch des Bauherrn nach einer »radikalen« Verbesserung der bisherigen Raumsituation durch Erweiterung und Neuorganisation der Landesbibliothek entsprachen die Architekten Martin Bez und Thorsten Kock mit einem räumlich und bibliothekarisch vielschichtigen Gebäudeensemble. Eine hermetische Magazinbibliothek verwandelte sich dadurch in einen offenen Ort des Wissens und der Kommunikation.

Dem Wunsch des Bauherrn nach einer »radikalen« Verbesserung der bisherigen Raumsituation durch Erweiterung und Neuorganisation der Landesbibliothek entsprachen die Architekten Martin Bez und Thorsten Kock mit einem räumlich und bibliothekarisch vielschichtigen Gebäudeensemble. Eine hermetische Magazinbibliothek verwandelte sich dadurch in einen offenen Ort des Wissens und der Kommunikation.

Mit Buchbeständen ehemaliger Klöster 1774 als »bibliotheca publica« gegründet, gilt die heutige oberösterreichische Landesbibliothek als älteste öffentliche Bibliothek Oberösterreichs. Sie beherbergt Büchersammlungen, die trotz ihrer seit jeher unstrittigen kulturgeschichtlichen Bedeutung zunächst viele Standortwechsel durchleiden mussten, bevor sie 1934 schließlich in das eigens errichtete Bibliotheksgebäude am Schillerplatz übersiedelten. Der Fortbestand der stetig erweiterten Sammlung war damit keineswegs gesichert: Nach 1945 fungierte der im Stil der Neuen Sachlichkeit von Julius Smolik geplante Bau erst als städtischer Verwaltungssitz, dann fiel der Auszug der Beamten 1971 ausgerechnet mit einer Phase klammer Haushalte, dem aufkommenden digitalen Zeitalter und der Frage nach dem Sinn öffentlicher Bibliotheken zusammen.

Eine Trendwende zeichnete sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts ab. Zum einen erfreuten sich Büchereien als unmittelbare und kommunikative Wissens-, Lern- und Arbeitsorte immer größerer Beliebtheit. Zum anderen wurden Sammlung und Gebäude 1999 durch das Land Oberösterreich übernommen, das dort eine »Universalbibliothek für die Zwecke der außeruniversitären Forschung in der Region« plante. Nachdem in der Folge nicht nur das Interesse, sondern auch die Ansprüche der Besucher stiegen, erwies sich der denkmalgeschützte Gebäudebestand räumlich und bibliothekarisch rasch als völlig unzeitgemäß. Einerseits gab es schlicht zu wenig Platz, andererseits war die alte Magazinbibliothek mit nur einem Lesesaal und einem kleinen Freihandbereich für ein öffentlich zugängliches Nutzerangebot völlig unzureichend.

Alt und Neu als Einheit

Ziel des 2005 von der Landesregierung ausgelobten Architektenwettbewerbs war nicht nur die Modernisierung und Erweiterung des im Laufe der Zeit vielleicht etwas verbastelten, sonst aber sanierungswürdigen Altbaus, sondern auch der »Aufbau von Informationskompetenz«, das Angebot neuer bibliothekarischer Dienstleistungen (Studienmöglichkeiten, Veranstaltungen, Ausstellungen), die »zeit- und technikgemäße sowie benutzerorientierte Präsentation der Bestände« und der Wunsch nach einer »radikalen Verbesserung der Raumsituation«. Vor allem in dieser Hinsicht entsprach der Beitrag der Stuttgarter Wettbewerbsgewinner Bez + Kock voll und ganz dem Anforderungsprofil. Anders als viele Mitbewerber rückten sie dies allerdings nicht plakativ in den Vordergrund, sondern verschmolzen Alt- und Neubau zu einer gleichberechtigten Einheit, die durch ihre kompakte Form durchaus energetische Vorteile bietet. Während der größtenteils mit vorgefertigten Wand- und Deckenelementen aus Beton errichtete Neubau Niedrigenergiestandard entspricht, blieb die energe-tische Sanierung des Altbaus aus Denkmalschutzgründen allerdings auf die Erneuerung von Fensterdichtungen und der Haustechnik beschränkt.

Insgesamt wurde das Bestandsgebäude respektvoll saniert, gleichzeitig aber auch ganz pragmatisch als bauliche Ressource zur Realisierung eines selbstbewusst zeitgenössischen und offenen Innenraumkonzepts betrachtet. Von außen ist von dieser Neuordnung kaum etwas zu erkennen: Fassaden und Kubatur des Altbaus entsprechen dem Originalzustand. Auch der einzig sichtbare neue Gebäudeteil, der siebengeschossige Turm, der an die Stelle eines abgerissenen Gebäudeteils an der Rainerstraße trat, hält sich mit seiner gleichmäßig rhythmisierten Lochfassade dezent im Hintergrund. Städtebaulich korrespondiert der Neubau, in dessen drei obersten Geschossen die Büros der Bibliotheksverwaltung untergebracht sind, ganz selbstverständlich mit weiteren »Türmen« am Schillerplatz – was der Bibliothek erstmals zu einer adäquaten Präsenz im Stadtraum verhilft. Für die gelungene Integration ins Gebäudeensemble sorgt schließlich die Fassade aus Muschelkalk, jenem Material, aus dem auch die Schmuckelemente der Eingangsfassade bestehen.

Offenes Atrium statt ungenutzter Hinterhof

Die Aura einer altehrwürdigen Institution, die bereits im Eingangsportal mit seinem erhabenen Schriftzug »Landesbibliothek« anklingt, setzt sich auch im Innern fort. Dort dominieren materialsichtige und handwerklich solide Oberflächen – dunkle Terrazzo- oder Eichenparkettböden, hell verputzte bzw. gestrichene Wand- und Deckenflächen, schwarze Sitzmöbel sowie eine von den Architekten konzipierte Einrichtung aus Eichenholz. Räumlich am prägnantesten ist zweifellos das glasgedeckte Atrium, das den bislang ungenutzten Hinterhof zum neuen Herzstück der Bibliothek macht. Um dieses, mit Infotheke, Veranstaltungs- und Ausstellungsflächen gleichsam als Marktplatz fungierende Gelenk herum liegen offene Freihandbereiche, Gruppenarbeitsräume, Ausleihe, eine Leselounge mit Zeitschriften sowie zahlreiche, teils offene, teils zurückgezogene Einzelarbeitsplätze. Dass das Gebäude dabei großzügiger erscheint als es eigentlich ist, liegt v.a. am direkten Nebeneinander unterschiedlicher Raumsituationen und den daraus resultierenden vielfältigen Durch- blicken. Mithilfe von »Rundwegen« vernetzten die Architekten das Atrium und die offenen Galerien unter den Bürogeschossen subtil mit den offenen Fluren und den eher zurückgezogenen Räumen des Altbaus (alte Fenster blieben hier aus akustischen Gründen erhalten) sowie dem in seiner Funktion belassenen historischen Haupttreppenhaus – die neue Treppe im Turm dient nur als Fluchtweg.

Raumwirkung versus Originaltreue

Überwiegend natürliche und zurückhaltend farbige Oberflächen führen zwar zu einem ebenso zeitlosen wie einheitlichen Innenraum, dennoch lassen sich Alt- und Neubau deutlich unterscheiden. Nicht zuletzt anhand der ehemaligen Innenhof-Fassade, an der im Gegensatz zu den ansonsten weißen Oberflächen der gleiche sandfarben glitzernde Putz zum Einsatz kam wie bei der Außenfassade – ein Putz, der nach Originalrezeptur des schon 1934 beteiligten Herstellers angefertigt wurde. Wichtiger als die originalgetreue Restaurierung des in den Rohbauzustand zurückversetzten Altbaus war den Architekten jedoch die Schaffung einer authentischen Atmosphäre. Davon zeugen etwa die neu geschaffenen Öffnungen für die Ausgabetheken der Ausleihe, die mit geradezu nostalgisch wirkenden Holzrollläden verschließbar sind und die gleiche Natursteineinfassung erhielten wie die Laibungen des Eingangs. Überdies nutzten die Planer den wegen Mängeln bei Brandschutz und Tragfähigkeit erfolgten Abbruch der alten Beton-Rippendecken der OGs zugunsten neuer Beton-Flachdecken, um alte Fliesenbeläge durch dunkle Terrazzoböden in den Fluren und Holzparkette in den Einzelräumen zu ersetzen. Aus denkmalpflegerischer Sicht mag die stellenweise Verschleierung von saniertem Original, Rekonstruktion und Erneuerung zu kritisieren sein; letztlich sorgt der generell sehr sorgfältige Umgang mit Materialien und Oberflächen aber dafür, dass es keine unpassenden Gestaltungsdetails gibt und dass der Innenraum mit jener Haptik und handwerklichen Qualität korrespondiert, von der auch viele der dort aufbewahrten Bücher geprägt sind.

Als durch und durch authentisches Kleinod historischer Bibliothekstypologien präsentiert sich der alte sechsgeschossige Bücherspeicher, der als Freihandbibliothek nunmehr erstmals komplett für Besucher zugänglich ist. Die bemerkenswert filigrane Stahl-Glas-Konstruktion mit tragenden Regalen und Glasböden wurde von Bez + Kock behutsam saniert und mit einigen aus heutiger Sicht notwendigen technischen Ergänzungen versehen. Dazu zählen u. a. Langfeldleuchten, die aufgrund ihres minimierten Querschnitts fast unsichtbar sind sowie eine Hochdrucklöschanlage, die im Brandfall nur sehr wenig Wasser einsetzt – eine Gas-Löschanlage zum Schutz der Bücher vor Wasserschäden war in diesem »Hochregallager« wegen des großen Raumvolumens und der vielen Fenster nicht möglich. Chemische Löschmittel werden nur in den drei neuen Magazin-UGs unter dem Atrium eingesetzt, in denen sich neben kaum nachgefragten historischen Büchern auch eine »Schatzkammer« mit wertvollen mittelalterlichen Drucken und Handschriften befindet.

Ort der Kommunikation und Alltagskultur

Dass die Anzahl der Besucher und der ausgeliehenen Bücher seit dem Umbau der Landesbibliothek ansteigen, liegt keineswegs nur an der deutlich vergrößerten Zahl frei zugänglicher Bücher, Zeitschriften, Zeitungen und digitaler Medien oder dem barrierefreien Zugang zu allen Bibliotheksbereichen. Eine wichtige Rolle spielt auch das Gebäude selbst, das sich als vielfältiger und angenehm zurückhaltender Hintergrund für die Bedürfnisse der Nutzer, aber auch als öffentlicher Ort der Kommunikation und Alltagskultur versteht. Anders als noch vor 20 Jahren, kann die oberösterreichische Landesbibliothek heute relativ gelassen in die Zukunft blicken. Nicht zuletzt auch durch die Option auf Realisierung des bereits im Wettbewerb geplanten zweiten Bauabschnitts. Dieser sieht in einer südlich angrenzenden Baulücke einen weiteren Neubau mit Freihandbereichen vor, der über eine hofseitige Erweiterung ebenfalls direkt mit dem Atrium verknüpft werden kann.

db, Mi., 2011.05.04



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Oberösterreichische Landesbibliothek



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db 2011|05 Respekt und Perspektive

02. März 2011Roland Pawlitschko
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Eisbärenanlage in München

Wenn Eisbären schon nicht durch den kalten Norden toben können, dann bietet ihnen zumindest die neue, vergrößerte Anlage im Tierpark Hellabrunn ein erträglicheres Zuhause als manch anderes Gehege in deutschen Zoos. Oder glaubt dies nur der Besucher? Kulissenarchitektur und andere gestalterische Mittel täuschen ihn über die Tatsache hinweg, dass kein Gehege groß und abwechslungsreich genug sein kann für einen Eisbären. Dennoch gibt es, wie in München, viele Möglichkeiten, damit sich die Tiere in ihrem kleinen Revier wohl fühlen.

Wenn Eisbären schon nicht durch den kalten Norden toben können, dann bietet ihnen zumindest die neue, vergrößerte Anlage im Tierpark Hellabrunn ein erträglicheres Zuhause als manch anderes Gehege in deutschen Zoos. Oder glaubt dies nur der Besucher? Kulissenarchitektur und andere gestalterische Mittel täuschen ihn über die Tatsache hinweg, dass kein Gehege groß und abwechslungsreich genug sein kann für einen Eisbären. Dennoch gibt es, wie in München, viele Möglichkeiten, damit sich die Tiere in ihrem kleinen Revier wohl fühlen.

Eisbären leben in einsamen arktischen Regionen wie in Alaska, Grönland, Kanada oder Sibirien. Sie sind Einzelgänger, jagen vorwiegend Robben und Fische und durchstreifen hierzu Gebiete von einigen tausend Quadratkilometern Größe. In der kargen Vegetation der Tundra und Taiga oder auf Eisschollen sind sie ebenso zuhause wie im oder unter Wasser – kilometerlange Strecken legen sie oft auch schwimmend zurück. Welche Auswirkungen dieses Bewegungsprofil auf ein artgerechtes Eisbärengehege hat, fragen sich längst nicht mehr nur Biologen und Zoodirektoren, sondern – spätestens seit Knut und Flocke – auch immer mehr Zoobesucher.

Klasse statt Masse

Noch bis vorletztes Jahr gab sich die 1975 eröffnete Eisbärenanlage im 100 Jahre alten Münchener Tierpark Hellabrunn als eine in polygonale Betonmassen gegossene Fels- und Wasserlandschaft, die in ihrer Kantigkeit an die kristalline Struktur der Eisberge in der Arktis und Antarktis erinnern sollte. Die abstrakt-moderne Anlage des Architekturbüros Peter Lanz trennte Eisbären und Menschen in Hellabrunn erstmals nicht durch Gitterstäbe oder Gräben, sondern nur durch Glasscheiben, und war bis zuletzt weder baulich noch tierschutzrechtlich zu beanstanden. Die glatten Betonflächen wirkten auf die Besucher dennoch künstlich und steril und ließen sie für die Tiere v. a. Mitleid empfinden. Dass das Eisbärengehege als Teil des »Polariums« für Eisbären, Pinguine, Robben und Seelöwen nun nach Plänen des selben Büros grundlegend umgestaltet und in seiner Fläche verdreifacht wurde, hat einerseits mit den veränderten Ansprüchen und Sehgewohnheiten der Menschen zu tun. Andererseits sieht sich der »Geo-Zoo« Hellabrunn (dort werden Tiere gemäß ihrer geografischen Verbreitung gruppiert) aber auch immer mehr dem Leitspruch »Klasse statt Masse« verpflichtet – wovon letztlich alle profitieren: Weniger Tiere in einem artgerechteren Lebensumfeld bedeuten u. a. auch intensivere Erlebnisse für die Besucher.

Neue Polarlandschaft – neue Zuchterfolge?

Anders als im Jahr 1975 gibt es in Hellabrunn heute statt sieben nur noch zwei Eisbären (Giovanna, ein vierjähriges Weibchen und Yoghi, ein zehnjähriges Männchen) – und die Hoffnung auf eine erfolgreiche Eisbärenzucht. Nicht zuletzt deshalb gliedert sich das langgestreckte Gehege unmittelbar an der Isar-Hangkante in drei Bereiche, die sich durch Tore auf vielfältige Weise koppeln oder trennen lassen, je nachdem wie viele Bären und Bärenjunge dort gerade leben. Auf der Südseite befindet sich die neu eingerichtete Taiga- und Tundralandschaft mit Naturboden, Birken und Fichten sowie einem Bachlauf mit flachen Uferbereichen. In der Mitte, an einem schmalen Durchgang zur neuen Polarlandschaft im Norden, liegt das neue »Mutter-Kind-Haus« mit zwei Wurfhöhlen. Die Polarlandschaft selbst entspricht in Größe und Grundkonzeption dem alten Polarium – dessen Schrägen sind auf den zweiten Blick an einigen Stellen noch erkennbar. Abgesehen davon präsentiert sich das Gelände aber in einem völlig neuen Erscheinungsbild. Durch die Bekleidung der alten Betonrückwände und Nebengebäude, der neuen Felsenhöhle (mit verglastem Tauchbecken) und des Mutter-Kind-Hauses mit Abgüssen von Nagelfluh-Felsstrukturen entstand eine verblüffend natürlich wirkende Kunstlandschaft. Sie nimmt auf die geologische Situation an der Isar-Hangkante Bezug, denn dort ist das feste Nagelfluh-Gestein verbreitet. Vielleicht wäre es theoretisch sogar möglich gewesen, den nur wenige Meter entfernten, echten Nagelfluh zu verwenden. Dagegen hätten allerdings nicht nur sicherheitstechnische Unwägbarkeiten gesprochen, sondern auch die Tatsache, dass sich dieser außerhalb des Tierparkgeländes und zudem in einem Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiet befindet. Eine herkömmliche Natursteinbekleidung kam ebenfalls nicht in Frage. Sie hätte auf Besucher ebenso künstlich gewirkt wie die alten Betonwände.

Mehr als eine Theaterkulisse

Dass die Nagelfluh-Kulisse bei näherer Betrachtung und selbst bei Berührung vollkommen authentisch wirkt, liegt an einem Herstellungsverfahren, das ein auf künstliche Landschaften spezialisiertes Unternehmen eigens für dieses Projekt perfektionierte. Auf Grundlage präziser CAD- und Ton-Modelle der Architekten wurde mithilfe von Silikonabformpasten zunächst ein rund 50 m² großes Stück einer Felswand bei Salzburg abgeformt. Resultat waren unregelmäßige, etwa 1 x 1,5 m große Formen, die sich als wiederverwendbare und biegsame Schalung zur Herstellung von dünnen, mit verschiedenen sandfarbenen Zuschlagstoffen versehenen Glasfaserbeton-Paneelen einsetzen ließen. Mit diesen Paneelen entstand vor Ort eine Art Flickenteppich von insgesamt 1200 m² Größe. Hohlräume im Bereich der Verankerungen zu Betonwänden wurden mit einer 12 cm dicken Schicht aus Leichtbeton hinterfüllt, Fugen und offene Übergänge (etwa zu Mauerkronen) mit Skulpturmörtel geschlossen und entsprechend nachmodelliert. Für täuschend echte Unregelmäßigkeiten und Verwitterungsspuren erhielten die Wandoberflächen eine für Flora und Fauna unbedenkliche Farbschicht aus mineralischen Farben. Diese wurden wie bei Illusionsmalereien mit Wisch- und Sprühtechniken aufgetragen und enthalten die gleichen Zuschlagstoffe wie der Glasfaserbeton selbst. Dadurch ließ sich sicherstellen, dass sie eine dauerhafte Verbindung zum Glasfaserbeton eingehen und die Paneele letztlich genauso verwittern wie der in Bayern gern auch als »Herrgottsbeton« bezeichnete echte Nagelfluh. Auf ganz ähnliche Weise entstanden auch die drei großen »Findlinge« in der neuen Polarlandschaft, mit denen heute Teile der alten Betonplattformen überdeckt werden. Zunächst verschweißten die Kunstlandschaftsspezialisten 10 mm dicke Edelstahlstäbe zu einer Modellfelsenform. Darauf folgten eine Schicht Streckmetall, von Hand modellierter Glasfaserbeton, die Hinterfüllung der Hohlräume mit Leichtbeton und wiederum entsprechend sorgfältige Farbaufträge.

Nichts dem Zufall überlassen

Zwei Bären, die vor den Augen der Besucher zärtlich turteln, sich auf Holzhäcksel, Gras, Kies oder Kunstfelsen wälzen und mit sichtlichem Vergnügen im Wasser tauchen, sprechen klar für einen gelungenen Umbau. Die Gründe hierfür liegen einerseits in der Großzügigkeit des neuen Geheges und dessen räumlicher Konzeption, die im Tieralltag vielseitige Spiel-, Frei- und Rückzugsräume ermöglicht. Andererseits haben alle beteiligten Planer von Anfang an eng mit Biologen, Tiermedizinern und Tierpflegern zusammengearbeitet, um selbst die kleinsten Details im Sinne der Eisbären zu lösen – einschlägige DIN-Normen für den Bau von Eisbärengehegen gibt es nicht. Neben Fachwissen und Erfahrungswerten der Spezialisten konnten die Architekten überdies auf die Grundsätze der »European Association of Zoos and Aquaria« (EAZA) zurückgreifen. Deren Richtlinien liefern beispielsweise Angaben zur Ausbildung von Fundamenten, die von Tieren nicht untergraben werden können, oder empfehlen den Einsatz schlichter Gussasphaltböden in den Wurfhöhlen – Gussasphalt speichert die Körperwärme der Bärenmutter besonders gut, wenn sie sich allein für mehrere Monate hierher zurückzieht, um den Nachwuchs zur Welt zu bringen und zu versorgen. Sie definieren auch Höhe und Beschaffenheit der aus einer dreifachen VSG-Verglasung bestehenden Glastrennwände zwischen Besuchern und Eisbären. So wurden die 4,50 m hohen Scheiben beidseitig mit einer für Menschen unsichtbaren, UV-Strahlung reflektierenden Beschichtung versehen, um das Gegenfliegen von Vögeln zu verhindern. Überdies mussten die erst nach baubehördlicher Zustimmung im Einzelfall zugelassenen Gläser einem Aufprall der bis zu 500 kg schweren Eisbären standhalten – der ent- sprechende Nachweis hierfür erfolgte in Form von Pendelschlagversuchen mit toten Kälbern.

Echte Erlebnisse mit falschen Felsen

Welche Rolle es nun für die Eisbären spielt, ob die Wände des Polariums aus einer minutiös inszenierten Nagelfluh-Kulisse bestehen oder aus Sichtbeton, Naturstein oder Kunststoff, lässt sich nicht abschließend klären. Nach Einschätzung der für die Bären zuständigen Biologin des Tierparks hätten sie sich in einem einfach nur erweiterten »Betonarium« wahrscheinlich ebenso wohl gefühlt wie im heutigen Polarium. Sinnlos ist die – rein funktional betrachtet – völlig überflüssige Bekleidung der Betonwände freilich dennoch nicht. Schließlich ging es beim Umbau des Betonariums nicht um substanzielle Verbesserungen für die Bären, sondern um die Adaptierung der alten Fels- und Wasserlandschaft an die neuen Sehgewohnheiten der Besucher – und die Beseitigung eines allzu sterilen Bauwerks der 1970er Jahre zugunsten einer »natürlichen« und daher als per se »richtig« empfundenen Lösung. Der Versuch einer architektonischen Lösung war dabei vonseiten der Tierpark-leitung erst gar nicht erwünscht, was in gewisser Weise einer Bankrotterklärung der zeitgenössischen Architektur gleichkommt. Dass sich dieser Gedanke aber selbst bei kritischer Betrachtung nicht durchsetzt und in Hellabrunn auch keine störenden Assoziationen an schale Outlet-Center-Inszenierungen oder Vergnügungsparks aufkommen, liegt daran, dass die Nagelfluh-Kulisse überhaupt nicht als Bauwerk wahrgenommen wird. Stattdessen betrachteten die Architekten sie als integralen und »authentischen« Teil des als harmonischer Landschaftsgarten angelegten Geo-Zoos. Doch obwohl diese Inszenierung für die Wirkung auf die Besucher entscheidend ist, stellt sie sich bescheiden in den Hintergrund. Ohne diese Haltung und ohne die perfekte Nagelfluh-Inszenierung würde das Ganze nur Erinnerungen an billige Kulissen hervorrufen und nicht – wie immer wieder von Besuchern zu hören ist – Begeisterung und das Gefühl »echter« Erlebnisse.

db, Mi., 2011.03.02



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db 2011|03 Bauen für Tiere

08. Februar 2011Roland Pawlitschko
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Vergelt's Gott

Noch vor kurzem wurde in der Erzabtei St. Ottilien jedes Jahr eine dreiviertel Million Liter Heizöl verbrannt. Heute setzen die Mönche bei der Energie- und Wärmeerzeugung auf nachwachsende Rohstoffe. Die neue Energiezentrale ist zeichenhafter Ausdruck dieses ökologischen und technologischen Modernisierungsprozesses, steht zugleich aber auch für eine architektonische Erneuerung.

Noch vor kurzem wurde in der Erzabtei St. Ottilien jedes Jahr eine dreiviertel Million Liter Heizöl verbrannt. Heute setzen die Mönche bei der Energie- und Wärmeerzeugung auf nachwachsende Rohstoffe. Die neue Energiezentrale ist zeichenhafter Ausdruck dieses ökologischen und technologischen Modernisierungsprozesses, steht zugleich aber auch für eine architektonische Erneuerung.

Abseits der Hauptverkehrsstraßen liegt die Erzabtei St. Ottilien in der sanft hügeligen Wald- und Wiesenlandschaft zwischen Fürstenfeldbruck und Landsberg. Doch es geht dort weitaus weniger beschaulich zu als diese Ortsbeschreibung zunächst vermuten lässt. Dafür sorgen rund 100 Mönche, 750 Schüler eines kirchlichen Gymnasiums, ein Gästehaus mit 120 Betten, ein Restaurant, ein Biergarten, zahlreiche Werkstätten, ein Verlag, zwei Museen und nicht zuletzt die großen Anlagen der Land- und Viehwirtschaft. Anders als das nur 30 km entfernte Kloster Andechs steht das Stammhaus der weltweit tätigen Missionsbenediktiner von St. Ottilien jedoch weniger für eine oberbayerische Bilderbuchidylle als vielmehr für einen ganz im Zeichen des Leitspruchs »ora et labora« stehenden Kloster- und Wirtschaftsbetrieb. So verfügt das 1887 gegründete Kloster zwar über einen kompakten baulichen Kern aus Kirche und nichtöffentlichen Klostergebäuden, der Rest allerdings besteht aus eher unprätentiösen und ungleichmäßig auf dem Gelände verteilten Zweckbauten.

Mehr als eine geheimnisvolle Lichtskulptur

Unmittelbar am nördlichen Rand des Klostergeländes lässt ein Neubau innehalten. Die Energiezentrale verwandelt sich allabendlich von einem zurückhaltenden grauen Quader in eine geheimnisvolle Lichtskulptur. In langsam ineinander übergehenden oder rhythmisch pulsierenden Farbsequenzen tauchen die technischen Innereien des transluzenten Körpers dann immer wieder aufs Neue schemenhaft aus der Dunkelheit des Innenraums auf, um anschließend wieder in derselben unterzugehen. Spätestens beim Blick auf die in einem Besucherstand an der Westfassade untergebrachten Schautafeln mit Energiekennwerten und Wärmebildern der Altbauten wird klar, dass es hierbei nicht nur um ästhetische Farbspielereien mit Heizkesseln und Rohrleitungen geht, sondern um die Inszenierung eines für die Erzabtei in vielerlei Hinsicht zukunftsweisenden »Leuchtturmprojekts«.

Landwirte werden zu Energiewirten

Am Anfang stand die Erkenntnis, dass das Klosterdorf mit seinen 45 Gebäuden über mehrere dezentrale, ebenso überdimensionierte wie ineffiziente Heizkessel verfügte. Nicht zuletzt auf Initiative eines als Cellerar sowie Physik- und Mathematiklehrer tätigen Mitbruders machten sich die Mönche gemeinsam mit der Münchener Forschungsstelle für Energiewirtschaft zunächst daran, den tatsächlichen Energiebedarf zu ermitteln. Daraus ging u. a. hervor, dass die Wärmeleistung bei 4 MW lag, der Bedarf aber selbst bei winterlichen -16 °C lediglich die Hälfte betrug. Die anschließend entwickelte Strategie für eine ökologischere, effizientere und kostengünstigere Energie- und Wärmeversorgung beinhaltete die kombinierte Nutzung von Biogas und Hackschnitzeln mit Wärmerückgewinnung und großem Pufferspeicher sowie die Einrichtung eines neuen Heizungsnetzes mit vielfältigen Überwachungs- und Steuerungsmöglichkeiten. Mit Fertigstellung der Biogasanlage Ende 2010 werden heute 25 % des Gesamtwärmebedarfs durch Biogas aus Gülle, Gras bzw. Mais und 60 % durch Hackschnitzel überwiegend aus eigenen Wäldern gedeckt – Heizöl wird in zwei Heizkesseln aus dem Bestand nur noch zur Deckung winterlicher Spitzenlasten eingesetzt. 85 % erneuerbare Energien aus lokal verfügbaren Ressourcen ermöglichen – auch ohne die noch bevorstehende energetische Sanierung der Gebäude – ökologisch nachhaltiges Wirtschaften und deutlich reduzierte CO2-Emissionen. Gleichzeitig stehen sie aber auch für Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und langfristige Kosteneinsparungen.

Unsichtbares sichtbar machen

Über diesen technologischen Innovationsschub hinaus sollte die Energiezentrale für das Kloster auch gestalterisch neue Maßstäbe setzen. Aus diesem Grund wollten die Mönche von Anfang an keinen gesichtslosen Industriebau, sondern zeitgemäße Architektur, die mit einfachen Mitteln transparent macht, welche Aufgaben es hier zu bewältigen gilt. In diesem Sinne entwickelte das Atelier Lüps zwei freistehende, unterirdisch verknüpfte Bauten: das niedrige Hackschnitzel-Lager mit 400 m³ Fassungsvermögen und die Energiezentrale. Letztere präsentiert sich als zurückhaltender Baukörper mit niedrigem Sichtbetonsockel und filigraner Gebäudehülle aus transluzenten Polycarbonat-Doppelstegplatten, hinter der sich schemenhaft sowohl ein dreigeschossiger, roter Betonquader mit Technikräumen wie auch die große Halle mit Heizkesseln und Pufferspeicher (55 m³) erahnen lassen. Konstruktiv besteht die Halle aus einer einfachen Stahlrahmenkonstruktion, die über einen Verbund aus horizontalen und schräg gestellten Holzelementen ausgesteift wird. Diese »Aststruktur« dient zur Aufnahme der Windlasten und steht zugleich symbolisch für das Wachstum des hier in Strom und Wärme umgewandelten Rohstoffs Holz. Für dessen eher untypische Verwendung innerhalb eines Stahlrahmenbaus sprach aber auch, dass es sich hierbei um einen Baustoff aus eigener Erzeugung handelt, der sich problemlos in den Werkstätten des Klosters bearbeiten ließ.

Gestaltungsspielräume durch Eigenleistung

Die Realisierung zahlreicher Bauarbeiten in Eigenleistung – hiervon vollständig ausgenommen waren lediglich Beton- und Stahl-Rohbauarbeiten – führte nicht nur zu enormen Kosteneinsparungen, sie machte auch viele gestalterische Lösungen möglich, deren Planung in der parallelen Abstimmung mit externen Firmen und der Erzabtei zu aufwendig oder zu langwierig geworden wäre. Dazu zählt die »Aststruktur« der Gebäudehülle oder die Farbkompositionen an Innenwänden und -decken ebenso wie das kugelförmige »Lichtobjekt«, das allabendlich die in den Kesseln verborgene Energie sichtbar machen soll. Auf Grundlage fraktaler Lindenmayer-Systeme entwickelten die Architekten hierzu ein baumartig verästeltes Gebilde aus nahezu identischen Stahlrohren und 300 RGB-LEDs. Durch die jeweils in kleinen Gruppen ansteuerbaren LEDs entstehen jene frei programmierbaren »Lichtschwärme«, die von den Doppelstegen der Polycarbonatplatten in alle Richtungen reflektiert werden und damit den sphärischen Eindruck einer großflächig illuminierten Gebäudehülle erzeugen. Anfängliche Bedenken einiger Mitbrüder, dass hier eine Art bunte Oktoberfeststimmung entstehen könnte, haben sich rasch zerstreut. Das liegt sicherlich daran, dass Kloster und Architekten in Planung bzw. Bauausführung von Anfang eng zusammenarbeiteten – fast selbstverständlich ist es daher, dass die von Mauritz Lüps angenehm ruhig programmierten Standard-Lichtszenarien mittels Fernbedienung von den Mönchen mühelos umkonfiguriert werden können. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Lichtinszenierung keine aufgesetzte Spielerei, sondern längst Teil des Klosteralltags ist – etwa indem die Mönche die Farbigkeit oder die Geschwindigkeit der Farbwechsel an aktuelle liturgische Gegebenheiten anpassen.

Als Leuchtturmprojekt werden mit der Energiezentrale nicht nur praktische, sondern auch pädagogische Ziele verfolgt. So zeigt sie einerseits, dass die Versorgung mit erneuerbaren Energien keine Utopie ist. Andrerseits steht das Projekt aber auch im Einklang mit der von Demut, Offenheit und einer großen Affinität zu ästhetischen Fragen geprägten Lebensphilosophie der Missionsbenediktinermönche. Für Erzabt Jeremias, vor acht Jahren zu einem der jüngsten Erzäbte St. Ottiliens gewählt und als Abtpräses auch für rund 1 000 Mönche in weltweit 19 selbstständigen Klöstern und 50 Niederlassungen verantwortlich, ist Spiritualität gleichbedeutend mit der »Ordnung von Raum und Zeit«. Dazu zählt für ihn ganz selbstverständlich, dass Bauaufgaben nicht irgendwie, sondern mit Anspruch und durchaus auch mit Vorbildfunktion erledigt werden – nicht nur in der Erzabtei selbst, sondern auch in den Klöstern, die noch immer von St. Ottilien aus auf fast allen Kontinenten neu gegründet werden.

Die Wirkung der neuen Heizzentrale lässt sich auch als ein sanftes »Missionieren« sehen. Sie ist so zurückhaltend einfach gestaltet, dass viele sie gar nicht wahrnehmen werden. Die feinen Farb- und Lichtinszenierungen werten den heterogenen nördlichen Rand des Geländes dennoch enorm auf – untertags ebenso wie in der Dunkelheit. Der Baukörper steht selbstbewusst und zugleich selbstverständlich da und erzählt bereitwillig, aber unaufdringlich von seinen Aufgaben. Für jeden Passanten, der sich kurz auf ihn einlässt, hält er bei näherer Betrachtung eine tolle Geschichte parat. Danach können die Besucher das Kloster mit anderen Augen sehen …

db, Di., 2011.02.08



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db 2011|02 Pumpen, heizen und entsorgen

03. November 2009Roland Pawlitschko
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Vielfalt unter einem Label

Noch heute blicken manche Mitarbeiter des Süddeutschen Verlags wehmütig aus dem neuen Verlagsturm am östlichen Stadtrand auf die Münchner Innenstadt. Natürlich ist das städtebauliche Umfeld heute nicht annähernd so reizvoll wie vor dem Umzug aus der Sendlinger Straße. Dafür arbeiten die Redakteure des Konzerns nun in einem konsequent durchdachten Gebäude – einem Lebensraum, der auch hinsichtlich seiner Ökobilanz Maßstäbe setzt.

Noch heute blicken manche Mitarbeiter des Süddeutschen Verlags wehmütig aus dem neuen Verlagsturm am östlichen Stadtrand auf die Münchner Innenstadt. Natürlich ist das städtebauliche Umfeld heute nicht annähernd so reizvoll wie vor dem Umzug aus der Sendlinger Straße. Dafür arbeiten die Redakteure des Konzerns nun in einem konsequent durchdachten Gebäude – einem Lebensraum, der auch hinsichtlich seiner Ökobilanz Maßstäbe setzt.

In der ersten Zeit nach Gründung der Süddeutschen Zeitung (SZ) im Oktober 1945 arbeiteten die Redakteure noch im Heizungskeller des Verlagsgebäudes, während in den Nachbarräumen Bleizeilen gegossen, zu Seiten zusammengepuzzelt und zu Papier gebracht wurden. In nur wenigen Jahren etablierte sich das Münchner Blatt zu einer der wichtigsten Tageszeitungen Deutschlands und der aus ihr hervorgegangene Süddeutsche Verlag (SV) expandierte auf dem Markt ebenso schnell wie auf dem Areal in der Nähe des Marienplatzes. Die Grenzen des baulichen Wachstums an diesem inzwischen zu einem veritablen Labyrinth aus Alt- und Neubauten mutierten Standort waren spätestens Mitte der 80er Jahre erreicht, als die Druckerei – im Zuge der Umstellung auf die digitale Zeitungsproduktion – in ein neues Druckzentrum an den östlichen Stadtrand verlagert wurde. Mit vorausschauendem Weitblick hielt der Verlag schon damals zusätzliche Grundstücksflächen vor, um Redaktion und Produktion eines Tages wieder zusammenführen zu können.

Auferstanden aus der Asche

Dass diese Option mit dem nun Ende 2008 bezogenen Verlagshochhaus erst gut 20 Jahre später realisiert wurde, lag zunächst sicherlich daran, dass sich die SZ (als unbestrittenes Flaggschiff des SV) bis zum Schluss gegen einen Umzug in die Peripherie sträubte, weil sie sich in unmittelbarer Nähe zu ihren Lesern und zur Münchner Altstadt fest verankert sah. Auf der anderen Seite standen freilich die Verlagseigentümer, die eine anstehende Sanierung der Altbausubstanz als zu langwierig und betriebswirtschaftlich unsinnig betrachteten und 2001 schließlich einen Wettbewerb für ein neues Verlagsgebäude auslobten. Zielvorgabe war ein Hochhaus für die SZ und sämtliche SV-Tochterunternehmen, welches das »wirtschaftliche und kulturelle Profil des Verlags mit zeitgemäßer Architektur« widerspiegeln sollte. Kaum hatte der 145 m hohe Hochhausentwurf des Berliner Büros GKK+Architekten jedoch die Überarbeitungsphase siegreich verlassen, bahnte sich eine groteske öffentliche Hochhausdebatte an, die Ende 2004 in einem erfolgreichen Bürgerentscheid gegen alle Münchner Neubauten mündete, die die 99-Meter-Marke der Zwiebelturmspitzen der Frauenkirche überragen. Einen Weg zurück gab es nicht mehr: Das Innenstadtareal war ein halbes Jahr zuvor an einen Investor verkauft worden, der dort ein neues Quartier für Einkaufen, Arbeiten, Wohnen und Freizeit errichten will. Zwischen Bürgerentscheid und Umzug blieben noch knapp vier Jahre Zeit – so lange durfte der SV das alte Areal als Mieter weiternutzen.

Dass die Bauherren angesichts dieses Scherbenhaufens nicht in Panik gerieten, ist maßgeblich den Architekten zu verdanken. Sie hatten die Zeit der planerischen Ungewissheit auch ohne Planungsauftrag genutzt, um den ursprünglichen Entwurf zu adaptieren und auszuarbeiten. Rückblickend hat sich die verlängerte Entwurfsphase durchaus gelohnt. Zum einen ist es durch eine kompaktere Bauweise gelungen, die oberirdische BGF unter Beibehaltung des Flächenprogramms um ca. 10 000 m² auf heute rund 51 000 m² zu reduzieren. Zum anderen haben Hochhaus wie auch angegliederter Flachbau an architektonischer und städtebaulicher Schärfe gewonnen. Beispielsweise durch eine einfache orthogonale Grundstruktur aus Flachbau, Hochhaus und dazwischen liegender Eingangshalle. Oder die wesentlich präzisere Verknüpfung der nunmehr im 25-Meter-Raster mäandrierenden Gesamtfigur mit dem benachbarten, vielfach preisgekrönten SZ-Druckzentrum der Architekten von Seidlein, Winkler und Effinger. Davon abgesehen fungiert auch das um 45 m gekappte und verschlankte Hochhaus in Stahlbetonskelettbauweise als exzellente Landmarke, die nicht nur dem Süddeutschen Verlag, sondern dem ganzen Areal zwischen Brachflächen, Bahngleisen, Autobahn, Kleintierzüchtervereinen und blutleeren Gewerbebauten erstmals ein ansehnliches Gesicht gibt – gleichsam als Initialzündung der geplanten Stadtentwicklungsachse zwischen Innenstadt und Messe.

Aus einem Guss

Beim Gang über den leicht erhöht liegenden und durch den Freibereich der Cafeteria belebten Vorplatz beginnt sich der noch aus der Ferne gewon- nene erste Eindruck eines nüchtern rationalistischen Hochhauses mit gestapelten Geschossen und Ganzglasfassade zu relativieren. Zwar besteht die Außenhülle aus einer Vielzahl identischer, 7 x 5,40 m großer Alu-Fassadenelemente, wie die Seiten einer Pyramide sind die vier jeweils in ihnen zusammengefassten Glasfelder aber gegeneinander versetzt, so dass eine weitläufige Wellenbewegung entsteht – ein lustvolles Spiel aus Reflexionen, welches sich je nach Blickwinkel, Tageszeit oder Wetter immer wieder anders präsentiert. »Jeder kann etwas anderes darin entdecken – wie in der Zeitung«, erläutert Architekt Oliver Kühn und verweist auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten und vielfältigen Meinungen, die die SZ als Autorenzeitung ausmachen. Als Referenzobjekt diente die Zeitung auch, als es um die Definition des Farbkonzepts ging. So wurden die außen wie innen sämtliche Oberflächen bestimmenden Nichtfarben Graphit, Silber und Weiß unmittelbar abgeleitet von Druckerschwärze, Druckmaschinen und Papier. Resultat ist ein neutraler, bisweilen vielleicht etwas unterkühlter Hintergrund für den aber ohnehin eher bunten Arbeitsalltag der Redakteure. Ein regelrechtes Farbfeuerwerk dagegen liefern die vom Künstler Tobias Rehberger als Hort der Kreativität gestaltete Cafeteria und Kantine im EG bzw. 1. OG des Flachbaus. Hier finden sich neben der auf den Vorplatz ausstrahlenden Leuchtwand aus bunten Acrylglasscheiben auch versetzt hängende Leuchten, unregelmäßig gefügte Deckenverkleidungen, neonfarbene Graffiti und aus unterschiedlichen Hölzern zusammengesetzte Fußböden. Diese überaus gelungene Art, bei den Mitarbeitern für Abwechslung vom Arbeitsplatz zu sorgen, interpretieren die Architekten als weiteres Zeichen für die Vielfalt der nun unter einem Dach sitzenden Verlagszweige.

Egal, ob Metaphern wie diese wahrgenommen werden oder nicht. Sie sind stets Bestandteil einer funktionalen Logik und ohne verwässernde Ausnahmen umgesetzt – die wogenden Fassadenfelder etwa finden sich in Form von geneigten Fluchttüren oder Anlieferungstoren bzw. als Stahlroste auch auf dem Dach des Flachbaus wieder. Außerdem zeugt diese Bildersprache von einer konzeptionellen Stringenz, die ein Bauwerk wie aus einem Guss entstehen lässt, bei dem es kein Detail zu geben scheint, für das es nicht irgendeinen nachvollziehbaren Grund gibt.

Nachhaltige Gebäudeautomation

Die Architekten verstehen die Gebäudehülle durchaus als sinnlich anregendes Ornament. Gleichzeitig ist sie aber auch integraler Baustein eines überaus energieeffizienten Gebäudes. Die Doppelfassade mit äußerer Festverglasung und inneren Öffnungsflügeln fungiert dabei als Wärmepuffer, aus dem durch einfaches Fensteröffnen – zur Unterstützung der energieintensiven mechanischen Belüftung – vortemperierte Außenluft entnommen werden kann. Besonders gut funktioniert diese »Hybridlüftung« in den Übergangsjahreszeiten, wo die Temperaturschwankungen zwischen kalt und heiß am größten sind. Die Grundkonditionierung des ganzen Gebäudes hinsichtlich Wärme und Kälte erfolgt über bauteilaktivierte Betondecken, in denen Wasser zirkuliert, das zuvor an den Bohrpfählen jahreszeitenabhängig entweder gekühlt oder erwärmt wurde.

Im Zusammenhang mit den in dieser Branche üblicherweise sehr unregelmäßigen Arbeitszeiten spielt die individuelle und dezentrale Steuerung des Raumklimas jedes einzelnen Büros eine wichtige Rolle – anstelle von offenen Bürolandschaften wurden auf Wunsch der Redakteure überwiegend intimere Standard-Einzelbüros realisiert. Jeder Nutzer verfügt über einen Transponder, eine Art digitalen Schlüssel, mit dem sich neben der Zutrittskontrolle zur Tiefgarage oder dem Büro auch die Raumtemperatur, Beleuchtung oder Belüftung voreinstellen und verändern lässt. Darüber hinaus wird die Beleuchtung je nach Tageslichtsituation automatisch gedimmt, während Präsenzmelder unnütze Raumkonditionierungen verhindern.

Eine Folge dieser computergesteuerten und energiesparenden Automatisierungen sind Jalousien, die sich im Sinne eines optimalen Wärmehaushaltes scheinbar willkürlich auf und ab bewegen. Oder intelligente Aufzüge, die die Warte- bzw. Fahrtzeiten jedes einzelnen Fahrgasts optimal verkürzen und damit Zeit und Strom sparen helfen – Voraussetzung hierfür ist die Vorauswahl des Zielstockwerks bereits am Einsteigeort und die Zuweisung eines bestimmten Aufzugs, der sich in der Kabine dann nicht mehr steuern lässt. Was wahlweise ein Gefühl der Entmündigung oder Belustigung hervorruft, soll zusammen mit vielen anderen Einzelmaßnahmen allerdings zu Energieeinsparungen von bis zu 80 % führen. Klarheit über die Gesamtökobilanz des SV-Hochhauses wird die in Kürze abgeschlossene LEED-Zertifizierung schaffen. Die Architekten erwarten eine Auszeichnung in Gold, möglicherweise sogar in Platin. Egal, wie das Ergebnis ausfällt: Die Zeiten, in denen man sich noch in den Heizungskeller setzen musste, um es warm zu haben, sind jedenfalls vorbei.

db, Di., 2009.11.03



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db 2009|11 Hochhäuser

09. September 2009Roland Pawlitschko
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Dreidimensionaler Hintergrund

Der städtische Kindergarten »Rosslauf« in der Südtiroler Gemeinde Brixen präsentiert sich als bereitwilliger Rahmen für alle nur denkbaren Aktivitäten. Klare Formen und der sparsame Einsatz von Materialien machen ihn für Kleinkinder übersichtlich und durchschaubar. Nach behördlichen Vorgaben gibt es zwischen italienisch und deutsch sprechenden Kindern allerdings kaum Berührungspunkte.

Der städtische Kindergarten »Rosslauf« in der Südtiroler Gemeinde Brixen präsentiert sich als bereitwilliger Rahmen für alle nur denkbaren Aktivitäten. Klare Formen und der sparsame Einsatz von Materialien machen ihn für Kleinkinder übersichtlich und durchschaubar. Nach behördlichen Vorgaben gibt es zwischen italienisch und deutsch sprechenden Kindern allerdings kaum Berührungspunkte.

Zahlreiche vielbeachtete Neubauten haben die Südtiroler Architekturszene in den vergangenen Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Als eine der Ursachen hierfür gilt die Etablierung eines offenen Wettbewerbswesens, das nicht nur zu anspruchsvollen Resultaten, sondern auch zu einer belebenden Internationalisierung geführt hat. Im Vergleich zu dieser Weltoffenheit wirken die politischen Strukturen in der »Autonomen Provinz Bozen« relativ antiquiert. Noch immer gibt es unüberwindbare Barrieren und Konflikte zwischen italienischen und deutschen bzw. ladinischen Sprachgruppen. Und noch immer fordern Splitterparteien politische Unabhängigkeit und »Freiheit für Südtirol«.

Nun lässt sich dieses Konfliktpotenzial keineswegs mit jenem von Nordirland oder dem Baskenland vergleichen, bei näherer Betrachtung ist die Trennung von italienischen und deutschen Strukturen im Alltag dennoch deutlich sichtbar. Vor allem, wenn es um das Bildungswesen geht. Schulen wie auch Kindergärten sind nämlich nicht nur organisatorisch und räumlich, sondern in den allermeisten Fällen auch baulich strikt voneinander getrennt. Eine Ausnahme bildet der im Herbst 2007 eröffnete städtische Kindergarten »Rosslauf« in Brixen. Anders als in weiteren elf deutsch- und zwei italienischsprachigen städtischen Einrichtungen gibt es dort Kindergartengruppen beider Sprachen.

Geplant wurde der Kindergarten vom Stuttgarter Architekten Thomas Keller mit seinem damaligen Büro Peters + Keller auf der Grundlage eines im Jahr 2000 gewonnenen Wettbewerbs, der zugleich auch den Bau eines pädagogischen Gymnasiums vorsah. Als städtebauliches Ensemble befinden sich beide Gebäude in einem heterogenen Wohngebiet im Norden der mit rund 20 000 Einwohnern nach Bozen und Meran drittgrößten Stadt Südtirols. Der dreigeschossige Baukörper des Schulhauses orientiert sich dabei U-förmig mit einer Art Ehrenhof zum nördlich anschließenden Kindergarten mit einer italienischen und drei deutschsprachigen Gruppen mit jeweils 25 Kindern. Bei beiden Gebäuden handelt es sich um sehr übersichtliche und klar strukturierte orthogonale Stahlbetonbauten, die sich am deutlichsten in der Ausbildung der vorgehängten Gebäudehüllen unterscheiden. Während die Schule mit ihrer eher kühlen Aluminiumfassade gestalterisch an Universitätsbauten erinnert, präsentiert sich der Kindergarten von allen Seiten in den warmen Farbtönen unbehandelter Lärchenholzlamellen.

Italienische und deutsche »Sektion«

Von außen erscheint der zweigeschossige Kindergarten mit seinen fünf, nach Süden kammartig gereihten »Einzelhäusern« als abgeschlossene in sich ruhende Einheit. Dieser Eindruck bestätigt sich beim Blick auf die Grundrissorganisation, die im Wesentlichen durch drei langgestreckte Raumschichten charakterisiert wird: eine nördliche Spange mit Nebenräumen (Technik, Diensträume, Küche, Aufzug), großzügige, über Treppen an beiden Enden verknüpfte Spielflure sowie vier identische Gruppenräume nebst zweigeschossigem Mehrzweckraum im Erdgeschoss bzw. vier etwas kleinere, ebenfalls identische Ruhe- und Bewegungsräume im Obergeschoss. Nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist die vertikale Trennung zwischen italienischem und deutschem Bereich. So befinden sich Gruppen- und Diensträume – wie auch der separate Eingang – der »italienischen Sektion« (Scuola Infanzia Rosslauf) ausschließlich im Einzelhaus am äußersten westlichen Rand des Kindergartens. Alle anderen Flächen zählen zur »deutschen Sektion«. Gemeinsam bespielt werden Mehrzweckraum, Küche, Haustechnik, Garten und die Dachterrasse über der nördlichen Nebenraumspange. Damit entspricht der Kindergarten den Vorgaben des Wettbewerbsprogramms, das nach einer vollständigen räumlichen Trennung der beiden Sprachbereiche verlangte. Um dieser Forderung zu genügen ohne den Kindergarten auf unsinnige Weise zu zerschneiden, beinhaltete das Entwurfskonzept von Thomas Keller – letztlich nicht ausgeführte – Glastrennwände im unteren und oberen Flur.

Pädagogisches Konzept

Nachdem Jacken und Straßenschuhe an den Garderobennischen in den kurzen Stichfluren zum Garten abgelegt wurden, beginnt der Kindergartentag der deutschen Kindergartensektion gegen acht Uhr mit einer zweistündigen Freispielzeit. Das pädagogische Konzept basiert dabei auf einem »offenen System«. Das heißt die Kinder zwischen drei und sechs Jahren sind zwar im Prinzip einem festen Gruppenraum zugeordnet, in dem beispielsweise gemeinsam zu Mittag gegessen wird. Die meiste Zeit können sie jedoch selbst bestimmen, in welchen Räumen sie sich aufhalten und welcher Aktivität der zehn Erzieherinnen sie folgen möchten. Neben dem Mehrzweckraum und den drei Gruppenräumen, die in der Freispielzeit als Kreativraum, Spielzimmer bzw. Bauraum fungieren, stehen hierzu ein Montessoriraum, eine Kinderwohnung mit maßstäblich verkleinerter Küche sowie ein Ruheraum im Obergeschoss zur Verfügung. Nach der Freispielzeit teilen sich die Kinder in Kleingruppen auf, um für kurze Zeit an konzentrierten Programmen teilzunehmen. In regelmäßigen Abständen werden dabei immer wieder neue pädagogische Konzepte von Studenten der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen erprobt, für die die Einrichtung als Praxiskindergarten fungiert. Vor und nach dem gemeinsamen Mittagessen haben die Kinder schließlich die Gelegenheit, auf der Dachterrasse oder im Garten zu spielen.

Dreidimensionaler Hintergrund für die Kreativität der Kinder

Die Gruppenräume sind als neutrale Funktionseinheiten mit unmittelbar angeschlossenen Sanitärräumen angelegt und werden als dreidimensionaler Hintergrund für die Kreativität der Kinder verstanden. Deren ebenso einfache wie kostengünstige Ausführung mit Linoleumböden bzw. weiß gestrichenen Wänden und Decken hat sich im Alltag durchaus als geeignet erwiesen (aus Kostengründen wurde die analog zur Außenfassade geplante Verkleidung aller Oberflächen mit Lamellenparkett gestrichen). Erstens, weil sämtliches, gerade nicht benötigtes Spielmaterial in den direkt zugeordneten Abstellräumen verstaut werden kann, Boden und Wände also tatsächlich voll und ganz im Fokus der jeweiligen Aktivitäten stehen. Zweitens, weil die Räume durch unterschiedliche Raumhöhen und eine ausgezeichnete natürliche Belichtung reichlich Entfaltungsmöglichkeiten und Anregungen bieten, ohne sich selbst in manierierter Verspieltheit in Szene setzen zu müssen.

Beim Blick in den Bereich unmittelbar vor der sechs Meter hohen Südfassade wirft die Zweigeschossigkeit dennoch Fragen auf. Schließlich sind akustische Bezüge zu den Ruhe- und Bewegungsräumen im Obergeschoss (deren Ausstattung exakt jener der Gruppenräume entspricht) ausdrücklich unerwünscht. Zusätzlich zur Außenfassade wurde dadurch ein weiterer Raumabschluss notwendig, der als rahmenlose Festverglasung ausgeführt wurde und damit zwar zur Belichtung, nicht aber zum direkten Kontakt in den Gruppen- bzw. Außenraum oder zur Belüftung geeignet ist. Die Frischluftzufuhr erfolgt über Oberlichter und – wie auch im Erdgeschoss – über jeweils zwei seitliche Lüftungstüren, die den Kindern einen unerwarteten Einblick in die Holzlamellenfassade geben und zur nächtlichen Auskühlung auch geöffnet bleiben könnten. Von dieser Möglichkeit musste bisher allerdings kaum Gebrauch gemacht werden, weil der Dachüberstand und die vollflächige Verschattungsmöglichkeit durch Jalousien eine sommerliche Überhitzung erfolgreich verhindern. Die passive Solarnutzung führt überdies zu niedrigen Wärmeenergieverbräuchen, die mit dem Anschluss an ein Fernwärmenetz gedeckt werden.

Bauliche Integration

Die klare Grundrissstruktur und die zurückhaltende, aber gestalterisch präzise Ausformulierung von Flächen, Kubaturen mit nur wenigen verschiedenen Materialien führen zu einem übersichtlichen und von Kleinkindern schnell durchschaubaren Bauwerk, das sich zudem über die durch zwei Treppen verknüpften Flure sowie zahlreiche Zugänge zu Dachterrasse und Garten als bereitwilliger Rahmen aller denkbaren Aktivitäten präsentiert. Allerdings gilt dies nur für den Bereich der »deutschen Sektion«. Für die Kinder der »italienischen Sektion« sieht der Kindergartenalltag weitaus weniger anregend aus, weil die beiden Bereiche tatsächlich strikt getrennt betrieben werden und es eigenartigerweise keinerlei integrative Ansätze oder Durchmischungen der Gruppen gibt. Wie im Wettbewerbsprogramm gefordert, hat Thomas Kellers Entwurf diesen getrennten Betrieb möglich gemacht. Allerdings hat er sich nicht darauf eingelassen, dies auch noch baulich sichtbar zumachen. Im Gegenteil. Seine vereinheitlichende Form hat zu einer visuellen Zusammengehörigkeit der Sektionen geführt, die angesichts der absurden Separierung ein integriertes Konzept für beide Sprachgruppen geradezu herausfordert. Die Chancen für ein Umdenken der hierfür verantwortlichen Behörden stehen gut. Schließlich finden Projekte wie die während der langen Sommerferien angebotenen zweisprachigen »Sommerkindergärten« bei der Bevölkerung großen Zuspruch.

db, Mi., 2009.09.09



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db 2009|09 Räume für Kinder

03. Dezember 2007Roland Pawlitschko
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Hereinspaziert!

Eine Infothek, ein Archivspeicher, die Umstrukturierung eines Altbaus, ein Kopfanbau, verschiedene kommunale Einrichtungen als Investor, Bauherr, Nutzer und Betreiber sowie zwei Architekturbüros: Wenn die größte Baugenehmigungsbehörde der Bundesrepublik neue Gebäude bekommt, geht das nicht ganz ohne Schwierigkeiten ab.

Eine Infothek, ein Archivspeicher, die Umstrukturierung eines Altbaus, ein Kopfanbau, verschiedene kommunale Einrichtungen als Investor, Bauherr, Nutzer und Betreiber sowie zwei Architekturbüros: Wenn die größte Baugenehmigungsbehörde der Bundesrepublik neue Gebäude bekommt, geht das nicht ganz ohne Schwierigkeiten ab.

Vorbei sind die Zeiten, in denen der Weg zum Amt in eine düstere, verstaubte Bürowelt, eine Enklave beharrlicher Unfreundlichkeit und gnadenloser Orientierungslosigkeit führte. Dieser Tradition frönten sämtliche Münchner Behörden noch bis vor zehn Jahren ganz ungeniert. Dann aber gab es beim Kreisverwaltungsreferat plötzlich ein Bürgerbüro, das seine Besucher mit neuer Eingangshalle und großzügiger Glasfront empfing, und das Finanzamt ließ ein Servicezentrum von ungewohnter Transparenz bauen. Eine der kommunalen Behörden, die sich von solchen Tendenzen der Publikumsöffnung lange Zeit unbeeindruckt zeigte, war die Lokalbaukommission (LBK), also die untere Bauaufsichts-, Denkmalschutz- und Naturschutzbehörde der Stadt München. Diese residierte noch bis vor Kurzem in einem 1929 errichteten Backsteinhochhaus am Altstadtring – was angesichts der heutigen Münchner Hochhausphobie nur auf den ersten Blick provokativ wirkt. In Wirklichkeit weckte die LBK als Amt bislang Erinnerungen an Karl Valentins Geschichte des verzweifelten Buchbinders Wanninger und stand versinnbildlichend exakt für jene konservative Starre, die auch das Alltags-Architekturgeschehen Münchens prägt.

Weil dieser aus Sicht einer modernen und bürgerfreundlichen Stadtverwaltung untragbare Zustand mit Platzmangel und den funktionalen und bautechnischen Mängeln des achtzig Jahre alten Behördenbaus einherging, kam es zunächst zum grundlegenden Sinneswandel und Ende 2006 schließlich zum Umzug in das gegenüberliegende ehemalige Verwaltungsgebäude der Münchner Stadtwerke. Auf einer bislang ungenutzten Freifläche vor diesem inzwischen generalsanierten und um einen Anbau ergänzten Gebäude aus den fünfziger Jahren befindet sich heute ein eleganter, rundum verglaster Pavillon: die neue Infothek der LBK. Auf kurzem Weg und im direkten Gespräch mit eigens geschultem Personal erhalten dort vor allem Architekten und Bauherren erste Informationen zu Bauanträgen, lassen sich schnell zuständige Mitarbeiter ausfindig machen oder Fragen zum Baurecht klären. Sorgfältig eingepasste Einbaumöbel in strahlendem Weiß zonieren den Raum auf angenehme Weise und schaffen neben einem vorgelagerten Empfangs- und Infotresen, vier großen Stehtischen für Vorbesprechungen sowie sechs Beraterplätzen auch einen großzügigen Wartebereich mit loungeartigen Sitzgruppen entlang der Glasfassade. Insgesamt erzeugen Thomas Straub, Michael Schneider und Christian Kern von der SSK Projektgemeinschaft aus München die einladende Atmosphäre eines Flagship-Stores, die eher an ein Café als an eine Behörde erinnert.

Bei dem Glaspavillon handelt es sich nur um die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Erstens befindet sich die Infothek wie auch der sechsgeschossige Anbau direkt über dem neuen Herzstück der LBK, einer zwölf Meter tiefen, unterirdischen Zentralregistratur mit acht Kilometern Regalfachlänge und computergesteuerten Fördersystemen. Und zweitens gibt sich der Pavillon innerhalb der Gesamtbaumaßnahme zwar als Neubau zu erkennen, nicht aber als Resultat eines Entstehungsprozesses von unvorstellbarer Komplexität. Beteiligt an diesem Prozess waren insgesamt vier kommunale Einrichtungen: Als Investor und Bauherr fungierten die Stadtwerke München, deren Hauptanteilseigner die Stadt München ist. Nutzer ist das Planungsreferat mit seiner Hauptabteilung IV, der Lokalbaukommission. Die Nutzungsrechte werden in einem Leasingvertrag mit dem Kommunalreferat geregelt, während der Betrieb des Gebäudes dem Baureferat obliegt.

Zurückgenommene Entscheidung

Der Startschuss fiel im Jahr 2001, als der Umzug der Stadtwerkszentrale vom Altstadtring an den Stadtrand unmittelbar bevorstand und die Stadtwerke gemeinsam mit den Architekten erste Machbarkeitsstudien zur allgemeinen Nutzung des Gebäudes erstellten. Teil des daraufhin im Jahr 2004 entstandenen Entwurfs war neben Infothek, Archivspeicher und innerer Neustrukturierung des Altbaus auch jener zwischen historischer Straßenflucht und zurückversetzter Backsteinfassade vermittelnde, vollständig verglaste Kopfanbau. Obwohl dieser seitens der LBK bereits positiv bewertet worden war, führte ein Einspruch im laufenden Bauantragsverfahren zur Vorlage des Projekts bei der Stadtgestaltungskommission, welche schließlich einen Fassadenwettbewerb für den Erweiterungsbau erzwang. Grund hierfür war die in unmittelbarer Nähe zur Altstadt als unpassend empfundene Glasfassade, vielleicht aber auch das fehlende Vertrauen in die Kooperation zwischen Investor und den jungen, relativ unbekannten Architekten. War die Planungsaufgabe im Zuge der Entwurfsplanung bereits zwischen SSK (Infothek und Archivspeicher) und den Architekten der Stadtwerke (Generalsanierung des Bestandsgebäudes) aufgeteilt worden, so gab es mit dem Gewinner des Fassadenwettbewerbs, Andreas Meck, nun ein drittes beteiligtes Architekturbüro. Bei diesem Anbau geht es primär um das »Weiterbauen« im Bestand und die gelungene Übersetzung und Neuinterpretation der Charakteristika der alten Ziegel-Lochfassade mittels ziegelrot durchgefärbtem, monolithischem Beton. Die Zusammenarbeit zwischen den Architektenteams und dem Bauherrn funktionierte reibungslos – vielleicht auch deshalb, weil es hier in einem zweiten Bauabschnitt kaum Berührungspunkte gab und es nicht um die Realisierung von Sonderbereichen, sondern schlicht um die Erweiterung neutraler Büroflächen ging. Abstimmungsbedarf gab es lediglich im Erdgeschoss. Dort – und darin waren sich grundsätzlich alle Beteiligten seit der Machbarkeitsstudie von SSK einig – sollte eine Espressobar entstehen. Allein, die entsprechend vorgerüsteten Räumlichkeiten stehen bis heute leer, weil sich die städtischen Referate noch immer nicht einigen konnten, wer für deren Betrieb beziehungsweise Verpachtung verantwortlich ist.

Innengestaltung aus einem Guss

Erfolgreich geklärt werden konnte hingegen das Gerangel um die Inneneinrichtung der Infothek. Ziel von SSK war eine ebenso funktionale wie klar strukturierte und entsprechend der Bauaufgabe repräsentative Möblierung. Allen Beteiligten war klar, dass eine bestenfalls durchschnittliche Standardausstattung nicht zum erwünschten neuen Aushängeschild der LBK führen würde. Also wurden Entwurf und Ausführungsplanung der Inneneinrichtung in die Hände der Architekten gelegt. Zum Leistungsumfang der ursprünglichen Baubeschreibung gehörten auch sogenannte »Diskretionselemente« – jene Trennwände zwischen den sechs Beratungsstellen –, nicht aber die dazugehörenden Tische, welche im Verantwortungsbereich der LBK lagen. Nur der unerschütterlichen Beharrlichkeit von SSK und dem Engagement des Bauherrn, der den Architekten stets den Rücken gestärkt hat, ist es zu verdanken, dass man sich trotz voneinander vollkommen unabhängig verwalteter Budgets schließlich doch noch auf eine einheitlich gestaltete Möblierung einigen konnte. Folglich erscheint die Einrichtung der Infothek heute nicht als kunterbuntes Stückwerk, sondern als angenehme homogene Einheit.

Bis zum Schluss hatte SSK mit einer Unmenge solcher Nebenschauplätze zu kämpfen, um die Durchgängigkeit ihres Entwurfskonzeptes in einer Vielzahl von Gesprächsrunden mit allen Planungsbeteiligten zu verteidigen. Dennoch ist es Thomas Straub, Michael Schneider und Christian Kern immer wieder gelungen, Bauherr, Nutzer und Behörden zusammenzuführen. Und so besteht die begründete Hoffnung, dass dieser langwierige, aber erfolgreiche Arbeitsprozess am Ende zu einer spürbaren Sensibilisierung aller am Bau beteiligten Kommunalbehörden geführt hat, so dass engagierte Architektur in Zukunft vielleicht tatsächlich mehr Unterstützung durch Münchens Ämter erhalten wird.

db, Mo., 2007.12.03



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Infothek der Lokalbaukommission



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db 2007|12 Kommunale Bauten

05. Dezember 2006Roland Pawlitschko
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Rationaler Barock

Das Gebäude einer südtiroler Großhandelsfirma setzt in der kleinen Gemeinde Latsch im Vinschgau ein markantes Zeichen. Der grüne Würfel, dessen Hülle aus einem gläsernen Raster gebildet wird, steht inmitten eines flachen, viereckigen Bassins.

Das Gebäude einer südtiroler Großhandelsfirma setzt in der kleinen Gemeinde Latsch im Vinschgau ein markantes Zeichen. Der grüne Würfel, dessen Hülle aus einem gläsernen Raster gebildet wird, steht inmitten eines flachen, viereckigen Bassins.

Wer mit dem Auto aus Meran kommend das Ortsschild der Südtiroler Gemeinde Latsch passiert, stößt unvermittelt auf eine mystisch dunkelgrüne Würfelskulptur. Die erste Assoziation gilt unwillkürlich jenen gigantischen Türmen aus abertausenden von grünen Apfelkisten, die sich hier allerorten auf den Höfen der Obstgenossenschaften stapeln. Dass es sich hierbei um ein Bürogebäude der Großhandelsfirma »Selimex« handelt, ist zunächst kaum zu erkennen. Verräterische Werbeschriftzüge sucht man vergeblich. Eine auskunftsfreudige Briefkasten-Klingelanlage gibt es nicht. Dafür macht die archaische Bestimmtheit des Würfels unmissverständlich klar, dass es um die rationalistische Reduktion auf das Wesentliche geht. Im Gegensatz hierzu zeugen die geheimnisvoll spiegelnde Wasserfläche – auf der das Gebäude zu schweben scheint – und die samtig grüne Noblesse der vorgelagerten Gitterroststruktur aber auch vom irrationalen Individualismus des südtiroler Architekten Werner Tscholl und seines kongenialen Bauherrn, dem Im- und Exportkaufmann und wohlhabenden Kunstmäzen Walter Rizzi. Von Bedeutung ist dabei, dass beide ein sehr gutes freundschaftliches Verhältnis pflegen. Tscholl hat bereits mehrere Bauten für Rizzi geplant, eine grundsätzliche Kongruenz im Denken ist also vorhanden. Fast noch wichtiger aber erscheint Rizzis Bewusstsein für Architektur. So lautet sein anschauliches Motto für das Selimex-Gebäude: »Nur großartige Gebäude können auch großartige Gedanken beherbergen.«

Glas und holz im innenraum

Um zum Eingang des Selimex-Gebäudes zu gelangen, muss man zunächst die bereits erwähnte Wasserfläche überqueren (unter der sich ein Sockelgeschoss mit Kühl- und Lagerräumen für Äpfel befindet). Der hierzu angelegte Steg inszeniert diesen Übergang, indem er bewusst an die Landungsbrücke eines Schiffs erinnert. Vom Windfang aus gelangt man in den zentralen Erschließungskern mit Treppe und Aufzug, um den herum sich eine offene Ausstellungsfläche erstreckt, derzeit wird ortsansässigen Künstlern die Möglichkeit zur Ausstellung ihrer Werke gegeben. Die unprätentiöse Innenraumgestaltung, weiße Wände und Decken sowie Eichenholzparkett, bietet hierfür einen würdevollen Hintergrund. Da der Ausstattungsstandard ansonsten aber exakt jenem der darüber liegenden Bürogeschosse entspricht, könnte dieser Bereich bei Bedarf auch als interne Büro-Erweiterungsfläche fungieren.
Aus Kastanienholz maßgeschneiderte Einbaumöbel charakterisieren die vollständig von Werner Tscholl entworfene Büroeinrichtung der Obergeschosse. Analog zur Schlichtheit der Raumoberflächen sprechen auch die Schränke, Tische und Sideboards eine schnörkellos klare Formensprache. Der Innenraum wächst dadurch zu einer wunderbar harmonischen Einheit zusammen. Sämtliche Arbeitsplätze werden konsequent zum Tageslicht orientiert, so dass die Vinschgauer Bergwelt ebenfalls zum selbstverständlichen Teil dieser Einheit wird und wie ein gemaltes Bild in jedem der dreifach verglasten Fenster auftaucht. An dieser Stelle wird zudem deutlich, dass die 1,30 Meter tiefe Fassade keineswegs nur auf einem farblich perfekt auf die Einbaumöbel abgestimmten Formalismus basiert, sondern integraler Bestandteil des Innenraumkonzepts ist. Einerseits
dient sie quasi als feststehender Sonnenschutz und sorgt für ein gebor¬genes Raumgefühl – aufgrund der Tiefe der Gitterroststruktur sind diagonale Ein- und Ausblicke trotz des hohen Verglasungsanteils nicht möglich. Andererseits führt sie zur unmittelbaren Präsenz der Gebäudehülle im Innenraum – insbesondere bei Nacht.

Spektakuläre Hülle

Was die Gebäudehülle aus punktgehaltenen, rückseitig siebbedruckten Glaselementen nämlich geradezu spektakulär macht, sind die 330 gleichmäßig verteilten LED-Spots in ihrem Inneren. Jeweils aus den drei Grundfarben bestehend, können die Spots einzelne Fassadenfelder mit jeder beliebigen Farbe ausleuchten. Erinnern die grünen Glaspaneele bei Tag noch an spiegelnde Edelsteinoberflächen, so erweisen sie sich bei Dunkelheit als transluzent und geben den Blick auf die dahinter liegende Stahl-Tragwerkstruktur frei. Unzählige Reflexionen in der Glasfassade führen schließlich dazu, dass sich der Baukörper förmlich in Licht auflöst. Dass dieses grandiose, weithin sichtbare Lichtkunstwerk auch tatsächlich jeden Abend aufs Neue illuminiert werden kann, dafür sorgt ein extrem niedriger Energieverbrauch von insgesamt nur drei Kilowatt.

Die Gemeinde Latsch war von diesem fulminanten Bauvorhaben von Anfang an begeistert. Auch von der Vorstellung des Architekten, die städtebauliche Signalwirkung des Selimex-Gebäudes auf ein am anderen Ende von Latsch situiertes Barock-Schlösschen – im Volksmund »Rotes Schloss« genannt – zu beziehen: »Die Assoziation zum Roten Schloss ist unübersehbar. Dem Barockbau am westlichen Dorfeingang wird an der östlichen Einfahrt das »Grüne Schloss« gegenübergestellt, als Wasserschloss, als rationaler Barock.«. Treffender als mit diesem Begriff könnte das Selimex-Gebäude tatsächlich kaum beschrieben werden: Einerseits auf zutiefst rationalen, also streng logischen Gesetzen der Geometrie beruhend, andererseits zugleich aber unzweifelhaft geprägt von der für den Barock typischen Vorliebe für Emotionalität, Dynamik und Überraschungseffekte. Eindrucksvoll scheint auf diese Weise nebenbei ein Satz Aldo Rossis aus dem Jahr 1993 zum Umgang mit Archetypen bestätigt: »Wenn ein Architekt behauptet, die Typologie sei eine strenge Angelegenheit und mit der künstlerischen Freiheit nicht zu vereinbaren, dann beweist er damit seine Ignoranz und Dummheit.« Unverzichtbare Voraussetzung für die vollständige baukünstlerische Entfaltung einer so innigen Symbiose aus Rationalität und Irrationalität ist die absolut durchgängige und kontrollierte Gestaltung von Innenraum, Inneneinrichtung und Gebäudehülle. Dessen war sich Walter Rizzi von Anfang an bewusst, was erst im März dieses Jahres mit dem Bauherrenpreis des Architektenverbandes »Ala« und der Architekturzeitung »L’Arca« honoriert wurde.

db, Di., 2006.12.05



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db 2006|12 Südtirol

28. Oktober 2006Roland Pawlitschko
Der Standard

Swinging Germany

Am 18. Oktober erhielt der deutsche Architekt Frei Otto von der Japan Art Association den als „Nobelpreis der Künste“ gehandelten Praemium Imperiale.

Am 18. Oktober erhielt der deutsche Architekt Frei Otto von der Japan Art Association den als „Nobelpreis der Künste“ gehandelten Praemium Imperiale.

Vor vier Jahren wurden die Leser einer deutschen Publikumszeitschrift zum Thema Planen und Bauen in einer Umfrage nach den besten Bauten Deutschlands gefragt. Die Teilnehmer konnten dabei aus einer Liste von knapp 400 architektonisch herausragenden Gebäuden quer durch alle Epochen auswählen oder eigene Vorschläge machen. Sieger dieses Konkurrenzverfahrens war nicht Schloss Sanssouci in Potsdam (Platz 2) oder die Stuttgarter Weissenhofsiedlung (Platz 8). Die meisten Stimmen erhielt das Münchener Olympiastadion.

Nun ist diese Umfrage mit nur knapp tausend Teilnehmern alles andere als repräsentativ. Auch dürfte die Wahl des Stadions keineswegs eindeutig auf der bauhistorischen Bedeutung der zwischen 1968 und 1972 entwickelten, die Haupttribüne überspannenden Seilnetzkonstruktion basieren, sondern vor allem auf den verklärten Erinnerungen an die Olympischen Sommerspiele 1972. Dennoch wird gerade mit dieser Umfrage deutlich, weshalb der heute 81-jährige Architekt und Konstrukteur Frei Otto - der geistige Vater dieser Konstruktion- zu den bedeutendsten Architekten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählt: Nur wenigen Architekten ist es nämlich gelungen, ihre Werke gleichermaßen fest in der Gesellschaft und in der Baugeschichte zu verankern.

Erstmals aufmerksam wurde die Fachwelt auf Otto im Jahr 1955, als er für die Bundesgartenschau in Kassel drei temporäre Membranbauten entwarf, insbesondere den als Vierpunktsegel konzipierten Musikpavillon. Im Gegensatz zur massiven und bodenverhafteten Schwere der durchaus noch präsenten Architektur der NS-Zeit zeigte die an je zwei Kiefernmasten und Bodenpunkten abgespannte und nach allen Seiten offene Zeltkonstruktion eine geradezu lässige Eleganz und Leichtigkeit.

Nicht zuletzt, weil sich darin der Geist der Wirtschaftswunderjahre spiegelte, erhielt Otto im Anschluss immer wieder Gelegenheit, ähnliche temporäre Bauwerke zu realisieren. Dass deren Größe und Komplexität dabei kontinuierlich zunahm und kaum eine Konstruktion der anderen glich, hatte seinen guten Grund. Sie alle waren gewissermaßen nur Zwischenergebnisse seiner systematischen, stets aber ungerichteten und vor allem interdisziplinären Grundlagenforschung zum Thema Leichtbau.

In großem Umfang zur Anwendung kamen die daraus gewonnenen Ergebnisse erstmals bei der Seilnetzkonstruktion des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung 1967 in Montreal. Mit diesem Projekt, von den Kanadiern liebevoll als „Swinging Germany“ bezeichnet, gelang Frei Otto schließlich der internationale Durchbruch. Bereits ein Jahr zuvor erfolgte auf dem Universitätscampus in Stuttgart Vaihingen der Bau eines 1:1 Ausschnittmodells, welches unerlässlich war, um den in Montreal bevorstehenden, bislang völlig unerprobten Montagevorgang im Voraus zu testen und die an kleinen Messmodellen gewonnenen Erkenntnisse zu überprüfen. Später fungierte dieser Versuchsbau als Institutsgebäude des 1964 eigens für ihn eingerichteten „Instituts für leichte Flächentragwerke“, eine von Studenten und Forschern aus aller Welt rege besuchte Experimentierwerkstätte.

Pionierleistungen erbrachte Frei Otto aber nicht nur auf dem Gebiet von hängenden, sondern auch von druckbeanspruchten Konstruktionen - wie etwa bei der 1975 fertig gestellten Holz-Gitterschale der walfischbauchartig amorphen Multihalle in Mannheim. Die sonst zur Form- und Konstruktionsfindung angefertigten hängenden Kettennetze wurden in diesem Fall auf den Kopf gestellt, um daraus - als Umkehrform - eine Stab- werkskuppel zu erhalten.

So beispiellos und unkonventionell diese und spätere Flächentragwerke aber auch immer anmuten, keinesfalls haben diese etwas mit eitler Konstruktionsakrobatik zu tun. Wie ein roter Faden zieht sich stattdessen die Vision einer material- und energiesparenden, mobilen und anpassungsfähigen Architektur durch sein Werk. Oberstes Ziel ist es, durch Architektur ein Leben mit der Natur zu ermöglichen, welches sowohl den Bedürfnissen der Menschen, als auch der Ökologie entspricht. In diesem Zusammenhang wurde Frei Otto oft als Verfechter der Bionik - dem technischen Lernen von der Natur - dargestellt, obwohl er sich selbst als deren größter Kritiker betrachtet.

Insbesondere den Seilnetzkonstruktionen wird noch heute oft angedichtet, auf der Untersuchung von Spinnennetzen zu beruhen. „Das ist eine Lüge, denn es war genau umgekehrt. Tatsächlich kamen die größten Spinnenforscher der Welt zu uns und wollten ihre Spinnennetze erklärt haben, nachdem wir die großen Netzstrukturen zuerst in Montreal und dann in München gebaut hatten“, sagte er hierzu erst kürzlich in einem Interview und bezeichnet dieses Phänomen als „umgekehrten Weg.“ Tatsächlich kann der Mensch in der Natur nämlich nur das entschlüsseln, was zuvor mit technischem Sachverstand erklärbar gemacht wurde.

Unbestritten zählt Frei Otto zu den Vorreitern auf den Gebieten der Ökologie und Nachhaltigkeit. Wenn Otto aber von „natürlichem Bauen“ spricht, so denkt er eher an konstruktive Selbstbildungsprozesse (ein zwischen zwei Punkten aufgehängtes Seil findet seine Form tatsächlich ganz allein) als an hochgradig technisierte Null-Energiehäuser. Seine Bauten sind auf ganz natürliche Weise ökologisch. Das zeigt die gemeinsam mit Rolf Gutbrod im saudischen Jeddah realisierte Zeltkonstruktion einer Sporthalle, die - analog zur natürlichen Luftzirkulation in traditionellen Nomadenzelten - ohne Klimatisierung auskommt und deren transluzente Kunststoffhülle für blendfreies Tageslicht im Inneren der Halle sorgt.

Das zeigt aber auch sein jüngstes spektakuläres Projekt, die zusammen mit Christoph Ingenhoven 1997 entworfene Überdachung des neuen unterirdischen Durchgangsbahnhofs in Stuttgart. Im Zusammenhang mit der städtebaulichen Vision „Stuttgart 21“ könnte hier ab 2009 ein zwölf Meter tief versenktes Bahnhofsgebäude entstehen - ganz ohne Klima- und Belüftungstechnik und tagsüber auch ohne zusätzliche Beleuchtung. Möglich wird dies durch eine als öffentlicher Platz niveaugleich mit dem benachbarten Schlosspark konzipierte Dachfläche, in die 28 tropfenförmige „Lichtaugen“ eingelassenen wurden. Erwartungsgemäß erweisen sich diese bei näherer Betrachtung nicht als verspielter Zierrat, sondern integraler Bestandteil der darunter liegenden Druckstützen in Kelchform (erneut entstanden als Umkehrform eines Hängemodells). Aufgrund der bislang ungeklärten Finanzierung von „Stuttgart 21“ ist auch die Realisierung des Bahnhofsgebäudes ungewiss, eine Entscheidung wird erst für Anfang nächsten Jahres erwartet.

„Man muss mehr denken, mehr forschen, entwickeln, erfinden und wagen, um allen Menschen ein friedliches Leben in der von ihnen selbst behüteten Natur zu ermöglichen.“ Solche und ähnliche Äußerungen Frei Ottos lassen viele Architekten an die Sturm- und Drangzeit ihrer Studientage oder an pseudophilosophische Lippenbekenntnisse von international operierenden Architekturfabriken denken. Otto geht es dabei aber weder um eine naive Sozialutopie, noch um Marktvorteile, sondern um den insbesondere an Architekten, Technikern und Wissenschaftlern gerichteten Appell zu mehr gesellschaftlichem Engagement.

Aufgrund seines eigenen Engagements (sowie der daraus resultierenden Bauwerke) hat er neben dem Praemium Imperiale bereits unzählige andere Architekturauszeichnungen erhalten. Weltberühmt wurde Frei Otto hingegen nicht wegen, sondern trotz dieser oft unbequemen Haltung - noch heute nimmt er kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, zu Grundsatzfragen des Bauens Stellung zu beziehen.

Der Standard, Sa., 2006.10.28

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