Editorial

Alle anwesenden Damen unter den 4000 Zuschauenden sollen am 5. April 1908 beim Länderspiel Schweiz – Deutschland in Basel eine Tafel Schokolade erhalten haben. Für die Eidgenossen war es das dritte, für Deutschland das allererste Länderspiel in der Fussballgeschichte. Die Schweiz gewann 5:3.

Einhundert Jahre später, im Juni 2008, führt die Schweiz gemeinsam mit Österreich die Fussball-Europameisterschaft durch, oder – wie es offiziell heissen muss – die UEFA EURO 2008. Diese wird – trotz der legendären Weltmeisterschaft von 1954 – als das grösste Sportereignis aller Zeiten auf Schweizer Boden bezeichnet, ein Ereignis, das nicht nur in den Stadien, sondern auch im öffentlichen Raum stattfindet, in «Fanmeilen» und «Public-Viewing-Zonen». Ein urbanes Massenevent, bei dem ganze Innenstädte zu Erlebnis- und Konsumzonen transformiert werden.

Grund genug für anthos, mit Heft 2/08 das Thema «Sport» aufzugreifen, in dem Fussball natürlich auch eine Rolle spielt. So gehen wir zum Beispiel den Fragen nach, mit welchen Massnahmen ein sportliches Grossereignis, wie die EURO 2008, unter Gesichtspunkten der Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit durchgeführt werden kann und ob sich ein EM-Stadion, wie das neue Letzigrund-Stadion in Zürich, auch umweltschonend bauen lässt.

Das Heft ist jedoch viel weiter gefasst. Wir möchten nicht nur den Fussball, sondern alle Sportarten einbeziehen, die im Freiraum ausgeübt werden können. Nicht nur der Leistungs- und Spitzensport soll Thema sein, sondern auch der Breiten- und Freizeitsport – ja die körperliche Bewegung überhaupt. Wissenschaftliche Studien, zum Beispiel die des Bundesamtes für Sport BASPO und der Hochschule für Sport in Magglingen, stellen einen alarmierenden Zusammenhang zwischen akuter Bewegungsarmut und dem Gesundheitszustand der Bevölkerung her. Der Bund reagiert mit einem sportpolitischen Konzept und fordert die Kantone und Gemeinden auf, ihrerseits Konzepte zu erarbeiten, um allen Altersstufen genügend Sportanlagen und Bewegungsräume zur Verfügung zu stellen. Hier ist auch die Freiraum- und Landschaftsplanung in die Pflicht genommen.

Vorgestellt werden aktuelle Neubauten, Erweiterungen und Sanierungen. Die zeitgemässe Nutzbarkeit, speziell auch für behinderte Menschen, die gestalterische Qualität sowie soziale, ökologische und technische Fragen sollen angesprochen werden.

Bernd Schubert

Inhalt

- Editorial

Ingo Golz und Alex Jost
- Freiräume sind Bewegungsräume

Thilo Folkerts
- «Immergrün». Neugestaltung der Sportanlage Heerenschürli

Sabine Wolf
- Subtile Totalsanierung: Das Freibad Letzigraben

Roger Keller und Dr. Matthias Stremlow
- Nachhaltigkeitskonzept UEFA EURO 2008

Martin Schmid
- Stadion Letzigrund – Umwelt und Nachhaltigkeit in Bauaufgabe und Bauprozess

Silke Schmeing
- Spiel der Kontinente

Christian Lohr
- Sport für Behinderte ohne unnötige Barrieren

Prof. Dr. Margit Mönnecke, Dr. Dominik Siegrist und Karin Wasem
- Sportaktivitäten im Einklang mit Natur und Landschaft

Florian Glowatz und Oliver Vogel
- Die Planung von (Kunst-)Rasenfeldern

Mauro Hagel
- Ein Masterplan für den Hamburger Volkspark Altona

Wolfgang Fehrer
- Der IOC/IAKS-Award und der IPC-Sonderpreis

- Porträt
- Schlaglichter
- Mitteilungen der VSSG
- Wettbewerbe und Preise
- Mitteilungen des BSLA
- Agenda
- Literatur
- Bezugsquellen Schweizer Natursteine
- Bezugsquellen Schweizer Baumschulen
- Produkte und Dienstleistungen
- Impressum

Subtile Totalsanierung

(SUBTITLE) Das Freibad Letzigraben

Die ersten öffentlichen Badeanstalten Zürichs wurden an See, Limmat und Sihl erbaut, später folgten die Quartierbäder. Sie alle müssen regelmässig renoviert, saniert und aktuellen Bedürfnissen angepasst werden.

Zürich unterhält heute bei 370 000 Einwohnern 42 Schwimmbäder und hat damit die höchste Bäderdichte der Welt. Das erste künstlich angelegte Beckenbad unter freiem Himmel, das Freibad Allenmoos in Zürich- Oerlikon, feierte 1939 Eröffnung. Die prominenteste Badeanstalt der Stadt jedoch ist Max Frischs Freibad Letzigraben, als zweites künstlich angelegtes Bad 1949 eröffnet.

Max Frisch als Architekt Frisch studierte 1936 bis 1940 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich Architektur. 1943 gewann er den Wettbewerb für das Quartierbad Letzigraben, konzeptionelle Zielsetzung war die «äusserste Auflockerung aller Bauten». Gruppiert angeordnete Pavillons mit Umkleiden, die das Gelände an drei Seiten flankieren, ohne es gegen die umgebende Bebauung abzuschirmen, bilden den gestalterischen Rahmen. Im Inneren der Anlage steht eine grosszügige, sanft modellierte Freifläche für den Badebetrieb zur Verfügung. Hierfür plante Frisch ein Nichtschwimmerbecken, ein 50-Meter-Schwimmerbecken sowie ein 50-Meter-Schul- und -Sportbecken mit Drei-, Fünf und Zehnmeterturm – dem ersten der Schweiz. Hinzu kam ein Planschbecken für Kleinkinder.

Das Gestaltungskonzept der Anlage entwickelte Frisch gemeinsam mit dem Landschaftsarchitekten Gustav Ammann, der zuvor unter anderem für das Freibad Allenmoos verantwortlich zeichnete. Die geschwungenen Beckenränder des Nichtschwimmer- sowie des Kleinkinderbeckens sind in Anlehnung an natürliche Gewässerformen entwickelt. Die Wege sind organisch geführt und durch unterschiedliche Breiten und Materialisierungen gegliedert. Etwa vierhundert Bäume und tausend Sträucher wurden gesetzt, artenreiche Bepflanzungen säumten Becken und Wege. Auf dem höchsten Punkt der Anlage thront ein achteckiger, von einer offenen Terrasse eingefasster Restaurant-Pavillon.

Der Baubeginn wurde bis August 1947 hinausgeschoben, am 18. Juni 1949 öffnete das «Letzibad», ausgelegt für 4200 Gäste. Die Gesamtbaukosten betrugen 4,5 Millionen Franken.

Subtile Totalsanierung

Das hohe Alter der Anlagen, geänderte Nutzungsansprüche sowie bauliche Veränderungen in den vergangenen 60 Jahren hatten den ursprünglichen Charme des Bades gemindert. 2005 wurde die Notwendigkeit einer Totalsanierung des – aufgrund seiner architektonischen Qualität und kulturellen Bedeutung – als Baudenkmal klassifizierten Bades festgestellt. 2006/07 wurden die Arbeiten ausgeführt.

Die Stadt Zürich als Bauherrin, vertreten durch das Amt für Hochbauten, vergab den Auftrag der architektonischen Sanierung an das Zürcher Büro weberbrunner architekten. Ziel war eine Annäherung an den Originalzustand, einschliesslich des ursprünglichen Farbkonzeptes. Durch Um- und Rückbau an den Gebäuden erhielten diese ihre offene Leichtigkeit zurück. Dem Zehn-Meter-Sprungturm wurde wieder ein zweiter Drei-Meter-Turm zur Seite gestellt, sodass das ursprüngliche, symmetrische Ensemble hergestellt werden konnte. Das Kleinkinderbecken wurde an seinen ursprünglichen Standort verlegt, Details wurden erneuert. Hinzu kamen zeitgemässe Attraktionen: Das Nichtschwimmerbecken ist neu mit einem Strömungskanal ausgestattet worden, das Schwimmerbecken erhielt Massagedüsen, das Sportbecken eine unterirdische Wellenerzeugungsanlage und Unterwasserbeleuchtung.

Die Sanierung der Landschaftsarchitektur übernahm das Büro SKK aus Wettingen. Auch hier war die Aufgabe eine subtile Totalsanierung, das Ergebnis sollte dem Ursprungsprojekt möglichst nahe kommen. Den restaurierenden Massnahmen «Bepflanzungskonzept», «Aufwertung Gartenhof» und «Wiederherstellung Zierteich beim Pavillon» kam höchste Priorität zu. Es galt, den wertvollen Baumbestand zu erhalten und Sichtbeziehungen, besonders die Einsichten in die Wasserbecken, wieder herzustellen. Bereiche, die ihre ursprüngliche Qualität verloren hatten, wurden – wenn möglich entsprechend den alten Pflanzplänen – neu bepflanzt, das Zierbecken beim Restaurant, die Natursteinmauern und die Steinplattenwege wieder hergestellt. Lockere Baum- und Strauchgruppen, geschwungene, mit Naturstein gesäumte Wege und prächtige Staudenpflanzen prägen heute erneut das Bild der Anlage.

Am 11. Mai 2007 wurde das gelungen sanierte Freibad wieder eröffnet. In einem Teil der ursprünglichen Sammelgarderobe ist eine während der Saison zugängliche Ausstellung zu Leben und Werk Max Frischs sowie zu seinem Freibad eingerichtet. So kommt bei einem Freibadbesuch neben der körperlichen Ertüchtigung auch das Geistige nicht zu kurz.

[Sabine Wolf, Stadtplanerin, Zürich]

anthos, Do., 2008.05.22

22. Mai 2008 Sabine Wolf

Stadion Letzigrund – Umwelt und Nachhaltigkeit in Bauaufgabe und Bauprozess

2004 wählte eine Jury das Projekt der Architekten Bétrix & Consolascio/Frei & Ehrensperger für den Neubau des Stadions Letzigrund. Grosse Offenheit zum Quartier, die tiefe Lage im Terrain und das «fliegende Dach» zeichnen das Projekt aus. Das Gebäude erfüllt zudem in idealer Weise die Ansprüche der Stadt Zürich in ihren Umweltzielen.

Schon 2001 untersuchte das Amt für Hochbauten unter Beizug von Experten in der strategischen Planung für das neue Stadion die Themen im Bereich Umwelt. Die wichtigsten Ergebnisse daraus bildeten Rahmenbedingungen für den zweistufigen Gesamtplanungs-Studienauftrag, der 2003/2004 durchgeführt wurde.

Umweltthemen im Planungs- und Bauprozess

Im Rahmen des Vorprojekts fand mit dem Gestaltungsplan eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) statt. Die Erkenntnisse flossen in die Baubewilligung ein, waren Bestandteil des Baus und gelten auch für den Betrieb des neuen Stadions. Für den Bauprozess wurde eine Umweltbaubegleitung (UBB) eingesetzt. Beauftragte der Bauherrschaft überwachten zusammen mit der Totalunternehmung den gesamten Bauprozess auf der Umweltebene. Alle Umweltthemen wurden – eingebettet in das integrale Projektqualitätsmanagement (PQM) – systematisch und periodisch in Sitzungen besprochen. Wenn nötig leiteten die Fachplaner geeignete Massnahmen ein.

Zu den wichtigsten Themen bezüglich des Umweltschutzes während der Bauphase gehörten ein ausgeklügeltes Materialmanagement, der Grundwasserschutz, der Rückbau und das Recycling. Für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Gebäudes spielten Energie und Verkehr eine wesentliche Rolle.

Materialmanagement

Mit innovativen Planungsansätzen konnte das Materialmanagement während der Bauzeit optimiert werden. Infolge der Teilversenkung des Stadions fielen insgesamt etwa 350 000 Kubikmeter Aushub, Kies und Rückbaumaterialien an. Der daraus verursachte erhebliche Baustellenverkehr musste minimiert werden. Grundsätzlich sollten längere Transporte vermieden und möglichst grosse Mengen auf der Baustelle wieder verwendet werden. So kaufte ein Unternehmen frühzeitig den anfallenden Wandkies, der in einem Zwischenlager mit einer Kapazität von 40 000 Kubikmetern nahe der Baustelle gelagert wurde. Dadurch konnten grosse Mengen an Wandkies in der Stadt behalten und wieder verbaut werden. Weitere 40 000 Kubikmeter Wandkies wurden vor Ort zu Betonkies trocken aufbereitet, als «Letzibeton» verarbeitet und wieder eingebaut.

Die Unternehmer hatten weitere Auflagen zu erfüllen: Es mussten mindestens 4-Achser mit 32 Tonnen Gesamtgewicht eingesetzt werden, mindestens 95 Prozent aller Lastwagen mussten der EURO-3-Abgasnorm entsprechen, und es durfte nur schwefelfreier Dieseltreibstoff verwendet werden. Mit diesen Massnahmen konnten rund 7000 Lastwagenfahrten und 600 000 Transportkilometer sowie die entsprechende Luftbelastung vermieden werden. Der CO2-Ausstoss reduzierte sich um 380 Tonnen, der NOx-Ausstoss um 4,3 Tonnen und der Feinstaubausstoss um 110 Kilogramm.

Rückbau und Recycling

Insgesamt musste die Bauherrschaft rund 29 000 Kubikmeter Material fachgerecht entsorgen lassen. Dazu gehörten auch mit Schadstoffen belastete Bestandteile der alten Anlage. Der Laufbahnbelag der alten Tartanbahn beispielsweise enthielt Schwermetalle, die eine Entsorgung problematisch machten. Statt einer zulässigen Verbrennung fand der verantwortliche Unternehmer eine bessere Lösung: der Belag wurde zu Lärmdämmmaterial aufbereitet.

Im alten Stadion stellte man zudem geringe Mengen an Asbest fest. Diese Bauteile sowie auch die PCB-(Polychloridbiphenyl-)Fugen in der alten Tribüne wurden nach einem Überwachungs- und Schutzkonzept entsorgt.

Grünflächen

Fast das gesamte Stadiondach mit einer Fläche von 20 000 Quadratmetern ist extensiv begrünt und dient als ökologische Ausgleichsfläche. Das Dach ist ein wichtiger Baustein des Grünkorridors, der vom Uetliberg bis zum Gebiet des
SBB-Bahnkorridors in der Mitte der Stadt führt. Bis zu 17 verschiedene Bienenarten finden ihr Domizil auf diesem Dach. Zwei verschiedenfarbige Substrate bilden den Untergrund und sind spiralförmig angeordnet.

Alles anfallende Meteorwasser auf dem Gelände und dem Dach wird gefasst und in grossen Versickerungsgalerien ins Grundwasser eingespeist. Der Stadionrasen wurde auf einer Rasenfarm in Waidhofen (D) 14 Monate vor der Verlegung angesät und intensiv gepflegt. Er besteht aus drei Sorten Poa pratensis (Wiesenrispe) und Lolium perenne (ausdauerndes Weidelgras) in vier Sorten. Vier Wochen vor der Stadioneröffnung wurde der Rasen geerntet und in Bahnen im Stadion verlegt.

[ Martin Schmid, Projektleiter Stadion Letzigrund, Amt für Hochbauten der Stadt Zürich ]

anthos, Do., 2008.05.22

22. Mai 2008 Martin Schmid



verknüpfte Bauwerke
Stadion Letzigrund

4 | 3 | 2 | 1