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Presseschau

27. Juli 2008Franziska Leeb
Spectrum

Kein Topf, kein Nest, kein Kessel

Der diesjährige Plischke-Preis wurde verliehen. The winner is: das Fußballstadion Letzigrund in Zürich. Zu Recht. Wie sich eine Jury einer aktuellen Doktrin widersetzt.

Der diesjährige Plischke-Preis wurde verliehen. The winner is: das Fußballstadion Letzigrund in Zürich. Zu Recht. Wie sich eine Jury einer aktuellen Doktrin widersetzt.

Eine differenzierte Architektur des zweiten und dritten Blicks“ zu würdigen ist Absicht der Initiatoren des Ernst-A.-Plischke-Preises. Ausgelobt hat ihn die vor fünf Jahren zum 100. Geburtstag des Architekten und langjährigen Lehrers an der Akademie der bildenden Künste gegründete Ernst-A.-Plischke-Gesellschaft, die mit dem Preis das Erbe Plischkes vergegenwärtigen möchte. Verliehen wurde er im Anatomiesaal, im Souterrain der Akademie der Bildenden Künste, wo Plischke von 1963 bis 1973 jeden Dienstag seine Vorlesung hielt. Etwas improvisiert, ein wenig schrullig, aber dennoch trotz großer Hitze recht würdevoll und herzerwärmend sympathisch zelebriert, glich die Veranstaltung einem großen Familientreffen, zu dem Mitglieder, Freunde und Sympathisanten der Plischke-Gesellschaft auch von fern angereist waren.

Bewerben kann man sich für den Preis nicht, sondern man wird dafür von den Mitgliedern des Vereins nominiert. Das wirkt vorerst eigen und riecht ein wenig nach Freunderlwirtschaft. Wer wen nominiert hat, ist jedoch aus der anlässlich des Preises im Verlag Anton Pustet erschienenen Publikation ersichtlich. Sogar die Termine der Jurysitzungen und Besichtigungsfahrten (und wer daran teilgenommen hat) sind festgehalten. Man kann sich ein unterhaltsames kleines Spiel daraus machen, Beziehungen oder gar Naheverhältnisse zwischen Nominierenden und Nominierten aufzuspüren, und muss schlussendlich anerkennen, dass die Entscheidungen für die acht Anerkennungen und den mit 10.000 Euro (die übrigens von den Vereinsmitgliedern aufgebracht wurden) dotierten Plischke-Preis mit Sorgfalt getroffen wurden. Es sind nicht nur aktuellste Bauten, die vorgeschlagen wurden. Manche von ihnen gingen schon vor über zehn Jahren durch die Medien, wie „La Congiunta“, das Haus für die Skulpturen des Bildhauers Hans Josephsohn im Tessin von Peter Märkli, oder das Domizil für einen Pianisten in Tirol von Margarethe Heubacher-Sentobe. Diese Gebäude erhielten ebenso eine Anerkennung für hohe Qualität wie die bedächtig nach und nach aus traditionellen Materialien in den Hang der Kinderalm in St. Veit im Pongau gefügte Anlage des Frauenklosters „Maria im Paradies“ von Matthias Mulitzer, das Badehaus Schörfling am Attersee von Luger & Maul, die Generali Foundation von Jabornegg & Palffy, das Wohnhaus B-B im Burgenland von Artec, die Seebühne Lunz am See von Hans Kupelwieser und Werkraum Wien und die Grenzstation Tisis von den Aix Architects aus Feldkirch.

Der Hauptpreis ging an das Stadion Letzigrund in Zürich, geplant von Marie-Claude Bétrix & Eraldo Consolascio mit Frei & Ehrensperger Architekten. Es ist kein Topf, kein Nest, kein Kessel mit hermetisch nach außen abgeschlossener Hülle, die als Wahrzeichen und Werbeträger oder anderweitig kommerziell genutzt werden könnte. Die Zürcher widersetzten sich dieser aktuell gültigen internationalen Doktrin und setzten statt dessen eine zur Umgebung hin offene Struktur, die in erster Linie auf die Interessen der Bürger und Nutzer und weniger auf jene der internationalen Fußballverbände abgestimmt ist.

Das Stadion ersetzt den bereits 1925 eröffneten Vorgängerbau, eine im Lauf der Zeitmehrmals ausgebaute multifunktionale Anlage, die neben Fußballveranstaltungen das jährliche Leichtathletik-Meeting ebenso beherbergte wie Konzertveranstaltungen. Um als Austragungsort für Großveranstaltungen konkurrenzfähig zu bleiben, entschloss man sich im Hinblick auf die Fußballeuropameisterschaft für einen Neubau.

Eigentlich sollte der ja an Stelle des Hardturm-Stadions in Form eines Megaprojekts mit kommerzieller Mantelnutzung entstehen, wogegen sich die Bevölkerung jedoch erfolgreich wehrte. Bauherrin und Eigentümerin des Letzigrund ist die Stadt Zürich, die darauf bedacht war, das innerhalb eines Wohnquartiers gelegene Stadion trotz erhöhter Sicherheitsanforderungen weiterhin als Identitätsträger für die Bevölkerung zu positionieren. Man wünschte sich eine Anlage, die auch die Bedürfnisse der regionalen Bevölkerung einbezieht.

Bétrix und Consolascio konzipierten eine Sport- und Veranstaltungsarena, die an drei Seiten zum angrenzenden Quartier hin durchlässig ist. Indem sie die Spielfläche etwa acht Meter unter das bestehende Gelände absenkten, sodass die obersten Tribünenreihen sich etwa auf Straßenniveau befinden, konnten sie das überirdische Gebäudevolumen stark reduzieren. Erschlossen wird über eine umlaufende Rampe. Darüber liegt auf sich nach oben hin verjüngenden Stützenpaaren aus Cortenstahl das schlanke Band des leicht geknickten und geneigten Daches. Anstatt eines Topfes, der keinerlei Bezug zur Umgebung hat, setzte man auf eine Art Amphitheater mit leichtem Sonnensegel, das sich organisch in das Quartier einfügt und nicht nur Ein- und Ausblicke erlaubt, sondern tatsächlich auch als städtischer Freizeitraum außerhalb von Veranstaltungen für die Bevölkerung zugänglich ist. Natürlich gibt es aus Sicherheitsgründen eine robuste Einzäunung. Die ist aus vertikal angeordneten Corten-Flachstählen gebildet und visuell durchlässig. Acht Durchgänge gewähren Einlass und werden nur im Fall einer Großveranstaltung mit Drehkreuzen geschlossen.

Ein Stadion für die Bürger also, schließlich haben die es auch aus ihren Steuergeldern finanziert. Bétrix & Consolacio haben die städtischen Vorgaben virtuos in Architektur gegossen.

„Ein Stadion muss auch dann gut aussehen, wenn es nicht voll ist“, sagt Eraldo Consolascio. Das Rot der Sitze, das Rostbraun von Cortenstahl, die Dachuntersicht aus Robinienholz und die extensiv begrünte Dachfläche, in die auch noch Solarpaneele mit einer Gesamtfläche von 2500 Quadratmetern aufnimmt, sorgen für ein angenehmes, Harmonie ausstrahlendes Flair und machen die Anlage zu einem Ort, der auch dann Stimmung vermittelt, wenn er unbespielt ist.

Bauten, die nicht nur auf eine spektakuläre äußere Erscheinung setzen, sondern wo Konstruktion und Bauplastik im Einklang stehen und das Ganze eine Synthese von Gestalt und Zweck ergibt, wollten die Auslober des Plischke-Preises vor den Vorhang holen. Solche Bauten erschließen sich nicht gleich beim oberflächlichen Hinschauen, sondern bedürfen eines zweiten und dritten Blicks. Das Stadion Letzigrund erfüllt diese Kriterien gleichermaßen mit Hausverstand wie Grandezza.

01. Juni 2008Rolf Mauer
db

Letzigrund Stadion Zürich

JuryBegründung: Das Bauwerk fügt sich wie selbstverständlich und bescheiden ins Stadtbild und ist für ein Stadion angenehm unspektakulär. In der Durcharbeitung und Umsetzung wird die gemeinsame, gelungene Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur deutlich.

JuryBegründung: Das Bauwerk fügt sich wie selbstverständlich und bescheiden ins Stadtbild und ist für ein Stadion angenehm unspektakulär. In der Durcharbeitung und Umsetzung wird die gemeinsame, gelungene Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur deutlich.

Wer im Zürcher Stadtteil Altstetten den Letzigraben in Richtung FC Zürich Platz entlanggeht, trifft linker Hand, zwischen kleinbürgerlicher Wohnbebauung, auf das Freibad Letzigraben des Schweizer Schriftstellers und Architekten Max Frisch. Das 1949 eröffnete Bad blieb sein einziges größeres Gebäude und steht heute als Max-Frisch-Bad unter Denkmalschutz. Nur einige Schritte entfernt liegt das neue Stadion Letzigrund. Die räumliche Nähe der beiden Sportanlagen scheint auf den Entwurf des Stadionneubaus stillen Einfluss genommen zu haben. Die gewaltige Dachkonstruktion des Stadions senkt sich zum FC Zürich Platz so weit zur Straße, dass es wie eine angedeutete Fortführung der Traufhöhe des Freibades wirkt. Für die gesamte Anlage haben die Erlenbacher Architekten Bétrix & Consolascio in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren Walt Galmarini eine Maßstäblichkeit gewählt, die für Stadionbauten ganz untypisch ist.

Ebenso untypisch ist bereits der Standort des Neubaus mitten in der Stadt. Weil durch große Ansammlungen von Menschen Probleme entstehen können, wählt man für Sportstätten städtische Randlagen oder erschließt außerstädtische Bereiche. Dort entstehen dann meist spektakuläre Architekturmarken, deren Sinnhaftigkeit nur wenig mehr als neunzig Minuten dauert und die danach wieder zu abgeschirmten, stark gesicherten Festungen geschlossen werden.

In Zürich-Altstetten ist alles anders. Das 1925 erbaute Vorgängerstadion lag anfangs noch außerhalb der Stadt in Sichtweite des Arbeiterviertels Aussersihl. Mit den Jahren umschloss Zürich den Bereich mit einer Mixtur aus Gewerbe- und Industrieareal, Banken- und Einkaufszonen sowie Wohnhochhäusern wie den Hardau-Türmen, die lange Zeit die höchsten Hochhäuser der Schweiz waren. Mitten in einem Wohnquartier gelegen wurde der Altbau trotz der Belastungen für die Anwohner ein populärer Identitätsträger. Um das geplante Abwandern sportlicher Veranstaltungen aus Zürich zu verhindern und die Teilnahme Zürichs an der »Euro 2008« zu sichern, blieb nur der Abriss und Ersatz des alten Stadions. Als Sieger eines 2003 veranstalteten Wettbewerbes mit zwölf eingeladenen Büros wurden die Architekten 2005 beauftragt, den Neubau noch im November 2005 an gleicher Stelle zu beginnen. Die Planer hatten sich für eine Absenkung der gesamten Spiel- und Leichtathletikfläche um etwa acht Meter unter das Straßenniveau der Herdernstraße entschieden und vergruben so einen Großteil des Gebäudevolumens in der Erde. Die etwa auf Straßenniveau befindlichen obersten Sitzreihen der Tribünen entlang der Herdernstraße variieren in der Höhe und bilden das natürliche Gefälle der Straße nach, während der geneigten Dachkonstruktion durch die niedrige Traufhöhe zur Herdernstraße hin viel von ihrer optischen Höhe genommen wird. Den Tribünen an der Herdernstrasse gegenüber befindet sich die Westtribüne, mit den VIP-Logen, Mannschafts- und Trainingsräumen sowie dem Restaurant »Oval«, von dem aus sich Stadion und Stadtviertel überblicken lassen. Der Haupteingang zum Tribünengebäude liegt auf der Ebene der neben dem Stadion gelegenen Trainingsfelder. Auf drei Seiten besitzt der Komplex keine Fassade und lässt einen ungehinderten Durchblick zu, nur von Westen her ist die Außenseite des Tribünengebäudes als geschlossenes Bauwerk wahrnehmbar.

Ein »fliegendes« Wahrzeichen

Über dem gesamten Rund »schwebt«, als flaches Band auf 31 Stützenpaaren stehend, eine aus der Horizontalen gekippte Dachkonstruktion. Die Stützenpaare nehmen die Druck- und Zugkräfte des Daches mit Auskragungen bis zu 32 Meter auf und sind trotz der unterschiedlichen Beanspruchungen annähernd in den gleichen Dimensionen ausgeführt. Alle Stützen wurden einzeln in einem dreidimensionalen Verfahren berechnet, um die gewaltige Hebelwirkung der bis 45 Meter langen und 52 Tonnen schweren Binder und die zusätzliche Dachlast zuverlässig ermitteln zu können. Eine Untersicht aus heller ungarischer Robinie lässt das Dach leicht erscheinen, die Verkleidung aus rostendem Cortenstahl dagegen die Zug- und Druckstützen vor dem Stadionhintergrund fast verschwinden. Die Wirkung eines schwebenden Daches könnte nicht überzeugender sein.

So wie sich der gesamte Neubau auf seine wesentlichen Bestandteile, Dach, Tribüne, Spielfeld reduziert darstellt, überzeugt auch der Innenausbau durch die Auswahl weniger Materialien mit einer sorgfältigen Detailplanung. Anthrazit eingefärbter Beton, Stahl und Glas bilden die vorherrschenden, gegeneinander scharf abgegrenzten Oberflächen. Dem Bonmot »Ist ein Gebäude(teil) zu lang, verlängere es« des Tessiner Architekten Luigi Snozzi folgend, sind die Flure des Tribünengebäudes nicht unterteilt, sondern durchziehen die gesamte Gebäudelänge mit einer surrealistischen Wirkung von Unendlichkeit. Generell ist eine Atmosphäre von Leichtigkeit und Offenheit zu spüren, die sich aus den Innenräumen nahtlos nach außen fortsetzt. Das Letzigrund Stadion ist nicht nur eine öffentliche Sportanlage, sondern steht den Anwohnern auch als städtische Freifläche zur Verfügung. Den Spagat aus den Sicherheitsanforderungen für internationale Sportveranstaltungen und der Durchlässigkeit einer öffentlichen Fläche bewältigten Bétrix & Consolascio, indem sie die Zugangskontrolle an den Rand der Gesamtanlage verlegten. Das Gelände ist mit einem Zaun aus senkrecht zur Straße stehenden Corten-Flachstählen abgetrennt, die eine ungehinderte Durchsicht ermöglichen und durch acht Tore unterbrochen sind. Bei Bedarf können die Tore geschlossen und mit Drehkreuzen kontrolliert werden, die übrige Zeit steht der Zugang zum Stadion, nicht jedoch die Spielfläche, jedem Besucher offen. Der innerstädtischen Lage geschuldet ist der Umstand, dass am Letzigrund keine Parkmöglichkeiten angeboten werden. Die fast 31000 Zuschauer von Sportveranstaltungen wie der »Euro 2008« und die knapp über 50000 Besucher von Konzerten sind gezwungen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen.



verknüpfte Zeitschriften
db 2008|06 Balthasar-Neumann-Preis 2008

22. Mai 2008Martin Schmid
anthos

Stadion Letzigrund – Umwelt und Nachhaltigkeit in Bauaufgabe und Bauprozess

2004 wählte eine Jury das Projekt der Architekten Bétrix & Consolascio/Frei & Ehrensperger für den Neubau des Stadions Letzigrund. Grosse Offenheit zum Quartier, die tiefe Lage im Terrain und das «fliegende Dach» zeichnen das Projekt aus. Das Gebäude erfüllt zudem in idealer Weise die Ansprüche der Stadt Zürich in ihren Umweltzielen.

2004 wählte eine Jury das Projekt der Architekten Bétrix & Consolascio/Frei & Ehrensperger für den Neubau des Stadions Letzigrund. Grosse Offenheit zum Quartier, die tiefe Lage im Terrain und das «fliegende Dach» zeichnen das Projekt aus. Das Gebäude erfüllt zudem in idealer Weise die Ansprüche der Stadt Zürich in ihren Umweltzielen.

Schon 2001 untersuchte das Amt für Hochbauten unter Beizug von Experten in der strategischen Planung für das neue Stadion die Themen im Bereich Umwelt. Die wichtigsten Ergebnisse daraus bildeten Rahmenbedingungen für den zweistufigen Gesamtplanungs-Studienauftrag, der 2003/2004 durchgeführt wurde.

Umweltthemen im Planungs- und Bauprozess

Im Rahmen des Vorprojekts fand mit dem Gestaltungsplan eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) statt. Die Erkenntnisse flossen in die Baubewilligung ein, waren Bestandteil des Baus und gelten auch für den Betrieb des neuen Stadions. Für den Bauprozess wurde eine Umweltbaubegleitung (UBB) eingesetzt. Beauftragte der Bauherrschaft überwachten zusammen mit der Totalunternehmung den gesamten Bauprozess auf der Umweltebene. Alle Umweltthemen wurden – eingebettet in das integrale Projektqualitätsmanagement (PQM) – systematisch und periodisch in Sitzungen besprochen. Wenn nötig leiteten die Fachplaner geeignete Massnahmen ein.

Zu den wichtigsten Themen bezüglich des Umweltschutzes während der Bauphase gehörten ein ausgeklügeltes Materialmanagement, der Grundwasserschutz, der Rückbau und das Recycling. Für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Gebäudes spielten Energie und Verkehr eine wesentliche Rolle.

Materialmanagement

Mit innovativen Planungsansätzen konnte das Materialmanagement während der Bauzeit optimiert werden. Infolge der Teilversenkung des Stadions fielen insgesamt etwa 350 000 Kubikmeter Aushub, Kies und Rückbaumaterialien an. Der daraus verursachte erhebliche Baustellenverkehr musste minimiert werden. Grundsätzlich sollten längere Transporte vermieden und möglichst grosse Mengen auf der Baustelle wieder verwendet werden. So kaufte ein Unternehmen frühzeitig den anfallenden Wandkies, der in einem Zwischenlager mit einer Kapazität von 40 000 Kubikmetern nahe der Baustelle gelagert wurde. Dadurch konnten grosse Mengen an Wandkies in der Stadt behalten und wieder verbaut werden. Weitere 40 000 Kubikmeter Wandkies wurden vor Ort zu Betonkies trocken aufbereitet, als «Letzibeton» verarbeitet und wieder eingebaut.

Die Unternehmer hatten weitere Auflagen zu erfüllen: Es mussten mindestens 4-Achser mit 32 Tonnen Gesamtgewicht eingesetzt werden, mindestens 95 Prozent aller Lastwagen mussten der EURO-3-Abgasnorm entsprechen, und es durfte nur schwefelfreier Dieseltreibstoff verwendet werden. Mit diesen Massnahmen konnten rund 7000 Lastwagenfahrten und 600 000 Transportkilometer sowie die entsprechende Luftbelastung vermieden werden. Der CO2-Ausstoss reduzierte sich um 380 Tonnen, der NOx-Ausstoss um 4,3 Tonnen und der Feinstaubausstoss um 110 Kilogramm.

Rückbau und Recycling

Insgesamt musste die Bauherrschaft rund 29 000 Kubikmeter Material fachgerecht entsorgen lassen. Dazu gehörten auch mit Schadstoffen belastete Bestandteile der alten Anlage. Der Laufbahnbelag der alten Tartanbahn beispielsweise enthielt Schwermetalle, die eine Entsorgung problematisch machten. Statt einer zulässigen Verbrennung fand der verantwortliche Unternehmer eine bessere Lösung: der Belag wurde zu Lärmdämmmaterial aufbereitet.

Im alten Stadion stellte man zudem geringe Mengen an Asbest fest. Diese Bauteile sowie auch die PCB-(Polychloridbiphenyl-)Fugen in der alten Tribüne wurden nach einem Überwachungs- und Schutzkonzept entsorgt.

Grünflächen

Fast das gesamte Stadiondach mit einer Fläche von 20 000 Quadratmetern ist extensiv begrünt und dient als ökologische Ausgleichsfläche. Das Dach ist ein wichtiger Baustein des Grünkorridors, der vom Uetliberg bis zum Gebiet des
SBB-Bahnkorridors in der Mitte der Stadt führt. Bis zu 17 verschiedene Bienenarten finden ihr Domizil auf diesem Dach. Zwei verschiedenfarbige Substrate bilden den Untergrund und sind spiralförmig angeordnet.

Alles anfallende Meteorwasser auf dem Gelände und dem Dach wird gefasst und in grossen Versickerungsgalerien ins Grundwasser eingespeist. Der Stadionrasen wurde auf einer Rasenfarm in Waidhofen (D) 14 Monate vor der Verlegung angesät und intensiv gepflegt. Er besteht aus drei Sorten Poa pratensis (Wiesenrispe) und Lolium perenne (ausdauerndes Weidelgras) in vier Sorten. Vier Wochen vor der Stadioneröffnung wurde der Rasen geerntet und in Bahnen im Stadion verlegt.

[ Martin Schmid, Projektleiter Stadion Letzigrund, Amt für Hochbauten der Stadt Zürich ]



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2008/2 Sport

19. Dezember 2007Roderick Hönig
hochparterre

Man höre und staune

Das Leichtathletik- und Fussballstadion Letzigrund ist nicht nur eine elegante Architekturskulptur und eine Meisterleistung der Ingenieure, sondern auch ein Klangort: Der Klangspezialist Andres Bosshard hat sich während eines Fussballspiels umgehört und kommentiert die akustische und visuelle Direktheit und Transparenz.

Das Leichtathletik- und Fussballstadion Letzigrund ist nicht nur eine elegante Architekturskulptur und eine Meisterleistung der Ingenieure, sondern auch ein Klangort: Der Klangspezialist Andres Bosshard hat sich während eines Fussballspiels umgehört und kommentiert die akustische und visuelle Direktheit und Transparenz.

Was ist das Sportzentrum Letzigrund für ein Klangort?

Während einem Fussballspiel ist das Stadion ein intensiver Klangort, ich würde sogar sagen ein Ruf- und Gesangsort. Er unterscheidet sich von anderen Stadträumen durch seine Offenheit. Tagsüber ist er sogar öffentlich zugänglich und bekommt damit eine Art Parkcharakter. Er hat ein klar definiertes Aussen: Auf der ums Stadion herum geführten Zugangsterrasse sind die Geräusche der Stadt präsent. Dann geht man durch eine tunnelartige Betonschleuse, der einzige Ort, der bei mir akustische Verwirrung
hinterliess. Höhepunkt aber ist die Arena selbst. Sie ist offen. Das Stadion ist akustisch gesehen eine spannende Mischform zwischen innen und aussen. Es verleiht dem Quartier eine eigene akustische Identität und ist einer der wichtigen Stadtklang-Brennpunkte von Zürich.

Die Form des Stadions ist aufgrund der Leichtathletikanlagen und der Sehwinkel der Zuschauer entstanden. Wie reflektiert die gewählte Geometrie Schall und Klang?

Das Oval ist die beste Form, um akustisch überhaupt nicht zu erscheinen, noch besser als die Kreisform. Man hört im Letzigrund förmlich, dass die Ecken fehlen, sie würden einen akustischen Fokus bilden. Akustisch gesehen hat der Torwart wahrscheinlich am meisten Sound, er steht im Brennpunkt der Kurven. Schön ist, dass man den offenen Raum auch akustisch spürt. Denn die Seitenwände sind so weit auseinander, dass sie bei der Dämpfung des Klangs keine Rolle mehr spielen. Hingegen ist der Raum auf der Nordseite des Stadions, dort wo die beiden Trainings-Spielfelder an die Nachbarhäuser grenzen, viel mehr akustischer Innenraum als das Stadion selbst. Wenn man so will, ist die Akustik umgestülpt: aussen der Innenraum, innen der Aussenraum.

Welche Wirkung hat die räumliche Offenheit auf die Akustik?

Das Stadion unterscheidet sich von anderen Stadien, in denen der Baukörper die Stimmen der Zuschauer zurückspiegelt und eine soziale Sphäre bildet. Im Letzigrund entsteht – nicht nur akustisch – kein Massengefühl und trotzdem entsteht keine Leere. Eine schöne Balance zwischen Offen- und Geschlossenheit.

Welche Rolle spielen Akustik und Klang für die Stimmung in einem Stadion?

Die akustische Orientierung ist eine Grundlage für Kommunikation und für Gemeinschaft. Für die Emotionen der Zuschauer ist die Akustik deshalb ein zentrales Element. In einem Stadion will sich der Zuschauer von den Emotions-Wellen, die das Spiel auslöst, mittragen lassen.

Was ist das Sportzentrum Letzigrund für ein Klangort?

Während einem Fussballspiel ist das Stadion ein intensiver Klangort, ich würde sogar sagen ein Ruf- und Gesangsort. Er unterscheidet sich von anderen Stadträumen durch seine Offenheit. Tagsüber ist er sogar öffentlich zugänglich und bekommt damit eine Art Parkcharakter. Er hat ein klar definiertes Aussen: Auf der ums Stadion herum geführten Zugangsterrasse sind die Geräusche der Stadt präsent. Dann geht man durch eine tunnelartige Betonschleuse, der einzige Ort, der bei mir akustische Verwirrung hinterliess. Höhepunkt aber ist die Arena selbst. Sie ist offen. Das Stadion ist akustisch gesehen eine spannende Mischform zwischen innen und aussen. Es verleiht dem Quartier eine eigene akustische Identität und ist einer der wichtigen Stadtklang-Brennpunkte von Zürich.

Die Form des Stadions ist aufgrund der Leichtathletikanlagen und der Sehwinkel der Zuschauer entstanden. Wie reflektiert die gewählte Geometrie Schall und Klang?

Das Oval ist die beste Form, um akustisch überhaupt nicht zu erscheinen, noch besser als die Kreisform. Man hört im Letzigrund förmlich, dass die Ecken fehlen, sie würden einen akustischen Fokus bilden. Akustisch gesehen hat der Torwart wahrscheinlich am meisten Sound, er steht im Brennpunkt der Kurven. Schön ist, dass man den offenen Raum auch akustisch spürt. Denn die Seitenwände sind so weit auseinander, dass sie bei der Dämpfung des Klangs keine Rolle mehr spielen. Hingegen ist der Raum auf der Nordseite des Stadions, dort wo die beiden Trainings-Spielfelder an die Nachbarhäuser grenzen, viel mehr akustischer Innenraum als das Stadion selbst. Wenn man so will, ist die Akustik umgestülpt: aussen der Innenraum, innen der Aussenraum.

Welche Wirkung hat die räumliche Offenheit auf die Akustik?

Das Stadion unterscheidet sich von anderen Stadien, in denen der Baukörper die Stimmen der Zuschauer zurückspiegelt und eine soziale Sphäre bildet. Im Letzigrund entsteht – nicht nur akustisch – kein Massengefühl und trotzdem entsteht keine Leere. Eine schöne Balance zwischen Offen- und Geschlossenheit.

Welche Rolle spielen Akustik und Klang für die Stimmung in einem Stadion?

Die akustische Orientierung ist eine Grundlage für Kommunikation und für Gemeinschaft. Für die Emotionen der Zuschauer ist die Akustik deshalb ein zentrales Element. In einem Stadion will sich der Zuschauer von den Emotions-Wellen, die das Spiel auslöst, mittragen lassen.

Weil das Letzigrund in erster Linie eine Leichtathletik-Arena ist, sind die Fussballfans nicht glücklich über die Akustik. Was raten sie Ihnen?

Es stimmt, die Fans müssen sich mehr anstrengen als im alten Stadion, denn es ist viel schwieriger, im neuen Stadion Stimmung zu erzeugen. Doch ich würde ihnen empfehlen, ein paar Klangexperimente durchzuführen, um die Wirkung ihrer Chöre zu optimieren. Von einer baulichen Optimierung, beispielsweise mit Plexiglas-Platten rund um die obersten Ränge, halte ich wenig: Man könnte die Akustik damit zwar verbessern, aber wenn die Fans von sich aus eine freche Antwort auf das neue Letzigrund finden, ist das doch viel spannender. Denn das Stadion ist auch akustisch gesehen ein offenes Spielfeld.

Wie beschreiben Sie den Klang des Stadions?

Das Dach und die schrägen Stützen geben dem Stadion ein eigenständiges Klangprofil. Nur hier klingt Zürich so. Man spürt die Materialien, die man sieht: Den Rasen, die Holzdecke, die Stahlstützen, die Kunststoffstühle, die Betonkonstruktion – auch von der Stadt habe ich einen schönen Klangeindruck. Besonders gefällt mir, dass der Massengesang aus den Fankurven während eines Fussballspiels nicht akustisch verstärkt und doch sehr präsent ist. Diese Art der unverstärkten Gesangseinlagen ist der Pop- und Rockmusik abhanden gekommen. Kämen die Chöre aus Lautsprechern, wären sie banal.

In welchem Verhältnis steht die akustische mit der visuellen Direktheit?

Wir haben wenig Hörerfahrung mit so grossen Baukörpern, die derart gedämpft sind. Die akustische Dämpfung im Dach verstärkt den Eindruck des Schwebens. Das Dach gibt dem Raum also auch akustisch eine Weite. Nicht nur wegen der Architektur, sondern auch weil der Raum den Klang nicht so reflektiert, wie wir uns das gewöhnt sind – ich denke hier an die schrägen Stahlstützen –, entsteht der Eindruck der Weite. Sie entspricht dem, was ich sehe. Einige Irritationen entstehen bei den Materialien und der Technik: Ich kann die Durchsagen und die Musik nicht klar den Lautsprechern zuordnen und wir können aufgrund der akustischen Reflexionen nicht sagen, ob die Untersicht der Decke wirklich mit Holz verkleidet ist. Die Gestaltung fordert das Ohr heraus.

Wie steht es um die akustische und visuelle Transparenz?

Sie manifestiert sich beim umstrittenen Stahlzaun rund ums Stadion. Auch ich war am Anfang skeptisch. Ich fand die eng aneinandergereihten Stahllatten zu schroff und hart. Doch der Zaun entspricht der visuellen Durchlässigkeit des Stadions und lässt einen beim vorbeifahren mithören, was im Innern läuft. Insofern vermittelt das Letzigrund innen wie aussen die aktuelle Stimmung. Diese hohe Kommunikationsfähigkeit sollte ein öffentlicher Raum in der Stadt haben.

Bei der Planung des Stadions hat man in erster Linie darauf geachtet, dass möglichst wenig Lärm nach aussen dringt. Wie wird dieses Ziel eingelöst?

Das riesige Dach schluckt zwar viel Schall, das Stadion wäre aber noch weniger im umliegenden Stadtraum zu hören, wenn man auch noch die Fassade des Stadions gegen die Stadt hin schallisoliert und damit auch den Aussen-Resonanzraum gedämpft hätte.

Kann man differenzieren, was im Stadion Letzigrund Klang ist und was Lärm?

Die Gesänge der Fankurven kommen direkt und aktiv auf mich zu. Die Chöre haben eine Qualität, ich würde sie sogar als Musik oder zumindest als aktiven Stadtklang bezeichnen. Sobald sie aber nach aussen dringen und der Kontext verloren geht, werden sie zu Lärm. Unbeabsichtigter Klang, dem ich mich nicht entziehen kann, wird zu Lärm. Als Klangabfall würde auch ich die Musik, die Kommentare des Stadion-DJs und die Werbejingles bezeichnen, mit denen die Zuschauer vor und nach dem Spiel berieselt werden. Aber das gehört heute scheinbar zum Ritual einer Sportveranstaltung. Was aber nicht heisst, dass man nicht besser und intelligenter mit diesem Klang-abfall hätte spielen können: Wenn beispielsweise die Musik sich langsam bewegen und damit den Raum ein bisschen nachzeichnen würde, würde das der architektonischen Eleganz des Stadions entsprechen. Derzeit hat der Klangabfall mit dem Raum nichts zu tun, es herrscht Warenhausbeschallung.

Sie haben Erfahrung mit Klanginstallationen an städtischen Brennpunkten. Was hätten sie anders gemacht, wenn Sie am Brennpunkt Stadion mitgeplant hätten?

Man muss zwischen dem ‹Instrument›, also dem Stadion, und wie man darauf spielt unterscheiden. Ich finde die Akustik und den Raum des ‹Instruments› toll. Die elektro-akustische Anlage hingegen empfinde ich als nicht zeitgemäss, es gibt Lautsprecher, die besser klingen. Beim Rasen hat man auch nicht auf Qualität verzichtet, wieso beim Klang? Ich denke, man hätte mit der Musikanlage gestalterischer umgehen können – man kann mit Klang sehr wohl soziale Räume mitgestalten. Das erlauben die Lautsprecher nicht und es wird hier nicht getan.

Das Künstlerpaar Relax hat als eine der Kunst-und-Bau-Arbeiten eine Klanginstallation fürs Stadion konzipiert: Gelächter und Weinen drehen ihre Runden im Oval. Ist ein Stadion der richtige Ort für diese Art Kunstinstallation?

Ja, ich glaube schon. Das Letzigrund ist sehr wohl ein Ort für Kunst und Kultur im Stadtraum, hier liegt sehr viel Potenzial brach. Doch die Kunst-und-Bau-Arbeit von Relax hört nicht zu, ist nicht interaktiv. Deshalb sind die Fanchöre im Vergleich frischer und frecher – elementare Emotionen bringen sie direkter.


Kommentar der Jury:
Überzeugt hat die Jury vor allem, dass das Stadion Letzigrund nicht nur eine elegante Architekturskulptur ist, sondern auch ein städtebauliches Projekt. Das eingegrabene Spielfeld macht der Zugang auf Strassenniveau möglich, eine Voraussetzung für die sanfte Einbettung ins Quartier. Die Arena besteht aus nur wenigen Elementen: die Mulde mit dem Spielfeld, die Erschliessungsrampe, die auf Strassenhöhe beginnt, zwei Geschosse ansteigt und wieder sinkt, und das schwebende Dach. Es ruht auf dem Ingenieursmeisterstück, den ‹tanzenden Stützen›. Das Oval ist öffentlicher Sportplatz, Austragungsort des internationalen Leichtathletik Meetings, Konzertarena und Fussballstadion.



verknüpfte Zeitschriften
hochparterre 2007-12

10. Dezember 2007Evelyn C. Frisch
Steeldoc

Stadion Letzigrund, Zürich

(SUBTITLE) Fliegendes Atoll im Stadtraum

Das schwebende, weit auskragende Stahldach des Stadion Letzigrund wird von tanzenden Stützenpaaren getragen. Ein breiter, leicht ansteigender Umgang lässt sowohl den offenen Stadionraum als auch die Stadt erfahren. Hinter der Poesie und Leichtigkeit der Form steckt ein Höchstmass an anspruchsvoller Präzisionsarbeit.

Das schwebende, weit auskragende Stahldach des Stadion Letzigrund wird von tanzenden Stützenpaaren getragen. Ein breiter, leicht ansteigender Umgang lässt sowohl den offenen Stadionraum als auch die Stadt erfahren. Hinter der Poesie und Leichtigkeit der Form steckt ein Höchstmass an anspruchsvoller Präzisionsarbeit.

Jedes Stadion ist ein Koloss im Stadtgefüge. Der Massstabssprung zwischen der urbanen Bebauung und einem Schiff, das bis zu 30000 Menschen fasst, ist zwangsläufig gigantisch. Gegen aussen schotten sich die meisten Stadien mit einer abweisenden, geschlossenen Hülle ab – denn alle Blicke richten sich aufs Spielfeld. Für die Stadt Zürich war dieser Aspekt einer der neuralgischen Punkte. Denn das neue Stadion Letzigrund sollte in einem Stadtteil errichtet werden, wo sich im Laufe der Stadtentwicklung Wohn- und Geschäftsquartiere dicht aneinander fügten. Die Anwohner fürchteten den starren Koloss, der mit Ausnahme einiger fulminanter Stunden pro Woche die meiste Zeit über menschenleer, teilnahms- und nutzlos den wertvollen Lebensraum besetzt. Die Architekten entwickelten also ein Konzept für das neue Stadion, das dieses Teil des Stadtgefüges werden lässt. Einmal durch die räumliche Einbindung und Gestaltung, dann durch eine lebendige Nutzung des Areals und der Infrastruktur ausserhalb der Spielzeiten.

Städtebauliche Einbindung

Die Topographie des Ortes kam dieser Idee entgegen. Unter dem bestehenden alten Stadion befand sich nämlich eine ehemalige Kiesgrube, die den Beweis lieferte, dass hier ohne weiteres in den Boden gegraben werden konnte. Als positiver Nebeneffekt wurde das Aushubmaterial auch gleich für die Betonarbeiten der Stadionfundamente verwendet. Analogien fanden die Architekten in antiken Stadien, wie beispielsweise dem Amphitheater von Syrakus, dessen Spielfeld ebenfalls tiefer liegt als die Stadtebene. So kommt es, dass das Stadion sich gegenüber der Stadt lediglich um maximal 14 Meter erhebt, das Spielfeld aber 7 Meter unter dem Stadtniveau liegt. Vom Haupteingang her betritt man das Stadion sogar ebenerdig und flaniert mit einer quasi unbemerkten Steigung von 2 Prozent leicht aufwärts auf einer breiten Promenade mit Blick sowohl auf die Stadt wie in den sich absenkenden Stadionraum. So schiebt sich der Stadionkörper so leise in die Höhe, dass sich das Volumen eher als gebaute Topographie ausnimmt. Die höchste Stelle befindet sich an der dem Eingang gegenüberliegenden Längsseite des Ovals, und von dort aus geht die Neigung wieder abwärts und das Oval schliesst sich. Man muss sich diese Geometrie vorstellen, als liege ein ovaler Suppenteller in leichter Schieflage in einem Sandbett.

Fliegendes Atoll und tanzende Stützen

Das Dach ist ein schützender Baldachin und schwebt wie ein ringförmiges Atoll über der oval geschwungenen Promenade und den Zuschauertribünen. Dieses Dach verkörpert die Dynamik des Geschehens. Seine Untersicht ist glatt und wie mit einem Pinselstrich um die Arena gezogen – zum Spielfeld und zur Stadt hin leicht aufgeworfen. Um diesen schwebenden Effekt zu erreichen, wird das Dach von tanzenden Stützenpaaren getragen, so dass sich der weitläufige Raum unter dem Dach ungerichtet auszudehnen scheint und sich die Dachkante mit dem Himmel verwebt. Diese Stützenpaare stehen nicht nur schräg, wobei jede in eine andere Richtung zeigt, sie sind auch noch in sich verdreht. Die architektonische Idee dahinter ist die Ausblendung ihrer Funktionalität – obwohl diese nicht von der Hand zu weisen ist – zugunsten der visuellen Autonomie des schwebenden Daches. Die Verdrehung ist aber auch das Resultat der unterschiedlichen Geometrien des Tribünenkörpers und des Daches, die auf verschiedenen Radien und Zentren basieren. Die Stützen als Verbindungsstück der beiden Ebenen passen sich an den Stützenfüssen der Geometrie der Tribünen an, an den Stützenköpfen der Geometrie des Daches.

Komplexe Geometrie

Ein Aspekt der geometrischen Eigenheit des Daches ist die Anordnung der innen liegenden, 20 Meter hohen Flutlicht-Masten, welche ein massgebender Faktor der Nachtinszenierung des Stadions sind. Diese Masten sind leicht nach aussen geneigt und säumen in absolut gleichmässigen Abständen den inneren Ring der Dachkante. Das bedeutet, dass die tragenden Achsen des Stadiondaches nicht auf ein gemeinsames Zentrum laufen, was ja sonst in den inneren Kurven des Ovals engere Abstände zur Folge hätte. Zudem ist das Dach auf der Seite der Haupttribüne tiefer, und das Oval selbst ist nicht symmetrisch, sondern hat eine längere grade Längsseite - wegen der Laufbahn für die Leichtathletik- Wettkämpfe - und damit zwei verschiedene Kurvenachsen, nämlich eine engere und eine weitere.

So hat jedes Segment des Daches andere Abmessungen und natürlich auch andere Krafteinwirkungen. Das Stahldach des Stadion Letzigrund hat eine der bisher grössten Auskragungen eines Bauwerks in der Schweiz, nämlich bis zu 33 Meter gegen das Stadioninnere. Insbesondere im Verhältnis zu der Grösse des Daches sind die Stützen überaus filigran. Weit auskragendes Dachtragwerk Haupttragelemente des Stahldaches sind insgesamt 31 Vollwandbinder mit einer maximalen Länge von 40 Metern, die jeweils auf einem Stützenpaar aufliegen. Während die Auskragung über der Haupttribüne 33 Meter beträgt, sind es an der gegenüberliegenden Seite knapp über 20 Meter. Die Träger haben eine variable Höhe zwischen 1.10 und 3.45 Meter, bei einer Länge zwischen 29 und 43 Meter. Auch die Materialdicke der Stahlbleche variiert zwischen 20 bis 100 mm. Das maximale Gewicht eines Trägers liegt bei 52 Tonnen.

Die Binder wurden vorverformt gefertigt, damit sie unter ihrem Eigengewicht die gewünschte Form erhalten. Die Überhöhung an der Spitze des Binders mit der grössten Auskragung beträgt 34 Zentimeter, um nebst der Auskragung auch die Last der daran montierten Lichtmasten zu tragen. Die Felder zwischen den Dachbindern werden von Pfetten überspannt, welche als Durchlaufträger mit Spannweiten bis zu 24 Meter wirken. Die Trägerhöhe der Pfetten ist, bis auf die der innersten Pfette, konstant 60 Zentimeter. Den Dachabschluss am Innenrand bildet ein Profil HEA 700, das über den Stadionkurven um die schwache Achse gebogen ist und sich dem Grundriss der darunter liegenden Laufbahn anpasst. In jedem dritten Dachfeld sind Dilatationsfugen in den Pfetten angeordnet, welche temperaturbedingte Bewegungen zulassen.

Die tanzenden Stützenpaare

Die Stützen sind im Raum geneigt und haben einen sich stetig verjüngenden Querschnitt, wobei Kopfund Fussplatte ausserdem noch zueinander verdreht sind. Die Verdrehung beruht auf der unterschiedlichen radialen Achsenlegung der Tribünengeometrie und der Dachgeometrie. Der Winkel dieser Verdrehung bestimmt auch dieVerdrehung des jeweiligen Stützenquerschnitts und beträgt im Maximum 19 Grad. Weil das Dach über der Haupttribüne höher ist als auf der Gegenseite, haben die Stützen unterschiedliche Längen. Daraus folgt, dass jede Stütze ihre eigene Geometrie und Belastung hat, was für die Berechnung und für die Ausführungsplanung einen grossen Aufwand bedeutete.

Die Stützen bestehen aus kastenförmig geschweissten, tragenden Stahlblechen mit einem inneren Vollstahlkern und wurden nach der Bewehrung mit Beton ausgegossen. Im sichtbaren Bereich wurde wetterfester Stahl verwendet, der eine durch den Rostprozess entstandene rötlich-braune Färbung annimmt, die paradoxerweise gleichzeitig den Korrosionsschutz bildet. Da die Stützen bei der Herstellung im Werk um den entsprechenden Winkel (bis 19 Grad) verdreht werden sollten, musste deren Materialstärke auf maximal 20mm begrenzt werden, damit die Verdrillung überhaupt möglich war. Hülle und Kern Aufgrund der asymmetrischen Auskragung des Daches besteht das Stützenpaar aus einer Zugstütze und einer Druckstütze. Die Druckstützen haben einen grösseren Querschnitt und sind mit Längseisen bewehrt. Zusätzlich verläuft ein runder Vollstahlkern von der Kopfplatte der Stütze in die untere Ecke, wo die grössten Druckspannungen auftreten. Kopfbolzendübel an den Mantelblechen tragen zur Verbundwirkung bei und verhindern das Ausbeulen des Stützenmantels. Im Innern der Druckstützen sind ausserdem Rohre für Elektroleitungen und die Abführung des Dachwassers untergebracht. Die Druckstützen wurden im Werk auf dem Kopf stehend im oberen Teil ausbetoniert und nach dem Aushärten auf die Baustelle geliefert. Zum Zeitpunkt der Montage betrug das Stützengewicht bis zu 18 Tonnen, die fast vollständig in der oberen Stützenhälfte konzentriert waren, während die untere Hälfte zugleich den Bewehrungskorb für die Einspannung in die Auflagerwand bildet und erst nach dem genauen Einpassen ins Fundament einbetoniert wurde.

Die Zugstützen haben einen Zugstützenkern, der aus H-förmig verbundenen Blechen zusammengesetzt ist. Zudem befinden sich um den Stützenkern herum Längseisen. Die Zugkräfte des Kerns werden über Kopfbolzendübel, jene im Stützenmantel über Bewehrungseisen in die Auflagerwand eingeleitet. Am Stützenkopf verbindet ein 650 kg schwerer Doppelbolzen die Zugstütze mit dem Dach. Die Krux der Montage Grundvoraussetzung für das Gelingen dieser überaus komplexen und anspruchsvollen Stahlkonstruktion war natürlich auch eine äusserst genaue Montage, insbesondere der Stützen. Denn eine Abweichung der Stützenköpfe aus ihren Sollpunkten hätte zu einer 10-fach grösseren Abweichung am Innenrand des Stadiondaches geführt. Die Stützen wurden deshalb mit Hilfsstützen und Schablonen in die richtige Position gebracht und erst dann ins Fundament einbetoniert. Die Produktion der Träger erfolgte in zwei eigens dafür eingerichteten temporären Werkstätten in der Nähe der Baustelle. Für den Nachttransport der bis zu 40 Meter langen und 52 Tonnen schweren Träger wurde eine spezielle Auflagerkonstruktion erfunden. Dank einem hydraulischen Raupenkran, der auch eine Neigungskorrektur der Träger in ihrer Längsachse erlaubte, waren Montagezeiten von unter 2 Stunden pro Träger erzielt worden.

Laudatio der Jury

Das Stadion Letzigrund ist der grösste und bedeutendste Schweizer Stahlbau des Jahres 2007. Die anspruchvolle Berechnung und Ausführung der komplexen Dachform erforderte von allen Beteiligten ein Höchstmass an Kreativität und Präzision, welche zudem unter starkem Kosten- und Termindruck geleistet wurden. Das Stadion zeugt von einer poetischen, als städtischer Raum erfahrbaren Sportarchitektur und von der Effizienz und Professionalität der Planung und Ausführung.



verknüpfte Zeitschriften
steeldoc 2007/03+04 Schweizer Stahlbaupreis Prix Acier 2007

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