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Texte

30. Juni 2019Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Europäische Museumsprojekte haben einen schweren Stand in Los Angeles

Es sei vor allem Diane Keaton und Brad Pitt zu verdanken, dass Peter Zumthors Pläne für den Neubau des Kunstmuseums weiterverfolgt würden: Ihr Zuspruch half, dass den Entwurf nicht das gleiche Schicksal ereilt wie einst Mies van der Rohes und Rem Koolhaas’ Ideen: Diese wurden nämlich nie realisiert.

Es sei vor allem Diane Keaton und Brad Pitt zu verdanken, dass Peter Zumthors Pläne für den Neubau des Kunstmuseums weiterverfolgt würden: Ihr Zuspruch half, dass den Entwurf nicht das gleiche Schicksal ereilt wie einst Mies van der Rohes und Rem Koolhaas’ Ideen: Diese wurden nämlich nie realisiert.

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20. Juni 2018Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Thomas Manns Haus soll mehr sein als ein Denkmal

Um ein Haar wäre Thomas Manns einstiges Wohnhaus in Kalifornien als Abrissobjekt verkauft worden. Nach einem tiefgreifenden Umbau soll es nun ein Forum für Stipendiaten aus geisteswissenschaftlichen Disziplinen, Literatur und Politik werden.

Um ein Haar wäre Thomas Manns einstiges Wohnhaus in Kalifornien als Abrissobjekt verkauft worden. Nach einem tiefgreifenden Umbau soll es nun ein Forum für Stipendiaten aus geisteswissenschaftlichen Disziplinen, Literatur und Politik werden.

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03. Januar 2017Lilian Pfaff
TEC21

Schleier und Gewölbe

Der Kunstmäzen Eli Broad hat sich von Diller Scofidio + Renfro neben die glänzende Walt Disney Concert Hall in Downtown Los Angeles eine Schatztruhe bauen lassen. Seine Sammlung umfasst rund 2000 Werke der Nachkriegskunst und der zeitgenössischen Kunst.

Der Kunstmäzen Eli Broad hat sich von Diller Scofidio + Renfro neben die glänzende Walt Disney Concert Hall in Downtown Los Angeles eine Schatztruhe bauen lassen. Seine Sammlung umfasst rund 2000 Werke der Nachkriegskunst und der zeitgenössischen Kunst.

Das Zentrum von Los Angeles an der Grand Avenue ist seit über fünf Jahrzehnten im Werden begriffen. Mitte der 1950er-Jahre wurde der Gebäudebestand des ehemals bürgerlichen Viertels Bunker Hill dem Erdboden gleichgemacht. In den 1980er-Jahren entstanden hier planlos nebeneinander Hochhäuser und Apartmentblöcke. Doch seit dem Bau des Museum of Contemporary Art (MOCA, vgl. TEC21 11/2009) wandelt sich Bunker Hill zu einer Kulturmeile.

An all den neuen Kulturbauten – Walt Disney Concert Hall 2003, Cathedral of Our Lady of the Angels 2002, Ramon C. Cortines School of Visual and Performing Arts 2002 etc. – war der Immobilienmogul, Mäzen und Kunstsammler Eli Broad beteiligt. Um seine Person und Sammlung ranken sich Gerichtsprozesse und illustre Geschichten. Hat er doch in den letzten Jahren erst das MOCA finanziell vor dem Bankrott gerettet, nur um nun – als direkte Konkurrenz zu diesem – auf der gegenüberliegenden Seite sein eigenes Museum zu bauen. Wie es gelingen kann, dass sich das Gebäude von seinen Nachbarn absetzt und sich gleichzeitig in die von ihm mitgeprägte Kulturmeile einpasst, war eine der Aufgabenstellungen an die fünf Architekten, die Broad 2010 zum Wettbewerb eingeladen hatte. 2011 beauftragte er die New Yorker Architekten Diller Scofidio Renfro mit dem Projekt und gab ihnen damit den Vorrang vor Rem Koolhaas, Herzog & de Meuron, Christian de Potzamparc und SANAA.

Zur Stadt hin ein Schleier

Von aussen erscheint das Gebäude fast banal, wie eine der vielen Parkgaragen in Los Angeles: Es ist eine einfache Box mit perforierter Hülle. An zwei Ecken ist sie aufgeschnitten, um Raum für die Eingänge zu schaffen. 2500 Stahlbetonpaneele bilden die Waben der Hülle, die das dreigeschossige Gebäude auf allen Seiten umgibt. Gehalten werden sie von einem 650 t schweren Stahlgerüst.[1] Ohne visuellen Abschluss zum Dach und zu den Ecken wirkt die Fassade wie ein abgeschnittener bzw. das Gebäude unendlich umhüllender Stoff (Abb. unten).

Die Fassade erinnert an das 1964 erstellte American Cement Building am Wilshire Boulevard oder auch an andere spätmodernistische Experimente von Le Corbusier mit Betonfassadenelementen. Vor allem aber setzt sie einen klaren Kontrapunkt zu der silbrig glänzenden, skulpturalen Konzerthalle von Frank Gehry daneben. Es ist ein matter Kubus mit einer auf halber Höhe der Hauptfassade dezentrierten Einbuchtung – dem als Okulus bezeichneten Fensterauge (Abbildung und Grundriss).

Fenster in Anführungszeichen

Die Erwartung, die der Anblick der Fassade weckt – wie wird es hinter dem Auge beziehungsweise der eingedrückten Wand aussehen? –, führt zum eigentlichen Konzept des Museums: Der Besucher ist gleichzeitig Teilnehmer und Beobachter, Sehender und Gesehener. Es ist eine Erwartung, die grundsätzlich bei einer Verhüllung entsteht – man denke hier auch an Christo und Jeanne-Claude –, von aussen verborgen und von innen dann entzaubert.

Die norwegische Schriftstellerin und Kritikerin Victoria Bugge Øye hat diesen Okulus und die vielen kleinen schiessschartenartigen Fenster hinter der Honigwabenstruktur als «Fenster in Anführungszeichen» verstanden. Ihrer Ansicht nach stehen die transparenten Öffnungen für mehr als nur für ein Fenster. Enttäuscht steht man dann aber im Konferenzraum und sieht den Okulus von innen: eine einfache eingebuchtete Fassade. Auch die kleinen Fenster an zwei Seiten der Fassade dienen lediglich der Orientierung zum MOCA und zur Walt Disney Concert Hall, ohne einen Ausblick zu bieten.

Vom Dunkel ins Licht

Hinter dem Schleier der Museumslobby herrscht eine andere Atmosphäre. Der Vorhang zeigt sich selbstbewusst als eigenständiges Gebilde und setzt sich von der dahinter liegenden Glasfassade ab. Es entsteht ein schmaler Gang im Aussenraum. Dunkle, höhlenartig gewölbte Betonwände führen zum kleineren Ausstellungsbereich (mit 1300 m²) für zeitgenössische Kunst. Ein Tunnel mit einer schmalen, 32 m langen Rolltreppe führt durch eine kleine, lichtdurchflutete Öffnung ins 2. Obergeschoss. Der fast 4000 m² grosse stützenfreie Raum mit seinen 7 m hohen Decken, in dem flexible Ausstellungswände in einem 3 × 3-Meter-Raster beliebig installiert werden können, wird über 318 nördlich orientierte Oberlichter einheitlich mit Tageslicht beleuchtet (Abbildung).

Obwohl die Oberlichter den Waben der Aussenfassade ähnlich sind, erinnert der Gesamteindruck der Räume an das Eli Broad Museum des Los Angeles County Museum (LACMA), das Renzo Piano vor knapp sieben Jahren für dieselbe Sammlung fertiggestellt hat und bei der ebenfalls eine Rolltreppe ins Obergeschoss führt. Bei Diller Scofidio Renfro, die mit der lokalen Firma Gensler kooperierten, wird allerdings im Gegensatz dazu die Ankunft theatralisch inszeniert. Ein gläserner runder Aufzug, ebenso wie die Rolltreppe, lässt die Besucher im Zentrum des Ausstellungsraums wie aus dem Nichts auftauchen, sie scheinen sich inmitten eines Theaterstücks wiederzufinden. Auch hier geht es um das Sehen und Gesehenwerden.

Archiv als Schatzkammer

Das Konzept des Museums wird von den Architekten als «veil» (Schleier) und «vault» (Gewölbe/Tresor) umschrieben. Für die unzähligen nicht sichtbaren Werke der Sammlung wurde im mittleren Geschoss ein Depot – konzeptionell die Gewölbekammer – als Herzstück des Museums geschaffen. Diese Kammer kann der Besucher beim Verlassen des Obergeschosses über die Treppe durch zwei Fenster bestaunen. Es ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Sammlung, der ordentlich an Hängewänden des Depots aufgereiht ist. Die Decke der Eingangshalle bildet die Basis für die Tresorkammer. Auf diesen Eingeweiden im 1. Obergeschoss, dem Depot, der Administration und den Konferenzräumen, basiert das Museum. Denn die Schätze können nur teilweise in den Ausstellungsräumen betrachtet werden; dass noch viel mehr vorhanden ist, lässt das schnelle Erhaschen der Depotreihen erahnen.

Es ist eine neue Variante eines Schaulagers, wie es in Basel bereits 2003 von Maja Oeri und Herzog & de Meuron angedacht wurde. Während dort die Schätze nur den ausgewählten Kunstkennern zugänglich sind und in ihrer musealen Präsentationsform aufbewahrt werden, scheint Broad einen etwas anderen Weg gegangen zu sein. Sein Museum ist ein öffentliches Haus, das ohne Eintritt besucht werden kann, das aber durch seine Architektur der Verhüllung und der Einblicke in die archivarische Sammlung neugierig auf die Schätze in ihrer Gesamtheit macht. Damit animiert es auch zum erneuten Besuch. Während bei Herzog & de Meuron die Lagerung im Lehmbau demonstriert wird, ist es bei Diller Scofido Renfro das Schauen-Wollen und Eingeschränkt-Schauen-Lassen, das die Sammlung zum Objekt der Begierde macht.


Anmerkung:
[01] Ein Rechtsstreit mit der Ingenieurfirma Seele Inc., die für die Fertigstellung und Installation der wabenförmigen Paneele zuständig war, verzögerte den Eröffnungstermin um ein Jahr.

TEC21, Di., 2017.01.03



verknüpfte Bauwerke
The Broad



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2017|01-02 Showtime für die Kunst

03. Januar 2017Lilian Pfaff
TEC21

Tanzen mit Mario Botta

An einen postmodernen Museumsbau anzubauen ist schwierig. Die norwegischen Architekten Snøhetta haben ein eigenständiges Volumen als Hintergrundkulisse erstellt, das im Innern mit dem Altbau verschmilzt.

An einen postmodernen Museumsbau anzubauen ist schwierig. Die norwegischen Architekten Snøhetta haben ein eigenständiges Volumen als Hintergrundkulisse erstellt, das im Innern mit dem Altbau verschmilzt.

Drei Jahre lang war das San Francisco Museum of Modern Art (SFMoMA) für die Erweiterung des Museums von Mario Botta geschlossen. Anlass der Expansion war das Versprechen von Donald Fisher, dem Gründer der Bekleidungskette Gap, 1500 seiner Kunstwerke dem Museum für 100 Jahre zu leihen. Zuvor hatte er 2007 erfolglos versucht, sein eigenes Museum in Presidio zu errichten.

Mit 16 000 m² bietet der Anbau nun dreimal mehr Ausstellungsfläche als das alte SFMoMA von Botta. Kostenpunkt: 305 Millionen Dollar (der Botta-Bau kostete 60 Millionen). Wichtige und bekannte Werke der Kunstgeschichte bilden die Blockbuster der Sammlung. So ist ein Stockwerk der deutschen Kunst von Richter, Polke, Kiefer, Gursky und Ruff gewidmet. Weitere 3000 Werke von Privatsammlern wurden in einer beispielhaften Kampagne als Geschenke oder Dauerleihgaben akquiriert. Nach einem internationalen Wettbewerb und einer zweijährigen Planungsphase wurden die norwegischen Architekten Snøhetta 2010 ausgewählt, um den Anbau auszuführen (weitere Finalisten: Adjaye Associates, Diller Scofidio Renfro und Foster Partners).

Erweiterung als Herausforderung

Anbauen an den Bestand ist besonders im engen Stadtgefüge von San Francisco eine Herausforderung. Als Bauplatz stand nur die Rückseite des Museums zur Verfügung – ein Parkplatz mit Feuerwehrzufahrt. Zu den Rahmenbedingungen für die norwegischen Architekten gehörten die Aufgabe, die Museumsfläche in einer wenig attraktiven Lage zu verdreifachen und das Museum besser in die Stadt und Öffentlichkeit zu integrieren, sowie die Frage, wie ein solch ikonischer postmoderner Bau überhaupt erweitert werden kann. Durch den neuen Eingang an der Seite und den Skulpturengarten im 2. Geschoss vor einer «Living Wall», einer mit 19442 (zu 40 % einheimischen) Pflanzen bestückten grünen Wand setzt sich die Architektur deutlich als eigenständiges Bauwerk ab.

Der Neubau orientiert sich mit seinen Öffnungen und der Terrasse im 7. Geschoss vor allem zur anderen, also entgegengesetzten Seite der Stadt hin. Er steht sozusagen Rücken an Rücken mit Mario Bottas Bau. Damit schaffen die Architekten lichtdurchflutete Treppenräume, die an Felsschluchten erinnern, weil sie sich nach oben immer weiter verjüngen, und drei Stockwerke mit administrativen Räumen, die zu beiden Seiten Fensterbänder haben.

Das Museum ist von zwei Seiten im Erdgeschoss öffentlich zugänglich. Auf der Seite des Snøhetta-Gebäudes befindet sich die Skulptur «Sequence» von Richard Serra, die man von Treppen aus Ahornholz aus überblicken kann. Auf der anderen Seite wurde im Botta-Gebäude das rotundenartige, dunkle und enge Treppenhaus entfernt und durch eine neue, ebenfalls skulpturale, aber offene Treppe ersetzt – nur die vier Säulen blieben als Reminiszenz übrig. Im ersten Stock treffen sich die beiden Häuser im Foyer des Museums. Aufzüge, im Neubau auch Treppen, führen in die sechs Ausstellungsgeschosse hinauf.

In den kleinen Studienmodellen wird deutlich, wie sich die Architekten um eine Positionierung zu Mario Botta bemühen. Craig Dykers von Snøhetta fasst es folgendermassen zusammen: «Beim Tanzen wollen Sie Ihren Partner nicht kopieren, Sie möchten ihn ergänzen, damit Sie sich nicht auf die Füsse treten.»[1] Was von aussen als zwei komplett getrennte Baukörper erscheint, die Rücken an Rücken aneinanderlehnen, wird im Innern vollkommen verzahnt und miteinander verschmolzen. Mit der Architekturtheoretikerin Sylvia Lavin gesprochen, die jüngst eine Theorie des «Kissing»[2] entwickelt hat, könnte die innere Verschmelzung den Kuss der ansonsten individuellen Charaktere verkörpern – denn es ist mehr als der blosse Tanz mit Mario Botta.

Wo der Alt- und wo der Neubau anfängt und aufhört, bemerkt man im Innern oftmals kaum, so gekonnt wurden die Materialien, Farben und Räume aufeinander abgestimmt. Das neue Gebäude ist mit einem Spalt vom alten Gebäude abgesetzt, was im 3. Obergeschoss durch ein kleines Fenster sichtbar und im Boden auf jedem Stock durch zwei Metallleisten gekennzeichnet ist. Dies war wegen der Erdbebensicherheit notwendig, damit sich die Gebäudeteile hin- und herbewegen können. Im Ernstfall klappen die Bodenplanken nach oben und öffnen den Spalt.

Mario Botta selbst ist der Meinung, die Architekten hätten seinen Bau nicht gewürdigt: «Das Gebäude, wie ich es entworfen habe, mass sich mit dem Himmel oder mit der Spitze des 30er-Jahre-Wolkenkratzers, der dahinter aufragt. Die Erweiterung jetzt wirkt wie eine stumme Wand, wie eine aufgeblähte Garderobe.»[3] Tatsächlich gehen die Meinungen der Kritiker weit auseinander, ob hier eine geeignete Anfügung geglückt ist oder ob man Snøhetta nicht besser eine Tabula rasa überlassen hätte, um einen Neuanfang zu wagen. Gerade die Zurücknahme des Neubaus wird oftmals als störend empfunden. Ausserdem wird der Verlust der boxartigen Innentreppe von Botta bemängelt. Wegen der grossen Anzahl Besucher (1.2 Millionen pro Jahr) war jedoch eine bessere Zirkulation durch das Haus notwendig, was mit dem alten Treppenhaus nicht möglich war.

Ausgeklügelte Lichtführung

Eine Gemeinsamkeit der beiden Architekturen ist die spezielle Behandlung des Lichts. Die Galerien im Neubau, von denen die ersten drei allein den 260 ausgestellten Werken der Doris und Donald Fisher Collection gewidmet sind, werden von einem ausgeklügelten künstlichen Lichtsystem erhellt. Es wirft keine Schatten und erzeugt ein angenehmes Licht, das man nicht wahrnimmt und das die Kunstwerke in ihrer Wirkung unterstützt. Alle technischen Details wie Feuermelder, Sprinklersystem und Klimaanlage wurden versteckt.

Die verschiedenen Sammlungen auf den Stockwerken erhalten ihre eigene Deckenausprägung. Die Decken in den ersten drei Etagen haben eine gewölbte Struktur, während sie in den beiden folgenden Geschossen flach sind. Im 7. Stockwerk mit der zeitgenössischen Kunst sind die technischen und konstruktiven Details an der Decke sichtbar. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Kuratoren wurden klare, unaufgeregte Räume im Dienst der Kunst entwickelt, die bis auf eine Wand im Zentrum des Neubaus alle flexibel wandelbar sind.

Naturphänomene als Inspiration

Schon in ihrem ersten international aufsehenerregenden Gebäude, dem Opernhaus in Oslo, versinnbildlichen Snøhetta einen Eisberg im Wasser. Theatralisch erhebt sich die Architektur über der Bucht. Damit der zehnstöckige Gebäudeblock des SFMoMA nicht nur als dienendes Bauwerk hinter jenem von Mario Botta steht und völlig unspektakulär verschwindet, haben sich die Architekten auch hier eine wirkungsvolle Fassade ausgedacht, die dem Bau seine eigene Identität verleiht. Die unregelmässig wirkende Faltung besteht aus über 700 unterschiedlichen, aus Fiberglas verstärkten, weniger als einen Zentimeter starken Polymerpaneelen (FRP), die das Museum als Curtain Wall umschliessen.

Je nach Lichteinfall scheinen sich ihre gefalteten horizontalen Bänder durch die jeweils andersartigen Licht- und Schattenwürfe zu verschieben. Durch die Beimischung von Sand aus der Monterey Bay im Süden von San Francisco wirkt die Fassade auch manchmal wie eine glitzernde Oberfläche. Die Vorlage für die klippenartige Fassadenformation hätten sie, so Architekt Craig Dykers, vor Ort von den aufziehenden Nebelwänden in San Francisco bekommen. Aber auch die spiegelnde Wasseroberfläche der Meeresbucht findet sich wieder. Die Natur oder der Nebel als Hintergrundkulisse zu Botta erzeugt, transferiert und abstrahiert Gefühle beim Betrachter. Man schaudert nicht vor dem Gebäude, empfindet es aber auch nicht als schön. Diese Ambivalenz macht die Qualität des Neubaus aus.


Anmerkungen:
[01] «You don’t want to copy your dance partner, you want to be complimentary to it so you don’t step on each other’s toes.» Craig Dykers von Snøhetta im Interview mit Dan Howarth, Dezeen 02.05.2015 (Übersetzung: Christof Rostert).
[02] Sylvia Lavin: Kissing Architecture, Princeton University Press, 2011.
[03] «The building, as I conceived it, compared itself either with the sky or with the top of the skyscraper dating back to the 1930s at its back. Now the expansion looks like a mute wall, an enlarged wardrobe.» Mario Botta in: Jenna McKnight «Postmodern architecture: San Francisco Museum of Modern Art by Mario Botta», Dezeen 10.08.2015 (Übersetzung: Christof Rostert).

TEC21, Di., 2017.01.03



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2017|01-02 Showtime für die Kunst

21. Mai 2016Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Rücken an Rücken

Mit einem ikonischen Bau von Mario Botta wurde das MoMA von San Francisco 1995 international bekannt. Snøhetta Architekten aus Norwegen haben es nun um ein amorphes Scheibenhaus ergänzt.

Mit einem ikonischen Bau von Mario Botta wurde das MoMA von San Francisco 1995 international bekannt. Snøhetta Architekten aus Norwegen haben es nun um ein amorphes Scheibenhaus ergänzt.

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30. September 2015Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Kunsttempel hinter Waben

In einem viel diskutierten Neubau von Diller Scofidio + Renfro eröffnete vor wenigen Tagen in Los Angeles das Museum von Eli und Edythe Broad. Es zeigt zeitgenössische Kunst der Spitzenklasse.

In einem viel diskutierten Neubau von Diller Scofidio + Renfro eröffnete vor wenigen Tagen in Los Angeles das Museum von Eli und Edythe Broad. Es zeigt zeitgenössische Kunst der Spitzenklasse.

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verknüpfte Bauwerke
The Broad

30. Januar 2015Lilian Pfaff
Johannes Kister
TEC21

«Zwei selbstbewusste Menschen»

Jeder ein Ausdruck seiner Zeit: Obwohl Peter Neufert dieselbe Laufbahn einschlug wie sein Vater Ernst, stand er nicht in dessen Schatten. Was die beiden Architekten charakterisiert, verdeutlicht ein Gespräch mit Peter Neuferts Frau Marys und seiner Tochter Nicole Delmes.

Jeder ein Ausdruck seiner Zeit: Obwohl Peter Neufert dieselbe Laufbahn einschlug wie sein Vater Ernst, stand er nicht in dessen Schatten. Was die beiden Architekten charakterisiert, verdeutlicht ein Gespräch mit Peter Neuferts Frau Marys und seiner Tochter Nicole Delmes.

Lilian Pfaff: Wie kam es zur Gründung des gemeinsamen Büros von Ernst Neufert und seinem Sohn Peter? Es bestand von 1953 bis 1955 – war das eine sogenannte Starthilfe des Vaters für den Sohn?
Marys Neufert: Das kann man so sagen.
Nicole Delmes: Es gibt Tagebücher von meinem Grossvater aus der Zeit, als er noch Peter in Darmstadt unterrichtet hat. Dort steht, dass Peter ein wilder Kerl gewesen sei, nur Flausen im Kopf hatte und nach Amerika wollte. Das heisst, Ernst Neufert wusste, wo es langging. Ich kann mir vorstellen, dass er ihn schützen oder ihm ins Leben helfen wollte.

Johannes Kister: Amerika war für beide wichtig.
Neufert: Das muss man aus der Zeit heraus verstehen. Damals nach Amerika zu gehen, direkt nach der Uni, war ein Abenteuer. Peter wollte etwas Eigenes auf die Beine stellen. Es war aber zehn Jahre nach Kriegsende, das darf man nicht vergessen. Man hatte von Amerika viel gehört, aber davon, was es bedeutete, dort als Architekt ein Büro aufzumachen, wusste man nicht viel. Ernst Neufert ist unter anderen Umständen nach Amerika gegangen. F. L. Wright hatte ihn nach Taliesin East in sein Haus eingeladen.

Kister: Man könnte sich vorstellen, dass Ernst Neufert seinen Sohn ermutigt hätte, nach Amerika zu gehen, denn für ihn selbst waren die amerikanischen Architekten eine wichtige Referenz. Aber es hört sich eher so an, dass er hierbleiben sollte, um zu lernen, was ein richtiger Architekt ist.
Delmes: Es ist erstaunlich, denn Peter hätte sich in Amerika mit seiner Architektur ausleben können, mit den besten Referenzen durch seinen Vater. Ernst war wohl froh, dass sein Sohn nicht nach Amerika ging. Denn er selber wollte sich 1936 auf den Weg in die Staaten machen, als die «Bauentwurfslehre» ein so grosser Erfolg wurde. Das kann aber auch eine Geschichte sein, die er selbst erzählt hat, um seinen Entschluss hierzubleiben zu rechtfertigen.

Pfaff: Haben sich Vater und Sohn über ihre Architektur ausgetauscht?
Neufert: Architekten schauen sich Projekte der anderen an. Sie haben gegenseitig ihre Bauten gesehen, aber nicht alle. Beim Haus X1 hat sich Ernst Neufert immer mal wieder in den Garten gestellt und gesagt, o. k., so kann man das auch machen … so eine Aussage seinerseits bedeutete viel.

Pfaff: Es gibt deutliche Differenzen in der architektonischen Auffassung.
Neufert: Das Selbstbewusstsein von Ernst Neufert hat das gut verkraftet. Peter hatte sich schon immer von seinem alten Herrn abgegrenzt, sobald er aus Darmstadt weggegangen war, war die Distanz hergestellt. Deswegen ist er auch als erste Abnabelung vom Vater ins Büro Peter Friedrich Schneider in Köln gegangen.

Kister: Woran würden Sie das noch festmachen?
Neufert: Ich glaube nicht, dass er es anders machen wollte. Er hatte seine Ideen, die er durch­setzte – aber nicht gegen den Vater, das lag ihm nicht. Er konnte auch zahlreiche Einfamilienhäuser realisieren, so wie er gern wollte. Da brauchte es keinen Kampf mit dem Vater, der eigentlich auch keine Kämpfernatur war. Sie waren eigenständige, selbstbewusste Menschen.

Pfaff: Peter Neufert wurde als Fliegerarchitekt bezeich­net, der über seine Baustellen fliegt, und als jemand, der sich in öffentliche Diskussionen einschaltete.
Neufert: Das ist etwas übertrieben. Das mit dem Flieger macht natürlich eine schöne Überschrift in der Zeitung, dass die Bauherren alles aus der Luft serviert bekommen, aber es war ein winziges Flugzeug, und nirgendwo steht, dass Ernst Neufert auch schon geflogen ist.

Pfaff: Peter feierte gern Feste. Wer war eingeladen?
Neufert: Das war unterschiedlich. Es gab Cocktails nur für Bauherren, die zusammenpassen mussten, denn man konnte sie nicht willkürlich mischen. Es war immer viel los, alle zwei Wochen gab es eine Cocktailparty. Und dann gab es Feste mit einem Motto und Dekoration, zu denen man kostümiert kam.

Kister: Ernst Neufert war vom Bauhaus-Gedanken beeinflusst, bei dem die Technik als Teil der sozialen Verantwortung galt. War das bei seinem Sohn auch Teil der Zukunftsvision? Die Faszination des Bewegens scheint für ihn wichtig gewesen zu sein.
Neufert: Viele der Materialien, die dies ermöglichten, wurden damals erst erfunden oder erstmals im Bauwesen eingesetzt, wie z. B. Kunststoff. Er hat sich dafür interessiert und damit experimentiert. Aber ganze Wände aus Kunststoff gab es noch nicht, das war alles in den Anfangsstadien.
Delmes: Wie die Verkleidung einer ganzen Fassade durch den Künstler Otto Piene an der Wormland-Fassade in der Hohen Strasse in Köln (Abb. S. 22).

Pfaff: Wie kam es dazu?
Neufert: Peter hatte ihn über die Künstlerin Mary Bauermeister kennengelernt. Und als Piene anmerkte, dass man seine Kunst auch als Fassade machen könnte, hat Peter ihn mit dem Bauherrn bekannt gemacht. Das Kunstwerk war mehr als nur eine Fassade, es war kinetisch – es drehte sich und war beleuchtet.

Kister: Wäre Peter gern Künstler geworden?
Delmes: Nein, er war mehr am Austausch interessiert und wie weit man die Dinge noch ausreizen könne, als dass er sich allein damit im Atelier beschäftigen wollte. Es gab die Ausstellung «Der Geist der Zeit» in unserem Haus mit verschiedenen Künstlern, wie Arman, Max Bill, Heinz Mack, Almir Mavignier, Arnulf Rainer, Dieter Rot, Daniel Spoerri und anderen.
Neufert: Ich erinnere mich, Mary Bauermeister hat die Ausstellung kuratiert, und sie kannte all die Künstler. Sie wohnte in der Lintgasse, in einem Wohnhaus, das Peter entworfen hatte. Da man nicht sicher war, ob die Decke im Obergeschoss statisch trägt, haben wir angeboten, die Ausstellung bei uns zu machen. Moderne Kunst war noch gewöhnungs­bedürftig. Otto Piene war gefragt worden, was denn moderne Kunst sei. Er setzte sich an der Eröffnung zehn Minuten hin und sagte gar nichts. Danach meinte er: Sehen Sie, was Sie jetzt gedacht haben, das ist moderne Kunst.

Pfaff: Peters eigenes Haus X1 ist ein Paradebeispiel für seine künstlerische architektonische Haltung. Die Fassade erinnert an Malewitschs Kuben oder eine dreidimensionale Umsetzung eines Vasarely-Bilds.
Neufert: Hinten den einzelnen Kästen ver­bergen sich Schränke, Heizungen, Lüftungen und Müll­eimer. Alles funktionale Einheiten, die sich an der Fassade als Ausstülpungen ablesen lassen.

Kister: Peter scheint einen persönlichen Zugang zu den Projekten gehabt zu haben, ohne theoretischen Überbau.
Delmes: Mein Vater war nicht jemand, der ein Werk schaffen oder eine künstlerische Handschrift etablieren wollte. Er interessierte sich für das Projekt, und wenn es gebaut war, war es nicht mehr der Rede wert, sondern es musste etwas Neues kommen. Ich kann mich erinnern, wie er sich jahrelang aufgerieben hat für das Palmenhaus. Er hatte die Idee, Wohnen und Geschäfte in einem Mini-Gesellschaftskonzept zu vereinen. Das wurde nicht genehmigt wegen eines Stockwerks. Für diese Idee hat er jeden Meter gekämpft und dann aufgeben müssen. Es wurde so verkleinert, dass der Bau keine Kraft mehr ausstrahlte. Unter dieser Beschränkung hat er sehr gelitten.


[Interview von Lilian Pfaff, Korrespondentin TEC21, und Johannes Kister, Professor an der Hochschule Dessau am Bauhaus, der die Bauentwurfslehre für die Neufert-Stiftung aktualisiert, mit Peter Neuferts Frau Marys Neufert, und Tochter Nicole Delmes am 2. August 2013 im Haus X1 in Köln.]

TEC21, Fr., 2015.01.30



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2015|05-06 Vater und Sohn Neufert

13. Dezember 2014Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Die Moderne in der Wüste

Mit einer Ausstellung über den Architekten E. Stewart Williams wurde Anfang November das neue Zentrum für Architektur und Design des Art Museum in Palm Springs eröffnet. Der aus der Region stammende Architekt war auch der Erbauer des Ausstellungsgebäudes, das 1961 als Bankfiliale eröffnet wurde.

Mit einer Ausstellung über den Architekten E. Stewart Williams wurde Anfang November das neue Zentrum für Architektur und Design des Art Museum in Palm Springs eröffnet. Der aus der Region stammende Architekt war auch der Erbauer des Ausstellungsgebäudes, das 1961 als Bankfiliale eröffnet wurde.

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Publikationen

Presseschau 12

30. Juni 2019Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Europäische Museumsprojekte haben einen schweren Stand in Los Angeles

Es sei vor allem Diane Keaton und Brad Pitt zu verdanken, dass Peter Zumthors Pläne für den Neubau des Kunstmuseums weiterverfolgt würden: Ihr Zuspruch half, dass den Entwurf nicht das gleiche Schicksal ereilt wie einst Mies van der Rohes und Rem Koolhaas’ Ideen: Diese wurden nämlich nie realisiert.

Es sei vor allem Diane Keaton und Brad Pitt zu verdanken, dass Peter Zumthors Pläne für den Neubau des Kunstmuseums weiterverfolgt würden: Ihr Zuspruch half, dass den Entwurf nicht das gleiche Schicksal ereilt wie einst Mies van der Rohes und Rem Koolhaas’ Ideen: Diese wurden nämlich nie realisiert.

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20. Juni 2018Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Thomas Manns Haus soll mehr sein als ein Denkmal

Um ein Haar wäre Thomas Manns einstiges Wohnhaus in Kalifornien als Abrissobjekt verkauft worden. Nach einem tiefgreifenden Umbau soll es nun ein Forum für Stipendiaten aus geisteswissenschaftlichen Disziplinen, Literatur und Politik werden.

Um ein Haar wäre Thomas Manns einstiges Wohnhaus in Kalifornien als Abrissobjekt verkauft worden. Nach einem tiefgreifenden Umbau soll es nun ein Forum für Stipendiaten aus geisteswissenschaftlichen Disziplinen, Literatur und Politik werden.

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03. Januar 2017Lilian Pfaff
TEC21

Schleier und Gewölbe

Der Kunstmäzen Eli Broad hat sich von Diller Scofidio + Renfro neben die glänzende Walt Disney Concert Hall in Downtown Los Angeles eine Schatztruhe bauen lassen. Seine Sammlung umfasst rund 2000 Werke der Nachkriegskunst und der zeitgenössischen Kunst.

Der Kunstmäzen Eli Broad hat sich von Diller Scofidio + Renfro neben die glänzende Walt Disney Concert Hall in Downtown Los Angeles eine Schatztruhe bauen lassen. Seine Sammlung umfasst rund 2000 Werke der Nachkriegskunst und der zeitgenössischen Kunst.

Das Zentrum von Los Angeles an der Grand Avenue ist seit über fünf Jahrzehnten im Werden begriffen. Mitte der 1950er-Jahre wurde der Gebäudebestand des ehemals bürgerlichen Viertels Bunker Hill dem Erdboden gleichgemacht. In den 1980er-Jahren entstanden hier planlos nebeneinander Hochhäuser und Apartmentblöcke. Doch seit dem Bau des Museum of Contemporary Art (MOCA, vgl. TEC21 11/2009) wandelt sich Bunker Hill zu einer Kulturmeile.

An all den neuen Kulturbauten – Walt Disney Concert Hall 2003, Cathedral of Our Lady of the Angels 2002, Ramon C. Cortines School of Visual and Performing Arts 2002 etc. – war der Immobilienmogul, Mäzen und Kunstsammler Eli Broad beteiligt. Um seine Person und Sammlung ranken sich Gerichtsprozesse und illustre Geschichten. Hat er doch in den letzten Jahren erst das MOCA finanziell vor dem Bankrott gerettet, nur um nun – als direkte Konkurrenz zu diesem – auf der gegenüberliegenden Seite sein eigenes Museum zu bauen. Wie es gelingen kann, dass sich das Gebäude von seinen Nachbarn absetzt und sich gleichzeitig in die von ihm mitgeprägte Kulturmeile einpasst, war eine der Aufgabenstellungen an die fünf Architekten, die Broad 2010 zum Wettbewerb eingeladen hatte. 2011 beauftragte er die New Yorker Architekten Diller Scofidio Renfro mit dem Projekt und gab ihnen damit den Vorrang vor Rem Koolhaas, Herzog & de Meuron, Christian de Potzamparc und SANAA.

Zur Stadt hin ein Schleier

Von aussen erscheint das Gebäude fast banal, wie eine der vielen Parkgaragen in Los Angeles: Es ist eine einfache Box mit perforierter Hülle. An zwei Ecken ist sie aufgeschnitten, um Raum für die Eingänge zu schaffen. 2500 Stahlbetonpaneele bilden die Waben der Hülle, die das dreigeschossige Gebäude auf allen Seiten umgibt. Gehalten werden sie von einem 650 t schweren Stahlgerüst.[1] Ohne visuellen Abschluss zum Dach und zu den Ecken wirkt die Fassade wie ein abgeschnittener bzw. das Gebäude unendlich umhüllender Stoff (Abb. unten).

Die Fassade erinnert an das 1964 erstellte American Cement Building am Wilshire Boulevard oder auch an andere spätmodernistische Experimente von Le Corbusier mit Betonfassadenelementen. Vor allem aber setzt sie einen klaren Kontrapunkt zu der silbrig glänzenden, skulpturalen Konzerthalle von Frank Gehry daneben. Es ist ein matter Kubus mit einer auf halber Höhe der Hauptfassade dezentrierten Einbuchtung – dem als Okulus bezeichneten Fensterauge (Abbildung und Grundriss).

Fenster in Anführungszeichen

Die Erwartung, die der Anblick der Fassade weckt – wie wird es hinter dem Auge beziehungsweise der eingedrückten Wand aussehen? –, führt zum eigentlichen Konzept des Museums: Der Besucher ist gleichzeitig Teilnehmer und Beobachter, Sehender und Gesehener. Es ist eine Erwartung, die grundsätzlich bei einer Verhüllung entsteht – man denke hier auch an Christo und Jeanne-Claude –, von aussen verborgen und von innen dann entzaubert.

Die norwegische Schriftstellerin und Kritikerin Victoria Bugge Øye hat diesen Okulus und die vielen kleinen schiessschartenartigen Fenster hinter der Honigwabenstruktur als «Fenster in Anführungszeichen» verstanden. Ihrer Ansicht nach stehen die transparenten Öffnungen für mehr als nur für ein Fenster. Enttäuscht steht man dann aber im Konferenzraum und sieht den Okulus von innen: eine einfache eingebuchtete Fassade. Auch die kleinen Fenster an zwei Seiten der Fassade dienen lediglich der Orientierung zum MOCA und zur Walt Disney Concert Hall, ohne einen Ausblick zu bieten.

Vom Dunkel ins Licht

Hinter dem Schleier der Museumslobby herrscht eine andere Atmosphäre. Der Vorhang zeigt sich selbstbewusst als eigenständiges Gebilde und setzt sich von der dahinter liegenden Glasfassade ab. Es entsteht ein schmaler Gang im Aussenraum. Dunkle, höhlenartig gewölbte Betonwände führen zum kleineren Ausstellungsbereich (mit 1300 m²) für zeitgenössische Kunst. Ein Tunnel mit einer schmalen, 32 m langen Rolltreppe führt durch eine kleine, lichtdurchflutete Öffnung ins 2. Obergeschoss. Der fast 4000 m² grosse stützenfreie Raum mit seinen 7 m hohen Decken, in dem flexible Ausstellungswände in einem 3 × 3-Meter-Raster beliebig installiert werden können, wird über 318 nördlich orientierte Oberlichter einheitlich mit Tageslicht beleuchtet (Abbildung).

Obwohl die Oberlichter den Waben der Aussenfassade ähnlich sind, erinnert der Gesamteindruck der Räume an das Eli Broad Museum des Los Angeles County Museum (LACMA), das Renzo Piano vor knapp sieben Jahren für dieselbe Sammlung fertiggestellt hat und bei der ebenfalls eine Rolltreppe ins Obergeschoss führt. Bei Diller Scofidio Renfro, die mit der lokalen Firma Gensler kooperierten, wird allerdings im Gegensatz dazu die Ankunft theatralisch inszeniert. Ein gläserner runder Aufzug, ebenso wie die Rolltreppe, lässt die Besucher im Zentrum des Ausstellungsraums wie aus dem Nichts auftauchen, sie scheinen sich inmitten eines Theaterstücks wiederzufinden. Auch hier geht es um das Sehen und Gesehenwerden.

Archiv als Schatzkammer

Das Konzept des Museums wird von den Architekten als «veil» (Schleier) und «vault» (Gewölbe/Tresor) umschrieben. Für die unzähligen nicht sichtbaren Werke der Sammlung wurde im mittleren Geschoss ein Depot – konzeptionell die Gewölbekammer – als Herzstück des Museums geschaffen. Diese Kammer kann der Besucher beim Verlassen des Obergeschosses über die Treppe durch zwei Fenster bestaunen. Es ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Sammlung, der ordentlich an Hängewänden des Depots aufgereiht ist. Die Decke der Eingangshalle bildet die Basis für die Tresorkammer. Auf diesen Eingeweiden im 1. Obergeschoss, dem Depot, der Administration und den Konferenzräumen, basiert das Museum. Denn die Schätze können nur teilweise in den Ausstellungsräumen betrachtet werden; dass noch viel mehr vorhanden ist, lässt das schnelle Erhaschen der Depotreihen erahnen.

Es ist eine neue Variante eines Schaulagers, wie es in Basel bereits 2003 von Maja Oeri und Herzog & de Meuron angedacht wurde. Während dort die Schätze nur den ausgewählten Kunstkennern zugänglich sind und in ihrer musealen Präsentationsform aufbewahrt werden, scheint Broad einen etwas anderen Weg gegangen zu sein. Sein Museum ist ein öffentliches Haus, das ohne Eintritt besucht werden kann, das aber durch seine Architektur der Verhüllung und der Einblicke in die archivarische Sammlung neugierig auf die Schätze in ihrer Gesamtheit macht. Damit animiert es auch zum erneuten Besuch. Während bei Herzog & de Meuron die Lagerung im Lehmbau demonstriert wird, ist es bei Diller Scofido Renfro das Schauen-Wollen und Eingeschränkt-Schauen-Lassen, das die Sammlung zum Objekt der Begierde macht.


Anmerkung:
[01] Ein Rechtsstreit mit der Ingenieurfirma Seele Inc., die für die Fertigstellung und Installation der wabenförmigen Paneele zuständig war, verzögerte den Eröffnungstermin um ein Jahr.

TEC21, Di., 2017.01.03



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03. Januar 2017Lilian Pfaff
TEC21

Tanzen mit Mario Botta

An einen postmodernen Museumsbau anzubauen ist schwierig. Die norwegischen Architekten Snøhetta haben ein eigenständiges Volumen als Hintergrundkulisse erstellt, das im Innern mit dem Altbau verschmilzt.

An einen postmodernen Museumsbau anzubauen ist schwierig. Die norwegischen Architekten Snøhetta haben ein eigenständiges Volumen als Hintergrundkulisse erstellt, das im Innern mit dem Altbau verschmilzt.

Drei Jahre lang war das San Francisco Museum of Modern Art (SFMoMA) für die Erweiterung des Museums von Mario Botta geschlossen. Anlass der Expansion war das Versprechen von Donald Fisher, dem Gründer der Bekleidungskette Gap, 1500 seiner Kunstwerke dem Museum für 100 Jahre zu leihen. Zuvor hatte er 2007 erfolglos versucht, sein eigenes Museum in Presidio zu errichten.

Mit 16 000 m² bietet der Anbau nun dreimal mehr Ausstellungsfläche als das alte SFMoMA von Botta. Kostenpunkt: 305 Millionen Dollar (der Botta-Bau kostete 60 Millionen). Wichtige und bekannte Werke der Kunstgeschichte bilden die Blockbuster der Sammlung. So ist ein Stockwerk der deutschen Kunst von Richter, Polke, Kiefer, Gursky und Ruff gewidmet. Weitere 3000 Werke von Privatsammlern wurden in einer beispielhaften Kampagne als Geschenke oder Dauerleihgaben akquiriert. Nach einem internationalen Wettbewerb und einer zweijährigen Planungsphase wurden die norwegischen Architekten Snøhetta 2010 ausgewählt, um den Anbau auszuführen (weitere Finalisten: Adjaye Associates, Diller Scofidio Renfro und Foster Partners).

Erweiterung als Herausforderung

Anbauen an den Bestand ist besonders im engen Stadtgefüge von San Francisco eine Herausforderung. Als Bauplatz stand nur die Rückseite des Museums zur Verfügung – ein Parkplatz mit Feuerwehrzufahrt. Zu den Rahmenbedingungen für die norwegischen Architekten gehörten die Aufgabe, die Museumsfläche in einer wenig attraktiven Lage zu verdreifachen und das Museum besser in die Stadt und Öffentlichkeit zu integrieren, sowie die Frage, wie ein solch ikonischer postmoderner Bau überhaupt erweitert werden kann. Durch den neuen Eingang an der Seite und den Skulpturengarten im 2. Geschoss vor einer «Living Wall», einer mit 19442 (zu 40 % einheimischen) Pflanzen bestückten grünen Wand setzt sich die Architektur deutlich als eigenständiges Bauwerk ab.

Der Neubau orientiert sich mit seinen Öffnungen und der Terrasse im 7. Geschoss vor allem zur anderen, also entgegengesetzten Seite der Stadt hin. Er steht sozusagen Rücken an Rücken mit Mario Bottas Bau. Damit schaffen die Architekten lichtdurchflutete Treppenräume, die an Felsschluchten erinnern, weil sie sich nach oben immer weiter verjüngen, und drei Stockwerke mit administrativen Räumen, die zu beiden Seiten Fensterbänder haben.

Das Museum ist von zwei Seiten im Erdgeschoss öffentlich zugänglich. Auf der Seite des Snøhetta-Gebäudes befindet sich die Skulptur «Sequence» von Richard Serra, die man von Treppen aus Ahornholz aus überblicken kann. Auf der anderen Seite wurde im Botta-Gebäude das rotundenartige, dunkle und enge Treppenhaus entfernt und durch eine neue, ebenfalls skulpturale, aber offene Treppe ersetzt – nur die vier Säulen blieben als Reminiszenz übrig. Im ersten Stock treffen sich die beiden Häuser im Foyer des Museums. Aufzüge, im Neubau auch Treppen, führen in die sechs Ausstellungsgeschosse hinauf.

In den kleinen Studienmodellen wird deutlich, wie sich die Architekten um eine Positionierung zu Mario Botta bemühen. Craig Dykers von Snøhetta fasst es folgendermassen zusammen: «Beim Tanzen wollen Sie Ihren Partner nicht kopieren, Sie möchten ihn ergänzen, damit Sie sich nicht auf die Füsse treten.»[1] Was von aussen als zwei komplett getrennte Baukörper erscheint, die Rücken an Rücken aneinanderlehnen, wird im Innern vollkommen verzahnt und miteinander verschmolzen. Mit der Architekturtheoretikerin Sylvia Lavin gesprochen, die jüngst eine Theorie des «Kissing»[2] entwickelt hat, könnte die innere Verschmelzung den Kuss der ansonsten individuellen Charaktere verkörpern – denn es ist mehr als der blosse Tanz mit Mario Botta.

Wo der Alt- und wo der Neubau anfängt und aufhört, bemerkt man im Innern oftmals kaum, so gekonnt wurden die Materialien, Farben und Räume aufeinander abgestimmt. Das neue Gebäude ist mit einem Spalt vom alten Gebäude abgesetzt, was im 3. Obergeschoss durch ein kleines Fenster sichtbar und im Boden auf jedem Stock durch zwei Metallleisten gekennzeichnet ist. Dies war wegen der Erdbebensicherheit notwendig, damit sich die Gebäudeteile hin- und herbewegen können. Im Ernstfall klappen die Bodenplanken nach oben und öffnen den Spalt.

Mario Botta selbst ist der Meinung, die Architekten hätten seinen Bau nicht gewürdigt: «Das Gebäude, wie ich es entworfen habe, mass sich mit dem Himmel oder mit der Spitze des 30er-Jahre-Wolkenkratzers, der dahinter aufragt. Die Erweiterung jetzt wirkt wie eine stumme Wand, wie eine aufgeblähte Garderobe.»[3] Tatsächlich gehen die Meinungen der Kritiker weit auseinander, ob hier eine geeignete Anfügung geglückt ist oder ob man Snøhetta nicht besser eine Tabula rasa überlassen hätte, um einen Neuanfang zu wagen. Gerade die Zurücknahme des Neubaus wird oftmals als störend empfunden. Ausserdem wird der Verlust der boxartigen Innentreppe von Botta bemängelt. Wegen der grossen Anzahl Besucher (1.2 Millionen pro Jahr) war jedoch eine bessere Zirkulation durch das Haus notwendig, was mit dem alten Treppenhaus nicht möglich war.

Ausgeklügelte Lichtführung

Eine Gemeinsamkeit der beiden Architekturen ist die spezielle Behandlung des Lichts. Die Galerien im Neubau, von denen die ersten drei allein den 260 ausgestellten Werken der Doris und Donald Fisher Collection gewidmet sind, werden von einem ausgeklügelten künstlichen Lichtsystem erhellt. Es wirft keine Schatten und erzeugt ein angenehmes Licht, das man nicht wahrnimmt und das die Kunstwerke in ihrer Wirkung unterstützt. Alle technischen Details wie Feuermelder, Sprinklersystem und Klimaanlage wurden versteckt.

Die verschiedenen Sammlungen auf den Stockwerken erhalten ihre eigene Deckenausprägung. Die Decken in den ersten drei Etagen haben eine gewölbte Struktur, während sie in den beiden folgenden Geschossen flach sind. Im 7. Stockwerk mit der zeitgenössischen Kunst sind die technischen und konstruktiven Details an der Decke sichtbar. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Kuratoren wurden klare, unaufgeregte Räume im Dienst der Kunst entwickelt, die bis auf eine Wand im Zentrum des Neubaus alle flexibel wandelbar sind.

Naturphänomene als Inspiration

Schon in ihrem ersten international aufsehenerregenden Gebäude, dem Opernhaus in Oslo, versinnbildlichen Snøhetta einen Eisberg im Wasser. Theatralisch erhebt sich die Architektur über der Bucht. Damit der zehnstöckige Gebäudeblock des SFMoMA nicht nur als dienendes Bauwerk hinter jenem von Mario Botta steht und völlig unspektakulär verschwindet, haben sich die Architekten auch hier eine wirkungsvolle Fassade ausgedacht, die dem Bau seine eigene Identität verleiht. Die unregelmässig wirkende Faltung besteht aus über 700 unterschiedlichen, aus Fiberglas verstärkten, weniger als einen Zentimeter starken Polymerpaneelen (FRP), die das Museum als Curtain Wall umschliessen.

Je nach Lichteinfall scheinen sich ihre gefalteten horizontalen Bänder durch die jeweils andersartigen Licht- und Schattenwürfe zu verschieben. Durch die Beimischung von Sand aus der Monterey Bay im Süden von San Francisco wirkt die Fassade auch manchmal wie eine glitzernde Oberfläche. Die Vorlage für die klippenartige Fassadenformation hätten sie, so Architekt Craig Dykers, vor Ort von den aufziehenden Nebelwänden in San Francisco bekommen. Aber auch die spiegelnde Wasseroberfläche der Meeresbucht findet sich wieder. Die Natur oder der Nebel als Hintergrundkulisse zu Botta erzeugt, transferiert und abstrahiert Gefühle beim Betrachter. Man schaudert nicht vor dem Gebäude, empfindet es aber auch nicht als schön. Diese Ambivalenz macht die Qualität des Neubaus aus.


Anmerkungen:
[01] «You don’t want to copy your dance partner, you want to be complimentary to it so you don’t step on each other’s toes.» Craig Dykers von Snøhetta im Interview mit Dan Howarth, Dezeen 02.05.2015 (Übersetzung: Christof Rostert).
[02] Sylvia Lavin: Kissing Architecture, Princeton University Press, 2011.
[03] «The building, as I conceived it, compared itself either with the sky or with the top of the skyscraper dating back to the 1930s at its back. Now the expansion looks like a mute wall, an enlarged wardrobe.» Mario Botta in: Jenna McKnight «Postmodern architecture: San Francisco Museum of Modern Art by Mario Botta», Dezeen 10.08.2015 (Übersetzung: Christof Rostert).

TEC21, Di., 2017.01.03



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21. Mai 2016Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Rücken an Rücken

Mit einem ikonischen Bau von Mario Botta wurde das MoMA von San Francisco 1995 international bekannt. Snøhetta Architekten aus Norwegen haben es nun um ein amorphes Scheibenhaus ergänzt.

Mit einem ikonischen Bau von Mario Botta wurde das MoMA von San Francisco 1995 international bekannt. Snøhetta Architekten aus Norwegen haben es nun um ein amorphes Scheibenhaus ergänzt.

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30. September 2015Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Kunsttempel hinter Waben

In einem viel diskutierten Neubau von Diller Scofidio + Renfro eröffnete vor wenigen Tagen in Los Angeles das Museum von Eli und Edythe Broad. Es zeigt zeitgenössische Kunst der Spitzenklasse.

In einem viel diskutierten Neubau von Diller Scofidio + Renfro eröffnete vor wenigen Tagen in Los Angeles das Museum von Eli und Edythe Broad. Es zeigt zeitgenössische Kunst der Spitzenklasse.

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30. Januar 2015Lilian Pfaff
Johannes Kister
TEC21

«Zwei selbstbewusste Menschen»

Jeder ein Ausdruck seiner Zeit: Obwohl Peter Neufert dieselbe Laufbahn einschlug wie sein Vater Ernst, stand er nicht in dessen Schatten. Was die beiden Architekten charakterisiert, verdeutlicht ein Gespräch mit Peter Neuferts Frau Marys und seiner Tochter Nicole Delmes.

Jeder ein Ausdruck seiner Zeit: Obwohl Peter Neufert dieselbe Laufbahn einschlug wie sein Vater Ernst, stand er nicht in dessen Schatten. Was die beiden Architekten charakterisiert, verdeutlicht ein Gespräch mit Peter Neuferts Frau Marys und seiner Tochter Nicole Delmes.

Lilian Pfaff: Wie kam es zur Gründung des gemeinsamen Büros von Ernst Neufert und seinem Sohn Peter? Es bestand von 1953 bis 1955 – war das eine sogenannte Starthilfe des Vaters für den Sohn?
Marys Neufert: Das kann man so sagen.
Nicole Delmes: Es gibt Tagebücher von meinem Grossvater aus der Zeit, als er noch Peter in Darmstadt unterrichtet hat. Dort steht, dass Peter ein wilder Kerl gewesen sei, nur Flausen im Kopf hatte und nach Amerika wollte. Das heisst, Ernst Neufert wusste, wo es langging. Ich kann mir vorstellen, dass er ihn schützen oder ihm ins Leben helfen wollte.

Johannes Kister: Amerika war für beide wichtig.
Neufert: Das muss man aus der Zeit heraus verstehen. Damals nach Amerika zu gehen, direkt nach der Uni, war ein Abenteuer. Peter wollte etwas Eigenes auf die Beine stellen. Es war aber zehn Jahre nach Kriegsende, das darf man nicht vergessen. Man hatte von Amerika viel gehört, aber davon, was es bedeutete, dort als Architekt ein Büro aufzumachen, wusste man nicht viel. Ernst Neufert ist unter anderen Umständen nach Amerika gegangen. F. L. Wright hatte ihn nach Taliesin East in sein Haus eingeladen.

Kister: Man könnte sich vorstellen, dass Ernst Neufert seinen Sohn ermutigt hätte, nach Amerika zu gehen, denn für ihn selbst waren die amerikanischen Architekten eine wichtige Referenz. Aber es hört sich eher so an, dass er hierbleiben sollte, um zu lernen, was ein richtiger Architekt ist.
Delmes: Es ist erstaunlich, denn Peter hätte sich in Amerika mit seiner Architektur ausleben können, mit den besten Referenzen durch seinen Vater. Ernst war wohl froh, dass sein Sohn nicht nach Amerika ging. Denn er selber wollte sich 1936 auf den Weg in die Staaten machen, als die «Bauentwurfslehre» ein so grosser Erfolg wurde. Das kann aber auch eine Geschichte sein, die er selbst erzählt hat, um seinen Entschluss hierzubleiben zu rechtfertigen.

Pfaff: Haben sich Vater und Sohn über ihre Architektur ausgetauscht?
Neufert: Architekten schauen sich Projekte der anderen an. Sie haben gegenseitig ihre Bauten gesehen, aber nicht alle. Beim Haus X1 hat sich Ernst Neufert immer mal wieder in den Garten gestellt und gesagt, o. k., so kann man das auch machen … so eine Aussage seinerseits bedeutete viel.

Pfaff: Es gibt deutliche Differenzen in der architektonischen Auffassung.
Neufert: Das Selbstbewusstsein von Ernst Neufert hat das gut verkraftet. Peter hatte sich schon immer von seinem alten Herrn abgegrenzt, sobald er aus Darmstadt weggegangen war, war die Distanz hergestellt. Deswegen ist er auch als erste Abnabelung vom Vater ins Büro Peter Friedrich Schneider in Köln gegangen.

Kister: Woran würden Sie das noch festmachen?
Neufert: Ich glaube nicht, dass er es anders machen wollte. Er hatte seine Ideen, die er durch­setzte – aber nicht gegen den Vater, das lag ihm nicht. Er konnte auch zahlreiche Einfamilienhäuser realisieren, so wie er gern wollte. Da brauchte es keinen Kampf mit dem Vater, der eigentlich auch keine Kämpfernatur war. Sie waren eigenständige, selbstbewusste Menschen.

Pfaff: Peter Neufert wurde als Fliegerarchitekt bezeich­net, der über seine Baustellen fliegt, und als jemand, der sich in öffentliche Diskussionen einschaltete.
Neufert: Das ist etwas übertrieben. Das mit dem Flieger macht natürlich eine schöne Überschrift in der Zeitung, dass die Bauherren alles aus der Luft serviert bekommen, aber es war ein winziges Flugzeug, und nirgendwo steht, dass Ernst Neufert auch schon geflogen ist.

Pfaff: Peter feierte gern Feste. Wer war eingeladen?
Neufert: Das war unterschiedlich. Es gab Cocktails nur für Bauherren, die zusammenpassen mussten, denn man konnte sie nicht willkürlich mischen. Es war immer viel los, alle zwei Wochen gab es eine Cocktailparty. Und dann gab es Feste mit einem Motto und Dekoration, zu denen man kostümiert kam.

Kister: Ernst Neufert war vom Bauhaus-Gedanken beeinflusst, bei dem die Technik als Teil der sozialen Verantwortung galt. War das bei seinem Sohn auch Teil der Zukunftsvision? Die Faszination des Bewegens scheint für ihn wichtig gewesen zu sein.
Neufert: Viele der Materialien, die dies ermöglichten, wurden damals erst erfunden oder erstmals im Bauwesen eingesetzt, wie z. B. Kunststoff. Er hat sich dafür interessiert und damit experimentiert. Aber ganze Wände aus Kunststoff gab es noch nicht, das war alles in den Anfangsstadien.
Delmes: Wie die Verkleidung einer ganzen Fassade durch den Künstler Otto Piene an der Wormland-Fassade in der Hohen Strasse in Köln (Abb. S. 22).

Pfaff: Wie kam es dazu?
Neufert: Peter hatte ihn über die Künstlerin Mary Bauermeister kennengelernt. Und als Piene anmerkte, dass man seine Kunst auch als Fassade machen könnte, hat Peter ihn mit dem Bauherrn bekannt gemacht. Das Kunstwerk war mehr als nur eine Fassade, es war kinetisch – es drehte sich und war beleuchtet.

Kister: Wäre Peter gern Künstler geworden?
Delmes: Nein, er war mehr am Austausch interessiert und wie weit man die Dinge noch ausreizen könne, als dass er sich allein damit im Atelier beschäftigen wollte. Es gab die Ausstellung «Der Geist der Zeit» in unserem Haus mit verschiedenen Künstlern, wie Arman, Max Bill, Heinz Mack, Almir Mavignier, Arnulf Rainer, Dieter Rot, Daniel Spoerri und anderen.
Neufert: Ich erinnere mich, Mary Bauermeister hat die Ausstellung kuratiert, und sie kannte all die Künstler. Sie wohnte in der Lintgasse, in einem Wohnhaus, das Peter entworfen hatte. Da man nicht sicher war, ob die Decke im Obergeschoss statisch trägt, haben wir angeboten, die Ausstellung bei uns zu machen. Moderne Kunst war noch gewöhnungs­bedürftig. Otto Piene war gefragt worden, was denn moderne Kunst sei. Er setzte sich an der Eröffnung zehn Minuten hin und sagte gar nichts. Danach meinte er: Sehen Sie, was Sie jetzt gedacht haben, das ist moderne Kunst.

Pfaff: Peters eigenes Haus X1 ist ein Paradebeispiel für seine künstlerische architektonische Haltung. Die Fassade erinnert an Malewitschs Kuben oder eine dreidimensionale Umsetzung eines Vasarely-Bilds.
Neufert: Hinten den einzelnen Kästen ver­bergen sich Schränke, Heizungen, Lüftungen und Müll­eimer. Alles funktionale Einheiten, die sich an der Fassade als Ausstülpungen ablesen lassen.

Kister: Peter scheint einen persönlichen Zugang zu den Projekten gehabt zu haben, ohne theoretischen Überbau.
Delmes: Mein Vater war nicht jemand, der ein Werk schaffen oder eine künstlerische Handschrift etablieren wollte. Er interessierte sich für das Projekt, und wenn es gebaut war, war es nicht mehr der Rede wert, sondern es musste etwas Neues kommen. Ich kann mich erinnern, wie er sich jahrelang aufgerieben hat für das Palmenhaus. Er hatte die Idee, Wohnen und Geschäfte in einem Mini-Gesellschaftskonzept zu vereinen. Das wurde nicht genehmigt wegen eines Stockwerks. Für diese Idee hat er jeden Meter gekämpft und dann aufgeben müssen. Es wurde so verkleinert, dass der Bau keine Kraft mehr ausstrahlte. Unter dieser Beschränkung hat er sehr gelitten.


[Interview von Lilian Pfaff, Korrespondentin TEC21, und Johannes Kister, Professor an der Hochschule Dessau am Bauhaus, der die Bauentwurfslehre für die Neufert-Stiftung aktualisiert, mit Peter Neuferts Frau Marys Neufert, und Tochter Nicole Delmes am 2. August 2013 im Haus X1 in Köln.]

TEC21, Fr., 2015.01.30



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TEC21 2015|05-06 Vater und Sohn Neufert

13. Dezember 2014Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Die Moderne in der Wüste

Mit einer Ausstellung über den Architekten E. Stewart Williams wurde Anfang November das neue Zentrum für Architektur und Design des Art Museum in Palm Springs eröffnet. Der aus der Region stammende Architekt war auch der Erbauer des Ausstellungsgebäudes, das 1961 als Bankfiliale eröffnet wurde.

Mit einer Ausstellung über den Architekten E. Stewart Williams wurde Anfang November das neue Zentrum für Architektur und Design des Art Museum in Palm Springs eröffnet. Der aus der Region stammende Architekt war auch der Erbauer des Ausstellungsgebäudes, das 1961 als Bankfiliale eröffnet wurde.

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27. Februar 2014Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Steven Holls hybride Bauten

Eigenwillig komponierte und durch Brücken miteinander verbundene Hochhäuser baut der amerikanische Architekt Steven Holl in China. Eine Ausstellung und eine Publikation vermitteln einen Eindruck davon.

Eigenwillig komponierte und durch Brücken miteinander verbundene Hochhäuser baut der amerikanische Architekt Steven Holl in China. Eine Ausstellung und eine Publikation vermitteln einen Eindruck davon.

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09. Februar 2014Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Bauten von globaler Präsenz

Internationale Bekanntheit erlangte der Architekt Moshe Safdie schon früh mit der Wohnsiedlung Habitat 67 in Montreal. Seither hat er ein umfangreiches Werk verwirklicht, das derzeit in einer grossen Retrospektive im Skirball Cultural Center in Los Angeles gezeigt wird.

Internationale Bekanntheit erlangte der Architekt Moshe Safdie schon früh mit der Wohnsiedlung Habitat 67 in Montreal. Seither hat er ein umfangreiches Werk verwirklicht, das derzeit in einer grossen Retrospektive im Skirball Cultural Center in Los Angeles gezeigt wird.

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29. August 2013Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Baukünstlerischer Skulpturalismus

In der Ausstellungshalle «Geffen Contemporary» des Museum of Contemporary Art in Los Angeles wird derzeit eine Ausstellung zeitgenössischer kalifornischer Architektur gezeigt. Wegen des vom Gastkurator gewählten kritischen Ansatzes verursachte sie einigen Wirbel.

In der Ausstellungshalle «Geffen Contemporary» des Museum of Contemporary Art in Los Angeles wird derzeit eine Ausstellung zeitgenössischer kalifornischer Architektur gezeigt. Wegen des vom Gastkurator gewählten kritischen Ansatzes verursachte sie einigen Wirbel.

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05. April 2013Lilian Pfaff
TEC21

Digitale Fabrikation für Hochhäuser

Mit Robotern ganze Bauwerke zu entwerfen und zu bauen ist bisher nur in verkleinertem Massstab möglich. Dennoch denken die beiden Schweizer Architekten Fabio Gramazio und Matthias Kohler an ihrem ETH-Lehrstuhl für Architektur und Digitale Fabrikation über zukünftige Entwurfsmethoden und ­Konstruktionsweisen für Hochhäuser nach. Als Übungsfeld dienen ­konkrete Bauaufgaben in Singapur.

Mit Robotern ganze Bauwerke zu entwerfen und zu bauen ist bisher nur in verkleinertem Massstab möglich. Dennoch denken die beiden Schweizer Architekten Fabio Gramazio und Matthias Kohler an ihrem ETH-Lehrstuhl für Architektur und Digitale Fabrikation über zukünftige Entwurfsmethoden und ­Konstruktionsweisen für Hochhäuser nach. Als Übungsfeld dienen ­konkrete Bauaufgaben in Singapur.

Seit über einem Jahr betreiben die ETH-Professoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler als Beitrag zum Future Cities Laboratory FCL in Singapur (vgl. Kasten) auf einer Fläche von 200 m² drei Roboteranlagen. Ihr Ziel ist, roboterunterstützte Prozesse in der Architektur zu ­untersuchen und konkrete Szenarien für grossmassstäbliche Anwendungen beim Entwurf und bei der Konstruktion von Hochhäusern zu entwickeln. Im Labor an der ETH Zürich ­wiederum liegt das Schwergewicht auf räumlichen Aggregationen und materialspezifischen Bauprozessen sowie auf deren Anwendung im baulichen Massstab. Die Anlage besteht aus Roboterarmen mit knapp einem Meter Reichweite, wie sie in der Verarbeitungsindustrie verwendet werden. Diese sind an vertikale Linearachsen montiert und ermöglichen so den Bau von bis zu 3 m hohen Architekturmodellen im Massstab 1:50. Das Team setzt sich aus sechs Forschenden und den beiden Professoren zusammen, die jeweils für Langzeitaufenthalte von mehreren Monaten nach Singapur reisen. Sie bilden in zweisemestrigen ­Design Research Studios auch Masterstudierende der Architektur aus, die sowohl von der ETH Zürich als auch von der National University of Singapore NUS kommen. Die Aufgabe besteht darin, im Modell Hochhäuser für reelle Situationen zu entwickeln. Durch den für den Einsatz des Roboters in der Architektur ungewohnten Massstab sollen neue Entwurfs­strategien gewonnen werden, auch wenn die Realisierung bisher nur im Modell möglich ist.

Die Übertragbarkeit der Strategien in die Realität und die Skalierbarkeit stehen daher im Zentrum des Forschungsinteresses. (Eine der Schwierigkeiten ist die Diskrepanz zwischen der hohen Präzi­sion eines Industrieroboters und den am Bau geltenden Toleranzen.) Bisher sind die meisten Versuche, Roboter im Bauwesen einzusetzen, im Bereich klein­mass­stäblicher Anwendungen – etwa das Herstellen einzelner Bauteile oder einzelner konstruktiver Elemente wie Wände oder Stützen – geblieben oder in der Realisierung gescheitert. ­Frühere Ansätze – in den 1990er-Jahren zum Beispiel die Mechanisierung des Mauerwerkbaus und die Automatisierung des Hochhausbaus – sahen eine vollständige Automatisierung und Standardisierung der unterschiedlichen Bauprozesse mit hochspezialisierten Maschinen vor. Für die Ausführung solcher rein repetitiver Prozesse sind Industrieroboter jedoch ungeeignet und zu teuer – gar überqualifiziert, so die Meinung der Architekten –, und ihr ­Potenzial zu baulicher Varia­tion und typologischer Differenzierung wird in den meisten Fällen noch immer verschenkt. Es gilt, die diversen Anforderungen eines Bauwerks, ­Nutzers oder Bauplatzes zu berücksichtigen und in den baulichen Fabrikationsprozess einzubringen. Dazu muss man bestehende Verfahrensweisen überwinden und über leistungsfähige, für das Bauen massgeschneiderte digitale Entwurfs- und Fabrikationsprozesse nachdenken.

Neues Werkzeug, neue Entwurfsmethode

Das Interesse von Gramazio und Kohler an den Robotern liegt vor allem darin, eine neue, konstruktive Interpretation des digitalen Zeitalters in der Architektur zu entwickeln. Schon immer haben neue Materialien und Konstruktionsprozesse zu Veränderungen in der Entwurfsmethode, in der Ausführung und im Ausdruck der Architektur geführt. Wenn nun beispielsweise Bauten ohne zusätzliche Einmessung, Gerüste oder gar Kräne erstellt werden können, wird das räumliche, zeitliche und konstruktive Konsequenzen haben.

Neue Entwurfs- und Fabrikationsmethoden mit Robotern am Beispiel Hochhausbau zu untersuchen macht insofern Sinn, als in asiatischen Metropolen zurzeit sehr viele Hochhäuser gebaut werden. In weiten Teilen Südostasiens haben sich Hochhäuser im sozialen Wohnungsbau als meistverbreitete Bautypologie durchgesetzt. In Singapur etwa leben mehr als 80 % der Bevölkerung in den über eine Million Wohnungen, die die Wohnbaubehörde Housing Development Board (HDB) seit ihrer Gründung im Jahr 1961 ­errichtet hat – hauptsächlich in Hochhäusern. Diese sind jedoch sowohl architektonisch als auch in der Bauausführung aus jenen ökonomischen Bedingungen heraus gedacht, die sich aus herkömmlichen Bautechniken ergeben. In der Forschung am Future Cities Laboratory dagegen dienen neue, durch Roboter entwickelte Konzepte und differenzierte bauliche Prozesse als Ausgangslage. Man könnte noch weiter gehen und den Entwurf eines Hoch­hauses rein von dessen Aufbaulogik her denken, sodass die eigentliche Tektonik zum zentralen Entwurfswerkzeug wird. Diese Auffassung ist seit jeher ein massgeblicher Bestandteil der Architektur, doch die Umsetzung mit dem vielseitigen Werkzeug Roboter ermöglicht eine bisher ungeahnte bauliche und konstruktive Differenzierung.

Digitale Methoden für Entwurf und Fabrikation

So wollen die Architekten neue Typologien mit starker Nutzungsdurchmischung und diver­sifizierten räumlichen Qualitäten entwickeln, um Lösungen für individuell unterschiedliche Bedürfnisse anbieten zu können. Dabei setzen sie konsequent auf neue Entwurfstechnologien und konzipieren die Projekte von Beginn an bis zur ihrer Umsetzung mit digitalen Methoden. Die Arbeit am Computer erfolgt mit der weitverbreiteten CAD-Software McNeel Rhinoceros zur dreidimensionalen Modellierung von Objekten und darin eingebetteten, eigens ent­wickelten Programmkomponenten, um die Entwurfsdaten nahtlos zur Ansteuerung der ­Roboter verwenden zu können. Durch die digitale Verknüpfung von Entwurf und Fabrikation, von Programmierung und Konstruktion, können die Projekte in unterschiedlichen Sequenzen entwickelt werden. Dies ist möglich, weil der Planungsprozess am Computer nicht ­unbedingt von vornherein bis zum Ende definiert ist, sondern laufend entworfen und um­gesetzt werden kann. Im Studio erfolgt die Umsetzung daher stets in Modellen, die von ­Robotern fabriziert werden. Dies führt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit konstruktiven Systemen und unterschiedlichen Materialformen, die unter rein digitalen Bedingungen am Computerbildschirm nicht möglich wäre. Modelle werden im Massstab 1:50 gebaut und stellen etwa 30- bis maximal 50-geschossige Bauten dar. Die Ergebnisse sind an der gebauten Realität und dem Massstab 1:1 orientiert, damit sich das zukünftige Bauen ­möglichst praxisnah an ihnen erforschen lässt.

TEC21, Fr., 2013.04.05



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TEC21 2013|15-16 Wenn Roboter bauen

02. Mai 2012Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Gebaute Paradiese

Den Mittelpunkt der leicht und transparent wirkenden Villen der Nachkriegsmoderne in Südkalifornien bildet der Swimmingpool. Ausgehend von Julius Shulmans legendären Architekturaufnahmen zeigt nun eine Ausstellung in Palm Springs den in der Sonne glitzernden Pool als Fokus menschlicher Sehnsüchte.

Den Mittelpunkt der leicht und transparent wirkenden Villen der Nachkriegsmoderne in Südkalifornien bildet der Swimmingpool. Ausgehend von Julius Shulmans legendären Architekturaufnahmen zeigt nun eine Ausstellung in Palm Springs den in der Sonne glitzernden Pool als Fokus menschlicher Sehnsüchte.

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14. Dezember 2011Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Muse der Architekten Kaliforniens

Esther McCoy war die erste und lange Zeit die einzige Architekturkritikerin, die über die moderne Architektur in Kalifornien schrieb. Sie machte die Bauten...

Esther McCoy war die erste und lange Zeit die einzige Architekturkritikerin, die über die moderne Architektur in Kalifornien schrieb. Sie machte die Bauten...

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06. Dezember 2011Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Kalifornisches Lebensgefühl

Eine Ausstellung in Los Angeles zelebriert die Architektur und das Design des Golden State

Eine Ausstellung in Los Angeles zelebriert die Architektur und das Design des Golden State

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27. August 2011Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Inspiriert von der Baukunst der Ureinwohner

Als eine der ersten Architektinnen im Westen der USA war Mary Colter massgeblich an der Ausarbeitung der amerikanischen Tourismusarchitektur beteiligt. Dazu besuchte sie hoch zu Pferd die Bauten der Ureinwohner Amerikas und integrierte alte Bauformen in ihre Gebäude.

Als eine der ersten Architektinnen im Westen der USA war Mary Colter massgeblich an der Ausarbeitung der amerikanischen Tourismusarchitektur beteiligt. Dazu besuchte sie hoch zu Pferd die Bauten der Ureinwohner Amerikas und integrierte alte Bauformen in ihre Gebäude.

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17. August 2011Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Im Untergrund

Sorgsam eingefügt in den Pan Pacific Park, vermittelt die abstrakt gehaltene Architektur des neuen Holocaust-Museums in Los Angeles nichts von seinem Inhalt. Im dunklen Untergrund des labyrinthischen Gebäudes aber entfaltet sich die Geschichte des Unfassbaren.

Sorgsam eingefügt in den Pan Pacific Park, vermittelt die abstrakt gehaltene Architektur des neuen Holocaust-Museums in Los Angeles nichts von seinem Inhalt. Im dunklen Untergrund des labyrinthischen Gebäudes aber entfaltet sich die Geschichte des Unfassbaren.

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17. Juni 2011Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Die Stadt als Experimentierfeld

Wie mit Architektur eine ganze Stadt wiederbelebt werden kann, lässt sich am Werk des Architekten Eric Owen Moss ablesen. Seine Bauten stehen fast ausnahmslos in Culver City. Mit seinen Interventionen hat Moss einen Akzent im Grossraum Los Angeles gesetzt.

Wie mit Architektur eine ganze Stadt wiederbelebt werden kann, lässt sich am Werk des Architekten Eric Owen Moss ablesen. Seine Bauten stehen fast ausnahmslos in Culver City. Mit seinen Interventionen hat Moss einen Akzent im Grossraum Los Angeles gesetzt.

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02. Mai 2009Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Ein suprematistisches Bühnenbild

Mit einem einprägsamen Turm setzt die Highschool for the Visual and Performing Arts in Los Angeles ein urbanes Zeichen. Als solches markiert der Neubau des renommierten Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au den Auftakt zur Kulturmeile an der Grand Avenue.

Mit einem einprägsamen Turm setzt die Highschool for the Visual and Performing Arts in Los Angeles ein urbanes Zeichen. Als solches markiert der Neubau des renommierten Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au den Auftakt zur Kulturmeile an der Grand Avenue.

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Highschool for the Visual and Performing Arts Los Angeles

25. April 2009Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Filmreif wohnen in fliegenden Untertassen

Sie dienten als mondäne Kulissen für Hollywoodfilme: die Villen, die der amerikanische Architekt John Lautner (1911–1994) im Grossraum Los Angeles realisierte. Gewürdigt wurden sie in der Architekturgeschichte bis anhin vor allem als futuristische Filmsets. Doch Lautners organisch mit der Landschaft verwachsene Häuser, in denen Innen- und Aussenraum eins zu werden scheinen, waren ihrer Zeit in mancher Hinsicht weit voraus.

Sie dienten als mondäne Kulissen für Hollywoodfilme: die Villen, die der amerikanische Architekt John Lautner (1911–1994) im Grossraum Los Angeles realisierte. Gewürdigt wurden sie in der Architekturgeschichte bis anhin vor allem als futuristische Filmsets. Doch Lautners organisch mit der Landschaft verwachsene Häuser, in denen Innen- und Aussenraum eins zu werden scheinen, waren ihrer Zeit in mancher Hinsicht weit voraus.

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Lautner John

27. Januar 2009Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Gebaute Landschaft

Die California Academy of Science in San Francisco hat ein neues Haus von Renzo Piano bezogen. In ihm sind Natur und Nachhaltigkeit technisch und symbolisch in Architektur übersetzt worden.

Die California Academy of Science in San Francisco hat ein neues Haus von Renzo Piano bezogen. In ihm sind Natur und Nachhaltigkeit technisch und symbolisch in Architektur übersetzt worden.

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07. Mai 2008Lilian Pfaff
Neue Zürcher Zeitung

Die Villa als Sammelobjekt

Kalifornien besitzt ein reiches, aber bedrohtes Erbe an Privathäusern grosser Architekten aus den Nachkriegsjahrzehnten. Nun interessieren sich aber immer mehr Sammler für diese Kulturdenkmäler.

Kalifornien besitzt ein reiches, aber bedrohtes Erbe an Privathäusern grosser Architekten aus den Nachkriegsjahrzehnten. Nun interessieren sich aber immer mehr Sammler für diese Kulturdenkmäler.

Vor Jahren noch beklagten Architekturliebhaber, die den Villen berühmter Baukünstler in Kalifornien nachreisten, immer wieder den schlechten Zustand dieser Kulturdenkmäler. Doch nun scheint sich das Blatt zu wenden. An den Bauten von Richard Neutra lässt sich die wachsende Wertschätzung, welche den architektonischen Meisterwerken entgegengebracht wird, besonders gut ablesen. Vor sechs Jahren wurde das 1962 von Neutra errichtete Maslon House für stolze 2,45 Millionen Dollar verkauft – und wenig später abgerissen, denn die Käufer waren nur am Grundstück interessiert. Noch nicht zerstört ist glücklicherweise das 1950 erbaute Neutra Office am Glendale Boulevard. Doch steht es seit über fünf Jahren für 3,5 Millionen Dollar zum Verkauf; und dabei leidet seine Bausubstanz.

Nicht für die Ewigkeit gedacht

Schlecht ist auch der Zustand des ehemaligen Wohnhauses von Neutra, des VDL-Research House II (1966), welches Neutra der Architekturfakultät in Pomona vermachte. Die Kosten für die dringend anstehende Renovation werden auf 2 Millionen Dollar geschätzt, weshalb die Fakultät jüngst ihr Interesse an einem Verkauf bekundet hat. In diesem Umfeld überrascht deshalb im ersten Augenblick die Ankündigung, dass das legendäre, 1946 vollendete Kaufmann-Haus von Neutra in Palm Springs von Christie's im Rahmen der Auktion für zeitgenössische Kunst am 13. Mai für 15 bis 25 Millionen Dollar versteigert werden soll.

Dass die aus den Nachkriegsjahrzehnten stammenden Häuser berühmter amerikanischer Architekten mitunter nur schwer zu verkaufen sind, liegt an dem aus heutiger Sicht mangelnden Komfort, an den relativ geringen Wohnflächen und am oft schlechten Zustand. Auch wenn einige Neutra-Häuser wie Stahlbauten anmuten, bestehen ihre Rahmenkonstruktionen meist nur aus silbrig gestrichenem Holz. Diese müssen ebenso gepflegt werden wie die Wasserbecken, die als «Reflecting Pools» den Aussenraum in den Innenraum spiegeln. Weiter weiss man gerade in Kalifornien die Bedeutung historischer Bausubstanz noch nicht richtig zu würdigen. Denn hier sind die immer wieder von Erdbeben und Feuersbrünsten bedrohten Bauten meist nicht für die Ewigkeit gedacht. Oft werden sie nach kurzer Zeit schon abgerissen und durch neue Häuser ersetzt. Zwar gibt es in der südkalifornischen Metropole eine Kommission mit dem Namen Cultural Heritage of the City of Los Angeles, die bei gefährdeten Häusern, welche zur Kategorie der «kulturhistorischen Monumente» zählen, einen 180-tägigen Abriss-Stopp bewirken und diesen nochmals um 180 Tage verlängern kann. Eine Zerstörung kann sie aber nicht verhindern. Dazu müsste auf einer höheren Stufe der National Trust of Cultural Heritage eingreifen.

Zu all dem kommt hinzu, dass die Häuser von den wechselnden Besitzern oftmals bis zur Unkenntlichkeit umgebaut werden. Ein Beispiel dafür ist das Kaufmann-Haus, das durch Julius Shulmans berühmte Fotografie einer am Pool liegenden Frau im Abendlicht Eingang ins architektonische Gedächtnis gefunden hat. Nachdem sein Erbauer, der Warenhaus-Mogul Edgar J. Kaufmann aus Pittsburg, der schon das Haus Fallingwater nach Frank Lloyd Wrights Plänen errichten liess, 1955 verstorben war, stand die Villa einige Jahre leer und wechselte danach häufig die Besitzer. Dabei wurde das Fünfzimmerhaus stark erweitert, der innen liegende Patio überdacht, die Räume tapeziert und eine Wand herausgebrochen, um einen Medienraum zu integrieren. Die gesamte Innenausstattung wurde zerstört, der weisse Betonboden sowie die Wasserbecken abgedeckt und die Erscheinung des Daches mit Air-Conditioning-Elementen verunstaltet.

Im Jahre 1992 wurde das Haus von Brent und Beth Harris «entdeckt», nachdem es dreieinhalb Jahre keinen Abnehmer gefunden hatte. Sie kauften es für 1,5 Millionen und liessen es von den in Santa Monica tätigen Architekten Leo Marmol und Ron Radziner renovieren. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Beth Harris ermittelten sie in mühseliger Kleinarbeit den Originalzustand anhand der Pläne und Skizzen im Neutra-Archiv der University of California in Los Angeles (UCLA). Da diese jedoch nicht ohne die Genehmigung des Sohnes Dion Neutra dupliziert werden durften, zogen sie zusätzlich die Schwarzweissfotos von Julius Shulman zu Rate. Der Restaurationsbericht liest sich wie eine Detektivgeschichte. So fand der Sohn des einstigen Fensterherstellers die ehemaligen Konstruktionspläne; und ein Steinbruch in Utah wurde eigens für die Steine der Feuerstelle wieder geöffnet.

Interesse von Privatleuten und Museen

Das Beispiel des Kaufmann-Hauses hat inzwischen Schule gemacht. Immer mehr Privatpersonen kaufen die Nachkriegsbauten zu einem guten Preis, richten sie aufwendig her und verkaufen sie anschliessend wieder – oder bewohnen sie eine Zeitlang selbst. Anders als berühmte Kunstwerke sind solche neu hergerichteten Architekturtrouvaillen noch immer günstig zu erwerben. Allerdings sind sie im Unterhalt oft teuer. Beth Harris, die nun das Kaufmann-Haus aus privaten Gründen zur Versteigerung gibt, findet es gut, dass Häuser immer mehr zu Sammelobjekten werden. Denn wenn jemand wie Brad Pitt, der bereits als Interessent genannt wird, erst einmal viel Geld für eine Architektur-Ikone bezahlt habe, werde er auch Sorge zum Gebäude tragen. Wenn dies zur gängigen Praxis würde, könnte das Bauerbe besser bewahrt werden, als wenn es im Besitz einer Institution vor sich hindämmert. Erinnert sei nur an das Neutra-Haus, das von der Architekturfakultät in Pomona zwar öffentlich zugänglich gemacht wurde, für dessen Renovationen aber das Geld fehlt.

Den privaten Interessenten könnte schon bald seitens der Museen Konkurrenz erwachsen. So kündigte unlängst das Los Angeles County Museum of Art (LACMA) seine Absicht, Häuser zu sammeln, medienwirksam an und scheint nun auf entsprechende Geschenke zu warten. Durch die Verhandlung des National Trust of Cultural Heritage ist es bereits im Besitz des Goldstein Office (1989) von John Lautner, das demnächst in das Gebäude West des Museums eingebaut werden soll. Damit folgt das LACMA dem Vorbild des Wiener Museums für angewandte Kunst (MAK), das sich in Los Angeles seit Jahren beispielhaft für das Erbe von Rudolf Schindler einsetzt und bereits drei seiner Bauten besitzt. Schindlers erstes Wohn- und Atelierhaus an der Kings Road in West-Hollywood, in dem einst auch Richard Neutra hauste, ist seit 1994 ein Ort für Kunst- und Architekturausstellungen.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2008.05.07



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Shulman Julius



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All began just by chance. Julius Shulman.

14. Mai 2007Lilian Pfaff
TEC21

Verschweisst

Angelehnt an den Kontext stricken die Architektinnen Neff Neumann die Primarschule Henggart bei Winterthur, die in den 1970er-Jahren errichtet wurde, mit ihrem neuen Gebäude weiter. Sie nehmen formal auf den Vorgänger Bezug und ergänzen dessen Raumabfolge.

Angelehnt an den Kontext stricken die Architektinnen Neff Neumann die Primarschule Henggart bei Winterthur, die in den 1970er-Jahren errichtet wurde, mit ihrem neuen Gebäude weiter. Sie nehmen formal auf den Vorgänger Bezug und ergänzen dessen Raumabfolge.

Es war das einzige Projekt unter den zehn des eingeladenen zweistufigen Wettbewerbs, das an das alte Schulhaus Henggart buchstäblich andockte. Alle anderen Büros sahen ein zweites Schulhaus vor. Mit ihrer Strategie des Weiterbauens konnten die Architektinnen auf den bestehenden Infrastrukturen aufbauen und gleichzeitig den Altbau von den neuen Strukturen, wie einem Mehrzwecksaal, einem Kindergarten, dem Schulleitungsbüro und dem Schulsekretariat, profitieren lassen. Diese neukonzipierte funktionale Einheit barg verschiedene betriebliche und technische Vorteile und führte damit zu einer äusserst ökonomischen Lösung. So konnte beispielsweise die Ölheizung integriert werden. Eine kontrollierte Lüftung blieb dabei zugunsten der konventionellen auf der Strecke.

Gestaffelte Volumen

Die bestehende Schulanlage, die durch die Staffelung der Klassenzimmer eine Kleinteiligkeit erhält, die den Wohnhäusern der Umgebung enstpricht, wurde im Westen mit einem quadratischen Volumen erweitert, wodurch ein neuer Vorplatz und Eingang im Süden geschaffen wurde – ein weiterer Aussenbereich, der zum ursprünglichen Eingang und Pausenplatz parallel genutzt wird. Im Wettbewerb war das angehängte Volumen selbst genauso gestaffelt wie der Altbau. Heute verbindet der Gang des Altbaus an seinem Ende über ein neues Schlupfloch den Altbau mit dem Neubau und füllt den Zwischenbereich (anstelle des ursprünglichen zusätzlichen Schulzimmers) mit einem «Zwickel», der auch von aussen sichtbar die Grenze markiert (Bild 1). Wichtig war den Architektinnen hierbei, dass der Gang auch weiterhin über die Fenster oberhalb der Türen Licht erhält.

Dachlandschaft

Um Alt und Neu zu verschmelzen, haben sie die Silhouette der alten Trakte mit ihren überdimensionierten braunen Eternitdächern und dem weissen Sockelgeschoss übernommen. Statt einem nutzlosen Estrichraum unter dem Dach (Bild 3), bringen sie jeweils über ein Shed viel Tageslicht in die Schulzimmer, was zu neuen innenräumlichen Qualitäten führt. Dadurch ensteht äusserlich eine zusammenhängende Dachlandschaft, ohne dass sich das Gebäude als Nachahmung zu erkennen gibt. Vielmehr behauptet es sich deutlich als neuer Teil des Ganzen.
Dies liegt daran, dass den Architektinnen jeglicher Eingriff in den Altbau untersagt war – sie hätten gerne über die Materialwahl oder Farbigkeit im Inneren einen Zusammenhang hergestellt –, aber auch daran, dass formal zwar Ähnlichkeiten bestehen, aber zum Beispiel der markante weisse Putz des Altbaus so nicht wieder auftaucht. Auch die Fensterformate sind anders. Während ursprünglich im Wettbewerbsprojekt noch Bandfenster geplant waren, ist es jetzt eine Lochfassade mit grossen quer liegenden Fenstern, die die körperliche Präsenz der neuen Trakte noch unterstützen. Wegen der Sheds konnten im Obergeschoss die Fenster in ihrer Höhe gestaucht werden, was sonst im Schulbau unüblich ist. Einbauschränke aus lackierten und geschliffenen Grobspanplatten wie auch der PU-Boden in durchgehend einheitlicher grüner Farbe und die Sheds erinnern an die industrielle Fertigung und lassen keinen Hauch von heimeliger Gemütlichkeit – wie man sie vielleicht in einem kleinen Dorf erwarten würde – aufkommen.

Öffentliche Zone

Das helle obere Geschoss, in dem die Schulzimmer um eine offene, mit zwei Sheds überkrönte Halle angeordnet sind, steht im Kontrast zum dunkleren introvertierten Erdgeschoss. Es ist als öffentlicher Bereich mit schwarzen Asphaltplatten, Sichtbeton und grossen Lichtern gekennzeichnet, die gleichzeitig den Schall absorbieren. Die Treppe macht unmissverständlich den fast schon «festlichen» Charakter deulich, der jenseits einer normalen Schuleingangshalle liegt. Hier befindet sich denn auch der Mehrzwecksaal für ca. 100 Personen mit einer Bühne, der von den ortsansässigen Vereinen auch abends genutzt werden kann. Gegen Osten liegt der Kindergarten mit eigener Küche. Er kann entsprechend der heutigen Schulbestrebungen als Grundstufe betrieben werden, in der Kindergarten und 1. Klasse zusammengelegt werden. Deswegen sind die von den Architektinnen entworfenen MDF-Kistenmöbel flexibel handhab- und organisierbar.

Prozess

Die schnelle Bauzeit von einem Jahr trug wohl dazu bei, dass sich das einfache Konzept des «Verschweissens» durchsetzte, obwohl die Architektinnen gerne die räumliche Verbindung im
Inneren noch verstärkt hätten. Kompromisse wie der PU-Boden anstelle eines Stirnklötzchenparketts schmälern den Gesamteindruck jedoch nicht. Wie die Umgebungsgestaltung konkret aussehen wird, ist noch in Arbeit.

TEC21, Mo., 2007.05.14



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Primarschule Henggart



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tec21 2007|20 Schulausbau

23. Oktober 2006Lilian Pfaff
TEC21

Doppelte Landschaft

Das heikle Unterfangen, in einer Landschaftschutzzone ein bestehendes Produktionsgebäude massiv zu erweitern, ist in Hagendorn dank dem stringenten architektonischen Konzept geglückt. Das Gebäude wird als Landschaftselement mit einer horizontalen Wiese und einer vertikalen Vegetationswand aufgefasst.

Das heikle Unterfangen, in einer Landschaftschutzzone ein bestehendes Produktionsgebäude massiv zu erweitern, ist in Hagendorn dank dem stringenten architektonischen Konzept geglückt. Das Gebäude wird als Landschaftselement mit einer horizontalen Wiese und einer vertikalen Vegetationswand aufgefasst.

Die Fensterfabrik des Familienunternehmens Baumgartner AG in Hagendorn bei Zug musste nach einer ersten Erweiterung in den 1980er-Jahren ausgebaut werden, um mit neuen Holz- und Holz/Metall-Fenstern so konkurrenzfähig zu werden wie mit herkömmlichen Kunststofffenstern. Durch Materialeinsparungen am Rahmen und schnelleren Produktionszeiten von rund einer Minute pro Fenster sollte dies erreicht werden. Dazu entwickelte die Fachhochschule in Biel ein neues Structural-Glazing-Fenster, das sowohl energetisch besser ist als auch mehr Fensterlicht ermöglicht. Eine wichtige Rolle bei den Erweiterungsplänen spielte der Standort, da die Firma einen Grossteil der Arbeitsplätze in dem kleinen Dorf sichert. Dieser stellte jedoch gleichzeitig das Hauptproblem dar, denn das neue Produktionsgebäude liegt in einer Landwirtschaftszone des Bundesinventars für schützenswerte Landschaften (BLN). In enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde Cham, die im Vorfeld Standortvorschläge machte, legte der Bauherr in einem 0-Projekt die Produktions- und Funktionsabläufe fest. Mit der Bedingung, den jetzigen Standort beizubehalten, forderte die Gemeinde einen Architekturwettbewerb und verpflichtete den Bauherrn, das umliegende Gebiet ebenfalls nachhaltig in die Planung einzubeziehen. Die Luzerner Architekten Niklaus Graber und Christoph Steiger gewannen zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Stefan Koepfli den eingeladenen Studienauftrag unter fünf Büros. Es folgte ein steiniger Weg durch die Gemeindeversammlung und nach Einsprachen des Heimatschutzes durch eine Volksabstimmung, bis der Bebauungsplan genehmigt wurde und die Landwirtschaftszone in Bauland umgezont werden konnte.

Landschaftlicher Eingriff

Die Hindernisse erwiesen sich jedoch im Nachhinein als eigentlicher Vorteil, da die schon im Wettbewerb recht konkret formulierten Parameter und Charakteristiken des Gebäudes im Laufe der fünf Jahre der Planung und Realisierung weitestgehend beibehalten wurden. Ausschlaggebend für das architektonische Konzept waren zwei Prämissen: zum einen die betrieblichen Anforderungen, die gegeben waren, zum anderen das öffentliche Interesse, den Landschaftsraum weiterzuentwickeln. Die Architekten widmeten sich deswegen in erster Linie der Hülle sowie der An- und Auslieferung und stellten den landschaftlichen Aspekt ins Zentrum. Im Unterschied zu den anderen Wettbewerbsteilnehmern verstanden sie die pragmatische Bauaufgabe als landschaftlichen Eingriff und versuchten nicht, das Bauvolumen auf verschiedene Baukörper zu verteilen oder den vorgegebenen Grundriss zu verändern.

Vegetationswand

Ausgehend von der Umgebung, dem Ein- und Ausspringen der Waldränder und Hecken entwarfen Graber & Steiger um das massive Gebäudevolumen eine mäandrierende Vegetationswand, die der angrenzenden Landschaft als Pendant gegenübersteht, gleichzeitig aber den Abschluss des Firmenareals oder – betrachtet man es von der Landschaft aus – deren Begrenzung markiert. Die Wand ist jedoch weniger Tarnung als gebautes Element, das nicht einfach eine Hecke sein will, sondern ein Volumen. Die Holzrahmenkonstruktion, die mit einheimischen Wildgehölzen bepflanzt wird, dient dem Erhalt der geometrischen Form sowie als Halterung der Autobahnmähmaschine für deren Unterhalt. Sie wird durch zwei Ausblicke in die Landschaft durchbrochen, an denen zwei Wasserbecken – eines mit Rohrkolben, eines als Seerosenteich – angelegt sind.

Wiese auf dem Dach

Diesen Landschaftsersatz, das Hinzufügen einer zusätzlichen zweiten Fassade, führen die Architekten auf dem Dach in der Horizontalen weiter fort. Auf der gesamten Dachfläche, die der Grösse von drei Fussballfeldern (18000 m²) entspricht, legen sie eine Feuchtwiese an, wie sie ursprünglich an diesem Ort im Schwemmgebiet zwischen Reuss und Lorze anstelle des Maisackers wachsen würde. Dabei wurde die Wiese buchstäblich in die Höhe gehoben, denn für die Substratmischung des Bodens von 15cm wurde Material des Bodenaushubs zusammen mit 50% Ziegelschrott verwendet. Die Pfeiffengraswiese funktioniert über das Prinzip des Wasserstaus, weshalb ein analoges technisches Dachwassersystem entwickelt wurde, um dieselben Bedingungen wie in der Natur zu simulieren. Im Vorfeld wurden dazu Versuchsfelder angelegt, da das erste Mal eine derartige Wiese auf einem Dach entsteht. Damit hat das Gebäude Teil am dynamischen Prozess der Landschaft. Es verändert sich mit der Zeit, und in ca. fünf Jahren wird die Wiese so hoch sein, dass die Oberlichter verdeckt und nur noch die Metallgitter als Stege sichtbar sind.

Statik und Haustechnik

Als Folge der grünen Wiese auf dem Dach ergaben sich einerseits grosse Lasten, was die Statik beeinflusste, andererseits aber auch klimatische Verbesserungen im Inneren der Produktionshalle. So ist in der Halle keine zusätzliche Kühlung oder Lüftung vorgesehen, da sich die Temperatur selbstständig durch die Verdunstungskälte, welche die Wiese erzeugt, reguliert. Das Haustechnikkonzept leistet die Architektur somit selbst, und durch die Abwärme der Maschinen kann weitestgehend auf Heizen in der Fabrikationshalle verzichtetet werden. Wie in den aufgestockten Büros, die sich zwischen dem Neubau und der alten Fabrikationsanlage befinden, wird dann mit den anfallenden Holzspänen geheizt. Die zweigeschossige Produktionshalle steht im Grundwasser auf 350 Bohrpfählen in einem Raster von 7.74 7.74 m, wobei die Pfähle je nach Lage und Grundwasserstand auf Druck oder Zug beansprucht sind und damit auch die Auftriebssicherheit gewährleistet ist. Die Fragilität zeigt sich demnach nicht nur in der Vegeta tion, sondern auch in der Statik, die in enger Zusammenarbeit mit den Ingenieuren entwickelt wurde. Die Idee einer schwebenden Körperlichkeit des Gebäudes steht in Zusammenhang mit der Konzeption der Vegetationswand. Zuerst wurde deswegen das Dach konzipiert. Es ist ein Stahlfachwerk mit Haupt- und Sekundärfachwerken in zwei Richtungen in einem Stützenraster von 23.22 23.22 m. Die nach Norden ausgerichteten Oberlichter besitzen einen feststehenden horizontalen Rost für die Beschattung und Vermeidung von Reflexionen. Im Wettbewerb war bereits die transparente Hülle festgelegt, wobei sich der Bauherr als Fensterfabrikant auch eine Fassade aus eigenen Fensterelementen, einer Musterzentrale vergleichbar, vorstellen konnte. Mit so genannten Clear-pep-Elementen – Polykarbonatplatten, die bisher ausschliesslich im Innenausbau eingesetzt wurden – erhielten die Architekten durch die Wabenstruktur sowohl ein sehr robustes und nicht splitterbares Material als auch eine transluzente Erscheinung mit geringem Gewicht für die Montage. Die 6 2 m grossen Elemente konnten seriell von der Firma selbst in die Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Holz montiert werden. Nur bei den Stahltoren wurde Acrylglas verwendet.

Schon zu Zeiten der Römer war dieser Ort eine Fabrikationsanlage, weshalb der Standort als solcher bereits lange vor der extensiven landwirtschaftlichen Nutzung zu einer sekundären Natur wurde. Diese vom Menschen geschaffene Kulturlandschaft wurde nun mit einem weiteren Element ergänzt und die fehlende Landschaft wurde ersetzt, was sich sowohl ökologisch positiv aus- wirkt als auch zur Integration des Gebäudes in die Umgebung beiträgt. Dies funktioniert so gut, dass die Wiese auf dem Dach eine Horizontverschiebung bei den in den oberen Geschossen arbeitenden Menschen bewirkt, wodurch sie die Bodenhaftung nicht verlieren.

TEC21, Mo., 2006.10.23



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Fabriksgebäude



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tec21 2006|42-43 Neue Industriegebäude

11. September 2006Lilian Pfaff
TEC21

Obdachlosen-Vehikel

Der polnische Künstler Krzysztof Wodiczko entwickelt seit den späten 1980er-Jahren Kommunikationshilfen für Obdachlose und Immigranten. Dabei bewegt er sich als Stimme derjenigen, die ausserhalb der Gesellschaft stehen, zwischen Designer und Sozialtherapeut.

Der polnische Künstler Krzysztof Wodiczko entwickelt seit den späten 1980er-Jahren Kommunikationshilfen für Obdachlose und Immigranten. Dabei bewegt er sich als Stimme derjenigen, die ausserhalb der Gesellschaft stehen, zwischen Designer und Sozialtherapeut.

Die Obdachlosen-Vehikel des Künstlers sind nicht einfach Kunstwerke, die sich zwischen «public art», Architektur und temporären Strukturen verorten lassen. Sie sind tatsächlich auch benutzbar und als solches geplant und gedacht. In den 1960er-Jahren hatte die mobile Behausung ausgehend von den Möglichkeiten, die die Raumfahrt suggerierte, Hochkonjunktur. Auch heute noch üben die Modelleinheiten zum Leben auf reduziertem Raum als utopische Zelle innerhalb der Gesellschaft oder als «all in one» (alle Funktionen in einem Raum) auf viele Künstler und Architekten eine gewisse Faszination aus. Mobile Behausungen haben sich seit dem Wohnmobil über die Plug-in-Strukturen bis hin zu prothesenhaften Geräten wie dem «Crushicle», 1966 von Archigram, mit dem sich das eigene Haus jederzeit überall mit herumtragen lässt, ins Fiktive gesteigert. Die einfache Aufgabe aber, wie Obdachlose, Flüchtlinge oder Immigranten zu einem minimalen Zuhause kommen, scheint noch immer nicht gelöst zu sein. Meist sind es grosse Schlafsäle, die notdürftig einzelne Kompartimente voneinander abtrennen und für deren Typus das Hotel oder das Kloster Pate stehen. Ein eigenes Heim zu konzipieren, ohne dauerhaft sesshaft werden zu müssen, hat sich Krzysztof Wodiczko (geb. 1943 in Warschau) zur Aufgabe gemacht. Der Künstler, MIT-Professor für Design, schlägt eine Kombination von Mobilität und Ort besetzen vor. Während das «First Vehicle Reserved for The Artist» in den frühen 1970er-Jahren noch durch die Gehbewegung des Künstlers betrieben wurde und eine Anspielung auf das funktionsbasierte Design und den Fortschrittsglauben implizierte, erweitert er dieses Gerät mit einer sozialen Komponente. Das «Homeless Vehicle», 1988, ist ein vergrösserter Einkaufswagen, der zum einen zum Sammeln von Flaschen, zum anderen als Schlafstelle (mit Waschbecken) dient. Die Grundbedürfnisse des Menschen werden mit dem Arbeitswerkzeug vereint. Denn seit 1983, als der Künstler nach New York kam, hat sich die Situation der Obdachlosen um den Battery-Park immer mehr verschlechtert, bis schliesslich Kunst im öffentlichen Raum in den 1990er-Jahren zur Gentrifizierung des Quartiers und zur Vertreibung der temporären Bewohner eingesetzt wurde. Damit die Obdachlosen einer legalen Arbeit, dem Flaschensammeln, nachgehen können, entwarf er ein «Designobjekt», dessen seltsame Form zur Kommunikation anregen und gleichzeitig die Präsenz der Obdachlosen und ihrer Lebensbedingungen im Stadtraum verstärken sollte. Dass die mobilen Gefährte an konstruktivistisches Design der 1920er-Jahre und deren Utopien einer klassenlosen Gesellschaft erinnern, entbehrt nicht der Ironie. Das Problem der Obdachlosen, die sich in Hauseingängen oder Parks einnisten, sei, wie Wodiczko erläutert, dass sie sich zurückziehen möchten, aber gerade dieses Verhalten sie grösseren Gefahren aussetze und sie dementsprechend unsichtbar in der Gesellschaft werden lässt. Mit der mobilen Architektur dagegen sind sie legale Einwohner. Getestet und im Umlauf war der Prototyp des Homeless Vehicle insgesamt drei Monate. Da jedes Gefährt jedoch individuell mit dem Obdachlosen entwickelt und entworfen wird, ist der Prozess der Realisierung ein unendlich langer und weiter.

Kommunikationsmittel

Weiterentwickelt wurde das Vehicle zu «Poliscar», 1991, das schon mit seinem Namen die selbstbewusstere Intention veranschaulicht. Hier geht es zwar auch darum, im Inneren des Gefährts einen Schlafplatz, der mit einem anderen zusammengeschlossen werden kann, zu konzipieren. Vielmehr aber ist die Kommunikation nach aussen, die Verbreitung von Meinungen und die Vermittlung von Informationen Teil des Vehicle. So soll der Name bewusst Gedanken an Polizei oder auch Polis, die Gemeinschaft, evozieren. Die ambivalente Haltung zeigt sich im Kopf des Gebildes, das in vier verschiedenen Stellungen (zum Gehen, Fahren, Stehen und Schlafen) zum Einsatz kommt. Hier können sowohl der öffentliche Raum überwacht als auch über einen eingebauten Fernseher und einen Radiosender eigene Nachrichten kreiert werden. Der Obdachlose wird damit nicht mehr nur am Rande der Gesellschaft geduldet, sondern verschafft sich durch die provokative Form und Kommunikationshilfe Gehör. In anderen Arbeiten werden dazu Videobildschirme als Augenersatz auf den Rücken von japanischen Jugendlichen geschnallt, die so mit ihrer Umgebung kommunizieren können, ohne dem Gegenüber direkt in die Augen schauen zu müssen. Diese Prothesen, Erweiterungen oder auch Ersatzteile des Körpers übertragen die Stimmen der Randgruppen in riesige Dimensionen wie beim Projekt «The Tijuana Projection» 2001, Mexiko, wo die Bevölkerung ihr Gesicht über eine Kamera an die Fassade des Museums projizieren und ihre Wünsche und auch Probleme über grosse Lautsprecher äussern konnte. Wodiczko hat mittlerweile über 70 Projektionen an Denkmälern oder Monumenten realisiert. Anfang Januar liess er an der Fassade des Kunstmuseums Basel vier «Sans Papier»-Personen über die Problematik ihres Status sprechen. Zu sehen waren im Film, der über zwei Projektoren an die Fassade projiziert wurde, nur ihre Beine, die über die Dachkante des Museums herunterbaumelten – hören konnte man die Leute über riesige Lautsprecher im öffentlichen Strassenraum. Damit erhält auch das Monument eine aktive Rolle, es wird zum Zeugen des gesellschaftlichen Zustandes.

Gehör verschaffen

Ausgehend von einem Nicht-Ort (Non-Place) in der Stadt ist es für den Künstler ein No Place, für die Obdachlosen ein Ort und ein Zustand, die von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. In bestehenden Machtstrukturen sollen sie ihre eigene Sphäre einrichten. Dieses Interesse ist vor dem eigenen Hintergrund Wodiczkos als Immigrant in Kanada und mittlerweile auch den USA entstanden. Das Anliegen ist in allen drei Werkkategorien, den Vehicles, den prothesenartigen Geräten und den Projektionen, den Ausländern, Obdachlosen und Vertriebenen Raum zu geben und ihnen Gehör zu verschaffen, indem der Künstler ihnen seine Stimme leiht. Wichtig ist dabei, dass sich die Obdachlosen mit ins Konzept einschreiben und nicht einfach nur ein Verständnis für ihre Situation vorhanden ist, so Wodiczko. Die Obdachlosen seien eigentlich die Künstler, er führe nur Regie. Deswegen versteht er sich nicht als Sozialarbeiter oder Therapeut, sondern bietet sich den Leuten wiederum selbst als Vehikel an, damit sie lernen, sich selbst zu helfen. Seine Position als Künstler setzt er insofern ein, als er als internationaler Künstler mehr Aufmerksamkeit erhält als Randgruppen. Er ist deren Sprachrohr, mit dessen Hilfe sich finanzielle Unterstützung finden lässt.

TEC21, Mo., 2006.09.11



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2006|37 Nomadische Architektur

21. August 2006Lilian Pfaff
TEC21

Schattenriss

Das Bauvolumen der in die Jahre gekommenen Gebäude ist gross. Vor allem die 1970er-Jahre-Architektur genügt heute den technischen Anforderungen nicht mehr, ebenso wenig wie jenen an die Innenaumstrukturen für Büroräume. Wie aus einer Sanierung eine städtebauliche Präzisierung entstehen kann, zeigt der «fast selbstverständlich wirkende» Eingriff an der Mühlebachstrasse 7, Zürich.

Das Bauvolumen der in die Jahre gekommenen Gebäude ist gross. Vor allem die 1970er-Jahre-Architektur genügt heute den technischen Anforderungen nicht mehr, ebenso wenig wie jenen an die Innenaumstrukturen für Büroräume. Wie aus einer Sanierung eine städtebauliche Präzisierung entstehen kann, zeigt der «fast selbstverständlich wirkende» Eingriff an der Mühlebachstrasse 7, Zürich.

Die Mühlebachstrasse beim Bahnhof Stadelhofen erinnert im Namen noch an die Eindolung des Mühlebachs, der hier das Gebiet Riesbach von der Altstadt Ende des 19. Jahrhunderts abgrenzte. Die meist zu Wohn- oder Gewerbezwecken genutzten Gebäude standen als Einzelgebäude in einem lockeren Verband und wurden in den 1960er-Jahren zunehmend verdichtet. Mit dem Umbau von Dolenc Scheiwiller Architekten AG, der die 1970er-Jahre-Erscheinung des Gebäudes vollständig verändert, wird der Strassenzug der Mühlebachstrasse ergänzt und der südliche Abschluss des Platzes am Bahnhof Stadel-hofen präzisiert. Obwohl eigentlich nur die Fenster, kaum das Volumen tangiert wurden, ergibt sich heute eine neue städtebauliche Situation. Zusammen mit dem Ensemble von Wohnhäusern aus den 1920er-Jahren, die von Romero&Schaefle 1994 und 1999 als Bürohaus für das Ingenieurbüro Ernst Basler&Partner umgebaut wurden, reparieren sie die Stadt und lassen die 80 m lange Strassenfront in ihrer Länge erlebbar werden. Das Haus Nr. 7 bildet nun in der Verlängerung einen neuen Kopfbau zum Bahnhof Stadelhofen aus. Der Vorgängerbau war 1971 mit einer Rasterfassade «curtain wall» im internationalen Stil der Nachkriegsmoderne errichtet worden und wurde bis auf die Tragkonstruktion abgerissen. Die Intervention umfasst zum einen die Schliessung der Baulücke mit einem neuen Anbau zum Nachbargebäude von Romero&Schaefle, zum anderen die vollständige Sanierung der Fassade und das Aufsetzen eines zusätzlichen Geschosses auf dem Dach.

Haus auf dem Haus

Das neue Attikageschoss auf dem fünfgeschossigen Gebäude dient mit einer grossen umlaufenden Terrasse als Sitzungszimmer. Es ist ein gestaffeltes Volumen (mit integriertem Liftturm), das in seiner Form den im Baugesetz vorgesehenen Richtlinien und Begrenzungen folgt und dadurch eine skulpturale Gestalt erhält, die noch deutlicher von der Terrasse zwischen den beiden Häusern ins Auge sticht. Denn hier wird die Häuserzeile unterbrochen, und das Attikageschoss präsentiert sich als aufgesetztes Haus, dessen Hauptfassade dem Platz zugeneigt ist – während der Terrasse die Eingangsfassade mit drei unterschiedlich tiefen und grossen Fenstern zugewandt ist. Die eigentliche Sanierung fand vor allem an der Fassade statt – nicht nur optisch, sondern auch die Technik wurde an ihrer Innenseite implementiert.

Fassadenspiel

Die einstigen eng aneinandergereihten Fenster wurden zu grossen hochrechteckigen Fenstern mit Massen von 2.3031.60 m, die durch ihre Grösse und klare Unterteilung ohne Brüstungen an Wohnhäuser erinnern und sich in das bestehende Stützenraster von 1.35 m einpassen. Die zweiflügligen Fenster sind wegen der Akustik und der Klimatisierung als dreifach verglaste Strukturgläser ausgeführt. Die Fensterlaibungen wurden mit gelbem Glas eingefasst, das asymmetrisch um 8–22 cm hervorsteht und gleichsam einen rechteckigen Guckkasten – also ein Gehäuse – um das flache Fenster zieht. Dieses verändert die Fassadenoberfläche je nach Lichteinfall einerseits zum Schattenriss des Fensters, andererseits durch die transparenten überlagernden Schatten zu einem dreidimensionalen Umraum mit perspektivischer Tiefe. Die goldfarbenen aussen liegenden Storen geben dem Haus in geschlossener Form wiederum ein anderes Gesicht. Der gesamte Fassadenaufbau besteht aus Holzrahmen in vorfabrizierten Elementen, auf denen der Kratzputz aufgetragen wurde.

Haustechnik

Das Gebäude ist mit energieschonenden Heizungs- und Lüftungssystemen ausgerüstet. Die neue Apparatetechnik befindet sich auf dem Dach im zusätzlichen Technikgeschoss. Alle Büroräume werden von dort mit konditionierter Aussenluft versorgt, die auf dem Niveau der Raumlufttemperatur in die Büros gelangt. Die verbrauchte und erwärmte Abluft strömt zur Zentrale, wo sie über Wärmetauscher geführt die Aussenluft aufwärmen kann. Geheizt und gekühlt wird mit der Brüstungs-technik. Stromsparende Umluftventilatoren führen die Raumluft über grossflächig dimensionierte Wärmetauscher, die entweder Wärme abgeben oder im Sommer Wärme übernehmen können. Jeder Benützer kann seinen Bedürfnissen entsprechend sowohl die Raumlufttemperatur als auch die Ventilatordrehzahl wählen. Automatische Aussenstoren reduzieren den Lichteinfall, weitgehend frei liegende Massivdecken ermöglichen die Massenbewirtschaftung, und zusammen mit dem eingerichteten Nachtauskühlbetrieb wird der Stromaufwand bei der Kältemaschine auf ein Minimalmass reduziert.

Büronutzung

Um die Dachaufbauten tragen zu können, wurde die zentrale Stütze verstärkt und in der Höhe erweitert. Auf ihr liegt im Dachbereich ein grosses Stahlkreuz, an dem die neuen Aufbauten hängen. Das vorhandene Stützen-raster im Abstand von 1.35 m wurde beibehalten. Obwohl es vornehmlich immer noch Einzelbüros sind, liegen diese an einem grosszügigen offenen inneren Gangsystem, von dem sie nur über Glastüren abgetrennt sind. Im Erdgeschoss führt ein schräger Dachvorsprung, auf dem in grossen Buchstaben die Strasse angeschrieben ist, die Bewegung vom Platz in Richtung Eingang. Im Unterschied jedoch zum Vorgängerbau, bei dem eine leichte Gebäudeauskragung den Strassenverlauf nachzeichnete, wird diese nun zu einem eigenständigen Vordach entwickelt.

TEC21, Mo., 2006.08.21



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17. Juli 2006Lilian Pfaff
TEC21

Neue «deutsche» Stadt

Um Schanghai zu entlasten wurde Anting New Town als Teil der Automobile City am Reissbrett geplant. Mittlerweile steht die Satellitenstadt zu einem Drittel – eingezogen sind jedoch erst
wenige Chinesen.

Um Schanghai zu entlasten wurde Anting New Town als Teil der Automobile City am Reissbrett geplant. Mittlerweile steht die Satellitenstadt zu einem Drittel – eingezogen sind jedoch erst
wenige Chinesen.

China bietet mit seiner boomenden Wirtschaft für manchen Planer die Möglichkeit, ganze Städte aus dem Boden zu stampfen. In der Stadt Schanghai, die 2010 die World Expo ausrichten wird, leben die verschiedensten westlichen Siedlungsformen wieder auf und scheinen durch ihre Unterscheidung in italienische, deutsche, amerikanische oder auch schwedische Städte exemplarisch Städtebau betreiben zu wollen – sie haben aber in Schanghai mit den French, British und American Concessions, die immer noch eine Rolle im Stadtbild Schanghais spielen, ihre Vorläufer.

Dass Städte und oft auch Architektur aus der Retorte kein neues Phänomen sind, nur hier ins Extrem gesteigert, zeigt z.B. die Walt-Disney-Siedlung Celebration in Orlando, Florida, bei der namenhafte Architekten wie Robert Venturi oder Aldo Rossi die Verwaltungsgebäude entwarfen. Die amerikanische Siedlung mit einem eigenen Krankenhaus, Schule und Verwaltung soll dereinst 20000 Menschen ein idyllisches Zuhause bieten. Um einen künstlichen See herum entstanden seit 1996 Einfamilienhäuser im neopalladianischen oder auch neuenglischen Stil.
Auf Vergleichbares stösst man in China an jeder Ecke. Der so genannte «Landhausstyle» ist an den Stadträndern allgegenwärtig. Die Villenviertel sind Gated Communities, deren Ummauerung paradoxerweise mit den traditionellen Stadtmauern, wie sie ausgehend vom Kaiserpalast in Peking für die Hofhäuser und ganze Bezirke errichtet wurden, eine gewisse Tradition besitzen.

Eine Hauptstadt und neun Städte

Um das gewaltige Wachstum vermehrt auf die Region auszudehnen und damit den inneren Kern zu entlasten, d.h. konkret, die Innenstadt von heute ca. 13 Millionen Menschen bis 2020 auf 10 Millionen zu reduzieren, erliess die Stadtverwaltung Schanghai Vorgaben für die Stadtentwicklung unter dem Titel «One City – nine towns» im Comprehensive Plan (1999–2020). Dieser wurde vor fünf Jahren vom Staat verabschiedet und umfasst eine Fläche von 6340km2. Er regelt nicht nur die Bautätigkeit, sondern auch die soziale Entwicklung, den Verkehr, die Wasser- und Energieversorgung und die Infrastruktur.

Anting New Town ist eine dieser Satellitenstädte, 35km nordwestlich des Zentrums Schanghai. Nach Öffnung des chinesischen Marktes 1984 hat VW als erstes ausländisches Unternehmen zusammen mit der Shanghai Automotive Industry Corporation ein regionales Fertigungswerk errichtet. Ziel war, ein Zentrum für die chinesische wie auch die internationale Autoindustrie zu bilden. Damit ist die Shanghai International Automobile City (SIAC) Teil der Strategie der Stadt, vier räumlich getrennte Industriezonen zu schaffen: die Petrochemie im Süden in Jinshan, die Schwerindustrie im Norden in Baoshan, Elektronik/IT im Osten in Pudong und Automobilindustrie im Westen in Anting. AS&P – Albert Speer&Partner GmbH, das Büro, das nicht nur wegen des gleichnamigen Vaters des Architekten bekannt ist, sondern auch wegen des Beitrages zum Wettbewerb Zentrale Achse Peking im Rahmen der Olympia-Planung in der chinesischen Hauptstadt, gewann 2000 den internationalen Wettbewerb für den Masterplan der Shanghai International Automobile City und die städtebauliche Planung von Anting New Town. Auf einer Fläche von rund 50km2 wurden und werden Produktions-, Ausstellungs-, Handels-, Ausbildungs-, Management- und Unterhaltungsbereiche rund um das Auto gebaut, dazu eine Formel-1-Rennstrecke, Museen und Freizeiteinrichtungen sowie eine komplette Wohnstadt für 50000–70000 Einwohner (Bild 1).

Designcode

Der Auftraggeber wollte aufgrund der schon bestehenden VW-Werke eine deutsche Siedlung errichten, im Stil von Weimar oder Heidelberg. Anstelle des rechteckigen, schachbrettartigen Grundrisses der chinesischen Stadt sollte ein runder mittelalterlicher Stadtgrundriss, mit Kanälen durchzogen, entstehen. Der Masterplan von AS&P versucht denn auch, diese Strukturen in die Stadtanlage zu integrieren (Bild 2), indem er eine deutliche Abstufung der öffentlichen Räume und Strassen vornimmt, ausgehend vom Marktplatz zu den Quartierplätzen und die Seitenstrassen. Dabei wurde das typisch «Deutsche» als lebendige, nachhaltige und vielfältige Stadt interpretiert und die Architektur vom ursprünglich gewünschten architektonischen Vorbild der Fachwerkhäuser mit Butzenscheiben zu einer nachhaltigen, energiesparenden und qualitätvolle Architektur umgedeutet. Aus einem Workshop mit zahlreichen deutschen Architekten in China wurde ein Designcode entwickelt, um die Architektur nicht monoton, aber auch nicht wahllos erscheinen zu lassen. Man einigte sich dabei auf einige Prinzipien: mulitfunktionale Blockstrukturen, öffentliche Plätze und fussgängerfreundliche Strassenräume sowie die Mischung der Funktionen im Stadtzentrum. Aus dem Workshop wurden 2002 fünf deutsche Architekturbüros ausgewählt, die Wohnbauten und den Stadtkern zu entwerfen, und die entsprechenden Strassenzüge wurden zugeteilt. Mit dabei waren auch AS&P, die 1000 Wohnungen, ein Ausstellungszentrum, eine Mustersiedlung (Model Unit) sowie ein 5-Sterne-Business-Hotel realisieren konnten. Zuerst wurde die Model Unit am äussersten Rand der Stadt mit Freiräumen und Parkanlagen erstellt, um den Käufern eine Idee von der «Bauhaus»-Architektur zu vermitteln und die Kombination von Wohnen und Arbeiten in zweistöckigen Reihenhäusern aufzuzeigen. Diese Bebauung vor den Toren der Stadt blieb jedoch Modell, in der eigentlichen Stadt herrschen Mehrfamilienhäuser in Blockstrukturen mit Innenhöfen vor. Fünfstöckige Gebäude stehen an der Hauptstrasse (Bild 5), die für deutsche Verhältnisse die Breite einer Autobahn einnimmt, wohingegen innerhalb der Wohnblocks und an den Siedlungsrändern die Höhe auf drei- bis vierstöckige Gebäude reduziert wurde (Bilder 4 und 6). Im Zentrum soll ein Hauptplatz mit Kirche, Theater, Rathaus, Einkaufszentrum und Läden im Erdgeschoss entstehen. Wert gelegt wurde auf nachhaltige Bauweise und geringen Energieverbrauch, was auch als Verkaufsargument verwendet wurde. Deutsche Standards für Wärmedämmung wurden ebenso geplant wie doppelt verglaste Fenster eingesetzt, was in China Seltenheitswert besitzt. Beheizt und gekühlt werden die Gebäude über ein Blockheizkraftwerk. Auf die Ausführung hatten die deutschen Planer jedoch keinen Einfluss, da aus Kostengründen verschiedene chinesische Generalunternehmer beauftragt wurden.

Farbigkeit und Grundrisse

Angelehnt an die deutsche Stadt sollte auch Anting New Town farbige und nicht weisse Fassaden erhalten. Den Vorschlag für die Farbgebung, die abschnitts- und strassenweise unterschiedlich sein sollte, veranschaulichten AS&P den Auftraggebern an einem kleinen Modell. Ihre ersten Ideen fanden sie kurze Zeit später schon auf den Fassaden der Häuser wieder, ohne dass die Farben eingehend diskutiert oder ausgearbeitet wurden. Die Farbe hat letztlich dieselbe Funktion wie das Label deutsche Stadt, gekennzeichnet durch die mehrgeschossigen Gebäude und Giebeldächer, nämlich die Stadt schon von weitem von der Autobahn her sichtbar und damit vermarktbar zu machen. Die Wohngrundrisse seien auf chinesische Verhältnisse abgestimmt worden, heisst es über Anting New Town immer wieder. Letztlich unterscheiden sich die gebauten Wohnungen jedoch kaum von denjenigen in einer europäischen Stadt. Die Wohnungen sind vor allem aufgrund des chinesischen Familienzusammenhalts grösser, da hier meist immer noch drei Generationen einer mittelständischen Familie zusammenwohnen. Ausserdem sollten die Wohnräume nach Süden ausgerichtet sein, was jedoch nicht überall der Fall ist und zu Problemen beim Verkauf führte. Zudem waren einige Feng-Shui-Regeln zu beachten, wonach z.B. Unterzüge nicht im Schlafzimmer über dem Bett verlaufen dürfen. Die Tatsache, dass erst vor kurzem einige 100 Personen eingezogen sind, obwohl die Gebäude eigentlich seit über einem Jahr fertig gestellt sind, liegt zum einen darin begründet, dass die Wohnungen zu 80% verkauft sind, aber für den Innenausbau, für den in China üblicherweise der Käufer selbst verantwortlich ist, kein Geld vorhanden ist oder sich der Einbau verzögert bzw. die Gebäude von Spekulanten aufgekauft wurden. Zum anderen ist der mangelnde Erfolg auch auf die fehlenden öffentlichen Verkehrsmittel zurückzuführen, denn die eigentlich für 2005 geplante U-Bahn-Linie wird wohl erst 2008/2009 bis nach Anting reichen. Erst 1/3 des Bauvolumens der Stadt ist bisher realisiert. Momentan ist das Stadtzent-rum mit dem Hotel im Bau, von der Kirche ist noch nichts zu sehen. Der gesamte Bereich des zweiten Abschnitts östlich des Platzes fehlt. Nach Meinung der Architekten war das Ziel der Bauherrschaft, in zwei Jahren eine Stadt zu bauen, von Anfang an unrealistisch. Es fehlte an Kapazität und Management, die Infrastrukturen und die Serviceleistungen zu synchronisieren.

Anting II

Die Hoffung, dass die Apartments in Anting New Town alle bereits in kürzester Zeit verkauft sein würden, führte bereits 2003 zur Planung der östlichen Erweiterung, Anting East (Anting II), für die AS&P ebenfalls den Masterplan entwarfen (Bild 2). Im Unterschied zur ersten, ringförmig angelegten Stadt, die ihr städtebauliches Charakteristikum aus Blockrandbebauung erhält, versuchte AS&P nach der Erfahrung der ersten Planung, eine andere Gestalt für das für 15000 Einwohner vorgesehene Gebiet mit eigenem Golfplatz zu finden. Denn die von den Chinesen gewünschte südliche Ausrichtung der Wohnräume ist denkbar ungünstig für eine Blockbebauung, weshalb man das Konzept revidierte und nun Reihenhäuser als Zeilenbauten, Apartmenthäuser, frei stehende Villen oder Stadthäuser am Wasser entwickelte, in Anlehung an die Gartenstadttradition. Ob hier schon eine Baubewilligung erteilt wurde, ist unklar, gebaut ist jedenfalls noch nichts. So hoffen die deutschen Architekten auf lukrative und finanziell lohnende Folgeaufträge, auch einzelne Strassenzeilen architektonisch umzusetzen.

Zusatz:

Zweite Stadt in Changchun
Anfang des Jahres hat das Büro Albert Speer&Partner ein weiteres Projekt in einem internationalen Wettbewerb für Changchun Automotive Industry Development Area gewonnen. Mit 120 km2 ist das Gebiet doppelt so gross wie Schanghais Automobile City. Es sollen neben zwei Test- und Rennstrecken ein Wohngebiet für 300000 Einwohner entstehen, eine Hochschule und Industrieareale für die Produktion, die Zulieferungs- und Herstellerfirmen und die Designteams gebaut werden. Heute wohnen in Changchun im Nordosten von China 2.7 Millionen Einwohner – die Zahl wird sich in zehn Jahren verdoppeln. Auch hier besitzt das Gebiet eine gewisse Tradition im Automobilbau. Zu den bereits bestehenden Werken von VW, Audi und Mazda sind bis in zehn Jahren weitere fünf geplant. Der neue Stadtteil soll mit dem Zentrum über eine Schnellbahn verbunden werden.

TEC21, Mo., 2006.07.17



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tec21 2006|29-30 China

02. Juni 2006Lilian Pfaff
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„Gefahr der Vermischung“

Das duale Bildungssystem hat bisher in der Praxis funktioniert. Welche Auswirkungen die Bologna-Reform auf die Ausbildung der Architekten hat und was dies für die Zukunft für die Berufsbefähigung und Registrierung bedeutet, erläutern der Vorsteher des Departements für Architektur an der ETH, Andrea Deplazes, und Sacha Menz, Vorsitzender der Unterrichtskommission D-ARCH. Die Unterschiede zwischen der universitären Lehre und derjenigen der Fachhochschule sollen dabei bestehen bleiben.

Das duale Bildungssystem hat bisher in der Praxis funktioniert. Welche Auswirkungen die Bologna-Reform auf die Ausbildung der Architekten hat und was dies für die Zukunft für die Berufsbefähigung und Registrierung bedeutet, erläutern der Vorsteher des Departements für Architektur an der ETH, Andrea Deplazes, und Sacha Menz, Vorsitzender der Unterrichtskommission D-ARCH. Die Unterschiede zwischen der universitären Lehre und derjenigen der Fachhochschule sollen dabei bestehen bleiben.

Wie haben Sie die Bologna-Reform umgesetzt?

Deplazes: Wir haben das Verdikt der Bologna-Reform dazu genutzt, eine Studienreform durchzuführen. Das hat dazu geführt, dass wir auf ein ‹1+2+2›-Modell umgestellt haben. Das ursprüngliche Studium von vier Jahren, das jetzt insgesamt fünf Jahre dauert, wurde also auf drei Jahre Grundlagenausbildung (Bachelor) komprimiert und mit zwei Jahren Master-Studium (inkl. Thesis-Semester) ergänzt. Das erste Jahr mit dem Grundkurs und die folgenden beiden Jahre Aufbaukurs enthalten alle obligatorischen Fächer und Vorlesungen, obwohl wir überzeugt sind, dass eine vollständige Ausbildung zum Architekten grundsätzlich fünf Jahre dauert. In den ersten drei Jahren müssen die Studenten zusätzlich ein halbes Jahr Praktikum absolvieren. Der Master beinhaltet ein weiteres halbes Jahr Praktikum, ist im Unterschied zum Bachelor aber sehr frei gehalten und mit wenigen obligatorischen Fächern belastet, denn die Idee ist, dass man sich sein Curriculum selbst zusammenstellen kann. Am Schluss bieten wir dann aber einen einheitlichen Master of Architecture and Urban Design an, denn egal, ob sich jemand mehr auf Theorie, Städteplanung oder Technologie stützt, für alle ist der Entwurf obligatorisches und durchgängiges Programm. Die Architekturausbildung ist und bleibt auf das holistische Verständnis der Architektur vom einzelnen Projekt bis zum Städtebau und die Fähigkeit zu konzeptionellem und integrativem Denken und Handeln ausgerichtet.

Was kann der Architekt ETH Bachelor nach seinem Abschluss machen?

Menz: Wir begreifen den Bachelor/Master als ganzheitliches System. Die Basis des Bachelors ist ein interdisziplinäres Arbeiten, was gleichzeitig auch die Stärke der ETH ist, denn wir können ein breites Spektrum an Disziplinen anbieten. Dies ist der wesentliche Unterschied zwischen der universitären Ausbildung und derjenigen der Fachhochschulen. Der zweite Unterschied ist derjenige der Forschung: Es gibt zum einen Grundlagenforschung, wie sie zum Beispiel das ETH-Studio Basel betreibt, und die spezialisierte angewandte Forschung, also zum Beispiel Entwicklung neuer technischer Systeme, die an den Fachhochschulen allerdings auch bearbeitet werden.

Sind bei der Interdisziplinarität die Bauingenieure mitgemeint?

Menz: Das kann man leicht beantworten, auch wenn das alles noch nicht in Stein gemeisselt ist, denn die Qualität einer Schule ist ja auch, dass sie sich wandeln und den veränderten Bedingungen anpassen kann. Momentan ist es so, dass wir Bautechnologie und Bautechnik sowie Konstruktion nahe am Entwurf verankert haben.

Deplazes: Ganz konkret haben wir zwei Tragwerksprofessuren am Institut für Hochbautechnik, wir arbeiten zudem mit dem Institut für Baustoffkunde und Baukonstruktion zusammen, das am Departement der Bauingenieure platziert ist, und über die Bauphysikprofessur haben wir auch die entsprechenden Bereiche an der Empa inne. Das Departement für Architektur
ist eine vielgliedrige Angelegenheit, keine Monokultur. Man kann darum nicht von Spezialistentum sprechen, sondern von der hinreichenden Vollständigkeit...

Was ist der Unterschied zur Accademia di Architettura Mendrisio oder der EPFL?

Deplazes: Warum es drei verschiedene Schulen sind, hat politische und geografische Gründe. Warum wir das tun, was wir tun, hängt damit zusammen, dass unsere Hochschulausrichtung über lange Zeit geprägt und gefestigt wurde. Im Unterschied zu den amerikanischen Hochschulen ist der Architekt noch ein Architekt in der Praxis. In den USA ist er nur noch in der Innenarchitektur tätig. Dort richtet sich das Interesse an den Universitäten folglich dann eher auf die Theorie oder zum Beispiel Computing. Vor diesem Hintergrund sind wir natürlich bestrebt, unsere Position auch international weiter auszubauen. Mit Lausanne verbindet uns die Schwester ETH. Die Architekturabteilung der EPFL, das ENAC, ist in sich jedoch ganz anders gegliedert als das Departement für Architektur. Wir haben eine Kollaboration mit den Ingenieuren, sind aber keine so genannte ‹School›. Beim ENAC, der Abteilung für Architektur, Ingenieur- und Umweltwissenschaften der EPFL, liegen die Gewichtungen anders, dort ist der Ingenieurbereich breiter. Unser Departement, das bis vor kurzem das grösste an der ETHZ war, hat jetzt
rund 1430 Studierende. Das sind fast so viele wie in Lausanne, Mendrisio und allen Architektur-FH zusammengenommen.

Ist denn der Bachelor überall gleich, das heisst ein Übertritt in den Master einer anderen Uni unproblematisch?

Menz: Nein, jede universitäre Schule macht das auf ihre Art und Weise. Dies ist ein grosser Vorteil der Schweiz, denn auf sehr kleinem Raum haben wir drei kulturell unterschiedliche Hochschulen und damit ein anderes Denken. Die Konvention zwischen den Hochschulen ist, dass man zwischen ihnen wechseln kann, man akzeptiert gegenseitig seine Leistungen.

Deplazes: Es ist aber etwas anderes, wenn die Bachelor- Studenten aus dem internationalen Bereich kommen, da ist es entscheidend, welche Akkreditierung die Partnerschule hat. Es wird sicher so sein, dass es, wie teilweise schon bestehend, eine Art ‹idea league› geben wird, in der durch den Austausch und die Erfahrung der Übertritt einfacher sein wird. Schwieriger wird es bei Universitäten, die weniger Profil entwickelt haben und nicht bekannt sind. Da stellt sich dann die Frage, ob die Gleichwertigkeit vorhanden ist. Wenn nicht, werden wir Ergänzungen verlangen. Wir werden dies jedoch im Bachelor verlangen, damit nicht der Master-Kurs blockiert wird, nur weil noch Kurse nachträglich absolviert werden müssen. Das ist eine Sache des Einspielens, denn wir können jetzt viel theoretisieren, aber die ersten Master-Abgänger werden wir erst in drei Jahren haben, wir sind jetzt nämlich im zweiten Jahr Bachelor.
Mit den ETCS-Punkten hat man zwar ein gemeinsames Bewertungssystem, doch es ist wie bei der Währung, zum Beispiel dem Euro, bei der es darum geht, welche Kaufkraft in welchem EU-Staat man damit hat. Das ist ein politisches Problem, denn die Politiker haben dieses Problem so weit gar nicht zu Ende gedacht, das muss jetzt geschehen, und da müssen die Schulen mitreden. Deswegen ist es wichtig, welche Akkreditierungsstellen es gibt. In Deutschland ist zum Beispiel eine offizielle Akkreditierungsstelle benannt worden. Die Frage stellt sich sofort: Inwiefern hat diese zentrale Stelle die Kompetenz zur Beurteilung der Studienqualität im In- und Ausland?

Menz: Der Bachelor ist ein schulischer Abschluss, nicht ein Berufstitel. Wenn man die Schule vorzeitig verlässt, hat man wenigstens einen Schulabschluss. Der MasterAbschluss ist jedoch eine Akkreditierung auf schulischer Ebene. Diejenigen, die den Master-Abschluss haben, müssen beim Eintritt in die Berufslaufbahn unterstützt werden, indem sie sich im Register eintragen lassen können. Heute haben unsere Abgänger, die im Ausland arbeiten wollen, einige Schwierigkeiten zu überwinden. Das REG, Register für Architekten und Ingnieure, soll die Triagenfunktion übernehmen, um die Qualifizierung von Master-Abschlüssen im EU-Raum zu regeln.

Sie sprechen von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung. Letztere beansprucht auch die FH für sich. Wie sieht die Zukunft aus?

Deplazes: Dass wir jetzt versuchen, Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung zwischen den Unis und den FH aufzuteilen, liegt daran, dass mit der Bologna-Reform etwas aufgebrochen worden ist, das vorher selbstverständlich war. Im Grundsatz ist das unsinnig und nur insofern zu verstehen, als die Profile der Schulen zuhanden der Schulpolitik geklärt sein wollen. Vorher wusste man noch genau, was die HTL sind und können und wollen. Je nach Argumentation hat man das eine oder andere Vorurteil hochstilisiert, beispielsweise dass die ETH-Absolventen kopflastig seien und keinen Nagel einschlagen könnten - Aussagen, die so platt noch nie haltbar waren.
Jetzt sind durch die Struktur des dualen Bildungssystems die Fachhochschulen unter Druck geraten. Bei uns ging es mehr darum, die bestehenden Studiengänge in einem neuen Gefäss zu überprüfen. Die FH werden jedoch plötzlich an Systemen gemessen, die die Universitäten schon lange etabliert haben. Das heisst, sie müssen die Struktur Master/Bachelor einführen, was die Studienzeit an den FH markant verlängert, und gleichzeitig noch forschen. Da stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Grösse der Studiengänge und den Ressourcen, die dafür freigemacht werden können. Daraus ist ein Problem entstanden, das bei den FH zur Flucht in spezifische Profilierungen geführt hat, mit manchmal abenteuerlichen Curricula. Sie sind aus einer Qualitätssituation in eine Unsicherheitssituation geworfen worden. Man muss hier einmal deutlich sagen, dass wenn man das duale Bildungssystem in der Schweiz weiterhin behalten will, man auch die beiden Schultypen sinnvoll weiterentwickeln muss - mit der Betonung auf sinnvoll. Holzschnittartige Lösungen lassen sich zwar prächtig kommunizieren, führen aber voll an den Bedürfnissen der Schulen vorbei. Das duale Bildungssystem will ja den gymnasialen Bildungsweg oder den Weg der Berufslehre und der Fachhochschule fördern.
Daraus folgt aber auch, dass das duale System nicht unterlaufen werden darf, indem die Kreuzung Matura - Bachelor FH - Master ETH zum Programm gemacht wird.

Menz: Warum sollen wir uns künstlich auf einen Bereich beschränken? Es gibt ja die Diskussion, ob die FH eher den Bachelor anbieten sollen und die ETH den Master - wenn man damit die Kompatibilität meint, dann bin ich dagegen, denn damit wären die FH der Vorhof der ETH und das duale Bildungssystem wäre in Frage gestellt. Eine Gefahr wäre, wenn es zu einer Vermischung kommen würde und die Fachhochschulen dazu gedrängt würden, zu Mini-ETH zu werden.
Wenn man die Bürostruktur in der Schweiz anschaut, stellt man fest, dass es ein ausgewogenes Mittel an Mitarbeitern gibt, die einen FH- oder universitären Abschluss haben. Das ist offensichtlich etwas, was in der Praxis sehr geschätzt wird. In Deutschland beispielsweise ist das anders. Hier weichen viele Studierende durch die Zulassungsbedingungen an den
deutschen Universitäten an die FH aus. Die ursprüngliche Idee der FH wird dadurch aufgeweicht. Deswegen braucht es eine klare, aber kluge Differenzierung in der Schweiz.

Deplazes: Was bei den ETH dazukommt, sind die Graduate Schools. Dies wird in Zukunft grösseres Gewicht haben. Die Frage ist hier noch, wann und wie Doktoratsstudierende ihr Studium antreten. Für die FH hingegen wäre es eine grosse Chance, berufsbegleitende Master of Advanced Studies anzubieten, weil hier sowieso eine Spezialisierung stattfindet. Das, was wir in fünf Jahren an Architektur ausbilden können, ist ja nicht das Maximum, sondern das Gegenteil, es ist das minimal Notwendige, um eine Architekturausbildung überhaupt seriös und gerade hinreichend vollständig durchzuführen. Alles, was darüber hinausgeht, muss man im Nachtrag machen. Auch der SIA beispielsweise ist ja an der Frage des Life-long Learning höchst interessiert.

Welche Neuerung gibt es gegenüber früher, oder ist es der alte Wein in neuen Schläuchen?

Deplazes: Wir haben festgestellt, dass in der Praxis die Komplexität der Zusammenarbeit zugenommen hat. Die Studierenden können nicht automatisch das, was sie in den Fachbereichen der Institute in Vorlesungen erwerben, in die eigene Entwurfarbeit einbringen - beziehungsweise weil die Komplexität hoch ist, hat man die Tendenz, die verschiedenen Ebenen zu vereinfachen, indem man weglässt, was man nicht verinnerlicht hat. Wir möchten dem entgegenwirken, weil das interdisziplinäre Verstehen der Zusammenhänge überhaupt eine Voraussetzung für das Entwerfen ist.

Menz: Wir haben deswegen ein Programm ins Leben gerufen: Entwurf mit integrierten Disziplinen (E+I). Ein Entwurfsprofessor, der normalerweise die Semesteraufgabe stellt, muss in Zukunft mit einem oder zwei Fachprofessoren zusammenarbeiten, um bestimmte Schwerpunkte mit in den Entwurf zu integrieren. Wir machen das zwar nicht wie in der Praxis, wo alle möglichen Anliegen auf einen einpreschen, sondern wir versuchen, quasi einen architektonischen Flugsimulator einzubauen, um den Studierenden ein gezieltes Training mit Schwerpunkten anzubieten, wie man mit solchen Fragen umgehen kann. In den ersten sechs Semestern müssen die Studierenden drei integrierte Entwürfe machen, im Master sind dann alle Entwürfe integriert. Das heisst, mindestens eine Disziplin ist zusätzlich dabei. Was wir ausserdem noch hinzugefügt haben, ist das neunte Semester (also das vor dem Masterentwuf) als Schwerpunktsemester. Das könnte dann auch das Sprungbrett in die Graduiertenkollege sein und zu selbstständigeren Arbeiten bzw. mehr freien Semesterarbeiten der Studierenden führen.

Deplazes: Wir wünschen uns am Ende eigentlich gute Autodidakten. Man muss die Studierenden mit Begabung animieren und begeistern. Das geht natürlich nicht bei allen 1430 Studierenden, wenn man es bei der Hälfte schafft, hat man schon viel erreicht.

Was sind die Vor - und Nachteile des neuen Systems?

Deplazes: Die interne Studienreform, die wir im Rahmen des Bologna-Prozesses auslösen konnten, bringt uns letzlich mehr als der eigentliche Bologna-Prozess. In den zwei Bachelor-Jahren haben wir allerdings festgestellt, dass der Druck enorm zugenommen hat. Wir hoffen, dass damit nicht die talentiertesten Studierenden, die vielleicht nicht immer auch die robustesten sind, auf der Strecke bleiben. Wir wollen nicht durch Überforderung demotivieren. Der Vorteil aber ist, dass wir nach drei Jahren Leute mit einer soliden Grundausbildung haben und dass die Master-Studierenden vom universitären Studium profitieren können, denn das war früher nicht so, es war ziemlich verschult. Die Frage ist, ob jemand, der drei Jahre mit Wissen überhäuft wird, nachher mit der Freiheit umgehen und das Gelernte kreativ im Master umsetzen kann.

TEC21, Fr., 2006.06.02



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05. Mai 2006Lilian Pfaff
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Kulisse

Die Videokünstlerin Pipilotti Rist und der Architekt Carlos Martinez inszenierten einen künstlichen Ort als «Spiel»platz im öffentlichen Raum, um den Hinterhöfen einen bewohnbaren Charakter zu verleihen und gleichzeitig dem Schweizer Verband der Raiffeisenbanken einen roten Teppich auszurollen.

Die Videokünstlerin Pipilotti Rist und der Architekt Carlos Martinez inszenierten einen künstlichen Ort als «Spiel»platz im öffentlichen Raum, um den Hinterhöfen einen bewohnbaren Charakter zu verleihen und gleichzeitig dem Schweizer Verband der Raiffeisenbanken einen roten Teppich auszurollen.

Im Bleicheliquartier in der westlichen St. Galler Innenstadt, 300 Meter südöstlich des Bahnhofs, hat über die Jahrhunderte eine Transformation von einem durch schmale Gassen und kleinteilige Parzellen bestimmten Wohn- und Gewerbeviertel zu einem modernen Bankenviertel stattgefunden. Wo bis ins 19. Jahrhundert Leinwand zum Bleichen ausgelegt wurde, findet sich heute die grösste zusammenhängend überbaute Fläche eines einzigen Grundeigentümers. Der Hauptsitz des Schweizer Verbandes der Raiffeisenbanken wurde vom St. Galler Architekten Bruno Clerici von 1987 bis 2005 sukzessive ausgebaut. Der letzte der vier Neubauten an der Schreinerstrasse wurde 2005 fertig gestellt. Da den Bauvorhaben jedoch keine zusammenhängende Planung vorausging, blieb der Aussenraum ein zerstückelter Restraum, der von den Rückseiten der umgebenden Bebauungen und den Einfahrten zu den Tiefgaragen geprägt ist. Was fehlte, war eine gemeinsame Identität des Quartiers. Deswegen entschied sich der Grundeigentümer zusammen mit der Stadt St. Gallen zu einem Studienauftrag für die Gestaltung des Aussenraums und lud drei Künstler und vier Landschaftsarchitekten ein, den vorgegebenen Perimeter mit der Schreinerstrasse als Rückgrat zu bearbeiten und weiterführende Planungsideen zu entwickeln. Dem Vorhaben kam zugute, dass die Schreiner- und die Bleichestrasse sowieso saniert werden mussten.

Öffentlicher und privater Raum

Das Siegerprojekt schaffte es mit einem Kunstgriff, den Komplex mit der Umgebung zu verzahnen und ihn als Einheit erscheinen zu lassen. Die Videokünstlerin Pipilotti Rist und der Architekt Carlos Martinez «stellen» dazu die einzelnen Gebäude auf einen roten Teppich, der zwischen den Bürohäusern in die Vadianstrasse, Gartenstrasse, Bleichestrasse und Schreinerstrasse ausläuft und sich so um die Ecke zieht, dass er gleichzeitig den roten Teppich des Eingangsgebäudes der Raiffeisenbank bildet. Die Übereinstimmung der Farbe mit dem neuen Logo der Bank und die neue Bezeichnung des Platzes als Raiffeisenplatz sind noch das Tüpfelchen auf dem i der Corporate Identity.

Dennoch wurde ein neuer Platz geschaffen, der durch seinen roten, an Stoff erinnernden Belag einen Bezug zum historischen Ort herstellt. Ob man sich bei der Stadtlounge, wie Name und Möblierung es evozieren, tatsächlich wie im eigenen Wohnzimmer fühlt, sei dahingestellt. Aber der Versuch, den Aussen- und den Innenraum der Stadt miteinander zu verschränken, ist gelungen. Die Aneignung des öffentlich begehbaren Raumes, der eigentlich ein Privatraum ist, durch den Passanten findet, bedingt durch die vergangene kalte Jahreszeit, erst langsam statt. Die Künstlerin erläutert das Funktionieren ihrer Intervention: «Das Schlüsselmotiv ist die Zurückdrängung des Autos. Wenn du in Venedig vom Innenraum in den Aussenraum trittst, fährt da kein Auto. Die Gässlein und die Zwischenräume sind belebt. Der Unterschied zwischen innen und aussen, zwischen privat und öffentlich wird dadurch viel kleiner.»1 Die Erweiterung des privaten Raumes eines jeden Passanten in den öffentlichen Raum könnte, so die Idee der Künstlerin, z.B. durch das Liegen auf Bänken stattfinden, wenn die Erwachsenen einmal von den Regeln des normalen Verhaltens im Aussenraum abweichen. So versuchen denn auch die Möbel, die als Bänke, Sitze und Liegen mal kantig und mal rund ausgeführt sind und mit dem roten Teppich überzogen wurden, neue Haltungen und Positionen für den Körper zu provozieren und damit verschiedene Zonen des Aufenthaltes (wie in einem Haus) auszubilden: So sind Besprechungszonen von Loungezonen, Fahrradständern und Durchgangsorten unterschieden. Dabei gebärdet sich die Künstlerin zurückhaltend als Bühnenbildnerin, indem sie architektonische Kulissen für noch nicht definierte Aktionen im Aussenraum bereitstellt.

Im Wohnzimmer

Für Pipilotti Rist kam eine Videoarbeit als Kunst im öffentlichen Raum nicht in Frage. Während ihre früheren Videos Fenster in fremde Wohnzimmer öffnen, befindet man sich nun selbst in einem dieser Zimmer. Der weiche rote Belag aus Gummigranulat (Tartan der Sportplätze) überzieht dabei das gesamte Mobiliar, es gibt keine Randsteine mehr, und selbst die Gullydeckel und Baumtröge sind eingefärbt. Ein Auto ist erstarrt, als wäre die Welt für einen Moment stillgestanden und mit rotem Zuckerguss überzogen. Die bestehenden kranken Bäume wurden durch vier neue Bäume ersetzt, und gleichzeitig wurden mobil erscheinende Strassenschilder scheinbar wahllos auf den Platz gestellt. Wolkenähnliche Leuchtkörper mit 3 m Durchmesser schweben hoch über dem Platz. Sie erzeugen verschiedene Lichtwirkungen und eine surreale und künstliche Atmosphäre. Die Suche nach einem geeeigneten Belag hatte seine Tücken, so durfte er nicht brennbar sein, musste aber spray- und kaugummifest sein. Mit einem Spezialfahrzeug und Hochdruck wird er regelmässig gereinigt. Technisch wurden im Vorfeld verschiedene Tests durchgeführt und der Belag vom Tiefbauamt geprüft. In sechs Arbeitsgängen wurde schliesslich die rot eingefärbte Gummigranulatmischung aufgetragen.

Schauspiel

Steht man inmitten der statischen Kulissenarchitektur, fallen die Bewegungen auf dem Platz besonders ins Auge. Die Autos, die über den Belag ohne jegliche Begrenzung oder Markierung fahren, treten leise auf der Bühne auf und wieder ab, ebenso die Personen, die über den Teppich schreiten. In der künstlichen Welt einer Alice im Wunderland werden sie zu Statisten im alltäglichen Schauspiel. Einen ähnlichen Vorschlag hatten die Basler Künstlerinnen Claudia und Julia Müller mit dipol Landschaftsarchitekten gemacht. Im Gegensatz zu Pipilotti Rist/Carlos Martinez schlugen sie in ihrer «Lobby» vergrösserte Designmöbel und Stehlampen vor. Pipilotti Rist selbst hat schon 1996 eine Arbeit realisiert, in der man als Betrachter auf einen riesigen Sessel klettern musste und aus der Kinderperspektive die Welt/Videos neu zu sehen bekam.

Der Verfremdungseffekt, der hier allein durch die rote Umgebung erzeugt wird, führt zu einem Entrücken aus der Wirklichkeit. Es ist ein «anderer Ort» im Sinn von Michel Foucaults Heterotopie, eine Gegenplatzierung oder auch realisierte Utopie, die die wirklichen Räume in einer Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestreitet und kritisiert. Es ist ein Ort, der sich von der umgebenden Identität abgegrenzt und ihr eine kontroverse oder komplementäre Identität gegenüberstellt, wodurch neue Freiräume zum Denken und Handeln entstehen.

TEC21, Fr., 2006.05.05



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tec21 2006|19 Kunst als Pflaster

18. November 2005Lilian Pfaff
TEC21

Ein neues Ganzes

Das ehemalige Quartierzentrum Albisrieden wurde in der 1990er-Jahren zu einem Sozialzentrum umgestaltet. Die dazu notwendigen Veränderungen wie die Unterteilung des grossen Veranstaltungssaals in zwei Geschosse ergänzen und präzisieren den Pionierbau der 1930er-Jahre, der für den Übergang der Moderne zum Landistil steht.

Das ehemalige Quartierzentrum Albisrieden wurde in der 1990er-Jahren zu einem Sozialzentrum umgestaltet. Die dazu notwendigen Veränderungen wie die Unterteilung des grossen Veranstaltungssaals in zwei Geschosse ergänzen und präzisieren den Pionierbau der 1930er-Jahre, der für den Übergang der Moderne zum Landistil steht.

Wegen der rasanten Entwicklung Albisriedens vom ländlichen Dorf zur bevölkerungsreichsten Gemeinde Zürichs schien es 1934 notwendig, einen gemeinsamen Mittelpunkt zu schaffen, der verschiedene Funktionen des damals neu eingemeindeten Quartiers aufnehmen sollte. Geplant waren ein Restaurant, ein Veranstaltungssaal für 650 Personen, eine Bibliothek, ein Frauen-
arbeitszimmer und ein Polizeiposten. Nach einem Ideenwettbewerb zwischen den Brüdern Hungerbühler, Heinrich Geiger und Karl Egender/Wilhelm Müller wurde das L-förmige Gebäude an städtebaulich markanter Stelle ausserhalb des alten Dorfkerns von Albisrieden von Egender und Müller errichtet. Das zweigeteilte Gebäude besteht aus einem dreigeschossigen, leicht gekrümmten Riegel mit Wohnungen und Restaurant, der sich an den Verlauf der Albisriederstrasse anpasst, und einem rechtwinklig dazu anschliessenden Saalbau mit Sitzungszimmern im Erdgeschoss und einem zweigeschossigen Saal für Vereinsanlässe oder Vorträge.
Es befindet sich seit 1986 im Inventar der schutzwürdigen Bauten und wurde 2001 von der Stadt Zürich für 9.1 Mio. Fr. gekauft, nachdem die Genossenschaft Gemeindehaus und der Quartierverein Albisrieden die notwendigen Sanierungen nicht mehr finanzieren konnten. Umbauten und Veränderungen gab es zu allen Zeiten: Es wurden Werkräume eingerichtet, die dann später zu Büros transformiert wurden. Am stärksten wirkte sich jedoch aus, dass 1961 die westliche Glasfassade des Saalgebäudes bis auf ein Oberlichtband zugemauert worden war. Bis zum Wettbewerb für den Umbau 2002 kamen weitere Zubauten und Eingriffe hinzu, die weit mehr als nur zeitgemässe Veränderungen der Ausgestaltung und Farbigkeit der Innenräume waren. Mit diesem Erbe galt es geschickt umzugehen.

Öffnung des Hauses

Das Projekt der Zürcher Architekten Lukas Huggenberger und Adrian Berger, die bereits durch zahlreiche Sanierungen wie etwa der Tramhaltestelle Paradeplatz aufgefallen sind, tastet sich an den Altbau heran und interpretiert ihn neu: So wurde die Fassade des Saaltrakts zu beiden Seiten wieder geöffnet. Charakteristisch für den historischen Bau ist die von Robert Maillart entworfene statische Struktur des Gebäudes. Betonstützen durchziehen ausgehend vom Untergeschoss die gesamte Fassade innen wie auch aussen und setzen sich an der Decke als Unterzug fort. Sie sind bewusst sichtbar belassen und bilden als plastische Gliederungselemente das Gegengewicht zum auskragenden Vordach und dem sich ausbuchtenden, halbrunden, verglasten Erker. Dieses ehemalige Foyer des Saales hält die beiden Flügel auf der Rückseite zusammen. Der neue Eingriff der Architekten ordnet sich diesem strengen Stützenraster unter und betont die Struktur sogar noch dahingehend, dass die Stützen sowohl mokka gestrichen als auch in ihrer Filigranität gestärkt wurden. Die Farbigkeit wurde unabhängig von der Originalfarbe Grau-ocker und dem hellgrauen Innenanstrich gewählt. Um die Stützen nicht vom Rest des insgesamt heller gestrichenen Gebäudes zu isolieren, wurden die Raumabschlüsse der beiden oberen Geschosse in derselben Farbe gestrichen.
Die Lesbarkeit des Hauses bleibt so trotz dem Einbau von Büros und Besprechungsräumen in den ehemals zweigeschossigen Saal erhalten. So ist denn auch die ursprüngliche Höhe des Saales aussen durch die grossen Glasfenster und durch die Betonung der Vertikalität der Lüftungsflügel spürbar – was zur luxuriösen Erschliessung der Büros im Inneren führte. Ein zweigeschossiger seitlicher Gang trennt die Einbauten von der Fassade und erfüllt so gleichzeitig die Auflage, den Einbau reversibel zu gestalten.

Neues Geschoss

Die Decke des neuen Geschosses ist eine leichte Stahlkonstruktion. Die Herausforderung war hier, alle technischen Anlagen wie auch die für das zusätzliche Geschoss notwendigen statischen Elemente nicht an der Fassade abzuleiten, sondern sie unsichtbar in der neuen Konstruktion unterzubringen. So sitzt das 2. Geschoss auf der unteren Trennwand aus Beton zwischen Eingangsbereich und Büros, weshalb die Aussenstruktur nicht verstärkt werden musste. Das gesamte Gebäude musste jedoch den Erdbebenanforderungen gerecht und dementsprechend ausgesteift werden – was letztlich zu einer Auskernung bis zum Rohbau führte. Zusätzliche Stützen sorgen im Untergeschoss für die in öffentlichen Gebäuden notwendige Tragfähigkeit von 500 kg (vorher waren es gerade einmal die Hälfte). Die Lüftungskanäle verlaufen durch die neuen Stahlträger, deren Bekleidung in ihrer Form und Farbigkeit der historischen Konstruktion nachempfunden ist.

Verschmelzung von Alt und Neu

Die Personenführung im Gebäude dient als Ausgangspunkt für die Anordnung der Büros und Besprechungsräume. Im Erdgeschoss werden die Besucher in einem durch Glastüren abgeschlossenen Bereich empfangen, dort, wo ehemals ein langer Gang zur Treppe zum grossen Saal im 1. OG führte. In der Stützenhalle unterbricht eine schräg in den Raum gestellte Theke die Sichtachse zur Treppe. Drei Fenster an der Stirnfassade wurden geschlossen, um die Aufmerksamkeit auf den Innenraum, die Wartehalle, zu lenken. Während die Architekten die Glasbaustein-Fassade durch geschosshohe Fenster ersetzten, behielten sie die Fluchttreppe, die ihre Funktion durch die Aufhebung des Saales eingebüsst hat, als strukturelles Element im Sinne des Altbaus bei. Auch wenn auf bestimmte architektonische Details Rücksicht genommen wurde, ging es weder um eine originalgetreue Rückführung in den Ursprungszustand noch um eine direkte Konfrontation von Alt und Neu. Angestrebt wurde vielmehr eine Verschmelzung zu einem neuen Ganzen.

Dienstleistungszentrum

In den ehemaligen Sitzungszimmern lassen sich die ersten beiden Sitzungszimmer zusammenschliessen zu einem Saal für 60–70 Personen. Sie sind weiterhin über den Eingangsraum mit alten Terrazzoplatten aus den 1930er-Jahren erschlossen. Von diesem Raum treten die Klienten in die Besprechungsräume, die zwischen dem öffentlichen Gang und den an den Fenstern liegenden Büros eingefügt wurden. Deren Intimität wird durch mattierte, transluzente Gläser und eine hohe Schallabsorption gewährleistet. Ein neues Treppenhaus neben dem Eingang an der Schnittstelle zwischen Restaurant- und Saalgebäude erschliesst die Besprechungsräume im 1. und 2. OG für die Besucher. Die leicht schräg geführte Treppe (dem schrägen Tresen vergleichbar) bewirkt ein angenehmeres Raumgefühl. Im Gegensatz dazu können die Angestellten über den ehemaligen Zugang zum Saal die Besprechungsräume von hinten erreichen. Im halbrund auskragenden ehemaligen Foyer ist die Cafeteria situiert mit Blick auf den einst mit Robinien bepflanzten Hof. Zwischen Decke und Fassade wurden auch am strassenseitigen Gebäudetrakt Neonröhren eingelassen, die nachts die Konturen und die leichten Biegungen des Baus nachzeichnen.

Präzisierungen des Baukörpers

Der frühere Wirtschafts- und Wohntrakt an der Albisriederstrasse mit seiner Apotheke wurde bis auf einige kleinere Eingriffe und Sanierungsmassnahmen (z.B. Aussendämmung der Fassade) kaum verändert. Lediglich der Anbau von 1989 wurde abgerissen und die Fensterpartien der Hofseite leicht geschmälert als Präzisierung der Proportionen.

Als nachträglicher Glücksfall stellte sich heraus, dass die 1- bis 2-Zimmer-Wohnungen im 2. OG noch zum Sozialzentrum dazugeschlagen werden konnten, wodurch zusätzlich zwei helle Grossraumbüros entstanden mit kleinen Besprechungsräumen über dem Korridor. Anstelle von Drahtglas ziert nun Milchglas die Balkonbrüstungen auf der Strassenseite. Die alten Rollläden wurden durch aluminiumbedampfte Gewebestoren ersetzt.

Wie sich eine heimelige Atmosphäre herstellen lässt, demonstrieren die Architekten beim Umbau des Restaurants mit der abgestuften Decke, der Lichtführung und mit Holzstühlen im Stil der 1930er-Jahre. Die grosse Freitreppe im Aussenraum, die gleichermassen zum Quartierzentrum wie auch zum Restaurant führte, wurde verkürzt und stattdessen die Mauer des Restaurants weitergeführt, um die Treppe genau an der Gebäudeachse (Trennung zwischen Saalbau und Restaurant) auszurichten. Dadurch erhielt das Restaurant eine Gartenwirtschaft mit Kiesboden und Platanen und das Sozialzentrum gleichzeitig einen akzentuierteren Eingang.

TEC21, Fr., 2005.11.18



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Albisriederhaus - Sanierung und Umbau



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