Details

Presseschau

18. Oktober 2002Neue Zürcher Zeitung

Starke Bilder für eine Zeit ohne Expo

(SUBTITLE) Die Ikonen der Landesausstellung

Mut zum architektonischen Experiment legten die Expo-Macher an den Tag: Internationale Architekten gestalteten die Wahrzeichen der Arteplages. Der Einsatz hat sich gelohnt: Von der sechsten Landesausstellung bleiben klare Bilder.

Mut zum architektonischen Experiment legten die Expo-Macher an den Tag: Internationale Architekten gestalteten die Wahrzeichen der Arteplages. Der Einsatz hat sich gelohnt: Von der sechsten Landesausstellung bleiben klare Bilder.

Der legendäre Kristallpalast der ersten Weltausstellung von 1851 in London, der Eiffelturm der Pariser Ausstellung von 1889, später Buckminster Fullers Riesenversion geodätischer Kuppeln für die Weltausstellung in Montreal oder die gestapelte Landschaft von MVRDV für die Expo 2000 in Hannover: Was von einer Weltausstellung bleibt, ist meist die Erinnerung an deren symbolhafte Bauten. Manche haben bis heute Bestand, manche sind längst Geschichte, manche haben sich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben.

Und da jede Landesausstellung eine Weltausstellung «en miniature» ist, hatten auch die bisherigen Schweizer Landesausstellungen ihre eigenen, unvergessenen Symbole. So schuf 1914 der Berner Heimatschutz-Architekt Karl Indermühle das «Dörfli», eine malerische Umsetzung des traditionellen schweizerischenDorfes. Für die Zürcher «Landi». 1939 baute der Schweizer Architekt Hans Hofmann die «Höhenstrasse», eine Flaniermeile, die Pavillons, Ausstellungshallen, Skulpturen und Gemälde zu einer raffinierten Raumsequenz verband. Und 1964 baute der Schweizer Max Bill für die Landesausstellung in Lausanne ein Kulturzentrum aus vorfabrizierten Stahlblechmodulen - ein Manifest der Nachkriegsmoderne.

Bekenntnis zur internationalen Avantgarde
38 Jahre später kommen die Architekten und Gestalter der Expo-Wahrzeichen aus aller Welt. Jean Nouvel aus Frankreich, Coop Himmelb(l)au aus Österreich und Diller & Scofidio aus den USA. Ihre architektonischen Experimente werden - das schien vom ersten Tag der Expo an gesichert - für Nachhall sorgen. Allen voran der rostige Monolith des Pariser Stararchitekten Jean Nouvel: Der im Murtensee verankerte monumentale Würfel wurde in kürzester Zeit zur stärksten Ikone der Landesausstellung.

Doch auch den anderen Arteplage-Wahrzeichen traut man Langzeitwirkung zu: Der Besuch der «Blur Building» genannten künstlichen Wolke in Yverdon-les-Bains zählt zu den eindrücklichsten Erlebnissen an der Expo 02. Das zwischen Skulptur und Architekur changierende Gebilde machte die beiden New Yorker Architekten Elizabeth Diller und Ricardo Scofidio zu Vorreitern einer Architektur, die die verschiedensten Disziplinen mischt - Special Effects erwünscht. Die Bieler Türme des Wiener Architektenteams Coop Himmelb(l)au sind höchst plakative Umsetzungen des Arteplage-Themas «Macht und Freiheit»: Als riesenhafte Zeichen symbolisieren sie - uneinnehmbaren Festungen gleich - Herrschaft und Macht. Die Expo, das machen die Symbole von Murten, Neuenburg und Yverdon deutlich, war alles andere als eine Schweizer Nabelschau: Mit der Landesausstellung bewiesen die Expo-Macher architektonischen Mut.

Flüchtig hingegen scheint das Symbol der Arteplage Neuenburg, die ufo-artigen «Galets», zu sein. Zu technokratisch erscheint die Lösung des Neuenburger Architekturbüros Multipack, ihre eigenwillige Schönheit offenbaren die pneumatischen Dächer vor allem nachts - als leuchtende Fremdkörper über dem See. Und so werden die Erinnerungsbilder von Neuenburg vermutlich schneller verblassen als die der drei anderen Arteplages.

Wenn am Morgen des 21. Oktobers das grosse Fest zu Ende geht, warten bereits die Baumaschinen. Die Dörfer auf Zeit, die fliegenden Bauten der sechsten Landesausstellung, werden wieder verschwinden, nach und nach. Spätestens 2004 sollen die Symbolbauten der Expo 02 nur noch in der Erinnerung existieren - und manch einer wird wohl den flüchtigen künstlichen Nebel über dem Neuenburger See vermissen.

05. August 2002Urs Steiner
Neue Zürcher Zeitung

L'art pour l'Arteplage

(SUBTITLE) Die Welt der Kunst, oder: Wo die Expo 02 am dichtesten ist

Nichts Geringeres als ein Gesamtkunstwerk hätte die Expo nach dem Willen ihrer ersten künstlerischen Leiterin Pipilotti Rist werden sollen. Wie viel davon konnte ihr Nachfolger Martin Heller in die pragmatischere Expo 02 hinüberretten? Ein Augenschein.

Nichts Geringeres als ein Gesamtkunstwerk hätte die Expo nach dem Willen ihrer ersten künstlerischen Leiterin Pipilotti Rist werden sollen. Wie viel davon konnte ihr Nachfolger Martin Heller in die pragmatischere Expo 02 hinüberretten? Ein Augenschein.

Il est cinq heures, l'Expo s'éveille. Ein Techniker in Gummistiefeln watet im seichten Wasser des Neuenburgersees jener Leitung entlang, mit der die 32 000 Sprinkler des neuen Wahrzeichens von Yverdon-les-Bains gespeist werden. Eine Wolke in Betrieb zu halten, ist aufwendiger, als es die Natur suggeriert, die gestern noch Kumuli sonder Zahl mühelos über die Expo 02 schweben liess. Frühmorgens aber strahlt die aufgehende Sonne ungehindert durch das seeseitige Fenster des Hotels Everland, das gleich gegenüber der künstlichen Wolke auf Pfählen im Wasser steht. Gestern hat die Nebelmaschine brav bis über Mitternacht hinaus ihren Dienst getan, den Wasserdunst in magischem Blau illuminiert und von weissen Scheinwerferblitzen durchzucken lassen.


Privates Refugium mitten im Trubel

Die Bewohner des Hotels Everland geniessen das Privileg, mitten im Trubel der Arteplage in einer intimen, mit Vierstern-Komfort ausgestatteten Kabine über ein privates Refugium zu verfügen. Doch für einmal sind es nicht VIPs, die sich den exklusiven Platz an der Sonne und am Wasser durch Macht, Einfluss oder Geld verdient haben: Selbst Martin Heller, der künstlerische Direktor der Expo 02, brauchte einen Internet- Anschluss und etwas Glück, um sich seine Übernachtung in der grünen Kabine zu sichern. Das einzige Everland-Zimmer kann man nur über die Internet-Seite www.everland.ch buchen, und selbst das ist eine Lotterie; jeden Tag wird nur eine Reservation für eine Nacht zwei Monate zum Voraus angenommen. Wer den Zeitpunkt verpasst, wenn der Computer die Buchung entgegennimmt, muss sich einen weiteren Tag gedulden.

Um fünf Uhr früh schreien Möwen und hofieren auf dem orangen Kopf des riesigen Minotaurus, der sich vor dem Panorama-Fenster aus dem Wasser reckt. Wollte man jetzt aufstehen, man könnte Deep Purples Klassiker «In Rock» auf dem Lenco-Plattenspieler kratzen lassen oder die «Golden Black Party», dazu sich einen Fruchtsaft aus der Minibar genehmigen. Doch das Frühstück wird erst nach neun serviert, die Ausstellungspavillons öffnen um halb zehn, also wird nach dem Naturspektakel des Sonnenaufgangs die Decke über den Kopf gezogen und weitergeschlummert im Bewusstsein, hier selbst im Schlaf als Teil eines Kunstwerks nicht untätig zu sein.

Konzipiert, gestaltet und gebaut hat das Einzimmer-Hotel das Berner Künstlerpaar Sabina Lang und Daniel Baumann im Rahmen eines Kunstprojekts, das vom Zürcher Kurator Gianni Jetzer für die Expo 02 konzipiert wurde. Der Direktor der Kunsthalle St. Gallen und vormalige Vize von Rein Wolfs am Zürcher Migros- Museum für Gegenwartskunst erhielt von Martin Heller den Auftrag, der Gegenwartskunst an der Expo (doch noch) einen halbwegs gebührenden Auftritt zu verschaffen, nachdem Pipilotti Rists hochfliegende Pläne den Realitäten zum Opfer gefallen waren. Ein eigentliches Budget stand Jetzer nicht zur Verfügung, man musste improvisieren. Also verabschiedete er sich bald von seinen zwölf Projekten, mit denen er dem Event- Reigen der Expo kraftvolle künstlerische Positionen gegenüberstellen wollte. Vier Projekte, die zusammen kaum mehr als eine halbe Million Franken gekostet haben, blieben von den ursprünglichen Plänen übrig. Verglichen mit den anderthalb Milliarden Franken Gesamtaufwand der Landesausstellung aber entfalten die bescheidenen Interventionen auf den fünf Arteplages eine erstaunliche Präsenz.


Beunruhigende Chaoten-Enklave

Im Hafen von Biel, vor dem Hintergrund des schnittigen Mini-Manhattan der Arteplage-Architektur, hat auf Anregung Jetzers eine schwimmende Pirateninsel des holländischen Kunst-Kollektivs Atelier van Lieshout (AVL) angedockt. Die auf acht Pontonier-Schwimmkörpern zusammengeschusterte Plattform bildet einen «autonomen Freistaat», was die Behörden immerhin so stark beunruhigte, dass die Polizei vor den Eröffnungsfeierlichkeiten der Expo das Floss inspizierte. Tatsächlich werden beim Anblick des Slums zwiespältige Erinnerungen an Zaffaraya und Wohlgroth wach. Zudem ist AVL-Chef Joep van Lieshout für seinen Waffen-Tick und eine Vorliebe für phantasievolle Folterinstrumente bekannt. Geschossen wurde in der Enklave zwar genauso wenig wie gefoltert - dennoch verfügt das schwimmende Barackendorf über verdächtige Installationen: Ein Zelt der US-Army als Schlafstätte, eine pink-rote - einem Puff nur allzu ähnliche - Hütte, ein von Stacheldraht umgebener Ausguck auf fünf gestapelten Traktorreifen, eine sargähnliche Gefechtsstation mit Kanonenläufen aus Plastic-Abflussrohren oder ein angetäutes Floss auf Ölfässern passen nur bedingt zu den bürgerlichen Grundwerten der Expo. Einzig das Schild «zu verkaufen» mag irritierte Besucher, die den Freistaat von der Helix-Brücke aus beargwöhnen, womöglich beruhigen.

Dabei wird in Biel - wer das Signal versteht - bereits vor den Drehkreuzen der Arteplage davor gewarnt, dass hier auch mit Kunst zu rechnen sei: Die iranische, in Zürich lebende Künstlerin Shirana Shahbazi hat ein Bild, das sie am Computer entworfen hat, von Plakatmalern in ihrer Heimat auf eine acht mal acht Meter grosse Leinwand übertragen lassen. Das Werk hängt, gekrönt von einer «Freiheit» verheissenden Neonschrift im DDR-Stil, an der Fassade jenes Gebäudes, in dem die Expo-Besucher Fahrräder mieten können. Eine Rosenblüte vor einem phantastischen Himalaja-Gebirgszug zeigt Shahbazis Riesengemälde, dazu ein Mädchen, das einem vor ihm knienden Mann zuhört. Keine Frage, dieses Bild ist Propaganda - bloss: wofür?

Auf den Arteplages selber begegnen einem nicht weniger rätselhafte Bildtafeln. Sie zeigen schrille Waldschrate in texanischen Boots, mit Taliban-Bärten und martialischer Körperbemalung, bewaffnet mit Farbspritzpistolen und aufgereiht wie zum Appell. Eine Tafel klärt auf, dass es sich bei diesen fünf Meter langen Postern mit dem Titel «Camp» um eine Serie des Künstlers Olav Breuning handelt. Es ist das einzige von Jetzers vier Projekten, das mit Zellweger-Luwa (bzw. dem Mäzen Thomas W. Bechtler) einen Sponsor gefunden hat. Auf jeder Arteplage ist eines dieser Teile anzutreffen - wer das Ganze betrachten will, hat im Bieler Centre PasquArt bis zum 29. September dazu Gelegenheit.


Mini-Biennale der Nationalbank

Gianni Jetzers tapferer Versuch, der Gegenwartskunst mit wenig Geld einen adäquaten Raum zu schaffen, ohne sie dabei als ärmlichen Lückenbüsser erscheinen zu lassen, gelingt famos. Der Kurator beweist, dass Kunstprojekte mit der ungleich üppiger ausgestatteten Event-Konkurrenz mithalten können, wenn sie nur kompromisslos genug inszeniert werden. In den Schatten gestellt wird Jetzer allein von Harald Szeemann - angesichts der verschieden langen finanziellen Spiesse eine ehrenvolle Niederlage.

Szeemann hat in einem goldenen Pavillon in Biel eine Art Mini-Biennale aus dem Hut gezaubert. Die von der Schweizerischen Nationalbank gesponserte Ausstellung zeigt unter dem Titel «Geld und Wert / Das letzte Tabu» sozusagen eine Szeemann-Totale. Gleich über dem Eingang spreizt die englische Künstlerin Tracey Emin auf einer Grossphotographie ihre Schenkel, herumliegendes Geld in ihren Schoss raffend. Ein würdiger Auftakt zu einer politisch nicht immer ganz korrekten, vom Starkurator lustvoll mit manchen ideologischen Widersprüchen inszenierten Schau.

Im Goldquader finden wir, neu und stimmig zusammengewürfelt, die bekannten Planeten des Szeemann'schen Kosmos. Seine Tour d'Horizon durch die Kunstgeschichte der letzten zweihundert Jahre entlässt einen in der Überzeugung, von Henri Dunant und Antoni Gaudí über Joseph Beuys und Hans Haacke bis zu Liu Jianhua und Bodys Isek Kingelez hätten Szeemanns Schützlinge ihre Werke allesamt für die Expo 02 geschaffen. So purzeln in einer Lawine von Kartons Costa Veces diverse Videos mit Bildern von Not und Überfluss der menschlichen Nahrungskette herab. Ben Vautier scheint inzwischen überzeugt zu sein, dass die Schweiz existiert - jedenfalls plakatiert er keck: «J'ai envie d'argent.» Mona Hatoum wiederum entführt uns in einer Art Extrem-Pickelporno per Endoskop ins Innere ihres Körpers. Nicht fehlen dürfen Barbara Krugers Ausspruch «When I hear the word culture I take out my checkbook» und Piero Manzonis «Merda d'artista» - kleine Dosen, mit denen der junge Künstler 1961 buchstäblich aus Scheisse Geld gemacht hat. - Insgesamt erreicht Szeemanns Schau eine Dichte, die an der Expo 02 ihresgleichen sucht. Dass der Kurator darüber hinaus noch einen Roboter präsentiert, der im Laufe der Expo 19 Millionen Schweizerfranken shreddert, wäre angesichts dieser Fülle und Intensität von Reizen gar nicht mehr nötig.


Kunst contra Szenographie

Sowohl Jetzer als auch Szeemann vermeiden den naheliegenden Fehler, Kunst illustrativ in den Dienst der Szenographie zu stellen. Dass ein solches Ansinnen zum Scheitern verurteilt ist, zeigt die Arbeit von Christoph Draeger im Pavillon der kantonalen Gebäudeversicherungen in Neuenburg. Neben einem Windkanal und einer an ein Zeughaus erinnernden Ausstellung von Feuerwehr- und Zivilschutzgerät wirkt Draegers künstliche Schlammlawine wie ein verstaubtes Bühnenbild. Demgegenüber vertrauen die in sich selber ruhenden Kunstprojekte Jetzers ihrer eigenen Kraft. Nirgends gibt es ein Schild, das die Besucher von der Irritation erlöst, die diese Werke evozieren.

Neun Uhr ist vorbei, das Frühstück für die Everland-Gäste steht in einem Picknickkorb hinter der Tür. «Blur», die Wolke, lässt leise wie Schneeregen feine Tropfen auf die Oberfläche des Sees rieseln. Die ersten Touristen wappnen sich mit Pelerinen und streben der kalten Dusche im Expo-Himmel entgegen. Die Performance des lieben Gottes indes, dieses Meisters aller Special Effects, haben sie bereits verpasst. Dafür hätten sie früher aufstehen müssen.


[Katalog zur Szeemann-Ausstellung: Geld und Wert / Das letzte Tabu. Hrsg. von der Schweizerischen Nationalbank. Edition Oehrli, Zürich 2002. 244 S., Fr. 72.-.]

06. Juli 2002Walter Zschokke
Spectrum

www.schweiz.ausstellen.ch

In jeder Generation leistet sich die Schweiz eine gesellschaftlich-kulturelle Standortbestimmung. Heuer mit der „Expo 02“ im nordwestschweizerischen Dreiseengebiet: überraschend vielfältig und angenehm unverklemmt. Eine Empfehlung.

In jeder Generation leistet sich die Schweiz eine gesellschaftlich-kulturelle Standortbestimmung. Heuer mit der „Expo 02“ im nordwestschweizerischen Dreiseengebiet: überraschend vielfältig und angenehm unverklemmt. Eine Empfehlung.

Was weiß man in der Schweiz über Österreich - und umgekehrt? Medial vermittelte Bilder eines Landes stimmen nur wenig mit dem persönlichen Augenschein überein. Sie werden in einer Art kollektiven Zwangs zu Ausnahmeereignissen wie zu Klischees permanent erzeugt und verdecken die viel breitere, differenziertere und weniger sensationelle Realität. Alternativ dazu bietet in diesem Jahr die Expo 02 eine Möglichkeit, eine selbstreflexive Schweiz zu entdecken, die in ihrer Vielfalt überrascht; die manchmal feinsinnig, manch- mal tapsig, zuweilen tiefgrün-dig, aber oft angenehm unverklemmt, eine gesellschaftlich-kulturelle Standortbestimmung vornimmt und den Augen, Ohren, Nasen, Händen und Füßen der Besucher zur Wahrnehmung anbietet.

Die regional verteilte Ausstellungslandschaft erstreckt sich in einer Zone der westeuropäischen Sprachgrenze, in Französisch und Deutsch sprechenden Städten, deren Ortstafeln zweisprachig sind. Nicht weniger als vier Standorte an den Ufern der drei mit Kanälen verbundenen, von der Aare gespeisten Mittellandgewässer Bieler-, Murten- und Neuenburgersee umfaßt diese vielseitige Schau, die nicht zu Ende geschaut werden kann und die ein bis drei Tage Zeit erfordert. In den Städten Biel-Bienne, Murten-Morat, Yverdon-les-Bains und Neuchâtel-Neuenburg sind als Blickpunkte künstliche Plattformen im See errichtet worden, die signifikante Gebäude oder gebäudeähnlich Gebilde tragen, deren Wesen und Formen über internationale Architektenwettbewerbe gefunden wurden. Sie heißen Arteplage.

Jede dieser Arteplages ist einem Oberthema gewidmet, das in einem halben bis knappen Dutzend Pavillons inhaltlich sowie ausstellungsdidaktisch unterschiedlich behandelt wird. Für Abwechslung ist damit ebenso gesorgt wie mit zahlreichen großen und kleinen Darbietungen und Veranstaltungen sowie mit Essen, Trinken. Von Arteplage zu Arteplage fahren große „Iris“-Schnellboote; etwas kürzer dauert es mit der Eisenbahn; gemütlicher, aber aus eigener Kraft geht es auf gemieteten Rädern oder gar Skates.

In Biel-Bienne lautet das Thema „Macht und Freiheit“. Das Wiener Architektenteam Coop Himmelb(l)au entwarf ein langes, schlank und schräg aufgestelztes Dach, das zwei Haken schlägt und dann noch einige Dutzend Meter in den See hinausspaziert. Über eine breite Rampe gelangt man vom Ufer auf die vom Dach beschattete Besucherplattform, wo sich vier Pavillons aufreihen. Zum See hin bildet das Dach einen offenen Winkel, aus dem drei Türme 40 Meter hoch aufragen. Sie werden von einer spiralig ansteigenden Rampe umkreist, die sich in einer Brücke fortsetzt, hoch über das Hafenbecken schwingt und auf festem Grund wieder den eingangs durchschrittenen Expopark erreicht, mit fünf Pavillons, zwei Veranstaltungsstätten und einem Vergnügungspark.

Die Bauten an diesem Rundweg sind für einen Sommer aufgebaut. Am Tag wirken die mit Textilbespannung in mittelgrauer Farbe versehenen Türme und das Dach durch ihre Volumen und den Schattenwurf. Abends und nachts dienen sie als Projektionsflächen für das Lichtspektakel und erstrahlen in wechselnden Farben. Unter den Pavillons sticht der mit Blattgold belegte Quader zum Unterthema „Geld und Wert - das letzte Tabu“ heraus. Bis zur Greifhöhe ist die Vergoldung bereits abgewetzt, Wartende haben unzählige Wörter und Namen hineingeritzt und -geschabt. Das Innere zeigt die in Partnerschaft mit der Schweizerischen Nationalbank entstandene umfangreiche Ausstellung, in der weder das Goldene Kalb fehlt noch die vielen Zahlungsmittel aus nahen und fernen Zeiten und Ländern.

Irritierend und faszinierend zugleich dann der Geldvernichtungsroboter, der mit spitzem Greifzeug eine ab dem Stapel vorbereitete neue 200-FrankenNote packt, genüßlich hochhebt, dem Publikum vor den Nasen herumschwenkt und es „gluschtig“ macht. Dann steckt der Roboterarm den Geldschein in einen Aktenvernichter, aus dem nur mehr Papierstreifen quellen, die sich zu Haufen kringeln. Natürlich geschieht das alles hinter festen Glaswänden. In der Ausstellung fehlen auch nicht Ansätze jener Gesellschaftsutopisten, die dem Tauschmittel „Geld“ die Schuld für alle Übel dieser Welt anlasteten, in der Verkennung menschlichen Realverhaltens aber scheiterten.

Neben derart dichten, klassischen Ausstellungen gibt es stimmungs- und anspruchsvolle Inszenierungen, wie den Pavillon „SWISH*“, in dem es um die Wünsche von Schweizerinnen und Schweizern, jungen und alten, weiblichen und männlichen und so weiter geht, der als geschlossener Wandelgarten aus unzähligen Brettern und Leisten über dem darunter befindlichen Seespiegel gestaltet ist. Oder man sucht sich durch den Irrgarten glatter Stämme des Pavillons „Grenzen (er)leben“ einen Weg ins obere Geschoß, wo eine Multimediashow das Thema künstlerisch umsetzt. Nicht wenige Pavillons weisen Erlebnischarakter auf mit viel Bewegung und Spaß, einige sind thematisch tiefer schürfend, andere locker und rasch konsumierbar.

Dazwischen finden sich Erholungszonen, wo man sich länger hinsetzen kann, etwa im Klangraum des einen Turms oder entlang der Besucherhauptströme in Gartencafés, wo man einer Lieblingsbeschäftigung der menschlichen Spezies frönen kann: anderen Menschen zuzuschauen.

In Murten-Morat, der mittelalterlichen Stadt hinter Mauern und Türmen, einer Zähringer Gründung wie die Stadt Bern, behandelt die Ausstellung das Oberthema „Augenblick und Ewigkeit“. Kein Geringerer als der für seine Inszenierungskunst bekannte französische Architekt Jean Nouvel hat hier die Regie übernommen und auch auf Details eingewirkt. Einerseits verlegte er Teile der Ausstellung in und an den mittelalterlichen Stadtkern, die alten Mauern mit teils angerosteten, Vergänglichkeit bedeutenden Schiffscon-tainern oder mit Baugerüst-konstruktionen konstrastierend. Andererseits ließ er entlang der Uferpromenade „Nicht-Gebäude“ wie Kieshaufen, Rundholzstapel und Hüllen aus Stahlplatten - rostenden natürlich - errichten, in denen verschiedene Inhalte wirksam aufbereitet wurden. Nicht zuletzt sind in Murten die Unterthemen „Landwirtschaft“ und „Sicherheitspolitik“ umfangreich dargestellt.

Höhepunkt und Signet dieser Arteplage ist der Kubus draußen im See, dessen Dimensionen (eines zwölfstöckigen Hauses) nicht zu fassen sind. Auf mit Sonnenenergie getriebenen Barken gleiten die Besucher hinaus zur schwimmenden Insel, legen am ebenfalls mit Stahlplatten beplankten Würfel an und gelangen in eine Wunderwelt dreier übereinander gestapelter riesiger Panoramen, deren Ebenen - wie im Warenhaus - über Rolltreppen erreichbar sind. Das erste Deck belegt eine Arbeit junger Medienschaffender, die unzählige Bilder und Ansichten der Schweiz elektronisch in Bewegung gebracht und zudem pfiffig verfremdet haben. Darüber befindet sich ein scheinbar leeres Geschoß, das in Augenhöhe einen breiten Streifen Lochblech aufweist, durch den das tatsächliche Panorama von See und Stadt zu sehen ist, das aber beim Nähertreten hinter der Lochblechstruktur verschwindet, weil die Sehwerkzeuge auf das Dahinterliegende nicht mehr scharfstellen können. Zuoberst steigt man zur Plattform in der Mitte eines kolossalen Rundgemäldes hoch, eines klassischen Panoramas des 19. Jahrhunderts, das die 1476 geschlagene Schlacht bei Murten in zeittypischer und aus der zweifachen Distanz durchaus ironisch gebrochen wiedergibt. Die Eidgenossen erbeuteten damals die überaus reiche Fahrhabe Karls des Kühnen, die aus Gobelins, edlem Tafelgeschirr, prächtigen Waffen und vielem anderen mehr bestand und als „Burgunderbeute“ in die nationale Geschichtsschreibung einging.

Der Standort Neuchâtel-Neuenburg wartet mit dem Oberthema „Natur und Künstlichkeit“ auf, dem Blick in die Zukunft moderner Roboter- und Biotechnologie sowie jenem auf die Nutzung natürlicher wie künstlicher Energieformen oder die entfesselte Wirkung ersterer in einem Wirbelsturm. Yverdon-les Bains, mit dem frappierenden Signet einer echten künstlichen Wolke, erfunden von den New Yorker Architekten Elizabeth Diller und Rick Scofidio, befaßt sich mit dem Thema „Ich und das Universum“, wobei die individuellen Gefühle nicht zu kurz kommen.

Alles zu sehen, muß man sich Zeit nehmen, wohl auch ein, zwei Mal in der Gegend übernachten.

Man kann selbst Bern oder eine der nahen Städte als „Basislager“ wählen, denn man bewegt sich schnell und leicht mit der Bahn (Autobahnen sind oft verstopft). Die Bahngesellschaften bieten kostengünstige Arrangements, sodaß zwischendurch ein Ausflug in kühlere Bergeshöhen in der Regel inbegriffen ist. Der Urbanisierungsgrad des schweizerischen Mittellandes ist mittlerweile so weit angewachsen, daß die SBB zur Metro der Schweiz geworden sind - weshalb ein Vergleich zu den ÖBB aus Strukturgründen immer hinkt. Aber wie dem auch im Detail sein mag, so leicht wie in diesem Jahr wird man eine differenzierte Sicht auf das nachbarliche Inselland mitten in der EU nicht so bald wieder bekommen können.

Die Expo 02 ist geöffnet bis 20. Oktober 2002, die Ausstellungen täglich von 9.30 bis 20 Uhr, Schlendern und Feiern im Juli und August täglich bis 2 Uhr früh. Informationen über Internet unter: www.expo.02.ch.

02. Juli 2002Joachim Güntner
Neue Zürcher Zeitung

Allgemeines Entzücken

Die Expo 02 im Spiegel der deutschen Presse

Die Expo 02 im Spiegel der deutschen Presse

Liebe Nationen, hört auf, Weltausstellungen zu machen, inszeniert lieber Landesausstellungen! - Das empfiehlt zwar niemand in der deutschen Presse, aber wenn man dort die Lobgesänge über die Schweizer Expo 02 verfolgt, drängt sich dieser Rat geradezu auf. Wie angestrengt klang vor zwei Jahren alle Begeisterung über die Weltausstellung in Hannover, verglichen mit dem Enthusiasmus, den die deutschen Zeitungen nun der schweizerischen Selbstthematisierung zuteil werden lassen. Die übergreifenden Themen wie «Augenblick und Ewigkeit», «Macht und Freiheit» oder «Sinn und Bewegung» seien nicht nur «weniger simpel gestrickt als bei der Expo Hannover», rühmt der Berliner «Tagesspiegel», sondern würden «mit helvetischer Pfiffigkeit zu ureigenen Devisen verwandelt». Von «geradezu unschweizerischer Leichtigkeit» schwärmen unisono «FAZ» und «Stuttgarter Zeitung».

Kein Blatt versäumt es, Martin Heller, den «bravourösen» künstlerischen Leiter der Expo 02, mit Lorbeer zu bekränzen. Auch wenn Heller nicht die «futuristisch-verträumten Gebilde» seiner gescheiterten Vorgängerin Pipilotti Rist realisiert habe, so sei doch «der architektonische Mut» geblieben und habe zu «grossartigen, eigenwilligen Bauten» geführt, notiert der «Rheinische Merkur». Als wohltuend empfindet es die «FAZ», dass Heller sich nicht als «Volkspädagoge oder sogar als Visionär» geriere. Die Berichterstatterin aus Stuttgart ist gerecht genug, um neben Martin Heller auch Nelly Wenger, die Generaldirektorin, sowie den technischen Direktor Ruedi Rast zu preisen: «Ihre Expo ist weder die von vielen befürchtete Heidi-Schoggi-Matterhorn-Schau mit Jodeln, Fahnenschwingen und Alphornblasen noch eine säuerliche Attacke auf die Schweizer Identität, um diese mit volkspädagogischem Ingrimm als Schimäre zu entlarven.» Unterm Druck der Globalisierung scheinen Identitätsverlangen nicht mehr verpönt. Wenn ohnehin alles in Stücken liegt, weckt zusätzliches Dekonstruieren des Selbstgefühls nur Überdruss. Eine Portion schweizerischen «Neopatriotismus» wollen die deutschen Blätter entdeckt haben, betonen indes, die Expo stille dieses Bedürfnis auf reflektierte Weise, liefere mehr Fragen als Gewissheiten.

Die «Zeit» zieht vor den Organisatoren den Hut, weil sie Niveau gehalten haben: «Sie haben einer Grossveranstaltung einen Anspruch auf Tiefe abgerungen, haben Künstler, Politiker, Sponsoren unter ein Dach geholt, ohne vor den Unterhaltungs- und Werbewünschen zu kapitulieren.» Die «Frankfurter Rundschau» findet die Expo 02 so gelungen, dass sie schon jetzt sicher ist: «Keine Frage, diese Landesausstellung wird nicht die letzte gewesen sein.»

Nur die «taz» bleibt reserviert, schildert von dem, was zu sehen ist, fast gar nichts, hält sich dafür lang bei der Historie der Schweizer Landesausstellungen und den Anlaufschwierigkeiten der gegenwärtigen Expo auf. Erst am Ende möchte man glauben, der Berichterstatter sei leibhaftig in das Drei-Seen-Land zwischen Mittelland und Jura gereist. In einem jähen Anfall von Zustimmung nennt er die idyllischen Naturlandschaften ringsherum «so verführerisch wie» - welch possierliche Analogie - «die zahlreichen, in Uniformen gekleideten Mitarbeiter», reserviert dann aber flugs den Schlusssatz für eine Bemerkung über den «noch immer ziemlich teuren Schweizerfranken». Ohne Geld, das ist leider wahr, macht die Expo keinen Spass.

Ins Superlativische greifen die Kritiker aus, wo sie vom allgemeinen Kommentar zur konkreten Analyse übergehen: bei der Betrachtung der Arteplages. Dank der künstlichen begehbaren Wolke der amerikanischen Architekten Diller & Scofidio biete Yverdon «die spektakulärste Arteplage, inhaltlich wie architektonisch», meint der «Rheinische Merkur». Als «ganz einzigartiges Sinnenspektakel» und «surreale Sensation» hat die «Süddeutsche Zeitung» die Kunstwolke erlebt; vom «aufwendigsten und zugleich poetischsten Vorhaben» schwärmt die «Frankfurter Rundschau». Des Rühmens voll ist «Die Zeit»: «Hier, erhaben über dem See, im Rausch der Weite, lässt sich lernen, was Nuancierung heisst.»

Als zwar weniger poetisch, dafür aber ebenso eindrucksvoll wie aussagekräftig bewegt Jean Nouvels rostender Kubus auf dem Murtensee die Kritiker zu Huldigungen. Mal ist es der Gegensatz zwischen der «perfekt konservierten Museumsstadt Murten» und dem radikal futuristischen Vis-à-vis draussen auf dem See, der sie entzückt, mal die Kombination der Panoramen im Innern des schwimmenden Monolithen: im unteren Geschoss der elektronische Bilderzirkus; in der Etage darüber das restaurierte Schlachtengemälde aus dem 19. Jahrhundert. «Schöner und eindringlicher hätte man die Tradition der Schweizer Landesausstellungen nicht beschwören können als mit dieser im See ausgesetzten doppelgeschossigen Selbstreflexion», urteilt die «Süddeutsche».

Natürlich gestattet sich der beeindruckend geschlossene Chor der Jubler auch das eine oder andere Nörgler-Solo bei den Einzelausstellungen in den zahlreichen Pavillons; es gibt Dissens, ob man Harald Szeemanns Installation zum Thema «Geld und Wert - Das letzte Tabu», wo ein Roboter unermüdlich echte 100-Franken-Scheine zerfetzelt, altbacken und bieder oder tatsächlich klug nennen soll. Aber derlei wirkt eher als Demonstration, dass man das Kritikermetier sehr wohl nach beiden Seiten hin beherrscht - und stört im Übrigen nie die hymnischen Töne.

13. Mai 2002Martin Tschanz
Neue Zürcher Zeitung

Exzentrische Formen in spielerischer Vielfalt

(SUBTITLE) Die Ausstellungsbauten der Expo zeugen von der Lust am architektonischen Experiment

Die Expo 02 wartet mit vielen Attraktionen auf. Was aber den Besuchern als Erstes auffällt, sind die Seenlandschaft und die eigenwilligen Bauwerke. Deren Vielfalt ist beeindruckend. Oft werden die Grenzen der Disziplinen verwischt. Ist das noch Architektur? Oder nicht vielleicht doch Kunst, Spektakel, Szenographie? Solche Fragen sind falsch gestellt. Es geht um das Ganze, um Botschaften und Medien, um die Ausstellung. Dabei spielt Architektur im engeren Sinn allerdings durchaus eine wichtige Rolle.

Die Expo 02 wartet mit vielen Attraktionen auf. Was aber den Besuchern als Erstes auffällt, sind die Seenlandschaft und die eigenwilligen Bauwerke. Deren Vielfalt ist beeindruckend. Oft werden die Grenzen der Disziplinen verwischt. Ist das noch Architektur? Oder nicht vielleicht doch Kunst, Spektakel, Szenographie? Solche Fragen sind falsch gestellt. Es geht um das Ganze, um Botschaften und Medien, um die Ausstellung. Dabei spielt Architektur im engeren Sinn allerdings durchaus eine wichtige Rolle.

Die Erinnerung an die Weltausstellungen der Vergangenheit wird oft durch einzelne symbolhafte Bauten bestimmt. Der Eiffelturm in Paris und das Atomium in Brüssel waren als solche erdacht. Dabei waren sie so erfolgreich, dass sie bis heute Bestand haben und nicht nur für die jeweiligen Ausstellungen stehen, sondern darüber hinaus auch für die Veranstaltungsorte und für ganze Epochen. In anderen Fällen gelang es einzelnen Ausstellungspavillons, sich aus der Fülle der konkurrierenden Eindrücke hervorzuheben und sich prägend in die Erinnerung einzuschreiben. So kann die grosse Kugel des US-Pavillons von Richard Buckminster Fuller für die Weltausstellung in Montreal stehen oder die gestapelte Landschaft von MVRDV für diejenige in Hannover. Bereits jetzt, unmittelbar vor der Eröffnung der Expo 02, ist klar, dass auch sie solche Symbole hat, allen voran der Monolith in Murten und die Wolke in Yverdon-les-Bains. Wesentlich ist hier jedoch der Plural: Gerade Wolke und Monolith entfalten in all ihrer Gegensätzlichkeit erst zusammen ihre ganze Kraft. Wesentlich ist zudem, dass die grossen Symbole der Expo 02 nicht isoliert stehen, sondern eingebettet sind in eine Gestaltung, welche die gesamten Arteplages umfasst.


Fünf Arteplages - eine Ausstellung

Die Expo 02 ist keine Leistungsschau, in der jeder Pavillon für sich um die Gunst des Publikums wirbt. Sie ist vielmehr eine Ausstellung, in der sich idealerweise die Teile zu einem Ganzen ergänzen. Dieser Anspruch wurde so ähnlich zwar auch schon für frühere Ausstellungen formuliert, erfüllt wurde er aber bisher kaum. Wenn dies der Expo 02 nun besser zu gelingen scheint, dann weniger, weil die Themen der Arteplages schärfer umrissen wären als diejenigen anderer Landes- oder Weltausstellungen. Wesentlich ist vielmehr, dass durch die Gestaltung der einzelnen Arteplages jeder Standort eine eigene Identität erhielt, in die sich die Teile einfügen. Dies ist die Frucht einer aufwendigen Koordinationsarbeit. Die Expo 02 führt damit eine Entwicklung innerhalb der schweizerischen Landesausstellungen weiter, die mit der Landi 39 begonnen hat und schon damals wesentlich war für ihren Erfolg. Dem damaligen Chefarchitekten Hans Hofmann gelang es, mit seiner Höhenstrasse eine adäquate Repräsentation der Schweiz zu gestalten und darüber hinaus der ganzen Ausstellung eine Art Rückgrat zu geben. Durch die Wahl der Architekten und durch enge Rahmenbedingungen konnte zudem damals auf dem ganzen Gelände eine «einheitliche Baustimmung» geschaffen werden.

An der Expo 64 konnte Chefarchitekt Alberto Camenzind an diese Erfahrungen anknüpfen. Wieder bildete ein einheitlich konzipierter «Weg der Schweiz» das Herzstück der Ausstellung, um den die anderen Teile gruppiert werden konnten. Der Expo 02 mit ihren unterschiedlichen Standorten fehlt naturgemäss ein solches Rückgrat. Dass trotzdem die Einheit der Ausstellung gewahrt bleibt, liegt wohl zum einen an der grossartigen Landschaft: Die Repräsentation des Landes wird gleichsam durch die Schweiz selbst ersetzt. Wohl an keinem anderen Ort sind Jura, Mittelland und Alpen als die drei grossen konstituierenden Elemente der schweizerischen Landschaft so präsent wie gerade hier. Zum anderen sind es die sich ergänzenden Charaktere der einzelnen Standorte, die für den Zusammenhalt sorgen. Irgendwie macht jede Arteplage neugierig auf die anderen, und man spürt, dass es hier um die Summe der Teile geht, um das Gesamtbild.


Murten und Yverdon

Nirgends wird die Integration der Ausstellungen in eine Gesamtdramaturgie so weit getrieben wie bei der Arteplage Murten, wo alles einer eindrücklichen Gesamtinszenierung zum Thema «Augenblick und Ewigkeit» untergeordnet ist. Wenn es um die Erscheinung der einzelnen Teile geht, sprechen die Architekten - Jean Nouvel und seine Partner Gauer Itten Messerli Maria - von Tarnung, von «Camouflage». Ähnlich wie in den grossen Themenparks werden dabei echte Zeugnisse der Geschichte und neu angelegte «Spuren» vermengt. Das echte Wrack des Unterseebootes Mésoscaphe, das an der Lausanner Ausstellung 1964 noch ein Symbol des Fortschritts war, steht nun als eindrückliche Verkörperung von Vergänglichkeit neben einem ebenso rostigen, aber neuen «Lagerschuppen», in dem sich ein Restaurant verbirgt. «Falsche» Baugerüste lehnen sich an die echten Stadtmauern, hohle Holzlager liegen am echte Hafen. Geschichte und Geschichten, Vergangenheit und Gegenwart werden lustvoll vermengt, so dass ein merkwürdiger Zustand entsteht, in dem alles fragwürdig erscheint - bis hin zu den Würstchenbuden. Die zahllosen Schiffscontainer, welche die Infrastruktur beherbergen, sind in diese Inszenierung ebenso integriert wie das historische Städtchen und seine Bewohner. Nicht von ungefähr flattert zuoberst auf dem Rathausturm die Expo-Flagge - schräg aufgesteckt, als wäre die Stadt eben erst erobert worden.

Der gewaltige Monolith, der sich mitten aus dem See erhebt, verkörpert konzentriert die Themen der Arteplage. Mit seiner idealen Würfelform steht er für die ausserhalb der Zeit liegende Welt der Ideen. Rostig, wie er ist, zeugt er gleichzeitig von der Vergänglichkeit und dem Zerfall der materiellen Welt. Die Kombination der drei Panoramen in seinem Innern erweist sich dabei als ein Glücksfall. Mit dem bewegten, computergesteuerten Rundbild der Gegenwart, dem historischen Schlachtenbild und dem inszenierten Rundblick auf die Stadt werden Geschichte und Fiktion, Zeit und Wahrnehmung in Frage gestellt.

In Yverdon-les-Bains erkundet die Gestaltung der Arteplage die Grenzen von Natur und Kunst (Konzept: extasia). Aus der Schwemmlandebene erheben sich künstliche Hügel, die mit ihren bunten Streifen aussehen, als wären sie am Bildschirm per Mausklick eingefärbt worden und nicht durch die Blüten unzähliger Pflanzen. An gewissen Stellen zeigen sie sich als Gebäude, die aus einer Unmenge von Holzstämmen gefügt sind, und an manchen Rändern gehen sie fast nahtlos über in Dächer, deren Kunststoffhäute wiederum mit Blumen bedruckt sind. Den Rand dieser künstlichen Hügellandschaft bildet ein mächtiges, sanft geschwungenes Dach aus gelbem und orangem Kunststoff, dessen Kontur die Silhouette der in der Ferne liegenden Jurahöhen nachzeichnet. Es ist das Rückgrat der Ausstellungen, die teils unter ihm liegen, teils in Pavillons wie eine Perlenkette vor ihm aufgereiht sind.

Vor dem Ufer liegt die «Wolke» der New Yorker Architekten Diller & Scofidio: eine technoide Maschine. Solange sie nicht in Betrieb ist, zeugt sie von der Schwierigkeit, vielleicht sogar von der Hybris, sich mit der Natur messen zu wollen. Die gewaltige und doch filigrane Konstruktion, die von Rampen und Plattformen durchwoben ist, formt aber weniger eine heroische denn eine spielerische Geste. Im Unterschied zu den Symbolen der Technik der sechziger Jahre spricht sie nicht von triumphaler Unterwerfung und totaler Kontrolle der Natur, sondern fordert diese lustvoll - und risikofreudig - zum Spiel heraus. Läuft die Maschine an, beginnen sich die Konturen zu verwischen. Natur und Architektur vermengen sich im schneeweissen Nebel, und vielleicht, wer weiss, wird die Wolke ja sogar einmal zu schweben beginnen . . .


Neuenburg, Biel und Jura

Die Arteplage Neuenburg setzt auf explizite Symbole. Die gewaltige Plattform im See wird von künstlichen Schilfhalmen aus Polykarbonat umgeben, deren Spitzen in der Dunkelheit leuchten. Über ihr schweben drei «Galets»: gewaltige pneumatische Dächer, die Kieselsteinen nachempfunden sind. Man ist dabei ganz froh, dass die Vorbilder nicht allzu naturalistisch nachgezeichnet sind, so dass ein Spielraum für Assoziationen offen bleibt. Warum bei den «Galets» nicht an fliegende Schüsseln denken, an UFO, oder gar an abstrahierte Wolken? Eher problematisch ist hier die Position der einzelnen Pavillons, die sich unter die Dächer drängen wie die Küken unter ein Huhn. Müssten sie in ihrer Anordnung nicht eher der Plattform zugeordnet sein, damit die Dächer, formal befreit vom Grund, ihre volle Wirkung entfalten könnten? Spätestens bei einsetzendem Platzregen wird man allerdings die gewählte Anordnung wohl zu schätzen wissen.

Die Arteplage Neuenburg profitiert wie keine andere von ihrer Nähe zur Stadt. Sie liegt unmittelbar vor dem Quai wie auf einer Bühne, zu der die Häuser am Hügel die Ränge bilden. Dies verleiht ihr eine festliche Atmosphäre, ähnlich jener auf den grossen Piers der Seebäder. Schade nur, dass als Abschluss des Geländes eine Art Mauer aus Dienstgebäuden aufgestellt worden ist, deren bedruckte Front nur ein schwacher Ersatz für die dahinter versteckte Seefassade der Stadt ist.

Am konventionellsten, aber deshalb nicht weniger überzeugend ist die Gestaltung der Arteplage Biel. Das Wiener Architektenteam Coop Himmelb(l)au hat auf dem Forum eine eigentliche Festarchitektur realisiert. Ein gewaltiges Dach verbindet den See mit der Plattform, auf der drei Türme wie übergrosse Figuren eines futuristischen Balletts erscheinen. Die silbergraue Stoffhaut, die alle Teile umhüllt, verleiht den Formen bei Tag Leichtigkeit. Je nach Lichtsituation wirkt sie opak oder beinahe transparent, so dass die Formen bald als geschlossene Volumen, bald als offene Gerüste in Erscheinung treten. Der Lichtkünstler Yann Kersalé kann sich dies zunutze machen und die Strukturen in der Nacht mit farbigem Licht und Projektionen zum Tanzen bringen. Beschallt wird das Ganze aus dem Klangturm, der den Musikern und Tonkünstlern ein ungewohnt breites Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung stellt. - Von dieser Festarchitektur profitiert indirekt auch der sogenannte Expo-Park der Architekten Gebert Liechti Schmid. Hier sind einzelne Pavillons in respektvollem Abstand links und rechts an einer Achse aufgereiht, die vom Eingangsbereich zum See führt. Mehr als irgendwo sonst erinnert die Expo hier an einen Jahrmarkt, auf dem die Attraktionen um die Gunst des Publikums buhlen. Doch lässt man sich gerne von der Festlaune, die auf dieser Arteplage herrscht, anstecken.

Bleibt die mobile Arteplage Jura der Architekten Didier F. Faustino und Pascal Mazoyer. Eine ehemalige Kiesbarke ist zu einer schwimmenden Interaktionsmaschine umgebaut worden, wie sie von Archigram oder einer anderen aktionsverliebten Architektengruppe der späten sechziger Jahre hätte erträumt werden können. Sie ist ein ebenso verbindendes wie irritierendes Element auf den drei Seen. Unberechenbar unterwegs zwischen den festen Standorten, bleibt sie geheimnisvoll, ein Versprechen.


Ausstellungsbauten

An allen Standorten gelingt es, durch die Arteplage-Architekturen eine spezifische Identität mit einer eigenen Stimmung zu generieren. In vielen Fällen werden zudem zwischen den einzelnen Ausstellungen und der Atmosphäre des Standortes besondere Synergien erzeugt. In Murten zum Beispiel wirken die «Armadi Sensibili» - versteckt in einem Kieshaufen - noch geheimnisvoller, und der «Garten der Gewalt» wird durch das quasi integrierte historische Museum der Stadt um eine zusätzliche Dimension bereichert. Und in Biel passt das Abenteuerspiel «Empire of Silence» gut zur allgemeinen Kirmes, ebenso wie die lustvolle Fahrt im überdimensionierten Einkaufswagen durch die Klischees der Schweiz von «Strangers in Paradise». Die Architektur der einzelnen Ausstellungen spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle. Das ist durchaus angenehm: Sie ist davon entlastet, mit aller Gewalt die Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu müssen, und findet auch dann Anklang, wenn sie sich zurückhaltender gebärdet.

Die architektonischen Mittel, die verwendet werden, sind vielfältig. Manche Pavillons sind - in der Terminologie von Robert Venturi - «dekorierte Schuppen»: Bilder oder Symbole an der Oberfläche verweisen auf den Inhalt. So ist zum Beispiel «Geld und Wert» in einer grossen Kiste untergebracht, die ganz mit Blattgold überzogen ist (Architektur: IAAG). Das ist trivial und doppelbödig zugleich. Wer es wagt, an der Oberfläche zu kratzen, wird das echte Gold als Schmutz unter den Fingernägeln nach Hause tragen. Es gibt aber auch viele sprechende Architekturen. Beim «Happy End»-Pavillon von Triad in Biel zum Beispiel zeichnen die aufeinander gestapelten Kisten den dramaturgischen Aufbau der Ausstellung nach. Architektonisch interessanter sind allerdings Bauten, die vielschichtiger agieren, wie jene von Ingrid Burgdorf und Barbara Burren für die Ausstellung «Strangers in Paradise». Bei diesem Pavillon kann man durch die transluzente Haut hindurch die Rampen und Geschosse erahnen, durch welche die Fahrt im Inneren führen wird. Gleichzeitig erinnert der Bau an ein Lager- oder Parkhaus, was angesichts der Mythen und Bilder zur Schweiz, die in ihm gestapelt sind, vielfältige Assoziationen weckt.


Ceci ne tuera pas cela

Victor Hugo liess in «Der Glöckner von Nôtre- Dame» einen Protagonisten die Aussage machen «Ceci tuera cela»: Das neue Medium des Buchdrucks werde die Architektur als Massenmedium auslöschen. Diese Prophezeiung erfüllte sich bekanntlich nicht. Doch gerade in jüngerer Zeit sind angesichts der Strahlkraft der neuen Medien immer wieder ähnliche Voraussagen gemacht worden. An der Expo zeigt sich nun, dass die Architektur als integrierende Disziplin ihre Bedeutung keineswegs verloren hat. Die Errungenschaften der neuen Kommunikationstechnologien kommen vielmehr gerade da am besten zum Tragen, wo sie in ein architektonisches Gesamtkonzept eingebunden sind. Es braucht nicht mehr betont zu werden, dass ein Aufstellen von Videowänden und Bildschirmkonsolen allein heute nicht mehr genügt. Deren Zeitdiktat, das ein eigenes Tempo der Wahrnehmung verunmöglicht, wirkt schnell ermüdend oder gar entmündigend. Entsprechende Beispiele sind an der Expo 02 aber zum Glück erfreulich selten. Meist wird mit unterschiedlichen Kombinationen von traditionellen und neuen Medien gearbeitet. Bei der von Glöggler/Prevosti und 3 deluxe gestalteten «Cyberhelvetia.ch»-Schau zum Beispiel werden konventionelle architektonische Bilder von einer Lounge und einem Schwimmbad in einer komplexen Rauminstallation verwendet, in der die Grenzen von realer und virtueller Umgebung aufgeweicht werden. Und bei dem von Hélène Robert und Anne Carles entworfenen «Garten Eden» wird das seit der Renaissance beliebte Prinzip der Anamorphose mit einer digitalen Bildprojektion kombiniert.

Einen schönen architektonischen Rahmen fanden Burkhalter & Sumi für das schwierige Ausstellungskonzept von «Onoma»: Unter einem grossen Schirm werden die Besucher dazu verführt, wie Kinder in den Märchenecken der Kaufhäuser Platz zu nehmen und die Geschichten der Schweizer Gemeinden zu verfolgen, umgeben von einer im wörtlichen Sinn vielfältigen Hülle, die mit allen Gemeindenamen beschrieben ist. Aber auch mit ihren ureigensten Mitteln allein kann die Architektur in einigen Fällen ihre ungebrochene Kraft beweisen. Schlanke Säulen, die in ihrer grossen Zahl den Raum intim machen, ohne ihn abzuschliessen, strahlendes Weiss und leuchtende Farben versetzen die Besucher von «Oui» in eine gehobene, ja euphorische Stimmung, die dem eben gegebenen Ja-Wort angemessen ist - selbst dann, ja gerade dann, wenn dieser Pavillon der Architekten Martin und Elisabeth Boesch von der benachbarten «Wolke» eingenebelt wird.

Ganz ohne neue Medien kommt schliesslich auch die «Werft» aus. In ihr schieben sich Rahmen von architektonischen Dimensionen langsam in- und auseinander, so dass sich die Bilder und Objekte, die sie tragen, in immer neuen Kombinationen überlagern. Das Architekturbüro Bétrix & Consolascio und Audrey Tenaillon haben mit dieser Installation ein überzeugendes Bild für eine offene, dynamische Sicherheitspolitik der Schweiz gefunden, das dem defensiven «Igel» der Expo 64 völlig entgegensteht. Und liefern damit den Beweis, dass sie sich doch bewegt, die Schweiz!


[Martin Tschanz, dipl. arch. ETH, ist Architekturkritiker in Zürich sowie Dozent an der ETH Zürich und an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Chur.]

11. Mai 2002Stefan Gmünder
Der Standard

Zwischen Zukunft und Röstigraben

Fünf Kantone, vier Städte, drei Seen: Die Schweiz leistet sich für eine Milliarde Euro eine Landesausstellung. Stefan Gmünder besuchte die Expo.02 schon vor ihrer Eröffnung und machte mit dem künstlerischen Direktor Martin Heller und dem Schweizkritiker Jean Ziegler einen Rundgang durch die Anlagen.

Fünf Kantone, vier Städte, drei Seen: Die Schweiz leistet sich für eine Milliarde Euro eine Landesausstellung. Stefan Gmünder besuchte die Expo.02 schon vor ihrer Eröffnung und machte mit dem künstlerischen Direktor Martin Heller und dem Schweizkritiker Jean Ziegler einen Rundgang durch die Anlagen.

Jean Ziegler steht auf dem Gelände der Schweizerischen Landesausstellung Expo.02 in Biel und friert. Energiegeladen wirkt er, doch es liegt Müdigkeit in seinem Blick, leise Melancholie auch. Wind weht vom See her, wo eine der vier Arteplages (zusammengesetzt aus den Worten art: Kunst und plage: Strand) wie ein Flugzeugträger vor Anker liegt. 236 Pfeiler von je 50 Metern Länge mussten in den schlammigen Seeboden getrieben werden, um das vom Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au konzipierte, 14.000 Quadratmeter große „Forum“ samt seinen drei 40 Meter hohen Türmen zu tragen. Eine 450 Meter lange und 12 Meter hohe Brücke verbindet das Forum mit dem Ufer.

Der Aufwand, der bei der sechsten Schweizerischen Landesausstellung betrieben wird ist tatsächlich beträchtlich. An drei Seen, in vier Städten wurden imposante, mit drei Dutzend zum Teil technisch äußerst aufwendigen Ausstellungen bestückte Arteplages aus dem Boden gestampft. Eine Ausstellungsfläche von 475.000 Quadratmetern, das entspricht 70 Fußballfeldern, soll den Publikumserfolg garantieren. Dazu kommt eine raffiniert umgebaute Barke als weiterer „Kunststrand“, Funparks und 1.500 Veranstaltungen mit 10.000 Aufführungen. Die Expo dauert 159 Tage, vom 15. 5 bis zum 20. 10., im Winter dieses Jahres werden dann all die spektakulären Bauten wieder verschwunden sein. Abbau und Widerverwertung der nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit verwendeten Materialien waren feste Bestandteile der Planung und des Budgets, die technische Direktion spricht von „Prerecycling“. So richtet sich zum Beispiel das Ausmaß der Plattform in Biel nach den Standardgrößen der verwendeten Stahlträger. Diese sind lediglich ausgeliehen und werden im November, weder von Bohrlöchern noch von Schweißnähten verletzt, vom Hersteller zurückgenommen. Die Pfähle, auf denen die Träger ruhen, sind bereits zum zweiten Mal im Einsatz, in ihrem ersten Leben waren sie tschechische Heizungsrohre.

Ziegler zieht den Zip seiner eleganten Freizeitjacke hoch, darunter trägt er Hemd und Krawatte. „Je extremere Ideen du hast, desto normaler musst du dich anziehen“, sagte er einmal in einem Interview. Er weiß, wovon er redet, 19 Bücher hat der Soziologieprofessor und langjährige Abgeordnete zum Schweizer Parlament geschrieben. Bände wie Die Schweiz wäscht weißer, Die Schweiz, das Gold und die Toten oder Die Barbaren kommen haben ihn berühmt gemacht. Ein Streitbarer und Unbezähmbarer sei er, sagen die einen, ein Nestbeschmutzer die anderen. Oft, zitiert er Karl Kraus, schieße er über das Ziel hinaus, aber selten daneben. 1934 im Garnisonsstädtchen Thun geboren, der Vater Oberst im Generalstab und Richter, die Mutter Hausfrau wurde Hans, wie er damals noch hieß, Flügelstürmer, Hauptmann der Knabenkadetten, Busenfreund von Winnetou. Nach der Matura zog er dann aus, um in Paris das Glück zu finden und Jean zu werden. Es folgten Jahre in Genf, Kuba, wo er Zuckerrohr schnitt, als UNO-Assistent im Kongo, bei den Straßenkindern in Brasilien. Jean war nun endgültig kein Hans mehr, er hatte das vernommen, was er später einmal die Trommeln der Auflehnung nennen wird. Ernesto „Ché“ Guevara, den er 1964 während einer Zuckerkonferenz sechs Wochen durch Genf chauffierte, riet ihm ab, sich ihm anzuschließen, er zeigte, so will es die Legende, auf die hellen Paläste der Genfer Banken, Versicherung, Edelsteinhändler: „Siehst du, Juan, dort diese Kavernen des Geldes? Sie sind das Hirn des Monsters. Dein Schlachtfeld ist hier“.

Wenigstens ist er rot, murrt Ziegler beim Anblick des Ausstellungspavillons einer Schweizer Versicherung und erkundigt sich, ob die „Geldsäcke“ schon da gewesen seien. Ja, sagt der Begleiter von der Expo, und es habe „den Geldsäcken die Söckli ausgezogen“, als sie gesehen hätten, was man hier aus dem Boden gestampft habe. Ziegler drängt weiter, „gö mer“, „gehen wir“. Zunächst noch eine Frage: „Warum, Herr Ziegler, braucht die Schweiz eine Landesausstellung?“ Er lacht: „Das weiß ich auch nicht. Es ist wie immer, die Schweiz macht ein Fest und die Welt bleibt draußen, weit und breit kein Dritte-Welt-Pavillon, kein UNO-Pavillon, nichts.“

Und es ist etwas Wahres dran. Selten kommt einem die Schweiz so gespalten und isoliert vor, wie wenn sie Einigkeit demonstrieren möchte. Der Auftritt an der Weltausstellung in Sevilla geriet 1992 zum Skandal. Damals setzte der international renommierte Ausstellungsmacher Harald Szeemann die bundesrätlichen Absichtserklärung „Der Auftritt darf auch frech sein“ um und plakatierte am Eingang des Schweizer Pavillons „La Suisse n' existe pas“, „Die Schweiz gibt es nicht“. Während man im Ausland staunte und sich freute, gingen in der Schweiz, wo man den Schlusssatz der Ausstellung, das Wortspiel „Je pense, donc je suisse“ („ich denke, also verhalte ich mich schweizerisch“) offenbar überlesen hatte, die Wogen hoch. So hoch, dass der Schweizer Bundespräsident Ogi noch acht Jahre später am Nationentag der Weltausstellung Hannover betonte „La Suisse existe“. Daran hätte - zumindest im Ausland - auch niemand gezweifelt. Doch die eidgenössische Unsicherheit kommt nicht von ungefähr, in den 90er Jahren des alten und dem Beginn des neuen Jahrhunderts war es nämlich Schlag auf Schlag gegangen. Diverse Politskandale, „Nazigolddebatte“ und der vornehm „Grounding“ genannte Absturz des nationalen Aushängeschilds Swissair nagten am Selbstverständnis der „Ewigverschonten“, wie ein Kommentator sarkastisch anmerkte.

Dann war da noch der „schwarze Sonntag“ des 6. Dezember 1992, als der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum mit 50,3 Prozent abgelehnt worden war und die Option eines EU-Beitritts in weite Ferne rückte. Dieses Votum entzweite die Schweiz, der „Röstigraben“ brach auf, die sechs französischsprechenden Westschweizer Kantone, die sogenannte Romandie, hatte sich geschlossen für den Beitritt ausgesprochen, der Rest des Landes mit Ausnahme der Basler Halbkantone ebenso geschlossen dagegen. Schließlich wurde aus der Romandie unter dem Motto „die Schweiz muss ihre Dämonen austreiben“ der Ruf nach einer Landesausstellung, laut. Martin Heller, der künstlerische Direktor der Expo.02 betont die emotionale und identitätsstiftende Bedeutung dieser Initiative, die „in einem schwarzen Moment der Schweizer Geschichte lanciert wurde“.

Schon seit 1857, als man inspiriert von der Weltausstel-


lung in Paris die erste, allerdings noch inoffizielle Schweizerische Landesausstellung ausrichtete, werden bei dieser ein Mal pro Generation stattfindenden Großveranstaltung nicht nur die jeweils neuesten Technologien und Produkte präsentiert, sondern auch der Zeitgeist und das innere Befinden der Eidgenossenschaft zum Ausdruck gebracht. An der „Landi“ von 1883 waren noch keine ausländischen Produkte zugelassen, es handelte sich um eine rein schweizerische Leistungsschau. 1896 in Genf wurden unter anderem 230 Sudanesen, die einen Sommer lang in Lehmhütten hausten, „ausgestellt“. Bern 1914 stand ebenso wie Zürich 1939 im Zeichen der sich abzeichnenden Kriege und der „geistigen Landesverteidigung“. Lausanne 1964 schließlich war geprägt vom Kalten Krieg, noch einmal dominierten vermeintliche schweizerische Werte, zum Beispiel der igelförmige Betonbunker der Armee.

Den Zuschlag für die Expo.02 erhielt 1995 das jetzt realisierte dezentrale Projekt im sogenannten Drei-Seen-Land (Bielersee, Murtensee und Neuenburgersee) an der deutsch-französichen Sprachgrenze. Jede Arteplage steht unter einem speziellen Thema (Biel: Macht und Freiheit; Neuchatel: Natur und Künstlichkeit; Yverdon les Bains: Ich und das Universum; Murten: Augenblick und Ewigkeit). Als die neue Landesausstellung vorgestellt wurde, rief die Westschweizer Presse „Faites-nous rever“, „macht uns träumen“, in Zürich hingegen fragten sie: „Was kostet das Ganze“. Während in der Deutschschweiz, die einen die Expo ein „Bratwurstfest“ schimpften war anderen das Konzept zu „elitär“. „Ein Blödsinn, der zum Himmel schreit“ und „So verlocht der Bund Millionen“ titelte das Zürcher Boulevardblatt Blick. Es folgten endlose Querelen, die Auswechslung des Direktoriums und die Verschiebung der Expo um ein Jahr. Einmal mehr begeisterte sich die Romandie an einer Idee, die Deutschschweizer mäkelten an Details herum. Ausdruck des Röstigrabens? Die Generaldirektorin der Expo.02, die in Casablanca aufgewachsene Französin Nelly Wenger, die zwar Englisch, Hebräisch und Arabisch aber kaum Deutsch spricht, stellt zwar fest, dass in der Schweiz „die Multikulturalität erstarrt ist“. Es gebe Differenzen in den Sichtweisen, die manchmal durch kulturelle Erfahrungen geprägt, viel öfter aber individueller Natur seien. „Der Minderheitenreflex“, sagt auch Martin Heller, „wirkt sich oft stärker aus als die kulturellen Differenzen“. Eva Afuhs, aus Wien stammende künstlerische Leiterin der Expo.02 Ausstellungen hat ebenfalls sprachliche Barrieren festgestellt: „Ich kannte, als ich die Stelle annahm, die Schweiz nicht allzu gut. Ich hatte vor allem Bekannte und Freunde in der Architekturszene. Außerhalb dieses Biotops hatte ich dann das Gefühl, dass man gar nicht verstand, was ich sagte. Der Kommunikationsaufwand war sehr hoch.“

Sprachprobleme auch in Biel. Ziegler ist entsetzt: Auf der Schautafel mit statistischen Daten in einer der Bieler Ausstellungen steht, wie viele uneheliche Kinder in der Schweiz pro Tag geboren werden. Ziegler stößt sich an der französichen Übersetzung für unehelich: „illégitime, das ist Nazijargon, das sagt heute kein Mensch mehr“. Apropos Statistik, er zieht einen am Arm zu sich heran, es ist ihm wichtig, er kommt so nah, dass man sich in seinen Pupillen gespiegelt sieht: „100.000 Menschen sterben täglich am Hunger und seinen unmittelbaren Folgen. 100.000. Alle sieben Sekunden stirbt ein Kind. Das, das sind die Zahlen des Horrors.“ Man ist mittlerweile in der von Harald Szeemann kuratierten Ausstellung „Geld und Wert - das letzte Tabu“ angelangt, Partner ist die Schweizerische Nationalbank. Im Innern des überdimensionierten, mit echtem Blattgold beschichteten Goldbarrens winden sich Rohre, wie sie in Banken verwendet werden, um das Geld in Dosen hin und her zu schicken, den Wänden und dem Plafond entlang. Japanische Killerameisen sind gerade dabei, hinter Glasscheiben Banknoten zu fressen, Max Deans Geldvernichtungsmaschine hingegen, die fünf Monate lang Geldscheine verschreddert, ist noch nicht in Betrieb.

10,5 Millionen Eintritte - die Schweiz hat 7,5 Millionen Einwohner - muss die Expo.02 generieren, um bei den exorbitant hohen Kosten von 1,5 Milliarden Franken ausgeglichen budgetieren zu können. Zum Vergleich: Die Weltausstellung in Hannover rechnete bei Kosten von 2,7 Milliarden Franken, viel zu optimistisch, mit 40 Millionen Eintritten, in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern...Ziegler zuckt mit den Schultern, er hätte für den Ausstellungs-Katalog etwas über Solidarität schreiben sollen, etwas Wissenschaftliches. Also nichts über Halunken, Banditen und so. Der Präsident der Schweizerischen Nationalbank habe das persönlich verhindert. Der Name des Mannes, der seit vierzig Jahren über „Kasinokapitalismus“, „Killerkapitalismus“ und „Bankenbanditismus“ schreibt, soll im offiziellen Ausstellungskatalog nicht vorkommen.

Schön dann die Ausstellung „Swish. Wunschlandschaft Schweiz“. Vor der Expo reiste das Swish-Mobile durch das Land, um die unterschiedlichsten Wünsche von Jung und Alt, Mann und Frau, In- und Ausländer in kurzen Filmsequenzen festzuhalten. Begleitet wird das Projekt von einer repräsentativen Umfrage der Sozialforschungsstelle der Uni Zürich, die klären soll, was sich Bewohner der Schweiz wünschen. Es ist dies ein Seitenhieb auf das Projekt „Gulliver“ der Expo 64 in Lausanne, wo mittels eines Fragebogens dasselbe untersucht wurde. Bei einer Voruntersuchung mit 1200 Probanden wünschten sich die Befragten damals eine 40- Stunden-Woche, das Frauenstimmrecht, ein Ende der Bodenspekulation etc.. Die Gulliver-Untersuchung barg daher in den Augen des Bundes die Gefahr, „schlafende Hunde zu wecken“, sie verschwand in Archiven der Uni Lausanne, bis heute.

Ich mache mich auf den Weg zur Arteplage in Neuchatel. „Nächster Zug in 4 Minuten und 5 Sekunden“, eine etwas übertriebene Präzision, denkt man sich, die Anzeigetafel zum neu gebauten Zahnradbähnchen lesend, das den Bahnhof Neuchatel direkt mit der Arteplage verbindet. Blickfänger der von dem französich-schweizerischen Architektenteam „Multipack“ konzipierten Arteplage sind drei in 30 Meter Höhe schwebende, an UFO's gemahnende „Galets“ (Ufersteine) mit einem Durchmesser von über 100 Metern. Unternehmen wie Novartis, die Vereinigung Westschweizer Wasserwerke oder die ETH Zürich, variieren hier das Thema „Natur und Künstlichkeit“.

Weiter geht es mit dem Schiff nach Yverdon. Von weitem sichtbar: Die zwanzig Meter hohe, fußballfeldgroße Stahlkonstruktion der künstlichen, begehbaren Wolke der New Yorker Architekten Elisabeth Diller und Richard Scofido. 31'400 Düsen versprühen herangepumptes Seewasser. Eine Anlage, bei der Wasser mit einem Druck von 80 Bar auf eine Nadel gepresst wird, zerstäubt das Wasser in so kleine Teile, dass es als künstlicher Nebel in der Luft hängen bleibt. Ein eindrückliches Schauspiel. Auf der Wolke über dem Nebel und geschützt kann man dann eines der 60 angebotenen Mineralwasser trinken und sich auf die von Laurie Anderson mit Klang und Bild versehene Ausstellung „Wer bin ich“ freuen.

Mit dem Zug geht es zu der das ganze mittelalterliche Städtchen umfassenden Arteplage in Murten, wo ich mich nochmals mit Martin Heller treffe. Wir besuchen zusammen die Ausstellung Expoagricole, die Ausstellung zur Landwirtschaft, wo es noch einige Feinabstimmungen vorzunehmen gilt. Heller, groß, ruhig, hört vor allem zu, ab und zu fragt er präzisierend, wirft etwas ein. Vom „Prinzip Heller“ spricht man in der Schweiz. Und ohne den immensen Kommunikationsaufwand, die Zähigkeit und das Organisationstalent des ehemaligen Direktors des Museums für Gestaltung in Zürich wäre es wahrscheinlich eng geworden. Nachdem seine Vorgängerin Pipilotti Rist den Bettel hingeschmissen hatte und die „Miss Expo“ Jacqueline Fendt zurücktreten musste, war es an ihm, die abgesprungenen Sponsoren zurückzuholen und zusätzliche Gelder zu akquirieren. In der großen Finanzierungskrise 1999, als der Bundesrat von der Expo forderte, 300 Millionen Franken einzusparen und 300 weitere Millionen bei der Wirtschaft aufzutreiben, hätten viele aufgegeben, das Duo Heller/Wenger blieb - und hält bis heute dagegen. Heller, ein freundlicher, fast sanfter Mann, dem man aber ansieht, dass er die Auseinandersetzung mit offenem Visier nicht scheut, musste eine Menge Überzeugungsarbeit leisten: „Ich war anfangs erstaunt, wie wenig Kultur in diesem Land zählt. Nun sitzen Kultur, Wirtschaft und Politik gleichberechtigt an einem Tisch.“

Die Hauptattraktion von Murten ist ohne Zweifel der vom Pariser Architekten Jean Nouvel geschaffene gigantische Monolith, ein merkwürdiges, rostiges, 3900 Tonnen schweres Mausoleum. Das Beste aber: Er schwimmt. Dass er dies tut verdankt er seiner spektakulären Konstruktion und der Plattform, auf welcher der Kubus (34 Meter hoch breit und tief) steht. 100 Betonhohlkörper, jeder von der Größe eines Zimmers, sorgen für den nötigen Auftrieb. Die Schweiz wäre nicht die Schweiz, würde nicht auf eine lückenlose Exekution der Gesetze gepocht. Obwohl im See vertäut, gilt der Monolith vor dem Gesetzt als Schiff, muss also mit Nummernschilder, Rettungsbooten sowie einem Kapitän bestückt werden.

Robert Wilson, und das ist eine weitere Murtener Sensation, konnte von seinem Freund Nouvel dafür gewonnen werden, einige Ausstellungspavillons zu konzipieren. Seine Begründung: „Es ist gut, dass es Anlässe gibt, die kommen und dann wieder verschwinden. Würde die Expo mehrere Jahre dauern, wäre sie nur halb so spannend.“ Recht hat er, Bauten gehen, die Bilder, die man aus den Ausstellungen mitnehmen wird, bleiben. Die Schweiz hat sich schon mit dem kürzlichen Beitritt zur UNO Balsam auf ihre Wunden geträufelt, nun wird sie „ein halbes Jahr über ihre Verhältnisse leben“, wie Martin Heller sagt. Es sei ihr gegönnt. Denn wie gewinnt man Freunde? Indem man gemeinsame Erlebnisse generiert, sei es als Chauffeur eines Revolutionärs in Genf oder als Ausstellungsbesucher, der auf anderssprachige Landesbewohner trifft. „Le nuage fut“ (sinngemäß, „und sie funktioniert doch, die Wolke“) titelte eine Westschweizer Zeitung nach den ersten gelungenen Tests in Yverdon. „L' Expo fut“ wird es hoffentlich dereinst heißen, wir wünschen ihr „bonne chance“.

03. Mai 2002Rahel Hartmann Schweizer
Neue Zürcher Zeitung

Aufbruch ins Kommunikationszeitalter

(SUBTITLE) Biel knüpft an städtebauliche Glanzzeiten an

Die Uhrenmetropole Biel war einst eine Stadt des Neuen Bauens. Um für den Sprung ins Kommunikationszeitalter des 21. Jahrhunderts gut gerüstet zu sein, absolvierte die Stadt nun einmal mehr einen ehrgeizigen urbanistischen Marathon.

Die Uhrenmetropole Biel war einst eine Stadt des Neuen Bauens. Um für den Sprung ins Kommunikationszeitalter des 21. Jahrhunderts gut gerüstet zu sein, absolvierte die Stadt nun einmal mehr einen ehrgeizigen urbanistischen Marathon.

Architektonisch machte Biel in den vergangenen Jahren in erster Linie mit der Erweiterung des Centre PasquArt von Diener & Diener und dem Bau der Schweizerischen Fachschule für Holzwirtschaft von Marcel Meili und Markus Peter von sich reden. Dies lenkte etwas davon ab, dass die Stadt in jüngster Zeit - die Gunst der Expo 02 nutzend - eine riesige Baustelle war. Die öffentliche Hand konzentriert sich vor allem auf die Innenstadt, für deren Verschönerung sie, den Plänen der Bieler Bauzeit-Architekten folgend, 150 Millionen Franken ausgibt, aber auch auf die Expo. Das Expogelände am See, das sie von Industriebrachen befreite, soll nach Abschluss der Grossveranstaltung einer gemischten Nutzung zugeführt werden. Sie hat aber auch bei der Planung von privaten Überbauungen, vor allem auf ehemaligen Industriearealen, die Hände mit im Spiel, indem sie Brachen aufkauft, Wettbewerbe ausschreibt und das Land dann mit den entsprechenden Auflagen im Baurecht weitergibt oder verkauft. Rund ein Viertel des Bieler Stadtgebietes ist in ihrem Besitz.

Der Einfluss der Stadt Biel auf die Architektur hat Tradition. Die erste Stadtplanung datiert in die 1880er Jahre und basierte auf einem orthogonalen, längsgerichteten Raster von 250 mal 85 Metern mit Haupt- und Nebenstrassen, Blockrandbebauung und regelmässig verteilten, platzartig erweiterten Strassenkreuzungen. Überlagert wurde dieses Muster von der Gartenstadt, die um die Jahrhundertwende mit durchgrünten Quartieren und Vorgartenzonen Einzug hielt, wobei das streng orthogonale Strassenmuster aufgebrochen und von der geschlossenen Bauweise abgerückt wurde. Architektonisch ist Biels Stadtgefüge gezeichnet von den Wechselfällen wirtschaftlichen Aufstiegs und Niedergangs von Maschinen-, Metall- und Uhrenindustrie, von weitsichtigen Stadtplanungen des Neuen Bauens und rücksichtsloser Zerstörung wertvoller Bausubstanz. Die Stadt präsentiert sich daher als ein Patchwork mit der Altstadt am Jurasüdhang, den Villen der Seevorstadt, der Fin-de-Siècle-Bebauung am Unteren Quai, den historistischen Bauten am Zentralplatz, den Arbeiterquartieren, den Fabrikarealen, den Zeugen des Neuen Bauens wie dem Volkshaus und dem Hotel Elite. Dazu kommen schliesslich Beispiele der «Jurasüdfuss»-Architektur: das Kongresshaus (1961-66) und das deutsche und französische Gymnasium auf dem Strandboden (1976-79) von Max Schlup.


Die Stadt als Patchwork

Zur Patchwork-Struktur gesellt sich der markante Gegensatz zwischen der am Hang gelegenen Altstadt und der Neustadt in der Ebene. Selbst politische Unterschiede manifestierten sich hier architektonisch: im sozialistischen Volkshaus an der Bahnhofstrasse, einerseits, das heute das Konservatorium beherbergt, und im gegenüberliegenden bürgerlichen Hotel Elite andererseits. Die Zweisprachigkeit schliesslich findet ihren Ausdruck in der Ansiedlung der Kommunikationstechnologie. Den Auftakt machte das Bundesamt für Kommunikation (Bakom), das sich in einer ehemaligen, von Flurin Andry und Partner zwischen 1992 un 1995 erweiterten Uhrenfabrik einquartiert hat. Das Swisscom-Gebäude (1996) von Andry, Habermann und Partnern reagiert mit seiner prägnanten Klinkerfassade auf das Volkshaus. Diese Analogie bleibt aber oberflächlich, nahmen die Architekten doch mit Tonnendach und überwölbten Lukarnen auch auf die Fassade der ehemaligen Bäckerei auf der anderen Seite des Schüss-Kanals Bezug, die erhalten werden musste. Sie integrierten sie in den Bau wie ein dekoratives Element aus vergangener Zeit.

Die Gegensätze der Stadt haben auch die Bauzeit-Architekten inspiriert, deren Projekt «nuits blanches» für die Innenstadtverschönerung auf einem System von Vertikalen - Kulturmasten und Kandelabern - und Horizontalen - verschiedenen Bodenbeläge - basiert. Sie haben der Stadt ausserdem neue Trolleybus-Unterstände beschert. Diese nehmen den Charakter der multifunktionalen Kleinarchitekturen aus der Zeit des Neuen Bauens auf, die heute noch auf acht Plätzen, unter andern auf dem Bahnhofplatz, dem General-Guisan-Platz und dem Zentralplatz, zu sehen sind. Mit Dualismen lebt die Stadt ganz gut. So sucht sie einerseits den Verkehr zu beruhigen und eine ausgedehnte fussgängerfreundliche Zone zu schaffen, baut aber anderseits auch Parkhäuser. Das neuste haben Vogt & Kistler beim Bahnhof für 22 Millionen Franken realisiert: unterirdisch, aber mit Tageslicht erhellt.

Am Zentralplatz ist man bemüht, die Nidaugasse und die Murtenstrasse, die diagonal auf den Platz münden, mit Asphaltkosmetik dem Schachbrett zu unterwerfen. Das ist umso unverständlicher, als im Gegenzug die Diagonale betont wird: Zum 1921 für den Schweizerischen Bankverein erstellten und 1996 um ein Stahl-Glas- Gebäude erweiterten UBS-Bau an der Nidaugasse, der die Diagonale mit einem abgerundeten und überkuppelten Kopfbau akzentuiert, wird auf der gegenüberliegenden Seite an der Murtenstrasse vom Bieler Henri Mollet ein zeitgenössisches Pendant in Stahl und Glas errichtet. Städtebaulich weitaus einschneidender ist die Diagonale, die durch den Bahndamm gebildet wird. Dieser wirkt wie eine brutale Schneise im urbanistischen Gefüge und schneidet die Stadt vom See ab. Die Erweiterung der Bahnhofpassage als Verlängerung der Bahnhofstrasse und Durchbruch zum Expogelände schafft der Stadt nun endlich einen Zugang vom Zentrum zum See. Wenn der Durchstich auch als Bahnunterführung ein Stollen ist, so haben sich Kistler & Vogt doch bemüht, durch dessen konische Form die Perspektive zu weiten auf den dreieckigen, baumbestandenen Robert-Walser-Platz. An diesen schliesst rechter Hand ein Betonkubus mit geätzter Glasverkleidung und versetzt angeordneten Fensterreihen an: das «Communication Center» von Gebert, Liechti, Schmid. Es beherbergt die Redaktionen von «Bieler Tagblatt», «Journal du Jura» und der lokalen Fernsehstation «TeleBielingue» sowie die Medienstelle der Expo 02.

Auf der andern Seite des Platzes erstrecken sich die einstigen Montagehallen von General Motors, die zwischen 1935 und 1937 auf Kosten der Stadt nach eigenen sowie nach Plänen von Haefeli, Moser & Steiger aus Zürich errichtet wurden. Heute beherbergen sie ein Coop-Einkaufszentrum und die Verwaltung der Opel Suisse. Ausserdem dienten sie als Provisorium für das Kongresshaus während der Renovation, die der Berner Architekt Rolf Mühlethaler soeben an dem Bau mit dem gigantischen Hängedach von Max Schlup (1961-66) vornahm. Das Kongresshaus verdankt seinen flankierenden Hochhausbau einer Zonenplanänderung, in deren Genuss auch das Palace kam: Zwischen 1997 und 1999 wurde es zum gemischt nutzbaren Kino- und Theatersaal umgestaltet. Gleichzeitig bauten Bauzeit-Architekten ein unterirdisches Kasino ein, von dem oberirdisch nur der Eingang in Erscheinung tritt, dessen Glasfassade ein Wasservorhang ziert.


Industrie- versus Gartenstadt

Östlich des Kongresshauses öffnet sich ein Gelände von rund acht Hektaren, das einst das Gaswerk und die Vereinigten Drahtwerke (VDW) nutzten. Übrig geblieben ist nur noch ein Gaskessel. In den Jahren 1993 bis 1995 renoviert und bunt bemalt, wird er heute von der Jugend genutzt. Etwas weiter östlich, auf dem ehemaligen VDW-Areal, kündet eine Tafel von einer geplanten Wohnsiedlung des Büros Vogt & Kistler, deren Projekt aus einem 1991 unter sechs geladenen Teams durchgeführten Wettbewerb hervorgegangen war. Die Stadt teilte das Gebiet dann aber auf, so dass es sich beim «Schüsspark» nun um ein redimensioniertes und überarbeitetes Projekt mit 55 Wohnungen und Atelierräumen handelt. Nehmen Vogt & Kistler mit dem Loftcharakter der Wohnungen Bezug auf die Industriearchitektur, greifen Bauzeit-Architekten in der eben realisierten Bebauung des Renferareals (Bözingen) mit ihren Vorgärten die Gartenstadt-Visionen der Jahrhundertwende auf. Mit ihrer Holzarchitektur schaffen sie gleichsam eine Verbindung zwischen der Sägerei, die das Gelände einst besetzte, und der neuen Fachschule für Holzwirtschaft von Meili & Peter.

Ähnlich wie die Expo hat auch Biel einen Marathon mit Schlussspurt absolviert: An diesem Wochenende weiht sie mit einem Fest die neuen Bauten ein. Doch bereits wird in die Zukunft geblickt mit einem Wettbewerb für die Erweiterung des renovierten Strandbades aus den dreissiger Jahren, der Planung des heutigen Expogeländes und der Gestaltung des öffentlichen Raums zwischen Zihl und Schüss, dessen Wettbewerb Elisabeth Brauen und Rudolf Zoss im Jahr 2000 für sich entscheiden konnten. Schliesslich sind Verhandlungen im Gange über die Helix, eine auf dem Expogelände in den See hinausführende Passerelle, die Stadtpräsident Hans Stöckli bewahren möchte.

26. April 2002ORF.at

Temporäre Architektur

Die Großmeister der Architekturszene geben der Schweizer Expo ihr temporäres Gesicht.

Die Großmeister der Architekturszene geben der Schweizer Expo ihr temporäres Gesicht.

Mit drei bis zu 40 Meter hohen monumentalen Türmen auf der Arteplage in Biel setzte das renommierte Wiener Architektenbüro Coop Himmel(b)lau einen der architektonischen Blickpunkte bei der Schweizer Landesausstellung „expo.02“. Der „Freiheit“, die sich aus dem temporären Charakter der Gebäude und dem Bauen am Wasser ergeben habe, habe ihr besonderes Interesse gegolten, schilderte Wolf D. Prix. So konnte unter dem überdimensionalen Dach der Arteplage auf einer Fläche, die - 220 Meter lang und 62 Meter breit - fast doppelt so groß ist wie der Markusplatz in Venedig, „eine kleine Stadt für ein halbes Jahr“ entstehen.


Ausgefeilte Lichtregie

Mit transparenten Folien, die bei bestimmten Lichteinfallswinkeln undurchsichtig sind, gaben die Architekten den Türmen eine Hülle, die höchst sensibel auf unterschiedliche Lichtsituationen reagiert. Scheint am Tag die Konstruktion der Türme durch, die eine Soundinstallation, ein Stiegenhaus bzw. einen Aufzug beherbergen, so gibt ein eigenes Lichtdesign in der Nacht den Türmen ein „ganz anderes Gesicht“. Für das Beleuchtungskonzept, das sich auch auf den anschließenden Expo-Park erstreckt, zeichnet der französische „Schattenzauberer“ Yann Kersale verantwortlich.


Nouvels Monolith

In Murten sorgt Jean Nouvels „Monolith“ für Aufsehen: Ein im See schwimmender riesiger Würfel aus rostigem Blech, dessen Seitenkanten mit 34 Metern der Höhe eines zwölfstöckigen Hochhauses entsprechen, lässt sich nur per Schiff erreichen. Der Würfel beherbergt zwei Panoramen, eines aus dem 19. Jahrhundert, das die Schlacht von Murten zeigt, und das „Panorama Schweiz Version 2.1“, eine Momentaufnahme der Schweiz von heute. Vom Zwischengeschoß aus fällt der Blick auf die aufgedockte „Mesoscaphe“, ein auf der letzten Schweiz-Expo 1964 in Lausanne als Sensation präsentiertes Touristen-U-Boot, das nun, 38 Jahre später, verrostet und verfallen von der Vergangenheit der Zukunft erzählt.


Extatisches Schweben

Einmal das Gefühl haben, auf einer Wolke zu liegen, kann man in der von der Architektengruppe extasia gestalteten Arteplage in Yverdon-les-Bains: Dort schwebt, in einer eiförmigen Tragstruktur, in gut 100 Metern Entfernung vom Ufer eine künstliche Wolke über dem See. Die 100 mal 60 mal 20 Meter große Stahlkonstruktion durchzieht ein feines Netz von 32.000 Düsen, die aus unzähligen Tröpfchen Seewasser Wolkennebel erzeugen. In Regenmäntel gehüllt, können die Besucher die Wolke begehen und sich in der „Engelsbar“ einen Drink im siebenten Himmel genehmigen, nachdem sie sich zuvor in der Ausstellung „Le premier regard“ über den für die Sexualität bedeutsamen ersten Blick bei der Partnersuche informiert und dann - freiwilligerweise - in „Oui!“ dem anderen das Ja-Wort für 24 Stunden gegeben haben.


Funkelnder Schilf

Das Architektenteam Multipack aus Neuenburg plant für das Wettbewerbsgebiet in Neuenburg einen breiten Parkstreifen entlang des Sees. Über der Arteplage in Neuchatel schweben drei UFOs - glaubt man zumindest. In Wirklichkeit handelt es sich um drei auf schlanken Pfählen ruhende Dächer, Galets genannt, die in rund 30 Meter Höhe über dem See thronen. Darunter bietet sich Platz für sieben Ausstellungen zum Thema „Natur und Künstlichkeit“. Beispielsweise „Beaufort 12“, ein Areal, das die Zerstörungen zeigt, die ein Orkan der genannten Windstärke anrichten würde. Für Mutige gibt es einen Sturmsimulator, bei dem man sich zwar nicht der Beaufort-Stärke zwölf, aber immerhin acht aussetzen kann.

26. April 2002Henriette Horny
Kurier

Die Schweiz lässt sich Identität viel kosten

Die Expo 2002 öffnet am 15. Mai an vier Standorten in der Südschweiz ihre Pforten

Die Expo 2002 öffnet am 15. Mai an vier Standorten in der Südschweiz ihre Pforten

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Kurier“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

9 | 8 | 7 | 5 | 6 | 4 | 3 | 2 | 1