Editorial

Nach Stand der Dinge wird uns die Klima-Energieproblematik die nächsten Jahrzehnte begleiten, wobei im globalen Maßstab keine Entspannung der Situation zu erwarten ist. Die Auseinandersetzungen um die knapper werdenden Energierohstoffe und das Gerangel um die CO2-Reduzierungsquoten werden sich verschärfen, während die Emissionen seit Kioto kontinuierlich gestiegen sind und auch noch weiter steigen werden. Die Solarzellen oder -kollektoren, die wir an Dächern und Fassaden anbringen, die Wärmepumpen in den Kellern und die Erdregister unter dem Rasen, die dick verpackten Wände und die gläsernen Solarfallen ändern daran so gut wie gar nichts. Sie sind in Anbetracht der Dimensionen des Problems quantitativ unerheblich. Woran sie etwas ändern, ist der eigene Energiebedarf – Gebäude verbrauchen eine Menge davon –, und das bedeutet ein Stück Unabhängigkeit von den Global Playern im Energiegeschäft und von den Exportquoten. Worum es jetzt offensichtlich geht, ist das mühsame Zusammenkratzen jedes Quentchens Energie, das eingespart werden kann. Das ist ausgesprochen ärgerlich, wenn man bedenkt, dass bereits vor 20 Jahren feststand, dass der Eintritt in das solare Zeitalter so schnell wie möglich vollzogen werden muss, und es sich auch heute trotz Klimawandel eher um Flickwerk als um grundlegende Lösungen des Problems handelt.

Der erste Teil des Heftes gibt mit Karten, Diagrammen und Texten Materialien an die Hand, die über Energie und CO2 informieren und die den Bogen vom globalen Maßstab bis zum Gebäude spannen. Wenn denn das Sparen unser Schicksal ist, so sollten wir wenigstens beurteilen können, was dabei Sinn macht und was nicht.

Wen interessiert schon Gebäudetechnik? Eine Messehalle voller Wärmepumpen lässt vielleicht das Herz eines Technikfreaks höher schlagen, aber der “normale' Architekt wird sich gleichermaßen unter- wie überfordert fühlen und vermutlich langweilen. Gebäudetechnik in ihren einzelnen Komponenten betrachtet, ist auch nicht interessant, aber die Performance von Gebäuden ist es. Was sich unter dem Druck des Energiesparens anbahnt, ist eine Verschiebung der Gewichte in der Waagschale der Architektur. Architektur ist vor allem der Objekthaftigkeit von Gebäuden verpflichtet, die in der einzigartigen Qualität ihrer Form kulminiert. Daran hat sich wenig geändert. Der Schwerpunkt lag bisher darauf, dieses Objekt ins Da-Sein zu rufen, während seinem So-Sein sekundäre Bedeutung zukam. Mit der Gebäudeperformance wird eine Verhaltenskategorie eingeführt, die den Objektbegriff sprengt und die zeitliche Dimension in den Vordergrund rückt. Bei der Einsparung von Energie geht es, eine gewisse Lebensdauer vorausgesetzt, weniger um den einmaligen Aufwand beim Bauen, als um das Verhalten des Gebäudes in der Zeit und um die zuvor gesetzten Bedingungen dafür, also um das Verhältnis zwischen Klimakonzept und Gebäudebetrieb.

Ähnlich wie zwischen Architekt und Tragwerksplaner hat sich eine Arbeitsteilung zwischen Architekt und Klimaingenieur etabliert. Das ist keine sehr glückliche Entwicklung, da die energetische Performance nicht allein eine Funktion der technischen Ausstattung ist. Form und Anordnung der Gebäude, Raumkonzept, Nutzungsdispositionen, Konstruktion und Material spielen gleichermaßen eine Rolle und sollten in das Klimakonzept für ein Gebäude mit einfließen. Von daher bleibt dem Architekten wohl nichts anderes übrig, als sich über die Entwicklungen im Bereich der Gebäudetechnik auf dem Laufenden zu halten. Außerdem – und das ist zentral – geht es nicht nur um die energetische Performance, sondern um Aufenthaltsqualität und sinnliche Wahrnehmung, die zwar bei den klimatischen Faktoren anfängt, sich aber nicht darauf beschränkt.

Der Hauptteil des Heftes stellt Projekte vor, die in der phantasievollen Kombination von Raum- und Klimakonzept einen eigenständigen Beitrag zur Diskussion um Performance in energetischer und ästhetischer Hinsicht leisten. Sie werden von Texten begleitet, die sich mit der Entwicklung und den aktuellen Tendenzen von Performancekonzepten auseinandersetzen und die Frage der Nachhaltigkeit im Bauen vor dem aktuellen Hintergrund neu thematisieren.

Im dritten Teil des Heftes schließlich, Forschung und Baufokus, wurden Materialien zusammengetragen, die es dem Architekten, wie zuvor postuliert, helfen sollen, sich über die Entwicklungen auf dem Gebiet der Gebäudetechnik auf dem Laufenden zu halten, angefangen bei den Möglichkeiten der Integration regenerativer Energie in das Gebäude bis zu dem traditionellen Arsenal im Umgang mit dem Klima.

Sabine Kraft, Julia von Mende, Agnes Katharina Müller

Inhalt

00 Editorial
Kraft, Sabine / Mende, Julia von / Müller, Agnes Katharina

04 Zeitung
Hensel, Ulrich / Lange, Christiane / Kockelkorn, Anne / Krause, Jan R. / Luce, Martin / Kuhnert, Nikolaus / Kraft, Sabine

24 Zeitenwende
Kraft, Sabine

30 Energiegerechtigkeit im Weltmaßstab
Müller, Agnes Katharina

32 Kennziffern zum Energieverbrauch
Kraft, Sabine / Müller, Agnes Katharina

34 Das Ende der fossilen Ära
Daniels, Klaus

36 Regenerative Energie
Kraft, Sabine / Mende, Julia von

38 Werkzeuge der Effizienz
Soldan, Marion

40 Die 2000-Watt-Gesellschaft
Stulz, Roland / Martinaglia, Marco

42 Performing Buildings
Kraft, Sabine / Mende, Julia von

52 Enertopia
Foster and Partners

54 Future Farm
Wächter, Matthias

56 Klimarhetorik
Zaha Hadid Architects

60 Walisische Windhaube
Rogers Stirk Harbour Partners

64 Klima in der Nizzazone
Jourda & Perraudin

66 Klimazwiebel
FAR frohn&rojas

72 Spartalent
Bob Gysin Partner; BGP Architekten

76 Metamorphosen 1
Architekturbüro Conclus

77 Metamorphosen 2
Stefan Forster Architekten

78 Phönix aus Bauschutt
Atelier niv-o

80 Second Life 1
Pollok Gonzalo Architekten

81 Second Life 2
Architektur Contor Müller Schlüter

82 Mutation
Aedificia LaPointe Magne & Ass.

84 Zukunftsfähige Gebäude
Kohler, Niklaus

88 Bauschaffen - auch im Sinn der Nachhaltigkeit
Sobek, Werner

90 Nachhaltigkeit - eine Utopie?
Sieferle, Rolf

91 von „Wiege-zu-Wiege“
Braungart, Michael

96 Energieeffizienz - lessons learned
Plesser, Stefan

98 Alte Hülle - zeitgemäße Energiebilanz
Rexroth, Susanne

100 Wettbewerb „Solar Decathlon“
Team der Uni Darmstadt

102 Die Vision: Gebäude die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen
Behling, Stefan / Fuchs, Andreas / Volz, Tina / Robanus, Stefan

104 Wetterfühlige Fassaden
GlassX Architecture

106 Solarthermie
Mende, Julia von / Soldan, Marion

108 Geothermie
Mende, Julia von

109 Photovoltaik
Rexroth, Susanne

110 Solarzellen
archplus

112 Sonnenschutz / Lichtlenkung
archplus

114 Eine neue Generation von Dämmstoffen
Mende, Julia von

118 PCMs / Bauteilaktivierung
archplus

Bauschaffen - auch im Sinn der Nachhaltigkeit

1798 veröffentlichte Malthus in „Population: The First Essay“ die Vermutung eines exponentiellen Bevölkerungswachstums mit verheerenden Folgen für die Menschheit, 174 Jahre später legte der Club of Rome seinen ersten allseits bekannten Bericht, die „Grenzen des Wachstums“ vor. Heute, 2007, im Zeitalter des Global Warming und der Bevölkerungsexplosion, nimmt der Anteil der tonnenschweren und bei Unfällen insbesondere mit Kindern hochgefährlichen SUVs in nicht nachvollziehbarem Umfang zu. Bereiten sich die Stadt- und Metropolbewohner also nach jahrzehntelanger Verweigerung jedweder Kenntnisnahme der heraufdämmernden Probleme nun auf sumpfiges Terrain, auf unsicheren Boden vor?

Die Antwort des weltweiten architektonischen Schaffens auf den Bericht des Club of Rome war der Postmodernismus, gefolgt vom Dekonstruktivismus, Superdutch, Blob und anderen Stilrichtungen bzw. Phänomenen wie der „Berliner Architektur“, die sich allesamt dadurch auszeichneten, dass sie einerseits die heraufziehenden ökologischen Probleme schlichtweg ignorierten, andererseits die Frage nach ihrem eigenen „Warum?“ nie intellektuell befriedigend beantworten konnten. Gleichzeitig identifizierte man die Ansätze eines ökologischen, mit der Natur und den Naturkreisläufen im Einklang stehenden Bauens eher mit den vom Hochland der Esoterik lediglich besuchsweise herabgestiegenen Berufskollegen. Alles andere wurde versäumt – bis auf die Erarbeitung und Durchsetzung weltweit führender Energieeinsparstandards. Letztere wiederum, im Wesentlichen von Ingenieuren, Umweltfachleuten und den zuständigen Behörden erarbeitet, haben allerdings die Erscheinungsform der gebauten Umwelt, der Architektur nicht verändert. Lediglich die Isolierschichten wurden höherwertig dimensioniert, die Fenster erhielten einen markant besseren Wärmedämmwert und das Gesamtgebäude wurde dichter – Zwangsbelüftung wurde erforderlich, um die Bewohner vor ihren eigenen Exhalationen zu schützen.

Es bedurfte einer drastischen – durch die weltweiten Medien glücklicherweise entsprechend bedeutend platzierten – Reihe von Warnungen durch Berichte der UNO in den Jahren 2006/2007, um eine breite Bewusstwerdung herbeizuführen. Die aus den USA kommende Erkenntnis, dass sich die entstandenen und die heraufziehenden Umweltprobleme PR-technisch, industriell und finanziell in ungeahntem Maß bewirtschaften lassen, beschleunigte den Bewusstseinswandel in positiver Weise – wenn auch die ebenfalls aus den USA kommende Frage, ob der erforderliche Totalumbau der Systeme und die damit verbundenen Investitionen, welche kurz- und mittelfristig drastische Einsparungen an anderer Stelle erforderlich machen werden, wirtschaftlich überhaupt sinnvoll und gesellschaftlich erstrebenswert seien, manchmal Zweifel an der Tiefe der Wahrnehmung der eigentlichen Probleme aufkommen lassen.
Die aktuell vorliegende Problematik kann in drei Punkten zusammengefasst werden:

1. Die globale Erwärmung mit allen ihren Begleiterscheinungen ist eine Tatsache, die sich durch menschliches Handeln lediglich noch in ihrer Größenordnung beeinflussen lässt.

2. Das weltweite Bevölkerungswachstum ist nicht gebremst, obwohl die Notwendigkeit hierfür lange bekannt ist. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Religiöse Überzeugungen stehen hier neben der schlichten Funktionssicherung sozialer Sicherungssysteme und damit der Stabilisierung ganzer Gesellschaften.

3. Ein großer Teil der Weltbevölkerung verfügt nicht über das in der sogenannten „westlichen“ Welt vorherrschende Wohlstandsniveau. Ein erheblicher Anteil der Menschheit leidet tagtäglich Hunger. Die Verbesserung der Lebensumstände in vielen dieser Länder führt zu zusätzlichem Energie- und Materialverbrauch in ungeahntem Ausmaß. Drastische Preissteigerungen, aber auch erste Verteilungskriege, sind die Folgen.

Anhand der soeben gemachten Feststellungen wird deutlich, dass eine Zunahme des weltweiten Energie- und Materialverbrauchs zumindest in den kommenden Jahren nicht zu verhindern ist. Vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung erlangen die Fragen einer die ressourcenschonenden Energieerzeugung, einer effizienten Energieverwendung, die Einführung einer Kreislaufwirtschaft bei gleichzeitiger Minimierung aller zu Herstellung und Transport benötigten Energie einerseits sowie die Minimierung des Aufkommens an Abfallstoffen andererseits und schließlich die Reduktion aller Emissionen eine für die Menschheit existentielle Notwendigkeit. Das Bauschaffen könnte hierzu einen Beitrag von herausragender Bedeutung leisten, was sich durch die Betrachtung einiger weniger Zusammenhänge sofort erschließt:

1. In Deutschland wurde im Jahr 2003 ein Drittel des gesamten Primärenergieverbrauchs für die Beheizung von Gebäuden verwendet.[6]

2. Der Anteil der von den Haushalten in Deutschland verursachten CO2-Emissionen ging zwar zwischen 1990 und 2003 von 129 auf 122 Mio. t und somit um ca. 5 % zurück; da die Gesamtemissionen im gleichen Zeitraum aber von 1.015 auf 865 Mio. t zurückgingen, hat der Anteil der von den privaten Haushalten verursachten CO2-Emissionen am Gesamtausstoß im betrachteten Zeitraum – trotz aller Bemühungen – sogar noch von 13 % auf 14 % zugenommen.[8]

3. Das Abfallaufkommen, hier am Beispiel Baden-Württemberg aufgezeigt, betrug im Jahr 2005 rund 36 Mio. t. Die Baumassenabfälle hatten hieran einen Anteil von 26 Mio. t, entsprechend 72 %. (Vergleichszahlen 1996: 45 Mio. t / 37 Mio. t, entsprechend 82 %).[3]

Während im Bereich der Energieeinsparung bzw. der effizienten Energienutzung in den vergangenen Jahren insbesondere in Zentraleuropa wesentliche Entwicklungen eingeleitet werden konnten, bedürfen die mit einer Reduktion des Emissionsaufkommens im Bauschaffen insgesamt, d.h. einschließlich aller Vor- und Nachbereitungsprozesse, einhergehenden Fragen und Problemstellungen noch einer intensiven Befassung. Unter dem Begriff Emissionsaufkommen sollen dabei hier nicht nur die aus dem direkten Betreiben der Gebäude, im Wesentlichen also die aus Heiz- und Kühlprozessen entstehenden Emissionen, sondern auch und gerade die von den Baustoffen selbst freigesetzten Emissionen, wie z.B. Weichmacher, Feinstäube oder auch Duftstoffe, verstanden werden.

Hinsichtlich der Einführung einer Kreislaufwirtschaft für Baustoffe und Bauteile steht das Bauwesen noch weitestgehend am Anfang. Insbesondere fehlt eine durchgreifende Methodik bzw. Entwurfs- und Konstruktionslehre für recyclinggerechtes Konstruieren. Unter dem Hinweis, man baue nicht für kurze Zeiträume, sondern ein Bauwerk entstehe immer mit der Projektion einer über mehrere Dekaden währenden Standzeit, hat man sich bisher allzu gern darüber hinweggetäuscht, dass auch diese Dekaden zu Ende gehen. Was dann vom einstmals Gebauten übrig bleibt, sind zumeist Mehrkomponentenbauteile, deren Einzelwerkstoffe mit vertretbarem Aufwand kaum noch zu trennen sind. Wer die Außenwand eines ganz gewöhnlichen Wohngebäudes analysiert, stellt schnell fest, dass hier 10 bis 20 unterschiedliche Materialien, vom Mauerwerk mit seinen eingelegten Elektro-, Wasser- oder Gasleitungen nebst deren Zubehör über den Innenputz, die Tapete und ggf. deren Anstrich über die Außendämmung, Putzträger und Außenputz einschließlich dessen Anstrich, nahezu untrennbar miteinander verbunden sind. Die Untrennbarkeit war dabei immer Programm: Je besser die Baustoffe während der Nutzungsdauer des Gebäudes zusammenhielten, desto besser war üblicherweise deren Funktionserfüllung. Nach dem Abriss kehrt sich dieser Vorteil natürlich in sein Gegenteil um – es bleibt nichts anderes als die Deponierung des nicht mehr in seine Ausgangsbauteile Zerlegbaren. Interessanterweise bereiten gerade die mit Dämm- und Ausbaufunktionen versehenen Bauteile mengenmäßig große Probleme – sortenrein vorliegende Stahlbetonbauteile lassen sich heute nahezu perfekt wieder in die Bewehrung und ein als Betonzuschlag wiederverwendbares Granulat zerlegen. Ähnlich unkritisch sind die typischerweise sortenrein vorliegenden Bauteile aus Stahl, Aluminium, Holz oder Glas zu sehen.

Die mit der Ankündigung einer Rücknahmeverpflichtung im Automobilbau eingetretenen Forschungen und Entwicklungen zum recyclinggerechten Konstruieren, zum methodisch wohlstrukturierten Zusammen-, aber eben auch wieder Auseinanderbauen können sicherlich Anregung und Beispiel für vergleichbare, im Bauwesen dringend benötigte Entwicklungen sein. Würde man die Grundlagen für eine vollkommene Rezyklierbarkeit der gebauten Umwelt schaffen, dann wäre das Erreichen der von allen Bauschaffenden in einer ersten Setzung zu formulierenden Ziele in greifbare Nähe gerückt. Diese Ziele werden von uns folgendermaßen formuliert:

1. Gebäude zu bauen, die für ihrem Betrieb in der Jahressumme keine Energie benötigen („Null Energieverbrauch / Zero Energy“)

2. Gebäude zu bauen, die keine schädlichen Emissionen abgeben („Null Emissionen / Zero Emission“)

3. Gebäude zu bauen, die vollkommen rezyklierbar sind („Null Rückstände / Zero Waste“)

Die Forderung nach einer dreifachen Null: „Zero Energy / Zero Emission / Zero Waste“ stehen auch für das sog. „Triple Zero Konzept“, das zurzeit von der Stadt und der Metropolregion Stuttgart in Form einer Reihe von beispielhaften Projekten aus den Bereichen Altbau, Neubau und Umbau aufgelegt wird. (Vgl. dazu auch die Forderung: “Null Abfall, null Emissionen, null ökologischer Fußabdruck”7)
Natürlich entstehen derzeit viele derartige Initiativen. Diese sind teilweise nicht miteinander koordiniert, teilweise konkurrieren sie gegeneinander. Der Sache als solcher wird dies jedoch mitnichten schaden, benötigt das Bauschaffen doch dringend eine Vielzahl von Impulsen und Erkenntnissen, mit Hilfe derer sich Konzepte für ein wirklich nachhaltiges Bauen entwickeln lassen. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Initiativen der Bundesregierung (beispielsweise durch die Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ und die Entwicklung eines „Leitfaden Nachhaltiges Bauen“) oder die Initiativen einzelner Bundesländer genauso positiv bewertet werden wie die durch Initiative von Vertretern aus Wissenschaft, Planung, Baustoff- und Komponentenhersteller, Bauindustrie, Energiewirtschaft, Ban- ken und vielen anderen am Bauschaffen im engeren und weiteren Sinn Beteiligten, im Juni 2007 gegründete „Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“ (German Sustainable Building Council GeSBC). Diese gemeinnützige Gesellschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die gesetzlichen Vorgaben, die politischen Perspektiven und die wissenschafts- bzw. berufsethisch zu fordernden Ziele eines Nachhaltigen Bauens in ein entsprechendes Zertifizierungssystem im vorgenannten Sinn und Umfang umzusetzen.

Man konstatiert in Bezug auf die Durchsetzung des Nachhaltigkeitsaspekts in der gebauten Umwelt einen weltweiten Umdenkungsprozess. Politik, Wissenschaft und Industrie bereiten die Einführung des Nachhaltigkeitsaspekts in der gebauten Umwelt vor. Seine Umsetzung wird im Wesentlichen in den Händen von Architekten und Ingenieuren liegen, also den Händen derjenigen, die gestern wie heute noch über keine durchgreifenden Konzepte für Konzeption, Konstruktion und Gestaltung dieser „nachhaltigen“ Architektur (im weitestgehenden Sinn verstanden!) verfügen. Vor der Fülle der Probleme und Fragen sollte man jedoch keineswegs zurückschrecken, gehört es doch „zur Signatur der Humanitas, dass Menschen vor Probleme gestellt werden, die für Menschen zu schwer sind, ohne dass sie sich vornehmen könnten, sie ihrer Schwere wegen unangefasst zu lassen“[4]

Waren viele Ökohäuser und Ökoautos bisher auch deswegen ein kommerzieller Flop, weil sie allesamt von einer depressiven Entsagungsästhetik geprägt waren, so wird wohl die wichtigste Aufgabe, welche Produktdesigner, Architekten und Ingenieure in der nahen Zukunft zu lösen haben, die Folgende sein: Ökologie atemberaubend attraktiv und aufregend zu machen ….[5]

ARCH+, Do., 2007.11.22

Literaturangaben

[1] W. Sobek, Nachhaltigkeit und das Bauen in der Zukunft. Deutsche Architekturzeitung DAZ, Juli 2002
[2] W. Sobek, Zum Entwerfen im Leichtbau. In: Bauingenieur 70 (1995)
[3] Homepage Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: www.statistik.baden-wuerttemberg.de
[4] Peter Sloterdijk, Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus, Suhrkamp, Frankfurt 1999
[5] Niklas Maak, Der grüne Star. Hollywood fährt jetzt im Energiesparauto vor – fährt der Rest der Welt endlich hinterher? in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.02.2007, S. 23
[6] Homepage der Fraunhofer-Gesellschaft: www.fraunhofer.de
[7] Michael Braungart, William McDonough, Einfach intelligent produzieren, bvt Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2005
[8] DIW Wochenbericht 9/2005. Siehe auch: Homepage des Umweltbundesamtes: www.bmu.de

22. November 2007 Werner Sobek

Enertopia

In der Wüste der Vereinigten Arabischen Emirate soll durch die Kombination der traditionellen Planungsprinzipien der „walled city“ mit fortschrittlichsten Technologien die erste CO2- und abfallfreie Stadt entstehen. Die 6 Millionen-qm-Stadt Masdar korrespondiert mit der städtischen Identität Abu Dhabis, während sie zugleich einen nachhaltigen urbanen Zukunftsentwurf bieten soll. Vorgesehen ist eine autofreie Kommune, die ausschließlich mit erneuerbaren Energien versorgt wird und über digital gesteuerte Serviceeinheiten verfügt. Das bestehende Programm schließt eine Universität ein, den Hauptsitz der Abu Dhabi Future Energy Company, spezielle Handelszonen, Leichtindustrie und ein Innovationszentrum für die Entwicklung neuer Ideen der Energieproduktion. Zurzeit wird in Kooperation mit dem MIT das Masdar Institute of Science and Technology aufgebaut. Masdar soll einen ausgewählten Pool internationaler Bewohner beheimaten, die in progressive Energietechnologien investieren. Daneben sind Angestelltenwohnungen, Büros, ein Wissenschaftsmuseum und Edutainment-Einrichtungen geplant. Mit einem attraktiven Angebot, das zentrale Anlaufstellen für staatliche Programme, transparente Regelungen, 100 % ausländischen Besitz, ein steuerfreies Umfeld, gewerbliche Schutz- und Urheberrechte und die Nähe zu Herstellern, Zulieferern und Märkten einschließt, sollen bis zu 1.500 Unternehmen angelockt werden.

Die Stadt wird durch ein existierendes Straßennetz, ein neues Schienennetz und öffentliche Verkehrsmittel mit den umgebenden Kommunen, dem Zentrum Abu Dhabis und dem internationalen Flughafen verbunden. Die Maximaldistanz zwischen den Verkehrsknotenpunkt beträgt 200 m. Die schattigen Fußwege und engen Straßen erzeugen in Abu Dhabis extremem Klima ein fußgängerfreundliches Umfeld und knüpfen an den kompakten Charakter traditioneller „walled cities“ an. Damit die Stadt energetisch vollständig selbsterhaltend sein kann, sind auf dem umgebenden Gebiet Wind- und Photovoltaik-Anlagen sowie Forschungsfelder und Plantagen zur Produktion von Biokraftstoffen vorgesehen.

ARCH+, Do., 2007.11.22

22. November 2007 Foster and Partners

Metamorphosen 1 - Haus Z in Mehrow

Bis zum Jahr 2020 sollen in Ostdeutschland ca. 350.000 Plattenbauwohnungen rückgebaut werden, wovon mindestens die Hälfte komplett abgerissen werden sollen. Bisher wurde alter Beton – wenn überhaupt recycelt – als Autobahnschotter verwertet. Im Rahmen zweier Forschungsprojekte an der TU Berlin wurde die Wiederverwendungsfähigkeit von Bauelementen aus Beton untersucht. Einem Testgebäude folgte u.a. die Realisierumg des Einfamilienhauses in Mehrow aus recycelten Spannbetonelementen. Der Anteil der wiederverwendeten Bauteile im Rohbaubereich beträgt ca. 95 %, wobei nicht nur auf das erstmalige Recycling, sondern auch auf das dritte Leben der Platte geachtet wurde. Die Bauteile sind mit speziellen Hochlastankern verdübelt, um so auf die ursprünglichen Schweißverbindungen zu verzichten und eine spätere Demontage zu ermöglichen. Der fertige Rohbau wird von außen gedämmt und bekleidet. Das Haus besitzt eine Wohnfläche von insgesamt 212 qm, ergänzt von einer ebenfalls aus Recyclingelementen gefertigten Doppelgarage. Bei dem Projekt wird der KfW60 Energiestandard durch eine Sohlewärmepumpenanlage erreicht, die für Heizung und Warmwasserbereitung ausgelegt ist. Die Fußbodenheizung verteilt die Heizenergie. Die Baukosten für den Roh- und Ausbau betrugen lediglich 840 EUR/qm Wohnfläche.

ARCH+, Do., 2007.11.22

22. November 2007 Claus Asam, Architekturbüro Conclus

Metamorphosen 2 - Südstadt Leinefelde

Einen anderen Weg des Umgangs mit der „Platte“ hat die 15.000-Einwohner Stadt Leinefelde beschritten. Leinefelde im Nordwesten Thüringens zählte zu den typischen Neugründungen der DDR, die sich um einen industriellen Kern bildeten und in denen 90 % der Einwohner in industriell gefertigten Großsiedlungen wohnten. Durch Rückbau, Umstrukturierung des Quartiers und intelligente Umbaumaßnahmen der einzelnen Wohnblöcke erhielt die gesamte Siedlung eine neue Identität. Stefan Forster hat dafür neben anderen Preisen den europäischen Städtebaupreis 2004 erhalten. Mit den bisher fünf realisierten Umbauprojekten gelang es ihm, neue Räume in der Siedlung zu definieren und die Wohnqualität im Quartier und in den Häusern selbst zu verbessern.

Die 5- bis 6-geschossigen Blöcke wurden in der Regel um eineinhalb bzw. zwei Etagen reduziert. Bei dem Projekt Stadtvillen sind sogar aus einer zuvor 200 m langen Plattenbauzeile jedes zweite Treppenhaus und die dazugehörigen Wohnungen entfernt worden. Durch solche Maßnahmen entstanden überschaubare Nachbarschaften mit eindeutigen Zonierungen: Privatraum, hausgemeinschaftlicher Raum und öffentlicher Raum sind klar abgegrenzt. Vor allem die Wohnqualität der Erdgeschosswohnungen wurde durch direkt zugängliche eigene Gärten erheblich verbessert. Alle Häuser sind mit großzügigen Balkonen ausgestattet. Durch teilweise vollflächig verglaste Wintergärten konnten die dunklen Räume besser belichtet werden, auch die früher innenliegenden Küchen und Bäder erhalten mit Fenstern oder Oberlichtern natürliches Licht. Auf Erdgeschossebene entstanden u.a. Maisonetten und behindertengerechte Wohnungen. Die Stormstraße verfügt über geräumige Dachgärten, die an Penthouse-Wohnungen erinnern. Bei den Stadtvillen konnten die Grundrisse individuell an die Bedürfnisse angepasst werden, da die Mieter schon im Vorfeld feststanden.
Die Klinkerverblendung der Hauseingänge soll an eine Stadtmauer erinnern. Alle Häuser leuchten in kräftigen Farben.

ARCH+, Do., 2007.11.22

22. November 2007 Stefan Forster

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