Editorial
Demografische und ökologische Herausforderungen sowie sich in kontinuierlicher Veränderung befindende Lebens- und Arbeitsmodelle – das Leben in der Peripherie verliert an Bedeutung. Urbane Dichte, kurze Wege, umfassende Versorgungsstrukturen, ein Leben ohne Auto und eine hohe soziale Lebensqualität machen den »Rückzug« in die Stadt attraktiv. Innerhalb dieser Bewegung kommt dem Quartier und somit auch der Quartiersplanung eine besondere Bedeutung zu; schließlich ist es nicht selten der einzige gemeinsame Nenner, der die Lebenswelten der Bewohner zusammenhält. Für das Funktionieren eines Stadtquartiers ist dabei die Durchmischung der Bewohnerstruktur sowie die Gestaltung von Gebäuden und Freiflächen ebenso wichtig wie die Beteiligung der Bewohner an der Quartiersplanung, nicht zu vergessen die Art und Ausstattung gemeinschaftsbezogener Angebote. In der vorliegenden Ausgabe stellen wir vier sehr unterschiedliche Herangehensweisen aus europäischen Großstädten vor, das Quartier als Gegenstand eines kontinuierlichen Veränderungsprozesses zu gestalten. Wir betrachten deren Erfolge und erforschen (un)ausweichliche Probleme. elp | uk
Inhalt
Diskurs
03 Kommentar
90 Jahre Bauhaus | Winfried Nerdinger
06 Magazin
14 Letters from uk
Kleine Büros in der Rezession | Beatrice Galilee
16 Im Blickpunkt
Berlin: Das Neue Museum. Behutsam saniert | Ira Mazzoni
Special
56 Neues Porsche Museum in Stuttgart | Christian Marquart
Empfehlungen
64 Kalender
Ausstellungen
65 Bogdan Bogdanovic (Wien) | Reinhard Seiß
66 Neu in …
...Enschede (NL) | Anneke Bokern
...Graz (A) | Karin Tschavgova
...Innichen (I) | elp
...Santa Cruz de Tenerife (E) | Klaus Englert
70 Bücher
Schwerpunkt Stadtquartiere
21 Zum Thema – Grenzen öffnen. Plädoyer für die Quartiersplanung | Christian Holl
22 Wohnsiedlung Werdwies in Zürich (CH), Adrian Streich Architekten | Axel Simon
30 Quartier de La Reunion im 20. Arrondissement in Paris (F), Philippe Prost, TOA architectes und andere | Wilhelm Klauser
38 Bavaria-Quartier in Hamburg St. Pauli, PFP Architekten, steidle architekten, coido architects, Jan Störmer Partner, David Chipperfield Architects und andere | Claas Gefroi
41 db-Ortstermin: Konstruktiv-kritische Führung durch das Bavaria-Quartier Hamburg
48 Quartier Angell Town in London (GB)
Anne Thorne Architects, Mode1, Greenhill Jenner Architects und andere | Maren Harnack
Trends
Energie
72 Umsetzung gebäudeintegrierter Photovoltaik | Siegfried Baumgartner
Produkte
78 Produktberichte: Bodenbeläge | red
87 Infoticker
88 Schaufenster: Büromöbel | dr
Anhang
90 Planer / Autoren
91 Bildnachweis
92 Vorschau / Impressum
Detailbogen
93 Zürich: Wohngebäude Werdwies
96 Hamburg: Wohngebäude, Jan Störmer Partner
Aufbruch durch Abbruch?
(SUBTITLE) Bavaria-Quartier in Hamburg St. Pauli
Durch das neue Quartier auf dem Gelände der ehemaligen Bavaria St. Pauli Brauerei werden die Gegensätze im südlichen St. Pauli durchaus noch verschärft: Nischenexistenzen und kleinteilige Arbeiterwohnhäuser der Gründerzeit prallen auf Hochhaustürme und Wohnungen für Besserverdienende. Sowohl menschlich als auch architektonisch sind interessante, aber nicht immer spannungsfreie Nachbarschaften entstanden.
Als vor Kurzem Hamburgs bekannteste Prostituierte, Domina und Sozialarbeiterin Domenica Niehoff starb, gab es einen Trauermarsch, wie ihn die Stadt noch nicht erlebt hatte: Ein buntes Volk von Huren, Milieugrößen, Künstlern aber auch ganz normalen Bürgern gab der guten Seele des Kiezes zu den Klängen von »La Paloma« in einer traurig-fröhlichen Prozession durch St. Pauli das letzte Geleit. Als der Zug die berühmte Herbertstraße durchschritt, da wurde wohl allen klar, dass nicht nur die letzten Kiez-Originale sterben, sondern auch das alte St. Pauli langsam verschwindet: Gleich gegenüber, auf der anderen Seite der Davidstraße, überragen seit Kurzem Hochhaustürme die bescheidenen Arbeiterwohnhäuser der Gründerzeit. Sie markieren das Bavaria-Quartier, ein Neubauviertel im Herzen des Stadtteils auf dem Gelände der einstigen, heute ausgelagerten Bavaria St. Pauli Brauerei.
Die Aufgabe des Standorts im von hohen Mauern umschlossenen dreißig Hektar großen Komplex bedeutete für St. Pauli eine große städtebauliche Chance.
Das abgeriegelte Gelände konnte geöffnet und alte Wege- und Straßenverbindungen wiederhergestellt werden. Doch dies sollte der einzige Anknüpfungspunkt an den Genius Loci bleiben. Man plante hier nicht die Fortsetzung kleinbürgerlicher Milieus, sondern den Beginn eines grundlegenden Wandels: St. Pauli, das alte Arbeiterquartier, Hamburgs ärmster Stadtteil, sollte neue Dynamik, solvente Bewohner und zusätzliche Wirtschaftskraft erhalten – eine gezielte Gentrifizierung also. Und die Investoren standen Schlange: St. Pauli besitzt noch immer eine Attraktivität und Sogkraft, der sich kaum jemand entziehen kann. Es ist dies Deutschlands vielleicht einziger echter Schmelztiegel, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft, Schichten und Couleur auf engstem Raum wohnen, arbeiten, sich vergnügen. Hier herrscht ein Geist aus Offenheit und Toleranz, gepaart mit einem speziellen rauen Charme. Von dieser Atmosphäre will das neue Quartier profitieren, ohne selbst Teil des Kiezes zu werden. Denn die sich hier einquartierenden Besserverdiener und Luxushotelgäste sollen das Prickeln des Ortes spüren, ohne von den unangenehmen Nebenwirkungen wie Armut, Kriminalität oder Drogenproblemen belästigt zu werden.
Abgrenzung, nicht Integration
Nein, Grenzen und Barrieren gibt es nicht; das Quartier isoliert und separiert sich auf eher unterschwellige Art, gibt sich kühl und distanziert inmitten des pulsierenden Stadtteils. Selbst an den Wochenenden, wenn die umliegenden Straßen schier bersten vor Vergnügungssuchenden, verirrt sich nur selten jemand hierher. Städtebau, Freiraumplanung und Architektur des neuen Viertels tragen das Ihre dazu bei: Identitätsstiftende Überbleibsel aus der industriellen Zeit sind nirgends auszumachen und waren nicht gewollt. Selbst der bekannte »Astra-Turm«, das Brauerei-Verwaltungsgebäude der Architekten Carl Friedrich Fischer und Horst von Bassewitz mit seiner markanten Stempelkonstruktion und Biertulpenform wurde abgerissen und durch ein Hochhaus ersetzt, das mit dem Vorgänger nur den Namen gemein hat. Auch die ortstypische Kleinteiligkeit mit hoher Dichte bei moderaten Gebäudehöhen wird nicht weitergeführt. Die klare städtebauliche Figur des 19. Jahrhunderts mit Läden im Erdgeschoss und darüber liegenden Wohnungen fand keinen Widerhall. Gassen, Wege und Plätze zwischen den Neubauten sind zwar aufwendig gepflastert, wirken aber leblos, weil es keine Möglichkeit zum Verweilen gibt. Parkbänke fehlen – wohl, damit sich niemand dauerhaft auf ihnen niederlässt. Ins Bild passt, dass es statt eines Spielplatzes nur wenige verwaiste Spielgeräte gibt, die verstreut im Gebiet liegen.
Die städtebauliche Struktur des Areals ist heterogen und indifferent. Es fehlt eine eindeutige Einteilung in private und öffentliche Bereiche und klare räumliche Gefüge. Die Erdgeschosszonen der Büro- und Wohnhäuser werden kaum für belebende Geschäfte genutzt; gerade einmal ein Discounter, eine Apotheke und ein Backshop tragen zur Nahversorgung bei. Bei den Gebäudetypologien geht es auf engem Raum wild durcheinander: Zeilen, eng aneinandergerückte Punkthäuser, Block, Hochhäuser, dazu ein unübersichtlicher Bürokomplex. Verstärkt wird das disparate Nebeneinander durch in Form, Farbe und Material völlig unterschiedliche Fassaden. Von der ursprünglichen Absicht, hier dem dunkelroten Ziegel der nahen Schumacher-Bauten des Tropeninstituts die Referenz zu erweisen, ist nicht viel übrig geblieben: von weiß über hell- bis dunkelrot und dunkelbraun reicht das Farbspektrum. Es gab kaum gestalterische Einschränkungen, mit dem Ergebnis, dass sich die Bauten und Freiräume nicht zu einem Ganzen fügen – im Unterschied zu den unspektakulären Gründerzeithäusern ringsum, die innerhalb eines strengen Rahmens variieren.
Architektonisches Patchwork
Das Viertel ist auch deshalb so unterschiedlich geraten, weil eine Vielzahl von Bauherren und Architekten am Werk waren. Die Wohnhäuser wurden von zwei Genossenschaften errichtet, die sich vom Bauen in exponierter Lage einen Imagegewinn versprechen. An der Hopfenstraße im Norden des Quartiers planten PFP Architekten für die Baugenossenschaft Bergedorf-Bille vier eng aneinandergestellte, mit roten Kunststoffplatten verkleidete Häuser, deren unterschiedlich modellierte Körper zu einem Ensemble zusammenklingen. Sie besitzen unterschiedliche Winkel, Höhenstaffelungen und Auskragungen, variieren zudem in der Anordnung von Fenstern, Balkonen und Loggien. Die Wohnungen liegen jeweils in einer Ecke und werden somit übereck gelüftet. Sie sind nicht üppig dimensioniert, aber praktisch geschnitten, jedoch erhalten die zur Straße gelegenen Wohnungen durch ihre Nordost- oder Nordwestlage recht wenig Licht. Östlich davon baute Jan Störmer für denselben Auftraggeber eine rhythmisch gegliederte, zur Straße weiß verputzte und zum Quartier nach Süden hin verglaste Wohnzeile, deren 48 Etagenwohnungen mit ihren zweieinhalb bis fünf Zimmern zumeist gut nutzbare Grundrisse aufweisen. So gibt es genügend Stauräume, Flure zur Abtrennung der Bäder von den Wohnräumen und für jede Wohnung eine Loggia, die Frischluftfreunde vor dem beständigen Wind schützt. Zu bemängeln sind jedoch kleine Schlafräume, manchmal nur 2,50 Meter schmale Zimmer und einseitig nach Norden orientierte Zwei-Zimmer-Wohnungen. Ein echtes Plus sind die eingeschobenen Dachterrassen, die von allen Mietern genutzt werden können.
Von steidle architekten stammt ein strenger Wohnblock an der Bernhard-Nocht-Straße für die Hansa Baugenossenschaft. Der Komplex mit seinen 120 frei finanzierten Wohnungen wird geprägt durch die wechselseitige Durchdringung von liegenden und lotrechten Baukörpern. Diese Achtgeschosser stehen sich, getrennt nur durch den zwanzig Meter breiten Innenhof, sehr nah gegenüber. Aber diese hohe Dichte passt durchaus zum engen, verwinkelten St. Pauli. Der Blick in den engen Hof ist eigentümlich: kleine Mietergärtchen im Vordergrund, hinter denen sich die in der Sonne glänzenden Hochhaustürme erheben. Dieser Maßstabssprung erzeugt eine großstädtische Spannung, wie man sie in Hamburg bisher nicht kannte. Im Inneren reihen sich die vorwiegend nach Norden und Süden orientierten Wohnungen entlang eines durchlaufenden innenliegenden Flurs. Die quergestellten Treppen der Maisonettewohnungen liegen ebenfalls in diesem inneren, dunklen Bereich. Neben den Zwei- bis Vier-Zimmer-Maisonette-Typen gibt es noch Etagenwohnungen mit zwei bis vier Zimmern und Atelierwohnungen mit bis zu 175 Quadratmetern. Familien finden hier also genauso Platz wie Singles und Paare. Die Mietpreise zwischen 9,60 und 11 Euro (netto kalt) machen die Wohnungen für breite Bevölkerungsschichten interessant, liegen freilich dennoch über dem für St. Pauli üblichen Niveau. Unverständlich bleibt, warum man die südwestliche Ecke mit einem Bürogebäude besetzte: Die gestalterische und funktionale Integrität des Blocks wurde so unnötigerweise aufgegeben. Das mit dunkelbraunen, fast schwarzen Ziegeln verkleidete »Holland Haus« von coido architects ist jedoch ein schön anzuschauender, skulpturaler Baukörper mit Lufträumen, An- und Einschnitten, die geschickt zwischen den unterschiedlichen Gebäudehöhen der Umgebung vermitteln. Der im Westen angeschnittene, gläserne Sockel ist eine geschickte Inszenierung des seitlich liegenden Eingangs. Die beiden Dachterrassen sind für die Büroangestellten ein Zugewinn, für die Bewohner des Steidle-Blocks jedoch eher eine Störung der Privatsphäre. Östlich des Wohnblocks erhebt sich der Nachfolger des Astra-Turms, ein 68 Meter messendes Hochhaus von KSP Engel und Zimmermann, das weit weniger originell als sein Vorgänger daherkommt, dafür aber eine vornehme Zurückhaltung ausstrahlt. Die abgerundeten Ecken und die schön irisierenden keramischen Brüstungstafeln geben dem 18-Geschosser eine noble Note, die hier, auf dem Kiez, allerdings etwas deplatziert wirkt. Schräg gegenüber haben Axthelm Architekten aus Potsdam ein Büro- und Gewerbegebäude gebaut, das einen kleinen, offenen Hof umschließt. Die Einzelhandelsflächen im Erdgeschoss sind einem kleinen, leider zugigen Platz zugewandt, der das Zentrum des Quartiers bildet. Freilich kann die Architektur des Gebäudes der Bedeutung des Ortes nicht entsprechen. Zu simpel werden die Etagen aufeinandergeschichtet und an der Fassade durch den monotonen Wechsel zwischen Fenster- und Brüstungsbändern abgebildet. Östlich des wiederbelebten, das Areal diagonal durchschneidenden Zirkuswegs liegt das Atlantic Haus, ein riesiger Bürokomplex aus drei Achtgeschossern und einem zentralen Hochhaus mit 21 Geschossen. Man mag es kaum glauben, dass als Architekten Thomas Herzog (Planung und Regeldetails) und gmp (Realisierung) genannt werden, denn die äußere Erscheinung ist recht beliebig und schwach geraten. Der Einzige Hingucker bleiben die hinter den gläsernen Schmalseiten des Hochhauses in Szene gesetzten gigantischen Aussteifungskreuze.
Hamburger Understatement
Wie man es besser macht, zeigt am entgegengesetzten, westlichen Ende David Chipperfield. Sein »Empire Riverside Hotel« ist nicht nur architektonisch, sondern auch städtebaulich bemerkenswert. Auf 3800 Quadratmetern Grundfläche entstand ein Ensemble aus Sockelgebäude, 65 Meter hohem Hotelturm und Bürohaus. Geschickt werden hier durch Faltungen an der Fassade differenzierte öffentliche Räume geschaffen und dem Hochhaus mit seinen 22 Geschossen und 328 Zimmern die Wucht genommen. Die Bronzefassade wirkt ungewohnt und passt mit ihrer unregelmäßigen rotbraunen Farbe und matten Oberfläche doch äußerst gut ins raue St. Pauli. Was mindestens genauso wichtig ist: Das ganze Haus ist wunderbar lebendig. An die vier Geschosse hohe Lobby mit ihrer Rezeption grenzen offene Galerien, eine Lounge, ein Café, ein Restaurant, Konferenzräume und ein Ballsaal. Chipperfield durchbricht die rationale Strenge des Gebäudeinneren mit kleinen Lockerungsübungen: warme, holzgetäfelte Wände und Chesterfield-Sessel, denen durch knallbunte Farben jede Spießigkeit ausgetrieben wurde. Und in der obersten Etage liegt eine wirklich mondäne Bar mit spektakulärem Blick über die Stadt. Wenn man dort bei einem Getränk hinunterschaut, wird einem erst so recht bewusst, wie sehr das neue Quartier ins gewachsene St. Pauli eingreift. Und das war erst der Anfang: An der Reeperbahn werden demnächst die »tanzenden«, weil leicht geknickten Zwillings-Bürotürme von BRT Bothe Richter Teherani gebaut, der Stadtteil also von einer weiteren Seite in die Zange genommen.db, Mi., 2009.04.01
01. April 2009 Claas Gefroi
»Engelsstadt«
(SUBTITLE) Quartier Angell Town in London
Angell Town ist ein Quartier in Brixton, Lambeth, im Süden der Londoner Innenstadt, das lange Zeit so verrufen war, dass nicht einmal Taxifahrer und Pizzaboten sich dorthin trauten. Dass es inzwischen wieder zu einem lebenswerten Stück Stadt mit ansprechender Architektur geworden ist, grenzt an ein kleines Wunder und ist vor allem der Initiative und dem Engagement der Bewohner sowie der guten Zusammenarbeit von Bewohnern und Architekten zu verdanken.
Um 1850 hatte die Familie Angell in Brixton einen sogenannten »Estate« entwickelt, ein spekulativ gebautes Wohngebiet mit standardisierten Reihenhäusern, die in Erbpacht an die Bewohner vergeben wurden. Wie in vielen vergleichbaren Gebieten, war die bauliche Qualität der Gebäude mäßig, und weil wachsende Familien kaum Aussicht auf eine größere Wohnung hatten, waren sie bald so stark überbelegt, dass Angell Town zu einem Slum wurde. Schon um 1900 begann die Stadt London damit, Slums zu sanieren, indem sie die Eigentümer enteignete, die Gebäude abriss und an deren Stelle eigene Wohnbauten errichtete – so auch in Angell Town.
Unterbrochen von zwei Weltkriegen zog sich die Sanierung der Slums aber über Jahrzehnte hin. Wie die meisten Quartiere nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch Angell Town nach den Prinzipien des Modernen Städtebaus neu geplant. Obwohl das Projekt letztendlich erst 1978 zum Abschluss kam und sich in ähnlichen Siedlungen bereits erste schwerwiegenden Probleme wie Kriminalität, Verwahrlosung und Unzufriedenheit der Bewohner einstellten, hielt man an den Prämissen der Planungen der sechziger Jahre fest.
Der neue Angell Town Estate bestand aus neun drei- bis fünfgeschossigen Wohnhäusern, die für Fußgänger von sogenannten Decks im ersten Stock aus erschlossen wurden. Im Erdgeschoss gab es nur die Straßenerschließung und Garagen, die, wegen der auskragenden Decks, kaum einsehbar waren. Die Decks der Häuser waren untereinander mit Brücken verbunden. Geplant war, das System der Deckerschließung auf die angrenzenden Estates auszudehnen. Dazu kam es aber nicht, und so blieb Angell Town von der unmittelbaren Umgebung abgeschnitten. Niemand, der nicht in eine der Wohnungen wollte, betrat das Gelände. Durch das Übereinander von Straßen und Decks war das Gebiet extrem unübersichtlich und unsicher. Da die Situation in anderen, vergleichbaren Estates allerdings kaum besser war, beschlossen die Bewohner sich nicht um neue Sozialwohnungen zu bemühen, sondern sich für die Verbesserung ihrer Lebensumstände im Quartier einzusetzen. Eine Rolle spielte dabei sicher auch, dass Angell Town relativ zentral liegt und gut ans U-Bahn-Netz angebunden ist.
Aussergewöhnliches Engagement
Wie so oft, war auch das Engagement der Bewohner in Angell Town nur erfolgreich, weil es einzelne Personen gab, die sich besonders einbrachten. In Angell Town war das vor allem die mittlerweile verstorbene Dora Boatemah, die 1986 eine im Laufe der Sanierung besonders aktive, gemeinnützige GmbH, das Angell Town Community Project, gründete. Sie initiierte eine Partnerschaft mit der Architekturfakultät der Universität Oxford Brookes, die die Sanierung von Anfang an begleitete. So wurden die Bewohner beispielsweise nach ihren Wünschen gefragt; auf Grundlage der Ergebnisse entwickelten die Studierenden ein Gutachten, das wiederum zur Grundlage der weiteren Planungen wurde. Gemeinsam mit Oxford Brookes, der Bauverwaltung von Lambeth und dem Planungsbüro Burrell Foley Fischer warb das Angell Town Community Project beim European Regional Fund fünf Mio. Pfund für ein Pilotprojekt zur Umnutzung der Erdgeschosszonen in Ladenlokale und den Umbau der darüberliegenden Wohnungen ein. Diese Partnerschaft wurde 1989 mit dem RIBA Partnership Award ausgezeichnet.1991 wurde Angell Town zudem als eines der letzten Projekte in das staatliche Förderprogramm »Estate Action« aufgenommen, das speziell für die Sanierung von großen, kommunalen Wohnsiedlungen konzipiert worden war. Um die nötigen Komplementärmittel aufzubringen, musste Lambeth insgesamt etwa 200 Wohnungen an gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften verkaufen, die dann die eigentliche Sanierung des Quartiers durchführten und sich verpflichteten, die Wohnungen weiterhin als Mietwohnungen anzubieten. Gesteuert wurde der Sanierungsprozess von einem Gremium, in dem Vertreter der lokalen Verwaltung, der Bewohnervertretung, des Angell Town Community Projects, der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und angesehene Persönlichkeiten aus dem Quartier vertreten waren. Eine Besonderheit der Sanierung von Angell Town ist, dass das Angell Town Community Project nicht nur als ehrenamtliche Bewohnervertretung an dem Prozess beteiligt war, sondern von der Verwaltung als offizieller Berater beauftragt wurde. In dieser Rolle organisierte es unter anderem die Beteiligung der Bewohner sowie die Auswahl der Architekturbüros und Bauträger für den Um- und Neubau der Wohnhäuser. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Büros für Beteiligungsprozesse aufgeschlossen waren und zumindest über erste Erfahrungen in diesem Bereich verfügten. Durch die gute Vernetzung der Aktivisten im Quartier erreichten alle Informationen schnell und unbürokratisch die Bewohner, die ihrerseits in allen Phasen des Projekts die Kontrolle über die Vorgänge in ihrem Quartier behielten.
Bewohner planen ihren Stadtteil
Neben den Verbesserungen in der Sicherheit, der Erschließung und der bauphysikalischen Qualität der Wohnungen ging es den Bewohnern immer auch darum, dass ihr Quartier nicht mehr wie ein Estate des Sozialen Wohnungsbaus aussehen sollte. Durch die Beauftragung von mehreren Architekten und Bauträgern hat sich zwar der Planungsaufwand beträchtlich erhöht, aber gerade die Unterschiedlichkeit der einzelnen Gebäude wirkt dem Eindruck entgegen, dass Angell Town ein Quartier des Sozialen Wohnungsbaus ist. Das Pilotprojekt, der Umbau von »Holles House« und »Warwick House« direkt an der Brixton Road, wurde von Anne Thorne Architects geplant. Das Erscheinungsbild wird auch weiterhin von gelbem Klinker geprägt und auch die Laubengänge existieren noch, wurden aber zum Teil zu Balkonen umgenutzt. Dank neuer Treppenhäuser ist heute jede Wohnung auf nur einem Weg erreichbar und die Bewohner eines Aufganges kennen sich, so dass eine gewisse beiläufige Kontrolle besteht. Die ehemals gemeinschaftlich genutzte Terrasse über den Garagen wurde aufgeteilt und den Wohnungen im ersten Stock zugeschlagen, die auch von hier erschlossen werden und dadurch den Charakter von Reihenhäusern bekommen. Durch die energetische Sanierung der Häuser konnten die Heizkosten um durchschnittlich die Hälfte gesenkt werden.
Ebenfalls von Anne Thorne Architects wurde der Neubau des Ökohauses am Boatemah Walk geplant. Die Bewohner hatten sich für ein Gebäude nach den neuesten ökologischen Standards eingesetzt. Boatemah Walk ist ein dreigeschossiger Holzskelettbau, dessen Dach mit Solarzellen bestückt ist. Außerdem wird das Regenwasser für die Toilettenspülung genutzt. Das Holz für den Bau stammt aus dem zertifizierten nachhaltigen Anbau von Forest Stewardship. Boatemah Walk erhielt den Ecohomes Standard »Excellent«, den höchsten Standard, den es in Großbritannien gibt.
Gestalterisch am auffälligsten ist der Umbau des »Langport House« vom Büro Mode[1]. Wie bei Holles und Warwick House wurde die Erschließung des fünfgeschossigen Wohngebäudes komplett verändert. Im Souterrain wurden Gewerberäume untergebracht, die Wohnungen im ersten und zweiten Stock wurden zu Maisonetten zusammengelegt, die über den Gewerbeeinheiten große Terrassen haben. Von hier aus kann man einen neu angelegten Park überschauen, der Angell Town mit dem benachbarten Estate verbindet. Die, zu dreigeschossigen Wohnungen zusammengelegten Einheiten über den Maisonetten werden paarweise über neue, weiße Treppentürme mit frei angeordneten Fenstern erschlossen, die dem gesamten Bau ein neues Gesicht geben, das nicht im Geringsten an einen sozialen Wohnungsbau erinnert.
Auf der gegenüberliegenden Seite wurde der Bestand nicht saniert, sondern die Architekten Greenhill Jenner errichteten neue, dreigeschossige Wohnbauten (Iriton und Marston House), die sich auch an der Marcella und der Overton Road finden. Durch Einschnitte und Materialwechsel in der Fassade erinnern sie an frei stehende Stadtvillen oder, so die Intention der Architekten, an traditionelle Londoner Stadthäuser. Mit diesen haben sie auch die ummauerten Vorgärten gemein, die Abstand zur Straße und für die Erdgeschosswohnungen ein Mindestmaß an Privatsphäre schaffen. Die Fassaden sind größtenteils mit Ziegeln verkleidet, dort wo sich die Einschnitte befinden wird Zink und Holz verwendet. So vermeiden die Architekten Monotonie. Neben den Geschosswohnungsbauten gibt es noch einige zweigeschossige Reihenhäuser, die nach demselben Prinzip gestaltet wurden. Obwohl die relativ niedrigen Gebäude einen familiären Maßstab erzeugen, stellt sich die Frage, ob ein weiteres Geschoss wirklich geschadet hätte – Wohnungen, zumal bezahlbare, sind in London sehr knapp, und hier hätten durchaus noch einige zusätzliche entstehen können.
Runderneuerung auf allen Ebenen
Die erwähnten Gebäude sind nicht die einzigen, die im Rahmen der Sanierung grundlegend erneuert wurden. Keines der Bestandsgebäude beließ man in seinem ursprünglichen Zustand, alle Häuser wurden entweder energetisch saniert und mit einer neuen Erschließung versehen oder sogar neu gebaut. Diese Mischung war den Bewohnern wichtig, die weder einen erneuten Totalabriss noch eine Sanierung ohne Neubauten wollten. Doch nicht nur die Gebäude, auch der öffentliche Raum wurde umgestaltet – oder besser gesagt: überhaupt erst geschaffen. Anstatt der Deckerschließung gibt es nun Straßen und Gehwege, die das Quartier selbstverständlich in seine Umgebung einbinden. Sie sind zweckmäßig und ansprechend, aber nicht aufdringlich gestaltet und vor allem gepflegt, was auch daran liegt, dass die Bewohner und insbesondere die Jugendlichen aus dem Quartier an der Gestaltung beteiligt waren und sie nun mit dem entsprechenden Respekt behandeln. Neben dem bestehenden Ballspielplatz wurde ein großer Kinderspielplatz geschaffen, angesichts der noch immer verhältnismäßig dicht belegten Wohnungen ein absolut notwendiger Bewegungsraum. Die bauliche Erneuerung von Angell Town wurde von Anfang an durch eine »soziale Erneuerung« ergänzt, die auf einer breiten Basis versuchte, die vorhandenen Benachteiligungen der Bewohner abzubauen und zukünftigen Benachteiligungen beispielsweise von Kindern und Jugendlichen frühzeitig entgegenzuwirken. Hierzu wurde von den beteiligten Wohnungsbaugesellschaften eine Quartiersmanagerin eingestellt, deren Stelle mittlerweile leider ausgelaufen ist und die nun schmerzlich vermisst wird, obwohl die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften einen Teil der Angebote weiterhin aufrechterhalten.
Bei allen außergewöhnlichen und modellhaften Aspekten ist Angell Town auch ein ganz gewöhnliches Stadterneuerungsprojekt, das enormen Zwängen unterlag und das Förderrichtlinien einhalten musste. Stadterneuerung im Sozialen Wohnungsbau ist gewissermaßen das Schwarzbrot des Planeralltags. Der Erfolg von Angell Town liegt einerseits im enormen Engagement der Bewohner begründet, die zum Teil wie in einem Vollzeitjob für das Projekt gearbeitet haben, ohne dafür bezahlt worden zu sein, andererseits waren auch die Planer des London Borough of Lambeth engagierter als es für Angestellte der öffentlichen Verwaltung üblich ist. Nicht zuletzt haben die Architekten enorm viel Zeit und Arbeit investiert. Der Erfolg des Projekts mag manchen für seine unbezahlte Arbeit entschädigen, und die vielen Preise, die das Projekt bekommen hat, könnten sich sogar in barer Münze auszahlen. Auf jeden Fall gewonnen haben allerdings die Bewohner, die heute in einem attraktiven, sicheren Quartier leben und an ihrem angestammten Standort bleiben konnten, anstatt in weniger zentral gelegene Wohngebiete verdrängt zu werden. Sie werden hoffentlich auch in Zukunft dafür sorgen, dass Angell Town ein lebenswertes Quartier bleibt.db, Mi., 2009.04.01
01. April 2009 Maren Harnack
Was lange währt, wird besser
(SUBTITLE) Quartier de La Réunion im 20. Arrondissement von Paris
Paris, nahe den Metro-Stationen Avron oder Marachaires: Man glaubt sich in einem anderen Paris, in einem Paris der Vorstädte und Arbeitersiedlungen, weit entfernt von der mondänen Glitzerwelt und den gerade angesagten Quartieren der Metropole. Hier wird seit 15 Jahren eine sanfte Quartierserneuerung praktiziert. Es entstand unter intensiver Bürgerbeteiligung eine Architektur, die sensibel auf den Ort eingeht, ein Ansatz, der Renovierung und Neubau gekonnt zusammenführt. Das negative Renomee des Viertels verändert sich und trotz aller gegenteiliger Intentionen wird die eingesessene Bevölkerung verdrängt.
Der Bereich, von dem hier die Rede ist, trägt seine Vergangenheit noch im Namen: Die Rue des Vignerons, die Straße der Weinberge, durchzieht das Quartier oder die Rue des Haies, die Straße der Hecken. Es muss ein rechter Fusel gewesen sein, der auf dem leicht nach Süd-Osten abfallenden Gelände angebaut wurde. Aber die Landwirtschaft hat dem Areal ein Gesicht gegeben, das bis heute dominiert. Durch fortgesetzte Erbteilung entstanden lange, schmale Parzellen, die von der Straße aus erschlossen werden. Stiche, die zwischen 1,2 und 4,5 Meter breit sind, führen von den Straßen aus in die Tiefe. Diese Gassen werden gesäumt von schmalen Gebäuden, die selten höher sind als drei Geschosse: Schlechte Substanz, keine Belle Etage, kein Stuck und keine großen Portale. Stattdessen führen Schlupftüren von den Stichen in die Häuser. In manchen der Gassen stellt sich das Areal mit zerfallenden Häusern und Graffitis sogar noch so dar, wie es gewesen ist, vor 15 Jahren: ein Quartier vor dem Kollaps. Das Quartier de La Réunion, von dem hier gesprochen wird, war verrufen. Aber es hatte Charakter.
Urbanismus und DigiCode
In den letzten Jahren ist viel geschehen. Offiziell wurde das städtebauliche Projekt »La Réunion« im letzten Jahr abgeschlossen. Angefangen hatte es – symbolische Geste – mit dem Bau eines Parks, dem Jardin Casque d’Or. Der Landschaftsplaner Alain Marguerite errichtete ihn 1993 an der Stelle einer ehemaligen Schokoladenfabrik, und er konnte ihn 2006 nochmals erweitern. In der Folge sind 58 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche entstanden, 677 Wohneinheiten wurden von verschiedenen Architekten in Neubauten und renovierten Häusern realisiert, darunter finden sich auch zwei Studentenwohnheime. Es gibt zwei neue Schulen, die 1992 von Franck Hamouttène und 2003 von den Architekten Daufresne, Laverdant und Lagarrec errichtet wurden. Mit dem Zuzug junger Bewohner musste ein Kindergarten gebaut werden (2002, Emmanuelle Colboc). 2007 entstand in umgebauten Produktionsbetrieben ein Gründerzentrum (FFL-Architects), eine Jugendbibliothek wird demnächst fertiggestellt: Eine sorgfältig abgestimmte, kleinteilige Umgebung in einer großen Stadt ist entstanden, die sich über mehr als zwanzig Jahre entwickelt hat und die dem koordinierenden Architekten Bernard Bourgade seit 1989 wohl manche schlaflose Nacht beschert hat. Dass die Umsetzung außerordentliche Moderatorenleistungen verlangte, ist dem Areal heute nicht mehr auf den ersten Blick anzusehen. Insbesondere die letzten Wohnungsbauten im Areal, die 2004 von Philippe Prost zwischen der Rue des Pyrénées, der Passage Dagorno und der Rue des Haies realisiert wurden, zeigen, dass sich die Anstrengungen gelohnt haben. Zwischen sanierten Altbauten fügen sich unauffällig neue Gebäude ein, die die Maßstäblichkeit wahren und trotzdem eine moderne und zeitlose Architektursprache sprechen. 1997 bereits war der Architekt, der bis dahin insbesondere mit der sensiblen Renovierung denkmalgeschützter Substanz hervorgetreten war, mit einer ersten Studie beauftragt worden. Im Verlauf der folgenden zwei Jahre entwickelte sich in langen Diskussionen und Abstimmung zwischen Stadt, lokalen Interessenverbänden und Bürgern ein erster Massenplan, der explizit einen neuen Umgang mit lang gestreckten, schmalen Grundstücken vorschlägt. Vorteilhaft war, dass Bourgade in diesem Areal keine scharfen Baugrenzen vorgab, sondern lediglich die Flächen vorschrieb, die der Architekt zu errichten hatte. Prost war also weitgehend frei in der Art und Weise, wie er die Gebäude anordnete, und er hat von dieser Freiheit profitiert. Durch die Bereitschaft, sich auf die Eigenheiten des Standorts einzulassen, war es möglich, die Kapazität des Areals zu erschließen und jenseits der innenstadttypischen Blocktypologie, die das Bauen in Paris dominiert, neue Vorschläge zu machen. Das Ergebnis überzeugt. Die Gebäude fügen sich unauffällig zwischen renovierten Häusern ein, die wie selbstverständlich in das Gesamtensemble integriert wurden.
Material, Fensterformate oder auch Rhythmus der angrenzenden Bebauungen werden aufgenommen: Eine diskrete aber durchaus moderne Lösung, die dem Quartier angemessen ist. Zwischen den Gebäuden gibt es gut proportionierte und gut belichtete Freiflächen, die als halböffentlicher Raum von hoher Aufenthaltsqualität sind und offensichtlich gut angenommen werden.
Das Entstehen solch qualitativ hochwertiger Umgebungen spricht sich natürlich herum. Das 20. Arrondissement, in dem mehrere Quartierserneuerungen ablaufen, wird Opfer seines eigenen Erfolgs. Die Verdrängung einer alten Bevölkerung erfolgt schnell, auch wenn im Quartier Réunion vorwiegend Sozialwohnungen entstanden. Die äußeren Zeichen sind nicht zu übersehen. In Paris leben kann man nur noch mit viel Geld. Vor den schmalen, renovierten Stichen stehen häufig unüberwindliche Gittertore. Paris ist die Hauptstadt des Digicodes: Wer den Zahlencode vergessen hat, kommt nicht rein. Ein Blick in die Fenster der Immobilienhändler auf den angrenzenden großen Boulevards zeigt horrende Preisvorstellungen: Verzeichneten die Makler 2001 noch Quadratmeterpreise von 2300 Euro, so liegen die Angebote heute bei ungefähr 4100 Euro. Die zu kleinen Einzelhandels- und Gewerbelokale, die in den Erdgeschossen vorgesehen sind, stehen leer.
Es war einmal …, es wird einmal …
Der Planungsprozess für das Quartier war extrem langwierig und schwierig. Anfang der achtziger Jahre war das Gebiet – Folge über Jahrzehnte andauernder Vernachlässigung – in einem Stadium des umfassenden Verfalls angekommen. 1987 schließlich wird auf 5,5 Hektar eine ZAC eingerichtet. Eine »Zone schwerpunktmäßiger Entwicklung« gibt der Stadt weitreichende Durchgriffs- und Koordinierungsmöglichkeiten, um Maßnahmen, die im allgemeinen Interesse sind, zu beschleunigen. Mit der Durchführung werden als Bauherrenvertreter von der Stadt Paris zunächst die SEMAER St. Blaise und später die SEMAVIP betraut, Gesellschaften der Stadt, die auf die Durchführung von Restrukturierungsmaßnahmen spezialisiert sind und über große Erfahrung verfügen. Aber zunächst haben alle guten Vorsätze keinen Erfolg, denn die ZAC ist ein Instrument, um große Flächen umzuwidmen und sehr schnell zu bebauen und dort erfolgreich, wo großflächige Strukturen vorliegen. Der seltsam zerfaserte Umriss des Gebiets zeigt aber bereits, dass hier andere Voraussetzungen und äußerst komplizierte Besitzverhältnisse herrschen. In Réunion scheitert der Ansatz allerdings nicht nur an den differenzierten Rahmenbedingungen, sondern auch an dem prekären Umfeld, das dem baulichen Niedergang eigene Formen des sozialen Zusammenhalts entgegensetzte. Vielfältige Interessengruppen wehrten sich verbissen gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen, die von oben nach unten dekretiert wurden. Gegenvorschläge der Bevölkerung unterminierten den Versuch, größere zusammenhängende Grundstücke herzustellen, die als eine Voraussetzung für die Aufwertung angesehen wurden. Über Monate hinweg kampieren Familien, die im Zuge der Neubaumaßnahmen ihre Wohnungen verloren haben, aus Protest im neuen Park.
Erst 1991, mit der Wahl des Sozialisten Bertrand Delanoë ins Bürgermeisteramt, kommt Bewegung in die Sache. Als nach den Wahlen von 1995 weitere fünf Arrondissements an die Sozialisten und Grünen fallen, wird es leicht. Jetzt ist nicht mehr nur der Totalabbruch angesagt, sondern auch der Erhalt und die Renovierung von Gebäuden. Zunächst aber müssen Dialogformen gefunden werden, um ein für Planung unerlässliches Vertrauensverhältnis wiederherzustellen. Dies gelingt durch viele Zugeständnisse, und die Planungen werden nun mit enger Bürgerbeteiligung vorangetrieben. Der Erhalt von Gebäuden bedeutet, dass sich die ursprüngliche, kleinteilige und schmale Parzellierung als Gestalt prägend etabliert. Der existierende Bebauungsplan, der Blöcke vorschlug, die sich um einen Innenhof organisierten, ist nicht mehr durchzusetzen. Stattdessen entsteht nun ein über die ganze Fläche hinweg eng verwebtes, kleinteiliges Gefüge, das die Struktur des Gebiets fortschreibt. Die höheren Kosten, die eine weniger tiefe Bebauung bedeutet, führen dazu, dass sich plötzlich auch Renovierungen wieder rechnen. Es entstehen, mitten in Paris, maximal drei- bis viergeschossige Gebäude und kleine Reihenhäuser, die in vielen Wohnungen sogar das Durchwohnen zulassen und die gleichzeitig auf eine große funktionale Durchmischung ausgelegt sind. Den Wegfall von Grünparzellen, die im Verlauf der Jahre auf verfallenen Grundstücken entstanden waren und die von der Bevölkerung als hoher lokaler Wert und Identifikationspunkt angesehen wurden, kompensiert ein 2006 nochmals vergrößerter, öffentlicher Garten, der mangels Alternativen von Kindergärten und Schulen gut angenommen wird. Kindergarten, Grundschule, Bolzplätze entstehen: Das Arsenal der sozialen Befriedung wird in seiner ganzen Breite ausgerollt, schließlich handelt es sich um eine Operation in Paris … plötzlich lässt sich scheinbar alles durchsetzen, die Begeisterung ist groß, der Erfolg garantiert. Der sensible Umgang mit dem Quartier, der nicht nur Rücksicht auf charakteristische Parzellenzuschnitte nimmt, sondern auch hinsichtlich einer Durchmischung neue Ansätze sucht, strahlt natürlich aus. Die angrenzenden Gebiete werden ebenfalls als Zonen mit besonderem Entwicklungsbedarf ausgewiesen. 2008 wird, in Vignoles-Ost nach einem gewonnenen Wettbewerb, durch TOA-Architekten eine neue Sporthalle fertiggestellt. Die große Masse der Halle ist unauffällig hinter neuen Wohnbebauungen versteckt, die hausbacken daherkommen und konservative Grundrisse haben. Die 47 Einheiten werden im Frühjahr 2009 bezogen werden. Zweiseitig orientiert, werden sie überwiegend über außenliegende Treppen und Laubengänge erschlossen. Nur manchmal lässt sich von der Straße ein Blick auf die harte Streckmetallfassade und eine transluzente Glaswand der Sporthalle hinter den Wohnhäusern erhaschen, die durch eine andere Materialität die großformatige Nutzung kennzeichnen. Auf dem Dach der Sporthalle, das über eine außenliegende Treppe erreicht wird, entsteht ein Lehrgarten für das Quartier. Zwischen die Träger, die über 24 Meter spannen, werden Becken eingehängt, die die notwendige Krume für den Bewuchs aufnehmen. Das ist die ferne Referenz an die wilde, grüne Guerilla, die auf dem Grundstück seit 2000 einen ungenehmigten Quartiersgarten unterhalten hatte und sich erst nach zähem Widerstand zurückzog. Ob solch ein Konzept des halböffentlichen Dachgartens funktioniert, das darf allerdings bezweifelt werden, politisch jedenfalls ist es ein schlagendes Argument. Viel wird nun davon abhängen, ob diese Einrichtung von den Bewohnern des Quartiers aktiv bespielt wird. Noch lässt sich das aber nicht absehen. Der allgegenwärtige Digicode spricht eher eine andere Sprache und deutet auf Individualisierung und Rückzug der Bewohner aus der Öffentlichkeit hin. Die Überlagerung nicht kompatibler Nutzungen, die in diesem Projekt vorgeschlagen wird, schreibt den Wunsch nach einem Erhalt der Vielgestaltigkeit des Quartiers fort, eine Qualität, die in einem PLU – einem »lokalen Plan für Urbanismus« – vorgegeben ist. Die Aufstellung solch sorgfältiger Abstimmungsplanungen auf Quartiers- oder interkommunaler Ebene ist seit 2000 in Frankreich bindend. Existierende und oftmals überholte Flächennutzungspläne werden damit auf den aktuellen Stand gebracht. Einerseits ist solches Vorgehen zu begrüßen, gleichzeitig aber verhindert der damit verbundene Verhandlungsaufwand häufig auch Innovationen und bürgt keineswegs für Qualität.
Edouard Francois realisiert 2009, ebenfalls unmittelbar neben dem Quartier in Vignoles-Ost, eine neue Bebauung fertig, die den Betrachter sprachlos macht. Bekannt für seine exzessive Bepflanzungsfreude realisiert er zwei Reihen ziegelgedeckter, kleiner Reihenhäuser mit Miniaturgärten, die in ihrer Maßstäblichkeit vollkommen aus dem Rahmen fallen. Normierte Blumentöpfe harren der Bepflanzung durch die Mieter von Wohnungen und Ateliers. Einige Apfelbäume spielen Landwirtschaft. Zwischen diese Vorstadttypologie schiebt sich ein langer Riegel mit Sozialwohnungen. Das sanft abgetreppte Betonregal erschließen über drei Geschosse große, außenliegende Freitreppen. Vor die billige Metall-Elementfassade der durchgesteckten Wohnungen ist auf beiden Seiten eine zweite Schicht aus Lärchenholzbrettern genagelt, die dem Ensemble den Charme einer Notsiedlung verleiht: Trümmerchic, den dermaleinst ein grüner Mantel zieren soll. Die städtebaulich überzeugende Grundidee, die sich an der Linearität der Parzelle ausrichtet, ist in der Durcharbeitung gescheitert und orientiert sich stattdessen an den Prämissen der Medienwirksamkeit. Ein enttäuschend populistischer Vorschlag, der keineswegs die Qualität der Gebäude erreicht, die in der ZAC Réunion realisiert wurden.db, Mi., 2009.04.01
01. April 2009 Wilhelm Klauser
Von der Grau- zur Grünzone
(SUBTITLE) Neubau Wohnsiedlung Werdwies in Zürich
Als Siedlung Bernerstrasse war sie ein sozialer Brennpunkt, dann entschloss sich die Stadt zur Radikalmaßnahme des Abrisses und für einen kompletten Neubau. Als Siedlung Werdwies ist sie heute ein Ort, an dem Familien sehr gut leben können. Und der frei und offen gestaltete Außenraum bereichert als neues Zentrum nicht nur die Siedlung, sondern wirkt sich positiv auf ein insgesamt nicht unproblematisches Quartier aus. Die neuen Wohnungen sind doppelt so groß wie die alten und beglücken preisbewusste Pragmatiker wie ästhetisch Anspruchsvolle gleichermaßen.
Eine wenig idyllische Bebauungsinsel im Norden der Stadt Zürich, gerahmt von Autobahn, Flusslauf, Klärwerk, Sport- und Parkplätzen. Diese »Insel« heißt Grünau und war bis vor Kurzem nur durch Unterführungen oder per Fallschirm zu erreichen. Der Filmemacher Fredi Murer hat der Siedlung Bernerstrasse, dem Kern der Grünau, 1979 ein Denkmal gesetzt. Nicht von ungefähr heißt der Film »Grauzone«: Trist war die 1959 billig hochgezogene Siedlung schon nach zwanzig Jahren. Weitere zwanzig Jahre später waren die Hausfassaden mit ihrem Ausschlag unzähliger Satellitenschüsseln nicht mehr grau, sondern schwarz und ihr Abriss beschlossene Sache. Der Zustand der 267 kleinen Wohnungen war schlecht, längst genügten sie heutigen Wohnansprüchen nicht mehr. Sie durch halb so viele, im Schnitt aber doppelt so große zu ersetzen, war das Ziel, ein weiteres die Aufwertung des gesamten Quartiers. Die sozial schwache Bewohnerschaft der ehemaligen Siedlung Bernerstrasse, die sich aus über dreißig verschiedenen Nationalitäten zusammensetzte, entlockte Politikern immer wieder das Reizwort Slum – eine sicherlich übertriebene Bezeichnung, doch fehlte eine ausgeglichene soziale Durchmischung, selbst innerhalb des Quartiers war die Siedlung ein stigmatisierter Ort. Nun sollte sie sein städtisches Zentrum werden.
Grösser, schöner, ökologischer
Zwar wurden in Zürich in den letzten Jahren bereits einige genossenschaftliche Siedlungen durch Neubauten ersetzt, doch niemals zuvor so viele gemeinnützige Wohnungen auf einen Schlag abgerissen wie an der Bernerstrasse. War der Ersatzneubau in dieser Stadt rund 25 Jahre lang tabu, so greift man heute mehr und mehr zu diesem radikalen Mittel – muss es sogar, denn die meisten Züricher Wohnungen kommen in die Jahre und sind zu kleinräumig für heutige Ansprüche an Wohnraum. Mit einzelnen Verbesserungen wie neuen Balkonen oder einer zusätzlichen Wärmedämmung hat man am Ende oft weder gute Architektur noch wird viel Geld gespart, darum baut man lieber ganz neu.
Doch der Abbruch bestehender Wohnhäuser geht nie ohne Widerstand und Kritik über die Bühne. Denn auch wenn es sich um keine Traumwohnlage handelt, haben sich über die Jahre Nachbarschaften gebildet und die Mieter sich in ihren oft sehr günstigen Verhältnissen eingerichtet, nicht anders an der Bernerstrasse. Denn im heutigen Zürich findet man kaum noch eine Dreizimmerwohnung für 600 Franken. Die Stadt reagierte auf diese schwierige Situation mit der Einrichtung eines Mieterbüros in der Grünau. Es half den 670 Bewohnern der alten Siedlung erfolgreich bei der Suche nach neuem Wohnraum, am Ende hatten die allermeisten eine Bleibe in Zürich gefunden. Warum nur wenige der ehemaligen Bewohner in die neue Siedlung zurückkehrten, hat seine Gründe: Den meisten waren die größeren Wohnungen einfach zu teuer, ansonsten regelte die Stadt als Vermieterin mit einem obligaten Bewerbungsverfahren die gewünschte neue Durchmischung der Bewohnerschaft.
Die Stadt als Hausbesetzerin
Während der mehrjährigen Übergangszeit von der Bekanntgabe des geplanten Abrisses bis zum Auszug der letzten Mieter im Januar 2004 wurde die Stadt zur Hausbesetzerin: Die frei werdenden Wohnungen überließ sie mehreren hundert Künstlern und Studenten zur Ateliernutzung. Die »Fuge«, »Europas grösste Künstlerkolonie«, wie die Presse vollmundig schrieb, verhinderte zwar eine Geisterstadt, Vandalismus und »echte« Hausbesetzungen, die Performances, Feuerwerke und durchbohrten Wände der Künstlerbesetzer stießen jedoch bei den verbliebenen Bewohnern in der Regel auf wenig Gegenliebe – sie hatten andere Probleme als sich mit Kunst zu beschäftigen.
Heute steht anstelle der Siedlung Bernerstrasse die Siedlung Werdwies, keine Grau-, sondern eine Grünzone mit frischer Architektur. Ihr Architekt, der heute Anfangvierziger Adrian Streich, gewann den an guten Vorschlägen nicht armen Wettbewerb 2002 und realisierte mit der Siedlung sein erstes großes Projekt. Mittlerweile gilt er als Fachmann für Wohnungsbau unter schwierigen Bedingungen. Seine statt der ehemals 267 nun auf 152 reduzierten, schönen Wohnungen in der Werdwies sind doppelt so groß wie in der Vorgängersiedlung – die meisten von ihnen weisen bei viereinhalb Zimmern 106 bis 112 Quadratmeter auf, die größten mit sechseinhalb Zimmern gar 154 Quadratmeter. Auch die Mieten haben sich verdoppelt, sind aber für Züricher Verhältnisse noch immer günstig, ein Drittel der Wohnungen wird zur angestrebten sozialen Durchmischung für weniger Verdienende subventioniert. Und Schöngeister können sich eines von 28 schallgedämmten Musikzimmern dazumieten.
Städtischer Raum statt Siedlungsraum
Die sieben neuen Häuser sind mit jeweils acht Geschossen alle gleich hoch. Sie besetzen in drei unterschiedlich großen Typen das Grundstück: Die vier kleinen Häuser öffnen den Raum der Siedlung in Richtung Quartier, das größte bildet wie ein Block den westlichen Schlusspunkt. In diesem Block sitzt über einem erdgeschossigen Supermarkt ein großer, offener Innenhof mit Laubengängen. Bei den mittelgroßen Baukörpern erschließt ein glasgedeckter Lichthof im Zentrum jeweils vier Wohnungen pro Geschoss, die kleinen Häuser sind zweispännig organisiert und besitzen ein Treppenhaus an der nördlichen Fassade – schon dieser Reichtum an verschiedenen Typen belebt den Raum dazwischen. In den hohen Erdgeschossen finden sich öffentliche und gemeinschaftliche Einrichtungen: neben dem Supermarkt ein Bistro, Kindergarten und Kinderkrippe sowie Fahrradräume und Waschküchen, die sich über große Fenster nach außen öffnen, zusätzlich – wie bei gemeinnützigen Siedlungen in der Schweiz üblich – ein Gemeinschaftsraum, außerdem Ateliers und drei Gewerberäume. Tiefe Loggien prägen die Fassaden – bei den kleinen Baukörpern auf der Südseite, bei den beiden größeren Typen im Osten und Westen – und vermitteln auch in den oberen Geschossen zwischen dem Außenraum der Siedlung und den privaten Räumen.
Dieser Außenraum umfließt die neuen Wohnblöcke, die keine definierte Vorder- und Rückseite haben. Bäume und »Rasenkissen« geben der offenen Fläche einen Rhythmus und schieben sich beim Durchschreiten der Anlage wie Kulissen vor die Häuser. Diesen Freiraum definierte der Landschaftsarchitekt André Müller als »städtischen Bewegungsraum« – das nahe Limmatufer dient dem gesamten Quartier als natürliche Grünfläche. Was innerhalb der Grünau fehlte, waren belebte Räume, städtische Räume. So geht der Asphalt der umgebenden Straßen und Gehsteige nahtlos in die Siedlung über, die Erdgeschossfassaden sind aus robustem Beton. In Gruppen gepflanzte Eschen und Erlen, aber auch Exoten wie Tulpenbäume wachsen in großen Baumscheiben aus dem Hartbelag. Mit Eisenträgern gefasst und Schotter gefüllt, funktionieren die Baumscheiben wie überdimensionierte Gullys: Das Regenwasser der gesamten Siedlung sammelt sich hier und wird versickert. Überhaupt war die Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema: Die Häuser wurden zu achtzig Prozent aus recyceltem Material aus dem Abbruch der Siedlung gebaut, die Wohnungen genügen dem Schweizer Minergie-Standard. Die Konstruktion setzt sich zusammen aus einer tragenden Gebäudehülle in Ortbeton und Mauerwerk und einem tragenden Betonskelett im Inneren. Die meisten Wohnungs- und Zimmertrennwände sind nichttragend ausgeführt. Außer den Erdgeschossfassaden (zweischalig auch aus Beton) und den Loggien (selbsttragende Konstruktionen aus Betonelementen) besteht die Gebäudehülle aus einer verputzten Außenwärmedämmung mit mineralischem Aufbau.
Bürgerliche Vorbilder
Tritt man aus den drei unterschiedlichen Erschließungsräumen in eine Wohnung, steht man zunächst in einer großzügigen Eingangshalle mit Wandschränken, die bei Bedarf auch als Essraum dienen kann. Seitlich gruppieren sich gleichwertige Zimmer, der große Wohn- und Essraum wird von einer riesigen Loggia begleitet. Die Räume sind robust und einfach materialisiert, ihr Vorbild war jedoch der großzügige Zuschnitt bürgerlicher Häuser der Jahrhundertwende.
Die geschundene Grünau besitzt nun ein belebtes Quartierzentrum mit sieben stattlichen Häusern, gepflegten Rasenflächen, öffentlichen Einrichtungen und einem Brunnen des New Yorker Künstlers Ugo Rondinone als Treffpunkt. 500 Bewohner leben in Werdwies, davon die Hälfte Kinder, der Ausländeranteil liegt bei vierzig Prozent, hier wohnt der Gastarbeiter neben dem Chef eines bekannten Kunstbuchverlages. Nicht nur portugiesische, kosovarische oder Schweizer Flaggen schmücken hier die grünen Brüstungen der Balkone, auf jedem der sieben Häuser flattert außerdem eine große Fantasiefahne, installiert vom Genfer Künstler Frédéric Post. Wie eine Neugründung in Übersee liegt nun die Grünau-Insel inmitten von Autobahn, Flusslauf, Industrie und Sportplätzen. Eine neue Fußgängerbrücke führt auch hinüber. Die neue Architektur passt zu diesem Ort: Sie ist robust und pragmatisch, erfüllt aber auch die nicht geringen Ansprüche der Kreativen Zürichs.db, Mi., 2009.04.01
01. April 2009 Axel Simon