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02. Februar 2021Roland Gnaiger
Spectrum

Bodenhaftung verloren? Über unseren Verlust an Realitätssinn

Wer sich selbst fremd bleibt, ist offen für fremde Führung. Das wirkt sich fatal auf Individuum und Gemeinschaft aus – und auf die Demokratie. Über verlorene Bodenhaftung, ungekochte Nudeln, alte Obstbaumalleen – und was all das mit dem Zustand von Land und Landschaft zu tun hat.

Wer sich selbst fremd bleibt, ist offen für fremde Führung. Das wirkt sich fatal auf Individuum und Gemeinschaft aus – und auf die Demokratie. Über verlorene Bodenhaftung, ungekochte Nudeln, alte Obstbaumalleen – und was all das mit dem Zustand von Land und Landschaft zu tun hat.

Ein Südtiroler Apfelbauer hat mir unlängst sein Leid geklagt. Derzeit erlöse er nur noch zehn bis 17 Cent für ein Kilo Golden Delicious. Sie wissen, dass wir für ein Kilo Äpfel bis zum 25-Fachen bezahlen? Wo bleiben die Gewinne? Denn selbst ihre schäbigen Prozente haben die Bauern mit Düngemittel- und Maschinenproduzenten zu teilen. Der Handel forciert gewisse Sorten, und wenn sich deren Hype verbraucht, beginnt in Südtirol der Kahlschlag. Riesige Plantagen werden gerodet, um eine neue Sorte anzubauen. So wie man in Vorarlberg nur noch auf Grünland trifft, begleiten einen in Kärnten entlang der Drau nur noch Maisplantagen, und über den wenigen Wiesen stockt die Luft vom Schweinemist.

Monokulturen sind allgegenwärtig, und je weiter die Produktionsverhältnisse unserem Blickfeld entrücken, umso brutaler ist ihr Vergehen an Mensch und Natur. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Zeit der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft weitgehend vorbei; die Arbeitsteilung war so weit vorangeschritten, dass dem Welthandel der Boden bereitet war. Ausbeutung ist als Begriff in der Landwirtschaft zwar nie angekommen, als System entzieht sie aber nicht mehr dem einzelnen Landwirt, sondern dem gesamten Stand die Existenz. Damit erliegt eine jahrtausendealte Kreislaufwirtschaft, verkümmert die Artenvielfalt, weiten sich Abhängigkeiten und Monokulturen aus und wird der Landbau zu einem Hauptverursacher von Umweltschäden und Klimawandel, zum Auslöser des fatalen Attraktivitätsverlusts eines Lebens auf dem Land und letztlich zu einer globalen Bedrohung unser aller Existenz. Heute sind Land und Landschaft Gestalt gewordene Ignoranz gegenüber ökologischen Zusammenhängen im Zusammenspiel mit ästhetischer Fühllosigkeit, das Ergebnis wirtschaftlicher Gier und verlorener Liebe zur Schöpfung.

Was sich 1783 ein in den Alterssitz weichender Bauer im salzburgischen Flachgau zur alljährlichen Unterhaltssicherung vom Hofübernehmer ausbedungen hat, lässt auf die einstmalige Bedeutung und das Bild des Landes schließen: „Drei Metzen Waiz, zwölf Metzen Korn, zwei Mäßl Bohnen, zwei Mäßl Hirse, drei Pfund wohlgeläutertes Schmalz, im Sommer täglich ein Viertel kuhwarme Milch, wöchentlich sechs Eier, im Winter ein Kändel Milch und drei Eier, dann den Bedarf an Kraut, Rüben, Salz, Schotten und Licht und auch den vierten Teil vom Obst.“ Je nach Region kamen Kartoffeln, Tees, Kräuter, Honig, Säfte, Most oder Wein und Schnäpse dazu.

Vier Tiergattungen, deren Produkte und Verwertung, verschiedenste Getreidearten, Gemüse- und Obstsorten, die Gewinnung von Brenn- und Bauholz, die Formen der Lagerung und Konservierung haben die ländliche Wirtschaftsweise und den Tageslauf bestimmt, die Zyklen und Rhythmen des Lebens und das Bild des Landes. Die ästhetische Dimension solcher Verhältnisse prägte die Gestalt der Landschaft und der Dörfer. Deren Vielfalt und Schönheit folgten nicht ästhetischen Konzepten. Kaum je in unserer Geschichte – und wenn, dann nur im Umfeld der Kunst, und auch in dieser selten erfolgreich – blieben Schönheit und Nutzen unverbunden. Unzählige Alleen, die einst die Gebiete der österreichisch-ungarischen Monarchie durchzogen, gehen auf Joseph II. zurück. Er verfügte, dass zur Marschverpflegung seiner Heere entlang von Landstraßen Obstbäume zu pflanzen sind.

Regelmäßig schlenderte ich als Kind durch die Birnbaumallee, die das Haus meiner Großeltern mit dem Dorfzentrum verband. Sie wurde mir zur Lehrmeisterin von Raum und Poesie. Gründete ihre Schönheit gar auf einem militärstrategischen Motiv?

Der einstige Generalstabschef Othmar Commenda benannte als ranghöchster Verteidiger Österreichs in seinen Vorträgen wiederholt den mangelnden Selbstversorgungsgrad als unser größtes Sicherheitsrisiko. Während beispielsweise Vorarlberg bei Milch und Käse weit überversorgt ist, werden nur sieben Prozent des Bedarfs an Gemüse und ein Prozent des konsumierten Getreides im Lande produziert. Auch wenn diese Verhältnisse in anderen Teilen Österreichs weniger krass sind, im Falle eines versiegenden Treibstoffnachschubs wären die Unterschiede angesichts fehlenden Handgeräts und mangelnden Know-hows gering.

Wieso bleibt dieser Sachverhalt in allen politischen Debatten ausgespart? Wieso wird angesichts des gesellschaftlich prioritären Bedürfnisses nach Sicherheit das von Kriminellen, Terroristen und Asylwerbern angeblich so gefährdete Eigentum und Leben als einzige Sicherheitsbedrohung suggeriert – selbst in den von Kriminalität am wenigsten betroffenen Regionen der Welt? Wieso stellen wir keine Verbindung her zwischen einer labilen Weltlage und dem Landbau als Sicherung unserer elementarsten Lebensgrundlage? Bedürfen wir der Autorität eines Generals – oder müsste nicht ein wenig politische Bildung, ein Restbestand historischen Wissens ausreichen, um die diesbezüglichen Zusammenhänge zu verstehen?

Eigentlich meine ich, ein Blick ins Land sollte genügen. Aber ohne Liebe scheint biologisches Wissen vergebens, und ohne Begeisterung bleibt ästhetische Erziehung folgenlos. Ich fürchte, das Wesentlichste lernen wir in der Schule nicht. Zumeist bleiben die Inhalte formaler Bildung abstrakt, zu selten verknüpfen sie uns mit der konkreten Welt.

Wäre es möglich, dass unsere Fremdheit gegenüber dem Land und seiner existenzsichernden Dimension mit etwas Größerem zu tun hat? Mit mangelnder Realitätswahrnehmung, mit fehlender „Bodenhaftung“, mit Ausweichmanövern vor dem „mit der Hand zu Greifenden“?

Könnte Elias Canetti diese Wirklichkeitsverdrängung gemeint haben, als er formulierte: „Zu den unheimlichsten Phänomenen menschlicher Geistesgeschichte gehört das Ausweichen vor dem Konkreten. Es besteht eine auffallende Tendenz, erst auf das Fernste loszugehen und alles zu übersehen, woran man sich in nächster Nähe unaufhörlich stößt. Die Situation der Menschheit heute, wie wir alle wissen, ist so ernst, dass wir uns dem Allernächsten und Konkretesten zuwenden müssen.“

Vor etwa 25 Jahren besuchte uns ein befreundetes Ehepaar inklusive Schwester beziehungsweise Schwägerin – eine US-amerikanische Ernährungsberaterin. Deren Aufgabe bestand in der Unterstützung junger Mütter bei der Versorgung ihrer Babys. Ihre Schilderungen haben mich sensibilisiert für einen bestürzenden Sachverhalt: Sie erzählte von Klientinnen, die ihren Babys steinharte, in Öl angeröstete Nudeln kredenzen, weil sie nicht wissen, dass Nudeln gekocht werden müssen. Die Grundform dieser Realitätsferne und Weltfremdheit ist die Unverbundenheit mit sich und der Welt, mit Orten, Bedingungen und Situationen, und ein mangelndes Wahrnehmen der eigenen Empfindung.

Als Architekt sind mir Menschen begegnet, die erst nach Bezug ihrer neuen Wohnung festgestellt haben, dass im Norden keine Sonne scheint. Als vor Jahren Übereckbadewannen hoch im Kurs standen, erzählte mir ein Wohnungsverkäufer, eine dieser Wannen im Verkaufsplan erspare ihm nervende Fragen und Diskussionen – wohl zu jenen Themen, die den Kern des Wohnens berühren. Dieses Nicht-bei-sich- und Nicht-bei-der-Sache-Sein, die Fremdheit gegenüber konkreten Situationen und Verhältnissen ist kein schichtspezifisches Phänomen, auch kein Ausdruck fehlender formaler Bildung. Nicht selten habe ich im akademischen Umfeld der geerdeten Intelligenz mancher Handwerker gedacht. Eine Studentin erzählte mir von ihrem Professor, einem hoch dekorierten Juristen und Inhaber eines renommierten Lehrstuhls. Dieser trug immer ein Thermometer bei sich, und dieses Messgerät befand über das Maß seiner Bekleidung, selbst im Hörsaal befahl es: Sakko aus! Oder: Sakko an!

Warum, wäre zu fragen, erscheint inmitten eines explizit philosophischen Traktats folgende Feststellung: „Bewegt man sich, so friert man nicht; verhält man sich ruhig, macht einem die Hitze nicht zu schaffen.“ Seit 2600 Jahren ist das zu lesen und wurde gemäß der Legende von Lao Tse formuliert.

Dass unser Temperaturempfinden auch von der Luftbewegung oder der Oberflächentemperatur der Umgebungswände, von Zugluft und Strahlungsenergie abhängt, muss man nicht wissen, würde man jedoch, hätte der Physikunterricht eine Verbindung zu unserem täglichen Leben hergestellt. Freilich: Dass unser Maß an Schlaf oder Bewegung über unseren Wärmehaushalt mitentscheidet, sollte die Erfahrung lehren. Aber was zählt schon eigene Erfahrung, wenn der Blick auf ein Messinstrument oder die Mode körperliche Empfindung ersetzen und man wärmegestresst die Fenster aufreißt, selbst wenn es draußen um sechs Grad heißer ist? Irritiert müssen wir feststellen, dass Selbstwahrnehmung zu den aussterbenden Gütern zählt und Fachkompetenz nicht zu Selbst- und Weltverhältnis führt.

Es fehlt uns an Verbundenheit mit dem Konkreten und Nächstliegenden. Es mangelt uns am Verstehen, aus dem Verständnis wächst. Wir leiden an unterentwickelter emotionaler Kompetenz und Empathie – auch der sogenannten Eliten. Sinneseindrücke hinterlassen keine Eindrücke, Emotionen wabern unbeachtet durch unseren Empfindungsraum, auf kulturelle und religiöse Traditionen gestützt, fristet unser Körper ein Dasein unter der Wahrnehmungsgrenze. Vor die konkrete Welt wurde die vorgestellte Welt gestellt.

Vor 20 Jahren plakatierte McDonald's großflächig und quer durch den süddeutschen Raum: „Butterbrot ist tot.“ Und in eindrücklicher Hellsichtigkeit ließ Luigi Pirandello bereits vor mehr als 80 Jahren in seinem Stück „Die Riesen vom Berge“ den Zauberer Cotrone sagen: „Zwar fehlt es uns am Nötigsten, aber von allem Überflüssigen haben wir mehr als genug.“

Die Mode hat Entfremdung zur Marke gemacht, und die Werbung hat sie zur Stilform erhoben. Und beide lassen uns unablässig wissen, dass wir nicht genügen. Als primäre Triebkraft des Wachstums höchstinstanzlich legitimiert, hebeln die psychologische Gerissenheit der Werbung und ihre dreiste Verheißung unser ganzes Bildungswesen aus. Erklärt sich daraus die erstaunliche Karriere der Wörter „hier“ und „jetzt“? Geht es dabei doch gerade darum, den Kontakt mit dem Augenblick und dem Ort, die Bewusstheit für Raum und Zeit zurückzugewinnen. Was sich aus östlicher Tradition ableitet, können wir aber durchaus mit uns kulturell vertrauteren Begriffen benennen: „Innehalten“ etwa.

Mein Freund C. T. liebt es, eine Begegnung mit der Frage zu eröffnen: „Was ist gerade in dir lebendig?“ Er erzählt mir, dass diese Nachfrage den Menschen als Zumutung erscheint, dass sie darauf verstört oder verärgert reagieren. Ist es ungehörig, ernsthaftes Interesse am Befinden des Gegenübers zu bekunden? Ist deshalb ein interessiertes „Wie geht es dir?“ im schnellen „Wie geht's?“ zu einer Phrase verkommen, von der sich niemand mehr wirklich angesprochen fühlt? Wir scheinen es vorzuziehen, von unserem Befinden gesteuert zu werden, statt bewusst zu ihm vorzudringen.

Den Prototypus verflachten Innenlebens und eines sich selbst fremd gewordenen Menschen hat Stefan Zweig in der Figur des Barons Friedrich Michael von R. geschaffen, der bei sich bemerkt: „Ich sagte es ja schon, dass ich auch Dinge, die mich selbst betrafen, mit Gleichgültigkeit hinnahm. Auch zum Leiden hatte ich nicht mehr genug Gefühl. Es genügte mir, dass dieser seelische Defekt außen so wenig wahrnehmbar war, und sosehr ich mich auch anstrengte, etwas zu fühlen, ja mich mit Verstandesgründen zu Gefühlen überreden wollte, es kam keine Antwort aus jener inneren Starre zurück.“

Oft erstaunt mich, mit welcher Ausdauer sich mancher Intellektuelle an ohnehin jederzeit ersetzbaren Mächtigen, Verführern und Manipulatoren in Politik und Wirtschaft abarbeitet, an deren moralischer Halt- und Orientierungslosigkeit, ohne das grundlegendere Dilemma zu benennen.

Von mangelnder Anteilnahme sind auch die Struktur und das Bild unserer Städte und Dörfer geschunden. Wie wäre anders erklärbar, dass niemand schreit angesichts einer Hässlichkeit, zu der sich in unserer Geschichte kein Vergleich finden lässt? Monoton, fantasie- und endlos gleich ist die effizienzgetrimmte Stadtgestalt jedem Einklang mit Menschen überdrüssig. Sie lässt keinen Ort, kein Dorf und erst recht keine Stadt entstehen und gibt keiner Begegnung oder Gemeinschaft Struktur und Zuhause. Im Sog des Marktes hat sich der Landbau von seiner Tradition verabschiedet, tatkräftig unterstützt auch von Bauern, ihren Beratern und Vertretern. Ohne Respekt und Sinn für die Kultur der Land- und Bodenpflege, befreit vom Blick auf die Folgen des eigenen Tuns, ohne Perspektive und Vision und ohne Mitgefühl gegenüber dem unermesslichen Leid in den Tierfabriken, hat der älteste und elementarste Wirtschaftszweig seine Bestimmung pervertiert.

Und doch, auch wenn mich über Jahre die Frage sorgte, wie meine Studierenden, ohne dem historischen Modell ländlicher Lebens- und Wirtschaftsweise persönlich je begegnet zu sein, neu eine nachhaltige Architektur und Lebensweise entwickeln können: Heute gärtnern viele von ihnen – selbst in beengten und urbanen Räumen –, sie bauen selbst an ihrem Zuhause und verweigern sich dem verordneten Leistungszwang. Das sinnliche, körperlich konkrete Tun und Erfahren erlebt Zuspruch. Landwirte und Handwerker erzählen mir von Studierenden und Akademikern, die sich um Praxisplätze bewerben. Selbst Hofübernahmen bleiben nicht mehr am Letzten hängen, zunehmend interessieren sich die am besten Ausgebildeten dafür. Und ebenso nimmt die Zahl der Bäuerinnen und Bauern zu, deren Eigenversorgung zum Auftakt ihrer wachsenden Produktpalette wird.

Während der vielen Jahre meiner regelmäßigen Zugreisen fiel manche Fahrt auf einen Samstagvormittag – die verlässlich ruhigste Reisezeit der Woche. Häufig teilte ich einen Großraumwaggon mit nur drei oder vier Mitreisenden. Dabei beobachtete ich wiederholt, wie neu Zugestiegene hundert freie, bessere Plätze, fußfrei und mit Tisch, ignorierten, um, programmiert und fremdgesteuert von ihrer Platzreservierung, den schlechtesten Platz zu wählen – hinein in eine enge Zeile, vor die Fensterkonsole und mit dem Rücken zur Fahrtrichtung!

Wenn der Kontakt zur Situation und zu sich selbst fehlt, finden weder die Umstände eines Orts noch die eigenen Bedürfnisse zu ihrem Recht, weder die inneren noch die äußeren Bedingungen. Wer sich aber selbst fremd bleibt, wird fremdbestimmt, ist offen für Verführung und fremde Führung. Das wirkt sich fatal auf Individuum und Gemeinschaft aus – und auf die Demokratie, denn was diese legitimiert und mit Leben füllt, sind Weltzugewandtheit, Anteilnahme und die Urteilsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger. Es sind diese Ferne zu den Dingen und unsere Fühllosigkeit, die uns stumm bleiben lassen vor dem Rückzug der Demokratie, der Verrohung der Sprache und dem Monogrün unserer sogenannten Wiesen, die uns untätig sein lassen angesichts der unfassbaren Banalisierung der städtischen Peripherien, des Insekten- und Vogelschwunds und des maßlosen Leids in Flüchtlingslagern. Es gibt eine Daseinsform, die keine Rückkoppelung mit der Welt kennt, weder mit der persönlichen Geschichte noch mit der kollektiven. Psychologisch würde eine Existenz ohne wechselhafte Bezüge zur sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Wirklichkeit wohl als Autismus diagnostiziert oder als Narzissmus – deren Beschaffenheit uns seit ihrer amerikanischen Personifizierung so drastisch vor Augen steht. In dieser Weise programmiert, wird die äußere Welt zum schändlichen Abbild der inneren. Schon bei Hugo von Hofmannsthal ist zu lesen: „Es ist den Menschen im Allgemeinen nicht gegeben, zu sehen, was ist.“

Kaum treffender sind die Verhältnisse zu charakterisieren als mit dem vom 27. Februar 2014 aus Moskau überlieferten Geschehen: Nachdem sich nicht mehr hatte geheim halten lassen, dass das Parlament der Krim gewaltsam besetzt worden war, stand die Frage im Raum: Gibt es Krieg? Unsicherheit und Angst waren zum Greifen, Hotelgäste wurden aufgefordert, die weitere Entwicklung im Haus abzuwarten. Ungläubig und verzweifelt war deren Reaktion: „Heißt das, wir können nicht shoppen gehen?“

Eingenommen von der eigenen Unersättlichkeit und der des Marktes, im Hinterhalt der Werbung brainwashed, verloren in virtuellen Welten, gebannt von der Sorge um die eigene Existenz, vom Kompensationsbedürfnis erlebter Bedeutungslosigkeit getrieben, aufgelöst im Sog großer Ideen, in Ideologien verrannt und von Vorurteilen konditioniert, bedrängt von Zielen und Ansprüchen, im Fluchtreflex vor den misslichen Seiten des Lebens verheddert, wirr von medialer Dauerbeflutung, vom Hass gegen fremdes Sein verzehrt, von fremden Imponiergesten eingeschüchtert, außer Atem gesetzt vom eigenen Stress, von Ehrgeiz gejagt, gezerrt vom Hang und Zwang zur Weltverbesserung, vom Aufmerksamkeitsgeheische ermüdet, angestiftet von der Emotionalisierungswut des Boulevards, im Füllen innerer Leere ausgebrannt, abgetaucht in der Permanentunterhaltung, besessen von Verschwörungsfantasien, vom eigenen Erfolg betört oder gelähmt von der Angst, auf der Strecke zu bleiben, geblendet von vermeintlicher oder echter Bedeutung, und beherrscht vom ewigen „nicht genug“.

In der Gefangenschaft unserer persönlichen Konditionierung sind wir von uns selbst und von der Welt getrennt, von der Tiefe und Breite der Empfindungen, die das Leben intensiv machen und reich. Ich spreche nicht von „den anderen“, sondern von dem eigenen Erleben. Eine meiner Fallen liegt in einer Aufmerksamkeit, die mir meist zwei oder drei Schritte vorauseilt und sich nur widerstrebend einfangen lässt. Ich war acht Jahre alt, als unser Lehrer, Herr Schneider, ab Dreikönig allmorgendlich die sich ändernde Uhrzeit, zu der die Morgensonne über dem Pfänder aufblitzte, an den linken Rand der Tafel schrieb. Diese stattliche, nüchterne Zahlenreihe ist noch heute von Begeisterung und meinem Staunen derart geladen, dass sie sich als Bild von Wandel und Verbundenheit tief und warm in meine Erinnerung grub.

Im Lichtkegel unserer Aufmerksamkeit wachsen Verantwortung und Verstehen. Sorgfältige Hinwendung und absichtsloses Wohlwollen lassen Leben erblühen: Seelen, Kinder, Gärten und die Welt.

Spectrum, Di., 2021.02.02

15. Februar 2020Roland Gnaiger
Spectrum

Her mit der Schönheit!

Gab es einst nicht schöne Scheunen? Was wäre, wenn wir der Schallschutzwand, der Busgarage und dem Lagerhaus dieselbe Sorgfalt widmeten wie dem Schauspielhaus? Ein Aufruf zu mehr Schönheit im Leben und im Alltag.

Gab es einst nicht schöne Scheunen? Was wäre, wenn wir der Schallschutzwand, der Busgarage und dem Lagerhaus dieselbe Sorgfalt widmeten wie dem Schauspielhaus? Ein Aufruf zu mehr Schönheit im Leben und im Alltag.

Als er sich endlich bewegte,
blitzte hinter den weit entfernten Gebirgsketten die Sonne hervor
und übergoss die Gipfel mit ihrem Licht, so weich und schön,
dass er hätte lachen können vor reinem Glück.
Robert Seethaler

Schönheit will gefühlt, nicht verstanden werden. Ich nähre mich von Schönem. Es inspiriert meine Arbeit, überlistet mein mangelhaftes Gedächtnis, hegt meinen Gleichmut und lichtet meine Gestimmtheit. Eine vor vierzig Jahren auf Kreta gesehene Vase ist in mir lebendig, als hätte ich sie gestern gesehen, laufe ich an einem liebevoll gepflegten Garten entlang, wird mein Schritt leicht und beschwingt. Trete ich am Ende eines aufreibenden Tages vor mein Haus, um in den sternenklaren Himmel zu sehen, beruhigt und erhellt sich mein Gemüt. Dabei sind mein kunsthistorisches und mein biologisches Wissen dürftig und endet mein astronomisches Verständnis bei „unvorstellbar weit und alt“. Schönheit verändert mich: Im Hof von Haus R oder unter der Kuppel von B breitet sich in mir eine freudvolle Erregung aus. Taucht das einmalige Licht eines jener goldenen Herbsttage die Wälder und Abhänge in diese unvergleichliche Buntheit, dann werden die Grenzen zwischen mir und der Welt durchlässig und unbestimmbar. Schaffe ich bei einem Entwurf den „Durchbruch“, dann senkt mich Beglücktheit in den Sessel.

Botho Strauß kommt mit seiner Feststellung „Das Hässliche ist erklärbar, das Schöne nicht“ der Sache schon sehr nahe. Je näher man der Schönheit mit Begriffen tritt, umso entschiedener weicht sie zurück. Wir alle kennen sie als Erfahrung, aber Erklärungen scheint sie zu fliehen. Überraschen muss das nicht. Ob in der Musik, im Blick auf eine Blume, im Öffnen eines Buches, beim Überqueren eines Platzes, dem Griff nach einem Apfel, am Ende eines Gesprächs, angesichts einer klug konstruierten Brücke, der Formulierung einer Mathematikformel oder eines erhellenden Gedankens – die Ereignisse, Anlässe, Auslöser und Formen unserer Schönheitserfahrung könnten verschiedener nicht sein. Es gibt schöne Dinge, Gedanken und Ereignisse, aber „die“ Schönheit gibt es nicht. Schönheit ist in ihrer Größe, Vielfalt und Vielschichtigkeit undefinierbar. Sie will erlebt und gefühlt, nicht verstanden werden. Darin gleicht sie der Freundschaft, der Liebe, der Kunst, der Intuition, der Weisheit und anderen großen Dingen.

Der Umstand, dass Schönheit undefinierbar ist, dass sie in unterschiedlichen Feldern anzutreffen ist und zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichsten Kleidern erscheint, dass sie individuell erlebt werden muss, Vermittlerdienste ablehnt und jeden Kanon flieht, dass sie sich nur zögerlich preisgibt und auch noch Ansprüche an unser Wahrnehmen stellt, bedeutet nicht, dass sie beliebig und nur subjektiv ist und auf billige Weise relativierbar wäre. Wir vermögen sehr wohl zu gewissen Fragen ihrer Qualität ein hohes Maß an Einigkeit zu erzielen, auch Übereinstimmungen, die Zeiten überdauern.

Doch selbst ohne Aussicht, über Schönheit etwas unverrückbar Gültiges zu sagen – die Befassung mit Schönheit ist weit mehr als eine geistige Überlebensfrage. Als solche bedarf sie im Angesicht einer überbordenden, allgegenwärtigen Hässlichkeit und einer bedrohten Welt eines neuen Impulses.

Der Verrat an der Schönheit. Es scheint Kulturen und Epochen gegeben zu haben, in denen Schönheit den Erzeugnissen und Äußerungen des Alltags auf eine Weise immanent war, dass sie keiner ausdrücklichen Erörterung bedurfte. Spätestens mit der Antike lässt sich ein dezidiertes Nachdenken über das Schöne, sein Wesen, seine Voraussetzungen und Wirkungen verfolgen. An welcher Stelle sich diese Reflexion verläuft, ist weniger wichtig als der Umstand, dass sich Schönheit als Anliegen, Berufung und Bildungsauftrag bis heute verflüchtigt hat. Selbst Bildungsinstitutionen waren daran beteiligt, die ästhetische Schulung und ein reflektierendes Sensorium für Schönes ins Abseits zu drängen.

Noch in meiner Kindheit zählte neben dem Inhalt die „äußere Form der Arbeit“ zu den Beurteilungskriterien einer Schularbeit. Ob diese Formulierung glücklich war, sei dahingestellt. Immerhin, sie belegt eine themenaffine Ausrichtung und Haltung. Irgendwann ist „Schönschreiben“ zum Unwort geworden, und so hat auch die Sache selbst abgedankt. Das Wesen der Formgebung: hinwenden, eindringen, Ordnungen und Beziehungen herstellen und in die Wirklichkeit transformieren verlor an Bedeutung. Schritt um Schritt kam dem Prozess der Herstellung jene Aufmerksamkeit abhanden, die im selben Maß die Resultate gewannen.

Der Bedeutungsverlust des Schönen hinterließ kein Vakuum, sondern ein Diktat von Form und Schönheit. Mit kräftiger Unterstützung der Werbewirtschaft und einer nie gekannten medialen Macht haben sich Konsumtreiber der Definitionsgewalt bemächtigt: „Schön ist, was makellos, glatt, schlank und vor allem jung ist!“ Diese „Schönheit“ verpflichtet uns auf das Perfekte, Dynamische und ewig Jugendliche. Gehalt- und Bedeutungsverlust kompensiert sie mit Lautem, Schrillem und Exaltiertem, mit sündhaft Teurem und kultisch Überhöhtem oder, dem Wechsel zuliebe, mit Schäbigem, Lumpigem und Ausgefranstem. Erheischte Aufmerksamkeit und Kurzlebigkeit sind die bestimmenden Konstanten einer solcherart deklarierten „Schönheit“. Auch in Moderne und Vormoderne hat es postulierte Stile und Schönheitsideale gegeben, immerhin haben deren Vertreter (mitunter mit quasireligiösem Eifer) selbst an diese geglaubt. Heute glaubt und folgt nur der verführte, anhaltend um echte Erfahrungen betrogene Konsument.

Mode ist der postmoderne Maßstab. Nichts ist ihr dienlicher als Orientierungslosigkeit und die um Verwirrung bemühte Schlagzahl des fortwährend Neuen. Gründlich von den Gesetzen des Visuellen dominiert, wird die Welt gemäß diesen Verhältnissen durchdesignt. Die solcherart herbeibeschworene „Schönheit“ erhebt den Anspruch, eine universelle Schönheit zu sein, eine global gültige, eine, die sich nicht um Umstände und Bedingungen und um keine sozialen, kulturellen und geschichtlichen Verhältnisse zu kümmern hat, die befreit ist von Inhalten, Verantwortung und Verpflichtung.

Schönheit ist kein Kriterium der Kunst, sondern des Lebens. Hat Schönheit eine Vertretung, eine Lobby? Wessen Anliegen sollte Schönheit sein? Wer ist ihr verpflichtet? Wer ist es, der ihr seine Stimme leiht?

Wann immer sich eine Veranstaltung oder ein Medium der Schönheit widmet – somit selten genug –, lädt man Künstler oder Theoretiker der Kunst zu Wort. Meist mit dem Ergebnis, dass sie keinen Unterschied machen zwischen ihrer Kunst und unser aller Leben. Welch ein Missverständnis! Auch wenn mancher Schöngeist sich das so wünscht: Die Kunst ist nicht die Repräsentantin der Schönheit. Man stelle sich Shakespeare vor oder die altgriechische Tragödie ohne Verleumdung, ohne hässliche Bosheit und abscheulichen Mord. Oder einen Kubin ohne Düsternis, einen Hieronymus Bosch ohne seine Fratzen. Der Kunst gehört das gesamte Spektrum der Ausdrucksmittel. Das heißt nicht, dass Kunst nicht Schönes schaffen dürfe und in vielen Fällen auch tut. Doch nicht die Kunst ist der Schönheit verpflichtet, sondern der Alltag. Die Verantwortung für Schönheit an die Kunst zu delegieren wäre so, als würden wir die Zuständigkeit für Ethik bei den Vertretern der Kirche belassen. In der Gestaltung unseres Lebensumfelds ist Hässlichkeit kein Ausdrucksmittel, sondern Ausdruck mangelnder Verbundenheit mit der Welt, von Unvermögen und Versagen oder Ignoranz.

Die Verantwortung für Schönes muss in die Hände von Baumeistern und Bauherren gelegt werden. Die Tapezierer, die Schreiner und Schlosser, die Kleidermacher, auch die Bäcker, die Grafiker, alle Möbelbauer und Raumgestalter, die Haushälter . . ., natürlich die Möbelhäuser und Baumärkte auch, alle sind wir der Kultur und der Schönheit verpflichtet. Für Schönheit sind Architekten, Städte- und Straßenbauer, die Kommunalpolitiker, auch die Gärtner und die Wirte verantwortlich. Stellen Sie sich Landwirte nicht als Wüteriche gegen das Schöne vor, Bauern, die nicht jeden Hain, jeden Baum und Strauch, jedes Blühen einer Hecke ihrer monogrünen Wüste opfern, die sich vom Druck befreien, jeden Bach zu begradigen, jede Mulde einzuebnen und jeden Weg zu planieren. Denken Sie an Landgestalter, die unsere Sehnsucht nach bunten Wiesen nicht ins Gebirge – und bei der Zuständigkeit für blühende Bäume und Sträucher nicht an die Städte verweisen.

Wie wäre es, wenn Investoren, wenn auch alle Reichen zu Wortführern des Schönen würden, wenn sie nur noch schüfen, was wieder Sinn, Wert und Dauer verspricht? Gab es einst nicht schöne Scheunen? Was wäre, wenn wir der Schallschutzwand, der Busgarage und dem Lagerhaus dieselbe Sorgfalt widmeten wie dem Schauspielhaus? Schönheit jenseits von Kunstsinn, Luxus und Reichtum! Statt zur Kunst gehört die Schönheit der Lebenskunst, sie gehört in den Alltag und in unser Leben.

Das Schöne ist Frucht, nicht Ziel unserer Arbeit. Vor zwanzig Jahren habe ich formuliert: „Kunst ist besser das Ergebnis der Arbeit als der Anfang der Diskussion.“ Daran hat sich nichts geändert, und doch würde ich heute sagen: Das Schöne ist besser die Frucht als das Ziel unserer Arbeit. Denn die Geschichte warnt uns vor dem Erschlaffen im Formalismus, vor seinen Ausschweifungen und dem in Dekadenz und Wahn gekippten ästhetischen Exzess. Und wir wissen um eine Ästhetik, die sich der Abwesenheit alles Lebendigen verdankt.

Noch bleiben wir bei der Herstellung von Schönem und nicht bei ihrem Erleben. Schönheit als Ertrag menschlichen Tuns bedingt Arbeit, mitunter auch Anstrengung.

Der Verzicht auf Absicht und Ziel macht den Blick für die Prozesse und die Bedingungen frei, denen Schönheit allenfalls erwächst:
– der Fähigkeit zu Konzentration, Gründlichkeit und Ruhe;
– einer Sorgfalt, die mit der Liebe zum Detail verbunden ist;
– dem Zugang zum Zauber und der Schönheit, die im Tun selber liegt;
– genauem Fragen und einem Gehör für die den Fragen einwohnenden Antworten, gepaart mit einer wachen Aufmerksamkeit, dem Sensorium für die zarte und noch vage Spur einer Lösung;
– dem Gleichmut gegenüber dem Zweifel, einer unerschütterlichen, durch Leer- und Irrläufe, Hindernisse, Fehler und Rückschläge nicht zu entmutigenden Verfasstheit;
– einem von entfernten Themen und Problemen nicht restlos besetzten und beschwerten, somit einem der Konzentration fähigen Geist;
– einer von Vorurteilen freien Haltung, damit auch einem guten Verhältnis zwischen dem gesicherten Wissen und einer überraschend neuen Antwort;
– ausreichend Zeit, der Geduld und der Bereitschaft, etwas liegen zu lassen – um ein Thema erst nach Tagen, mitunter Wochen wieder aufzugreifen –, denn damit bekommt das Speicherbewusstsein den ihm gebührenden Raum und wachsen die Erfahrung und das Vertrauen, dass einem „die Lösung“ mitunter von selbst entgegentritt.

Doch ist all das noch nicht genug, denn ohne Übung, Erfahrung und Wissen werden weder die Intuition noch die Formintelligenz genährt und ertüchtigt: Ja, es gibt den schnellen Wurf und ein eruptives Erzeugen. Allerdings ist die ausdauernde Übung den mühelos und leicht hingeworfenen Skizzen Rembrandts, der japanischen Kalligrafie oder Picassos so schnellen wie genialen Pinselstrichen lange vorausgegangen. Unerschütterliches Urteil und Meisterschaft entspringen einem vielfach wiederholten Tun, einer substanziellen Ausrichtung und redlichen Absicht, der Vertrautheit mit dem Material (ob Holz, Sprache oder Nahrungsmittel), dem Wissen um dessen Charakter und dem intimen Verhältnis zum Werkzeug (ob Hobel, Küchenmesser oder Musikinstrument). Ebenso unabdingbar sind Kenntnis über Wandlungsprozesse durch Alterung und Gebrauch, das Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen der Herstellungsprozesse und bei Gegenständen der Handhabe das persönliche und konkrete Verhältnis zu deren Anwendung und Funktion.

Gestaltungsarbeit ist auch die Arbeit an den eigenen Motiven, Zielen, an der eigenen Philosophie, Moral und dem persönlichen Weltverständnis. Schönheit erwächst der Nähe und Verbindung mit den Dingen, sie „gehört“ den Genießern. Dort, wo unsere Interessen liegen, der Focus unserer Aufmerksamkeit und Begeisterung, dort liegt das Schöne am nächsten.

Schönheitserfahrung darf nicht zu romantisierten Rückschlüssen bezüglich des Entstehens schöner Dinge verführen. Ist die erlebte Schönheit auch ein Ausfluss des Gefühls, so entspringen schöne Dinge selten allein dem Gefühl, erst recht nicht dessen Überschwang. Zur Herstellung des Schönen gehört das schwebende, schweifende, assoziierende und empfangende Denken und strukturierte, analytische Gedanken. Intuition hilft dem Denken auf die Sprünge. Klar gefasste Gedanken und Fragestellungen nähren die Eingebung. Am Schluss gewinnt das gelungene, das „schöne“ Ergebnis Leichtigkeit und lässt die Aspekte, Schritte und die Mühen des Weges vergessen.

Schönheit ist nicht objektiv, darin liegt ihre Stärke. Wir vermögen den Dingen und Ereignissen nicht anders als über unsere individuellen Sinne zu begegnen. Egal, ob eine Stadt, ein Einkaufszentrum, eine Wanderung, ein Buch oder ein Musikstück, noch kaum je haben zwei Menschen ein und dieselbe Sache in derselben Weise erlebt. Schönheit ist subjektiv, weil wir sie ausschließlich als Subjekte wahrnehmen.

Wie beliebig unser Bewerten, wie konditioniert und fremdbestimmt oder ungetrübt und eigenständig hängt vom Grad unserer Bewusstheit und Bildung ab.

Auch in ästhetischen Fragen befindet Bildung über den Horizont unserer Wahrnehmung und das Niveau unserer Urteilsfähigkeit. Die echte ästhetische Bildung pflanzt nicht Überzeugungen und fremde Werte ein, sondern stellt Urteile in einen lebendigen Wechsel von Fühlen und Denken. Diese Bildung befreit unser Gesichtsfeld von eintrübenden, allzu persönlichen Befindlichkeiten, von verletzter oder geschmeichelter Eitelkeit, von Scham, Wut, von Hoffnungen, Ängsten und Erwartungen und dem allzeit verhängnisvollen Selbstwertmangel. Der Blick für das Schöne ist ein freigeräumter Blick.

Ästhetische Erziehung ist die Einübung in den vorurteilslosen zweiten Blick. Und sie ist die Aufforderung, dem Sehsinn nicht all unser Empfinden zu überlassen, sondern ihm das Tasten, das Hören, Schmecken und Riechen gleichberechtigt zuzugesellen. Gleich einem Gewissen, das eigenständig und den Verhältnissen gemäß über richtig und falsch befindet, hat jedes Individuum das Schönheitsurteil in die eigene Verantwortung zurückzugewinnen. Ästhetische Bildung besteht auch in der größeren Zeitspanne, die wir den Eindrücken gönnen, sich in uns auszubreiten und zu verankern. – Welch fatale Differenz liegt für gewöhnlich doch zwischen der Spanne und Tiefe, in der ein Werk entsteht, und der Sorgfalt, die wir seiner Aufnahme widmen.

In geschenkter Zeit und einem freien Raum liegt der Lehrplan einer Schule des Empfindens und der Schönheit. Solcherart ist das Klima beschaffen, in dem das Schöne sich uns mitzuteilen in der Lage ist. Und auf dieser Grundlage „vermag das Gefühl mit Bestimmtheit zu bejahen oder zu verneinen“, wie der Architekt Bruno Taut das unübertrefflich formuliert hat: „Die schöne Form, so verborgen ihre Quellen sind, wird dann zur objektiven Tatsache.“

Schönheit vermag zu erfreuen, mitunter zu beglücken und die Grenzen der Selbstwahrnehmung auszudehnen. Das Schönheitserlebnis ist eine emotionale Bewegung. Um diese zu vertiefen, haben wir den Sinneseindrücken mit ganzer Achtsamkeit zu folgen und dem emotionalen Fluss unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Der Lohn dieser „Praxis“ ist ein erweitertes Vokabular und das Vermögen, Erlebtes vielschichtig zur Sprache zu bringen. Ein nachklingendes Musikereignis oder die Erfahrung beim Besuch eines außergewöhnlichen Stadtzentrums werden dann nicht alltagssprachlich unbedacht als „schön“ bezeichnet, sondern in der Fülle ihres Bedeutungsgehalts in Worte gefasst und differenziert vermittelt. Solcherart belebt und befruchtet Schönheit den Intellekt.

In derartigen Voraussetzungen beheimatet, vermag das ästhetische Urteil weit über ästhetische Belange hinauszuweisen: Schönheit verrät die Stimmigkeit der Dinge. Adolf Loos hat an der Schwelle zum letzten Jahrhundert eine überzeugende Wegweisung formuliert: „Da das Unpraktische niemals vollkommen ist, so kann es auch nicht schön sein.“ Im Kontext des leer gewordenen Eklektizismus gleicht diese Festlegung einem Wertekompass. Der Kinderherzchirurg René Prêtre spricht von der „Schönheit und dem Charisma des Herzens; (. . .) wenn Sie Herzchirurg werden möchten, brauchen Sie künstlerische Begabung. Sie müssen etwas gestalten können, das ästhetisch ist“, und er meinte von seiner Arbeit, sie habe „etwas von Kunst, von Bildhauerei, wir arbeiten ja in drei Dimensionen. Wenn ein Herz nach der Operation schön aussieht, funktioniert es auch gut.“ Victor Adler hat (wie heute vielfach) Schönheit nicht mit Dekor, Oberfläche oder Luxus verwechselt und demgemäß „Das Recht auf die Frucht der Arbeit, auf Schönheit, auf Gesundheit und Wissen“ gefordert. Könnte die Bedeutung der Sozialdemokratie mit dem Schönheitsanspruch verloren gegangen sein? Für den Benediktiner David Steindl-Rast ist das Gute, Wahre und Schöne nicht zu trennen. Kehren daher politische Dummheit und Lüge im Verbund mit der Hässlichkeit ein? Es scheint, als würden das Gute, Wahre und Schöne Aufstieg oder Niedergang nur im Bunde erleben. Egal, ob im Erzeugen oder Erleben, Sorgfalt und liebevolle Hinwendung sind für Schönes bestimmend. Wenn aber Schönheit der Liebe entspringt (wie nicht nur Platon darlegt), dann hat im Umkehrschluss Hässlichkeit nicht nur denselben Wortstamm, sondern ist Folge und Form von Hass und Lieblosigkeit.

Schönheit ist ein Vehikel der Zusammenschau. Schönheit überwindet Zeiten und Räume, lässt kulturelle Differenzen und Sprachgrenzen vergessen. Der Schönheitssinn begründet ein sehr viel achtsameres, respektvolleres und liebevolleres Verhältnis gegenüber den Dingen, den Menschen und der Welt. Vielleicht hat die Evolution im Schönheitssinn das Sensorium geschaffen, um etwas mehr von der ganzen Welt, ihrer Erscheinungsfülle und Komplexität zu erfassen, denn der Sinn für das Schöne weitet die Grenzen, verbindet und erschließt uns die Welt.

Spectrum, Sa., 2020.02.15

07. Mai 2016Roland Gnaiger
Spectrum

Das Nichts ist die Essenz

Häuser können einladen oder abweisen, sie können rufen oder sich verstecken, sie können sich ein-, unter- oder überordnen. Richtig oder falsch hängt allein vom Kontext ab. Über Siedlung und Zersiedlung: eine Aufklärung.

Häuser können einladen oder abweisen, sie können rufen oder sich verstecken, sie können sich ein-, unter- oder überordnen. Richtig oder falsch hängt allein vom Kontext ab. Über Siedlung und Zersiedlung: eine Aufklärung.

Das Gesetz ist so einfach wie wirkmächtig: Dinge, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken, wachsen. Wer oder was Aufmerksamkeit bekommt, erhält darüber hinaus auch noch Zeit, Geld und Einfluss. Daher ist unsere Aufmerksamkeit ein derartig massiv umworbenes, hoch gehandeltes und hart erkämpftes Gut. Und weil Aufmerksamkeit zudem nicht vermehrbar ist, kann sie nur umverteilt werden. So kommt es, dass beispielsweise die realen Räume unserer Straßen und Plätze an Aufmerksamkeit (und Hinwendung) verlieren, wenn mediale und virtuelle Räume diese Beachtung und Zuwendung gewinnen.
Weltweit bauen wir immens viele Häuser, aber kaum neue Räume. Generell gehen uns öffentliche, erst recht lebenswerte Außenräume zunehmend verloren. Neue Räume für die Gemeinschaft nehmen nicht im selben Maß wie die Neubauten zu.
Immer wenn ich den „öffentlichen Raum“ bewerbe, wenn ich Interesse und Verständnis zu wecken versuche für die Wichtigkeit der Straßen und Plätze unserer Städte und Dörfer und für den Wert unserer Ansiedlungen generell, beginne ich mit derselben Frage: Worin liegt der Unterschied zwischen Siedlung und Zersiedlung?
Bitte halten Sie hier inne, und suchen Sie selbst nach einer Antwort. Die Antwort gewinnt an Kraft, wenn sie nicht nur als Idee, sondern aus Ihren Erfahrungen kommt. Wir alle haben schon Siedlungen erlebt und Zersiedlungen auch. Man muss kein Fachmann und keine Fachfrau sein, um zu einer Antwort zu finden. Hier mein Vorschlag: In einer Siedlung besteht zwischen den einzelnen Häusern (den Elementen) ein Verhältnis, in der Zersiedlung nicht.
Auch wenn die Beziehungen innerhalb einer Siedlung – wie bei den offenen Bebauungen der alemannischen Streusiedlungen – nicht immer offensichtlich sind, so waren ihre Bauten doch durch ein Gemeinsames verbunden. Das kann die Bauform, die Lage im Gelände, ein durchgängiges Fassadenmaterial, die Orientierung auf ein Zentrum oder eine einheitliche Ausrichtung zum Talboden, nach Süden (Osten, Westen, Norden) sein. Häuser können sich in gleicher Weise in Mulden ducken, entlang von Schichtenlinien oder Wegen reihen oder sich gegenseitig den Vortritt lassen. Das Repertoire an Mustern ist stattlich und unübersehbar.
Raum selbst ist eine Leere

Darüber hinaus gibt es die noch interessantere Möglichkeit, dass sich Häuser aufeinander beziehen und daraus Verwandtschaft generieren. Das augenfälligste Beispiel ist die geschlossene Häuserzeile (etwa entlang einer Straße). Doch es geht auch subtiler: Wenn sich Bauwerke in bestimmter Weise einander zuwenden, kann zwischen ihnen ein „Gespräch“ entstehen. Aus solch einem „Gespräch“ – dem „größten Geheimnis der Architektur“ – entsteht ein Raum, entstehen Räume. Raum selbst ist eine Leere, eigentlich ein Nichts, und doch ist dieses Nichts die Essenz der Stadt, des Dorfes, der Siedlung. Raum ist und bleibt ein andauerndes, faszinierendes Mysterium, die Frucht einer diffizilen Bezugnahme. Sobald in ein derartiges Gespräch mehrere Bauten einstimmen, entsteht ein Ensemble oder ein Ort. Wie Wörter reihen sich in solch einem Fall Häuser zu einem ganzen Satz, und in weiterer Folge werden aus Sätzen Absätze, und diese Absätze bilden zusammen eine Geschichte. In unserem Zusammenhang ist diese Geschichte ein Dorf oder eine Stadt. Eine Stadt ist ein Gefüge, das einer ähnlichen Grammatik gehorcht wie eine Erzählung oder ein Roman, verwandte Strukturen aufweist gleich einem lebendigen Organismus und wie ein solcher über einen logischen inneren Zusammenhang verfügt.
Ensembles, gelungene Städte und Dörfer bezeugen, dass ein Ganzes wirklich mehr sein kann als die Summe seiner Teile. Siedlung ist mehr als die Summe ihrer Teile.
Ganz anders verhält es sich mit der Zersiedlung. Sie besteht aus Häusern, die keiner kollektiven Ordnung, keinem gemeinsamen Nenner und keiner übereinstimmenden Idee folgen. Die Zersiedlung häuft Bauten an, die sich jeder Bezugnahme verweigern, die allein bleiben, mitunter autistisch in sich gekehrt. Was in der Siedlung das Gespräch ist, wird in der Zersiedlung zum Monolog oder zum Geplapper.
Mit solcherart beziehungsunfähigen Häusern entsteht nichts als eine Ansammlung. Sie bilden keine Summe und entfalten keine Resonanz. Und es fehlt ihnen eines ganz wesentlich und schmerzhaft: der Mehrwert des Raums. An die Stelle von Räumen treten in der Zersiedlung Zwischenräume, bar jeglicher Qualitäten, oftmals Ergebnis allein von gesetzlichen Abstandsverordnungen und falscher Parzellierung.
Sehen Sie sich entlang unser Ortsausfahrten um – oder in den neuen Vorstädten. Lassen Sie sich auch von diesen Orten berühren. Dann werden Sie verstehen, was ich meine.
Gegen die Beziehungsarmut und -unfähigkeit solcher (Un-)Orte kommt das soziale und gesellschaftliche Leben schwer an. Es kann sich dort nicht oder nur unerträglich mühsam entfalten. Die Folge ist kein rein künstlerisches Problem, keines, das nur Architektenaugen verletzt. Die Auswirkungen treffen den Kern unserer Gemeinschaft. Sie höhlen die Gesellschaft und ihr Zusammenleben und Zusammenwirken aus.
Weil Außen- oder Stadträume (nur) durch das In-eine-bestimmte-Ordnung/Beziehung-Setzen von Häusern entstehen und allein das Ergebnis eines Arrangements sind, kosten sie (von der Bodengestaltung und Beleuchtung einmal abgesehen) auch nichts – aber das gilt schließlich für fast alle wirklich wichtigen Dinge im Leben. Trotz dieser Kostenfreiheit kann die Wirkung gelungener Räume gewaltig sein. Ihre Qualität hängt von der Könnerschaft ihrer Arrangeure ab.
Mitunter kann ein solches Arrangieren so wirkungsvoll wie einfach sein. Versammelt man Häuser um ein großes Rechteck, dann kann daraus beispielsweise die Feldkircher Marktstraße entstehen oder der Linzer Hauptplatz (der größte Österreichs) oder der weiteste und vielleicht eindrucksvollste Stadtplatz der Welt, der Meidán-e Emám von Isfahan. Allen solchen Orten ist eines gemeinsam: Sie sind Brennpunkte gesellschaftlichen Lebens und Bühnen für große (historische) Ereignisse und für nicht minder bedeutendes privates Erleben.
Dabei müssen es keine prominenten Plätze sein, die zu Handlungsorten unserer Leben werden. Für jedes Dorf sind seine öffentlichen Räume, Plätze, Straßen und Lücken von fundamentaler Bedeutung.
Wenn sich Häuser „wegdrehen“

Man sollte aber über der Erwartung auf einen bedeutsamen „heroischen Raum“ den Einfluss nicht vergessen, den jede architektonische Handlung und jeder Baukörper auf die Raumgestalt hat. In der menschlichen Kommunikation kann eine leichte körperliche Wegdrehung eine konsequenzenreiche Beziehungsänderung bedeuten. Diese Art der „Körpersprache“ ist auch Bauten eigen. Neuere Siedlungshäuser sind von Beginn an zumeist „weggedreht“. Auch Häuser können die „kalte Schulter“ zeigen.
Häuser können „einladen“ oder „abweisen“, sie können „rufen“ oder sich „verstecken“, sie können sich ein-, unter- oder überordnen. Richtig oder falsch hängt allein vom Kontext ab. Aber immer durchdringen die „Botschaft“ und die Resonanz der Häuser den Raum, setzen diesen in Schwingung oder unter Spannung. Eine derartige Spannung in Gang zu setzen und im Wissen um die Wirkung zu gestalten, darin liegt die Kunst der Architektur.
Viele bezaubernde historische Orte (Assisi ist dafür ein vollkommenes Beispiel, doch könnte man zahllose Ortschaften nennen) bestehen allein aus der Summe gewöhnlicher, geradezu banaler Häuser. Der (besondere) Raum und die Stadt haben dort Vorrang vor dem einzelnen Bauobjekt.
Würden wir unseren Fokus vermehrt auf das Dazwischen, den Raum, die Stadt, das Dorf richten, dann könnten wir damit die Bauwerke von ihrem heutigen, vielfach überfordernden Anspruch entlasten.
„Diese Bäume sind herrlich“, so Rainer Maria Rilke 1919 in einem Brief, „aber herrlicher noch ist der erhabene, gesteigerte Raum zwischen ihnen.“

Spectrum, Sa., 2016.05.07

06. November 2010Roland Gnaiger
Spectrum

Nach? Haltig?

Das Haus von morgen wird ein intelligentes Haus sein, reaktionsfähig gegenüber äußeren und inneren Einflüssen. Und am Ende seiner Lebenszeit werden wir nicht vor einem Haufen Sondermüll stehen. Nachhaltigkeit: über Gegenwart und Zukunft einer Vision.

Das Haus von morgen wird ein intelligentes Haus sein, reaktionsfähig gegenüber äußeren und inneren Einflüssen. Und am Ende seiner Lebenszeit werden wir nicht vor einem Haufen Sondermüll stehen. Nachhaltigkeit: über Gegenwart und Zukunft einer Vision.

Egal ob Person oder Sache – ein untauglicher Name schwächt gleich einem Mühlstein um den Hals. Nachhaltigkeit, als Begriff eine Krücke und als Wort ein Bastard, beschädigt sich – nachhaltig – selbst. In einer Zeit bedingungsloser Zukunftsfixierung, in der die VORreiter und VORdenker zählen, ist „NACHhaltig“ ein untaugliches Vehikel. Und dann noch Teil zwei des verunglückten Wortpaares: „Beständig“ könnte noch etwas vom Geist des Anliegens treffen, aber „haltig“? Halten? Anhalten, festhalten – mehr Indiz für Angst und Kontrollverlust anstatt Vertrauen.

Da kann nur noch die Sache helfen: Nachhaltig sind Systeme oder Handlungsweisen (Bauweisen), wenn sie sich – auch aus zeitlich und räumlich und thematisch größerer Distanz – als richtig, nützlich, hilfreich erweisen. So weit meine Definition.

Die Grundlagen von Nachhaltigkeit sind Vorausschau, Vorstellungskraft und vernetztes Denken, gepaart mit Vernunft, Verständnis und Verantwortung. Alle diese V-Wörter und V-Tugenden, die schon immer zur Grundausstattung zivilisierter, entwickelter Gesellschaften gehörten, vermögen – einzeln oder vereint – das Unwort N spielend zu ersetzen. Nochmals kürzer gefasst: „N“ ist praktizierte Fantasie, Intelligenz und gelebtes Mitgefühl (Empathie).

Ich möchte mit der Energiethematik als dem klassischen Einstieg in die Nachhaltigkeitsdebatte beginnen: Einer ziemlich zuverlässigen Faustformel gemäß lässt sich unser Energiebedarf auf drei Bereiche mit etwa gleich großem Anspruch aufteilen: ein Drittel der Energie für die Produktion, ein Drittel für den Verkehr und ein weiteres Drittel für unsere Haushaltung. So wie auf den letzten Faktor – den Betrieb der Häuser – im weitesten Sinne die Architektur Einfluss nimmt, so gilt dasselbe für die Raumordnung in ihrer Zuständigkeit für den Verkehr – insofern, als der Verkehr weitgehend ein Sachzwang ist, den unsere Raumordnung zu verantworten hat.

Funktionen und Dinge, die wir vorerst getrennt haben, werden mittels Personen- oder Gütertransport wieder verbunden. Arbeiten, Wohnen, Freizeit oder etwas detaillierter: Alle unsere Lebensvollzüge wie Schlafen, Arzt- und Schulbesuch, Sozialkontakte und Einkauf müssen so wie religiöse und kulturelle Aktivitäten wieder aufwendig vernetzt werden. Wer seiner Traumvorstellung vom Wohnen in einsamer Landlage folgt, wird für die Besorgung einer Glühbirne oder einer Packung Milch ins Auto gezwungen. Unsere Funktionsteilung ist Ausdruck eines obsoleten Lebensmodells, das mit der ausgehenden Industrieepoche seinen Sinn längst verloren hat.

Unterzieht man (nach dem Haushalt und dem Verkehr) als Drittes auch den Energiebedarf des Sektors Produktion einer Untersuchung, dann sieht die Bilanz nicht viel anders aus. Ein sicheres Drittel bis die Hälfte unserer Erzeugnisse ist auf Bauen und Wohnen selbst gerichtet, auf die Erstellung der Infrastrukturen (Wege, Straßen, Energie- und andere Ent- und Versorgungen), auf den Verkehr sowie alle Maschinen und Geräte, die Häuser, Siedlungen und Städte in Gang setzen und in Gang halten.

Trotz der vorläufigen Beschränkung auf den Energieaspekt wird deutlich, wie wirkungsmächtig und folgenreich die dem Bauen zugrunde gelegten Konzepte sind, und zweitens, wie breit diese in alle Gesellschafts- und Lebensbereiche hineinwirken. Es geht um nichts weniger als um die Organisationsform der Gesellschaft und unseres Zusammenlebens, die Produktion und die Verteilung von Gütern, Energie und Dienstleistungen, die räumlichen und funktionalen Strukturen des Siedelns und der Städte. Es geht auch um das Haus als Element der Stadt oder Siedlung, um den Organismus der Häuser, deren Intelligenz und Reaktionsvermögen sowie um deren Beziehungsfähigkeit, die darüber entscheidet, ob Siedlungen oder Zersiedlungen entstehen. Es geht beim Bauen um den Umsatz riesiger Materialmengen, um deren Aufbereitung und Entsorgung. Und es geht um Arbeitsplätze und in allen genannten Bereichen um enorme soziale und ökonomische Implikationen.

Nicht zuletzt geht es auch um unsere Selbstbehauptung und Darstellung in der Welt, um Kultur und Ästhetik und die damit verbundenen Sinnfragen. Somit verkennt die nicht unwichtige, aber zu Unrecht beherrschende Fixierung der Bauwirtschaft auf den Wärmeschutz und die Fassadendämmung gänzlich die Dimension des Themas. Im Mai 2009 wurde von Wolf Prix eine Dankesrede für eine Breitseite gegen die Nachhaltigkeit genutzt. Mit der Formel „Architekten in gedämmter Isolierhaft“ hat er die architekturinterne Betonung von Nachhaltigkeit gegeißelt – und hatte teils recht damit. Allerdings mit dem Problem, dass er das Thema ähnlich verkürzt und verkennt wie die von ihm Kritisierten.

Ohne die Kultur als vierte Säule bleibt das Projekt Nachhaltigkeit ein Fragment und seine Vermittlung hinein in die Welt der Kultur- und Architekturschaffenden eine nicht lösbare Aufgabe. Alles, was nur aus Vernunft, ohne Begeisterung, ohne Anmut und – sagen wir es ruhig – ohne Schönheit geschieht, wird sich schwer oder gar nicht durchsetzen. Im „wirklichen Leben“ zählen Emotionen mehr als Vernunft. Design sticht Ökologie, die Form den Inhalt. Die Alternative „Nachhaltigkeit oder Ästhetik“ ist absurd, ahistorisch und fantasielos.

Es ist ein monströses Missverständnis, wenn von Kritikern der Nachhaltigkeit die vorzüglichsten Beispiele eines nachhaltigen Bauens gegen die Nachhaltigkeit selbst ins Feld geführt werden. Stephansdom, Burgtheater, Semperdepot, Looshaus – diese Ikonen unserer Baukunst sind allesamt auch Dokumente der Nachhaltigkeit. Ich verdächige den Stephansdom, Österreichs nachhaltigstes Bauwerk zu sein. Seine kulturelle Bedeutung und künstlerische Qualität bedürfen keiner weiteren Legitimation. Seine ökonomischen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsaspekte sind eine reine Draufgabe (ein ökonomischer Dauergewinn, ein sozialer Brennpunkt von phänomenaler Langlebigkeit und Symbolkraft, bestens öffentlich angebunden, ökologisch unbedenklich – von welchem Bauwerk wäre das noch zu sagen?).

Am Beispiel von vier Schwerpunktthemen will ich auf Szenarien und erforderliche Schritte eingehen:

1. Siedlungsmodelle. Unsere viel kritisierten ländlichen und stadtperiphären Siedlungskonzepte und Wohnmodelle stehen vor ihrem definitiven Ende. Es ist noch ungewiss, ob aufgrund rapid steigender Energiekosten, wegen erschöpfter Gemeindebudgets oder aufgrund ausgenüchterter Träume der betroffenen Bewohner. Diese finden sich zunehmend in Altersghettos wieder, in sozial und funktional verarmten Siedlungen ohne räumlichen und künstlerischen Wert. Die funktionale Lebensdauer der einst maßgeschneiderten Häuser ist am Ende, die ästhetischen Leitbilder haben sich aufgebraucht. Der in Folge eintretende monetäre Wertverfall und das damit verlorene Erbe sorgen für den Rest. Ich prophezeie gewaltige Einfamilienhausbrachen und Leerstände in zehn, 20 Jahren.

Die Konsequenzen werden tiefgreifend sein (müssen). So einfach sie auf der Ebene der Entwicklung neuer Wohnmodelle sind, so schwierig wird sich die Überwindung der mentalen Hürden erweisen. Zu sehr ist diese Wohn- und Lebensform in unserem kollektiven Bewusstsein verankert. Der Weg wird nur über die Realisierung attraktiver Alternativen gangbar. Diese müssen auch die unbestreitbaren Vorteile des Einfamilienhauses an Privatheit, Freiraumnutzung und Lagerflächen einbeziehen. Das wird öffentliche Mittel brauchen. Ein sukzessives Zurückfahren der bisherigen Finanzierungs- und Fördermodelle wird die Folge sein.

2. Lebenszykluskosten. Bis vor Kurzem zählte die Wirtschaft nur die Bauerrichtungskosten. Nur langsam ändert sich die diesbezügliche Mentalität. Für eine ehrliche Betrachtung aller Lebenszykluskosten brauchen wir nachvollziehbare und verbindliche Rechenmodelle, welche die fortgesetzten Betriebskosten und endlich auch die Entsorgungskosten einschließen. Eine derartige ökonomische Gesamtbilanz würde das Bauen tiefgreifend ändern, neue Konzepte und Innovationen forcieren.

3. Innovationsbedingungen. Für vieles, was wir in den vergangenen Jahrzehnten gefordert und entwickelt haben, wurden wir belacht. Manche heutige Neuentwicklung übertrifft selbst meine ursprüngliche Erwartung. Wir wissen beispielsweise Häuser zu bauen, die mehr Energie produzieren als sie brauchen. Wir können ohne Zuhilfenahme von Fremdenergie weltweit und in allen Klimazonen angenehme Klimaräume schaffen. Das Passivhaus ist die größte haustechnische Innovation der vergangenen 100 Jahre. Das Thema Nachhaltigkeit hat im Verein mit den Möglichkeiten der Digitalisierung das Zeug, zum bedeutendsten Innovationsimpuls für Architektur und Bauindustrie, ja der Wirtschaft insgesamt zu werden.

Das zukünftige Haus wird ein intelligentes Haus sein, reaktionsfähig gegenüber äußeren und inneren Einflüssen. Die strenge Trennung in Büro-, Verwaltungs- und Wohnbau wird sich lockern. Und am Ende seiner Lauf- und Lebenszeit werden wir nicht vor einem Haufen Sondermüll stehen (der in den Häusern zwischengelagert war). Derartige Entwicklungen müssen nur gewollt und beauftragt werden. Hier liegt eine Chance für die Industrie und die Unternehmen – und für die Politik ein Auftrag, mit mehr Zuversicht und Engagement Rahmenbedingungen zu schaffen.

4. Kultur. Der Österreichische Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit, für dessen Ausrichtung ich hauptverantwortlich bin, wurde vom Umweltminister 2010 zum zweiten Mal vergeben. Nur Projekte, die den Kriterien klassischer architektonischer Qualitäten entsprechen und den Anforderungen der Nachhaltigkeit, haben eine Chance auf den Preis. Insofern ist dieser Preis auch eine Architekturauszeichnung, als er den Maßstäben der wichtigsten österreichischen Architekturpreise gerecht wird. Es kann und darf nicht sein, dass Nachhaltigkeit gegen Architektur ausgespielt wird oder umgekehrt. Diese fruchtlose Konfrontation haben wir lange genug erlebt. Insofern versteht sich dieser Staatspreis auch als Versöhnungsinitiative zwischen Ökologie und Kultur.

Die wirklichen Widerstände, egal ob sie gegen Kultur oder Nachhaltigkeit gerichtet sind, erwachsen seit je der Ignoranz, Trägheit, der Fantasie- und Mutlosigkeit, geistiger Unbeweglichkeit, vor allem der alles beherrschenden Klienten- und Interessenpolitik. Die Bruchstücke einer neuen Baukultur liegen längst vor uns. Sie sind noch zu einem ganzen Bild zu fügen. Das Ergebnis wird faszinierend sein und dem Wortunfall „Nachhaltigkeit“ spotten.

Spectrum, Sa., 2010.11.06

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Bauwerke

Presseschau 12

02. Februar 2021Roland Gnaiger
Spectrum

Bodenhaftung verloren? Über unseren Verlust an Realitätssinn

Wer sich selbst fremd bleibt, ist offen für fremde Führung. Das wirkt sich fatal auf Individuum und Gemeinschaft aus – und auf die Demokratie. Über verlorene Bodenhaftung, ungekochte Nudeln, alte Obstbaumalleen – und was all das mit dem Zustand von Land und Landschaft zu tun hat.

Wer sich selbst fremd bleibt, ist offen für fremde Führung. Das wirkt sich fatal auf Individuum und Gemeinschaft aus – und auf die Demokratie. Über verlorene Bodenhaftung, ungekochte Nudeln, alte Obstbaumalleen – und was all das mit dem Zustand von Land und Landschaft zu tun hat.

Ein Südtiroler Apfelbauer hat mir unlängst sein Leid geklagt. Derzeit erlöse er nur noch zehn bis 17 Cent für ein Kilo Golden Delicious. Sie wissen, dass wir für ein Kilo Äpfel bis zum 25-Fachen bezahlen? Wo bleiben die Gewinne? Denn selbst ihre schäbigen Prozente haben die Bauern mit Düngemittel- und Maschinenproduzenten zu teilen. Der Handel forciert gewisse Sorten, und wenn sich deren Hype verbraucht, beginnt in Südtirol der Kahlschlag. Riesige Plantagen werden gerodet, um eine neue Sorte anzubauen. So wie man in Vorarlberg nur noch auf Grünland trifft, begleiten einen in Kärnten entlang der Drau nur noch Maisplantagen, und über den wenigen Wiesen stockt die Luft vom Schweinemist.

Monokulturen sind allgegenwärtig, und je weiter die Produktionsverhältnisse unserem Blickfeld entrücken, umso brutaler ist ihr Vergehen an Mensch und Natur. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Zeit der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft weitgehend vorbei; die Arbeitsteilung war so weit vorangeschritten, dass dem Welthandel der Boden bereitet war. Ausbeutung ist als Begriff in der Landwirtschaft zwar nie angekommen, als System entzieht sie aber nicht mehr dem einzelnen Landwirt, sondern dem gesamten Stand die Existenz. Damit erliegt eine jahrtausendealte Kreislaufwirtschaft, verkümmert die Artenvielfalt, weiten sich Abhängigkeiten und Monokulturen aus und wird der Landbau zu einem Hauptverursacher von Umweltschäden und Klimawandel, zum Auslöser des fatalen Attraktivitätsverlusts eines Lebens auf dem Land und letztlich zu einer globalen Bedrohung unser aller Existenz. Heute sind Land und Landschaft Gestalt gewordene Ignoranz gegenüber ökologischen Zusammenhängen im Zusammenspiel mit ästhetischer Fühllosigkeit, das Ergebnis wirtschaftlicher Gier und verlorener Liebe zur Schöpfung.

Was sich 1783 ein in den Alterssitz weichender Bauer im salzburgischen Flachgau zur alljährlichen Unterhaltssicherung vom Hofübernehmer ausbedungen hat, lässt auf die einstmalige Bedeutung und das Bild des Landes schließen: „Drei Metzen Waiz, zwölf Metzen Korn, zwei Mäßl Bohnen, zwei Mäßl Hirse, drei Pfund wohlgeläutertes Schmalz, im Sommer täglich ein Viertel kuhwarme Milch, wöchentlich sechs Eier, im Winter ein Kändel Milch und drei Eier, dann den Bedarf an Kraut, Rüben, Salz, Schotten und Licht und auch den vierten Teil vom Obst.“ Je nach Region kamen Kartoffeln, Tees, Kräuter, Honig, Säfte, Most oder Wein und Schnäpse dazu.

Vier Tiergattungen, deren Produkte und Verwertung, verschiedenste Getreidearten, Gemüse- und Obstsorten, die Gewinnung von Brenn- und Bauholz, die Formen der Lagerung und Konservierung haben die ländliche Wirtschaftsweise und den Tageslauf bestimmt, die Zyklen und Rhythmen des Lebens und das Bild des Landes. Die ästhetische Dimension solcher Verhältnisse prägte die Gestalt der Landschaft und der Dörfer. Deren Vielfalt und Schönheit folgten nicht ästhetischen Konzepten. Kaum je in unserer Geschichte – und wenn, dann nur im Umfeld der Kunst, und auch in dieser selten erfolgreich – blieben Schönheit und Nutzen unverbunden. Unzählige Alleen, die einst die Gebiete der österreichisch-ungarischen Monarchie durchzogen, gehen auf Joseph II. zurück. Er verfügte, dass zur Marschverpflegung seiner Heere entlang von Landstraßen Obstbäume zu pflanzen sind.

Regelmäßig schlenderte ich als Kind durch die Birnbaumallee, die das Haus meiner Großeltern mit dem Dorfzentrum verband. Sie wurde mir zur Lehrmeisterin von Raum und Poesie. Gründete ihre Schönheit gar auf einem militärstrategischen Motiv?

Der einstige Generalstabschef Othmar Commenda benannte als ranghöchster Verteidiger Österreichs in seinen Vorträgen wiederholt den mangelnden Selbstversorgungsgrad als unser größtes Sicherheitsrisiko. Während beispielsweise Vorarlberg bei Milch und Käse weit überversorgt ist, werden nur sieben Prozent des Bedarfs an Gemüse und ein Prozent des konsumierten Getreides im Lande produziert. Auch wenn diese Verhältnisse in anderen Teilen Österreichs weniger krass sind, im Falle eines versiegenden Treibstoffnachschubs wären die Unterschiede angesichts fehlenden Handgeräts und mangelnden Know-hows gering.

Wieso bleibt dieser Sachverhalt in allen politischen Debatten ausgespart? Wieso wird angesichts des gesellschaftlich prioritären Bedürfnisses nach Sicherheit das von Kriminellen, Terroristen und Asylwerbern angeblich so gefährdete Eigentum und Leben als einzige Sicherheitsbedrohung suggeriert – selbst in den von Kriminalität am wenigsten betroffenen Regionen der Welt? Wieso stellen wir keine Verbindung her zwischen einer labilen Weltlage und dem Landbau als Sicherung unserer elementarsten Lebensgrundlage? Bedürfen wir der Autorität eines Generals – oder müsste nicht ein wenig politische Bildung, ein Restbestand historischen Wissens ausreichen, um die diesbezüglichen Zusammenhänge zu verstehen?

Eigentlich meine ich, ein Blick ins Land sollte genügen. Aber ohne Liebe scheint biologisches Wissen vergebens, und ohne Begeisterung bleibt ästhetische Erziehung folgenlos. Ich fürchte, das Wesentlichste lernen wir in der Schule nicht. Zumeist bleiben die Inhalte formaler Bildung abstrakt, zu selten verknüpfen sie uns mit der konkreten Welt.

Wäre es möglich, dass unsere Fremdheit gegenüber dem Land und seiner existenzsichernden Dimension mit etwas Größerem zu tun hat? Mit mangelnder Realitätswahrnehmung, mit fehlender „Bodenhaftung“, mit Ausweichmanövern vor dem „mit der Hand zu Greifenden“?

Könnte Elias Canetti diese Wirklichkeitsverdrängung gemeint haben, als er formulierte: „Zu den unheimlichsten Phänomenen menschlicher Geistesgeschichte gehört das Ausweichen vor dem Konkreten. Es besteht eine auffallende Tendenz, erst auf das Fernste loszugehen und alles zu übersehen, woran man sich in nächster Nähe unaufhörlich stößt. Die Situation der Menschheit heute, wie wir alle wissen, ist so ernst, dass wir uns dem Allernächsten und Konkretesten zuwenden müssen.“

Vor etwa 25 Jahren besuchte uns ein befreundetes Ehepaar inklusive Schwester beziehungsweise Schwägerin – eine US-amerikanische Ernährungsberaterin. Deren Aufgabe bestand in der Unterstützung junger Mütter bei der Versorgung ihrer Babys. Ihre Schilderungen haben mich sensibilisiert für einen bestürzenden Sachverhalt: Sie erzählte von Klientinnen, die ihren Babys steinharte, in Öl angeröstete Nudeln kredenzen, weil sie nicht wissen, dass Nudeln gekocht werden müssen. Die Grundform dieser Realitätsferne und Weltfremdheit ist die Unverbundenheit mit sich und der Welt, mit Orten, Bedingungen und Situationen, und ein mangelndes Wahrnehmen der eigenen Empfindung.

Als Architekt sind mir Menschen begegnet, die erst nach Bezug ihrer neuen Wohnung festgestellt haben, dass im Norden keine Sonne scheint. Als vor Jahren Übereckbadewannen hoch im Kurs standen, erzählte mir ein Wohnungsverkäufer, eine dieser Wannen im Verkaufsplan erspare ihm nervende Fragen und Diskussionen – wohl zu jenen Themen, die den Kern des Wohnens berühren. Dieses Nicht-bei-sich- und Nicht-bei-der-Sache-Sein, die Fremdheit gegenüber konkreten Situationen und Verhältnissen ist kein schichtspezifisches Phänomen, auch kein Ausdruck fehlender formaler Bildung. Nicht selten habe ich im akademischen Umfeld der geerdeten Intelligenz mancher Handwerker gedacht. Eine Studentin erzählte mir von ihrem Professor, einem hoch dekorierten Juristen und Inhaber eines renommierten Lehrstuhls. Dieser trug immer ein Thermometer bei sich, und dieses Messgerät befand über das Maß seiner Bekleidung, selbst im Hörsaal befahl es: Sakko aus! Oder: Sakko an!

Warum, wäre zu fragen, erscheint inmitten eines explizit philosophischen Traktats folgende Feststellung: „Bewegt man sich, so friert man nicht; verhält man sich ruhig, macht einem die Hitze nicht zu schaffen.“ Seit 2600 Jahren ist das zu lesen und wurde gemäß der Legende von Lao Tse formuliert.

Dass unser Temperaturempfinden auch von der Luftbewegung oder der Oberflächentemperatur der Umgebungswände, von Zugluft und Strahlungsenergie abhängt, muss man nicht wissen, würde man jedoch, hätte der Physikunterricht eine Verbindung zu unserem täglichen Leben hergestellt. Freilich: Dass unser Maß an Schlaf oder Bewegung über unseren Wärmehaushalt mitentscheidet, sollte die Erfahrung lehren. Aber was zählt schon eigene Erfahrung, wenn der Blick auf ein Messinstrument oder die Mode körperliche Empfindung ersetzen und man wärmegestresst die Fenster aufreißt, selbst wenn es draußen um sechs Grad heißer ist? Irritiert müssen wir feststellen, dass Selbstwahrnehmung zu den aussterbenden Gütern zählt und Fachkompetenz nicht zu Selbst- und Weltverhältnis führt.

Es fehlt uns an Verbundenheit mit dem Konkreten und Nächstliegenden. Es mangelt uns am Verstehen, aus dem Verständnis wächst. Wir leiden an unterentwickelter emotionaler Kompetenz und Empathie – auch der sogenannten Eliten. Sinneseindrücke hinterlassen keine Eindrücke, Emotionen wabern unbeachtet durch unseren Empfindungsraum, auf kulturelle und religiöse Traditionen gestützt, fristet unser Körper ein Dasein unter der Wahrnehmungsgrenze. Vor die konkrete Welt wurde die vorgestellte Welt gestellt.

Vor 20 Jahren plakatierte McDonald's großflächig und quer durch den süddeutschen Raum: „Butterbrot ist tot.“ Und in eindrücklicher Hellsichtigkeit ließ Luigi Pirandello bereits vor mehr als 80 Jahren in seinem Stück „Die Riesen vom Berge“ den Zauberer Cotrone sagen: „Zwar fehlt es uns am Nötigsten, aber von allem Überflüssigen haben wir mehr als genug.“

Die Mode hat Entfremdung zur Marke gemacht, und die Werbung hat sie zur Stilform erhoben. Und beide lassen uns unablässig wissen, dass wir nicht genügen. Als primäre Triebkraft des Wachstums höchstinstanzlich legitimiert, hebeln die psychologische Gerissenheit der Werbung und ihre dreiste Verheißung unser ganzes Bildungswesen aus. Erklärt sich daraus die erstaunliche Karriere der Wörter „hier“ und „jetzt“? Geht es dabei doch gerade darum, den Kontakt mit dem Augenblick und dem Ort, die Bewusstheit für Raum und Zeit zurückzugewinnen. Was sich aus östlicher Tradition ableitet, können wir aber durchaus mit uns kulturell vertrauteren Begriffen benennen: „Innehalten“ etwa.

Mein Freund C. T. liebt es, eine Begegnung mit der Frage zu eröffnen: „Was ist gerade in dir lebendig?“ Er erzählt mir, dass diese Nachfrage den Menschen als Zumutung erscheint, dass sie darauf verstört oder verärgert reagieren. Ist es ungehörig, ernsthaftes Interesse am Befinden des Gegenübers zu bekunden? Ist deshalb ein interessiertes „Wie geht es dir?“ im schnellen „Wie geht's?“ zu einer Phrase verkommen, von der sich niemand mehr wirklich angesprochen fühlt? Wir scheinen es vorzuziehen, von unserem Befinden gesteuert zu werden, statt bewusst zu ihm vorzudringen.

Den Prototypus verflachten Innenlebens und eines sich selbst fremd gewordenen Menschen hat Stefan Zweig in der Figur des Barons Friedrich Michael von R. geschaffen, der bei sich bemerkt: „Ich sagte es ja schon, dass ich auch Dinge, die mich selbst betrafen, mit Gleichgültigkeit hinnahm. Auch zum Leiden hatte ich nicht mehr genug Gefühl. Es genügte mir, dass dieser seelische Defekt außen so wenig wahrnehmbar war, und sosehr ich mich auch anstrengte, etwas zu fühlen, ja mich mit Verstandesgründen zu Gefühlen überreden wollte, es kam keine Antwort aus jener inneren Starre zurück.“

Oft erstaunt mich, mit welcher Ausdauer sich mancher Intellektuelle an ohnehin jederzeit ersetzbaren Mächtigen, Verführern und Manipulatoren in Politik und Wirtschaft abarbeitet, an deren moralischer Halt- und Orientierungslosigkeit, ohne das grundlegendere Dilemma zu benennen.

Von mangelnder Anteilnahme sind auch die Struktur und das Bild unserer Städte und Dörfer geschunden. Wie wäre anders erklärbar, dass niemand schreit angesichts einer Hässlichkeit, zu der sich in unserer Geschichte kein Vergleich finden lässt? Monoton, fantasie- und endlos gleich ist die effizienzgetrimmte Stadtgestalt jedem Einklang mit Menschen überdrüssig. Sie lässt keinen Ort, kein Dorf und erst recht keine Stadt entstehen und gibt keiner Begegnung oder Gemeinschaft Struktur und Zuhause. Im Sog des Marktes hat sich der Landbau von seiner Tradition verabschiedet, tatkräftig unterstützt auch von Bauern, ihren Beratern und Vertretern. Ohne Respekt und Sinn für die Kultur der Land- und Bodenpflege, befreit vom Blick auf die Folgen des eigenen Tuns, ohne Perspektive und Vision und ohne Mitgefühl gegenüber dem unermesslichen Leid in den Tierfabriken, hat der älteste und elementarste Wirtschaftszweig seine Bestimmung pervertiert.

Und doch, auch wenn mich über Jahre die Frage sorgte, wie meine Studierenden, ohne dem historischen Modell ländlicher Lebens- und Wirtschaftsweise persönlich je begegnet zu sein, neu eine nachhaltige Architektur und Lebensweise entwickeln können: Heute gärtnern viele von ihnen – selbst in beengten und urbanen Räumen –, sie bauen selbst an ihrem Zuhause und verweigern sich dem verordneten Leistungszwang. Das sinnliche, körperlich konkrete Tun und Erfahren erlebt Zuspruch. Landwirte und Handwerker erzählen mir von Studierenden und Akademikern, die sich um Praxisplätze bewerben. Selbst Hofübernahmen bleiben nicht mehr am Letzten hängen, zunehmend interessieren sich die am besten Ausgebildeten dafür. Und ebenso nimmt die Zahl der Bäuerinnen und Bauern zu, deren Eigenversorgung zum Auftakt ihrer wachsenden Produktpalette wird.

Während der vielen Jahre meiner regelmäßigen Zugreisen fiel manche Fahrt auf einen Samstagvormittag – die verlässlich ruhigste Reisezeit der Woche. Häufig teilte ich einen Großraumwaggon mit nur drei oder vier Mitreisenden. Dabei beobachtete ich wiederholt, wie neu Zugestiegene hundert freie, bessere Plätze, fußfrei und mit Tisch, ignorierten, um, programmiert und fremdgesteuert von ihrer Platzreservierung, den schlechtesten Platz zu wählen – hinein in eine enge Zeile, vor die Fensterkonsole und mit dem Rücken zur Fahrtrichtung!

Wenn der Kontakt zur Situation und zu sich selbst fehlt, finden weder die Umstände eines Orts noch die eigenen Bedürfnisse zu ihrem Recht, weder die inneren noch die äußeren Bedingungen. Wer sich aber selbst fremd bleibt, wird fremdbestimmt, ist offen für Verführung und fremde Führung. Das wirkt sich fatal auf Individuum und Gemeinschaft aus – und auf die Demokratie, denn was diese legitimiert und mit Leben füllt, sind Weltzugewandtheit, Anteilnahme und die Urteilsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger. Es sind diese Ferne zu den Dingen und unsere Fühllosigkeit, die uns stumm bleiben lassen vor dem Rückzug der Demokratie, der Verrohung der Sprache und dem Monogrün unserer sogenannten Wiesen, die uns untätig sein lassen angesichts der unfassbaren Banalisierung der städtischen Peripherien, des Insekten- und Vogelschwunds und des maßlosen Leids in Flüchtlingslagern. Es gibt eine Daseinsform, die keine Rückkoppelung mit der Welt kennt, weder mit der persönlichen Geschichte noch mit der kollektiven. Psychologisch würde eine Existenz ohne wechselhafte Bezüge zur sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Wirklichkeit wohl als Autismus diagnostiziert oder als Narzissmus – deren Beschaffenheit uns seit ihrer amerikanischen Personifizierung so drastisch vor Augen steht. In dieser Weise programmiert, wird die äußere Welt zum schändlichen Abbild der inneren. Schon bei Hugo von Hofmannsthal ist zu lesen: „Es ist den Menschen im Allgemeinen nicht gegeben, zu sehen, was ist.“

Kaum treffender sind die Verhältnisse zu charakterisieren als mit dem vom 27. Februar 2014 aus Moskau überlieferten Geschehen: Nachdem sich nicht mehr hatte geheim halten lassen, dass das Parlament der Krim gewaltsam besetzt worden war, stand die Frage im Raum: Gibt es Krieg? Unsicherheit und Angst waren zum Greifen, Hotelgäste wurden aufgefordert, die weitere Entwicklung im Haus abzuwarten. Ungläubig und verzweifelt war deren Reaktion: „Heißt das, wir können nicht shoppen gehen?“

Eingenommen von der eigenen Unersättlichkeit und der des Marktes, im Hinterhalt der Werbung brainwashed, verloren in virtuellen Welten, gebannt von der Sorge um die eigene Existenz, vom Kompensationsbedürfnis erlebter Bedeutungslosigkeit getrieben, aufgelöst im Sog großer Ideen, in Ideologien verrannt und von Vorurteilen konditioniert, bedrängt von Zielen und Ansprüchen, im Fluchtreflex vor den misslichen Seiten des Lebens verheddert, wirr von medialer Dauerbeflutung, vom Hass gegen fremdes Sein verzehrt, von fremden Imponiergesten eingeschüchtert, außer Atem gesetzt vom eigenen Stress, von Ehrgeiz gejagt, gezerrt vom Hang und Zwang zur Weltverbesserung, vom Aufmerksamkeitsgeheische ermüdet, angestiftet von der Emotionalisierungswut des Boulevards, im Füllen innerer Leere ausgebrannt, abgetaucht in der Permanentunterhaltung, besessen von Verschwörungsfantasien, vom eigenen Erfolg betört oder gelähmt von der Angst, auf der Strecke zu bleiben, geblendet von vermeintlicher oder echter Bedeutung, und beherrscht vom ewigen „nicht genug“.

In der Gefangenschaft unserer persönlichen Konditionierung sind wir von uns selbst und von der Welt getrennt, von der Tiefe und Breite der Empfindungen, die das Leben intensiv machen und reich. Ich spreche nicht von „den anderen“, sondern von dem eigenen Erleben. Eine meiner Fallen liegt in einer Aufmerksamkeit, die mir meist zwei oder drei Schritte vorauseilt und sich nur widerstrebend einfangen lässt. Ich war acht Jahre alt, als unser Lehrer, Herr Schneider, ab Dreikönig allmorgendlich die sich ändernde Uhrzeit, zu der die Morgensonne über dem Pfänder aufblitzte, an den linken Rand der Tafel schrieb. Diese stattliche, nüchterne Zahlenreihe ist noch heute von Begeisterung und meinem Staunen derart geladen, dass sie sich als Bild von Wandel und Verbundenheit tief und warm in meine Erinnerung grub.

Im Lichtkegel unserer Aufmerksamkeit wachsen Verantwortung und Verstehen. Sorgfältige Hinwendung und absichtsloses Wohlwollen lassen Leben erblühen: Seelen, Kinder, Gärten und die Welt.

Spectrum, Di., 2021.02.02

15. Februar 2020Roland Gnaiger
Spectrum

Her mit der Schönheit!

Gab es einst nicht schöne Scheunen? Was wäre, wenn wir der Schallschutzwand, der Busgarage und dem Lagerhaus dieselbe Sorgfalt widmeten wie dem Schauspielhaus? Ein Aufruf zu mehr Schönheit im Leben und im Alltag.

Gab es einst nicht schöne Scheunen? Was wäre, wenn wir der Schallschutzwand, der Busgarage und dem Lagerhaus dieselbe Sorgfalt widmeten wie dem Schauspielhaus? Ein Aufruf zu mehr Schönheit im Leben und im Alltag.

Als er sich endlich bewegte,
blitzte hinter den weit entfernten Gebirgsketten die Sonne hervor
und übergoss die Gipfel mit ihrem Licht, so weich und schön,
dass er hätte lachen können vor reinem Glück.
Robert Seethaler

Schönheit will gefühlt, nicht verstanden werden. Ich nähre mich von Schönem. Es inspiriert meine Arbeit, überlistet mein mangelhaftes Gedächtnis, hegt meinen Gleichmut und lichtet meine Gestimmtheit. Eine vor vierzig Jahren auf Kreta gesehene Vase ist in mir lebendig, als hätte ich sie gestern gesehen, laufe ich an einem liebevoll gepflegten Garten entlang, wird mein Schritt leicht und beschwingt. Trete ich am Ende eines aufreibenden Tages vor mein Haus, um in den sternenklaren Himmel zu sehen, beruhigt und erhellt sich mein Gemüt. Dabei sind mein kunsthistorisches und mein biologisches Wissen dürftig und endet mein astronomisches Verständnis bei „unvorstellbar weit und alt“. Schönheit verändert mich: Im Hof von Haus R oder unter der Kuppel von B breitet sich in mir eine freudvolle Erregung aus. Taucht das einmalige Licht eines jener goldenen Herbsttage die Wälder und Abhänge in diese unvergleichliche Buntheit, dann werden die Grenzen zwischen mir und der Welt durchlässig und unbestimmbar. Schaffe ich bei einem Entwurf den „Durchbruch“, dann senkt mich Beglücktheit in den Sessel.

Botho Strauß kommt mit seiner Feststellung „Das Hässliche ist erklärbar, das Schöne nicht“ der Sache schon sehr nahe. Je näher man der Schönheit mit Begriffen tritt, umso entschiedener weicht sie zurück. Wir alle kennen sie als Erfahrung, aber Erklärungen scheint sie zu fliehen. Überraschen muss das nicht. Ob in der Musik, im Blick auf eine Blume, im Öffnen eines Buches, beim Überqueren eines Platzes, dem Griff nach einem Apfel, am Ende eines Gesprächs, angesichts einer klug konstruierten Brücke, der Formulierung einer Mathematikformel oder eines erhellenden Gedankens – die Ereignisse, Anlässe, Auslöser und Formen unserer Schönheitserfahrung könnten verschiedener nicht sein. Es gibt schöne Dinge, Gedanken und Ereignisse, aber „die“ Schönheit gibt es nicht. Schönheit ist in ihrer Größe, Vielfalt und Vielschichtigkeit undefinierbar. Sie will erlebt und gefühlt, nicht verstanden werden. Darin gleicht sie der Freundschaft, der Liebe, der Kunst, der Intuition, der Weisheit und anderen großen Dingen.

Der Umstand, dass Schönheit undefinierbar ist, dass sie in unterschiedlichen Feldern anzutreffen ist und zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichsten Kleidern erscheint, dass sie individuell erlebt werden muss, Vermittlerdienste ablehnt und jeden Kanon flieht, dass sie sich nur zögerlich preisgibt und auch noch Ansprüche an unser Wahrnehmen stellt, bedeutet nicht, dass sie beliebig und nur subjektiv ist und auf billige Weise relativierbar wäre. Wir vermögen sehr wohl zu gewissen Fragen ihrer Qualität ein hohes Maß an Einigkeit zu erzielen, auch Übereinstimmungen, die Zeiten überdauern.

Doch selbst ohne Aussicht, über Schönheit etwas unverrückbar Gültiges zu sagen – die Befassung mit Schönheit ist weit mehr als eine geistige Überlebensfrage. Als solche bedarf sie im Angesicht einer überbordenden, allgegenwärtigen Hässlichkeit und einer bedrohten Welt eines neuen Impulses.

Der Verrat an der Schönheit. Es scheint Kulturen und Epochen gegeben zu haben, in denen Schönheit den Erzeugnissen und Äußerungen des Alltags auf eine Weise immanent war, dass sie keiner ausdrücklichen Erörterung bedurfte. Spätestens mit der Antike lässt sich ein dezidiertes Nachdenken über das Schöne, sein Wesen, seine Voraussetzungen und Wirkungen verfolgen. An welcher Stelle sich diese Reflexion verläuft, ist weniger wichtig als der Umstand, dass sich Schönheit als Anliegen, Berufung und Bildungsauftrag bis heute verflüchtigt hat. Selbst Bildungsinstitutionen waren daran beteiligt, die ästhetische Schulung und ein reflektierendes Sensorium für Schönes ins Abseits zu drängen.

Noch in meiner Kindheit zählte neben dem Inhalt die „äußere Form der Arbeit“ zu den Beurteilungskriterien einer Schularbeit. Ob diese Formulierung glücklich war, sei dahingestellt. Immerhin, sie belegt eine themenaffine Ausrichtung und Haltung. Irgendwann ist „Schönschreiben“ zum Unwort geworden, und so hat auch die Sache selbst abgedankt. Das Wesen der Formgebung: hinwenden, eindringen, Ordnungen und Beziehungen herstellen und in die Wirklichkeit transformieren verlor an Bedeutung. Schritt um Schritt kam dem Prozess der Herstellung jene Aufmerksamkeit abhanden, die im selben Maß die Resultate gewannen.

Der Bedeutungsverlust des Schönen hinterließ kein Vakuum, sondern ein Diktat von Form und Schönheit. Mit kräftiger Unterstützung der Werbewirtschaft und einer nie gekannten medialen Macht haben sich Konsumtreiber der Definitionsgewalt bemächtigt: „Schön ist, was makellos, glatt, schlank und vor allem jung ist!“ Diese „Schönheit“ verpflichtet uns auf das Perfekte, Dynamische und ewig Jugendliche. Gehalt- und Bedeutungsverlust kompensiert sie mit Lautem, Schrillem und Exaltiertem, mit sündhaft Teurem und kultisch Überhöhtem oder, dem Wechsel zuliebe, mit Schäbigem, Lumpigem und Ausgefranstem. Erheischte Aufmerksamkeit und Kurzlebigkeit sind die bestimmenden Konstanten einer solcherart deklarierten „Schönheit“. Auch in Moderne und Vormoderne hat es postulierte Stile und Schönheitsideale gegeben, immerhin haben deren Vertreter (mitunter mit quasireligiösem Eifer) selbst an diese geglaubt. Heute glaubt und folgt nur der verführte, anhaltend um echte Erfahrungen betrogene Konsument.

Mode ist der postmoderne Maßstab. Nichts ist ihr dienlicher als Orientierungslosigkeit und die um Verwirrung bemühte Schlagzahl des fortwährend Neuen. Gründlich von den Gesetzen des Visuellen dominiert, wird die Welt gemäß diesen Verhältnissen durchdesignt. Die solcherart herbeibeschworene „Schönheit“ erhebt den Anspruch, eine universelle Schönheit zu sein, eine global gültige, eine, die sich nicht um Umstände und Bedingungen und um keine sozialen, kulturellen und geschichtlichen Verhältnisse zu kümmern hat, die befreit ist von Inhalten, Verantwortung und Verpflichtung.

Schönheit ist kein Kriterium der Kunst, sondern des Lebens. Hat Schönheit eine Vertretung, eine Lobby? Wessen Anliegen sollte Schönheit sein? Wer ist ihr verpflichtet? Wer ist es, der ihr seine Stimme leiht?

Wann immer sich eine Veranstaltung oder ein Medium der Schönheit widmet – somit selten genug –, lädt man Künstler oder Theoretiker der Kunst zu Wort. Meist mit dem Ergebnis, dass sie keinen Unterschied machen zwischen ihrer Kunst und unser aller Leben. Welch ein Missverständnis! Auch wenn mancher Schöngeist sich das so wünscht: Die Kunst ist nicht die Repräsentantin der Schönheit. Man stelle sich Shakespeare vor oder die altgriechische Tragödie ohne Verleumdung, ohne hässliche Bosheit und abscheulichen Mord. Oder einen Kubin ohne Düsternis, einen Hieronymus Bosch ohne seine Fratzen. Der Kunst gehört das gesamte Spektrum der Ausdrucksmittel. Das heißt nicht, dass Kunst nicht Schönes schaffen dürfe und in vielen Fällen auch tut. Doch nicht die Kunst ist der Schönheit verpflichtet, sondern der Alltag. Die Verantwortung für Schönheit an die Kunst zu delegieren wäre so, als würden wir die Zuständigkeit für Ethik bei den Vertretern der Kirche belassen. In der Gestaltung unseres Lebensumfelds ist Hässlichkeit kein Ausdrucksmittel, sondern Ausdruck mangelnder Verbundenheit mit der Welt, von Unvermögen und Versagen oder Ignoranz.

Die Verantwortung für Schönes muss in die Hände von Baumeistern und Bauherren gelegt werden. Die Tapezierer, die Schreiner und Schlosser, die Kleidermacher, auch die Bäcker, die Grafiker, alle Möbelbauer und Raumgestalter, die Haushälter . . ., natürlich die Möbelhäuser und Baumärkte auch, alle sind wir der Kultur und der Schönheit verpflichtet. Für Schönheit sind Architekten, Städte- und Straßenbauer, die Kommunalpolitiker, auch die Gärtner und die Wirte verantwortlich. Stellen Sie sich Landwirte nicht als Wüteriche gegen das Schöne vor, Bauern, die nicht jeden Hain, jeden Baum und Strauch, jedes Blühen einer Hecke ihrer monogrünen Wüste opfern, die sich vom Druck befreien, jeden Bach zu begradigen, jede Mulde einzuebnen und jeden Weg zu planieren. Denken Sie an Landgestalter, die unsere Sehnsucht nach bunten Wiesen nicht ins Gebirge – und bei der Zuständigkeit für blühende Bäume und Sträucher nicht an die Städte verweisen.

Wie wäre es, wenn Investoren, wenn auch alle Reichen zu Wortführern des Schönen würden, wenn sie nur noch schüfen, was wieder Sinn, Wert und Dauer verspricht? Gab es einst nicht schöne Scheunen? Was wäre, wenn wir der Schallschutzwand, der Busgarage und dem Lagerhaus dieselbe Sorgfalt widmeten wie dem Schauspielhaus? Schönheit jenseits von Kunstsinn, Luxus und Reichtum! Statt zur Kunst gehört die Schönheit der Lebenskunst, sie gehört in den Alltag und in unser Leben.

Das Schöne ist Frucht, nicht Ziel unserer Arbeit. Vor zwanzig Jahren habe ich formuliert: „Kunst ist besser das Ergebnis der Arbeit als der Anfang der Diskussion.“ Daran hat sich nichts geändert, und doch würde ich heute sagen: Das Schöne ist besser die Frucht als das Ziel unserer Arbeit. Denn die Geschichte warnt uns vor dem Erschlaffen im Formalismus, vor seinen Ausschweifungen und dem in Dekadenz und Wahn gekippten ästhetischen Exzess. Und wir wissen um eine Ästhetik, die sich der Abwesenheit alles Lebendigen verdankt.

Noch bleiben wir bei der Herstellung von Schönem und nicht bei ihrem Erleben. Schönheit als Ertrag menschlichen Tuns bedingt Arbeit, mitunter auch Anstrengung.

Der Verzicht auf Absicht und Ziel macht den Blick für die Prozesse und die Bedingungen frei, denen Schönheit allenfalls erwächst:
– der Fähigkeit zu Konzentration, Gründlichkeit und Ruhe;
– einer Sorgfalt, die mit der Liebe zum Detail verbunden ist;
– dem Zugang zum Zauber und der Schönheit, die im Tun selber liegt;
– genauem Fragen und einem Gehör für die den Fragen einwohnenden Antworten, gepaart mit einer wachen Aufmerksamkeit, dem Sensorium für die zarte und noch vage Spur einer Lösung;
– dem Gleichmut gegenüber dem Zweifel, einer unerschütterlichen, durch Leer- und Irrläufe, Hindernisse, Fehler und Rückschläge nicht zu entmutigenden Verfasstheit;
– einem von entfernten Themen und Problemen nicht restlos besetzten und beschwerten, somit einem der Konzentration fähigen Geist;
– einer von Vorurteilen freien Haltung, damit auch einem guten Verhältnis zwischen dem gesicherten Wissen und einer überraschend neuen Antwort;
– ausreichend Zeit, der Geduld und der Bereitschaft, etwas liegen zu lassen – um ein Thema erst nach Tagen, mitunter Wochen wieder aufzugreifen –, denn damit bekommt das Speicherbewusstsein den ihm gebührenden Raum und wachsen die Erfahrung und das Vertrauen, dass einem „die Lösung“ mitunter von selbst entgegentritt.

Doch ist all das noch nicht genug, denn ohne Übung, Erfahrung und Wissen werden weder die Intuition noch die Formintelligenz genährt und ertüchtigt: Ja, es gibt den schnellen Wurf und ein eruptives Erzeugen. Allerdings ist die ausdauernde Übung den mühelos und leicht hingeworfenen Skizzen Rembrandts, der japanischen Kalligrafie oder Picassos so schnellen wie genialen Pinselstrichen lange vorausgegangen. Unerschütterliches Urteil und Meisterschaft entspringen einem vielfach wiederholten Tun, einer substanziellen Ausrichtung und redlichen Absicht, der Vertrautheit mit dem Material (ob Holz, Sprache oder Nahrungsmittel), dem Wissen um dessen Charakter und dem intimen Verhältnis zum Werkzeug (ob Hobel, Küchenmesser oder Musikinstrument). Ebenso unabdingbar sind Kenntnis über Wandlungsprozesse durch Alterung und Gebrauch, das Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen der Herstellungsprozesse und bei Gegenständen der Handhabe das persönliche und konkrete Verhältnis zu deren Anwendung und Funktion.

Gestaltungsarbeit ist auch die Arbeit an den eigenen Motiven, Zielen, an der eigenen Philosophie, Moral und dem persönlichen Weltverständnis. Schönheit erwächst der Nähe und Verbindung mit den Dingen, sie „gehört“ den Genießern. Dort, wo unsere Interessen liegen, der Focus unserer Aufmerksamkeit und Begeisterung, dort liegt das Schöne am nächsten.

Schönheitserfahrung darf nicht zu romantisierten Rückschlüssen bezüglich des Entstehens schöner Dinge verführen. Ist die erlebte Schönheit auch ein Ausfluss des Gefühls, so entspringen schöne Dinge selten allein dem Gefühl, erst recht nicht dessen Überschwang. Zur Herstellung des Schönen gehört das schwebende, schweifende, assoziierende und empfangende Denken und strukturierte, analytische Gedanken. Intuition hilft dem Denken auf die Sprünge. Klar gefasste Gedanken und Fragestellungen nähren die Eingebung. Am Schluss gewinnt das gelungene, das „schöne“ Ergebnis Leichtigkeit und lässt die Aspekte, Schritte und die Mühen des Weges vergessen.

Schönheit ist nicht objektiv, darin liegt ihre Stärke. Wir vermögen den Dingen und Ereignissen nicht anders als über unsere individuellen Sinne zu begegnen. Egal, ob eine Stadt, ein Einkaufszentrum, eine Wanderung, ein Buch oder ein Musikstück, noch kaum je haben zwei Menschen ein und dieselbe Sache in derselben Weise erlebt. Schönheit ist subjektiv, weil wir sie ausschließlich als Subjekte wahrnehmen.

Wie beliebig unser Bewerten, wie konditioniert und fremdbestimmt oder ungetrübt und eigenständig hängt vom Grad unserer Bewusstheit und Bildung ab.

Auch in ästhetischen Fragen befindet Bildung über den Horizont unserer Wahrnehmung und das Niveau unserer Urteilsfähigkeit. Die echte ästhetische Bildung pflanzt nicht Überzeugungen und fremde Werte ein, sondern stellt Urteile in einen lebendigen Wechsel von Fühlen und Denken. Diese Bildung befreit unser Gesichtsfeld von eintrübenden, allzu persönlichen Befindlichkeiten, von verletzter oder geschmeichelter Eitelkeit, von Scham, Wut, von Hoffnungen, Ängsten und Erwartungen und dem allzeit verhängnisvollen Selbstwertmangel. Der Blick für das Schöne ist ein freigeräumter Blick.

Ästhetische Erziehung ist die Einübung in den vorurteilslosen zweiten Blick. Und sie ist die Aufforderung, dem Sehsinn nicht all unser Empfinden zu überlassen, sondern ihm das Tasten, das Hören, Schmecken und Riechen gleichberechtigt zuzugesellen. Gleich einem Gewissen, das eigenständig und den Verhältnissen gemäß über richtig und falsch befindet, hat jedes Individuum das Schönheitsurteil in die eigene Verantwortung zurückzugewinnen. Ästhetische Bildung besteht auch in der größeren Zeitspanne, die wir den Eindrücken gönnen, sich in uns auszubreiten und zu verankern. – Welch fatale Differenz liegt für gewöhnlich doch zwischen der Spanne und Tiefe, in der ein Werk entsteht, und der Sorgfalt, die wir seiner Aufnahme widmen.

In geschenkter Zeit und einem freien Raum liegt der Lehrplan einer Schule des Empfindens und der Schönheit. Solcherart ist das Klima beschaffen, in dem das Schöne sich uns mitzuteilen in der Lage ist. Und auf dieser Grundlage „vermag das Gefühl mit Bestimmtheit zu bejahen oder zu verneinen“, wie der Architekt Bruno Taut das unübertrefflich formuliert hat: „Die schöne Form, so verborgen ihre Quellen sind, wird dann zur objektiven Tatsache.“

Schönheit vermag zu erfreuen, mitunter zu beglücken und die Grenzen der Selbstwahrnehmung auszudehnen. Das Schönheitserlebnis ist eine emotionale Bewegung. Um diese zu vertiefen, haben wir den Sinneseindrücken mit ganzer Achtsamkeit zu folgen und dem emotionalen Fluss unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Der Lohn dieser „Praxis“ ist ein erweitertes Vokabular und das Vermögen, Erlebtes vielschichtig zur Sprache zu bringen. Ein nachklingendes Musikereignis oder die Erfahrung beim Besuch eines außergewöhnlichen Stadtzentrums werden dann nicht alltagssprachlich unbedacht als „schön“ bezeichnet, sondern in der Fülle ihres Bedeutungsgehalts in Worte gefasst und differenziert vermittelt. Solcherart belebt und befruchtet Schönheit den Intellekt.

In derartigen Voraussetzungen beheimatet, vermag das ästhetische Urteil weit über ästhetische Belange hinauszuweisen: Schönheit verrät die Stimmigkeit der Dinge. Adolf Loos hat an der Schwelle zum letzten Jahrhundert eine überzeugende Wegweisung formuliert: „Da das Unpraktische niemals vollkommen ist, so kann es auch nicht schön sein.“ Im Kontext des leer gewordenen Eklektizismus gleicht diese Festlegung einem Wertekompass. Der Kinderherzchirurg René Prêtre spricht von der „Schönheit und dem Charisma des Herzens; (. . .) wenn Sie Herzchirurg werden möchten, brauchen Sie künstlerische Begabung. Sie müssen etwas gestalten können, das ästhetisch ist“, und er meinte von seiner Arbeit, sie habe „etwas von Kunst, von Bildhauerei, wir arbeiten ja in drei Dimensionen. Wenn ein Herz nach der Operation schön aussieht, funktioniert es auch gut.“ Victor Adler hat (wie heute vielfach) Schönheit nicht mit Dekor, Oberfläche oder Luxus verwechselt und demgemäß „Das Recht auf die Frucht der Arbeit, auf Schönheit, auf Gesundheit und Wissen“ gefordert. Könnte die Bedeutung der Sozialdemokratie mit dem Schönheitsanspruch verloren gegangen sein? Für den Benediktiner David Steindl-Rast ist das Gute, Wahre und Schöne nicht zu trennen. Kehren daher politische Dummheit und Lüge im Verbund mit der Hässlichkeit ein? Es scheint, als würden das Gute, Wahre und Schöne Aufstieg oder Niedergang nur im Bunde erleben. Egal, ob im Erzeugen oder Erleben, Sorgfalt und liebevolle Hinwendung sind für Schönes bestimmend. Wenn aber Schönheit der Liebe entspringt (wie nicht nur Platon darlegt), dann hat im Umkehrschluss Hässlichkeit nicht nur denselben Wortstamm, sondern ist Folge und Form von Hass und Lieblosigkeit.

Schönheit ist ein Vehikel der Zusammenschau. Schönheit überwindet Zeiten und Räume, lässt kulturelle Differenzen und Sprachgrenzen vergessen. Der Schönheitssinn begründet ein sehr viel achtsameres, respektvolleres und liebevolleres Verhältnis gegenüber den Dingen, den Menschen und der Welt. Vielleicht hat die Evolution im Schönheitssinn das Sensorium geschaffen, um etwas mehr von der ganzen Welt, ihrer Erscheinungsfülle und Komplexität zu erfassen, denn der Sinn für das Schöne weitet die Grenzen, verbindet und erschließt uns die Welt.

Spectrum, Sa., 2020.02.15

07. Mai 2016Roland Gnaiger
Spectrum

Das Nichts ist die Essenz

Häuser können einladen oder abweisen, sie können rufen oder sich verstecken, sie können sich ein-, unter- oder überordnen. Richtig oder falsch hängt allein vom Kontext ab. Über Siedlung und Zersiedlung: eine Aufklärung.

Häuser können einladen oder abweisen, sie können rufen oder sich verstecken, sie können sich ein-, unter- oder überordnen. Richtig oder falsch hängt allein vom Kontext ab. Über Siedlung und Zersiedlung: eine Aufklärung.

Das Gesetz ist so einfach wie wirkmächtig: Dinge, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken, wachsen. Wer oder was Aufmerksamkeit bekommt, erhält darüber hinaus auch noch Zeit, Geld und Einfluss. Daher ist unsere Aufmerksamkeit ein derartig massiv umworbenes, hoch gehandeltes und hart erkämpftes Gut. Und weil Aufmerksamkeit zudem nicht vermehrbar ist, kann sie nur umverteilt werden. So kommt es, dass beispielsweise die realen Räume unserer Straßen und Plätze an Aufmerksamkeit (und Hinwendung) verlieren, wenn mediale und virtuelle Räume diese Beachtung und Zuwendung gewinnen.
Weltweit bauen wir immens viele Häuser, aber kaum neue Räume. Generell gehen uns öffentliche, erst recht lebenswerte Außenräume zunehmend verloren. Neue Räume für die Gemeinschaft nehmen nicht im selben Maß wie die Neubauten zu.
Immer wenn ich den „öffentlichen Raum“ bewerbe, wenn ich Interesse und Verständnis zu wecken versuche für die Wichtigkeit der Straßen und Plätze unserer Städte und Dörfer und für den Wert unserer Ansiedlungen generell, beginne ich mit derselben Frage: Worin liegt der Unterschied zwischen Siedlung und Zersiedlung?
Bitte halten Sie hier inne, und suchen Sie selbst nach einer Antwort. Die Antwort gewinnt an Kraft, wenn sie nicht nur als Idee, sondern aus Ihren Erfahrungen kommt. Wir alle haben schon Siedlungen erlebt und Zersiedlungen auch. Man muss kein Fachmann und keine Fachfrau sein, um zu einer Antwort zu finden. Hier mein Vorschlag: In einer Siedlung besteht zwischen den einzelnen Häusern (den Elementen) ein Verhältnis, in der Zersiedlung nicht.
Auch wenn die Beziehungen innerhalb einer Siedlung – wie bei den offenen Bebauungen der alemannischen Streusiedlungen – nicht immer offensichtlich sind, so waren ihre Bauten doch durch ein Gemeinsames verbunden. Das kann die Bauform, die Lage im Gelände, ein durchgängiges Fassadenmaterial, die Orientierung auf ein Zentrum oder eine einheitliche Ausrichtung zum Talboden, nach Süden (Osten, Westen, Norden) sein. Häuser können sich in gleicher Weise in Mulden ducken, entlang von Schichtenlinien oder Wegen reihen oder sich gegenseitig den Vortritt lassen. Das Repertoire an Mustern ist stattlich und unübersehbar.
Raum selbst ist eine Leere

Darüber hinaus gibt es die noch interessantere Möglichkeit, dass sich Häuser aufeinander beziehen und daraus Verwandtschaft generieren. Das augenfälligste Beispiel ist die geschlossene Häuserzeile (etwa entlang einer Straße). Doch es geht auch subtiler: Wenn sich Bauwerke in bestimmter Weise einander zuwenden, kann zwischen ihnen ein „Gespräch“ entstehen. Aus solch einem „Gespräch“ – dem „größten Geheimnis der Architektur“ – entsteht ein Raum, entstehen Räume. Raum selbst ist eine Leere, eigentlich ein Nichts, und doch ist dieses Nichts die Essenz der Stadt, des Dorfes, der Siedlung. Raum ist und bleibt ein andauerndes, faszinierendes Mysterium, die Frucht einer diffizilen Bezugnahme. Sobald in ein derartiges Gespräch mehrere Bauten einstimmen, entsteht ein Ensemble oder ein Ort. Wie Wörter reihen sich in solch einem Fall Häuser zu einem ganzen Satz, und in weiterer Folge werden aus Sätzen Absätze, und diese Absätze bilden zusammen eine Geschichte. In unserem Zusammenhang ist diese Geschichte ein Dorf oder eine Stadt. Eine Stadt ist ein Gefüge, das einer ähnlichen Grammatik gehorcht wie eine Erzählung oder ein Roman, verwandte Strukturen aufweist gleich einem lebendigen Organismus und wie ein solcher über einen logischen inneren Zusammenhang verfügt.
Ensembles, gelungene Städte und Dörfer bezeugen, dass ein Ganzes wirklich mehr sein kann als die Summe seiner Teile. Siedlung ist mehr als die Summe ihrer Teile.
Ganz anders verhält es sich mit der Zersiedlung. Sie besteht aus Häusern, die keiner kollektiven Ordnung, keinem gemeinsamen Nenner und keiner übereinstimmenden Idee folgen. Die Zersiedlung häuft Bauten an, die sich jeder Bezugnahme verweigern, die allein bleiben, mitunter autistisch in sich gekehrt. Was in der Siedlung das Gespräch ist, wird in der Zersiedlung zum Monolog oder zum Geplapper.
Mit solcherart beziehungsunfähigen Häusern entsteht nichts als eine Ansammlung. Sie bilden keine Summe und entfalten keine Resonanz. Und es fehlt ihnen eines ganz wesentlich und schmerzhaft: der Mehrwert des Raums. An die Stelle von Räumen treten in der Zersiedlung Zwischenräume, bar jeglicher Qualitäten, oftmals Ergebnis allein von gesetzlichen Abstandsverordnungen und falscher Parzellierung.
Sehen Sie sich entlang unser Ortsausfahrten um – oder in den neuen Vorstädten. Lassen Sie sich auch von diesen Orten berühren. Dann werden Sie verstehen, was ich meine.
Gegen die Beziehungsarmut und -unfähigkeit solcher (Un-)Orte kommt das soziale und gesellschaftliche Leben schwer an. Es kann sich dort nicht oder nur unerträglich mühsam entfalten. Die Folge ist kein rein künstlerisches Problem, keines, das nur Architektenaugen verletzt. Die Auswirkungen treffen den Kern unserer Gemeinschaft. Sie höhlen die Gesellschaft und ihr Zusammenleben und Zusammenwirken aus.
Weil Außen- oder Stadträume (nur) durch das In-eine-bestimmte-Ordnung/Beziehung-Setzen von Häusern entstehen und allein das Ergebnis eines Arrangements sind, kosten sie (von der Bodengestaltung und Beleuchtung einmal abgesehen) auch nichts – aber das gilt schließlich für fast alle wirklich wichtigen Dinge im Leben. Trotz dieser Kostenfreiheit kann die Wirkung gelungener Räume gewaltig sein. Ihre Qualität hängt von der Könnerschaft ihrer Arrangeure ab.
Mitunter kann ein solches Arrangieren so wirkungsvoll wie einfach sein. Versammelt man Häuser um ein großes Rechteck, dann kann daraus beispielsweise die Feldkircher Marktstraße entstehen oder der Linzer Hauptplatz (der größte Österreichs) oder der weiteste und vielleicht eindrucksvollste Stadtplatz der Welt, der Meidán-e Emám von Isfahan. Allen solchen Orten ist eines gemeinsam: Sie sind Brennpunkte gesellschaftlichen Lebens und Bühnen für große (historische) Ereignisse und für nicht minder bedeutendes privates Erleben.
Dabei müssen es keine prominenten Plätze sein, die zu Handlungsorten unserer Leben werden. Für jedes Dorf sind seine öffentlichen Räume, Plätze, Straßen und Lücken von fundamentaler Bedeutung.
Wenn sich Häuser „wegdrehen“

Man sollte aber über der Erwartung auf einen bedeutsamen „heroischen Raum“ den Einfluss nicht vergessen, den jede architektonische Handlung und jeder Baukörper auf die Raumgestalt hat. In der menschlichen Kommunikation kann eine leichte körperliche Wegdrehung eine konsequenzenreiche Beziehungsänderung bedeuten. Diese Art der „Körpersprache“ ist auch Bauten eigen. Neuere Siedlungshäuser sind von Beginn an zumeist „weggedreht“. Auch Häuser können die „kalte Schulter“ zeigen.
Häuser können „einladen“ oder „abweisen“, sie können „rufen“ oder sich „verstecken“, sie können sich ein-, unter- oder überordnen. Richtig oder falsch hängt allein vom Kontext ab. Aber immer durchdringen die „Botschaft“ und die Resonanz der Häuser den Raum, setzen diesen in Schwingung oder unter Spannung. Eine derartige Spannung in Gang zu setzen und im Wissen um die Wirkung zu gestalten, darin liegt die Kunst der Architektur.
Viele bezaubernde historische Orte (Assisi ist dafür ein vollkommenes Beispiel, doch könnte man zahllose Ortschaften nennen) bestehen allein aus der Summe gewöhnlicher, geradezu banaler Häuser. Der (besondere) Raum und die Stadt haben dort Vorrang vor dem einzelnen Bauobjekt.
Würden wir unseren Fokus vermehrt auf das Dazwischen, den Raum, die Stadt, das Dorf richten, dann könnten wir damit die Bauwerke von ihrem heutigen, vielfach überfordernden Anspruch entlasten.
„Diese Bäume sind herrlich“, so Rainer Maria Rilke 1919 in einem Brief, „aber herrlicher noch ist der erhabene, gesteigerte Raum zwischen ihnen.“

Spectrum, Sa., 2016.05.07

06. November 2010Roland Gnaiger
Spectrum

Nach? Haltig?

Das Haus von morgen wird ein intelligentes Haus sein, reaktionsfähig gegenüber äußeren und inneren Einflüssen. Und am Ende seiner Lebenszeit werden wir nicht vor einem Haufen Sondermüll stehen. Nachhaltigkeit: über Gegenwart und Zukunft einer Vision.

Das Haus von morgen wird ein intelligentes Haus sein, reaktionsfähig gegenüber äußeren und inneren Einflüssen. Und am Ende seiner Lebenszeit werden wir nicht vor einem Haufen Sondermüll stehen. Nachhaltigkeit: über Gegenwart und Zukunft einer Vision.

Egal ob Person oder Sache – ein untauglicher Name schwächt gleich einem Mühlstein um den Hals. Nachhaltigkeit, als Begriff eine Krücke und als Wort ein Bastard, beschädigt sich – nachhaltig – selbst. In einer Zeit bedingungsloser Zukunftsfixierung, in der die VORreiter und VORdenker zählen, ist „NACHhaltig“ ein untaugliches Vehikel. Und dann noch Teil zwei des verunglückten Wortpaares: „Beständig“ könnte noch etwas vom Geist des Anliegens treffen, aber „haltig“? Halten? Anhalten, festhalten – mehr Indiz für Angst und Kontrollverlust anstatt Vertrauen.

Da kann nur noch die Sache helfen: Nachhaltig sind Systeme oder Handlungsweisen (Bauweisen), wenn sie sich – auch aus zeitlich und räumlich und thematisch größerer Distanz – als richtig, nützlich, hilfreich erweisen. So weit meine Definition.

Die Grundlagen von Nachhaltigkeit sind Vorausschau, Vorstellungskraft und vernetztes Denken, gepaart mit Vernunft, Verständnis und Verantwortung. Alle diese V-Wörter und V-Tugenden, die schon immer zur Grundausstattung zivilisierter, entwickelter Gesellschaften gehörten, vermögen – einzeln oder vereint – das Unwort N spielend zu ersetzen. Nochmals kürzer gefasst: „N“ ist praktizierte Fantasie, Intelligenz und gelebtes Mitgefühl (Empathie).

Ich möchte mit der Energiethematik als dem klassischen Einstieg in die Nachhaltigkeitsdebatte beginnen: Einer ziemlich zuverlässigen Faustformel gemäß lässt sich unser Energiebedarf auf drei Bereiche mit etwa gleich großem Anspruch aufteilen: ein Drittel der Energie für die Produktion, ein Drittel für den Verkehr und ein weiteres Drittel für unsere Haushaltung. So wie auf den letzten Faktor – den Betrieb der Häuser – im weitesten Sinne die Architektur Einfluss nimmt, so gilt dasselbe für die Raumordnung in ihrer Zuständigkeit für den Verkehr – insofern, als der Verkehr weitgehend ein Sachzwang ist, den unsere Raumordnung zu verantworten hat.

Funktionen und Dinge, die wir vorerst getrennt haben, werden mittels Personen- oder Gütertransport wieder verbunden. Arbeiten, Wohnen, Freizeit oder etwas detaillierter: Alle unsere Lebensvollzüge wie Schlafen, Arzt- und Schulbesuch, Sozialkontakte und Einkauf müssen so wie religiöse und kulturelle Aktivitäten wieder aufwendig vernetzt werden. Wer seiner Traumvorstellung vom Wohnen in einsamer Landlage folgt, wird für die Besorgung einer Glühbirne oder einer Packung Milch ins Auto gezwungen. Unsere Funktionsteilung ist Ausdruck eines obsoleten Lebensmodells, das mit der ausgehenden Industrieepoche seinen Sinn längst verloren hat.

Unterzieht man (nach dem Haushalt und dem Verkehr) als Drittes auch den Energiebedarf des Sektors Produktion einer Untersuchung, dann sieht die Bilanz nicht viel anders aus. Ein sicheres Drittel bis die Hälfte unserer Erzeugnisse ist auf Bauen und Wohnen selbst gerichtet, auf die Erstellung der Infrastrukturen (Wege, Straßen, Energie- und andere Ent- und Versorgungen), auf den Verkehr sowie alle Maschinen und Geräte, die Häuser, Siedlungen und Städte in Gang setzen und in Gang halten.

Trotz der vorläufigen Beschränkung auf den Energieaspekt wird deutlich, wie wirkungsmächtig und folgenreich die dem Bauen zugrunde gelegten Konzepte sind, und zweitens, wie breit diese in alle Gesellschafts- und Lebensbereiche hineinwirken. Es geht um nichts weniger als um die Organisationsform der Gesellschaft und unseres Zusammenlebens, die Produktion und die Verteilung von Gütern, Energie und Dienstleistungen, die räumlichen und funktionalen Strukturen des Siedelns und der Städte. Es geht auch um das Haus als Element der Stadt oder Siedlung, um den Organismus der Häuser, deren Intelligenz und Reaktionsvermögen sowie um deren Beziehungsfähigkeit, die darüber entscheidet, ob Siedlungen oder Zersiedlungen entstehen. Es geht beim Bauen um den Umsatz riesiger Materialmengen, um deren Aufbereitung und Entsorgung. Und es geht um Arbeitsplätze und in allen genannten Bereichen um enorme soziale und ökonomische Implikationen.

Nicht zuletzt geht es auch um unsere Selbstbehauptung und Darstellung in der Welt, um Kultur und Ästhetik und die damit verbundenen Sinnfragen. Somit verkennt die nicht unwichtige, aber zu Unrecht beherrschende Fixierung der Bauwirtschaft auf den Wärmeschutz und die Fassadendämmung gänzlich die Dimension des Themas. Im Mai 2009 wurde von Wolf Prix eine Dankesrede für eine Breitseite gegen die Nachhaltigkeit genutzt. Mit der Formel „Architekten in gedämmter Isolierhaft“ hat er die architekturinterne Betonung von Nachhaltigkeit gegeißelt – und hatte teils recht damit. Allerdings mit dem Problem, dass er das Thema ähnlich verkürzt und verkennt wie die von ihm Kritisierten.

Ohne die Kultur als vierte Säule bleibt das Projekt Nachhaltigkeit ein Fragment und seine Vermittlung hinein in die Welt der Kultur- und Architekturschaffenden eine nicht lösbare Aufgabe. Alles, was nur aus Vernunft, ohne Begeisterung, ohne Anmut und – sagen wir es ruhig – ohne Schönheit geschieht, wird sich schwer oder gar nicht durchsetzen. Im „wirklichen Leben“ zählen Emotionen mehr als Vernunft. Design sticht Ökologie, die Form den Inhalt. Die Alternative „Nachhaltigkeit oder Ästhetik“ ist absurd, ahistorisch und fantasielos.

Es ist ein monströses Missverständnis, wenn von Kritikern der Nachhaltigkeit die vorzüglichsten Beispiele eines nachhaltigen Bauens gegen die Nachhaltigkeit selbst ins Feld geführt werden. Stephansdom, Burgtheater, Semperdepot, Looshaus – diese Ikonen unserer Baukunst sind allesamt auch Dokumente der Nachhaltigkeit. Ich verdächige den Stephansdom, Österreichs nachhaltigstes Bauwerk zu sein. Seine kulturelle Bedeutung und künstlerische Qualität bedürfen keiner weiteren Legitimation. Seine ökonomischen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsaspekte sind eine reine Draufgabe (ein ökonomischer Dauergewinn, ein sozialer Brennpunkt von phänomenaler Langlebigkeit und Symbolkraft, bestens öffentlich angebunden, ökologisch unbedenklich – von welchem Bauwerk wäre das noch zu sagen?).

Am Beispiel von vier Schwerpunktthemen will ich auf Szenarien und erforderliche Schritte eingehen:

1. Siedlungsmodelle. Unsere viel kritisierten ländlichen und stadtperiphären Siedlungskonzepte und Wohnmodelle stehen vor ihrem definitiven Ende. Es ist noch ungewiss, ob aufgrund rapid steigender Energiekosten, wegen erschöpfter Gemeindebudgets oder aufgrund ausgenüchterter Träume der betroffenen Bewohner. Diese finden sich zunehmend in Altersghettos wieder, in sozial und funktional verarmten Siedlungen ohne räumlichen und künstlerischen Wert. Die funktionale Lebensdauer der einst maßgeschneiderten Häuser ist am Ende, die ästhetischen Leitbilder haben sich aufgebraucht. Der in Folge eintretende monetäre Wertverfall und das damit verlorene Erbe sorgen für den Rest. Ich prophezeie gewaltige Einfamilienhausbrachen und Leerstände in zehn, 20 Jahren.

Die Konsequenzen werden tiefgreifend sein (müssen). So einfach sie auf der Ebene der Entwicklung neuer Wohnmodelle sind, so schwierig wird sich die Überwindung der mentalen Hürden erweisen. Zu sehr ist diese Wohn- und Lebensform in unserem kollektiven Bewusstsein verankert. Der Weg wird nur über die Realisierung attraktiver Alternativen gangbar. Diese müssen auch die unbestreitbaren Vorteile des Einfamilienhauses an Privatheit, Freiraumnutzung und Lagerflächen einbeziehen. Das wird öffentliche Mittel brauchen. Ein sukzessives Zurückfahren der bisherigen Finanzierungs- und Fördermodelle wird die Folge sein.

2. Lebenszykluskosten. Bis vor Kurzem zählte die Wirtschaft nur die Bauerrichtungskosten. Nur langsam ändert sich die diesbezügliche Mentalität. Für eine ehrliche Betrachtung aller Lebenszykluskosten brauchen wir nachvollziehbare und verbindliche Rechenmodelle, welche die fortgesetzten Betriebskosten und endlich auch die Entsorgungskosten einschließen. Eine derartige ökonomische Gesamtbilanz würde das Bauen tiefgreifend ändern, neue Konzepte und Innovationen forcieren.

3. Innovationsbedingungen. Für vieles, was wir in den vergangenen Jahrzehnten gefordert und entwickelt haben, wurden wir belacht. Manche heutige Neuentwicklung übertrifft selbst meine ursprüngliche Erwartung. Wir wissen beispielsweise Häuser zu bauen, die mehr Energie produzieren als sie brauchen. Wir können ohne Zuhilfenahme von Fremdenergie weltweit und in allen Klimazonen angenehme Klimaräume schaffen. Das Passivhaus ist die größte haustechnische Innovation der vergangenen 100 Jahre. Das Thema Nachhaltigkeit hat im Verein mit den Möglichkeiten der Digitalisierung das Zeug, zum bedeutendsten Innovationsimpuls für Architektur und Bauindustrie, ja der Wirtschaft insgesamt zu werden.

Das zukünftige Haus wird ein intelligentes Haus sein, reaktionsfähig gegenüber äußeren und inneren Einflüssen. Die strenge Trennung in Büro-, Verwaltungs- und Wohnbau wird sich lockern. Und am Ende seiner Lauf- und Lebenszeit werden wir nicht vor einem Haufen Sondermüll stehen (der in den Häusern zwischengelagert war). Derartige Entwicklungen müssen nur gewollt und beauftragt werden. Hier liegt eine Chance für die Industrie und die Unternehmen – und für die Politik ein Auftrag, mit mehr Zuversicht und Engagement Rahmenbedingungen zu schaffen.

4. Kultur. Der Österreichische Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit, für dessen Ausrichtung ich hauptverantwortlich bin, wurde vom Umweltminister 2010 zum zweiten Mal vergeben. Nur Projekte, die den Kriterien klassischer architektonischer Qualitäten entsprechen und den Anforderungen der Nachhaltigkeit, haben eine Chance auf den Preis. Insofern ist dieser Preis auch eine Architekturauszeichnung, als er den Maßstäben der wichtigsten österreichischen Architekturpreise gerecht wird. Es kann und darf nicht sein, dass Nachhaltigkeit gegen Architektur ausgespielt wird oder umgekehrt. Diese fruchtlose Konfrontation haben wir lange genug erlebt. Insofern versteht sich dieser Staatspreis auch als Versöhnungsinitiative zwischen Ökologie und Kultur.

Die wirklichen Widerstände, egal ob sie gegen Kultur oder Nachhaltigkeit gerichtet sind, erwachsen seit je der Ignoranz, Trägheit, der Fantasie- und Mutlosigkeit, geistiger Unbeweglichkeit, vor allem der alles beherrschenden Klienten- und Interessenpolitik. Die Bruchstücke einer neuen Baukultur liegen längst vor uns. Sie sind noch zu einem ganzen Bild zu fügen. Das Ergebnis wird faszinierend sein und dem Wortunfall „Nachhaltigkeit“ spotten.

Spectrum, Sa., 2010.11.06

21. Juli 2009Roland Gnaiger
zuschnitt

Essay

Bauen und Wirtschaften sind Tätigkeiten, die uns (allen!) ein gutes Leben (zuvor noch „Überleben“) zu sichern haben. Ist uns bewusst, dass wir dafür die...

Bauen und Wirtschaften sind Tätigkeiten, die uns (allen!) ein gutes Leben (zuvor noch „Überleben“) zu sichern haben. Ist uns bewusst, dass wir dafür die...

Bauen und Wirtschaften sind Tätigkeiten, die uns (allen!) ein gutes Leben (zuvor noch „Überleben“) zu sichern haben. Ist uns bewusst, dass wir dafür die Erde in gewisser Weise zu arrangieren und Stoffwechselkreisläufe in Gang zu setzen haben? Haben wir erkannt, dass sich Ökonomie in langen Zyklen bewähren muss und sich „Nebenwirkungen“ nicht zu Monstern auswachsen dürfen? Das wäre Nachhaltigkeit oder – als Begriff etwas weniger abgenützt – Zukunftsfähigkeit.

Wolf D. Prix wird unwidersprochen mit folgendem Satz zur Museumsarchitektur zitiert: „Wenn Architektur, insbesondere ein Gebäude Kunst ist, ist es sein eigenes Museum und benötigt demnach keine Kunst.“ Na gut! Braucht dementsprechend Büroarchitektur noch die Arbeit und der Wohnbau noch den Bewohner? Mit diesen Fragen rühren wir an einen neuen Höhepunkt „kultureller“ Überlagerung des Bauens und orten ein Höchstmaß an Entfremdung: eine radikale Abkehr von den Wahrnehmungen unseres Körpers und seinen Bedürfnissen, einen Sprung in die virtuellen Welten der Ideen und Ideologien. Es ist Zeit zum Gegensteuern, denn Bauen ist eine Kulturtechnik des Überlebens. Es geht um die Schaffung kontrollierter und sicherer Räume: garantiert trocken, warm, zugfrei oder kühl, feucht, schattig – jeweils in Entsprechung zu den örtlichen Klimabedingungen. In Reaktion auf diese ist das Innenklima eines Hauses zu definieren und zu kontrollieren, und dafür haben wir heute ein Know-how von historisch unvergleichlicher Wirksamkeit zur Hand. Der diesbezüglich erzielte, technisch absolut revolutionäre Wissensstand droht in seiner Bedeutung lediglich in einer Flut künstlich generierter Sensationen unterzugehen. Wir können heute weltweit und für jedes Klima Häuser konstruieren, die mit vertretbaren Aufwendungen und überwiegend lokalen Mitteln, außerdem ohne grob unerwünschte Folgen (somit nachhaltig) allen Menschen klimatisch und atmosphärisch wunderbare Lebensräume schaffen.

Das Haus ist jenes System, das den Austausch zwischen innen und außen selektiv (also bezogen auf die Wechselwirkung zwischen den Bedingungen wie Lufttemperatur, -feuchtigkeit, -bewegung, Licht, Sonne, Töne, Bilder etc.) und intelligent (also mit dem geringsten Aufwand und dem niedrigsten Einsatz an Ressourcen bei größter Wirkung) steuert.

Seit der flächendeckenden Verbreitung der Zentralheizung hat keine Erfindung das „System Haus“ so tiefgreifend verwandelt wie das Konzept Passivhaus. Das Passivhaus ist, nach dem Haus mit Fließwasser und Zentralheizung, der nächste große Entwicklungssprung und wird auch die Architektur vergleichbar gravierend verändern.

Heute ist ein modernes Haus ein Passivhaus oder ein vergleichbares System, das den Wärme- und Kühlenergiebedarf maßgeblich reduziert, die Innenluftqualität und teils auch den Schallschutz drastisch verbessert. In dieser Hinsicht besteht zwischen Neubau und Sanierung kein Unterschied.

Gerade wegen der heute groß angelegten Programme zum Klimaschutz muss gesagt werden: Alles, was nicht bis zu dieser Konsequenz reicht, bleibt unvollständig.

Das gilt auch für die nahezu panikartig verordneten Vollwärmeschutzmaßnahmen, die allenfalls Teil einer größer anzulegenden Strategie, eines neuen Systemverständnisses sein könnten – eines Systems, das sich aus vielen Elementen zusammensetzt: der Situation gemäße Wärmerückgewinnung und Lüftung, optimierte Dämmung und Speicherung, ein ausgewogenes Volumen-Oberflächen-Verhältnis, eine dementsprechende Orientierung, Fenstergrößen und Sonnenschutzvorkehrungen etc.

Und so wie das neue (Passiv-)Haus als intelligentes System zu konzipieren ist, muss es als „Prozess“ verstanden werden – mit einem Davor und einem Danach, also mit Blick auf alle Stoffwechselkreisläufe der Produktion und der Entsorgung. Dem Holz kommt hierbei ein besonderer Stellenwert zu. Doch die entsprechenden Systeme und Konzepte müssen von der Politik gefördert und von der (Holz-) Wirtschaft angeboten werden.

Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, besteht die beste Grundlage für weitere kulturrelevante Aspekte, ohne die Architektur nicht denkbar ist: Städtebau und Skulptur, Raumkonzeption, Ökonomie und Ästhetik.

zuschnitt, Di., 2009.07.21



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zuschnitt 34 Schichtwechsel

15. März 2003Roland Gnaiger
zuschnitt

Angenommen, Sie brauchen einen Tisch...ich wette, Sie kriegen Probleme

Angenommen, Sie brauchen einen Tisch. Sie wollen ihn zum Essen, Arbeiten oder Spielen. Angenommen, Sie möchten, dass Ihr Tisch sicher und mehrere Jahre...

Angenommen, Sie brauchen einen Tisch. Sie wollen ihn zum Essen, Arbeiten oder Spielen. Angenommen, Sie möchten, dass Ihr Tisch sicher und mehrere Jahre...

Angenommen, Sie brauchen einen Tisch. Sie wollen ihn zum Essen, Arbeiten oder Spielen. Angenommen, Sie möchten, dass Ihr Tisch sicher und mehrere Jahre steht. Ihren Beinen wünschen Sie unter ihm Bewegungsfreiheit und ihren Stühlen Stauraum. Der Tisch sollte kindlichem Ungeschick und lebhaften Diskussionen gewachsen sein.

Angenommen, Sie sind sich Ihrer so sicher, dass der Tisch für Sie nicht renommieren muss. Sie schätzen seinen Erfinder, aber nicht er, sondern der Tisch soll ein Leben lang in Ihrer Wohnung stehen. Er muss funktionstüchtig sein, in Ihre Wohnung passen und sollte Ihr Leben erleichtern. Und er sollte Charakter haben! Er darf erkennbar sein - aber nicht unbedingt auf den ersten Blick. Sie brauchen also nur einen Tisch … ich wette, Sie bekommen Probleme!

Haben Sie gar einen Blick für sorgfältige Ausführung, suchen Sie nach einer gereiften Form, wünschen Sie mit Ihrem Tisch auch noch eine sinnliche, eine haptisch willkommene Begegnung? Wollen Sie zu alledem noch einen angemessenen Preis oder suchen Sie über den Tisch hinaus gar noch Stühle, ein Bett und einen Schrank? Haben Sie schon Abende lang Prospekte studiert und ganze Samstage Möbelhäuser durchforstet? Ich vermute, Sie kommen zu dem Ergebnis: Etwas ist falsch - entweder das Angebot oder Ihr Anspruch.

Im Verlauf einer jahrhundertelangen Entwicklung von Wohnkultur und Möbelbau, nach einem Jahrhundert des Aufbruchs, sozialer Wohnkonzepte und einem radikalen Wandel der Fertigungstechnik mit dem Anspruch »Höchste Qualität in möglichst großer Breite« bleibt wenig bis nichts übrig: eine exklusive schmale und hohe Spitze, die aus einer flächendeckenden Qualitätslosigkeit ragt. Wir haben heute ein breitenwirksames Niveau erreicht, das den Tiefpunkt der für uns überblickbaren Geschichte der Wohn- und Alltagskultur markiert.

An der Spitze der Qualitätsarmut stehen die »Delikatessenläden des Möbelhandels« ,welche jene Schicht bedienen, die selbst nach dem Hausbau noch über Mittel für die Ausstattung verfügt. Die breite Masse wird von »den Großen« versorgt, welche die Niveaulosigkeit, der sie folgen, unablässig selber schaffen. Dazwischen gibt es nichts!
Ein differenzierter, feinkörniger Markt wurde systematisch und erfolgreich aufgerieben. Hier immer weniger »Marken« mit umso höherem Image beladen Häppchen. Dort ein überbordendes Angebot ohne geistigen, intellektuellen oder emotionalen Nährwert.

Zurück bleibt Mangel, Hunger angesichts überquellender Regale. Mangel am Nötigen, mehr als genug vom Überflüssigen. Auf der Strecke bleibt jener Konsument, der, würde man meinen, das Naheliegendste und »Normalste« sucht: ein qualitätsvolles Möbel für entsprechende Kosten.

Was ist passiert? Die Grundidee der Industrialisierung - Serienfertigung in großen Stückzahlen von hoher Qualität - wurde durch die Entwicklung konterkariert. Und zwar in einem Maße, das die Logik der Industrialisierung im Bereich des Möbels infrage stellt. Der Idee industrieller Serienfertigung hat sich eine »andere« Idee von Ökonomie entgegengestellt – die des Konsums und seiner Loslösung von kulturellen Zielen: Diese »Ökonomie« pflegt den Verschleiß als konsumbelebendes Element. Dazu muss die große geistige Befreiungsbewegung des 20 .Jahrhunderts, die Individualisierung, instrumentalisiert werden. Individualität begründet ein vielfältiges Angebot. In Konsequenz wurde aber Qualität durch Quantitäten ersetzt. Einzigartigkeit ist wichtiger als Qualität.

zuschnitt, Sa., 2003.03.15



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zuschnitt 09 Holz im Möbel

30. Juni 1997Roland Gnaiger
zolltexte

Der Vetterhof

Der Vetterhof im Ried zwischen Dornbirn und Lustenau stellt einen Versuch dar, ein ganzheitlich orientiertes Bewirtschaftungsmodell mit einer an vielfältigste Bedürfnisse angepaßten Architektur zu verbinden.

Der Vetterhof im Ried zwischen Dornbirn und Lustenau stellt einen Versuch dar, ein ganzheitlich orientiertes Bewirtschaftungsmodell mit einer an vielfältigste Bedürfnisse angepaßten Architektur zu verbinden.

Ein Bauernhof ist für einen Architekten eine höchst seltene Aufgabe. Bauernhöfe waren seit jeher ein Ergebnis einer gesellschaftlichen Gesamtleistung, Resultat einer Summe von Einflüssen wie Traditionen, den Erbauern und Handwerkern, politischen Interventionen und ganz besonders von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Als solcher war der Bauernhof nachhaltigster Kulturträger, Zentrum einer Kultur, die nicht neben dem Alltag entstand, sondern völlig von ihm durchdrungen war.

Mit der industriellen Revolution versank bäuerliches Bauen in der Bedeutungs- und Kulturlosigkeit, blieb aber weiterhin Ausdruck der inzwischen geän derten wirtschaftlichen Bedeutung und sozialen Stellung der Landwirtschaft.

Aussiedlung

Die Familie Vetter wurde während der letzten Jahre von den Folgen der Suburbanisierung im Ortsgebiet von Lustenau zunehmend eingeschränkt. Dies war um so schlimmer, als sich der Hof – entgegen dem Trend und im Glauben an eine Zukunft der Landwirtschaft - in einer Offensive befand, wenn auch mit anderen Zielen und Mitteln: Biologisch wirtschaftend, selbstbestimmt, verbunden mit den Konsumentlnnen und vernetzt mit bedeutenden Alternativbewegungen der Gegenwart. Somit sollte an einer anderen Stelle neu gebaut, das Wohnen und Arbeiten neu organisiert und dorthin verlegt werden, wo die Anbaufläche ohnehin schon war: in die Riedlandschaft zwischen Dornbirn und Lustenau. Der Neubau sollte einerseits den Erfahrungsschatz der Familie Vetter umsetzen und andererseits auf die gänzlich geänderten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch den EU-Beitritt Österreichs reagieren.

Bauplatz und Bauform

Hart an der Grenze zum Naturschutzgebiet Alberried ist diese Gegend baulich ohne Ansatzpunkte, wenig strukturiert, ausgesetzt und eher unwirtlich. Weder Pflanzen noch Bauten setzen dem Wind und dem Lärm von Autobahn und Schnellstraße entscheidenden Widerstand entgegen. Derartig exponiert entstand das Bedürfnis nach Schutz.

Dies war der erste Grund für die Anlage des Hofs als echten Hof, als Bauform, die an den Seiten schirmartig zwei Höfe umschließt. Introversion und Schutz für Mensch und Tier unter Schaffung eines tauglichen Mikroklimabereichs. Der zweite Grund der Hofform lag in der Bauaufgabe. Das Programm war derart umfangreich, daß es sich nicht linear organisieren ließ. Alles sollte radial um ein Zentrum herum angeordnet werden, so daß die Wege von keinem Punkt aus zu weit sind.

Der dritte Grund für die gewählte Bauform lag in den Beispielen der Gegend und den Gegebenheiten der Landschaft. Betont horizontal, breit gelagert und gleichförmig strukturiert wie die Umgebung selbst sollte auch der Vetterhof sein. So ehrlich wie ein altes Bauernhaus sollte er aber auch die heutigen Betriebsbedingungen zum Ausdruck bringen.

Das Bauprogramm

Der Grundriß wie auch der Gesamtentwurf des Vetterhofes bleibt all jenen unverständlich, die diesen am Beispiel herkömmlicher Bauernhäuser messen. Die Aufgaben und Zielsetzungen sind andere als in der konventionellen Landwirtschaft.

Im Vetterhof vereinigt sind Funktionen wie Wohnen, Viehhaltung, Lagerung, Produktverarbeitung und -veredelung, Verkauf, Gemeinschaftsfunktionen sowie Ausbildung. Ungewöhnlich sind nicht diese Einzelelemente, sondern deren Zusammenfassung zu einem komplexen Ganzen.

Die Ziele und ihre Umsetzung

Wirtschaftliche Vielfalt und Selbstvermarktung: Verarbeitet und vermarktet werden: Milch, Fleisch, Getreide und Nüsse in roher und veredelter Form.
Die Landwirtschaft als Arbeits- und Erlebnisfeld: Konsum, Weiterbildung sowie Schauen und Mitarbeiten am Hof.
Arbeits-, Wohn- und Bildungsgemeinschaft: Gemeinschaftsteil, vier getrennte Wohneinheiten.
Tierfreundliche Haltung: Neueste hygienische und tiermedizinische Erkenntnisse, windgeschützter Stall, Laufhof.
Optimierte Wirtschaftsabläufe: Übersichtlichkeit, klare Funktionsbeziehungen und gezielte Mechanisierung, zwei Hauptachsen-. Längsachse des Futtertisches mit der Kranbahn zur Lagerung und Verteilung des Futters, zweite Arbeitsachse der quergelegten Hofdurchfahrt.
Räume der Muße und des Rückzugs: Nahe der Wohn- und Gemeinschaftsbereiche gibt es Angebote zur Ruhe und Entspannung:
Westorientierter Eingangsbereich gegen die Abendsonne, Innenhof mit Brunnen, ostwärts gerichtete Laube im Obergeschoß und einer dem Eßraum im Süden vorgelagerte Loggia.
Kreislauffunktionen und Bauökologie: Weitestgehend geschlossene Kreisläufe: Biomassenheizung mit solarer Unterstützung, Trennung von Trink und Brauchwasser, Wassererwärmung mittels Sonnenkollektoren, Trennung Schwarz-/Grauwasser, Pflanzenkläranlage, Heutrocknung mittels solarer Lufttrocknung.

Grundriß und Funktionen

Der längsorientierte U-förinige Grundriß wird durch die querlaufende Durchfahrt in zwei Höfe getrennt: den quadratischen Wohnhof und den rechteckigen Viehhof. Unter dem gemeinsamen Dach liegen mehrere eigenständige Baukörper.

An der Nordseite, gleich beim Eingang, liegt das „Lager- und Wirtschaftshaus“ mit Verkaufsraum, Kühlräumen sowie Räumen für die Milch- und Fleischverarbeitung. Im Geschoß darüber liegen Büro und Trockenlager für die Getreidesorten. Im Westen liegt der zweite Bauteil, das „Gemeinschafts- und Wohnhaus“. Ober dem Erdgeschoß liegen zwei Wohnungen mit je ca. 75M2 Nutzfläche und eigener Kleinküche.

Südlich des Wohnhofes liegt das Jechnik- und Gerätehaus". Der vorgelagerte Erschließungsgang verbindet den Wirtschaftshof mit dem Wohnteil. An der Ecke zur Hofdurchfahrt liegen Werkzeugund Geräteraum mit Bezug zu den angrenzenden Gewächshäusern und Anbauflächen. Im Obergeschoß befinden sich Gäste- und PraktikantInnenzimmer.

An seiner vierten Seite wird der Wohnhof von Biomasselager, Heizraum und Leergutlager geschlossen.

Der Viehhof wird von drei Baukörpern begrenzt. An der Nordseite liegt der Futtertisch begleitet vom Gemüserüstraum, einem Boxenstallbereich und einer Futterrüstnische. Dem Futtertisch gegenüber liegt im Süden des Laufhofes der offene Freilaufstall mit dem darüberliegenden Strohlager. Im Osten mündet der Laufhof in den Misthof. Im Westen wird der Viehhof von einer zylindrischen Melkkammer geschlossen.

zolltexte, Mo., 1997.06.30



verknüpfte Bauwerke
Biologischer Landwirtschaftsbetrieb ´Vetterhof´

Profil

1966 – 1971 HTBL für Hochbau in Krems
1971 – 1977 Architekturstudium an der Akademie der bildenden Künste in Wien und an der TU Eindhoven/Niederlande
Seit 1980 Büro in Doren und Bregenz

Lehrtätigkeit

1996 - 2019 Professor und Leiter der Architekturausbildung an der Kunstuniversität Linz

Publikationen

(Auswahl): Archithese 3 Niederteufen 1982; Steiner, Dietmar (Hg.): Gemeinsam Bauen. Beispiele verdichteter Bauweise in Vorarlberg. Dornbirn 1985; Der Standard 13.9. 1990; Architektur & Bauforum, Wien 144/1991; Die Presse, Wien 23/24. 11. 1991; Architektur Aktuell , Wien 151/1991; 153/1992; Mayr Fingerle, Christoph (Hg.): Neues Bauen in den Alpen 1992; Bau Art 3, Wien 1992; Sagmeister, Rudolf; Sagmeister-Fox, Kathleen: Holzbaukunst in Vorarlberg, Bregenz 1990; Berufsvereinigung der bildenden Künstler Vorarlbergs (Hg.): Architektur in Vorarlberg seit 1960. Bregenz 1993; Kunsthaus Bregenz (Hg.): Roland Gnaiger Schule in Warth. Stuttgart 1993; Baumeister 2, München 1994; Becker, Annette; Steiner, Dietmar; Wang, Wilfried (Hg.): Architektur im 20. Jahrhundert-Österreich. Frankfurt am Main 1996; Der Standard. 12.3.1997

Auszeichnungen

5. Vorarlberger Hypo-Bauherrenpreis 2005, Preisträger, Kinderhaus Braike
ZV-Bauherrenpreis 2002, Preisträger, Kinderhaus Braike
ZV-Bauherrenpreis 2001, Preisträger, Atriumhaus

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