Details

Adresse
Fabrikstrasse, 4056 Basel, Schweiz
Mitarbeit Architektur
Peter Walker, Andreas Schulz, Harald Szeemann, Alan Fletcher;
Bauherrschaft
Novartis Pharma AG
Funktion
Städtebau
Planung
2000 - 2002

Presseschau

11. Mai 2009Rahel Marti
hochparterre

Über fünf Podeste musst du gehn

Vittorio Lampugnani fand den Idealbaustein für den Novartis Campus. Und baute die vollendete Treppe. Ein Aufstieg über fünf Stockwerke.

Vittorio Lampugnani fand den Idealbaustein für den Novartis Campus. Und baute die vollendete Treppe. Ein Aufstieg über fünf Stockwerke.

Schräg gegenüber greift Frank O. Gehrys «Personal Center» um sich. Rechts kühlt Yoshio Taniguchis Bürogebäude glasig grau die Atmosphäre. Dazwischen hat Vittorio Magnago Lampugnani gebaut, der Architekt des Masterplans. Hat seinen Musterbau verwirklicht, spät, aber entschlossen.

Unter der Arkade

18 Meter schmal, 55 Meter lang, 22,46 Meter hoch, Lampugnanis Haus folgt exakt Lampugnanis Baulinien und Traufhöhe. Zur Hauptachse Fabrikstrasse öffnet es sich mit Arkaden, 4 Meter breit, 6 Meter hoch. Rechts gehts ins mit Italianità gesättigte Ristorante Dodici, links ins Bürohaus. Unter den Arkaden empfängt einen ein «heiterer Himmel», wie Lampugnani die mit hellblauem Glasmosaik belegte Decke nennt. Sommers nimmt man hier am Schatten seinen Caffè.

Trotz grosszügiger Befensterung wirkt das Haus kompakt. Steinern eben: Die Fassaden bestehen aus bis 15 Zentimeter dicken, weissen Carrara-Marmorplatten. Sie sind so dick, damit sie sich nicht verziehen, da sie nicht aufgehängt, sondern aufgemauert sind, fest vermörtelt also und befestigt an einer Stahlkonstruktion. Das Haus, schreibt Lampugnani in einem literarisch anmutenden Baubeschrieb, versage sich jede individualistische Allüre, es bekenne sich zur formalen Zurückhaltung und zur urbanen Kontinuität. Kein Zweifel, Lampugnani hat den Idealbaustein seines Masterplans gebaut. Bizarr nur: Der Campus ist ein neues Stück Stadt, urbane Kontinuität geht ihm zwangsläufig ab. Und wie alle Bauten zeigen, ist die individualistische Allüre schwer kontrollierbar in einem Masterplan, der keine Blockränder, sondern Einzelbauten vorsieht.

Auf dem Zwischenpodest

Hinter der Drehtür wartet eine kammerartige Lobby. Man wähnt sich im Fuss eines altehrwürdigen New Yorker Wolkenkratzers. Zwar öffnen sich da zwei Lifttüren. Aber von rechts kommt ein Sog: Verheissungsvoll fällt Licht auf eine scheinbar endlose Treppe. Es zieht einen hinauf. In einen Raum, der schmal und hoch ist wie ein Schacht, den Nussbaum auskleidet, voll und ganz. 19 Stufen bis zum ersten Zwischenpodest und man fragt sich: Wo bin ich nochmal? In New York? Oder, wie das Haus von aussen glauben macht, in Italien des Novecento? Nein, in Basel. Im Voltaquartier, wo der Stadtumbau tobt, auf einem Gelände, wo eben noch die Industrie vorherrschte. Diese beiden Welten, die Stadt aussen, Novartis innen, sind nicht überein zu bringen.

Im Treppenraum 

Weiter hinauf. Stufe um Stufe schwindet das Engegefühl und es wird heller. Eine «weitgehend gleichmässige, vergleichsweise kleinteilige fünfgeschossige Bebauung» sieht Lampugnanis Masterplan vor. Denn solche Bauten seien geeignet, wohlproportionierte Stadträume mit hoher Aufenthaltsqualität zu erzeugen. «Im Innern», schreibt der Architekt und Architekturhistoriker, «lassen sie sich gut und effizient aufteilen, mit einfachen Erschliessungselementen, weil sie noch unterhalb der baurechtlichen Hochhausgrenze liegen.»

Einfache Erschliessungselemente sind in Lampugnanis Sinn Treppen. So konsequent wie seine Baulinien setzt er seine Idee der Treppe als innere Strasse um. Sie soll — wie die Strassen und Gassen der Stadt — kurze Wege und spontane Treffen erlauben, ja herbeiführen. Vom Erdgeschoss führt sie fadengerade bis ins vierte Obergeschoss, über fünf Läufe und fünf Podeste. Nicht von Wänden begrenzt, sondern von Pfeilern und Balken gesäumt. Sie rahmen die weiten Öffnungen, durch die man von der Treppe zu den Arbeitsplätzen und zurückblickt. Auf seiner gesamten Länge und 22 Metern Höhe ist der Treppenraum offen, durchquert nur von kleinen Brücken. Möglich ist dies, weil als Balken ausgebildete Rauchschürzen zum Brandschutz beitragen. Drei Meter breit ist die Treppe, sodass zwei Personen nebeneinander sitzen und eine dritte bequem an ihnen vorbeigehen könnte. Ob sich je eine Mitarbeiterin setzen wird? Aber davon später mehr.

Entlang des Nussbaums

Weiter hinauf, begleitet von der fein wellenden Maserung des Nussbaums. Hier stehend und schmal, dort liegend und breit, betont die Maserung den Rhythmus der Pfeiler und Balken. Nussbaum wirkt immer schwer und immer edel — Holz und Raum scheinen füreinander geschaffen. Obwohl schwierig zu besorgen, wählten Lampugnani und seine Kontaktarchitekten, das Zürcher Büro Joos   Mathys, den europäischen Nussbaum. Er soll sich silbern verfärben und nicht gelblich wie der amerikanische. Zehn Stämme waren nötig, pro Stockwerk stammen die Furniere von je einem Stamm, heisst es. Um die Farbigkeit anzugleichen, liessen sie das gesamte Holz zudem leicht beizen. Die Treppenstufen sind aus Schallgründen zwar betoniert, aber ebenfalls furniert – zudem stärker als andere Elemente, damit man sie gelegentlich abschleifen kann. Soweit beim einmaligen Besuch ersichtlich, ist das Handwerk präzis und lässt keine Wünsche übrig, trotz der hohen Anforderungen.

Zwischen ewig und vorläufig

Ab und zu steigt jemand hoch mit Mantel und Tasche, entschwindet über eins der Podeste in die Büros. Ab und zu tritt jemand in den Treppenraum hinaus, bleibt stehen, wartet auf eine Kollegin, um gemeinsam nach unten zu schreiten. Die Gespräche sind nicht gedämpft, aber ruhig. Vittorio Lampugnani ist ein Meister des Umgangs. Er findet für jede Gelegenheit den passenden Ton. So herrscht hier, nach dem heiteren Himmel unter den Arkaden, arbeitsame Bibliotheksruhe.

Das Haus wirkt, als wolle es seine Nutzer erziehen. In Turnschuhen herumzuschlurfen, fiele einem nicht im Traum ein. Gemacht wirds trotzdem. Leichtes Befremden zum einen: der Idealbaustein des Architekten im Geiste des 19. Jahrhunderts, darin die Forscher von heute, mit Kopfhörer am Computer. Leichtes Befremden zum anderen: der scheinbar für die Ewigkeit gebaute Treppenraum, daneben die Büros, denen man die Vorläufigkeit des Flexiblen anmerkt. Aufgeständerte Böden, flexible Grossräume — alles muss umnutzbar sein auf dem Novartis Campus. Doch achteten die Architekten auf Behaglichkeit mit Vorhängen, Kleiderstangen und Tischlampen und mit Schiebefenstern, die jede Mitarbeiterin jederzeit von Hand öffnen kann. Es gibt zwar Heiz-Kühldecken, aber keine Klimaanlage.

Im gebauten Bild

Zuoberst angelangt, fühlt man sich erhöht. Der Aufstieg über die Kaskadentreppe bietet ein seltenes Erlebnis. Vittorio Lampugnani hat die Gelegenheit für ein räumliches Abenteuer genutzt. Hinter seiner Freundlichkeit steckt ein starker Wille. Radikal verschaffte er der Treppe Raum, rückte sie ins Zentrum. Von oben wirkt der Treppenraum wie ein gebautes Bild. Zwar zeigen Skizzen den Weg: Der Entwurf war erst in Stein gedacht mit Glasbrüstungen. Doch lieber möchte man glauben, Lampugnani habe schon beim Masterplan gewusst, dass er diese Treppe mit diesem Material und dieser Stimmung bauen würde. Ist das Gebäude der Idealbaustein des Masterplans, ist das Treppenhaus sein Idealraum?

Bleibt eine Frage: Wie steht es mit der Angemessenheit? Unruhe kommt auf. Wie viel der Bau gekostet hat, ist natürlich geheim. Die Architekten sagen, es sei der bisher günstigste auf dem Campus. Angemessen? Es gibt nur eine Antwort: Dieser Konzern kann nach eigenen Massstäben funktionieren.



verknüpfte Zeitschriften
hochparterre 2009-05

27. Januar 2003Ute Woltron
Der Standard

Die Parkbank kann Büro sein

Der Pharmariese Novartis leistet sich in Basel eine kleine Forschungsstadt und verspricht sich eine neue Art des Arbeitens davon. Städtebauer Vittorio Lampugnani lieferte den Masterplan.

Der Pharmariese Novartis leistet sich in Basel eine kleine Forschungsstadt und verspricht sich eine neue Art des Arbeitens davon. Städtebauer Vittorio Lampugnani lieferte den Masterplan.

Dieser Tage präsentierte der Schweizer Pharmariese Novartis seine Jahresbilanz 2002, die einen Reingewinn von 7,313 Milliarden Schweizer Franken (4,9 Mrd. Euro) aufweist. Die Zukunft, so ließ man verlauten, gehöre der verstärkten Forschung, in diesen Bereich wolle man künftig noch mehr investieren als bisher.

Ein Teil der Investitionen wird, so will es Novartis-CEO Daniel Vasella, auch in die entsprechende Infrastruktur in Form von Architektur fließen. Man verfügt über ein gewachsenes Unternehmensviertel am Ufer des Rheins mitten in Basel. Für dieses etwas überalterte Ensemble ließ sich Vasella vom ETH-Städtebauprofessor Vittorio Lampugnani vor knapp zwei Jahren ein städtebauliches Konzept vorlegen, das eine neue interdisziplinäre Art des Arbeitens und Forschens berücksichtigen solle. Der Novartis-Chef hatte erfahren müssen, dass internationale Forscher nicht nur mit guten Gehältern, sondern auch mit dem entsprechenden Arbeitsumfeld zu ködern sind. Eine Architektur, die die Kommunikation unter diesen Kreativen des Geistes zu fördern vermöge, die sollte es werden.

Lampugnanis Masterplan ist streng, klar, fast konservativ, aber effizient. Er wurde gemeinsam mit Landschaftsplaner Peter Walker, Lichtarchitekt Andreas Schulz, Kunstmann Harald Szeemann und Alan Fletcher, für Typografie und Beschilderung zuständig, erarbeitet. Boulevards, Laubengänge, Parks und Plätze gliedern die Freizonen zwischen den Häuserblöckchen. Der Strategieplan deutet in eine ferne Zukunft: Stück für Stück soll nun das alte Ensemble abgebrochen und erneuert werden. Der erste Schritt - das Headquarter Pharma und damit das prominente Gebäude im Eingangsbereich - wird demnächst in Angriff genommen:

Im vergangenen Herbst gewann das Schweizer Team Diener und Diener Architekten gemeinsam mit dem Künstler Helmut Federle und dem Wiener Architekt Gerold Wiederin das geladene Gutachterverfahren für das erste konkrete Bauvorhaben und schlug damit andere Teilnehmer wie Dominique Perrault, Hans Kollhoff und Sanaa aus dem Rennen. Baubeginn soll im Oktober dieses Jahres sein, die Eröffnung wird für April 2005 angepeilt.

Die Architekten wollten mit ihrem Entwurf ein markantes Zeichen für den Campus setzen und nahmen sich die bunt mosaikverkleidete Universitätsbibliothek von Mexiko-Stadt zur Anregung. Das neue Pharma-Haus entspricht mit seinen Abmessungen brav dem vorgegebenen, lang gezogenen Block, nimmt sich aber innenräumlich und fassadenmäßig alle Freiheiten. Die Grundrisse sind völlig offen und lassen dem Unternehmen jeden Spielraum, die Fassade ist zweischichtig ausgeführt: Vor einer unsichtbaren Glasfront hängt ein schuppiges Geflirre zartbunter Gläser. Was von der Ferne betrachtet gewissermaßen monolithische Würde aufweist, löst sich beim Näherkommen in seine Elemente auf.

Wie er dieses erste Projekt einschätzt und wie es überhaupt zu diesem umfangreichen Zukunftsprojekt eines Konzerns kam, erklärt Mastermind Vittorio Lampugnani im Interview mit dem ALBUM.

Lampugnani: Novartis-CEO Daniel Vasella wünschte sich für das Sankt-Johann-Areal in Basel einen Masterplan, der eine städtebauliche Strategie vorgeben sollte; keine isolierte, spektakuläre Architektur. Er hat uns gebeten, ein Projekt zu erarbeiten.

Das Resultat ist eine betont strenge Angelegenheit geworden. Warum?
Stimmt. Der Masterplan ist streng, aus verschiedenen Gründen. Wir wollten einerseits einen klar erkennbaren neuen Stadtteil in Basel machen, einen städtischen Campus, und andererseits an die alte Fabrik erinnern, die auch einem prägenden geometrischen Plan folgt. Doch neben diesen nostalgischen gibt es auch pragmatische Gründe: Unter dem Areal liegt eine gigantische technische Struktur für Wasseraufbereitung und Energieversorgung, an der wir uns orientieren mussten, wollten wir etwas Realisierbares entwerfen.

Besteht in Anbetracht der monotonen Blöckchen nicht die Gefahr einer gewissen Fadesse?
Lampugnani: Der Ort wird keineswegs langweilig, wenn die Gebäude unterschiedlich sein werden. Die meisten Städte, die wir lieben, haben einen strengen Grundriss und leben von unterschiedlichen Hausstrukturen. Wir wollten kleine Bauten haben, damit für die Leute der Anreiz besteht, hinauszugehen und das Nachbarhaus zu besuchen. Außerdem bietet diese Kleinteiligkeit größere Flexibilität innerhalb einer großen Organisation, deren künftige Struktur ja nicht absehbar ist.

Wie wird das Projekt nun weiter vorangetrieben?
Lampugnani: Es wird für alle wichtigen Bauten dieser kleinen Stadt Gutachterverfahren geben, zu der jeweils hervorragende Architekten eingeladen werden. Eines ist mit dem Pharma-Hauptgebäude bereits gelaufen, weitere sind im Gange. Der erste Stadtteil entlang der Fabrikstraße im Bereich des Einganges soll innerhalb der nächsten sieben Jahre fertig gestellt sein. Der Masterplan ist dabei das Instrument, sämtliche Maßnahmen in die richtige Richtung zu lenken. Bis das Areal so aussieht, wie wir es gezeichnet haben, wird es 30 Jahre dauern.

Über das erste Projekt wurde nun via Gutachter entschieden. Entspricht das Resultat Ihren Vorstellungen?
Lampugnani: Es ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe, aber gerade das ist das Spannende. Wir wollen neue gute Ideen haben, sie müssen allerdings dem städtischen Konzept verpflichtet sein. Es soll kein Freilicht-Architekturmuseum entstehen, sondern ein Ort zum Arbeiten und Leben.

Es ist nicht besonders gängig, dass sich ein Unternehmen eine kleine Forschungsstadt leistet. Warum tut es Novartis?
Lampugnani: Die Entscheidung hängt natürlich stark mit der Person und Vision des Chefs zusammen und ist ebenso mutig wie innovativ. Doch gibt es bereits jetzt Imitatoren, die Ähnliches gestartet haben, ein Pharmaunternehmen in der Schweiz etwa, oder Siemens in München. Die Erkenntnis, dass man große Gebäudestrukturen umfassend planen muss, setzt sich durch. Neu ist hier allerdings der Umstand, dass das Unternehmen nicht als Developer auftritt, sondern diesen Schritt für sich selbst setzt. Und dass im Campus versucht wird, eine neue Art zu arbeiten mithilfe der Architektur umzusetzen. Ich stelle mir vor, dass die Leute unter den Arkaden sitzen, besprechen, Kaffee trinken, dass lebhafter und produktiver Austausch zwischen den Gebäuden herrscht, dass jemand, der etwas schreiben muss, seinen Laptop nimmt und sich in den Park zurückzieht.Das Vorhaben ist ein Experiment: architektonisch, aber auch und vor allem sozial.



verknüpfte Ensembles
Novartis Campus

Ensemble

9 | 8 | 7 | 5 | 6 | 4 | 3 | 2 | 1