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17. Juli 2009Ute Woltron
Der Standard

Julius Shulman 1910-2009

Zum Tod des einflussreichsten Architekturfotografen des vergangenen Jahrhunderts

Zum Tod des einflussreichsten Architekturfotografen des vergangenen Jahrhunderts

Sein bekanntestes Foto zeigt ein fast zur Gänze aus Glas gebautes Haus von Pierre Koenig. Es scheint über dem schachbrettartigem Lichtermeer von Los Angeles zu schweben. Hinter einer gläsernen Wand sitzt ein weißgewandetes Fräulein artig exakt in der Bildmitte und nimmt einen Cocktail. Den Rahmen bildet die schwarze Nacht.

Der Kalifornier Julius Shulman war der wichtigste Fotograf dieser neuen Westküstenarchitektur, die ab den 1930er-Jahren unter anderem mit den Exilösterreichern Richard Neutra und Rudolf Schindler begann und die mit den sogenannten Case-Study-Häusern einen Höhepunkt fand. Der damals 22-jährige Hobbyfotograf hatte zum Spaß eines von Richard Neutras Häusern geknipst, weil es ihm gefiel. Diese außergewöhnlichen Bilder waren wiederum dem damals noch völlig unbekannten Architekten aufgefallen und begründeten eine langjährige Zusammenarbeit.

In der Folge wurde Shulman zum wichtigsten Fotografen für Leute wie Frank Lloyd Wright, Albert Frey und John Lautner. Seine Arbeiten sind unverkennbar: Traumwandlerisch sichere Spielereien mit Licht und Schatten, mit Geometrien, mit kleinen Akzenten wie passenden Kleidungsstücken der abgebildeten Bewohner. Shulman war ein Meister im Erkennen der Charakteristik einer Architektur, und die fing er mit seinen Arbeiten ein.

Anfangs arbeitete der später hochbezahlte und gefragte Architekturfotograf noch ohne Honorar. Er wollte damals, sagte er einmal zum Standard, „die Geschäftsbeziehungen zu den Architekten nicht mit störenden finanziellen Fragen belasten“ .

Die lange und sorgfältige Betrachtung eines Bauwerks, meinte er, sei das Wichtigste für ihn, schließlich wolle er mit seiner Arbeit jener der Architekten gerecht werden.

Der am 10. Oktober 1910 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborene Shulman starb nun im Alter von 98 Jahren in Los Angeles.

07. Mai 2008Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Die Villa als Sammelobjekt

Kalifornien besitzt ein reiches, aber bedrohtes Erbe an Privathäusern grosser Architekten aus den Nachkriegsjahrzehnten. Nun interessieren sich aber immer mehr Sammler für diese Kulturdenkmäler.

Kalifornien besitzt ein reiches, aber bedrohtes Erbe an Privathäusern grosser Architekten aus den Nachkriegsjahrzehnten. Nun interessieren sich aber immer mehr Sammler für diese Kulturdenkmäler.

Vor Jahren noch beklagten Architekturliebhaber, die den Villen berühmter Baukünstler in Kalifornien nachreisten, immer wieder den schlechten Zustand dieser Kulturdenkmäler. Doch nun scheint sich das Blatt zu wenden. An den Bauten von Richard Neutra lässt sich die wachsende Wertschätzung, welche den architektonischen Meisterwerken entgegengebracht wird, besonders gut ablesen. Vor sechs Jahren wurde das 1962 von Neutra errichtete Maslon House für stolze 2,45 Millionen Dollar verkauft – und wenig später abgerissen, denn die Käufer waren nur am Grundstück interessiert. Noch nicht zerstört ist glücklicherweise das 1950 erbaute Neutra Office am Glendale Boulevard. Doch steht es seit über fünf Jahren für 3,5 Millionen Dollar zum Verkauf; und dabei leidet seine Bausubstanz.

Nicht für die Ewigkeit gedacht

Schlecht ist auch der Zustand des ehemaligen Wohnhauses von Neutra, des VDL-Research House II (1966), welches Neutra der Architekturfakultät in Pomona vermachte. Die Kosten für die dringend anstehende Renovation werden auf 2 Millionen Dollar geschätzt, weshalb die Fakultät jüngst ihr Interesse an einem Verkauf bekundet hat. In diesem Umfeld überrascht deshalb im ersten Augenblick die Ankündigung, dass das legendäre, 1946 vollendete Kaufmann-Haus von Neutra in Palm Springs von Christie's im Rahmen der Auktion für zeitgenössische Kunst am 13. Mai für 15 bis 25 Millionen Dollar versteigert werden soll.

Dass die aus den Nachkriegsjahrzehnten stammenden Häuser berühmter amerikanischer Architekten mitunter nur schwer zu verkaufen sind, liegt an dem aus heutiger Sicht mangelnden Komfort, an den relativ geringen Wohnflächen und am oft schlechten Zustand. Auch wenn einige Neutra-Häuser wie Stahlbauten anmuten, bestehen ihre Rahmenkonstruktionen meist nur aus silbrig gestrichenem Holz. Diese müssen ebenso gepflegt werden wie die Wasserbecken, die als «Reflecting Pools» den Aussenraum in den Innenraum spiegeln. Weiter weiss man gerade in Kalifornien die Bedeutung historischer Bausubstanz noch nicht richtig zu würdigen. Denn hier sind die immer wieder von Erdbeben und Feuersbrünsten bedrohten Bauten meist nicht für die Ewigkeit gedacht. Oft werden sie nach kurzer Zeit schon abgerissen und durch neue Häuser ersetzt. Zwar gibt es in der südkalifornischen Metropole eine Kommission mit dem Namen Cultural Heritage of the City of Los Angeles, die bei gefährdeten Häusern, welche zur Kategorie der «kulturhistorischen Monumente» zählen, einen 180-tägigen Abriss-Stopp bewirken und diesen nochmals um 180 Tage verlängern kann. Eine Zerstörung kann sie aber nicht verhindern. Dazu müsste auf einer höheren Stufe der National Trust of Cultural Heritage eingreifen.

Zu all dem kommt hinzu, dass die Häuser von den wechselnden Besitzern oftmals bis zur Unkenntlichkeit umgebaut werden. Ein Beispiel dafür ist das Kaufmann-Haus, das durch Julius Shulmans berühmte Fotografie einer am Pool liegenden Frau im Abendlicht Eingang ins architektonische Gedächtnis gefunden hat. Nachdem sein Erbauer, der Warenhaus-Mogul Edgar J. Kaufmann aus Pittsburg, der schon das Haus Fallingwater nach Frank Lloyd Wrights Plänen errichten liess, 1955 verstorben war, stand die Villa einige Jahre leer und wechselte danach häufig die Besitzer. Dabei wurde das Fünfzimmerhaus stark erweitert, der innen liegende Patio überdacht, die Räume tapeziert und eine Wand herausgebrochen, um einen Medienraum zu integrieren. Die gesamte Innenausstattung wurde zerstört, der weisse Betonboden sowie die Wasserbecken abgedeckt und die Erscheinung des Daches mit Air-Conditioning-Elementen verunstaltet.

Im Jahre 1992 wurde das Haus von Brent und Beth Harris «entdeckt», nachdem es dreieinhalb Jahre keinen Abnehmer gefunden hatte. Sie kauften es für 1,5 Millionen und liessen es von den in Santa Monica tätigen Architekten Leo Marmol und Ron Radziner renovieren. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Beth Harris ermittelten sie in mühseliger Kleinarbeit den Originalzustand anhand der Pläne und Skizzen im Neutra-Archiv der University of California in Los Angeles (UCLA). Da diese jedoch nicht ohne die Genehmigung des Sohnes Dion Neutra dupliziert werden durften, zogen sie zusätzlich die Schwarzweissfotos von Julius Shulman zu Rate. Der Restaurationsbericht liest sich wie eine Detektivgeschichte. So fand der Sohn des einstigen Fensterherstellers die ehemaligen Konstruktionspläne; und ein Steinbruch in Utah wurde eigens für die Steine der Feuerstelle wieder geöffnet.

Interesse von Privatleuten und Museen

Das Beispiel des Kaufmann-Hauses hat inzwischen Schule gemacht. Immer mehr Privatpersonen kaufen die Nachkriegsbauten zu einem guten Preis, richten sie aufwendig her und verkaufen sie anschliessend wieder – oder bewohnen sie eine Zeitlang selbst. Anders als berühmte Kunstwerke sind solche neu hergerichteten Architekturtrouvaillen noch immer günstig zu erwerben. Allerdings sind sie im Unterhalt oft teuer. Beth Harris, die nun das Kaufmann-Haus aus privaten Gründen zur Versteigerung gibt, findet es gut, dass Häuser immer mehr zu Sammelobjekten werden. Denn wenn jemand wie Brad Pitt, der bereits als Interessent genannt wird, erst einmal viel Geld für eine Architektur-Ikone bezahlt habe, werde er auch Sorge zum Gebäude tragen. Wenn dies zur gängigen Praxis würde, könnte das Bauerbe besser bewahrt werden, als wenn es im Besitz einer Institution vor sich hindämmert. Erinnert sei nur an das Neutra-Haus, das von der Architekturfakultät in Pomona zwar öffentlich zugänglich gemacht wurde, für dessen Renovationen aber das Geld fehlt.

Den privaten Interessenten könnte schon bald seitens der Museen Konkurrenz erwachsen. So kündigte unlängst das Los Angeles County Museum of Art (LACMA) seine Absicht, Häuser zu sammeln, medienwirksam an und scheint nun auf entsprechende Geschenke zu warten. Durch die Verhandlung des National Trust of Cultural Heritage ist es bereits im Besitz des Goldstein Office (1989) von John Lautner, das demnächst in das Gebäude West des Museums eingebaut werden soll. Damit folgt das LACMA dem Vorbild des Wiener Museums für angewandte Kunst (MAK), das sich in Los Angeles seit Jahren beispielhaft für das Erbe von Rudolf Schindler einsetzt und bereits drei seiner Bauten besitzt. Schindlers erstes Wohn- und Atelierhaus an der Kings Road in West-Hollywood, in dem einst auch Richard Neutra hauste, ist seit 1994 ein Ort für Kunst- und Architekturausstellungen.


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14. März 2008Roman Hollenstein
Neue Zürcher Zeitung

Architektur mit Glamour

Der Fotograf Julius Shulman in einer Lausanner Ausstellung

Der Fotograf Julius Shulman in einer Lausanner Ausstellung

Mit verführerischen Aufnahmen in Magazinen wie «Life» und «Time» machte Julius Shulman die modernistische Architektur im konservativen Amerika der Wirtschaftswunderjahre zum Stadtgespräch. Der 1910 in New York geborene Meister der Inszenierung hatte vergleichsweise spät zur Fotografie gefunden. Anfang der dreissiger Jahre begann er, vom Studium angeödet, mit einer Pocketkamera zu experimentieren und hielt zunächst auf winzigen Abzügen stählerne Brückenkonstruktionen und Wendeltreppen fest, die irgendwie an Bauhaus-Fotos erinnern. Doch 1936 veränderte eine Bildserie über Richard Neutras Kun House sein Leben: In ihr hielt er die Villa in den Hügeln von Los Angeles aus unkonventionellen Blickwinkeln fest, von denen einer das Gebäude wie nach einem Erdbeben zeigt. Das hatte nichts mehr mit den nüchternen Sujets der gängigen Architekturfotografie zu tun. Neutra zeigte sich ebenso begeistert wie sein Kollege Raphael Soriano, der ihn umgehend bat, das Haus der Pianistin Helen Lipetz in Silverlake aufzunehmen.

Häuser und Geschichten

Diese und andere frühe Aufnahmen für Neutra und Soriano, der das Atelierhaus des Fotografen bauen sollte, bilden die eigentliche Überraschung der Shulman-Schau, die derzeit in der Galerie «Archizoom» der ETH Lausanne zu sehen ist. Handelt es sich dabei doch um kaum bekannte Fotos aus einer 100 Abzüge umfassenden Schenkung des italoschweizerischen Architekten Alberto Sartoris an die Lausanner Hochschule. Die Aufnahmen, an welchen sich die Entwicklung von Shulmans Stil ablesen lässt, bilden eine ideale Ergänzung zur schönen Auswahl von 70 Highlights aus dem Schaffen des Amerikaners, die vor zwei Jahren bereits in Frankfurt gezeigt worden war.

Nach diesem fulminanten Start wartete Shulman bald schon mit ersten Meisterwerken wie der Nachtaufnahme des mit einem beleuchteten Korkenzieher-Turm bekrönten Academy Theatre in Hollywood auf, in denen sich Licht, Raum und Perspektive zu magischen Bildern verdichten. Kurz darauf begann er die Bauten mit Menschen und Gegenständen erzählerisch aufzuladen und damit auch für ein Laienpublikum attraktiv zu machen. So fotografierte er William E. Fosters «Shangri La»-Hotel in Santa Monica mit einem Rolls-Royce, aus dem eine junge Dame und ein älterer Herr steigen, oder mit Tennisspielern, die von einem jungen Pagen kühle Drinks entgegennehmen. Nach dem Krieg verlieh er dem ufoartigen Haus des Schweizer Architekten Albert Frey in Palm Springs mit einer Swimmingpool-Szene einen Hauch von Sinnlichkeit; und die legendären, als Prototypen für den Mittelstand gedachten Case Study Houses bevölkerte er mit seltsam isoliert wirkenden Paaren. Kein Wunder, dass der glamouröse Zusammenklang von spektakulären Bauten und perfekt gekleideten Modellen schliesslich die Modefotografie beeinflusste.
Verlust der Seele

Zur Ikone der Architekturfotografie des 20. Jahrhunderts aber wurde das gleichsam über dem Lichtermeer von Los Angeles schwebende Stahl House von Pierre Koenig, welches von der unergründlichen Atmosphäre der Bilder Edward Hoppers erfüllt zu sein scheint. Doch auch Oscar Niemeyers Brasilia oder Eladio Diestes Backsteingewölbe in Uruguay sah er mit den Augen eines Künstlers. Wie einzigartig Shulmans Blick auf eine durch Menschen, Tiere oder Objekte belebte Architektur einst war, machen die letzten Bilder der Lausanner Schau klar. Sie zeigen Frank Gehrys Disney Concert Hall in Los Angeles oder das Kindermuseum von Abraham Zabludovsky im mexikanischen Villahermosa, die der Meister vor drei Jahren zusammen mit Jürgen Nogai aufgenommen hat. Auch sie sind sicher komponiert und informativ – aber ohne Seele. Hier tritt der greise Shulman ganz offensichtlich in die Falle jener zeitgenössischen Architekturfotografie, die – im Wettstreit mit Renderings – immer mehr auf Hochglanzperfektion setzt.

[ Bis 4. April (täglich ausser sonntags) in der Galerie «Archizoom» der ETH Lausanne. Kataloge: Ein Leben für die Architektur. Der Fotograf Julius Shulman. Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, 2005. 48 S., Fr. 24.–. – Julius Shulman dans les collections des Archives de la construction moderne. Hrsg. Archives de la construction moderne, Lausanne 2008. Fr. 20.–. ]


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02. März 2002Ute Woltron
Der Standard

Sehet hin und staunet

Das Haus als Case Study war ein journalistischer Schöpfungsakt, der sich architektonisch bezahlt machte. Die mediale Seligsprechung der Projekte darf ihrerseits heute noch als einzigartige Architektur-PR-Fallstudie betrachtet werden.

Das Haus als Case Study war ein journalistischer Schöpfungsakt, der sich architektonisch bezahlt machte. Die mediale Seligsprechung der Projekte darf ihrerseits heute noch als einzigartige Architektur-PR-Fallstudie betrachtet werden.

John Entenza war der Heiland einer ganzen Architektengeneration, weil er einige ihrer Weggenossen selbst zu Heiligen erkor und dann auch machte. So einfach war das, so kompliziert es auch war.

Der Architekturprophet begann mit der medialen Segnung seiner Jünger zu Ende des Zweiten Weltkriegs, als er in Los Angeles eine avantgardistisch positionierte, mit Innovationen aller Art reich gedüngte Architektur- und Designzeitschrift namens Art & Architecture leitete. In der ersten Nummer des Jahres 1945 unternahm er seine erste Predigt in Form seines Herausgeberbriefs, mit der Aufforderung, die Architekten mögen seinen Worten folgen, und die begann so: „Vieles, das mal oberflächlich, mal profund, zum Wohnungsbau der Nachkriegszeit gesagt wird, scheint uns doch nur bloßes Gerede und Spekulation auf Papier zu sein. Es ist an der Zeit, zu konkreten Fallbeispielen überzugehen und eine Fülle an Material zusammenzutragen, aus dem schließlich etwas entsteht, das sich Wohnhaus der Nachkriegszeit nennen kann. (...) Auf dieser Idee aufbauend möchten wir jetzt ein Projekt ankündigen, das wir als Case Study House Program bezeichnen.“

Entenza rief also - von ihm hochselbst Auserwählte - dazu auf, schlichte, moderne, innovative und möglichst preiswert herzustellende Einfamilienhäuser als Prototypen zu entwerfen, an den Bauherren, die Baufrau zu bringen und die ganze Angelegenheit formschön und regelmäßig in seiner Zeitung präsentieren zu lassen. Die Saat fiel auf fruchtbaren Boden. Von 1945 bis 1966 entwarfen die verschiedensten amerikanischen Architekten in und um Los Angeles 36 dieser Haustypen, von denen die meisten auch realisiert wurden. Das Case Study Program durchlief über die Jahre verschiedene Entwicklungs- und Qualitätsstufen, ein paar der Häuser - etwa jene, die Charles und Ray Eames, Richard Neutra und Pierre Koenig entworfen hatten - wurden von der Architekturgeschichte schließlich zu heiligen Stätten der Baukunst geweiht, und ihre Erbauer erlangten internationalen Kultstatus. Vor allem die Phase der 50er-Jahre brachte einige Prachtvillen hervor, deren ursprünglich angedachte übergeordnete Botschaft, nämlich für jedermann erschwinglich zu sein und irgendwann einmal sogar in kleine Serien zu gehen, freilich keinen Widerhall fand.

Trotzdem war das Programm einflussreich, die Nachwirkungen sind bis heute in zeitgenössischen Architekturen zu verspüren, etwa was den Einsatz industriell gefertigter Bauelemente anbelangt, aber auch in Sachen Grundrisslösungen und Umgang mit dem Raum rund um das Haus. Die Fall-Studenten ihrerseits standen großteils unter dem Einfluß R. M. Schindlers, der sich schon viele Jahre zuvor mit genau diesem Thema sehr erfolgreich zu befassen begonnen hatte. Schindler selbst nahm nie am Programm teil, ganz einfach weil ihn der Allmächtige nicht dazu einlud, genauso wenig wie andere ebenfalls sendungsbewusste starke Typen wie Gregory Ain oder den geradezu anbetungswürdigen John Lautner.

Warum Entenzas journalistisch-selektiver Architektur-Schöpfungsakt international dermaßen Furore machte, lässt sich retrospektiv kaum mehr analysieren. Fest steht aber, dass der Begriff Case Study House bis heute fast über den Nimbus einer kleinen Architekturschule verfügt, und daran ist die perfekte journalistische Aufbereitung der gebauten Leckerbissen schuld. Der architekturbesessene Entenza ließ in seinem Blatt für jede einzelne der Villen quasi Messen lesen. Dabei entstanden originelle und unkonventionelle Textstrecken wie etwa das von Richard Neutra verfasste fiktive Gespräch zwischen den potenziellen Bauherrschaften Omega, Alpha und dem Architekten selbst. Und nicht zuletzt engagierte der Architekturpublizist die besten jungen Fotografen der Westküste für das Oeuvre, allen voran natürlich Julius Shulman. Allein seine atemberaubende Aufnahme der im Glashaus über LA schwebenden Fräuleins im Koenig-Domizil No. 22 - sicher eines der berühmtesten Architekturfotos überhaupt - hätte das Case-Study-Programm bekannt gemacht.

Wie sich das improvisierte Fotoshooting dort im Jahr 1960 tatsächlich abgespielt hat, wie die Originalbeiträge in Arts & Architecture ausgesehen haben, wie sich die einzelnen Häuser heute und gestern in Plan und Detail präsentieren, das kann demnächst in der riesigen, umfangreichen und faszinierenden Publikation Case Study Houses (Elizabeth T. Smith, EURO 154,20/440 Seiten, Taschen, Köln 2002) nachgeschlagen werden: Ein Trip an die Westküste, in eine vergangene, gegenwärtige Moderne und in die Tiefen einer einzigartigen Architektur PR-Kampagne.


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11. November 2000Ute Woltron
Der Standard

Wie willst du das verkaufen, Richard?

Jeder Architekt sei für seine eigene Publicity verantwortlich, behauptet Fotografenlegende Julius Shulman. Der Amerikaner muss es wissen, seine Architekturfotografien haben stets ein Rauschen im Blätterwald bewirkt.

Jeder Architekt sei für seine eigene Publicity verantwortlich, behauptet Fotografenlegende Julius Shulman. Der Amerikaner muss es wissen, seine Architekturfotografien haben stets ein Rauschen im Blätterwald bewirkt.

Julius Shulman ist der Pionier der Architekturfotografie. Der Blick auf die Moderne, wie wir ihn heute kennen, geschah sozusagen aus seinem Augenwinkel. Gerade ist das Gesamtwerk Richard Neutras in beeindruckendem dezimeterdickem Großformat bei Taschen erschienen, und gemeinsam mit Pierluigi Serraino hat der 90-jährige Amerikaner, zuletzt vortragend im Wiener MAK zu Gast, ebenfalls bei Taschen das Buch Modernism rediscovered auf den Markt gebracht. Der Band zeigt selten publizierte Häuser dennoch hoher Qualität. Ungerecht, dass ihre Architekten Unbekannte blieben, meint der Fotograf. Nach welchen Mechanismen erfolgt also die Verbreitung von Architektur in Zeitungen und Magazinen?

DER STANDARD: Sie wollen mit Ihrem neuen Buch die unbekannten Winkel der modernen Architektur ausleuchten?

Shulman: Mein Fotoarchiv umfasst die Zeitspanne von 1936 bis 1990. Autor Serraino und ich haben festgestellt, dass viele der Projekte enorme Qualität haben - Projekte, die einer breiteren Öffentlichkeit völlig unbekannt sind. Die Architekten dieser Häuser hatten keine ordentliche Publicity, niemand berichtete über ihre Arbeiten. Die großen Namen, Männer wie Neutra, Schindler, Frank Lloyd Wright, Mies van der Rohe, sind weltbekannt geworden. Pierluigi und ich haben das ungerecht gefunden und die besten unbekannten Häuser und Gebäude für dieses Buch hervorgeklaubt.

Wie passierte in den 30er-, 40er-Jahren Architekturpublizistik? Wer hat damals den Kontakt zu den Magazinen geknüpft? Waren Sie das oder die Architekten selbst ?

Ich natürlich.

Sie waren sozusagen der PR-Agent der Architekten?

Ja. Ich habe die Fotos auch persönlich von der Westküste an die Ostküste zu den Verlegern gebracht. Ich hatte Flügel an meinen Schultern. Meine Fotos waren in New York sehr willkommen, denn niemand wusste, was in Kalifornien los war. Ich bin dann mit der Kamera quer durch Amerika gefahren, durch Kansas, Missouri, Nebraska, Texas. Gelegentlich haben mich die Architekten mit ihren eigenen Flugzeugen von Stadt zu Stadt geflogen. Die waren nett zu mir, weil sie wussten, dass sie in gewisser Weise von meinen Fotos abhängig waren. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, muss ich sagen, ich glaube an die Geschichte. So haben wir den architektonischen Fortschritt mitgetragen und öffentlich gemacht.

Warum wurden einige Architekten weltbekannt, während viele hervorragende Kollegen in der Versenkung verschwanden?

Diese Architekten hätten sich selbst um Veröffentlichungen kümmern müssen. Doch sie waren immer zu beschäftigt. Ein Haus war fertiggestellt, das nächste schon in Planung. Sie sagten, ach was, das mit den Magazinen und den Zeitungen ist nicht so wichtig, ich hab ohnehin genug zu tun, und was ich jetzt gerade mache, wird sowieso besser als das Alte. Diese Leute haben nicht genug kommuniziert. Richard Neutra zum Beispiel war ganz anders. Er hat von mir stets Hunderte Fotos bestellt und in die ganze Welt verschickt.

Es fällt auf, dass Sie sehr oft Menschen, so auch in Neutras eleganten Villen, malerisch in Ihren Fotomotiven positioniert haben.

Nur wo es hinpasst. Das hier zum Beispiel ist eine ungewöhnliche Bar (siehe unten, zweites Foto v.li.), viele Feste wurden dort gefeiert. Wir haben die Dame des Hauses, meinen Assistenten und ihren Sohn dort positioniert und vorne ein paar Polster higelegt, um Farbe reinzubekommen. Alle Möbel wurden sorgfältig platziert. Wir waren unsere eigenen Stylisten.

Sie sollen von Zeit zu Zeit sogar Kunstrasenballen entrollt haben, wenn die Sache noch zu sehr nach Baustelle aussah?

Na klar, sehr oft sogar. Aber schauen Sie sich diese Häuser hier in dem Buch an. Die sind gut. Die sind unbekannt. Die hatten keine Publicity, und das ist unfair.

Muss sich Ihrer Meinung nach der Architekt aktiv um die Veröffentlichung seiner Arbeiten kümmern?

Das ist sogar seine Verantwortung. Für sich selbst, für seine Familie, für die Leute, die für ihn arbeiten. Sehr viele Architekten denken aber nicht daran, sie sind einfach keine guten Geschäftsleute. Die Leute in den Magazinen wissen gar nichts, bis man ihnen etwas zeigt. Wenn ich nicht ins Nirgendwo gefahren wäre und die Häuser dort fotografiert hätte, wäre kein Mensch auf die Idee gekommen, dass es mitten in Amerikas Niemandsland gute Architektur gibt. Viele dieser Architekten werden jetzt bekannt, weil die Nachfrage nach meinen Fotos steigt, ihre Architektur war aber immer schon ausgezeichnet.

Welche Publikationen sind wichtiger für Architektur - Magazine, Fachpresse, Tageszeitung?

Ich gebe ein Beispiel: Eines Tages fotografierten wir ein Haus von Neutra in Palm Springs. Es gehörte einer reichen Kunstsammlerin, doch Neutra mochte ihre Möbel nicht. Er nannte sie abfällig auf Österreichisch „Biedermeier“. Ich fand die Einrichtung zwar nett, doch ihm war sie nicht modern genug, er hätte lieber etwas Architektonisches, Mies-van-der-Rohe-artiges gehabt, mit dem er bei anderen Architekten angekommen wäre. Nur die waren ihm wichtig. Also ließ er die Möbel alle entfernen.

Sie haben höchstpersönlich Möbel geschleppt?

Aber wo. Ich hatte eine Vereinbarung mit ihm. Ich war engagiert, Fotos zu machen, nicht um Möbel herumzuschieben, also brachte er immer zwei Leute aus seinem Büro zu den Fototerminen mit. Ich fragte ihn also: Richard, wie willst du diese Fotos ohne Möbel an Magazine wie „House & Garden“ verkaufen? An Magazine, die Leute mit Geld lesen, also genau die Leute, die dich einmal engagieren könnten? Diese Art der Publicity ist mir wurscht, sagte er, ich will meine Arbeit sowieso nur in Architekturmagazinen sehen. Also habe ich das Haus zwei Wochen später heimlich mitsamt den Biedermeiermöbeln darinnen fotografiert, und prompt hat ein wichtiges französisches Kunstmagazin diese Fotos wenig später auf dem Cover und auf acht Hochglanzseiten gebracht.

Was hat Neutra dazu gesagt?

Nichts.

Kann es sein, dass er ein wenig seltsam war?

Nun ja, Neutra dachte eben nur an Neutra.

Haben Sie sich jemals auch dafür hergegeben, wirklich schlechte Architektur zu fotografieren?

Klar, für Baufirmen zum Beispiel, die Häuser von der Stange verkauft haben. Das waren sehr gute Kunden, weil sie gut bezahlt haben. Bei diesen Jobs habe ich das meiste Geld gemacht und konnte dadurch junge Architekten unterstützen, die sich meine Fotos eigentlich nicht leisten konnten.

Ihre Fotos sind immer sehr persönlich, sehr speziell, ganz anders. Ist das Schulung oder Ihr vielgerühmtes „Auge“?

Ach, es ist eine Gabe. Ich habe mein Leben nicht geplant, alles ist passiert. Ich habe sieben Jahre herumstudiert und darauf gewartet, dass etwas Entscheidendes passiert. Es war schicksalhaft, dass ich mein Studium aufgab, heim nach LA fuhr, dass Neutras Assistent bei meiner Schwester zu Untermiete wohnte, mich zu einem der Häuser mitnahm, dass ich es mit einer Kamera fotografierte, die ich zufälligerweise dabei hatte, und dass Neutra die Fotos großartig fand. Ich wusste damals absolut nichts über Architektur oder Fotografie. Ich erinnere mich genau an den Tag, es war der 5. März 1936. An diesem Tag wurde ich Architekturfotograf.

Sie haben sich vor zehn Jahren zur Ruhe gesetzt. Fotografieren Sie gar nicht mehr?

Ich habe keine Zeit dafür, ich muss jetzt Bücher machen. Nächstes Jahr sollen noch zwei im Verlag Taschen herauskommen. Eines, das sich mit dem Thema Innen und Außen befasst, eines darüber, wie mithilfe der Fotografie Architekturikonen entstanden sind.

„Modernism Rediscovered“, Pierluigi Serriano & Julius Shulman, Taschen Verlag, öS 351,-/576 Seiten.
„Richard Neutra“, Complete Works, Fotografiert von Julius Shulman, Taschen Verlag, öS 2.170,-/360 Seiten.


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02. November 2000Roland Schöny
ORF.at

Architekturdokumente aus 50 Jahren

Zwei umfangreiche Fotobände dokumentieren das umfangreiche Werk Julius Shulmans.

Zwei umfangreiche Fotobände dokumentieren das umfangreiche Werk Julius Shulmans.

Die Fotografien von Julius Shulman sind in unzähligen Magazinen und Büchern erschienen. Zu den prominentesten Publikationen zählen das Lifestyle Magazin „Life“ und die Zeitschrift „House and Garden“, wo immer wieder neue Aufnahmen amerikanischer Luxusvillen und Wochenendhäuser erschienen, die sich durch Großzügigkeit und moderne Gestaltung auszeichneten.

Riesiges Oeuvre

Mehr als 6.000 Aufträge in Nordamerika, aber auch in anderen Kontinenten hat Julius Shulman erhalten. Tausende Fotografien sind zwischen den Jahren 1936 und 1986 veröffentlicht worden. Seither nimmt der heute 90-jährige Fotograf nur mehr ganz besondere Aufträge an und widmet sich in erster Linie der Aufarbeitung seines nahezu unüberblickbaren Archivs. Im Laufe seiner Tätigkeit wurde Shulman allmählich zu einem der wichtigsten Dokumentaristen moderner Architektur und gilt heute als Autorität auf diesem Gebiet.

Schlüsselfigur Richard Neutra

Die Geschichte begann mit einem Zufall. In den 30er Jahren begegnete er dem aus Österreich stammenden Architekten Richard Neutra, der als bedeutender Vordenker Modernen Bauens gilt. Erst durch die Zusammenarbeit mit Neutra habe er sich ein Verständnis für die Entwürfe der Moderne erarbeitet, erinnert sich Julius Shulman heute.

Suche nach der Moderne

Nach der ersten Begegnung mit Neutra, so Julius Shulman, habe er das sogenannte Koon-House in Hollywood fotografiert. Das war die Konfrontation mit Moderne bzw. mit dem sogenannten „International Style“. Doch bald entdeckte Shulman als Fotograf, dass Moderne weitaus mehr bedeutet als Beton, Glas und Stahl. Die von ihm gemachten Fotografien erzählen von Helligkeit, von Weite und von einer bewusst gesetzten Beziehung zur Umgebung.

Ikone der Moderne

Eine der architekturhistorisch berühmtesten Villen, die er fotografierte, ist die sogenannte Spencer-Residence in Malibu in Kalifornien, ein Gebäude mit einer über die felsige Küstenkante zum Meer hin hinausragenden Terrasse. An den Seiten befinden sich Glaswände als Windschutz, ein Vordach aus Beton bietet von oben her Schutz. Um zu betonen, dass eine der Qualitäten dieses Baus, die Möglichkeit sei, auf das Meer hinauszublicken bzw. frische Seeluft genießen zu können, hat Shulman einen Mann und eine Frau auf der Terrasse platziert, die in die Ferne schauen. Der Mann hält sogar ein Fernglas in Händen. Das ist eines von vielen hundert Beispielen von Bauten, die im Magazin „Life“ als „Californian Style“, als Baustil der Westcoast vorgestellt wurden.

Westcoast-Bauten

Es handle sich um Bauten in der Region zwischen San Francisco und Los Angeles erklärt, Julius Shulman. Von manchen davon hat er auch die Gartensituation fotografiert. Eines zum Beispiel hat eine runde Bar im Freien, die direkt aus dem salonähnlichen Wohnraum hinausreicht. Weite Bibliotheksräume, Dachpartien aus Glas, große Fensterfronten und Terrassen für kleinere Partys zeichnen viele dieser Häuser aus. Heute gelten sie als historische Bauten und sind hochgefragt.

Villen von Richard Neutra zum Beispiel werden versteigert und mitunter von Filmstars oder Pop-Musikern erworben. Das wiederum trägt dazu bei, dass Qualitätsarchitektur neuerlich in Illustrierten und Life-Style Magazinen abgebildet wird. Architektur der Moderne erhält einen neuen Stellenwert. Für den deutschen Taschenverlag war das einer der Gründe, aufwendig gemachte Architekturbücher zu produzieren.

Vielfalt der Moderne

Mit der Prominenz der Häuser steigt auch die Nachfrage nach solchen Architekturbänden außerhalb von Fachkreisen. Gemeinsam mit dem Architekturkritiker Pierluigi Serraino ist jetzt der erste Band mit bisher unentdeckten modernen Bauten erschienen. Die Fotos wurden bisher hauptsächlich in Lifestyle Magazinen oder auch gar nicht veröffentlicht, da viele der Architekten und Kritikern weitgehend unbekannt sind.

Die Fotografien von Julius Shulman zeigen die Vielfalt der Moderne, die weit über wegweisende Architekten wie Frank Lloyd Wright oder Rudolf M. Schindler hinausgehen. Die jetzt veröffentlichen Fotografien dokumentieren aber auch den Blick eines Fotografen, der Analyse mit persönlicher Sicht verbindet und den Bauten über ihre Geometrie hinausgehend so etwas wie Charakter verleiht.

[ Das Buch „Modernism Rediscovered“, das Julius Shulman gemeinsam mit Pierluigi Serraino herausgegeben hat und die große Publikation "„Richard Neutra - Complete Works“ sind im Taschen Verlag erschienen. ]


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07. Oktober 2000Roman Hollenstein
Neue Zürcher Zeitung

Der Blick auf das Gebaute

Die Architektur hat ihren jüngsten Höhenflug nicht zuletzt der Photographie zu verdanken. Bei Fachmagazinen gefragt ist zurzeit jener frontale, unterkühlte und von allem Zufälligen befreite Blick auf das Gebaute, wie ihn architekturbegeisterte Fotokünstler zelebrieren. Diese kommen nun in einer Ausstellung in Barcelona zu Wort.

Die Architektur hat ihren jüngsten Höhenflug nicht zuletzt der Photographie zu verdanken. Bei Fachmagazinen gefragt ist zurzeit jener frontale, unterkühlte und von allem Zufälligen befreite Blick auf das Gebaute, wie ihn architekturbegeisterte Fotokünstler zelebrieren. Diese kommen nun in einer Ausstellung in Barcelona zu Wort.

Ein Lieblingsthema der noch jungen Photographie war die gebaute Welt: Dies nicht zuletzt aus dem pragmatischen Grund, weil sie statisch ist und vom Licht des Tages lebt. Als Propagandamedium wurde die Photographie aber erst von den Architekten der klassischen Moderne genutzt. Obwohl Frank Lloyd Wright bereits seine Präriehäuser professionnel aufnehmen liess, veröffentlichte er 1910 in der Wasmuth-Mappe noch purifizierte Präsentationszeichnungen. Walter Gropius stilisierte dann das Dessauer Bauhaus zum Kunstwerk, indem er die mit feinen Balkonen gegliederte Fassade des Studententraktes wie eine konstruktive Skulptur ablichten liess. Voll auf die Verführungskraft des Bildes setzte Le Corbusier: Hinter schwarzen Limousinen erschienen seine Wohnmaschinen - die Villa Stein in Garches genauso wie der Pavillon Suisse - noch leuchtender und kantiger, was letztlich den Mythos von der weissen Moderne mitbegründete.

Erstarrte Schönheit
Schon Photographen wie Julius Shulman, der in Ikonen wie dem in den Nachthimmel über Los Angeles ragenden Case Study House von Pierre Koenig den Californian Way of Life verherrlichte, wusste den Bauten von Eames bis Schindler eine magische Aura zu verleihen. Die Architekturphotographie aber setzte erst in den vergangenen Jahren zu jenem Höhenflug an, der ganz wesentlich zur Popularisierung der Baukunst beitrug. Architekturzeitschriften lieben heute Bilder, die die Neubauten - von allen Zufälligkeiten des Lebens befreit - in absoluter Schönheit zeigen. Zu dieser unterkühlten Sicht liessen sich die professionellen Architekturphotographen nicht zuletzt durch Künstler wie Andreas Gursky oder Thomas Ruff anregen. Diese kommen aus einer Tradition, die im Umkreis von Minimal und Conceptual Art wurzelt und etwa bei Jan Dibbets zu einer Auslotung der architektonischen Perspektive, bei Bernd und Hilla Becher aber zur fast anonymen, serienmässig angelegten Dokumentation banaler Häuser oder historischer Fabrik- und Förderanlagen führte.

Zu den Architekten, die schon früh das Potenzial einer künstlerischen Interpretation ihrer Bauten erkannten, zählen Herzog & de Meuron. Sie präsentierten 1991 auf der 5. Architekturbiennale in Venedig im Schweizer Pavillon vier Fotokünstler, die sich ihrem Schaffen ganz unterschiedlich annäherten - vom sachlichen Objektbezug Margherita Spiluttinis über Hannah Villigers körperbezogen-intimen Blick auf die Gebäudeoberfläche und Balthasar Burkhards Interesse am Knochengerüst der Bauten bis hin zu Ruffs in einer völlig unterkühlten Graupalette gehaltenem Porträt der Ricola-Lagerhalle in Laufen. Seither hat die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Gebauten weiter an Bedeutung gewonnen, wie Ausstellungen mit Arbeiten von meist deutschen Fotokünstlern in Brüssel, London, Bregenz oder Leipzig zeigten.

Ein Überblick
Waren diese Veranstaltungen inhaltlich zum Teil sehr weit gefasst, versucht nun eine Schau im Centre de Cultura Contemporània von Barcelona das Thema einzugrenzen. Die Ausstellungsmacherin Gloria Moure entschied sich nämlich für sieben Künstler, die - anders als etwa Gabriele Basilico oder Thomas Struth - nicht anonyme Bauten oder Stadtlandschaften interpretieren, sondern die künstlerische Auseinandersetzung mit architektonischen Meisterwerken suchen. Auch hier stehen die deutschen Stars im Mittelpunkt: So hält Günther Förg Zwiesprache mit Häusern von Alejandro de la Sota, dem 1996 verstorbenen Meister der spanischen Moderne. Die riesigen, leicht unscharfen und von schweren Rahmen gefassten Schwarzweissbilder stehen, an die Wand angelehnt, auf Holzkeilen. Dadurch werden sie zu Objekten, bei denen das architektonische Sujet letztlich unwichtig wird. Gursky hingegen übersteigert den Bildgegenstand: Zusammen mit dem bekannten Nachtbild von Norman Fosters Hong Kong & Shanghai Bank und der hyperrealistisch verfremdeten Hotellobby von John Portman zeigt er ein erschlagendes Panorama von Gunnar Asplunds Stockholmer Nationalbibliothek. Hier gewinnt die Architektur als patternartiges Ornament ein Eigenleben, und gleichwohl bleibt der berühmte Innenraum stets erkennbar.

Ruff präsentiert ausschliesslich zwischen 1992 und 1994 aufgenommene Bauten von Herzog & de Meuron, darunter vier Ikonen, die ebenso wie die abgelichteten Bauten selbst Architekturgeschichte schrieben und so die professionelle Photographie der letzten Jahre besonders prägten: die Ricola-Lagerhalle, die Sammlung Goetz in München, das Stellwerk auf dem Wolf in Basel und - als Höhepunkt - die rotviolette, zwischen Hopper und «Blade Runner» oszillierende Nachterscheinung der Ricola Mulhouse. Daneben haben Candida Höfers stille, im Fall von Zumthors Kunsthaus Bregenz geradezu sakral überhöhte Mittelformate einen schweren Stand. Doch zeichnen sich diese Fotos gerade dadurch aus, dass sie auf Oberflächenkult verzichten und dem Wesen der Architektur als Funktion von Raum und Licht nachspüren.

All diese Bilder wirken wie gefroren, wenn man zurückdenkt an den Auftakt der Schau: den Mexiko-Stadt gewidmeten Film «Ciudad» von Balthasar Burkhard und Carlos Hagerman. Unter den hypnotisierenden Klängen von Silvestre Revueltas «La noche de los Mayas» erwacht hier ein Stadtkörper zum Leben. Diese körperhafte Interpretation des Gebauten verdichtet sich dann in Burkhards von der Architekturbiennale in Venedig her bekannter Installation der Ricola-Lagerhalle. Ein weiterer Bau von Herzog & de Meuron, diesmal das Stellwerk, schimmert einem aus den an Gerhard Richters frühe Gemälde erinnernden Fotos von Hiroshi Sugimoto entgegen. Eher als bei Förgs Bildobjekten kann man hier die Unschärfe als Kritik an der Perfektion heutiger Architekturphotographie lesen. Auch Bauten von Gaudí, Gropius, Le Corbusier und Wright werden bei Sugimoto zu gespensterhaften Schattenwesen. Diese bilden gleichsam den Gegenpol zum Schlussbild der Schau: Jeff Walls gigantischem Leuchtkasten, aus dem Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon im goldenen Abendlicht abgründig irreal und unglaublich wirklichkeitsnah zugleich erstrahlt.

Die Schau deckt mit vielen Highlights ein breites Spektrum der künstlerischen Architekturphotographie ab, und dennoch gibt es Lücken. So hätten Fischli und Weiss nicht fehlen dürfen. In der unlängst in Mailand gezeigten Ausstellung «Milano senza confini» überstrahlte ihr gelassener und ungekünstelter Blick vom Dom auf die Torre Velasca die anderen Beiträge bei weitem. Als Antwort auf Jeff Wall hätte man sich die Serie über den Barcelona-Pavillon gewünscht, die nun in ihrer Retrospektive im Basler Museum für Gegenwartskunst zu sehen ist. Eine Bereicherung wäre zweifellos auch die Grenzgängerin Hélène Binet gewesen, die mit ihren Aufnahmen Zumthors Bauten nobilitiert, die sperrigen Gebäude von Caruso St John in ein leicht melancholisches, neorealistisches Licht rückt und so ganz ohne künstlerische Prätention Sachlichkeit und Poesie zu vereinen weiss.


[Bis 10. Dezember im Centre de Cultura Contemporània. Katalog: La arquitectura sin sombra. Hrsg. Gloria Moure. Ediciones Polígrapha, Barcelona 2000. 159 S., 4800 Pta. ]


verknüpfte Publikationen
All began just by chance. Julius Shulman.

Profil

Julius Shulmans arbeitete alsArchitekturfotograf mit Architekten wie Richard Neutra, Frank Lloyd Wright, Frank O. Gehry und Pierre Koenig, dessen Case Study House Nr. 22 zu einer Ikone der zeitgenössischen Architekturfotografie geworden ist.

Shulman dokumentierte die modernen Architektur des 20. Jahrhunderts, ausgehend vom Internationalen Stil und der Moderne in den USA, aber auch in Mittel- und Südamerika. Shulmans Arbeiten, meist im Mittel- oder Großformat, weisen eine hohe handwerkliche Fertigkeit und Präzision aus. Sie zeichnen sich durch große atmosphärische Dichte und gekonnte Inszenierung aus, sodass Shulmans Werk weit über die eigentliche Architekturszene hinaus bekannt geworden ist.

Publikationen

All began just by chance. Julius Shulman., Deutsches Architekturmuseum (DAM), Thomas Spier

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