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Presseschau

01. September 2008Klaus Englert
TEC21

Kunst elektrisiert

Madrid erlebt momentan einen regelrechten Museumsboom. Manche beschwören schon ein neues «siglo de oro», ein neues Goldenes Zeitalter, herauf, denn im Herzen Madrids wird derzeit eine Kunstmeile vollendet, die alles Dagewesene in Spanien in den Schatten stellt.

Madrid erlebt momentan einen regelrechten Museumsboom. Manche beschwören schon ein neues «siglo de oro», ein neues Goldenes Zeitalter, herauf, denn im Herzen Madrids wird derzeit eine Kunstmeile vollendet, die alles Dagewesene in Spanien in den Schatten stellt.

Entlang dem Paseo del Prado, der von der prachtvollen Plaza Cibeles im Norden bis zum Bahnhof Atocha im Süden führt, befinden sich in kurzer Entfernung die drei wichtigsten Kunstsammlungen Madrids: Museo Thyssen-Bornemisza mit den Sammlungen von Heinrich und Carmen Thyssen-Bornemisza, Museo Nacional del Prado mit den königlichen Sammlungen und Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía mit Werken aus dem 20. Jahrhundert. Die Museumsmeile «Paseo del Arte» umfasst die Erweiterung dieser grossen Kunstsammlungen sowie die Errichtung der gerade fertiggestellten Kunsthalle Caixa Forum der renommierten katalanischen Stiftung La Caixa. Damit ist das ambitionierte Projekt «Paseo del Arte» noch nicht abgeschlossen, denn Prado-Direktor Miguel Zugaza möchte sein Museum durch Hinzunahme des angrenzenden Museo del Ejército (Heeresmuseum) und des Casón del Buen Retiro zum «Campus del Museo del Prado» vereinen, um zusätzliche Ausstellungsflächen und ein Forschungszentrum zu erhalten. Zu guter Letzt kommt noch die städtebauliche Umgestaltung des Paseo del Prado durch den Portugiesen Alvaro Siza hinzu.

Der Umbau der drei namhaften staatlichen Museen am Paseo del Prado konnte im Herbst 2007 mit dem von Rafael Moneo gestalteten Erweiterungsbau des Museo del Prado beendet werden. Im Februar folgte schliesslich die private Kunsthalle der Stiftung La Caixa. Lange mussten die Madrider auf das mit viel Vorschusslorbeeren bedachte Caixa Forum des Basler Teams Herzog & de Meuron warten. Doch nun braucht man nur die Strasse zu überqueren, um vom Prado zur neuen Kunsthalle zu gelangen. Auch der erweiterte Musentempel Museo Thyssen-Bornemisza und das Museo Reina Sofía mit Jean Nouvels aufsehenerregendem Anbau befinden sich in unmittelbarer Nähe.

Herzog & de Meuron stellten sich der anspruchsvollen Aufgabe, die denkmalgeschützten Umfassungsmauern eines Elektrizitätswerks, der «Central Eléctrica del Mediodía» von 1899, nahezu komplett in den Museumsneubau zu integrieren. Arata Isozaki hatte es etwas einfacher, als er sechs Jahre zuvor für die Caixa Forum-Kunsthalle in Barcelona den Ziegelbau der 1911 von Josep Puig i Cadafalch errichteten modernistischen Tuchfabrik lediglich um einen abgesenkten Eingangsbereich erweiterte. Herzog & de Meuron akzentuierten nicht nur die spannungsvollen Beziehungen zwischen Alt- und Neubau, sie erklärten das neue Museum schlechthin zum «Magneten» für ganz Madrid. Gemessen an der moderaten Formensprache des «klassizistischen» Prado-Annexes gingen die Schweizer Baumeister ein grösseres Wagnis ein. Sie wollten beweisen, wie radikal zeitgenössisches und fantasievolles Bauen in einem traditionellen städtischen Umfeld möglich ist. Nun, der Nachweis ist ihnen zweifellos geglückt.

Gebirgsmassiv

Gegenüber des Königlichen Botanischen Gartens gelegen, ragt das Caixa Forum aus dem leicht ansteigenden Wohnviertel wie ein Gebirgsmassiv empor. Der neue Baukörper wurde auf die bestehende Ziegelfassade des Elektrizitätswerks aufgestockt, während man den Granitsockel des Altbaus abriss. Die hochgezogene Fassade versteht Jacques Herzog als «zerklüftete Landschaft», geprägt von Schrägen und Einbuchtungen. Dabei orientiert sich das Rot der gusseisernen Fassadenplatten an den Dachziegeln der angrenzenden Wohnbauten. Diese Platten gehören zur architektonischen Attraktion des Museums: Sie besitzen alle ein engmaschiges Perforationsraster, ausserdem unregelmässig geformte Einschnitte. Diese Module schirmen das aufgepfropfte Gehäuse wie eine Aussenhaut ab. Herzog & de Meuron interessieren sich seit mehreren Jahren für diese hybriden Konstruktionselemente, die sie wegen ihrer textilen und dekorativen Eigenschaften schätzen. Auch in der im Bau befindlichen «Ciudad del Flamenco» von Jérez de la Frontera kommen diese Elemente, die an die Fassadenstruktur der Moschee von Córdoba (784–987 n. Chr.) erinnern, zum Einsatz. Die «porösen» Platten des Caixa Forum funktionieren gleichzeitig als Fassade und Fensteröffnung: Sie schliessen ab, leiten aber zugleich gedämpftes Licht in die Museumsräume, in denen sie für ein angenehmes Clair-obscur sorgen.

Pilzdach

Auch konstruktionstechnisch hebt sich der hochkomplexe Baukörper von allen anderen Museumsprojekten auf dem Paseo del Arte deutlich ab (siehe «Dreibein, Korsett und Regenschirme», S. 24 ff.). Harry Gugger, Partner von Herzog & de Meuron, erklärte dazu: «Anfangs dachte niemand an die enormen Schwierigkeiten, die das Projekt mit sich brachte. Zunächst galt es, das Gebäude abzustützen, erst danach konnte der Granitsockel des Altbaus entfernt werden.» Das gesamte Gebäude lastet in den Untergeschossen auf drei mächtigen Pfeilern, die aus dem Fundament ragen. Doch davon bemerkt der Besucher nichts. Er nimmt nur den verkleideten Betonkern wahr, einen mächtigen Stängel, über dem sich das Gebäude wie ein Pilzdach wölbt. Dieser prismatisch geformte Eingangsbereich mit öffentlichem Platz unter dem schützenden Dach mutet wie expressionistische Filmarchitektur an. Die in den zwei Untergeschossen untergebrachten Säle, an deren Wände perforierte Aluminiumplatten angebracht wurden, sind allesamt stützenlos. Ebenso die Ausstellungssäle in der zweiten und dritten Etage. In den fünf oberen Geschossen, die sich über dem buchstäblich aufgelösten Sockelgeschoss erheben, demonstrieren die Basler, wie man Räume sinnlich gestaltet: Im Restaurant hängen tropfenförmige Lampen aus der Werkstatt von Herzog & de Meuron. Die Treppenhausspirale mit ihren elegant geschwungenen Ecken erstrahlt in blendendem Weiss. Und im Foyer überrascht der ruppige Charme eines von Neonröhren, Stahlboden und unverdeckten Ablüftungsrohren geprägten Industrie-Ambientes. Das Direktorenzimmer mag zunächst klaustrophobische Ängste wecken, bis man die Fensterschlitze unterhalb der Decke entdeckt.

Seit Langem gehört es zum Arbeitsprinzip von Herzog & de Meuron, mit bildenden Künstlern und Fotografen zusammenzuarbeiten. Diesmal luden sie den französischen Gartenkünstler Patrick Blanc ein, auf dem öffentlichen Vorplatz, der früher von einer Tankstelle verstellt war, landschaftsarchitektonische Akzente zu setzen. Blanc gestaltete die Brandmauer eines den Platz einfassenden Gebäudes als lebendige Pflanzenwand. An dieser quer zur Kunsthalle emporragenden Wand wachsen 15 000 Pflanzen von 250 verschiedenen Arten, aufgehängt an einem metallischen Gewebe, das gleichzeitig als Bewässerungssystem dient. Gegenüber dem Botanischen Garten zweifellos ein unwiderstehlicher Blickfang für die Passanten am Paseo del Prado.

Das Caixa Forum wird sich als machtvolle Konkurrenz zum benachbarten Museo Reina Sofía entwickeln. Beide Institutionen haben sich in Spanien als führende Museen für die Kunst des 20. Jahrhunderts etabliert, allerdings liegt der Sammlungsschwerpunkt des Caixa Forum mehr auf der Gegenwartskunst, beginnend mit den Nachkriegsströmungen um Joseph Beuys, Bruce Nauman, Bill Viola, Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Georg Baselitz. Ähnlich wie das Museo Reina Sofía, das seit Kurzem der experimentierfreudige Manuel Borja Villel leitet, wird man nicht nur auf Ausstellungen setzen, sondern auf Konzertreihen, Debatten und ungewohnte Veranstaltungsformen. Die Rivalität der beiden Institutionen am Paseo del Prado dürfte sich als befruchtend erweisen.



verknüpfte Bauwerke
Paseo del Prado
Museo del Prado - Erweiterung
Reina-Sofía-Museum



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2008|36 Transformiert

21. Februar 2008Markus Jakob
Neue Zürcher Zeitung

Eiserner Schmetterling

(SUBTITLE) Das neueröffnete «Caixa-Forum» von Herzog & de Meuron in Madrid

Als sich die katalanische Sparkasse La Caixa um 1985 als Kulturvermittlerin zu profilieren begann, genoss die Gegenwartskunst in Spanien noch wenig öffentlichen Rückhalt. Nun setzt die Bank mit dem Caixa-Forum von Herzog & de Meuron in Madrid ein Zeichen.

Als sich die katalanische Sparkasse La Caixa um 1985 als Kulturvermittlerin zu profilieren begann, genoss die Gegenwartskunst in Spanien noch wenig öffentlichen Rückhalt. Nun setzt die Bank mit dem Caixa-Forum von Herzog & de Meuron in Madrid ein Zeichen.

Spaniens grösste Sparkasse mischt nicht nur im spanischen Finanz-, Energie- und Industriesektor mit, sondern ist durch die Fundación La Caixa auch einer der Hauptakteure im Kulturleben des Landes. Mit einem Jahresetat von 500 Millionen Euro (2008) gilt diese als eine der fünf bestdotierten Stiftungen der Welt. Drei Fünftel des Budgets werden für soziale Belange aufgewendet, je etwa 80 Millionen fliessen in die Bereiche Forschung und Umwelt sowie Kultur. Und wie sich das einst von Joan Miró geschaffene Firmensignet der Sparkasse von ihrem Hauptsitz Barcelona aus über ganz Spanien verbreitet hat, so expandiert La Caixa auch als Kunstinstitution. In Madrid war sie bisher mit Ausstellungsräumen an der vornehmen Calle Serrano präsent. Dass sie nach Höherem strebt, macht nun – schräg gegenüber dem Prado, halbwegs zwischen der Sammlung Thyssen und dem Museum Reina Sofía – das jüngst eröffnete Caixa-Forum Madrid deutlich.

Transformation

Die Ortswahl mag smart erscheinen. Doch das Grundstück hatte einen kleinen Kunstfehler. Miterworben werden musste nämlich ein um 1900 errichtetes, denkmalgeschütztes Elektrizitätswerk. Vom Paseo del Prado zurückversetzt, verborgen hinter einer Tankstelle, stellte dieses Ziegelsteinüberbleibsel mit seinen seit je blinden Fenstern die Architekten vor eine in mehrfacher Hinsicht tückische Aufgabe. Die Nutzfläche auf 10 000 Quadratmeter zu verfünffachen, ohne die bestehenden Baulinien der engmaschigen Gassen hinter der Prachtavenue zu verletzen; den Altbau in seiner äusserlichen Unscheinbarkeit intakt zu belassen und ihn, unter Rücksichtnahme auf den urbanen Kontext, zugleich in eine architektonische Ikone zu verwandeln – so ungefähr lautete der Bauauftrag, der 2002 an die Basler Architekten Herzog & de Meuron erging.

Ihn zu erfüllen, bedingte eine Aufstockung des Altbaus von drei auf fünf Geschosse; zwei weitere wurden unterirdisch eingezogen. Das Sockelgeschoss hingegen wurde buchstäblich aufgelöst, um den Eingangsbereich als gedeckte Plaza zu gestalten – in Fortsetzung des auf den Paseo del Prado sich öffnenden, durch die Beseitigung der einstigen Tankstelle gewonnenen Freiraums. Seitlich flankiert diesen Platz eine Brandmauer, die vom Landschaftsarchitekten Patrick Blanc in einen vertikalen Garten verwandelt wurde. Dieser befremdlich-anmutige Pflanzenteppich ist auch als Pendant zum Botanischen Garten zu verstehen, dessen Haupteingang künftig gegenüber dem Caixa-Forum zu liegen kommen soll – gemäss Alvaro Sizas Entwurf für die Neugestaltung jener Mischung aus Autobahn und Stadtwäldchen, die der Paseo del Prado ist.

In der Schwebe

Bekämpft von einer durch Carmen Thyssen angeführten Schildbürgerbewegung, befindet sich das Siza-Projekt allerdings weiterhin in der Schwebe. Der Begriff des Schwebens trifft übrigens auch auf das Bauwerk der Schweizer Architekten zu. Scheinbar unvereinbare Anforderungen austarierend, hält es die Balance zwischen Diskretion und Dissonanz. So sind die willkürlich anmutenden Volumina des Aufbaus fast mimetisch den chaotischen Dachformen der unmittelbaren Umgebung nachempfunden; und ihr rostiges, im oberen Teil perforiertes Stahlkleid hebt sich so krass von den Ziegeln des Altbaus ab, wie es sich mit ihnen – nicht nur farblich – zu verbrüdern versucht.

Nachgerade zu levitieren aber scheint dieser Zwitter durch das Fehlen des Sockels. Vom Eindruck des Schwebens aus der Ferne bis zur Empfindung der Schwere, sobald man unter die Baumasse tritt, erinnert diese überdachte «Plaza» an den ersten Bau, den Herzog & de Meuron in Spanien verwirklichen konnten: das blaue, Edificio-Forum genannte Dreieck am Strand von Barcelona. Nicht zu verwechseln mit dem 2002 eröffneten Caixa-Forum Barcelona, das – von andern Architekten verantwortet – indessen gleichfalls den Vergleich mit dem Madrider Kraftwerk herausfordert. Denn auch hier war es ein ziegelsteinernes Industriefossil, dessen Umbau ingenieurtechnische Bravour erforderte. In Barcelona verrät der von Arato Isozaki gestaltete Erschliessungsgraben nichts mehr von der delikaten Aufgabe, vor die sich der Statiker Robert Brufau gestellt sah, als er die hauchfeinen Ziegelmauern der märchenhaften, 1911 von Puig i Cadafalch vollendeten Fabrikanlage von ihren Fundamenten zu lösen hatte. Für den Madrider Bau von Herzog & de Meuron hingegen ist eben dieses Wagestück auch nach der Vollendung kennzeichnend. Erst unter den Silberkeilen der «Plaza»-Decke wird man der drei Kerngehäuse gewahr, die das alte Gemäuer und seinen Überbau stützen.

Das in einem originalgetreu restaurierten, bloss mit einem neuen Untergrund versehenen Meisterwerk der Industriearchitektur untergebrachte Caixa-Forum Barcelona ist mit jährlich 1,6 Millionen Besuchern eines der meistbesuchten Museen der Stadt. Das Caixa-Forum Madrid – hervorgezaubert aus einem vergleichsweise simplen Fabrikbau – wird ihm darin nicht nachstehen. Nachträglich erst zur Preziose umgeformt, und zwar ironischerweise von katalanischen Bauherren, eignet ihm eben auch deshalb etwas Symptomatisches für die ewige, nun in vieler Hinsicht zugunsten der einst hinterwäldlerischen Hauptstadt kippende Rivalität der beiden Metropolen.

Zur Eröffnung werden auf den beiden Ausstellungsgeschossen 34 der mittlerweile über 700 Werke umfassenden Sammlung der Stiftung präsentiert. Als Querschnitt durch die Oberliga der Gegenwartskunst nicht besonders originell, ist diese, was das Niveau der einzelnen Werke betrifft, in Spanien wohl dennoch weiterhin unübertroffen. Bei einer Stiftung, die für Kultur jährlich 80 Millionen Euro auszugeben hat, kommt freilich nicht nur die Crème de la Crème zum Zug. Wie hochrangig aber auch immer: Die von La Caixa ausgerichteten Ausstellungen, Konzertreihen, Debatten und Events aller Art werden stets an den von ihr selbst gesetzten Standards gemessen werden, und diese zielten nicht durchwegs auf möglichst hohe Besucherzahlen ab. Doch schon jetzt strömen die Besucher in hellen Scharen in das Madrider Caixa-Gebäude, das – so der ausführende Architekt Harry Gugger – «nur ein Instrument ist, das noch gestimmt werden muss».

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