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28. Oktober 2009Roland Schöny
dérive

Streifzüge durch den Ideologiepark

Sofort wird evident, dass hier der Versuch einer sprachlichen Operation vorliegt, die von der Form der sozialhistorischen Analyse Abstand nimmt. Eher werden...

Sofort wird evident, dass hier der Versuch einer sprachlichen Operation vorliegt, die von der Form der sozialhistorischen Analyse Abstand nimmt. Eher werden...

Sofort wird evident, dass hier der Versuch einer sprachlichen Operation vorliegt, die von der Form der sozialhistorischen Analyse Abstand nimmt. Eher werden Bedeutungsformationen und Dispositive des Mentalen entfaltet wie eine Grammatik des urbanen Lebens. Zwar stellt Lutz Musner in seinem historischen Streifzug Der Geschmack von Wien Rückbindungen zu den Koordinaten der Moderne sowie zur Ereignis- und Kulturgeschichte Wiens im späten 19. und im 20. Jahrhundert her. Seine Arbeit jedoch fokussiert weniger die politisch manifeste Ideologieproduktion in Wien als Hauptstadt und geistigem Zentrum mehrerer Systeme sowie Gaustadt in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern sie zeichnet das Netz jener Zuschreibungen nach, die sich sukzessive als Wien-Images verdichten und „mittels medialer Verfahren artikuliert und in immer neuen Medienformaten und Medienkonstellationen von Text, Foto, Film und Fernsehen bis hin zum Internet in Umlauf gebracht werden“.

Musner liest die Stadt als Textur einer Synthese von Repräsentationen, die so massiv ausgeprägt sind, „dass sie eine scheinbar unhintergehbare symbolische Stadtgestalt bilden, die von ihrer realen kaum unterscheidbar ist.“ Diese Interpretation des mit der Marke Wien übertitelten Konstrukts als Kulturgeographie, in der Zeichen und Bezeichnetes mittlerweile konvergieren, mag überpointiert wirken und schlichtweg aussehen wie die Kapitulation vor dem Versuch, die ökonomischen und politischen Motivketten und Kausalzusammenhänge spezifischer Wienbild-Produktionen offen zu legen. Offen scheint auch die Frage, wie konzise die Wien-Ideologeme, die unter Begriffen wie Kultur, Musik und Gemütlichkeit sowie neuerdings Kunststadt vor der Folie von Jugendstil, Klimt und Schiele subsumiert werden, auch die Neubaugebiete jenseits der Donau, deren Dimension längst jene anderer österreichischer Städte überschritten hat, erfasst haben.

Andererseits bezieht Musner neben dem stets mit Zynismus unterfütterten Gemütlichkeits-Idiom auch Stadt-Events auf der Donauinsel und das gedoubelte Wien im hypermodernen Themenpark vor dem Prater ein. Die massive Präsenz offenbar kaum auflösbarer Vorstellungen von einem angeblich genuinen Wesen Wiens bestärkt die These von der Verschneidung von Imageproduktion und Stadtleben selbst. Das eine scheint das andere zu präfigurieren, zumindest aber nachhaltig zu beeinflussen.

Freilich ganz neu ist die Beobachtung nicht. Denn, wie die Signifikanten sich vom Realen entkoppeln, beschrieb Jean Baudrillard spätestens 1976 in Der symbolische Tausch und der Tod (L’Échange symbolique et la mort). Aber es stellte sich heraus, dass nicht nur die Simulakren auf das sogenannte Reale zurückwirken, sondern dass auch das aus den klassischen social fabrics heraus entstehende Urbane im Zuge seines Umbaus zum Marketingfaktor zunehmend verkünstlicht bzw. eben ortsspezifisch disneyfiziert wurde. Vor diesem Hintergrund sondiert Der Geschmack von Wien Eigenschaften und Sprechweisen, welche die „sinnliche Signatur“ Wiens ausmachen. Theoretisch bewegt sich Musners Buch, das dieser als Konzen­trat seiner an der Humboldt Universität zu Berlin eingereichten Habilitationsschrift veröffentlicht, auf Basis der Lektüre Pierre Bourdieus, aber auch Rolf Lindners, mit dem Musner punktuell zusammenarbeitet und der 2003 den Text Der Habitus der Stadt – ein kulturgeographischer Versuch veröffentlichte. Weiters existieren Bezugnahmen auf den 1997 erschienen Text von Martyn Lee Relocating Location: Cultural Geography, the Specifity of Place and the City Habitus. Unübersehbar liegt im Versuch, die komplexe Dynamik der Bildung von Geschmackslandschaften sprachlich zu repräsentieren, eine der Hauptleistungen und –qualitäten dieses Bandes. Auf seinen detailanalytischen Streifzügen fokussiert Musner etwa den Kampf um prominente Sichtachsen – wie um den Canaletto-Blick vom Belvedere auf die Innenstadt – oder die zahlreichen Motive für die fortwährende Aktivierung des Topos von Wien als Musikstadt, der unter dem Regime des Austrofaschismus als patriotisches Narrativ zugespitzt wurde.

Im zentralen Kapitel Die Stadt und ihr Double werden Wien-Bilder im Film, in Image-Broschüren, Reiseführern und anderen populär aufbereiteten Medien untersucht. Hier verdichten sich die Verweise auf alternative und sozialhistorisch realitätsnähere Wien-Darstellungen wie etwa Wien wirklich (1983) von Renate Banik-Schweitzer, die auf die frühe multikulturelle Identität Wiens verweist oder die Geschichte des Roten Wien darstellt. Allerdings konstituieren sich genau durch jene essayistische, sich in Spiralen verdichtende Form, welche die Darstellung des „Gewebes bedeutungsstiftender Verschaltungen“ interessant macht, aus der Vogelperspektive betrachtet stellenweise Unschärfen und Redundanzen. Letztere ergeben sich aus allzu plötzlichen Zeitsprüngen. Sprachliche und inhaltliche Unschärfen werden gerade im Kontrast zu dem über lange Passagen konzentriert durchformulierten Text besonders bemerkbar. Denn der Austrofaschismus kam eben nicht auf, sondern wurde im Zuge von militärischen Interventionen und der Ausschaltung des Parlaments etabliert. Sprachlich beinahe ein Bruch entsteht durch das tendenziell sozialwissenschaftlich orientierte Kapitel Spätmoderne Transformationen einer Kulturstadt, das bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden ist. Hochinteressant wäre die Durchführung mehrerer zeitraumbezogener, quantitativer Analysen zur Verortung von Begriffs-Häufigkeiten gewesen. In seiner Argumentation greift Musner eher auf Literaturstellen bei Hermann Broch oder Eva Menasse wie auch – neben den obligaten theoretischen Argumentarien – auf Wochenmagazine oder Werbebroschüren zurück, ohne aber im Literaturverzeichnis eine Kategorisierung vorzunehmen, was dessen Lesbarkeit erleichtert hätte. Bedauerlich sind der fehlende Index sowie die höchst sparsame Verwendung von Bildmaterial in fragwürdiger Qualität. Das ist zumeist Entscheidung des Verlags. Dass dieser damit nicht punkten wollte, ist schade.

Trotz dieser eindeutigen Unlustmomente und der sich aus dem Fehlen chronologischer Abfolgen zwangsläufig ergebenden Sprünge liefert Lutz Musner einen über weite Strecken spannenden Beitrag zur Verschneidung von Identitäts- und Machtpolitik auf urbaner Ebene im Zeitalter ikonografischer Konkurrenz der Städte untereinander.


Lutz Musner
Der Geschmack von Wien. Kultur und Habitus einer Stadt
Interdisziplinäre Stadtforschung Bd. 3
Frankfurt am Main: Campus Verlag
295 Seiten, 34,90 Euro

dérive, Mi., 2009.10.28



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dérive 37 Urbanität durch Migration

20. November 2000Roland Schöny
ORF.at

Die Kunsthalle bekommt Kinder

Kunsthallen-Direktor Gerald Matt im Gespräch mit Roland Schöny.

Kunsthallen-Direktor Gerald Matt im Gespräch mit Roland Schöny.

Die letzte Großausstellung vor der Neueröffnung der Kunsthalle im Museumsquartier läuft zur Zeit: eine Zusammenfassung junger Positionen mit dem Titel Lebt und arbeitet in Wien. Doch bildet diese Schau keineswegs den Schlussakkord nach acht Jahren Ausstellungsbetrieb auf dem Karlsplatz, wie Kunsthallen-Direktor Gerald Matt nun bekannt gibt: „Es ist eigentlich ein Auftakt zu etwas Neuem am Karlsplatz.“

Ein kleiner Teil des dunkelgelben Containers soll als Projektraum erhalten bleiben. "So ist auch die Ausstellung „Lebt und arbeitet in Wien“ paradigmatisch für das, was wir in Zukunft wollen: mit jungen Künstlern zusammenarbeiten, sie bei der Entstehung des Werkes begleiten, Werkprozesse möglich machen und den Karlsplatz als Trägerrakete für junge zeitgenössische Kunst verankern", so Matt. „Das aber in einem Reputationszusammenhang, wie ihn eben nur eine große Institution liefern kann.“


Belebender Störfaktor

Das wäre 1992 nach der Eröffnung des dunkelgelben Behälters als Langzeitprovisorium für zeitgenössische Kunst kaum denkbar gewesen. Anfangs war die von dem Architekten Adolf Krischanitz konzipierte temporäre Architektur durchaus noch umstritten und wurde teilweise sogar als Störfaktor empfunden. Bald jedoch stellte sich heraus, wie sehr die Kunsthalle und das dazugehörige Café dem bis dahin ungenützten, verkehrsreichen Platz belebten - was zur baldigen Etablierung der Kunsthalle beitrug.


Kunsthallen-Direktor Gerald Matt

„Der Karlsplatz war ja ein toter Ort, bevor die Kunsthalle hingekommen ist, und ist seit einigen Jahren vielleicht einer der kulturell lebendigsten Orte in der Stadt geworden - ein Treffpunkt für sehr viele junge Menschen, und auch Heimat für die Künstler. Letztlich war die Kunsthalle am Karlsplatz, in aller Bescheidenheit, auch eine Erfolgsgeschichte, die man durchaus fortsetzen sollte, meinen wir.“


Container aus Glas geplant

Jetzt ist eine flexible Konstruktion geplant. Der verkleinerte Container soll größtenteils aus Glas bestehen, sodass er von außen einsehbar ist. Er kann aber bei Bedarf auch geschlossen und ganz klassisch als Box verwendet werden. Das könnte diesen Projektraum auch zu einem Werbeträger für die künftige Kunsthalle im Museumsquartier und für das Museumsquartier insgesamt machen.

Für die Umbauphase wurde ein besonderes Konzept entwickelt: "Wenn der große Container wegkommt, werden wir ein Projekt mit dem Titel „Sieben Container“ machen", berichtet Matt. „Der große Container bekommt also Kinder. Wir werden dort österreichische Experimentalfilme und Videos zeigen. Die kleinen vereinigen sich dann wieder zum neuen Container.“


Planung abgeschlossen

Die Planungsarbeiten für diesen neuen Ausstellungsraum wurden bereits abgeschlossen. Die erste Bespielung des Projektraums der Kunsthalle auf dem Karlsplatz ist nach Eröffnung des Museumsquartiers für September 2001 vorgesehen.

ORF.at, Mo., 2000.11.20



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Kunsthalle Wien

06. November 2000Roland Schöny
ORF.at

Architekt, Lehrer, Reibebaum

Spaniens wohl bekanntester Architekt, Jose Rafael Moneo, kämpft um die Realisierung seiner Prado-Umbauten.

Spaniens wohl bekanntester Architekt, Jose Rafael Moneo, kämpft um die Realisierung seiner Prado-Umbauten.

Angesichts der Bedeutung von Rafael Moneo könnte man fast mit einer Standardformulierung operieren und ihn als Doyen der spanischen Moderne bezeichnen. Das Auftreten des heute 63-jährigen Vordenkers einer gegenwartsbezogenen Baukunst aber widerspricht einer solchen Apostrophierung. Obwohl Rafael Moneo weit über die Grenzen Spaniens hinaus als Autorität seines Fachs gilt, gibt er sich unprätentiös und zurückhaltend.


Stille Bauten

Person und Werk scheinen in einem Zusammenhang zu stehen. Denn José Rafael Moneos Bauten zeichnen sich nicht nur durch klare übersichtliche Formen, Leichtigkeit und Lichtdurchlässigkeit aus. Durch ihr Aussehen drängen sie sich auch nicht in den Vordergrund, sondern zeichnen sich durch kompakte Volumen mit hoher Dichte aus.
Die Innenräume wirken durchdacht und mit Sorgfalt für Details gestaltet, was durchaus als Besonderheit gesehen werden kann. Denn allzu oft wirken moderne Bauten bloß wie interessante Ikonen, solange man deren Abbildung in Zeitschriften ansieht. Deren Innenräume jedoch bleiben oft vernachlässigt.

Eine weitere Besonderheit: Rafael Moneo gilt als viel geachteter Lehrer und Vermittler von Architektur. Zu unterrichten sieht er als wesentlichen Teil seiner Arbeit, weil er dadurch, wie er sagt, seine eigenen Ideen in Frage stellen und ausdifferenzieren könne. Wenn Rafael Moneo vom Dialog mit seinen Studenten spricht, dann ist das auch ein Statement gegen die Schnelllebigkeit. Ebenso wie seine eleganten Bauten, deren Architektur zeitlos aktuell wirkt.


Kristallwelten

Wie komplex verzahnt einzelne Gebäudeteile gestaltete sein können, zeigt der Entwurf der Pilar und Juan Miro Foundacion in Palma de Mallorca. Ein Ausstellungsgebäude, das sich auf einer Anhöhe befindet und aus einem eleganten Längstrakt mit sachlichen Arkaden an einer Seite besteht, von dem dann weitere Gebäudeteile mit sternfömigem Umriss wegführen.

Ein Konzert- und Kongresshaus in San Sebastian wiederum ist durch zwei kristallförmige gläserne Teile charakterisiert. Im Inneren schweben zwei Auditorien aus Stahlbeton zwischen feinen Wänden aus gebogenen Glassegmenten. Sie befinden sich über einem massiven Unterbau. Ein geschütztes, urban aussehendes Gefüge ist so entstanden, für das Glas als Hauptwerkstoff verwendet wurde, weil Glas gegenüber der salzigen Meeresluft besonders resistent ist.


Den Stein zum Sprechen bringen

Überhaupt achtet Rafael Moneo sehr genau auf die Materialauswahl. Das Davis Museum in Massachussets weist eine Ziegel-Fassade auf. Für ein Büro und Shopping Center an der breiten Diagonal in Barcelona wiederum verwendete er römischen Travertin-Stein. Denn erst durch die Wahl des passenden Materials, meint Rafael Moneo, werde ein Gebäude zum sprechen gebracht.


Urbaner Spezialist

Wegen seiner differenzierten Konzepte gilt Raffael Moneo als Spezialist für Architekturentwürfe, die in einem Dialog mit dem jeweiligen städtischen Umfeld stehen. Gestalterisch reagiert er auf urbane Strukturen, um einen als unvollständig gedachten Text der Stadt weiterzuschreiben. Im Fall der Erweiterung des Prado in Madrid ist ihm das allerdings noch nicht gelungen.

Um 6000 Quadratmeter soll der bedeutende Museumsbau erweitert werden. Auf Grund der speziellen Lage im bebauten Gebiet kam Rafael Moneo auf die Idee, die angrenzende Kirchenruine St. Hieyronymus zu überbauen.

Während er davon überzeugt ist, dass die historische Architektur dadurch gerettet werden könne, lehnen viele Madrider sein Vorhaben ab.


Für und wider

Der Direktor des Prado Fernando Checa erklärt, dass die Erweiterung dringend notwendig wäre und sogar der Erzbischof von Madrid und die spanische Kulturministerin Esperanza Aguirre haben eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach das Konzept verwirklicht werden könne. Aber seit die spanische Tageszeitung ABC Moneos Vorschlag veröffentlicht hat, laufen heftige Kontroversen rund um das Projekt.

Rafael Moneo selbst ist zwar zuversichtlich, aber dennoch überrascht, dass er, dem bisher eine fast ungeteilte Anerkennung galt, derart in Kreuzfeuer geraten ist. Obwohl er nicht wisse, was noch passieren wird, ist er davon überzeugt Prado helfen und die Probleme lösen zu können. Letztlich aber, so glaubt er, könne eine solche Diskussion dazu beitragen, dass wesentliche Fragen der Architektur öffentlich ausdiskutiert werden.

Ausgestanden ist die Debatte rund um die Erweiterung des Prado in Madrid nach einem Konzept des Architekten Raffael Moneo noch nicht.

ORF.at, Mo., 2000.11.06

02. November 2000Roland Schöny
ORF.at

Architekturdokumente aus 50 Jahren

Zwei umfangreiche Fotobände dokumentieren das umfangreiche Werk Julius Shulmans.

Zwei umfangreiche Fotobände dokumentieren das umfangreiche Werk Julius Shulmans.

Die Fotografien von Julius Shulman sind in unzähligen Magazinen und Büchern erschienen. Zu den prominentesten Publikationen zählen das Lifestyle Magazin „Life“ und die Zeitschrift „House and Garden“, wo immer wieder neue Aufnahmen amerikanischer Luxusvillen und Wochenendhäuser erschienen, die sich durch Großzügigkeit und moderne Gestaltung auszeichneten.

Riesiges Oeuvre

Mehr als 6.000 Aufträge in Nordamerika, aber auch in anderen Kontinenten hat Julius Shulman erhalten. Tausende Fotografien sind zwischen den Jahren 1936 und 1986 veröffentlicht worden. Seither nimmt der heute 90-jährige Fotograf nur mehr ganz besondere Aufträge an und widmet sich in erster Linie der Aufarbeitung seines nahezu unüberblickbaren Archivs. Im Laufe seiner Tätigkeit wurde Shulman allmählich zu einem der wichtigsten Dokumentaristen moderner Architektur und gilt heute als Autorität auf diesem Gebiet.

Schlüsselfigur Richard Neutra

Die Geschichte begann mit einem Zufall. In den 30er Jahren begegnete er dem aus Österreich stammenden Architekten Richard Neutra, der als bedeutender Vordenker Modernen Bauens gilt. Erst durch die Zusammenarbeit mit Neutra habe er sich ein Verständnis für die Entwürfe der Moderne erarbeitet, erinnert sich Julius Shulman heute.

Suche nach der Moderne

Nach der ersten Begegnung mit Neutra, so Julius Shulman, habe er das sogenannte Koon-House in Hollywood fotografiert. Das war die Konfrontation mit Moderne bzw. mit dem sogenannten „International Style“. Doch bald entdeckte Shulman als Fotograf, dass Moderne weitaus mehr bedeutet als Beton, Glas und Stahl. Die von ihm gemachten Fotografien erzählen von Helligkeit, von Weite und von einer bewusst gesetzten Beziehung zur Umgebung.

Ikone der Moderne

Eine der architekturhistorisch berühmtesten Villen, die er fotografierte, ist die sogenannte Spencer-Residence in Malibu in Kalifornien, ein Gebäude mit einer über die felsige Küstenkante zum Meer hin hinausragenden Terrasse. An den Seiten befinden sich Glaswände als Windschutz, ein Vordach aus Beton bietet von oben her Schutz. Um zu betonen, dass eine der Qualitäten dieses Baus, die Möglichkeit sei, auf das Meer hinauszublicken bzw. frische Seeluft genießen zu können, hat Shulman einen Mann und eine Frau auf der Terrasse platziert, die in die Ferne schauen. Der Mann hält sogar ein Fernglas in Händen. Das ist eines von vielen hundert Beispielen von Bauten, die im Magazin „Life“ als „Californian Style“, als Baustil der Westcoast vorgestellt wurden.

Westcoast-Bauten

Es handle sich um Bauten in der Region zwischen San Francisco und Los Angeles erklärt, Julius Shulman. Von manchen davon hat er auch die Gartensituation fotografiert. Eines zum Beispiel hat eine runde Bar im Freien, die direkt aus dem salonähnlichen Wohnraum hinausreicht. Weite Bibliotheksräume, Dachpartien aus Glas, große Fensterfronten und Terrassen für kleinere Partys zeichnen viele dieser Häuser aus. Heute gelten sie als historische Bauten und sind hochgefragt.

Villen von Richard Neutra zum Beispiel werden versteigert und mitunter von Filmstars oder Pop-Musikern erworben. Das wiederum trägt dazu bei, dass Qualitätsarchitektur neuerlich in Illustrierten und Life-Style Magazinen abgebildet wird. Architektur der Moderne erhält einen neuen Stellenwert. Für den deutschen Taschenverlag war das einer der Gründe, aufwendig gemachte Architekturbücher zu produzieren.

Vielfalt der Moderne

Mit der Prominenz der Häuser steigt auch die Nachfrage nach solchen Architekturbänden außerhalb von Fachkreisen. Gemeinsam mit dem Architekturkritiker Pierluigi Serraino ist jetzt der erste Band mit bisher unentdeckten modernen Bauten erschienen. Die Fotos wurden bisher hauptsächlich in Lifestyle Magazinen oder auch gar nicht veröffentlicht, da viele der Architekten und Kritikern weitgehend unbekannt sind.

Die Fotografien von Julius Shulman zeigen die Vielfalt der Moderne, die weit über wegweisende Architekten wie Frank Lloyd Wright oder Rudolf M. Schindler hinausgehen. Die jetzt veröffentlichen Fotografien dokumentieren aber auch den Blick eines Fotografen, der Analyse mit persönlicher Sicht verbindet und den Bauten über ihre Geometrie hinausgehend so etwas wie Charakter verleiht.

[ Das Buch „Modernism Rediscovered“, das Julius Shulman gemeinsam mit Pierluigi Serraino herausgegeben hat und die große Publikation "„Richard Neutra - Complete Works“ sind im Taschen Verlag erschienen. ]

ORF.at, Do., 2000.11.02



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Shulman Julius



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All began just by chance. Julius Shulman.

03. Oktober 2000Roland Schöny
ORF.at

Von Coop Himmel(b)lau zu propeller z

Österreichs junge Architektenteams gehen neue Wege.

Österreichs junge Architektenteams gehen neue Wege.

Weg mit den Architektursolisten. Weg mit dem Einzelkämpfertum. Oder gar: Weg von der patriarchalen Architektengeneration. Mit solchen Slogans wurde im vergangenen April im Wochenmagazin profil die Haltung junger Architektengruppen Österreichs zusammengefasst. Präsentiert wurden zahlreiche Denkstationen des neuen Bauens, die unter Bezeichnungen wie escape sphere, Sputnik oder Transbanana vorgestellt wurden. Klingende Namen also - und ein typisches Phänomen der 80er und 90er Jahre.


Neuformierung eines Gewerbes

Diese Veränderungen in der heimischen Architektenszene waren auch der Ausgangspunkt für die Ausstellung „Den Fuß in der Tür“, die der Architekturtheoretiker Jan Tabor im Künstlerhaus gestaltet hat. „Es ist hier eine bunt gemischte Szene entstanden“, fasst Tabor die Entwicklung zusammen. „Architekten, Designer, man weiß nicht genau aus welcher Schule sie kommen, man weiß nicht, ob sie fertig sind oder noch in Ausbildung.“ Interessant für Tabor ist zu beobachten, dass sich schon die 68er-Generation mit vielen vergleichbaren Fragen beschäftigt hat. Der Ideenreichtum der Altvordern sei aber nur zum Teil verwirklicht worden, so dass für die Nachkommenden noch genug zu tun bleibe, meint Jan Tabor.


Uneinheitliches Bild

„Das Junge an der Formensprache festzumachen, ist schwierig“, weist Matthias Boeckl den Versuch zurück, neue Entwicklungslinien nachzuzeichnen, die quer zu den Traditionen der Moderne stehen. Boeckl, Chefredakteur der Zeitschrift „architektur aktuell“, kann an Hand der gebauten Entwürfe keine Zugehörigkeit zu einer neuen Generation festmachen.

Charakteristisch für die Architektengruppen neuen Typs ist aber, dass sie nach neuen Entwicklungsmöglichkeiten und Karrieremustern suchen. Das bedeutet, die Architekten und Architektinnen beginnen nicht als AssistentInnen oder PraktikantInnen in größeren, bereits etablierten Büros, um dann später ihre eigenen Ateliers zu eröffnen. Sie bauen sich in der Regel gleich eine eigenständige Arbeitsbasis auf. Die Gruppenstruktur eignet sich dabei als Ideenlabor.

„Man kann die Architektenteams teilweise mit Bands vergleichen, wie sie spielen, improvisieren, Neues erfinden. Es gibt keine Ewigkeitsansprüche“, beobachtet Jan Tabor, der für diesen neuen Typ den Begriff „ephemäre Architektur“ zu prägen versucht.


Ungeahnte Höhen

Experiment und theoretische Forschung stehen im Vordergrund, wenn es darum geht etwa Wohnsituationen zu überdenken, Plätze im Stadtraum zu modernisieren, oder gar eine Baulücke im Hinterhof sinnvoll zu nutzen. Durch die Veränderungen des Alltagslebens hätten sich aber auch neue Möglichkeiten für Entwürfe ergeben, konstatiert Matthias Boeckl. Die Neuinterpretation von Altbeständen gehört für ihn ebenso dazu, wie die neue Nutzung öffentlicher Räume.

Demontierbare Bühnenräume, wie sie etwa die Gruppe Nonkonform für den Haager Stadtplatz entwickelt hat, so Boeckl, hätte es zwar schon früher gegeben, „aber natürlich nicht in dieser avancierten Produktionstechnik und dieser dramaturgisch anspruchsvollen Form. Da sind wir schon in anderen Dimensionen, als beim guten alten Jedermann.“


Neue Sichtweisen

Jan Tabor stellt fest, dass auch die unmittelbare Lebensumgebung neu wahrgenommen wird. Dadurch werden auch Denkmuster verändert. „Weil die Welt um uns herum immer virtueller wird, gewinnt das Sinnliche immer mehr an Bedeutung. Das heißt die Wohnung, die ja immer schon eine Art Kleidung war, wird wieder stärker auf diese körperliche Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt hin untersucht.“


Neue Rahmenbedingungen

Nach wie vor handelt es sich bloß um Nischen der Architektur, in denen solche Experimente möglich sind. Zugleich ist das allgemeine Qualitätsbewusstsein unter Auftraggebern angestiegen.

Matthias Boeckl hält derzeit die Bedingungen für einen Übergang der jungen Teams vom Experiment zur realen Situation des Bauens für besser denn je. „Denken Sie zum Beispiel nur an die großen Wohnbauten auf der so genannten Donauplatte in Wien. Da sind einige ganz junge Architekten dabei, die gewaltige Kubaturen realisiert haben. Es gibt aber auch im klassischen Einfamilienhaus-Bereich schon einige Bauten, von den in der Publizistik so viel diskutierten Jungen Architekten.“

"Die Absicht, die Welt zu verändern, kann Jan Tabor im Gegensatz zur 68er Generation in der Architektur nicht mehr beobachten. Aber, so Tabor, „sie verbessern die Welt. Sie verbessern sie im Tun.“ Junge Architektur entwirft keine Utopien, sondern bietet neue Einblicke in bestehende Strukturen.

ORF.at, Di., 2000.10.03

08. August 2000Roland Schöny
ORF.at

Captain Kirk baut in Meidling

Die Poor Boys sind die am längsten bestehende Gruppe der so genannten „zweiten Generation“ junger Architekten: Sie kommen aus der Klasse der ersten Generation...

Die Poor Boys sind die am längsten bestehende Gruppe der so genannten „zweiten Generation“ junger Architekten: Sie kommen aus der Klasse der ersten Generation...

Die Poor Boys sind die am längsten bestehende Gruppe der so genannten „zweiten Generation“ junger Architekten: Sie kommen aus der Klasse der ersten Generation von Gruppen und haben bei Wolf Prix von COOP Himmelblau ihre Diplome gemacht. Als Gruppe zusammengeschlossen haben sie sich Anfang der 90er Jahre und nach einem Jahrzehnt der Zusammenarbeit wollen sie ihre bisherige Struktur lösen und unabhängig von einander in verschiedenen Feldern weiterarbeiten.

Zunächst zurück zu den Anfängen, bzw. zur Basis des Nachdenkens über Architektur. Beides geht Hand in Hand. Denn als im Jahr 1991 eine Gruppe von jungen Architekten den Entschluss fasste, unter dem Label „Poor Boys Enterprise“ aufzutreten und ein Denklabor für Experimente und Forschungen im Stadtraum zu begründen, zeichnete sich eine breite Unsicherheit in den gängigen Architekturdiskussionen ab.


Post- oder Zweite Moderne?

Die entscheidenden Bereiche zeitgenössischer Architektur, die - bis hinein in Philosophie-Diskussionen - zu einander in Konkurrenz standen, hießen Postmoderne und Zweite Moderne. Oder anders gesagt: Eine mit verschiedenen Zitaten aus der Geschichte aufgeladene Erlebnis-Architektur einerseits und klare, sachlich strukturierte Bauten auf der anderen Seite.

Maßgebliche Symposien zu dieser Zeit wurden mit Schlagworten wie „Architektur am Ende?“ oder „Architektur im Aufbruch?“ betitelt. Da war es naheliegend, nach Vorstellungen und Definitionen von Architektur zu suchen, die ganz unmittelbar mit dem Leben in einem Stadtteil, mit Recycling von Materialien oder mit der Umgestaltung vorhandener Bausubstanz hatten.

Die Architektur von innen heraus denken, wie das später mit einem Schlagwort hieß. Florian Haydn von den Poor Boys präzisiert: „Ob das jetzt ein Fest war, oder ein Herumflanieren und reden über Stadt, wir haben zum Beispiel eine Zeitschrift herausgegeben, wo nur wir die Leser und Redakteure waren. Das war wie ein erweitertes Studium.“


Das Salz der Architektur

Das sollte grundsätzlich in Frage gestellt werden - sprachlich, diskursiv und poetisch: Bewusstseinskur heißt es in einem der Texte der Poor Boys: „Ein Monat kein Salz, nun spürst Du, wo das Salz drinnen ist - und ob Du es brauchst. Hauslernen - Zusammenhänge verstehen“. Sich also von Informationsflut und Übersättigung mittels Ideologie befreien wollten die Poor Boys Enterprise. Manche der Texte scheinen sprachliche Sedimente aus dem Sinnlichkeitsanspruch der Alternativkultur zu haben, zugleich erzählen sie von einer genauen Kenntnis stadtplanerischer Strategien.

Aber die Poor Boys Enterprise ist auch ein Kind der Populärkultur der 70er und 80er Jahre, wie Poor Boy Ernst J. Fuchs ausführt: „Alle haben wir eine Beziehung zu Raumschiff Enterprise, einer Serie, die wir damals geliebt haben. Da ist uns einfach das Wort Enterprise nahe gelegen. Die Poor Boys haben mit den 80er Jahren zu tun, wo das Wirtschaftswachstum eher stagnierte.“


Abseits der Postkartenmotive

Der spätere Kern der Poor Boys bestand aus Marie Therese Harnoncourt, Ernst J. Fuchs und Florian Haydn. Eines der Parade-Beispiele für die Umsetzung von Beobachtungen und Recherchen im Stadtraum war das Projekt „97 Stühle“ 1993 in New York und Wien. Ausgangspunkt war die Frage nach spezifischen Definitionen einer Stadt. Marie Therese Harnoncourt: „Wenn man in einer Stadt lebt, sind es nicht die Postkartenmotive, die für einen die Stadt ausmachen.“ Charakteristisch für New York ist der auf die Straße gestellte Unrat, mitunter diverse Möbelstücke, die nicht mehr gebraucht werden und auf Boulvards oder in Hauseingängen herumstehen.

Also erbarmten sich die Poor Boys der in der Stadt herumstehenden Stühle, die schließlich zu Studienobjekten wurden, um über Design und Funktion von Gegenständen nachzudenken. Aber auch Begriffe wie Innenraum, Geschichte oder die Nutzung öffentlicher Flächen wurden zu Themen. Letztlich wurden die Stühle in einem Container nach Wien transportiert, um ihnen eine neue Funktion zu geben. Im Rahmen eines Festes auf einem Garagendach wurden sie weitergegeben an Künstler und andere Interessierte. Der Künstler Heiko Bressnik entdeckte darin eine interessante Malvorlage und Edgar Honetschläger verwendete einen der Stühle für ein Fotoprojekt mit Japanern und Japanerinnen, das auf der documenta X zu sehen war.


Alternative Stadtraumanalyse

Es wurden also Gegenstände, Räume und Funktionen hinterfragt. Durch scheinbar so nebensächliche Dinge wie eine Bar im Container gelang es für kurze Zeit, die übliche Definition einer bestimmten Zone im Stadtraum zu verändern. Wesentlich offensiver war eine Aktion bzw. eine Installation der Poor Boys Enterprise mit dem Titel Hirnsegel. Die Bezeichnung ist eine der typischen Wortkreationen der Poor Boys: ein Zwischending zwischen Alternativjargon und Stadtraumanalyse.

Der Ort des Geschehens befand sich unter der Eisenbahnbrücke des Wiener Südtirolerplatzes, ein Stück städtischer Peripherie unweit von den so genannten Innenbezirken. Über der Brücke hing dann ein Riesenplakat mit dem Titel „Hirnsegel“. Der Raum darunter wurde in eine temporäre Zone für Kulturveranstaltungen verwandelt.

Das alles sind Projekte, die aus der fast privilegierten Situation heraus entstanden sind, nicht bauen zu müssen. Das Ergebnis ist ein umfangreiches Repertoire an Denkfiguren und Refelxionsmöglichkeiten über die Stadt der Gegenwart.


Meidlinger Wohnträume

Gabaut haben die Poor Boys aber auch - neben der Teilnahme an zahlreichen Wettbewerben. Nicht nur ihr Entwurf für die Bebauung der Gründe der Kabel- und Drahtwerke AG in Wien Meidling wurde ausgezeichnet. Auch ein Dachboden-Ausbau oder ein Hallenbad wurden in Wien realisiert. In Graz wurde bestehende alte Bausubstanz durch einen Dachaufbau in der Parkstraße erneuert. Kleinwohnungen sollten in die bestehende zerklüftete Dachlandschaft eingebaut werden.

Das Besondere an diesen Wohnungen: vorhandene Träger wurden nicht ersetzt sondern belassen, sind also in den Dachgeschoßräumen durchaus sichtbar. Das Wesentliche, neben dem Versuch, trotz beschränkter Flächen geräumig wirkende lichtdurchflutete Räume zu schaffen: Die Poor Boys haben jene in Dachhöhe gezwungenermaßen entstehenden Nischen und Kanten nicht verändert, um sie den Bewohnern zur freien Gestaltung zu überlassen.

Der Dachboden-Ausbau wurde nicht frei finanziert, sondern über geförderte Wohnbaumodelle. Also nicht das übliche Gerüst aus Finanzierung, Bauordnung und funktionalem Denken bestimmt die Entwürfe der Poor Boys, wie Florian Haydn meint, sondern die Verknüpfung der Ortsanalyse mit dem Versuch, in einem begrenzten Rahmen Utopisches zu verwirklichen. In Hinkunft wird das kaum noch unter dem Label Poor Boys passieren. Denn nach einem Jahrzehnt der erfolgreichen Zusammenarbeit gehen die einzelnen Mitglieder der Gruppe ihre eigenen Wege.

ORF.at, Di., 2000.08.08

18. Juli 2000Roland Schöny
ORF.at

Die Architektur von Morgen

Roland Schöny sprach bei der 7. Architektur-Biennale von Venedig mit Hani Rashid, einem der bedeutendsten Vordenker im Feld Computer-generierter Architektur.

Roland Schöny sprach bei der 7. Architektur-Biennale von Venedig mit Hani Rashid, einem der bedeutendsten Vordenker im Feld Computer-generierter Architektur.

Max Hollein, der für die Präsentation der USA verantwortlich zeichnet, ließ den amerikanischen Pavillon in ein Labor verwandeln. Gemeinsam mit Studenten erarbeiten dort die Architekten Greg Lynn und Hani Rashid neue Anwendungen computergenerierter Achitektur aus.

Im amerikanischen Pavillon wurde auf den Punkt gebracht, was High Tech in der Architektur zu Beginn des 21. Jahrhunderts bedeutet. Nämlich Feinarbeit, Forschungarbeit und ständiges Experimentieren. Das verdeutlicht der Laborbereich, in dem ein ganzer Stab von Architektur-Studenten an einer Batterie von Hochleistungscomputern sitzt.

Während früher im Atelier eines Courbusier etwa diszipliniert an Zeichentischen gearbeitet wurde, um Visionen der Moderne in die Realität zu übertragen, wird jetzt nach vollkommen neuen Parametern gesucht, aus denen sich Bauformen der Zukunft ergeben könnten.


Messe für Blasen und Plasma

Wie solche Gestaltungsideen aussehen könnten, wird im Ausstellungsbereich des amerikanischen Pavillon illustriert. Da werden einzelne Segmente einer aus dem Computer heraus digital generierten Architektur vorgeführt wie die neuesten Kreationen auf einer Technikmesse. Teilweise sieht man Zeichnungen, teilweise Modelle, die oft nicht viel grösser sind als eine geöffnete Hand. Kaum eines der Schaustücke erinnert an traditionelle Formen wie Kubus oder Säule. Viel eher denkt man an organische Formen, an Blasen, an erstarrtes Plasma oder an Landschaften in einem Science Ficton-Comic.


„Absoluter Paradigmenwechsel“

Der an der Columbia University in New York lehrende Hani Rashid gilt international als einer der wichtigsten Theoretiker computergenerierter Architektur und zeigt sich vom revolutionären Charakter aktueller Entwicklungen überzeugt: „Es handelt sich um einen absoluten Paradigmenwechsel. Ich möchte das nicht zu romantisch oder grossartig sehen. Aber durch den Computer erhalten wir die Möglichkeit zu einer ähnlichen Revolution, wie sie in der Renaisance eingeleitet wurde, als man die Zentralperspektive in die Malerei eingeführt hat. Das war eine radikale Veränderung unserer Wahrnehmung in Bezug auf Raum und Zeit. Jetzt stehen wir vor einer ähnlichen Veränderung der Wahrnehmung wie damals.“


Gebäude wachsen von selbst

Was hier größtenteils zum Einsatz gelangt ist, sind sogenannte autokatalytische Computer-Systeme. Das Grundprinzip ist vergleichbar mit einem chemischen Experiment oder mit einem Versuch im Feld der Gen-Technologie. Aus verschiedenen Komponenten wird eine Matrix, also eine mehrdimensionale mathematische Formel gebildet. Diese wird dann mit den gewünschten räumlichen Parametern eines projektierten Gebäudes verknüpft. Ähnlich wie eine Pflanze oder auch ein Embryo wächst dieses Gebilde dann auf der Festplatte und nimmt seine Form unabhängig von den bis dato üblichen Kriterien für Raumgestaltung an.


[Abbildung]
Columbia/Rashid: Broadcast Architecture Computer Rendering


Realisierbare Science Fiction

Hani Rashid zur Arbeit mit solchen Computerprogrammen: „Diese Tools geben uns vollkommen neue Möglichkeiten, ein Gebäude zu betrachten. Es kann sehr technologisch oder dynamisch-elegant wirken oder in der Architektur können sogar Gefühle zum Ausdruck kommen. Wir führen zum Beispiel gerade Diskussionen darüber, wie man pflanzliche Images herstellen kann. Der andere wichtige Aspekt ist, dass uns der Computer die Möglichkeit gibt, solche Ideen nicht bloss zu entwerfen, sondern sie auch umzusetzen. Das finde ich sehr aufregend.“


Genau im Problem der Umsetzung solcher teils fantastisch anmutender Entwürfe liegt ein entscheidendes Moment, das immer noch zu irritieren vermag. Viele der Formen, die da auf dem Bildschirm Gestalt annehmen, wirken nämlich, als könnte man sie nicht einmal mit Plastilin nachbilden. Im amerikanischen Pavillon wird aber bereits eine Maschine präsentiert, die - computergesteuert - zumindest kleine dreidimensionale Modelle herstellen kann.


Raumvorstellungen jenseits alter Traditionen

Aus verschiedenen örtlichen Beobachtungen kann man Parameter ableiten und in den Computer eingeben. Es entstehen dann Formen als Beispiel für den kulturellen Urbanismus etwa eines Flughafens. Eine Architektur wird kreiert, zu der man eine Art persönliche Beziehung haben kann. Genau an jenen Orten, die oft langweilig sind, wird die Architektur spannend und ist auf die körperliche Präsenz des Betrachters bezogen.

Damit ist eine Vision ein Stück näher gerückt, die in Architekturkreisen schon seit einigen Jahren heiß diskutiert wird. Es geht darum, Raumvorstellungen ganz neu, abseits jahrtausendealter Traditionen zu definieren. Bauten können möglicherweise bald umgesetzt werden, für deren Formensprache es praktisch kein Vorbild in der Realität gibt. Statt dessen kommen die Umrisse aus den endlosen Weiten digitaler Rechner.

Tipp: Die 7. Architekturbiennale in Venedig ist noch bis zum 29. Oktober zu sehen.

ORF.at, Di., 2000.07.18

13. Juli 2000Roland Schöny
ORF.at

Das andere Bild der Emanzipation

Die japanische Designerin Kazuko Koike hat eine eigenwillige Foto-Dokumentation der Emanzipationsbestrebungen junger Mädchen in Tokyo zusammengestellt.

Die japanische Designerin Kazuko Koike hat eine eigenwillige Foto-Dokumentation der Emanzipationsbestrebungen junger Mädchen in Tokyo zusammengestellt.

In den Giardini von Venedig fühlt man sich angesichts der Architektur des japanischen Pavillons in vielen Vorstellungen, die man sich als Europäer von der Mentalität im Reich der aufgehenden Sonne macht, bestätigt. Im Gegensatz zu den imperial anmutenden gründerzeitlichen Ausstellungs- Bauten in der Umgebung ist der an einem kleinen Hügel gelegene Japan-Pavillon aus Beton ein nüchtern gehaltenes Statement der Moderne.


Scheinbare Klischees

Der Gedanke an fernöstliche Askese und die bekanntermaßen sparsame Haltung der Japaner in punkto Raumgestaltung kommt da auf. Ebenso schlicht wirkt die Präsentation Japans in Bezug auf das diesjährige Motto der Architekturbiennale. Obwohl Massimiliano Fuksas mehr Ethik eingefordert hat, ist man geneigt zunächst hauptsächlich Ästhetik zu entdecken.

[Abb.: Der japanische Pavillon]

Die Stämme der Bäume rund um den Pavillon sind mit weißem Papier umwickelt. Rund um das Gebäude und auch im Inneren wurde weißer Kies aufgeschüttet. Weiße Margeriten oder vielleicht Gänseblümchen aus Plastik wachsen darin empor.


Unscheinbare Irritation

Aber dann finden sich doch einige Anhaltspunkte: auf kleinen, zarten Pulten, die ein wenig an Notenständer erinnern, werden Fotos japanischer Mädchen präsentiert. Die Idee stammt von der japanischen Designerin Kazuko Koike. „In den Menschen spiegelt sich die Stimmung einer Stadt“, findet sie. „Obwohl wir bereits das Jahr 2000 schreiben, finden sich in der männlich dominierten japanischen Gesellschaft immer noch viele problematische Punkte, abseits der technischen oder ökonomischen.“

Sie erinnert sich, dass man in den Diskussionen zur Pavillongestaltung rund um das Thema „Ethik und Architektur“ relativ bald auf die Problematik der sozialen Ungleichheit der Geschlechter zu sprechen kam. Bis heute nämlich ist in Japan der Standpunkt, dass der Platz der Frau in der Küche sei, weitverbreitet. Kazuko Koike stellt fest: „Mädchen sind heute immer noch nicht in die japanische Öffentlichkeit integriert, aber ich glaube, sie haben klare Augen, um ihr Leben in der Gesellschaft zu reflektieren.“


Verkehrte Welt?

Hier wird also von Frauenemanzipation gesprochen. Aus westlicher Sicht jedoch könnte man fast an das Gegenteil denken. Die Mädchen auf einigen der Fotografien sind nämlich aufreizend gekleidet und schrill geschminkt wie Barbie-Puppen. Sämtliche Klischeebilder von Weiblichkeit finden sich da wieder: lange Wimpern, greller Lippenstift und zur Schau gestellte Beine.

Diese Bilder erinnern an Szenen, wie sie in Tokyo immer vorzufinden sind, etwa in der Nähe der U-Bahn-Station des berühmten Ueno-Parks, wo ganze Gruppen bunt gekleideter Mädchen auf der Straße sitzen. Manche haben ihr Haar rot gefärbt, manche betonen ihre Körperformen durch eng geschnittene Mieder, manche wiederum sehen aus wie Jane Fonda im Film „Barbarella“.


Die Präsenz zählt

Ungewöhnlich für Passanten aus dem Westen ist, dass diese Mädchen sich in der Öffentlichkeit geradezu demonstrativ frisieren oder einander gegenseitig die Nägel lackieren. Emanzipierte Frauen könnte man sich auch anders vorstellen. Dazu ein überraschendes Statement von Kazuko Koike: „Diese Mädchen mögen kitschig oder eigenartig wirken, manchmal sogar ekelhaft, aber sie sind das Herz jener Gesellschaft, die in Japan das 21. Jahrhundert prägen wird.“

[ Abb.: Foto: Hellen van Meene ]

Was auf Menschen aus dem Westen so eigentümlich und mitunter kindisch wirken mag, sei im Grunde eine geradezu revolutionäre Entwicklung. Denn in einer Gesellschaft, in der Kleidung gewöhnlich fast Uniform-Charakter hat und in der Frauen bis in das späte 20. Jahrhundert aus der Öffentlichkeit weitgehend verbannt waren, würden sich Mädchen jetzt auf derart auffällige Weise Präsenz verschaffen. Durch derartige Inszenierungen sei der Blick nun geradezu automatisch auf sie gerichtet, meint Kazuko Koike.


Visuelle Umsetzung

„City of Girls“ heißt die Ausstellung Japans auf der Architektur-Biennale. Um die auf Europäer fremd wirkende Welt verstärkt zu betonen, wurde die niederländische Künstlerin Hellen van Meene engagiert, um die Fotoaufnahmen zu machen.

Die Architekten des Projekts Kazyu Sejima und Ryue Nishizawa wollten durch die gesamte Inszenierung den Eindruck eines geöffneten Raumes herstellen, um das Aufweichen der strengen Grenzen zwischen Drinnen und Draußen in der japanischen Gesellschaft zu symbolisieren.

ORF.at, Do., 2000.07.13

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Presseschau 12

28. Oktober 2009Roland Schöny
dérive

Streifzüge durch den Ideologiepark

Sofort wird evident, dass hier der Versuch einer sprachlichen Operation vorliegt, die von der Form der sozialhistorischen Analyse Abstand nimmt. Eher werden...

Sofort wird evident, dass hier der Versuch einer sprachlichen Operation vorliegt, die von der Form der sozialhistorischen Analyse Abstand nimmt. Eher werden...

Sofort wird evident, dass hier der Versuch einer sprachlichen Operation vorliegt, die von der Form der sozialhistorischen Analyse Abstand nimmt. Eher werden Bedeutungsformationen und Dispositive des Mentalen entfaltet wie eine Grammatik des urbanen Lebens. Zwar stellt Lutz Musner in seinem historischen Streifzug Der Geschmack von Wien Rückbindungen zu den Koordinaten der Moderne sowie zur Ereignis- und Kulturgeschichte Wiens im späten 19. und im 20. Jahrhundert her. Seine Arbeit jedoch fokussiert weniger die politisch manifeste Ideologieproduktion in Wien als Hauptstadt und geistigem Zentrum mehrerer Systeme sowie Gaustadt in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern sie zeichnet das Netz jener Zuschreibungen nach, die sich sukzessive als Wien-Images verdichten und „mittels medialer Verfahren artikuliert und in immer neuen Medienformaten und Medienkonstellationen von Text, Foto, Film und Fernsehen bis hin zum Internet in Umlauf gebracht werden“.

Musner liest die Stadt als Textur einer Synthese von Repräsentationen, die so massiv ausgeprägt sind, „dass sie eine scheinbar unhintergehbare symbolische Stadtgestalt bilden, die von ihrer realen kaum unterscheidbar ist.“ Diese Interpretation des mit der Marke Wien übertitelten Konstrukts als Kulturgeographie, in der Zeichen und Bezeichnetes mittlerweile konvergieren, mag überpointiert wirken und schlichtweg aussehen wie die Kapitulation vor dem Versuch, die ökonomischen und politischen Motivketten und Kausalzusammenhänge spezifischer Wienbild-Produktionen offen zu legen. Offen scheint auch die Frage, wie konzise die Wien-Ideologeme, die unter Begriffen wie Kultur, Musik und Gemütlichkeit sowie neuerdings Kunststadt vor der Folie von Jugendstil, Klimt und Schiele subsumiert werden, auch die Neubaugebiete jenseits der Donau, deren Dimension längst jene anderer österreichischer Städte überschritten hat, erfasst haben.

Andererseits bezieht Musner neben dem stets mit Zynismus unterfütterten Gemütlichkeits-Idiom auch Stadt-Events auf der Donauinsel und das gedoubelte Wien im hypermodernen Themenpark vor dem Prater ein. Die massive Präsenz offenbar kaum auflösbarer Vorstellungen von einem angeblich genuinen Wesen Wiens bestärkt die These von der Verschneidung von Imageproduktion und Stadtleben selbst. Das eine scheint das andere zu präfigurieren, zumindest aber nachhaltig zu beeinflussen.

Freilich ganz neu ist die Beobachtung nicht. Denn, wie die Signifikanten sich vom Realen entkoppeln, beschrieb Jean Baudrillard spätestens 1976 in Der symbolische Tausch und der Tod (L’Échange symbolique et la mort). Aber es stellte sich heraus, dass nicht nur die Simulakren auf das sogenannte Reale zurückwirken, sondern dass auch das aus den klassischen social fabrics heraus entstehende Urbane im Zuge seines Umbaus zum Marketingfaktor zunehmend verkünstlicht bzw. eben ortsspezifisch disneyfiziert wurde. Vor diesem Hintergrund sondiert Der Geschmack von Wien Eigenschaften und Sprechweisen, welche die „sinnliche Signatur“ Wiens ausmachen. Theoretisch bewegt sich Musners Buch, das dieser als Konzen­trat seiner an der Humboldt Universität zu Berlin eingereichten Habilitationsschrift veröffentlicht, auf Basis der Lektüre Pierre Bourdieus, aber auch Rolf Lindners, mit dem Musner punktuell zusammenarbeitet und der 2003 den Text Der Habitus der Stadt – ein kulturgeographischer Versuch veröffentlichte. Weiters existieren Bezugnahmen auf den 1997 erschienen Text von Martyn Lee Relocating Location: Cultural Geography, the Specifity of Place and the City Habitus. Unübersehbar liegt im Versuch, die komplexe Dynamik der Bildung von Geschmackslandschaften sprachlich zu repräsentieren, eine der Hauptleistungen und –qualitäten dieses Bandes. Auf seinen detailanalytischen Streifzügen fokussiert Musner etwa den Kampf um prominente Sichtachsen – wie um den Canaletto-Blick vom Belvedere auf die Innenstadt – oder die zahlreichen Motive für die fortwährende Aktivierung des Topos von Wien als Musikstadt, der unter dem Regime des Austrofaschismus als patriotisches Narrativ zugespitzt wurde.

Im zentralen Kapitel Die Stadt und ihr Double werden Wien-Bilder im Film, in Image-Broschüren, Reiseführern und anderen populär aufbereiteten Medien untersucht. Hier verdichten sich die Verweise auf alternative und sozialhistorisch realitätsnähere Wien-Darstellungen wie etwa Wien wirklich (1983) von Renate Banik-Schweitzer, die auf die frühe multikulturelle Identität Wiens verweist oder die Geschichte des Roten Wien darstellt. Allerdings konstituieren sich genau durch jene essayistische, sich in Spiralen verdichtende Form, welche die Darstellung des „Gewebes bedeutungsstiftender Verschaltungen“ interessant macht, aus der Vogelperspektive betrachtet stellenweise Unschärfen und Redundanzen. Letztere ergeben sich aus allzu plötzlichen Zeitsprüngen. Sprachliche und inhaltliche Unschärfen werden gerade im Kontrast zu dem über lange Passagen konzentriert durchformulierten Text besonders bemerkbar. Denn der Austrofaschismus kam eben nicht auf, sondern wurde im Zuge von militärischen Interventionen und der Ausschaltung des Parlaments etabliert. Sprachlich beinahe ein Bruch entsteht durch das tendenziell sozialwissenschaftlich orientierte Kapitel Spätmoderne Transformationen einer Kulturstadt, das bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden ist. Hochinteressant wäre die Durchführung mehrerer zeitraumbezogener, quantitativer Analysen zur Verortung von Begriffs-Häufigkeiten gewesen. In seiner Argumentation greift Musner eher auf Literaturstellen bei Hermann Broch oder Eva Menasse wie auch – neben den obligaten theoretischen Argumentarien – auf Wochenmagazine oder Werbebroschüren zurück, ohne aber im Literaturverzeichnis eine Kategorisierung vorzunehmen, was dessen Lesbarkeit erleichtert hätte. Bedauerlich sind der fehlende Index sowie die höchst sparsame Verwendung von Bildmaterial in fragwürdiger Qualität. Das ist zumeist Entscheidung des Verlags. Dass dieser damit nicht punkten wollte, ist schade.

Trotz dieser eindeutigen Unlustmomente und der sich aus dem Fehlen chronologischer Abfolgen zwangsläufig ergebenden Sprünge liefert Lutz Musner einen über weite Strecken spannenden Beitrag zur Verschneidung von Identitäts- und Machtpolitik auf urbaner Ebene im Zeitalter ikonografischer Konkurrenz der Städte untereinander.


Lutz Musner
Der Geschmack von Wien. Kultur und Habitus einer Stadt
Interdisziplinäre Stadtforschung Bd. 3
Frankfurt am Main: Campus Verlag
295 Seiten, 34,90 Euro

dérive, Mi., 2009.10.28



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dérive 37 Urbanität durch Migration

20. November 2000Roland Schöny
ORF.at

Die Kunsthalle bekommt Kinder

Kunsthallen-Direktor Gerald Matt im Gespräch mit Roland Schöny.

Kunsthallen-Direktor Gerald Matt im Gespräch mit Roland Schöny.

Die letzte Großausstellung vor der Neueröffnung der Kunsthalle im Museumsquartier läuft zur Zeit: eine Zusammenfassung junger Positionen mit dem Titel Lebt und arbeitet in Wien. Doch bildet diese Schau keineswegs den Schlussakkord nach acht Jahren Ausstellungsbetrieb auf dem Karlsplatz, wie Kunsthallen-Direktor Gerald Matt nun bekannt gibt: „Es ist eigentlich ein Auftakt zu etwas Neuem am Karlsplatz.“

Ein kleiner Teil des dunkelgelben Containers soll als Projektraum erhalten bleiben. "So ist auch die Ausstellung „Lebt und arbeitet in Wien“ paradigmatisch für das, was wir in Zukunft wollen: mit jungen Künstlern zusammenarbeiten, sie bei der Entstehung des Werkes begleiten, Werkprozesse möglich machen und den Karlsplatz als Trägerrakete für junge zeitgenössische Kunst verankern", so Matt. „Das aber in einem Reputationszusammenhang, wie ihn eben nur eine große Institution liefern kann.“


Belebender Störfaktor

Das wäre 1992 nach der Eröffnung des dunkelgelben Behälters als Langzeitprovisorium für zeitgenössische Kunst kaum denkbar gewesen. Anfangs war die von dem Architekten Adolf Krischanitz konzipierte temporäre Architektur durchaus noch umstritten und wurde teilweise sogar als Störfaktor empfunden. Bald jedoch stellte sich heraus, wie sehr die Kunsthalle und das dazugehörige Café dem bis dahin ungenützten, verkehrsreichen Platz belebten - was zur baldigen Etablierung der Kunsthalle beitrug.


Kunsthallen-Direktor Gerald Matt

„Der Karlsplatz war ja ein toter Ort, bevor die Kunsthalle hingekommen ist, und ist seit einigen Jahren vielleicht einer der kulturell lebendigsten Orte in der Stadt geworden - ein Treffpunkt für sehr viele junge Menschen, und auch Heimat für die Künstler. Letztlich war die Kunsthalle am Karlsplatz, in aller Bescheidenheit, auch eine Erfolgsgeschichte, die man durchaus fortsetzen sollte, meinen wir.“


Container aus Glas geplant

Jetzt ist eine flexible Konstruktion geplant. Der verkleinerte Container soll größtenteils aus Glas bestehen, sodass er von außen einsehbar ist. Er kann aber bei Bedarf auch geschlossen und ganz klassisch als Box verwendet werden. Das könnte diesen Projektraum auch zu einem Werbeträger für die künftige Kunsthalle im Museumsquartier und für das Museumsquartier insgesamt machen.

Für die Umbauphase wurde ein besonderes Konzept entwickelt: "Wenn der große Container wegkommt, werden wir ein Projekt mit dem Titel „Sieben Container“ machen", berichtet Matt. „Der große Container bekommt also Kinder. Wir werden dort österreichische Experimentalfilme und Videos zeigen. Die kleinen vereinigen sich dann wieder zum neuen Container.“


Planung abgeschlossen

Die Planungsarbeiten für diesen neuen Ausstellungsraum wurden bereits abgeschlossen. Die erste Bespielung des Projektraums der Kunsthalle auf dem Karlsplatz ist nach Eröffnung des Museumsquartiers für September 2001 vorgesehen.

ORF.at, Mo., 2000.11.20



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Kunsthalle Wien

06. November 2000Roland Schöny
ORF.at

Architekt, Lehrer, Reibebaum

Spaniens wohl bekanntester Architekt, Jose Rafael Moneo, kämpft um die Realisierung seiner Prado-Umbauten.

Spaniens wohl bekanntester Architekt, Jose Rafael Moneo, kämpft um die Realisierung seiner Prado-Umbauten.

Angesichts der Bedeutung von Rafael Moneo könnte man fast mit einer Standardformulierung operieren und ihn als Doyen der spanischen Moderne bezeichnen. Das Auftreten des heute 63-jährigen Vordenkers einer gegenwartsbezogenen Baukunst aber widerspricht einer solchen Apostrophierung. Obwohl Rafael Moneo weit über die Grenzen Spaniens hinaus als Autorität seines Fachs gilt, gibt er sich unprätentiös und zurückhaltend.


Stille Bauten

Person und Werk scheinen in einem Zusammenhang zu stehen. Denn José Rafael Moneos Bauten zeichnen sich nicht nur durch klare übersichtliche Formen, Leichtigkeit und Lichtdurchlässigkeit aus. Durch ihr Aussehen drängen sie sich auch nicht in den Vordergrund, sondern zeichnen sich durch kompakte Volumen mit hoher Dichte aus.
Die Innenräume wirken durchdacht und mit Sorgfalt für Details gestaltet, was durchaus als Besonderheit gesehen werden kann. Denn allzu oft wirken moderne Bauten bloß wie interessante Ikonen, solange man deren Abbildung in Zeitschriften ansieht. Deren Innenräume jedoch bleiben oft vernachlässigt.

Eine weitere Besonderheit: Rafael Moneo gilt als viel geachteter Lehrer und Vermittler von Architektur. Zu unterrichten sieht er als wesentlichen Teil seiner Arbeit, weil er dadurch, wie er sagt, seine eigenen Ideen in Frage stellen und ausdifferenzieren könne. Wenn Rafael Moneo vom Dialog mit seinen Studenten spricht, dann ist das auch ein Statement gegen die Schnelllebigkeit. Ebenso wie seine eleganten Bauten, deren Architektur zeitlos aktuell wirkt.


Kristallwelten

Wie komplex verzahnt einzelne Gebäudeteile gestaltete sein können, zeigt der Entwurf der Pilar und Juan Miro Foundacion in Palma de Mallorca. Ein Ausstellungsgebäude, das sich auf einer Anhöhe befindet und aus einem eleganten Längstrakt mit sachlichen Arkaden an einer Seite besteht, von dem dann weitere Gebäudeteile mit sternfömigem Umriss wegführen.

Ein Konzert- und Kongresshaus in San Sebastian wiederum ist durch zwei kristallförmige gläserne Teile charakterisiert. Im Inneren schweben zwei Auditorien aus Stahlbeton zwischen feinen Wänden aus gebogenen Glassegmenten. Sie befinden sich über einem massiven Unterbau. Ein geschütztes, urban aussehendes Gefüge ist so entstanden, für das Glas als Hauptwerkstoff verwendet wurde, weil Glas gegenüber der salzigen Meeresluft besonders resistent ist.


Den Stein zum Sprechen bringen

Überhaupt achtet Rafael Moneo sehr genau auf die Materialauswahl. Das Davis Museum in Massachussets weist eine Ziegel-Fassade auf. Für ein Büro und Shopping Center an der breiten Diagonal in Barcelona wiederum verwendete er römischen Travertin-Stein. Denn erst durch die Wahl des passenden Materials, meint Rafael Moneo, werde ein Gebäude zum sprechen gebracht.


Urbaner Spezialist

Wegen seiner differenzierten Konzepte gilt Raffael Moneo als Spezialist für Architekturentwürfe, die in einem Dialog mit dem jeweiligen städtischen Umfeld stehen. Gestalterisch reagiert er auf urbane Strukturen, um einen als unvollständig gedachten Text der Stadt weiterzuschreiben. Im Fall der Erweiterung des Prado in Madrid ist ihm das allerdings noch nicht gelungen.

Um 6000 Quadratmeter soll der bedeutende Museumsbau erweitert werden. Auf Grund der speziellen Lage im bebauten Gebiet kam Rafael Moneo auf die Idee, die angrenzende Kirchenruine St. Hieyronymus zu überbauen.

Während er davon überzeugt ist, dass die historische Architektur dadurch gerettet werden könne, lehnen viele Madrider sein Vorhaben ab.


Für und wider

Der Direktor des Prado Fernando Checa erklärt, dass die Erweiterung dringend notwendig wäre und sogar der Erzbischof von Madrid und die spanische Kulturministerin Esperanza Aguirre haben eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach das Konzept verwirklicht werden könne. Aber seit die spanische Tageszeitung ABC Moneos Vorschlag veröffentlicht hat, laufen heftige Kontroversen rund um das Projekt.

Rafael Moneo selbst ist zwar zuversichtlich, aber dennoch überrascht, dass er, dem bisher eine fast ungeteilte Anerkennung galt, derart in Kreuzfeuer geraten ist. Obwohl er nicht wisse, was noch passieren wird, ist er davon überzeugt Prado helfen und die Probleme lösen zu können. Letztlich aber, so glaubt er, könne eine solche Diskussion dazu beitragen, dass wesentliche Fragen der Architektur öffentlich ausdiskutiert werden.

Ausgestanden ist die Debatte rund um die Erweiterung des Prado in Madrid nach einem Konzept des Architekten Raffael Moneo noch nicht.

ORF.at, Mo., 2000.11.06

02. November 2000Roland Schöny
ORF.at

Architekturdokumente aus 50 Jahren

Zwei umfangreiche Fotobände dokumentieren das umfangreiche Werk Julius Shulmans.

Zwei umfangreiche Fotobände dokumentieren das umfangreiche Werk Julius Shulmans.

Die Fotografien von Julius Shulman sind in unzähligen Magazinen und Büchern erschienen. Zu den prominentesten Publikationen zählen das Lifestyle Magazin „Life“ und die Zeitschrift „House and Garden“, wo immer wieder neue Aufnahmen amerikanischer Luxusvillen und Wochenendhäuser erschienen, die sich durch Großzügigkeit und moderne Gestaltung auszeichneten.

Riesiges Oeuvre

Mehr als 6.000 Aufträge in Nordamerika, aber auch in anderen Kontinenten hat Julius Shulman erhalten. Tausende Fotografien sind zwischen den Jahren 1936 und 1986 veröffentlicht worden. Seither nimmt der heute 90-jährige Fotograf nur mehr ganz besondere Aufträge an und widmet sich in erster Linie der Aufarbeitung seines nahezu unüberblickbaren Archivs. Im Laufe seiner Tätigkeit wurde Shulman allmählich zu einem der wichtigsten Dokumentaristen moderner Architektur und gilt heute als Autorität auf diesem Gebiet.

Schlüsselfigur Richard Neutra

Die Geschichte begann mit einem Zufall. In den 30er Jahren begegnete er dem aus Österreich stammenden Architekten Richard Neutra, der als bedeutender Vordenker Modernen Bauens gilt. Erst durch die Zusammenarbeit mit Neutra habe er sich ein Verständnis für die Entwürfe der Moderne erarbeitet, erinnert sich Julius Shulman heute.

Suche nach der Moderne

Nach der ersten Begegnung mit Neutra, so Julius Shulman, habe er das sogenannte Koon-House in Hollywood fotografiert. Das war die Konfrontation mit Moderne bzw. mit dem sogenannten „International Style“. Doch bald entdeckte Shulman als Fotograf, dass Moderne weitaus mehr bedeutet als Beton, Glas und Stahl. Die von ihm gemachten Fotografien erzählen von Helligkeit, von Weite und von einer bewusst gesetzten Beziehung zur Umgebung.

Ikone der Moderne

Eine der architekturhistorisch berühmtesten Villen, die er fotografierte, ist die sogenannte Spencer-Residence in Malibu in Kalifornien, ein Gebäude mit einer über die felsige Küstenkante zum Meer hin hinausragenden Terrasse. An den Seiten befinden sich Glaswände als Windschutz, ein Vordach aus Beton bietet von oben her Schutz. Um zu betonen, dass eine der Qualitäten dieses Baus, die Möglichkeit sei, auf das Meer hinauszublicken bzw. frische Seeluft genießen zu können, hat Shulman einen Mann und eine Frau auf der Terrasse platziert, die in die Ferne schauen. Der Mann hält sogar ein Fernglas in Händen. Das ist eines von vielen hundert Beispielen von Bauten, die im Magazin „Life“ als „Californian Style“, als Baustil der Westcoast vorgestellt wurden.

Westcoast-Bauten

Es handle sich um Bauten in der Region zwischen San Francisco und Los Angeles erklärt, Julius Shulman. Von manchen davon hat er auch die Gartensituation fotografiert. Eines zum Beispiel hat eine runde Bar im Freien, die direkt aus dem salonähnlichen Wohnraum hinausreicht. Weite Bibliotheksräume, Dachpartien aus Glas, große Fensterfronten und Terrassen für kleinere Partys zeichnen viele dieser Häuser aus. Heute gelten sie als historische Bauten und sind hochgefragt.

Villen von Richard Neutra zum Beispiel werden versteigert und mitunter von Filmstars oder Pop-Musikern erworben. Das wiederum trägt dazu bei, dass Qualitätsarchitektur neuerlich in Illustrierten und Life-Style Magazinen abgebildet wird. Architektur der Moderne erhält einen neuen Stellenwert. Für den deutschen Taschenverlag war das einer der Gründe, aufwendig gemachte Architekturbücher zu produzieren.

Vielfalt der Moderne

Mit der Prominenz der Häuser steigt auch die Nachfrage nach solchen Architekturbänden außerhalb von Fachkreisen. Gemeinsam mit dem Architekturkritiker Pierluigi Serraino ist jetzt der erste Band mit bisher unentdeckten modernen Bauten erschienen. Die Fotos wurden bisher hauptsächlich in Lifestyle Magazinen oder auch gar nicht veröffentlicht, da viele der Architekten und Kritikern weitgehend unbekannt sind.

Die Fotografien von Julius Shulman zeigen die Vielfalt der Moderne, die weit über wegweisende Architekten wie Frank Lloyd Wright oder Rudolf M. Schindler hinausgehen. Die jetzt veröffentlichen Fotografien dokumentieren aber auch den Blick eines Fotografen, der Analyse mit persönlicher Sicht verbindet und den Bauten über ihre Geometrie hinausgehend so etwas wie Charakter verleiht.

[ Das Buch „Modernism Rediscovered“, das Julius Shulman gemeinsam mit Pierluigi Serraino herausgegeben hat und die große Publikation "„Richard Neutra - Complete Works“ sind im Taschen Verlag erschienen. ]

ORF.at, Do., 2000.11.02



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Shulman Julius



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All began just by chance. Julius Shulman.

03. Oktober 2000Roland Schöny
ORF.at

Von Coop Himmel(b)lau zu propeller z

Österreichs junge Architektenteams gehen neue Wege.

Österreichs junge Architektenteams gehen neue Wege.

Weg mit den Architektursolisten. Weg mit dem Einzelkämpfertum. Oder gar: Weg von der patriarchalen Architektengeneration. Mit solchen Slogans wurde im vergangenen April im Wochenmagazin profil die Haltung junger Architektengruppen Österreichs zusammengefasst. Präsentiert wurden zahlreiche Denkstationen des neuen Bauens, die unter Bezeichnungen wie escape sphere, Sputnik oder Transbanana vorgestellt wurden. Klingende Namen also - und ein typisches Phänomen der 80er und 90er Jahre.


Neuformierung eines Gewerbes

Diese Veränderungen in der heimischen Architektenszene waren auch der Ausgangspunkt für die Ausstellung „Den Fuß in der Tür“, die der Architekturtheoretiker Jan Tabor im Künstlerhaus gestaltet hat. „Es ist hier eine bunt gemischte Szene entstanden“, fasst Tabor die Entwicklung zusammen. „Architekten, Designer, man weiß nicht genau aus welcher Schule sie kommen, man weiß nicht, ob sie fertig sind oder noch in Ausbildung.“ Interessant für Tabor ist zu beobachten, dass sich schon die 68er-Generation mit vielen vergleichbaren Fragen beschäftigt hat. Der Ideenreichtum der Altvordern sei aber nur zum Teil verwirklicht worden, so dass für die Nachkommenden noch genug zu tun bleibe, meint Jan Tabor.


Uneinheitliches Bild

„Das Junge an der Formensprache festzumachen, ist schwierig“, weist Matthias Boeckl den Versuch zurück, neue Entwicklungslinien nachzuzeichnen, die quer zu den Traditionen der Moderne stehen. Boeckl, Chefredakteur der Zeitschrift „architektur aktuell“, kann an Hand der gebauten Entwürfe keine Zugehörigkeit zu einer neuen Generation festmachen.

Charakteristisch für die Architektengruppen neuen Typs ist aber, dass sie nach neuen Entwicklungsmöglichkeiten und Karrieremustern suchen. Das bedeutet, die Architekten und Architektinnen beginnen nicht als AssistentInnen oder PraktikantInnen in größeren, bereits etablierten Büros, um dann später ihre eigenen Ateliers zu eröffnen. Sie bauen sich in der Regel gleich eine eigenständige Arbeitsbasis auf. Die Gruppenstruktur eignet sich dabei als Ideenlabor.

„Man kann die Architektenteams teilweise mit Bands vergleichen, wie sie spielen, improvisieren, Neues erfinden. Es gibt keine Ewigkeitsansprüche“, beobachtet Jan Tabor, der für diesen neuen Typ den Begriff „ephemäre Architektur“ zu prägen versucht.


Ungeahnte Höhen

Experiment und theoretische Forschung stehen im Vordergrund, wenn es darum geht etwa Wohnsituationen zu überdenken, Plätze im Stadtraum zu modernisieren, oder gar eine Baulücke im Hinterhof sinnvoll zu nutzen. Durch die Veränderungen des Alltagslebens hätten sich aber auch neue Möglichkeiten für Entwürfe ergeben, konstatiert Matthias Boeckl. Die Neuinterpretation von Altbeständen gehört für ihn ebenso dazu, wie die neue Nutzung öffentlicher Räume.

Demontierbare Bühnenräume, wie sie etwa die Gruppe Nonkonform für den Haager Stadtplatz entwickelt hat, so Boeckl, hätte es zwar schon früher gegeben, „aber natürlich nicht in dieser avancierten Produktionstechnik und dieser dramaturgisch anspruchsvollen Form. Da sind wir schon in anderen Dimensionen, als beim guten alten Jedermann.“


Neue Sichtweisen

Jan Tabor stellt fest, dass auch die unmittelbare Lebensumgebung neu wahrgenommen wird. Dadurch werden auch Denkmuster verändert. „Weil die Welt um uns herum immer virtueller wird, gewinnt das Sinnliche immer mehr an Bedeutung. Das heißt die Wohnung, die ja immer schon eine Art Kleidung war, wird wieder stärker auf diese körperliche Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt hin untersucht.“


Neue Rahmenbedingungen

Nach wie vor handelt es sich bloß um Nischen der Architektur, in denen solche Experimente möglich sind. Zugleich ist das allgemeine Qualitätsbewusstsein unter Auftraggebern angestiegen.

Matthias Boeckl hält derzeit die Bedingungen für einen Übergang der jungen Teams vom Experiment zur realen Situation des Bauens für besser denn je. „Denken Sie zum Beispiel nur an die großen Wohnbauten auf der so genannten Donauplatte in Wien. Da sind einige ganz junge Architekten dabei, die gewaltige Kubaturen realisiert haben. Es gibt aber auch im klassischen Einfamilienhaus-Bereich schon einige Bauten, von den in der Publizistik so viel diskutierten Jungen Architekten.“

"Die Absicht, die Welt zu verändern, kann Jan Tabor im Gegensatz zur 68er Generation in der Architektur nicht mehr beobachten. Aber, so Tabor, „sie verbessern die Welt. Sie verbessern sie im Tun.“ Junge Architektur entwirft keine Utopien, sondern bietet neue Einblicke in bestehende Strukturen.

ORF.at, Di., 2000.10.03

08. August 2000Roland Schöny
ORF.at

Captain Kirk baut in Meidling

Die Poor Boys sind die am längsten bestehende Gruppe der so genannten „zweiten Generation“ junger Architekten: Sie kommen aus der Klasse der ersten Generation...

Die Poor Boys sind die am längsten bestehende Gruppe der so genannten „zweiten Generation“ junger Architekten: Sie kommen aus der Klasse der ersten Generation...

Die Poor Boys sind die am längsten bestehende Gruppe der so genannten „zweiten Generation“ junger Architekten: Sie kommen aus der Klasse der ersten Generation von Gruppen und haben bei Wolf Prix von COOP Himmelblau ihre Diplome gemacht. Als Gruppe zusammengeschlossen haben sie sich Anfang der 90er Jahre und nach einem Jahrzehnt der Zusammenarbeit wollen sie ihre bisherige Struktur lösen und unabhängig von einander in verschiedenen Feldern weiterarbeiten.

Zunächst zurück zu den Anfängen, bzw. zur Basis des Nachdenkens über Architektur. Beides geht Hand in Hand. Denn als im Jahr 1991 eine Gruppe von jungen Architekten den Entschluss fasste, unter dem Label „Poor Boys Enterprise“ aufzutreten und ein Denklabor für Experimente und Forschungen im Stadtraum zu begründen, zeichnete sich eine breite Unsicherheit in den gängigen Architekturdiskussionen ab.


Post- oder Zweite Moderne?

Die entscheidenden Bereiche zeitgenössischer Architektur, die - bis hinein in Philosophie-Diskussionen - zu einander in Konkurrenz standen, hießen Postmoderne und Zweite Moderne. Oder anders gesagt: Eine mit verschiedenen Zitaten aus der Geschichte aufgeladene Erlebnis-Architektur einerseits und klare, sachlich strukturierte Bauten auf der anderen Seite.

Maßgebliche Symposien zu dieser Zeit wurden mit Schlagworten wie „Architektur am Ende?“ oder „Architektur im Aufbruch?“ betitelt. Da war es naheliegend, nach Vorstellungen und Definitionen von Architektur zu suchen, die ganz unmittelbar mit dem Leben in einem Stadtteil, mit Recycling von Materialien oder mit der Umgestaltung vorhandener Bausubstanz hatten.

Die Architektur von innen heraus denken, wie das später mit einem Schlagwort hieß. Florian Haydn von den Poor Boys präzisiert: „Ob das jetzt ein Fest war, oder ein Herumflanieren und reden über Stadt, wir haben zum Beispiel eine Zeitschrift herausgegeben, wo nur wir die Leser und Redakteure waren. Das war wie ein erweitertes Studium.“


Das Salz der Architektur

Das sollte grundsätzlich in Frage gestellt werden - sprachlich, diskursiv und poetisch: Bewusstseinskur heißt es in einem der Texte der Poor Boys: „Ein Monat kein Salz, nun spürst Du, wo das Salz drinnen ist - und ob Du es brauchst. Hauslernen - Zusammenhänge verstehen“. Sich also von Informationsflut und Übersättigung mittels Ideologie befreien wollten die Poor Boys Enterprise. Manche der Texte scheinen sprachliche Sedimente aus dem Sinnlichkeitsanspruch der Alternativkultur zu haben, zugleich erzählen sie von einer genauen Kenntnis stadtplanerischer Strategien.

Aber die Poor Boys Enterprise ist auch ein Kind der Populärkultur der 70er und 80er Jahre, wie Poor Boy Ernst J. Fuchs ausführt: „Alle haben wir eine Beziehung zu Raumschiff Enterprise, einer Serie, die wir damals geliebt haben. Da ist uns einfach das Wort Enterprise nahe gelegen. Die Poor Boys haben mit den 80er Jahren zu tun, wo das Wirtschaftswachstum eher stagnierte.“


Abseits der Postkartenmotive

Der spätere Kern der Poor Boys bestand aus Marie Therese Harnoncourt, Ernst J. Fuchs und Florian Haydn. Eines der Parade-Beispiele für die Umsetzung von Beobachtungen und Recherchen im Stadtraum war das Projekt „97 Stühle“ 1993 in New York und Wien. Ausgangspunkt war die Frage nach spezifischen Definitionen einer Stadt. Marie Therese Harnoncourt: „Wenn man in einer Stadt lebt, sind es nicht die Postkartenmotive, die für einen die Stadt ausmachen.“ Charakteristisch für New York ist der auf die Straße gestellte Unrat, mitunter diverse Möbelstücke, die nicht mehr gebraucht werden und auf Boulvards oder in Hauseingängen herumstehen.

Also erbarmten sich die Poor Boys der in der Stadt herumstehenden Stühle, die schließlich zu Studienobjekten wurden, um über Design und Funktion von Gegenständen nachzudenken. Aber auch Begriffe wie Innenraum, Geschichte oder die Nutzung öffentlicher Flächen wurden zu Themen. Letztlich wurden die Stühle in einem Container nach Wien transportiert, um ihnen eine neue Funktion zu geben. Im Rahmen eines Festes auf einem Garagendach wurden sie weitergegeben an Künstler und andere Interessierte. Der Künstler Heiko Bressnik entdeckte darin eine interessante Malvorlage und Edgar Honetschläger verwendete einen der Stühle für ein Fotoprojekt mit Japanern und Japanerinnen, das auf der documenta X zu sehen war.


Alternative Stadtraumanalyse

Es wurden also Gegenstände, Räume und Funktionen hinterfragt. Durch scheinbar so nebensächliche Dinge wie eine Bar im Container gelang es für kurze Zeit, die übliche Definition einer bestimmten Zone im Stadtraum zu verändern. Wesentlich offensiver war eine Aktion bzw. eine Installation der Poor Boys Enterprise mit dem Titel Hirnsegel. Die Bezeichnung ist eine der typischen Wortkreationen der Poor Boys: ein Zwischending zwischen Alternativjargon und Stadtraumanalyse.

Der Ort des Geschehens befand sich unter der Eisenbahnbrücke des Wiener Südtirolerplatzes, ein Stück städtischer Peripherie unweit von den so genannten Innenbezirken. Über der Brücke hing dann ein Riesenplakat mit dem Titel „Hirnsegel“. Der Raum darunter wurde in eine temporäre Zone für Kulturveranstaltungen verwandelt.

Das alles sind Projekte, die aus der fast privilegierten Situation heraus entstanden sind, nicht bauen zu müssen. Das Ergebnis ist ein umfangreiches Repertoire an Denkfiguren und Refelxionsmöglichkeiten über die Stadt der Gegenwart.


Meidlinger Wohnträume

Gabaut haben die Poor Boys aber auch - neben der Teilnahme an zahlreichen Wettbewerben. Nicht nur ihr Entwurf für die Bebauung der Gründe der Kabel- und Drahtwerke AG in Wien Meidling wurde ausgezeichnet. Auch ein Dachboden-Ausbau oder ein Hallenbad wurden in Wien realisiert. In Graz wurde bestehende alte Bausubstanz durch einen Dachaufbau in der Parkstraße erneuert. Kleinwohnungen sollten in die bestehende zerklüftete Dachlandschaft eingebaut werden.

Das Besondere an diesen Wohnungen: vorhandene Träger wurden nicht ersetzt sondern belassen, sind also in den Dachgeschoßräumen durchaus sichtbar. Das Wesentliche, neben dem Versuch, trotz beschränkter Flächen geräumig wirkende lichtdurchflutete Räume zu schaffen: Die Poor Boys haben jene in Dachhöhe gezwungenermaßen entstehenden Nischen und Kanten nicht verändert, um sie den Bewohnern zur freien Gestaltung zu überlassen.

Der Dachboden-Ausbau wurde nicht frei finanziert, sondern über geförderte Wohnbaumodelle. Also nicht das übliche Gerüst aus Finanzierung, Bauordnung und funktionalem Denken bestimmt die Entwürfe der Poor Boys, wie Florian Haydn meint, sondern die Verknüpfung der Ortsanalyse mit dem Versuch, in einem begrenzten Rahmen Utopisches zu verwirklichen. In Hinkunft wird das kaum noch unter dem Label Poor Boys passieren. Denn nach einem Jahrzehnt der erfolgreichen Zusammenarbeit gehen die einzelnen Mitglieder der Gruppe ihre eigenen Wege.

ORF.at, Di., 2000.08.08

18. Juli 2000Roland Schöny
ORF.at

Die Architektur von Morgen

Roland Schöny sprach bei der 7. Architektur-Biennale von Venedig mit Hani Rashid, einem der bedeutendsten Vordenker im Feld Computer-generierter Architektur.

Roland Schöny sprach bei der 7. Architektur-Biennale von Venedig mit Hani Rashid, einem der bedeutendsten Vordenker im Feld Computer-generierter Architektur.

Max Hollein, der für die Präsentation der USA verantwortlich zeichnet, ließ den amerikanischen Pavillon in ein Labor verwandeln. Gemeinsam mit Studenten erarbeiten dort die Architekten Greg Lynn und Hani Rashid neue Anwendungen computergenerierter Achitektur aus.

Im amerikanischen Pavillon wurde auf den Punkt gebracht, was High Tech in der Architektur zu Beginn des 21. Jahrhunderts bedeutet. Nämlich Feinarbeit, Forschungarbeit und ständiges Experimentieren. Das verdeutlicht der Laborbereich, in dem ein ganzer Stab von Architektur-Studenten an einer Batterie von Hochleistungscomputern sitzt.

Während früher im Atelier eines Courbusier etwa diszipliniert an Zeichentischen gearbeitet wurde, um Visionen der Moderne in die Realität zu übertragen, wird jetzt nach vollkommen neuen Parametern gesucht, aus denen sich Bauformen der Zukunft ergeben könnten.


Messe für Blasen und Plasma

Wie solche Gestaltungsideen aussehen könnten, wird im Ausstellungsbereich des amerikanischen Pavillon illustriert. Da werden einzelne Segmente einer aus dem Computer heraus digital generierten Architektur vorgeführt wie die neuesten Kreationen auf einer Technikmesse. Teilweise sieht man Zeichnungen, teilweise Modelle, die oft nicht viel grösser sind als eine geöffnete Hand. Kaum eines der Schaustücke erinnert an traditionelle Formen wie Kubus oder Säule. Viel eher denkt man an organische Formen, an Blasen, an erstarrtes Plasma oder an Landschaften in einem Science Ficton-Comic.


„Absoluter Paradigmenwechsel“

Der an der Columbia University in New York lehrende Hani Rashid gilt international als einer der wichtigsten Theoretiker computergenerierter Architektur und zeigt sich vom revolutionären Charakter aktueller Entwicklungen überzeugt: „Es handelt sich um einen absoluten Paradigmenwechsel. Ich möchte das nicht zu romantisch oder grossartig sehen. Aber durch den Computer erhalten wir die Möglichkeit zu einer ähnlichen Revolution, wie sie in der Renaisance eingeleitet wurde, als man die Zentralperspektive in die Malerei eingeführt hat. Das war eine radikale Veränderung unserer Wahrnehmung in Bezug auf Raum und Zeit. Jetzt stehen wir vor einer ähnlichen Veränderung der Wahrnehmung wie damals.“


Gebäude wachsen von selbst

Was hier größtenteils zum Einsatz gelangt ist, sind sogenannte autokatalytische Computer-Systeme. Das Grundprinzip ist vergleichbar mit einem chemischen Experiment oder mit einem Versuch im Feld der Gen-Technologie. Aus verschiedenen Komponenten wird eine Matrix, also eine mehrdimensionale mathematische Formel gebildet. Diese wird dann mit den gewünschten räumlichen Parametern eines projektierten Gebäudes verknüpft. Ähnlich wie eine Pflanze oder auch ein Embryo wächst dieses Gebilde dann auf der Festplatte und nimmt seine Form unabhängig von den bis dato üblichen Kriterien für Raumgestaltung an.


[Abbildung]
Columbia/Rashid: Broadcast Architecture Computer Rendering


Realisierbare Science Fiction

Hani Rashid zur Arbeit mit solchen Computerprogrammen: „Diese Tools geben uns vollkommen neue Möglichkeiten, ein Gebäude zu betrachten. Es kann sehr technologisch oder dynamisch-elegant wirken oder in der Architektur können sogar Gefühle zum Ausdruck kommen. Wir führen zum Beispiel gerade Diskussionen darüber, wie man pflanzliche Images herstellen kann. Der andere wichtige Aspekt ist, dass uns der Computer die Möglichkeit gibt, solche Ideen nicht bloss zu entwerfen, sondern sie auch umzusetzen. Das finde ich sehr aufregend.“


Genau im Problem der Umsetzung solcher teils fantastisch anmutender Entwürfe liegt ein entscheidendes Moment, das immer noch zu irritieren vermag. Viele der Formen, die da auf dem Bildschirm Gestalt annehmen, wirken nämlich, als könnte man sie nicht einmal mit Plastilin nachbilden. Im amerikanischen Pavillon wird aber bereits eine Maschine präsentiert, die - computergesteuert - zumindest kleine dreidimensionale Modelle herstellen kann.


Raumvorstellungen jenseits alter Traditionen

Aus verschiedenen örtlichen Beobachtungen kann man Parameter ableiten und in den Computer eingeben. Es entstehen dann Formen als Beispiel für den kulturellen Urbanismus etwa eines Flughafens. Eine Architektur wird kreiert, zu der man eine Art persönliche Beziehung haben kann. Genau an jenen Orten, die oft langweilig sind, wird die Architektur spannend und ist auf die körperliche Präsenz des Betrachters bezogen.

Damit ist eine Vision ein Stück näher gerückt, die in Architekturkreisen schon seit einigen Jahren heiß diskutiert wird. Es geht darum, Raumvorstellungen ganz neu, abseits jahrtausendealter Traditionen zu definieren. Bauten können möglicherweise bald umgesetzt werden, für deren Formensprache es praktisch kein Vorbild in der Realität gibt. Statt dessen kommen die Umrisse aus den endlosen Weiten digitaler Rechner.

Tipp: Die 7. Architekturbiennale in Venedig ist noch bis zum 29. Oktober zu sehen.

ORF.at, Di., 2000.07.18

13. Juli 2000Roland Schöny
ORF.at

Das andere Bild der Emanzipation

Die japanische Designerin Kazuko Koike hat eine eigenwillige Foto-Dokumentation der Emanzipationsbestrebungen junger Mädchen in Tokyo zusammengestellt.

Die japanische Designerin Kazuko Koike hat eine eigenwillige Foto-Dokumentation der Emanzipationsbestrebungen junger Mädchen in Tokyo zusammengestellt.

In den Giardini von Venedig fühlt man sich angesichts der Architektur des japanischen Pavillons in vielen Vorstellungen, die man sich als Europäer von der Mentalität im Reich der aufgehenden Sonne macht, bestätigt. Im Gegensatz zu den imperial anmutenden gründerzeitlichen Ausstellungs- Bauten in der Umgebung ist der an einem kleinen Hügel gelegene Japan-Pavillon aus Beton ein nüchtern gehaltenes Statement der Moderne.


Scheinbare Klischees

Der Gedanke an fernöstliche Askese und die bekanntermaßen sparsame Haltung der Japaner in punkto Raumgestaltung kommt da auf. Ebenso schlicht wirkt die Präsentation Japans in Bezug auf das diesjährige Motto der Architekturbiennale. Obwohl Massimiliano Fuksas mehr Ethik eingefordert hat, ist man geneigt zunächst hauptsächlich Ästhetik zu entdecken.

[Abb.: Der japanische Pavillon]

Die Stämme der Bäume rund um den Pavillon sind mit weißem Papier umwickelt. Rund um das Gebäude und auch im Inneren wurde weißer Kies aufgeschüttet. Weiße Margeriten oder vielleicht Gänseblümchen aus Plastik wachsen darin empor.


Unscheinbare Irritation

Aber dann finden sich doch einige Anhaltspunkte: auf kleinen, zarten Pulten, die ein wenig an Notenständer erinnern, werden Fotos japanischer Mädchen präsentiert. Die Idee stammt von der japanischen Designerin Kazuko Koike. „In den Menschen spiegelt sich die Stimmung einer Stadt“, findet sie. „Obwohl wir bereits das Jahr 2000 schreiben, finden sich in der männlich dominierten japanischen Gesellschaft immer noch viele problematische Punkte, abseits der technischen oder ökonomischen.“

Sie erinnert sich, dass man in den Diskussionen zur Pavillongestaltung rund um das Thema „Ethik und Architektur“ relativ bald auf die Problematik der sozialen Ungleichheit der Geschlechter zu sprechen kam. Bis heute nämlich ist in Japan der Standpunkt, dass der Platz der Frau in der Küche sei, weitverbreitet. Kazuko Koike stellt fest: „Mädchen sind heute immer noch nicht in die japanische Öffentlichkeit integriert, aber ich glaube, sie haben klare Augen, um ihr Leben in der Gesellschaft zu reflektieren.“


Verkehrte Welt?

Hier wird also von Frauenemanzipation gesprochen. Aus westlicher Sicht jedoch könnte man fast an das Gegenteil denken. Die Mädchen auf einigen der Fotografien sind nämlich aufreizend gekleidet und schrill geschminkt wie Barbie-Puppen. Sämtliche Klischeebilder von Weiblichkeit finden sich da wieder: lange Wimpern, greller Lippenstift und zur Schau gestellte Beine.

Diese Bilder erinnern an Szenen, wie sie in Tokyo immer vorzufinden sind, etwa in der Nähe der U-Bahn-Station des berühmten Ueno-Parks, wo ganze Gruppen bunt gekleideter Mädchen auf der Straße sitzen. Manche haben ihr Haar rot gefärbt, manche betonen ihre Körperformen durch eng geschnittene Mieder, manche wiederum sehen aus wie Jane Fonda im Film „Barbarella“.


Die Präsenz zählt

Ungewöhnlich für Passanten aus dem Westen ist, dass diese Mädchen sich in der Öffentlichkeit geradezu demonstrativ frisieren oder einander gegenseitig die Nägel lackieren. Emanzipierte Frauen könnte man sich auch anders vorstellen. Dazu ein überraschendes Statement von Kazuko Koike: „Diese Mädchen mögen kitschig oder eigenartig wirken, manchmal sogar ekelhaft, aber sie sind das Herz jener Gesellschaft, die in Japan das 21. Jahrhundert prägen wird.“

[ Abb.: Foto: Hellen van Meene ]

Was auf Menschen aus dem Westen so eigentümlich und mitunter kindisch wirken mag, sei im Grunde eine geradezu revolutionäre Entwicklung. Denn in einer Gesellschaft, in der Kleidung gewöhnlich fast Uniform-Charakter hat und in der Frauen bis in das späte 20. Jahrhundert aus der Öffentlichkeit weitgehend verbannt waren, würden sich Mädchen jetzt auf derart auffällige Weise Präsenz verschaffen. Durch derartige Inszenierungen sei der Blick nun geradezu automatisch auf sie gerichtet, meint Kazuko Koike.


Visuelle Umsetzung

„City of Girls“ heißt die Ausstellung Japans auf der Architektur-Biennale. Um die auf Europäer fremd wirkende Welt verstärkt zu betonen, wurde die niederländische Künstlerin Hellen van Meene engagiert, um die Fotoaufnahmen zu machen.

Die Architekten des Projekts Kazyu Sejima und Ryue Nishizawa wollten durch die gesamte Inszenierung den Eindruck eines geöffneten Raumes herstellen, um das Aufweichen der strengen Grenzen zwischen Drinnen und Draußen in der japanischen Gesellschaft zu symbolisieren.

ORF.at, Do., 2000.07.13

13. Juli 2000Roland Schöny
ORF.at

„Zerbrochene Utopien“

Ganz anders sieht die Auseinandersetzung mit dem Biennale-Thema „Less Aesthetics. More Ethics“ im russischen Pavillon aus: Dort geht es um das Scheitern der Utopien.

Ganz anders sieht die Auseinandersetzung mit dem Biennale-Thema „Less Aesthetics. More Ethics“ im russischen Pavillon aus: Dort geht es um das Scheitern der Utopien.

Jede Moral kann in ihr Gegenteil umschlagen. Jeder Versuch, eklatante Mängel im Alltagsleben durch breit angelegte Lösungsmodelle zu beheben, kann in neue unerwartete Problemzonen führen. Dafür ist das Umkippen anfangs positiv verstandener sozialistischer Ideen in Diktatur und Mangelwirtschaft in der Sowjetunion wahrscheinlich das herausragendste Beispiel im 20. Jahrhundert.


Abschreckende Beispiele

[ Foto aus dem Zyklus Melancholie von Ilya Utkin / ©Bild: Katalog ]

So erscheint es kaum verwunderlich, wenn man sich nun im russischen Pavillon in Venedig von neuerlichen Ansätzen, die urbane Welt in den Griff zu bekommen, distanziert hat. Statt dessen hat der russische Biennale-Kommissar Gregory Revzin das von Massimiliano Fuksas vorgegebene Motto in eine für den Osten gültige Version umgewandelt: „The Ruins Of Paradise“ - „Die Ruinen des Paradieses“.


Bild und Bau

Auf Fotografien und in einer Installation werden Ruinenlandschaften und verfallene, verwahrloste Bauwerke gezeigt. „Wir müssen das Ergebnis utopischer Ideen darstellen“, erklärt Gregory Revzin. 70 Jahre lang habe man in der Sowjetunion an Utopien gebaut „und das endete mit dem Zerfall“.

[Abb.: Ilya Utkin / ©Bild: Katalog ]

Um seine These zu verdeutlichen, hat der russische Biennale-Kommissar zwei der führenden visionären Architekten Russlands eingeladen. Mikail Filippov und Ilia Utkin. Der Titel einer Fotoserie von Ilia Utkin lautet „Melancholia“. Utkin möchte das verfaulte Fleisch der Architektur offenlegen, „die Wunden der Geschichte“, wie es im Katalogtext wörtlich heißt.


Wunden der Geschichte

Die Aufnahmen verfallener Bauten in Schwarz/Weiß werden so einfach als möglich präsentiert - ganz unprätentiös und einfach gerahmt. Es scheint so, als würden die Bilder Ausgrabungen längst vergangener Zeiten zeigen; Spuren einer untergegangenen Welt.

Ilia Utkins Fotografien seien eine Metapher für die Geschichte Russlands und der Sowjetunion, meint Gregory Revzin. Dass in diesen Bildern Untergang und Verfall ästhetisiert dargestellt werden, sei plausibel, denn, „um es polemisch zu sagen: in der Architektur geht es um Ästhetik“.

Damit überrascht der russische Kommissär mit einer unerwarteten Kritik am Biennale-Motto, wenn er meint, Ziel der Architektur sei es Meisterwerke zu schaffen. Soziale Programme zu entwickeln sei eine Frage der Politik und nicht Aufgabe des Architekten.


Gegenveranstaltung

So bildet der russische Pavillon einen deutlichen Kontrapunkt zu den übrigen Länderpräsentationen, wo sehr oft avancierte Architektur-Entwürfe der Moderne in den Vordergrund gerückt oder explizit soziale Probleme wie etwa der Umgang mit Migranten angesprochen werden.

Als Ergänzung zu Ilia Utkins Fotoausstellung hat der Architekt Michail Filippov eine Installation konzipiert. Säulenfragmente eines klassisch anmutenden Bauwerks weisen da in ein riesiges Kunstwerk - in das Bild von einer paradiesische Landschaft. Das macht die Präsentation im russischen Pavillon zu einer komplexen dialektischen Konstruktion mit visuellen Mitteln.

[ Abb. ]

Während einerseits vom permanenten Scheitern des Utopischen erzählt wird, zelebriert man hier verfallende und untergehende Welten als ästhtetisches Ereignis, um andernorts wieder von neuem Atem zu holen und zu sagen: Das Utopische kann nur als genialer Entwurf oder vielleicht nur als Kunstwerk Bestand haben.

ORF.at, Do., 2000.07.13

13. Juli 2000Roland Schöny
ORF.at

Die große Stille

Architekturausstellungen nehmen mitunter den Charakter eines multimedialen Spektakels an. Klassische Präsentationen in Form von Zeichnungen, Modellen und Fotografien scheinen längst der Vergangenheit anzugehören. Seit den 90er Jahren dominieren auch in diesem Kreativbereich bunte digitale Animationen auf Großbildschirmen.

Architekturausstellungen nehmen mitunter den Charakter eines multimedialen Spektakels an. Klassische Präsentationen in Form von Zeichnungen, Modellen und Fotografien scheinen längst der Vergangenheit anzugehören. Seit den 90er Jahren dominieren auch in diesem Kreativbereich bunte digitale Animationen auf Großbildschirmen.

Da werden Entwürfe für Neubauten nach allen Seiten gedreht, wie mit einer Filmkamera im Inneren durchfahren und schließlich in unterschiedliche städtebauliche Situationen hinein gezwängt: Architektur als digitaler Baukasten.


Junge Wilde

Im großen, mittleren Pavillon in den Giardini von Venedig kann man solche Formen der Präsentation erleben. Junge Architekten präsentieren da in einem der Räume in Hochgeschwindigkeit ihre Ideen. Das Ganze wirkt, als müsse man sich auf mehreren Fernsehern gleichzeitig durch sämtliche Programme klicken, um einen eingermaßen adäquaten Überblick zu bekommen.


Nouvel gibt kontra

Einem solchen Übermaß an Eindrücken setzt Jean Nouvel, der diesjährige Gewinner des Goldenen Löwen und einer der Kuratoren des französischen Pavillons, eine geradezu nüchterne Stille entgegen. Die drei gründerzeitlichen Präsentationsräume im Inneren hat Nouvel leer belassen. Kein Sockel für Modelle gebauter Ikonen der Moderne findet sich da, keine nachgebauten Straßenfluchten.


Reiz der Reduktion

Nein, Jean Nouvel überrascht sein Publikum mit handgeschriebenen Texten, die er auf die Pavillonwände geschrieben hat wie eine Schönschreibübung auf eine Schultafel: Er möchte zur Basis aller Konzepte zurück, zur Sprache. Oder anders gesagt: Hinter dem Begriff der Ethik müssen politisches Strategien stehen. Von Ethik zu sprechen, bedeute Leitmotive für politisches Handeln zu finden, meint Jean Nouvel.


Die Kunst, Fragen zu stellen

Die einzelnen Feststellungen und Fragen, die man an den Innenwänden des französischen Pavillons lesen kann, beziehen sich daher auf Phänomene wie Multikulturalität, auf die Spannungen zwischen alteingesessenen Bewohnern von Städten und den zahlenmäßig permanent zunehmenden Migranten. Aber auch die Nord-Süd-Problematik wird angesprochen, die ungleiche Verteilung von Rohstoffen oder die steigenden sozialen Probleme in den Mega-Citys der Welt, wo die Ärmsten der Armen immer wieder neue Strategien des Überlebens finden müssen.

[ Abb. ]

Team works

Jean Nouvels Versuch aus dem Feld der Architektur heraus auf solche Probleme zu reagieren wirkt ungewöhnlich. Gemeinsam mit anderen Architekten möchte Jean Nouvel einen Problemkatalog erarbeiten, in dem Grundfragen zur Stadt der Zukunft aufgelistet sind. Verkehr, Ernährung, Gesundheit oder Sicherheit sind die großen Themen. Eine erste große Diskussionsrunde dazu gab es unmittelbar nach Eröffnung dieser Architekturbiennale.

Das nächste Treffen soll dann Ende Juli stattfinden. Solche Fachdiskussionen, in denen Perspektiven ausgearbeitet werden sollen, wirken im Rahmen einer Ausstellung etwas ungewöhnlich. Zugleich liegt Jean Nouvel mit seiner Idee ganz im Trend der Zeit. Denn auch im amerikanischen Pavillon hat man eine Arbeitsgruppensituation geschaffen, und nicht zuletzt haben sich auch im Bereich der Kunst Gruppen zusammengeschlossen, um soziale Fragen aufzuwerfen.

Doch der international renommierte Jean Nouvel möchte die Autorität seines Namens dafür einsetzen, um auf aktuelle Problemstellungen in den Städten der Gegenwart aufmerksam zu machen. Zumindest der Idee nach scheint Jean Nouvels Projekt somit eine der umfassendsten Antworten auf das Motto dieser Architekturbiennale - „Less Aesthetics. More Ethics“, "Weniger Ästhetik. Mehr Ethik - zu sein.

ORF.at, Do., 2000.07.13

10. Juli 2000Roland Schöny
ORF.at

Eine neue Ausstellungshalle für Wien

Vom Expo- Pavillon zum Museum. Das 20er Haus blickt auf eine bewegte Geschichte zurück.

Vom Expo- Pavillon zum Museum. Das 20er Haus blickt auf eine bewegte Geschichte zurück.

Die Zeichen stehen auf Umzug. Nach der Ausstellung „Zeitwenden“ wendet sich auch das Blatt des „20er Hauses“. Das Museum Moderner Kunst, dessen Programm bisher auf die beiden Häuser, Palais Liechtenstein und „20er Haus“, aufgeteilt war, bereitet sich auf seine Übersiedlung ins Museumsquartier vor.

Das bedeutet zunächst, dass das Palais Liechtenstein als Ausstellungshaus geschlossen wird. Im Zuge dessen kommt dem 20er Haus eine neue Bedeutung zu. Das Stahl- Glasgebäude dient nach dem Willen seines Direktors Lorand Hegyi bis zur endgültigen Übersiedlung als Zwischendepot, Verwaltungszentrum und Werkstatt.

Nach dem Umzug soll die von Karl Schwanzer entworfene Konstruktion komplett renoviert werden. Damit wird ein wichtiges Gebäude der Moderne revitalisiert. Der Bau wurde 1958 für die Weltausstellung in Brüssel entworfen. Später wurde dieser Österreich-Pavillion nach Wien transportiert und als Museum des 20. Jahrhunderts eröffnet.


Neue Verwendung

Die jetzt geplante Renovierung bedeutet aber auch, dass für Wien ein Ausstellungsgebäude mit neuer Funktion entstehen soll, so sind jedenfalls die Pläne in Elisabeth Gehrers Kultur- Ministerium. Das, dann ehemalige, „20er Haus“ könnte als Ausstellungshalle der Österreichischen Galerie oder anderer Bundesmuseen dienen. Betrieben werden soll es ebenfalls von der Österreichischen Galerie werden.

Das bedeutet, langfristig, dass Wien nach Fertigstellung des Museumsquartiers eine neue Museumsachse erhält, zwischen Oberem Belvedere und dem Schweizergarten, wo sich das „20er Haus“ befindet. Nähere Einzelheiten werden allerdings erst ausgearbeitet. Derzeit hat das Museumsquartier Vorrang.

In diesem Zusammenhang steht auch die Verlängerung des Vertrags von MMK-Leiter Lorand Hegyi. Sein Vertrag würde noch in diesem Jahr auslaufen, doch über den aktuellen Stand der Verhandlungen hält man sich im Bundesministerium bedeckt und auch Lorand Hegyi selbst möchte zur Zeit noch keine Stellungnahmen dazu abgeben.

ORF.at, Mo., 2000.07.10



verknüpfte Bauwerke
Museum des 20. Jahrhunderts

16. Juni 2000Roland Schöny
ORF.at

Workshop und Öffnung

Vater und Sohn Hollein kuratieren die Pavillons Österreichs und der USA. Und sie schlagen dabei gänzlich verschiedene Wege ein.

Vater und Sohn Hollein kuratieren die Pavillons Österreichs und der USA. Und sie schlagen dabei gänzlich verschiedene Wege ein.

Architekturdiskussionen laufen auf mehreren Ebenen, die sogar zu einander in Widerspruch stehen können. Auf der einen Seite geht es um ideale Kubaturen und formschön komponierte Fassaden, kurz gesagt um Bauwerke, die früher oder später als sogenannte Architektur-Pin-Ups in der Fachpresse erscheinen. Auf der anderen Seite stehen die Bedürfnisse von Bewohnern oder arbeitenden Menschen, die ihren Alltag in solchen stilistischen Ikonen verbringen.

Des weiteren geht es um akute Fragen der Stadtentwicklung; speziell in solchen Zonen, die vernachlässigt, dem Verfall preisgegeben oder von der Planung noch nicht definiert sind. Auf solchen Problemkreisen baut das diesjährige Motto der Architektur-Biennale von Venedig auf: „Stadt: Weniger Ästhetik, mehr Ethik“ lautet die von Biennale-Leiter Massmiliano Fuksas ausgegebene Leitlinie.

Zwei der Biennale-Kuratoren kommen aus Österreich, und sie heißen Hollein. Vater Hans Hollein, der bereits zweimal Gesamtleiter der Architektur-Biennale war, ist diesmal für den heimischen Pavillon zuständig. Sein Sohn Max Hollein, Kurator im Guggenheim Museum in New York, hat das Konzept für die Ausstellung im amerikanischen Pavillon entworfen.


Studenten-Workshop

Bereits ein Vergleich zwischen den Präsentationen der USA und Österreich zeigt, wie unterschiedlich sich das interpretieren lässt. Max Hollein hat sich für eine Laborsituation im amerikanischen Pavillon entschieden. Er hat die Plattform der Biennale genutzt, um in den nächsten Wochen mit Studenten einen Workshop abzuhalten. „Das Programm wird angeführt von Hani Rashid, einem Architekten und Professor an der Coumbia University in New York“, erzählt Max Hollein, „und von Greg Lynn, der in Los Angeles lebt und arbeitet und dort auch Professor an der UCLA ist.“ Diese beiden haben aus ihren Studenten die besten ausgewählt, die sie nach Venedig bringen.

Max Hollein beobachtet, dass sich durch neue Technologien Informationszentren bilden, die nicht mehr mit den Kernen der gebauten Stadt identisch sein müssen. „Die Architekten, die im amerikanischen Pavillon arbeiten, sind sehr mit den neuen Technologien vertraut und interessieren sich besonders für das Verhältnis von virtueller und realer Architektur“, so Hollein

Mehr als vier Wochen lang sollen die einzelnen Arbeitsgruppen aus internationalen Studenten in Venedig tätig sein, womit die Ausstellung der USA eine Art Work-In-Progress-Charakter erhält. Das technisch und finanziell aufwendige Projekt wird im Gegensatz zu anderen Länderpräsentationen größtenteils von Sponsoren aus den USA, Italien und Österreich zur Verfügung gestellt. Auf eine solche internationale Vernetzung von Planungs- und Produktionsprozessen in der Architektur wiederum verweist Hans Hollein im Österreich-Pavillon.


Offenes Österreich

Österreichs Biennale-Kommissär Hans Hollein hat auf die angesichts des Themas weiter obsolet gewordenen nationalen Zuordnungen verzichtet und präsentiert im Austria-Pavillon die Schau „Österreich - Aktionsfeld für internationale Architektinnen und Architekten. Ausländer lehren, entwerfen und bauen in Österreich“.

„Ich habe schon vor den vergangenen Wahlen mitgeteilt“, betont Hans Hollein, „dass ich die Präsentation in den nationalen Pavillons für nicht mehr ganz zeitgemäß halte und dass ich plane, den Pavillon zu öffnen.“

Biennale-Chef Fuksas ist hier vertreten (mit dem Twin Tower am Wienerberg und dem Shopping Center Europark Spar Salzburg), Peter Cook mit seinem Siegerprojekt für das Grazer Kunsthaus und Ben van Berkel für sein Projekt für ein Musiktheater der Kunstuniversität „Mumut“ in Graz.

„Das ist auch eine gewisse Anerkennung von iniativer Bauherrnschaft“, sagt Hollein.



Von Zaha Hadid bis Jean Nouvel


Von Jean Nouvel wird die Interunfall Landesdirektion in Bregenz gezeigt, von Thom Mayne das Hypo-Alpe-Adria-Zentrum in Klagenfurt, von Zaha Hadid ihr Siegerprojekt für die Bergisel-Schanze Innsbruck und die Überbauung der Stadtbahnbögen Spittellauer Lände in Wien. Greg Lynn ist mit dem OMV-Pavillon in Wien-Schwechat präsent und Sir Norman Foster mit dem „Masterplan in Progress“ für das Projekt Eurogate Vienna. Dieses Projekt für die Aspanggründe in Wien-Landstraße wird auch von Planungsstadtrat Vizebürgermeister Bernhard Görg auf einer eigenen internationalen Pressekonferenz mit Foster in Venedig vorgestellt.


„Ort der Toleranz“


Ein weiteres österreichisches Projekt ist „Ort der Toleranz. Für Frieden und Freiheit der Kunst - gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ mit Beiträgen von Van Berkel, Hadid, Lynn, Mayne, Nouvel sowie Hermann Czech und Adolf Krischanitz. Hans Hollein hat vorgeschlagen „ein Mahnmal oder etwas Ähnliches“ zu entwerfen und dafür den Ballhausplatz als Ort der Aufstellung angeregt, „man muss sich aber nicht daran halten“, konzediert Hans Hollein.


Die Besucher sind eingeladen, Kommentare zu den Projekten und zur aktuellen Situation abzugeben. Die Ergebnisse sollen von einer internationelen Jury beurteilt, bei einem Symposion im September diskutiert und publiziert werden.

ORF.at, Fr., 2000.06.16

16. Juni 2000Roland Schöny
ORF.at

Wege der Stadtteil-Entwicklung

Stadtentwicklung ist ein Dauerbrenner bei Architekturdiskussionen. Nicht nur Fragen der ästhetischen Gestaltung von Bauprojekten sind dabei wichtig. Denn,...

Stadtentwicklung ist ein Dauerbrenner bei Architekturdiskussionen. Nicht nur Fragen der ästhetischen Gestaltung von Bauprojekten sind dabei wichtig. Denn,...

Stadtentwicklung ist ein Dauerbrenner bei Architekturdiskussionen. Nicht nur Fragen der ästhetischen Gestaltung von Bauprojekten sind dabei wichtig. Denn, sobald ein Viertel verschönert wird, steigen auch die Mieten und Lebenskosten - Stichwort: Gentrifizierung.


Beispiel Graz

In Graz läuft schon seit einiger Zeit ein von der EU gefördertes Projekt mit dem Titel „Ein Leben mit allen Sinnen“ (e.l.m.a.s.). Dabei geht es um aktuelle Formen der Wahrnehmung der Stadt: in der Kunst, in den sogenannten Neuen Medien und selbstverständlich auch in der Architektur. Im Zentrum steht die Frage nach sinnvollen Formen der Stadtteil-Erneuerung, was unter anderen an den Beispielen des Jakominiviertels sowie des Quartiers Augarten diskutiert wird.


Lokale Rücksichtnahme

Im Rahmen von „Talking Cities“ in Graz wird jetzt diskutiert, wie Stadtteile durch Kulturarbeit aufgewertet werden können: nicht nur durch Kunst im öffentlichen Raum, sondern auch etwa durch Musikveranstaltungen in ehemaligen, jetzt leer stehenden Fabriks- oder Lagerhallen bzw. durch Erneuerungsprojekte, die von Künstlern gemeinsam mit den ansässigen Bewohnern durchgeführt werden. Nicht zuletzt geht es um die Frage, welche Qualitäten die zukünftige Kulturhauptstadt Graz aufweisen wird.

Roland Ritter vom Grazer Haus der Architektur betont die Ausrichtung an den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung. „Prozesse, die zu einer Verdrängung der ursprünglich ansässigen Bevölkerung führen würden, dürfen nicht einfach von vornherein in Kauf genommen werden“, sagt Ritter, der auch das Symposion organisiert hat.


Stadt und Globalisierung

Bei „Talking Cities“ beziehen dazu Theoretiker, Architekten und Künstler Stellung. Es geht etwa um den Gegensatz Shopping Mall und Jugendkultur, um Images der Stadt in der Fotografie oder um die Bildung von lokalen Öffentlichkeiten vor dem Hintergrund neuer Medien. Die in Wien lehrende Künstlerin Renee Green bringt dazu ein Beispiel aus Barcelona, die Philosophin Marina Grzinic berichtet von Subkulturen aus Laibach, der Architekturtheoretiker Robert Mull aus Cambridge wiederum untersucht Formen der Stadtmodernisierung, die eine Einbeziehung der ansässigen Bevölkerung ermöglichen.

Roland Ritter geht von einer multikulturellen Stadt im Zeichen der Globalisierung aus. Die Frage, die sich für ihn dabei stellt, ist, „wessen ästhetische Werte im Stadtraum umgesetzt bzw. zugelassen werden und welche Identitäten sich im Stadtraum wiederfinden dürfen.“ Brisante Fragen - „Talking Cities“ versucht bis Sonntag darauf Antworten zu finden.

ORF.at, Fr., 2000.06.16

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