Energieautarkes Ferienhaus in Noto (I)
Die Fassaden und Innenräume dieses puristischen Sichtbeton-Gebäudes auf Sizilien sind mit lokalen mineralischen Materialien veredelt, die traditionell auch die Bauernhöfe im ländlichen Raum der Insel prägen.
Die Fassaden und Innenräume dieses puristischen Sichtbeton-Gebäudes auf Sizilien sind mit lokalen mineralischen Materialien veredelt, die traditionell auch die Bauernhöfe im ländlichen Raum der Insel prägen.
Das Val di Noto bezeichnet eine dünn besiedelte Region rund 100 km südlich des Ätna. Sie ist bekannt für eine Reihe von Städten, die nach einem Erdbeben im Jahr 1693 allesamt fast vollständig zerstört und dann jeweils als einheitlich spätbarocke, inzwischen auch zum Weltkulturerbe erhobene Ensembles wiederaufgebaut wurden.
Einen besonderen Charme versprüht auch die karge Landschaft unweit des Mittelmeers. Die sanft hügelige Umgebung der Stadt Noto ist geprägt von Ackerflächen und weitläufigen Mandel- und Olivenhainen. Vereinzelt sind auch Ferienhäuser zu finden, die hier aber nur dann neu errichtet werden dürfen, wenn sie einige Spielregeln beachten. Baugrundstücke müssen beispielsweise eine Mindestgröße von 1 ha aufweisen, und die Neubauten dürfen nur ein Geschoss hoch sein, sodass sie die Kronen der oft jahrhundertealten Bäume nicht überragen. Konkrete Vorgaben zu Abmessungen, Gebäudehöhen und -formen oder Dachneigungen gibt es aber nicht.
In die Landschaft eingebettet
Als ein italienischer Fotograf das Pariser Architekturbüro Gaëtan Le Penhuel Architectes beauftragte, hier ein energieautarkes Ferienhaus zu bauen, war für die verantwortliche Büropartnerin Corina Laza eines sofort klar: „Hier sollte kein weiterer weißer Kubus entstehen – eine Typologie, die gerade in dieser Region verbreitet ist, obwohl sie eher an die Kykladen als an Sizilien erinnert. Wir sahen uns vielmehr von der archaischen Kraft der örtlichen Bauernhäuser inspiriert. Diese sind meist als Massivbauten mit Naturstein- oder Putzfassaden ausgeführt, die sich ebenso dezent wie elegant in die Landschaft einfügen.“
Dass die Casa Bendico hauptsächlich aus Sichtbeton besteht, liegt nicht nur an der Tatsache, dass es sich hierbei ebenfalls um ein mineralisches Material handelt. Es hat vielmehr auch mit der Erdbebensicherheit und den hier häufig wütenden Waldbränden zu tun. Darüber hinaus zählt ein weiterer Aspekt: „Dank der zweischaligen kerngedämmten Wand- und Deckenkonstruktion bleiben alle Innenräume selbst in der sengenden Sommerhitze Siziliens stets angenehm kühl“, erläutert Corina Laza.
Wer die nur 3 km südlich von Noto situierte Casa Bendico besucht, findet ein Ensemble aus vier Bauwerken vor. Am Ende der geschwungenen Zufahrt von der Via Gioi liegen ein filigraner Carport mit Schilfdach und das vorgelagerte kleine Ateliergebäude, hinter dem schließlich das 200 m² große Haupthaus steht. Hiervon wiederum nur einen Steinwurf entfernt ist der Outdoorpool zu sehen.
Grund für diese verteilte Anordnung war der Wunsch des Bauherrn nach einer kleinteiligen Bebauungsstruktur, durch die Orte mit unterschiedlichem Charakter und vielfältigen Perspektiven auf die Landschaft entstehen. Eine Rolle spielte aber auch der Respekt gegenüber den alten Olivenbäumen, die trotz der Baumaßnahme möglichst alle erhalten bleiben sollten.
Was am Haupthaus auffällt, ist sein durch und durch monolithisches Erscheinungsbild. Denn neben den Fassaden und der Umfassungsmauer für zwei windgeschützte Außenbereiche sind auch die geneigten Flächen des Satteldachs in Sichtbeton gefertigt. All diese Bauteile sind nicht betongrau, sondern sandfarben und zeigen die Abdrücke einer horizontalen Brettschalung.
Monolithisch bis ins Detail
Der erdige Farbton entstand durch den Einsatz von Puzzolanbeton, der Vulkangestein aus der Ätna-Region enthält. Eine weitere Komponente stellt die Beimengung von Sandstein dar, der auf dem Grundstück vorgefunden und gemahlen wurde.
Dank des Puzzolans ist dieser Beton kohlenstoffarm – zudem verbessert die hohe Porosität des Zuschlagstoffs die Wärmedämmeigenschaften. Betoniert wurde ausnahmslos vor Ort – mit lokalen Handwerksbetrieben, die hierfür Holzgerüste und 10 cm breite, gebrauchte Holz-Schalbretter verwendeten. „Eines der wichtigsten Ziele dieses Projekts bestand darin, die lokalen handwerklichen Fähigkeiten und Bautechniken zu nutzen, anstatt auf Industrieprodukte zu setzen“, sagt Laza. „Unregelmäßige Fugen und imperfekte Oberflächen mit einem lebhaften Wechsel aus helleren und dunkleren sowie eher grauen beziehungsweise sandfarbenen Farbfeldern waren ausdrücklich erwünscht.“ Wie die kerngedämmten Außenwände sind auch die Dachflächen zweischalig ausgeführt. Über der rund 20 cm starken, inneren Sichtbetonschale ordneten die Architekten zunächst eine Dampfsperre und eine druckfeste Mineralwolle-Wärmedämmung an, auf der eine Dichtungsbahn und schließlich die äußere Betonschicht aufgebracht wurde.
Um die Dachfläche mit der für die Wände typischen Oberflächenstruktur zu versehen, drückten die Handwerker die Holz-Schalbretter von oben in den noch feuchten Beton. Auf jegliche Blechverwahrungen wurde verzichtet, so dass der monolithische Charakter des Hauses vollkommen unbeeinträchtigt bleibt.
Sämtliche Innenräume – vom offenen Wohn-Koch-Essbereich über die drei Schlafräume bis hin zu den Bädern – sind ebenfalls fast vollständig von Sichtbeton mit Brettschalung geprägt. Das lässt die Räume kühl wirken, und im Sommer sind sie es dank der zweischaligen Konstruktion in der Tat. Für die zusätzliche Kühlung konzipierten die Architekten ein natürliches Lüftungssystem. Dabei gelangt zunächst warme Außenluft in eine 2 m tief verlegte gusseiserne Erdröhre und strömt dann über Auslässe im geschliffenen Betonfußboden in die Wohnräume. Die erwärmte Luft wird durch die Nassräume wiederum nach außen geführt.
Die Folge: Es entsteht eine natürliche Luftzirkulation. Den geringen Heizbedarf im Winter deckt ein offener Kamin sowie eine Fußbodenheizung. Heizwärme und Warmwasser stammen von einer Solarthermieanlage, die zusammen mit einem Speicher in einem der umfassten Außenbereiche untergebracht ist.
Puristisches Interior
Gemäß den Vorstellungen des Bauherrn nach einem energieautarken Haus verfügt das Gebäude außerdem über eine neben den Bauten installierte Photovoltaik-Freiflächenanlage. Passend zum archaischen, erdfarbenen Purismus der Gebäudehülle erwecken auch die wenigen in den Innenräumen eingesetzten Materialien den Eindruck, das ganze Haus sei aus einem Guss.
Sämtliche Zimmertüren und maßkonfektionierten Einbaumöbel bestehen aus unbehandeltem Eichenholz. Hinzu kommt römischer Travertin, der sich im Tresen des freistehenden Kochblocks, im Esstisch und in der Sofaecke ebenso findet wie in den Waschbecken, Regalböden und der Wandbekleidung der Duschen.
Große, schwellenlose Glas-Schiebetüren in allen Räumen ermöglichen fließende Übergänge zwischen innen und außen. Die Fensteröffnungen lassen sich mit Metall-Schiebeelementen schließen, die mit ihrem eleganten Maschrabiyya-Muster grazile Schatten auf Böden und Wände werfen und gleichermaßen als Lichtfilter und Einbruchsicherung dienen.
Die Öffnungen an den Gebäudestirnseiten verfügen außerdem über Holz-Schiebeelemente. Diese setzen sich aus jenen Brettern zusammen, die schon auf der Baustelle verwendet wurden und sind deshalb auf den ersten Blick kaum von den Sichtbetonoberflächen zu unterscheiden.
Das kleine Atelierhaus basiert auf den gleichen Gestaltungsprinzipien wie das Haupthaus. Es beherbergt ein Studio, eine Küche und ein Bad sowie einige technische Einrichtungen, für die im Haupthaus kein Platz war. Während das Atelierhaus nur vom Bauherrn genutzt wird, kann das nicht dauerhaft bewohnte Haupthaus über einschlägige Internetplattformen von Urlaubsreisenden gemietet werden. Auf diese Weise eröffnet sich für alle die Gelegenheit, nicht nur die außergewöhnliche Casa Bendico, sondern auch den grandiosen Ausblick über das Val di Noto und das Mittelmeer hautnah zu erleben.
db, Do., 2025.07.17
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db 2025|07-08 Material wirkt