Details

Adresse
Karl-Marx-Straße 43, 03044 Cottbus, Deutschland
Bauherrschaft
Landesbauamt Cottbus
Tragwerksplanung
Pahn Ingenieure GmbH
Landschaftsarchitektur
Gisela Altmann
Weitere Konsulent:innen
TGA: IKL + Partner Ingenieurgesellschaft mbH, Leipzig, Ingenieurbüro Gebäudetechnik, Prof. Hänel, Cottbus
Elektro: Kügler & Wallstein, Cottbus
Fassade: Albrecht Memmert & Partner GmbH, Cottbus
Prüfstatik: Matthias Pfeifer, Cottbus
Brandschutzgutachten: Büro Achilles, Frankfurt/Main
Funktion
Bildung
Wettbewerb
1994
Planung
1998
Ausführung
2001 - 2005
Nutzfläche
12.667 m²
Bebaute Fläche
1.513 m²
Umbauter Raum
58.343 m³

Publikationen

Presseschau

08. Februar 2005Oliver Elser
Der Standard

Raumwunder in der Amöbenhülle

Die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron krönen den Campus der technischen Universität in Cottbus mit einer Bibliothek

Die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron krönen den Campus der technischen Universität in Cottbus mit einer Bibliothek

Die „Verführungskraft der Form“ sei bei der Realisierung der anspruchsvollen und außergewöhnlichen Universitätsbibliothek eine wichtige Hilfe gewesen, sagte bei der offiziellen Eröffnung am vergangenen Freitag die Architektin Christine Binswanger, Partnerin bei Herzog & de Meuron.

Der 30 Millionen Euro teure Bibliotheksbau für die Brandenburgische Technische Universität wurde seit langem erwartet. Nicht nur von den potenziellen Nutzern. In den vergangenen Jahren blickte man mit banger Miene nach Cottbus und fragte sich, ob ausgerechnet in der von hoher Arbeitslosigkeit gezeichneten Region Lausitz ein neues Meisterwerk der Architekten aus Basel zu erwarten ist, die bislang noch jedes Mal die Öffentlichkeit verblüffen konnten, selten aber unter so hohem Kostendruck gearbeitet haben. Doch über einen Zeitraum von zwölf Jahren hielten die Brandenburger den Baslern die Treue.

Dass es so lange gedauert hat, erscheint aus heutiger Perspektive fast als Glücksfall. Die Architekten haben die mittlerweile längst sprichwörtlichen „Schweizer Kisten“ weit hinter sich gelassen, mit denen sie im Jahr 1993 den zweiten Platz beim Wettbewerb für einen Campus-Masterplan der Technischen Universität Cottbus belegten.

Aus der Kiste sprang plötzlich ein Gebilde, dessen gekurvte Außenform an eine Amöbe erinnert. Die dynamische Hülle sei jedoch kein Selbstzweck, versichern die Architekten, sondern aus den Bewegungsrichtungen der Umgebung abgeleitet.

Bedruckte Fassade

Inmitten eines städtebaulichen Scherbengerichts verbreitet die Bibliothek eine fast eisige Ruhe. Wie eine ondulierte Marmorklippe erhebt sich die Fassade aus einem eigens angeschütteten Hügel, denn das Glas wurde mit weißen Buchstaben bedruckt.

Ein Markenzeichen der Architekten, könnte man annehmen. Doch hier ist es mehr als ein Selbstzitat. Die unentzifferbare Buchstabensuppe antwortet auf die trügerischen Zukunftsversprechen eines Fassadenmosaiks auf der anderen Seite der Karl-Marx-Straße, das im Stile des sozialistischen Realismus den Haupteingang der Universität markiert.

Im Innern der Bibliothek herrscht jedoch kein fröhliches, nicht einmal ein unfreiwilliges Chaos, denn die Bücherregale ziehen sich in unerwartet strengen Reihen durch den gekurvten Bau. Erst hier zeigt die Außenform ihre wahre Stärke. Aus dem Zusammenprall zweier Geometrien, der frei geformten und einer strikt rechtwinkligen, entsteht ein Raumwunder, das auch denjenigen endgültig überzeugen dürfte, der bisher von Herzog & de Meuron nichts als intellektuell aufgeladene Fassadenkunst erwartete.

Die einzelnen Ebenen sind jeweils so in den Bau hineingestellt, dass sie die Aus- und Einstülpungen nie ganz ausfüllen. Dadurch entstehen Lufträume, die alle Geschoße miteinander verbinden. In den zwei- oder dreistöckigen Leerräumen befinden sich die in weiß und grau gehaltenen Leseräume. Sämtliche Bücher sind als Freihandbestand in den engeren, eingeschoßigen, aber nicht abgeschlossenen Bereichen untergebracht. Böden und Wände werden dort durch breite Streifen in Gelb, Grün, Pink, Rot und Blau gegliedert, was dem Besucher Orientierung verschafft, wie tief er bereits in den dichten Regalwald vorgedrungen ist.

Dass eine Bibliothek im „digitalen Zeitalter“ ganz andere Formen annehmen müsse, konnte in Cottbus widerlegt werden. Die elektronische Verfügbarkeit des Wissens äußert sich nur in der großen Zahl von 700 Arbeitsplätzen. Nicht nur die Universitätsangehörigen, sondern auch die Bewohner von Cottbus haben hier kostenlosen Zugang zu einer Ressource, die, das versichern die Bibliothekare, sich in der klassisch auf Papier gedruckten Form in den nächsten Jahrzehnten stärker vermehren wird als jemals zuvor. Bisher wurde noch jede Bibliothek zu klein konzipiert.

13. Dezember 2004Ursula Seibold-Bultmann
Neue Zürcher Zeitung

Insel im Datenstrom

(SUBTITLE) Die Bibliothek als Medienzentrum - ein Neubau von Herzog & de Meuron in Cottbus

Statt wie früher mit strengen Geometrien zu arbeiten, erkunden die Basler Architekten Herzog & de Meuron heute vermehrt die organische Form. Im ostdeutschen Cottbus kann heute Montag ihr Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum (IKMZ) der Brandenburgischen Technischen Universität eröffnet werden.

Statt wie früher mit strengen Geometrien zu arbeiten, erkunden die Basler Architekten Herzog & de Meuron heute vermehrt die organische Form. Im ostdeutschen Cottbus kann heute Montag ihr Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum (IKMZ) der Brandenburgischen Technischen Universität eröffnet werden.

Der Weg nach Cottbus führt durch eine endlose Ebene, wo alles Sichtbare unvermittelt aufeinander stösst; einsam stehen Birkenstämme vor Kiefernwäldern, und Krähenschwärme fliegen in hartem Licht. Erst am Rande der Stadt ändert sich das Bild. Hier, in Branitz, schuf Hermann Fürst von Pückler-Muskau ab 1844 einen Landschaftspark mit schwingend pittoresken Konturen. Durch das soeben vollendete Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum (IKMZ) von Herzog & de Meuron kann man sich an beide Natureindrücke erinnern lassen: Scharfe Kontraste bestimmen das Erscheinungsbild des Baus ebenso wie ausgeprägt malerische Elemente. Im Gebäudeinnern etwa spiegelt sich das in Parallelstreifen gelegte heftige Gelb, Hellgrün, Magenta, Zinnober und Dunkelblau der Kautschuk-Bodenbeläge in den Decken aus Streckmetall und in den silbrigen Türen der Lifts; so entstehen Seen aus Farbe, die sich bei jeder Bewegung des Betrachters ausdehnen oder zusammenziehen, um sich schliesslich in nichts aufzulösen.

Kühle Buchstaben

Die Bauaufgabe verfremdet landschaftliche Bezüge und macht sie zugleich aktuell. Im Kern handelt es sich beim IKMZ um eine Universitätsbibliothek, deren technische Ausstattung neuesten Anforderungen gerecht werden soll und der deshalb gleichrangig drei weitere Bereiche angegliedert sind: das Universitätsrechenzentrum, ein Kompetenzknotenpunkt für neue Medien sowie die Verwaltungsdatenverarbeitung der Universität. In dieser von Zugangskanälen und Datenhighways durchzogenen Arbeits- und Informationsumgebung mit rund 600 vernetzten Lese-, Lern- und Katalogplätzen sind Notebook, Wireless und WAP-Handy ebenso zu Hause wie Bücher und Zeitschriften. Die meisten davon haben knallbunte Einbände, da die in Cottbus angebotenen Studienrichtungen in erster Linie technisch-naturwissenschaftlich ausgerichtet sind und kaum graue Altbestände mit sich bringen.

Von aussen präsentiert sich das IKMZ, das dem 1969 errichteten Hauptgebäude der Universität mit seinem orangeblauen sozialistischen Fassadenfresko direkt gegenüberliegt, bei einer Gesamthöhe von 32 Metern als schimmernde Grisaille. Der fliessend gekurvte Grundriss mit vier unterschiedlich grossen Ausbuchtungen lässt zunächst an eine Amöbe oder an die Standfläche einer Vase von Alvar Aalto denken. Er erwuchs aber vor allem aus urbanistischen Überlegungen. Einladend öffnet sich die Form nach Westen zum übrigen Universitätsgelände - wenn auch diese Geste darunter leidet, dass der Bau durch die gefährliche Karl-Marx-Strasse vom Campus abgeschnitten ist und hier nichts zur nötigen Verkehrsberuhigung geschieht. Kommt man von Süden aus dem Stadtzentrum, wirkt das IKMZ wie ein turmartiges Wegzeichen. Nach Norden hin schwillt die Bauform zu zwei stabilen Bastionen an; einzig im Osten nimmt sie Energie in sich zurück. Die bedruckte gläserne Aussenhaut der zweischaligen Fassade spielt mit den ebenfalls bedruckten Glaspartien der inneren Gebäudehülle sowie mit deren glatten Betonteilen so zusammen, dass sich ein halbabstraktes Muster aus weissen Punkten ergibt. Dieses lässt Buchstaben aus verschiedenen Schriften der Welt anklingen und erinnert gleichzeitig von weitem an Raureif oder Eisblumen.

Betritt man das Gebäude, taut diese Motivkette gleichsam auf. Beim Blick von innen nach aussen wird das Punktmuster auf der Fassade zum Regenschleier - ein Eindruck, der sich verstärken wird, sobald der von der Landschaftsarchitektin Gisela Altmann (Cottbus) in Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron geplante kleine Park um das IKMZ fertig angelegt ist. Zugleich erinnert uns der Blick durch den gepunkteten Raster daran, dass Bücher ebenso wie neue Medien die Welt stets nur indirekt vermitteln: Bei dieser Brechung des Augenscheins verbünden sich Buchstaben mit Pixeln. Trotzdem wird sich hier niemand in Alphabeten oder virtuellen Bildwelten verlieren. Denn der Farbklang im Gebäudeinnern dürfte jeden Träumer ähnlich wie ein unsanftes akustisches Wecksignal treffen. Die Maximalkontraste des Bodenbelags zwischen Primär- und Sekundärfarben, die sich auf den Deckenstützen fortsetzen, werden dabei von weissen Wänden und dem weissen Schleiflack der Ausleih- und Informationstheken zurückgeworfen.

Da jede der neun Bodenplatten des Gebäudes anders geschnitten ist und sich dadurch von Ebene zu Ebene in Höhe wie Fläche vollkommen unterschiedliche Raumsituationen ergeben, orientiert man sich in erster Linie an drei starken Vertikalakzenten, die durch alle Stockwerke reichen: einem grünen und einem magentafarbenen Service-Kern auf kreisrundem Grundriss sowie einer Wendeltreppe mit massiver Brüstung, die - von oben betrachtet - zu einem psychedelisch anmutenden Farbwirbel mutiert. Zahlreiche spiralförmige Kronleuchter in hohen Raumabschnitten geben dem Interieur eine noble Note selbst dort, wo grauer Nadelfilz die am Rand angesiedelten Lesebereiche abtönt.

Die Kosten für den Neubau und die Landschaftsarchitektur betrugen rund 29 Millionen Euro. Während der langen Planungsgeschichte wurde die Konzeption des Gebäudes dabei mehrfach einschneidend verändert. Zum Wettbewerb von 1993 hatten Herzog & de Meuron noch Pläne für einen quaderförmigen Bau mit drei hochragenden rechteckigen Lichtschächten eingereicht. Die vom Bauherrn geforderte Verringerung der Hauptnutzfläche führte 1998/99 zur kompletten Neuplanung. Weitere Finanzengpässe hatten zur Folge, dass im jetzigen Bau eine als fünfte Geschossebene geplante Galerie ebenso wegfiel wie ein runder Lichthof in den obersten beiden Stockwerken und dass eines der beiden Untergeschosse sich heute statt in der Baugrube unter einer Anschüttung verbirgt. Der Geldmangel zeigt sich mitunter aber auch im Detail.

Stachel der Utopie

Trotz allen Widrigkeiten haben die Hauptbeteiligten - in vorderster Reihe die Projektarchitektin Christine Binswanger von Herzog & de Meuron sowie die Bibliotheksdirektorin Annette Warnatz - Bahnbrechendes geleistet. Durch das IKMZ wird der Bautyp Bibliothek formal und symbolisch neu definiert. Mit dem fast uneingeschränkten Vorherrschen visueller Reize über taktile Qualitäten und mit der Gegenläufigkeit zwischen äusserer Hülle und innerem Kolorit spiegelt der Bau Züge der multimedialen Gegenwart. Gleichzeitig setzt er dem zentralen psychologischen und intellektuellen Problem des digitalen Zeitalters - der Zerstreuung - eine zielgenau berechnete Spannung zwischen Lakonik und Überschwang sowie das Gewicht seiner Naturmetaphern entgegen. So wird das IKMZ zweifellos dem gerecht, was der Philosoph Karsten Harries in seinem Buch «The Ethical Function of Architecture» (1998) fordert: «Die Baukunst muss das Utopische zumindest stückweise erhalten.» Notwendigerweise, so fügt er hinzu, hinterlasse jedes in diesem Sinne gelungene Werk im Betrachter gleich einem Stachel den Wunsch nach einer besseren Welt.

[ Technische Angaben zum Bau findet man in der Zeitschrift «Bibliothek. Forschung und Praxis» (Bd. 27, 2003, Nr. 1/2, S. 69-71) sowie im Internet (www.ub.tu-cottbus.de/ikmz). ]

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