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01. September 2012Wolf D. Prix
Der Standard

Architektur-Karneval in Venedig

Oder: Wie die Biennale zur Banale verkommt: Aufzeichnungen von einem teuren Totentanz zwischen biederem Glamour und eitler Inszenierung, bei der die Architektur in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Oder: Wie die Biennale zur Banale verkommt: Aufzeichnungen von einem teuren Totentanz zwischen biederem Glamour und eitler Inszenierung, bei der die Architektur in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Praise be to Nero's Neptune.
The Titanic sails at dawn.
And everybody's shouting
„Which Side Are You on?“
Bob Dylan,„Desolation Row“ 1966.

Wenn man nicht wüsste, dass Medien immer übertreiben, könnte man fast glauben, dass die Architekturbiennale in Venedig -wie die Süddeutsche Zeitung schreibt - tatsächlich die wichtigste Architektur Ausstellung der Welt ist.

Ich vermute aber, dass mit Ausstellung nicht Ausstellung gemeint ist, sondern vielleicht meint Gerhard Matzig nur den Event per se. Also das Treffen einer Branche, wie bei einer Produktmesse.

Andere Kritiker stellen gar nicht mal die Sinnfrage, sondern stellen gleich fest, dass das Zusammenkommen, das Treffen, das Netzwerken das weitaus Wichtigere sei. Gegessen!

Nur vorgetäuscht

Ich möchte aber schon mal festhalten, dass die Bedeutung der Architektur-Biennale in Venedig in der theoretischen Auseinandersetzung seit ihren Beginn immer mehr abnimmt. Auch die persönliche Bedeutung für die Teilnehmer ist im Gegensatz zur Kunstbiennale sehr gering. Wir brauchen uns also nichts vormachen, dieser Event ist ein teurer Totentanz: In einer zusammengestohlenen Stadt („zusammengestohlene Ausstellung“) wälzen sich Touristenströme (Architekten) in einer nicht funktionierenden Infrastruktur um ihre bürgerliche Bildungslust (bei den Architekten: Eitelkeiten, Neid, Schadenfreude, Verdächtigungen) zu befriedigen. Auch der Glamour, den der Besucher zu spüren vermeint ist bieder und nur von den Medien (Stararchitekten = Filmstar) vorgetäuscht.

In Wahrheit ist das alles hohl, anstrengend, ermüdend, öde und langweilig. Weil es wirklich nicht mehr um eine lebendige Auseinandersetzung und Kritik mit Themen zeitrichtiger Architektur geht, sondern um leere, konservative und möglicherweise populistische Hüllen, die mit scheinbarer Bedeutung aufgeladen werden.

Was wäre das für eine Architektur Biennale hätte man statt langweiligen Ausstellungen Foren etabliert und Themen lanciert, die uns alle hinter die Kulissen der Entscheidungen blicken ließen. Zum Beispiel der Streit um den Bahnhof in Stuttgart. Die Hinter- und Vordergründe der Kostenexplosion der großen markanten Bauwerke, wie zum Beispiel der Elbphilharmonie. Die politische Auseinandersetzung um Moscheen und Minarette, also der Streit um die Verortung einer Idee. Warum der Einfamilienhausmarkt in den USA zusammengebrochen ist und wie mit Siedlungsarchitektur Machtpolitik betrieben wird. Über diese Themen lohnt es sich zu diskutieren und nicht wer ein Stararchitekt ist und wer nicht.

Aber stattdessen heißt es: „Menschen treffen sich in Architektur“ und jetzt „Common Ground“ (Übersetzt heißt das: Kompromiss). Schlimmer geht's nimmer!

Diese Situation lässt das Bild des venezianischen Karnevals aufkommen - man stelle sich vor, alle Architekten in Pierrot Verkleidung umgeben von maskentragenden Kritikern - tanzen den Banale-Tanz, oder noch besser, auf einer sinkenden Gondel spielen die Architekten wie weiland das Orchester der Titanic das letzte Lied, während draußen in der realen Welt unser Berufsstand leckgeschlagen in Macht- und Bedeutungslosigkeit versinkt. Denn Politiker und Projektsteuerer, Investoren und Beamte bestimmen schon lange unsere gebaute Umwelt. Nicht der Architekt.

Während in Russland die Künstler hartnäckig Widerstand leisten gegen das autoritäre Regime, befindet der jetzige Kommissar der Architektur Biennale diese Eigenschaften als hinderlich für unseren Beruf und er erklärt in einem Interview, dass dem Genie Raum weggenommen werden muss. Man müsste ihm die Pussy Riots vorführen damit er endlich versteht, wo es langgeht in unserer Gesellschaft.

Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Architektur Biennale in Venedig neu organisiert werden muss.

Der Standard, Sa., 2012.09.01



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Architektur-Biennale Venedig

04. September 2010Wolf D. Prix
Der Standard

Venedig sehen und sterben für die Greißlerarchitektur?

Die Biennale 2010 - Motto: Baukunst als „Lebensmittel“ - feiert den Abschied vom Starkult, und der Österreich-Pavillon feiert nicht mit: eine „peinlich-retrospektive“ Themenverfehlung, wie Dietmar Steiner schrieb?

Die Biennale 2010 - Motto: Baukunst als „Lebensmittel“ - feiert den Abschied vom Starkult, und der Österreich-Pavillon feiert nicht mit: eine „peinlich-retrospektive“ Themenverfehlung, wie Dietmar Steiner schrieb?

Der Österreichische Pavillon in Venedig erstickt im „Ego-Kitsch“: Das sagt zumindest der Leiter des Architekturzentrums Wien (der Standard, 30. 8.). Eric Owen Moss, der diesjährige Kommissär des Österreich-Pavillons, hat wohl einen Fehler gemacht: Er hat vergessen, Dietmar Steiner zu fragen, wo's lang geht in der internationalen Architektur.

Wenn man nicht wüsste, dass Medien in Wort und Tat immer übertreiben, müssten die 64 Architekten und Lehrer (aus Österreich, Deutschland, England, USA, Argentinien, Japan, Frankreich, Spanien, Niederlande), deren Werke im Österreich-Pavillon gezeigt werden, und denen von Steiner unterstellt wird, die Zukunft Österreichs mit gestriger Architektur zu verbauen, den Rücktritt Steiners als Leiter des Architekturzentrums Wien fordern. Sie werden es natürlich nicht tun, und das ist auch gut so, denn er ist als prononcierter Vertreter und Theoretiker österreichischer Architektur weit über unsere Landesgrenzen bekannt.

Zunächst muss einmal festgestellt werden, dass die Bedeutung der Architektur-Biennale in Venedig in der theoretischen Auseinandersetzung seit ihrem Beginn 1980 immer mehr abnimmt. Auch die persönliche Bedeutung für die Teilnehmer ist im Gegensatz zur Kunst-Biennale sehr gering. Eigentlich wird sie nur veranstaltet, um der In-Group der Architekten und ihren Kritikern die Gelegenheit zu geben, ihren Eitelkeiten, ihrem Neid, ihrer Schadenfreude und ihren Verdächtigungen Raum zu geben.

Mag sein, dass das Layout, also die Gestaltung der kuratierten Ausstellung im Arsenale und im italienischen Pavillon und die Vereinfachung der Thematik - sagen sie mir einen banaleren Titel als: „Menschen treffen sich in Architektur“ - den Gefallen von Ausstellungsmachern findet und zum Aufatmen überforderter Kritiker führt. Tatsächlich erleichtert im Vergleich zu früheren Biennalen - die immer mehr zu Produktmessen verkamen - die größere Übersichtlichkeit das schnelle Durchmessen des Inhalts. Aber scheinbar hat das Aufatmen die Brillen der kritischen Distanz beschlagen lassen. Vor lauter Häme, dass nun endlich einige Stars durch scheinbare Nicht-Stars ersetzt werden, wird leicht übersehen, dass es eigentlich um die Inhalte der Objekte und Installationen in den Pavillons gehen sollte.

Verkehrte Welt: Die Medien, die den Architektur-Starkult ja erfunden haben, erklären ihn nun für beendet. Kazuyo Sejima wird als Anti-Star gefeiert und die ausgestellte Architektur als Lebensmittel bezeichnet. Abgesehen davon, dass alles schon viel anregender und präziser in dem Buch Architektur ohne Architekten von Bernard Rudofsky zu finden ist, sind gerade die Bauten Sejimas ebenso spektakuläre Ikonen. Sie sehen nur anders aus. Ihr Museum in New York funktioniert weder besser noch schlechter als Zahas Museum in Rom. Die Raumprägung ist nur konservativer.

Und apropos Starkult: Ich habe schon lange keine peinlichere Präsentation eines Stars gesehen als den Film über Sejimas intelligentes Gebäude, das Rolex Learning Center in Lausanne. Der Film gleicht eher einem Hochamt, in dem Priesterinnen im Kimono schauerliche Banalitäten von sich geben. - Also keine spektakulären Bauten mehr. Auch gut.

Es werden aber weiterhin Bauaufgaben zu bewältigen sein, die nicht nur mit sozialer und ökologischer Lebensmittelarchitektur zu bewältigen sind. Wir werden neue Universitäten, Bahnhöfe, Bürobauten, Stadtteile zu bauen haben. Aber spektakulär und merkbar dürfen sie nicht mehr sein.

Gerne übersehen wir dabei, dass ganz andere Kräfte heute - nämlich Investoren, Politik, Bauunternehmen - ganz entscheidend für die, fälschlicherweise den Architekten vorgeworfenen, spektakulären Preise verantwortlich sind. Und anstatt nach neuen Planungsmethoden, Durchsetzungs- und Ausführungsstrategien zu fragen, bejubelt man den Rückzug des Architekten zum ökonomisch bescheidenen Funktionserfüller.

Was wäre das für eine Architektur-Biennale geworden, hätte man statt einer langweiligen Ausstellung Foren etabliert, Themen lanciert, die uns alle hinter die Kulissen der Entscheidungen blicken ließen. Zum Beispiel der Streit um den Bahnhof in Stuttgart. Die Hinter- und Vordergründe der Kostenexplosion der Elbphilharmonie. Der politische Streit um Moscheen und Minarette, die ja nichts anderes sind als die Verortung einer Idee. Warum der Einfamilienhausmarkt in Amerika zusammengebrochen ist und wie in Israel mit Siedlungsarchitektur Machtpolitik betrieben wird. Und so gäbe es noch 1000 brisante Probleme, die zu diskutieren lohnen würde, denn der Streit zwischen Star und Nicht-Star ist eigentlich ein verdeckter Ideologiestreit zwischen offenen und geschlossenen Systemen.

Wenn man so will, kann man auf dieser Biennale den Backlash der 1970er-Jahre wiedererkennen. Architektur bleibt Architektur. Kunst ist Kunst. Keine Experimente. Alles ist wieder brav. Gleichgewicht und Balance sind wichtiger als Dynamik. Auch wenn man dieses Gleichgewicht - wie bei einem Objekt zu sehen ist - mit hohlen statt mit vollen I-Trägern darstellt. Dynamik ist out.

Der Slogan am japanischen Pavillon treibt es auf die Spitze; übersetzt heißt er: „Der öffentliche Raum ist für autoritäre Systeme ein Mittel, um Menschen zu unterdrücken.“ Es war kein Wort der Kritik darüber zu hören oder zu lesen. So, als ob man vergessen hätte, dass die Demokratie in Griechenland im öffentlichen Raum (Agora) ihren Ursprung hatte. Und im Übrigen hat es die Aufklärung nie gegeben. - Der Österreichische Pavillon hat nur auf den ersten Blick das Thema verfehlt, denn immerhin machte er keine eindimensionale Achse, sondern ein dreidimensionales Netzwerk deutlich. Auch wenn man die Darstellung kritisieren mag, so sind doch 64 österreichische und internationale Architekten virtuell versammelt.

Den intelligentesten Beitrag hat allerdings Rem Koolhaas abgeliefert. Seine Auseinandersetzung mit dem Denkmalschutz kümmert sich nicht um das Thema, sondern dient allein der Argumentation für sein Projekt in Venedig: einen Palazzo in ein Shopping Center für Benetton umzubauen. Auch dafür hat er den goldenen Löwen bekommen. Und soviel ich weiß, war es immer noch ein Löwe und keine Löwin, wie mir viele Freunde, die die Architektur-Biennale weiblich gestaltet gesehen haben, weismachen wollten.

Der Standard, Sa., 2010.09.04

23. Mai 2009Wolf D. Prix
Der Standard

Architekten in gedämmter Isolierhaft

Vom Umgang mit Baukörpern in Zeiten der Krise

Vom Umgang mit Baukörpern in Zeiten der Krise

Architektur, die Gebäude und unsere Städte sind die dreidimensionale Sprache unserer Kultur. Angewandte Realität könnte man sie nennen, wobei ich behaupte, dass nicht die Realität uns macht, sondern wir die Realität. Es obliegt aber dem ästhetischen Wahrnehmungspotenzial, kommende Realitäten zu erkennen und diese im nächsten Schritt zu formen.

Jeder neue Baukörper ist ein zunächst „fremder“ Körper. Und wenn man diese fremden Körper ent-fremden will, das heißt also, gesehen und daher gewohnt im Sinne von Gewöhnen machen will, muss man die ästhetischen Kriterien immer wieder neu definieren.

Das ist die Aufgabe der Kunst, und daher auch die Aufgabe der Architektur.

Aber heute wird auch auf dem Gebiet der Architektur von Krise gesprochen und vor allem vom Sparen. Indolente Theoretiker geben die neue Matrix vor: An allem soll gespart werden. An Fläche, Volumen, Material, an Kosten und an Energie. Und wenn möglich, soll auch beim Nachdenken gespart werden.

Abgesehen davon, dass Sparen der falsche Ausdruck ist - „was, von dem was ich nicht habe, soll ich auf die Seite legen“ - ist es gefährlich, dem unserer Gesellschaft immanenten apokalyptischen Denken als Selffulfilling Prophecy zu folgen.

Ist es nicht möglich, dass das Bild unserer Krise, das Bild eines sich so schnell drehenden Speichenrads ähnelt, das scheinbar zum Stillstand gekommen ist.

Gefährlich wäre es, denkfaul einen Pflock in dieses Rad zu werfen. Es käme dann wirklich zum Stillstand.

Auf unserem Gebiet sind es jene Kritiker, die Kraft ihrer Inkompetenz die Architekten auffordern sich zu bescheiden und dem Dogma der Nachhaltigkeit zu folgen. Wobei sie vergessen, dass das Wort Nachhaltigkeit ein wirtschaftlich-technischer Begriff ist- also ein kapitalistischer Begriff - wenn man so will.

Nachhaltigkeit verleugnet Zeichenhaftigkeit und daher ist es nicht möglich aus diesem Begriff Nachhaltigkeit „Ästhetik“ zu generieren.

Eine lebendige Ästhetik der Nachhaltigkeit gibt es nicht.

Und diese Kritiker sagen auch: Ikonen in der Architektur - also Zeichen - brauchen wir schon gar nicht.

Ich stelle mir sofort Wien ohne Zeichen vor. Ohne Stephansdom, ohne Ringstraße, ohne Oper und Burgtheater, ohne Hofburg, ohne Looshaus, ohne Haas-Haus, ohne Semperdepot, ohne Museum für angewandte Kunst, ohne Akademie, ohne Stephansplatz, ohne Graben ... Die Liste könnte ich endlos fortsetzten.

Stattdessen kleine funktionell geplante, energiesparende, grasbedachte, gut isolierte, gedämmte Häuser. Also die Architekten in gedämmter Isolierhaft.

Ich denke aber eher an Gebäude, die nicht gedämmte Kisten sind, sondern mit ihrer Form und durch ihre Fassade Energie gewinnen und in ihrer Gestalt die Gestalt der zukünftigen Gesellschaft zeigen.

Ich meine damit aber nicht die in vielen bunten Magazinen abgebildeten Telefonsexarchitekturen, deren Bilder mehr versprechen, als sie dann in der Realität halten.

Ich meine damit Gebäude, die die Zukunft aller unserer Ressourcen - und vor allem auch der geistigen - darstellend ernst nehmen, und damit zu Zeichen einer zukünftigen optimistischen Gesellschaft werden. Einer Gesellschaft, die mit ihrem Wissen und ihrer Kunst die wahrlich großen Probleme, die auf uns zukommen, auch zu lösen imstande ist.

Das sind nämlich die Kunst und die Wissenschaft den zukünftigen Generationen schuldig.

[ Wolf D. wurde am Mittwoch das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst verliehen. Hier ein Auszug aus seiner Dankesrede. ]

Der Standard, Sa., 2009.05.23

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Publikationen

Bauwerke

Artikel 12

10. Dezember 2022Wojciech Czaja
Maik Novotny
Der Standard

„Alles ist so ernst geworden“

Am 13. Dezember feiert Wolf Prix seinen 80. Geburtstag. Dem ΔTANDARDerzählt er, wofür er heute brennt, warum er es für blödsinnig hält, die Bauwirtschaft als CO2 -Sünderin hinzustellen, und wie es ist, für Autokraten zu bauen.

Am 13. Dezember feiert Wolf Prix seinen 80. Geburtstag. Dem ΔTANDARDerzählt er, wofür er heute brennt, warum er es für blödsinnig hält, die Bauwirtschaft als CO2 -Sünderin hinzustellen, und wie es ist, für Autokraten zu bauen.

STANDARD: In Ihren jungen Jahren haben Sie gesagt: „Architektur muss brennen.“ Muss sie das, wenn man 80 ist, immer noch?

Prix: Freilich! Die meisten glauben, dass wir wirklich Feuer legen wollen, aber das wollen wir natürlich nicht. Im übertragenen Sinne muss Architektur aber auf jeden Fall Emotionen erzeugen.

STANDARD: Was wurde aus den „jungen Wilden“, wie Sie sich damals genannt haben? Wird man zu einem alten Wilden? Oder doch zu einem jungen Gemäßigten?

Prix: Heute bin ich gelassener. Ich ärgere mich nicht mehr über unsere Fehler und die Fehler der anderen, sondern ich ärgere mich gar nicht mehr, ich lache gerne. Allerdings wurde früher mehr gelacht, die Architekten waren lustiger und frecher, die Medien waren provokant, die Gesellschaft war offener. In den letzten Jahren ist alles ernst geworden, man versteht keinen Spaß mehr. Vielleicht liegt das auch an den Architektenverträgen, die immer dicker und umfangreicher werden.

STANDARD: Die Rolling Stones galten früher als Rebellen, heute füllen sie Stadien für die ganze Familie. Auch Sie waren ein frecher Rebell, heute bauen Sie für Zentralbanken und Regierungen. Sehen Sie hier Parallelen?

Prix: Kann sein, dass es hier tatsächlich Parallelen gibt. Auch die Karriere eines bauenden Architekten wandelt sich mit der Zeit. Stellen Sie sich vor, ich würde heute das Gleiche planen wie 1968, als wir mit unseren Gedankenräumen eine neue Lebensweise wecken wollten. Das ist heute unvorstellbar! Beim Bauen und Realisieren und mit dem Älterwerden geht man mit der Kraft ökonomischer um. Um diese Erfahrung kommt man nicht herum.

STANDARD: Gemeinsam mit Ihren Zeitgenossen – mit Zünd-Up, Missing Link und Haus-Rucker-Co – haben Sie in den 1960er-Jahren an der Verbesserung der Welt gearbeitet. Was wurde aus den damaligen Visionen?

Prix: Ich sage gerne, dass wir verloren haben. Die Idee der optimistischen Gedankengebäude war nicht durchsetzbar. Der Unterschied ist nur, dass wir damals das zukünftige Leben völlig neu definiert haben! Heute ist die Lebensqualität einer Stadt nichts anderes als ein neues Biedermeier: Rückzug in die Ego-Privatheit, Rückzug aus dem öffentlichen Raum, Rückzug in die Gemütlichkeit, auf dem grünen Balkon im Liegestuhl sitzend, mit einer Flasche Bier in der Hand, die romantische Scheinrealität einer grünen Stadt. Wo sind die zukünftigen innovativen Lebenskonzepte?

STANDARD: Heute reden wir über Ressourcenschonung. Die Bauwirtschaft steht als CO2 -Sünderin am Pranger.

Prix: Oje, schon wieder diese blödsinnige Feststellung.

STANDARD: Wissen Sie, wo der Stahl für Ihre Museen und Konferenzzentren herkommt?

Prix: Nein, das weiß ich nicht. Muss ich auch nicht. Aber ich mag diese Diskussionen nicht. Denn wenn wir von Materialverschwendung sprechen, dann müssen wir schon die Architekturindustrie mit der Waffenindustrie vergleichen. Wir bauen Waffen aus Unmengen von Stahl, die nur einen einzigen Zweck haben: Zerstörung. Und wir bauen Kampfflugzeuge, wovon eines so viel kostet wie das Musée des Confluences in Lyon, und nach spätestens fünf Jahren wird es abgeschossen. Das müssen wir vergleichen! Vergleichen wir doch den CO2 -Ausstoß des Kriegs in der Ukraine mit dem CO2 -Ausstoß von unseren Kulturbauten auf der Krim. Darüber müssten wir sprechen!

STANDARD: Ihre größten und wichtigsten Projekte haben Sie stets im Ausland realisiert, zuletzt vor allem in China. Aktuell bauen Sie in Russland und auf der Halbinsel Krim. 1998 haben Sie in einer Rede in Wien gesagt: „Autoritäre Systeme vertragen keinen Ungehorsam.“ Wie verträgt sich das?

Prix: Es kommt nicht darauf an, für wen oder wo wir bauen, sondern was wir bauen. Was Russland betrifft, so habe ich alles Relevante schon im Spiegel -Interview gesagt. Außerdem sind wir jetzt von der EU sowieso sanktioniert. Wir dürfen nicht mehr für Russland arbeiten – ein demokratisches Arbeitsverbot. Alle Aufträge, die wir in Arbeit haben, Hochhäuser, Theater, Schulen und Kulturzentren, können wir wegwerfen. Toll!

STANDARD: Auf der Krim nach 2014 zu bauen dient der Legitimierung einer völkerrechtswidrigen Annexion. Sehen Sie das anders?

Prix: Wir hatten auf der Krim nie ein Arbeitsverbot, denn Kulturbauten waren von den Sanktionen ausgenommen. Aber ja, nun müssen wir auch dieses Projekt stoppen. Ein Freund von mir hatte auf der Krim eine Fabrik für Maschinenteile und wurde ebenfalls sanktioniert. Wer, glauben Sie, hat diese Lieferungen übernommen? Ein Amerikaner! Also hören Sie mir auf mit den moralischen und angeblich politischen Darstellungen ...

STANDARD: Die meisten und größten Ihrer Aufträge kommen von autokratischen Regimen. Was macht das mit Ihnen?

Prix: Gar nix. Gegenargument: Ich habe Sympathie für eine Gesellschaft, demokratisch oder autokratisch, die sich erlaubt, auf einen Schlag in sieben Städten Kulturzentren zu bauen. Bei uns heißt es nur: Brauchen wir nicht! Es wird gerne vergessen, dass auch ein François Mitterrand autokratisch entschieden und zahlreiche Großprojekte beauftragt hat. Und ganz ehrlich: Es macht keinen Unterschied, ob man für Autokraten oder für Turbokapitalisten baut. Für Autokraten ist es sogar etwas angenehmer, weil sie nicht jeden Cent berechnet haben wollen, um zu wissen, wie viel sie mit einem Projekt verdienen.

STANDARD: Welche Auswirkungen haben die Russland-Sanktionen auf Ihr Büro?

Prix: Wir arbeiten nun für einen anderen Autokraten und sitzen mit all jenen, die gesagt haben, dass sie für Russland nicht mehr arbeiten wollen, Schulter an Schulter in Saudi-Arabien. Dort planen wir alle an der 170 Kilometer langen Linearstadt Neom. Das ist eine der radikalsten Stadtplanungsideen, eine Mischung aus Le Corbusier und Superstudio.

STANDARD: Im Rückblick auf mehr als 50 Jahre Schaffen: Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?

Prix: Auf drei Dinge: auf den Dachbodenausbau in der Wiener Falkestraße, auf das Musée des Confluences in Lyon und auf das Mocape-Museum in Shenzhen, weil ich bei diesem Projekt Piranesi am nächsten gekommen bin.

STANDARD: Am 13. Dezember werden Sie 80. Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?

Prix: Weiß ich nicht. Das ist ein Tag wie jeder andere. Das ganze Drumherum ist mir völlig egal. Aber ich weiß, dass ich nicht noch weitere 80 Jahre vor mir habe. Und dass ich gewisse Dinge nicht mehr erleben werde, von denen ich als junger Architekt dachte, ich würde sie noch erleben. Zum Beispiel die Projekte in Russland. Oder dass ich noch lerne, Keith Richards Riff in Gimme Shelter spielen zu können.

STANDARD: Gibt es einen Wunsch für die Zukunft?

Prix: Ich habe immer noch den Wunsch, dass wir die großen Probleme der Welt mit Wissen und Optimismus lösen können – und dabei nicht vergessen zu lachen.

STANDARD: Wofür brennt Wolf Prix heute?

Prix: Für die Möglichkeit, Architektur zu bauen, die beweist, dass wir mit manchen Aussagen recht gehabt haben könnten. Und trotzdem: Jeder hat recht, aber nichts ist richtig.

Wolf Dieter Prix, geboren am 13. Dezember 1942 in Wien, gründete 1968 mit Helmut Swiczinsky und Michael Holzer das Büro Coop Himmelb(l)au, das er seit 2001 allein leitet. Er zählt zu den wichtigsten Vertretern des Dekonstruktivismus.

19. März 2015Peter Grubmüller
OÖNachrichten

Wolf D. Prix: Der Architektur-Stratege

Was der gestern eröffnete Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt tatsächlich gekostet hat, wird man erst Ende 2015 wissen.

Was der gestern eröffnete Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt tatsächlich gekostet hat, wird man erst Ende 2015 wissen.

Es dürften aber nicht weniger als 1,3 Milliarden Euro sein, die der 185 bzw. 163 Meter hohe Doppelbüroturm verschlang. Ursprünglich waren 850 Millionen Euro veranschlagt gewesen. Die Planung des EZB-Kolosses stammt von dem Wiener Architekturstar Wolf D. Prix (72) und seiner 1968 zusammen mit Helmut Swiczinsky und Michael Holzer gegründeten Architekturkooperative Coop Himmelb(l)au.

„Coop Himmelblau ist keine Farbe, sondern die Idee, Architektur mit Phantasie leicht und veränderbar wie Wolken zu machen“, sagte Prix damals. Der Architektensohn studierte in Wien, London und Los Angeles und führte obendrein den Begriff „Baustoff Luft“ ein. 1988 erregte der rasch für Euphorie und durchsetzungskräftigen Zorn Entflammbare mit dem Dachausbau Falkestraße in Wien erstes internationales Aufsehen. Für ihn und seine bis dahin vor allem architekturtheoretisch bemerkenswerte Truppe begann nun die Zeit des Bauens. Mit Projekten wie dem Ostpavillon des Groninger Museums (1994), dem UFA Kinopalast in Dresden (1998), der BMW-Welt in München (2007), dem Akron Museum in Ohio (2007) oder dem Busan Cinema Complex in Südkorea (2012) erarbeitete sich Prix Weltgeltung. In seinen Büros in Wien, Los Angeles, Frankfurt, Paris und Hongkong beschäftigt er 170 Mitarbeiter. 2012 legte er die Leitung des Instituts für Architektur an der Wiener Uni für angewandte Kunst nach neun Jahren zurück, weil er die Übersiedelung in die Räumlichkeiten der Wirtschaftsuni nicht mittragen wollte. Als Gastprofessor lehrt er nach wie vor in London, Los Angeles und New York.

Prix verehrt die Spielweise der Kicker vom FC Barcelona, weil sie strategisch ausgefeilt sei. Beim Fliegenfischen versuche er seit geraumer Zeit selbst, strategisches Denken zu üben. Man darf davon ausgehen, dass er es schon vorher beherrscht hat.

02. Juli 2012Barbara Petsch
Spectrum

Wolf D. Prix verlässt die Angewandte

Der Architekt von Coop Himmelblau kritisierte beim Abschied das Ministerium. Er fürchtet einen Verlust der Vielfalt der Architektur-Ausbildungen.

Der Architekt von Coop Himmelblau kritisierte beim Abschied das Ministerium. Er fürchtet einen Verlust der Vielfalt der Architektur-Ausbildungen.

„Ich verlasse die Universität für angewandte Kunst mit dem heutigen Tag. Es ist mir nicht mehr möglich, die Entscheidungen des Rektorats, die mehr den Entscheidungen eines beamteten Ministeriums entsprechen als denen einer Kunstuniversität, mitzutragen und loyal zu unterstützen.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Wolf D. Prix von Coop Himmelblau am Montag von der Wiener Angewandten. Er fürchtet einen Verlust der Vielfalt der Architektur-Ausbildungen in Wien aus Spargründen, so Prix.

„Mir Neid zu unterstellen, wenn ich sage, das Projekt von Wolfgang Tschapeller für den Zubau der Universität für Angewandte Kunst Wien ist funktional und ästhethisch ein schlechtes Projekt, wäre frivol“ erläutert Prix auf Anfrage der „Presse“ seinen Abgang näher: „Ich hätte das Projekt gerne gebaut, halte es aber nicht für notwendig.
Es geht um Entscheidungen, die ich nicht mehr mittragen will und kann. Ich kann nicht vertreten, dass eine Kunstuniversität, die sich als Speerspitze für Ästhetik versteht, in das hässlichste Gebäude von Wien verbannt werden soll. Wäre ich ein bösartiger Wiener würde ich in der Absicht die Architekturfakultäten der Akademie und der Angewandten zu vereinen, einen Anschlag auf das eigenständige Profil dieser Universitäten und daher auf die Vielfalt sehen. Es geht den Beamten und dem Ministerium nicht um inhaltliche Überlegungen, sondern rein um das Sparen. Wien kann und muss sich locker drei Architektur-Schulen leisten können. Denn nur die Vielfalt kann das neue Rollenbild der Architekten neu definieren. Architekten dürfen nicht nur Aushilfsgehilfen von schwachen, ökonomischen und funktionalen und politischen Ideen sein. Aber für eine solche Neuordnung braucht man Geld und das steht der Angewandten scheinbar nicht zur Verfügung. Da ich meine Zeit nicht verschwenden will, gehe ich“, schloß Prix.

18. November 2008Carsten Krohn
Neue Zürcher Zeitung

Die Stadt als Gehirn

Im Jahr 1968 gründeten Wolf Prix und Helmut Swiczinsky in Wien das Büro Coop Himmelb(l)au. Ihre Projekte sorgten 1988 auf der legendären Dekonstruktivismus-Schau des New Yorker Museum of Modern Art für Aufsehen. Im Herbst 2007 vollendeten sie die BMW-Welt in München. Mit Wolf Prix sprach Carsten Krohn in Wien und auf der Architekturbiennale in Venedig über Zukunftsvisionen und Globalisierung.

Im Jahr 1968 gründeten Wolf Prix und Helmut Swiczinsky in Wien das Büro Coop Himmelb(l)au. Ihre Projekte sorgten 1988 auf der legendären Dekonstruktivismus-Schau des New Yorker Museum of Modern Art für Aufsehen. Im Herbst 2007 vollendeten sie die BMW-Welt in München. Mit Wolf Prix sprach Carsten Krohn in Wien und auf der Architekturbiennale in Venedig über Zukunftsvisionen und Globalisierung.

Gibt es eine Vision der Stadt der Zukunft?

Wolf Prix: Wir arbeiten jetzt an einem Forschungsauftrag, der das Wachstum unseres Gehirns und das Wachstum einer Stadt vergleicht. Es ist interessant, zu sehen, wie unser Kopf funktioniert, welche Strukturen bei unseren Entscheidungen beteiligt sind und wie diese Strukturen aufgebaut sind. Und wenn man dies mit unserer Stadtentwicklung vergleicht, sind wir noch nicht einmal am Stammhirn angelangt. Wir werden diesen Forschungsauftrag mit Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung machen, der schon in seinem Buch Ansatzpunkte zur Stadtplanung festgehalten hat. Das hat mich auf die Idee gebracht, das Wachstum von São Paulo zum Beispiel mit der Struktur in unserem Kopf zu vergleichen. Das Gehirn ist weder hierarchisch noch total vernetzt, sondern ändert von Entscheidung zu Entscheidung die Systeme. Dies ist ein Hinweis, wie sich die Architektur in der nächsten Zukunft entwickeln sollte. Ich denke, dass uns die Übertragung dieser Entscheidungsprozesse in unserem Gehirn auf die Stadt zu Stadtplanungen auf ganz anderen Ebenen führen wird. Diese sind natürlich politisch, werden der Architektur jedoch einen viel grösseren Freiraum geben.

Strategien für die Zukunft

Das Wiener Museum für Moderne Kunst zeigt derzeit in der Ausstellung «Mind Expanders» unter anderem Architekturutopien von 1968, darunter auch Ihre frühen Visionen einer sich permanent verändernden Stadt. Wie stehen Sie rückblickend zu diesem frühen Werk?

Eine dieser Ideen haben wir für die diesjährige Architekturbiennale in Venedig realisiert. Was wir damals erdacht haben, nämlich das Feedback-System, das heute interaktiv genannt wird, können wir heute bauen. Es demonstriert, dass der Mensch die Architektur auch über den Körper verändern und steuern kann, zum Beispiel über den Herzschlag. Der Rückschluss lautet: Was damals geträumt wurde, ist heute fast schon Realität. Die versuchte Musealisierung von dynamischen Ideen allerdings kann nur schiefgehen. Der Drang zum Musealisieren ist eher ein gesellschaftliches Phänomen, um die Unruhe, die damals durch diese Projekte gestiftet wurde, zu befrieden. Und dagegen bin ich. Ich glaube, dass diese Ideen, die damals entwickelt wurden, wichtige Ausgangspunkte für eine ganze Generation waren und es noch immer sind.

Die Wiener Ausstellung macht eine enge Beziehung zwischen den bildenden Künstlern und den Architekten sichtbar, und dies speziell in Wien.

Das bedeutet ja nichts anderes, als dass Architektur auch Kunst ist, und das finde ich ein ganz wichtiges Statement. Das ist beispielsweise in Deutschland nicht so bekannt. Dort sieht man die Architektur als dienendes Element und den Architekten als Erfüllungsgehilfen. Je besser er die Wüsche erfüllt, desto besser wird er beschrieben. Ich denke aber, dass die Architekten eher die Strategen für die Zukunftsbewältigung sein müssen und daher auch gegen die Wünsche des Auftraggebers – in durchaus friedlicher Form und Diskussionsbereitschaft – agieren müssen. Dazu sind wir ausgebildet, dazu sammeln wir die Erfahrung, denn wenn wir nicht in die Zukunft denken würden, wären unsere Bauwerke ja schon im Moment ihrer Errichtung obsolet.

Angesichts eines enormen gegenwärtigen Bauvolumens mit der gerade fertiggestellten BMW-Welt in München scheint sich Ihr Büro Coop Himmelb(l)au verändert zu haben. Wer hätte vor 15 Jahren geglaubt, dass Sie heute derart viel bauen?

Wir haben das immer gewusst! Es gehört mit zum Beruf der Architekten, dass man auch an der Durchsetzung der Ideen arbeiten muss, weil man sonst ja nur Schriftsteller oder Zeichner wäre.

In der österreichischen Architekturszene machen viele junge Büros durch innovative Bauten Furore. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Ich halte von meinen jungen Kollegen sehr viel. Ihr innovatives Bauen hängt mit der Ausbildung zusammen. Sosehr sie auch an manchen Stellen zu kritisieren ist, unterscheidet sie sich von der Ausbildung andernorts. Die Kreativität kommt aber auch von der Haltung. Wir können Architektur mit einer Metaebene versehen und uns als Vorausdenker und Strategen für die Zukunft begreifen. Dazu gehört auch die Form. In Wien ist die Ausbildung zur Form ein fast schon historisches Erbe. Ich führe das gern auf die Barockkultur in Wien und Österreich zurück. Diese unterscheidet sich vom evangelisch nüchternen Denken. Man kann sagen, dass die Österreicher unheimlich formtalentierte Raumsequenzerfinder sind: Hollein, Abraham, Domenig. Dass man das hier in Österreich intellektuell nicht wahrnimmt, ist einfach ein Mangel an Information.
Vereinheitlichung der Sprache

Was halten Sie von den aktuellen Globalisierungstendenzen in der Architektur?

Jetzt hat man gerade entdeckt, dass es ein Stonehenge in Magdeburg gibt. Das heisst, vor dreitausend Jahren gab es ähnliche Architekturen in England und in Deutschland. Nehmen Sie den Barock oder die Gotik. Die Gotik war damals international. Ich finde das gut. Durch das Werkzeug des Computers gibt es nun eine Vereinheitlichung der formalen Sprache, aber das war bei den Bauhütten ähnlich. Wenn man in die Tiefe geht und den Background des einzelnen Architekten untersucht, seine gesamte Kultur und die Gesellschaft, aus der er kommt, dann gibt es sehr dezidierte Unterschiede.

Also, ich denke an meine jüdischen Architektenfreunde, die eher kabbalistisch denken: Daniel Libeskind, Peter Eisenman und auch Frank Gehry. Die könnten über Kiesler in Wien Fuss fassen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Rietveld als ein calvinistisch geprägter Denker hier in Wien sein Werk entwickelt hätte. Genauso wie ich mir nicht vorstellen kann, dass in Amsterdam oder Rotterdam Kiesler sein Raum-Zeit-Theater entworfen hätte oder sein endloses Haus. So kann man das bis zu Zaha Hadid verfolgen, deren Entwürfe mich an arabische Kalligrafie erinnern.

Presseschau 12

01. September 2012Wolf D. Prix
Der Standard

Architektur-Karneval in Venedig

Oder: Wie die Biennale zur Banale verkommt: Aufzeichnungen von einem teuren Totentanz zwischen biederem Glamour und eitler Inszenierung, bei der die Architektur in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Oder: Wie die Biennale zur Banale verkommt: Aufzeichnungen von einem teuren Totentanz zwischen biederem Glamour und eitler Inszenierung, bei der die Architektur in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Praise be to Nero's Neptune.
The Titanic sails at dawn.
And everybody's shouting
„Which Side Are You on?“
Bob Dylan,„Desolation Row“ 1966.

Wenn man nicht wüsste, dass Medien immer übertreiben, könnte man fast glauben, dass die Architekturbiennale in Venedig -wie die Süddeutsche Zeitung schreibt - tatsächlich die wichtigste Architektur Ausstellung der Welt ist.

Ich vermute aber, dass mit Ausstellung nicht Ausstellung gemeint ist, sondern vielleicht meint Gerhard Matzig nur den Event per se. Also das Treffen einer Branche, wie bei einer Produktmesse.

Andere Kritiker stellen gar nicht mal die Sinnfrage, sondern stellen gleich fest, dass das Zusammenkommen, das Treffen, das Netzwerken das weitaus Wichtigere sei. Gegessen!

Nur vorgetäuscht

Ich möchte aber schon mal festhalten, dass die Bedeutung der Architektur-Biennale in Venedig in der theoretischen Auseinandersetzung seit ihren Beginn immer mehr abnimmt. Auch die persönliche Bedeutung für die Teilnehmer ist im Gegensatz zur Kunstbiennale sehr gering. Wir brauchen uns also nichts vormachen, dieser Event ist ein teurer Totentanz: In einer zusammengestohlenen Stadt („zusammengestohlene Ausstellung“) wälzen sich Touristenströme (Architekten) in einer nicht funktionierenden Infrastruktur um ihre bürgerliche Bildungslust (bei den Architekten: Eitelkeiten, Neid, Schadenfreude, Verdächtigungen) zu befriedigen. Auch der Glamour, den der Besucher zu spüren vermeint ist bieder und nur von den Medien (Stararchitekten = Filmstar) vorgetäuscht.

In Wahrheit ist das alles hohl, anstrengend, ermüdend, öde und langweilig. Weil es wirklich nicht mehr um eine lebendige Auseinandersetzung und Kritik mit Themen zeitrichtiger Architektur geht, sondern um leere, konservative und möglicherweise populistische Hüllen, die mit scheinbarer Bedeutung aufgeladen werden.

Was wäre das für eine Architektur Biennale hätte man statt langweiligen Ausstellungen Foren etabliert und Themen lanciert, die uns alle hinter die Kulissen der Entscheidungen blicken ließen. Zum Beispiel der Streit um den Bahnhof in Stuttgart. Die Hinter- und Vordergründe der Kostenexplosion der großen markanten Bauwerke, wie zum Beispiel der Elbphilharmonie. Die politische Auseinandersetzung um Moscheen und Minarette, also der Streit um die Verortung einer Idee. Warum der Einfamilienhausmarkt in den USA zusammengebrochen ist und wie mit Siedlungsarchitektur Machtpolitik betrieben wird. Über diese Themen lohnt es sich zu diskutieren und nicht wer ein Stararchitekt ist und wer nicht.

Aber stattdessen heißt es: „Menschen treffen sich in Architektur“ und jetzt „Common Ground“ (Übersetzt heißt das: Kompromiss). Schlimmer geht's nimmer!

Diese Situation lässt das Bild des venezianischen Karnevals aufkommen - man stelle sich vor, alle Architekten in Pierrot Verkleidung umgeben von maskentragenden Kritikern - tanzen den Banale-Tanz, oder noch besser, auf einer sinkenden Gondel spielen die Architekten wie weiland das Orchester der Titanic das letzte Lied, während draußen in der realen Welt unser Berufsstand leckgeschlagen in Macht- und Bedeutungslosigkeit versinkt. Denn Politiker und Projektsteuerer, Investoren und Beamte bestimmen schon lange unsere gebaute Umwelt. Nicht der Architekt.

Während in Russland die Künstler hartnäckig Widerstand leisten gegen das autoritäre Regime, befindet der jetzige Kommissar der Architektur Biennale diese Eigenschaften als hinderlich für unseren Beruf und er erklärt in einem Interview, dass dem Genie Raum weggenommen werden muss. Man müsste ihm die Pussy Riots vorführen damit er endlich versteht, wo es langgeht in unserer Gesellschaft.

Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Architektur Biennale in Venedig neu organisiert werden muss.

Der Standard, Sa., 2012.09.01



verknüpfte Beiträge
Architektur-Biennale Venedig

04. September 2010Wolf D. Prix
Der Standard

Venedig sehen und sterben für die Greißlerarchitektur?

Die Biennale 2010 - Motto: Baukunst als „Lebensmittel“ - feiert den Abschied vom Starkult, und der Österreich-Pavillon feiert nicht mit: eine „peinlich-retrospektive“ Themenverfehlung, wie Dietmar Steiner schrieb?

Die Biennale 2010 - Motto: Baukunst als „Lebensmittel“ - feiert den Abschied vom Starkult, und der Österreich-Pavillon feiert nicht mit: eine „peinlich-retrospektive“ Themenverfehlung, wie Dietmar Steiner schrieb?

Der Österreichische Pavillon in Venedig erstickt im „Ego-Kitsch“: Das sagt zumindest der Leiter des Architekturzentrums Wien (der Standard, 30. 8.). Eric Owen Moss, der diesjährige Kommissär des Österreich-Pavillons, hat wohl einen Fehler gemacht: Er hat vergessen, Dietmar Steiner zu fragen, wo's lang geht in der internationalen Architektur.

Wenn man nicht wüsste, dass Medien in Wort und Tat immer übertreiben, müssten die 64 Architekten und Lehrer (aus Österreich, Deutschland, England, USA, Argentinien, Japan, Frankreich, Spanien, Niederlande), deren Werke im Österreich-Pavillon gezeigt werden, und denen von Steiner unterstellt wird, die Zukunft Österreichs mit gestriger Architektur zu verbauen, den Rücktritt Steiners als Leiter des Architekturzentrums Wien fordern. Sie werden es natürlich nicht tun, und das ist auch gut so, denn er ist als prononcierter Vertreter und Theoretiker österreichischer Architektur weit über unsere Landesgrenzen bekannt.

Zunächst muss einmal festgestellt werden, dass die Bedeutung der Architektur-Biennale in Venedig in der theoretischen Auseinandersetzung seit ihrem Beginn 1980 immer mehr abnimmt. Auch die persönliche Bedeutung für die Teilnehmer ist im Gegensatz zur Kunst-Biennale sehr gering. Eigentlich wird sie nur veranstaltet, um der In-Group der Architekten und ihren Kritikern die Gelegenheit zu geben, ihren Eitelkeiten, ihrem Neid, ihrer Schadenfreude und ihren Verdächtigungen Raum zu geben.

Mag sein, dass das Layout, also die Gestaltung der kuratierten Ausstellung im Arsenale und im italienischen Pavillon und die Vereinfachung der Thematik - sagen sie mir einen banaleren Titel als: „Menschen treffen sich in Architektur“ - den Gefallen von Ausstellungsmachern findet und zum Aufatmen überforderter Kritiker führt. Tatsächlich erleichtert im Vergleich zu früheren Biennalen - die immer mehr zu Produktmessen verkamen - die größere Übersichtlichkeit das schnelle Durchmessen des Inhalts. Aber scheinbar hat das Aufatmen die Brillen der kritischen Distanz beschlagen lassen. Vor lauter Häme, dass nun endlich einige Stars durch scheinbare Nicht-Stars ersetzt werden, wird leicht übersehen, dass es eigentlich um die Inhalte der Objekte und Installationen in den Pavillons gehen sollte.

Verkehrte Welt: Die Medien, die den Architektur-Starkult ja erfunden haben, erklären ihn nun für beendet. Kazuyo Sejima wird als Anti-Star gefeiert und die ausgestellte Architektur als Lebensmittel bezeichnet. Abgesehen davon, dass alles schon viel anregender und präziser in dem Buch Architektur ohne Architekten von Bernard Rudofsky zu finden ist, sind gerade die Bauten Sejimas ebenso spektakuläre Ikonen. Sie sehen nur anders aus. Ihr Museum in New York funktioniert weder besser noch schlechter als Zahas Museum in Rom. Die Raumprägung ist nur konservativer.

Und apropos Starkult: Ich habe schon lange keine peinlichere Präsentation eines Stars gesehen als den Film über Sejimas intelligentes Gebäude, das Rolex Learning Center in Lausanne. Der Film gleicht eher einem Hochamt, in dem Priesterinnen im Kimono schauerliche Banalitäten von sich geben. - Also keine spektakulären Bauten mehr. Auch gut.

Es werden aber weiterhin Bauaufgaben zu bewältigen sein, die nicht nur mit sozialer und ökologischer Lebensmittelarchitektur zu bewältigen sind. Wir werden neue Universitäten, Bahnhöfe, Bürobauten, Stadtteile zu bauen haben. Aber spektakulär und merkbar dürfen sie nicht mehr sein.

Gerne übersehen wir dabei, dass ganz andere Kräfte heute - nämlich Investoren, Politik, Bauunternehmen - ganz entscheidend für die, fälschlicherweise den Architekten vorgeworfenen, spektakulären Preise verantwortlich sind. Und anstatt nach neuen Planungsmethoden, Durchsetzungs- und Ausführungsstrategien zu fragen, bejubelt man den Rückzug des Architekten zum ökonomisch bescheidenen Funktionserfüller.

Was wäre das für eine Architektur-Biennale geworden, hätte man statt einer langweiligen Ausstellung Foren etabliert, Themen lanciert, die uns alle hinter die Kulissen der Entscheidungen blicken ließen. Zum Beispiel der Streit um den Bahnhof in Stuttgart. Die Hinter- und Vordergründe der Kostenexplosion der Elbphilharmonie. Der politische Streit um Moscheen und Minarette, die ja nichts anderes sind als die Verortung einer Idee. Warum der Einfamilienhausmarkt in Amerika zusammengebrochen ist und wie in Israel mit Siedlungsarchitektur Machtpolitik betrieben wird. Und so gäbe es noch 1000 brisante Probleme, die zu diskutieren lohnen würde, denn der Streit zwischen Star und Nicht-Star ist eigentlich ein verdeckter Ideologiestreit zwischen offenen und geschlossenen Systemen.

Wenn man so will, kann man auf dieser Biennale den Backlash der 1970er-Jahre wiedererkennen. Architektur bleibt Architektur. Kunst ist Kunst. Keine Experimente. Alles ist wieder brav. Gleichgewicht und Balance sind wichtiger als Dynamik. Auch wenn man dieses Gleichgewicht - wie bei einem Objekt zu sehen ist - mit hohlen statt mit vollen I-Trägern darstellt. Dynamik ist out.

Der Slogan am japanischen Pavillon treibt es auf die Spitze; übersetzt heißt er: „Der öffentliche Raum ist für autoritäre Systeme ein Mittel, um Menschen zu unterdrücken.“ Es war kein Wort der Kritik darüber zu hören oder zu lesen. So, als ob man vergessen hätte, dass die Demokratie in Griechenland im öffentlichen Raum (Agora) ihren Ursprung hatte. Und im Übrigen hat es die Aufklärung nie gegeben. - Der Österreichische Pavillon hat nur auf den ersten Blick das Thema verfehlt, denn immerhin machte er keine eindimensionale Achse, sondern ein dreidimensionales Netzwerk deutlich. Auch wenn man die Darstellung kritisieren mag, so sind doch 64 österreichische und internationale Architekten virtuell versammelt.

Den intelligentesten Beitrag hat allerdings Rem Koolhaas abgeliefert. Seine Auseinandersetzung mit dem Denkmalschutz kümmert sich nicht um das Thema, sondern dient allein der Argumentation für sein Projekt in Venedig: einen Palazzo in ein Shopping Center für Benetton umzubauen. Auch dafür hat er den goldenen Löwen bekommen. Und soviel ich weiß, war es immer noch ein Löwe und keine Löwin, wie mir viele Freunde, die die Architektur-Biennale weiblich gestaltet gesehen haben, weismachen wollten.

Der Standard, Sa., 2010.09.04

23. Mai 2009Wolf D. Prix
Der Standard

Architekten in gedämmter Isolierhaft

Vom Umgang mit Baukörpern in Zeiten der Krise

Vom Umgang mit Baukörpern in Zeiten der Krise

Architektur, die Gebäude und unsere Städte sind die dreidimensionale Sprache unserer Kultur. Angewandte Realität könnte man sie nennen, wobei ich behaupte, dass nicht die Realität uns macht, sondern wir die Realität. Es obliegt aber dem ästhetischen Wahrnehmungspotenzial, kommende Realitäten zu erkennen und diese im nächsten Schritt zu formen.

Jeder neue Baukörper ist ein zunächst „fremder“ Körper. Und wenn man diese fremden Körper ent-fremden will, das heißt also, gesehen und daher gewohnt im Sinne von Gewöhnen machen will, muss man die ästhetischen Kriterien immer wieder neu definieren.

Das ist die Aufgabe der Kunst, und daher auch die Aufgabe der Architektur.

Aber heute wird auch auf dem Gebiet der Architektur von Krise gesprochen und vor allem vom Sparen. Indolente Theoretiker geben die neue Matrix vor: An allem soll gespart werden. An Fläche, Volumen, Material, an Kosten und an Energie. Und wenn möglich, soll auch beim Nachdenken gespart werden.

Abgesehen davon, dass Sparen der falsche Ausdruck ist - „was, von dem was ich nicht habe, soll ich auf die Seite legen“ - ist es gefährlich, dem unserer Gesellschaft immanenten apokalyptischen Denken als Selffulfilling Prophecy zu folgen.

Ist es nicht möglich, dass das Bild unserer Krise, das Bild eines sich so schnell drehenden Speichenrads ähnelt, das scheinbar zum Stillstand gekommen ist.

Gefährlich wäre es, denkfaul einen Pflock in dieses Rad zu werfen. Es käme dann wirklich zum Stillstand.

Auf unserem Gebiet sind es jene Kritiker, die Kraft ihrer Inkompetenz die Architekten auffordern sich zu bescheiden und dem Dogma der Nachhaltigkeit zu folgen. Wobei sie vergessen, dass das Wort Nachhaltigkeit ein wirtschaftlich-technischer Begriff ist- also ein kapitalistischer Begriff - wenn man so will.

Nachhaltigkeit verleugnet Zeichenhaftigkeit und daher ist es nicht möglich aus diesem Begriff Nachhaltigkeit „Ästhetik“ zu generieren.

Eine lebendige Ästhetik der Nachhaltigkeit gibt es nicht.

Und diese Kritiker sagen auch: Ikonen in der Architektur - also Zeichen - brauchen wir schon gar nicht.

Ich stelle mir sofort Wien ohne Zeichen vor. Ohne Stephansdom, ohne Ringstraße, ohne Oper und Burgtheater, ohne Hofburg, ohne Looshaus, ohne Haas-Haus, ohne Semperdepot, ohne Museum für angewandte Kunst, ohne Akademie, ohne Stephansplatz, ohne Graben ... Die Liste könnte ich endlos fortsetzten.

Stattdessen kleine funktionell geplante, energiesparende, grasbedachte, gut isolierte, gedämmte Häuser. Also die Architekten in gedämmter Isolierhaft.

Ich denke aber eher an Gebäude, die nicht gedämmte Kisten sind, sondern mit ihrer Form und durch ihre Fassade Energie gewinnen und in ihrer Gestalt die Gestalt der zukünftigen Gesellschaft zeigen.

Ich meine damit aber nicht die in vielen bunten Magazinen abgebildeten Telefonsexarchitekturen, deren Bilder mehr versprechen, als sie dann in der Realität halten.

Ich meine damit Gebäude, die die Zukunft aller unserer Ressourcen - und vor allem auch der geistigen - darstellend ernst nehmen, und damit zu Zeichen einer zukünftigen optimistischen Gesellschaft werden. Einer Gesellschaft, die mit ihrem Wissen und ihrer Kunst die wahrlich großen Probleme, die auf uns zukommen, auch zu lösen imstande ist.

Das sind nämlich die Kunst und die Wissenschaft den zukünftigen Generationen schuldig.

[ Wolf D. wurde am Mittwoch das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst verliehen. Hier ein Auszug aus seiner Dankesrede. ]

Der Standard, Sa., 2009.05.23

29. Mai 2004Wolf D. Prix
Der Standard

Let's rock over Barock

Über die Lust, den Raum zu zelebrieren: Anhand von 7+2 Beispielen vermittelt eine Ausstellung in Mürzzuschlag anschaulich, worin das oftmals in Abrede gestellte spezifisch Gemeinsame, Unverwechselbare österreichischer Architektur bestehen könnte.

Über die Lust, den Raum zu zelebrieren: Anhand von 7+2 Beispielen vermittelt eine Ausstellung in Mürzzuschlag anschaulich, worin das oftmals in Abrede gestellte spezifisch Gemeinsame, Unverwechselbare österreichischer Architektur bestehen könnte.

Im Kunsthaus Mürzzuschlag wird heute die Ausstellung „Rock over Baroque“ eröffnet. Neun junge Architekten und Architektinnen zeigen anhand eines Projektes, dass bei aller Verschiedenartigkeit doch eine unverwechselbare Qualität in der österreichischen Architektur zu entdecken ist: die Architektur der Raumsequenz.

Obwohl auch in der Architektur global gedacht werden muss, wird es immer wichtiger, die unverwechselbare Eigenart einer authentischen Architektursprache, die sich nur im Zusammenhang mit einem kulturellen Hintergrund definieren lässt, zu entwickeln. Wir könnten den Versuch starten, die Architekten der Welt, die momentan die Architekturdiskussion bestimmen, über ihre kulturellen Wurzeln zu beschreiben. Wir könnten die Holländer und Schweizer Calvinisten nennen, ein Rietveld in Wien ist genauso undenkbar wie ein Kiesler in Rotterdam. (Die Diagramme der holländischen Architekten sind bar jeder Emotion und nur erfolgsorientiert - was für ein Unterschied zu den emotionalen Qualitäten österreichischer Architekturentwürfe!). Wir könnten Frank Gehry, Eric Moss und Daniel Libeskind Kabbalisten nennen und ihre Architekturen als buchstaben- und wortgewaltig beschreiben. Und Zaha Hadids Entwürfe sind räumliche Zeichen arabischer Kalligrafie.

Auf der Suche nach der Einzigartigkeit österreichischer Baukunst, die sich beschreibbar in der Weltszene der Architektur behaupten könnte, stößt man immer wieder auf den fehlenden theoretischen Unterbau, der es erlauben würde, die zweifellos vorhandenen Qualitäten der Architekten so zu interpretieren und zu stilisieren, dass als Profil, von außen ablesbar - und wenn es sein muss, auch von innen (wobei der Blick über den Tellerrand geschärft werden müsste) - scharfkantig erscheint, was den österreichischen Architekten in der Weltszene unterscheidbar machen könnte: nämlich der Wille zur Neudefinition des gebauten Raumes.

Das Fehlen einer unterstützenden Theorie öffnet zwar den Weg individueller Möglichkeiten, aber die von innen so gepriesene Vielfalt - vielleicht sonst ein Zeichen von Stärke - ist dann letztlich nur die Summe von zusammenhanglosem Einzelkämpfertum und öffnet nur ganz wenigen österreichischen Architekten die Türe zur internationalen Anerkennung.

Während in anderen Ländern junge Architekten lernen, im Windschatten der großen Namen ihres Landes herzufahren, wird bei uns in Österreich Vatermord praktiziert. Allerdings ist dieser Vatermord nicht ein Akt der Befreiung, sondern nur renitenter Trotz gegenüber Tradition und mündet in die Vereinnahmung in die anti-intellektuelle Haltung Österreichs. Wodurch die diskursive Auseinandersetzung mit innovativen Architekturqualitäten, die Neues wagen, verhindert wird.

Singuläre Sprache

Wenn man aber von der Lust an der Raumgestalt der Bauwerke des Barocks ausgeht - was für ein Wahnsinn, tonnenschwere Kuppeln zu bauen, um sie dann mit Himmelsmalereien zum Entschwinden zu bringen! - dann wird sichtbar, dass die Gestalt des komplexen Raumes und nicht die simplifizierte Box eine besondere Fähigkeit der österreichischen Architekten darstellt. Von Fischer von Erlach über Schindler und Kiesler bis zu Hollein, Pichler, Abraham, Domenig und COOP HIMMELB(L)AU sind die Häuser dieser Architekten gebaute Beweise für die Existenz einer Formensprache, die die österreichische Architektur unverwechselbar in der Weltszene platziert.

Bewusst oder unbewusst folgen junge Architekten in ihrem Sinne zeitrichtig den barocken Spuren der Raumsequenzen - und verändern sie. 7+2 Beispiele zeigen, dass es doch eine österreichische - wenn man so will - Tradition gibt, die über das disperse Einzelkämpfertum hinausgeht: nämlich die gemeinsame Lust, den Raum zu zelebrieren.

Wolf D. Prix, zusammen mit Helmut Swiczinsky „Coop Himmelb(l)au“, leitet eine Meisterklasse für Architektur an der Universität für angewandte Kunst; die Architekturausstellung „Rock over Baroque. Jung und schön“ ist im Kunsthaus Mürz bis 16. 9. 2004 zu sehen. Öffnungszeiten: Do bis Sa 10-18 Uhr, So 10-16 Uhr.

Der Standard, Sa., 2004.05.29

25. Oktober 2002Wolf D. Prix
Der Standard

Fremdkörper und Freiräume

Auszüge aus der Eröffnungsrede zum steirischen Herbst 2002.

Auszüge aus der Eröffnungsrede zum steirischen Herbst 2002.

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Freunde, ich stehe heute als Architekt vor Ihnen, um mit einer Rede den steirischen herbst zu eröffnen und beginne wie vermutlich alle meine Vorredner und Vorrednerinnen begonnen haben, nämlich: Dass es mir eine große Ehre ist.

Fremdkörper: Jetzt an dieser Stelle erinnere ich mich – nicht ganz genau, weil Vergangenheit nicht meine Sache ist, ist doch die Zukunft das, womit sich der Architekt beschäftigen muss – ich erinnere mich also hier und jetzt an die „Trigon 69“ im steirischen herbst, wo mein Freund und Partner Helmut Swiczinsky und ich an der Fertigstellung einer Maschine arbeiteten, die Gesichtsbewegungen in Licht und Ton übersetzen sollte und wir davon träumten, Architektur als etwas Lebendiges zu sehen. Architektur so hieß es, sollte auf die Menschen, die sie benutzen, reagieren. Feedback-Systeme nannten wir das und ganze Städte wurden danach entworfen. „Interaktiv“ nennt man diese Ideen heute. Ein damals angesehener Kritiker kam vorbei, stellte fest, dass unsere Installation wohl nicht fertig werde und schrieb über unser Manifest, dass „der Raum auf den Menschen reagieren soll“: Na und.

Das war die erste wichtige Erfahrung, die wir in einem Land erhalten haben, das subalternes Verhalten, vorauseilenden Gehorsam als Charakter bezeichnet und wo das „is eh wurscht“ als Lösungsprinzip gilt. Die Ignoranz dieses Kritikers könnte man als symptomatisch für eine Kulturlandschaft halten, die als international gesehen werden will. Aber sie ist doch von Paradigmen geprägt, die zum Zweifel Anlass geben.

steirischer herbst, so heißt eines der prononciertesten Avantgardefestivals in Österreich. Dabei ist doch der Herbst eine Jahreszeit, die das Ende eines Jahres anzeigt. Ein Titel also, der dem Anspruch des lebendigen kreativen Tohuwabohu eines Avantgardefestivals diametral entgegensteht. Aber Steirischer Frühling wäre wohl genauso unangebracht, obwohl er dem österreichischen romantischen Mittelmaß noch eher entsprechen würde. Wir wollen für die Zukunft nicht hoffen, dass dieser Herbst zum Winter wird.

Es scheint mir, dass die engen Grenzen unseres kleinen Landes in den letzten Jahren immer enger werden.

Fremdes, Andersartiges, Eigensinniges, Unsicheres wurde und wird ausgegrenzt und Fremdheit, die eigentlich Neugierde am Anderen wecken sollte, wurde ausgeschlossen.


Fremdkörper: Ein eigenartiges Wort. Im Hintergrund schwingt da etwas unseliges mit. Nämlich der Fremdkörper als Bakterie in einem gesunden Körper. Unangenehm. Fremde, Fremdheit, Entfremdung, Unsicherheit, unsicherer Grund. Negativ besetzte Begriffe in unserem Land. Obwohl, wollte man Fremde als etwas positives sehen, Fremde mit Neugier und Sehnsucht, Unsicherheit mit Wagemut, Verschiedenheit mit Vielfalt zu assoziieren wäre.

Die offizielle österreichische Kulturlandschaft lässt sich auch mit ihrem konservativen und intellektuell-feindlichen Hintergrund an der mentalen Kulturkarte des Österreichers festmachen. Klimt und Schiele bekommen ein Museum, obwohl sie im Weltgeschehen der Kunst eine geringere Rolle spielen. Bei Klimt und Schiele gilt die Tatsache, dass sie der Pornographie verdächtigt wurde, heute bei uns als Beweis ihrer progressiven Weltbedeutung und gar zu gerne wird vergessen, dass zur gleichen Zeit, als Nacktheit bei uns Skandal war, in Paris Picasso und Braque den Kubismus erfanden.

Und sollten wir es versäumt haben, die Wurzeln des Expressionismus in Österreich zu orten, dann sollte man das nachholen, aber dabei nicht vergessen, dass das erste abstrakte Bild von Kandinsky gemalt wurde und Loos ein erbitterter Gegner von Corbusier war.

Österreich beruft sich gerne auf das Weltkulturerbe, das angeblich in unserem Land geschaffen wurde und vergisst, dass gerade Erneuerer und Erfinder hierzulande nicht geliebt werden. Die wirklichen Erfinder aber – ich erwähne hier Freud, Schönberg und Kiesler – mussten das Land verlassen, während ihr Nachlass Jahrzehnte später unter schwierigen Bedingungen um vieles Geld zurückgekauft werden musste.

Wenn es sich in Frage gestellt fühlt gibt sich der Österreicher freud- und lustvoll einer fundamentalen Selbstüberschätzung hin. Wir sind die Größten und Besten, und überhaupt. Nicht nur im Schifahren, das sowieso – im Fußball ja nicht mehr so sehr – sondern siehe da, auch in der Kunst. Aber natürlich wird hier nicht die Kunst gemeint, die unruhig machen könnte, nämlich die sogenannte moderne Kunst, sondern die, die sich schon bewährt hat, die in einem Museum hängt. Hat man keins, so baut man eins. Und Quotenidioten beginnen die Besucherzahlen von herumirrenden Touristen als Beweis dafür heranzuziehen, dass das Mittelmaß das Maß aller Dinge sei.


Wenn man über Fremdköper und Architektur assoziieren sollte, dann ist jeder neue Baukörper, und sei er scheinbar noch so vertraut, zunächst ein fremder Körper. Ungewohnt und noch ungesehen und daher unbekannt. Will man diesen fremden Körper ent-fremden, also gewohnt und gesehen machen, muss man die ästhetischen Kriterien immer wieder neu definieren. Hier gilt das gleiche in der Architektur wie in der Kunst. Und für uns war Architektur – wir haben es immer schon behauptet, und ich wiederhole es heute gerne – für uns war Architektur immer Kunst.

Es geht also um Veränderung der ästhetischen Begriffe und diese Veränderung wird in unserem Land der pragmatisierten Innovationsverhinderung gerne – aber auch zu Recht – als politischer Angriff auf bestehende Denk- und Sehgewohnheiten gesehen. Das aber ist unserem Land unangenehm und man will es eigentlich vermeiden, oder wenn es geht, verbieten.

Man kann, auch wenn man es möchte, unangenehmen Dingen nicht aus dem Weg gehen. Und wir haben es zu akzeptieren, dass die Utopie der Architektur nach Schaffung von neuen Körpern und fremden Gestalten verlangt, die wie Meteoriten von einem fremden Stern in die Vertrautheit einschlagen und damit Bahnen und Räume für Neues, Unbekanntes, öffnen.

Die Rolle des Architekten muss sich daher in der Zukunft dafür dramatisch verändern. Es wird den Architekten geben – oder auch nicht mehr – der im vorauseilenden Gehorsam und in seinem verinnerlichten Zwang alles das schön findet und gut, was sein Auftraggeber, sein Investor oder wer sonst noch von ihm verlangt. Er wird dann aber Facility Manager heißen oder wie wir es in diesen unsäglich dummen Lifestylemagazinen nachlesen können – Stimmungsbebilderer.


Das Feld wird dann aber frei für einen Architekten, der sich als Strategiedenker begreift, der nicht am Erfüllungszwang leidet und daher weiß, dass Widerstand nicht mit langem „i“ geschrieben wird und mit Widerspruch zusammenhängt. Widerstand wird in der Geschichte gerne als demokratische Tugend gesehen, heute aber als unangenehm und lästig empfunden. Und gerne wird dabei übersehen, dass Widerstand auch Potenzial für Synergie enthält.

Und dieser Architekt und Künstler überschreitet damit eine Schwelle zum Neuen, Unvorhersehbaren, um Unerforschtes Schritt für Schritt über die Grenze des Fremden vorhersehbar zu machen.

Das allerdings erfordert, dass wir nicht an der Oberfläche der Spaßgesellschaft verhaftet bleiben, sondern wir uns einer Gestalt des Fremden, dem Fremdkörper zuwenden. Allgemein wird das als störend empfunden, und die Träger dieser Ideen werden schutzlos gemacht.

Es ist daher an der Zeit, unsere verantwortlichen Politiker – gerade vor einer Wahl, in der alles gewählt werden kann, nur kein Kulturkonzept - aufzufordern, sich nicht hinter uns zu stellen, wie sie gerne betonen, sondern vor uns. Wir möchten Sie auffordern, dass sie es nicht zulassen, dass Kunst und ihre Folgen vom Stammtisch in aggressivster Sprache verunglimpft werden und aufgebrachter Populismus die Freiheit der Kunst verhindert.


Kunst und Architektur brauchen dynamische Felder, die Freiheit zur Auseinandersetzung bieten. Die kritisch, aber fair, hart aber positiv stattfinden muss.

Schwer in einem Land, das den Humor verloren zu haben scheint und zunehmend sauertöpfisch auf Polemiken reagiert, und Zensur – und damit Einschränkung des Meinungsraumes – fordert. Kunst und Architektur brauchen Freiräume.

Ich hege die Befürchtung, dass wir solche freien Räume nicht mehr so selbstverständlich vorfinden werden. Im Gegenteil: wir werden als Künstler, Architekten, Designer, Schriftsteller, Dramatiker, Tänzer und Musiker diese Freiräume tagtäglich neu – lassen sie mich nicht sagen – erkämpfen, erobern – obwohl dies im gewissen Sinne stimmt – sondern lassen sie mich sagen: wir werden diese Freiräume täglich neu erschaffen müssen.

Das – und das lässt sich voraussehen – wird nicht einfach sein. Und wir werden die Wucht der Arroganz als Durchsetzungskraft benötigen und die bloße Arroganz hintanstellen müssen. Wir müssen kritisch, aber offen und fair bei uns bleiben und nicht in Verhaltensweisen verfallen, die in der letzten Zeit sowohl politisch als auch kulturell mit Durchsetzungsstrategie verwechselt wird. Diese könnte man als Strategie der „3 Vs“ bezeichnen. Statt sich zu informieren, verdächtigt man, statt Konflikte auszutragen, verleumdet man und statt Gegner zu respektieren, verunglimpft man sie. Ich wünsche mir, dass wir diese „3 Vs“ schnell vergessen, und wir unseren künstlerischen Anspruch offen, fair vor der Meinung des Anderen, und damit mit Respekt vor sich selber durchsetzen können.


Die Architektur wird sich auch in Zukunft nicht so rasant verändern, wie wir es alle gerne sehen wollen. Es ist vielmehr die gedachte Architektur – also die Methoden des Architekturdenkens, die sich verändern werden. Die Self-Express-Society, für die wir zu bauen haben, tanzt nackt und entsolidarisiert auf digitalen Bühnen, ohne zu bemerken, dass digitale Bilder – die Basis zukünftiger visueller Kommunikation – nicht mehr ins Langzeitgedächtnis gelangen. So sind die kommenden digitalen Entwürfe dazu bestimmt, gestaltlos sehr schnell vergessen zu werden. Das können wir akzeptieren, oder auch nicht. Und wenn wir es nicht akzeptieren wollen, dass wir Architektur und Kunst als virtuelles E-Commerce-Bild betrachten, werden wir auf horizontalen Medienfeldern den Turm von Babel fertigzustellen haben. Das Biegen und nicht das Folgen von Sachzwängen kann dann die Definition des neuen Raums sein. Der ans Tageslicht der Merkbarkeit gesetzte Körper ist dann ein Feld von Vorstellung, durch das man sich bewegen kann. Denn Raum wird in unserem Kopf als etwas begriffen, durch das man sich bewegen muss.

Ich möchte Graz zu zwei Events gratulieren: Zum einen zu der Ausstellung „Latente Utopien“ zum anderen zum zukünftigen Bauwerk von unserem Freund Peter Cook und Colin Fournier. Beide Ereignisse hätte ich auch gerne in Wien gesehen. Aber dazu müssten mindestens 1 Million 485 Tausend Einwohner dieser Stadt über ihren Schatten springen und die wenigen aber doch Entscheidungsträger, die Angst vor den Medien verlieren, die uns tagtäglich weis machen wollen, dass unser Schlaraffenland durch Fremdes in Gefahr gerät. Die wirkliche Gefahr besteht aber darin, dass uns die Angst vor Fremdkörpern vom Schlaraffenland zum Land am Rand des Schlafes werden lässt, und der Mief der Mittelmäßigkeit alles das zudeckt, was kritisch über den Tellerrand zu blicken droht.

Kunst und Architektur erfordert Mut zum Risiko. Ich bin daher nicht einverstanden mit dem Vergleich von Rem Koolhaas, der sagt, dass wir Architekten und Künstler Geiseln sind, die bedroht von Investorenpistolen am Kopf auf die Frage, wie es uns geht, mit „gut!“ antworten müssen.

Ich finde die Episode aus dem Film „Deer Hunter“ von Cimino viel zutreffender. Christopher Walken und Robert de Niro müssen als Gefangene des Vietkongs russisches Roulette gegeneinander spielen. Sie werden von drei Wächtern bewacht, die Wetten auf den Sieger setzen. Die erste Runde geht gut. Robert de Niro verlangt eine neue Patrone und auch diese Runde geht gut. Er verlangt eine weitere Patrone und trifft die 3 Wächter und sie entkommen. So einfach geht das, wenn man das Risiko verdoppelt.

Wenn ich müsste, wie ich wollte, tanzte ich mit Witwe Bolte.

Der Standard, Fr., 2002.10.25

14. Dezember 2000Wolf D. Prix
Der Standard

Die Welt zeigen, wie sie ist

Rede zur Verleihung des Österreichischen Staatspreises an Coop Himmelb(l)au: Wolf D. Prix über die Kunst des Bauens, die Bedrohungen für moderne Architektur durch Statthalter der „pragmatisierten Mittelmäßigkeit“ - und was es mit der Wolke über dem Turm zu Babel auf sich hat.

Rede zur Verleihung des Österreichischen Staatspreises an Coop Himmelb(l)au: Wolf D. Prix über die Kunst des Bauens, die Bedrohungen für moderne Architektur durch Statthalter der „pragmatisierten Mittelmäßigkeit“ - und was es mit der Wolke über dem Turm zu Babel auf sich hat.

Wir Architekten stehen an einer Schwelle. Wenn wir sie überschritten haben, wird sich in der Architektur der Traum des ewigen Lebens - den wir durch unsere uns überdauernden Bauten träumen -, wird sich dieser Traum auflösen in das Hier und Jetzt.

Die Rolle des Architekten wird sich in der Zukunft dramatisch verändern. Denn wenn Architekten weiterhin in vorauseilendem Gehorsam ihren verinnerlichten Zwängen folgend alles schön finden, was dumme Investoren von ihnen verlangen, werden sie zu Facility-Managern degradiert werden oder es wird sie nicht mehr geben. Dann wird das Feld frei für zukünftige Strategiedenker, die dann nicht mehr an die Unsterblichkeit durch ihre Bauten glauben. Das „Forever young“ - für immer jung - hätte dann seine Gültigkeit verloren.

Wir haben es oft genug behauptet und wiederholen es auch heute gerne: Architektur ist Kunst. Diesen Anspruch gibt es schon lange, und besonders ausgeprägt ist er in der Architekturgeschichte von Wien. Die barocke Auffassung der Gestalt ist vielen Wiener Architekten eigen, wobei Gestalt nicht Form ist, sondern der Abdruck einer Idee im Material. Golem.

Diese Idee und die Träger dieser Idee zu schützen, zu fördern und ihnen Respekt zu verschaffen, diese Forderung richte ich an Sie, Herr Staatssekretär. Sie dürfen nicht zulassen, dass die moderne Kunst und damit die zeitrichtige Architektur im Bierzelt von einer Sprache, die an primitiver Aggression nichts zu wünschen übrig lässt, verhindert wird.


Das Fremde suchen

Wir erwarten von Ihnen, dass Sie als Sprecher gegen die pragmatisierte Mittelmäßigkeit Österreichs auftreten und dass das Bekenntnis, dass Architektur im Mittelpunkt des Kulturprogramms der Regierung steht, nicht Lippenbekenntnis ist.

Ich möchte mir wünschen, dass Sie die österreichischen Architekten und Künstler unterstützen, die provinziellen Grenzen Österreichs endgültig zu verlassen. Denn wir suchen das Fremde, den unsicheren Grund und die Verschiedenheit. Und das - befürchten wir - wird hier bald nicht mehr zu finden sein.

In der Architektur gelten vor allem auch ästhetische Kriterien; eine Veränderung der Ästhetik - und die Pflicht jedes Architekten ist die Veränderung - wird daher als politischer Angriff auf bestehende Denk- und Sehgewohnheiten gesehen.

Die Profession des Architekten verlangt daher heute begleitende Strategien, die den Marktkonzepten der Popkultur ähnlich sind. Nämlich den Künstler, den Erfinder, den Kreator als Star in den Vordergrund zu stellen. Denn nur der so genannte Stararchitekt kann noch Einfluss nehmen auf die Veränderung und Weiterentwicklung der Architektur in unserer Express-yourself-Society. Eine Gesellschaft, die sich von Tag zu Tag mehr entsolidarisiert.

Das Team Coop Himmelblau gibt es aber seit über 30 Jahren. Und seit über 30 Jahren haben wir standhaft unseren Namen verteidigt. Himmelblau und jetzt zu Recht Himmelbau.

Himmelblau. Kein Name für ein Architektenteam? Nicht, wenn man nur die Farbe meint.

Aber Himmelblau ist nun mal keine Farbe. Sondern die Idee, Architektur veränderbar wie Wolken zu machen.

Wir befinden uns hier im Gasometer B, in der Rockhalle, einem für uns sehr wichtigen Projekt.

Hier in diesem Raum werden Sie jetzt fragen, wo sind sie denn nun, die Wolken? - Haben Sie Geduld mit uns, wir arbeiten daran. Der Stephansdom wurde auch nicht an einem Tag gebaut und der Turm von Babel erst gar nicht vollendet. Aber auf Breughels Gemälde Der Turm von Babel sieht man auf der rechten Seite des Bildes eine Wolke, die wohl andeuten soll, dass der Turm den Himmel fast erreicht hätte. Und ich denke, dass es die Aufgabe der Architekten unserer Zeit sein muss, dieses hätte in ein hat zu verwandeln.

Die Verwirrung der Sprache, die die Fertigstellung des Turms verhindert hat, könnte aber das Konzept zur Vollendung des Turms werden, wenn wir Verwirrung und Sprache nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinn verstehen.

Die Unterschiede zwischen Denkweisen, die Spannungen zwischen Konzepten, die Diskrepanz der Meinungen werden zu Planungskonzepten der Architektur, die die Welt nicht im schönen Glanz verlügen, sondern zeigen, wie sie ist: Jeder hat Recht, aber nichts ist richtig.

Der Standard, Do., 2000.12.14

08. Januar 1999Wolf D. Prix
ORF.at

„Unsere Architektur wäre ohne Computer nicht möglich“

Architektur aus dem Rechner

Architektur aus dem Rechner

31. Oktober 1997Wolf D. Prix
Der Standard

Wien ist nicht Bilbao

„Dieses Land wird beherrscht vom Immunsystem der Mittelmäßigkeit, das jede Eigenwilligkeit erstickt“: Kleiner Rundgang durch die Architekturprovinz Österreich.

„Dieses Land wird beherrscht vom Immunsystem der Mittelmäßigkeit, das jede Eigenwilligkeit erstickt“: Kleiner Rundgang durch die Architekturprovinz Österreich.

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Profil

Wolf dPrix, 1942 in Wien geboren, ist Mitbegründer und Design Principal/CEO von COOP HIMMELB(L)AU. Er studierte Architektur an der Technischen Universität Wien, an der Architectural Association (AA) in London und am Southern California Institute of Architecture (SCI-Arc) in Los Angeles.

Von seinen zahlreichen internationalen Lehrtätigkeiten war seine Amtszeit an der Universität für angewandte Kunst Wien die prägendste: Als Vorstand des Instituts für Architektur und Vizerektor der Hochschule (2003 bis 2012) hat Prix internationale Standards in der ArchitektInnenausbildung gesetzt.

Wolf dPrix zählt zu den Erfindern der Architekturrichtung des Dekonstruktivismus. Die Einladung zur Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ im MoMA New York im Jahr 1988 bedeutete den internationalen Durchbruch für COOP HIMMELB(L)AU. Im Laufe der letzten Jahrzehnte erhielten Wolf dPrix und Team zahlreiche internationale Architekturpreise.

Die Arbeiten von Wolf dPrix wurden in zahlreichen Büchern und Magazinen publiziert und seine Architekturentwürfe in vielen Museen und Sammlungen weltweit ausgestellt.
1996 wurde COOP HIMMELB(L)AU als Repräsentant Österreichs zur 6. Internationalen Architektur Biennale in Venedig eingeladen. Seither ist das Atelier dort regelmäßig vertreten. 2006 war Wolf dPrix Kommissär für den österreichischen Beitrag zur 10. Biennale di Venezia.

Lehrtätigkeit

2016-2017 Southern Californian Institute of Architecture (SCI-Arc), Los Angeles, USA
2016 YALE School of Architecture, New Heaven, CT, USA
2014 Southern Californian Institute of Architecture (SCI-Arc), Los Angeles, USA
2003-2012 Vorstand des Institutes für Architektur und Vizerektor der Universität für Angewandte Kunst, Wien
2001 UCLA University of California, Department of Architecture and Urban Design, School of Arts and Architecture, Los Angeles, USA
1999 Lehrstuhl Harvey S. Perloff an der UCLA, Los Angeles, USA
1998 Columbia University, New York, USA
1993-2011 Professur an der Universität für Angewandte Kunst, Leitung des Studio Prix
1990-1993 Universität für angewandte Kunst Wien, Meisterklasse für Architektur
1990 Harvard Graduate School of Design, Cambridge, USA
1989 Internationale Sommerakademie für bildende Künste Salzburg, Österreich
1988 Architectural Association, London, UK
1987-1995 a.o. Professor an der Southern California Institute of Architecture (SCI-Arc), Los Angeles, USA
1987-1988 University of Nebraska, Lincoln, USA
1987 University of Pennsylvania, Philadelphia, USA
1987 Washington University St. Louis, USA
1987 Universität Innsbruck, Österreich
1986 Architectural Association, London, UK
1986 Stichting Forum, Middelburg, Niederlande
1986 Massachusetts Institute of Technology, Boston, USA
1984 Architectural Association, London, UK
1982 Technische Universität Stuttgart, Deutschland
1980 Gesamthochschule Essen, Deutschland: „Ästhetik und Utopie“
1972 Architectural Association, London, UK

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften
Ständiges Mitglied:
Kurie für Kunst, seit Herbst 2014 als Vorsitzender, Bundeskanzleramt, Österreich
Beirat für Baukultur, Bundeskanzleramt, Österreich
Österreichischer Kunstsenat
Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste
Rat für Formgebung, German Design Council, Deutschland
Österreichische Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten
Bund Deutscher Architekten (BDA)
Fellow of the American Institute of Architects (FAIA)
Royal Institute of British Architects (RIBA)
Kammer der Architekten der Île de France (Paris), Frankreich
Architektenkammer Santa Clara, Kuba

1995-1997 Architekturbeirat, Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung
2000-2006 Mitglied des Österreichischen Universitätenkuratoriums
2017 Ehrenmitglied in der Österreich | Deutschland | Gesellschaft

Auszeichnungen

Oberösterreichischer Holzbaupreis 2019, Anerkennung, Paneum - Wunderkammer des Brotes
ZV-Bauherrenpreis 2018, Preisträger, Paneum - Wunderkammer des Brotes
Architekturpreis 2001, Preisträger, Wohn- und Geschäftshaus Vorgartenstraße
ZV-Bauherrenpreis 1999, Preisträger, Wohnturm

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