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»Was ist Architektur?« fragen Oliver Elser und Sebastian Hackenschmidt und finden eine Antwort im Protest

Auf einem Podest liegt ein ungewöhnlich anmutendes Objekt, zusammengezimmert aus Holz, das entfernt an einen Ausguck auf einem Schiffsmast erinnert; daneben...

Auf einem Podest liegt ein ungewöhnlich anmutendes Objekt, zusammengezimmert aus Holz, das entfernt an einen Ausguck auf einem Schiffsmast erinnert; daneben...

Auf einem Podest liegt ein ungewöhnlich anmutendes Objekt, zusammengezimmert aus Holz, das entfernt an einen Ausguck auf einem Schiffsmast erinnert; daneben hängen, in einem Gewirr von Seilen ein Paar Bretter, die, zu einem Weg verbunden, über den Köpfen schweben. Sie waren Teil einer Hängebrücke, die Baumhäuser im Hambacher Forst verband und ihre Bewohner:innen in einem analogen Kommunikationsnetzwerk miteinander in Austausch brachte. Jenes Camp, mit dem gegen die Ausweitung des Braunkohleabbaus im Rheinland protestiert wurde. Das Objekt ist die Spitze eines Monopods – ein Hochsitz auf einem einzelnen Mast, mit Seilen am Boden abgespannt; eine Verzögerungsarchitektur, die sich nicht einfach aus dem Weg räumen lässt, will man nicht riskieren, dass die oben Sitzende in die Tiefen stürzt. Es stammt aus dem Fechenheimer Wald in Frankfurt, wo Monopods – und Tripods, ihre dreibeinigen Verwandten – gegen den Ausbau der Autobahn eingesetzt wurden. Die beiden sind nur zwei der Artefakte, Bilder, Videos und Modelle von Architekturen, die die Ausstellung ›Protest / Architektur – Barrikaden, Camps, Sekundenkleber‹ versammelt, die derzeit im Museum für Angewandte Kunst in Wien zu sehen ist.

In 13 Fallstudien untersucht ein kuratorisches Team um Oliver Elser und Sebastian Hackenschmidt in einer Zusammenarbeit des DAM (Deutsches Architekturmuseum in Frankfurt a. M.) mit dem Wiener MAK räumliche Artikulationsformen von Protesten. Dazu zählen aktuelle lokale Beispiele wie die Proteste von LobauBleibt gegen die Fertigstellung des Autobahnrings um Wien durch das unter Schutz stehende Augebiet, bekannte Beispiele wie die zum ›Arabischen Frühling‹ zählenden, wiederkehrenden Massenproteste am Tahrir-Platz, jene des ›Umbrella Movements‹ in Hongkong oder die Anti-AKW-Proteste der ›Republik Freies Wendland‹ in Gorleben; aber auch medial wenig behandelte Widerstandsbewegungen, wie die ›Farmer-Protests‹ gegen die Liberalisierung des Agrarwesens Indiens 2020. Ein Jahr lang wurden vor Delhi Autobahnen blockiert. Die Camps boten allen, unabhängig von Religion, Kaste, Klasse oder Geschlecht eine öffentliche Infrastruktur; oder MTST, das ›Movimento dos Trabalhadores Sem-Teto‹ (Bewegung der Arbeiter:innen ohne Dach), das unter dem Titel ›Povo Sem Medo‹ (Volk ohne Angst) mit der Besetzung brachliegender Flächen in São Paolo gegen Immobilienspekulation eintritt und bezahlbaren Wohnraum fordert.

Was die Ausstellung mit diesen ausgiebig recherchierten Beispielen erzählt, ist nichts weniger als die Globalgeschichte einer Architektur, die sich nicht an einem Stil, einer Haltung oder Material ausmachen lässt, sondern im Protest Architektur in ihrer vielleicht vergänglichsten Form vorfindet: in der geplanten Zusammenkunft von Menschen, mit dem Ziel, Dinge zu ermöglichen oder sie zu verhindern und dem, was sie räumlich fasst. Ergänzt werden diese Fallstudien um eine Chronologie von Protesten zwischen 1830 und 2022, sowie um eine allgemeine Einführung. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der die ›Protestarchitektur, Barikaden, Camps, raumgreifende Taktiken 1830–2023‹, so der Titel, mit dem Anspruch, ein Nachschlagewerk in Sachen Widerstandsarchitektur zu liefern, lexikalisch behandelt.

Nicht oft wagen sich institutionelle Ausstellungsräume in Konfliktzonen des politisierten Alltagslebens vor, und stellen dabei die eigenen Gewissheiten – und damit die Deutungshoheit, was unter Architektur zu verstehen ist – so grundsätzlich in Frage. Die Produktion von Räumen kann keinesfalls einer einzelnen Profession obliegen, so ließe sich der demokratische Gestus der Ausstellung lesen. Mehr noch: Wenn sie etwa auf einem Podest jenes Werkzeug und Material versammelt, aus denen diese Strukturen des Widerstandes geschaffen wurden, dann ließe sich das geradezu als Ermutigung lesen, selbst Hand anzulegen, sie birgt in ihrem Zugang einen durchaus ermächtigenden Charakter. Stellenweise stolpert die Ausstellung dabei allerdings über den eigenen Anspruch: Im Wunsch, die Proteste möglichst zugänglich zu machen, greift man zu einer Strategie, die sich wohl als eine Vermittlung der Einfühlung bezeichnen ließe. Neben den eingangs erwähnten Artefakten und dem am Original gehaltenen Bildmaterial sind es szenische Modelle der Protestarchitekturen, die ihre Wirklichkeiten möglichst detailgetreu wiedergeben sollen. Diese ausgeschmückte Miniaturisierung der Proteste ohne ihre Übersetzung mag zwar Stimmung vermitteln, sie droht aber, tendenziell in ihre Entpolitisierung zu führen. »Vergangenes historisch aktualisieren heißt nicht, es erkennen, wie es denn eigentlich gewesen ist«, kritisierte Walter Benjamin einst den Historiker von Ranke. Aufgabe der Geschichtsschreibung (oder hier der Kuratierung) wäre, sich Erinnerungen zu bemächtigen, Geschichte gegen den Strich zu bürsten, und eine Vielzahl von – möglicherweise widersprüchlichen – Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Beiträge, die einen Abstraktionsschritt dokumentarisch vornehmen und Proteste künstlerisch aufarbeiten, wie etwa Oliver Resslers Arbeit zur Stadtstraße, bleiben in der Zusammenstellung die Ausnahme.

Für eine Ausstellung, die sich unzweifelhaft den Protesten der Vielen widmet, bleibt ›Protest/Architektur‹ daher ungewöhnlich einstimmig, was durch eine Ausstellungsarchitektur und eine Grafik, die noch die Bildbeschreibung ins Bild setzt, bewusst in Szene gesetzt wird. Der demokratische Anspruch, verständlich zu möglichst vielen zu sprechen, findet sich damit bald in einem Dilemma wieder: Was auf der einen Seite innere Kohärenz und Niederschwelligkeit in der Vermittlung schafft, wirft auf der anderen Seite neue Fragen auf, etwa dort, wo der Sturm auf das US-Kapitol in Washington am 6. Jänner 2021 durch waffentragende rechtsextreme Milizen, deren räumliches Vorgehen Beihilfe, zumindest aber Duldung durch Sicherheitspersonal und einzelne Regierende erfahren hat, ohne weitere Kommentare als Protest – und nicht etwa als Putschversuch dargestellt wird. Dabei hält die Ausstellung ihr eigenes Ringen mit den Widersprüchen zwischen Zugänglichkeit und widersprüchlicher Vielstimmigkeit, zwischen Ästhetisierung und Dokumentation, zwischen Musealisierung und Aktivierung keinesfalls zurück und macht das durchaus kenntlich. Inwieweit sich dieses Spannungsverhältnis produktiv wenden ließe, wird sich erst im Austausch, den die Ausstellung mit dem Feld, in das sie interveniert, eingeht, weisen: kurzfristig im Begleitprogramm, im Austausch mit den Initiativen vor Ort, langfristig in den Köpfen, in denen sie Erinnerungen an früher mit den Möglichkeiten der Zukunft neu arrangiert. Auf jeden Fall sollte es mehr Ausstellungen und Formate geben, die diese Wagnisse eingehen.

Trotzdem – oder vielleicht gerade weil sich vor dem Thema des Protests so viele Fragen und Herausforderungen um das Verhältnis von Politik und ihrer künstlerischen, kulturellen oder auch architektonischen Thematisierung im Ausstellungskontext und ihrer notwendigen Vermittlung stellen, muss die Ausstellung als einer der wertvollsten Beiträge der letzten Jahre auf der Suche nach einem zeitgenössischen Architekturverständnis verstanden werden, zeigt sie doch Architektur als eine zutiefst gesellschaftliche Artikulationsform, die durchaus auch momenthaft auftreten kann. ›Architecture without architects‹ betitelte Bernard Rudofsky 1964 eine Ausstellung im MoMa, die in 200 Fotografien vernakuläre und indigene Bautraditionen zeigte und so mit dem tradierten, engen Architekturverständis der Zeit brach. ›Alles ist Architektur‹ schrieb Hans Hollein nur wenige Jahre später, begleitet von einer 30-seitigen Sammlung von Collagen und Bildern, die übrigens auch Protestformen versammelte. In einer Zeit, in der die für Hollein nichts als reaktionäre Konzeption, alle Architektur habe sich einzig am Gebauten auszurichten, wieder bedrohlich um sich greift, kann man nicht genug daran erinnern, dass eben alles Architektur werden kann. Heute reicht dafür etwa ein wenig Superkleber auf der Autobahn.

Ausstellung
Protest/Architektur. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber
Eine Ausstellung des DAM – Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, und des MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien
Projektleitung, Kurator DAM: Oliver Elser; Kurator MAK: Sebastian Hackenschmidt
MAK Wien, 14.02.2024–25.08.2024

Katalog
Oliver Elser, Anna-Maria Mayerhofer, Sebastian Hackenschmidt, Jennifer Dyck, Lilli Hollein, Peter Cachola Schmal (Hgg.):
Protestarchitektur. Barrikaden, Camps, raumgreifende Taktiken 1830–2023
Zürich: Park Books, 2023
528 Seiten, 19,60 EUR

dérive, Do., 2024.04.18



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dérive 95, Sampler

18. Januar 2021Oliver Elser
Der Standard

Utopische Architektur aus Luft, Papier und guten Absichten

Warum soll man sich von der Wirklichkeit einschränken lassen, wenn der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt sind?

Warum soll man sich von der Wirklichkeit einschränken lassen, wenn der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt sind?

Ein jeder Traum hat seine Zeit. Doch was aus jeweils speziellen Umständen heraus entstanden ist, entfaltet bisweilen nach Jahrzehnten eine plötzliche, manchmal regelrecht schmerzhafte Aktualität. Weil, zum Beispiel, Corona auf einmal alles verändert. Oder weil der frühere Traum jetzt vor dem Hintergrund der immer bedrohlicher werdenden Klimakatastrophe eine neue Deutung erfährt.

Diese aktuell so drängenden Probleme scheint der österreichische Architekt Hans Hollein irgendwie vorausgeahnt zu haben, als er sich im Jahr 1969 mitsamt Zeichenbrett und Festnetztelefon auf dem Flugfeld Aspern in einen transparenten Plastikballon setzte und dieses reichlich absurde Setting als „mobiles Büro“ bezeichnete.

Hätten wir nicht alle gern während des Lockdowns die Möglichkeit gehabt, den beengten Wohnverhältnissen einfach nach draußen zu entfliehen? Das Wetter und die Viren wären gleichermaßen an der pneumatischen Hülle abgeprallt. Ja, man kann sich vorstellen, dass der Schutzmechanismus sogar in umgekehrter Richtung wirken könnte.

Holleins Büroballon müsste technisch in der Lage sein, die akustische Umweltbelastung zu eliminieren, die unweigerlich dadurch entsteht, dass der Jungarchitekt laut quasselnd aus seiner Blase heraus mit wichtigen Auftraggebern in aller Welt telefoniert.

Möchte man wirklich die Homeoffice-Stunden des kommenden Corona-Winters in einer solchen Architekturvision verbringen wollen, selbst wenn die Heizungsfrage (zum Beispiel stilecht durch ein tragbares Atomkraftwerk) gelöst wäre?

Revolutionäre Träume

Architekturvisionen haben die Eigenart, dass sie ganz gerne in Horrorszenarien umkippen, sobald man etwas länger darüber nachdenkt. Das hat mit der unendlichen Trägheit menschlicher Wohngewohnheiten zu tun, wie sie der Architekt Adolf Loos ebenso prägnant wie für alle Visionäre total desillusionierend auf den Punkt gebracht hat: „Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.“

Revolutionäre Träume

Architekturvisionen haben die Eigenart, dass sie ganz gerne in Horrorszenarien umkippen, sobald man etwas länger darüber nachdenkt. Das hat mit der unendlichen Trägheit menschlicher Wohngewohnheiten zu tun, wie sie der Architekt Adolf Loos ebenso prägnant wie für alle Visionäre total desillusionierend auf den Punkt gebracht hat: „Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.“

Seit der Renaissance herrscht an Architekturvisionen kein Mangel mehr. Sie erscheinen als Zeichnungen, bisweilen auch als Traktate wie die 25 Bände Filaretes, die der Beschreibung einer idealen Stadt gewidmet sind, deren Mittelpunkt ein zehngeschoßiges Bordell bildet.

Auch architektonisch-literarische Utopiewelten, wie sie in der berühmten Hypnerotomachia Poliphili, einem Roman aus dem Jahr 1499, detailliert geschildert werden, für den Schriftsteller Umberto Eco „das vielleicht schönste Buch der Welt“, finden in ganz Europa Verbreitung.

Zugleich entstanden auch in der Realität Idealstädte, wie etwa das italienische Palmanova in der Nähe von Udine. Die kreisrunde Stadt mit ihren demokratisch-gleichmäßigen Parzellen und dem zentralen Platz in der Mitte entsprach der damaligen Idealvorstellung eines guten Lebens, das zugleich wegen der kompakten Bauweise effektiv verteidigt werden konnte.

Riesige Gebäude

Hingegen war die bauliche Umsetzung in die Wirklichkeit jenen Entwürfen nicht vergönnt, die am Vorabend der Französischen Revolution von 1789 der Architekt Étienne-Louis Boullée zu Papier brachte. Das Wunderkind Boullée wurde mit 19 zum Professor ernannt. Ab 1780 begann er von riesigen Gebäuden zu fantasieren.

Sein berühmtester Entwurf sollte das ganze Universum einschließen. Zu Ehren des Mathematikers und Physikers Isaac Newton entwarf Boullée einen kugelförmigen Bau um einen gewaltigen Hohlraum herum. Im Innern dieses riesigen Globus' mit etwa 150 Meter Durchmesser sollte, durch feine Lichtkanäle, bei den Besuchern der Eindruck des unendlichen Sternenhimmels erweckt werden. Die Entwürfe Boullées erinnern teils an die Überwältigungsarchitektur des Nationalsozialismus. Das Erhabene und der Schrecken angesichts erschlagender Dimensionen liegen nah beieinander.
Ersatzhandlung

Auch Karl Friedrich Schinkel träumte in gewaltigen Maßstäben. Der Berliner Architekt war mangels Aufträgen um 1800 gezwungen, sich gewaltige Dome an steile Küstenklippen zu träumen. Die Vision als Ersatzhandlung für das reale Bauen wird dann im 20. Jahrhundert regelrecht zum Klischee für den Beginn ambitionierter Architektenkarrieren.

Le Corbusier war 35 Jahre alt und hatte wenig anderes zu tun, als er 1922 die Neugründung einer Drei-Millionen-Einwohner-Stadt forderte. Kurz darauf schlug er vor, das Stadtzentrum von Paris auszulöschen und durch einen Pulk von Wohnhochhäusern zu ersetzen.

Der deutsche Architekt Herman Sörgel dachte zur selben Zeit noch größer. Ab 1928 fantasierte er von „Atlantropa“. Das Mittelmeer sollte durch zwei Staudämme vom Atlantik und vom Schwarzen Meer abgetrennt werden. Dadurch sinkt der Wasserspiegel, Tunesien, Sizilien und das italienische Festland wachsen zusammen, die versandete Adria kann zur Hälfte als Ackerland genutzt werden, auch die griechischen Inseln verschmelzen miteinander.

Politisch schwankte Sörgel zwischen dem völkerverbindenden Aspekt seines Großprojekts und kolonialen Überlegungen, die sich bis in die Sahara erstreckten. Den Nazis war Sörgels pazifistischer Ansatz nicht geheuer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren große Pläne nur kurzfristig ausgesetzt. Schon bald nahmen der weltweite Wiederaufbau und die Entkolonialisierung derartig Fahrt auf, dass in den Boomjahren des Bauens ab 1960 Visionen bisweilen schnell von der Realität übertroffen wurden.

Großsiedlungen, Großuniversitäten, Großkliniken – dazu die atomare Aufrüstung, das Apollo-Programm, der Vietnamkrieg: Nie zuvor wurde so viel Fortschrittsglaube mit zumeist guten Absichten in Beton gegossen oder buchstäblich auf den Mond geschossen.

Neue Visionen

Diese 1960er-Jahre waren das visionsmäßig wahrscheinlich ertragreichste Jahrzehnt der Architekturgeschichte, weil sich abseits der gewaltigen Bauprogramme eine neue Generation zu Wort meldete, die entweder skeptisch auf den Boom reagierte oder der all diese Groß-Großprojekte noch viel zu harmlos erschienen.

In Japan träumten die Metabolisten von gewaltigen Kapselhäusern, die wie riesige Baumkronen über die Städte wuchern sollten, statt Früchten kleine Wohnzellen tragend. Oder von schwimmenden Städten, was den realen Hintergrund hatte, dass das Bauland in Metropolen wie Tokio erschreckend knapp wurde.

Die britische Gruppe Archigram schickte „Walking Cities“ durch die Wüste. In Österreich entwickelten Coop Himmelb(l)au und Haus-Rucker-Co ihre technoid-organischen Gebilde, die bisweilen wie Sex-Apparaturen für den Austausch mit Außerirdischen wirkten.

Der Architekt Raimund Abraham erklärte, er wolle fortan lieber zeichnen, weil die Realität jeden Entwurf versaut, und ging in die USA, ebenso wie sein Freund Friedrich St. Florian. Einige der einstigen Avantgardisten haben eine scharfe Kehrtwende zum Realismus vollzogen, andere wie Wolf D. Prix bemühen sich auch im achten Lebensjahrzehnt noch um ihr Image als Enfant terrible.

Helden des Gewöhnlichen

Wie aber sieht es mit der heutigen Generation aus? Wovon träumt sie? Zwei, die sich entschieden haben, gegen die vermeintlichen Sachzwänge der Realität anzukämpfen, und damit zunehmend Erfolg haben, sind Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal. Ihr Verdienst besteht darin, sich zu verweigern. „Never demolish, always repair“ lautet ihr Credo: Niemals abreißen, immer umbauen.

Sie haben mehrfach bewiesen, dass auch architektonisch belanglose Wohnhochhäuser der 1970er-Jahre durch das intelligente Anfügen einer neuen Schicht aus Wintergarten-Balkonen enorm aufgewertet werden können. Die Bewohner der meist schwierigen Viertel können bleiben, und die graue Energie, die einst in diese Bauten gesteckt wurde, bleibt erhalten.

Lacaton & Vassal zeichnen keine Visionen, sondern füllen Excel-Tabellen aus. Damit stellen sie die Grundsätze des Bauens viel radikaler infrage als mit fiebrigen Visionen einer fantastischen Architektur.

Unter den jungen Architekten sind sie die Helden des Gewöhnlichen, was aber unendlich schwer in die Köpfe einer auf Wachstum, Verschleiß und Sensationen gepolten Gesellschaft hineinzubekommen ist.

Der Standard, Mo., 2021.01.18

01. Oktober 2010Oliver Elser
Bauwelt

Interview mit Manuel Herz

Manuel Herz, geboren 1969 in Düsseldorf. Bürostandorte in Köln und Basel. Gemeinsam mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron leitet Herz die Lehre und Forschung am ETH Studio Basel und forscht im Bereich der „Architektur des Humanitären Handelns“ und Planungsstrategien von Flüchtlingslagern (Bauwelt 48.07).

Manuel Herz, geboren 1969 in Düsseldorf. Bürostandorte in Köln und Basel. Gemeinsam mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron leitet Herz die Lehre und Forschung am ETH Studio Basel und forscht im Bereich der „Architektur des Humanitären Handelns“ und Planungsstrategien von Flüchtlingslagern (Bauwelt 48.07).



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Herz Manuel



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Bauwelt 2010|37 Neue Synagoge in Mainz

04. September 2009Oliver Elser
Bauwelt

Bellevue.

Wiener Architekten haben ein temporäres Projekt der europäischen Kulturhauptstadt Linz initiiert, das Sozialarbeit leistet und die Grenzen von Interventions-Kunst auslotet – und das über der Einfahrt eines Autobahntunnels.

Wiener Architekten haben ein temporäres Projekt der europäischen Kulturhauptstadt Linz initiiert, das Sozialarbeit leistet und die Grenzen von Interventions-Kunst auslotet – und das über der Einfahrt eines Autobahntunnels.

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Bellevue – Das gelbe Haus



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Bauwelt 2009|34 Fassaden

12. Juni 2009Oliver Elser
Bauwelt

Mainzer Markthäuser

Die Stäbchen vom Dach glänzen, die vorgesetzten Fassaden am Markt sind Kulisse. Die mächtige Haube mag im teilweise trostlosen Durcheinander der Nachkriegsarchitektur gar nicht besonders stören, doch die Kosten für das Prestigeobjekt des Mainzer Wohnungsbauunternehmens fallen völlig aus dem Rahmen.

Die Stäbchen vom Dach glänzen, die vorgesetzten Fassaden am Markt sind Kulisse. Die mächtige Haube mag im teilweise trostlosen Durcheinander der Nachkriegsarchitektur gar nicht besonders stören, doch die Kosten für das Prestigeobjekt des Mainzer Wohnungsbauunternehmens fallen völlig aus dem Rahmen.

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Bauwelt 2009|23 Blase geplatzt, Kredite gesperrt

22. September 2006Oliver Elser
Bauwelt

Zwischen trash und très chic

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren....

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren....

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren. Diese Gedenktafel weiht dem deutschen Meister das deutsche Volk.“ Die Verhältnisse sind nicht ganz einfach zu überschauen in Raiding, das im Jahr 1811 zur ungarischen Hälfte des k.u.k.-Reiches zählte, aber teilweise von der slowakischen Minderheit bewohnt wurde, der auch die Liszts angehörten. Ihren Sohn ließen sie auf Deutsch unterrichten und förderten frühzeitig sein musikalisches Talent. Im Alter von neun Jahren gelang Franz Liszt ein Auftritt bei Hofe als Wunderkind. Die Familie verließ daraufhin das Dorf und kehrte nie wieder zurück.

Die multinationalen Verschlingungen wiederholten sich beim Bau des Konzerthauses für 590 Zuhörer, mit dem ein- bis zweimal jährlich Scharen von Festivalbesuchern in einen entlegenen Winkel des Burgenlandes gelockt werden sollen. Die Architekten André Kempe und Oliver Thill sind in der DDR aufgewachsen, haben nach der Wende in Dresden studiert und im Jahr 2000 in Rotterdam ihr Architekturbüro eröffnet. Zu dem Auftrag in Raiding sind sie über einen offenen Wettbewerb gelangt, bei dem ihr Entwurf zunächst mit dem zweiten Preis ausgezeichnet wurde. Ihr Vorschlag war die pragmatischere Lösung, die sich dann auch durchsetzte. Die Finanzierung (6,8 Millionen Euro Gesamtkosten) erfolgte mit einer star ken Beteiligung des EU-Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Um den Erfolg bei der Vermarktung bemüht sich das Management der renommierten Haydn-Festspiele, die seit 1986 im fünfzig Kilometer entfernten Eisenstadt stattfinden.

Dass ein UFO gelandet sei, diese Phrase zählt zwar zum Standardrepertoire von Architekturbeschreibungen, aber in Rai ding ist kein besonders extravagantes Gebäude nötig, um auf diesen Gedanken zu verfallen. Der Ort bietet wenig, woran sich das Konzerthaus hätte orientieren können. Kein Gasthaus nimmt sich der Besucher an, kein romantisches Ortsbild spielt Kulisse. Der kleine Park rings um das Liszt-Geburtshaus erschiene einem auch ohne das neue Kulturgebäude wie eine exterritoriale Anlage inmitten des kargen Straßendorfes, dem durch die Fassadentünche der vergangenen Jahrzehnte jede spe zifische Anmut und Atmosphäre abhanden gekommen ist.

Obwohl damit jeder Versuch, sich einzufügen, von vornherein ausgeschlossen war, haben die Architekten eine Großform gewählt, die noch am ehesten passt, weil sie, kompakt und geschlossen, ebenso gut ein landwirtschaftliches Lager umschließen könnte. Die Fassade wirkt regelrecht billig, was auch tatsächlich der Fall ist. Sie besteht aus einer weißen Kunststoffschicht, die auf die Dämmplatten gespritzt wurde. Ein trashiges Gebäude – wäre jetzt als nächste Phrase fällig. Das zu behaupten ist nicht ganz falsch. Nur lässt sich beobachten, dass die Architekten immer kurz vor dem Moment, in dem eine Extremposition zum Klischee wird, das Gegenmittel einsetzen. Die Kunststoffhaut ist von Öffnungen durchbrochen, die so groß sind, dass Liszts Geburtshaus darin verschwinden könnte wie in einer Garage. Diese Aussparungen wurden mit den Insignien „guter Architektur“ verschlossen: Sorgfältig detaillierte Lärchenholztüren und üppig bemessene Fenster. Anstelle von Glas wurden in einem Stück gelieferte Acrylglasplatten eingesetzt. An der zum Park gelegenen Seite misst das Fenster fugenlose 4 x18 Meter. Das Material wird sonst nur beim Bau von Aquarien verwendet. Die Umgebung fließt nicht ins Gebäude hinein (das wäre Phrase Nummer 3), sie erscheint etwas schlierig, aber auch präsenter als bei einem Glasfenster, denn der durchsichtige Kunststoff spiegelt nicht.

Die eigentliche architektonische Gratwanderung findet im Zentrum statt, in dem für Kammermusik optimierten Konzertsaal. Er sollte ursprünglich als außen ablesbarer Holzbau- „Klangkörper“ in den umgebenden Foyerring hineingestellt werden, was aus akustischen Gründen verworfen wurde. Nun ist nur die innere Raumschale aus Holz, dahinter stehen Betonwände. Die Holzverkleidung droht gestalterisch in zwei Richtungen zu kippen: Auf der einen Seite in klassizistische Strenge, denn die Wände sind durch ein Balkenraster gegliedert. Andererseits neigt sich die Klassik gefährlich in Richtung „rustikale Almhütte“, denn aus Kostengründen musste Fichtenholz verwendet werden. Abertausende von Astlöchern brin gen die weihevolle Kassettierung durcheinander. Dass das Zusammentreffen von Eichenboden und Fichtenwänden für pu ristisch denkende Entwerfer einer Katastrophe gleicht, kommt noch hinzu. Aber genau in solchen Wagnissen liegt die Qualität des Gebäudes, seine Frische jenseits aktuell angesagter Design-Vorstellungen, insbesondere im Vergleich zur österreichischen Architekturszene. Zwischen den Polen „trashig“ und „très chic“ ist es fein ausbalanciert.

Im Detail ist der Konzertsaal weit weniger kantig als beim ersten Augenschein. Der Akustiker sorgte dafür, dass alle Holzpaneele mit einer Fräse bombiert wurden, um den Schall besser zu streuen. Im Steiflicht ist zu erkennen, dass „die Platten eigentlich Blobs sind“, wie die Architekten amüsiert feststellen.

Bauwelt, Fr., 2006.09.22



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Franz-Liszt-Konzerthaus



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28. Mai 2005Oliver Elser
Der Standard

Für die Laufkundschaft

Dass Kinder Raum zur Entwicklung brauchen, ist ein pädagogischer Gemeinplatz. Ab dem Moment, wo sie sich aufrichten und die ersten Schritte wagen, kann...

Dass Kinder Raum zur Entwicklung brauchen, ist ein pädagogischer Gemeinplatz. Ab dem Moment, wo sie sich aufrichten und die ersten Schritte wagen, kann...

Dass Kinder Raum zur Entwicklung brauchen, ist ein pädagogischer Gemeinplatz. Ab dem Moment, wo sie sich aufrichten und die ersten Schritte wagen, kann dieser Raum gar nicht groß genug sein. Es werden Rennstrecken gebraucht und Hindernisse wie Stiegen, an denen sie sich endlos hinauf- und hinunterturnen können, dass Sisyphus seine wahre Freude daran gehabt hätte.

Dass auch Architekten Raum zur Entwicklung brauchen, ist weniger selbstverständlich. Meistens regelt irgendjemand im Vorhinein, was der spätere Bau alles können soll. Raumprogramm, Kubatur, Funktionsschemata, Flächenbedarf. Als würde man für ein Kind im Säuglingsalter bereits den späteren Beruf auswählen. Zum Glück sind viele Architekten auf der Entwicklungsstufe trotziger Teenager stehen geblieben und werden nicht müde, immer wieder gegen die Regeln zu rebellieren. Manchen Gebäuden ist es auf den ersten Blick anzusehen, dass hier jemand einen eigenen Weg eingeschlagen hat. Bei anderen springt die Abweichung von der Norm nicht sofort ins Auge. Sie sind nicht unbedingt besser als die kapriziösen Allein-gegen-alle-Architekturen, nur zeigt sich immer wieder, dass die Ressourcen doch meist endlich sind: Entweder ein Gebäude spreizt sich wie ein Pfau oder es wurde in die Intelligenz des Konzepts investiert. Dass beides zusammenfällt, ist selten.

Der Kindergarten KIGA in St. Anton gehört zur Kategorie der klugen, aber nicht um Aufmerksamkeit heischenden Häuser. Mit seiner grauen Eternitfassade und der an eine Fabrik erinnernden Silhouette steht er zwar recht trotzig vor den aufgeblasenen Tirolerhaus-Mutanten seiner Nachbarschaft. Doch von außen bleibt unentschieden, ob die Architekten von AllesWirdGut hier etwas richtig hässliches oder vielleicht doch ein auf eigene Weise schönes Gegengebäude errichten wollten. Die Gemeinde jedenfalls, erzählt Karl Gitterle, der vor Ort ansässige Projektpartner, hätte sich, wenn schon so modern, dann doch aber wenigstens mehr Holz gewünscht. Aber es steckt nun einmal eine Betonkonstruktion dahinter, und daher ist der Bau außen so grau, als hätte das Budget ausgereicht, ihn in Sichtbeton auf die Wiese zu stellen. Holz kam nur an den Einfassungen der Fenster zum Einsatz und wird, da es unbehandelt ist, mit der Zeit dieselbe Farbe wie die Eternitplatten annehmen.

So richtig lustig also steht der KIGA nicht am Ortsrand. Vielleicht ein Reflex auf den Farbenwahn, der die Hersteller von allerlei Spielgerät befallen hat, die meinen, dass Kinder es gerne bunt haben. Man erinnere sich daran, dass das erste und für lange Zeit einzige schwarze Gebäude, das in Österreich entstanden ist, ebenfalls ein Kindergarten war, gebaut von Adolf Krischanitz im Jahr 1994 in Wien. Farbe, pflegen Architekten zu diesem Thema gerne zu antworten, kommt durch die Kinder ins Haus. Nun gut, der Hundertwasser-Schock sitzt eben tief.

Die wahren Qualitäten des Kindergartens in St. Anton, der mit einer anerkennenden Erwähnung beim Architekturpreis des Landes Tirol ausgezeichnet wurde, liegen im Inneren. Dort wurde nicht akzeptiert, was das Raumprogramm als Standard vorschreibt, nämlich eine Reihung von Gruppen- und Rückzugsräumen plus Gemeinschaftsflächen. Wie bereits bei früheren Projekten haben AllesWirdGut eine räumliche Extraleistung hinzugefügt, die aber keine oder nur geringe Mehrkosten verursacht. Zwischen die drei Gruppenräume wurden Wintergärten eingefügt, deren erweiterte Raumhöhe sich außen als aufgesetzte Dachdreiecke abzeichnet. Diese beiden Zusatzräume sind nicht beheizt und haben keine Wärmedämmung. Sie sind ein Energiepuffer in einem bautechnischen und ein Bewegungspuffer in einem pädagogischen Sinne.

Durch die Wintergärten gelangen die Kinder hinaus in den Garten oder können sich abseits ihrer Zuordnung in eine der drei Gruppen bewegen. Nur durch die Wintergärten wird der Kindergarten zu einem räumlich komplexen Gebilde. Denn aus den Gruppenräumen führen Stiegen in die Rückzugsbereiche, die wie Schwalbennester in die Wintergärten hineingehängt sind. In diesen Raumkabinen ist es für Erwachsene fast zu niedrig. Die Kinder hingegen haben nicht nur einen zusätzlichen Spielort. Sie können durch Bullaugen in Räume hineinsehen, die jenseits der Gruppengrenzen liegen. Ob sich die Drei- bis Sechsjährigen des Raffinements dieser Verschachtelungen bewusst sind? Vielleicht erwacht hier ja eine Sensibilität, die sie davor bewahrt, im späteren Leben die Stapelware der meisten Bauten als gottgegeben hinzunehmen.

Vieles in diesem Gebäude stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Der zentrale Gang etwa, der an den Gruppenräumen mit ihren vorgelagerten Wasch- und WC-Bereichen entlangführt. Er befindet sich mitten in der Baumasse, ist aber durch ein umlaufendes Lichtband so hell, dass selbst an einem trüben Tag der Eindruck entsteht, im Freien zu sein. Auf der anderen Seite des Gangs liegt eine offene Küche, und jenseits davon schließt eine Aula an, die auch als Gymnastikraum genutzt wird. Es ist wieder kein kistenförmiger Raumbehälter. Aus dem Boden wächst eine Sitztreppe, Zuschauertribüne bei Theateraufführungen, die hinaufführt auf eine Bibliotheksgalerie, an die der knapp bemessene Bürobereich für die Leiterin des Kindergartens anschließt. Sie schaut auf den Eingang hinunter, aber das ist die einzige Position für Kontrollblicke in diesem ganz auf Kinderaugenhöhe entwickelten Bau.

Der Standard, Sa., 2005.05.28



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KIGA - Kindergarten

28. Mai 2005Oliver Elser
Der Standard

Verkaufsräume

Ein Asphaltboden, schwarze Wände, Möbel und Regale, eine schwarze, leicht spiegelnde Decke und eine perfekte Lichtregie sind die Zutaten, um bei Wiederin...

Ein Asphaltboden, schwarze Wände, Möbel und Regale, eine schwarze, leicht spiegelnde Decke und eine perfekte Lichtregie sind die Zutaten, um bei Wiederin...

Ein Asphaltboden, schwarze Wände, Möbel und Regale, eine schwarze, leicht spiegelnde Decke und eine perfekte Lichtregie sind die Zutaten, um bei Wiederin in Innsbruck die Bücher zum Leuchten zu bringen. Doch der Verkaufsraum ist keine schummrige Höhle, sondern trotz der Schwärze paradoxerweise hell, freundlich und offen gegenüber dem Straßenraum. Zur Fußgängerzone öffnet sich der kleine Laden mit zwei großen Schaufensterscheiben, die auf der Außen- und Innenseite der tiefen Fensterrahmen als Ablageflächen dienen und so die gläserne Grenze zum Stadtraum optisch aufheben. Rainer Köberl hat bereits bei seinem 2004 eröffneten MPreis-Supermarkt die Waren als Fetische in einer schwarzen Höhle präsentiert. Dort, im Untergeschoss des neuen, an den italienischen Razionalismo der 1930er- Jahre erinnernden Bahnhofs von Innsbruck (ALBUM, 30. 04. 04) musste Köberl die Architekturambitionen der Tiroler Supermarktkette zum ersten Mal im Rahmen einer reinen Innenraumgestaltung verwirklichen. Die Buchhandlung Wiederin, auch sie erhielt heuer den Architekturpreis des Landes Tirol, ist noch konsequenter auf die Waren und nichts anderes fokussiert. Nicht ohne Grund lieben viele Architekten die Nachtansichten ihrer Gebäude so sehr, bei denen der Inhalt der baulichen Hülle in den Vordergrund tritt. Bei der Buchhandlung wird dieses Bild zum Dauerzustand, egal ob gerade Tag ist oder Nacht.

Der Standard, Sa., 2005.05.28



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Bücher Wiederin (heute Buchhandlung Haymon)

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Publikationen

Presseschau 12

»Was ist Architektur?« fragen Oliver Elser und Sebastian Hackenschmidt und finden eine Antwort im Protest

Auf einem Podest liegt ein ungewöhnlich anmutendes Objekt, zusammengezimmert aus Holz, das entfernt an einen Ausguck auf einem Schiffsmast erinnert; daneben...

Auf einem Podest liegt ein ungewöhnlich anmutendes Objekt, zusammengezimmert aus Holz, das entfernt an einen Ausguck auf einem Schiffsmast erinnert; daneben...

Auf einem Podest liegt ein ungewöhnlich anmutendes Objekt, zusammengezimmert aus Holz, das entfernt an einen Ausguck auf einem Schiffsmast erinnert; daneben hängen, in einem Gewirr von Seilen ein Paar Bretter, die, zu einem Weg verbunden, über den Köpfen schweben. Sie waren Teil einer Hängebrücke, die Baumhäuser im Hambacher Forst verband und ihre Bewohner:innen in einem analogen Kommunikationsnetzwerk miteinander in Austausch brachte. Jenes Camp, mit dem gegen die Ausweitung des Braunkohleabbaus im Rheinland protestiert wurde. Das Objekt ist die Spitze eines Monopods – ein Hochsitz auf einem einzelnen Mast, mit Seilen am Boden abgespannt; eine Verzögerungsarchitektur, die sich nicht einfach aus dem Weg räumen lässt, will man nicht riskieren, dass die oben Sitzende in die Tiefen stürzt. Es stammt aus dem Fechenheimer Wald in Frankfurt, wo Monopods – und Tripods, ihre dreibeinigen Verwandten – gegen den Ausbau der Autobahn eingesetzt wurden. Die beiden sind nur zwei der Artefakte, Bilder, Videos und Modelle von Architekturen, die die Ausstellung ›Protest / Architektur – Barrikaden, Camps, Sekundenkleber‹ versammelt, die derzeit im Museum für Angewandte Kunst in Wien zu sehen ist.

In 13 Fallstudien untersucht ein kuratorisches Team um Oliver Elser und Sebastian Hackenschmidt in einer Zusammenarbeit des DAM (Deutsches Architekturmuseum in Frankfurt a. M.) mit dem Wiener MAK räumliche Artikulationsformen von Protesten. Dazu zählen aktuelle lokale Beispiele wie die Proteste von LobauBleibt gegen die Fertigstellung des Autobahnrings um Wien durch das unter Schutz stehende Augebiet, bekannte Beispiele wie die zum ›Arabischen Frühling‹ zählenden, wiederkehrenden Massenproteste am Tahrir-Platz, jene des ›Umbrella Movements‹ in Hongkong oder die Anti-AKW-Proteste der ›Republik Freies Wendland‹ in Gorleben; aber auch medial wenig behandelte Widerstandsbewegungen, wie die ›Farmer-Protests‹ gegen die Liberalisierung des Agrarwesens Indiens 2020. Ein Jahr lang wurden vor Delhi Autobahnen blockiert. Die Camps boten allen, unabhängig von Religion, Kaste, Klasse oder Geschlecht eine öffentliche Infrastruktur; oder MTST, das ›Movimento dos Trabalhadores Sem-Teto‹ (Bewegung der Arbeiter:innen ohne Dach), das unter dem Titel ›Povo Sem Medo‹ (Volk ohne Angst) mit der Besetzung brachliegender Flächen in São Paolo gegen Immobilienspekulation eintritt und bezahlbaren Wohnraum fordert.

Was die Ausstellung mit diesen ausgiebig recherchierten Beispielen erzählt, ist nichts weniger als die Globalgeschichte einer Architektur, die sich nicht an einem Stil, einer Haltung oder Material ausmachen lässt, sondern im Protest Architektur in ihrer vielleicht vergänglichsten Form vorfindet: in der geplanten Zusammenkunft von Menschen, mit dem Ziel, Dinge zu ermöglichen oder sie zu verhindern und dem, was sie räumlich fasst. Ergänzt werden diese Fallstudien um eine Chronologie von Protesten zwischen 1830 und 2022, sowie um eine allgemeine Einführung. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der die ›Protestarchitektur, Barikaden, Camps, raumgreifende Taktiken 1830–2023‹, so der Titel, mit dem Anspruch, ein Nachschlagewerk in Sachen Widerstandsarchitektur zu liefern, lexikalisch behandelt.

Nicht oft wagen sich institutionelle Ausstellungsräume in Konfliktzonen des politisierten Alltagslebens vor, und stellen dabei die eigenen Gewissheiten – und damit die Deutungshoheit, was unter Architektur zu verstehen ist – so grundsätzlich in Frage. Die Produktion von Räumen kann keinesfalls einer einzelnen Profession obliegen, so ließe sich der demokratische Gestus der Ausstellung lesen. Mehr noch: Wenn sie etwa auf einem Podest jenes Werkzeug und Material versammelt, aus denen diese Strukturen des Widerstandes geschaffen wurden, dann ließe sich das geradezu als Ermutigung lesen, selbst Hand anzulegen, sie birgt in ihrem Zugang einen durchaus ermächtigenden Charakter. Stellenweise stolpert die Ausstellung dabei allerdings über den eigenen Anspruch: Im Wunsch, die Proteste möglichst zugänglich zu machen, greift man zu einer Strategie, die sich wohl als eine Vermittlung der Einfühlung bezeichnen ließe. Neben den eingangs erwähnten Artefakten und dem am Original gehaltenen Bildmaterial sind es szenische Modelle der Protestarchitekturen, die ihre Wirklichkeiten möglichst detailgetreu wiedergeben sollen. Diese ausgeschmückte Miniaturisierung der Proteste ohne ihre Übersetzung mag zwar Stimmung vermitteln, sie droht aber, tendenziell in ihre Entpolitisierung zu führen. »Vergangenes historisch aktualisieren heißt nicht, es erkennen, wie es denn eigentlich gewesen ist«, kritisierte Walter Benjamin einst den Historiker von Ranke. Aufgabe der Geschichtsschreibung (oder hier der Kuratierung) wäre, sich Erinnerungen zu bemächtigen, Geschichte gegen den Strich zu bürsten, und eine Vielzahl von – möglicherweise widersprüchlichen – Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Beiträge, die einen Abstraktionsschritt dokumentarisch vornehmen und Proteste künstlerisch aufarbeiten, wie etwa Oliver Resslers Arbeit zur Stadtstraße, bleiben in der Zusammenstellung die Ausnahme.

Für eine Ausstellung, die sich unzweifelhaft den Protesten der Vielen widmet, bleibt ›Protest/Architektur‹ daher ungewöhnlich einstimmig, was durch eine Ausstellungsarchitektur und eine Grafik, die noch die Bildbeschreibung ins Bild setzt, bewusst in Szene gesetzt wird. Der demokratische Anspruch, verständlich zu möglichst vielen zu sprechen, findet sich damit bald in einem Dilemma wieder: Was auf der einen Seite innere Kohärenz und Niederschwelligkeit in der Vermittlung schafft, wirft auf der anderen Seite neue Fragen auf, etwa dort, wo der Sturm auf das US-Kapitol in Washington am 6. Jänner 2021 durch waffentragende rechtsextreme Milizen, deren räumliches Vorgehen Beihilfe, zumindest aber Duldung durch Sicherheitspersonal und einzelne Regierende erfahren hat, ohne weitere Kommentare als Protest – und nicht etwa als Putschversuch dargestellt wird. Dabei hält die Ausstellung ihr eigenes Ringen mit den Widersprüchen zwischen Zugänglichkeit und widersprüchlicher Vielstimmigkeit, zwischen Ästhetisierung und Dokumentation, zwischen Musealisierung und Aktivierung keinesfalls zurück und macht das durchaus kenntlich. Inwieweit sich dieses Spannungsverhältnis produktiv wenden ließe, wird sich erst im Austausch, den die Ausstellung mit dem Feld, in das sie interveniert, eingeht, weisen: kurzfristig im Begleitprogramm, im Austausch mit den Initiativen vor Ort, langfristig in den Köpfen, in denen sie Erinnerungen an früher mit den Möglichkeiten der Zukunft neu arrangiert. Auf jeden Fall sollte es mehr Ausstellungen und Formate geben, die diese Wagnisse eingehen.

Trotzdem – oder vielleicht gerade weil sich vor dem Thema des Protests so viele Fragen und Herausforderungen um das Verhältnis von Politik und ihrer künstlerischen, kulturellen oder auch architektonischen Thematisierung im Ausstellungskontext und ihrer notwendigen Vermittlung stellen, muss die Ausstellung als einer der wertvollsten Beiträge der letzten Jahre auf der Suche nach einem zeitgenössischen Architekturverständnis verstanden werden, zeigt sie doch Architektur als eine zutiefst gesellschaftliche Artikulationsform, die durchaus auch momenthaft auftreten kann. ›Architecture without architects‹ betitelte Bernard Rudofsky 1964 eine Ausstellung im MoMa, die in 200 Fotografien vernakuläre und indigene Bautraditionen zeigte und so mit dem tradierten, engen Architekturverständis der Zeit brach. ›Alles ist Architektur‹ schrieb Hans Hollein nur wenige Jahre später, begleitet von einer 30-seitigen Sammlung von Collagen und Bildern, die übrigens auch Protestformen versammelte. In einer Zeit, in der die für Hollein nichts als reaktionäre Konzeption, alle Architektur habe sich einzig am Gebauten auszurichten, wieder bedrohlich um sich greift, kann man nicht genug daran erinnern, dass eben alles Architektur werden kann. Heute reicht dafür etwa ein wenig Superkleber auf der Autobahn.

Ausstellung
Protest/Architektur. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber
Eine Ausstellung des DAM – Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, und des MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien
Projektleitung, Kurator DAM: Oliver Elser; Kurator MAK: Sebastian Hackenschmidt
MAK Wien, 14.02.2024–25.08.2024

Katalog
Oliver Elser, Anna-Maria Mayerhofer, Sebastian Hackenschmidt, Jennifer Dyck, Lilli Hollein, Peter Cachola Schmal (Hgg.):
Protestarchitektur. Barrikaden, Camps, raumgreifende Taktiken 1830–2023
Zürich: Park Books, 2023
528 Seiten, 19,60 EUR

dérive, Do., 2024.04.18



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18. Januar 2021Oliver Elser
Der Standard

Utopische Architektur aus Luft, Papier und guten Absichten

Warum soll man sich von der Wirklichkeit einschränken lassen, wenn der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt sind?

Warum soll man sich von der Wirklichkeit einschränken lassen, wenn der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt sind?

Ein jeder Traum hat seine Zeit. Doch was aus jeweils speziellen Umständen heraus entstanden ist, entfaltet bisweilen nach Jahrzehnten eine plötzliche, manchmal regelrecht schmerzhafte Aktualität. Weil, zum Beispiel, Corona auf einmal alles verändert. Oder weil der frühere Traum jetzt vor dem Hintergrund der immer bedrohlicher werdenden Klimakatastrophe eine neue Deutung erfährt.

Diese aktuell so drängenden Probleme scheint der österreichische Architekt Hans Hollein irgendwie vorausgeahnt zu haben, als er sich im Jahr 1969 mitsamt Zeichenbrett und Festnetztelefon auf dem Flugfeld Aspern in einen transparenten Plastikballon setzte und dieses reichlich absurde Setting als „mobiles Büro“ bezeichnete.

Hätten wir nicht alle gern während des Lockdowns die Möglichkeit gehabt, den beengten Wohnverhältnissen einfach nach draußen zu entfliehen? Das Wetter und die Viren wären gleichermaßen an der pneumatischen Hülle abgeprallt. Ja, man kann sich vorstellen, dass der Schutzmechanismus sogar in umgekehrter Richtung wirken könnte.

Holleins Büroballon müsste technisch in der Lage sein, die akustische Umweltbelastung zu eliminieren, die unweigerlich dadurch entsteht, dass der Jungarchitekt laut quasselnd aus seiner Blase heraus mit wichtigen Auftraggebern in aller Welt telefoniert.

Möchte man wirklich die Homeoffice-Stunden des kommenden Corona-Winters in einer solchen Architekturvision verbringen wollen, selbst wenn die Heizungsfrage (zum Beispiel stilecht durch ein tragbares Atomkraftwerk) gelöst wäre?

Revolutionäre Träume

Architekturvisionen haben die Eigenart, dass sie ganz gerne in Horrorszenarien umkippen, sobald man etwas länger darüber nachdenkt. Das hat mit der unendlichen Trägheit menschlicher Wohngewohnheiten zu tun, wie sie der Architekt Adolf Loos ebenso prägnant wie für alle Visionäre total desillusionierend auf den Punkt gebracht hat: „Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.“

Revolutionäre Träume

Architekturvisionen haben die Eigenart, dass sie ganz gerne in Horrorszenarien umkippen, sobald man etwas länger darüber nachdenkt. Das hat mit der unendlichen Trägheit menschlicher Wohngewohnheiten zu tun, wie sie der Architekt Adolf Loos ebenso prägnant wie für alle Visionäre total desillusionierend auf den Punkt gebracht hat: „Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.“

Seit der Renaissance herrscht an Architekturvisionen kein Mangel mehr. Sie erscheinen als Zeichnungen, bisweilen auch als Traktate wie die 25 Bände Filaretes, die der Beschreibung einer idealen Stadt gewidmet sind, deren Mittelpunkt ein zehngeschoßiges Bordell bildet.

Auch architektonisch-literarische Utopiewelten, wie sie in der berühmten Hypnerotomachia Poliphili, einem Roman aus dem Jahr 1499, detailliert geschildert werden, für den Schriftsteller Umberto Eco „das vielleicht schönste Buch der Welt“, finden in ganz Europa Verbreitung.

Zugleich entstanden auch in der Realität Idealstädte, wie etwa das italienische Palmanova in der Nähe von Udine. Die kreisrunde Stadt mit ihren demokratisch-gleichmäßigen Parzellen und dem zentralen Platz in der Mitte entsprach der damaligen Idealvorstellung eines guten Lebens, das zugleich wegen der kompakten Bauweise effektiv verteidigt werden konnte.

Riesige Gebäude

Hingegen war die bauliche Umsetzung in die Wirklichkeit jenen Entwürfen nicht vergönnt, die am Vorabend der Französischen Revolution von 1789 der Architekt Étienne-Louis Boullée zu Papier brachte. Das Wunderkind Boullée wurde mit 19 zum Professor ernannt. Ab 1780 begann er von riesigen Gebäuden zu fantasieren.

Sein berühmtester Entwurf sollte das ganze Universum einschließen. Zu Ehren des Mathematikers und Physikers Isaac Newton entwarf Boullée einen kugelförmigen Bau um einen gewaltigen Hohlraum herum. Im Innern dieses riesigen Globus' mit etwa 150 Meter Durchmesser sollte, durch feine Lichtkanäle, bei den Besuchern der Eindruck des unendlichen Sternenhimmels erweckt werden. Die Entwürfe Boullées erinnern teils an die Überwältigungsarchitektur des Nationalsozialismus. Das Erhabene und der Schrecken angesichts erschlagender Dimensionen liegen nah beieinander.
Ersatzhandlung

Auch Karl Friedrich Schinkel träumte in gewaltigen Maßstäben. Der Berliner Architekt war mangels Aufträgen um 1800 gezwungen, sich gewaltige Dome an steile Küstenklippen zu träumen. Die Vision als Ersatzhandlung für das reale Bauen wird dann im 20. Jahrhundert regelrecht zum Klischee für den Beginn ambitionierter Architektenkarrieren.

Le Corbusier war 35 Jahre alt und hatte wenig anderes zu tun, als er 1922 die Neugründung einer Drei-Millionen-Einwohner-Stadt forderte. Kurz darauf schlug er vor, das Stadtzentrum von Paris auszulöschen und durch einen Pulk von Wohnhochhäusern zu ersetzen.

Der deutsche Architekt Herman Sörgel dachte zur selben Zeit noch größer. Ab 1928 fantasierte er von „Atlantropa“. Das Mittelmeer sollte durch zwei Staudämme vom Atlantik und vom Schwarzen Meer abgetrennt werden. Dadurch sinkt der Wasserspiegel, Tunesien, Sizilien und das italienische Festland wachsen zusammen, die versandete Adria kann zur Hälfte als Ackerland genutzt werden, auch die griechischen Inseln verschmelzen miteinander.

Politisch schwankte Sörgel zwischen dem völkerverbindenden Aspekt seines Großprojekts und kolonialen Überlegungen, die sich bis in die Sahara erstreckten. Den Nazis war Sörgels pazifistischer Ansatz nicht geheuer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren große Pläne nur kurzfristig ausgesetzt. Schon bald nahmen der weltweite Wiederaufbau und die Entkolonialisierung derartig Fahrt auf, dass in den Boomjahren des Bauens ab 1960 Visionen bisweilen schnell von der Realität übertroffen wurden.

Großsiedlungen, Großuniversitäten, Großkliniken – dazu die atomare Aufrüstung, das Apollo-Programm, der Vietnamkrieg: Nie zuvor wurde so viel Fortschrittsglaube mit zumeist guten Absichten in Beton gegossen oder buchstäblich auf den Mond geschossen.

Neue Visionen

Diese 1960er-Jahre waren das visionsmäßig wahrscheinlich ertragreichste Jahrzehnt der Architekturgeschichte, weil sich abseits der gewaltigen Bauprogramme eine neue Generation zu Wort meldete, die entweder skeptisch auf den Boom reagierte oder der all diese Groß-Großprojekte noch viel zu harmlos erschienen.

In Japan träumten die Metabolisten von gewaltigen Kapselhäusern, die wie riesige Baumkronen über die Städte wuchern sollten, statt Früchten kleine Wohnzellen tragend. Oder von schwimmenden Städten, was den realen Hintergrund hatte, dass das Bauland in Metropolen wie Tokio erschreckend knapp wurde.

Die britische Gruppe Archigram schickte „Walking Cities“ durch die Wüste. In Österreich entwickelten Coop Himmelb(l)au und Haus-Rucker-Co ihre technoid-organischen Gebilde, die bisweilen wie Sex-Apparaturen für den Austausch mit Außerirdischen wirkten.

Der Architekt Raimund Abraham erklärte, er wolle fortan lieber zeichnen, weil die Realität jeden Entwurf versaut, und ging in die USA, ebenso wie sein Freund Friedrich St. Florian. Einige der einstigen Avantgardisten haben eine scharfe Kehrtwende zum Realismus vollzogen, andere wie Wolf D. Prix bemühen sich auch im achten Lebensjahrzehnt noch um ihr Image als Enfant terrible.

Helden des Gewöhnlichen

Wie aber sieht es mit der heutigen Generation aus? Wovon träumt sie? Zwei, die sich entschieden haben, gegen die vermeintlichen Sachzwänge der Realität anzukämpfen, und damit zunehmend Erfolg haben, sind Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal. Ihr Verdienst besteht darin, sich zu verweigern. „Never demolish, always repair“ lautet ihr Credo: Niemals abreißen, immer umbauen.

Sie haben mehrfach bewiesen, dass auch architektonisch belanglose Wohnhochhäuser der 1970er-Jahre durch das intelligente Anfügen einer neuen Schicht aus Wintergarten-Balkonen enorm aufgewertet werden können. Die Bewohner der meist schwierigen Viertel können bleiben, und die graue Energie, die einst in diese Bauten gesteckt wurde, bleibt erhalten.

Lacaton & Vassal zeichnen keine Visionen, sondern füllen Excel-Tabellen aus. Damit stellen sie die Grundsätze des Bauens viel radikaler infrage als mit fiebrigen Visionen einer fantastischen Architektur.

Unter den jungen Architekten sind sie die Helden des Gewöhnlichen, was aber unendlich schwer in die Köpfe einer auf Wachstum, Verschleiß und Sensationen gepolten Gesellschaft hineinzubekommen ist.

Der Standard, Mo., 2021.01.18

01. Oktober 2010Oliver Elser
Bauwelt

Interview mit Manuel Herz

Manuel Herz, geboren 1969 in Düsseldorf. Bürostandorte in Köln und Basel. Gemeinsam mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron leitet Herz die Lehre und Forschung am ETH Studio Basel und forscht im Bereich der „Architektur des Humanitären Handelns“ und Planungsstrategien von Flüchtlingslagern (Bauwelt 48.07).

Manuel Herz, geboren 1969 in Düsseldorf. Bürostandorte in Köln und Basel. Gemeinsam mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron leitet Herz die Lehre und Forschung am ETH Studio Basel und forscht im Bereich der „Architektur des Humanitären Handelns“ und Planungsstrategien von Flüchtlingslagern (Bauwelt 48.07).



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Herz Manuel



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Bauwelt 2010|37 Neue Synagoge in Mainz

04. September 2009Oliver Elser
Bauwelt

Bellevue.

Wiener Architekten haben ein temporäres Projekt der europäischen Kulturhauptstadt Linz initiiert, das Sozialarbeit leistet und die Grenzen von Interventions-Kunst auslotet – und das über der Einfahrt eines Autobahntunnels.

Wiener Architekten haben ein temporäres Projekt der europäischen Kulturhauptstadt Linz initiiert, das Sozialarbeit leistet und die Grenzen von Interventions-Kunst auslotet – und das über der Einfahrt eines Autobahntunnels.

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Bellevue – Das gelbe Haus



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Bauwelt 2009|34 Fassaden

12. Juni 2009Oliver Elser
Bauwelt

Mainzer Markthäuser

Die Stäbchen vom Dach glänzen, die vorgesetzten Fassaden am Markt sind Kulisse. Die mächtige Haube mag im teilweise trostlosen Durcheinander der Nachkriegsarchitektur gar nicht besonders stören, doch die Kosten für das Prestigeobjekt des Mainzer Wohnungsbauunternehmens fallen völlig aus dem Rahmen.

Die Stäbchen vom Dach glänzen, die vorgesetzten Fassaden am Markt sind Kulisse. Die mächtige Haube mag im teilweise trostlosen Durcheinander der Nachkriegsarchitektur gar nicht besonders stören, doch die Kosten für das Prestigeobjekt des Mainzer Wohnungsbauunternehmens fallen völlig aus dem Rahmen.

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Bauwelt 2009|23 Blase geplatzt, Kredite gesperrt

22. September 2006Oliver Elser
Bauwelt

Zwischen trash und très chic

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren....

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren....

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren. Diese Gedenktafel weiht dem deutschen Meister das deutsche Volk.“ Die Verhältnisse sind nicht ganz einfach zu überschauen in Raiding, das im Jahr 1811 zur ungarischen Hälfte des k.u.k.-Reiches zählte, aber teilweise von der slowakischen Minderheit bewohnt wurde, der auch die Liszts angehörten. Ihren Sohn ließen sie auf Deutsch unterrichten und förderten frühzeitig sein musikalisches Talent. Im Alter von neun Jahren gelang Franz Liszt ein Auftritt bei Hofe als Wunderkind. Die Familie verließ daraufhin das Dorf und kehrte nie wieder zurück.

Die multinationalen Verschlingungen wiederholten sich beim Bau des Konzerthauses für 590 Zuhörer, mit dem ein- bis zweimal jährlich Scharen von Festivalbesuchern in einen entlegenen Winkel des Burgenlandes gelockt werden sollen. Die Architekten André Kempe und Oliver Thill sind in der DDR aufgewachsen, haben nach der Wende in Dresden studiert und im Jahr 2000 in Rotterdam ihr Architekturbüro eröffnet. Zu dem Auftrag in Raiding sind sie über einen offenen Wettbewerb gelangt, bei dem ihr Entwurf zunächst mit dem zweiten Preis ausgezeichnet wurde. Ihr Vorschlag war die pragmatischere Lösung, die sich dann auch durchsetzte. Die Finanzierung (6,8 Millionen Euro Gesamtkosten) erfolgte mit einer star ken Beteiligung des EU-Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Um den Erfolg bei der Vermarktung bemüht sich das Management der renommierten Haydn-Festspiele, die seit 1986 im fünfzig Kilometer entfernten Eisenstadt stattfinden.

Dass ein UFO gelandet sei, diese Phrase zählt zwar zum Standardrepertoire von Architekturbeschreibungen, aber in Rai ding ist kein besonders extravagantes Gebäude nötig, um auf diesen Gedanken zu verfallen. Der Ort bietet wenig, woran sich das Konzerthaus hätte orientieren können. Kein Gasthaus nimmt sich der Besucher an, kein romantisches Ortsbild spielt Kulisse. Der kleine Park rings um das Liszt-Geburtshaus erschiene einem auch ohne das neue Kulturgebäude wie eine exterritoriale Anlage inmitten des kargen Straßendorfes, dem durch die Fassadentünche der vergangenen Jahrzehnte jede spe zifische Anmut und Atmosphäre abhanden gekommen ist.

Obwohl damit jeder Versuch, sich einzufügen, von vornherein ausgeschlossen war, haben die Architekten eine Großform gewählt, die noch am ehesten passt, weil sie, kompakt und geschlossen, ebenso gut ein landwirtschaftliches Lager umschließen könnte. Die Fassade wirkt regelrecht billig, was auch tatsächlich der Fall ist. Sie besteht aus einer weißen Kunststoffschicht, die auf die Dämmplatten gespritzt wurde. Ein trashiges Gebäude – wäre jetzt als nächste Phrase fällig. Das zu behaupten ist nicht ganz falsch. Nur lässt sich beobachten, dass die Architekten immer kurz vor dem Moment, in dem eine Extremposition zum Klischee wird, das Gegenmittel einsetzen. Die Kunststoffhaut ist von Öffnungen durchbrochen, die so groß sind, dass Liszts Geburtshaus darin verschwinden könnte wie in einer Garage. Diese Aussparungen wurden mit den Insignien „guter Architektur“ verschlossen: Sorgfältig detaillierte Lärchenholztüren und üppig bemessene Fenster. Anstelle von Glas wurden in einem Stück gelieferte Acrylglasplatten eingesetzt. An der zum Park gelegenen Seite misst das Fenster fugenlose 4 x18 Meter. Das Material wird sonst nur beim Bau von Aquarien verwendet. Die Umgebung fließt nicht ins Gebäude hinein (das wäre Phrase Nummer 3), sie erscheint etwas schlierig, aber auch präsenter als bei einem Glasfenster, denn der durchsichtige Kunststoff spiegelt nicht.

Die eigentliche architektonische Gratwanderung findet im Zentrum statt, in dem für Kammermusik optimierten Konzertsaal. Er sollte ursprünglich als außen ablesbarer Holzbau- „Klangkörper“ in den umgebenden Foyerring hineingestellt werden, was aus akustischen Gründen verworfen wurde. Nun ist nur die innere Raumschale aus Holz, dahinter stehen Betonwände. Die Holzverkleidung droht gestalterisch in zwei Richtungen zu kippen: Auf der einen Seite in klassizistische Strenge, denn die Wände sind durch ein Balkenraster gegliedert. Andererseits neigt sich die Klassik gefährlich in Richtung „rustikale Almhütte“, denn aus Kostengründen musste Fichtenholz verwendet werden. Abertausende von Astlöchern brin gen die weihevolle Kassettierung durcheinander. Dass das Zusammentreffen von Eichenboden und Fichtenwänden für pu ristisch denkende Entwerfer einer Katastrophe gleicht, kommt noch hinzu. Aber genau in solchen Wagnissen liegt die Qualität des Gebäudes, seine Frische jenseits aktuell angesagter Design-Vorstellungen, insbesondere im Vergleich zur österreichischen Architekturszene. Zwischen den Polen „trashig“ und „très chic“ ist es fein ausbalanciert.

Im Detail ist der Konzertsaal weit weniger kantig als beim ersten Augenschein. Der Akustiker sorgte dafür, dass alle Holzpaneele mit einer Fräse bombiert wurden, um den Schall besser zu streuen. Im Steiflicht ist zu erkennen, dass „die Platten eigentlich Blobs sind“, wie die Architekten amüsiert feststellen.

Bauwelt, Fr., 2006.09.22



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28. Mai 2005Oliver Elser
Der Standard

Für die Laufkundschaft

Dass Kinder Raum zur Entwicklung brauchen, ist ein pädagogischer Gemeinplatz. Ab dem Moment, wo sie sich aufrichten und die ersten Schritte wagen, kann...

Dass Kinder Raum zur Entwicklung brauchen, ist ein pädagogischer Gemeinplatz. Ab dem Moment, wo sie sich aufrichten und die ersten Schritte wagen, kann...

Dass Kinder Raum zur Entwicklung brauchen, ist ein pädagogischer Gemeinplatz. Ab dem Moment, wo sie sich aufrichten und die ersten Schritte wagen, kann dieser Raum gar nicht groß genug sein. Es werden Rennstrecken gebraucht und Hindernisse wie Stiegen, an denen sie sich endlos hinauf- und hinunterturnen können, dass Sisyphus seine wahre Freude daran gehabt hätte.

Dass auch Architekten Raum zur Entwicklung brauchen, ist weniger selbstverständlich. Meistens regelt irgendjemand im Vorhinein, was der spätere Bau alles können soll. Raumprogramm, Kubatur, Funktionsschemata, Flächenbedarf. Als würde man für ein Kind im Säuglingsalter bereits den späteren Beruf auswählen. Zum Glück sind viele Architekten auf der Entwicklungsstufe trotziger Teenager stehen geblieben und werden nicht müde, immer wieder gegen die Regeln zu rebellieren. Manchen Gebäuden ist es auf den ersten Blick anzusehen, dass hier jemand einen eigenen Weg eingeschlagen hat. Bei anderen springt die Abweichung von der Norm nicht sofort ins Auge. Sie sind nicht unbedingt besser als die kapriziösen Allein-gegen-alle-Architekturen, nur zeigt sich immer wieder, dass die Ressourcen doch meist endlich sind: Entweder ein Gebäude spreizt sich wie ein Pfau oder es wurde in die Intelligenz des Konzepts investiert. Dass beides zusammenfällt, ist selten.

Der Kindergarten KIGA in St. Anton gehört zur Kategorie der klugen, aber nicht um Aufmerksamkeit heischenden Häuser. Mit seiner grauen Eternitfassade und der an eine Fabrik erinnernden Silhouette steht er zwar recht trotzig vor den aufgeblasenen Tirolerhaus-Mutanten seiner Nachbarschaft. Doch von außen bleibt unentschieden, ob die Architekten von AllesWirdGut hier etwas richtig hässliches oder vielleicht doch ein auf eigene Weise schönes Gegengebäude errichten wollten. Die Gemeinde jedenfalls, erzählt Karl Gitterle, der vor Ort ansässige Projektpartner, hätte sich, wenn schon so modern, dann doch aber wenigstens mehr Holz gewünscht. Aber es steckt nun einmal eine Betonkonstruktion dahinter, und daher ist der Bau außen so grau, als hätte das Budget ausgereicht, ihn in Sichtbeton auf die Wiese zu stellen. Holz kam nur an den Einfassungen der Fenster zum Einsatz und wird, da es unbehandelt ist, mit der Zeit dieselbe Farbe wie die Eternitplatten annehmen.

So richtig lustig also steht der KIGA nicht am Ortsrand. Vielleicht ein Reflex auf den Farbenwahn, der die Hersteller von allerlei Spielgerät befallen hat, die meinen, dass Kinder es gerne bunt haben. Man erinnere sich daran, dass das erste und für lange Zeit einzige schwarze Gebäude, das in Österreich entstanden ist, ebenfalls ein Kindergarten war, gebaut von Adolf Krischanitz im Jahr 1994 in Wien. Farbe, pflegen Architekten zu diesem Thema gerne zu antworten, kommt durch die Kinder ins Haus. Nun gut, der Hundertwasser-Schock sitzt eben tief.

Die wahren Qualitäten des Kindergartens in St. Anton, der mit einer anerkennenden Erwähnung beim Architekturpreis des Landes Tirol ausgezeichnet wurde, liegen im Inneren. Dort wurde nicht akzeptiert, was das Raumprogramm als Standard vorschreibt, nämlich eine Reihung von Gruppen- und Rückzugsräumen plus Gemeinschaftsflächen. Wie bereits bei früheren Projekten haben AllesWirdGut eine räumliche Extraleistung hinzugefügt, die aber keine oder nur geringe Mehrkosten verursacht. Zwischen die drei Gruppenräume wurden Wintergärten eingefügt, deren erweiterte Raumhöhe sich außen als aufgesetzte Dachdreiecke abzeichnet. Diese beiden Zusatzräume sind nicht beheizt und haben keine Wärmedämmung. Sie sind ein Energiepuffer in einem bautechnischen und ein Bewegungspuffer in einem pädagogischen Sinne.

Durch die Wintergärten gelangen die Kinder hinaus in den Garten oder können sich abseits ihrer Zuordnung in eine der drei Gruppen bewegen. Nur durch die Wintergärten wird der Kindergarten zu einem räumlich komplexen Gebilde. Denn aus den Gruppenräumen führen Stiegen in die Rückzugsbereiche, die wie Schwalbennester in die Wintergärten hineingehängt sind. In diesen Raumkabinen ist es für Erwachsene fast zu niedrig. Die Kinder hingegen haben nicht nur einen zusätzlichen Spielort. Sie können durch Bullaugen in Räume hineinsehen, die jenseits der Gruppengrenzen liegen. Ob sich die Drei- bis Sechsjährigen des Raffinements dieser Verschachtelungen bewusst sind? Vielleicht erwacht hier ja eine Sensibilität, die sie davor bewahrt, im späteren Leben die Stapelware der meisten Bauten als gottgegeben hinzunehmen.

Vieles in diesem Gebäude stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Der zentrale Gang etwa, der an den Gruppenräumen mit ihren vorgelagerten Wasch- und WC-Bereichen entlangführt. Er befindet sich mitten in der Baumasse, ist aber durch ein umlaufendes Lichtband so hell, dass selbst an einem trüben Tag der Eindruck entsteht, im Freien zu sein. Auf der anderen Seite des Gangs liegt eine offene Küche, und jenseits davon schließt eine Aula an, die auch als Gymnastikraum genutzt wird. Es ist wieder kein kistenförmiger Raumbehälter. Aus dem Boden wächst eine Sitztreppe, Zuschauertribüne bei Theateraufführungen, die hinaufführt auf eine Bibliotheksgalerie, an die der knapp bemessene Bürobereich für die Leiterin des Kindergartens anschließt. Sie schaut auf den Eingang hinunter, aber das ist die einzige Position für Kontrollblicke in diesem ganz auf Kinderaugenhöhe entwickelten Bau.

Der Standard, Sa., 2005.05.28



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KIGA - Kindergarten

28. Mai 2005Oliver Elser
Der Standard

Verkaufsräume

Ein Asphaltboden, schwarze Wände, Möbel und Regale, eine schwarze, leicht spiegelnde Decke und eine perfekte Lichtregie sind die Zutaten, um bei Wiederin...

Ein Asphaltboden, schwarze Wände, Möbel und Regale, eine schwarze, leicht spiegelnde Decke und eine perfekte Lichtregie sind die Zutaten, um bei Wiederin...

Ein Asphaltboden, schwarze Wände, Möbel und Regale, eine schwarze, leicht spiegelnde Decke und eine perfekte Lichtregie sind die Zutaten, um bei Wiederin in Innsbruck die Bücher zum Leuchten zu bringen. Doch der Verkaufsraum ist keine schummrige Höhle, sondern trotz der Schwärze paradoxerweise hell, freundlich und offen gegenüber dem Straßenraum. Zur Fußgängerzone öffnet sich der kleine Laden mit zwei großen Schaufensterscheiben, die auf der Außen- und Innenseite der tiefen Fensterrahmen als Ablageflächen dienen und so die gläserne Grenze zum Stadtraum optisch aufheben. Rainer Köberl hat bereits bei seinem 2004 eröffneten MPreis-Supermarkt die Waren als Fetische in einer schwarzen Höhle präsentiert. Dort, im Untergeschoss des neuen, an den italienischen Razionalismo der 1930er- Jahre erinnernden Bahnhofs von Innsbruck (ALBUM, 30. 04. 04) musste Köberl die Architekturambitionen der Tiroler Supermarktkette zum ersten Mal im Rahmen einer reinen Innenraumgestaltung verwirklichen. Die Buchhandlung Wiederin, auch sie erhielt heuer den Architekturpreis des Landes Tirol, ist noch konsequenter auf die Waren und nichts anderes fokussiert. Nicht ohne Grund lieben viele Architekten die Nachtansichten ihrer Gebäude so sehr, bei denen der Inhalt der baulichen Hülle in den Vordergrund tritt. Bei der Buchhandlung wird dieses Bild zum Dauerzustand, egal ob gerade Tag ist oder Nacht.

Der Standard, Sa., 2005.05.28



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Bücher Wiederin (heute Buchhandlung Haymon)

21. Mai 2005Oliver Elser
Der Standard

Über der guten Stube

Weltkultur, du liegst mir zu Füßen: Die Bundestheater-Holding in der Wiener Goethestraße hat sich einen Dachausbau de luxe von den Silberpfeil-Architekten realisieren lassen.

Weltkultur, du liegst mir zu Füßen: Die Bundestheater-Holding in der Wiener Goethestraße hat sich einen Dachausbau de luxe von den Silberpfeil-Architekten realisieren lassen.

Als Otto Wagner ab 1910 seine Pläne für den XXII. Wiener Gemeindebezirk zu Papier brachte, entwickelte er zugleich ein neues Gesellschaftsmodell: Der moderne Mensch lebt in selbst gewählter Anonymität hinter uniformen Fassaden. Die Häuser verraten nichts über ihre Bewohner. Wer in diesem nie verwirklichten Stadtteil eingezogen wäre, der hätte in erster Linie als Bürger gegolten, egal, ob aus der Wohnung zwei, drei oder fünfzehn Fenster nach draußen zeigen. Die Zeit der Stadtpalais, deren Namen für Dynastien bürgen, schien für den damals bereits 69-jährigen Wagner endgültig vorbei zu sein.

Doch als hätte ihm sein Unterbewusstsein geflüstert, was die wahren Träume des Großstadtmenschen sind, zeichnete er eine verführerische Perspektive von seinem Stadtteil, die die Häuser so zeigt, wie nur ein Ballonfahrer sie hätte sehen können. Dieser Blick von oben aber, über die Masse hinweg, brannte sich viel stärker in die Köpfe als das Ideal der Gleichförmigkeit. Wenn schon der Architekt sich gestattet, auf die anderen hinabzublicken, dann kann doch über die modernen Wohnbedürfnisse noch nicht das letzte Wort gefallen sein.

Nur geht, zumindest in Wien, wo hohe Häuser so selten sind, mit der freien Aussicht auf das Treiben der ameisengroßen Mitmenschen eine Exponiertheit einher, die zu gewissen Verrenkungen zwingt. Denn jeder will wissen, wer dort oben wohnt. Doch die armen Reichen wollen zwar die Aussicht genießen, zugleich aber so anonym sein wie die Bewohner von Otto Wagners XXII Bezirk. „Nein, wer hier wohnt, das dürfen wir nicht sagen“, heißt es deswegen bei einem Ortstermin in einem der fünf stählernen Türme, die sich am Rande des Wiener Burggartens vom Gebäude der Theaterservicegesellschaft erheben, als hätte das benachbarte Schmetterlingshaus dort oben eine Reihe von Zweigstellen eröffnet. Das ist schade und auch ein bisschen schizophren, denn die Kollegen von einem österreichischen Wohnmagazin haben sich nicht nur umsehen, sondern auch exklusiv darüber berichten und mit Fotos belegen dürfen, wie jene geheimnisvollen Menschen hausen, die es sich leisten können, die 450 Quadratmeter für circa neun Monate des Jahres leer stehen zu lassen. Es ist ja nicht das einzige Anwesen. Bevor die Gerüchte ins Kraut schießen: Der heimliche Blick auf den Adressaufkleber eines herumliegenden Porsche-Kundenmagazins hat die Identität gelüftet, aber da sie gänzlich außerhalb der Sphäre öffentlichen Interesses liegt (keine Ölscheichs, keine „Seitenblicke“-Präsenz), soll nur so viel verraten werden: Die Leute haben Geschmack. Und sie waren so mutig, sich Architekten anzuvertrauen, die bis dahin über keinerlei Erfahrungen im Luxus-Bereich verfügten. Diesen Mut bewies allerdings schon der Bauherr des Gesamtprojekts, das zwölf Wohnungen mit durchschnittlich 250 Quadratmetern umfasst. Die Bundestheater-Holding, zu der auch die Theaterservicegesellschaft gehört, betrat seinerzeit Neuland in der Verwertung der eigenen Immobilie und riskierte einen europaweit offenen Wettbewerb, aus dem das Architekturbüro Silberpfeil als Sieger hervorging. Die Newcomer erhielten wider die eigenen Prognosen den Auftrag, als Architekten und Generalplaner tätig zu werden.

Zum überzeugenden Verfahren kam ein schlüssiges Konzept hinzu, das die Beißreflexe der Bewahrer des Weltkulturerbes Wiener Innenstadt schon im Ansatz aushebelte: Denn bevor der Nachkriegs-Klassizismus dem Gebäude ein langweiliges, fast flaches Dach verpasst hatte, saßen auf jedem der vorspringenden Gebäudeteile putzige Häubchen, deren Volumen für den Neubau übernommen und in die Sprache von Stahl und Glas übersetzt wurden. Auch die flachen Bauteile zwischen den Türmen erhielten ein Stahlskelett. Hier ist der Bau zweigeschoßig, und nur das obere Stockwerk ragt über die immens hohe Attika des Altbaus heraus. Wer eine der Wohnungen betritt, sieht sich deswegen zunächst um die erhoffte Aussicht betrogen. Erst die obere Ebene gibt den Blick frei, der aber nur aus den Türmen mit ihren zusätzlichen zwei Ebenen wirklich umherschweifen kann.

Dort zeigt sich, warum frühere Generationen nicht auf die Idee gekommen wären, direkt unter dem Dach zu wohnen, es sei denn, man war Künstler, ein armer Schlucker oder beides. Die Sonne schlägt hier so heftig zu, dass nur mit einem aufwändigen Kühlsystem die erwünschte Behaglichkeit hergestellt werden kann. Die filigrane Stahlkonstruktion verschwindet in Teilen unter einer massiven Verkleidung, die Kühlschläuche und sehr viel Dämmung enthält. An den Türmen übernehmen Sonnenschutzlamellen einen Teil dieser Aufgabe, die Restwärme wird von gekühlten Betonböden und einem ausgeklügelten Umluftsystem erledigt.

Der technische Aufwand ist gewaltig, der Kaufpreis von etwa 10.000 Euro pro Quadratmeter ebenfalls, und trotzdem haben die Wohnungen bereits vor der Fertigstellung alle ihre Liebhaber gefunden. Ist ja auch beeindruckend, wie man sich in den Türmen von Plattform zu Plattform allmählich auf Augenhöhe zu den Monumenten der Nachbarschaft emporschraubt. Räumlich sind selbst die kleineren Wohnungen raffiniert, doch wer sich dort oben eine Klippe über Wien erwartet hat, der dürfte enttäuscht sein. Aber man wohnt ja auch nicht am Abgrund zum Moloch von Downtown Manhattan, sondern herausgehoben und dennoch distanziert im Herzen Wiens.

Der Standard, Sa., 2005.05.21



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WZW Dachausbau

21. Mai 2005Oliver Elser
Der Standard

Handlungsräume

Ein Kritiker meinte einmal, die ganze hochgelobte Architektur der Schweiz sei eigentlich ein „Museum für sauber gelöste Details“. Dem ist ein Buch entgegenzuhalten,...

Ein Kritiker meinte einmal, die ganze hochgelobte Architektur der Schweiz sei eigentlich ein „Museum für sauber gelöste Details“. Dem ist ein Buch entgegenzuhalten,...

Ein Kritiker meinte einmal, die ganze hochgelobte Architektur der Schweiz sei eigentlich ein „Museum für sauber gelöste Details“. Dem ist ein Buch entgegenzuhalten, das zeigt, wie grundsätzlich dort über das Bauen und auch, aber eben nicht nur, über Details nachgedacht wird. Es wird herausgegeben von Andrea Deplazes, einem der auf dieser Alpenseite viel zu wenig beachteten Architekten, und trägt den Titel Architektur konstruieren (Birkhäuser Verlag, € 49,50). Auf 512 Seiten enthält es nicht weniger als eine Übersicht zu allen gängigen Baumaterialien und ihrem sinnvollen Gebrauch. Aber noch mehr: Die Systematik ist reich unterfüttert mit historischen Abhandlungen, kulturgeschichtlichen Ausflügen und Bildern, Bildern und nochmals Bildern von Beispielprojekten, die von mexikanischen Grabkammern über die modernen Klassiker bis zu den einschlägigen Schweizer Gegenwartsbauten reichen. Es spricht viel dafür, dass allein die Lektüre dieses einen Buches jemanden in die Lage versetzt, nach dem heutigen Stand der Technik ein anspruchsvolles und eben nicht nur sauber gelöstes Haus zu bauen. Vom Fundament bis zum Fenster. Nur die Entscheidung, ob das Fenster quer steht oder aufrecht, die kann einem niemand abnehmen.

Der Standard, Sa., 2005.05.21



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07. Mai 2005Oliver Elser
Der Standard

Stadion aus 3000 Seifenblasen

Vor dem Eröffnungsspiel: Die Allianz Arena in München der Architekten Herzog & de Meuron

Vor dem Eröffnungsspiel: Die Allianz Arena in München der Architekten Herzog & de Meuron

Er wäre auch gerne Profi-Fußballer geworden, sagte vor gut zehn Jahren Jacques Herzog in einem Film-Interview. Es lag echtes Bedauern in seiner Stimme, und er fügte noch hinzu, dass es vieles gäbe, was interessanter sei als die Architektur: Gegenwartskunst, Naturwissenschaften oder eben ein Nachmittag auf dem Fußballplatz.

Zehn Jahre später haben Herzog & de Meuron, deren Büromannschaft bei Fußballturnieren innerhalb der Architektenszene immer wieder respektable Leistungen zeigt, ihr zweites Stadion gebaut und planen für die Olympischen Spiele in Peking im Jahr 2008 bereits ein noch größeres. Die nach dem Hauptsponsor benannte „Allianz Arena“ in München - die Versicherung zahlt für den Namen angeblich 110 Mio. Euro - wird Ende Mai offiziell eröffnet. Es ist nicht allein ein Bauwerk der technischen und logistischen Superlative, nicht allein eine Rieseninvestition mit Bestechungsaffäre, die zur Zeit noch vor Gericht verhandelt wird und dem österreichischen Baukonzern Alpine die Freude über die termingerechte Übergabe ein wenig trüben dürfte. Vor allem ist es ein Stadion von und für Fußballfans geworden, ein Kessel für Emotionen, der einem trotz seiner 66.000 Plätze selbst in den obersten Reihen der drei Ränge das Gefühl gibt, ganz nah am Ball zu sein.

Dass die Architekten die Architektur gar nicht so sehr interessiert, ist im Falle von Herzog & de Meuron keine kokette Tiefstapelei. Denn wie sonst wäre es möglich, ein Stadion zu bauen, das schillert wie tausend Seifenblasen? Nur der Import von Bildern und Metaphern aus der Welt jenseits der Architektur war die Gewähr dafür, nicht zur Unmenge nahezu identischer Stadien einfach ein weiteres hinzuzufügen.

Die Latte war in München allerdings auch hoch angesetzt. Nicht wegen der Architekturbegeisterung der Auftraggeber, der Fußballvereine FC Bayern München und TSV 1860. Deren Interessen ließen anfangs, ganz im Gegenteil, eher Schlimmes befürchten. Sondern weil München mit dem Stadiongelände, das von den Architekten Günther Behnisch und Frei Otto für die Olympischen Spiele im Jahr 1972 errichtet wurde, eine der wohl schönsten Sportanlagen besitzt, die jemals gebaut wurden. Auch damals konnte der unkonventionellste und „unarchitektonischste“ Entwurf sich durchsetzten. Doch das Olympiastadion, seinerzeit der bauliche Inbegriff des neuen, anderen und beschwingten Deutschlands, dieses Stadion der „heiteren Spiele“ war den knallhart kalkulierenden Managern der Fußballvereine lästig geworden. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sollte es umgebaut werden: Mehr Plätze, vor allem aber so genannte VIP-Bereiche, Business-Seats und vermietbare Logen wünschte sich Deutschlands Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer, der Präsident des FC Bayern und Vorsitzender des Organisationskomitees der Fußball-WM. Es folgte eine quälende Debatte, ob und wie diese äußert lukrativen Einnahmequellen in die denkmalgeschützte Arena integriert werden könnten. Der Architekt Behnisch schien dazu bereit zu sein, zog aber in letzter Sekunde unter großem öffentlichen Druck zurück. Ein Umbau hätte der filigranen Anlage, die nie als reines Fußballstadion gedacht war, schweren Schaden zugefügt.

Aus dem daraufhin ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Neubau auf Kosten der Vereine gingen Herzog & de Meuron im Februar 2002 klar als Sieger hervor. Die Befürchtungen, in Münchens Norden könnte eine triste Kommerzarena entstehen, waren mit einem Mal verflogen. Mehr noch: Die Allianz Arena ist sogar ein würdiger Nachfolger des Olympia-Stadions, das künftig nur noch für Leichtathletik-Wettkämpfe verwendet wird. Die Oberfläche aus insgesamt 2784 luftgefüllten Membran-Kissen verwandelt den eigentlich äußerst massiven Stahl-und Betonbau in ein fragiles, bei bestimmten Wetterlagen fast unsichtbares Gebilde, das ebenso leicht und heiter erscheint wie die Kunststoffsegel der bisherigen Spielstätte. Am Abend können die nur 0,2 Millimeter starken Rauten in den Farben des jeweils spielenden Vereins beleuchtet werden - rot für den FC, blau für den TSV, weiß bei der Weltmeisterschaft. Oder im blau-weißen Rautenmuster der bayrischen Landesflagge.

Es war jedoch nicht allein ein Stadion gefordert, sondern auch die Lösung eines riesigen Parkplatz- und Verkehrsproblems. So faszinierend die Bilder auch sein mögen, die dieser Tage von der Außenhaut des Stadions durch die Welt ziehen - die Bewältigung der Autos durch eine Parklandschaft, im doppelten Wortsinn und in gigantischen Ausmaßen, ist eine nicht weniger große Leistung.

Die Mehrzahl der Besucher aber erreicht die Arena über einen fast ein Kilometer langen Fußweg von der nächsten S-Bahn-Station. Er führt über das leicht gekrümmte Dach des 9000 Plätze fassenden Parkhauses. Es duckt sich in die karge Landschaft der Fröttmaninger Heide hinein und bildet ein künstliches Hochplateau, auf dem am äußersten Ende das Stadion wie ein Ballon zu schweben scheint.

Die Kontrolle der Eintrittskarten findet bereits vor Erreichen des Stadions statt. Das Gebäude hat keine Türen oder Schleusen, sondern ist auf der Eingangsebene rundum geöffnet. Nicht nur zum Außenraum, sondern auch zur Spielfläche. Durch einen umlaufenden Luft-Schlitz zwischen dem ersten und zweiten Rang sieht man sofort nach dem Hindurchtauchen unter der Membranhaut auf den Rasen. Das heilige Gras wird dadurch gut belüftet, und die Fans können sich erst einmal über die Stimmungslage informieren, bevor sie sich auf den Weg machen, ihren Sitzplatz zu finden.

Wer privilegiert ist, gelangt aus dem eigentlichen Erdgeschoss, sechs Meter unter der Eingangsebene für den Massenandrang, direkt hinauf. In eine der 106 Logen, die zwischen dem zweiten und dritten Rang untergebracht sind und für bis 240.000 Euro pro Jahr vermietet werden. Oder in die Business-Lounge, die Herzog & de Meuron wunderbar kitschig mit einer güldenen Ornamentdecke ausgestattet haben.

Farblich ist das Stadion ansonsten sehr zurückhaltend. Die eigens entworfene Bestuhlung schimmert silbrig, ebenso die Wände in den umlaufenden Verteilerebenen, wo auch die obligatorischen Wurstbuden untergebracht sind. Wer Herzog & de Meuron bisher mit exquisiten Details in Verbindung gebracht hat, der wird vielleicht ein wenig enttäuscht sein. Aber das ist in dieser Größenordnung trotz der Bausumme von etwa 286 Mio. Euro weder möglich, noch wäre es wünschenswert. Die Architektur hat ihren großen Auftritt auf der Außenseite. Im Innern regiert König Fußball, niemand sonst. Es wird atemberaubend sein, ihm dabei zuzusehen.

Der Standard, Sa., 2005.05.07



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09. April 2005Oliver Elser
Der Standard

Mit gutem Gewissen auf schwierigem Terrain

SPLITTERWERK lassen den Hang durchs Haus laufen, InnoCAD stemmen sich über die 100-jährige Hochwassermarke

SPLITTERWERK lassen den Hang durchs Haus laufen, InnoCAD stemmen sich über die 100-jährige Hochwassermarke

Ist es nicht pervers? Generationen von Architekturstudenten werden zwar Semester für Semester darauf getrimmt, munter Hotels, Museen und Fußballstadien aufs Papier zu bringen, so gut wie nie aber werden sie mit dem konfrontiert, was ihnen als jungen Architekten am ehesten blühen wird - dem Einfamilienhaus. Das gilt in aufgeklärten Kreisen als die Brutstätte des Bösen. Weil es die Familie „zementiert“, nuscheln die Salonrevolutionäre unter den Professoren, oder, so die mildere Variante, weil es die Landschaft „verhüttelt“. Oder, jetzt spricht der Pragmatiker, weil sich als Architekt damit kein Geld verdienen lässt. Stimmt ja alles auch irgendwie, nur ist noch nicht einmal das letzte Argument so stark, dass nicht unzählige enthusiastische Architekten, keineswegs nur die jungen, ihre Zeit in endlosen Bauherrenbesprechungen vergeuden würden, schließlich will das Portfolio mit fertigen Werken gefüllt sein.

Die beiden Architektengruppen SPLITTERWERK und InnoCAD sind keine Anfänger mehr. SPLITTERWERK besteht seit 1988, InnoCAD immerhin seit 1999. Beide sind aus der Technischen Universität Graz hervorgegangen. Die einen sind bereits im ersten Semester aus den Zeichensälen in ein selbst organisiertes Büro geflüchtet, die anderen haben die verschwenderisch üppigen Stiegenpodeste im Gebäude von Günther Domenig kurzerhand besetzt und ebenfalls schon während des Studiums zu bauen begonnen. Während SPLITTERWERK immer auch Projekte im Grenzbereich zur Kunst gemacht hat, ist InnoCAD ein Büro, das bereits beeindruckend viele Gebäude realisieren konnte, zum Teil sogar als eigener Bauherr. Zu warten, dass eines Tages die Tür aufgeht und ein Kunde hereinspaziert, haben sie sich längst abgewöhnt.

Im Falle von SPLITTERWERK ereignete sich aber genau das. Aufgrund eines Zeitungsartikels meldete sich ein Interessent und bestellte für sich und seine Familie ein Ferienhaus auf einem geerbten Grundstück mit Hanglage in der Weststeiermark. Der Bauherr hatte vor, nicht mehr als drei, vier Wochenenden im Jahr das Haus zu nutzen, wollte aber mit der Gegend weiter verbunden sein, in der er aufgewachsen war. Das Ergebnis ist von so radikaler Einfachheit, dass einem Adolf Loos einfällt, der Skeptiker aufgeschäumten Originalitätswahns: „Unsere ganze neue Architektur ist am Reißbrett erfunden (. . .) Gute Architektur kann beschrieben, sie müßte nicht gezeichnet sein.“ Der „Grüne Laubfrosch“ lässt sich ganz in diesem Sinne erklären: ein Dach über einem Hang, der durch das Haus hindurchläuft. Auf dem schrägen Boden ein Glaskasten aus Baumarkttüren, darin ein Kasten aus verspiegelten Möbelelementen schwedischer Herkunft, darüber drei verschiebbare Schlafplattformen, neben WC und Dusche (im Kasten) die einzigen horizontalen Ebenen. Das war's. Was im Moment noch fehlt, sind Sitzmöbel, die sich aus dem schrägen Boden herausfalten lassen, und die endgültige Bauabnahme durch die Gemeinde, die sich an dem grünen, nachts beleuchteten Dach stört. Dabei ist das Haus ja kein Haus, sondern irgendetwas sehr anderes, sehr Aufregendes zwischen Raumexperiment und Scheune.

Im Gegensatz zum Wohnbau „schwarzer Laubfrosch“ (ALBUM vom 17. 7. 2004), der die Bewohner mit Farbblasen einschließt, ist sein grüner Verwandter auf maximale Offenheit angelegt. Der Traum der Moderne von der Auflösung der Architektur in der Landschaft wird hier aber nicht naiv weitergedacht. Die Privatsphäre bleibt durch steuerbare Lamellen gewahrt, mit denen der Unterstand verschlossen werden kann. Je nach Laune in Schwarz oder Weiß. Die offenen Giebelseiten sind mit Maschendraht bespannt und werden irgendwann zuwachsen. So sehr das Haus eine Herausforderung für die Bewohner der schrägen Ebene sein mag, so zurückhaltend, ja technisch zeigt es sich nach außen. Landschaftsschutz einmal nicht mit nachgeahmter Tradition, sondern in der Sprache landwirtschaftlicher Nutzbauten.

Für InnoCAD ist es nicht das erste Mal, dass die jungen, alle im Jahr 1972 geborenen Architekten zu ihren Kindheits- und Jugenderinnerungen abtauchen und aus dem Fundus der Siebzigerjahre hervorziehen, was die meisten, die diese Zeit noch in den Knochen haben, lieber auf dem Müllhaufen der Geschichte deponiert sehen würden. Mit orange-braun gestreiften Sonnenschutz-Markisen wurden bereits die Balkone des Apartmenthauses „G40“ in Graz umhüllt, und in mehr als einem Wettbewerbsprojekt von InnoCAD finden sich geschmiedete Balkongitter, deren ornamentale Verschlingungen schwüle Bilder von Kleingarten- und Grillparty-Idylle heraufbeschwören. Bei der Casa D sind nicht nur die Materialien daran schuld, dass sich auf Anhieb gar nicht entscheiden lässt, ob das Haus 1975 oder 2005 gebaut wurde. Die Rückseite erinnert in ihrer gedrungenen Massivität an den Bunkerstil unzähliger Bauten der Siebziger, seinerzeit die Zeichen einer neuen Innerlichkeit und des Abwehrzaubers gegen Umweltzerstörung und gesellschaftliche Umbrüche.

Dennoch ist das Haus mehr als nur ein Bildträger. Obwohl die Umgebung so banal erscheint, lauert in dem Neubaugebiet im oberösterreichischen Hartkirchen eine Bedrohung, die von den Fertighäusern der Nachbarschaft nach Kräften kaschiert wird. Denn das Gelände ist eine Hochwasserzone. Für InnoCAD ein willkommener Anlass, um zu demonstrieren, dass gute Architektur auch einen funktionellen Mehrwert haben kann und nicht allein durch einen bestimmten Geschmack definiert ist. Um das Haus vor allen Widrigkeiten zu schützen, wurde es mit Stahlprofilen über die Marke des „100-jährigen Hochwassers“ gehoben.

Wenn schon Einfamilienhaus, mögen sich InnoCAD gedacht haben, dann soll es wenigstens so aussehen, als hätte es bereits eine dreißigjährige Geschichte. Wirkt doch die Umgebung nur deswegen so trist, weil sie noch keine Chance hatte, einen Platz im Leben zu finden.

Der Standard, Sa., 2005.04.09



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09. April 2005Oliver Elser
Der Standard

Traumräume

Housemania! Österreich sucht den Superbau! Bewirb dich zum Casting mit Plänen und Fotos! Moment, Moment, das war jetzt doch übertrieben. Aber immerhin:...

Housemania! Österreich sucht den Superbau! Bewirb dich zum Casting mit Plänen und Fotos! Moment, Moment, das war jetzt doch übertrieben. Aber immerhin:...

Housemania! Österreich sucht den Superbau! Bewirb dich zum Casting mit Plänen und Fotos! Moment, Moment, das war jetzt doch übertrieben. Aber immerhin: Derzeit läuft ein Wettbewerb, um das beste Einfamilienhaus Österreichs zu küren. Jeder darf „mitvoten“. Im Internet (www.sbausparkasse.at), nur noch wenige Tage. Verantwortlich ist, man ahnt es bereits, eine Bausparkasse sowie, das überrascht dann doch, das Wiener Architekturzentrum. Die Bastion politisch korrekter Ausstellungen, die Festung gegen Starmania im Architekturbetrieb, das Bollwerk zur Verteidigung der architektonischen Qualität. Nicht, dass zu erwarten wäre, dass der Wettbewerb dessen hehre Ziele unterläuft. Aber ihm eine Richtung zu geben, gegen das Ideal des freistehenden Einfamilienhauses etwa, das hätte doch drin sein müssen. Wäre doch zu schön gewesen, wenn eine Bausparkasse auf den Gedanken käme, den von ihr geförderten Flächenfraß nicht auch noch zu honorieren, sondern zu vorbildlicher Verdichtung aufzurufen. Zugegeben, auch diese Seite hier zeigt, dass an dem Einzelhaus (übrigens beide nicht im Wettbewerb) keiner vorbeikommt. Aber war es nötig, die Teilnehmer des Webvotings mit einem Computerprogramm namens „3D Traumhaus Designer“ zu locken (Beispiele rechts), einer Mordwaffe gegen jeden Versuch der Aufklärung?

Der Standard, Sa., 2005.04.09

26. März 2005Oliver Elser
Der Standard

Die Poetik eines Thermoputzvorsprungs

Der „Spiegel“ zählte sie zu den Neuen Romantikern: Die Architekten Hild & K. aus München sind auf der Suche nach einer verfeinerten Alltäglichkeit. Am 1. April hält Andreas Hild einen Vortrag in Wien.

Der „Spiegel“ zählte sie zu den Neuen Romantikern: Die Architekten Hild & K. aus München sind auf der Suche nach einer verfeinerten Alltäglichkeit. Am 1. April hält Andreas Hild einen Vortrag in Wien.

Venedig, Architekturbiennale, im September des vergangenen Jahres: Nach langen Jahren der Ödnis und Langeweile ist den Deutschen in ihrem Länderpavillon eine Überraschung gelungen. Durch die klassisch-strengen Räume ringelt sich eine Fototapete, die die deutsche Realität, von der Dönerbude bis zum Tagebau, geschickt mit vierzig neueren Architekturprojekten durchsetzt. Das Ganze ist nicht nur grafisch beeindruckend und eine mutige Kuratorenentscheidung (verantwortlich: Francesca Ferguson) gegen das unter Architekten so verbreitete Bedürfnis, die eigene Arbeit auf einen eigenen Sockel gesetzt zu bekommen.

In der Schwierigkeit, viele der Neubauten aus der Menge des abgebildeten Siedlungsbreis überhaupt herauspicken zu können, steckte sogar der Hauch einer neuen Tendenz, die Morgenröte einer möglichen neuen Richtung, die ein bestimmter Teil der deutschen Architektur ganz unmerklich eingeschlagen hatte und die nun in Venedig zum ersten Mal präsentiert wurde: weniger architektonischer Protz, mehr Zuneigung zur Normalität, zum Hässlichen, zur dezenten Veredelung von Satteldach und Vollwärmeschutz.

Das wohl am schwersten als „Architektur“ zu erkennende Bauwerk auf der Fototapete war ein Parkhaus und stammte von Andreas Hild. Wer dem Architekten in Venedig über den Weg lief, musste den Eindruck bekommen, er sei so etwas wie der Pate der neuen, interessanten Strömung in der sonst so seichten deutschen Architektur. Hild ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, die Arbeit der Kollegen aufs Korn zu nehmen und zu sortieren, wer denn nun eigentlich zu Recht dabei ist und wer nicht.

Sein Parkhaus ist ohne Zweifel ein Prototyp für eine Architektur auf den zweiten Blick. Es steht in der Messestadt Riem, einer Retortensiedlung auf dem Gelände des ehemaligen Münchner Flughafens. Die Wohnbauten ringsum, meist lange Zeilen mit drei bis fünf Geschoßen, sehen aus, als habe die Bauindustrie einfach alles, was an Katalogdetails vorrätig ist, einmal ausprobieren wollen. Hild stört das nicht: „Riem wird boomen, ganz sicher. Den Leuten ist doch die Architektur egal, solange ein Park in der Nähe ist und die Grundrisse nicht allzu mies sind.“ Die drei Bauten, die sein Büro in Riem bisher errichten konnte, neben dem Parkhaus noch das angrenzende Bauzentrum der Stadt München sowie ein Wohnbau, treten im großen Formengeplänkel als spröde Verweigerer auf.

Aber Hild ist kein Minimalist, der sich nach möglichst kistiger Einfachheit sehnt. Prägend für ihn waren die Studienjahre bei Miroslav Sik an der Eidgenössichen Technischen Hochschule in Zürich. Hild zählte dort zum schwarz gekleideten Kreis, der mit spitzen Schnallenschuhen Tag und Nacht mit dem Meister unterwegs war, um die „Analoge Architektur“ aus der Taufe zu heben. Mitte der Achtzigerjahre entstanden in Siks Umfeld riesige, altmeisterlich mit Kreide kolorierte Perspektivzeichnungen von beunruhigenden Vorstadtszenarien, in die die Studenten ihre Entwürfe hineinsetzten. „Analog“ bedeutete, dass versucht wurde, die Brüche in der Architektur des 20. Jahrhunderts zu kitten und Verdrängtes freizulegen. Viel monumentales Pathos kam dabei zutage, aber auch ein Interesse an längst abgelegten Ornamenten und Mustern.

Als Hild sich Anfang der Neunzigerjahre zusammen mit Tillmann Kaltwasser selbstständig machte, wurden sie bereits nach ein, zwei Bauten als Geheimtipp gehandelt. Aus Hild & Kaltwasser wurde durch den tragischen Tod des Partners dann später Hild & K.

Das Büro zählt zu den wenigen, die zwar für eine Haltung bekannt sind, sich aber nicht auf eine typische „Handschrift“ festlegen lassen. Weil sie in Berlin die verlorenen Stuckverzierungen als flache Grafik in die Fassade eines Gründerzeithauses einritzen ließen oder eine Bushaltestelle mit computergefrästem Blumenmuster entwarfen, rangierte sie der Spiegel vor einigen Monaten unter die Neuen Romantiker in der Kunst. Aber sie können auch anders. Das Münchner Bauzentrum etwa ist ein knochentrockener Betonbau, in dem die Romantik nur in der fast klassizistischen Detaillierung des tragenden Skeletts zum Vorschein kommt. „Etwas für Feinschmecker“, sagt der Architekt mehr als einmal bei der Tour, die zu einigen seiner Bauten in München führt.

Nur für Feinschmecker ist auch ein Laborgebäude, das jüngst fertig gestellt wurde. Aus Kostengründen wurden die unterschiedlichen, von Geschoß zu Geschoß variierenden Funktionen hinter eine stur durchlaufende Fassade mit nur zwei Fenstergrößen gepackt. Der einzige gestalterische Luxus besteht aus einer farbigen Lasur, die den Fensterraster aufnimmt und eine Art Stoffmuster à la Burberry über den Bau legt. Sehr zurückhaltend, bei Sonnenschein ist es fast nicht zu sehen. Aber stärkere Farben, erklärt Hild, hätten zur Folge, dass der glatte Putz sich unterschiedlich aufheizt und reißt. „Sind doch alle schon kaputt, diese schwarzen Putzbauten bei euch da in Österreich.“ Er hingegen sei überzeugt, dass Architektur nicht nur mit dem Kopf durch die Wand, sondern auch auf einem intelligent affirmativen Weg machbar sei: „Plastikfenster, hohl klingender Plastikverputz, das hat doch auch alles ein poetisches Potenzial.“

Das mag sich vielleicht akademisch anhören, aber Hild ist Praktiker. Er weiß, wie Gebäude funktionieren. Im Inneren des Laborgebäudes sind die Farben daher um einiges kräftiger. Der Rhythmus von Schwarz und Grau ist so stark, dass die übliche Unordnung eines Universitätsverwaltungsflurs mit all den Aushängen und Zimmerpflanzen vollständig geschluckt wird.

Hier zeigt sich, dass Hild eigentlich ein eher barocker Charakter ist, der sich nur damit abgefunden hat, dass heutige Bauaufgaben in den seltensten Fällen die Möglichkeit bieten, im Überfluss zu schwelgen. Schon gar nicht in Deutschland.

Der Standard, Sa., 2005.03.26

12. März 2005Oliver Elser
Der Standard

Best- und Billigsträume

Den Zusammenprall der Baugiganten Porr und Strabag hätte Peter Gattermann, der Vorsitzende der Vergabekommission für das Klagenfurter EM-Stadion, sich...

Den Zusammenprall der Baugiganten Porr und Strabag hätte Peter Gattermann, der Vorsitzende der Vergabekommission für das Klagenfurter EM-Stadion, sich...

Den Zusammenprall der Baugiganten Porr und Strabag hätte Peter Gattermann, der Vorsitzende der Vergabekommission für das Klagenfurter EM-Stadion, sich lieber erspart. Denn es sei gar keine Frage gewesen, wer den besseren Entwurf abgegeben hätte, so Gattermann im Gespräch mit dem STANDARD. Dass in der ganzen Skandalgeschichte nur über Baufirmen und Kosten, nicht aber über die Architektur gesprochen wurde, sei doch absurd. Die Porr hätte ja keineswegs das billigste, sondern das beste Angebot vorgelegt. Gattermann ist überzeugt, dass ein Architekturwettbewerb das geeignetere Verfahren gewesen wäre. Man weiß zwar mittlerweile, dass der Wiener Architekt Albert Wimmer auf dem Porr-Pferd durchs Ziel geritten ist, aber wer die Namen der anderen Entwerfer hören will, stößt auf Schweigen. Zu erfahren ist immerhin, dass die anderen Architekten durchweg schwache Leistungen erbracht haben, darunter auch ein deutsches Büro, das den Stadion- und Hallenbau zu seinen Spezialitäten zählt. Nur Wimmer habe die Jury überzeugt, wie der Rückbau von EM-Größe (Nachtansicht) auf Normalbetrieb (Tagansicht) ohne gestalterische Einbußen abgewickelt werden kann. Was die anderen vorgeschlagen haben, werden wir vielleicht nie erfahren.

Der Standard, Sa., 2005.03.12



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EM Stadion Klagenfurt

12. März 2005Oliver Elser
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Bloß keine Zersiedelung

Charles Correa ist einer der wenigen, wenn nicht der einzige Architekt des modernen Indiens, dessen Arbeiten im Westen bekannt sind. Auf Initiative des...

Charles Correa ist einer der wenigen, wenn nicht der einzige Architekt des modernen Indiens, dessen Arbeiten im Westen bekannt sind. Auf Initiative des...

Charles Correa ist einer der wenigen, wenn nicht der einzige Architekt des modernen Indiens, dessen Arbeiten im Westen bekannt sind. Auf Initiative des Architekten Carl Pruscha wurde er in dieser Woche in die Österreichische Kurie für Wissenschaft und Kunst aufgenommen.

Er habe in Indien die fantastische Erfahrung gemacht, dass der Architektur die Fähigkeit zugesprochen wird, die Gesellschaft zu ändern, so Correa im Gespräch mit dem STANDARD. Prägende Erfahrungen seien für ihn die Bauten von Le Corbusier gewesen, der in Chandigarh ab 1950 eine neue Regierungshauptstadt für den indischen Bundesstaat Pandschab errichtete. Von ihm habe er gelernt, dass ein Architekt immer mehr erreichen müsse, als den Auftraggeber zufrieden zu stellen.

Was seine Aufgaben als Mitglied der Kurie sein könnten, wurde von Carl Pruscha angesprochen. Pruscha zeigte sich entsetzt, dass ein gewichtiger Teil der österreichischen Hilfe für die Tsunami-Opfer in Form von kleinen Not-Häusern verbaut werde, die jeder Erfahrung mit der Architektur dieser Region zuwider liefen. Möglicherweise könnte Correa Aufklärungsarbeit über die klimatischen und kulturellen Erfordernisse leisten.

Correa, der 1930 geboren wurde, ließ keinen Zweifel daran, dass die Zersiedelung eines der Hauptprobleme der gegenwärtigen Architekturentwicklung sei.

„Jeder Platz in einer historischen Stadt, ob in Indien oder Europa, funktioniert wie eine Maschine. Die Form ist der Bauplan, nach dem die angrenzenden Häuser als Einzelteile entwickelt werden können, ganz gleich ob traditionell oder zeitgenössisch.“

Durch die Zersiedelung aber gäbe es nur noch Einzelteile, aber keinen Bauplan mehr. Speziell in den Wohnbauten sei das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft gespeichert, so Charles Correa weiter. Ein Verlust wäre unersetzbar.

Der Standard, Sa., 2005.03.12

09. März 2005Oliver Elser
Der Standard

„Zwei Stadien in einem“

Der Architekt Albert Wimmer erläutert seinen Entwurf für das Klagenfurter Stadion

Der Architekt Albert Wimmer erläutert seinen Entwurf für das Klagenfurter Stadion

Es wird langsam Zeit, ihn den österreichischen Stadion-Experten zu nennen. Für Architekt Albert Wimmer ist der Bau des Klagenfurter Stadions bereits die dritte Arena, die in seinem Wiener Büro geplant wird. Er war bereits in Salzburg und Innsbruck tätig, bezeichnet die drei Stadien aber im Gespräch mit dem STANDARD als jeweils „einzigartige Aufgabenstellungen“.

Während in Innsbruck und Salzburg zunächst Bauten für eine Besucherzahl von jeweils rund 18.000 Fans entstanden, die bis zur Europameisterschaft noch aufgestockt werden müssen, wird das Klagenfurter Stadion gleich von Beginn an 30.000 Zuschauer aufnehmen können. Diese Größe wird für die drei Klagenfurter EM-Vorrundenspiele benötigt. Danach aber wäre es viel zu groß und wird daher auf 12.000 Plätze zurückgebaut.

Diesen Prozess der kontrollierten Schrumpfung zu bewältigen ist nicht nur eine gestalterische, sondern auch eine logistische Aufgabe. Denn es wäre, so Wimmer, nicht nur „enttäuschend, wenn das Stadium nach der EM nur noch halb so groß ist“, sondern auch, wenn für die demontierten Teile keine weitere Verwendung gefunden werden könnte.

Das Stadion ist daher so angelegt, dass sich aus den Bauteilen, die nur für die EM-Spiele benötigt werden, ein zweites Stadion bauen lässt. Über einen möglichen Standort weiß Wimmer noch nichts zu sagen, für ihn zählt zunächst nur, dass es überhaupt möglich ist, diese Form von „Nachhaltigkeit“ zu realisieren. Die Wiederverwertbarkeit betrifft vor allem die Tribünen. Da sie aus Stahl konstruiert sind, können sie anderorts wieder aufgestellt werden.

Ob zur Europameisterschaft, oder danach - das Stadion steht unter einem hohen Verwertungsdruck. In der langen Rampe, die sich durch einen Park in die Zuschauerbereiche hineinzieht, sieht der Architekt nicht nur einen Naherholungsraum. Hier soll bei Veranstaltungen „Geld eingespielt werden“, etwa durch Verkaufs- oder Verpflegungsstände.

Eine Entwicklung wie in Deutschland oder der Schweiz, wo Sportstadien mit Shoppingmalls kombiniert werden um ihre wirtschaftliche Basis zu verbreitern, hält Wimmer zwar für interessant, „aber dafür hat Klagenfurt nicht das Potenzial“. Stattdessen wird dem Fußball-Kessel ein Ballsportzentrum und eine Fußballakademie zugeordnet. Diese sollen für zusätzliche Auslastung sorgen.

Finden Konzerte oder andere Veranstaltungen statt, wird der Rasen einfach abgedeckt. „Die Lösung, den Rasen wie auf einem Tablett herauszufahren um dadurch angeblich flexibel zu sein hat sich nicht bewährt“, so der Architekt.

Er träumt davon, dass sich das Stadion zu einem öffentlichen Ort entwickelt, „ähnlich einem Marktplatz“. Wenigstens zur EM dürfte dieser Wunsch in Erfüllung gehen.

Der Standard, Mi., 2005.03.09



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EM Stadion Klagenfurt

05. März 2005Oliver Elser
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Wer zeigt uns mehr als schöne Häuser?

Bühne frei für die Nabelschau: Fünfzehn Architekten präsentieren sich auf dem „Turn On“-Architekturfestival im Radiokulturhaus. Was bringt so ein Vortragsmarathon?

Bühne frei für die Nabelschau: Fünfzehn Architekten präsentieren sich auf dem „Turn On“-Architekturfestival im Radiokulturhaus. Was bringt so ein Vortragsmarathon?

Immer wieder dieselbe Klage. Zum Beispiel unlängst, anlässlich der Eröffnung der aktuellen Ausstellung im Architekturzentrum Wien. Direktor Dietmar Steiner war einerseits stolz, den Architekten Ottokar Uhl wieder vom Staub der Geschichte befreit zu haben und präsentierte ihn als „Österreichs einzigen intellektuellen Architekten“, der in den Sechzigerjahren Kirchen im Industriebauverfahren und dann Wohnbauten im Mitbestimmungsverfahren errichtete. Andererseits hält er damit den heutigen Architekten vor, sie hätten, anders als Uhl, keinen Zugang mehr zur Theorie. Dasselbe sagt auch Wolf Prix, Frontman der Erfolgsgruppe Coop Himmelb(l)au, immer wieder zu seinen Studenten an der Wiener Angewandten.

Der Architekt, ohnehin unter permanentem Selbstverwirklichungsverdacht („der will sich doch bloß ein Denkmal bauen“), bekommt auch innerhalb der eigenen Szene mächtig Druck, doch bitte mehr zu können, als nur termingerecht und kostengünstig etwas abzuliefern, das Chancen hat, in die Hochglanzmagazine oder auf Seiten wie diese hier zu kommen.

Da ist es schon mutig, fünfzehn Architekten zu einem „Festival“ einzuladen, das kein Thema hat, sondern damit wirbt, ein „non-stop“-Programm zu haben. Margit Ulama, die Organisatorin, nimmt das Wagnis, Architekten über nichts anderes als ihre eigene Architektur reden zu lassen, nun schon zum dritten Mal auf sich und bittet am heutigen Samstag ins Radiokulturhaus. Wer aber schon erlebt hat, wie Kongressteilnehmer verzweifelt nach einem roten Faden suchen, der kann sich hier entspannt zurücklehnen. Aber reicht das? Reicht es, schöne Bauten in Lichtbildern vorbeirauschen zu sehen wie bei einem Amazonas-Abend in der Urania?

Die einzige Regel auf diesem Kongress für die ganze bauinteressierte Familie - es gibt auch ein Kinderprogramm - besteht darin, dass jeder nur ein einziges Gebäude vorstellen darf. Das allein aber erwies sich im vergangenen Jahr als erstaunlich hilfreiches Instrument, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Denn wer seine Redezeit dazu missbraucht, um schalltechnische Finessen auszubreiten, oder sich von einem sauber gelösten Detail zum nächsten hangelt, der mag zwar immer noch zu den guten Architekten zählen. Aber die, deren Architektur das Ergebnis eines klar entwickelten Gedankens ist, treten anders auf. Nicht unbedingt als glänzende Redner, aber doch immer als Persönlichkeiten.

Die Theorie, dieses schillernde Wesen, zeigt sich dann nicht in Querverweisen auf Foucault, Derrida oder wen auch immer. Die Architekten scheinen seit Jahrzehnten davon besessen, ihre Profession mit geborgtem Wissen anzureichern, das sich nicht selten als schiefe Metapher hinter einer schrägen Säule versteckt. Vitruv, der allererste Architekturtheoretiker, forderte zwar, dass der Architekt umfassend gebildet sein müsse. Aber dieses Wissen dient nicht zur Abschreckung, es materialisiert sich, wenn es denn vorhanden ist, in einem Gebäude, das dann so unterhaltsam zu lesen ist wie ein gutes Buch. Auf diese Verwandtschaft zielt die berühmte Stelle aus Victor Hugos Buch Notre Dame de Paris, wo mit dem Beginn des Buchdrucks das Ende der Baukunst eingeläutet wird. Nur hat das Buch die Architektur nicht umgebracht, sondern nur ärmer gemacht. In den seltensten Fällen hat sie noch eine Geschichte zu erzählen.

Das wirkungsvollste Mittel, wieder zu Geschichten zu kommen, ist die biografische Erzählung. Nicht umsonst tragen alle großen Stars der gegenwärtigen Weltarchitekturszene so schillernde, oft ein wenig erschwindelte Biografien mit sich herum. Frank Gehry saß nicht in einer selbst gezimmerten Hütte am Strand von Malibu herum, bevor er sich aufschwang, die Welt mit Stahlblechgewittern zu überziehen, sondern hatte da die erste Karriere schon hinter sich. Zaha Hadid hatte es sicher nicht leicht, als Frau und Irakerin, aber ohne die Millionen der Eltern hätte es wohl nie den großen Durchbruch gegeben.

Kommen Architekten von diesem Kaliber, und ja, Zaha Hadid ist auch dabei, dann strömt das Publikum. Zum Glück liegt der Schwerpunkt des „Turn-on“-Kongresses jedoch bei einer gut zusammengestellten Auswahl von Architekturbüros, die sich selbst behaupten müssen und durch keinen Rummel um die Person gedeckt sind.

Die Geschichten müssen also aus einer anderen Richtung kommen. Und sei es, dass die Architektur ganz bewusst Hintergrund wird. Nur das ist an diesem Wochenende nicht zu erwarten. Niemand steht derzeit unter dem Verdacht, in die Fußstapfen von Hermann Czech zu treten. Bleibt also abzuwarten, wer sein Gebäude zum Sprechen bringt und wer es besser nur in Bildern gezeigt hätte.

Der Standard, Sa., 2005.03.05

05. März 2005Oliver Elser
Der Standard

Lehrräume

Im Abstand von wenigen Tagen kursierten zwei Meldungen, deren Brisanz bisher noch nicht einmal ansatzweise erfasst wurde. Zwei Wiener Hochschulen, die...

Im Abstand von wenigen Tagen kursierten zwei Meldungen, deren Brisanz bisher noch nicht einmal ansatzweise erfasst wurde. Zwei Wiener Hochschulen, die...

Im Abstand von wenigen Tagen kursierten zwei Meldungen, deren Brisanz bisher noch nicht einmal ansatzweise erfasst wurde. Zwei Wiener Hochschulen, die Technische Universität und die Universität für angewandte Kunst, erwägen eine Übersiedelung. Die TU hat das Entwicklungsgebiet Flugfeld Aspern ins Auge gefasst, lediglich das Hauptgebäude am Karlsplatz solle bestehen bleiben. Die „Angewandte“ ist mit ihren Plänen noch nicht so weit, diskutiert wird ein Neubau von Coop Himmelb(l)au im Rahmen eines ominösen „Hauses der Kultur“ auf der Wiener Donauplatte. Der bisherige Standort solle aber, zumindest in Teilen, beibehalten werden. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie Immobilienentwickler sich die Finger lecken, wenn sie an die innerstädtischen Filetgrundstücke denken, die momentan noch von beiden Institutionen gehalten werden. Merkwürdig, dass bereits Coop Himmelb(l)au als Architekten ins Spiel gebracht werden, obwohl doch (noch!) Hochschulbauten trotz Finanzautonomie zu den öffentlichen Aufgaben zählen, die durch Wettbewerbe vergeben werden. Ganz und gar unerträglich aber ist die Vorstellung, das studentische Leben mit allen seinen Begleiterscheinungen (siehe Bild) aus der Innenstadt in Retortenregionen zu verbannen.

Der Standard, Sa., 2005.03.05

19. Februar 2005Oliver Elser
Der Standard

Bau und Gegenbau

Leipzig - wenn dieser Name fällt, geht seit einiger Zeit ein Raunen durch die Kunstszene. Die Leipziger Schule war schon zu DDR-Zeiten eine Hochburg gegenständlicher,...

Leipzig - wenn dieser Name fällt, geht seit einiger Zeit ein Raunen durch die Kunstszene. Die Leipziger Schule war schon zu DDR-Zeiten eine Hochburg gegenständlicher,...

Leipzig - wenn dieser Name fällt, geht seit einiger Zeit ein Raunen durch die Kunstszene. Die Leipziger Schule war schon zu DDR-Zeiten eine Hochburg gegenständlicher, aber in ihrem verschrobenen, fantastischen Realismus auch im Westen geschätzter Malerei. Zumindest bei Kritikern und Museumsleuten, die den Glauben an die große Kunst im Theorienebel der vergangenen Jahrzehnte nicht verlieren wollten. Die Meister sind zwar mittlerweile fast alle tot, aber genährt von deren Mythos erobert gerade eine neue Generation den Kunstmarkt, angeführt vom Maler Neo Rauch, dessen reklametafelhaften, aber ungleich schwerer entzifferbaren Ölgemälde unlängst auch in der Wiener Albertina zu sehen waren.

Was aber in Leipzig fehlte, war ein Museum. Nach vielen Verzögerungen konnte im Dezember ein Neubau eröffnet werden, der sich zurzeit noch nackt, ohne die endgültige Fassade zeigen muss. Nackt, aber nicht aus Budgetmangel, sondern sehr bewusst, ist auch ein zweiter, zum selben Zeitpunkt eröffneter Ausstellungsbau, die Erweiterung der „Galerie für zeitgenössische Kunst“, kurz GFZK, geleitet von der Österreicherin Barbara Steiner und errichtet von dem jungen deutsch-österreichischen Architektenteam AS-IF (Paul Grundei, Stephanie Kaindl und Christian Teckert). In einer Entfernung von 15 Gehminuten bietet die Stadt nun eine Gegenüberstellung von zwei jeweils hochkarätigen, aber von Grund auf verschiedenen Museumskonzepten. Sie zu vergleichen, trotz unterschiedlichen Anspruchs und obwohl das eine von seiner Größe her die Pförtnerloge des anderen sein könnte, heißt nicht etwa, Äpfel gegen Birnen auszuspielen, sondern kann grundsätzliche Fragen in direkter Konfrontation klären. Wo hat man das schon, dass die Architekturkritik kaum mehr geschrieben werden muss, weil sie in gebauter Form in der Nachbarschaft herumsteht?

Das größere der beiden, das Museum der bildenden Künste, wurde nach einem gewonnenen Wettbewerb von den Berliner Architekten Hufnagel Pütz Rafaelian geplant. Eine große Kiste, die zusammen mit einer niedrigeren Randbebauung einen innerstädtischen Platz auffüllen sollte. Doch vorerst steht das Museum allein und unfertig auf einer grünen Wiese, denn das Geld reichte weder für einen Überwurf aus Glas, noch fanden sich Investoren für den Ring aus Bürogebäuden, der dem Haus städtebaulichen Halt bieten sollte. Trotz allem ist es ein faszinierend ausgehöhlter Sichtbetonkubus, dessen Inneres so verschwenderisch von Lufträumen durchzogen ist, dass man sich fragt, wo denn eigentlich die Kunst abgeblieben ist. Die eigentlichen Ausstellungsräume sind mit einer Fläche von 8000 Quadratmetern zwar alles andere als bescheiden dimensioniert, wurden aber in geschlossene Betonkuben verpackt und lassen dem Schaudern über den Raum den Vortritt vor dem Staunen im Angesicht der Kunst.

Für Barbara Steiner, Direktorin der GFZK, sind das Pathosformen, die den Betrachter zu einem Winzling schrumpfen lassen. Ihr Haus soll nicht überwältigen, sondern die Kunst aus der Sphäre der Hochkultur auf Augenhöhe herunterbringen. Der Feind heißt „white cube“. Die scheinbar neutralen, weißen Ausstellungsräume, in denen seit der Moderne jede Konservenbüchse mit unwiderstehlichem Glanz geadelt wird, sind für Barbara Steiner in Wahrheit hoch ideologische Behälter.

Als unverhofft ein sächsischer Minister 2,5 Millionen Euro für einen Erweiterungsbau in Aussicht stellte, verzichtete die Direktorin auf einen Wettbewerb und entwickelte zusammen mit den Architekten von AS-IF ein Gebäude als Manifest ihrer Kritik am traditionellen Museum. Die architektonischen Ideen, die vor Jahren von Christian Teckert, einem der Mitglieder von AS-IF, zusammen mit Christof Schlegel für den damals von ihr geleiteten Kunstverein Wolfsburg entworfen wurden, sollten nun in einen größeren Maßstab übersetzt werden.

Der flache, rund 1000 Quadratmeter große Pavillon könnte, von außen betrachtet, als Schulerweiterungsbau aus den 1960er-Jahren durchgehen, so nüchtern und karg ist er auf die kleine Parkfläche neben der bestehenden Villa gesetzt, dem bisherigen Standort der GFZK. Dort gibt es die gefürchteten, weißen Rechteckräume, im Neubau hingegen keinen einzigen. Die unregelmäßigen Raumzuschnitte sind das Resultat eines verblüffenden Schiebewandsystems. Mitunter riesige Wandscheiben lassen sich mit einer Hand verschieben, wodurch immer wieder neue Sequenzen entstehen. Für jede neue Ausstellung lassen sich andere Wege, Belichtungssituationen und Raumstimmungen schaffen. Es ist kaum fotografierbar, wie sehr sich der Innenraum durch das Verschieben ändert. Der Effekt ist so dramatisch, dass nur zu bedauern ist, dass die Wände aus Sicherheitsgründen nicht von den Besuchern bewegt werden dürfen. Statt vor ewigen Wahrheiten in Sichtbeton zu erstarren, hätten sie hier die Möglichkeit, die Architektur selbst in die Hand zu nehmen.

Der Standard, Sa., 2005.02.19



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Museum der bildenden Künste
Galerie für Zeitgenössische Kunst

08. Februar 2005Oliver Elser
Der Standard

Raumwunder in der Amöbenhülle

Die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron krönen den Campus der technischen Universität in Cottbus mit einer Bibliothek

Die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron krönen den Campus der technischen Universität in Cottbus mit einer Bibliothek

Die „Verführungskraft der Form“ sei bei der Realisierung der anspruchsvollen und außergewöhnlichen Universitätsbibliothek eine wichtige Hilfe gewesen, sagte bei der offiziellen Eröffnung am vergangenen Freitag die Architektin Christine Binswanger, Partnerin bei Herzog & de Meuron.

Der 30 Millionen Euro teure Bibliotheksbau für die Brandenburgische Technische Universität wurde seit langem erwartet. Nicht nur von den potenziellen Nutzern. In den vergangenen Jahren blickte man mit banger Miene nach Cottbus und fragte sich, ob ausgerechnet in der von hoher Arbeitslosigkeit gezeichneten Region Lausitz ein neues Meisterwerk der Architekten aus Basel zu erwarten ist, die bislang noch jedes Mal die Öffentlichkeit verblüffen konnten, selten aber unter so hohem Kostendruck gearbeitet haben. Doch über einen Zeitraum von zwölf Jahren hielten die Brandenburger den Baslern die Treue.

Dass es so lange gedauert hat, erscheint aus heutiger Perspektive fast als Glücksfall. Die Architekten haben die mittlerweile längst sprichwörtlichen „Schweizer Kisten“ weit hinter sich gelassen, mit denen sie im Jahr 1993 den zweiten Platz beim Wettbewerb für einen Campus-Masterplan der Technischen Universität Cottbus belegten.

Aus der Kiste sprang plötzlich ein Gebilde, dessen gekurvte Außenform an eine Amöbe erinnert. Die dynamische Hülle sei jedoch kein Selbstzweck, versichern die Architekten, sondern aus den Bewegungsrichtungen der Umgebung abgeleitet.

Bedruckte Fassade

Inmitten eines städtebaulichen Scherbengerichts verbreitet die Bibliothek eine fast eisige Ruhe. Wie eine ondulierte Marmorklippe erhebt sich die Fassade aus einem eigens angeschütteten Hügel, denn das Glas wurde mit weißen Buchstaben bedruckt.

Ein Markenzeichen der Architekten, könnte man annehmen. Doch hier ist es mehr als ein Selbstzitat. Die unentzifferbare Buchstabensuppe antwortet auf die trügerischen Zukunftsversprechen eines Fassadenmosaiks auf der anderen Seite der Karl-Marx-Straße, das im Stile des sozialistischen Realismus den Haupteingang der Universität markiert.

Im Innern der Bibliothek herrscht jedoch kein fröhliches, nicht einmal ein unfreiwilliges Chaos, denn die Bücherregale ziehen sich in unerwartet strengen Reihen durch den gekurvten Bau. Erst hier zeigt die Außenform ihre wahre Stärke. Aus dem Zusammenprall zweier Geometrien, der frei geformten und einer strikt rechtwinkligen, entsteht ein Raumwunder, das auch denjenigen endgültig überzeugen dürfte, der bisher von Herzog & de Meuron nichts als intellektuell aufgeladene Fassadenkunst erwartete.

Die einzelnen Ebenen sind jeweils so in den Bau hineingestellt, dass sie die Aus- und Einstülpungen nie ganz ausfüllen. Dadurch entstehen Lufträume, die alle Geschoße miteinander verbinden. In den zwei- oder dreistöckigen Leerräumen befinden sich die in weiß und grau gehaltenen Leseräume. Sämtliche Bücher sind als Freihandbestand in den engeren, eingeschoßigen, aber nicht abgeschlossenen Bereichen untergebracht. Böden und Wände werden dort durch breite Streifen in Gelb, Grün, Pink, Rot und Blau gegliedert, was dem Besucher Orientierung verschafft, wie tief er bereits in den dichten Regalwald vorgedrungen ist.

Dass eine Bibliothek im „digitalen Zeitalter“ ganz andere Formen annehmen müsse, konnte in Cottbus widerlegt werden. Die elektronische Verfügbarkeit des Wissens äußert sich nur in der großen Zahl von 700 Arbeitsplätzen. Nicht nur die Universitätsangehörigen, sondern auch die Bewohner von Cottbus haben hier kostenlosen Zugang zu einer Ressource, die, das versichern die Bibliothekare, sich in der klassisch auf Papier gedruckten Form in den nächsten Jahrzehnten stärker vermehren wird als jemals zuvor. Bisher wurde noch jede Bibliothek zu klein konzipiert.

Der Standard, Di., 2005.02.08



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Bibliothek Cottbus, IKMZ BTU

05. Februar 2005Oliver Elser
Der Standard

Quadratur des Kreises

Der neue Tower des Wiener Flughafens ist ein Zwitterwesen zwischen Turm und Hochhaus, sein Membranbauch wird mit Projektionen bespielt.

Der neue Tower des Wiener Flughafens ist ein Zwitterwesen zwischen Turm und Hochhaus, sein Membranbauch wird mit Projektionen bespielt.

Wenigstens von außen sollte der Turm längst fertig sein. Im vergangenen Herbst war das Baugerüst bereits verschwunden. Doch dann stellte sich heraus, dass die Firma, die zu einem verdächtig niedrigen Preis die Fassade zu errichten bereit gewesen war, nicht sauber gearbeitet hatte und noch dazu in den Konkurs gerutscht war. Also musste die Fassade wieder ausgetauscht werden. Dieser Tage verschwindet das Gerüst zum zweiten Mal. Ein leider gar nicht so seltener Fall im Baugewerbe, wo mit harten Bandagen um jeden Auftrag gekämpft wird. Architekten und Auftraggeber sind oft machtlos, weil derjenige Anbieter einer bestimmten Leistung den Zuschlag erhält, der den günstigsten Preis macht, selbst wenn allen klar ist, dass es dabei eigentlich nicht mit rechten Dingen zugehen kann.

Der Zeitplan bis zur Fertigstellung des neuen Flughafenkontrollturms, kurz Tower, kann dennoch gehalten werden. Markiert doch die Übersiedelung des Towers von der jetzigen Vorfeldposition in die zweite Reihe den Start der millionenschweren Verjüngungskur, der der Flughafen Wien-Schwechat in den kommenden Jahren unterzogen wird. Erst wenn der neue Tower in Betrieb geht, kann der Teil des Flughafens, wo der bisherige Kontrollturm steht, abgerissen werden, was wiederum die Voraussetzung ist, um mit dem Bau eines neuen Passagierterminals, genannt SkyLink, beginnen zu können. Kernstück der Flughafenerweiterung nach einem Entwurf der Vorarlberger Architekten Baumschlager und Eberle ist eine neue Ankunftshalle, die bananenförmig an den bestehenden Terminal 1 anschließt. Von dort gelangen die Passagiere in einen 460 Meter langen Pier, an dem auch zwei Großraumflugzeuge vom Typ Airbus 380 andocken können. An den beiden bestehenden Piers, die sich von der Abfertigungshalle wie ein gezwirbelter Schnurrbart ins Vorfeld schieben, wäre für Flugzeuge dieser Größenordnung kein Platz. Mit SkyLink steigt die Kapazität in der ersten Ausbaustufe auf 25 Millionen Passagiere pro Jahr (2004 waren es 14,4 Mio.), Fertigstellung ist Anfang 2008.

Der Entwurf von Baumschlager & Eberle umfasste jedoch nicht nur den SkyLink, sondern definierte auch den städtebaulichen Rahmen für das Büro- und Parkhausquartier nördlich der bestehenden Abfertigungshalle. In diesen Raster war auch der neue Tower einzufügen, für den ein eigener Wettbewerb stattfand, den das Architektenbruderpaar Zechner & Zechner für sich entscheiden konnte. Zu den Referenzen des überraschend jungen Teams zählt unter anderem der neue Grazer Hauptbahnhof.

Wie so oft gab das kreative Jonglieren mit den Spielregeln den Ausschlag für das Projekt. Statt den Turm mit seinem Schaft einfach in die Erde zu rammen, wurde er in einen Bürowürfel integriert, der an dieser Stelle gar nicht vorgesehen war. Aus dem Tower wurde ein Gebilde, das eher an ein Hochhaus erinnert. Nur war andererseits weder genug Programm noch ein entsprechendes Budget vorhanden, um ein richtiges Hochhaus auf allen Etagen zu füllen. Eine kommerzielle Vermietung ist wegen der extrem hohen Sicherheitsanforderungen ausgeschlossen. Es galt also, die Strecke zwischen den sechs oberirdischen Bürogeschoßen und den fünf Geschoßen des eigentlichen Towers, immerhin eine Distanz von etwa 45 Metern, mit mehr als einem simplen Betonschaft zu überwinden. Die Lösung, eine weiße Membranhaut, die mit einem Stahlskelett am Betonkern befestigt ist, transformiert die Geometrien von Sockel und Gebäudekopf. Die Form ist daher nicht „gestaltet“, sondern ergibt sich aus einer schrittweisen Umwandlung des Quadrats in einen gequetschten Kreis, der dem optimalen Blickwinkel der Fluglotsen zu den zwei Start- und Landebahnen entspricht. Dass der verhüllte Betonschaft nicht exakt in der Mitte des Bürogebäudes sitzt, gibt der schlauchartigen Membran einen zusätzlichen Kick. Je nachdem, wo auf dem Flughafengelände man sich befindet, ändert der Tower seine Gestalt. Mal wirkt er dickbäuchig und „fast schwanger“ (Architekt Martin Zechner), mal scheint er nach vorne zu kippen. Die Verkleidung, haben die Statiker aus dem Büro Lorenz errechnet, hat für die Stabilität des Turms sogar günstige Auswirkungen. Die Membranhaut ist ein Kunstgriff, sich ein Programm zu erfinden, an das zuvor niemand gedacht hat.

Demnächst werden die Projektoren in Betrieb genommen, mit denen der Tower mit Werbung oder auch Kunst bespielt werden soll. Bei Tag und Nacht. Auch an bewegte Bilder ist gedacht. Zusätzlich stehen Lampen hinter der Haut bereit, um den Tower zum Leuchtturm zu machen. Nur muss berücksichtigt werden, dass die Piloten weder geblendet, noch von einem überdimensionalen Palmers-Girl abgelenkt werden dürfen. Mit der Medienfassade wird zugleich ein symbolischer Tauschhandel abgeschlossen. Die Öffentlichkeit bekommt ein Spektakel, muss dafür aber darauf verzichten, dass der Turm betreten werden darf.

Die Schutzmaßnahmen sind dezent, aber unübersehbar. Gilt doch für den Tower die gleiche Sicherheitsstufe wie für das Flughafenvorfeld. Das bedeutet nicht nur Zugangskontrollen mit dem schaurigen Namen „Personenvereinzelung“. Es muss auch ausgeschlossen werden, dass ein sprengstoffbeladenes Fahrzeug an den Betonschaft gelangen kann. Nichts aber wäre störender als eine Mauer. Daher wurde die Zufahrt um eine Etage abgesenkt. Die Sperren ziehen sich in die Tiefe, anstatt in die Höhe. Nebenbei entstand so ein kleiner Garten, als Pausenfläche für die Mitarbeiter der Austrocontrol, die in die Büroetagen im Sockel einziehen wird. Doch das ist kein Vergleich zum spektakulärsten Raucherbalkon Österreichs, der den Fluglotsen oben im Kopf des Gebäudes zur Verfügung steht.

Der Standard, Sa., 2005.02.05



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Tower Flughafen Wien

22. Januar 2005Oliver Elser
Der Standard

Statt Bier lockt hier nun Baukunst

In Lois Welzenbachers Adambräu wird jetzt Architektur ausgestellt, diskutiert und gesammelt. Für die Restaurierung verantwortlich: Die Architekten Köberl, Giner und Wucherer.

In Lois Welzenbachers Adambräu wird jetzt Architektur ausgestellt, diskutiert und gesammelt. Für die Restaurierung verantwortlich: Die Architekten Köberl, Giner und Wucherer.

Der Architektur der Moderne wird nachgesagt, sie habe den „neuen Menschen“ als idealen Bewohner ihrer Reißbrettplanungen im Visier gehabt. Das Proletariat sollte seine schmuddeligen Ketten absprengen und in den weißen Gesundheitssiedlungen einer täglichen Reinigung durch Licht- und Luftbäder unterzogen werden. Doch das Glück der Massen ließ sich weitaus schwieriger organisieren als die handfesten Wettbewerbsvorteile, die mit einem viel weniger sozialistischen Betätigungsfeld verbunden waren. Immer wieder suchten Industrielle die Nähe zu den avantgardistischen Architekten, war doch einigen von ihnen schon zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bewusst, dass ein gutes Gebäude das eigene Unternehmen in Schwung bringen kann. Nicht nur, indem das hehre Ziel „menschlicher Arbeitsplätze“ verwirklicht wird, sondern auch, weil die PR-Funktion moderner Fabriken sehr früh erkannt wurde. Eine der Ikonen der modernen Architektur, Walter Gropius' im Jahre 1911 begonnenes Fagus-Werk in Alfeld an der Leine, steht nicht zufällig an einer Bahnlinie. Der Produzent von Schuhleisten aus Birkenholz (lat. fagus) setzte auf die Werbewirkung seines Baus, sonst hätte Gropius diesen für ihn so wichtigen Auftrag wohl nie erhalten.

Auch das „Adambräu“ in Innsbruck, geplant und erbaut zwischen 1926 und 1931 durch Lois Welzenbacher, sähe wohl anders aus, wenn es nicht in unmittelbarer Nähe zu den Gleisen des Innsbrucker Hauptbahnhofs errichtet worden wäre. So aber vereinigten sich Sachzwänge und Geltungsbedürfnis zu einem weithin sichtbaren Zeichen. Das Adambräu-Areal war bereits seit dem neunzehnten Jahrhundert der Standort der gleichnamigen Brauerei. Jahrzehnte später, als Welzenbacher für einige Neubauten angefragt wurde, war der Platz knapp geworden. Ein neues Sudhaus ließ sich nur noch als Hochhaus einfügen, in dem die sonst in die Breite gehenden Produktionsprozesse vertikal gestapelt werden, ein Novum in der Brauereiarchitektur. Doch Welzenbacher hatte nicht nur die Funktionsabläufe des Brauturms im Kopf. Für das in den Zügen vorbeifahrende Publikum, alles potenzielle Biertrinker, öffnete er die Wände des Hauses, um die blank polierten Kupferkessel hinter großzügigen Glasflächen in Szene zu setzen.

Nachdem 1989 zuerst die Braukessel verkauft und schließlich 1994 das gesamte Adambräu-Gelände vom neuen Besitzer, der Linzer Brauunion, stillgelegt wurde, war die Zukunft des Gebäudes höchst unsicher. Das Land Tirol hatte es abgelehnt, den Bau unter Denkmalschutz zu stellen, obwohl die herausragende Bedeutung Lois Welzenbachers für die Tiroler Architektur der Moderne und seine prägende Wirkung als Hochschullehrer in der Nachkriegszeit längst bekannt waren. Der Zufall wollte es, dass gleich zwei Innsbrucker Architekturinstitutionen auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten waren. Das Architekturforum unter der Leitung von Arno Ritter startete eine Rettungskampagne für das Brauhochhaus und schloss sich mit dem Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck zusammen, das unter der Leitung von Professor Rainer Graefe die Nachlässe zahlreicher Tiroler Architekten verwahrt. Ritter konnte Friedrich Achleitner, der 1968 mit Ottokar Uhl eine Monografie über Welzenbacher verfasst hatte, für ein Gegengutachten gewinnen und legte gleich noch ein Nutzungskonzept vor, das vorsah, das Adambräu zum neuen Domizil für Architekturforum und Baukunstarchiv zu machen.

Der Plan ging auf. Doch erst verstrichen Jahre, in denen die Architekten Rainer Köberl, Thomas Giner und Erich Wucherer die Behörden erst mühsam überzeugen mussten, dass in dem Brauhochhaus auch Ausstellungsflächen, Archivräume, Büros und Seminarräume untergebracht werden können, ohne die Grundstruktur schwerwiegend zu verändern. Die verschiedenen Bereiche des Hauses finden jetzt zwanglos zu einer neuen Nutzung. Hinter der Glaswand befindet sich nun die „Lounge“ des Architekturforums, das sich zur Übersiedelung in „aut - Architektur und Tirol“ umbenannte. Über enge Stiegen und Stege, die sich einst um die technischen Einbauten herumschlängelten, gelangt man hinunter in die beiden Ausstellungsräume. Zur Eröffnung bleiben sie weitgehend leer. Die Ausstellung „vermessungen“ lässt dem Haus den Vortritt und beschränkt sich auf eine akustische und filmische Reise durch die Architektur.

In den darüber liegenden Geschossen zeigt sich der Bau zugeknöpft, da dort die Silos der zu Malz verarbeiteten Gerste untergebracht waren. Das enge Kammersystem aus Stahlbeton wurde mit Diamantsägeblättern chirurgisch exakt aufgeschnitten und mit Gitterrostböden unterteilt, auf denen künftig die Planschränke des Architekturarchivs aufgestellt werden. So bleibt der Eindruck erhalten, dass dieses Haus einst in senkrechter Richtung von allem durchspült wurde, was das Reinheitsgebot zulässt. Über den Silos befindet sich hoch oben auf Ebene 6 der Ausstellungsraum des Baukunstarchivs, wo derzeit aus den eigenen Beständen ein Überblick zur Tiroler Architektur gezeigt wird, bei dem natürlich auch Zaha Hadid nicht fehlen fehlen darf.

Der Standard, Sa., 2005.01.22



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Adambräu – Umbau Sudhaus

08. Januar 2005Oliver Elser
Der Standard

Auf eigene Faust

Für ihr erstes Haus gaben sich deadline architects selbst den Auftrag und wurden zu Hoteliers

Für ihr erstes Haus gaben sich deadline architects selbst den Auftrag und wurden zu Hoteliers

Die Spatzen pfeifen es von den Baugerüsten: Der Beruf des Architekten ist nicht mehr das, was er einmal war. Vor allem nicht in Berlin, wo sich nach der Euphorie der Nachwendejahre erst der Jammer über die konservativen Leitbilder des Stadtumbaus und seit der Jahrtausendwende dann eine lähmende Wirtschaftskrise breitmachte, die schließlich alle Architekten erfasste, ganz gleich wie modern oder auch nicht sie sich zuvor gebärdeten.

Aber die Symptome eines tiefgreifenden Wandels treten unter diesen Umständen nur besonders krass hervor. Auch in Österreich zeichnet sich ab, dass die Arbeitsbedingungen künftig andere sein werden. Architektur wird einerseits immer mehr zum Produkt, das sich jemand, der über genügend Kapital verfügt, so problemlos kaufen kann wie ein neues Auto. Immer weniger Auftraggeber sind bereit, in die Rolle des Bauherren zu schlüpfen, die traditionell mit viel Mühe verbunden ist. Sich klar werden, was eigentlich entstehen soll, in endlosen Gesprächen mit dem Architekten über die richtigen Wege zur Umsetzung zu streiten - all das wird zunehmend an Spezialfirmen ausgelagert, die damit für sich werben, dass sie nichts anderes tun, als erfahren, effizient und nervenschonend für alle Beteiligten ein Bauprojekt so einfach abzuwickeln wie einen Autokauf. Dass die Architektur bei einem so reibungslosen Verfahren leicht auf der Strecke bleibt, befürchten nicht wenige Architekten und versuchen, sich vom Ende der Befehlskette wieder ein paar Stufen nach vorne zu kämpfen. Immer mehr schreiben sich das Zauberwort „Consulting“ auf die Visitenkarten und hoffen, das an die mächtigen Projektentwickler verlorene Terrain wieder zurückzuerobern (siehe Oliver Schürer / Gordana Brandner: architektur:consulting, Verlag Birkhäuser 2004, € 24,50).

Bloß kann es gerade jungen Architekturbüros leicht passieren, dass sie zu diesem Spiel um sehr viel Geld erst gar nicht zugelassen werden. Die Zeiten, wo ein Wettbewerbsgewinn den Start ins Berufsleben markierte sind leider vorbei, da die Hürden zur Teilnahme massiv gestiegen sind und ebenso die Zahl der EU-weit antretenden Konkurrenten. Was also tun, wenn nach fünf Jahren intensivem Networking und der mittlerweile üblichen Selbstausbeutung in diversen Kunstprojekten noch immer kein Auftrag vor der Tür steht?

Britta Jürgens und Matthew Griffin, ein deutsch-kanadisches Architektenpaar mit Studienerfahrungen in Berlin (sie) und an der Architectural Association in London (er) hatten das Warten satt. Sie beschlossen, auf eigene Rechnung und Gefahr ein Grundstück zu kaufen und ihr eigener Projektentwickler, Bauherr und Architekt zu werden. In einem stark vom Klinikum Charité geprägten Teil von Berlin-Mitte entdeckten sie in einer vom Chic der Stehcafés, Galerien und Schuhgeschäfte noch weitgehend verschonten Hessischen Straße eine Lücke. Keine Baulücke im üblichen Sinne, sondern eine Durchfahrt zwischen zwei schlichten Wohnbauten der fünfziger Jahre, in der noch Reste eines Hinterhaustrakts standen. Dieser wurde im ersten Schritt saniert und für die eigenen Wohnbedürfnisse aufgestockt. Vorne an der Straße aber gab es einen neun Meter breiten Streifen, der ebenfalls bebaut werden durfte. Was heisst durfte - dort musste etwas hin, eine cash-cow am Besten, als Refinanzierung des Grundstückskaufs und natürlich auch als Visitenkarte und Referenz der Architekten. Ein Bürobau wurde diskutiert und verworfen. Aus der früheren Beschäftigung mit temporären Stadtnutzungen war die Idee noch im Kopf, dass es für die Nomaden der Neuzeit eine Zwischenform von Hotel und Appartement geben müsste, eine großzügige Wohnung für Arbeitsbesuche in einer anderen Stadt.

Also wurde „Bender“ mit acht Minilofts ausgestattet, zwei auf jeder Ebene, darüber, auf weiteren zwei Etagen, das Architekturbüro. Die zwischen 85 und 130 Quadratmeter großen Lofts können über die Webseite www.miniloft.com gebucht werden. Es gibt die Varianten „Classic“ (im rückwärtigen Altbau) oder „Ex-“ und „Introvertiert“ im Neubau, je nachdem ob man es schätzt, raumhohe Fenster auf der gesamten Längsseite der Raums zu haben oder lieber ein eher traditionelles Zimmer mit Ausblick. Die Preise scheinen im Vergleich zu Wien recht günstig, nur muss man wissen, dass der Berliner Hotelmarkt derart eingebrochen ist, dass die Differenzen zu einem 4-Sterne-Hotel minimal sind. Aber ein Hotel mit seinem globalisierten Standardkomfort ist eben etwas ganz anderes als ein Miniloft, wo auch im Neubau die Raumhöhe großzügige 3,80 Meter beträgt. Die Gäste wissen es anscheinend zu schätzen und bleiben durchschnittlich eine Woche.

Für Berliner Verhältnisse ist der Baukörper geradezu avantgardistisch. Dabei sei es ihnen doch darum gegangen, erklärt Matthew Griffin, in der Wahl der Materialien die Umgebung zu spiegeln. Die Haut aus ungeglätteten Edelstahlbahnen blitzt an den meisten Tagen des Jahres nicht frech hervor, sondern reflektiert den mehr oder minder grauen Berliner Himmel. Auch die seitlichen Aluminiumpaneele, deren Farbe der Hersteller als „Champagner“ bezeichnet, sind eine Referenz an den beigen DDR-Ton der Nachbarn.

Trotz aller Erfahrungen können sich deadline eine Zukunft als Projektentwickler allerdings nicht vorstellen. Nach „fünf schlaflosen Jahren“ sind sie froh, endlich wieder „nur Architektur“ machen zu können.

Der Standard, Sa., 2005.01.08



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miniloftmitte

08. Januar 2005Oliver Elser
Der Standard

Sandsackräume

Günstig, relativ schnell und vor allem dauerhaft ganze Siedlungen zu bauen ist nicht nur in Asien gegenwärtig bitter nötig. Nader Khalili hat die traditionelle...

Günstig, relativ schnell und vor allem dauerhaft ganze Siedlungen zu bauen ist nicht nur in Asien gegenwärtig bitter nötig. Nader Khalili hat die traditionelle...

Günstig, relativ schnell und vor allem dauerhaft ganze Siedlungen zu bauen ist nicht nur in Asien gegenwärtig bitter nötig. Nader Khalili hat die traditionelle Lehmarchitektur seiner iranischen Heimat in ein zeitgemäßes Bausystem übersetzt, das im November mit dem Aga Khan - Preis ausgezeichnet wurde. Seine „Superadobes“, die er auf einem Testgelände in Kalifornien in immer neuen Varianten optimiert, gehen auf eine Studie zurück, zu der ihn die NASA beauftragte: So leicht wie möglich sollten die Materialen sein, die mit zum Mond fliegen um dort eine Raumstation zu errichten. Khalili, der an der renommierten Architekturschule sci-arc in Los Angeles lehrt, schlug vor, lediglich Sandsäcke mitzunehmen, den Sand gäbe es einfach überall. Für die Anwendung auf der Erde kommt nur noch Stacheldraht hinzu, der zwischen die Ringe gelegt wird, um ein Verrutschen zu verhindern, sowie unter Umständen ein wenig Zement gegen das Aufweichen. Ein Flüchtlingscamp im Iran wurde nach seiner Methode bereits errichtet. Der große Erfolg blieb bislang aus. Khalili vermutet, dass die Millionenbeträge, die für Zeltstädte ausgegeben werden, ein lukratives Geschäft sind, aus dem er herausgehalten werden solle.

Der Standard, Sa., 2005.01.08

11. Dezember 2004Oliver Elser
Der Standard

Zerlegen, malen, führen, provozieren.

Die interessantesten Neuerscheinungen des Architekturbuchjahrgangs 2004. Gelesen, aufgeblättert und vorgestellt

Die interessantesten Neuerscheinungen des Architekturbuchjahrgangs 2004. Gelesen, aufgeblättert und vorgestellt

THE PHAIDON ATLAS OF CONTEMPORARY WORLD ARCHITECTURE. Der deutsche Verleger Benedikt Taschen hat sie eingeführt, die Sumo-Klasse im Buchgeschäft. Der britische Phaidon-Verlag hatte bisher bereits einige „Ziegel“ im Sortiment, aber erst der ATLAS sprengt den Rahmen. Neun Kilo Gewicht, 1052 Gebäude aus 75 Ländern, 4600 Fotografien - plus Koffer gibt es diesen „coffeetable killer“ zum Preis von € 154,30. Aufgenommen wurde nur, was nach 1998 entstanden ist. Während andere Verlage schon mit weniger gewichtigen Sammelbänden oft scheitern, sind hier die Fotos durchgängig von exzellenter Qualität, und die Kurztexte vermeiden den Architektenjargon. Erstaunlich, wie gut recherchiert wurde. Unter den 42 Gebäuden aus Österreich sind auch weniger bekannte wie die Wohn-DNA von Weichlbauer/Ortis in Gratkorn oder der Glockenturm von Markus Pernthaler bei Judenburg zu finden. Dem aber stehen nur 24 Projekte in ganz Afrika oder 45 in Südamerika gegenüber, darunter etliche von westlichen Architekten. Es ist deren Perspektive, die das Buch dominiert, das ist sein einziges Manko.

SCHRUMPFUNGSPROZESSE Als das Architekturwort des Jahres 2004 wird „Schrumpfung“ in Erinnerung bleiben. Mit dem Aussterben von Wirtschaftsräumen beschäftigte sich nicht nur eine viel beachtete Ausstellung („Shrinking Cities“) in Berlin, auch auf dem Wiener Architekturkongress im November war das Thema präsent. Zu Unrecht bisher wenig beachtet wurde die Studie LERNEN VON ALLENTSTEIG, die in diesem Jahr von Erich Raith, Städtebauprofessor an der TU Wien, herausgegeben wurde (Springer, € 29,-/199 Seiten). Das Buch widmet sich der Kleinstadt am Rande des „Lochs im Waldviertel“, wie einer der größten europäischen Truppenübungsplätze auch genannt wird. 250.000 Übernachtungen pro Jahr würden andere Gemeinden jubeln lassen, doch es handelt sich überwiegend um Soldaten, während die Allentsteiger selbst immer weniger Perspektiven haben. Ob farbige Häuser nach dem Vorbild der Insel Burano ein Rezept wären? Auch wer nicht Architekt ist, findet in dem Buch genug Stoff, denn das Erzählen von Geschichten ist das eigentliche Medium der Annäherung an eine vergessene Stadt.

ARCHITEKTURLEHRE HANS KOLLHOFF Muss gute Architektur provozieren? Hans Kollhoff würde diese Frage strikt verneinen und ist gleichzeitig doch einer der ganz wenigen zeitgenössischen Provokateure. Seine Bauten stoßen in aufgeklärten Architektenkreisen meist auf Entsetzen oder entschiedenes Kopfschütteln. „Faschismus“ murmelte die Fachpresse bei mehr als einem seiner Projekte und erinnert stets wehmütig daran, dass Kollhoff in den Achtzigerjahren zu den „Jungen Wilden“ der deutschen Architektenszene zählte, dann aber seine Seele dem Teufel der Monumentalität geopfert habe. Doch wer sich in den vergangenen Jahren an der ETH in Zürich in seinen Zeichensaal verirrte, konnte auch auf irritierend banale Einfamilienhäuschen treffen, weil der rastlose Professor Kollhoff seine Studenten auf die Suche nach der verlorenen Gemütlichkeit geschickt hatte. Ein opulent bebilderter Band stellt jetzt die Studentenarbeiten der Jahre 1987 bis 2002 vor und erläutert die Entwicklung von Architekt und Lehre (Niggli, € 79,-/372 Seiten). Eine alte neue Droge, auch für die abgeklärtesten Architekturjunkies

LE CORBUSIER ALS KÜNSTLER Auch in der Architektur gibt es Groupies. Menschen, um es neutraler zu formulieren, die bereit sind, sich in den Dienst eines verehrten Genies zu stellen. Heidi Weber hat ihr Leben Le Corbusier gewidmet. Die junge Innenarchitektin sah 1958 in Zürich eine Ausstellung über den damals schon weltbekannten Architekten und wollte ihn daraufhin unbedingt kennen lernen. Aus der Begegnung wurde eine Freundschaft, die bis zum Tod Le Corbusiers im Jahr 1965 immer intensiver wurde. Er überließ ihr nicht nur einige Möbelskizzen zur Serienproduktion, sondern bestimmte die Schweizerin als alleinige Verwalterin seines künstlerischen Werkes und baute ihr einen Pavillon am Ufer des Zürichsees. Seither hat Heidi Weber vier hervorragend illustrierte Bücher über die Gemälde, Zeichnungen und Grafiken Le Corbusiers herausgegeben, die der Birkhäuser-Verlag, der auch die legendäre Buchkassette des uvre complète vertreibt, nun übernommen hat. Der Preis liegt je nach Band zwischen 45 und 163 Euro. Da es keine Neuauflage ist, bleibt nur eine begrenzte Anzahl verfügbar.

TOTES LEBEN GIBT ES NICHT ist ein Zitat Herbert Eichholzers und der Titel einer Monografie über den steirischen Architekten und Widerstandskämpfer, der 1943 im Alter von neununddreißig Jahren hingerichtet wurde (Springer, € 25,-/ 231 Seiten). Die Autoren Antje Senarclens de Grancy und Heimo Halbrainer heben Eichholzers Werk nicht auf den Sockel eines „lange Verkannten“, sondern sorgen für kluge Querverweise und lassen ein lebendiges Bild von einem Mann entstehen, der stolz auf seine Harley-Davidson war, bei Le Corbusier als Praktikant und in Moskau als Architekt arbeitete, seine Aufträge meist aus dem gehobenen Grazer Bürgertum bekam und zunächst so klug war, sofort nach dem „Anschluss“ Österreich zu verlassen. Eichholzer ging zu Clemens Holzmeister nach Ankara, doch 1940 gab es dort nichts mehr für ihn zu tun, und so stürzte er sich in das waghalsige Unternehmen nach Graz zurückzukehren, um für die KPÖ eine Widerstandsorganisation aufzubauen. Die meisten seiner Bauten sind längst verschwunden, nur das Haus Lind in der Grazer Rosenbergstraße wäre noch zu retten.

IM BAUEN SCHWELGEN Architekturbücher sind zu 99 Prozent reine Fotobücher. Der Bau ist fertig, der Fotograf rückt an, Bilder werden zwischen Buchdeckel gepresst, mit Texten von Kritikern, besser noch Philosophen garniert - und ab geht's in die Regale, von wo das Buch dann meistens nur vom Architekten selbst wieder hervorgezogen wird, um dem nächsten Bauherrn in die Hand gedrückt zu werden. Die preisgekrönte Bezirkshauptmannschaft Murau der Architekten Wolfgang Tschapeller und Friedrich W. Schöffauer wurde bereits 2002 fertig gestellt, aber erst jetzt ist unter dem schlichten Titel MURAU (Pustet, € 28,-/128 Seiten) eine Dokumentation erschienen, die von dem Abenteuer handelt, einen außergewöhnlichen Bau mit ungewöhnlichen Mitteln in der Landschaft ganz wortwörtlich zu „verankern“. Ganz ohne Fotos und Texte (Christa Kamleithner/Walter M. Chramosta) kommt auch dieses Buch nicht aus, aber seine Stärke ist das Zerlegen des fertigen Baus in Zeichnungsserien, die nicht so abstrakt sind wie Architekturpläne, sondern sich bestens eignen, komplexes Denken anschaulich zu machen.

GUT GEFÜHRT Friedrich Achleitners Standardwerk über die österreichische Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts ist längst vergriffen - doch eine neue Generation unermüdlicher Jäger und Sammler ist unterwegs, um wenigstens die neuesten Bauten des Landes zu erfassen. Allen voran Otto Kapfinger, der sich nach VORARLBERG (Hatje Cantz 1998, € 24,80/336 Seiten) und TIROL (Pustet 2002, € 25,80/336 Seiten) nun die NEUE ARCHITEKTUR IN BURGENLAND UND WESTUNGARN (Pustet, € 22,-/256 Seiten) vorgenommen hat. Der dreisprachige Band gewichtet die Projekte nach Größe und Bedeutung und lässt keinen Quadratzentimeter Buchfläche ungenutzt. Luftiger hingegen ist die Darstellung der ARCHITEKTUR IN OBERÖSTERREICH SEIT 1980 von Romana Ring geraten (Pustet, € 25,-/200 Seiten) - da wäre etwas mehr mehr gewesen. Wie gut, dass das Mühlviertel mit dem Band HAUSVERSTAND (Pustet, € 18,-/ 120 Seiten) eigens unter die Lupe genommen wird.

Der Standard, Sa., 2004.12.11



verknüpfte Publikationen
Totes Leben gibt es nicht
The Phaidon Atlas of Contemporary World Architecture
Architektur in Oberösterreich seit 1980
Baukunst in Vorarlberg seit 1980
Bauen in Tirol seit 1980
Neue Architektur in Burgenland und Westungarn

04. Dezember 2004Oliver Elser
Der Standard

Mit der APE auf Tour

Seit 1947 rollen aus derselben Fabrik, in der auch die legendäre Vespa geboren wurde, die dreirädrigen Packesel vom Typ APE. Für dessen Ladefläche entwickelten...

Seit 1947 rollen aus derselben Fabrik, in der auch die legendäre Vespa geboren wurde, die dreirädrigen Packesel vom Typ APE. Für dessen Ladefläche entwickelten...

Seit 1947 rollen aus derselben Fabrik, in der auch die legendäre Vespa geboren wurde, die dreirädrigen Packesel vom Typ APE. Für dessen Ladefläche entwickelten die Brüder Daniel und Heinrich Büchel einen Aufsatz, der das Gefährt zu einer Bar macht. Der Auftrag kam ursprünglich vom Vorarlberger Poolbar-Festival. Gewünscht war einerseits eine mobile Schankanlage, aber auch DJ-Pult, Infotisch und ein Monitor sollten untergebracht werden - zu einem, man ahnt es, extrem niedrigen Budget. Die Jungarchitekten hatten die Idee, das alles auf den Rücken der APE zu packen, sprachen den Hersteller Piaggio an, der das Modell in Österreich gar nicht vertreibt, und bekamen zu so günstigen Konditionen das Fahrzeug gestellt, dass das verbleibende Geld ausreichte, alle Funktionen unter einer Art Bar-Landschaft zusammenzufassen, die bei Bedarf ausgetauscht werden könnte. Weitere Module, die Büchels nennen sie APEscape und haben dem Wort vorsorglich ein Copyrightzeichen hinzugefügt, sind in Planung. Denkbar wären auch ein Shop, eine Eisdiele, eine Crêperie, eine Espressobar, eine Garküche oder was auch immer die Dimensionen eines Kiosks hat und bewegt werden soll. Wo der „salon mobile“ auftaucht, entsteht ein öffentlicher Ort im Straßenraum. Im Bauch eines Transporters reiste der „salon mobile“ aus der Heimat Feldkirch nach Paris und war Teil eines Vernissagenabends in der Galerie „bétonsalon“. Das Vehikel diente gleichzeitig als Ausstellungsstück und Schanktresen, der das Kunstpublikum unter freien Himmel lockte und Passanten anzog, die sonst zu keiner Eröffnung gehen würden. Im kommenden Jahr steht eine Reise mit dem Autozug Feldkirch-Wien auf dem Programm, dann wird der „salon mobile“ das Museumsquartier ansteuern.

OCPA, der Name des seit zwei Jahren in Wien ansässigen Architekturbüros, steht für „Office for Critical Pragmatic Architecture“. Wer da an Rem Koolhaas und das „Office for Metropolitan Architecture“ denkt, liegt wohl nicht ganz falsch, denn auch OCPA haben, in deutlicher Referenz an den Meister, ihren Namen ins Signet eines schlichten Stempels gepresst. Zu den bisherigen Arbeiten zählen der Realfood-Shop in Zürich, eine asiatische Garküche und die Ausstellungsarchitektur „Virtual Frame“ für die Glasbox der Kunsthalle am Karlsplatz.

Der Standard, Sa., 2004.12.04

17. November 2004Oliver Elser
Der Standard

Museumsgiganten der Zukunft

Kein Zufall, dass sich pünktlich zur Eröffnung des MoMA gleich noch ein zweites Museum an die Öffentlichkeit wendet: Das Whitney-Museum stellte dieser...

Kein Zufall, dass sich pünktlich zur Eröffnung des MoMA gleich noch ein zweites Museum an die Öffentlichkeit wendet: Das Whitney-Museum stellte dieser...

Kein Zufall, dass sich pünktlich zur Eröffnung des MoMA gleich noch ein zweites Museum an die Öffentlichkeit wendet: Das Whitney-Museum stellte dieser Tage seine Erweiterungspläne vor. Nach einem Entwurf des italienischen Architekten Renzo Piano soll der Bau an der Madison Avenue auf das Doppelte der bisherigen Ausstellungsfläche vergrößert werden.

Der Museumsboom, so hat es den Anschein, hält weiterhin an. Andererseits sah es vor wenigen Jahren noch ganz anders aus: Da plante das Guggenheim-Museum noch einen riesigen Neubau aus onduliertem Titanblech, den der in Bilbao so erfolgreiche Frank O. Gehry über die verwaisten New Yorker Piers stemmen sollte. Und das Whitney wollte Rem Koolhaas dafür gewinnen, ein nicht weniger spektakuläres Ausstellungshochhaus zu errichten. Beides ist vom Tisch.

Großprojekte sind hingegen nur noch im Bereich der Wissenschaftsmuseen zu finden. So arbeiten momentan die Wiener Architekten Coop Himmelb(l)au an dem Musée des Confluences in Lyon, einer gigantischen Wissensvermittlungsmaschine an der Schnittstelle von Technologie, Biologie und Ethik. 2007 soll der Bau fertig werden.

Bereits Ende des kommenden Jahres wird in der deutschen Automobilstadt Wolfsburg die „Experimentierlandschaft“ Phaeno eröffnet, ein nicht minder imposanter, gleichfalls schwebender Betonbau. Architektin ist die in Wien lehrende Zaha Hadid.

Bei den „klassischen“ Kunstmuseen hat sich in den letzten Jahren der Fokus auf kleinere Sammlermuseen verschoben, oft als Anbauten an bestehende Institutionen oder auch fern der Kunstmetropolen.

Der Standard, Mi., 2004.11.17

06. November 2004Oliver Elser
Der Standard

Solange es nur Bauklötzchen sind, ist alles möglich

Schwieriger Städtebau: Der Otto-Wagner-Preis richtet den Blick in Zukunft, aber was wirklich gebaut wird, bleibt meistens offen. Keine sehr wirksame Qualitätskontrolle.

Schwieriger Städtebau: Der Otto-Wagner-Preis richtet den Blick in Zukunft, aber was wirklich gebaut wird, bleibt meistens offen. Keine sehr wirksame Qualitätskontrolle.

Was bedeutet Städtebau? In Wien sind momentan zwei Ausstellungen zu sehen, die diese Frage mit hohem Qualitätsanspruch zu beantworten versuchen. Bei einer geht es um nichts Geringeres als die Stadt der Zukunft, man darf auch SocióPolis zu ihr sagen. Mit dem Versprechen, wenn nicht die, so doch immerhin eine Stadt der Zukunft zu präsentieren, widmet sich das Architekturzentrum Wien (AzW) einer fiktiven Ansiedlung in der Nähe von Valencia in Spanien. SocióPolis wird es in dieser Form nicht geben, denn das Projekt entstand vor zwei Jahren im Rahmen der dortigen Kunstbiennale. Der Erfolg war aber so groß, dass jetzt eine Stadterweiterung in Planung sein soll, die die städtebaulichen Ideen der SocióPolis in ein reales Bauvorhaben verwandelt. Doch über den sicherlich spannenden Transformationsprozess von der Vision zur Realität erfährt der Besucher rein gar nichts.

Dasselbe lässt sich auch über die zweite Städtebau-Ausstellung sagen. Sie wurde zur Verleihung des Otto-Wagner-Städtebaupreises am Dienstag dieser Woche in den ehrwürdigen Räumen der Postsparkasse am Wiener Stubenring aufgebaut und wird noch bis zum 3. Dezember zu sehen sein. Auch dort tritt das Architekturzentrum Wien als Mitveranstalter auf. Auch dort wird Architekten die Möglichkeit gegeben, sich nach eigenem Gutdünken zu präsentieren. Das kann nur ein Ausrutscher sein, haben doch das AzW und sein Direktor Dietmar Steiner in der Vergangenheit viel Energie investiert, um das sperrige Thema Architektur für ein breites Publikum zu öffnen, ohne je in die Nähe des Populismus geraten zu sein. Nun aber trifft der P.S.K.-Kunde in Otto Wagners Kassenhalle auf schwer verdauliche Flachware, auf Architektenpläne im Insiderjargon, die darauf getrimmt sind, die Kollegen in der Wettbewerbsjury unter Vorsitz von Dominique Perrault für sich einzunehmen, nicht aber dazu bestimmt sind, dem schwierigen Thema Städtebau eine Lobby zu verschaffen.

Der Architekturhistoriker Colin Rowe charakterisierte die Bauten der Moderne einmal spöttisch als „architecture of good intentions“. Die guten Absichten hinter SocióPolis und dem Otto-Wagner-Preis sind unübersehbar. Städtebau findet in Österreich viel zu wenig Beachtung. Eine Stadt der Zukunft als thesenbeladenes Modell in den Raum zu stellen ist genauso wichtig, wie die hiesigen städtebaulichen Projekte alle drei Jahre auf den Prüfstein zu stellen, um mit Preisen und Anerkennungen für mehr Qualität und freies Denken zu werben. Die Gefahr ist aber, über das Ziel hinauszuschießen. Indem die Präsentation nicht den Standards entspricht, die sich das AzW bei seinen sonstigen Vorhaben selbst gesetzt hat. Das betrifft nicht nur die Art der Darbietung. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, erst einmal abzuwarten, wie sich das Wiener Stadtentwicklungsgebiet Kabelwerk als gebaute Realität behaupten wird, statt ihm Vorschusslorbeeren in Form des Otto-Wagner-Preises mit auf die Reise zu schicken? Das Projekt ist mit Sicherheit der in Österreich zurzeit ambitionierteste Versuch, mit neuen Raumfiguren und einer maximalen Vielfalt von Bebauungstypen zu jonglieren. Ob dort wirklich etwas Lebendiges entsteht, lässt sich erst in etwa drei Jahren sagen. Wenn aber der Preis dazu dient, das zu fördern, was es sonst schwer hätte, dann wäre es fair gewesen, auch den siegreichen Entwurf von Florian Haydn und Reiner Pirker zu zeigen, auf dem die jetzige Planung basiert. Dass es sich ja nur um einen Wettbewerb und nicht um eine sorgfältig zusammengestellte Ausstellung handelt, wäre ein schwaches Argument: Städtebaulich interessante Projekte sind so rar, dass sie in ihrer ganzen Komplexität und mit allen Widersprüchen dargestellt werden sollten. Modelle der verschiedenen Entwurfsstadien wären vielleicht eine Hilfe.

Weniger am stark abstrahierten Modell als vielmehr in der Realität lässt sich die Qualität des ebenfalls preisgekrönten T-Centers überprüfen, das unübersehbar die Wiener Südosttangente beherrscht. Die Jury lobte den Bau von Domenig, Eisenköck und Peyker als Landmark. Ist das schon Städtebau? Immerhin gelang es, Hochhaus und Büroriegel zu etwas hybridem Neuen zu verschmelzen (ALBUM vom 31. 1. 2004), dessen Stärke eher die Zeichenhaftigkeit ist als eine besonders innovative Ausnutzung der expressiven Geste. Was auf dem dahinter liegenden Schlachthofgelände passieren wird, dessen Tor das T-Center ja sein soll, bleibt abzuwarten.

Das gilt auch für die meisten der neun Projekte, die eine Würdigung und ebenfalls einen Platz in der Ausstellung verliehen bekamen. Mehr oder weniger fertig gestellt sind nur drei: die Wienerberg City von Massimiliano Fuksas, der Hauptbahnhof Innsbruck von Riegler Riewe (ALBUM vom 30. 4. 2004) und die Wiener Wohnanlage Breitenlee des Architekten Roland Hagmüller. Zwei weitere sind Studien, die Übrigen stellen sich zurzeit den Mühen der Anpassung an die raue Wirklichkeit. Ihnen ist zu wünschen, dass sie in drei Jahren wieder dabei sind, wenn der Preis erneut vergeben wird. Damit deutlich wird, dass Städtebau auch in Österreich möglich ist, und zwar nicht nur auf dem Papier.

[ 4. Otto-Wagner-Städtebaupreis, Ausstellung in der Österreichischen Postsparkasse, 1010 Wien, bis 3. 12. 2004
SocióPolis, Ausstellung im AzW, Museumsquartier, 1070 Wien, bis 31. 1. 2005. www.azw.at ]

Der Standard, Sa., 2004.11.06

06. November 2004Oliver Elser
Der Standard

Genussräume

Seit Peter Greenaways Film Der Bauch des Architekten ist das Kulinarische mit dem Architektonischen eine noch nicht näher bestimmte Beziehung eingegangen....

Seit Peter Greenaways Film Der Bauch des Architekten ist das Kulinarische mit dem Architektonischen eine noch nicht näher bestimmte Beziehung eingegangen....

Seit Peter Greenaways Film Der Bauch des Architekten ist das Kulinarische mit dem Architektonischen eine noch nicht näher bestimmte Beziehung eingegangen. Vielleicht, weil der Architekt Geschmacksfragen scheut wie der Koch die Küchenschabe? Die Studenten von William Alsop an der TU Wien fragen auf Englisch, so klingt es besser, nach den Rezepten für „tasty spaces“ und haben für den bereits vierten „Changing Strategies“-Kongress wieder hervorragende Referenten gewonnen: Fergus Henderson (Küchenchef St Johns Restaurant, London), Martina Löw (Architektur-
soziologin und Rotlichtforscherin), Maurice Nio (Architekt), Hans-Ulrich Obrist (darf nirgendwo fehlen), Philippe Rahm (Architekt feinster Sinnesreize), Paul Renner (Künstler und Koch von Geschmacklosem), François Roche (Architekt für Formloses und Deformiertes) und Michael Zinner (Boygroup Querkraft Vienna). Sie alle teilen sich einen einzigen Abend (welch ein Überfluss), der am Montag, 8. 11., um 17 Uhr im WUK, Währinger Straße 59, Wien beginnt. Der Eintritt ist frei, Informationen gibt's auf www.changing-strategies.at.

Der Standard, Sa., 2004.11.06

30. Oktober 2004Oliver Elser
Der Standard

Mit dem Auto in den Hörsaal

Dumpf hallen die Schritte durch den schier endlos langen Gang. Rechts und links nur mit Chipkarten gesicherte Türen mit der Aufschrift „Labor“. Endlich...

Dumpf hallen die Schritte durch den schier endlos langen Gang. Rechts und links nur mit Chipkarten gesicherte Türen mit der Aufschrift „Labor“. Endlich...

Dumpf hallen die Schritte durch den schier endlos langen Gang. Rechts und links nur mit Chipkarten gesicherte Türen mit der Aufschrift „Labor“. Endlich ist eine zu öffnen. Der Schließmechanismus wurde mit einem Klebeband überlistet, weil in dem erst vor einer Woche eingeweihten Haus noch nicht jeder mit dem passenden Schlüssel herumläuft. Das Labor hinter der Tür ist alles andere als eine Hexenküche für Zauberlehrlinge. Hier zischt und brodelt es höchstens auf den Bildschirmen, die ordentlich in Reih und Glied die Tische bevölkern. Die Fachhochschule Hagenberg bildet Programmierer aus. Deswegen ist das Haus mit Computern voll gestopft, deswegen klingt es in den Gängen so hohl. Unter dem Fußboden in pompejanischem Rot winden sich die Kabeltrassen.

Wie ein Gebäude aussehen muss, dessen Herz im Gigahertztakt schlägt, das war für das österreichisch-finnische Architektenpaar Alfred Berger und Tina Parkkinen wohl nie die Frage. Die Architektur kann keine Sprünge machen wie die Entwicklung von Computerchips, deren Rechenleistung sich nach „Moors Gesetz“ alle 18 Monate verdoppelt. Obwohl gerade Architekten dafür berüchtigt sind, heftig mit dem technischen Fortschritt zu flirten. Le Corbusier zum Beispiel. Wie eine Vogelscheuche stand er als junger, dürrer Mann unentwegt am Rande der Baustellen herum, auf denen Beton, der Stoff der Zukunft, angemischt wurde. Er wollte der Erste sein, der damit abhebt. Sein berühmter Fünf-Punkte-Plan forderte unter anderem die freie Fahrt durchs Erdgeschoß, weil das Haus sich dank schlanker Betonstützen vom Boden erheben sollte wie die uralten Pfahlbauten an den Schweizer Seen.

Diesen Punkt haben Berger+Parkkinen übernommen. Auch in den Nachbargebäuden ist ein Geschoß für parkende Autos reserviert. Was den Vorteil hat, dass der Flächenverbrauch am Rande des Hagenberger Schlossparks auf die Gebäude und Erschließungsstraßen beschränkt bleibt, obwohl hier, eine Dreiviertelautostunde nordöstlich von Linz, jeder einen Wagen hat, der geparkt werden will. Nur sind Berger+Parkkinen mit ihrem Bauteil, dem dritten der FH, um einiges radikaler als die bloß aufgebockten Kisten in ihrer Umgebung. Das abfallende Gelände ausnutzend, senken sie die Parkplätze in den Hang hinein und überdecken sie mit einer Platte, auf der ein Platz entsteht, durch den der Hagenberger Campus diesen Namen erst wirklich verdient.

Eingefasst wird der Platz von einem teilweise dramatisch mit Corbusier'schen pilotis in die Höhe getriebenen modernen Vierseithof, der sich in seinen Proportionen an der benachbarten Meierei orientiert, einem für die FH umgebauten Renaissancegehöft, in dem 1993 mit dem Lehrbetrieb begonnen wurde. Der Weg aus den Studentenwohnheimen mit immerhin einhundertfünfzig Betten führt über den Platz auf eine Rampe, die den Campus mit der Hagenberger Altstadt verbindet. Die vor allem aus dem vom Architekten Peter Riepl aus Linz umgebauten Schloss besteht, wo das Risc-Center untergebracht ist, ein Forschungsinstitut des Mathematikers Bruno Buchberger, das die FH-Gründung und den übrigen Softwarepark nach sich zog.

Vom Schloss kommend könnte man aber auch gleich die unterste Ebene des Gebäudes ansteuern. Dem Parkdeck haben die Architekten noch einen Mehrzwecksaal und drei Hörsäle untergeschoben, schwere und wuchtig geformte Blöcke mit Eichenholzvertäfelung und einer Kruste aus rostrot durchgefärbtem Beton. Dass der Lehrbetrieb die parkenden Autos umschließt wie ein Sandwich seinen Belag, ist weniger trennend, als es vielleicht erscheinen mag. Zwei Treppen stoßen durch den Verkehrsraum hindurch, und eine von ihnen führt aus der Vorlesung direkt in die ovale Cafeteria am Rande des Platzes.

Rem Koolhaas ist neben Le Corbusier der zweite Stichwortgeber für diesen gerade wegen dieser Ahnenreihe höchst eigenen Entwurf. Sollte noch der finnische Volksheld Alvar Aalto hinzugezählt werden? Die gefächerten Decken in den Hörsälen und vor allem die recht trockene, mit striktem Modernismus durchgezogene Umbauung des Platzes sprechen dafür.

Mit diesem Dreigestirn lassen sich aus der, wie Alfred Berger sagt, „längst überwundenen Moderne“ doch noch gewaltige Funken schlagen. An Koolhaas geschult ist jedenfalls die Verschränkung der verschiedenen Funktionen zu einer dichten Packung, in der es immer wieder zu unerwarteten Begegnungen kommt. Mit Autos oder anderen Passanten, die gerade auf einer anderen Ebene unterwegs sind.

Der Hauptakteur dieses sensibel am Modell ausgetüftelten Raumgefüges aber ist nicht die Architektur, sondern die Landschaft. Sie zu rahmen und so dem zentralen Platz den Charakter einer Aussichtsplattform zu geben ist die Rechtfertigung dafür, einen simplen Bürotrakt zum Wolkenbügel hochstemmen zu dürfen. Bleibt nur noch abzuwarten, ob die Höhenluft klar genug ist, um die blendend weiße Putzfassade auch über Jahre so rein zu erhalten.

Für die Architekten ist es nach dem großen Auftakt mit der Botschaft der nordischen Länder in Berlin (1995-1999) das erste große Projekt in Österreich. Anfangs selbst im Zweifel, haben sie gezeigt, dass sie auch mit viel bescheideneren Mitteln hoch hinausgelangen können.

Der Standard, Sa., 2004.10.30



verknüpfte Bauwerke
Fachhochschule Hagenberg

30. Oktober 2004Oliver Elser
Der Standard

Filmräume

Er starb in der Herrentoilette der Pennsylvania-Station. Drei Tage lang lag die Leiche des wichtigsten Architekten der USA in einer Kühlkammer. Niemand...

Er starb in der Herrentoilette der Pennsylvania-Station. Drei Tage lang lag die Leiche des wichtigsten Architekten der USA in einer Kühlkammer. Niemand...

Er starb in der Herrentoilette der Pennsylvania-Station. Drei Tage lang lag die Leiche des wichtigsten Architekten der USA in einer Kühlkammer. Niemand erkannte ihn. Zu diesem Zeitpunkt, 1974, ist Nathaniel elf Jahre alt. Louis Kahn war sein Vater. Die Nachrufe erwähnen die Witwe und eine Tochter, nicht aber, dass er zwei weitere Kinder mit zwei anderen Frauen hatte. Der Sohn wurde Regisseur, reiste fünf Jahre lang dem Gespenst seines Vaters hinterher, um ihn doch noch kennen zu lernen, besuchte Bauten, sprach mit Zeitgenossen wie Philip Johnson, I. M. Pei, Frank O. Gehry und Moshe Safdie. Die Dokumentation My architect ist für den Oscar nominiert und bildet am nächsten Sonntag, 7.11., den Schlusspunkt des 2. ORTE Architekturfilmfestivals im Cinema Paradiso in St. Pölten (Karten unter: www.cinema-paradiso.at oder 02742 / 21 400). Es beginnt am Freitag mit zwei Filmen von Heinz Emigholz, Goff in der Wüste und Sullivans Banken, dann folgt ein Programm rund ums Haus, unter anderem mit Beiträgen von Hubert Lobnig und dem wunderbaren Il Girasole des Architekten Marcel Meili. My architect läuft auch am 18. 11. in Linz (www.afo.at).

Der Standard, Sa., 2004.10.30

29. Oktober 2004Oliver Elser
Der Standard

Oase in der Hochhauswüste

Den Architekten des neuen MoMA kannten bislang nur Japaner. Für Yoshio Taniguchi ist es bereits das neunte Museum, aber der erste internationale Auftrag. Er will die Architektur zum Verschwinden bringen.

Den Architekten des neuen MoMA kannten bislang nur Japaner. Für Yoshio Taniguchi ist es bereits das neunte Museum, aber der erste internationale Auftrag. Er will die Architektur zum Verschwinden bringen.

Das Museum of Modern Art, kurz MoMA, ist zwar der Tempel, in dem der heilige Gral der Moderne gehütet wird. Aber wegen der Architektur des Hauses ist bisher niemand dorthin gepilgert. Das Museum ähnelte einem Maulwurfsbau. Zahllose An- und Umbauten hatten zwar mit Mühe die stetig wachsende Sammlung, nicht aber die Orientierung der Besucher in den Griff bekommen. 1997 wurden zehn Weltklassearchitekten zum Wettbewerb geladen, darunter Herzog & de Meuron, Steven Holl, Toyo Ito, Dominique Perrault und Rem Koolhaas, dessen intensive Beschäftigung mit New York ihn zum Favoriten machte. Doch den Zuschlag erhielt Yoshio Taniguchi, dessen Namen außerhalb Japans noch kaum jemand gehört hatte. Der 1937 geborene Architekt und Harvard-Absolvent überzeugte seine Auftraggeber, dass New York schon vertikal genug sei. Das neue MoMA hingegen folgt der Schwerkraft und entwickelt sich horizontal von der 53sten zur 54sten Straße.

Dort, wo bisher der berühmte Skulpturengarten das Ensemble abgeschlossen hat, wird der neue Haupteingang sein. „Gebt mir viel Geld, und ich werde das Museum zum Verschwinden bringen“, forderte Taniguchi seine Auftraggeber heraus. Das MoMA warf daraufhin seine Spendensammelmaschine an, um die Sonderwünsche des Architekten befriedigen zu können: Türrahmen aus weißer Bronze, handgeschmiedete Fensterrahmen, schwarzer Granit aus Simbabwe, der in Italien verarbeitet wurde.

Der Bau wird edel sein und vor allem groß. Eine gestalterische Handschrift ist eher im Detail als in den kubischen Volumen zu entdecken, mit denen Taniguchi das Ensemble neu gegliedert hat. Hätte Rem Koolhaas den Zuschlag bekommen, wäre es ein echter Koolhaas geworden, doch der Japaner hielt sich bescheiden zurück. Für sein neuntes Museum, das erste außerhalb Japans, ließ er der Kunst, vor allem aber den atemberaubenden Blicken in die New Yorker Stadtlandschaft den Vortritt. Dieses hohe Maß an Selbstdisziplin zeigte der Architekt auch im Umgang mit dem von Philipp Johnson im Jahre 1953 angelegten Garten, dem einzigen architektonischen Höhepunkt des bisherigen Museums. Die wie in einem Bild von Mondrian von Beeten und Wasser unterbrochenen Steinflächen wurden restauriert und mit der Terrasse eines Restaurants eingefasst, das zu den Top-Adressen der Stadt werden soll. Der Garten ist nicht mehr die dringend notwendige Verschnauffläche für erschöpfte Besucher am Ende eines langen Kunsttages, sondern ist zu einem zentralen Platz geworden.

Die Besucher sind nicht mehr gezwungen, den ganzen Parcours durch die Kunstgeschichte zu absolvieren wie den langen Marsch durch ein IKEA-Haus, sondern können sich das Programm häppchenweise vornehmen. Mit dem Umbau hat sich das Museum endgültig zu einer Stadt in der Stadt entwickelt.

Der Standard, Fr., 2004.10.29



verknüpfte Bauwerke
MoMA

23. Oktober 2004Oliver Elser
Der Standard

Europäische Architektursammler

Die Internetdatenbank Nextroom ist seit Jahren ein erstklassiges Nachschlagewerk für qualitätvolle Architektur. Jetzt kommen auch Bauten aus der Slowakei hinzu, weitere Länder sind geplant.

Die Internetdatenbank Nextroom ist seit Jahren ein erstklassiges Nachschlagewerk für qualitätvolle Architektur. Jetzt kommen auch Bauten aus der Slowakei hinzu, weitere Länder sind geplant.

Im Jahr 1996 hatten die meisten noch keine E-Mail-Adresse. Da tüftelte der junge Architekt Jürg Meister bereits an einer Architekturdatenbank. Im folgenden Jahr ging Nextroom ans Netz und ist seither zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk für alle Architekturinteressierten in Österreich und darüber hinaus geworden. Nextroom sammelt neue, gelegentlich auch ältere Bauten und verwaltet die mittlerweile auf rund 5000 Exponate angewachsene Masse in einer Datenbank, die kostenlos und im Internet für jeden zugänglich auf Knopfdruck die wichtigsten Informationen, einige Fotos und kurze Erläuterungstexte bereitstellt.

Seit dieser Woche hat Nextroom Zuwachs aus der Slowakei bekommen. Dort dokumentiert die Akademie der Wissenschaften schon seit Jahren nach wissenschaftlichen Kriterien das Baugeschehen des Landes, nur ruhte das Wissen bisher in unzugänglichen Computern. Jetzt werden die Daten schrittweise auf den Nextroom-Server übertragen und in das Kategorienschema einsortiert, das es dem Benutzer erlaubt, Krankenhäuser oder Bankgebäude aus der Menge der Einträge herauszufiltern.

Ob ein Gebäude auf Nextroom erscheint, ist allein von der Qualität abhängig. Die Entscheidung darüber treffen die angeschlossenen Sammlungen. In Österreich sind das mit Ausnahme des Burgenlandes die Architekturzentren und -foren der einzelnen Bundesländer. Sollte ein Architekt der Meinung sein, sein Gebäude müsse unbedingt auf Nextroom erscheinen, muss er sich an die lokalen Ansprechpartner wenden. Das erdet die Auswahl, die ja sonst nur aufgrund schicker Bilder stattfinden könnte, und sorgt dafür, dass zumindest theoretisch die Möglichkeit gegeben ist, ein Gebäude zunächst anzuschauen, bevor es ins Netz geht.

Die Funktion von Nextroom liegt irgendwo zwischen Architekturzeitschrift, Reiseführer und Gelben Seiten. Da die Architekturpublizistik in den neuen EU-Ländern noch nicht so weit entwickelt ist, bietet Nextroom eine ideale Plattform. Doch auch in Österreich, wo kein gutes Haus lange übersehen wird, erfüllt Nextroom Nextroom die Funktion eines virtuellen Gedächtnisses, das alles festhält, was irgendwann einmal durch den Blätterwald gerauscht ist, dann aber in Bibliotheken und auf Altpapierhalden verschwindet. Als zusätzlicher Service werden den Bauten auch Artikel ausgewählter Tageszeitungen zur Seite gestellt, die dafür ihre beschränkten Archivzugänge zum Teil eigens für Nextroom geöffnet haben. Vertreten sind der Standard, Die Presse, die Salzburger Nachrichten, Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung und andere mehr.

Zu den rund zwei Dutzend Gebäuden aus der Slowakei werden in den kommenden Wochen weitere dazukommen, die jeweils auf der Startseite von Nextroom angekündigt sind. Als Nächstes ist geplant, zusammen mit Partnern aus Slowenien, Ungarn, Kroatien und Rumänien die dortige Architekturszene zu erfassen. Man habe zwar ein gewisses Qualitätsproblem, muss Helga Kusolitsch, Pressesprecherin von Nextroom, eingestehen, denn die Neubauten in diesen Ländern sind zum Teil weit von den hiesigen Standards entfernt. Lieber bleibt die Auswahl beschränkt, als das Niveau herabzusetzen.

Das Ziel, so Kusolitsch weiter, sei eine Europäische Architekturdatenbank. Vergleichbare Projekte gibt es bislang nur in der Schweiz und in Teilen Deutschlands. Doch dort werden ausschließlich regionale Projekte gesammelt. Da sich Nextroom aber auch an der Presselandschaft orientiert, sind auf diesem Weg sogar Bauten aus China, Israel, Dänemark, Finnland, Russland, Ägypten und vielen anderen Ländern zu finden. Zum „Museum of Modern Art“ in New York ist zwar auf Nextroom weder ein Foto noch eine Zeichnung verfügbar, dafür aber acht Artikel, die in den vergangen Jahren erschienen sind.

1,1 Millionen Mal wird Nextroom durchschnittlich pro Monat angeklickt. Der Besuch der Webseite ist aber nicht zwingend notwendig. Nextroom bietet auch die Möglichkeit, einen Newsletter zu bestellen, der die neuen Gebäude und eingesammelten Pressetexte auflistet. Mit Beginn der Erweiterung in die Slowakei sind alle neu erscheinenden Projekttitel auch auf slowakisch verfügbar.

Der Standard, Sa., 2004.10.23



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23. Oktober 2004Oliver Elser
Der Standard

Kunsträume

Heute eröffnet in Salzburg das Museum der Moderne. Endgültig. Vorausgegangen ist ein Marathon von Pre-Events: künstlerische Bespielung des Bauzauns, Voreröffnung...

Heute eröffnet in Salzburg das Museum der Moderne. Endgültig. Vorausgegangen ist ein Marathon von Pre-Events: künstlerische Bespielung des Bauzauns, Voreröffnung...

Heute eröffnet in Salzburg das Museum der Moderne. Endgültig. Vorausgegangen ist ein Marathon von Pre-Events: künstlerische Bespielung des Bauzauns, Voreröffnung mit der Ausstellung „Einleuchten“ im Juli diesen Jahres, Eröffnung des Museumsshops in der vergangenen Woche. Bei dieser Gelegenheit war es möglich, einen Blick in die gerade im Aufbau befindliche Ausstellung zu werfen. Ziemlich eng gehängt, ist der erste Eindruck. Das Museum der jungen Münchner Architekten Friedrich Hoff Zwink (Kritik im ALBUM vom 24.07.04) hatte es von Anfang an nicht leicht. „Die Salzburger verlangen nach Größe, auch wenn sie dabei die Hose voll haben“, schreibt Friedrich Achleitner, der der Auswahljury im Wettbewerb angehörte, in der soeben erschienenen Dokumentation (Museum der Moderne Salzburg, Verlag Anton Pustet, € 28,-). Bekommen haben sie eines der besten Häuser, die während des Museumsbooms in Mitteleuropa errichtet wurden. Es inszeniert den Aufstieg aus dem Berg, ohne zu billigen Metaphern greifen zu müssen. Es dient der Kunst mit neutralen Räumen und ist doch keine Schachtel. Schade, dass ganz am Ende Matteo Thun das Restaurant übertragen wurde. Aber was sind schon Hirschgeweihe gegen das Panorama Salzburgs?

Der Standard, Sa., 2004.10.23



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Museum der Moderne

23. Oktober 2004Oliver Elser
Der Standard

Schwimmbad, Wohnhaus, Museum

Ortsbildprägend: Peter Fleiß und seine Bauten in Bleiburg

Ortsbildprägend: Peter Fleiß und seine Bauten in Bleiburg

In Architektenkreisen kursieren immer wieder Reisetipps weit abseits der üblichen Kulturrouten: Monte Carasso im Tessin, wo Luigi Snozzi versuchte, mit zurückhaltenden Mitteln ein Zentrum zu definieren. Oder das 200-Seelen-Dorf Vrin in Graubünden. Dort entstand zunächst nur eine Telefonzelle in Holzbauweise. Daraus entwickelte der dort geborene Architekt Gion Antoni Caminada eine Strategie, wie der Verfall einer ländlichen Siedlung aufgehalten werden kann, ohne ins Extrem hypertouristischer Ausbeutung zu kippen.

Beide Orte brauchten die Architektur, um wieder zu sich selbst zu finden. In beiden Fällen war es eine einzelne Person, die mit viel Engagement eine labile Situation wieder ins Gleichgewicht brachte. Das ist ein anderes Rezept, als dafür Werbung zu machen, dass auch kleine Gemeinden sich gute Architektur ins Haus holen, indem sie Wettbewerbe veranstalten, in denen dann ein Architekt x aus y gewinnt, der sich nach Fertigstellung wieder dorthin zurückzieht. Dass heißt nun nicht, nur einer „vom Ort“ habe die nötige Sensibilität, vor Ort die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber auch in einer vom rituellen Partnertausch bestimmten Branche wie der Architektur sind Bindungen und Enthaltsamkeit manchmal höchst produktiv.

Bleiburg im Kärntner Jauntal ist auf dem besten Wege dorthin, auch ein Ort mit besonderer Prägung zu werden. Dabei erscheint das Städtchen dem Durchreisenden zunächst so banal wie tausende andere auch. Erst wer die Ortstangente verlässt, an der die üblichen Lebensmittelblechkisten sich auffädeln, der gelangt auf den Hauptplatz, der zugleich der einzige Platz ist, den Bleiburg zu bieten hat. Dort sind die notwendigen Zutaten versammelt, die Bleiburg nicht ins Dörfliche abgleiten zu lassen. Kaffee- und Gasthaus haben Tische herausgestellt, es gibt einige, aber im Vergleich zu früheren Zeiten viel zu wenige Fachgeschäfte. In der Trafik gleich um die Ecke sind die wichtigsten Zeitungen aus Deutschland und Österreich auch außerhalb der Sommersaison erhältlich. Ein etwas verwahrlostes Haus am Hauptplatz, leider nicht das einzige, ist der Familiensitz der Kogelniks. Kiki, die früh verstorbene Künstlerin, hat dort gelebt. Den Bleiburgern hinterließ sie den Freyungsbrunnen direkt vor ihrem Geburtshaus und nebenan im Café Stöckl eine Reihe quietschbunter, in New York entstandener Modeamazonenbilder, die den Illustrationen erstaunlich ähnlich sind, mit denen Jahrzehnte später das Magazin Wallpaper für Furore sorgte.

Im Stöckl hängen auch Drucke des Wahlkärntners und Malers Werner Berg, der sich ab 1931 in einem Gehöft in der Nähe niedergelassen hatte. Der gebürtige Rheinländer zählte zu den späten Expressionisten und galt einigen Nazi als entartetet, was einige andere aber nicht davon abhielt, ihn mit der Wehrmacht nach Norwegen zu schicken, Auftrag: Landschaftsmalerei. Werner Berg, dem zur Zeit im Belvedere in Wien zum hundertsten Geburtstag eine Ausstellung gewidmet ist, hat sich selbst noch zu Lebzeiten am Bleiburger Hauptplatz ein bescheidenes Ausstellungshaus eingerichtet. Die Pflege dieses Erbes geht vom Café Stöckl aus. Dort herrscht Gottfried Stöckl in unübersehbarer Leibesfülle über sein Zuckerbäckerreich mit angeschlossener Kulturabteilung. Im Frühjahr konnte er den Bleiburgern sein jüngstes Werk übergeben, die Erweiterung der zuletzt 1995 ausgebauten Werner-Berg-Galerie zu einem kleinen Museumskomplex. Im hofseitigen Anbau sollen künftig Künstler gezeigt werden, die Bergs Werk begleitet und beeinflusst haben: Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner stehen auf der Wunschliste. Gezahlt hat den Bau zu 100 Prozent das Land Kärnten, was einerseits die politischen Kontakte Stöckls illustriert, andererseits aber auch ein Beispiel ist, dass selbst in Kärnten die regionale Kunstförderung nicht nur Stammwählerschichten bedient.

Die zurückhaltende Box mit Sägezahnoberlichtern ist in Bleiburg nicht das erste Werk des Architekten Peter Fleiß. Er hat bereits in den neunziger Jahren das Schwimmbad saniert und erweitert, einen modernen Bau von 1930 mit klassischem Einschlag. Unter den kleineren Projekten ragt ein Wohnhaus hervor, das als Anbau im Hof des Kaffeehauses entstand. Beides sind Holzbauten, deren Qualität alles andere in Bleiburg bei weitem überragt. Peter Fleiß ist zwar kein Bleiburger, doch er kennt den Ort seit Jugendzeiten. Sein Onkel, der Künstler Franz Brandl, hatte sein Atelier in der mittlerweile aufgelassen Brauerei.

Die eingeschossige Ausstellungshalle zwischen der bestehenden Werner-Berg-Galerie und der Stadtmauer aus dem fünfzehnten Jahrhundert ist hingegen ein massiver Block. Die Außenwände bestehen aus Betonfertigteilen, deren Oberfläche mit Dolomitschotter belegt wurde. Quasi eine Waschbetonplatte mit Lokalkolorit, denn der Stein stammt vom Bleiburger Hausberg, der Petzen. Den Übergang zum Altbau bildet ein niedriger Würfel mit Betondecke und zwei großen Glasflächen zum Hof. Statt aber allein auf die Didaktik der trennenden Glasfuge zu setzen, verschleift Fleiß den Übergang mit einer gewundenen Holzwand. Dieses Detail ist typisch für die Arbeitsweise des 1959 geborenen Architekten. Auch das Freibad, neben dem Hauptplatz der einzige wirklich öffentliche Ort Bleiburgs, lebt von solchen Gesten, die gleichermaßen präzise wie lakonisch sind. Fleiß, der mittlerweile im niederösterreichischen Gablitz lebt, ist viel zu bescheiden, um großen Wirbel um seine Arbeit zu machen. Es ist Zeit, Bleiburg auf die Architekturreiserouten zu setzen.

Der Standard, Sa., 2004.10.23



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Werner Berg Museum
Freibad Bleiburg

25. September 2004Oliver Elser
Der Standard

Die Affen draußen, die Kunst drinnen

Die Pop-Art beim Wort zu nehmen müsste eigentlich bedeuten, die Kunst an die Orte zurückzubringen, aus denen sie hervorgegangen ist. Also Andy Warhols...

Die Pop-Art beim Wort zu nehmen müsste eigentlich bedeuten, die Kunst an die Orte zurückzubringen, aus denen sie hervorgegangen ist. Also Andy Warhols...

Die Pop-Art beim Wort zu nehmen müsste eigentlich bedeuten, die Kunst an die Orte zurückzubringen, aus denen sie hervorgegangen ist. Also Andy Warhols Brillo-Boxen in den Supermarkt und Roy Lichtensteins Sprechblasenbilder in einen Comicladen. Auch die Skulpturen Bruno Gironcolis sind aus der Welt der Objekte hervorgegangen, sind Homunculi der Dingwelt, die der Bildhauer in tiefer Verbeugung vor dem Warenfetisch aus Gefundenem und selbst Geformtem als wuchernde Gebilde zusammenfügt. Übergänge zwischen den objets trouvés werden verschliffen oder sind so beschaffen wie die Schweißverbindungen altertümlicher Maschinen. Ist der Konstrukteur Gironcoli zufrieden, wird alles mit einer Farbschicht überzogen, was die allerdeutlichsten Spuren löscht, welche Teile hier zu etwas Neuem wurden.

Silbrig glänzend, golden, mit Bronzelack überzogen, einmal auch in leuchtendem Gelb stehen rund dreißig Skulpturen in dem Museumsbau im Schlossareal von Herberstein, der morgen mit viel Politprominenz eröffnet wird. Ein Museum ist es nur dem Namen nach. Durch die dünne Plastikhaut des Neubaus dringt regelmäßig von nebenan das Geschrei der Vari-Äffchen hinein. Im Altbau, einem rund 350 Jahre alten Tennengebäude, ist dem Besucher zwar weniger präsent, dass er sich inmitten eines Tierparks befindet, aber das imposante offene Gebälk lässt die nun wirklich nicht kleinen Skulpturen zu einem Gewusel schrumpfen, das sich erst bei näherem Hinsehen als Kunst behaupten kann. Es könnten auch Melkmaschinen sein oder die Abfüllanlage eines Winzers, die hier Unterschlupf gefunden haben. Diese Scheune mit ihren aus Ziegelgittern gemauerten Fenstern hat schon viel gesehen. Jetzt sind es eben Skulpturen statt Stroh oder Futtermitteln, die hier mehr ab- als aufgestellt wurden. All das unterscheidet dieses Museum von einem Museum. All das trägt dazu bei, dass es ein sehr besonderer Ort ist, einer, an dem die Skulpturen regelrecht „heimgekehrt“ erscheinen, auch wenn die Verbindung von Gironcoli zu Herberstein erst anlässlich der Museumsplanungen geknüpft wurde.

Herberstein gibt sich alle Mühe, ein „moderner“ Tierpark zu sein, unter anderem mit einem Terrassengarten von Maria Auböck, aber die Idee der höfischen Kunst- und Wunderkammer, die eben auch lebendiges Exotisches umfasst, passt ganz hervorragend zur wundersamen Welt von Gironcolis Skulpturen. Dass die Geschichte ein bisschen anders verlief, da der gräfliche Zoo erst in den 1960er-Jahren seine Bestände um Tiere anderer Kontinente erweitert hat - wen kümmert's? Die Fremdartigkeit der Lebewesen und die von Gironcolis Skulpturen, die außer von technischem Gerät auch von allerhand Fabelwesen bevölkert werden, miteinander in Verbindung zu bringen, war eine mutige Entscheidung. Die Kombination Tierpark und Museum hätte leicht danebengehen können. Dass sie gelungen ist, liegt auch an dem schmalen Riegel, den Hermann Eisenköck dem mächtigen Stall zur Seite gestellt hat. Dem Architekturpuristen wird vielleicht eine Spur zu gefällig erscheinen, wie Eisenköck eine auf Betonstützen ruhende, mit Kunststoffplatten verkleidete Kiste neben die Scheune gestellt hat. Da wird ein Schweben angedeutet, dann aber breitbeinig abgefangen, werden Details ganz auf der sichereren Seite gelöst. Aber andererseits war der Kostenrahmen mit drei Millionen Euro eng bemessen, so eng, dass Eisenköck auf Teile seines Honorars verzichtete, wie auch viele Firmen sich bereit erklärten, ihre Leistungen zu Sponsorenpreisen zu erbringen. Daher wurde auf Experimente verzichtet, und man hat lieber ein paar Bleche mehr angeschraubt als zu wenige, um die Haut aus Doppelstegplatten an den kritischen Stellen vor dem Regen zu schützen.

Eisenköck ist seit Jahren der Büropartner von Günther Domenig, verwirklicht aber auch eigene Projekte. Er ist der ökonomisch denkende Teil des Gespanns, der Organisator und in der Kunstszene gut verankerte „Netzwerker“. Dass die Sammlung nun in Herberstein gezeigt werden kann, ist mit sein Verdienst.

Die Bausumme teilen sich Bund, Land Steiermark und Andrea Herberstein mit je einem Drittel. Dass die Zuwendung aus Landesmitteln als „Ortserneuerungs-Sonderförderung“ verbucht wurde, hat im Parlament für Ärger gesorgt, sollte das Ergebnis aber nicht mindern. Für die kuratorische Begleitung wurde Peter Pakesch vom Grazer Kunsthaus gewonnen, der sich sehr zufrieden zeigt, dass der Bau beides möglich macht: eine klassische Ausstellung im Neu- und die eher werkstatthafte Präsentation im Altbau. Dort ist noch ein wenig von der Atmosphäre in Gironcolis Atelier an der Akademie der bildenden Künste in Wien zu spüren, das aus allen Nähten platzte, nach der Emeritierung des Künstlers aber geräumt werden musste. Zuerst hatte das Land Kärnten Interesse angemeldet, die Werke in Bad Bleiberg auszustellen. Aber mit Landeskräften allein waren die zum Teil tonnenschweren Skulpturen nicht zu stemmen. Erst die Privatinitiative aus Herberstein sorgte für Bewegung. Der Leihvertrag mit Gironcoli läuft zunächst zehn Jahre, die Betriebskosten werden durch die Einnahmen des Tierparks gedeckt, der jährlich rund 200.000 Besucher in die Oststeiermark zieht. Ausschließlich das Museum zu besuchen wird nicht möglich sein. Wäre ja auch schade, denn erst die Kombination (für Erwachsene: 15 Euro) macht den Charme dieses Ortes aus.

Der Standard, Sa., 2004.09.25



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Gironcoli Museum im Tier- und Naturpark Schloss Herberstein

13. September 2004Oliver Elser
Der Standard

Lavalandschaften und Comiczimmer

Der Architekt als Weltenschöpfer meldet sich zurück: Die Architekturbiennale ist mehr als eine Ausstellung über Architektur. Sie zeigt Zukunftsvisionen, steigt aber auch in die Gedankenräume japanischer Teenager hinein.

Der Architekt als Weltenschöpfer meldet sich zurück: Die Architekturbiennale ist mehr als eine Ausstellung über Architektur. Sie zeigt Zukunftsvisionen, steigt aber auch in die Gedankenräume japanischer Teenager hinein.

Venedig - Bei der Filmbiennale ist die Verleihung der Goldenen Löwen zugleich Höhepunkt und Ende des Festivals, bei der Architekturbiennale hingegen standen die Löwen schon neben den ausgezeichneten Projekten, als nach drei Vorbesichtigungstagen die Ausstellung am Sonntag schließlich für das Publikum geöffnet wurde.

Neben den drei Löwen (der STANDARD berichtete) wurden acht weitere Auszeichnungen für die jeweils beste Arbeit innerhalb der einzelnen Ausstellungssektionen vergeben. In der Rubrik „Transformations“ ging die Auszeichnung an den Grazer Architekten Günther Domenig für sein Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

Dass auch die Nasa eine Auszeichnung bekam, und zwar für ein Foto der Marsoberfläche, aufgenommen im Jänner von der Sonde „Spirit“, mag zunächst merkwürdig erscheinen. Aber die neunte Architekturbiennale ist mehr als eine Ausstellung von Plänen und Modellen. Das Marsfoto hängt in einer Sektion zur zeitgenössischen Architekturfotografie, die dem Thema „Landschaft“ gewidmet ist - aber zu sehen ist alles andere als unberührte Natur, sondern künstliche, von Menschen geformte Landschaften wie beispielsweise die Alpenstraßen auf den Fotos der österreichischen Fotografin Margherita Spiluttini, gezeigt ebenfalls in dieser Sektion.

Unter den zeitgenössischen Architekten herrscht starkes Interesse an dieser konstruierten „zweiten Natur“. Die Sektion „Topography“, sie ist Teil der Ausstellung im Arsenale, präsentiert unzählige Entwürfe, die wie Lavaströme aus der Erde gekrochen zu sein scheinen. Hier ging die Auszeichnung an das Londoner Büro Foreign Office Architects der in Wien lehrenden Architektin Farshid Moussavi für den Entwurf einer Parkgarage eines Pharmakonzerns in Basel.

Im Schweizer Pavillon wird der wiedererwachte Glaube an die Schrankenlosigkeit des technisch Machbaren ins Extrem getrieben. Christian Waldvogel, der Urheber des Szenarios „Larger Earth“, ist allerdings Künstler, nicht Architekt, doch das ist bei dieser Ausgabe der Biennale nichts Ungewöhnliches. Die Grenzen zur Kunstbiennale sind fließend geworden. Eigentlich alle Grenzen, denn Waldvogels Vision der Metamorphose des Planeten Erde in eine Raumstation mit dem Neunfachen der heutigen Oberfläche wäre in einem Museum der Wissenschaft, Abteilung Größenwahn, ebenfalls gut verstaut.


Harmloses Österreich

Wie bodenständig wirkt dagegen doch der österreichische Pavillon, wo es vier jungen Architektengruppen nicht gelingt, gemeinsam genug Lärm zu machen, um auf die eigentlich sehr vitale Szene hierzulande hinzuweisen. Im Reizüberflutungsgebiet der Architekturbiennale geht auch die so wichtige Position der Tiroler MPreis-Kette einfach unter, denn die hübschen Modelle und Skizzenbücher sind einfach harmlos, statt angemessen laut „Super! Markt!“ zu brüllen.

Oft genug ist zwar auf dieser Biennale das, was so lärmend daherkommt, beim näheren Hinsehen ein Flop, wie etwa die Installation von Peter Eisenman, der für sein Lebenswerk den Goldenen Löwen bekam, aber Österreich hätte doch mehr konzeptionelle Schärfe verdient als die schlichte Aneinanderreihung an sich sehr guter Entwürfe.

Zu den Höhepunkten der Biennale zählt die Sektion „Floating Cities“ im Becken des Arsenale. Die Ausstellung ist dem Verhältnis verschiedener Städte zu ihren Hafenanlagen gewidmet. Bemerkenswert auch der japanische Pavillon. Er führt in die Parallelwelt der Otakus, was sich sehr frei als „Comicfreaks“ übersetzen lässt. Die These: Otakus, es soll 2,8 Millionen geben, leben gar nicht in Japan, sondern haben sich in einer Traumwelt aus Manga-Heften eingerichtet. Der Pavillon führt unerbittlich tief in die Pop-Hölle der Otaku-Zimmer hinein. Architektur ist manchmal auch ein Hirngespinst.

Der Standard, Mo., 2004.09.13

11. September 2004Oliver Elser
Der Standard

Ausstellung mit schwerer Identitätskrise

Was will die Avantgarde in der alten Stadt? Rück- und Ausblicke

Was will die Avantgarde in der alten Stadt? Rück- und Ausblicke

Kurt W. Forster, der Direktor der diesjährigen Architekturbiennale, die am Sonntag eröffnet wird, ist nicht zu beneiden. Die Erwartungen sind groß, das Budget „dünn wie Spaghetti“ (The New York Times), und die Architekturszene ist so unübersichtlich wie selten zuvor. Aber das ist noch nicht alles: Seit mindestens drei Durchgängen wird die Architekturbiennale von einer Identitätskrise gebeutelt - trotz stetig wachsender Besucherzahlen (zuletzt rund 100.000) und obwohl sie sich mittlerweile in einem stabilen Zweijahresrhythmus eingependelt hat. Der Schatten der Vergangenheit ist übermächtig, er lastet düster auf der Ausstellung, die schwer daran trägt, jedes Mal mit der legendären, ersten Architekturbiennale des Jahres 1980 verglichen zu werden. Damals hatte die in vollem Saft stehende Postmoderne die europäische Bühne betreten und mit der „Strada Novissima“ eines ihrer Manifeste in das bis dahin leer stehende Gelände des Arsenale gestemmt. Wo einst Schiffe gebaut und Taue gedreht wurden, die Venedigs Seeherrschaft sicherten, dort blies man zum Angriff auf die ohnehin schon recht brüchige Festung der modernen Architektur. Wie beim venezianischen Karneval streiften die Architekten den Stahl- und Betonskeletten ihrer Häuser lustige Verkleidungen über und feierten „Das Ende des Prohibitionismus“, wie der damalige Direktor Paolo Portoghesi im Katalog die Lage zusammenfasste.

Die Party dauerte in Venedig noch bis zum Ende des Jahrzehnts. Dann kümmerten sich nur noch Walt Disney und die osteuropäischen Emporkömmlinge um die Postmoderne. Die Architekturbiennale in Venedig verlor ihr Stammpublikum und auf dem unwegsamen Gelände der Gegenwartsarchitektur von da an völlig die Orientierung.

Vielleicht ist Venedig auch einfach der falsche Ort, um neue Architektur zu präsentieren. Die Stadt hat sich dem Baugeschehen der vergangenen 200 Jahre strikt verweigert. Venedig sei „Salzburg im Salzwasser“, maulte unlängst Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au. Nur ist genau das der Grund, warum es überhaupt zu dem Phänomen Architekturbiennale kommen konnte.

Mit daran schuld ist auch, dass dort seit 1895 die Kunstbiennale stattfindet. Sie war das künstlerische Pendant zu den großen Weltausstellungen des neunzehnten Jahrhunderts und wurzelt in einer nationalistischen Kultur des Wettstreits, die sich darin äußerte, dass jedes teilnehmende Land für „seine“ Werke einen eigenen Pavillon in den Giardini errichtete. Mit der Zeit trat der kämpferische Geist in den Hintergrund, aber Venedig war als Kunst- und seit 1934 auch als Kinofestivalstadt etabliert.

Um das Jahr 1968 herum war die Architekturfakultät von Venedig einer der Brennpunkte der Studentenrevolte. Hier lehrte Aldo Rossi, wurde wegen marxistischer Betätigung aber vor die Tür gesetzt. Das konnte nicht verhindern, dass Venedig sich zu einem der europäischen Brückenköpfe einer kulturellen Erneuerungsbewegung entwickelte, die in den USA auf den Namen „post-modernism“ getauft wurde. Venedig muss den Kritikern der Moderne als Insel der Glückseligen erschienen sein. Für den Versuch, der zeitgenössischen Architektur ein neues Fundament in der Vergangenheit zu schaffen, war kein besserer Rahmen denkbar. „La presenza del passato“ (Die Gegenwart der Vergangenheit) lautete der programmatische Titel der ersten Architekturbiennale im Jahre 1980. Bei einem Weihnachtsmarktbesuch in Ostberlin war zuvor die Idee geboren worden, eine kleine Stadt ins Zentrum zu stellen. Als Antwort auf die Halle der ehemaligen Seilerei entstand die „Strada Novissima“ mit ihren zwanzig Fassaden, entworfen von der Führungstruppe der postmodernen Architektur: Robert Venturi, Leon Krier, Hans Hollein, Oswald Mathias Ungers und anderen. Aber auch Frank Gehry und Rem Koolhaas marschierten damals mit. Die neue Richtung trat im Maßstab 1:1 vor das Publikum, angreifbar in jeder Hinsicht. Auch Rossi war zurückgekehrt, mit dem schwimmenden Welttheater, dem wahrscheinlich einzigen Bau der Postmoderne, der es verdient, „poetisch“ genannt zu werden.

Bei den nächsten Biennalen sollte gleich ganz Venedig einbezogen werden. 1985 hatten sich alle Teilnehmer an einer Art fiktivem Architekturwettbewerb für zehn Orte in der Stadt und im Veneto zu beteiligen. Doch Venedig zeigte sich auch den postmodernen Entwürfen gegenüber so resistent wie gegenüber allen anderen architektonischen Modeerscheinungen.

1996, bei der sechsten Biennale und der zweiten, bei der die Länderpavillons mit einbezogen wurden, stellte Direktor Hans Hollein die Antennen auf Empfang und wählte als Motto „Sensing the future - The architect as seismograph“. Was nun nach Venedig verfrachtet wurde, hatte mit der Stadt selbst nichts mehr zu tun. Holleins Biennale verkündete Aufbruch und Optimismus. Sonderausstellungen zeigten die „Renaissance der Bahnhöfe“ und visionäre Architekturkonzepte der Fünfziger- bis Siebzigerjahre. Nun schien die Zeit gekommen, endlich zu bauen, was Gruppen wie ARCHIGRAM oder auch Hollein selbst seinerzeit nur gezeichnet hatten.

Die Biennale wurde zum Großereignis, nur ging gänzlich die Orientierung verloren, was die Architektur zu den kulturellen und gesellschaftlichen Fragen der globalisierten Welt noch an Antworten zu bieten hat. 2000 und 2002 schlug die Suchbewegung der Biennale in zwei extreme Richtungen aus. Zuerst versuchte Massimiliano Fuksas die Architektur auf „Less aesthetics, more ethics“ zu polen, was aber als „des gut Gemeinten zu viel“ (NZZ) oder gar als „Hybris, die den Architekten zum Retter der Welt verklärt“ (FAZ) zurückgewiesen wurde. Vor zwei Jahren war das Thema schlicht „Next“. Die meisten Teilnehmer sahen sich aufgefordert, einfach Bilder vom nächsten Projekt auszudrucken. Streckenweise fühlte sich der Besucher wie auf einer Immobilienmesse.

Einiges spricht dafür, dass die nunmehr neunte Architekturbiennale unter dem Titel „Metamorphosen“ einen intelligenteren Weg findet. Der Direktor Kurt W. Forster hat als Wissenschafter und Ausstellungsmacher, zuletzt an der ETH Zürich und am Canadian Centre for Architecture, ausreichend Erfahrung gesammelt und scheint zu wissen, dass sich die Architektur mittlerweile meilenweit von der „Strada Novissima“ entfernt hat, das Publikum in Venedig aber andererseits auch nicht dieselbe Flachware sehen will wie zu Hause in den Architekturzeitschriften. Zwölf Künstler und Architekten wurden daher mit raumfüllenden Installationen beauftragt, in denen die Metamorphose, der die Architektur zweifellos unterliegt, ohne dass eine Richtung erkennbar wäre, wenigstens mit prägnanten Versuchsanordnungen anschaulich gemacht werden soll. So wird etwa der Japaner Kengo Kuma einen traditionellen Zen-Garten anlegen, dessen Kiesfläche aber nicht von Mönchen, sondern von einem Roboter geharkt wird. Mit diesen Interventionen will Forster die Ausstellung aufbrechen und unerwartete Begegnungen im großen Maßstab schaffen. Pläne und Modelle wird es ohnehin wieder in großen Mengen zu sehen geben.

Wie bei jeder Biennale ist das Motto auch für die Länderpavillons eine thematische Vorgabe, doch was letztlich dort präsentiert wird, liegt in den Händen von Kuratoren wie Marta Schreieck, die vier Architektengruppen und einen Bauherrn für den Österreichischen Pavillon ausgewählt hat. AllesWirdGut, Pool, Querkraft und the next ENTERprise teilen sich den Bau mit der Tiroler Supermarktkette MPreis, die wiederum mit diversen Architekten zusammenarbeitet. Erst war geplant, die vier Teams, die laut der Architektin Schreieck stellvertretend für die junge Szene in Österreich stehen, auf ein gemeinsames Projekt zu verpflichten. Nun sind doch vier Einzelpräsentation daraus geworden, verbunden durch einen neuen Bodenbelag von AllesWirdGut, der die Besucher über eine Rampe in den Pavillon hineinführt. Eine „Bude“, die sich aus der Rampe herausfaltet, wird in den kommenden Wochen weiteren Jungarchitekten zur Verfügung gestellt.

Über die Eröffnung der Biennale und des österreichischen Pavillons berichtet DER STANDARD heute und in den kommenden Tagen im Kulturteil.

Der Standard, Sa., 2004.09.11

11. September 2004Oliver Elser
Der Standard

Überleben im Gegenwartsgetümmel

Die 9. Architekturbiennale in Venedig versucht, alle zwei Jahre Schneisen der Ordnung in eine unübersichtliche Szene zu bringen. Das ist in diesem Jahr besser gelungen als bei früheren Durchgängen. Österreichische Architekten sind auch jenseits des Länderpavillons gut vertreten.

Die 9. Architekturbiennale in Venedig versucht, alle zwei Jahre Schneisen der Ordnung in eine unübersichtliche Szene zu bringen. Das ist in diesem Jahr besser gelungen als bei früheren Durchgängen. Österreichische Architekten sind auch jenseits des Länderpavillons gut vertreten.

. . . und der Goldene Löwe geht an: Kinshasa Imaginary City - der belgische Beitrag dieser Biennale, eigentlich ein anthropologisches Projekt, erdacht von Filip De Boeck und Koen Van Synghel, rege - so die Jury - anhand von Fotos, Filmen und Videoaufnahmen zu einer neuen Diskussion über die postkoloniale Urbanisation in Afrika an. Den Ehrenlöwen erhielt der amerikanische Architekt Peter Eisenman (72) für sein Lebenswerk.

„I will survive“, der Hit der Schwulenbewegung wummert derweilen in einer Endlosschleife durch den Raum, den der Besucher als erstes betritt, wenn er auf dem Arsenale angekommen ist, dem einen der beiden Standorte der Architekturbiennale. Sie wird auch deswegen überleben, weil sie zunehmend erfolgreicher ist und sich mittlerweile in einem Zweijahresrhythmus als Zwillingsschwester der Kunstbiennale etabliert hat.

Trotzdem ist jede Biennale ein Wagnis (siehe Rückblick im heutigen STANDARD-ALBUM), denn die Tendenzen der Gegenwartsarchitektur sind schwer zu bändigen. Kurt W. Forster, der Direktor, hat sich diesmal doppelt abgesichert. Im Arsenale werden die unzähligen Projekte aus aller Welt, meist jedoch aus der westlichen, nach Begriffen sortiert, die jeweils die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten versuchen.

So hängt dann die Grazer Mur-Insel direkt neben einem ganz ähnlichen Gebilde aus Slowenien. Das mindert die Originalität, macht die Exponate aber eher vergleichbar als bei früheren Biennalen die Gliederung nach Bautypen.

Österreichische Architekten sind auch außerhalb des Länder-Pavillons gut vertreten: Boris Podrecca mit einer Parkgestaltung in Linz, the nextENTERprise mit einem Schwimmbad in Kaltern, das T-Center von Domenig-Eisenköck-Peyker und andere mehr. Zur Abschwächung der drohenden Reizüberflutung hat Forster als zusätzliche Sicherung die Ausstellungsarchitektur im Arsenale in die Hände des New Yorker Architektenteams Asymptote gelegt. Die Kieslerpreisträger gliedern die langen Hallen mit großen Podesten, deren organische Form an einen riesigen filletierten Fisch erinnert und vor allem etwas Großzügigkeit ins Getummel bringt.

Deutschlandschaften

Unter den Länderpavillons sticht in diesem Jahr vor allem der Beitrag Deutschlands hervor. Durch die Räume zieht sich eine Fototapete, die unter dem Titel „Deutschlandschaft“ vierzig Projekte in einer College versteckt, die tatsächlich ein repräsentatives Bild entwirft: Das Land ist hoffnungslos zersiedelt, aber eine jüngere Generation nimmt mittlerweile die Herausforderung auf, eine Architektur der Unauffälligkeit hinein zu streuen.

Eine andere Form der Selbstbefragung präsentiert der israelische Pavillon. Was wäre, lautet die These, wenn man heute noch einmal die Chance hätte, eine Stadt wie Tel Avis neu entstehen zu lassen - und zwar als Insel im Meer. Wäre das dann eine Seefestung, unerreichbar für Attentäter oder gibt es eine Vision für ein anderes Israel? Die Antworten der jungen Architektengruppen sind leider von der Biennalekrankheit bis zur Unkenntlichkeit gezeichnet: Sie werden vom Geflimmer unzähliger Monitore überstrahlt oder verschwinden zwischen wirren Grafiken.

Ganz im Gegensatz dazu die Antworten einiger Altmeister, die ebenfalls in den israelischen Pavillon eingeladen wurden: Manfred und Laurids Ortner und Coop Himmelblau haben erst gar nicht versucht, sich der Komplexität des Themas anzunehmen, zeigen aber wunderschöne Zeichnungen.

Im österreichischen Pavillon hat sich das Konzept, vier Vertreter der jüngeren Generation zusammenzubringen insofern bewährt, weil klar wurde, dass das Alter als Gemeinsamkeit fragwürdig ist.

Der Standard, Sa., 2004.09.11

11. September 2004Oliver Elser
Der Standard

„Akzeptieren, dass etwas Verbindendes nicht möglich ist“

Kuratorin Marta Schreieck über den Österreichischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig

Kuratorin Marta Schreieck über den Österreichischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig

Standard: Frau Schreieck, die von Ihnen zusammengestellte Ausstellung im österreichischen Pavillon trägt den Titel „Gegen den Strom“. Das klingt nach Konfrontation. Gegen welchen Strom wollen Sie oder die ausgewählten Teilnehmer denn schwimmen?
Marta Schreieck: Wir mussten bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt das Motto festlegen. Ich wollte zeigen, wie eine junge Architektengeneration neue Wege sucht, Dinge hinterfragt und ganz anders an die Architektur herangeht. So kam der Titel zustande, der dann stehen blieb.

Noch besser als zu den vier Architektenteams aber passt er zu MPreis. Die Tiroler Supermarktkette habe ich ausgewählt, weil sie gegen die Konventionen dieser Branche ein sehr ambitioniertes Architekturprogramm verfolgt, das aber dennoch ganz hervorragend funktioniert. Die einzelnen Märkte sind nicht aus einer Corporate Identity heraus entwickelt, sondern zeigen jeweils ganz individuelle, eigenständige und unkonventionelle Lösungen, für die eine Vielzahl von Architekten verantwortlich ist.

STANDARD: Stehen die ausgewählten Architektengruppen stellvertretend für die junge Szene in Österreich? Und könnten Sie sie mit jeweils einem Satz charakterisieren?
Schreieck: Es ist sicher nicht möglich, die Gruppen als Stellvertreter zu präsentieren, dafür ist die Szene zu verschieden.

Zur Charakterisierung: The nextENTERprise gehen experimentell-forschend vor. AllesWirdGut, die jüngsten, die auch den Platz vor dem Pavillon gestaltet haben, gehen sehr spielerisch vor, beschäftigen sich stark mit öffentlichem Raum und Städtebau. An der Gruppe Pool hat mich interessiert, dass Architektur nicht nur für vorgegebene Nutzungen eine Form finden, sondern diese Nutzung selbst auch verändern kann, wie das in der Kombination aus Bar und Schlosserei in Trumau geschehen ist. Querkraft gehen pragmatisch und konkret an Bauaufgaben heran, sind aber sehr unkonventionell in Material und Detail.

STANDARD: Ihr ursprüngliches Konzept sah vor, dass die vier Gruppen eine gemeinsame Arbeit machen sollten, es war an eine Installation gedacht. Jetzt präsentiert jeder in seiner eigenen Ecke - was ist passiert? Schreieck: Das war für mich ein Lerneffekt, ich habe akzeptieren müssen, dass die Gemeinsamkeiten nicht so groß sind, dass etwas Verbindendes möglich ist. Es sind Einzelpositionen, so werden sie jetzt auch gezeigt.

STANDARD: Der Raum, in dem die MPreis-Märkte gezeigt werden, versammelt viele Modelle und schöne Skizzen, aber man hat fast den Eindruck, es könnte sich dabei auch um lauter kleine Museen handeln.
Schreieck: Das ist doch ein Kompliment! Wir haben uns entschieden, die realisierten Märkte nur als wechselnde, an die Wand projizierte Bilder zu zeigen. Wichtiger war uns, die sehr unterschiedlichen Herangehensweisen, die zum Entstehen der Projekte geführt haben, zu präsentieren und nicht das fertige Produkt.

STANDARD: War der österreichische Pavillon denn schwer zu bespielen? Wolf Prix meinte unlängst, der Bau wäre schrecklich und völlig ungeeignet.
Schreieck: Nein, ganz und gar nicht. Es ist aber nicht einfach, eine durchgängige „Erzählung“ darin aufzubauen, weil die Achse des Eingangs den Pavillon in zwei Hälften teilt. Aber durch den neuen Boden ist wenigstens temporär nun doch ein zusammenhängender Raum entstanden. Wie man sieht, ist Architektur auch mit bescheidenen Mitteln möglich.

Der Standard, Sa., 2004.09.11

04. September 2004Oliver Elser
Der Standard

Wettbewerbsräume

Architekturstudenten, denen die Semesterferien schon fad geworden sind, haben noch mindestens zwei Möglichkeiten, sich die Zeit mit Wettbewerben zu vertreiben....

Architekturstudenten, denen die Semesterferien schon fad geworden sind, haben noch mindestens zwei Möglichkeiten, sich die Zeit mit Wettbewerben zu vertreiben....

Architekturstudenten, denen die Semesterferien schon fad geworden sind, haben noch mindestens zwei Möglichkeiten, sich die Zeit mit Wettbewerben zu vertreiben. Nach dem Wandel öffentlicher Räume fragt die Firma MAX (www.maxontop.at). Auch „fertige“ Architekten können sich daran beteiligen. Interessant ist, dass auch Entwürfe, die bereits für andere Anlässe entstanden sind, eingereicht werden können. Die Preisträger werden im STANDARD vorgestellt. Wer sich mit gestalterischen Leitkonzepten beschäftigen will, der hat die Gelegenheit, für die genossenschaftliche Lagerhaus-Kette eine architektonische Corporate Identity zu entwickeln. Infos unter www.lagerhaus.at/architekturwettbewerb. Die Ausschreibung basiert auf einer Studie, die an der Akademie der bildenden Künste entstanden ist und sich auf den Spuren von Robert Venturi in den ländlichen Raum begeben hat, um nach den Zeichensystemen des Lagerhauses zu fragen: Vom Silo bis zum Einkaufssackerl ist ein Redesign dringend nötig.

Der Standard, Sa., 2004.09.04

02. September 2004Oliver Elser
Der Standard

Abtauchen in die globalen Datenräume

Wien - Die ultimative Herausforderung, so der Architekt Hani Rashid, bestehe darin, die Welt des digitalen Lebensraums mit unserer realen Umgebung zu verbinden....

Wien - Die ultimative Herausforderung, so der Architekt Hani Rashid, bestehe darin, die Welt des digitalen Lebensraums mit unserer realen Umgebung zu verbinden....

Wien - Die ultimative Herausforderung, so der Architekt Hani Rashid, bestehe darin, die Welt des digitalen Lebensraums mit unserer realen Umgebung zu verbinden. Bisher hat Rashid, der zusammen mit seiner Partnerin Lise Anne Couture das Architektenduo Asymptote bildet, diese Herausforderung erst bei einigen kleineren Gebäuden, aber umso zahlreicheren Innenraumgestaltungen und einer Fülle von Installationen bei Kunst-und Architekturausstellungen angenommen.

Wenn den Architekten am 11. September am Rande der Architekturbiennale in Venedig der mit 55.000 Euro dotierte Preis der österreichischen Friedrich-und-Lillian-Kiesler-Privatstiftung verliehen wird, dann hat das Publikum zugleich die Möglichkeit, sich von der gekurvten, gewundenen und verzerrten Formensprache selbst ein Bild zu machen. Denn Asymptote haben von der grafischen Gestaltung der Einladungskarten bis hin zur Ausstellungsarchitektur ein allumfassendes Leitsystem für die Architekturbiennale entwickelt.

Deren diesjähriges Motto „Metamorph“ zieht sich als Leitmotiv auch durch die Arbeiten des 1989 in New York gegründeten Architekturbüros. Dass es auch formale Ähnlichkeiten zu den Arbeiten des österreichischen Architekten Friedrich Kiesler gibt, dessen Nachlass die Stiftung verwaltet, dürfte für die Jury den Ausschlag gegeben haben, Asymptote mit einem der weltweit höchstdotierten Architekturpreise auszuzeichnen. Neben Biennale-Direktor Kurt W. Forster saß unter anderem auch die Kuratorin des Österreich-Pavillons, Marta Schreieck, in dem Auswahlgremium.

Aufsehen erregten Asymptote im Jahr 1998 mit ihrem Entwurf für den Saal der New Yorker Börse. Mitten im IT-Boom trafen sie mit ihrem Versuch, den realen Raum mit der Welt der blinkenden Aktienkurse zu verbinden, den Nerv der Zeit. Realisiert wurde allerdings nur ein kleiner Teil. Die „instabilen Zustände der Gegenwart“, so Rashid, „in ein Gebäude zu transformieren“, diesen Versuch unternahmen Asymptote zuletzt im Jahr 2002 mit einem Pavillon in den Niederlanden, wo die Neigung, experimentellen Positionen ein Forum zu geben, deutlich ausgeprägter ist als hierzulande. Die Biennale in Venedig ist ein weiterer Schritt hin zu Räumen, wie es sie noch nie gegeben hat.

Der Standard, Do., 2004.09.02



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Asymptote

28. August 2004Oliver Elser
Der Standard

Innerhalb der Grundstücksgrenzen ist alles erlaubt

Zwei weitere Architekturpreisgewinner: Fachhochschule Eisenstadt und Dialekthaus Oberschützen

Zwei weitere Architekturpreisgewinner: Fachhochschule Eisenstadt und Dialekthaus Oberschützen

So verschieden die drei Bauten auch sind, die in diesem Jahr mit dem Burgenländischen Architekturpreis ausgezeichnet wurden: Das in der vergangenen Woche vorgestellte Pfarrzentrum in Podersdorf am Neusiedlersee der Architekten lichtblau.wagner, die Fachhochschule in Eisenstadt und das Dialekthaus in Oberschützen - die drei gleichrangigen Preisträger verbindet, dass sie alle sehr prägnante städtebauliche Gesten setzen. Die von Friedrich Achleitner angeführte Jury hat klar Position bezogen. Gegen frei stehende Architekturskulpturen einerseits und gegen eine allzu kuschelige Einfügung in die vorhandene Umgebung andererseits. Am Beginn des neuen Jahrhunderts weisen die drei prämierten Bauten einen Ausweg aus der seit Jahrzehnten brodelnden Debatte, die immer dann aufflammt, wenn jemand aufsteht und auf die „Stararchitektur“ zu schimpfen beginnt, die „nur selbstverliebte Solitäre“ hervorbringt, denen die unmittelbare Nachbarschaft egal ist und als „Kontext“ nur die Hochglanzseiten internationaler Architekturmagazine akzeptiert.

Meist erhebt sich dann ein anderer, ergreift für das Star-System Partei, das doch die Lokomotive sei, die die Architektur in den trüben Sechziger- und Siebzigerjahren aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit gegenüber einer allmächtig gewordenen Bauindustrie herausgezogen habe. So kann es stundenlang weitergehen. Muss es aber nicht, denn mittlerweile hat sich eine neue Generation einen Mittelweg erarbeitet. Die Architekten sind jung, zählen aber nicht mehr zu den allerjüngsten, von denen so oft die Rede ist. Selbstbewusst besetzen ihre Baukörper das Grundstück, sind zeichenhaft, aber nicht selbstverliebt, denn die Umgebung wird nicht ignoriert, sondern als Fundus möglicher Antworten ernst genommen. Im Debattenjargon der 70er-Jahre würde man sagen, dass die Bauten „die Verhältnisse kritisch reflektiert und zugespitzt“ haben.

Die Fachhochschule der Architekten Peter und Gabriele Riepl, kurz Riepl.Riepl, in Eisenstadt wirkt auf den ersten Blick sehr niederländisch. Wie bei dem Hörsaalgebäude „Educatorium“ von Rem Koolhaas in Utrecht zieht sich der Boden schräg in die Höhe und schlägt eine Rolle rückwärts und wird zur Geschoßdecke. Während aber Meister Rem das ganze recht beziehungslos in den Raum stellt, orientieren sich Riepl.Riepl am streifenförmigen Bebauungsmuster einer recht banalen Gewerbezonenumgebung. Vorn an der Ausfallstraße macht sich ein Möbelhändler breit, dahinter reihen sich silbrig glänzende Forschungsgebäude wie Lastwagenanhänger, die jederzeit abgeholt werden könnten. Die vorläufig letzte bebaute Parkbox besetzt die Fachhochschule. Sie ist das einzige Gebäude in der Umgebung, bei dem Anfang und Ende definiert sind. Aus dem runden Kopf ergibt sich das Vordach über dem Eingang, an den im Innern eine quer liegende Halle anschließt. Die fünf Hörsäle sind in der Rundung untergebracht, Seminar- und Büroräume ziehen sich in drei Fingern in die Tiefe des Grundstücks. Mit den Außenkanten akzeptiert der Bau stur die Grundstücksgrenzen, im Inneren aber wird die erdrückende Gebäudemasse durch die parallelen Finger geschickt in Höfe gegliedert. Am hinteren Ende ist die extravagante Schlaufe wieder auf der Höhe des Nachbarn angekommen und bindet so die FH mit einem schlichten Studentenwohnheim zusammen.

Weniger schwungvoll, aber durchwegs sehr präzise detailliert sind die Innenräume, wo sich zum Teil das Streifenmotiv der Fenster wiederholt. Doch nicht jeder akzeptiert ein Büro mit Fenster zum Gang. Ein Soziologe hat es mit einem Auszug aus Richard Sennetts Tyrannei der Intimität verklebt und rebelliert so gegen den Zwang der angeblich kommunikationsfördernden Transparenz.

Die Mitarbeiterin im Dialekthaus in Oberschützen würde sich freuen, wenn einmal jemand hineinschaute. Das Haus krönt zwar die Aktivitäten des Vereins zur Pflege des burgenländischen Dialekts und steht tagsüber immer offen, aber wie so oft wurde auch hier aus Fördermitteln nur der Bau unterstützt, der Verein selbst hingegen arbeitet mit ehrenamtlicher Besetzung und vermag das Haus kaum zu füllen.

Bereits die Außenform deutet auf ein gewisses Missverhältnis hin. Der Architekt Hans Gangoly fädelte die Räume zu einer Art Mauer auf, die das Grundstück in der Tiefe durchschneidet. Auf der einen Seite zeigt sich der Bau offen und verglast, im Zusammenspiel mit den zum Teil als Heimatmuseum genutzten Altbauten entsteht ein Hof. Die Rückseite der Mauer hingegen zeigt dem Rest des Eckgrundstücks die kalte Schulter. Wenn das geforderte Programm nicht mehr Baumasse produziert, mag diese Selbstbeschränkung vielleicht im Modell als prägnante städtebauliche Figur durchgehen, erscheint in der Realität aber als gestalterische Sparmaßnahme. Es ist nicht der Thermoputz allein, der die Mauer zur dumpfen Plastikwand herabmindert, auch die im Sommer viel starke Aufheizung in den Büros dahinter ist ein Problem, da die aufgesetzten Oberlichten nur mit Mühe zur Belüftung zu verwenden sind.

Alle Energie des Architekten scheint in den Innenraum geflossen zu sein, der so handwerklich solide aus „ländlichem“, also nicht zu perfektem Sichtbeton geformt wurde, dass Innen-und Außenform nicht zum selben Bau zu gehören scheinen. Außen eine sterile Kiste, innen sehr haptisch. Auch die städtebauliche Geste hätte eine massive Wucht verdient.

Der Standard, Sa., 2004.08.28



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Fachhochschule Eisenstadt
Grenzüberschreitendes Dialektinstitut

14. August 2004Oliver Elser
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Zur Abkürzung durch das Gotteshaus

In Podersdorf im Seewinkel strömten die Menschen in solchen Scharen in die kleine Kirche, das seit Jahren aus Platzgründen ein Neubau erwogen wurde. Grund...

In Podersdorf im Seewinkel strömten die Menschen in solchen Scharen in die kleine Kirche, das seit Jahren aus Platzgründen ein Neubau erwogen wurde. Grund...

In Podersdorf im Seewinkel strömten die Menschen in solchen Scharen in die kleine Kirche, das seit Jahren aus Platzgründen ein Neubau erwogen wurde. Grund des Andrangs ist nicht nur eine aktive Kirchengemeinde, sondern vor allen die Touristenmenge, die zur Ferienzeit das Strandbad am Neusiedlersee besucht und gelegentlich auch geistigen Erfrischungen nicht abgeneigt ist.

Obwohl der Bau keinen Köder auslegen musste, haben die Architekten ein offenes Haus gebaut, auch wenn die weißen Volumen hinter der beschrifteten Glaswand zunächst sehr verschlossen wirken. Im Wettbewerb ignorierten die Architekten Andreas Lichtblau und Susanna Wagner als einziges Team die Vorgabe, das schmale, aber sehr lange Grundstück hinter der alten Kirche so zu bebauen, wie es für das Ortsbild typisch gewesen wäre. Statt eines Baukörpers, der sich über die gesamte Grundstückstiefe erstreckt hätte, drehten sie das geforderte Programm um neunzig Grad, stellten also das Gebäude quer und ließen in der Mitte eine Durchfahrt frei. Fußgänger und Radfahrer, die die Abkürzung nutzen, um der verkehrsreichen Straße auszuweichen, die hinunter zum See führt, gelangen so ganz automatisch zum Kirchenraum auf der einen und oder zum Gemeindesaal auf der anderen Seite des Durchgangs.

Der Versuch, Schwellen abzubauen, hat in der Architektur der letzten Jahrzehnte nicht selten dazu geführt, dass eine Kirche nur noch schwer von einer Turnhalle zu unterscheiden ist. Die Kirche in Podersdorf hingegen ist trotz ihrer minimalistischen Raumhülle das exakte Gegenteil eines Multifunktionsraums. Decke und Boden sind wie ein Trichter geformt, was zum einen akustische Vorteile bringt. Aber um nicht die kalte Geometrie zu stark werden zu lassen, wurden die Bänke in konzentrischen Kreisen wie die Ränge eines Amphitheater in den hellgrauen Terrazzoboden Boden versenkt. Um den Preis der Flexibilität zwar, aber so entsteht eine Art Gottesdienstmulde, die wohl einen innigeren Kontakt zwischen Gemeinde und Priester zu stiften vermag, als andernorts das lithurgisch motivierte Stühlerücken. Selbst wenn doch einmal nur wenige kommen sollten, wirkt der Raum nie leer.

Messerscharfe Schlitze lassen das Tageslicht nicht direkt, sondern immer als Streiflicht auf die wolkigweißen Wände treffen. Obwohl komplett auf Farben verzichtet wurde, entsteht kein Gefühl von Sterilität.

Gut eineinhalb Jahre nach der Einweihung schimmert auch die Außenhaut des Gebäudes nicht mehr in so reinem Weiß unter der Schriftfassade hindurch, wie es die Fotos versprechen. Dass sich sogar leicht rostige Wasserspuren darauf abzeichnen ist kein Mangel der Dachabdichtung, sondern steht für die selten gewordene Fähigkeit, dass ein Gebäude Patina ansetzen kann. Die Hülle besteht aus Beton, darunter liegt die Wärmedämmung, die zur Innenseite mit einer Schicht aus Gipsplatten eingepackt wurde. Der ungewöhnliche Aufbau ergab sich aus dem Klimakonzept, das die Architekten lichtblau.wagner bereits an einem anderen Gebäude erproben konnten. Unter dem Grundstück liegt ein enges Röhrenregister, vergleichbar in etwa mit einer Fußbodenheizung. Nur beheizen nicht die Röhren die umgebende Erdschicht, sondern umgehrt. Je nach Jahreszeit kann mittels der Erdwärme beziehungsweise -kälte die Umluftanlage des Hauses um einige Grad entlastet werden. Damit die Wände schnell von der zirkulierenden Luft auf die gewünschte Temperatur gebracht werden können, war es nötig, im Innenraum nur Leichtbauwände einzusetzen.

Das Gebäude ist nicht nur Kirche. Während auf der einen Seite der Raum für die Messe das gesamte Volumen ausfüllt, verbergen sich auf der anderen Seite des Durchgangs sechs verschieden große Gruppenräume und der Gemeindesaal in dem kubischen Baukörper. Die Öffentlichkeit wird davon wohl nur den teils verglasten, teils holzgetäfelten Saal im Erdgeschoss zur Kenntnis nehmen. So entgeht aber den meisten das schöne Stiegenhaus, dessen filigrane Metallstufen Licht bis in den Keller dringen lassen, wo ebenfalls zwei große Räume untergebracht sind, die über ein raffiniertes Oberlicht zwischen Gebäudekante und der bedruckten Glasfassade belichtet werden.

Die Fassade selbst ist schnell erklärt: Die Architekten wollten die „Kunst am Bau“ lieber gleich selbst übernehmen und haben die Podersdorfer aufgefordert, ihre Gedanken zum Thema Familie aufzuschreiben. Aus der anonymen Textsammlung wurden markante Sätze herausgezogen und in den öffentlichen Raum gestellt.

Man kann die goldene Schrift als Schmuck interpretieren, der dem Gebäude sonst fehlt, das wäre aber eine vielleicht zu architektonische Beschreibung. Treffender ist es, die Schrift als Geste zu lesen, mit der die Kirche der Umgebung ein Diskussionsangebot macht. So offen und zugänglich der Bau auch sein mag - allein weil er eine Kirche beherbergt, umgibt ihn etwas mysteriöses. Es war eine kluge Entscheidung, ihm das nicht mit einem stärker „kirchlich“ geprägten Text nehmen zu wollen, aber zu zeigen, dass es eine Schnittmenge von Themen gibt, die drinnen wie draußen die Menschen beschäftigen.

Der Standard, Sa., 2004.08.14



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Pfarrzentrum

07. August 2004Oliver Elser
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In fünf Wochen zwei Gebäude

Universitätsbaustelle Südafrika, derzeit zu Gast im Architekturzentrum. Ein Gespräch mit den Architekten Franziska Orso und Peter Fattinger und dem Studenten Gerd Hammerl von der TU Wien

Universitätsbaustelle Südafrika, derzeit zu Gast im Architekturzentrum. Ein Gespräch mit den Architekten Franziska Orso und Peter Fattinger und dem Studenten Gerd Hammerl von der TU Wien

Standard: Für das Wohnbauinstitut von Professor Cuno Brullmann ist es nicht das erste Mal, dass die Studenten ein Projekt im Maßstab 1:1 realisieren. Im Rahmen von Graz03 entstand beispielsweise eine „Wohnfassade“: Module wurden in ein Gerüst eingefügt, das vor einem historischen Gebäude stand. Aber die ersten „richtigen“ Häuser wurden nun im Februar diesen Jahres in Südafrika gebaut, in Orange Farm, einer Township am Rande von Johannesburg. Wie kam der Kontakt dorthin zustande?
Fattinger: Vor einem Jahr fand im Architekturzentrum Wien (AzW) eine Ausstellung über das „Rural Studio“ statt, ein studentisches Entwurfs- und Bauseminar in Alabama. Am Eröffnungsabend sprach uns Christoph Chorherr an, der damalige Klubchef der Wiener Grünen. Er hatte kurz nach dem Ende der Apartheid einen Schulbau in Orange Farm angeregt, der dann als Geschenk der Stadt Wien auch realisiert wurde. Der Kontakt blieb erhalten, daher wusste Chorherr, dass dort Bedarf an weiteren Bauten besteht. Also sind wir mit ihm in einem kleinen Team nach Südafrika gereist und haben sondiert, was genau gebraucht wird.
Orso: Wir haben dann bald auch Tandi Mjiyakho Kyoka getroffen, die für ihr Behindertenprojekt ein Grundstück von der Stadt Johannesburg bereitgestellt bekam, das innerhalb von 18 Monaten bebaut werden musste, sonst wäre es an die Stadt zurückgegangen. So kam zu dem relativ kleinen Erweiterungsbau für die Schule noch ein Gebäude mit Werkstätten für Behinderte und einem Büroraum dazu. Einen schon vorhanden Container haben wir integriert. Beide Baustellen waren fünf Autominuten voneinander entfernt.

Die Bauzeit von vier Wochen ist unglaublich knapp. Konnten bei der ersten Erkundungsreise bereits Materialien organisiert werden?
Orso: Nein, wir haben lediglich geschaut, was dort erhältlich ist und was nicht. Wir sind eine Woche früher als die Studentengruppe nach Südafrika geflogen, mit den Entwürfen in der Tasche, und haben begonnen einzukaufen.
Fattinger: Oft haben sich die Firmen zu liefern geweigert, als sie hörten, dass die Fracht nach Orange Farm gehen soll. Aber bald hatten wir die richtigen Kontakte und haben ohnehin sehr viel in der Township selbst besorgt, wo es eine kleine Ziegelfabrik gibt. Eigentlich eher einen Hinterhof, wo Ziegel gebrannt werden.

Waren die Sorgen um die Sicherheit denn berechtigt?
Fattinger: Nein, das waren die Vorurteile von Weißen, die uns immer gewarnt haben, dass wir nicht lebend wieder aus der Township rauskommen, selbst aber nie dort waren. In den ganzen fünf Wochen gab es kein einziges Problem. Nur eine Leiter wurde uns gestohlen, aber die haben wir über Nacht draußen stehen lassen, selbst schuld. Die Menschen der Township waren alle sehr freundlich, herzlich und haben auf uns aufgepasst.

Gewohnt wurde aber im Hotel?
Orso: Ja, denn vor Ort hätte es keine Unterkunft gegeben. Die Menschen leben dort alle sehr beengt, in Blechhütten, wie wir im Hof des AzW eine nachgebaut haben, oder in sehr einfachen Steinhäusern. Es gab gastfreundliche Angebote, aber dann hätten wir die Leute während der Bauzeit aus ihren Wohnungen vertrieben. Und ein wenig Abstand zu gewinnen, indem wir täglich ins Hotel zurückgefahren sind, ohnehin nur zum Schlafen, hat uns auch gut getan. Zur Sicherheit: Die Leute von Orange Farm haben schon darauf gedrängt, dass wir bei Einbruch der Dunkelheit die Township verlassen oder dass wir beachten, dass immer freitags die Arbeitslosenunterstützung ausbezahlt wird, und diese sehr viele Leute gleich in Alkohol investieren. Aber passiert ist nichts.

Wie sehr sind denn die Entwürfe davon bestimmt, welche Materialien vor Ort verfügbar waren?
Hammerl: Schon sehr. Wir wussten ja zuerst nicht, welche Holzmaße dort zu bekommen sind, und vor allem nicht, welches Werkzeug. Dank der Sondierungsreise hatten wir dann aber die Informationen und konnten das bauen, was wir in Wien gezeichnet hatten.

Waren auch Leute aus der Township am Bau beteiligt?
Fattinger: Ziel des ganzen Projekts ist ja nicht nur, dort dringend benötigte Gebäude aufzustellen, sonst könnte man das Geld ja einfach überweisen, sondern es geht um die praktische Erfahrung der Studenten. Aber zum Mauern haben wir zwei Gelegenheitsarbeiter angestellt. Die beiden haben unsere Studenten dann weggeschickt, weil sie fanden, wir mauern zu schlampig. Das zeigt sehr gut das Dilemma: Die Leute wollen alle arbeiten und sind auch sehr gut, nur finden sie keinen Job.

Aber wäre es dann nicht wirklich sinnvoller, mit dem Geld dort wenigstens vorübergehend Arbeitsplätze zu schaffen?
Fattinger: Das wäre ein Missverständnis. Circa 35.000 Euro hat alles in allem gekostet, aber diese Summe haben wir fast ausschließlich für Material ausgegeben. Die Studenten mussten ihre Flüge selbst bezahlen. Das ist viel, aber hinterher waren alle der Meinung, dass es sich gelohnt hat.
Hammerl: Ich wollte so etwas immer schon machen. Ein praktisches Projekt wird sonst an der Universität leider nicht angeboten.

Wie wurde die Arbeit aufgeteilt? Auf einer Baustelle gibt es ja klare Hierarchien.
Hammerl: Das war vorher nicht klar, sondern hat sich vor Ort ganz von selbst ergeben. Die Gruppe hat sehr gut zusammengearbeitet. Jeder war für irgendetwas verantwortlich, sonst wären wir in der kurzen Zeit wohl auch nicht fertig geworden. Wir waren neun Studenten beim Masibambane College und sechzehn auf der Baustelle des Behindertenzentrums. Dazu kamen noch die drei „Betreuer“ vom Wohnbauinstitut, Sabine Gretner, Franziska Orso und Peter Fattinger, sowie der Fotograf Christian Linzbauer.

Hatte denn jemand aus der Gruppe schon Erfahrung? Man kann das Bauen nicht aus dem Nichts heraus neu erfinden.
Hammerl: (lacht) Doch, so ungefähr war es. Wir haben wirklich bei null angefangen. Oft hat es funktioniert . . .
Fattinger: . . . und oft haben wir nach ein paar Stunden gemerkt, dass es doch anders besser wäre.

Gab es eine Art Baubüro? Hatte jemand einen Computer dabei?
Fattinger: Einen Computer hatten wir, aber der wurde nur zum Speichern der Fotos gebraucht.
Hammerl: Im Wesentlichen wurde genauso gebaut, wie wir den Entwurf in Wien gezeichnet hatten. Mit minimalen Änderungen und kleinen Tricks, etwa als das Holz völlig verzogen angeliefert wurde. Wir haben nur beim Innenausbau nicht alle Details vorher bestimmt, sondern vor Ort mit dem verfügbaren Material improvisiert.

Die beiden Gebäude unterscheiden sich in ihrer Konstruktion voneinander - warum?
Orso: Das kleinere Gebäude für die Schule ist ein Wohnhaus für Gastlehrer, aber auch sehr minimal in den Dimensionen. Zugleich dient es den Kindern als Spielgerät. Es hat eine Aussichtsterrasse auf dem Dach. Die Leute aus der Township leben sonst ja in eingeschossigen Bauten und waren sehr verblüfft über die Aussicht. Die Fundamente bestehen aus betongefüllten Autoreifen, so konnten wir uns die Schalungen sparen. Die Behindertenwerkstatt hingegen ist ebenerdig, daher keine Autoreifenfundamente. Wegen der Hitze besteht der größte Teil des Gebäudes nur aus einem Dach, das aber zweischalig ist, damit die warme Luft besser abgeleitet wird.

Die Bauten sind für dortige Verhältnisse sehr ungewöhnlich. Sonst gibt es entweder Blechschuppen oder Steinhäuser. Haben sich die Leute nicht gewundert? Wäre es nicht sinnvoll gewesen, die bestehenden Bauformen aufzugreifen?
Hammerl: Wegen der kurzen Bauzeit kam nur eine Holzkonstruktion infrage.
Fattinger: Am Anfang war geplant, Systeme zu entwickeln, wie die Blechschuppen optimiert werden könnten. Dann gab es mit zwei Bauten genug zu tun, aber wir kommen ja wieder.
Orso: Natürlich wäre es interessant, dort Wohnungsbau zu betreiben. Im kommenden Jahr werden wieder Studenten der TU, und diesmal auch von der Kunstuniversität in Linz, nach Südafrika fahren. Es soll einen regelmäßigen Austausch geben, auch mit Universitäten aus anderen Ländern. Dann könnten Modelle erprobt werden, die von den Bewohnern im Selbstbau realisiert werden können. Das setzt aber voraus, sehr viel länger vor Ort zu sein, nur dann kann so etwas wie eine „Bauschule“ entstehen.
Fattinger: Als Nächstes soll auf dem Gelände des Tagesheims ein Wohnbau für behinderte Menschen errichtet werden. Eine Studentin will zu diesem Thema ihre Diplomarbeit machen, und wir werden sie im Februar 2005 beim Bau unterstützen.

Das Einsatzgebiet bleibt Südafrika?
Fattinger: Ja. Sicherlich gibt es noch viel bedürftigere Gegenden. Nur wäre es dort noch viel schwieriger, Material zu besorgen oder Absprachen zu treffen. Der Vorteil eines permanenten Camps wäre auch, das Werkzeug nicht jedes Mal neu anschaffen zu müssen. Und wir könnten uns einen Kleinlaster kaufen.

Hat die Gruppe irgendetwas anderes gesehen als die Township?
Hammerl: Während der Beton getrocknet ist, sind wir nach Johannesburg gefahren und waren einen Tag in einem Nationalpark. Zum Glück zu einem frühen Zeitpunkt des Projekts, später hätten wir alle darauf verzichtet um fertig zu werden. Aber dann ist sich doch alles innerhalb der fünf Wochen ausgegangen.

Der Standard, Sa., 2004.08.07

02. August 2004Oliver Elser
Der Standard

„Die Künstler sind heute Wissenschafter“

Der Architekt Boris Podrecca plant ein Laborgebäude für die Akademie der Wissenschaften und stellte vor kurzem das Vienna Bio Center 2 fertig, beide auf dem Biotechnologiecampus in St. Marx. Ein Gespräch über das Bauen unter Laborbedingungen mit Oliver Elser.

Der Architekt Boris Podrecca plant ein Laborgebäude für die Akademie der Wissenschaften und stellte vor kurzem das Vienna Bio Center 2 fertig, beide auf dem Biotechnologiecampus in St. Marx. Ein Gespräch über das Bauen unter Laborbedingungen mit Oliver Elser.

Standard: Herr Podrecca, die Spielräume als Architekt sind bei einem Laborgebäude sehr eng. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Boris Podrecca: Die beste Freiheit ist die Freiheit, die auf Regeln beruht. Sonst gäbe es nur Launen und Willkür, das ist nichts für mich. Ich brauche präzise Regeln, um sie dann beim Entwerfen überwinden zu können.

STANDARD: Welche Erfahrungen haben Sie mit den Wissenschaftern als Ihre Auftraggeber gemacht?
Podrecca: Ich habe erst gedacht, das seien introvertierte Leute, die in ihren Kammern hocken. Ich habe dann schnell gemerkt, dass heute die Künstler eigentlich die Wissenschafter sind. Alle, mit denen ich zu tun hatte, waren kunstinteressierte Leute mit dem Lebensstil von Bohemiens. Sie schlafen eine Nacht lang gar nicht, sitzen vor ihren Computern, die nächste Nacht sind sie auf dem Weg nach Singapur. Die Künstler hingegen sind heute viel etablierter und angepasster.

STANDARD: Was bedeutete das für Ihren Entwurf?
Podrecca: Ich habe zuerst beobachtet, wie heute der Wissenstransfer funktioniert. Wenn sie forschen, kapseln sie sich ab, sind aber gleichzeitig angewiesen auf die Informationen von anderen. Äußerst wichtig sind daher Räume für ungeplante Begegnungen. Im Vienna Bio Center 2 gibt es dafür nun nicht so viele Orte, wie mir gewünscht hätte, aber es gibt sie. Innerhalb des Gebäudes habe ich eine Art kleine Stadt angelegt, mit Straßen, Kreuzungen und Plätzen. Natürlich ist so ein Gebäude auch extrem determiniert, für die Laboratorien werden riesige vertikale Schächte benötigt, in denen die ganzen Leitungen verlaufen. An denen sind die Labors quasi aufgefädelt. Aber dazwischen habe ich in einer Art Partisanenkampf Räume freigelassen, die jedem zugänglich sind.

STANDARD: Auf dem Grundriss ist zu sehen, dass die Labors eher kleine Einheiten bilden, zwischen denen Räume offen geblieben sind. Ist es leichter, eine Laborumgebung aufzulockern als ein Bürogeschoß?
Podrecca: Was Sie hier sehen, diese Laborinseln, das ist der Zustand, wie er jetzt gebaut wird und in den nächsten Jahren sicher so bleibt. Aber man muss sich das als riesige Fläche vorstellen, auf der unzählige Gruppierungen von Labors möglich sind. Zwingend ist lediglich, dass die Laborinsel an einen Schacht angeschlossen wird. Schächte gibt es genug. Das Forschungsgebäude für die Akademie der Wissenschaften besteht aus verschiedenen parallelen Schichten. Zuerst kommt der feste Rücken, der entlang der Straße verläuft, dort sind Büros untergebracht. Darauf folgt, was ich „Canyon“ nenne: Ein vertikaler Luftraum für die Aufzüge und Treppen. Eine Bewegungs- und Begegnungszone. Dann kommen Lager- und Nebenräume, die kein Tageslicht benötigen. Daran schließen die eigentlichen Laborbereiche an, flexibel aufteilbar, ganz nach Bedarf. Die letzte Schicht bildet ein Grünraum, ein Gewächshaus, das mit einer Glasfassade abgeschlossen ist und einen Klimapuffer für die Labors schafft. Einige Forscher züchten dort ihre Pflanzen.

STANDARD: Das Vienna Bio Center 2 ist eine Art biotechnologisches Gründerzentrum, errichtet von der privaten Prisma-Gruppe. Gibt es einen Unterschied zu dem noch nicht fertig gestellten Gebäudeteil für die Akademie der Wissenschaften?
Podrecca: Die beiden haben denselben Sockel und befinden sich in einer Art Symbiose. Die Unterschiede betreffen die Organisation innerhalb der Gebäude, flexibel nutzbar sind sie beide. Nur wurde das Vienna Bio Center früher fertig, wahrscheinlich weil ein privater Bauherr oft besser weiß, was er will.

STANDARD: Wie wichtig ist denn die Umgebung, wenn die Gebäude kleine Städte in der Stadt bilden?
Podrecca: Momentan ist da draußen in St. Marx noch eine Wüste. Aber ich würde mir wünschen, dass ein Campus entsteht, ich will weg von dieser habsburgischen aufgeräumten Ödnis. Wenn Wien einer der führenden Biotechnologiestandorte werden will, dann muss in eine attraktive Umgebung investiert werden. In München wurde schon viel früher mit der Ansiedlung von Universitätsinstituten und Firmen begonnen, dort gibt es einen Campus. Mein Gebäude hat eine städtische, steinerne Vorderseite, auf der Rückseite ist es transparent. Auch um den Wunsch nach einem Nachbarn auszudrücken. Dann könnten die Forscher dazwischen auf der Wiese sitzen und ihren Kollegen bei der Arbeit zusehen.

Der Standard, Mo., 2004.08.02



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Vienna Biocenter 1, 2 + 3

31. Juli 2004Oliver Elser
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In der Höheren Sehanstalt

Jemand, der einen Scanner für 59 Euro nach Hause trägt, um endlich seine alten Fotoabzüge zu digitalisieren, dürfte für die Tätigkeit von Repro12 wohl...

Jemand, der einen Scanner für 59 Euro nach Hause trägt, um endlich seine alten Fotoabzüge zu digitalisieren, dürfte für die Tätigkeit von Repro12 wohl...

Jemand, der einen Scanner für 59 Euro nach Hause trägt, um endlich seine alten Fotoabzüge zu digitalisieren, dürfte für die Tätigkeit von Repro12 wohl wenig Verständnis aufbringen. Aber nachdem die erste Euphorie vorbei ist, wird der Unterschied ins Auge springen: Ein Originalabzug ist viel brillanter, farbintensiver und schärfer als ein hausgescanntes Bild. Wie so oft könnte durch höhere Investitionen ein besseren Ergebnis erzielt werden.

Die teuersten Geräte, um Bilder abzutasten, stehen bei Unternehmen wie Repro12. Nur ist Reprotechnik kein rein technischer Vorgang. Auch die aufwändigsten Scanner sind bloß so gut, wie die Augen der Leute geschult sind, die das Ergebnis weiter bearbeiten.

Denn je nachdem, auf welcher Druckmaschine und welchem Papier das Bild später wieder ausgegeben wird, sind weitere Schritte nötig. Wer einmal neben einem Grafiker gesessen hat, der gerade an den Farbwerten eines Fotos herumdreht, der weiß, wie viel Sehtraining diese Arbeit erfordert. Während man selbst keine Veränderung bemerkt, dauert es ewig, bis alles so abgestimmt ist, dass später der Jeansstoff in der Werbung wie Jeansstoff aussieht. Früher, erzählt das Bauherrenpaar Spannbauer, da war es ganz normal, dass den Modefotos Stoffproben beigelegt waren, damit die Reproanstalt sich daran orientieren konnte.

Und heute?, müsste die Rückfrage lauten, aber es ist deutlich zu sehen, dass sich die Spannbauers in einer Nische eingerichtet haben, in der noch immer Stoffproben herumliegen, manchmal auch Originale wertvoller Bilder, wenn gerade ein Kunstkatalog produziert wird.

Schon allein wegen der besonderen Anforderungen an die Bildschirmarbeitsplätze konnte es kein normales Gebäude werden. Die alten Geschäftsräume, ebenfalls im zwölften Wiener Gemeindebezirk, waren auf drei Häuser verteilt und zu klein geworden. Obwohl eigentlich zu vermuten wäre, dass jeder Architekt einen Auftraggeber mit ungewöhnlichen Wünschen und einem ausgeprägten Sinn für Qualität sofort in die Arme schließt und nicht mehr loslässt, war die Suche schwierig. Zum Teil sehr bekannte Büros wurden um Ideen für ein Haus gebeten, in dem es vor allem nicht zu hell sein sollte. Aber allen Kampagnen der „Architekturvermittlung“ zum Trotz, die den Architekten zum harmlosen Freund und Helfer stilisieren wollen, der für jeden, vom Häuslbauer bis zum Firmenboss, ein offenes Ohr und tolle Ideen hat, zeigte sich zunächst niemand bereit, dem Projekt die Aufmerksamkeit zu widmen, die die Bauherren sich erwartet hatten.

Durch einen Tipp kam schließlich die Gruppe archiguards ins Spiel. Und obwohl es eigentlich schrecklich peinlich ist, wenn junge Leute sich so nennen, weil sie die „lifeguards“ der Architektur sein möchten und ja alle anderen jungen Architekten auch diese Gruppennamen haben, oft sogar noch viel schlimmere - für Repro12 waren die archiguards wirklich die Retter in der Not.

Dem fünfgeschossigen Gebäude ist das Alter der Architekten nicht ohne weiteres anzumerken. Zur Fockygasse trägt das Haus eine Steinfassade, sonst eher bei älteren und abgeklärteren Semestern beliebt, wie ein Ritter sein Schild. Die üblichen Komplikationen, wonach ein modern denkender Architekt immer deutlich zu machen hat, dass der Stein nicht die wahre Konstruktion ist, sondern nur eine Bekleidung, konnte dadurch gelöst werden, dass die geschlitzte und von einem großen Fenster durchbohrte Steinscheibe ringsum freigestellt ist und so der Eindruck entsteht, sie schwebe in der Luft. Diese Wand trägt nichts, nur die Botschaft, dass sie nichts trägt. Noch eine weitere Mitteilung hat sie für den Betrachter: Dies kann kein gewöhnliches Haus sein, sagen die Fenster. Richtig, hinter der Fassade verläuft das offene Stiegenhaus, erst dann kommen die in klimatisierten Glaskästen zusammengefassten Arbeitsplätze.

Das Spiel mit dem vorgehängten Sonnenschutzschild der Steinfassade hat auch den Vorteil, dass das Erdgeschoss vom Gehsteig zurückgesetzt werden konnte. Das Gewusel aus Tiefgarageneinfahrt, Fluchtstiegen, Anlieferung, Windfang und schlussendlich dem gläserenden Foyer rückt dadurch in den Hintergrund. Sonst haben Neubauten, in denen keine Läden angesiedelt sind, ja meist das Problem, dass der Passant an tristen Gebäudesockeln entlangstreift und bald frustriert zur Spraydose greift.

Auf der Rückseite wurde das Erdgeschoss in den Hof verlängert, um Räume für zwei Druckmaschinen zu schaffen. „Eine Art Boutique-Druckerei“, so Herta Spannbauer, es werden nur Kleinauflagen produziert. Das Dach der Druckräume dient als Pausenfläche und Plattform für einen aus leicht schrägen Holzwänden geformten Konferenzraum, eine Art Firmenaula, in der alle 45 Mitarbeiter Platz haben und gelegentlich Tango getanzt wird.

Der Holzpavillon ist eine der wenigen Stellen des Hauses, wo die Architekten sich die Freiheit genommen haben, aus der strikten Rechtwinkligkeit auszubrechen. Der Dachaufbau zählt auch dazu. Was von außen an eine der vielen Penthouse-Aufstockungen erinnert, die in Wien seit kurzem auf den Dächern wuchern, dient hier als Chefetage und Jugendzimmer für die Internetagentur des Sohnes.

Bei Architektengruppen wie den archiguards besteht oft die Neigung, ihnen einen Nachwuchsbonus zu geben, vor allem, wenn es wie im Falle von Repro12 das erste größere Gebäude ist. Extrapunkte zu vergeben ist hier nicht nötig. Der Bau ist sicherlich kein Meilenstein der Architekturgeschichte, aber ein rundum gelungenes, präzise detailliertes Spezialhaus für eine Spezialfirma. Für den rauen zwölften Bezirk ist es ohnehin ein Gewinn, dass ein Unternehmen in einer ganz normalen Wohnstraße bleibt und nicht das Kreativenghetto einer aufgelassenen Fabrik bevorzugt.

Der Standard, Sa., 2004.07.31



verknüpfte Bauwerke
bürogebäude r12

24. Juli 2004Oliver Elser
Der Standard

Ein Museum sucht Anschluss

Fehlt nur noch der Lift: Auf dem Salzburger Mönchsberg eröffnet das Museum der Moderne

Fehlt nur noch der Lift: Auf dem Salzburger Mönchsberg eröffnet das Museum der Moderne

Der Kritikerkollege aus Salzburg winkt ab: „Na, wenn Sie das nächste Mal kommen, sollten Sie nicht wieder so was Langweiliges anschauen.“ Für den ehemaligen Salzburger Planungsstadtrat Johannes Voggenhuber, auch er keiner aus der Traditionalistenfraktion, sondern mittlerweile für die Grünen, Österreichs selbst ernannte „Kulturpartei“, in Brüssel tätig, ist das Museum gar ein „kultureller Supergau, der alle Regeln der architektonischen und städtebaulichen Harmonielehre verletzt“, diktierte er kurz vor der Europawahl der APA und brachte sich leichten Fußes noch einmal in die Schlagzeilen. Selbst vom Nachrichtenmagazin aus Hamburg reiste neulich eine Reporterin an, weidete sich an den Hirschgeweihen im Restaurant und dem High-Society-Flair der Museumsleiterin Agnes Husslein, geborene Gräfin Arco, zwitscherte mit gespreizter Spiegel-Ironie kurz über „soliden Purismus“ des Museums drüber, um schließlich den erhobenen Zeigefinger in die Betondecke zu bohren: Für die „oft riesigen Werke der Gegenwartskunst“ seien „die Säle viel zu niedrig“. Einen „Höhenkoller“, haha, hätten sich die Architekten „nur in den Fluren erlaubt“.

Doch was sagen „die Salzburger“? Laut Spiegel, der aber nur den Stehsatz der Salzburger Nachrichten zitiert, schimpfen sie den Bau eine „Schachtel“. 62 Prozent hätten sich gewünscht, dass das Museum der Moderne „besser nicht gebaut worden wäre“. So jedenfalls eine garantiert nicht unparteiische Studie, mit der die Salzburger FPÖ noch im letzten Herbst den Bau meinte anpissen zu müssen. Pardon, aber dieses Wort zählt seit dem Skandälchen, das Direktorin Husslein im Vorjahr mit der Skulptur der Künstlergruppe Gelatin provozierte, nun mal zu den Salzburger Spezialitäten.

In diesem Jahr wird das Festspielpublikum nicht mit feuchten Späßen erschreckt, sondern hinaufgebeten in das fast fertige Museum der Münchner Architekten Friedrich Hoff Zwink. Die Ausstellung „Einleuchten“ überbrückt die Zeit bis zur endgültigen Eröffnung im Oktober mit Lichtinstallationen. „Trockenwohnen“ hieß das früher. Zunächst muss sich das Raumklima einpendeln, bevor die eigentliche Sammlung einziehen kann.

Die Schutthalde aus Ablehnung, Verdrehungen und latenter Unzufriedenheit hat längst die Höhe des Mönchbergs erreicht, weshalb es keine schlechte Idee war, gleich noch eins draufzusetzen und einen Panoramalift zu planen, der die heilige Felswand endgültig zu dem gemacht hätte, was sie nun einmal ist: Europe's most finest Schießplatz für Urlaubsfotos. Zwar mussten die Besucher bis ins Jahr 1948 nicht erst im feuchtkühlen Felsmassiv verschwinden, sondern konnten den Außenaufzug nehmen. Daran anzuknüpfen fehlte dann plötzlich der Mut und angeblich auch das Geld. Der im Wettbewerb siegreiche Entwurf der Architekten DeluganMeissl, ein geknickter Lift, dessen Eleganz an Zaha Hadids Innsbrucker Sprungschatze erinnert, hätte sich erst nach 22 Jahren amortisiert, errechnete die Salzburg AG.

Dem Museum, das der Lift wunderbar ergänzen würde, ist zu wünschen, dass es dann noch steht und nicht in ein riesiges Loch hineingefallen ist, das Hans Hollein seit zig Jahren gerne in den Mönchsberg sprengen möchte. Doch seine Pläne für ein Salzburger Guggenheim-Museum, quasi das Negativ zu Frank Lloyd Wrights Spirale in New York, begeisterten zuletzt niemanden mehr. Außer ein paar Lokalpolitiker, die mittlerweile abgewählt sind.

Salzburg wird sich damit abfinden müssen, nun ein Museum zu besitzen, das zum Besten zählt, was während des Museumsbooms in Europa errichtet wurde. Kein Formfeuerwerk wie in Bilbao natürlich, zum Glück keine spekulative Medienblase wie in Graz, aber auch kein baukünstlerisch überkorrektes Eigentor wie die beiden Kontrastwürfel im Wiener Museumsquartier. Sondern ein Haus, das neutrale, gut proportionierte Räume für die Kunst bereitstellt, sie zu einem sehr einfachen Parcours verbindet, ohne die Geschoße nur zu stapeln (siehe MUMOK in Wien) und in den Raumfugen der Stiegen zwar keinen Höhenkoller hervorruft, wohl aber den Aufstieg aus der Tiefe des Bergs zu feiern versteht.

Die Materialien sind puristisch, keine Frage: Roher Beton empfängt die Besucher an den Aufzügen im Foyer und begleitet sie beim Erklimmen der von oben belichteten Treppenschluchten. In den drei Ausstellungsebenen dominieren weiße Wände, mit einer Schattenfuge für die Lüftung von den Betondecken und -böden abgesetzt. Wenige Öffnungen weisen hinaus, die aber sind spektakulär und unerwartet, zeigen sie doch bis auf zwei Ausnahmen kein Postkartenidyll von Salzburg, sondern die tropisch üppige Vegetation auf dem Mönchsberg oder schneiden den Wasserturm, der aus Geldmangel zunächst ungenutzt bleiben wird.

Der Blick zur Stadt ist dem Restaurant vorbehalten. Wo die Architekten „nichts, aber auch gar nichts“ dem atemberaubenden Panorama in den Weg stellen wollten, hängen nun Hirschgeweihe an der Decke. „Ein später Gag der Postmoderne“, ärgert sich der Architekt Klaus Friedrich. Das Restaurant, gepachtet von Haubenkoch Sepp Schellhorn, ist die einzige Stelle, wo es zu Spannungen mit der Bauherrin Husslein kam, als diese den Mailänder Designer Matteo Thun mit dem Ausbau beauftragte. Drei jungen Architekten ohne jede Museumserfahrung einen Bau wie diesen in die Hände zu geben war mutig, aber der Mut reichte dann doch nicht, allein auf Qualität zu setzen und auf vermeintlich große Namen zu verzichten.

Der Standard, Sa., 2004.07.24



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Museum der Moderne

17. Juli 2004Oliver Elser
Der Standard

Spring, schwarzer Laubfrosch, spring!

Terrarium für Wohnexoten: Ein Umbau der Gruppe SPLITTERWERK in Bad Waltersdorf

Terrarium für Wohnexoten: Ein Umbau der Gruppe SPLITTERWERK in Bad Waltersdorf

Warnhinweis: Wer die Chance hat, demnächst in Bad Waltersdorf vorbeizukommen und den Wohnbau der Gruppe SPLITTERWERK zu besichtigen, der lege diesen Text jetzt besser aus der Hand. Nicht, weil der Besuch vor Ort durch nichts zu ersetzen ist - das gilt ja für jedes Gebäude. Aber eben nicht im selben Maße, denn dieses ist anders. Es entfaltet sich, das ist jetzt keine Metapher, in kleinen Schritten, wird mit jedem Handgriff unwahrscheinlicher, wahnwitziger, wundertütenhafter. „Aus trägen Steinen baut die Leidenschaft ein Drama“, schrieb irgendwann Le Corbusier. Nun, die Steine wurden in Bad Waltersdorf schon von früheren Generationen gesetzt, aber SPLITTERWERK schaffen in der vorgegebenen Hülle trotzdem ein Drama, eines aus Farbe und flexiblen Wänden, ein Stück aus zehn Akten, einer pro eingebauter Mietwohnung. Und es wäre ein Frevel, hier vorab schon die Handlung zu erfahren, wenn die Möglichkeit besteht, selbst vor Ort die Entdeckung zu machen, dass das Schauspiel des Wohnens bisher meist in den Händen mäßig begabter Regisseure lag.

So viel der Vorrede, wer jetzt noch dabei ist, der liest auf eigene Verantwortung.

Die Geschichte beginnt vor sechs Jahren. Das Ehepaar Brugner (er: „Ich bin einfach ein architekturinteressierter Dorflehrer“) bekam von einem Bekannten den Tipp, sich für den Umbau eines in Bad Waltersdorf erworbenen Hauses an die Architektengruppe SPLITTERWERK zu wenden, die gerade das erste „richtige“ Gebäude fertig gestellt hat, den „roten Laubfrosch“ in der Nähe von Salzburg. Das Haus der Brugners besteht aus zwei Teilen: einem zweigeschoßigen Wohnhaus aus der Jahrhundertwende und einer vorgelagerten Garagenanlage jüngeren Datums, die die Freiwillige Feuerwehr für ihre vier Einsatzfahrzeuge angebaut hatte.

Statt das höher gelegene Haus für sich selbst zu nutzen, folgte das Bauherrenpaar dem Rat der Architekten, keine Hierarchie zwischen oben und unten zu schaffen. Stattdessen wurde das Ensemble mit zehn Mietwohnungen aufgefüllt und die Brugners wohnen weiterhin recht unspektakulär im Nachbardorf („wir hätten aber schon Lust, noch einmal zu bauen“). Es entstanden vier Appartements zwischen den Schotten der Feuerwehrgarage, zwei im flachen Mittelteil und vier im oberen Haus.

Bis auf kleinere Korrekturen wurde die prägnante Form des gestaffelten Doppelhauses nicht angetastet. Der Überwurf aus schwarz imprägnierten Holzlamellen, so genannten Rollschatten, wie sie bei Gewächshäusern als Sonnenschutz verwendet werden, macht es zu einem Gebilde, das den aufs Grazer Kunsthaus gestempelten Begriff des „friendly alien“ viel eher verdient hätte, weil es zugleich fremd und freundlich vertraut erscheint. Wenn Efeu und Wein den Rollschatten überwuchern, wird das Haus zur romantischen Urhütte. Wie viel Gestaltungsschweiß könnte der Menschheit erspart werden, wenn sich jeder so ein Kleid über die eigene Hütte ziehen und damit das Heer der Fassadendesigner in Pension schicken würde.

Um den Frosch dann doch nicht vollständig im Laubwerk verschwinden zu lassen, erhielten die oberen Etagen einen Umgang aus verzinkten Gitterrosten, die zugleich als Balkone dienen und jede Wohnung an mehreren Stellen zugänglich machen, da sämtliche Fenster zu Türen erweitert wurden. An den Außenflächen soll Werbung angebracht werden, als Blickschutz und kleine Refinanzierungsmaßnahme. Und wohl auch, um in Bad Waltersdorf ein bisschen Times Square zu spielen. Denn wer sich hier einmietet, darf sich auf etwas gefasst machen, was eher in New York, London oder Tokio zu erwarten wäre.

Jede Wohnung wurde von SPLITTERWERK anders eingerichtet. Wobei die Benutzer durchaus noch eigene Möbel mitbringen können, nur wird ihnen mithilfe von Wandschränken das verführerische Angebot gemacht, aus einem Appartement mit 37 Quadratmetern eine Wohnung von mindestens 132 Quadratmetern zu zaubern. Der Trick ist ganz einfach: 22 Quadratmeter bleiben völlig leer, alle Funktionsbereiche wie Küche, Bade-, Ess-, Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer sind hinter Faltwänden verborgen. Nach Bedarf werden sie geöffnet, ausgeklappt, herausgerollt und so dem „unprogrammierten Raum“ zugeschlagen, alle anderen Funktionen hingegen abgeschaltet. Macht also mindestens sechs Funktionen mal 22 Quadratmeter gleich wenigstens 132 gefühlte Quadratmeter Wohnfläche mit dem größten Badezimmer, das man je besessen hat. Das Ganze so bunt wie ein LSD-Trip, der Boden, Decke und Wände zu einer einzigen Farbblase verformt.

Was in der Großstadt die ideale Raumaufteilung für Singlewohnungen wäre, ist „am Land“ von so charmantem Wagemut, dass unbedingt die Nutzung als Architekturferienappartements ins Auge gefasst werden sollte. Wo gibt es sonst schon ein Schlafzimmer mit Netzboden?

Bisher wurden erst die drei eher konventionell ausgestatteten Wohnungen vermietet. Die sind aber schlicht früher fertig geworden.

Der Standard, Sa., 2004.07.17



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Schwarzer Laubfrosch

26. Juni 2004Oliver Elser
Der Standard

Kupferscheune am Ende der Schotterpiste

Große Geste mit kleinem Budget: Das Filmkühllager in Laxenburg von Selfmademan Michael Embacher

Große Geste mit kleinem Budget: Das Filmkühllager in Laxenburg von Selfmademan Michael Embacher

Auf den letzten Metern der Fahrt zum neuen österreichischen Zentralfilmarchiv am Rande von Laxenburg kann es leicht passieren, dass der Besucher sich in ein Road Movie versetzt fühlt. Man verlässt die Landstraße an einer riesigen, senkrecht ins Feld gerammten Stahlplatte, die so schwarz und unbeschriftet in der Gegend herumsteht wie der rätselhafte Monolith in Stanley Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum, aber durch ihre seitlichen Perforationen verrät, dass wohl eher jemand an einen Filmstreifen gedacht hat. Der Wagen ist auf eine Schotterpiste geraten, die schnurgerade durch die Felder führt. Niederösterreich wird ein paar Herzschläge lang zu New Mexico, wo man auf einer „dirt road“ wie dieser eine Staubwolke aufwirbeln würde, die den Besuch schon von weitem ankündigt. Die Reise endet vor einem trutzigen, spätbarocken Hauskasten, ehemals Amtssitz des Laxenburger Parkförsters. Das Forstgut setzt an der Straße eine präzise Kante ins Nirgendwo, die der Neubau des Zentralfilmarchives aufnimmt und die Zufahrt noch ein Stück verlängert. Dann ist Sackgasse. Thelma und Louise bräuchten nur auf's Gaspedal zu treten und könnten in den Schlosspark durchbrechen, der hinter einem Wäldchen beginnt.

Die Laxenburger Niederlassung des Filmarchivs besteht seit 1971. Die Auslagerung in spärlich bebautes Gebiet war notwendig geworden, um für den großen Bestand hochgefährlicher Nitrofilme einen Aufbewahrungsort außerhalb der Stadt Wien zu finden. Das bis in die fünfziger Jahre verwendete Filmmaterial ist chemisch nahe mit Schießpulver verwandt und neigt bereits bei hochsommerlichen Temperaturen zur Selbstentzündung, die mit keinem Löschmittel gestoppt werden könnte. Der aus den Siebzigern stammende „Nitrobunker“ ist daher so konstruiert, dass bei einem Brand jeweils nur ein Segment der Außenhülle weggesprengt würde.

Wenn sie nicht vorher explodieren, dann zerfallen die Nitrofilme über die Jahrzehnte allmählich zu bräunlichem Staub. Das Filmarchiv sichert daher seine frühen Bestände durch Umkopieren auf heute übliches Filmmaterial. Doch auch das widersteht der Selbstzerstörung nur dann, wenn es optimal, bei konstanten vier Grad Celsius, gelagert wird. Weil dasselbe auch für alle anderen Filmmaterialien aus der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gilt, wurden schon seit Jahren Pläne für einen Neubau gewälzt. Vorbild waren, man würde es nicht vermuten, die technisch aufgefeilten Lagerbedingungen bei der medienpolitisch höchst fragwürdigen KirchMedia in München.

Trotz eines minimalen Budgets von knapp 1,1 Millionen Euro konnte der Bau im Mai zur größten Zufriedenheit von Nikolaus Wostry, dem Chefrestaurator des Filmarchivs, fertig gestellt werden. Eine Reihe von Architekturbüros hatte abgewinkt und erklärt, dass für diesen Preis wohl nicht einmal eine simple Blechkiste zu haben wäre, ganz zu schweigen von einem Stück Architektur, wie es sich der Geschäftsführer Ernst Kieninger gewünscht hatte.

Es ist wohl ein Zufall, dass der Bau letztlich gar nicht von einem Architekten errichtet wurde, zeigt aber, dass mehr Wege zur Architektur führen, als mancher Architektenkammerfunktionär oder Ministerialbeamter sich vorstellen kann. Michael Embacher hat das Studium irgendwann entnervt aufgegeben, weil er längst als Ausstellungsgestalter im Wiener Museum für angewandte Kunst arbeitete und auch genügend Bauerfahrung sammeln konnte, um die Schubladenentwürfe an der Hochschule noch interessant zu finden. Er absolvierte dann die Baumeisterprüfung und legalisierte sich auf diesem Wege.

Sein Entwurf für das Kühllagerhaus ist von einer hemdsärmligen Pragmatik, die nur auf manchen Fotos so aussieht, als wäre es eine schmucke Designerkiste. Die schlichte Box aus Lecabeton mit Thermohaut wurde zusätzlich mit Kupferbändern in Filmstreifenbreite eingewickelt, die Schatten spenden und dem Bau von weitem das Aussehen einer recht leger aus Holzlatten zusammengenagelten Scheune geben. Wer unbedingt möchte, kann darin eine österreichische Antwort auf die akkurat mit Kupfer umwickelten Fassaden gewisser Schweizer Eisenbahnstellwerke sehen, aber auch da sind die Bilder trügerisch. Vor Ort zeigt sich der Bau sehr filigran, selbstbewusst und keine Spur epigonenhaft.

Das Innere besteht aus Rollregalen, die im unteren der zwei Geschosse um einen Tiefkühlraum herumgleiten, wo hoch empfindliches Negativmaterial gelagert wird. Alle technischen Geräte, wegen des intelligenten Energiekonzepts sind es erstaunlich wenige, wurden aufs Dach, Stiegen und Aufzug an die Außenseite der Box gepackt um mögliche Brandherde aus dem Lager fern zu halten.

Vielleicht hätte ein ambitionierter Jungarchitekt den Aufzugsturm nicht rot streichen lassen. Aber die emsigen Archivare haben es mehr als verdient, beim täglichen Hinauf und Hinab von einem vertikalen roten Teppich begleitet zu werden.

Der Standard, Sa., 2004.06.26



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Filmarchiv - Filmdepot Laxenburg

19. Juni 2004Oliver Elser
Der Standard

Wohnst du noch oder lebst du schon wie Beckham?

Minidramen aus dem Wonderland: Ideen ohne Auftrag, gezeichnet von der Architektengruppe nan

Minidramen aus dem Wonderland: Ideen ohne Auftrag, gezeichnet von der Architektengruppe nan

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Nur Architekten muss in diesem Fall dringend empfohlen werden, sich an den nächsten Ausstellungskurator zu wenden. Im Medium der Architekturausstellung können Größenwahnvorstellungen und Persönlichkeitsspaltungen („Womit ich Geld verdiene, ist
etwas ganz anderes, als mich wirklich interessiert“) ohne Risiken ausgelebt werden. Wenn das Publikum vor den Exponaten ein Schauder befällt, wie etwa 1921, als der junge Le Corbusier
der Stadt Paris den Krieg erklärte, die er unter den Fundamenten riesiger Hochhäuser begraben wollte, dann wird die Ausstellung sicher ein Erfolg.

Nur hat sich dieser Schockeffekt über die Jahrzehnte reichlich abgenutzt und die Architektur unter der Inflation der Visionen arg gelitten. Die jüngere Generation entwickelte daraufhin einen oft wohltuenden Pragmatismus und pfeift nun darauf, erst jahrzehntelang als Visionäre und Künstler durchgehätschelt zu
werden, um dann im Alter an die millionenschweren Aufträge heranzukommen. Die Immobilienindustrie ist ja noch immer höchst
konservativ und gibt nur gut abgehangenen Avantgardisten den Zuschlag.

Pragmatisch zu sein kann heute allerdings auch bedeuten, am Rockzipfel weltweit bewunderter Formjongleure klebend, kleine Blasengebilde und berstende Fassaden mit minimalem Aufwand aus dem heimischen Computer zu zaubern. So wird das edle Vorrecht der Jugend, radikal und dabei sogar akzeptiert zu sein, im sinnlosen Aufschäumen von Ideen verpulvert, auf die längst eine andere Generation die gestalterischen Patente erworben hat.

Bei der Ausstellung Wonderland, die gegenwärtig in Bratislava angekommen ist, bevor sie dann zu sieben anderen europäischen Stationen weiterzieht und bei jedem Stopp immer mehr Jungarchitektenteilnehmer zusammenbringt, wird viel in diesem Sinne Visionäres präsentiert. In einer für sich schon sehenswerten Industriehalle sind die Projekte von jeweils elf österreichischen und slowakischen Teams versammelt. Jedem stand eine Anzahl von „Pixeln“ zur Verfügung, auf dünnen Stäben schwankende Schautafeln, die etwa so groß sind wie die Hülle einer Langspielplatte. Die Gruppe nan hat ihre Pixel ganz in satte
Rosa getaucht und darauf verzichtet, sich mit Resultaten aus der täglichen Praxis zu präsentieren.

Bei den anderen pixelt es gewaltig, denn es werden abgelehnte Wettbewerbe und erste kleinere Realisierungen auf kleines Format gebracht, was in der Fülle der Arbeiten oft ein
heilloses Flimmern hervorruft. nan, das sind Nina Lorber, Amir Aman und Norbert Trolf, durchschnittlich circa 32 Jahre alt, zeigen hingegen
ganz schlicht Architektur, die zum Greifen nah zu sein scheint, aber ohne Auftrag entworfen wurde und bei näherem Hinsehen wohl
selten eine Chance auf Realisierung hätte. Ein Projekt pro Pixel, eine Idee pro Projekt, in einer Form, für die man nicht sehr tief in die Denkmuster eines Architekten eingedrungen sein muss, um sie zu verstehen. Es sind Einfälle, die bei anderen Projekten entstanden sind, dann aber zur Seite gelegt wurden und nun als kleine
Sammlung handfester Visionen in die Welt entlassen werden.

Bei den Gedankenspielereien kommt es weniger auf die architektonische Form an, sondern darauf, immer wieder „Was wäre wenn?“ zu fragen. Was würde passieren, wenn Israelis und Palästinenser in Terrassenhäusern entlang der Grenze wohnen würden? Wäre das eine besonders perfide Form von Kontrollarchitektur oder würde man irgendwann aufhören, auf den
Nachbarn zu schießen? Wieso könnte ein Hochhaus nicht für Extremsportarten genutzt werden? Warum baut man nicht Wohnblöcke um ein Fußballstadion herum oder begräbt die
Infrastruktur, die der Alpentourismus verlangt, unter einer dicken Abraumschicht aus dem Brennerbasistunnel und züchtet darauf
eine heile Instant-Natur? Und viele Fragen mehr, die keineswegs so rosarot-naiv sind, wie es einem die charmanten Zeichnungen auf den
ersten Blick nahe legen, denen anzusehen ist, dass die jungen Architekten Erfahrungen in den Niederlanden gesammelt haben.

Natürlich sind die Ideenskizzen auch aus der Not geboren, noch kein realisiertes Projekt im Portfolio zu haben. Bei zwei Wettbewerben, für
ein Hotel und ein Altenheim, gewannen nan den ersten Preis, warten jetzt auf ihre Beauftragung, machen weiter Wettbewerbe und lehren
zum Gelderwerb als Assistenten an der TU Wien und der Angewandten. Kurz: Sie teilen das Schicksal vieler anderer junger Büros, inklusive der prekären Situation, dass die Mitgliedschaft
in der Architektenkammer momentan zu teuer ist. Der kulturelle Nutzen einer vitalen Szene junger Architekten ist immens, aber der Schritt in die Professionalisierung wird von denen erschwert, die bereits oben angekommen sind.

Vielleicht entstehen Zeichnungsserien wie diese nur in den Warteschleifen der Berufsanfängerjahre. Später wird jede Gelegenheit genutzt, Gebautes auch zu zeigen. Andererseits
positionieren sich immer mehr Architekten als Regisseure urbaner Szenarien. An denen herrscht bei nan kein Mangel, und wie wenige
schaffen sie es, diese auch darzustellen. So können sich die Ideen von ihren Verfassern ablösen und Teil eines allgemeinen Architekturdiskurses werden.

Der Standard, Sa., 2004.06.19

12. Juni 2004Oliver Elser
Der Standard

Auf der Moosrampe zur Kunstgrotte

Wer zur Ausstellung von Herzog & de Meuron nach Basel pilgert, sollte einen Abstecher nach Aarau einplanen, wo die Architekten ein Museum erweitert haben.

Wer zur Ausstellung von Herzog & de Meuron nach Basel pilgert, sollte einen Abstecher nach Aarau einplanen, wo die Architekten ein Museum erweitert haben.

Unter den weltweit tätigen Stararchitekten, die mit Preisen überhäuft und an den Hochschulen hofiert werden wie Außerirdische, gibt es nur wenige, die ihr Publikum mit jedem Bau vor neue intellektuelle Herausforderungen stellen. Ob nun Hadid, Eisenman, Gehry, Meier oder auch Coop Himmelb(l)au zu einem Wettbewerb antreten - was dabei herauskommt, mag für sich genommen ganz fantastisch sein, wird aber mit Sicherheit eine unverkennbare Handschrift tragen, einen jeweils typischen Stil, der das Ergebnis so vorhersehbar macht wie das Amen im Gebet.

Zu den seltenen Ausnahmen zählen, neben Rem Koolhaas, auch Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die längst auf die Feststellung Wert legen, sie seien eigentlich keine Schweizer Architekten, sondern Global Player, deren Büro sich aus alter Verbundenheit in Basel befinde. Nun hat Basel aber zweifellos die höchste Dichte an H&dM-Bauten und ist die erste europäische Station einer großen Werkschau, die dort bis 12. September zu sehen ist. Im Schaulager, einem vor einem Jahr fertig gestellten Zwitter aus Ausstellungshalle und Kunstdepot, das in dieser Form nur (als Direktauftrag) entstehen konnte, weil die Global Player über langjährige gute Kontakte zur Kunstszene in Basel verfügen.

In jeder Stararchitektenkarriere gibt es Ursprungsmythen, die oft ganz profan darin bestehen, der oder die habe jahrelang ein visionäres Projekt nach dem anderen zu Papier gebracht, einsam und unverstanden, bevor dann endlich der Durchbruch kam und damit die Chance, vom Träumen zum Bauen überzugehen. Meist geistern skizzenhaft formulierte Projekte jahrzehntelang durch die einschlägigen Magazine, bevor sie langsam von realisierten Gebäuden abgelöst werden.

Herzog & de Meuron haben diese Phase übersprungen und gleich nach dem Studium zu bauen begonnen. Ihr architektonisches Urerlebnis war keine Formvision, sondern eine Performance, bei der sie im Jahre 1978 anlässlich der Basler Fastnacht Joseph Beuys kennen lernten. Aus dem Pulverdampf der Postmoderne ragte mit Beuys' schwer verdaulichen, materialfixierten Arbeiten eine Position heraus, die die beiden kaum dreißigjährigen Architekten auf ihre ersten eigenen Projekte zu übertragen versuchten.

Während sich ihre Zeitgenossen an Giebel, Erker und Säule vergingen, griffen Herzog & de Meuron zwar nicht genauso wie Beuys zu Fett, Filz und Kupfer. Aber sie begannen, sich für die unmittelbare Wirkung von Materialien zu interessieren, für Stimmungsbilder und Situationen. „Ich glaube, die Architektur ruft in uns Erinnerungen an das eigene Leben wach, aber kaum Erinnerungen an die Architekturgeschichte“, schrieb Jacques Herzog 1982. Bis dahin hatten sie kaum etwas gebaut, doch die theoriefreudigen Schweizer Zeitschriften befassten sich bereits ausführlich mit den erklärten Antitheoretikern, die keine schön schraffierten Perspektiven, sondern spröde Werkpläne vorzuweisen hatten. Die von Künstlerhand gezeichnet waren, keine Frage, doch so cool und in harte Fakten verliebt wie die amerikanische Minimal Art der Sechzigerjahre und nicht dem schönen Schein postmoderner Pappmachéwelten verfallen.

Bis weit in die Neunzigerjahre hinein galten Herzog & de Meuron manchen Kritikern als trockene Minimalisten, deren Bauten beziehungslos und kistenhaft in der Gegend herumstehen, ausgefeilte Konstruktionen zwar mit immer wieder überraschenden Fassaden, aber innenräumlich völlig uninteressant. Alle warteten auf die nächste Außenhülle und freuten sich wohl insgeheim darauf, dass den beiden irgendwann nichts mehr einfallen würde. Aber die Auftragsbücher füllten sich, und nie wurde es langweilig, denn Herzog & de Meuron ließen sich nicht zum gefälligen Selbstzitat hinreißen.

Dann gewannen sie in London den Wettbewerb für Tate Modern, die Umnutzung eines Kraftwerks als Museum, und wurden in die erste Liga der international gefragtesten Architekturbüros hinaufkatapultiert. Ihr Entwurf war der mit Abstand zurückhaltendste. Aber der Medienrummel um die Stars aus Basel löste die Blockade, mit anderen Formen als der schon sprichwörtlichen Schweizer Kiste an eine Aufgabe heranzugehen.

Herzog & de Meuron haben das Augenmaß nicht verloren, aber sie sind freier geworden. Der Erfolg gibt ihnen Rückendeckung, um wie in Aarau zwei eigentlich einander widerstrebende Haltungen in einem Bau zu vereinen. Von außen ist schwer zu entscheiden, was hier neu ist und was nicht. Der Quader des Kunsthauses von 1959 könnte auch jüngeren Datums sein, aber die Architekten haben lediglich das Erdgeschoß aus dem vorhandenen Bau wie eine Schublade herausgezogen und mit einer umlaufende Glasfassade eingeschlossen. Dadurch verschwand der Vorplatz, den das Museum bislang für temporäre Kunstpräsentationen genutzt hat, der aber wegen seiner Lage an einer Umfahrungsstraße nur geringe Aufenthaltsqualitäten hatte.

Um die öffentliche Fläche zu erhalten, wurde der Platz um eine Etage nach oben verlegt. Neben dem Museumseingang führt nun eine mit grünem Glas umschlossene Wendeltreppe „ins Grüne“, das heißt zunächst aufs Dach des eingeschoßigen Anbaus. Als Material verwendeten die Architekten dort grobporigen Tuffstein, der schon mit Moos bewachsen auf die Baustelle kam. So haben zwar die Skateboardfahrer keinen Spaß an der größten Rampe des Kleinstädtchens Aarau, aber die Dachfläche wird zu einer Mischform aus städtischem Platz und angrenzendem Park. Nebenbei ist die Neigung des Dachs ein Kunstgriff, um das Entwässerungsproblem jeder begehbaren Dachfläche auf ganz einfache Weise in den Griff zu bekommen.

Herzog & de Meuron scheuen sich nicht, etwas zu tun, das den meisten Architekten nicht in den Sinn käme. Sie werden unscharf, lassen die Frage offen, wo das Gebäude aufhört und der Park beginnt, setzen die rustikale Steinrampe völlig unvermittelt auf die modernistische Glasfront, verwenden grünes Glas als Hinweis auf den Park am Fuße der Rampe.

Diese völlig unironischen Spielereien setzen sich im Inneren fort. Die Eingangshalle des Museums liegt unter der Rampe, also irgendwie auch unter dem Park und wurde daher behandelt wie eine künstliche Grotte, obwohl doch die großen Glasscheiben jede Düsternis ausschließen. Trotzdem war das Thema hier Grotte, und so krümmen sich die Wände, was etwas befremdlich wirkt, aber in Nischen und Rücksprüngen sämtliche Einbauten für Regale, Kaffeemaschine und Vitrinen verschwinden lässt. Man muss sich nur freimachen von der strikten Rechtwinkeligkeit, dann lösen sich viele Fragen von selbst. Der Rest des Hauses ist unauffällig und steht der Kunst zu Diensten. Nach der Erweiterung ist nun genug Platz geschaffen, eine der größten kommunalen Kunstsammlungen der Schweiz auszustellen.

Der Standard, Sa., 2004.06.12



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Aargauer Kunsthaus Aarau - Erweiterung

08. Juni 2004Oliver Elser
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Andrang zu den Architekturtagen

Arme österreichische Architektur. Angeblich fehlt ihr ganz dringend ein Sigfried Giedion, ein parteiischer Theoretiker also, der in der ersten Hälfte des...

Arme österreichische Architektur. Angeblich fehlt ihr ganz dringend ein Sigfried Giedion, ein parteiischer Theoretiker also, der in der ersten Hälfte des...

Arme österreichische Architektur. Angeblich fehlt ihr ganz dringend ein Sigfried Giedion, ein parteiischer Theoretiker also, der in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts die moderne Architektur in eine Heldensaga verwandelt und alle Abweichler mit Ignoranz gestraft hat.

Fehlt wirklich ein Sigfried Giedion? Wolf D. Prix und Laurids Ortner jedenfalls riefen verzweifelt nach einem Chronisten seines Schlags, als sie am vergangenen Samstag ins Architekturzentrum Wien kamen, um durch die Ausstellung The austrian phenomenon zu führen.

Ein von den Architekturtagen sichtlich ermüdeter Direktor Dietmar Steiner hatte Mühe, die beiden davon abzuhalten, sich vor dem vollbesetzten Saal zu gebärden wie die beiden Alten aus der Muppets Show.

Über mangelnden Publikumsandrang konnten sich die Architekturtage ohnehin nicht beklagen. In ganz Österreich standen Architekturbüros offen, wurden Führungen und Feste geboten, fanden Workshops für Kinder statt.

Einige Stichproben in Wien ergaben ein sehr durchmischtes Publikum. Zu einer Führung durch die am Burggarten aufgestockten Luxusdachwohnungen waren rund fünfzig Interessierte aller Altersgruppen gekommen und wälzten die Frage, wer wohl der allein stehende Herr sein mag, der dort demnächst sein 520 Quadratmeter großes Heim beziehen wird.

Das Interesse beweist: Wenn es der österreichischen Architektur an etwas mangelt, dann an noch mehr Gelegenheiten, in die Öffentlichkeit zu treten.

Das Programm wurde durch Fahrten nach Bratislava ergänzt, die so überbucht waren, dass eine Fortsetzung wünschenswert wäre.

Wer alles verpasst hat: Bis zum 26. Juni präsentieren sich dort österreichische und slowakische Architekturbüros in der Ausstellung Wonderland.

Der Standard, Di., 2004.06.08

05. Juni 2004Oliver Elser
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Vielfalt aus dem Systembaukasten

Freier Eintritt zu den Architekturtagen: Der Wohnbau von Nasrine Seraji in Wien führt vor, was sich mit einem großen Stapel gelochter Betonplatten anfangen lässt.

Freier Eintritt zu den Architekturtagen: Der Wohnbau von Nasrine Seraji in Wien führt vor, was sich mit einem großen Stapel gelochter Betonplatten anfangen lässt.

Architekten sprechen architektonisch. Für diese Sprache gibt es noch keine Wörterbücher, wird es vielleicht auch nie geben, weil die Dialekte so verschieden sind. Dabei wäre alles so einfach, wenn Architekten das Reden ihren Bauten überlassen würden. Bei den Architekturtagen, die am heutigen Samstag mit großem Programm (www.architekturtage.at) zu Ende gehen, besteht die seltene Gelegenheit, beides ineinander zu blenden und am selben Ort zu erleben: In einem Treppenhaus mit Tiefgaragencharme verpufft jedes Gerede von Konzepten, in einem gut proportionierten Zimmer mit atemberaubender Aussicht muss erst gar nicht zu hochfliegenden Erläuterungen angesetzt werden.

Adolf Loos, der Innovationsskeptiker, gab seinen Zeitgenossen, die jeden Montagmorgen die Architektur aufs Neue zu erfinden versuchen, den Rat mit auf den Weg, dass nur das Denkmal und das Grabmal zur Architektur zählen, alles andere sei mehr oder weniger durch Konventionen bestimmt. Loos verachtete das, was später Design genannt wurde, und dämpfte den Reformeifer seiner Kollegen, als er die mit Wohnungen voll gestopften Zinshäuser als ehrlichen Ausdruck der Zeit lobte.

Das Fertigteilsystem der Firma Mischek, so steht zu vermuten, hätte ihm gefallen, schließlich experimentierte er selbst mit vorfabrizierten Elementen und meldete ein Haus, das sich nur auf eine einzige Mauer stützen sollte, beim Patentamt an.

Seit 1968 produziert Mischek die Elemente für die so genannte Großtafelbauweise, umgangssprachlich „Plattenbau“. Allerdings kennt man in Österreich nicht die Imageprobleme dieses Bausystems, das im bundesdeutschen Sprachraum so fad nach DDR schmeckt wie „Sättigungsbeilagen“ oder „Broiler“. Zu Unrecht, denn hat sich nicht gerade der Kapitalismus die Rationalisierung aller Lebensbereiche und somit auch die des Bauens auf die Fahnen geschrieben? Nur beim Namen nennen sollte man die Dinge nicht.

Flankiert von ambitionierten Architekten hat Mischek den Sprung von der Baufirma zum Wohnungsunternehmen geschafft und ist in allen Stadtentwicklungsgebieten, sei es am Wienerberg oder auf der Donauplatte mit dabei.

Das dreigliedrige Wohnhaus mit 50 frei finanzierten Eigentumswohnungen der Architektin Nasrine Seraji ragt hingegen als strahlend weißes Massiv hinter einer Supermarktbaracke weit draußen an der Linzer Straße hervor. Rechts und links stehen Siedlungshäuser, es riecht nach Schnitzelpfanne.

Die Wohnungen sind fast alle zum Grünraum des Halterbachs orientiert. An dieser Seite zeigt sich das Haus offener und rückt mit seinem Geheimnis heraus. Denn Nasrine Seraji wollte kein Kartenhaus errichten, wie es das „Mischek-System“ eigentlich nahe legt. Ende März, auf dem von Margit Ulama organisierten Architekturfestival Turn-On nahm die bis vor kurzem an der Wiener Akademie lehrende Architektin einen weiten Anlauf, um ihr Konzept zu erläutern.

In Serajis geschliffenem Vortrag war so viel von individuellen Lebensstilen, dem Erbe von Le Corbusiers Wohnmaschinen und kleinen Triumphen über das Profitdenken ihres Auftraggebers die Rede, dass es einem leicht schwindlig werden konnte. Aber man muss das alles nicht unbedingt gehört haben, um sich dieser Tage ein Urteil bilden zu können, wenn für eine Ausstellung mit Architekturfotografien von Pez Hejduk anlässlich der Architekturtage die Türen offen stehen.

Wesentliches Element sind die „Voids“, doppelgeschossige Lufträume, die zwar profitable Wohnfläche verschwenden, aber gerade darin liegt ihre Qualität. Unübersehbar ist allerdings, dass man sich in einem „Konzeptbau“ befindet, einem riesigen, auf direktem Wege vom Modell in die Realität übertragenem Baukasten. Wegen der komplizierten Planung musste an anderen Stellen gespart werden. An der Fassade, deren Formengeschiebe nur mit pappigem Thermoputz gebändigt werden konnte, in den Stiegenhäusern und Eingangsbereichen. Auch ob die „Voids“ immer an der richtigen Stelle der Wohnung liegen, kann vor Ort überprüft werden.

[ Pez Hejduk, Viewpoints, heute ab 14.30 Uhr, bis 20. 6., Di-Fr 16-20 Uhr, Sa-So 11-17 Uhr, Linzer Straße 421A ]

Der Standard, Sa., 2004.06.05

29. Mai 2004Oliver Elser
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„Ich wollte den Krieg auf keinen Fall verherrlichen“

Klassik als Utopie? Der Architekt Friedrich St. Florian über sein Weltkriegsmemorial in Washington

Klassik als Utopie? Der Architekt Friedrich St. Florian über sein Weltkriegsmemorial in Washington

Herr St. Florian, mit Ihren Entwürfen aus den Sechzigerjahren, die gegenwärtig in der Ausstellung „The Austrian Phenomenon“ im Architekturzentrum Wien zu sehen sind, haben Sie sich einen festen Platz unter den Visionären der österreichischen Architektur gesichert. Ihr „National World War II Memorial“ hingegen ist auch in den USA auf Kritik gestoßen - wundert Sie das?
St. Florian: Nein, das verstehe ich, denn eigentlich bin ich ein moderner Architekt. Aber das Memorial, zu dem ich den Wettbewerb 1997 gewonnen habe, liegt mitten auf der National Mall, der grünen Achse, die vom Hügel des Capitols nach Westen führt, über den Obelisken des Washington Monument und den Tempel des Lincoln Memorial hinaus in die Landschaft.

Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich immer wieder auf englische Worte zurückgreife und auch bei meinem Bauwerk weiter von Memorial spreche, im Englischen gibt es keine Unterscheidung zwischen Denkmal und Mahnmal.

Alle Bauten an der Mall sind im klassischen Stil errichtet, und dafür gibt es einen wirklich zwingenden Grund, der zurückgeht auf Thomas Jefferson. Er hat selbst Architektur entworfen, zum Beispiel die Universität von Virginia. Jefferson kannte Paris, er war Klassizist. Es gab ja zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit keine amerikanische Architektur. Jefferson wollte aus der Kultur der ersten Siedler etwas Verbindendes herausfiltern und wählte für Washington den klassischen „Greco-Roman Style“.

Nun hat sich nicht nur die Bevölkerung der USA seither verändert, sondern auch die Architektur. Selbst an der Mall entstanden zeitgenössische Gebäude wie die National Gallery von I. M. Pei, dem späteren Architekten der Louvre-Pyramide.

St. Florian: Das ist richtig. Es gibt ja auch das Vietnam Memorial. Aber diese Bauten stehen am Rand, nicht direkt in der Achse. In dem kleinen Buch Architektur und Utopie schreibt Manfredo Tafuri über die Mall in Washington, sie sei ein „zeitloser Olymp, für ewig utopisch, positiv, wo Amerika ängstlich Wurzeln zu schlagen versuchte“. Jefferson wollte, dass das Washington stabil bleiben, nicht von der gesellschaftlichen Entwicklung mitgerissen werden sollte, wie er das für New York vorausgesehen hat. Als „Ideal unbefleckter Vernunft“.

Aber selbst wenn man dies als Gründungsakt akzeptiert, der in seiner Architektur Vernunft und Aufklärung verkörpert, so bleibt doch die Frage, warum Sie nicht eine Form wie den Obelisken gewählt haben, der ja als altägyptisches Motiv weit hinter den Klassizismus zurückgeht und uns heute in seiner zeitlosen Form „moderner“ erscheint als der gegenüberliegende, erst 1922 eröffnete Tempel des Lincoln Memorial?

St. Florian: Aber die moderne Architektur geht langsam zu Ende. Es war eine der großen Epochen der Architektur, aber man muss sich fragen, wo wir heute stehen. Hat die moderne Architektur heute die Kraft und die Energie, die sie vor zwanzig, dreißig Jahren gehabt hat? Mit dem Memorial habe ich daher auf eine sehr amerikanische Form des Klassizismus zurückgegriffen.

Was bedeutet es denn, mit dem heutigen Wissen über Architektur in diesen Formen zu bauen? Oder ignorieren Sie die vergangenen hundert Jahre?

St. Florian: Es ist für einen modernen Architekten natürlich eine Herausforderung. Aber sehen Sie, alles besteht aus massivem Granit, nichts ist irgendwie verkleidet. Das ist doch eine kraftvolle Geste. Das Memorial wird so lange bestehen bleiben wie die Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Geste, den Stein massiv zu verwenden, ist doch eine moderne. Zu Jeffersons Zeiten bestand der Klassizismus aus Ziegeln oder Holz, vereinheitlicht und überdeckt von einer Gipsschicht.

St. Florian: Das ist wahr. In der Massivität sehe ich auch einen Bezugspunkt zu Mies van der Rohe, zur Ehrlichkeit des Bauens. Ich muss sagen, ich bin sehr stolz auf das Memorial und die Steinmetzarbeiten. Aber ein wichtiger Bestandteil sind auch die Springbrunnen. Neben Granit und Wasser gibt es nur noch Bronze, als Material für die Lorbeerkränze an den Säulen, die jeweils einen Bundesstaat und in ihrer Gesamtheit die Homefront repräsentieren. Das Memorial konnte ja kein Gebäude sein und die Blickachse verstellen. Also rahmt es die Achse.

Sie versuchen, in einem optimistischen Sinne konservativ zu sein und orientieren sich an den Idealen der Architektur der Mall. Aber das Mahnmal handelt vom Krieg. Ist es ein Siegerdenkmal? Kommen die Opfer darin vor?

St. Florian: Ich wollte den Krieg auf keinen Fall verherrlichen. Die Opfer, auf amerikanischer Seite waren es rund 400.000 Soldaten, werden durch eine Wand mit 4000 goldenen Sternen repräsentiert. Diese Sterne wurden den Angehörigen der gefallenen Soldaten zusammen mit einer gefalteten amerikanischen Flagge überbracht.

Und die Opfer in der Zivilbevölkerung?

St. Florian: Eine Balance herzustellen und nicht nur den Sieg der Demokratie zu zeigen, sondern auch das Leiden, das dieser Krieg über so viele Millionen Unschuldige gebracht hat, war mir immer sehr wichtig. Das Memorial hat Inschriften an verschiedenen Stellen, dort sollte auch daran erinnert werden. Nur wurden diese Inschriften nach dem Amtsantritt von Präsident Bush ausgetauscht, das ist sehr bedauerlich.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihren frühen Arbeiten und dem Memorial?

St. Florian: Ich bin 1961 das erste Mal als Architekturstudent in die USA gekommen, seit 1967 lebe ich hier und bin seit fast vierzig Jahren Professor an der Architekturschule in Rhode Island. Damals war ich sehr von Buckminster Fullers Ideen beeinflusst und suchte nach einer Architektur, die nur da ist, wenn man sie braucht. Irgendwann in den Siebzigern ging es damit nicht mehr weiter, weil keine Technologien zur Verfügung standen, so eine Architektur zu verwirklichen. Die Lehre war mir immer wichtiger, als selbst zu bauen. Aber jetzt will ich damit beginnen. Ich habe den Entschluss gefasst, meine Professur niederzulegen und mit dem Bauen anzufangen.

Werden dabei die Erfahrungen bei dem Memorial eine Rolle spielen?

St. Florian: Ganz bestimmt. Ich werde eine Position einnehmen, die das Memorial als Statement berücksichtigt. Sonst würde mich das Bauen gar nicht interessieren.

Der Standard, Sa., 2004.05.29



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Worldwar II Memorial

27. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

Offene Häuser, offene Ateliers, offene Grenzen

Das Programm der diesjährigen Architekturtage könnte in seinem Umfang leicht mit dem Telefonbuch einer Kleinstadt konkurrieren. Es wäre unmöglich, im Rahmen...

Das Programm der diesjährigen Architekturtage könnte in seinem Umfang leicht mit dem Telefonbuch einer Kleinstadt konkurrieren. Es wäre unmöglich, im Rahmen...

Das Programm der diesjährigen Architekturtage könnte in seinem Umfang leicht mit dem Telefonbuch einer Kleinstadt konkurrieren. Es wäre unmöglich, im Rahmen dieser Beilage auch nur annähernd einen Überblick zu geben.

Aber ein paar Häppchen können vorab doch gereicht werden. Pro Bundesland beleuchten die Autoren und Autorinnen des STANDARD-Spezial jeweils ein Projekt, das im Rahmen der Architekturtage zu besichtigen ist, oder stellen einen Programmpunkt in den Vordergrund.

Wer sich über die zahlreichen anderen Angebote informieren möchte, dem stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung.

Für jedes Bundesland gibt es einen eigenen Programmfolder. Die Folder liegen an vielen Orten aus, sind auf jeden Fall aber bei den Architekturzentren in den einzelnen Bundesländern erhältlich, deren Adressen in den Infoblöcken genannt sind.

Hotline

Ein andere Weg, Genaueres zu erfahren, ist die kostenlose Hotline 0800/67 61 20.

Und schließlich stehen die Informationen auf der Webseite www.architekturtage.at zur Verfügung.

Jedes Bundesland setzt eigene Akzente. In Kärnten gibt es ein Kinderprogramm, in Wien werden Spaziergänge als so genannte „Grätzeltouren“ angeboten, in Tirol bauen junge Architekturbüros auf dem Marktplatz von Innsbruck eine gemeinsame Riesentheke, das Burgenland lockt zu „geheimen Orten“ - um hier nur einige herauszugreifen.

Herausragend an den diesjährigen Architekturtagen ist vor allem, das die Angebote nicht nur in den Städten zu finden sind.

Im Gegenteil, es besteht vielerorts die Möglichkeit, sich ein wenig nahtouristisch zu orientieren und an einer Tour übers Land teilzunehmen. Und wer dort bereits sein Zuhause hat, umso besser - bei dem öffnet der Architekt nebenan sein Atelier oder ein Haus wird zugänglich, das sonst verschlossen ist.

Besonderes Highlight ist die Einbeziehung der Nachbarstaaten Slowakei, Ungarn, Liechtenstein, Schweiz und Deutschland, wo in den Grenzregionen ebenfalls Veranstaltungen stattfinden. Für grenzüberschreitenden Verkehr ist mit zahlreichen wechselseitigen Touren gesorgt.

Trotz EU-Erweiterung gilt: Reisepässe nicht vergessen.

nextroom.at

Für weiterführende Informationen zu den Gebäuden sei noch auf die österreichische Architekturplattform www.nextroom.at hingewiesen. Die meisten der in den letzten Jahren errichteten interessanten Gebäude sind dort zu finden, vorgestellt mit Fotos, Grundrissen und erläuternden Texten, ergänzt durch Artikel, die in Zeitungen darüber erschienen sind. Auch die Bauten in der Slowakei wird seit kurzem aufgenommen worden.

Doch wodurch unterscheidet sich eigentlich ein interessantes Haus von einem banalen? Bei den Architekturtage besteht die seltene Gelegenheit, dieser Frage meist bereits in der unmittelbaren Nachbarschaft auf den Grund zu gehen.

Stoff zum Schauen, Staunen, manchmal auch Spotten, aber in jedem Falle zum Nachdenken über die eigenen vier Wände und die von anderen ist genug vorhanden. Überall in Österreich.

Der Standard, Do., 2004.05.27

27. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

Eine Architekturschule des Sehens

Architektur lebt vom Vergleich. Die Architekturtage bieten die Möglichkeit, in kurzer Zeit viel anzuschauen, auf Touren zu gehen, Ateliers zu besuchen. Jeder ist in Architektur- fragen Experte, nur merkt man das erst, wenn die gewohnte Umgebung verlassen wird.

Architektur lebt vom Vergleich. Die Architekturtage bieten die Möglichkeit, in kurzer Zeit viel anzuschauen, auf Touren zu gehen, Ateliers zu besuchen. Jeder ist in Architektur- fragen Experte, nur merkt man das erst, wenn die gewohnte Umgebung verlassen wird.

Tage der offenen Tür gibt es viele, und meistens haben sie einen wohl kalkulierten Zweck. Da werden Schüler oder Studenten umworben, Betriebe stellen sich vor und hoffen auf qualifiziertes Personal, oder Museen senken die Eintrittsschwelle und würden sich freuen, wenn man bald wieder kommt.

Immer geht es darum, Kontakt herzustellen, Bindungen aufzubauen. Aber die Architekturtage? Viele Bauten, die diesmal dabei sind, werden vielleicht nur ein einziges Mal, am 4. und 5. Juni, ihre Portale öffnen. Für die wenigsten Architekten, die an diesem Tag in ihre Ateliers einladen, dürfte die Hoffnung, dabei auf einen zukünftigen Bauherren zu stoßen, die Motivation sein.

Der Sinn der Architekturtage ist daher viel weniger einfach zu erfassen als bei anderen Tagen der offenen Tür. Man sucht ihn am besten zwischen den Stühlen, da, wo auch die Architekten sitzen.

Architektur ist einerseits eine Form der Dienstleistung. Aber ganz im Gegensatz zu vielen anderen Dienstleistungen wird die Architektur vor aller Augen vollzogen, hochgezogen, gebaut. Niemand kann einem vorschreiben, ob man sein Konto bei dieser oder jener Bank eröffnet, und auch nicht, welche Schuhe man zu kaufen hat. Geht es aber um Architektur, verlässt man die Privatsphäre und tritt unter die Augen der Öffentlichkeit.

Für viele Architekten, die sonst vielleicht eher Künstler oder „richtige“ Ingenieure geworden wären, besteht darin der Reiz ihres Berufes. Mit ihren Werken setzen sie ein winziges Steinchen in die äußere Welt, und dieser Baustein hat Bestand. Niemand baut nur für seinen Bauherren, es sei denn, das Haus entstünde auf einer einsamen Insel. Da dies selten der Fall ist, wird das Gebäude einiges durchzustehen haben. Fremde Augen werden sich darauf richten und darüber befinden, ob der Entwurf in die Welt gesetzt werden darf.

Wenn es um Architektur geht, fühlt sich jeder als Experte. Zu Recht und zu Unrecht. Die eigenen Erfahrungen beim Wohnen oder am Arbeitsplatz, als Stadtbenutzer oder Landbewohner sind wertvoll, aber warum sollte es nicht ganz anders aussehen?

Indem die Architekturtage meist neue, erst in den letzten Jahren fertig gestellte Bauten zeigen, bieten sie dem Publikum die Möglichkeit, die Welt durch andere Fenster zu betrachten.
Wobei ja Neues nicht automatisch besser ist. Aber Entscheidungskriterien zum Alltagsthema Architektur zu finden setzt voraus, sich auf andere Positionen einzulassen, zu vergleichen, kurz: sehr viel Erfahrungen zu sammeln.

Eindrücke sammeln

Die Architekturtage sind die ideale Möglichkeit, den Horizont zu erweitern, vielleicht Neues in der gewohnten Umgebung zu entdecken, mit Architekten und Nutzern zu diskutieren.

Wenn es um Architektur geht, ist jeder Experte. Aber das Wissen, das jeder besitzt, lässt sich nur in der Konfrontation mit anderen Positionen anwenden. Die Gelegenheit dazu sollte man sich nicht entgehen lassen.

Der Standard, Do., 2004.05.27

22. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

Fertigteilkeller mit Blickkanone

Scheitern als Chance. Die burgenländische Gemeinde Jois am Nordende des Neusiedler Sees rutschte Anfang der achtziger Jahre in ein tiefes Schuldenloch....

Scheitern als Chance. Die burgenländische Gemeinde Jois am Nordende des Neusiedler Sees rutschte Anfang der achtziger Jahre in ein tiefes Schuldenloch....

Scheitern als Chance. Die burgenländische Gemeinde Jois am Nordende des Neusiedler Sees rutschte Anfang der achtziger Jahre in ein tiefes Schuldenloch. Die Errichtung eines Yachthafens und der Kanalbau brachten Jois erst an den Rande des Ruins und dann in die Schlagzeilen. Der schlechte Ruf klebte zäh an der Gemeinde. Auch als man gegen Ende der Neunziger aus dem Gröbsten raus war, wurde die Erinnerung an den Fast-Bankrott mit jedem Schlagloch auf der Joiser Hauptstraße wieder wachgerüttelt.

In dieser Zeit kam das Architektenpaar Gerda und Andreas Gerner zusammen mit einer bauwilligen Familie das erste Mal nach Jois. Für eine Umgebung, die aussieht, wie die 1:1-Version einer Modellbahnanlage, auf der jemand wahllos ein paar putzige Häuschen verstreut hat, entwickelten gerner°gerner plus einen Mini-Wolkenbügel. Das schlauchförmige Haus stemmt sich in den Himmel und reckt die Fenster, um Seeblick zu bekommen. Das verstieß gegen sämtliche Baubestimmungen, aber der Bürgermeister sah darin ein Chance, Jois positive Presse zu bringen, und peitschte das Vorhaben durch alle Instanzen.

Der Erfolg gab ihm Recht. Für das Wohnhaus „suedsee“ bekamen die Architekten 2002 einen Metallbaupreis und ernteten viel Lob.

Für Leo Hillinger, Joiser Winzerssohn mit Dressman-Allüren und angeborenem Sinn für Marketing, war das ein Coup ganz nach seinem Geschmack. Die Aufteilung seines Betriebs in vier Produktionsstandorte störte ihn seit längerem, und da keiner davon die nötigen Erweiterungsflächen bot, beauftragte er gerner°gerner plus mit dem Entwurf für ein neues, großes Weingut am nördlichen Ortsrand von Jois, mitten in den Weingärten.

Selbst ein Betriebsgebäude war in dem geschützen Landschaftraum schwer zu rechtfertigen. Aber zumindest in der Anfangsphase packte der architekturbegeisterte Bürgermeister noch einmal mit an. Für die Architekten begann der Weg durch die Instanzen.

Mittlerweile, so ist zu hören, bereuen die burgenländischen Landesbehörden die zahlreichen Ausnahmegenehmigungen. Nicht weil der Bau die Erwartungen verfehlt hat, sondern wegen der Schlangen von ebenfalls Bauwilligen, die einen Präzedenzfall wittern.

Ein großer Teil, etwa zwei Drittel, sind in den Weinhügel vergraben. Die Produktions- und Lagerhalle wurde im „Tagebau“ unter die Oberfläche versenkt und bildet den langen Schenkel eines „L“. Am einen Ende der lang gestreckten Halle führt eine Rampe in den Weinberg hinauf, über die die Anlieferung der Trauben erfolgt. An der gegenüberliegenden Seite fügten die Architekten eine Box an, die sich als Sichtkanone über den Weingarten erhebt. Die Landschaft des sanften, zum See hin auslaufenden Tals erscheint hier, im Verkaufs-, Verkostungs- und Seminarbereich, wie eine fast unwirklich liebliche Fototapete. In den Blick zum Seeufer hingegen, gerahmt durch eine weiteres Fenster, schiebt sich im Vordergrund der Joiser Einfamilienhaushügel. Der See schimmert am Horizont wie die Luftspiegelung auf einer heißen Asphaltstraße.

Der monitorhafte Verkaufsraum ist teilweise in den Hang gegraben. Vorne ragt er einige Meter über den kleinen Parkplatz, gehalten von zwei schrägen Stützen. Dass die konstruktive Herausforderung dieser Geste plausibel abgearbeitet und auch dargestellt wird - sonst ein Markenzeichen von gerner°gerner plus - lässt sich hier nicht sagen. Ganz im Gegensatz zur Produktionshalle, wo Fertigteile den Rhythmus vorgeben, sollte die Empfangsbox clean und cool sein, mit makellosen Wänden, ohne störende Stützen. Aber so sehr dieser Baukörper zur dramatischen Geste ansetzt, so wenig „Fleisch“ hat die Architektur an dieser Stelle.

Nichts gegen coole Kisten und cleane Innenräume, die hier sehr schlüssig gelöst sind, mit lederbespannten Paravents, in denen alle den Blick störenden Einbauten verschwinden. Das Unbehagen entsteht auf der haptischen und strukturellen Ebene. Eine Außenhaut aus Thermoputz, die beim Dagegenklopfen ihren tragenden Betonkern verleugnet, zählt zu den unangenehmsten aller Baumaterialien und war ursprünglich auch nicht vorgesehen. Der Bau(herr) muss sich die Frage gefallen lassen, wieso sein Weingut sich so anfühlt wie die Einfamilienhäuser in der Umgebung.

Die strukturellen Einwände gehen in einen Bereich, der möglicherweise nur für Architekten plausibel ist. Aber dennoch: Warum kann ein Bau, der in seinen „technischen“ Bereichen wie ein Baukasten aus Fertigteilen zusammengesteckt ist, diese Sprache nicht auch dort verwenden, wo er ans Tageslicht tritt? Noch dazu, weil die Ausnahmesituation, dass es ein Gebäude an dieser Stelle gar nicht geben dürfte, die Latte sehr hoch legt. Ein technischerer Zugang, für den gerner°gerner plus als Architekten sogar prädestiniert gewesen wären, hätte den Bau plausibler und „organischer“ erscheinen lassen und das Eingangsgebäude davor bewahrt, seine starken Seiten nur im Innenraum auszuspielen. Bei aller Kritik: Dort ist die Verbindung zweier grundverschiedener Bauweisen sehr geglückt.

Der Standard, Sa., 2004.05.22



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hill Weingut Hillinger

15. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

Ausflugsräume

Kurz vor dem Abriss des Kahlenberg-Hotels von Architekt Boltenstern meldete sich das Bundesdenkmalamt

Kurz vor dem Abriss des Kahlenberg-Hotels von Architekt Boltenstern meldete sich das Bundesdenkmalamt

Am 20. März diesen Jahres wurden auf dieser Seite in einem Vorher-Nachher-Vergleich die Planungen des Architekturbüros Neumann und Steiner für den Wiener Kahlenberg vorgestellt. Nach einem Totalabriss des Baus von Erich Boltenstern (1936), erweitert mit einem Hotel von Hermann Kutschera (1964), soll dort ein Komplex aus Tourismusschule, Restaurant, Gastgartenterrasse und Boardinghaus entstehen und somit auch der 270-Grad-Aussichtpunkt am Ende des Ensembles verschwinden. In der vergangenen Woche hat der Planungsausschuss der Stadt Wien die Abrissgenehmigung erteilt, „der Schandfleck muss weg“ tönt es aus SPÖ und FPÖ. In letzter Sekunde meldete sich das Bundesdenkmalamt. Neueste (!) Forschungen (!!) hätten ergeben, dass ja Erich Boltenstern, Architekt des Ringturms und des Staatsopern-Wiederaufbaus, auch für das Kahlenberg-Restaurant verantwortlich war, dem im kommenden Jahr eine Ausstellung im Wien Museum gewidmet wird. Um sich vor Ort zu der Behauptung des Architekten Steiner „vom ursprünglichen Bau ist eh kaum mehr etwas da“ (laut profil) eine Meinung bilden zu können, findet am 21. Mai um 17 Uhr am Kahlenberg eine Begehung statt, veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Architektur.

Der Standard, Sa., 2004.05.15



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Kahlenberg Hotel

15. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

Betonkeller mit eingebauter Tradition

Das Weingut Manincor von Angonese, Köberl und Boday in Fotografien von Walter Niedermayr

Das Weingut Manincor von Angonese, Köberl und Boday in Fotografien von Walter Niedermayr

Als Nächstes, meint Walter Angonese, einer der drei, eigentlich vier Architekten, würde er gern eine Tiefgarage bauen. Er sagt es mit einem verschmitzten Lachen. Am großen Betonschlund des Weinguts Manincor hört sich das an, wie wenn jemand, der gerade von einer Amazonasexpedition zurückkehrt ist, nun behauptet, er möchte jetzt am liebsten an die Nordsee fahren.

Wahrscheinlich würde er wirklich gerne wieder in den Untergrund gehen, all die Fragen hinter sich zurücklassen, mit denen sich Architekten sonst abplagen. Entscheidungen zur Fassadengestaltung, zur Stellung der Baukörper, zum Ortsbezug - diese Themen, die nur in den wenigsten Fällen schlüssig aus einer spezifischen Bauaufgabe für einen speziellen Ort abgeleitet werden können und oft genug beim Blättern in aktuellen Architekturzeitschriften entschieden werden, spielen bei einem unterirdischen Bau einfach keine Rolle.

Als Baumaterial kam wegen der statischen Belastung nur Beton infrage. Das ist seit gut hundert Jahren ohnehin der Stoff, aus dem die Träume sind, aber nur in wenigen Fällen kann er in den hiesigen Breitegraden unverhüllt und ungedämmt verwendet werden. Es sei denn, der Bau ist eingegraben, steckt also in einer konstanten Klimazone, die seit jeher als Kühlquelle für die Weinlagerung angezapft wird.

Aber der Bau des Dreierteams aus Walter Angonese, Rainer Köberl und Silvia Boday ist mehr als nur ein Lager. Der Bauherr, Winzer, Ideengeber und in diesem Falle wohl wirklich vierte Architekt im Bunde, Michael Goëss-Enzenberg, wollte sämtliche Betriebsgebäude seines Weinguts unter die Erde verlegen, bis hin zum letzten Geräteschuppen.

Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Es gibt keine Showelemente, um Bustouristen nach Kaltern in Südtirol zu locken. Manincor ist kein Loisium, wo die Stollen zur Multimedia-Geisterbahn zurechtgebogen wurden, und es hat kein Café, keinen Lehrpfad, nur einen kleinen Holzbau, ein Wachhaus an der Rampe zur Unterwelt, in dem die Weine verkauft werden. Hinein in den Berg gelangt man nur auf eigene Faust, oder wenn triftige Gründe vorliegen.

Zum Beispiel bei der Traubenernte. Da werden die Tröge auf der breiten Rampe hinuntergefahren, in einen Lastenaufzug verladen und gelangen so im Hügelinneren in den obersten von drei fast identischen, übereinander liegenden Räumen. Der Weg der Traube verläuft ab hier entsprechend der Schwerkraft. Zwischen den verschiedenen Gär- und Pressstationen auf Pumpen völlig zu verzichten und stattdessen das Ergebnis eines Arbeitsschritts einfach durch Löcher in der Decke auf die nächst- tiefere Ebene sprudeln zu lassen, mag leicht esoterisch erscheinen. Ob es den Weinen genützt hat, so sanft behandelt zu werden, sollen andere entscheiden.

Für das architektonische Konzept war damit das Maß fixiert, wie tief in die Erde hineingebaut werden musste. Wären die drei Stockwerke oberirdisch errichtet worden, wäre zwangsläufig ins Landschaftsbild eingegriffen worden. Nur im Untergrund war es möglich, sich ohne Rücksicht so viel Platz zu nehmen, wie eben notwendig ist.

Um Raum im Hügel zu schaffen, wurde dieser zunächst in Teilen abgetragen, die Ränder der Grube wurden mit Spritzbeton gesichert und der eigentliche Bau als konventioneller Hochbau hineingesetzt. Dann erhielt das Ganze als Deckel eine Betonplatte mit so viel Erde darauf, dass wieder Weinreben angepflanzt werden konnten. Der geräumige Spalt zwischen den rauen Grubenwänden und dem fein verschalten Kerngehäuse dient als Klimaschacht. An einer Stelle taucht das Gebäude wieder auf, im Wurmfortsatz eines kleinen Pavillons für Degustationen. Er liegt am Ende einer Raumachse, die den Berg quer zur Hauptladerampe durchschneidet und die technischen Gär-, Press- und Lagerräume von der imposanten Eingangshalle trennt. Am einen Ende der Degustationspavillon, am anderen das historische Weingut, der Familiensitz der Goëss-Enzenbergs.

So viel Raumfülle entsteht nur bedingt als Abfallprodukt ausgetüftelter Produktionsanlagen. „Der Wein erzählt dir nicht wirklich, was du tun sollst“, meint Rainer Köberl, dessen M-Preis-Filialen auch nicht gehört haben, was Supermarktregale zu sagen haben.

Nichts an diesem Bau wirkt irgendwo abgelauscht, auch den Einflüsterungen der mächtigen Bauindustrie konnte widerstanden werden. Katalogdetails kommen nicht vor. Sämtliche Einbauten, sofern sie nicht dem Wein dienen, wurden aus angerostetem Stahl gefertigt. Um, wie Angonese sagt, Tradition und Patina gleich von Beginn hineinzuholen. Wenn es Vorbilder gibt, dann am ehesten bei Carlo Scarpa, dem Handwerksfetischisten aus Venedig, wo Angonese seine Studienzeit verbrachte.

Tradition und Neubeginn sind auch für Goëss-Enzenberg entscheidend. Manincor ist Jahrhunderte alt, aber erst seit knapp zehn Jahren wird aus den eigenen Trauben dort wieder ein eigener Wein hergestellt.

Der Standard, Sa., 2004.05.15



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Weingut Manincor

14. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

Generalsanierung im Allerweltsdesign

Das Hilton am Wiener Stadtpark trägt jetzt die Handschrift Hans Holleins

Das Hilton am Wiener Stadtpark trägt jetzt die Handschrift Hans Holleins

Als das Hilton im Jahr 1975 eröffnet wurde, kehrte der Jugendstil nach Wien zurück. Oder jedenfalls das, was amerikanische Hotelmanager sich darunter vorstellten. Die Lobby war eine holzvertäfelte Höhle, von einer Tiffanyglasdecke in schummriges Licht getaucht, es gab einen Ballsaal mit Ornamenten frei nach Gustav Klimt und an der Fassade rankten sich Balkongitter, die eher nach Paris als an einen groben Betonklotz gepasst hätten.

Mit diesen trüben Erinnerungen im Kopf wird man erst einmal aufatmen, wenn das Hilton am Montag nach 18-monatiger Bauzeit wieder in Betrieb genommen wird. Ein Eigentümerwechsel, von der Immobilientochter der Swissair zu den Familien Dichand und Soravia, brachte frisches Geld, der Umbau hat 61 Mio. Euro gekostet.

Hilton ist weiterhin nur Mieter, konnte für die Innenausstattung aber das Architekturbüro Robinson Conn aus London nominieren, das bereits bei anderen Hilton-Hotels tätig war.

Mit der Bereinigung der Fassade und dem Einbau eines Konferenzzentrums wurde Hans Hollein beauftragt. Dessen ursprüngliche Pläne sahen die Aufstockung des Hotel mit einer „Wolke“ aus gläsernen Kästen vor, in denen Luxusappartements und weitere Suiten untergebracht werden sollten.

Es stand zu befürchten, dass Hollein nach dem umstrittenen „Soravia-Wing“ vor der Albertina der Stadt nun ein weiteres Zeichen aus seiner privaten Bauformschatulle aufprägen werde.

Aber das Hilton geriet in den Strudel der Hochhausdebatte am gegenüberliegenden Bahnhof Wien-Mitte und man ließ die Pläne fallen, um nicht in heikle Weltkulturerbe-Gefechte verwickelt zu werden. Nun erinnert nur noch ein vereinsamter Leuchtkasten auf dem Dach an die ehrgeizigen Pläne.

Die Struktur der Bettenburg mit ihren vormals 600 Zimmern (nun 579) wurde kaum angetastet. Im Wettbewerb mit anderen erstklassigen Businesshotels zählen die bescheidenen Zimmergrößen anscheinend weniger als die Zahl der Konferenzräume, die auf zwölf erhöht wurde.


Keine Sterne

Doch so bleibt es bei der kuriosen Situation, dass Wiens Hilton das Einzige ist, bei dem auf eine Kategorisierung nach Sternen verzichtet wurde. Für den Fünfsternestandard sind die Bäder zu klein.

Den Gast erwartet auf den Zimmern die neueste Kommunikationselektronik, bis hin zur „denkenden“ Minibar, die jede Flaschenentnahme elektronisch auf die Abrechnung setzt.

Bei den Möbeln hält sich die Modernität in Grenzen. Helles Holz, beige Vorhänge und Raufasertapeten entsprechen dem Allerweltsgeschmack von circa 1995. Aber es gibt ja noch die fantastischen Ausblicke und, als besonderen Hinweis, in welcher Stadt man sich gerade befindet, die eigens angefertigte Hotelkunst mit verwaschenen Wien-Motiven.

Der Konferenzsaal, mit einem Fassungsvermögen von 870 Personen der größte in einem österreichischen Hotel, würde auch als Kulisse für eine Spielhalle in Las Vegas durchgehen. Es ist paradox: Was an räumlicher Großzügigkeit durch den Umbau dazugewonnen wurde, wird mit aufdringlich gemusterten Teppichen und einer nach wie vor in Designerschnörkel verliebten Innenarchitektur wieder voll gestopft.

Dasselbe gilt für die Eingangsseite an der Landstraßer Hauptstraße. Als wären die Siebzigerjahre doch noch nicht vorbei, wurde der Sockel mit dunklem Spiegelglas eingepackt. Die davor gesetzten wellenförmigen Stahllamellen sind wohl die Rache dafür, dass die Glaswolke fallen musste: Ganz ohne Duftmarke ist ein Hollein nicht zu haben.

Der Standard, Fr., 2004.05.14



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Hilton Hotel - Aufstockung

09. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

„Ich hatte zwei Lehrer: Maria und Loos“

Ein Schatzhaus für die Geliebte: Friedrich Kurrents Kunsthalle in Sommerein

Ein Schatzhaus für die Geliebte: Friedrich Kurrents Kunsthalle in Sommerein

Sie war 19 Jahre älter als er. Kennen gelernt haben die beiden sich 1958 und fuhren noch im selben Jahr zusammen nach Sardinien. Maria Biljan-Bilger hatte gerade ihr dreißig Meter langes Wandrelief für Roland Rainers Wiener Stadthalle fertig gestellt und sich bereits mit zahlreichen Ausstellungen, darunter die Biennalen von Venedig und Sao Paulo, einen Namen gemacht. Sie zählte zu den Gründungsmitgliedern des Art-Club, der legendären Geburtsstätte der österreichischen Nachkriegsmoderne im Keller von Adolf Loos' Kärntnerbar. Der Ort war eher Zufall als Programm, denn das kulturelle Kurzzeitgedächtnis hatte den Namen Loos gelöscht. Ihn wiederzuentdecken, daran sollte der junge Architekt Friedrich Kurrent später einen nicht geringen Anteil haben, der eine Kirche gebaut und einen Auftrag für eine zweite in der Tasche hatte, als er 1958 bei der Innenarchitektin Anna-Lülja Praun auf die Künstlerin Biljan-Bilger trifft, da war er sechsundzwanzig.

Kurrent ließ sich einen Bart wachsen und packte die mit jeder großen Liebe verbundene Chance, dem Leben einen neuen Horizont zu geben. „Die Erotik, die in einem Moment alle hundertausend Teilaspekte zusammenfaßt, ist eine heiße, lebensspendende Blüte. (...) Erst dadurch wurde ich zum Mensch“, schreibt Kurrent in seinem autobiografischen Werkkatalog „Einige Häuser, Kirchen und dergleichen“ (Verlag Anton Pustet 2001, � 35,50) über die Begegnung.

Ohnehin vielseitig interessiert und keine Gelegenheit versäumend, aus dem engen Korsett des Bauens und Denkens der Nachkriegsjahre auszubrechen, führte ihn Maria Biljan-Bilger in ihre Welt archaischer Formen, die sie in Keramikskulpturen und Wandteppichen bearbeitete. Ornamente, das wusste auch Loos, waren nur dann ein Verbrechen, wenn sie ihre kulturellen Wurzeln verloren haben. Die Nachkriegsjahre boten für eine mythisch durchtränkte Kunst ein günstiges Klima. Im ideologiegeschüttelten Europa sehnten sich nicht wenige danach, unter den brüchig gewordenen Zivilisationsschichten ein neues Fundament zu finden. Es war andererseits aber eine recht überschaubare Gemeinde, die Maria Biljan-Bilgers Arbeiten zu schätzen wusste. Vom Kunsthandel hielt sie sich fern, arbeitete lieber mit Architekten zusammen und leitete von 1970 bis 1987 das Bildhauersymposion in St. Margarethen.

Nur wenige Jahrzehnte nach der Entstehung waren etliche Werke bereits akut bedroht. Die Sandsteinwand am Ausflugslokal „Bellevue“ des Architektenpaars Windbrechtinger, die Skulpturen im Kinderfreibad Floridsdorf, Pflanztröge aus dem Einkaufszentrum Hietzing - einiges konnte gerettet werden, aber wohin?

So entstand in den letzten Lebensjahren der Plan, in Sommerein ein Refugium geretteter und nie verkaufter Kunst zu errichten. Ab 1962 hatte sich das Paar dort in einer alten Kapelle am Rand eines aufgelassenen Steinbruchs ein Sommerhaus eingerichtet, später erweiterte die Gemeinde das Grundstück im Tausch für neue Kirchenfenster. 1997 verstarb Maria Biljan-Bilger im Alter von fünfundachtzig Jahren, da standen bereits die Bruchsteinmauern. Sieben Jahre später, am 1. Mai, ihrem Todestag, wurde die Halle mit einem Architektenvolksfest eröffnet.

Zunächst finanzierte Kurrent den Bau aus eigenen Mitteln, später gründete sich aus dem Freundeskreis ein Verein, der Spenden, Fördergelder und Preisnachlässe der Baufirmen einsammelte und weiterhin aktive Mitglieder sucht (maria-biljan-bilger.at).

Am Wochenende ist zwischen Mai und Oktober (10-12 und 14-18 Uhr) die Halle nun geöffnet. Auch in den restlichen Monaten ist das Gelände begehbar. Der Steinbruch wurde von der Gemeinde in eine Grünfläche verwandelt, die Felswände blieben roh und ungesichert.

Kurrents Halle nimmt die Rauheit ihrer Umgebung auf. Mit den Steinen eines Abbruchhauses mauerte sich ein Trupp türkischer Bauarbeiter, der sonst an der Hainburger Stadtmauer tätig ist, exakt an den Grenzen des Grundstücks entlang. Niemand sonst aus der an Steinbrüchen reichen Umgebung des Leithagebirges war dazu noch in der Lage. Mit der geschwungenen Dachkonstruktion antwortet der Bau auf die Gewölbe der Weinkeller in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Halle sei eigentlich ein „Unterstand“, meinte der Filmtheoretiker Peter Kubelka bei der Eröffnung. Keine Wärmedämmung, rostige Lamellen statt Fenstern, mehr ein Werk- als ein Ausstellungsraum, kraftvoll wie die Kunst Maria Biljan-Bilgers.

Der Standard, So., 2004.05.09



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Maria Biljan-Bilger-Ausstellungshalle und Privathaus

02. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

Mehr Rot stünde Innsbruck gut

Nicht nur ein Kaufhaus mit Gleisanschluss: Der neue Hauptbahnhof von Riegler Riewe

Nicht nur ein Kaufhaus mit Gleisanschluss: Der neue Hauptbahnhof von Riegler Riewe

AA A B A B B A B - das ist keine Sequenz des menschlichen Genoms, das ist, von unten nach oben gelesen, der selbst für einen überdurchschnittlich architekturinteressierten Bahnreisenden sehr rätselhafte Rhythmus der Fassade beim neuen Hauptbahnhof in Innsbruck. Das 180 Meter lange und 12 Meter hohe Gebäude kommt mit genau zwei Fensterformaten aus, einem großen (A) und einem etwas kleineren (B).

Seit wann aber haben Bahnhöfe überhaupt Fenster? Besteht nicht die Gefahr, das Bahnhofsgebäude der Architekten Riegler Riewe für einen ungewöhnlich langen Bürotrakt zu halten? Der Ingenieursgeist, der einst die Eisenbahn vorantrieb, ihr Brücken schlug und Bahnhofshallen spannte, der Amerikas Westen und Österreichs Pässe eroberte - ist er müde und klein kariert geworden, zersplittert in tausend namenlose Schreibtischtäter hinter ebenso vielen Bürofenstern?

Die Architekten Florian Riegler und Roger Riewe haben sich weit vorgewagt. Jeder Architekt ihrer Generation kennt den Spott, der über zwei Gebäuden Mies van der Rohes ausgekippt wurde, die sich so ähnlich sahen, dass man sie verwechseln konnte. Nur steckte in der einen Hülle eine Kirche, in der anderen ein Kraftwerk. Der Schock, nicht mehr vom Publikum verstanden zu werden, fraß sich tief hinein ins Architektenselbstbewusstsein.

Aber für Riegler Riewe ist die Suche nach der einfachsten Form kein abgeschlossenes Kapitel. Die Architektur darf sich niemandem an die Brust werfen, sie ist kein flüchtiger Reiz wie eine gut gemachte Reklame. Die Glasorgien seiner Zeitgenossen seien ihm ein Graus, sagt Riegler, denn sie führten doch nur dazu, dass jemand kommen und eine gläserne Bahnhofshalle mit weithin sichtbarer Werbung vollkleistern werde. Glas sei ihm zu unentschieden und neutral, der Bahnhof aber solle Substanz haben und sich vor der Gebirgskulisse behaupten können.


Durchsichtig und massiv zugleich

Daher der rot gefärbte Beton, durchsichtig und massiv zugleich. Wäre ganz Innsbruck rot, würde es nicht manchmal so scheinen, als könnten die Berge die Stadt zerdrücken.

Die Farbe ist das einzig Expressive an diesem Bau. Ursprünglich sollte er viel kleiner sein, da war noch geplant, die bestehende Empfangshalle aus den fünfziger Jahren einfach weiterzubauen. Aber dann bot sich die Möglichkeit, durch einen Abbruch mehr Fläche auf dem Vorplatz zu gewinnen, der ebenfalls von Riegler Riewe gestaltet und im nächsten Jahr fertig gestellt wird. Von da an wurde die Frage entwurfsbestimmend, wie sich Bürobau und Halle in einer Großform verbinden lassen.

Die in Zeiten der „Bahnhofsoffensive“ geforderte Kommerzialisierung war ein weiterer zu integrierender Faktor. Um genügend Flächen für Geschäfte und Gastronomie in den Bahnhof hineinpacken zu können, ohne die Durchsichtigkeit der Halle zu gefährden, wurden diese ins Untergeschoss verlegt. Die Tiefebene, ein Lieblingskind der Stadtplaner der sechziger Jahre, ist hier sogar sinnvoll, denn wer zu den Zügen möchte, muss ja ohnehin unter den Gleisen hindurchtauchen. Das untere Niveau wird zusätzlich noch von der Tiefgarage unter dem Vorplatz beansprucht, sodass Reisende auf direktem Wege von den Zügen ins Auto umsteigen können.


nur bitte wo geht's hier zum Zug?

Ganz so einfach zu finden sind die Wege leider nicht für alle Reisenden. Kommt man von oben, betritt den Bahnhof also auf dem normalen Straßenniveau, dann liegt die Halle zwar in ihrer ganzen Reinheit vor einem, und man schaut auf die schrillen Shoppingangebote herab, als wären es Mosaike am Rand eines Swimmingpools. Bringt einen dann aber die Rolltreppe nach unten, soll man kaufen, kaufen, kaufen - nur bitte wo geht's hier zum Zug? Für ein Verkehrsbauwerk, bei dem die Übersichtlichkeit doch entscheidend sein sollte, ist das ein gravierendes Problem.

Nutznießer der Orientierungsschwäche sind vermutlich die Gewerbetreibenden, die sich den Reizen ihrer Umgebung aber strikt verweigern. Die Ausnahme ist der MPreis-Supermarkt, gestaltet von Rainer Köberl. Dort wird die Lage im Untergeschoss mit schwarzen Deckenspiegeln und einer guten Lichtregie aufgefangen und in eine funkende Höhle verwandelt.

Auch die Lage des Warte"saals" steht auf der Mängelliste. Nun kann man sagen, dass der Konsumzwang, der die Bahnhöfe in Shoppingcenter mit Gleisanschluss verwandelt, ein gesellschaftliches Problem ist. Aber ausbaden müssen es ja dann doch die Architekten. Die ÖBB wollten die Warteräume ursprünglich ganz streichen und ihre Problemklienten lieber an die Theken der schummrigen Tirolerstubenimitate verweisen, die der Bahnhof ebenfalls im Programm hat. Aber das war nicht durchzusetzen. Also wurde ein winziger Warteraum in die einzige nicht vermietbare Fläche hineingequetscht, unter eine Treppe. Dort kommt die Hälfte der Reisenden auf dem Weg zu den Zügen vorbei und darf sich das Elend ansehen. Für die, denen der Bahnhof den einzig warmen Ort bietet, ist das eine entwürdigende Vitrinensituation.

Zurück zu den großen Fragen der Architektur. Zu A A A B A B B A B. Das Spiel auf der Fassade folgt einer strengen Logik. Jede Büroetage hat drei Fenster bekommen (BAB), mal zwei, plus dreimal A für die Halle. Das ist das Geheimnis. Es bewahrt den Bahnhof davor, eine banale Großkiste zu sein, rationalistisch durchgeplant bis zur staubtrockenen Sprödigkeit. Die Vorbilder dieser Haltung sind von Innsbruck aus ohne Umsteigen mit der Eisenbahn zu erreichen. Im Italien der zwanziger und dreißiger Jahre blühte unter Mussolini ein eigenwilliger Zweig der modernen Architektur. Hier entstanden Betonkonstruktionen, die sich den Entwurfsdogmen verweigerten und dem Betrachter Rätsel mit auf den Weg gaben. Innsbruck wäre gut beraten, noch italienischer zu werden.

Der Standard, So., 2004.05.02



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Hauptbahnhof Innsbruck

18. April 2004Oliver Elser
Der Standard

Geplant - Errichtet - Verändert - Vernichtet

Roland Rainers letztes Werk ist ein Buch, so eigenwillig perfekt wie seine Architektur

Roland Rainers letztes Werk ist ein Buch, so eigenwillig perfekt wie seine Architektur

Bücher zu machen, war ihm so vertraut wie die Arbeiten auf einer Baustelle. Nur musste der vor einer Woche verstorbene Architekt Roland Rainer beim Bauen schweren Herzens delegieren, während er sich bei seinen Büchern nichts, wirklich gar nichts aus der Hand nehmen ließ. Das ganze Jahr 2003 hindurch arbeitete der 93-Jährige mit Hochdruck an einem letzten Buch, das nun vom Umschlag bis zur letzten Seite seine Handschrift trägt. Der Untertitel ist das lakonische Fazit eines langen Architektenlebens: Geplant errichtet verändert vernichtet.

Jede Bildunterschrift, alle Projektbeschreibungen, die Auswahl und Zusammenstellung der Fotos - alles wurde von ihm selbst geschrieben, diktiert, entworfen. Der Springer Verlag legte unzählige Aus- und Andrucke vor, bis auch bei der Bildbearbeitung das gewünschte Ergebnis erreicht wurde. Fotografiert hatte Rainer seine Bauten ohnehin meist selbst, da er dem Blick professioneller Fotografen misstraute.

Die Bücher gingen seiner Architektur voraus. 1935 promoviert Roland Rainer mit einer Arbeit über den Wiener Karlsplatz. Es folgt ein Aufenthalt an der Deutschen Akademie für Städtebau, Reichs- und Landesplanung in Berlin, wo zwei Forschungsarbeiten entstehen, die für sein weiteres Werk die Richtung vorgeben: Die zweckmäßige Hausform (1944) und Die gegliederte und aufgelockerte Stadt (1944, erschienen 1957) sind Plädoyers für das Einfamilien-Reihenhaus als kompakteste und technisch sinnvollste Bauweise. Dass seine Studien in einem ideologisch stark aufgeladenen Umfeld entstanden und im Zusammenhang von „volksbiologischen Anforderungen“ weitergereicht wurden, mag ihn im Nachhinein gegen autoritäre Gesten immunisiert haben. Das Hochhaus als Macht- und Spekulationsobjekt verachtete er. „Ja, der Rainer ist der Häuslbauer“, zitierte er selbst lachend das Etikett, das ihm Kollegen aufgeklebt hatten.

Man könnte auch sagen: Rainer war bereits ein fertiger Architekt, als er in den ersten Nachkriegsjahren zu bauen begann. Das Fundament hatte er in seinen Schriften errichtet. Aber er publizierte weiter. Bei anonymen Bauten im Burgenland, im Iran und in China fand er über Generationen gewachsene Belege für die „verdichtete Flachbauweise“, die seine Siedlungen prägte.

Doch Roland Rainer war alles andere als ein „Häuslbauer“. Fast sämtliche seiner Arbeiten kreisen um die Frage, wie das Zusammentreffen vieler Menschen so organisiert werden kann, dass der Einzelne keinen Schaden nimmt. Städtebau unter den Bedingungen des Automobilzeitalters war eine noch junge Disziplin, als Rainer 1958 das Wiener Stadtplanungsamt übernahm und 1963 unter Protest wieder verließ, weil die Widerstände aus Politik und Verwaltung seine Entwürfe zum Scheitern brachten. Seither galt Rainer als unbeugsamer Kämpfer für eine menschliche Moderne. Warum, fragt Rainer in einem seiner vielen Texte, kann auch ein technisch hochkomplexes Gebilde wie die ORF-Zentrale auf dem Küniglberg (1968-76) nicht so einfach funktionieren wie eine Stube mit einem Kachelofen? Seine Bauten sind Lehrstücke über den manchmal verzweifelten Versuch, den Architekturmaschinen der zweiten Jahrhunderthälfte die haptischen Qualitäten eines guten Werkzeugs zu geben, das der Benutzer sofort versteht.

Die von vielen Architekten der Moderne bewunderte Gotik mit ihren unmittelbar einleuchtenden statischen Prinzipien erhält in Rainers letztem Buch einen besonderen Platz. Nur ein einziges Foto zeigt nicht Rainers eigene Bauten, sondern ein gotisches Strebewerk. Rainer stellt die dramatische Abbildung den Pylonen seiner Bremer Stadthalle gegenüber. Zwischen 1961 und 1964 entstanden, seither verändert und in ihrer kühnen Reinheit vernichtet zählt die Halle zu Rainers „idealsten“ Konstruktionen. Das hängende Dach besteht aus einer dünnen Betonschale und ist wie ein Baldachin zwischen den schrägen Außenträgern aufgehängt. Zug- und Druckkräfte bilden ein kühnes, trotz seiner gewaltigen Dimensionen aber spielerisch-anschauliches System.

Was auch immer den Bauten Roland Rainers in Zukunft widerfahren wird: Das Buch ist ein Bild- und Textmanifest ersten Ranges, kein Architektur-, sondern ein großes Architektenbuch. Hinter der unzeitgemäß trockenen Gestaltung brodelt das Leben, dem Rainer die Lebendigkeit immer belassen hat.

Der Standard, So., 2004.04.18

11. April 2004Oliver Elser
Der Standard

Neuer Baustein für einen trostlosen Campus

Ernst Giselbrechts Biokatalyse in Graz nimmt Abschied von der Architektur der fetten Jahre

Ernst Giselbrechts Biokatalyse in Graz nimmt Abschied von der Architektur der fetten Jahre

Biokatalyse? Eine auf naturwissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit spezialisierte PR-Agentur würde dieses chemische Verfahren vielleicht so beschreiben:

Erinnern Sie sich an den Chemieunterricht in der Schule. Daran, wie der Lehrer ein Stückchen Magnesium mit dem Bunsenbrenner erhitzt, das sich daraufhin mit einer grellen Flamme verabschiedet und zu weißen Krümeln verbrennt. Stellen Sie sich nun vor, dass solche Prozesse auch ohne die Energiezufuhr aus dem Bunsenbrenner ablaufen könnten. In den Zellen des menschlichen Körpers finden permanent chemische Reaktionen statt, die denen im Chemiesaal der Schule nicht so unähnlich sind. Ohne Hitze und also mit geringem Energieverbrauch. Bei normaler Körpertemperatur.

Die Biokatalyse versucht, diese lauwarmen und hoch spezialisierten chemischen Umwandlungsprozesse aus der Natur zu isolieren und „nachzubauen“. Aus der Energie verzehrenden und mit schadstoffreichen Resten nicht kleinlichen Chemieproduktion wird eine „sanfte“ Technologie. Die Körperzelle kann ja auch nicht unbegrenzt Müll ausscheiden.

Bei einem Gegner jeglicher Gentechnologie würde diese Erklärung womöglich eine verstärkte Adrenalinproduktion auslösen. Die Werkzeuge des Reaktionsprozesses, die Enzyme, müssen genetisch verändert werden, damit sie ihre Arbeit auch außerhalb ihrer natürlichen Umgebung verrichten.

Ein Architekt hingegen käme vielleicht in Versuchung, die Biokatalyse als Fundgrube für Analogien und Metaphern auszuschlachten. Die Naturwissenschaft ist seit einiger Zeit das bevorzugte Terrain, auf dem sich Architekten ihre beim Entwerfen anscheinend unerlässlichen Hilfskonstruktionen besorgen.

Was in den Siebzigern die Soziologie, in den Achtzigern die Geschichte und in den Neunzigerjahren die Kunst war, sind nun Biotechnologie und Informatik. Da werden, etwa von den Niederländern MVRDV, ganze Landschaften aus Datenbergen modelliert oder, wie bei dem an der Wiener Angewandten lehrenden Amerikaner Greg Lynn, Ausflüge ins Tierreich unternommen, bei denen er Fliegenbeine und Quallenhäute als Elemente einer neuen Architektur entdeckt.

Ernst Giselbrecht, der Architekt des Grazer Biokatalysegebäudes, hat ein sehr viel nüchterneres Verhältnis zur Wissenschaft. Und das ist überraschend, wenn man sich seine bisherigen Bauten vor Augen hält.

Denn Giselbrecht stand bislang für eine sehr cleane, leicht technoide, in jedem Falle strahlend weiße Architektur, die einem vor dem österreichischen Hintergrund mit einer fast preußisch-protestantischen Aufgeräumtheit ins Auge stach.

Nichts davon bei der Biokatalyse. Das nach seinem Forschungszweck betitelte Gebäude der Technischen Universität Graz wird am 19. April offiziell eingeweiht, aber von der Petersgasse aus, die den Campus der „Neuen Technik“ begrenzt, ist das Haus nicht als Neubau zu erkennen. Verschiedene Forschungsinstitute stehen hier als Solitäre herum wie die Kühe auf der Weide. Der öffentliche Raum ist fest in der Hand der Parkplatzbewirtschafter. Mitten hinein in diese Ödnis hat Giselbrecht seinen kubischen Neubau gesetzt, der auf drei Seiten an eine Fertigteilschule der Siebzigerjahre erinnert. Diese Zurückhaltung rettet zwar nicht das Umfeld, fügt den aber bereits sehr in die Jahre gekommenen Instituten von Domenig / Eisenköck (Mathematik, 1989) und Szyszkowitz + Kowalski (Biochemie, 1991) nicht ein weiteres hinzu, das ein Star sein will, mittlerweile aber nur mehr alt und abgelegt aussieht. In seiner unaufgeregten Sprödigkeit orientiert sich der Bau eher am benachbarten Chemie-Institut von Karl Raimund Lorenz (1960). Dessen Rasterfassade übersetzt Giselbrecht an der einzigen „spannenden“ Seite der Biokatalyse in ein Spiel mit Klappläden.

Die nüchterne Außenform verdankt der Bau nicht zuletzt dem sehr begrenzten Budget. So schade es aus der Betroffenenperspektive auch sein mag, dass bei den öffentlichen Bauten die fetten Jahre vorbei sind, so nützlich ist dies zur Klärung, was in der Architektur wirklich notwendig ist.

Die Biokatalyse führt es exemplarisch vor: große, robuste Räume, die verschiedene Nutzungen zulassen, weil alle Installationsleitungen offen verlegt wurden. Gänge und Stiegenhaus werden natürlich belichtet. Nebenräume für Kopierer, Kaffeeküche und WCs sind nicht hinter einem Türenwald versteckt, sondern stehen frei im Raum. Auf jeder Etage gibt es, an der Seite der Lamellenfassade, einen Balkon, wo geraucht werden kann.

Ist es dann noch relevant, dass in diesem Haus geforscht und nicht nur verwaltet wird? Wo bleibt die Verbildlichung eines unsichtbaren Prozesses, die doch seit jeher ein bestimmender Teil der Architektur war? Der Architekt selbst hält einige Metaphern parat und erklärt, dass die Lamellenfassade die Lebendigkeit der Forschung nach außen übersetzen solle. Schließlich sei die Biokatalyse ein Modellvorhaben, wo Kooperationsprojekte von Universität und Industrie sich für einige Jahre ansiedeln könnten.

Beim Entwerfen sind solche Bilder vielleicht nützlich. Aber der fertige Bau kann getrost auf Erklärungen verzichten. Diese Architektur bräuchte eigentlich auf Seiten wie diesen gar nicht erläutert zu werden, wenn sie nicht durch ihre stille Einfachheit Fragen hervorrufen würde. Doch das ist ein Problem des Publikums, das daran gewöhnt ist, Architektur wie ein Kunstwerk deuten zu sollen. Für Häuser von großer öffentlicher Relevanz mag das berechtigt sein. Aber hier, auf einem Universitätscampus, gibt es keinen Grund, mit einer besonderen Gestaltung hervorzustechen. Besonders wenn schon die Nachbarn rechts und links den Beweis erbracht haben, dass Architektur mehr sein kann als nur eine Kiste mit Fensterlöchern darin.

Bei aller Selbstbeschränkung darf nicht übersehen werden, dass mit der Biokatalyse eine Freiraumgestaltung angestoßen wurde, die noch eines viel wirksameren Katalysators bedürfte. Die Landschaftsarchitektur (Büro ko a la, Graz), so Giselbrecht, reagiere auf den Bau mit Wällen, die sich wie Wellen um den Kubus herum ausbreiten. Bisher wurde erst ein einzelner Wall aufgeschüttet. Ob das Bild vom „Stein, der ins Wasser fällt“, wirklich so wörtlich realisiert werden muss? Die Grazer Biokatalyse hat das Gewicht, um Wellen zu schlagen, und sollte der Anlass sein, über den trostlosen Freiraum der „Neuen Technik“ neu nachzudenken.

Der Standard, So., 2004.04.11



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Biokatalyse TU Graz

03. April 2004Oliver Elser
Der Standard

Das Monument des Fliesenhändlers

Nachtrag zum Architekturführer Graz: Ein Schauhaus von Leeb Condak

Nachtrag zum Architekturführer Graz: Ein Schauhaus von Leeb Condak

Fliesen sind bei Architekten nicht sonderlich beliebt. In Badezimmern und Küchen meist unverzichtbar, stehen sie als „bekleidende“ Materialien aber unter starkem Behübschungsverdacht. Die Ideologie der Moderne hat alles verachtet, was an der Oberfläche haftet. Rein und nackt sei der Bau, seit gut einem Jahrzehnt sogar mehr denn je. Obwohl die große Säuberungsaktion weit zurückliegt, ist der Bannstrahl noch immer wirksam. Nur die Tapeten hat er noch schlimmer erwischt. Einst sogar eines der wenigen marktfähigen Produkte des Bauhauses, nimmt heute kein Architekt mehr die kiloschweren Musterbücher zur Hand.

Die clevere Industrie hat das brachliegende Feld zum Blühen gebracht und bietet Fliesen, Tapeten, Vorhänge und Bodenbeläge in ebenso vielen wie schaurigen Variationen. Paradoxerweise sind aber die Baumärkte, in denen all dies den gestaltungshungrigen Kunden erwartet, zunehmend sorgfältiger gestaltet. So sehr die Designoffensive von Baumax & Co zu begrüßen ist, die manche Blechkiste an der Peripherie in eine Perle der Baukultur verwandelt hat, so bizarr zeigt sich dort der Kontrast zwischen Produkten und Gebäude. Gartenzwerge und Jägerzäune vor Edelstahlfassaden.

Bei dem Ausstellungshaus der Firma Leeb in der Grazer Buchstraße waren die Architekten Peter Leeb und Christina Condak sich nicht zu fein, die Grenze zu überschreiten, den Graben zu füllen und die im Innern präsentierten Fliesen zum Thema des Entwurfs zu machen. Nicht ironisch oder zynisch - was Architekten mit der Postmoderne anzufangen wussten, ist zum Glück vorbei - und auch nicht anbiedernd.

Peter Leeb ist mit dem Fliesenverkauf seiner Eltern aufgewachsen. Er hat schon als Jugendlicher mitgeholfen, die Kojen mit Musterbädern einzurichten, von denen die meisten knallhart am Massengeschmack orientiert sind. Die Grazer Filiale ist bereits die dritte von ihm gestaltete, aber die biografische Verbundenheit vermag noch nicht zu erklären, wieso er zusammen mit seiner Frau in Graz ein Fliesenhaus entworfen hat, das in der österreichischen Gegenwartsarchitektur seinesgleichen sucht. Hier wird einmal nicht die fröhliche Platte mit den größten Hits irgendwie gewagter Konstruktionen und „schräger“ Räume („Grazer Schule“) oder der sauerstoffbeatmeten Neomoderne (der ganze Rest) gedudelt. Vielleicht war dies der Grund, warum dem Bau die Aufnahme in den neuen Grazer Architekturführer verwehrt wurde.

Die Wellenfassade mit den roten Glasmosaiksteinen erinnert auf Fotos an ein Parkhaus, nur ist das Gebäude in natura dafür viel zu klein. Die Fensterschlitze orientieren sich nicht an der Geschoß-, sondern an der Augenhöhe auf dem Eingangsniveau. Aber niemand wird aus dem Bau herausschauen, werden die Blicke doch durch verspringende Ebenen im Innern in den Raum hineingezogen.

Dem Haus die wenig originelle Dialektik von äußerem Schweigen und innerer Raumfülle zu bescheinigen würde zu kurz greifen. Auch außen schwingt die Konstruktion. Die kleinteiligen Fliesen sind ein ideales Material, um gekurvte Flächen damit zu bekleiden. Man könnte, dies wird in einigen der Musterkojen auch demonstriert, die Wände des heimischen Badezimmers mit Fliesen zum Fließen bringen.

Für rustikalere Bedürfnisse gibt der Bau ebenfalls ein Beispiel: Der zentrale Aufzugsturm erhielt ebenso wie die gesamte Tragstruktur aus Sichtbeton an der Seite einen Belag mit umgedreht verlegten Kacheln, deren geriffelte Unterseite nach oben weist.

Aber der „schlechte Geschmack“ kommt auch zu seinem Recht. Die Proben der Fliesenhersteller sind unübersehbar, die zu zeigen ja der Zweck des Gebäudes ist. Nur kennt das Haus keine Berührungsängste. Aus der so wenig geschätzten Welt der „Wohnkultur“ nimmt es auf, was sich verwenden lässt, und das ist bei näherem Hinsehen gar nicht so wenig.

Der Standard, Sa., 2004.04.03



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Ausstellungsgebäude Fliesen Leeb

27. März 2004Oliver Elser
Der Standard

Das Symphonieorchester auf U-Bahn-Niveau

Die neuen Säle des Wiener Musikvereins von Wilhelm Holzbauer: Ein Besuch im Untergrund

Die neuen Säle des Wiener Musikvereins von Wilhelm Holzbauer: Ein Besuch im Untergrund

Am Karlsplatz gleicht Wien einem Eisberg. Nur ein kleiner Teil der Gebäude schaut aus der Erde heraus, der überwiegende Anteil der Baumasse ist darin vergraben. Der unterirdische Raum umfasst die üppig dimensionierte Röhre für den hochwasseranfälligen Wienfluss, die drei Tunnel der U-Bahn sowie ein weit verzweigtes System aus Verbindungsgängen und Technikgeschossen, die bis zu neun Stockwerke tief hinabreichen. Würde eine gigantische Flutwelle dieses Bauwerk aus der Erde spülen, käme ein Gebilde zum Vorschein, das sich eine Zaha Hadid nicht bizarrer ausdenken könnte.

In einem sehr überschaubaren Teil des Geflechts sind nun weitere Räume hinzugekommen. Für die dringend benötigten Probenräume des Wiener Musikvereins kam nur eine unterirdische Lösung in Frage, da das Gebäude von Theophil Hansen nicht angerührt werden sollte. Zunächst war geplant, nur einen einzigen Saal unter der Platzfläche zwischen Musikverein und Künstlerhaus zu versenken. Aber da das Haus auch für die heute üblichen Formen der Fremdvermietung an Firmen oder Geburtstagsgesellschaften wenig Möglichkeiten bot, wurde das Raumprogramm erweitert.

Hinzugekommen sind nun ein großer und drei kleine Säle, die jeweils für Proben, Aufführungen und Veranstaltungen genutzt werden können. Auf zwei Geschossen füllen sie den Raum zwischen den Kellern von Musikverein und Künstlerhaus. Die Verbindung der Säle liegt im Altbau, dessen Kellerräume als lang gestreckte Foyer-Flure umgebaut wurden. Alles ist klar organisiert wie in einem überirdischen Gebäude. Wenn die Flutwelle eines Tages den unterirdischen Karlsplatz freilegen würde, müssten nur noch Fenster in die Betonwanne hineingeschnitten werden, dann stünde dort ein ganz normales, kubisches Haus.

Der Architekt Wilhelm Holzbauer ist nicht jemand, den das Bauen im Untergrund dazu anregen würde, den sehr speziellen Ort in den Entwurf mit einzubeziehen. Und die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ist kein Auftraggeber, der an Experimenten interessiert war, sonst hätte sie sich kaum für Holzbauer und seinen Partner Dieter Irresberger als Architekten entschieden.

Oberste Priorität hatte die akustische Qualität der Säle. Die besondere Herausforderung lag darin, den weltberühmten goldenen Saal des Musikvereins in seiner akustischen Wirkung zu kopieren, und zwar mit der verschärfenden Auflage, dass der neue große Probensaal exakt so zu klingen habe, wie das überirdische Original bei gefüllten Rängen. Der neue Saal im Tiefgeschoss ist daher in Breite und Höhe identisch, in der Tiefe aber ersetzen gebogene Glaspaneele mit Blattgoldbelag das Publikum. Ein symphonisches Orchester kann im „gläsernen Saal“ zwar proben, aber für Zuhörer wäre in diesem Falle kein Platz. Aufführungen werden dort nur mit kleineren Ensembles stattfinden. Die Idee der Erweiterung war nicht, die Kapazitäten zu verdoppeln, sondern neben den Probemöglichkeiten auch Raum für andere Musikformen anzubieten und, so der Generalsekretär Thomas Angyan, den Musikverein für ein jüngeres Publikum zu öffnen.

Die drei anderen Säle sind ebenfalls nach den Leitmaterialien des jeweiligen Innenausbaus benannt: Metallener, Steinerner und Hölzerner Saal. Das ist leider auch etwas hölzern auszusprechen, aber möglicherweise werden ja noch Sponsoren die Patenschaft übernehmen und einen Teil zum offenen Rest der Bausumme beitragen, wie das beim gläsern-goldenen „Magna Auditorium“ bereits geschehen ist.

Dass Glas, Metall, Holz oder Stein einen Saal dominiert, ist weniger minimalistisch umgesetzt, als es der Name verspricht. Einzig der dunkle Stahlsaal, der bei Festen auch als Disco betrieben werden kann, zeigt sich als Einheit aus schwarzem Noppenboden und gelochten Wandblechen. Im Steinernen Saal sind zusätzlich gläserne Vitrinen und ein wollener Spannteppich, im hölzernen auch eine Glasdecke zu finden. Möglich, dass dieser Mix, der akustischen Bedingungen folgt, zugleich sehr bewusst verwendet wird, damit die Architektur sich nicht durch eine ungewohnte „Konsequenz“ allzu sehr in den Vordergrund stellt, wie sie Architekten einer anderen Generation und Richtung nicht müde werden zu predigen. Ein wirklich prägnantes Raumerlebnis bietet nur der größte Saal, dessen goldverspiegelte Wände sich bei richtiger Beleuchtung aufzulösen scheinen. Die zu Foyers geweiteten Gänge sind in freundlichen Farben gehalten, die den Wunsch des Architekten erfüllen, es solle nicht so sehr nach Keller aussehen. Nun wirkt es nicht muffig, dafür aber recht bieder und harmlos. Herumgehen und staunen, wie bei Theophil Hansens Bau einige Stockwerke weiter oben, wird hier wohl niemand.

Andererseits: Warum sollte der Bau nicht dezent im Hintergrund bleiben und die Bühne frei lassen für die Musik? Vielleicht sollte er es - nur ist die Architektur heute meilenweit davon entfernt, einfach Selbstverständliches hervorzubringen. Das einzige Mittel, die Dominanz der 08/15-Details und gestalterischen Mätzchen abzuwehren, die den Architekten in jedem Baukatalog offeriert werden, der kostenlos ins Haus flattert, ist Haltung zu zeigen. Und daran mangelt es dem Bau. Er hat starke Momente, zweifellos. Und dann wieder Situationen, wie sie in jedem besseren Seminarhotel zu finden sind.

Wie eigenartig kräftig ist dagegen ein Teil, der dem Publikum nicht öffentlich zugänglich sein wird, aber die eingegrabene Fläche fast verdoppelt. Über dem Tunnel der U 2 entstand ein großer Lager- und Archivbereich. Hier werden unter perfekten klimatischen Bedingungen die wertvollen Notenbestände und Instrumente des Musikvereins aufbewahrt. Die Betonwände sind aus rein klimatechnischen Gründen mit einer zusätzlichen Backsteinschicht verstärkt. Die Materialität dieser nicht ganz raumhohen Wand hat ganz und gar nichts Rohbauhaftes, aber sie ist so ungewöhnlich wie die Bauaufgabe. Hier weiß man nicht nur, dass es ein besonderer Ort ist, tief unter der Stadt, sondern spürt es auch.

Der Standard, Sa., 2004.03.27



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Wiener Musikverein - Neue Säle

27. März 2004Oliver Elser
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Frauenräume

Für die Wiener Universität für Angewandte Kunst war es ein erfolgreiches Wochenende. Am vergangenen Samstag füllte das von der „Angewandten“ veranstaltete...

Für die Wiener Universität für Angewandte Kunst war es ein erfolgreiches Wochenende. Am vergangenen Samstag füllte das von der „Angewandten“ veranstaltete...

Für die Wiener Universität für Angewandte Kunst war es ein erfolgreiches Wochenende. Am vergangenen Samstag füllte das von der „Angewandten“ veranstaltete und von Margit Ulama organisierte Architekturfestival „Turn On“ den Saal des Radiokulturhauses. Einen Tag später wurde bekannt, dass Professorin Zaha Hadid mit dem Pritzkerpreis ausgezeichnet wird. Der Quasi-Nobelpreis für Architektur geht nun zum ersten Mal an eine Architektin. Hans Hollein, der in der nächsten Woche seinen siebzigsten Geburtstag feiert, erhielt den Preis 1985, auch er lehrte an der „Angewandten“. Zaha Hadid wird den Preis in St. Petersburg entgegennehmen. St. Petersburg? Auch diesmal hat der Architekturmäzen Pritzker ein sicheres Gespür für den passenden Ort. Unweit der Eremitage liegt das Kanonenboot, das die russische Revolution herbeischoss, der Zaha Hadid, zu Unrecht einst dem „Dekonstruktivismus“ zugerechnet, viel verdankt. Besonders die frühen Arbeiten zapfen ihre Energie aus der euphorischen Aufbruchsstimmung, die die Architekten nach 1917 beflügelte, in den Himmel zu bauen. Hadids Entwürfe sind mit der Zeit geschmeidiger geworden. Aber noch immer wird jeder ihrer Auftritte von einem Donnerhall eröffnet. oel

Der Standard, Sa., 2004.03.27

20. März 2004Oliver Elser
Der Standard

Kein Licht am Ende der Höhenstraße

Straßen, die nicht nur dazu dienen, von A nach B zu gelangen, sind ein Anachronismus, aber es gibt sie noch. Eines der wenigen noch im ursprünglichen Zustand...

Straßen, die nicht nur dazu dienen, von A nach B zu gelangen, sind ein Anachronismus, aber es gibt sie noch. Eines der wenigen noch im ursprünglichen Zustand...

Straßen, die nicht nur dazu dienen, von A nach B zu gelangen, sind ein Anachronismus, aber es gibt sie noch. Eines der wenigen noch im ursprünglichen Zustand befahrbaren Beispiele ist die Wiener Höhenstraße. Ihr touristischer Wert mag in Zeiten, in denen die jährliche Flugreise zu den Glücksdrogen breiter Bevölkerungsschichten zählt, ein wenig gesunken sein. Aber die zahllosen grünen Hinweisschilder, die den Autofahrer aus dem Stadtgebiet zur Höhenstraße leiten, gibt es noch und damit ein vages Bewusstsein, das auch eine „Straße an sich“ das Ziel eines Ausflugs sein kann. Die meisten Höhenstraßenbenutzer dürfte jedoch weniger das Knattern des Kleinsteinpflasters, die Haarnadelkurven oder die Landschaftsausblicke interessieren. Ihr Ausflugsverhalten wurde von der Generation der heute Siebzig- bis Neunzigjährigen geprägt, die mit dem ersten eigenen VW-Käfer aus der Stadt flüchteten, in einem Naherholungsgebiet ein bisschen herumspazierten, um dann in einem Gasthaus eine Jause zu sich zu nehmen.

Als die Höhenstraße und ihr touristischer Ziel- und Höhepunkt, das Kahlenbergrestaurant, entstanden, in den Jahren 1935 bis 1938, war die individuelle Massenmobilität noch ein visionäres Programm. Straße und Bauwerk scheinen eher zur Nachkriegszeit zu passen, wären da nicht die ideologische Nähe zur „Autowanderbewegung“ des NS-Regimes und die Vermutung, die Höhenstraße sei ein Arbeitsbeschaffungsprojekt gewesen, was von dem Historiker Georg Rigele (Die Wiener Höhenstraße, Wien 1993) aber bestritten wird.

Während die Straße noch weitgehend intakt ist und sofort in den Status des Weltkulturerbes erhoben werden könnte, bekam das von Erich Boltenstern 1936 fertig gestellte Restaurant die ganze Wucht der gastronomischen Moden zu spüren. Die verschiedenen Speisesäle und Gastgartenbereiche für jede Einkommensschicht wurden in den vergangenen Jahrzehnten in zwei kulinarische Gruselkabinette verwandelt, gegen die jede Rosenberger-Raststätte als Architekturperle durchgehen kann. Die Karikatur eines Heurigen auf der einen und ein schauriges Schlachtfeld in Pastellfarben, Chromleisten und Granitplatten auf der anderen Seite sind aber selbst an Werktagen für die zahlreichen Besucher kein Hinderungsgrund, auf den Kahlenberg zu kommen und den Blick auf Wien zu genießen. Immerhin bekommen die meisten einen Platz in der ersten Reihe.

Das soll sich nun ändern. Wie bereits vor einigen Wochen im STANDARD berichtet wurde, hat der Wiener Großbäcker Leopold Wieninger („Der Mann, der verwöhnt.“) das Gelände gekauft und will die bestehenden Gebäude abreißen lassen. Für etwa 20 Millionen Euro sollen dort eine Hotelfachschule, ein so genanntes Boardinghaus und wieder ein Restaurant mit großer Terrasse entstehen. Die Architekten sind Eric Steiner und Heinz Neumann, die in Wien mehrere Hochhäuser (Uniqa am Schwedenplatz, Justizzentrum im City Tower am Bahnhof Wien Mitte u.a.) errichtet haben und derzeit eine Umbauung des denkmalgeschützten Westbahnhofs planen.

Der Abriss des Restaurants und eines 1964 durch den Architekten Hermann Kutschera hinzugefügten Hotels sei unumgänglich, sagt Eric Steiner, der selbst noch bei Erich Boltenstern an der Technischen Universität studiert hat. Der vom Bauherren gewünschte Funktionsmix wäre die einzige Chance zur Wiederbelebung des Kahlenbergs, könne aber nicht im Bestand untergebracht werden, dafür seien die Anforderungen zu speziell.

Dagegen ist schwer zu argumentieren, liegen doch keinerlei Machbarkeitsstudien vor, denn der private Bauherr ist dazu nicht verpflichtet. Auf Seiten der Stadt Wien scheint das Interesse am Kahlenberg nicht sehr groß zu sein, denn Wieninger konnte mit dem Grundstück auch eine bereits genehmigte Planung (Architekten: Neumann und Steiner) erwerben, die eine viel höhere Bebauungsdichte vorsah, als jetzt realisiert wird. Doch auch diese moderate, die bisherige Silhouette nur geringfügig verändernde Variante birgt - vom Verlust des Boltenstern-Baus einmal abgesehen - einige Überraschungen, die nur im direkten Vergleich mit dem Bestand und auf den Plänen sichtbar werden. Da ist zum einen der Verlust der Aussichtsplattform am Ende des lang gestreckten Ensembles. Den Rundumblick über Wien und die Donaustadt haben zukünftig nur noch die Gäste des Boardinghauses, die in die eiförmigen Frühstückskanzel auf dem Dach des Hauses gelangen. Das Privileg, die Neubausiedlungen der sechziger Jahre auf der nördlichen Donauseite ausgeblendet zu bekommen, haben nur die Besucher der Sonnenterrasse vor der freigestellten Kirche. Vor ihnen öffnet sich ein für touristische Primärinteressen bereinigter Blickkorridor. Nur werden dort nicht mehr so viele wie bisher die Aussicht genießen können. Die „demokratische“ Sitzordnung Boltensterns, der die Tische in langen Reihe entlang der Hangkante auffädelte, um die besten Plätze zu maximieren, wird sich auf den Quadratflächen von neuem Restaurant und Gastgarten nicht realisieren lassen.

Mit Boltensterns Restaurant und dem immerhin recht kühn auf die Kante gesetzten Hotel von Kutschera droht nicht nur ein unter vielen Renovierungsschichten verborgenes Gebäude verloren zu gehen, dessen Wert für die Wiener Moderne die Architekturhistorikerin Iris Meder im folgenden Interview erläutert. Abriss und Neubau würden auch das ideelle Gegengewicht der Höhenstraße zerstören. Die Zeiten, in denen bis zu 4000 Gäste am Kahlenberg bewirtschaftet werden konnten, mögen zwar vorbei sein. Aber das Prinzip, den Wienern an einer einzigartigen Stelle ein einzigartiges Speisezimmer zu bieten, das auf historischen Fotografien so aussieht, als hätte man auf's Deck eines Flugzeugträgers eine endlose Reihe von Tischen gestellt, dieses Prinzip dürfte doch auch im Zeitalter der Privatisierung von Aussichtspunkten nicht ohne Reiz sein.

DER STANDARD: Frau Meder, Sie arbeiten zur Zeit an einer Ausstellung über Erich Boltenstern (1896-1991), die im Herbst 2005 im Wienmuseum gezeigt wird. Welchen Stellenwert hat die Kahlenberg-Anlage im Werk des Architekten?

Iris Meder: Sie ist zusammen mit dem Krematorium in Graz einer der wenigen Zwischenkriegsbauten Boltensterns. Die halte ich für bedeutender als seine zahlreichen, nach 1945 entstandenen Werke wie den Ringturm, den Wiederaufbau von Börse und Oper sowie die Gebäude für die Nationalbank. Das alles ist gute Nachkriegsarchitektur, aber nichts, was international wegweisend wäre. In der Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit Judith Eibl- mayr entsteht, soll es nicht darum gehen, Boltenstern als genialen Architekten zu präsentieren. Er ist eine historisch interessante Figur: Ein Moderner, der nicht emigriert ist, aber seine Professur verloren hat. Nach 1945 wurde er einer der einflussreichsten Architekten Wiens.

Was macht dann das Kahlenberg-Restaurant so bedeutsam?

Meder: Ich würde es „reflexive Moderne“ nennen. Erich Boltenstern stand in der Tradition von Adolf Loos, Josef Frank und Oskar Strnad, die aber jeweils fast nur Einfamilienhäuser gebaut haben, in denen Moderne und Tradition zu etwas Neuem, sehr Einzigartigem verbunden werden. Das wurde seinerzeit auch international wahrgenommen. Das Kahlenberg-Restaurant ist einer der wenigen größeren Bauten dieser „Wiener Schule“.

Wäre das ein Argument, den Bau zu erhalten?

Meder: Ja, auf jeden Fall. Am Kahlenberg fehlt nur ein gastronomisches Konzept. Die Leute werden weder wegen Boltenstern, noch wegen Neumann und Steiner auf den Kahlenberg kommen.

Der Standard, Sa., 2004.03.20



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Kahlenberg Restaurant

13. März 2004Oliver Elser
Der Standard

Architektur, zur besten Sendezeit im Bild

In den Abendnachrichten werden Bauten zu Bedeutungsträgern: Ein Fernsehprotokoll

In den Abendnachrichten werden Bauten zu Bedeutungsträgern: Ein Fernsehprotokoll

Jeden Abend dasselbe Ritual: Um 19 Uhr und 30 Minuten färbt sich der Fernsehschirm nachtblau, die Nachrichtenhymne setzt ein, wir sehen die Erde aus der Perspektive eines Satelliten unter uns, der Schriftzug ZIB erscheint. Es folgen kurze Einspielungen zu den Nachrichtenthemen. Dann schwillt, während die Kamera von schräg oben ins Studio blickt, die Musik wieder an. Geübte Zuschauer können jetzt schon erkennen, wer die beiden Sprecher für Nachrichten und Kultur diesmal sein werden. Für ca. drei Sekunden ist zu sehen, dass beide am selben Tisch sitzen, der die Form eines zum Zuschauer geöffneten Dreiecks hat. Im vergangenen Jahr wurde das Studiomöbel der Architektengruppe veech.media.architecture mit dem Staatspreis Design ausgezeichnet. Schnitt. „Guten Abend, herzlich willkommen bei der Zeit im Bild.“

Bis hierher folgt die ZIB einer Choreografie des guten Geschmacks. Was nun kommt, ist in der Hektik des Tagesgeschäfts entstanden. Berge von Bildern werden Abend für Abend beim Zuschauer abgeladen. Die Zeiten sind längst vorbei, in denen die Nachrichtensprecher noch die Nachrichten gesprochen haben. Die Themen werden meist nur noch anmoderiert, dann ist ein kleiner Film zu sehen, ein so genannter „Einspieler“, der von einer Stimme aus dem Off kommentiert wird. Das Bildmaterial ist jedoch selten so interessant, dass es selbst einen Nachrichtenwert hätte. Viele Einstellungen sind reines Füllmaterial, angehäuft aus dem Zwang heraus, jeden Satz mit Bildern unterfüttern zu müssen. Und dabei kommt, häufiger als man vielleicht vermuten würde, die Architektur ins Spiel.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „Einige ÖVP-Politiker vermuten, Franz Fiedler wollte mit der Bekanntgabe seine Kandidatur bis nach den Landtagswahlen warten.“ Wenige Sekunden zuvor noch sah man den möglichen Präsidentschaftskandidaten, wie er vor dem Marmorhintergrund der Parlamentswandelhalle ein Interview gibt. Dann werden die besagten Politiker zitiert, denen ein Auftritt vor der Kamera aber verwehrt bleibt. Also, so werden es sich der Redakteur und sein Kameramann gedacht haben, braucht es ein Bild, das den gesprochenen Text unterstreicht, ein echtes ÖVP-Bild. Jetzt hätte man auch einfach den Namen der Partei auf ein Papier schreiben und in die Kamera halten können. Stattdessen wird der Eingang zur Parteizentrale gezeigt und in einer zweiten Einstellung eine Ansicht der Fassade. Das Gebäude direkt am Wiener Rathaus ist wie geschaffen für den Sitz einer bürgerlich-konservativen Partei. Die Bilder sprechen durch das Medium der Architektur. Das allerdings nur, weil die Partei sich anscheinend sehr bewusst für ein Gebäude entschieden hat, das zu ihr passt.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „Verbindliche Bildungsstandards für österreichische Schüler“ Kameraschwenk im Klassenzimmer, die Schüler stecken ihre Köpfe zusammen und „büffeln“. Die Off-Stimme erklärt, sie hätten nichts zu befürchten, getestet werden solle die Qualität der Schulen, nicht die der einzelnen Schüler. Trotzdem ist es ein trauriges Bild. An diesem Klassenzimmer mit seinen beklebten Militärspinden und den merkwürdigen Wandverkleidungen ist die Schularchitektur der letzten Jahre mit all ihren vorzüglichen Beispielen vorbeigegangen.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „ÖIAG stellt weitere Privatisierungen für 2004 in Aussicht, darunter die Anteile an der Telekom“ Wirtschaftsnachrichten sind im IT-Zeitalter ein schwierig zu bebilderndes Thema. Postangestellte oder Bergarbeiter eignen sich für prägnante Bildmotive, aber womit die Telekom ihr Geld verdient, kann kaum gefilmt werden. Wieder ist die Architektur ein Umweg. Der Blick in die glasgedeckte Halle wäre auch an sich schon spektakulär, kann aber erst durch den grasgrünen Tresen mit roten Streifen ganz eindeutig zugeordnet werden. Schlechter ist es um die ÖIAG selbst bestellt. Die Holding der ehemaligen Staatsbetriebe ist so wenig greifbar, dass sich nur die videobestückte Gegensprechanlage in einem anonymen Bürobau zeigen lässt.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „Russisches Parlament bestätigt Premier Michail Fradkow“ Korrespondenten führen mitunter ein hartes Leben. Der Architekturhintergrund, vor dem Susanne Scholl frierend posiert, erfüllt dieselbe Funktion wie einst die Urlaubspostkarte. Er dient als Beweis. Frau Scholl ist unsere Frau in Moskau.

Freitag 5. 3., ZIB 1: „Zwischenbilanz der Diagonale“ Der Grazer Uhrturm ist auch mit Doppelgänger ein Wahrzeichen. Er hat zwar nicht direkt mit dem Filmfestival zu tun, steht aber genauso prägnant für Graz wie für Kultur.

Montag, 8. 3., ZIB 1: „Die Kärntner SPÖ berät ihr Verhalten bei der Wahl Jörg Haiders“ „Hinter verschlossenen Türen“ ist sprachlich ein treffendes Bild. Und genau so wurde die interne SPÖ-Diskussion auch illustriert. Die Einstellung dauert nur wenige Sekunden. Erst in der Aufzeichnung wird erkennbar, dass die sozialdemokratische Partei ihre Eingangstür mit zwei Blumengebinden schmückt, als sei es die Einfahrt zu einer Villa am Land.

Montag, 8. 3., ZIB 1: „Reaktionen auf die Landtagswahlen: Kritik an der ÖVP kommt auch aus Niederösterreich“ Als neu gebaute Landeshauptstadt eignet sich St. Pölten hervorragend für Fernsehbilder. Erst wird der Regierungssitz von außen gezeigt, dann sieht man Landeshauptmann Erwin Pröll an seinem Arbeitstisch vor einer riesigen Glasfassade.

Montag, 8. 3., ZIB 1: „Immer mehr Österreicher sind Schmerzpatienten“ Wo gelitten wird, muss es anscheinend auch entsprechend aussehen, das hatte sich ja bereits bei den Bildern aus dem Klassenzimmer bewährt. Die Arztpraxis dokumentiert den Architekturalltag in seiner tristesten Form. Nicht nur Architekten sollten spätestens jetzt das Programm wechseln.

Der Standard, Sa., 2004.03.13

06. März 2004Oliver Elser
Der Standard

Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten

Für Querkraft ist kein Gelände zu steil

Für Querkraft ist kein Gelände zu steil

Der eine Auftraggeber ist Arzt und schraubt in seiner XXL-Garage an einem Flugzeug herum. Der andere ist das, was man einen „selfmade man“ nennt, und verkauft Wintergärten an Leute, die mit ihren Wünschen nie zu einem Architekten gehen würden. Der eine wollte hoch hinaus, der andere musste es. Beide brachten Grundstücke mit, die zu steil waren, um einfach ein Haus darauf abzustellen.

Beiden konnte geholfen werden. Nicht, indem sie horrende Summen auf den Tisch legen durften, um sich von der Erdanziehung freizukaufen. Sondern mit intelligenten Konzepten, die aus dem Zwang der Verhältnisse die Kraft gewonnen haben, die einen guten Bau von Architektur unterscheidet.

Beide Bauten waren teurer als normale Häuser. Aber nicht so viel teurer, als man es vielleicht erwarten würde. Bei beiden gibt es viele Stellen, die ausgesprochen billig sind. Das Budget ließ ein wenig mehr Spielräume zu als bei einem Standardbau, aber das Geld floss ins konzeptionelle Gerippe, nicht in edle Details.

Das Haus für den Arzt und seine Familie steht in Wien, an einer für das Stadtbild von Ottakring sehr untypischen Stelle, wo sich der Arbeiterbezirk ins Liebhartstal hineinschmiegt und die Hänge von ausgebauten Kleingärten bedeckt sind. Für den Baugrund gab es Auflagen, die nur ein Haus genau in der Mitte der Parzelle erlaubten. Bei voller Ausnutzung wäre der Garten zu einem schmalen Passepartout rings um das Haus geschrumpft. Also wurde das Haus angehoben, um den Außenraum unter das Haus fließen zu lassen. Aber es ruht nicht auf Stützen. Der leichte Hauswürfel steht zu einem Drittel auf einer Betonböschung, zu zwei Dritteln hängt er in der Luft. In den geschlossenen Seitenwänden steckt eine Konstruktion, die man mit einem Kran vergleichen kann. Sie besteht aus einem senkrechten Mast und einem horizontalen Ausleger. Damit ein Kran am langen Ende des Auslegers große Lasten transportieren kann, muss am kürzeren Ende nur kräftig gezogen werden.

Von Außen kokettiert das Haus damit, ein Würfel zu sein, den ein Windstoß dazu bringen könnte, den Hang hinunterzupoltern. Im Innern aber ist seine ingenieurhafte Bauweise, die dieses Wagnis erst möglich macht, deutlich abzulesen. Die silbrige Schatulle ist dort sehr direkt, man trifft auf Stahlträger und Zugstangen, die in den Räumen eine Industriebauatmosphäre geben. Hier wurde nicht auf perfekte Details geachtet, sondern hie und da ein bisschen Geld gespart um, sich den eigentlichen Clou des Hauses leisten zu können. Der ja nicht nur darin besteht, über dem Hang zu schweben, sondern das Haus so weit wie möglich in den Himmel zu strecken. Vom Wohnzimmer in der dritten Etage reicht der Blick bis zum Stephansdom, von der Dachterrasse darüber geht er über ganz Wien hinweg.

Pragmatismus wäre nicht das richtige Wort für diese Haltung. Maximalismus bei jeglicher Bausumme, ausgeführt mit pragmatischer Rauheit trifft es besser. Die Architekten Jakob Dunkl, Gerd Erhartt, Peter Sapp und Michael Zinner hatten seit der Gründung von Querkraft im Jahr 1998 fast ausschließlich mit Bauherren zu tun, die sich eigentlich keinen Architekten leisten konnten. Dass dabei trotzdem Architektur entstand, beeindruckte einen früheren Auftragnehmer so sehr, dass er Querkraft für sein eigenes Gebäude anheuerte.

Oswald Vit ist einer, der auch Kühlschränke in der Arktis verkaufen könnte, aber er handelt mit Fenstern, Türen und vor allem Wintergärten. Vit brauchte einen Showroom, der nicht zu viel kosten durfte, aber doch genug Prestige abwirft, um seinen Kunden für die ohnehin nicht billigen Wintergärten in Zukunft ein bisschen mehr berechnen zu können. Dass erklärt Vit so schelmisch, dass man es ihm nicht übel nehmen kann. Er weiß genau, wie viele Autos täglich auf der Landstraße an dem Gewerbegebiet in Asperhofen in Niederösterreich vorbeifahren und ihn zum Gespräch der ganzen Region machen.

Die absurde Situation, dass ein Hanggrundstück als Gewerbebauland dienen soll, führt im Normalfall zu hohen Kosten. Zuerst muss der Hügel begradigt werden, dachten sich die Nachbarn und zogen monströse Stützmauern hoch. Oswald Vit aber war so clever, sich überzeugen zu lassen, dass die Terrassierung nicht nur die Landschaft vergewaltigt, sondern auch genauso teuer ist wie eine auf vielen kleinen Stützen stehende Röhre, die am höchsten Punkt des Hangs startet und dann gerade in den Raum hinausschießt. Die Röhre endet bei einer Höhe von sechs Metern über dem Boden mit einem großen Fenster, durch dass die Autofahrer für einen kurzen Moment die Wintergärten sehen können. Besucher gelangen durch eine Art Rüssel, den der Bau nach unten streckt, über eine lange Treppe in den Showroom hinein. Schmuckloser kann man es sich kaum vorstellen und setzt schon zur Frage an, ob der Eingang denn nicht zu sehr am Geschmack der Leser von Architekturzeitschriften ausgerichtet sei. Da gibt Vit, dessen Büro im zweiten, nach oben gerichteten Rüssel untergebracht ist, eine entwaffnende Erklärung. Zu viele sollten ja gar nicht heraufkommen, die nur durchs Gebäude neugierig geworden sind, dann wär' bloß eine Beratung ohne Geschäftsaussicht fällig, und seine Leut' sollten sich ja auf die echten Kunden konzentrieren.

Der Geschäftsmann hat klar erkannt, dass die Postmoderne vorüber ist. Ein überdimensionaler Wintergarten hätte das Geschäft nicht angekurbelt, sondern zunichte gemacht. Mehr solcher Unternehmer vom Schlage eines Vit und der Wirtschaft des Landes ginge es besser.

Der Standard, Sa., 2004.03.06



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06. März 2004Oliver Elser
Der Standard

Geburtsstunden der Großstadt

Das Wiener Architekturzentrum zeigt die erste Etappe der seit langem geplanten Dauer- ausstellung zur Entwicklung der österreichischen Architektur im 20. und 21. Jahrhundert.

Das Wiener Architekturzentrum zeigt die erste Etappe der seit langem geplanten Dauer- ausstellung zur Entwicklung der österreichischen Architektur im 20. und 21. Jahrhundert.

Wien - Es ist eine Binsenweisheit, aber sie kann nicht oft genug wiederholt werden: Architektur im Medium einer Ausstellung präsentieren zu wollen, stößt an die Grenzen des Darstellbaren. Gebäude lassen sich nicht ins Museum transportieren, nur abbilden, beschreiben, in Skizzen, Zeichnungen oder Modellen erfassen. Das Architekturzentrum Wien (AzW) hat sich in der Vergangenheit bemüht, das Dilemma zu umschiffen, und die Nebenprodukte der Architektur in den Mittelpunkt gestellt. Daraus sind wunderschöne Ausstellungen hervorgegangen, so etwa mit Skizzen von Steven Holl oder den Architekturbüchern der Sammlung Marzona.

Möglicherweise waren viele Besucher davon ein wenig irritiert. Es fehlte der Überblick, der Architekturbeitrag zum „Vienna in two days“-Programm. Mit der aschau bietet das AzW diesen Service nun an, entzieht sich gleichzeitig aber der schnellen Konsumierbarkeit. Die Ausstellung ist das Standbein auf etwa der Hälfte der verfügbaren Fläche und wird mit Sonderausstellungen kombiniert.

Die unsichtbare Basis des Großvorhabens, das ganze 20. Jahrhundert in einem Raum zusammen zu bringen, bildet das Archiv des Architekturtheoretikers Friedrich Achleitner, das sich seit einigen Jahren im Besitz des AzW befindet und in diesem Jahr in einer Online-Ausgabe zugänglich gemacht werden soll. Ausgehend von Achleitners prallgefüllten Zettelkästen haben die Kuratorinnen Gabriele Kaiser und Monika Platzer Berge von Material zusammengetragen. Sie präsentieren es auf einem Modulsystems der Gruppe Walking-Chair als dreidimensionalen Architekturführer. Die eigens entworfenen Stühle sind das wohl wichtigste Zubehör der aschau, der ein lesefreudiges Publikum zu wünschen ist.

Und das, was leicht einen Nachmittag füllt, ist erst der Epilog und umfasst Bauten zwischen 1850 und 1918. Lediglich eine Sektion zum Wohnbau reicht an die Gegenwart heran.

Nach den Monumentalplanungen der Wiener Ringstraße verschob sich die Bautätigkeit um die Jahrhundertwende auf „Nutzbauten, die einen demokratischen Zug“ aufweisen, so ein Zeitgenosse 1895. Otto Wagners Postsparkasse und Joze Plecniks Zacherl-Haus mit ihren „montierten“ Fassaden, die Stadtbahn und das Secessionsgebäude sind Elemente der modernen Großstadt, die den „vertanen Chancen“ (Achleitner) bei Bauten wie dem Kriegsministerium gegenübergestellt werden.

Obwohl auch die soziologischen und kulturellen Bedingungen jener Zeit gestreift werden und nicht zuletzt die stadthygienischen Maßnahmen wie die Regulierung des Wienflusses, liegt der Schwerpunkt der Ausstellung auf einzelnen Baugeschichten. Pläne und Zeichnungen erscheinen nur als Faksimile, was zwar schade ist, aber andererseits passt so jedes Blatt ins dichte Layoutraster, das die Ausstellung bei aller Fülle angenehm kompakt macht.

In den nächsten Monaten wird nachverdichtet und das Ergebnis dann auf Jahre im AzW zu sehen sein. Soviel Zeit muss sein.

Der Standard, Sa., 2004.03.06

28. Februar 2004Oliver Elser
Der Standard

Goldnugget in der Schutzzone

Eine Villa in Hietzing von AllesWirdGut, Rainer Pirker und werkraumwien

Eine Villa in Hietzing von AllesWirdGut, Rainer Pirker und werkraumwien

Wer das Glück hat, hier bauen zu können, der hat es geschafft. Nur ein paar Häuser weiter liegt hinter einer Mauer der Schlosspark Schönbrunn. Die Seitenstraße ist ruhig, und es gibt kein Gegenüber. Auf dem Grundstück stehen alte Bäume, und die Nachbarn rechts und links sind freundliche Altbauten, die einem das Gefühl geben, dass Tradition hier geschätzt wird. Kein Neubau weit und breit, der als Parvenu aus der Reihe tanzt und die Aussicht stören würde.

Als die Architekten den Entwurf einreichten, wird manche Alarmglocke geschrillt haben. Nicht nur die Abteilung für Stadtbildpflege nahm sich die Pläne vor, auch der Gestaltungsbeirat der Stadt Wien trat zusammen und prüfte, was sonst nur bei größeren Projekten passiert.

Alle Rahmenbedingungen waren penibel, wenn auch manchmal mit etwas gewagten Argumenten eingehalten worden. Was innerhalb der Ermessensspielräume lag, die verschränkten Außenformen und die goldene Aluminiumfassade, fand die Zustimmung der Fachkollegen im Beirat. Bei einigen Nachbarn kamen die Pläne weniger gut an, aber das ist ja das Schöne an der Demokratie, dass einem die nicht vorschreiben können, wie man zu leben hat.

Das Bauherrenpaar, eine junge Familie mit zwei Kindern, lebte bisher in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung. Auf der Suche nach geeigneten Architekten beauftragten sie eine Auswahl von Büros mit einem Vorentwurf. Gegen Spesenübernahme, was in Zeiten, in denen nicht nur jüngere Architekten nach Aufträgen schnappen wie ein Ertrinkender nach Luft, keine Selbstverständlichkeit ist. Der Zuschlag ging an eine Arbeitsgemeinschaft aus Rainer Pirker, der Gruppe AllesWirdGut, kurz awg, und dem Statikbüro werkraumwien.

Damit begann eine Zeit, die Friedrich Passler von AllesWirdGut so beschreibt, dass es wohl keinen Bau auf der Welt gibt, bei dem die Bauherren so intensiv mit den Architekten über den Plänen und vor dem Modell gesessen hätten. Zeitweise habe sich der Ehemann quasi hauptberuflich um die Entstehung des Hauses gekümmert. Und für awg sei es eine Selbstverständlichkeit, auf die Wünsche der Auftraggeber einzugehen.

Die bisherigen Projekte der fünf jungen, um 1970 herum geborenen Architekten gingen fast ausschließlich auf Wettbewerbe zurück, bei denen die Bauherren eigentlich nicht so recht wussten, was sie sich wünschen sollten. Und awg zeigte ihnen, was sie haben können, wenn sie über den eigenen Schatten springen. Wird ja alles gut, und wirklich, das wurde es auch.

Bei dem ersten Bau, einem Dorfgemeinschaftszentrum in Fliess in Tirol, gelang einem dort geborenen Mitglied der Gruppe, den Bürgermeister zu überzeugen, doch lieber einen Wettbewerb auszuschreiben, statt beim erstbesten Baumeister anzuläuten. Der erste Preis ging an den Initiator des Wettbewerbs, der gerade in den Niederlanden arbeitete und mit dem Sieg in der Tasche ein paar ehemalige Studienkollegen aus dem Zeichensaal der TU Wien zusammentrommelte. Viel Erfahrung hatten sie nicht, dafür einen an der niederländischen Architekturszene geschärften Sinn, in Konzepten und Szenarien zu denken, die erst in einem zweiten Schritt zu gebauter Form konkretisiert werden. In das minimale Volumen des Baukörpers wurde ein Maximum unterschiedlicher Räume hineingepackt, ohne auf natürliche Belichtung in allen Bereichen zu verzichten. Niemals hätte man in Fliess so etwas zu träumen gewagt, aber für Ort und Aufgabe war das Resultat genau das Richtige.

Zurück nach Hietzing. Die Villa ist in ihrer Komplexität mit dem Dorfhaus in Fliess vergleichbar, obwohl awg seither auch viel einfachere Projekte verwirklicht hat. Hier trafen sich die Lust der Architekten an der Vielfältigkeit räumlicher Situationen und die sehr genauen Vorstellungen der Bauherren, was ihr Haus alles können sollte.

Alle Entscheidungen gingen vom Garten aus. Um diesen so wenig wie möglich anzutasten, steht der Baukörper an der vorderen Grundstückskante. Aufgrund der Hanglage bot sich im Erdgeschoß eine Garage an. Doch während die Nachbarn in dunklen Kästen parken, tritt man hier in einen offenen Hof, auf den das Haus so aufgesetzt ist, als würde es gleich abheben. Durch Glaswände hindurch zeichnet sich bereits der Garten ab, der sich in diesem Bereich senkt, um Licht hierher zu führen und einen Freiluftbereich vor der Sauna zu schaffen. Die Treppe ins erste Geschoß verläuft parallel zur Straße, ist aber nicht die einzige Möglichkeit hinaufzugelangen, da eine Option vorzusehen war, das Haus später teilen zu können. Der Küchen-, Wohn- und Essbereich liegt auf dem Niveau des Gartens und ist zu dieser Seite vollständig verglast. Darüber schwebt, nur von schlanken Stützen gehalten, das „Nugget“, ein eher geschlossener, mit goldenen Aluminiumplatten verkleideter Baukörper, der Bade-, Schlaf- und Kinderzimmer enthält. Jeder dieser Lebensbereiche ist fein ausdifferenziert. Mit Niveausprüngen im Boden, Einbaumöbeln und bisweilen ausgestülpten Fenstern, die beispielsweise eine Blickverbindung aus der Badewanne in den Garten schaffen. Dieselbe Sorgfalt wiederholt sich im Außenbereich: Es gibt eine Terrasse für das Frühstück, eine vor dem Essbereich, dann noch den Garten mit Pool, darin eingegraben die Saunaterrasse und schließlich noch die Dachterrasse.

Die Vermutung, dass der Gestaltungswille vielleicht ein wenig überhand genommen hat, stößt an die harte Grenze der Privatsphäre mit ihren unantastbaren Wünschen und Vorstellungen. Die gilt gleichermaßen für Architekten und Kritiker. In wessen Namen sollte man etwas anderes verlangen?

Die Bauherren haben bekommen, was sie wollten, und das in einer konzeptionellen und räumlichen Denkweise, die zum Interessantesten zählt, was die österreichische Architektur gegenwärtig zu bieten hat. Das Haus passt wie ein Maßanzug. Zu den Bewohnern, ihrem Grundstück und zum Gelbstich der Häuser in der Umgebung.

Der Standard, Sa., 2004.02.28



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SI+ Golden Nugget

21. Februar 2004Oliver Elser
Der Standard

Harte Schale, weicher Kern

Nachlese: Das Literaturhaus in Graz von Riegler Riewe Architekten

Nachlese: Das Literaturhaus in Graz von Riegler Riewe Architekten

Einen Bau zu entwerfen, der nicht nach ganz vorne, am besten gleich aufs Titelblatt einer Architekturzeitschrift drängt, ist selten geworden. Das auch noch im Bewusstsein zu tun, dass das Gebäude ausgerechnet im Graz des Kulturhauptstadtjahres 2003 fertig gestellt werden und einen der kulturellen Anlaufpunkte bilden sollte, erfüllt den Tatbestand der unterlassenen Stadtmarketingleistung und wird in Zukunft sicher unter Strafe gestellt werden. Zu den mildernden Umständen könnte lediglich angemerkt werden, dass die Architekten Florian Riegler und Roger Riewe ansonsten zu den bekannteren Vertretern der Grazer Architekturszene zählen und bereits einiges dafür getan haben, dass die Stadt wie kaum eine andere in Österreich mit zeitgenössischem Bauen in Verbindung gebracht wird.

Seit Graz 03 hat dieses Image noch eine andere Richtung bekommen. Visionär sollte sie sein, die Architektur im Festivaljahr und brachte mit Murinsel und Kunsthaus zwei unbedingt covertaugliche, aber in ihrer visionären Kraft bereits arg in die Jahre gekommene Gebilde hervor. Beide wären in den 1920ern eine Weltsensation und in den sechziger Jahren immer noch ordentliche Knaller gewesen, entstanden doch seinerzeit Entwürfe dieser Art ausschließlich auf dem Papier. Aber erst im 21. Jahrhundert waren Bautechnik und Verrücktheit so weit entwickelt, es dann auch wirklich zu versuchen, organisch fließende Formen in ganz und gar nicht bewegliche Gebäude zu verwandeln. Mit zweifelhaftem Erfolg, aber überwältigender Resonanz.

Dem Grazer Literaturhaus ist zwar als neugegründeter Institution viel Interesse entgegengebracht worden, aber die Architektur ist dabei kaum mehr als am Rande erwähnt worden. Sie sticht ja zunächst auch gar nicht ins Auge. Wäre da nicht ein über die Straße gespanntes Transparent, würde sich das ehemalige Stadtpalais des Baron Mayr von Melnhof durch nichts von seinen Nachbarn in der Grazer Elisabethstraße unterscheiden. Die Anlage ist ein Eckhaus und bildet, mit dem Haupthaus und einem Seitenflügel entlang der Seitenstraße, die Form eines „L“. Dieser Figur haben Riegler Riewe einen weiteren Flügel hinzugefügt, so dass sich nun ein „U“ ergibt, das sich zum rückwärtigen Garten öffnet. Der neue Baukörper besteht aus gelb lasiertem Beton, wodurch eine Oberfläche entsteht, die an die vielen leicht vergammelten Fassaden im pseudo-barocken „Schönbrunner Gelb“ erinnert, denen Graz an manchen Tagen seine südlichen Reize verdankt.

Die einzelnen Teile des Anbaus sind von den Architekten wie Bauklötzchen zusammengestellt worden. Der breite Sockel enthält den Veranstaltungssaal und trägt den Gastgarten. Das darauf abgestellte und an die Grundstücksgrenze gerückte schmalere Klötzchen beherbergt das Café und in der obersten Etage das Archiv des Literaturhauses. Eine Funktion pro Etage, das lässt sich an Klarheit nicht mehr überbieten.

Im Innenraum zeigen sich die Tücken der bauklötzchenhaften Entwurfsweise. Dort hat der Entwurf nach dem Wettbewerb die meisten Änderungen erfahren. Hier zeigt sich auch, wie das Haus „angenommen“ wurde, denn seine Einweihung liegt gut ein dreiviertel Jahr zurück.

Es würde zu weit führen, die vielen kleinen Veränderungen aufzuzählen, die sich gegenüber dem ursprünglichen Konzept auf Wunsch des Bauherren ergeben haben. Da wurden Treppen umgedreht, Räume zusammengefasst und die Cafénutzung zu Lasten der Eingangssituation in den Veranstaltungsraum erweitert. Das alles war wohl möglich, weil die Raumaufteilung im Inneren auf dem Grundriss genauso schematisch erscheint, wie die äußere, auf den ersten Blick so lapidare Betonhülle. Was es wohl nahe gelegt hat, die Räume herumzuschieben wie die Elemente einer Einbauküche. Niemand hätte gewagt, so mit dem Altbau zu verfahren. Dort, wo Ausstellungsflächen, eine Bibliothek und die Räume des Franz-Nabl-Instituts der Universität Graz untergebracht sind, herrscht ein hohes Maß an räumlicher Klarheit. Alles ist um ein imposantes Treppenhaus mit anschließender Empore herum organisiert. Diese Raumform setzt einen Fixpunkt und erzeugt die Aufteilung der jeweiligen Geschosse wie von selbst. Die raumverschlingende Großzügigkeit des feudalen Palais entfaltet eine Kraft, die sich auf den Anbau leider nicht übertragen hat, weil das von den Architekten fein austarierte Gleichgewicht kein Zentrum hatte, aus dem heraus sich alles andere zwanglos ergibt. So hat man beispielsweise die Glasflächen im Terrassenboden, die ein darunter liegendes Foyer belichten sollten, nachträglich mit Folie verklebt, weil der Vorraum mittlerweile dem Veranstaltungssaal zugeschlagen wurde, und dort soll es ja dunkel sein. Wären die Räume ausformulierter gewesen, hätte das nicht passieren können.

Noch ist nicht alles verloren. Ein Rückbau, das ist der Vorteil weicher Raumaufteilungen, wäre jederzeit möglich. Die Nutzung des Literaturhauses hat sich in den Monaten seit der Eröffnung ohnehin verändert. Autorenlesungen benötigen in der Regel keinen so großen Saal. Andererseits werden nun Künstlergarderoben gebraucht, weil sich das Programm wegen des oft höheren Zuspruchs in Richtung Musik und Kabarett erweitert hat. Und dem Koch des Café Orange sollte auch nicht länger zugemutet werden, die Speisen vom Alt- in den Anbau durch den Außenraum zu tragen, da eine Küche in den ursprünglichen Plänen für das Café nicht vorgesehen war. Die Struktur ist da, nur noch nicht so recht das Bewusstsein, welche Qualitäten darin verborgen sind. Es wäre Zeit für ein Update.

Der Standard, Sa., 2004.02.21



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Literaturhaus Graz / Franz - Nabl - Institut

19. Februar 2004Oliver Elser
Der Standard

Zu viel Landschaft hemmt den Entwurf

Der Industrielle und Kunstsammler Herbert Liaunig hat fünf international bekannte Architekturbüros zu einem Museums- wettbewerb eingeladen, dessen Beiträge zurzeit in Klagenfurt ausgestellt werden.

Der Industrielle und Kunstsammler Herbert Liaunig hat fünf international bekannte Architekturbüros zu einem Museums- wettbewerb eingeladen, dessen Beiträge zurzeit in Klagenfurt ausgestellt werden.

Oft geht das Spiel ja so: Ein privater Sammler bietet einer Stadt oder Gemeinde an, seine Werke ausstellen zu dürfen, und verlangt im Gegenzug den Bau eines Museums. Die öffentliche Hand, von dürftigen Kulturbudgets ganz ausgezehrt, greift bereitwillig zu und erwirbt nicht selten die Katze im Sack. Ist doch die Errichtung eines Museums bei weitem günstiger als der kontinuierliche Aufbau einer eigenen Sammlung, und es wird zugleich eine prägnante Marke eingekauft. Die Sammlung des Kölner Schokoladefabrikanten Ludwig ist hierfür das beste Beispiel.

In diesem Falle liegen die Dinge etwas anders. Herbert Liaunig sammelt seit vier Jahrzehnten österreichische Kunst, die nach 1945 entstanden ist. Die Werke wurden bisher noch nicht öffentlich gezeigt. Nun plant der Sammler, der sich im Geschäftsleben auf den Erwerb angeschlagener Unternehmen spezialisiert hat, die er saniert und wieder verkauft, die Gründung eines eigenen Museums in Sichtweite seines Wohnsitzes an der Kärntner Grenze zu Slowenien.

Zur Realisierung des Museums in Neuhaus (slowenisch Suha) gibt es einen Zweistufenplan. Liaunig veranstaltete einen Wettbewerb unter fünf internationalen Architektenteams, die aufgefordert waren, eine „große Lösung“ zu erarbeiten, die dann umgesetzt wird, wenn das Land Kärnten etwa 30 Prozent der Kosten übernimmt. Andernfalls würde Liaunig eine kleinere Variante bauen lassen, die dann nicht für die Öffentlichkeit zugänglich wäre.

Die Entwürfe sind derzeit im Klagenfurter Museum für Moderne Kunst zu besichtigen, wo auch eine kleine Auswahl von Werken aus der Sammlung zu sehen ist. Wie aus dem Architekturzentrum Wien zu erfahren war, dessen Leiter Dietmar Steiner bei der Auswahl der Architekten beratend zur Seite stand, gibt es bereits einen Favoritenkreis. Dazu zählen die Entwürfe der Amerikaner Elisabeth Diller und Ricardo Scofidio sowie die Arbeit von Odile Decq aus Frankreich.


Zwei Favoriten?

Diller+Scofidio unterscheiden sich von den Mitbewerbern dadurch, dass ihr Museum nicht aussieht, als wolle es am liebsten unsichtbar in der Landschaft verschwinden. Die schräg in einen künstlich angehäuften Hügel eingegrabene Glasbox erzeugt zwar „points de vue“ nach jeder Seite, bleibt selbst aber kantig, abstrakt und räumlich sehr vielfältig. Für die Amerikaner, die bisher im theoriefreudigen Ostküstenmilieu der USA durch gleichermaßen sinnliche wie intellektuelle Kleinstarchitekturen hervorgetreten sind, wäre das Museum einer der ersten größeren Bauten.

Odile Decq, deren Punkfrisur sehr angenehm aus dem üblichen Architektenunderstatement herausragt, ist den entgegengesetzten Weg gegangen. Ihr Baukörper verschmilzt mit der Landschaft und terrassiert den Hügel, bleibt aber selbst recht eigenschaftslos.

Das lässt sich wiederum über die Arbeit des Slowenen Jurij Sadar und Bostjan Vuga nicht sagen: Bekannt wurde das Duo mit dem Gebäude der slowenischen Industrie- und Handelskammer in Ljubljana, einer frechen Antwort auf die „Rasteritis“ der industriellen Bauweise. Ihr Museumsentwurf in Form eines plattgedrückten Ufos ist hingegen in seiner Formverliebtheit ein schwacher Versuch, sich an den grassierenden Retro-Futurismus à la Kunsthaus Graz dranzuhängen.

Die ehemalige Partnerin des früh verstorbenen Spaniers Enric Miralles, Benedetta Tagliabue, hat sich als Einzige bis ins Detail mit der Frage beschäftigt, wie die gesammelten Kunstwerke, von denen auch im Museum nur ein Teil gezeigt wird, aufbewahrt werden, und daraus ein Präsentationssystem mit Kisten und Kästchen abgeleitet, dessen Kleinteiligkeit sich auch in der Gebäudeformation wiederfindet. Auch sie verzahnt das Museum sehr stark mit der Umgebung, wodurch einige landschaftliche Bezüge, wie etwa zur benachbarten Drau, verloren gehen, weil die Bauten sich zu sehr an den Grund schmiegen. Nur Diller+Scofidios erhabene und gleichzeitig vergrabene Glaskiste stellt auch diese Verbindung her.

Der Entwurf von Ben van Berkel und Caroline Bos aus Amsterdam zeigt sich als einziger so selbstbewusst, die Ausstellungsetage in den Himmel zu stemmen. Doch auch dort fließen die Wände pseudolandschaftlich durch den Bau und erzeugen schmale und damit kaum geeignete Galerieflure. Eine Entscheidung über das Siegerprojekt wird Herbert Liaunig voraussichtlich Ende Februar treffen.


[Museum Moderner Kunst Kärnten, Klagenfurt, Burggasse 8. Bis 18. 4. 2004]

Der Standard, Do., 2004.02.19

07. Februar 2004Oliver Elser
Der Standard

Und 365-mal in Ihrer Nähe!

„The Unit“ sind, in Stückzahlen gemessen, die erfolgreichsten Architekten Österreichs.

„The Unit“ sind, in Stückzahlen gemessen, die erfolgreichsten Architekten Österreichs.

Über den Reiz eines Produkts entscheidet nicht selten die Verpackung. Bücher machen da keine Ausnahme. Zum Beispiel Sex, der gerade noch jugendfreie Fotoband, den Madonna 1992 herausbrachte. Um die Zensoren der Ära George Bush sen. zu besänftigen, war das Buch in eine silbrige Hülle eingeschweißt, was den angenehmen und sicher sehr verkaufsfördernden haptischen Nebeneffekt hatte, dass es schon knisterte, bevor man das erste Bild gesehen hatte.

Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis das erste Architekturbuch in derselben Aufmachung auf den Markt kommen würde. Nun ist es so weit: „superdiscounit“ steht auf der schwarzen Plastikverpackung und drinnen steckt ein Bilderbuch, das eigentlich nur an Architekten über fünfunddreißig verkauft werden dürfte. Aber die Sitten sind ja schon seit Generationen so verlottert, dass es im Grunde auch wieder egal ist. Der Inhalt lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Ein Architekturbüro mit dem alles und nichts sagenden Namen The Unit strebt nach der Weltherrschaft und beginnt zunächst in Österreich eine Reihe wichtiger Konzerne so zu unterwandern, dass kein Kind mehr wird aufwachsen können, ohne mindestens einmal pro Woche ein Gebäude von The Unit zu betreten. Gestaltet ist das Buch als knallharter Architektenporno: kein Drumherum, keine Pläne oder Erklärungen, einfach Seite um Seite nackte, gebaute Tatsachen. Beim Durchblättern meint man die Euroscheine knistern zu hören: drei Filialen für die Verkehrskreditbank, vier für die Generali Versicherung, drei Merkur-Märkte, zwölf Jet2web-Shops, vierzehn Mondo/Bipa-Kombimärkte, zwanzig Filialen der Post und schließlich 365 Bipa-Geschäfte sowie gut drei Dutzend weitere Bank- oder Versicherungsfilialen, Messestände, Bürogebäude. Zwei, maximal drei Fotos pro Projekt und weiter zur nächsten Nummer. Das Buch will nicht überzeugen, nicht überreden, es soll überwältigen.

Doch der rasante Aufstieg von The Unit war zu Ende, bevor das Buch die Druckerei verlassen hatte. Die beiden Partner, Georg Petrovic und Wolfgang Bürgler, haben sich getrennt und gehen jetzt eigene Wege. Eine gute Gelegenheit, um zu fragen, wie Architektur unter den Bedingungen maximaler Verkäuflichkeit entstehen kann.

Ortstermin bei Wolfgang Bürgler, der nun unter dem Namen LIMIT firmiert. Im Sitzungsraum stehen noch die Reste einer Präsentation herum. Die Werbeagentur section.d hat für LIMIT ein Corporate Design entworfen, das sämtliche Bereiche des Architektenalltags abdeckt: Für Besuche beim Kunden gibt es Transporttaschen mit der Aufschrift SHOWIT, auf den Memo steht READIT, die Adressaufkleber sagen SENDIT und die Zündholzschachterln sind mit BURNIT bedruckt.

Section.d ist auch gleich das Stichwort. The Unit hat eng mit dieser Agentur zusammengearbeitet und war daher in der Lage, Projekte auf allen Maßstabsebenen durchzuarbeiten. Vom Shopkonzept bis zum Plastiksackl. So etwas ginge nicht mit jedem, es müsse auf beiden Seiten die Bereitschaft geben, ein allumfassendes Produktdesign zuzulassen, sagt Bürgler. Die Werber müssten im Raum, die Architekten im Medium der Grafik denken können.

Ist das die Neuauflage des alten Traums der Moderne von der grenzenlosen Gestaltung? Peter Behrens war wohl der erste Architekt, der für seinen Auftraggeber, die AEG in Berlin, ab 1907 als Architekt, Produktdesigner und Grafiker arbeitete. Sein Zeitgenosse Henry van de Velde ging so gar so weit, zur privaten Villa nicht nur Mobiliar und Geschirr, sondern auch der Hausherrin ein neues Abendkleid zu entwerfen. Das war exzentrisch und verrückt, aber andererseits hatte die große Ausdifferenzierung noch nicht stattgefunden, in deren Folge dann Gestaltungsexperten für jede Lebenslage bereitstanden. Die Architekten haben die Büchse der Pandora nicht wieder zuklappen können, aus der die Apostel der guten Form heraussprangen und jede Selbstverständlichkeit mit einem neuen Design überziehen wollten. Adolf Loos hat das sehr früh erkannt und mit Spott übergossen, doch vergeblich.

The Unit ist da viel pragmatischer. Man hatte das Glück, zur passenden Zeit am richtigen Ort seine Ideen präsentieren zu können. Mitte der Neunzigerjahre machte die wirtschaftliche Entwicklung einen Sprung nach oben. 1996 ging das deutsche Unternehmen Rewe in Österreich auf Shoppingtour und kaufte unter anderem Billa, Bipa und Merkur. Vom kleinen MPreis-Imperium in Tirol war schon in den Jahren zuvor erkannt worden, dass Architektur ein zunächst teures, auf lange Sicht aber wirkungsvolles Mittel sein kann, um Kunden an sich zu binden. Rewe nahm das Rennen auf und suchte in kleinen Wettbewerben nach neuen Ideen für die langweiligen Blechkisten am Rande der Stadt. Und The Unit ging mehr als einmal durchs Ziel. Man hatte aufmerksam die internationale Architekturszene beobachtet, die damals gerade den diskreten Charme des Minimalismus entdeckte. Also wurden die viel zirkulierten Vorbilder aus der Kunst der Sechzigerjahre neu zusammengesetzt: An eine Stahlkiste von Donald Judd schraube man zwei grellbunte Leuchtröhren von Dan Flavin, multipliziere mit dem Faktor 1000 und fertig ist der nächste neue Merkur-Markt.

Sonderlich innovativ war das nicht, sollte es aber auch gar nicht sein. Sondern wirkungsvoll und überwältigend. Kristallpaläste als Leuchtzeichen in der Peripherie. Der gestalterische Ehrgeiz galt eindeutig der Hülle, während im Inneren die Planer der Handelsfirma den eigenen logistischen und verkaufspsychologischen Rezepten folgten. Mit The Unit stand ein Partner bereit, der sich selbst als Dienstleister definierte. Georg Petrovic, die zweite Hälfte der Unit, wirkt etwas gequält, wenn er das erzählt. Er sehe sich mittlerweile lieber wieder als klassischer Architekt, der vom Entwurf bis zur Detailplanung alles in seiner Hand wisse. So faszinierend es auch gewesen sei, so viel Masse zu produzieren - jetzt würde es ihn nicht mehr befriedigen, nur noch in „Leitkonzepten“ zu denken, die andere dann umsetzen. Werbeagenturen hätten es da einfacher und würden für das Erstellen von Corporate-Design-Anleitungen auch ungleich höher bezahlt. Für The Unit sei das eben doch in erster Linie ein Zusatzangebot gewesen, um die Projekte mit dem verkaufsentscheidenden Mehrwert aufzuladen.

In der österreichischen Architektur wird der Schub, den The Unit ausgelöst hat, wohl noch lange spürbar bleiben. Man braucht nur nach Deutschland zu schauen, also ins wahre Heimatland von Billa, Bipa & Co, wo die Blechkisten immer noch Blechkisten sind, in denen verbissene Kunden fernab vom Tageslicht nach Schnäppchen jagen. Die Kolonialstädte der Engländer waren ja auch um einiges prächtiger als die eigenen. Nur ob es in Österreich immer Neon sein muss? Identitätshüllen können manchmal auch in Bambus und Bastmatten wunderbar funktionieren. Das zeigt der durchschlagende Erfolg einer „Organic Food“-Kette namens Trader Joe's in den USA. Und die gehört zur Mutter aller deutschen Billigmärkte, zu Aldi.

Der Standard, Sa., 2004.02.07

31. Januar 2004Oliver Elser
Der Standard

Der Dinosaurier an der Autobahn

Domenig und Eisenköck stemmen T-Mobile in den Himmel über der Südosttangente

Domenig und Eisenköck stemmen T-Mobile in den Himmel über der Südosttangente

Es gibt Projekte, da ist es angemessen, ja sogar notwendig, von einem der Grundsätze der Architekturkritik abzuweichen, der da lautet, dass ein Gebäude erst fertig gestellt und bezogen sein muss, bevor darüber berichtet wird. Es wäre zu schade, nicht jetzt dazu aufzufordern, hinaus nach St. Marx zu fahren und mit eigenen Augen zu sehen, wie sich der große, kantige Körper des Hauses aus den umgebenden Baugerüsten herauslöst. Es braucht den Maßstab der Arbeiter, der Kräne und der Baucontainer, um wirklich zu verstehen, wie gewaltig die Anstrengung ist, ein Haus so kühn in den Himmel zu stemmen.

Aber neigen nicht auch Architekten dazu, sich auf der Baustelle am wohlsten zu fühlen, umgeben von rohen Betonmassen, die ihnen die Kernform, das blanke Skelett des Hauses zeigen? Es gibt ja genügend Beispiele für eine ausgeprägte Rohbau-Fixierung, angefangen bei den „Haut und Knochen“-Hochhäusern eines Mies van der Rohe über die „brutalistischen“ Bauten Le Corbusiers (von franz. „brut“, also: roh, unbehandelt) bis zu den samtigen Betonkuben Tadao Andos und - ja eigentlich auch bis hin zum Steinhaus, dem Opus Magnum Günther Domenigs. Es ist unmöglich, auf der Baustelle für die T-Mobile-Zentrale nicht an das Steinhaus zu denken.

Doch das wäre eine tückische Referenz. Das Steinhaus ist eine Pretiose, eine mit Sorgfalt und schier unermesslichem Aufwand errichtete Privatangelegenheit, deren Bau sich über Jahrzehnte erstreckt hat und noch immer nicht abgeschlossen ist. Ein gebautes Manifest, wahrhaftig „brut“ und ohne Kompromisse. Die waren bei der T-Mobile-Zentrale nicht zu vermeiden. Dort wird der Beton an einigen Stellen in ein Mäntelchen aus Thermoputz gepackt, das beim Dagegenklopfen klingt wie ein leerer Pappkarton, sei es auch noch so viel Beton, der da im Inneren vor der angreifenden Kälte verborgen werden musste.

Aber mit dem Finger in der unvermeidlichen Dämmschicht zu bohren, die von den Architekten gehasst, aber zum Wohle der Allgemeinheit sehr zu Recht gefordert wird, kann nicht die Herangehensweise sein, einem Projekt wie diesem gerecht zu werden.

Das Haus ist zu allererst ein Drama der Baumassen. Davon können sich seit Monaten die Autofahrer auf der Südosttangente überzeugen. Ein niedriger Teil entlang des Rennwegs weicht von der Autobahn zurück, zuckt nach oben, fährt wieder hinunter, vollzieht eine Kehrtwende und stößt dann in Form einer weit in den Himmel ragenden Klippe wieder zur Hochstraße zurück. Das Ganze in Gestalt eines dunklen Bandes, das der Inbegriff einer seriösen Bürokiste sein könnte, wäre es nicht auf höheren Befehl hin derart in Ekstase geraten. Das Band lagert auf gedrungenen Betonfüßen. Nicht bloß aus der formalen Lust heraus, die schwarze Büromasse wie auf Fingerspitzen zu balancieren, sondern auch, weil das Haus im Erdgeschoss so offen wie möglich sein sollte, um dem dahinterliegenden Schlachthofareal als Torgebäude zu dienen. Dies wurde bei der Überarbeitung des Entwurfs zum Teil durch den Wunsch des Bauherren revidiert, hier mehr Büroflächen einzupassen.

Der Durchgang ist nun als breite Schneise angelegt, die den spektakulären, von T-Mobile genutzten Teil von der konventionell gebauten T-Systems-Zentrale trennt. Der Grund für diese auffallende Hierarchisierung liegt in der Geschichte des Projekts. Zunächst, da hieß das Mobilfunkunternehmen noch Max.mobil, ging es darum, lediglich die in Wien verstreuten Büroflächen zusammenzuschließen. Die Firma Architektur Consult, das Gemeinschaftsunternehmen von Günther Domenig und Hermann Eisenköck, wurde mit der Suche nach geeigneten Grundstücken beauftragt. Auch ob es ein Hochhaus oder doch ein Büroriegel werden sollte, war noch offen. Mit der Entscheidung für das verkehrsgünstig an der Flughafentrasse der S-Bahn gelegene Grundstück kam dann auch der Direktauftrag an die Architekten: Die Firmenzentrale plus weitere, frei vermietbare Flächen, an denen dann später die IT-Tochter der Deutschen Telekom, T-Systems, Interesse zeigte. Ein Wagnis, wenn man bedenkt, dass die Architektur Consult bis dahin kein Projekt dieser Größenordnung realisiert hatte. Aber der Vorstand von max.mobil wollte unbedingt Domenig und Eisenköck, und die Architektur Consult war bereit, das Gebäude zu den Kosten eines normalen Bürobaus abzuwickeln. Daran hatte auch der zwischengeschaltete Projektentwickler ein vitales Interesse, denn die beiden T-Unternehmen sind offiziell nur Mieter und die Immobilie müsste im Zweifelsfall auch auf dem freien Markt bestehen können.

Es dürfte auch dem Laien klar sein, dass ein schräges Haus mehr kostet als ein rechtwinkliges, auch wenn es vielleicht wegen der überdurchschnittlichen Architektur etwas höhere Mieten erzielt. Aber es bleibt das Geheimnis der beteiligten Unternehmen, wie sie es geschafft haben. Die Architekten, so viel steht fest, haben daran nichts verdient. Trotz straffen Managements und bei maximaler Verwendung vorgefertigter Elemente, etwa an der Fassade, sind die reinen Planungskosten, also die Zeit, die ein junger Architekt tüftelnd am Computer verbringt und klärt, wie zwei schräge Ebenen zusammenkommen, so immens, dass der Gewinn dabei draufgeht.

Da hilft es auch nichts, dass das Haus trotz seiner mehrfach geknickten Form mit relativ einfachen, horizontalen Büroebenen gefüllt ist und die meisten Fassaden lotrecht stehen.

Gut, auch ein Frank Lloyd Wright war bisweilen so knapp bei Kasse, und da hatte er schon Wegweisendes gebaut, dass er für die seinerzeit enorme Summe von 100 Dollar pro Stunde Entwurfskorrekturen bei weniger begnadeten, aber finanziell erfolgreicheren Kollegen geben musste. Geld haben die wenigsten wirklich guten Architekten, selbst der oft als Turbokapitalist gescholtene Rem Koolhaas war schon pleite. Aber trotzdem bleibt die Frage, was das Gebäude eigentlich jenseits seiner wahrhaftig grandiosen Großform zu leisten imstande ist. Nicht in einem ökonomischen Sinne, also ob es „sich rechnet“ (rechnet sich denn der Stephansdom?), sondern ob es in irgendeiner Weise die Architektur voranbringt. Da fiele einem zum Stephansdom doch einiges ein.

Das T-Center hat da weniger zu bieten. Aus seiner Gestalt schlägt kein Funke, der das starke Formwollen der Architekten auf eine andere Ebene hebt und dem Gebäude eine höhere Plausibilität verleiht. Das Haus kann eigentlich kaum etwas, das ein normales Bürogebäude nicht auch bietet. Abgesehen davon, dass es in einigen Büros wegen der schrägen Decken größere Raumhöhen gibt und die Büroflure wegen des unregelmäßigen Baukörpers jeweils unterschiedlich geschnitten sind.

Man erwartet aufgrund der Form einen Mehrwert, doch der Mehrwert ist die Form selbst. Was haben die Architekten der letzten Jahre sich bemüht, um zu zeigen, was ein Bürobau alles sein kann, haben Decken aufgebrochen, Gärten angelegt, ganze Wohnzimmerausstattungen in die Büros verpflanzt, sich an Klimakonzepten totgerechnet und scheinbar immer wieder alles auf den Kopf gestellt. Hier am Rennweg ist davon nichts zu spüren. Da steht nun ein Dinosaurier, der eine glänzende Figur macht, doch das kann unmöglich alles sein.

Der Standard, Sa., 2004.01.31



verknüpfte Bauwerke
T-Center St. Marx

19. Januar 2004Oliver Elser
Der Standard

Netter Nobody im Fegefeuer der Eitelkeiten

Michael Arad wird die Auszeit gut gebrauchen können, die ihm sein Arbeitgeber, die New Yorker Wohnungsbaubehörde, ursprünglich deshalb gewährt hatte, weil der junge Architekt sich mehr um seinen fünf Monate alten Sohn Nathaniel kümmern wollte.

Michael Arad wird die Auszeit gut gebrauchen können, die ihm sein Arbeitgeber, die New Yorker Wohnungsbaubehörde, ursprünglich deshalb gewährt hatte, weil der junge Architekt sich mehr um seinen fünf Monate alten Sohn Nathaniel kümmern wollte.

Seit entschieden wurde, dass Arads Entwurf für das Memorial für das World Trade Center zur Ausführung kommen wird, steht er im Rampenlicht. Wo er sich nicht sonderlich wohl zu fühlen scheint - aber gerade das macht ihn zu einer sympathischen Figur. Der 31-jährige Arad repräsentiert den netten, schüchternen Nobody, dessen Persönlichkeit vollständig hinter seinem Entwurf verschwindet.

Das Publikum nimmt es mit Wohlwollen zur Kenntnis, hatte sich Ground Zero doch in den letzten Monaten zu einem Schauplatz der Eitelkeiten entwickelt. Der Bau des „Freedom Tower“ drohte wegen der Hahnenkämpfe ins Stocken zu geraten, in die sich Daniel Libeskind und sein vom Bauherrn aufgezwungener Partner verstrickten.

Um sich die Divenhaftigkeit von Stararchitekten wenigstens beim Memorial-Wettbewerb zu ersparen, wurde dieser so offen wie möglich ausgeschrieben. Beteiligen konnten sich alle Bewohner des Planeten Erde jeder Profession, was dann auch zu einem Feld von 5201 Kandidaten führte. Aus diesem Heuhaufen zog die Jury acht Arbeiten heraus, die in die zweite Entscheidungsrunde gelangten. Arads Entwurf galt bis zuletzt als Außenseiter - sehr spröde, minimalistisch, mit zu wenig Pathos beladen. Doch dann tat sich Arad mit dem angesehenen, mehr als doppelt so alten Landschaftsarchitekten Peter Walker zusammen und konnte die Kritiker besänftigen. Die Wasserbassins in den „Fußabdrücken“ des zerstörten World Trade Centers sollen nun von einem Park eingefasst werden.

Obwohl Arad bisher nicht mit Mahnmalen oder Projekten vergleichbarer Größe in Berührung gekommen war, könnte er dennoch genug Lebenserfahrung haben, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein: Der israelische Staatsbürger und Sohn eines Diplomaten verbrachte seine Kindheit in Israel, Mexiko und den USA, ging zum Militärdienst nach Israel zurück und lebt seit 1991 dauerhaft und verheiratet in New York, hat ein Kind und zwei Hunde.

Rückendeckung für Arad kommt von Jurymitglied Maya Lin, die 1980 als 21-jährige Architekturstudentin den Wettbewerb für das Mahnmal der Vietnamveteranen gewonnen hatte. Auch sie verzichtete auf große Gesten und schuf mit ihrer Wand aus Abertausenden Namen getöteter Soldaten eine neue, individualisierte Form des Gedenkens. In Arads Entwurf sollen die Namen der 2982 New Yorker Opfer des 11. Septembers in zufälliger Reihenfolge erscheinen, um das Chaos und die grausame Beliebigkeit an jenem Tage festzuhalten.

Der Standard, Mo., 2004.01.19



verknüpfte Bauwerke
Ground Zero - Gedenkstätte

16. Januar 2004Oliver Elser
Der Standard

Klösterliche Abschottung in der Stadt, die niemals schläft

Michael Arad, der Wettbewerbssieger für das Ground-Zero-Mahnmal hat seinen überarbeiteten Entwurf vorgestellt. Relikte des Terroranschlags sollen nun in unterirdischen Hallen präsentiert werden. Die strenge Symbolik des Memorials droht verloren zu gehen.

Michael Arad, der Wettbewerbssieger für das Ground-Zero-Mahnmal hat seinen überarbeiteten Entwurf vorgestellt. Relikte des Terroranschlags sollen nun in unterirdischen Hallen präsentiert werden. Die strenge Symbolik des Memorials droht verloren zu gehen.

Wer je New York besucht hat, dem werden sich nicht nur die Hochhäuser und das Gedränge in den Straßenschluchten ins Gedächtnis eingebrannt haben.

Die Stadt, die niemals schläft, ist von einem permanenten Lärmpegel erfüllt. Ständig heult irgendwo eine Polizei- oder Feuerwehrsirene. Da war es fast nahe liegend, dass der junge Architekt Michael Arad bei seinem Mahnmalentwurf für Ground Zero auf den mächtigsten natürlichen Filter gegen den Großstadtlärm zurückgriff. Er verwandelt die „Footprints“ der beiden zerstörten Türme in riesige versenkte Becken, zu denen das Wasser vom Rand der einstigen Krater herabstürzt wie an den Niagarafällen. Das rauschende Wasser schottet den Ort akustisch gegen die Außenwelt ab.

Nachdem bereits in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass sich Arad mit seinem minimalistischen Entwurf gegen den Multimedia-Schnickschnack der anderen Bewerber durchsetzen konnte, ist nun der vorerst letzte Stand der Pläne veröffentlicht worden.

Sanfter Druck aus Reihen der Wettbewerbsjury sorgte dafür, dass Michael Arad mit einem mahnmalerfahrenen Landschaftsarchitekten zusammengespannt wurde, der sich für eine Bepflanzung des riesigen Areals stark machte. Auch Daniel Liebeskind, der mittlerweile in die Rolle des Beraters abgeschobene Masterplaner, hatte einen Park vorgeschlagen und auf eine Überarbeitung des ursprünglich strengen, in nüchternem Schwarz-Weiß gezeichneten Plans gedrängt. Und nicht zuletzt die Opferverbände fanden Gehör. Arad erweiterte seine Mahnmalanlage um weitere unterirdische Räume, wo die Relikte des Terroranschlags nun ausgestellt werden sollen.

Wie so oft führte der Wunsch, es möglichst allen irgendwie Beteiligten recht machen zu wollen, zu geradezu absurden Ergebnissen. Noch am verständlichsten ist die Bepflanzung der ehemaligen „World Trade Center Plaza“. Dort gab es auch vor dem Terrorangriff einen öffentlichen Ort, einen der seltenen Freiräume auf der dicht gepackten Spitze Manhattans. Auch künftig werden hier Pausensandwiches verzehrt und nicht nur Trauerbesuche absolviert werden. Der Weg hinab an den Rändern der Wasserfälle entlang wird nun nicht mehr durch wuchtige Betonröhren führen, auch da ist die Veränderung eine Verbesserung.


Unterirdische Halle

Der eigentliche Ort des Gedenkens aber wurde gigantisch aufgeblasen. Die bisherigen Pläne zeigten eigentlich eine schlichte, zur Seite der Wasserbecken offene Galerie. Hinter einem Schleier aus herabrauschendem Wasser konnten die Besucher um die Leerstelle der beiden Hochhäuser herumgehen, begleitet von einer Brüstung, die die Namen der Opfer trägt.

Diese fast klösterliche Anlage wird nun um eine ganze Etage erweitert, die unter der Wasserfläche der Bassins liegt. Den Boden dieser mit 10.000 Quadratmetern Grundfläche wahrhaft gigantischen Halle bildet die unerschütterliche Granitschicht, die den Hochhäusern Manhattans ihr Fundament gibt und nach dem 11. 9. 2001 zum metaphorischen Rückgrad der Nation erklärt wurde.

Die Ingenieurleistung, unter dem Becken noch eine weitere Ebene einzuziehen, ist nicht nur ein grotesker technischer Kraftakt, sondern stellt die Symbolik des ganzen Entwurfs auf den Kopf. Bisher verschwand das von den Kraterwänden herabstürzende Wasser durch einen quadratischen Abfluss inmitten des Bassins irgendwo in der Tiefe. Sein Lauf bleibt dem Betrachter verborgen - ein leiser Hinweis auf die Ohnmacht, der die Opfer ausgeliefert waren.

Nun muss das Wasser über der Halle abgefangen werden, damit die Besucher der Gedenkstätte trockene Füße behalten. Sie schauen durch den Ablauf des Wasserbassins in den Himmel und werden sich wundern, wie man die tosende Gewalt des Wasserfalls zu ihren Köpfen einfach abschneiden kann.

Das absurde Bild wird wohl nur mithilfe von Spezialisten aus dem Entertainmentpark-Bereich realisiert werden können. Da mögen Türme einstürzen und Imperien ins Wanken geraten, aber trotzdem behalten wir die Kontrolle, soll das wohl heißen.

Der Standard, Fr., 2004.01.16



verknüpfte Bauwerke
Ground Zero - Gedenkstätte

Profil

Architekturstudium in Berlin
1999 – 2006 Ausstellungsprojekt Sondermodelle, mit Oliver Croy
2003 – 2006 Architekturkritiker und Journalistin Wien (Der Standard, profil)
Seit 2007 Kurator am Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt / Main
2016 Kurator der Ausstellung des deutschen Pavillons der Architektur-Biennale 2016 in Venedig
2017 Co-Gründer des CCSA (Center for Critical Studies in Architecture)

Lehrtätigkeit

2006 – 2007 wissenschaftlicher Assistent an der TU Graz, Lehrstuhl Prof. Hild
2012 – 2013 Vertretungsprofessor für Szenografie, FH Mainz
2021 Vertretungsprofessor für Architekturtheorie, KIT (Karlsruhe)

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften
AICA, BDA (a.o.)

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