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07. März 2014Aldo Rota
TEC21

Der gute Ton in St. Gallen

In der St. Galler Tonhalle verdarb die problematische Akustik bis 2009 manches Musikerlebnis. Seither verteilen Schalldiffraktoren an der Decke den Klangstrom und verschaffen allen im Saal ungetrübten Hörgenuss.

In der St. Galler Tonhalle verdarb die problematische Akustik bis 2009 manches Musikerlebnis. Seither verteilen Schalldiffraktoren an der Decke den Klangstrom und verschaffen allen im Saal ungetrübten Hörgenuss.

In der Blütezeit der St. Galler Stickereiindustrie um 1900 erstellte der Architekt Gottfried Julius Kunkler (1845–1923) im Auftrag eines privaten Trägervereins zwischen 1906 und 1909 die Tonhalle St. Gallen.Die Gebäudehülle im Stil eines französischen Gartenschlosses kaschiert eine damals hochmoderne Eisenbeton-Tragkonstruktion von Robert Maillart (1872–1940). Trotz einigen Anpassungen und Erweiterungen ist die Bausubstanz, insbesondere die Tragkonstruktion, bis heute unverändert erhalten geblieben. Ihr heutiges äusseres und inneres Erscheinungsbild erhielt die Tonhalle bei der umfassenden Restaurierung und Modernisierung von 1990–1993, als auch ein Glas-Stahl-Anbau für ein Restaurant dazukam.

Das Kreuz mit der Akustik

Klagen über die problematische Akustik zogen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte der Tonhalle St. Gallen, und alle bisherigen Umbauten hatten nichts daran geändert. Das Hauptproblem war, vereinfacht gesehen, dass die Kuppel über der Bühne den Schall des Orchesters sehr ungleichmässig reflektierte und verteilte; das konnte auch zu extremer Fokussierung des Schalls im Bühnenbereich führen, sodass selbst gesundheitliche Schäden für die Musiker nicht auszuschliessen waren – während gleichzeitig die Musik im Saal schlecht wahrnehmbar war.

Nach einigen Voruntersuchungen beschloss schliesslich das Hochbauamt der Stadt St. Gallen als Bauherr eine grundlegende akustische Sanierung der Tonhalle im Bühnenbereich und schrieb im April 2009 einen entsprechenden Studienauftrag auf Einladung aus. Die eingeladenen fünf Architekturbüros wurden verpflichtet, für ihre Arbeit bereits im Projektstadium namhafte Akustiker beizuziehen. Ein Schalldiffraktor als Lösung

Das Beurteilungsgremium empfahl einstimmig das Projekt des Planungsteams Bosshard Vaquer Architekten in Zusammenarbeit mit dem spanischen Akustiker Higini Arau zur Weiterbearbeitung und Ausführung. Viele Akustiker äusserten aber Zweifel an der Wirksamkeit des von Arau vorgeschlagenen Schalldiffraktors, sodass die Ausführung des Projekts fraglich schien.

Bisher war erst ein Schalldiffraktor nach Araus Vorstellungen realisiert worden: zwei Jahre zuvor in einem Probesaal des «Gran Teatre del Liceu» in Barcelona. Als Entscheidungshilfe reiste die Bauherrschaft nach Barcelona, um die Wirkung dieser Installation vor Ort zu begutachten. Mit dabei waren auch drei erfahrene Orchestermusiker mit ihren Instrumenten.

Diese Reise war der Wendepunkt im Projektablauf: Nur wenige Minuten brauchten die drei Musikprofis zu spielen, und es wurde klar, dass Araus Konzept die Lösung war. Der Vergleich mit einem identischen Saal ohne Diffraktor bestätigte diesen Befund: Der Saal mit dem Diffraktor erscheint akustisch doppelt so gross. Dieser in St. Gallen dann tatsächlich auch eintretende Effekt beruht auf der Verdoppelung der Nachhallzeit – auch das Volumen der Tonhalle schien nach dem Einbau des Diffraktors verdoppelt.

Vergoldete Platten gegen Schall

In der Folge entstand eine eindrückliche und doch luftig und filigran wirkende Konstruktion am gewölbten Himmel über der Bühne: eine schwebende, dezent strahlende goldene Wolke. Dabei wird die akustische und visuelle Wirkung mit einfachen Mitteln, ohne hochgezüchtete Hightechmaterialien erzielt: Als eigentliche Schalldiffraktoren fungieren 96 periodisch in einem orthogonalen Raster angeordnete, einzeln vertikal aufgehängte rechteckige Platten aus handelsüblichem Brettschichtholz. Ihre Funktion ist nicht die Dämpfung, sondern die Reflexion, Umlenkung und Verteilung des Schalls. Dass die Holzplatten rundum mit Blattgold beschichtet sind, hat ästhetische Gründe – die durchaus zu einem ansprechenden visuellen Raumeindruck geführt haben – und ist für die Akustik nicht relevant.

Die goldenen Holzplatten werden jeweils in Vierergruppen von einer Mobile-artigen, aufgehängten Tragkonstruktion aus Flachstählen mit drei Ebenen gehalten. An der unteren Ebene sind auf Höhe der Diffusorplatten auch die neuen Leuchten angebracht. Das gesamte «Mobile» ist, auch mithilfe einiger Gewichte auf den Trägern, sorgfältig austariert und stablilisert.

Die über zwei Tonnen wiegende Wolke ist mit drei Zugstäben an einem Fachwerkquerträger der ursprünglichen Dachkonstruktion aufgehängt. Einer der Fachwerkträger der Dachkonstruktion über der Bühne ist doppelt ausgeführt; im Zwischenraum dieses Doppelträgers wurde ursprünglich der schwere Vorhang aufgezogen. An diesem doppelten Träger ist der Diffraktor abgehängt. Die statische Überprüfung zeigte, dass seine Tragsicherheit dafür ausreicht.

Flankierende Massnahmen

Die allgemein geschätzte Verbesserung der Raumakustik ist aber nicht ausschliesslich dem Einbau des Diffraktors zuzuschreiben. Flankierende Massnahmen tragen einiges zum Gesamtresultat bei, darunter vor allem der Umbau der Bühne, die jetzt generell niedriger ist. Bei baulichen Massnahmen in diesem Bereich musste auch beachtet werden, dass die Bühne auf einem Stahlbeton-Kuppelgewölbe steht, das wie die übrigen Tragkonstruktionen von Robert Maillart entworfen wurde und nicht verändert werden durfte. Unter diesem Gewölbe ist nach wie vor ein stimmungsvoller kleiner Saal eingerichtet, der separat oder als Erweiterung des Hauptsaals genutzt werden kann.

Als weitere Massnahmen zur Optimierung der Konzertakustik sind die ursprünglich glatten Rück- und Seitenwände der Bühne mit Holzverkleidungen versehen worden, die dank ihrer unregelmässigen Geometrie als Diffusoren wirken und Flatterechos verhindern. Ebenfalls zum Zweck der Schallwellendiffusion erhielt die zuvor ungesicherte Empore hinter der Bühne eine massive, unregelmässig zusammengesetzte Holzbalustrade.

Der Diffraktor funktioniert wirklich

Der Aufwand für den Einbau des Diffraktors hat sich offenbar gelohnt: Endlich können die Musiker jetzt ungestört musizieren, hören, wie die anderen Orchestermitglieder spielen, und sie müssen ihr Gehör nicht mehr aufs Spiel setzen. Und für das Konzertpublikum im Saal klingt es einfach besser, an jedem Platz, bei jeder Musik. Oder, wie es Projektleiter Andreas Schneiter formuliert: «Eine Flöte beispielsweise klingt jetzt noch ‹flötiger›.»

TEC21, Fr., 2014.03.07



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TEC21 2014|10 Material und Akustik

«Der Alte Albulatunnel bleibt Teil des Systems»

Der rund sechs Kilometer lange Einspurtunnel zwischen Preda und Spinas auf der Albulalinie genügt den heutigen Anforderungen an Bahntechnik und Sicherheit nicht mehr. Ab 2014 soll ein neuer Albulatunnel gebaut, der bestehende ab 2021 als Sicherheitstunnel genutzt werden. Eine nachvollziehbare Entscheidung, die aber auch Wehmut auslöst. TEC21 hat sich mit Projektbeteiligten über Gestaltung, Erhalt und Neubau der Anlage unterhalten.

Der rund sechs Kilometer lange Einspurtunnel zwischen Preda und Spinas auf der Albulalinie genügt den heutigen Anforderungen an Bahntechnik und Sicherheit nicht mehr. Ab 2014 soll ein neuer Albulatunnel gebaut, der bestehende ab 2021 als Sicherheitstunnel genutzt werden. Eine nachvollziehbare Entscheidung, die aber auch Wehmut auslöst. TEC21 hat sich mit Projektbeteiligten über Gestaltung, Erhalt und Neubau der Anlage unterhalten.

TEC21: Der Bau eines neuen Albulatunnels ist beschlossen, das Genehmigungsverfahren läuft, der Baubeginn ist für 2014 geplant. Ist noch mit relevanten Einsprachen zu rechen?
Christian Florin (C. F.): Wir haben früh den Dialog mit Vertretern der Denkmalpflege, der Raumplanung und verschiedener Umweltverbände gesucht, um Überraschungen während des Verfahrens zu vermeiden. Wir rechnen zwar mit Auflagen, aber nicht mit einem No-Go. Nach intensiven Diskussionen unterstützt nun auch das Bundesamt für Kultur (BAK) den Neubau. In einem Gutachten der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) vom Dezember 2010 im Auftrag des BAK bevorzugten die Autoren die Instandsetzung des bestehenden Albulatunnels. Wir haben diese Variante geprüft, uns dann aber mit Zustimmung der Denkmalpflege für den Neubau entschieden.

TEC21: Was passiert mit dem alten Tunnel?
Werner Kradolfer (W. K.): Der alte Tunnel ist als Sicherheitstunnel Bestandteil des Systems. Er wird nicht zu einem Denkmal ohne Nutzen.
Paul Loser (P. L.): Auch Unterhaltsarbeiten lassen sich so besser planen und leichter erledigen.
Jürg Conzett (J. C.): Das Positive am Entscheid, einen neuen Tunnel zu bauen, ist, dass der alte als Ganzes erhalten bleibt. Nun muss man sorgfältig mit ihm umgehen. Es leuchtet ein, dass ein Neubau der Instandsetzung unter Betrieb vorgezogen wird. Zu wissen, dass es hier einen Tunnel gibt, der die Bautechnik um 1900 dokumentiert, das ist doch etwas Wertvolles. Wichtig sind die Fragen: Wie erhält man den alten Tunnel? Was passiert nachher dort drin? Wie werden die Portalbereiche gestaltet?

TEC21: Was sagt die Bündner Denkmalpflege dazu?
Johannes Florin (J. F.): Der Albulatunnel ist ein wesentlicher Teil des Unesco-Welterbes. Die Welterbekandidatur lief 2008 parallel zu den Anfängen der Projektierung. Schon damals stand fest, dass der Tunnel an die heutigen Anforderungen angepasst werden muss. Die Befürchtung, ihn nicht anrühren zu dürfen, lag in der Luft. Deshalb gab es von Anfang an eine intensive Zusammenarbeit mit der EKD. Was bedeutet eine Baumassnahme für die Kandidatur? Geht es um die Bausubstanz? Muss der Tunnel seine Funktion behalten? Die EKD schlug eine Variante vor, bei der der alte Tunnel die Funktion behält und ein neuer Fluchtstollen gebaut wird, also die alte Linie mit neuer Bahntechnik weiter besteht.

TEC21: Das heisst, die Rhätische Bahn (RhB) gewichtete andere Argumente höher als den Betriebserhalt des bestehenden Tunnels?
P. L.: Die bautechnische Beurteilung inklusive Kosten, die Sicherheit und die Nachhaltigkeit des Bauvorhabens wurden mit unabhängigen Sachverständigen diskutiert. Bei der Sicherheit haben wir schnell gesehen, dass ein Neubau in Kombination mit dem bestehenden Tunnel einen Sicherheitsstandard bietet, der die Anforderungen heute und künftig erfüllt und mit dem die Fahrgäste im Ereignisfall durch den zusätzlichen Fluchttunnel eine faire Überlebenschance haben. Demgegenüber wurde das Sicherheitsniveau der Variante «Instandsetzung» als sehr schlecht beurteilt. Hinsichtlich der Rettung von Passagieren aus dem Tunnel bei Brand würde das Sicherheitsniveau dem vor 110 Jahren entsprechen. Der Neubau hat dagegen ein hohes Sicherheitsniveau. Brandszenarien bei Zügen beziehungsweise Lokomotiven kommen zwar selten vor, aber heute werden alle modernen Bahnsysteme auf diese Szenarien ausgerichtet. Aufgrund des höheren Sicherheitsniveaus und trotz der höheren Kosten hat sich die RhB für für die Variante «Instandsetzung» entschieden.

TEC21: Wie stark unterscheiden sich die Kosten für die Instandsetzung und den Neubau?
P. L.: Wir haben einen Preisunterschied von 10 bis 15 % ermittelt. Für das vorliegende Neubauprojekt inklusive Umbauten an den Bahnhöfen Preda und Spinas rechnen wir mit rund 345 Millionen Franken.

TEC21: Diese Differenz ist erstaunlich klein. Heisst das, der Neubau fällt günstig aus?
P. L.: Nein, eine Instandsetzung unter Betrieb ist sehr aufwendig und teuer. Wir hätten neue elektro- und bahntechnische Anlagen einbauen, die Sohle absenken und instand setzen, einzelne Gewölbeabschnitte ersetzen und die Gleise neu verlegen müssen.
C. F.: Die Lebenszykluskosten zeigen vor allem, dass sich der Neubau langfristig auszahlt. Bei den Sicherheitsüberlegungen spielt auch die Sicherheit während des Baus eine entscheidende Rolle. Ausserdem bedeutet Bauen unter Betrieb in einem Einspurtunnel nur rund fünf Stunden produktive Arbeit pro Nacht – das bedeutet fast zehn Jahre Bauzeit.
P. L.: Wir haben bei Instandsetzungen unter Betrieb auch schon schlechte Erfahrungen gemacht. Beim Tasnatunnel im Unterengadin kam es zu einem Tagbruch. Die Linie musste neun Monate stillgelegt werden. Das Risiko, für sieben bis acht Jahre am Albulatunnel keinen sicheren Betrieb zu haben, floss in die Güterabwägung ein.

TEC21: Oft ist die Vorgeschichte interessant. Gab es weitere Projektideen?
C. F.: Eine Idee war, einen neuen Fluchttunnel zu bauen und den alten Bahntunnel instand zu setzen. Aber der wäre danach nicht mehr der alte, denn das heutige Lichtraumprofil reicht nicht aus. Gewisse Güterzüge könnten die Strecke nicht mehr befahren. Auf diese Wertschöpfung sind wir aber angewiesen.
P. L.: Wir haben diskutiert, ob der neue Tunnel rechts oder links vom heutigen Tunnel liegen soll und wie die Einführung in den Berg aussehen könnte. Die aktuelle Lösung ist technisch ausgereift und überzeugt gestalterisch auch aus Sicht der Denkmalpflege.
J. F.: Abschliessend muss die Unesco-Kommission in Paris beurteilen, ob dieser Eingriff in das Streckendenkmal den Welterbestatus in Frage stellt. Die Gefahr gilt aber als gering. Die Diskussion zeigte vor allem, dass sich die denkmalpflegerischen Aspekte nicht nur auf den Tunnel beziehen, sondern auf die gesamte Strecke.
P. L.: Eine Eisenbahn muss sich verändern und weiterentwickeln können, das ist ein Wert einer kulturellen Anlage. Bei der Eingabe des Unesco-Dossiers hat die RhB darauf hingewiesen, dass ein Neubau im Rahmen des Weltkulturerbes möglich sein müsse.

TEC21: Wie sieht der Innenausbau des Sicherheitsstollens aus?
W. K.: Die Gleise werden entfernt und durch eine befahrbare Piste ersetzt. Seitlich bleibt ein Schotterstreifen für die Entwässerung erhalten. Das gemauerte Gewölbe bleibt so weit wie möglich unangetastet. Wo es nötig ist, werden wir es ersetzen, sodass der Tunnel während der kommenden 50 Jahre benutzt werden kann. Problematisch ist nicht das vorhandene Mauerwerk, sondern die Sanierungsmassnahmen der letzten 40 bis 50 Jahre.
P. L.: Damit der Fluchtweg im Ereignisfall unter Überdruck gesetzt werden kann, werden im Abstand von 200 m vom Portal auf der Seite Preda und 400 m ab Portal auf der Seite Spinas zwei Lüftungszentralen mit je einem Ventilator und einer Durchgangsschleuse angeordnet. Wir haben viele Schäden an unseren Bauten durch eindringendes Wasser oder Frost, durch die Schleusen verbessern sich die klimatischen Verhältnisse im Tunnel. Heute friert er von beiden Seiten rund zwei Kilometer ein. Das zehrt an der Substanz.
W. K.: Zwei Kavernen und zwölf Querverbindungen im Abstand von 425 m, 435 m bzw. 460 m werden an geologisch günstigen Stellen gebaut. Der Bau der Kavernen bedingt Eingriffe in die bestehende Bausubstanz auf 20 bis 25 m. Der grosse Teil des Albulatunnels bleibt aber erhalten – unverkleidet bleibt der nackte Fels weiterhin sichtbar. Als Bahntunnel hätte der bestehende Tunnel vollständig neu ausgekleidet werden müssen. Als Sicherheitstunnel sind die Anforderungen nicht mehr ganz so hoch. Durch seine Funktion wird er weiterhin unterhalten, ohne eine Funktion würde er mit der Zeit Schaden nehmen.

TEC21: Herr Conzett, Sie haben die Vorstudie für die Gestaltung der Portalbereiche erarbeitet, die dem Wettbewerb als eine Art Testplanung diente. Was war das Ergebnis?
J. C.: Das Ziel war, die Gleisgeometrie der Röhren so zu legen, dass man keine Sachzwänge produziert, die man später bereut. Wichtig war die Anordnung der neuen Portale. Rückblickend hätten wir mehr diskutieren können. Ich habe bei einigen Punkten nur angemerkt, dass wir darüber reden sollten – zum Beispiel, dass die eine Röhre ein Gleis hat und die andere nicht. Wie wirkt ein Tunnelloch ohne ein Gleis? Wie geht man mit diesem schwarzen Loch um? Heute bedauere ich, dass wir das nicht detaillierter betrachtet haben.
C. F.: Viele Abhängigkeiten sehen wir erst heute. Jürg Conzett hatte einen klaren Auftrag, und wir mussten mit einem Modell oder einer Visualisierung zeigen, was die Doppelportale bedeuten. Heute schauen wir es mit einer gewissen Distanz an.
P. L.: Distanz ist ein gutes Stichwort. Es dauert noch, bis die Arbeiten 2021 am Sicherheitstunnel beginnen, und wir haben ausreichend Zeit, die Gestaltungsplanung zu reflektieren.
C. F.: Ideen für eine Nutzung werden viele an uns herangetragen, ob als wintersichere Autoverbindung oder als Schleichweg, z. B. für Jäger. Als Sicherheitstunnel kann er nicht für jedermann offen sein, denn durch die Querschläge gelangt man direkt auf das Streckengleis.
J. C.: Öffentliche Führungen durch den Tunnel bei besonderen Anlässen, im Zusammenhang mit Aktivitäten des Bahnmuseums Bergün, erscheinen mir im Interesse einer Vermittlung sonst unzugänglicher Ingenieurleistungen sinnvoll.
W. K.: Man darf die Attraktivität aber auch nicht überschätzen. Wer nicht bautechnisch versiert ist und interpretieren kann, was warum und wie gebaut wurde, schaut auf ein Loch, das über den Grossteil der Strecke gleich aussieht. Ausserdem existieren solche schwarzen Löcher auch anderswo und stören dort nicht. Beim Simplon- oder Gotthardtunnel zum Beispiel sind die früheren Eingänge der Richtstollen noch als schwarze Löcher zu sehen. Sie haben heute auch eine andere Funktion. Unbefriedigend an der Situation am Albula ist, dass die neue Nutzung des alten Tunnels künftig nicht ersichtlich ist. Das ist eine herausfordernde Aufgabe für die Arbeitsgruppe Gestaltung.

TEC21: Die zwei Tunnelportale sind technisch eine Symbiose und gestalterisch ein Zwilling. Ist das ein konzeptionelles Problem?
J. F.: Ja, in Preda beispielsweise führen die Gleise direkt auf das alte Portal zu, biegen dann leicht links in den nach hinten versetzten neuen Tunnel ab, das vordere Portal ist leer. Eine Lösung könnte sein, dieses mit zwei Holztoren analog der heutigen Schneetore zu schliessen. Zwar wäre dies gestalterisch umsetzbar, doch bisher funktioniert das mit der Lüftung nicht. Die Überlegungen, wie wir mit der Symbolik umgehen, müssen noch reifen.
J. C.: Mich fasziniert der Zusammenhang Station, Tunnel, Berg. Wenn man von Preda zum Tunnel schaut, sieht man dahinter in einer Linie den Berg, auf dem seinerzeit das Vermessungssignal stand. Das zeigt, wie die Menschen im 19. Jahrhundert gebaut haben: Sie mussten gerade durch den Berg. Erstens, weil so vermessen wurde, und zweitens, weil man die Geologie nicht differenziert genug kannte. Das ist etwas, was jeder begreift. Eine klare Aufgabe, die im Einzelnen unendlich schwierig war. Diese Bauten hatten und haben eine überwältigende Einfachheit und Grösse. Diese Einfachheit kann nicht erhalten bleiben. Das ist ein Verlust. Chancen sind aber vorhanden und müssen berücksichtigt werden, wie bei den Mauerwerksviadukten auf der Albulastrecke, die sehr wohl instand gesetzt werden können. Dort haben wir das Glück, dass die Bausubstanz, die man auch aus kulturellen Gründen erhalten möchte, genügend Möglichkeiten bietet. Beim Tunnel ist die Problematik allerdings eine andere und vergleichbar mit dem Farbtobelviadukt in Peist, der die gestellten Anforderungen nicht mehr erfüllen konnte. Dort entschied sich die RhB, eine neue Brücke neben der alten zu bauen. Die historische Natursteinbrücke bleibt als Denkmal erhalten.

TEC21: Hat man sich Gedanken gemacht, das historische Ensemble zu umfahren, um seine Substanz zu konservieren?
C. F.: Ich wehre mich dagegen, eine Museumsbahn zu werden. Das bestehende Ensemble soll genutzt und unterhalten und damit erhalten bleiben. Mit der gewählten Lösung können wir die Gebäude am besten nutzen. Teilweise werden sie verschoben und nach Bauende wieder zurückgeschoben oder anders positioniert.
P. L.: Das Bauprojekt geht von Einfahrweiche bis Einfahrweiche. Die Bahnhöfe Preda und Spinas sind Teil des Projekts und Gesamtbilds. Es gibt einen Masterplan zum Umgang mit dem bauhistorischen Inventar. Inventarisiert sind die Gebäude der Gründerzeit und beim Bahnbau hinterlassene Spuren im Gelände. Die prägenden Aufnahmegebäude können am heutigen Standort belassen werden, andere Objekte werden an einem neuen Standort ins Gesamtbild eingefügt. Von weniger prägenden Strukturen wird man sich aufgrund der Bautätigkeit trennen müssen.
J. F.: Das ist das Spezielle am Albula: In den Vorbereichen in Spinas und Preda sieht man links und rechts der Gleise noch die Baustelleninstallation und die Gebäude von 1903. Sogar die Fundamente einiger Holzbaracken, die Trasseen der Materialbahnen und die Vermessungsinstallationen sind noch erkennbar. Dieses Umfeld zu verlassen wäre ein Verlust. Und es wäre ein Verlust, dies mit einer Neubauinstallation zu zerstören. Erstaunlich ist, dass selbst die geplante neue Baustelleninstallation ähnlich aussieht wie vor hundert Jahren und nicht mehr Platz beanspruchen wird als dazumal. Die Gebäude in den Vorbereichen können deshalb weitgehend erhalten werden. Wir haben die Chance, etwas zu verbessern und für heute ungenutzte Gebäude eine Lösung zu finden, sie erlebbar zu machen und wieder besser einzubinden.
C. F.: Man muss tatsächlich auch das Positive sehen: Wir können zum Beispiel den Schneefang über dem alten Portal bei Preda abhängen und ihm damit seinen ursprünglichen Charakter zurückzugeben.

TEC21: Der Albulatunnel ist der längste auf der Strecke, aber nicht der einzige. Und bestimmt auch nicht der einzige, der instand gesetzt werden muss. Ist die Entscheidung, die für den Albulatunnel gefällt wurde, beispielhaft für die anderen Tunnel auf der Linie?
P. L.: Die RhB arbeitet zurzeit an einer Normalbauweise, um alle Tunnel nach einem Standard instand setzen zu können. Aus Sicherheits- und Bahntechnikgründen müssen die Lichtraumprofile vergrössert werden, das heisst bestehendes Mauerwerk abgebrochen und erweitert werden. Aber in den Portalbereichen zeigt sich die Situation immer wieder anders.
J. C.: Ein Beispiel ist der Argenteritunnel bei St. Moritz. Er schliesst direkt an eine Brücke an, die Tunnelsohle kann nicht weiter abgesenkt werden, da sonst die Höhenkoten von Tunnelsohle und Brückenfahrbahn nicht mehr übereinstimmen. Ausserdem sind die Portale ein Merkmal einer Bahnlinie, und wir möchten die Proportionen erhalten. Deshalb wird in einem solchen Fall das Portal proportional vergrössert und wieder aufgemauert.
J. F.: Der damalige Baumeister hatte sein Material für die ganze Strecke aus einem einzigen Steinbruch und mauerte alle Portale wie die übrigen Kunstbauten in der gleichen Art auf. Bei dieser schönen Materialeinheit auf der ganzen Albulalinie und dem Aufwand, den wir bei den Instandsetzungsarbeiten der Brücken betreiben, dürfen wir nicht beliebig gegen den Kanon der Strecke verstossen: Deren Material ist der Stein. Die Diskussionen in der Jury haben uns immer wieder an diesen Punkt zurückgeführt.
C. F.: Die Diskussion betrifft nicht nur den Albulatunnel. Der Handlungsbedarf bei den Kunstbauten auf der gesamten Linie ist gross. Wir haben eine Pionierleistung geerbt. 100 Jahre lang haben wir davon profitiert. Jetzt suchen wir Methoden zur Instandsetzung, die den Spagat zwischen Sicherheit, Baudenkmal, Wirtschaftlichkeit und betrieblichen Möglichkeiten schaffen.

TEC21, Fr., 2013.04.26



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TEC21 2013|18 Albulatunnel

09. November 2012Aldo Rota
TEC21

Moderatoren im Netz

In den Glarner und Walliser Alpen entstehen zurzeit die zwei grössten Pumpspeicherwerke des Landes. Mit Maschinenleistungen in der Dimension eines Kernkraftwerks...

In den Glarner und Walliser Alpen entstehen zurzeit die zwei grössten Pumpspeicherwerke des Landes. Mit Maschinenleistungen in der Dimension eines Kernkraftwerks...

In den Glarner und Walliser Alpen entstehen zurzeit die zwei grössten Pumpspeicherwerke des Landes. Mit Maschinenleistungen in der Dimension eines Kernkraftwerks werden sie eine zentrale Rolle in der ­zukünftigen Energieversorgung spielen – entsprechend gross sind die ­Erwartungen, das Medieninteresse und teilweise auch die Skepsis.

Das Prinzip der Pumpspeicherung ist seit Beginn der Energieproduktion aus Wasserkraft vor über einem Jahrhundert bekannt. In grossem Massstab ist es in der Schweiz bisher aber nur selten angewendet worden. Das Schwergewicht lag traditionell auf der Jahresspeicherung in grossen Stauseen. Erst in den letzten Jahren hat der europäische Strommarkt durch den rasch wachsenden Anteil der erneuerbaren Energien die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Pumpspeicherung auch für Schweizer Stromproduzenten interessant wurde. Ein unschätzbarer Vorteil sind dabei die zahlreichen vorhandenen Kraftwerksanlagen, von denen sich viele – wie in den hier vorgestellten Beispielen – für den Ausbau zu Pumpspeicherwerken eignen. Weitere auf bestehenden Kraftwerken aufbauende Projekte für Pumpspeicherwerke sind baureif oder in einem fortgeschrittenen Planungsstadium. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob das Angebot an erneuerbaren Energien das prognostizierte Wachstum erreicht und damit ein Bedarf für weitere Pumpspeicherwerke besteht.

Trotz ihrer Grösse werden die Pumpspeicherwerke im Endeffekt keine zusätzliche Energie erzeugen – im Gegenteil, die Umschichtung des Speichermediums Wasser ist mit Energieverlusten von rund 25 % verbunden. Allerdings können Pumpspeicherwerke Energie, die zur falschen Zeit oder in zu grosser Menge anfällt, speichern und bedarfsgerecht zum richtigen Zeitpunkt ins Netz einspeisen. Die Primärenergie, die ansonsten verschwendet würde, wird dadurch veredelt – das kann den Aufwand für die Speicherung aus ökologischer und auch aus ökonomischer Sicht rechtfertigen. Insbesondere bei Photovoltaik und Windenergie ist das von zentraler Bedeutung, da bei diesen Energieformen die Produktionszyklen wenig mit den Verbrauchszyklen übereinstimmen.

Die partiellen Stromausfälle der letzten Jahre haben gezeigt, dass das europäische Verbundnetz störungsanfällig ist und dass sich Störungen über grosse Distanzen fortpflanzen und auswirken können. Auch ohne eigentlichen Stromausfall können geringfügige Abweichungen von Spannung und Frequenz von der Norm Schäden und Produktionsausfälle zur Folge haben. Diese Problematik wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, denn einerseits nimmt der Anteil empfindlicher elektronischer Verbraucher im Netz laufend zu, ­andererseits werden die in grosser Zahl zugeschalteten, meist dezentral organisierten Produzenten aus erneuerbaren Quellen, insbesondere Photovoltaik und Windenergie, wegen ­ihrer unregelmässigen Zyklen das Netz zunehmend destabilisieren. Um das Netz in Zukunft stabil zu halten, sind jedoch grosse Produktions-, aber auch Verbrauchskapazitäten erforderlich, die jederzeit und schnell verfügbar und kurzfristig auch umkehrbar sind. Beim aktuellen Stand der Technik können nur Pumpspeicherwerke diese Aufgaben im grossen Massstab erfüllen.

Es geht bei den heutigen Pumpspeicherwerken neben den «klassischen» Funktionen der ­Erzeugung elektrischer Energie einerseits und der Speicherung überschüssiger Energie ­anderseits auch um Regulierung und Stabilisierung. Und die sind im heutigen Netzverbund gefragt; die sogenannte Regelleistung, von der die Verbraucher im besten Fall gar nichts merken, wird an den Energiebörsen gehandelt und teilweise besser honoriert als die eigentliche Konsumenergieproduktion. Auch dieser Aspekt ist bei Gesamtbetrachtung des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit von Pumpspeicherwerken zu berücksichtigen.

TEC21, Fr., 2012.11.09



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TEC21 2012|46 Pumpspeicher XXL

01. Juni 2012Aldo Rota
TEC21

Der Weg zur Jungfraubahn

In diesem Jahr feiert die Schweizer Tourismusindustrie das 100-jährige Bestehen der Jungfraubahn. Die Idee dazu entstand im 19. Jahrhundert, als der Bau von Bergbahnen in der Schweiz eine Blütezeit erlebte und ehrgeizige Projekte die Spitzen der Alpen anvisierten. Meist blieb es jedoch beim Projekt. Der pragmatische Ansatz von Adolf Guyer-Zeller, der auf dem Joch und nicht auf dem Gipfel endete, konnte aber bis 1912 realisiert werden.

In diesem Jahr feiert die Schweizer Tourismusindustrie das 100-jährige Bestehen der Jungfraubahn. Die Idee dazu entstand im 19. Jahrhundert, als der Bau von Bergbahnen in der Schweiz eine Blütezeit erlebte und ehrgeizige Projekte die Spitzen der Alpen anvisierten. Meist blieb es jedoch beim Projekt. Der pragmatische Ansatz von Adolf Guyer-Zeller, der auf dem Joch und nicht auf dem Gipfel endete, konnte aber bis 1912 realisiert werden.

Schon 1859 hatte der mit Bundesrat Jakob Stämpfli befreundete Verkehrspolitiker Friedrich Seiler in Interlaken (1808–1883), Hotelier, erfinderischer Industrieller und Nationalrat, eine von Lauterbrunnen ausgehende pneumatische Jungfraubahn projektiert. Er propagierte die in England zur Anwendung gelangten pneumatischen Eisenbahnen[1] für Alpentunnel mit starken Steigungen. Seiler erkannte frühzeitig die grossen Möglichkeiten der Nutzung der Wasserkraft. Dabei dachte er allerdings noch nicht an die Gewinnung von elektrischer Energie, sondern an die motorische Erzeugung von Druckluft.

Drahtseilbahnen als Vorläufer

Dreissig Jahre später wurden in der Öffentlichkeit drei Jungfraubahnprojekte heftig diskutiert. Als Erstes war im Oktober 1889 jenes von Maurice Koechlin eingereicht worden. Dieser Ingenieur war von 1879 bis 1940 im Büro Eiffel in Paris tätig und gilt heute als Konstrukteur des Eiffelturms. Koechlin plante eine 4.2km lange Fortsetzung der im Juli 1890 eröffneten meterspurigen Linie Interlaken–Lauterbrunnen und wollte die Spitze der Jungfrau aus dem hinteren Lauterbrunnental mit einer in fünf Sektionen gestaffelten, durch Wassergewicht betriebenen Drahtseilbahn oder mit einer durch mehrere Tunnel und Galerien führenden 5.5km langen elektrischen Zahnradbahn erreichen. Der Gipfel wäre von einem Felsenhotel und einem kleinen meteorologischen und astronomischen Observatorium gekrönt worden. Was der Eiffelturm für Paris geworden, das sollte die Jungfraubahn für das Berner Oberland werden. Das ebenfalls im Oktober 1889 vorgelegte Jungfraubahnprojekt des Aargauers Alexander Trautweiler, Sektionsingenieur der Brünigbahn in Luzern, sah mit Ausgangspunkt Stegmatten, 3km hinter Lauterbrunnen, vier insgesamt 6.5km lange Tunnelsektionen mit einer maximalen Steigung (1. Sektion) von 98 % vor. Die mit doppelten Lamellen-Zahnstangen als Bremse versehene Drahtseilbahn hätte die Besucher im Berginneren via Stellifluh–Schwarzmönch– Silberhorn in zwei Stunden zur 30 m unter dem Gipfel gelegenen Endstation und zum Kulmhotel Jungfrau transportiert. Die Motoren der Seiltrommeln sollten durch Druckluft angetrieben werden, die in der Talsohle mit Wasserkraft erzeugt und mittels einer im Tunnel verlaufenden Rohrleitung den einzelnen Antriebsstationen zugeführt worden wäre.

Ein Exot: Das pneumatische System Locher

Parallel zu den vergeblichen Bemühungen, die Projekte Koechlin und Trautweiler zu kombinieren, erschien im Mai 1890 als drittes Projekt für eine Jungfraubahn jenes des bedeutenden Zürcher Ingenieurs Eduard Locher, des Erbauers der Pilatusbahn (1885–1889). Bald darauf erklärte sich Koechlin mit Locher solidarisch und übernahm dessen Bahnsystem für sein Projekt. In einer Broschüre gab Locher eine kurze Beschreibung seines an Seilers Idee einer pneumatischen Jungfraubahn erinnernden «neuen patentierten Bahnsystems». Dieses ging von der Erkenntnis aus, dass «Dampflokomotivbetrieb wie am Rigi und Pilatus in langen Tunneln des Rauchs und des Geräuschs wegen von vorneherein ausgeschlossen» sei. Obwohl in der Schweiz schon einige Jahre zuvor eine Versuchsanlage für eine elektrisch betriebene Zahnradbahn erstellt worden war,[2] zog Locher erstaunlicherweise für die Jungfraubahn die Möglichkeit der elektrischen Traktion überhaupt nicht in Betracht.

Seine Bahn sollte aus einem zweiröhrigen Tunnel mit kreisförmigen Querschnitten von 3 m Durchmesser bestehen, der von der Talsohle hinter Lauterbrunnen direkt auf den Gipfel der Jungfrau geführt hätte (Abb. 4). In jeder Röhre war ein zylindrischer, mit 50 Sitzplätzen ausgestatteter Wagen von ca. 20 m Länge mit Eingängen an den Stirnseiten vorgesehen. Die acht Räder waren nicht unter dem Wagen, sondern je zu viert an den Stirnseiten angeordnet. Jede Tunnelröhre sollte mit drei Laufschienen, zwei unten und eine im Scheitel, ausgerüstet sein. Der Wagen wirkte, ähnlich wie bei einer Rohrpostanlage, als Kolben, der durch Druckluft aufwärts bewegt werden sollte.

Für die Erzeugung des Luftdrucks waren pro Röhre zwei in Serie geschaltete Zentrifugalventilatoren mit 6.5 m Durchmesser und einer Drehzahl von 310U/min vorgesehen, die eine Antriebsleistung von 2400PS erforderten. Da der Wagen auch ohne Gegendruck an jeder Stelle der Bahn sicher gebremst und festgehalten werden musste, kommt in der Projektbeschreibung der Regulierung des Luftdrucks und den auf die Schienen wirkenden Bremseinrichtungen besondere Bedeutung zu. Ohne die meterspurige Adhäsionsstrecke Lauterbrunnen–Stegmatten oder Stechelberg wäre die Tunnelbahn ca. 6km lang geworden, und die Fahrzeit hätte bei einer mittleren Geschwindigkeit von 7 m/s (ca. 25km/h) rund 15 Minuten betragen, sodass die Fahrt von Interlaken auf die Jungfrau etwa eine Stunde erfordert hätte.[3]

Vier damals führende Schweizer Maschinenbauunternehmen (Escher Wyss & Cie., SLM [Schweizer Lokomotiv- und Maschinenfabrik], MFO [Maschinenfabrik Oerlikon] und Gebrüder Sulzer) zögerten nicht, Machbarkeit und Zweckmässigkeit dieses auf dem europäischen Kontinent technisch isoliert dastehenden Systems und des ganzen Projekts zu bestätigen. Wie seinerzeit Seiler, wurde offenbar auch Locher von den 1865 in London und 1872 in New York nach dem gleichen Prinzip erbauten Untergrundbahnen inspiriert. Am 4. April 1891 erteilte das Eidgenössische Eisenbahndepartement Maurice Koechlin, dessen Gesuch am 15. Oktober 1889 eingereicht worden war, die Konzession für den Betrieb einer Eisenbahn auf die Jungfrau mit dem Bahnsystem von Eduard Locher. Auf das einige Tage später, vom 22. Oktober 1889, datierte Konzessionsgesuch von Alexander Trautweiler wurde nicht mehr eingetreten.

Ein realisierbares Projekt zeichnet sich ab

Offenbar gelang es Koechlin und Locher in der Folge nicht, die vorgeschriebenen Unterlagen fristgerecht einzureichen, sodass die Konzession für ihre Druckluftbahn 1893 hinfällig wurde. Die Nachfolge trat der Zürcher Grossindustrielle und Verkehrspolitiker Adolf Guyer-Zeller (1839–1899) an, der sich am 20. Dezember 1893 zuhanden einer zu bildenden Aktiengesellschaft um die Konzession «für den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von der Kleinen Scheidegg über Eiger und Mönch auf den Gipfel der Jungfrau» bewarb.

Neu an diesem Projekt war, dass die im Juni 1893 erfolgte Eröffnung der Wengernalpbahn seinen Ausgangspunkt bildete und im Wesentlichen dessen Linienführung bestimmte. Aber ohne Guyer-Zellers Idee, die der Legende nach auf einer Bergtour im Berner Oberland entstand und den Entschluss zur Realisierung des Plans auslöste (Abb. 1 und 2), wäre es wohl beim Projekt geblieben. In seinem Konzessionsgesuch konnte Guyer-Zeller überzeugend darlegen, dass die Konkurrenzprojekte nicht realisierbar waren. In der durch Bundesbeschluss vom 21. Dezember 1894 erteilten Konzession verpflichtete er sich freiwillig zu einem einmaligen Beitrag von 100000Fr. und zu einem weiteren jährlichen Beitrag von 6000Fr. für die Anlage eines ständigen meteorologischen und anderweitigen «tellurisch-physikalischen Zwecken» dienenden Observatoriums auf Mönch oder Jungfrau.

Guyer-Zellers Jungfraubahn war von Anfang an als elektrisch betriebene Zahnradbahn projektiert. Für die letzte Strecke vom Endpunkt der Zahnradbahn bis auf den Gipfel der Jungfrau hatte er an einen ca. 100 m hohen Aufzug gedacht (Abb. 5). Für Strecken, die höher als die in ca. 3200mü.M. vorgesehene Station Eiger zu liegen kämen, wollte der Bundesrat die Genehmigung aber erst erteilen, wenn Bau und Betrieb nachweislich keine besonderen Gefahren für Leben und Gesundheit der Menschen nach sich ziehen. Zu diesem Zweck wurden 1894 diverse Gutachten, unter anderen von Ballonpionier Eduard Spelterini, erstellt.

Ein Ingenieurtraum wird realisiert

Am 27. Juli 1896 wurden die Arbeiten an der Teilstrecke Kleine Scheidegg–Eigergletscher in Angriff genommen. Die Betriebseröffnung fand am 20. September 1898 in Anwesenheit des Initianten, ein halbes Jahr vor seinem Tod, statt. Erst nach insgesamt 16 Jahren Bauzeit (Abb. 7 und 8), nach Überwindung naturbedingter, technischer und finanzieller Schwierigkeiten konnte am 16. August 1912 die letzte Teilstrecke Eismeer–Jungfraujoch dem Verkehr übergeben und damit auf 3454mü.M. die höchstgelegene Eisenbahnstation Europas und die höchstgelegene Zahnradbahnstation der Erde eröffnet werden. Die meterspurige Bahn ist mit der hier erstmals angewendeten Keilkopfzahnstange System Strub ausgerüstet (Abb. 9). Die 9.3km lange Jungfraubahn überwindet damit, bei einer Maximalsteigung von 250, einen Höhenunterschied von 1393 m; die Strecke zwischen der Station Eigergletscher (2320 m) und der Endstation Jungfraujoch verläuft in einem 7.1km langen Tunnel, der durch die Felsenfenster der Haltestellen Eigerwand (2864 m) und Eismeer (3158 m) grossartige Ausblicke gewährt. Als Betriebsenergie diente ursprünglich Drehstrom mit einer Frequenz von 40Hz und einer Spannung von 650V.[4] Die in den ersten Jahren verwendeten zweiachsigen Lokomotiven (Abb. 6) waren talseitig mit einem langen Personenwagen zusammengebaut, der nur am anderen Ende über Laufräder verfügte (Rowanzug).

Eine Bahn für Freizeit und Forschung

Mit der Vollendung der Strecke Eismeer–Jungfraujoch, die beträchtliche, alle Berechnungen übersteigende Mittel erfordert hatte, fand der Bau der Jungfraubahn sein Ende. Die Baukosten wurden auf ca. 15 Mio.Fr. beziffert, rund das Doppelte der von Guyer-Zeller ursprünglich veranschlagten Mittel. Abgesehen von den finanziellen und technischen Schwierigkeiten, mit denen bei einer Fortführung der Bahn zu rechnen gewesen wäre, erwies sich das Jungfraujoch mit seinen Ausblicken nach Nord und Süd und seinen alpinistischen und skisportlichen Möglichkeiten als touristische Attraktion und als gegebener Endpunkt der Bahn, auf dessen Ausgestaltung in der Folge grosse Anstrengungen verwendet wurden. Dank der Jungfraubahn sind die seit 1931 bestehende, für die Erforschung der kosmischen Strahlung wichtige internationale Hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch und das seit 1937 auf 3573mü.M. errichtete Meteorologische Observatorium Jungfraujoch-Sphinx (1950 für astronomische Beobachtungen ausgebaut) ganzjährig zugänglich (vgl. S. 13).


[Der vorliegende historische Rückblick ist eine gekürzte und bearbeitete Fassung des von Roland Zehnder verfassten Kapitels «Zur Geschichte der Schweizerischen Bergbahnen. Die beiden höchstgelegenen Zahnradbahnen» aus: Ein Jahrhundert Schweizer Bahnen, Band V, Erster Teil: Die Bergbahnen, Verlag Huber&Co. Aktiengesellschaft, Frauenfeld, 1964, S. 22 ff. Mit freundlicher Genehmigung von Orell Füssli Verlag AG, Zürich.]


Anmerkungen:
[01] Pneumatisch betriebene, sog. Atmosphärische Eisenbahnen um 1900 sind u.a. beschrieben in: www.bahnportal.at/html/96357408.htm oder www.mybrunel.co.uk/railways/atmospheric/
[02] 1884 durch René Thury auf einer 50 m langen Versuchsstrecke in Territet, oberhalb von Schloss Chillon am Fuss der Rochers de Naye gelegen
[03] Eine vergleichbar direkte und schnelle unterirdische Verbindung (Lift) vom Lauterbrunnental zum Jungfraujoch ist Anfang 2008 vorgestellt, wegen der hohen Kosten aber nicht weiterverfolgt worden
[04] Die Frequenz der Stromversorgung ist 1960 von 40 Hz auf den in Europa gebräuchlichen Wert 50 Hz umgestellt worden, später wurde auch die Spannung auf 1125 V erhöht. Das Drehstromsystem, das eine zweipolige Fahrleitung erfordert, ist bis heute beibehalten worden

TEC21, Fr., 2012.06.01



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TEC21 2012|23 3500 Meter über Meer

Hilfsbrücken für die Bahn

Eisenbahnhilfsbrücken sorgen dafür, dass Bahnlinien nicht wegen Baustellen an Brücken unterbrochen werden müssen. Diese vormontierten Stahlbauwerke können in kurzen Sperrpausen auf vorbereiteten Lagern eingebaut werden und ermöglichen Bauarbeiten unter Bahnverkehr, ohne dass die Zugfahrenden viel davon merken. Die robusten und flexibel einsetzbaren Hilfsbrücken können aber auch kurzfristig abgerufen werden, wenn Bahnverbindungen durch ausserordentliche Ereignisse unterbrochen werden.

Eisenbahnhilfsbrücken sorgen dafür, dass Bahnlinien nicht wegen Baustellen an Brücken unterbrochen werden müssen. Diese vormontierten Stahlbauwerke können in kurzen Sperrpausen auf vorbereiteten Lagern eingebaut werden und ermöglichen Bauarbeiten unter Bahnverkehr, ohne dass die Zugfahrenden viel davon merken. Die robusten und flexibel einsetzbaren Hilfsbrücken können aber auch kurzfristig abgerufen werden, wenn Bahnverbindungen durch ausserordentliche Ereignisse unterbrochen werden.

Bei natürlichen oder von Menschen verursachten Katastrophen kann auch die Verkehrsinfrastruktur beeinträchtigt oder gar lahmgelegt werden. Insbesondere Brücken sind durch Hochwasser, Murgänge, Überschwemmungen, seltener durch Lawinen oder Bergstürze gefährdet. Erfahrungsgemäss hatten auch kleinere, noch nicht katastrophale Hochwasser immer wieder den Ausfall von Brücken zur Folge. Da Verkehrsverbindungen für die Wiederherstellung einer Industriegesellschaft nach einem Ereignis eine Schlüsselfunktion haben, ist der kurzfristige Ersatz ausgefallener Brücken eine dringliche Aufgabe des Bauwesens. Bei grossen Bauwerken wird dies zweifellos nicht einfach und vor allem nicht schnell möglich sein; bei kleineren Brücken ist die Wiederherstellung einer zumindest behelfsmässigen Verkehrsverbindung unter günstigen Umständen jedoch bereits nach wenigen Stunden möglich. Eine Eisenbahnbrücke ist meist anspruchsvoller und zeitaufwendiger zu ersetzen als eine Strassenbrücke, wo eine befahrbare Piste als Umgehung fürs Erste ausreichen kann.

Brücken für Baustellen

Eisenbahntrassees können in der Regel nicht so einfach und kurzfristig verlegt werden wie Strassen; so muss die Ersatzbrücke etwa am gleichen Ort stehen und ähnliche Dimensionen aufweisen wie das ursprüngliche Bauwerk. Für Brücken gibt es keine abrufbereiten Reservebrücken – der Ersatz einer zerstörten Eisenbahnbrücke ist eine Einzelanfertigung, die sich nur mit beträchtlichem Zeitaufwand realisieren lässt.

Für den schnellen Ersatz von Eisenbahnbrücken mit kleinen Spannweiten können hingegen die von den Schweizer Bahnbetreibern bei Baustellen verwendeten Hilfsbrücken unter einfachen topografischen Bedingungen eine kurzfristig verfügbare Lösung sein. Was sich bei Dutzenden von Baustellen bewährt hat (Abb. 2), könnte mit etwas Improvisation auch nach Katastrophen nützlich sein (Abb. 1). Und vor allem sind einsatzbereite Hilfsbrücken in ausreichender Anzahl gelagert (Abb. 5) und könnten praktisch über Nacht installiert werden (Abb. 7). Hier werden diese unentbehrlichen, aber kaum beachteten Baustelleninstallationen für einmal genauer betrachtet, da sie im Ereignisfall eine zentrale Rolle spielen können.

Vormontiert und am Stück transportiert

Der Brückenüberbau von Eisenbahnhilfsbrücken besteht üblicherweise aus vier einfeldrigen vollwandigen Längsträgern, von denen je zwei durch Querträger zu einem Zwillingsträger verbunden sind (Abb. 3, 5 und 8). Der Abstand der Querträger, die mittels HV-Stirnplatten- stössen mit den Längsträgern verschraubt sind und als Schienenauflager dienen, beträgt 60cm, was dem normalen Schwellenabstand auf der freien Strecke entspricht. Einige dieser Querträger können zur Stabilisierung der Zwillingsträger mit verstärkten HV-Stirnplatten­stössen ausgebildet werden. Die beiden Zwillingsträger werden mittels Quersteifen, welche im Abstand von 1.8–2.4 m angeordnet sind, zur Gesamthilfsbrücke verbunden. Statisch wirkt eine Eisenbahnhilfsbrücke als Trägerrost mit biegeweich bis biegesteif angeschlossenen Querträgern. Bei einem Einsatz in der Kurve wird zwischen den beiden Zwillingsträgern zusätzlich ein Horizontalverband eingebaut. Der Spannweitenbereich von Eisenbahnhilfsbrücken reicht von ca. 6 bis 23 m. Eisenbahnhilfsbrücken werden, wenn immer möglich, ungeteilt und fertig montiert zur Einsatz- oder Baustelle geliefert. Je nach Baustelle sind eine oder mehrere Hilfsbrücken notwendig, die sowohl neben wie auch hintereinander (als Hilfsbrückenkette) angeordnet werden können (Abb. 1 und 2).

Einsatz von Hilfsbrücken

Eisenbahnhilfsbrücken sind sicherheitsrelevante Ingenieurbauwerke, die bezüglich Sicherheit des Bahnbetriebs den gleichen Kriterien genügen wie normale Bahnbrücken. Im Grundsatz ist auch unter Last ein möglichst kontinuierliches, der vorgesehenen Überfahrgeschwindigkeit entsprechendes Längenprofil des Gleises zu gewährleisten. Aufgrund der minimierten Bauhöhen weisen Eisenbahnhilfsbrücken gegenüber permanenten Eisenbahnbrückenbauwerken eine geringere Steifigkeit auf. Im Vergleich zu permanenten Brückenbauwerken werden grössere zulässige Verformungen von Brückenträger und Fundation und somit ein etwas geringerer Fahrkomfort akzeptiert.

Die maximal zulässige Überfahrgeschwindigkeit von Hilfsbrücken für Normalspurbahnen beträgt je nach Konstruktionstyp und Anordnung zwischen 50km/h und 100km/h. Für den Einsatz bei Meterspurbahnen gilt eine maximale Überfahrgeschwindigkeit von 60km/h.

Widerlager rasch erstellt

Bei gutem Baugrund kann die Hilfsbrücke mittels Holzschwellenfundament oder Betonfertigelement auf gewachsenem Baugrund flach gegründet werden. Das Flachfundament ist auf einer 2 bis 5cm dicken Schicht aus einem Sand-Zement-Gemisch (trockener Mörtel) oder Splitt aufzulegen. Quer zur Brückenachse wirkende Horizontalkräfte aus der Brücke werden über Anschlagwinkel in das Fundament eingeleitet. Die Mindestspannweite der Hilfsbrücke kann meist mit einer Böschungsneigung von 2:3 ermittelt werden. Im Geschwindigkeitsbereich bis 60km/h kann die Hilfsbrücke auf einem Holzschwellenfundament aufgelagert werden. Dieses sehr einfach und kurzfristig erstellbare Bauteil besteht aus einem Schwellenrost mit zwei ca. 3.0 m langen Querschwellen und mehreren ca. 2.5 m langen Längsschwellen. Bei Geschwindigkeiten über 60km/h werden anstelle der Holzschwellenfundamente vorgefertigte Betonfundamentplatten von 2.5 m in Längsrichtung der Schienen mal 3.0 m in Querrichtung verwendet (Abb. 6). Die Fundamentdicken liegen zwischen 0.35 m und 0.50 m. Bei schlechten Baugrundverhältnissen und im Geschwindigkeitsbereich von 80 bis 100km/h sind Tiefgründungen (Schlitz- oder Pfahlfundamente) erforderlich. Auch rasch erstellbare Baugrubenabschlüsse wie Pfahl-, Rühl- oder Spundwände können für die Auflagerung von Hilfsbrücken verwendet werden. Die Fundamenttiefe von Schlitzfundamenten ist auf ungefähr 2.0 bis 3.0 m (bzw. 3.0 bis 4.0 m ab Schienenunterkante) zu begrenzen. Bei hohen Anforderungen an das Setzungsverhalten der Gründungsbauwerke sind Pfahlfundationen (Bohrpfahl- oder Mikropfahlfundation) auszuführen. Der Auflagerriegel für die Hilfsbrücke kann als Beton- oder Stahlträger ausgeführt werden. Wird die Hilfsbrücke auf Stahlspundwände abgestützt, wird als Hilfsbrückenauflager in der Regel ein Walzträgerprofil mit verkeilter Holzschwelle (Brückenlager) aufgeschweisst.

Stützen aus dem Baukasten

Bei Hilfsbrückenketten werden die Zwischenauflager der Brücke in der Regel auf normierten Stahljochen ausgeführt. Diese Stahljoche sind räumliche Fachwerkstützen mit zum Teil biegesteifen Rahmenriegeln im oberen Jochbereich und mit typischen Stützenabständen von 150cm in Querrichtung und 95cm in Längsrichtung (Abb. 4). Für die Berechnung der Joche, der Verankerungen und der Fundamente ist die Einwirkung «Anfahren und Bremsen» zu berücksichtigen. Für die Aufnahme grosser Zentrifugalkräfte sind eventuell zusätzliche Verstrebungen notwendig. Stahljoche werden stets auf Ortbetonfundamenten verankert. In schlechtem Baugrund sind, analog zu den Widerlagern, allenfalls Pfahlfundationen für die Joche erforderlich. Beidseitig der Brücken sind Dienststege mit Holzbelag und Suvakonformen Geländern eingebaut. Alle tragenden Verbindungen der Hilfsbrücken und der Stahljoche sind mit voll vorgespannten, hochfesten Schrauben der Festigkeitsklasse 10.9 ausgeführt.


Literatur:
Teile dieses Beitrags beruhen auf Auszügen aus dem Regelwerk RTE 21590 «Hilfsbrücken für Eisenbahnen», herausgegeben vom Verband öffentlicher Verkehr, Technik Bahn. Zu beziehen bei VSS Zürich, www.vss.ch Vgl. auch: Strasse und Verkehr 6/2006.

TEC21, Fr., 2012.02.17



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TEC21 2012|8 Nach der Katastrophe

26. August 2011Aldo Rota
TEC21

Neue Saiten aufziehen

Anfang September, rechtzeitig vor Beginn des Herbstsemesters, werden nach fünfjähriger Bauzeit die neuen Räume der Universität Luzern bezogen. Nach einer wechselvollen Vorgeschichte kann sich die junge Hochschule nun im umgebauten ehemaligen Postbetriebsgebäude hinter dem Kunst- und Kongresshaus Luzern (KKL) in einem grosszügigen und inspirierenden architektonischen Umfeld entfalten.

Anfang September, rechtzeitig vor Beginn des Herbstsemesters, werden nach fünfjähriger Bauzeit die neuen Räume der Universität Luzern bezogen. Nach einer wechselvollen Vorgeschichte kann sich die junge Hochschule nun im umgebauten ehemaligen Postbetriebsgebäude hinter dem Kunst- und Kongresshaus Luzern (KKL) in einem grosszügigen und inspirierenden architektonischen Umfeld entfalten.

Die Bildungsinstitution existiert in der heutigen Form erst seit einem Jahrzehnt: Obwohl ihre historischen Wurzeln als theologische Schule bis ins Jahr 1600 zurückreichen, ist die Universität Luzern die jüngste Schweizer Universität; ihre Gründung erfolgte erst nach der Annahme des Universitätsgesetzes im Kanton Luzern im Jahr 2000. Die schweizerische Anerkennung durch den Bundesrat folgte 2005. Als Vorläuferinstitutionen bestanden bereits die theologische Fakultät, die 1970 die akademischen Gradrechte erhielt, und seit 1993 die geisteswissenschaftliche Fakultät.

Bedingt durch die kurze Entstehungsgeschichte, die Herkunft aus verschiedenen Institutionen und die kleinen Anfangsbestände waren die Schulräume der jungen Universität auf 16 Standorte in Luzern verteilt, ein universitäres Zentrum fehlte. Von Anfang an war daher beabsichtigt, die neu gegründete Universität in einem repräsentativen Gebäude zusammenzufassen und zu beheimaten. Ursprünglich war dafür ein Neubau am Kasernenplatz, in der Nähe des Historischen und des Naturhistorischen Museums, vorgesehen. Für die Planung des neuen Universitätsgebäudes, das bereits 2008 hätte eröffnet werden sollen, wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, in dem der Entwurf des Zürcher Architekten Valerio Olgiati den ersten Rang belegte. Sowohl der als peripher kritisierte Standort als auch die Durchführung des Wettbewerbs und das ausgewählte Projekt waren aber heftig umstritten und führten in der Folge zu langwierigen Auseinandersetzungen, denen das Verwaltungsgericht Luzern Anfang 2004 ein Ende setzte, indem es den Entscheid der Wettbewerbsjury aufhob (vgl. TEC21, 44/2003, S. 20,[1] TEC21, 48/2003, S. 24,[2]). Nach dem Debakel um den Wettbewerb war es ein Wink des Schicksals, dass die Post ihr Betriebsgebäude an der Frohburgstrasse neben dem Bahnhof bis auf eine Poststelle aufzugeben gedachte, weil sie beabsichtigte, das Verteilzentrum in Härkingen zu konzentrieren.

Da capo in der alten Post

Die verschiedenen Institute der Universität Luzern sowie rund die Hälfte des Raumbedarfs der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz in unmittelbarer Bahnhofsnähe zu vereinen, eröffnete einen idealen Ausweg aus dem Dilemma: Der Entscheid, die Luzerner Hochschulen und die angegliederte Zentralschweizer Hochschulbibliothek (ZHB) im frei werdenden Postbetriebsgebäude an der Frohburgstrasse unterzubringen, fi el deshalb noch im selben Jahr – nicht, ohne auch noch 21 weitere Standorte geprüft zu haben. Die Post überliess den Bau dem Kanton für 45 Millionen Franken. 2005 wurde ein Wettbewerb für die Umnutzung des Postbetriebsgebäudes durchgeführt. Zu dessen optimaler verkehrstechnischen Lage gesellten sich die exzellente Qualität der Bausubstanz und das enorme Flächenangebot: Auf sechs Geschossen liessen sich nun knapp 23 000 m² Nutzfl äche realisieren. Seit dem ersten Anlauf waren die Studierendenzahlen nämlich förmlich explodiert: Im Jahr 2000 rechnete der Kanton Luzern mit 900 Studierenden (ausbaubar auf 1200 bzw. 1500) und kalkulierte für den Bau am Kasernenplatz 55 bis 65 Millionen Franken. 2005 waren es rund 1600. 2012 werden 2000 bis 2600 Personen an der Universität Luzern studieren (ohne PHZ).

Eine zentrale Herausforderung war die Neugestaltung der Fassade; die lieblose Industriearchitektur des Postbetriebsgebäudes passte weder zu den Ansprüchen nach Repräsentation der Universität noch zur Dominanz des benachbarten KKL. Das siegreiche Projekt der Zürcher Architekten Enzmann Fischer legt denn auch besonderen Wert auf eine eigenständige Fassadenarchitektur. Bereits im folgenden Jahr 2006 stimmte das Luzerner Stimmvolk dem Projekt von Enzmann Fischer Architekten zu, und die Baubewilligung wurde im Herbst 2007 erteilt. Die Rückbau- und Umbauarbeiten begannen im Dezember 2007 im 2. Untergeschoss (Abb. 3, 4), zuerst bei noch laufendem Postbetrieb; mit der Montage der neuen Fassaden wurde im Mai 2009 begonnen. Die verbleibende, neu gestaltete Poststelle im Erdgeschoss nahm ihren Betrieb bereits Ende 2009 wieder auf. Im Juni des aktuellen Jahres konnten die Umbauarbeiten termingerecht abgeschlossen werden. Gegenwärtig ist der Umzug der Universität und der PHZ in ihre neuen Räume an der Frohburgstrasse im Gange. Das Umzugsvolumen umfasst allein für die Universität rund 24 000 m³.


Anmerkungen:
[01] Baugedächtnis: http://retro.seals.ch/digbib/view?rid=sbz-004:2003:129::3504&id=hitlist
[02] Baugedächtnis: http://retro.seals.ch/digbib/view?rid=sbz-004:2003:129::3864&id=hitlist

TEC21, Fr., 2011.08.26



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TEC21 2011|35 Universität Luzern

25. März 2011Aldo Rota
TEC21

Das erste Werk am Rhein

Das Kraftwerk Rheinfelden war das erste und lange das grösste Flusskraftwerk in Europa. Mit diesem mutigen Wurf begann die Nutzung der Wasserkräfte des Rheins. Jetzt ist das Werk ersetzt worden und nimmt mit seinem Umgehungsgewässer wieder eine Vorreiterrolle ein. Gegenwärtig wird das alte Maschinenhaus abgebrochen. Ein Nachruf auf eine Pioniertat.

Das Kraftwerk Rheinfelden war das erste und lange das grösste Flusskraftwerk in Europa. Mit diesem mutigen Wurf begann die Nutzung der Wasserkräfte des Rheins. Jetzt ist das Werk ersetzt worden und nimmt mit seinem Umgehungsgewässer wieder eine Vorreiterrolle ein. Gegenwärtig wird das alte Maschinenhaus abgebrochen. Ein Nachruf auf eine Pioniertat.

Wie kam es dazu, dass an dieser Stelle nur noch rückblickend über diese bemerkenswerte Anlage berichtet werden kann? Paradoxerweise hat die in den letzten Jahren stark gestiegene Bedeutung der Wasserkraft in der europäischen Energiepolitik das Schicksal des alten Werks besiegelt. Die beschriebene Anlage nutzte das verfügbare hydraulische Potenzial nämlich, dem damaligen Stand der Technik entsprechend, nur teilweise aus. Die politischen Instanzen, die für die Erneuerung der 1898 für die Dauer von 90 Jahren erteilten Konzession zuständig sind, wollten hingegen die erneuerbare Energiequelle Wasserkraft dem aktuellen Stand entsprechend fördern. Sie machten die Erneuerung der Konzession von der effizienteren Nutzung der verfügbaren Wasserkraft abhängig. Ein Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen hätte die energiepolitische Position der Wasserkraft nicht wesentlich verbessert. Daher ist der Totalersatz des Kraftwerks, verbunden mit zeitgemässen ökologischen Ausgleichsmassnahmen, gesamthaft betrachtet die ökologisch nachhaltigste Massnahme, auch wenn die aktuellen Eingriffe in die natürliche Umgebung teilweise schmerzhaft erscheinen. Dass dabei kein Platz mehr für das alte Kraftwerk war, ist kulturhistorisch bedauerlich, in Anbetracht der Rahmenbedingungen und Anforderungen von Ökologie und Ökonomie aber zumindest nachvollziehbar. Geschichte und Technik des alten Kraftwerks Rheinfelden sind aber weiterhin von Interesse und werden im Folgenden rekapituliert.

Beste natürliche Voraussetzungen

Vom Ausfluss aus dem Bodensee bei Stein am Rhein bis zur Landesgrenze bei Basel weist der Hochrhein auf einer Länge von 140 km einen Höhenunterschied von 145 m auf, was einem mittleren Gefälle von 1 ‰ entspricht. Dieses Gefälle ergibt in Verbindung mit der erheblichen Wasserführung des Rheins ein beachtliches hydraulisches Potenzial. Vor über einem Jahrhundert konnte für die ersten Kraftwerke am Rhein der günstigste Standort aufgrund der natürlichen Gegebenheiten frei gewählt werden.

Mit Ausnahme des Sprungs beim Rheinfall, der ab 1890 durch ein kleineres Kraftwerk teilweise genutzt wurde, ist das oben erwähnte Gefälle näherungsweise gleichmässig über die Flusslänge verteilt. Stromaufwärts der mittelalterlichen, am linken Rheinufer gelegenen Schweizer Stadt Rheinfelden, auf Höhe der Grenze zwischen den deutschen Gemeinden Nollingen und Karsau[1] am rechten Ufer, quert jedoch eine Muschelkalkrippe das Flussbett des Rheins auf seiner gesamten Breite praktisch senkrecht zur Fliessrichtung. Oberwasserseitig staute dieses natürliche Hindernis von alters her einen ruhigeren, etwas tieferen Flussabschnitt, den Beugger See, auf. Stromabwärts dieser Schwelle fliesst der Rhein auf einem kurzen Abschnitt mit grossem Gefälle, dem sogenannten Gwild (Abb. 1 und 4), turbulent über Muschelkalk und Kiesbänke ab. Vom Beugger See bis zur Brücke von Rheinfelden weist der Rhein auf 2.4 km Länge ein Gefälle von maximal 7.5 m bei Niedrigwasser auf.[2] Erste Projektideen für die Nutzung der Rheinfelder Stromschnellen entstanden bereits ab 1871,3 scheiterten aber an lokalen Widerständen und an der Finanzierung. Ein Schweizer Firmenkonsortium plante 1889 erstmals die Produktion und Verteilung elektrischer Energie in grossem Stil und erwarb eine Konzession zwischen dem Beugger See und der Brücke von Rheinfelden. Der Aarauer Ingenieur Olivier Zschokke (1826–1898) entwarf zunächst eine Anlage zur Nutzung der gesamten Konzessionsstrecke. Mit geschätzten Baukosten von 12 Mio. Mark erwies sich dieses erste Projekt Zschokkes jedoch als nicht finanzierbar.

Traditionelles Mühlenprinzip

1893 wurde das Projekt durch Zschokke redimensioniert: Die genutzte Flusslänge wurde halbiert und auf die eigentlichen Stromschnellen begrenzt, wodurch die Baukosten praktisch halbiert wurden und das Werk in eine realistische Grössenordnung rückte. Auch in seinem zweiten, redimensionierten Projekt griff Zschokke auf das traditionelle Mühlenprinzip mit Wehranlage, Oberwasserkanal und Maschinenhaus am Ufer zurück (Abb. 1 und 4). Bei später erstellten Kraftwerken am Hochrhein wie Laufenburg (Betriebsaufnahme 1914) oder Eglisau (1920; TEC21 24/2005) und auch beim neuen Kraftwerk Rheinfelden (vgl. Abb. 2 und «Potenzial besser nutzen», S. 24) sind Wehranlage und Maschinenhaus zusammengefasst und in einer Flucht quer ins Flussbett hineingebaut. Trotz der einfachen und konventionellen Disposition liessen sich weiterhin keine Investoren finden. Der Hauptkritikpunkt war die ungünstige Anordnung des Maschinenhauses zwischen Oberwasserkanal und Uferböschung.[4] Die vom Konsortium gegründete Vorbereitungsgesellschaft liess darauf Zschokkes Projekt durch Otto Intze (1843–1904) überarbeiten. Intze, der an der TH Aachen lehrte, galt als der führende europäische Wasserbauingenieur. Er konzipierte die Zentrale neu und positionierte das Maschinenhaus zwischen Oberwasserkanal und Flussbett[5] (Abb. 1 und 4). Durch diese Vereinfachungen wurden die Kosten gesenkt, die Leistung erhöht und gleichzeitig die Betriebssicherheit verbessert, was den technischen und wirtschaftlichen Durchbruch des Projekts bedeutete. Dem Konsortium trat jetzt die bei der Finanzierung von Elektrizitätswerken federführende Deutsche Bankengruppe um Emil Rathenau (1838–1915), den Gründer der AEG, bei. 1894 wurde in Berlin die AG Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR, heute Energiedienst) gegründet. Am 1. Mai 1895 begannen die Bauarbeiten, im Sommer 1897 konnten bereits 8 von 20 Turbinen in Betrieb genommen werden. Im Sommer 1899 wurden mit dem Wehr und den Schützen (Abb. 7 und 8) die letzten Bauwerke des Kraftwerks Rheinfelden fertiggestellt. Die Baukosten betrugen inkl. Maschinen ca. 8.6 Mio. Mark.

Fischtreppe und Flossgasse

Auf der eingangs erwähnten Muschelkalkrippe wurde der Rhein über die gesamte Breite durch ein niedriges, senkrecht zur Fliessrichtung angeordnetes, aus Bruchsteinen aufgemauertes Wehr gestaut (Abb. 1 und 4). Die breite Krone des etwa 198 m langen Wehrs lag auf der Kote 271.60 m ü. M., was der Staukote des gestauten Beugger Sees bei Niedrigwasser entsprach. Auf der Wehrkrone waren acht je ca. 18 m breite Tafelschützen von 1.3 m Höhe aufgestellt. Am linken, schweizerischen Ufer war zwischen der letzten Tafelschütze und der Uferbefestigung lediglich noch eine schmale Fischtreppe angeordnet. In Richtung badisches Ufer schlossen an die erste Tafelschütze zwei breitere, parallele Fischtreppen und die in der Konzession vorgeschriebene, 20 m breite, leicht geneigte Flossgasse an.[6] Durch diesen Durchlass ohne Absperrorgane, dessen Sohle tiefer als die Staukote des Wehrs lag, sowie die Fischtreppen floss permanent und unabhängig vom Kraftwerksbetrieb mindestens die in der Konzession vorgeschriebene Restwassermenge von 50 m³ / s ins «Gwild» ab. Zwischen der Flossgasse und dem badischen Ufer, im Bereich der grössten Wassertiefe, waren drei mit Schützen verschliessbare, je 10 m breite und 5 m hohe Grundablässe angeordnet (Abb. 4, 7 und 8). Diese im Normalbetrieb geschlossenen Bauwerke dienten der Entleerung des Flussbetts, insbesondere zum Austrag des reichlich anfallenden Geschiebes, und wirkten bei der Ableitung grösserer Hochwasser mit. Die für den Betrieb der Schützen erforderlichen, als Fachwerke ausgeführten Apparatebrücken über dem Wehr waren während eines Jahrhunderts die charakteristischen, landschaftsprägenden Elemente der sonst unauffälligen, mit der hügeligen Landschaft verschmelzenden Kraftwerksanlagen. Am rechten, badischen Ufer lag schiefwinklig zur Flussrichtung der trompetenförmig leicht aufgeweitete Einlauf des Oberwasserkanals (Abb. 4). Zwischen der Flossgasse und den Grundablässen war oberwasserseitig ein als Tauchwand ausgebildetes Leitwerk aus Stahl angeordnet, um den Flossverkehr zu kanalisieren sowie Schwemmholz und Eisgang vom Einlauf des Oberwasserkanals fernzuhalten (was bei Hochwasser nicht immer ausreichte). Im Übergangsbereich vom Grundablass zum Oberwasserkanal waren auf der Wehrkrone noch vier kleinere, nicht regulierbare Überläufe angeordnet.

Der in Stampfbeton ausgeführte, rund 880 m lange, 50 m breite und 4.50 m bis 5.40 m tiefe Oberwasserkanal verlief am rechten Ufer parallel zum Flussbett des Rheins. Durch diesen Kanal mit einem Gefälle von 0.6 ‰ floss die maximale Triebwassermenge von 600 m³/s mit einer Geschwindigkeit von 2.5 m/s zum Maschinenhaus. Die Kanalwand war auf 200 m Länge als Überlauf zum Rhein ausgebildet. Am Einlauf des Kanals verhinderte ein quer zur Strömungsrichtung angelegter Grobrechen den Eintrag von Schwemmholz. Eine parallel zum Rechen angelegte Rinne in der Kanalsohle mit Spülschütze wirkte als Geschiebesammler. In den ersten Betriebsjahren erforderte diese Vorrichtung einen grossen Unterhaltsaufwand, da man das Ausmass des Kieseintrags unterschätzt hatte. Nach der Betriebsaufnahme der Oberliegerwerke am Rhein nahm die Beanspruchung des Kiesfangs rasch ab.

Das 146 m lange, in Stampfbeton und Mauerwerk erstellte, mit gelblichen Hausteinen verkleidete Maschinenhaus schloss den Oberwasserkanal parallel zum Rhein ab (Abb. 5). Im Fundament des Gebäudes waren 20 je 5.5 m breite Turbinenkammern angeordnet, die einzeln durch zweiflüglige Drehtore gegen den Oberwasserkanal abschliessbar waren (Abb. 6, links). Unterwasserseitig konnten die Turbinenkammern mit Zugschützen und Dammbalken gegen den Rhein abgeschlossen werden. Die Einläufe der Turbinenkammern waren durch einen gemeinsamen, um 45° geneigten Feinrechen im Oberwasserkanal geschützt (Abb. 6, links).

Anpassungsfähige Turbinen

In den Turbinenkammern waren ursprünglich 20 vertikalachsige Francisturbinen mit je acht Laufradkränzen eingebaut (Abb. 6, Mitte). Diese Bauart wurde von der Firma Escher, Wyss & Cie. in Zürich eigens für das Kraftwerk Rheinfelden entwickelt. Das nutzbare Gefälle zwischen Ober- und Unterwasserspiegel schwankte je nach Wasserführung des Rheins zwischen 3.20 m und 6.50 m, eine konstante Leistung der Maschinen war nur mit einer anpassungsfähigen Steuerung der Wasserzufuhr zu den Turbinen einzuhalten.[7] Allerdings scheint sich die Lieferfirma mit der ehrgeizigen Konstruktion etwas übernommen zu haben, denn mehrmonatige Verspätungen bei der Lieferung der Turbinen hatten spürbare Verzögerungen des Bauprogramms zur Folge.

Je nach verfügbarem Gefälle leistete jede Turbine zwischen 800 und 1200 PS, sodass die elektrische Gesamtleistung der Zentrale mit 20 Generatoren zwischen 12 MW und 18 MW betrug (Abb. 3). Acht Turbinen trieben Wechselstromgeneratoren für die allgemeine und industrielle Versorgung an,[8] die restlichen Maschinengruppen produzierten Gleichstrom mit niedriger Spannung (100 V bis 800 V), der an die in der Umgebung angesiedelte elektrochemische Industrie (u.a. ein Aluminium- und ein Karbidwerk) abgegeben wurde. 1918 produzierte das Werk etwa 120 Mio. kWh elektrische Energie.

Die Wasserrückgabe erfolgte ohne Unterwasserkanal direkt von den Turbinenkammern in den Rhein (Abb. 5). Am Ende des Oberwasserkanals waren ein 6 m breiter, mit einer Schütze verschliessbarer Grundablass sowie eine kleine Bootsschleuse angeordnet. Eine dreifeldrige Stahlfachwerkbrücke mit gemauerten Flusspfeilern stellte eine einspurige Strassenverbindung zwischen der Zentrale und dem Schweizer Ufer her und trug ursprünglich auch die Übertragungsleitungen in die Schweiz. Eine kleinere Kabelbrücke leitete die Energie vom Maschinenhaus über den Oberwasserkanal zur Schaltanlage am badischen Ufer. Zwischen 1930 und 1935 wurden 14 der ursprünglichen Francisturbinen durch acht modernere Kaplanturbinen und sechs Propellerturbinen (Kaplanturbinen mit nicht verstellbaren Schaufeln) ersetzt. Dadurch erhöhte sich die installierte Kraftwerksleistung auf 25.7 MW und die mittlere Jahresproduktion auf 185 Mio. kWh. Die restlichen Maschinengruppen wie auch die gesamten Bauwerke und wasserbaulichen Installationen blieben bis zum Rückbau der Anlage (Abb. 2) weitgehend unverändert in Betrieb.

TEC21, Fr., 2011.03.25



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TEC21 2011|13 Kraftwerk Rheinfelden

10. September 2010Aldo Rota
TEC21

Das Kraftwerk Wägital

Im August vor 86 Jahren war die Gewichtsstaumauer in der Felsenge der Schräh gebaut, und das Wägital in der südöstlichen Ecke des Kantons Schwyz wurde geflutet. Ein neues Landschaftsbild entstand. Deshalb wurden rund um den Speichersee und im vorderen Wägital für das zweistufige Kraftwerk Wägital zahlreiche Ingenieurkunstbauten erstellt. Es lohnt sich, deren Geschichte aufzurollen und sie, als weitgehend im Originalzustand in Betrieb stehende Zeugen der Technikgeschichte, näher zu betrachten.

Im August vor 86 Jahren war die Gewichtsstaumauer in der Felsenge der Schräh gebaut, und das Wägital in der südöstlichen Ecke des Kantons Schwyz wurde geflutet. Ein neues Landschaftsbild entstand. Deshalb wurden rund um den Speichersee und im vorderen Wägital für das zweistufige Kraftwerk Wägital zahlreiche Ingenieurkunstbauten erstellt. Es lohnt sich, deren Geschichte aufzurollen und sie, als weitgehend im Originalzustand in Betrieb stehende Zeugen der Technikgeschichte, näher zu betrachten.

Vor einem Menschenalter, am 9. August 1924, wurde die 1502 geweihte Kirche von Innerthal, zuhinterst im Schwyzer Wägital, gesprengt. Zuvor waren bereits das Pfarrhaus, das Schulhaus, die Sägerei und gegen 100 weitere Gebäude der abgelegenen Gemeinde dem Erdboden gleichgemacht worden. Die für die damalige Zeit in der friedlichen Schweiz ungewöhnliche Zerstörung eines ganzen Dorfs, die für die Anlage des Stausees Innerthal (heute als Wägitaler See bekannt) erforderlich war, erregte einiges Aufsehen, zumal für rund 80 Einwohnerinnen und Einwohner keine Ersatzbauten erstellt werden konnten und diese deshalb gezwungen waren, aus Innerthal abzuwandern. Immerhin wurden Kirche, Pfarrhaus, Schulhaus, Gasthaus, Sägerei und zahlreiche Wohn- und Landwirtschaftsbauten oberhalb des Seespiegels neu erstellt, sodass Innerthal heute eine intakte Gemeinde ist, deren Wirtschaft entscheidend vom Tourismus und vom Landschaftsidyll um den Stausee geprägt ist. Seither sind noch einige Ortschaften in vergleichbarer Weise durch Stauseen überflutet und an anderen Standorten neu erstellt worden, darunter als bekanntes Beispiel 1954 Marmorera am Julierpass in Graubünden, dessen Schicksal in einem Schweizer Film («Marmorera» von Markus Fischer, 2007) aufgegriffen wurde. Grosse, ganze Talschaften betreffende Überflutungs- und Umsiedlungsprojekte wie etwa im Urserental oder im Rheinwald (GR) sind in der Schweiz jedoch stets durch Volksentscheide verhindert worden. Der Bau von Wasserkraftwerken hat sich seither immer mehr von den Voralpen in die Alpentäler verlagert, und die grössten seit den 1950er-Jahren erstellten und laufend ausgebauten Werksgruppen wie etwa Cleuson-Dixence oder KWO (Kraftwerke Oberhasli) lassen das Kraftwerk Wägital um eine Grössenordnung hinter sich (vgl. Kasten S. 26). Umso mehr ist es an dieser Stelle angebracht, sich die damaligen Verhältnisse vor Augen zu führen, um die Bedeutung der technischen Pionierleistungen im Wägital rückblickend zu würdigen.

Vor der Flutung

Ende des 19. Jahrhunderts, als in einer ersten Prospektionswelle landesweit geeignete Standorte für Wasserkraftwerke gesucht wurden, stellte man bereits fest, dass sich der langgezogene, flach geneigte Talboden von Innerthal am Ende des bis anhin unbekannten Wägitals für die Anlage eines Stausees eignet. Auf etwa 7 km Horizontaldistanz zur Talebene der March bei Siebnen, die rund 50 m über der Höhe des Zürichseespiegels liegt, steht ein Gefälle von rund 400 m zur Verfügung. Die Felsenge des Schräh am Ausgang dieses Talbodens war für die Erstellung einer Talsperre prädestiniert. Weitere günstige Umstände sind auch die relative Nähe zu grossen Energieverbrauchszentren, insbesondere der Stadt Zürich sowie der hoch industrialisierten Gebiete östlich und nordöstlich des Zürichsees, und nicht zuletzt die Tatsache, dass die Schwyzer Voralpen eines der niederschlagsreichsten Gebiete der Schweiz sind. Die Wasserkraft des Wägitals tatsächlich zu nutzen war aber aus geologischer Sicht schwierig, und es bedurfte mehrerer Anläufe, bis der Staudamm und die zusätzlich erforderlichen Kraftwerk-Bauwerke realisiert werden konnten (vgl. Kasten).

Nachdem bereits 1918/19 erste Sondierungen im Bereich der Staumauer Schräh erfolgten, konnte das definitive Bauprojekt im Januar 1921 aufgelegt und bewilligt werden. Als erste Arbeiten des Kraftwerkbaus begannen die Aushub- und Betonierarbeiten an der Staumauer Schräh im Januar 1922. Vier Jahre später, Anfang Januar 1926, konnte mit der Inbetriebnahme der Maschinengruppe 4 in der Zentrale Rempen der Betrieb aufgenommen werden.

Disposition der Anlage

Das Kraftwerk Wägital ist als zweistufiges Speicherkraftwerk mit Jahresspeicher ausgelegt (Abb. 2). Es nutzt die Wasserkraft der Wägitaler Aa zwischen dem Wägitaler See am südlichen Talende und Siebnen am nördlichen Talausgang zur Ebene der March. Die Trennung zwischen den zwei Stufen liegt ungefähr in der Mitte der genutzten Flussstrecke beim Ausgleichbecken Rempen, wo der einzige bedeutende Zufluss der Wägitaler Aa – der Trepsenbach – auf der rechten Talseite einmündet. Durch die Position dieses Zuflusses ergibt sich eine annähernd symmetrische Anordnung der zwei Stufen, die ungefähr dasselbe Gefälle aufweisen. Da beide Stufen auch dieselbe Triebwassermenge verarbeiten, konnten sie mit identischen Maschinengruppen ausgerüstet werden.

Der Wägitaler See bzw. Stausee Innerthal wird hauptsächlich aus seinem natürlichen, 42.7 km2 messenden Einzugsgebiet gespeist. Dazu kommt das Einzugsgebiet von 40 km2 des Ausgleichsbeckens Rempen der unteren Stufe, dessen gepumptes Wasser ebenfalls zur Füllung des Stausees beiträgt. Neben diesen natürlichen Einzugsgebieten wird kein Wasser aus anderen Gebieten zugeführt.

Staumauer und See

Das auffallendste und auch teuerste Bauwerk des Kraftwerks Wägital ist die Staumauer Schräh in der gleichnamigen Felsenge am Ausgang des Talbodens von Innerthal (Abb. 5 und 8). Die in Beton im damals neuartigen Giessverfahren erstellte Gewichtsstaumauer ist im Grundriss gerade angelegt und weist einen dreieckigen Querschnitt auf. Wasserseitig beträgt der Anzug 30:1, womit die Mauer beinahe senkrecht ist. Luftseitig beträgt der Anzug 1:0.783, was ihr eine imposante Erscheinung verleiht. Die Mauer ist vom Fundament bis zur Krone maximal 110.5 m hoch, wovon im Endzustand maximal 66 m über dem früheren Talboden sichtbar sind. Der grosse eingegrabene Anteil der maximalen Mauerhöhe ist einerseits auf die über 20 m starke Schuttüberdeckung des Felsbodens und anderseits auf eine ca. 20 m tiefe, schmale Erosionsrinne im Felsboden zurückzuführen, die bergmännisch ausgeräumt und betoniert werden musste.

Durch diese Staumauer, die für fünf Jahre die grösste Betonstaumauer der Welt war, wird ein 5 km langer und maximal etwa 1.20 km breiter See mit einer Oberfläche von 4.25 km2 aufgestaut. Da der Stolleneinlass für das Triebwasser höher liegt als der Talgrund auf Kote 834, liegt der tiefste mögliche Betriebswasserspiegel auf Kote 850. Bei der normalen Staukote 900 beträgt der nutzbare Stauinhalt 147.4 Mio. m3, was einer theoretischen akkumulierten Energie von 122.4 Mio. kWh entspricht. Im heutigen Betrieb wird nur der Bereich zwischen den Koten 880 und 900 bewirtschaftet, was einem Nutzinhalt von 76 Mio. m3 entspricht. In der Staumauer Schräh sind rund 236 600 m³ Beton verbaut worden. Sie wird von sieben über die gesamte Höhe verteilten horizontalen Kontrollgängen und drei vertikalen Kontrollschächten aus überwacht. Die Mauerkrone – die Kronenlänge beträgt etwa 156 m – wird durch Betongewölbe von 3 m Lichtweite und 1 m breite Pfeiler gebildet, die eine 4 m breite Verbindungsstrasse tragen. Am linken Ende ist der Hochwasserüberlauf mit Schwellenkote 897.63 m angeordnet. Durch seine drei 3.5 m weiten, durch Schützen abgeschlossenen Öffnungen können maximal 85 m³/s über eine Felswand ins alte Flussbett abgeführt werden (Abb. 9). Neben dem Mauerfundament war zudem noch der Grundablass in einem separaten Stollen angeordnet. Von 1982 bis 1984 wurde die Hochwasserentlastung saniert und ein neuer, auf Höhe des Talbodens durch die Mauer führender Grundablass erstellt.

Die obere Stufe Innerthal–Rempen

Auf der rechten Seeseite, etwa 800 m von der Staumauer entfernt, ist auf Kote 844 das Einlaufbauwerk für den Druckstollen der oberen Stufe angeordnet. Diese mit einem Rechen versehene Öffnung kann für Arbeiten im Stollen mit einer Flachschütze verschlossen werden, die auf einer Schrägseilbahn vor den Stolleneinlauf gefahren werden kann (Abb. 1). Im Normalbetrieb dient eine in einem Vertikalschacht weiter hinten im Druckstollen angeordnete Drosselklappe als Abschlussorgan. Hier beginnt der leicht geneigte, 3.67 km lange Druckstollen mit kreisförmigem Querschnitt und 3.6 m Innendurchmesser. Auch dieses «unsichtbare » Bauwerk ist eine Pionierleistung, denn für seine druckwasserdichte Auskleidung wurden in grossem Umfang Spritzbeton – damals als Gunit bezeichnet – und elektrisch geschweisste Ringbewehrungen eingebaut. Der Druckstollen endet im Wasserschloss Rempen mit einer unteren, als Stollen ausgebildeten Kammer und einer oberen, als frei stehender Betonzylinder konzipierten Kammer (Abb. 10). In der anschliessenden, frei stehenden Apparatekammer teilt sich der Druckstollen in zwei mit Drosselklappen abschliessbare Stränge. Von hier wird das Betriebswasser in einer offen auf Betonfundamenten verlegten, zweisträngigen Druckleitung mit vier Fixpunkten zur Zentrale Rempen geführt. Die Rohrdurchmesser dieser Druckleitung nehmen von oben nach unten von 2.4 m auf 2.05 m ab.

Die untere Stufe Rempen–Siebnen

Im Ausgleichsbecken Rempen mit der Staukote 642, unmittelbar unter der Zentrale Rempen, beginnt die untere Stufe des Kraftwerks Wägital. Das etwa 500 m lange und maximal rund 130 m breite Becken mit einem Nutzinhalt von rund 360 000 m³ wird durch die gleichnamige Staumauer im Flussbett der Wägitaler Aa aufgestaut. Diese inklusive Fundamente maximal 31.5 m hohe – 25 m davon entfallen auf die maximale Wassertiefe –, im Grundriss gerade Beton-Schwergewichtsmauer ist analog der Staumauer Schräh mit dreieckigem Querschnitt und auf Gewölben abgestützter Krone mit einer Kronenlänge von 128.4 m konzipiert. Zwei horizontale Kontrollgänge dienen der Überwachung der Mauer mit einer Betonkubatur von rund 21 500 m³. Der Wasserspiegel des Ausgleichsbeckens wird durch eine regelbare Überlaufklappe und vier automatisch ansprechende Saugüberfälle in der Mauerkrone reguliert. Diese Entlastungsorgane können gesamthaft 66 m³/s Wasser über die Mauerkrone abführen. Zwei im Mauerfuss eingelassene, quadratische, mit Gleitschützen verschliessbare Grundablässe sind insbesondere für das Ausspülen der Geschiebe- und Schlammablagerungen aus dem Ausgleichsbecken wichtig und vermögen eine Wassermenge von je 90 m³/s auszuleiten. Im Ausgleichsbecken Rempen wird neben dem Triebwasser der Zentrale Rempen der Abfluss des Zwischeneinzugsbiets mit einer Fläche von 40 km2 gesammelt. Dazu gehört auch der benachbarte Trepsenbach, der durch eine Wasserfassung mit Überfallwehr, Grundablass und Entsander gefasst und mit maximal 5 m³/s durch einen 268 m langen Freispiegelstollen ins Ausgleichsbecken Rempen übergeleitet wird. Wie für die Wägitaler Aa wird auch für den Trepsenbach von der 1962 erneuerten Konzession kein Restwasser vorgeschrieben. Am rechten Ende der Staumauer Rempen wird das Triebwasser der unteren Stufe durch ein Einlaufbauwerk gefasst und, analog zur oberen Stufe, nach Durchlaufen einer in einem Schieberhaus untergebrachten Drosselklappe in den leicht geneigten, 2.54 km langen Druckstollen mit kreisförmigem Querschnitt von 3.6 m Durchmesser eingeleitet. Er ist analog der oberen Stufe druckwasserdicht ausgekleidet. Unterhalb der Staumauer Rempen überquert der Druckstollen das Trepsental in 7 m Höhe auf einem 50.65 m langen, von Robert Maillart (1872 – 1940) entworfenen Aquädukt in Form einer auf zwei Pfeilern aufgelagerten Rohrbrücke aus Stahlbeton mit geschweisster Ringbewehrung (Abb. 4 und 6).

Am Ende des Druckstollens ist bei der Isenburg im Hang oberhalb Siebnen ein Zweikammer- Wasserschloss in analoger Bauweise wie in Rempen, aber mit einer wesentlich kleineren oberen Kammer angeordnet. Wie in Rempen teilt sich der Druckstollen in der anschliessenden, frei stehenden Apparatekammer in zwei Stränge, die mit Drosselklappen geschlos sen werden können. Von hier wird das Betriebswasser in einer zweisträngigen Druckleitung, die bei dieser Stufe in eine Betonummantelung eingegossen und im Boden verlegt und von aussen praktisch unsichtbar ist, zur Zentrale Siebnen geführt. Die Rohrdurchmesser dieser Druckleitung nehmen von oben nach unten von 2.5 m auf 2.2 m ab. Das Betriebswasser wird unterhalb der Zentrale Siebnen auf Kote 443.05 in das durch Dämme begradigte Gerinne der Wägitaler Aa zurückgegeben, die bei Lachen in den Obersee (Zürichsee) mündet.

Bau- und Energiekosten

Das Aktienkapital für den Bau und den Betrieb des Werks betrug 1921, anlässlich der Gründung der AG Kraftwerk Wägital (AKW), 40 Mio. Fr., die je zur Hälfte von der Stadt Zürich und den NOK eingebracht wurden. Gemäss der Abrechnung der Bauleitung per regulären Betriebsbeginn am 1. Oktober 1926 beliefen sich die totalen Baukosten auf rund 80 Mio. Fr.1 Grösster Einzelposten mit rund 16 Mio. Fr. war die Staumauer Schräh. Nach der Erneuerung der Konzession durch den Bezirk March im Mai 1962 wurden umfangreiche Umbauten und Sanierungsarbeiten ausgeführt, durch die sich der Anlagewert auf 140 Mio. Fr. erhöhte. Aus der Abrechnung und den Betriebskosten wurden 1930 für die verfügbaren 110 Mio. kWh Winterenergie Energiegestehungskosten von 6.82 Rp./kWh abgeleitet.[1] Heute rechnen die Betreiber in einem Jahr mit durchschnittlichen Niederschlägen für die auf Abruf zur Verfügung stehende, besonders wertvolle elektrische Energie – die Maschinengruppen können innerhalb etwa einer Minute vom Stillstand auf volle Leistung hochgefahren werden – mit Gestehungskosten von rund 12 Rp./kWh.

Die Kraftwerkbauten im Wägital sind eindrückliche Beispiele für den Pioniergeist und die Leistungsfähigkeit des Schweizer Ingenieurwesens in den 1920er-Jahren. Mit der Verwendung der Baustoffe Beton und Stahlbeton für Bauwerke dieser Grösse bzw. unter der Beanspruchung durch Druckwasser wurde damals teilweise Neuland betreten, was nur mithilfe neuartiger Konstruktions-, Berechnungs- und Baumethoden möglich war. Umso bemerkenswerter ist, dass ein Grossteil der Bauwerke und Einrichtungen heute weitgehend im Originalzustand weitergenutzt wird. Auch die hydraulische und elektromechanische Ausrüstung (Turbinen, Pumpen, Abschlussorgane, Generatoren und Pumpenmotoren) ist grösstenteils unverändert weiterhin in Betrieb. Ein Besuch im Wägital lohnt sich, denn das Kraftwerk Wägital ist zweifellos eines der konsistentesten und besterhaltenen Kraftwerkensembles aus der Zwischenkriegszeit. Auch heute beeindruckt die wuchtige Präsenz der Staumauer Schräh, die archaische Wirkung des Trepsenbach-Aquädukts oder die tempelartige Anlage des Wasserschlosses Rempen, die im Lauf der Jahre praktisch in die umgebende Voralpenlandschaft eingewachsen sind.

Aldo Rota, Prof. Dr. sc. techn., dipl. Werkstoffing. ETH/SIA

TEC21, Fr., 2010.09.10



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TEC21 2010|37 Kunstbauten im Wägital

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Presseschau 12

07. März 2014Aldo Rota
TEC21

Der gute Ton in St. Gallen

In der St. Galler Tonhalle verdarb die problematische Akustik bis 2009 manches Musikerlebnis. Seither verteilen Schalldiffraktoren an der Decke den Klangstrom und verschaffen allen im Saal ungetrübten Hörgenuss.

In der St. Galler Tonhalle verdarb die problematische Akustik bis 2009 manches Musikerlebnis. Seither verteilen Schalldiffraktoren an der Decke den Klangstrom und verschaffen allen im Saal ungetrübten Hörgenuss.

In der Blütezeit der St. Galler Stickereiindustrie um 1900 erstellte der Architekt Gottfried Julius Kunkler (1845–1923) im Auftrag eines privaten Trägervereins zwischen 1906 und 1909 die Tonhalle St. Gallen.Die Gebäudehülle im Stil eines französischen Gartenschlosses kaschiert eine damals hochmoderne Eisenbeton-Tragkonstruktion von Robert Maillart (1872–1940). Trotz einigen Anpassungen und Erweiterungen ist die Bausubstanz, insbesondere die Tragkonstruktion, bis heute unverändert erhalten geblieben. Ihr heutiges äusseres und inneres Erscheinungsbild erhielt die Tonhalle bei der umfassenden Restaurierung und Modernisierung von 1990–1993, als auch ein Glas-Stahl-Anbau für ein Restaurant dazukam.

Das Kreuz mit der Akustik

Klagen über die problematische Akustik zogen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte der Tonhalle St. Gallen, und alle bisherigen Umbauten hatten nichts daran geändert. Das Hauptproblem war, vereinfacht gesehen, dass die Kuppel über der Bühne den Schall des Orchesters sehr ungleichmässig reflektierte und verteilte; das konnte auch zu extremer Fokussierung des Schalls im Bühnenbereich führen, sodass selbst gesundheitliche Schäden für die Musiker nicht auszuschliessen waren – während gleichzeitig die Musik im Saal schlecht wahrnehmbar war.

Nach einigen Voruntersuchungen beschloss schliesslich das Hochbauamt der Stadt St. Gallen als Bauherr eine grundlegende akustische Sanierung der Tonhalle im Bühnenbereich und schrieb im April 2009 einen entsprechenden Studienauftrag auf Einladung aus. Die eingeladenen fünf Architekturbüros wurden verpflichtet, für ihre Arbeit bereits im Projektstadium namhafte Akustiker beizuziehen. Ein Schalldiffraktor als Lösung

Das Beurteilungsgremium empfahl einstimmig das Projekt des Planungsteams Bosshard Vaquer Architekten in Zusammenarbeit mit dem spanischen Akustiker Higini Arau zur Weiterbearbeitung und Ausführung. Viele Akustiker äusserten aber Zweifel an der Wirksamkeit des von Arau vorgeschlagenen Schalldiffraktors, sodass die Ausführung des Projekts fraglich schien.

Bisher war erst ein Schalldiffraktor nach Araus Vorstellungen realisiert worden: zwei Jahre zuvor in einem Probesaal des «Gran Teatre del Liceu» in Barcelona. Als Entscheidungshilfe reiste die Bauherrschaft nach Barcelona, um die Wirkung dieser Installation vor Ort zu begutachten. Mit dabei waren auch drei erfahrene Orchestermusiker mit ihren Instrumenten.

Diese Reise war der Wendepunkt im Projektablauf: Nur wenige Minuten brauchten die drei Musikprofis zu spielen, und es wurde klar, dass Araus Konzept die Lösung war. Der Vergleich mit einem identischen Saal ohne Diffraktor bestätigte diesen Befund: Der Saal mit dem Diffraktor erscheint akustisch doppelt so gross. Dieser in St. Gallen dann tatsächlich auch eintretende Effekt beruht auf der Verdoppelung der Nachhallzeit – auch das Volumen der Tonhalle schien nach dem Einbau des Diffraktors verdoppelt.

Vergoldete Platten gegen Schall

In der Folge entstand eine eindrückliche und doch luftig und filigran wirkende Konstruktion am gewölbten Himmel über der Bühne: eine schwebende, dezent strahlende goldene Wolke. Dabei wird die akustische und visuelle Wirkung mit einfachen Mitteln, ohne hochgezüchtete Hightechmaterialien erzielt: Als eigentliche Schalldiffraktoren fungieren 96 periodisch in einem orthogonalen Raster angeordnete, einzeln vertikal aufgehängte rechteckige Platten aus handelsüblichem Brettschichtholz. Ihre Funktion ist nicht die Dämpfung, sondern die Reflexion, Umlenkung und Verteilung des Schalls. Dass die Holzplatten rundum mit Blattgold beschichtet sind, hat ästhetische Gründe – die durchaus zu einem ansprechenden visuellen Raumeindruck geführt haben – und ist für die Akustik nicht relevant.

Die goldenen Holzplatten werden jeweils in Vierergruppen von einer Mobile-artigen, aufgehängten Tragkonstruktion aus Flachstählen mit drei Ebenen gehalten. An der unteren Ebene sind auf Höhe der Diffusorplatten auch die neuen Leuchten angebracht. Das gesamte «Mobile» ist, auch mithilfe einiger Gewichte auf den Trägern, sorgfältig austariert und stablilisert.

Die über zwei Tonnen wiegende Wolke ist mit drei Zugstäben an einem Fachwerkquerträger der ursprünglichen Dachkonstruktion aufgehängt. Einer der Fachwerkträger der Dachkonstruktion über der Bühne ist doppelt ausgeführt; im Zwischenraum dieses Doppelträgers wurde ursprünglich der schwere Vorhang aufgezogen. An diesem doppelten Träger ist der Diffraktor abgehängt. Die statische Überprüfung zeigte, dass seine Tragsicherheit dafür ausreicht.

Flankierende Massnahmen

Die allgemein geschätzte Verbesserung der Raumakustik ist aber nicht ausschliesslich dem Einbau des Diffraktors zuzuschreiben. Flankierende Massnahmen tragen einiges zum Gesamtresultat bei, darunter vor allem der Umbau der Bühne, die jetzt generell niedriger ist. Bei baulichen Massnahmen in diesem Bereich musste auch beachtet werden, dass die Bühne auf einem Stahlbeton-Kuppelgewölbe steht, das wie die übrigen Tragkonstruktionen von Robert Maillart entworfen wurde und nicht verändert werden durfte. Unter diesem Gewölbe ist nach wie vor ein stimmungsvoller kleiner Saal eingerichtet, der separat oder als Erweiterung des Hauptsaals genutzt werden kann.

Als weitere Massnahmen zur Optimierung der Konzertakustik sind die ursprünglich glatten Rück- und Seitenwände der Bühne mit Holzverkleidungen versehen worden, die dank ihrer unregelmässigen Geometrie als Diffusoren wirken und Flatterechos verhindern. Ebenfalls zum Zweck der Schallwellendiffusion erhielt die zuvor ungesicherte Empore hinter der Bühne eine massive, unregelmässig zusammengesetzte Holzbalustrade.

Der Diffraktor funktioniert wirklich

Der Aufwand für den Einbau des Diffraktors hat sich offenbar gelohnt: Endlich können die Musiker jetzt ungestört musizieren, hören, wie die anderen Orchestermitglieder spielen, und sie müssen ihr Gehör nicht mehr aufs Spiel setzen. Und für das Konzertpublikum im Saal klingt es einfach besser, an jedem Platz, bei jeder Musik. Oder, wie es Projektleiter Andreas Schneiter formuliert: «Eine Flöte beispielsweise klingt jetzt noch ‹flötiger›.»

TEC21, Fr., 2014.03.07



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TEC21 2014|10 Material und Akustik

«Der Alte Albulatunnel bleibt Teil des Systems»

Der rund sechs Kilometer lange Einspurtunnel zwischen Preda und Spinas auf der Albulalinie genügt den heutigen Anforderungen an Bahntechnik und Sicherheit nicht mehr. Ab 2014 soll ein neuer Albulatunnel gebaut, der bestehende ab 2021 als Sicherheitstunnel genutzt werden. Eine nachvollziehbare Entscheidung, die aber auch Wehmut auslöst. TEC21 hat sich mit Projektbeteiligten über Gestaltung, Erhalt und Neubau der Anlage unterhalten.

Der rund sechs Kilometer lange Einspurtunnel zwischen Preda und Spinas auf der Albulalinie genügt den heutigen Anforderungen an Bahntechnik und Sicherheit nicht mehr. Ab 2014 soll ein neuer Albulatunnel gebaut, der bestehende ab 2021 als Sicherheitstunnel genutzt werden. Eine nachvollziehbare Entscheidung, die aber auch Wehmut auslöst. TEC21 hat sich mit Projektbeteiligten über Gestaltung, Erhalt und Neubau der Anlage unterhalten.

TEC21: Der Bau eines neuen Albulatunnels ist beschlossen, das Genehmigungsverfahren läuft, der Baubeginn ist für 2014 geplant. Ist noch mit relevanten Einsprachen zu rechen?
Christian Florin (C. F.): Wir haben früh den Dialog mit Vertretern der Denkmalpflege, der Raumplanung und verschiedener Umweltverbände gesucht, um Überraschungen während des Verfahrens zu vermeiden. Wir rechnen zwar mit Auflagen, aber nicht mit einem No-Go. Nach intensiven Diskussionen unterstützt nun auch das Bundesamt für Kultur (BAK) den Neubau. In einem Gutachten der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) vom Dezember 2010 im Auftrag des BAK bevorzugten die Autoren die Instandsetzung des bestehenden Albulatunnels. Wir haben diese Variante geprüft, uns dann aber mit Zustimmung der Denkmalpflege für den Neubau entschieden.

TEC21: Was passiert mit dem alten Tunnel?
Werner Kradolfer (W. K.): Der alte Tunnel ist als Sicherheitstunnel Bestandteil des Systems. Er wird nicht zu einem Denkmal ohne Nutzen.
Paul Loser (P. L.): Auch Unterhaltsarbeiten lassen sich so besser planen und leichter erledigen.
Jürg Conzett (J. C.): Das Positive am Entscheid, einen neuen Tunnel zu bauen, ist, dass der alte als Ganzes erhalten bleibt. Nun muss man sorgfältig mit ihm umgehen. Es leuchtet ein, dass ein Neubau der Instandsetzung unter Betrieb vorgezogen wird. Zu wissen, dass es hier einen Tunnel gibt, der die Bautechnik um 1900 dokumentiert, das ist doch etwas Wertvolles. Wichtig sind die Fragen: Wie erhält man den alten Tunnel? Was passiert nachher dort drin? Wie werden die Portalbereiche gestaltet?

TEC21: Was sagt die Bündner Denkmalpflege dazu?
Johannes Florin (J. F.): Der Albulatunnel ist ein wesentlicher Teil des Unesco-Welterbes. Die Welterbekandidatur lief 2008 parallel zu den Anfängen der Projektierung. Schon damals stand fest, dass der Tunnel an die heutigen Anforderungen angepasst werden muss. Die Befürchtung, ihn nicht anrühren zu dürfen, lag in der Luft. Deshalb gab es von Anfang an eine intensive Zusammenarbeit mit der EKD. Was bedeutet eine Baumassnahme für die Kandidatur? Geht es um die Bausubstanz? Muss der Tunnel seine Funktion behalten? Die EKD schlug eine Variante vor, bei der der alte Tunnel die Funktion behält und ein neuer Fluchtstollen gebaut wird, also die alte Linie mit neuer Bahntechnik weiter besteht.

TEC21: Das heisst, die Rhätische Bahn (RhB) gewichtete andere Argumente höher als den Betriebserhalt des bestehenden Tunnels?
P. L.: Die bautechnische Beurteilung inklusive Kosten, die Sicherheit und die Nachhaltigkeit des Bauvorhabens wurden mit unabhängigen Sachverständigen diskutiert. Bei der Sicherheit haben wir schnell gesehen, dass ein Neubau in Kombination mit dem bestehenden Tunnel einen Sicherheitsstandard bietet, der die Anforderungen heute und künftig erfüllt und mit dem die Fahrgäste im Ereignisfall durch den zusätzlichen Fluchttunnel eine faire Überlebenschance haben. Demgegenüber wurde das Sicherheitsniveau der Variante «Instandsetzung» als sehr schlecht beurteilt. Hinsichtlich der Rettung von Passagieren aus dem Tunnel bei Brand würde das Sicherheitsniveau dem vor 110 Jahren entsprechen. Der Neubau hat dagegen ein hohes Sicherheitsniveau. Brandszenarien bei Zügen beziehungsweise Lokomotiven kommen zwar selten vor, aber heute werden alle modernen Bahnsysteme auf diese Szenarien ausgerichtet. Aufgrund des höheren Sicherheitsniveaus und trotz der höheren Kosten hat sich die RhB für für die Variante «Instandsetzung» entschieden.

TEC21: Wie stark unterscheiden sich die Kosten für die Instandsetzung und den Neubau?
P. L.: Wir haben einen Preisunterschied von 10 bis 15 % ermittelt. Für das vorliegende Neubauprojekt inklusive Umbauten an den Bahnhöfen Preda und Spinas rechnen wir mit rund 345 Millionen Franken.

TEC21: Diese Differenz ist erstaunlich klein. Heisst das, der Neubau fällt günstig aus?
P. L.: Nein, eine Instandsetzung unter Betrieb ist sehr aufwendig und teuer. Wir hätten neue elektro- und bahntechnische Anlagen einbauen, die Sohle absenken und instand setzen, einzelne Gewölbeabschnitte ersetzen und die Gleise neu verlegen müssen.
C. F.: Die Lebenszykluskosten zeigen vor allem, dass sich der Neubau langfristig auszahlt. Bei den Sicherheitsüberlegungen spielt auch die Sicherheit während des Baus eine entscheidende Rolle. Ausserdem bedeutet Bauen unter Betrieb in einem Einspurtunnel nur rund fünf Stunden produktive Arbeit pro Nacht – das bedeutet fast zehn Jahre Bauzeit.
P. L.: Wir haben bei Instandsetzungen unter Betrieb auch schon schlechte Erfahrungen gemacht. Beim Tasnatunnel im Unterengadin kam es zu einem Tagbruch. Die Linie musste neun Monate stillgelegt werden. Das Risiko, für sieben bis acht Jahre am Albulatunnel keinen sicheren Betrieb zu haben, floss in die Güterabwägung ein.

TEC21: Oft ist die Vorgeschichte interessant. Gab es weitere Projektideen?
C. F.: Eine Idee war, einen neuen Fluchttunnel zu bauen und den alten Bahntunnel instand zu setzen. Aber der wäre danach nicht mehr der alte, denn das heutige Lichtraumprofil reicht nicht aus. Gewisse Güterzüge könnten die Strecke nicht mehr befahren. Auf diese Wertschöpfung sind wir aber angewiesen.
P. L.: Wir haben diskutiert, ob der neue Tunnel rechts oder links vom heutigen Tunnel liegen soll und wie die Einführung in den Berg aussehen könnte. Die aktuelle Lösung ist technisch ausgereift und überzeugt gestalterisch auch aus Sicht der Denkmalpflege.
J. F.: Abschliessend muss die Unesco-Kommission in Paris beurteilen, ob dieser Eingriff in das Streckendenkmal den Welterbestatus in Frage stellt. Die Gefahr gilt aber als gering. Die Diskussion zeigte vor allem, dass sich die denkmalpflegerischen Aspekte nicht nur auf den Tunnel beziehen, sondern auf die gesamte Strecke.
P. L.: Eine Eisenbahn muss sich verändern und weiterentwickeln können, das ist ein Wert einer kulturellen Anlage. Bei der Eingabe des Unesco-Dossiers hat die RhB darauf hingewiesen, dass ein Neubau im Rahmen des Weltkulturerbes möglich sein müsse.

TEC21: Wie sieht der Innenausbau des Sicherheitsstollens aus?
W. K.: Die Gleise werden entfernt und durch eine befahrbare Piste ersetzt. Seitlich bleibt ein Schotterstreifen für die Entwässerung erhalten. Das gemauerte Gewölbe bleibt so weit wie möglich unangetastet. Wo es nötig ist, werden wir es ersetzen, sodass der Tunnel während der kommenden 50 Jahre benutzt werden kann. Problematisch ist nicht das vorhandene Mauerwerk, sondern die Sanierungsmassnahmen der letzten 40 bis 50 Jahre.
P. L.: Damit der Fluchtweg im Ereignisfall unter Überdruck gesetzt werden kann, werden im Abstand von 200 m vom Portal auf der Seite Preda und 400 m ab Portal auf der Seite Spinas zwei Lüftungszentralen mit je einem Ventilator und einer Durchgangsschleuse angeordnet. Wir haben viele Schäden an unseren Bauten durch eindringendes Wasser oder Frost, durch die Schleusen verbessern sich die klimatischen Verhältnisse im Tunnel. Heute friert er von beiden Seiten rund zwei Kilometer ein. Das zehrt an der Substanz.
W. K.: Zwei Kavernen und zwölf Querverbindungen im Abstand von 425 m, 435 m bzw. 460 m werden an geologisch günstigen Stellen gebaut. Der Bau der Kavernen bedingt Eingriffe in die bestehende Bausubstanz auf 20 bis 25 m. Der grosse Teil des Albulatunnels bleibt aber erhalten – unverkleidet bleibt der nackte Fels weiterhin sichtbar. Als Bahntunnel hätte der bestehende Tunnel vollständig neu ausgekleidet werden müssen. Als Sicherheitstunnel sind die Anforderungen nicht mehr ganz so hoch. Durch seine Funktion wird er weiterhin unterhalten, ohne eine Funktion würde er mit der Zeit Schaden nehmen.

TEC21: Herr Conzett, Sie haben die Vorstudie für die Gestaltung der Portalbereiche erarbeitet, die dem Wettbewerb als eine Art Testplanung diente. Was war das Ergebnis?
J. C.: Das Ziel war, die Gleisgeometrie der Röhren so zu legen, dass man keine Sachzwänge produziert, die man später bereut. Wichtig war die Anordnung der neuen Portale. Rückblickend hätten wir mehr diskutieren können. Ich habe bei einigen Punkten nur angemerkt, dass wir darüber reden sollten – zum Beispiel, dass die eine Röhre ein Gleis hat und die andere nicht. Wie wirkt ein Tunnelloch ohne ein Gleis? Wie geht man mit diesem schwarzen Loch um? Heute bedauere ich, dass wir das nicht detaillierter betrachtet haben.
C. F.: Viele Abhängigkeiten sehen wir erst heute. Jürg Conzett hatte einen klaren Auftrag, und wir mussten mit einem Modell oder einer Visualisierung zeigen, was die Doppelportale bedeuten. Heute schauen wir es mit einer gewissen Distanz an.
P. L.: Distanz ist ein gutes Stichwort. Es dauert noch, bis die Arbeiten 2021 am Sicherheitstunnel beginnen, und wir haben ausreichend Zeit, die Gestaltungsplanung zu reflektieren.
C. F.: Ideen für eine Nutzung werden viele an uns herangetragen, ob als wintersichere Autoverbindung oder als Schleichweg, z. B. für Jäger. Als Sicherheitstunnel kann er nicht für jedermann offen sein, denn durch die Querschläge gelangt man direkt auf das Streckengleis.
J. C.: Öffentliche Führungen durch den Tunnel bei besonderen Anlässen, im Zusammenhang mit Aktivitäten des Bahnmuseums Bergün, erscheinen mir im Interesse einer Vermittlung sonst unzugänglicher Ingenieurleistungen sinnvoll.
W. K.: Man darf die Attraktivität aber auch nicht überschätzen. Wer nicht bautechnisch versiert ist und interpretieren kann, was warum und wie gebaut wurde, schaut auf ein Loch, das über den Grossteil der Strecke gleich aussieht. Ausserdem existieren solche schwarzen Löcher auch anderswo und stören dort nicht. Beim Simplon- oder Gotthardtunnel zum Beispiel sind die früheren Eingänge der Richtstollen noch als schwarze Löcher zu sehen. Sie haben heute auch eine andere Funktion. Unbefriedigend an der Situation am Albula ist, dass die neue Nutzung des alten Tunnels künftig nicht ersichtlich ist. Das ist eine herausfordernde Aufgabe für die Arbeitsgruppe Gestaltung.

TEC21: Die zwei Tunnelportale sind technisch eine Symbiose und gestalterisch ein Zwilling. Ist das ein konzeptionelles Problem?
J. F.: Ja, in Preda beispielsweise führen die Gleise direkt auf das alte Portal zu, biegen dann leicht links in den nach hinten versetzten neuen Tunnel ab, das vordere Portal ist leer. Eine Lösung könnte sein, dieses mit zwei Holztoren analog der heutigen Schneetore zu schliessen. Zwar wäre dies gestalterisch umsetzbar, doch bisher funktioniert das mit der Lüftung nicht. Die Überlegungen, wie wir mit der Symbolik umgehen, müssen noch reifen.
J. C.: Mich fasziniert der Zusammenhang Station, Tunnel, Berg. Wenn man von Preda zum Tunnel schaut, sieht man dahinter in einer Linie den Berg, auf dem seinerzeit das Vermessungssignal stand. Das zeigt, wie die Menschen im 19. Jahrhundert gebaut haben: Sie mussten gerade durch den Berg. Erstens, weil so vermessen wurde, und zweitens, weil man die Geologie nicht differenziert genug kannte. Das ist etwas, was jeder begreift. Eine klare Aufgabe, die im Einzelnen unendlich schwierig war. Diese Bauten hatten und haben eine überwältigende Einfachheit und Grösse. Diese Einfachheit kann nicht erhalten bleiben. Das ist ein Verlust. Chancen sind aber vorhanden und müssen berücksichtigt werden, wie bei den Mauerwerksviadukten auf der Albulastrecke, die sehr wohl instand gesetzt werden können. Dort haben wir das Glück, dass die Bausubstanz, die man auch aus kulturellen Gründen erhalten möchte, genügend Möglichkeiten bietet. Beim Tunnel ist die Problematik allerdings eine andere und vergleichbar mit dem Farbtobelviadukt in Peist, der die gestellten Anforderungen nicht mehr erfüllen konnte. Dort entschied sich die RhB, eine neue Brücke neben der alten zu bauen. Die historische Natursteinbrücke bleibt als Denkmal erhalten.

TEC21: Hat man sich Gedanken gemacht, das historische Ensemble zu umfahren, um seine Substanz zu konservieren?
C. F.: Ich wehre mich dagegen, eine Museumsbahn zu werden. Das bestehende Ensemble soll genutzt und unterhalten und damit erhalten bleiben. Mit der gewählten Lösung können wir die Gebäude am besten nutzen. Teilweise werden sie verschoben und nach Bauende wieder zurückgeschoben oder anders positioniert.
P. L.: Das Bauprojekt geht von Einfahrweiche bis Einfahrweiche. Die Bahnhöfe Preda und Spinas sind Teil des Projekts und Gesamtbilds. Es gibt einen Masterplan zum Umgang mit dem bauhistorischen Inventar. Inventarisiert sind die Gebäude der Gründerzeit und beim Bahnbau hinterlassene Spuren im Gelände. Die prägenden Aufnahmegebäude können am heutigen Standort belassen werden, andere Objekte werden an einem neuen Standort ins Gesamtbild eingefügt. Von weniger prägenden Strukturen wird man sich aufgrund der Bautätigkeit trennen müssen.
J. F.: Das ist das Spezielle am Albula: In den Vorbereichen in Spinas und Preda sieht man links und rechts der Gleise noch die Baustelleninstallation und die Gebäude von 1903. Sogar die Fundamente einiger Holzbaracken, die Trasseen der Materialbahnen und die Vermessungsinstallationen sind noch erkennbar. Dieses Umfeld zu verlassen wäre ein Verlust. Und es wäre ein Verlust, dies mit einer Neubauinstallation zu zerstören. Erstaunlich ist, dass selbst die geplante neue Baustelleninstallation ähnlich aussieht wie vor hundert Jahren und nicht mehr Platz beanspruchen wird als dazumal. Die Gebäude in den Vorbereichen können deshalb weitgehend erhalten werden. Wir haben die Chance, etwas zu verbessern und für heute ungenutzte Gebäude eine Lösung zu finden, sie erlebbar zu machen und wieder besser einzubinden.
C. F.: Man muss tatsächlich auch das Positive sehen: Wir können zum Beispiel den Schneefang über dem alten Portal bei Preda abhängen und ihm damit seinen ursprünglichen Charakter zurückzugeben.

TEC21: Der Albulatunnel ist der längste auf der Strecke, aber nicht der einzige. Und bestimmt auch nicht der einzige, der instand gesetzt werden muss. Ist die Entscheidung, die für den Albulatunnel gefällt wurde, beispielhaft für die anderen Tunnel auf der Linie?
P. L.: Die RhB arbeitet zurzeit an einer Normalbauweise, um alle Tunnel nach einem Standard instand setzen zu können. Aus Sicherheits- und Bahntechnikgründen müssen die Lichtraumprofile vergrössert werden, das heisst bestehendes Mauerwerk abgebrochen und erweitert werden. Aber in den Portalbereichen zeigt sich die Situation immer wieder anders.
J. C.: Ein Beispiel ist der Argenteritunnel bei St. Moritz. Er schliesst direkt an eine Brücke an, die Tunnelsohle kann nicht weiter abgesenkt werden, da sonst die Höhenkoten von Tunnelsohle und Brückenfahrbahn nicht mehr übereinstimmen. Ausserdem sind die Portale ein Merkmal einer Bahnlinie, und wir möchten die Proportionen erhalten. Deshalb wird in einem solchen Fall das Portal proportional vergrössert und wieder aufgemauert.
J. F.: Der damalige Baumeister hatte sein Material für die ganze Strecke aus einem einzigen Steinbruch und mauerte alle Portale wie die übrigen Kunstbauten in der gleichen Art auf. Bei dieser schönen Materialeinheit auf der ganzen Albulalinie und dem Aufwand, den wir bei den Instandsetzungsarbeiten der Brücken betreiben, dürfen wir nicht beliebig gegen den Kanon der Strecke verstossen: Deren Material ist der Stein. Die Diskussionen in der Jury haben uns immer wieder an diesen Punkt zurückgeführt.
C. F.: Die Diskussion betrifft nicht nur den Albulatunnel. Der Handlungsbedarf bei den Kunstbauten auf der gesamten Linie ist gross. Wir haben eine Pionierleistung geerbt. 100 Jahre lang haben wir davon profitiert. Jetzt suchen wir Methoden zur Instandsetzung, die den Spagat zwischen Sicherheit, Baudenkmal, Wirtschaftlichkeit und betrieblichen Möglichkeiten schaffen.

TEC21, Fr., 2013.04.26



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TEC21 2013|18 Albulatunnel

09. November 2012Aldo Rota
TEC21

Moderatoren im Netz

In den Glarner und Walliser Alpen entstehen zurzeit die zwei grössten Pumpspeicherwerke des Landes. Mit Maschinenleistungen in der Dimension eines Kernkraftwerks...

In den Glarner und Walliser Alpen entstehen zurzeit die zwei grössten Pumpspeicherwerke des Landes. Mit Maschinenleistungen in der Dimension eines Kernkraftwerks...

In den Glarner und Walliser Alpen entstehen zurzeit die zwei grössten Pumpspeicherwerke des Landes. Mit Maschinenleistungen in der Dimension eines Kernkraftwerks werden sie eine zentrale Rolle in der ­zukünftigen Energieversorgung spielen – entsprechend gross sind die ­Erwartungen, das Medieninteresse und teilweise auch die Skepsis.

Das Prinzip der Pumpspeicherung ist seit Beginn der Energieproduktion aus Wasserkraft vor über einem Jahrhundert bekannt. In grossem Massstab ist es in der Schweiz bisher aber nur selten angewendet worden. Das Schwergewicht lag traditionell auf der Jahresspeicherung in grossen Stauseen. Erst in den letzten Jahren hat der europäische Strommarkt durch den rasch wachsenden Anteil der erneuerbaren Energien die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Pumpspeicherung auch für Schweizer Stromproduzenten interessant wurde. Ein unschätzbarer Vorteil sind dabei die zahlreichen vorhandenen Kraftwerksanlagen, von denen sich viele – wie in den hier vorgestellten Beispielen – für den Ausbau zu Pumpspeicherwerken eignen. Weitere auf bestehenden Kraftwerken aufbauende Projekte für Pumpspeicherwerke sind baureif oder in einem fortgeschrittenen Planungsstadium. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob das Angebot an erneuerbaren Energien das prognostizierte Wachstum erreicht und damit ein Bedarf für weitere Pumpspeicherwerke besteht.

Trotz ihrer Grösse werden die Pumpspeicherwerke im Endeffekt keine zusätzliche Energie erzeugen – im Gegenteil, die Umschichtung des Speichermediums Wasser ist mit Energieverlusten von rund 25 % verbunden. Allerdings können Pumpspeicherwerke Energie, die zur falschen Zeit oder in zu grosser Menge anfällt, speichern und bedarfsgerecht zum richtigen Zeitpunkt ins Netz einspeisen. Die Primärenergie, die ansonsten verschwendet würde, wird dadurch veredelt – das kann den Aufwand für die Speicherung aus ökologischer und auch aus ökonomischer Sicht rechtfertigen. Insbesondere bei Photovoltaik und Windenergie ist das von zentraler Bedeutung, da bei diesen Energieformen die Produktionszyklen wenig mit den Verbrauchszyklen übereinstimmen.

Die partiellen Stromausfälle der letzten Jahre haben gezeigt, dass das europäische Verbundnetz störungsanfällig ist und dass sich Störungen über grosse Distanzen fortpflanzen und auswirken können. Auch ohne eigentlichen Stromausfall können geringfügige Abweichungen von Spannung und Frequenz von der Norm Schäden und Produktionsausfälle zur Folge haben. Diese Problematik wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, denn einerseits nimmt der Anteil empfindlicher elektronischer Verbraucher im Netz laufend zu, ­andererseits werden die in grosser Zahl zugeschalteten, meist dezentral organisierten Produzenten aus erneuerbaren Quellen, insbesondere Photovoltaik und Windenergie, wegen ­ihrer unregelmässigen Zyklen das Netz zunehmend destabilisieren. Um das Netz in Zukunft stabil zu halten, sind jedoch grosse Produktions-, aber auch Verbrauchskapazitäten erforderlich, die jederzeit und schnell verfügbar und kurzfristig auch umkehrbar sind. Beim aktuellen Stand der Technik können nur Pumpspeicherwerke diese Aufgaben im grossen Massstab erfüllen.

Es geht bei den heutigen Pumpspeicherwerken neben den «klassischen» Funktionen der ­Erzeugung elektrischer Energie einerseits und der Speicherung überschüssiger Energie ­anderseits auch um Regulierung und Stabilisierung. Und die sind im heutigen Netzverbund gefragt; die sogenannte Regelleistung, von der die Verbraucher im besten Fall gar nichts merken, wird an den Energiebörsen gehandelt und teilweise besser honoriert als die eigentliche Konsumenergieproduktion. Auch dieser Aspekt ist bei Gesamtbetrachtung des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit von Pumpspeicherwerken zu berücksichtigen.

TEC21, Fr., 2012.11.09



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01. Juni 2012Aldo Rota
TEC21

Der Weg zur Jungfraubahn

In diesem Jahr feiert die Schweizer Tourismusindustrie das 100-jährige Bestehen der Jungfraubahn. Die Idee dazu entstand im 19. Jahrhundert, als der Bau von Bergbahnen in der Schweiz eine Blütezeit erlebte und ehrgeizige Projekte die Spitzen der Alpen anvisierten. Meist blieb es jedoch beim Projekt. Der pragmatische Ansatz von Adolf Guyer-Zeller, der auf dem Joch und nicht auf dem Gipfel endete, konnte aber bis 1912 realisiert werden.

In diesem Jahr feiert die Schweizer Tourismusindustrie das 100-jährige Bestehen der Jungfraubahn. Die Idee dazu entstand im 19. Jahrhundert, als der Bau von Bergbahnen in der Schweiz eine Blütezeit erlebte und ehrgeizige Projekte die Spitzen der Alpen anvisierten. Meist blieb es jedoch beim Projekt. Der pragmatische Ansatz von Adolf Guyer-Zeller, der auf dem Joch und nicht auf dem Gipfel endete, konnte aber bis 1912 realisiert werden.

Schon 1859 hatte der mit Bundesrat Jakob Stämpfli befreundete Verkehrspolitiker Friedrich Seiler in Interlaken (1808–1883), Hotelier, erfinderischer Industrieller und Nationalrat, eine von Lauterbrunnen ausgehende pneumatische Jungfraubahn projektiert. Er propagierte die in England zur Anwendung gelangten pneumatischen Eisenbahnen[1] für Alpentunnel mit starken Steigungen. Seiler erkannte frühzeitig die grossen Möglichkeiten der Nutzung der Wasserkraft. Dabei dachte er allerdings noch nicht an die Gewinnung von elektrischer Energie, sondern an die motorische Erzeugung von Druckluft.

Drahtseilbahnen als Vorläufer

Dreissig Jahre später wurden in der Öffentlichkeit drei Jungfraubahnprojekte heftig diskutiert. Als Erstes war im Oktober 1889 jenes von Maurice Koechlin eingereicht worden. Dieser Ingenieur war von 1879 bis 1940 im Büro Eiffel in Paris tätig und gilt heute als Konstrukteur des Eiffelturms. Koechlin plante eine 4.2km lange Fortsetzung der im Juli 1890 eröffneten meterspurigen Linie Interlaken–Lauterbrunnen und wollte die Spitze der Jungfrau aus dem hinteren Lauterbrunnental mit einer in fünf Sektionen gestaffelten, durch Wassergewicht betriebenen Drahtseilbahn oder mit einer durch mehrere Tunnel und Galerien führenden 5.5km langen elektrischen Zahnradbahn erreichen. Der Gipfel wäre von einem Felsenhotel und einem kleinen meteorologischen und astronomischen Observatorium gekrönt worden. Was der Eiffelturm für Paris geworden, das sollte die Jungfraubahn für das Berner Oberland werden. Das ebenfalls im Oktober 1889 vorgelegte Jungfraubahnprojekt des Aargauers Alexander Trautweiler, Sektionsingenieur der Brünigbahn in Luzern, sah mit Ausgangspunkt Stegmatten, 3km hinter Lauterbrunnen, vier insgesamt 6.5km lange Tunnelsektionen mit einer maximalen Steigung (1. Sektion) von 98 % vor. Die mit doppelten Lamellen-Zahnstangen als Bremse versehene Drahtseilbahn hätte die Besucher im Berginneren via Stellifluh–Schwarzmönch– Silberhorn in zwei Stunden zur 30 m unter dem Gipfel gelegenen Endstation und zum Kulmhotel Jungfrau transportiert. Die Motoren der Seiltrommeln sollten durch Druckluft angetrieben werden, die in der Talsohle mit Wasserkraft erzeugt und mittels einer im Tunnel verlaufenden Rohrleitung den einzelnen Antriebsstationen zugeführt worden wäre.

Ein Exot: Das pneumatische System Locher

Parallel zu den vergeblichen Bemühungen, die Projekte Koechlin und Trautweiler zu kombinieren, erschien im Mai 1890 als drittes Projekt für eine Jungfraubahn jenes des bedeutenden Zürcher Ingenieurs Eduard Locher, des Erbauers der Pilatusbahn (1885–1889). Bald darauf erklärte sich Koechlin mit Locher solidarisch und übernahm dessen Bahnsystem für sein Projekt. In einer Broschüre gab Locher eine kurze Beschreibung seines an Seilers Idee einer pneumatischen Jungfraubahn erinnernden «neuen patentierten Bahnsystems». Dieses ging von der Erkenntnis aus, dass «Dampflokomotivbetrieb wie am Rigi und Pilatus in langen Tunneln des Rauchs und des Geräuschs wegen von vorneherein ausgeschlossen» sei. Obwohl in der Schweiz schon einige Jahre zuvor eine Versuchsanlage für eine elektrisch betriebene Zahnradbahn erstellt worden war,[2] zog Locher erstaunlicherweise für die Jungfraubahn die Möglichkeit der elektrischen Traktion überhaupt nicht in Betracht.

Seine Bahn sollte aus einem zweiröhrigen Tunnel mit kreisförmigen Querschnitten von 3 m Durchmesser bestehen, der von der Talsohle hinter Lauterbrunnen direkt auf den Gipfel der Jungfrau geführt hätte (Abb. 4). In jeder Röhre war ein zylindrischer, mit 50 Sitzplätzen ausgestatteter Wagen von ca. 20 m Länge mit Eingängen an den Stirnseiten vorgesehen. Die acht Räder waren nicht unter dem Wagen, sondern je zu viert an den Stirnseiten angeordnet. Jede Tunnelröhre sollte mit drei Laufschienen, zwei unten und eine im Scheitel, ausgerüstet sein. Der Wagen wirkte, ähnlich wie bei einer Rohrpostanlage, als Kolben, der durch Druckluft aufwärts bewegt werden sollte.

Für die Erzeugung des Luftdrucks waren pro Röhre zwei in Serie geschaltete Zentrifugalventilatoren mit 6.5 m Durchmesser und einer Drehzahl von 310U/min vorgesehen, die eine Antriebsleistung von 2400PS erforderten. Da der Wagen auch ohne Gegendruck an jeder Stelle der Bahn sicher gebremst und festgehalten werden musste, kommt in der Projektbeschreibung der Regulierung des Luftdrucks und den auf die Schienen wirkenden Bremseinrichtungen besondere Bedeutung zu. Ohne die meterspurige Adhäsionsstrecke Lauterbrunnen–Stegmatten oder Stechelberg wäre die Tunnelbahn ca. 6km lang geworden, und die Fahrzeit hätte bei einer mittleren Geschwindigkeit von 7 m/s (ca. 25km/h) rund 15 Minuten betragen, sodass die Fahrt von Interlaken auf die Jungfrau etwa eine Stunde erfordert hätte.[3]

Vier damals führende Schweizer Maschinenbauunternehmen (Escher Wyss & Cie., SLM [Schweizer Lokomotiv- und Maschinenfabrik], MFO [Maschinenfabrik Oerlikon] und Gebrüder Sulzer) zögerten nicht, Machbarkeit und Zweckmässigkeit dieses auf dem europäischen Kontinent technisch isoliert dastehenden Systems und des ganzen Projekts zu bestätigen. Wie seinerzeit Seiler, wurde offenbar auch Locher von den 1865 in London und 1872 in New York nach dem gleichen Prinzip erbauten Untergrundbahnen inspiriert. Am 4. April 1891 erteilte das Eidgenössische Eisenbahndepartement Maurice Koechlin, dessen Gesuch am 15. Oktober 1889 eingereicht worden war, die Konzession für den Betrieb einer Eisenbahn auf die Jungfrau mit dem Bahnsystem von Eduard Locher. Auf das einige Tage später, vom 22. Oktober 1889, datierte Konzessionsgesuch von Alexander Trautweiler wurde nicht mehr eingetreten.

Ein realisierbares Projekt zeichnet sich ab

Offenbar gelang es Koechlin und Locher in der Folge nicht, die vorgeschriebenen Unterlagen fristgerecht einzureichen, sodass die Konzession für ihre Druckluftbahn 1893 hinfällig wurde. Die Nachfolge trat der Zürcher Grossindustrielle und Verkehrspolitiker Adolf Guyer-Zeller (1839–1899) an, der sich am 20. Dezember 1893 zuhanden einer zu bildenden Aktiengesellschaft um die Konzession «für den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von der Kleinen Scheidegg über Eiger und Mönch auf den Gipfel der Jungfrau» bewarb.

Neu an diesem Projekt war, dass die im Juni 1893 erfolgte Eröffnung der Wengernalpbahn seinen Ausgangspunkt bildete und im Wesentlichen dessen Linienführung bestimmte. Aber ohne Guyer-Zellers Idee, die der Legende nach auf einer Bergtour im Berner Oberland entstand und den Entschluss zur Realisierung des Plans auslöste (Abb. 1 und 2), wäre es wohl beim Projekt geblieben. In seinem Konzessionsgesuch konnte Guyer-Zeller überzeugend darlegen, dass die Konkurrenzprojekte nicht realisierbar waren. In der durch Bundesbeschluss vom 21. Dezember 1894 erteilten Konzession verpflichtete er sich freiwillig zu einem einmaligen Beitrag von 100000Fr. und zu einem weiteren jährlichen Beitrag von 6000Fr. für die Anlage eines ständigen meteorologischen und anderweitigen «tellurisch-physikalischen Zwecken» dienenden Observatoriums auf Mönch oder Jungfrau.

Guyer-Zellers Jungfraubahn war von Anfang an als elektrisch betriebene Zahnradbahn projektiert. Für die letzte Strecke vom Endpunkt der Zahnradbahn bis auf den Gipfel der Jungfrau hatte er an einen ca. 100 m hohen Aufzug gedacht (Abb. 5). Für Strecken, die höher als die in ca. 3200mü.M. vorgesehene Station Eiger zu liegen kämen, wollte der Bundesrat die Genehmigung aber erst erteilen, wenn Bau und Betrieb nachweislich keine besonderen Gefahren für Leben und Gesundheit der Menschen nach sich ziehen. Zu diesem Zweck wurden 1894 diverse Gutachten, unter anderen von Ballonpionier Eduard Spelterini, erstellt.

Ein Ingenieurtraum wird realisiert

Am 27. Juli 1896 wurden die Arbeiten an der Teilstrecke Kleine Scheidegg–Eigergletscher in Angriff genommen. Die Betriebseröffnung fand am 20. September 1898 in Anwesenheit des Initianten, ein halbes Jahr vor seinem Tod, statt. Erst nach insgesamt 16 Jahren Bauzeit (Abb. 7 und 8), nach Überwindung naturbedingter, technischer und finanzieller Schwierigkeiten konnte am 16. August 1912 die letzte Teilstrecke Eismeer–Jungfraujoch dem Verkehr übergeben und damit auf 3454mü.M. die höchstgelegene Eisenbahnstation Europas und die höchstgelegene Zahnradbahnstation der Erde eröffnet werden. Die meterspurige Bahn ist mit der hier erstmals angewendeten Keilkopfzahnstange System Strub ausgerüstet (Abb. 9). Die 9.3km lange Jungfraubahn überwindet damit, bei einer Maximalsteigung von 250, einen Höhenunterschied von 1393 m; die Strecke zwischen der Station Eigergletscher (2320 m) und der Endstation Jungfraujoch verläuft in einem 7.1km langen Tunnel, der durch die Felsenfenster der Haltestellen Eigerwand (2864 m) und Eismeer (3158 m) grossartige Ausblicke gewährt. Als Betriebsenergie diente ursprünglich Drehstrom mit einer Frequenz von 40Hz und einer Spannung von 650V.[4] Die in den ersten Jahren verwendeten zweiachsigen Lokomotiven (Abb. 6) waren talseitig mit einem langen Personenwagen zusammengebaut, der nur am anderen Ende über Laufräder verfügte (Rowanzug).

Eine Bahn für Freizeit und Forschung

Mit der Vollendung der Strecke Eismeer–Jungfraujoch, die beträchtliche, alle Berechnungen übersteigende Mittel erfordert hatte, fand der Bau der Jungfraubahn sein Ende. Die Baukosten wurden auf ca. 15 Mio.Fr. beziffert, rund das Doppelte der von Guyer-Zeller ursprünglich veranschlagten Mittel. Abgesehen von den finanziellen und technischen Schwierigkeiten, mit denen bei einer Fortführung der Bahn zu rechnen gewesen wäre, erwies sich das Jungfraujoch mit seinen Ausblicken nach Nord und Süd und seinen alpinistischen und skisportlichen Möglichkeiten als touristische Attraktion und als gegebener Endpunkt der Bahn, auf dessen Ausgestaltung in der Folge grosse Anstrengungen verwendet wurden. Dank der Jungfraubahn sind die seit 1931 bestehende, für die Erforschung der kosmischen Strahlung wichtige internationale Hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch und das seit 1937 auf 3573mü.M. errichtete Meteorologische Observatorium Jungfraujoch-Sphinx (1950 für astronomische Beobachtungen ausgebaut) ganzjährig zugänglich (vgl. S. 13).


[Der vorliegende historische Rückblick ist eine gekürzte und bearbeitete Fassung des von Roland Zehnder verfassten Kapitels «Zur Geschichte der Schweizerischen Bergbahnen. Die beiden höchstgelegenen Zahnradbahnen» aus: Ein Jahrhundert Schweizer Bahnen, Band V, Erster Teil: Die Bergbahnen, Verlag Huber&Co. Aktiengesellschaft, Frauenfeld, 1964, S. 22 ff. Mit freundlicher Genehmigung von Orell Füssli Verlag AG, Zürich.]


Anmerkungen:
[01] Pneumatisch betriebene, sog. Atmosphärische Eisenbahnen um 1900 sind u.a. beschrieben in: www.bahnportal.at/html/96357408.htm oder www.mybrunel.co.uk/railways/atmospheric/
[02] 1884 durch René Thury auf einer 50 m langen Versuchsstrecke in Territet, oberhalb von Schloss Chillon am Fuss der Rochers de Naye gelegen
[03] Eine vergleichbar direkte und schnelle unterirdische Verbindung (Lift) vom Lauterbrunnental zum Jungfraujoch ist Anfang 2008 vorgestellt, wegen der hohen Kosten aber nicht weiterverfolgt worden
[04] Die Frequenz der Stromversorgung ist 1960 von 40 Hz auf den in Europa gebräuchlichen Wert 50 Hz umgestellt worden, später wurde auch die Spannung auf 1125 V erhöht. Das Drehstromsystem, das eine zweipolige Fahrleitung erfordert, ist bis heute beibehalten worden

TEC21, Fr., 2012.06.01



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Hilfsbrücken für die Bahn

Eisenbahnhilfsbrücken sorgen dafür, dass Bahnlinien nicht wegen Baustellen an Brücken unterbrochen werden müssen. Diese vormontierten Stahlbauwerke können in kurzen Sperrpausen auf vorbereiteten Lagern eingebaut werden und ermöglichen Bauarbeiten unter Bahnverkehr, ohne dass die Zugfahrenden viel davon merken. Die robusten und flexibel einsetzbaren Hilfsbrücken können aber auch kurzfristig abgerufen werden, wenn Bahnverbindungen durch ausserordentliche Ereignisse unterbrochen werden.

Eisenbahnhilfsbrücken sorgen dafür, dass Bahnlinien nicht wegen Baustellen an Brücken unterbrochen werden müssen. Diese vormontierten Stahlbauwerke können in kurzen Sperrpausen auf vorbereiteten Lagern eingebaut werden und ermöglichen Bauarbeiten unter Bahnverkehr, ohne dass die Zugfahrenden viel davon merken. Die robusten und flexibel einsetzbaren Hilfsbrücken können aber auch kurzfristig abgerufen werden, wenn Bahnverbindungen durch ausserordentliche Ereignisse unterbrochen werden.

Bei natürlichen oder von Menschen verursachten Katastrophen kann auch die Verkehrsinfrastruktur beeinträchtigt oder gar lahmgelegt werden. Insbesondere Brücken sind durch Hochwasser, Murgänge, Überschwemmungen, seltener durch Lawinen oder Bergstürze gefährdet. Erfahrungsgemäss hatten auch kleinere, noch nicht katastrophale Hochwasser immer wieder den Ausfall von Brücken zur Folge. Da Verkehrsverbindungen für die Wiederherstellung einer Industriegesellschaft nach einem Ereignis eine Schlüsselfunktion haben, ist der kurzfristige Ersatz ausgefallener Brücken eine dringliche Aufgabe des Bauwesens. Bei grossen Bauwerken wird dies zweifellos nicht einfach und vor allem nicht schnell möglich sein; bei kleineren Brücken ist die Wiederherstellung einer zumindest behelfsmässigen Verkehrsverbindung unter günstigen Umständen jedoch bereits nach wenigen Stunden möglich. Eine Eisenbahnbrücke ist meist anspruchsvoller und zeitaufwendiger zu ersetzen als eine Strassenbrücke, wo eine befahrbare Piste als Umgehung fürs Erste ausreichen kann.

Brücken für Baustellen

Eisenbahntrassees können in der Regel nicht so einfach und kurzfristig verlegt werden wie Strassen; so muss die Ersatzbrücke etwa am gleichen Ort stehen und ähnliche Dimensionen aufweisen wie das ursprüngliche Bauwerk. Für Brücken gibt es keine abrufbereiten Reservebrücken – der Ersatz einer zerstörten Eisenbahnbrücke ist eine Einzelanfertigung, die sich nur mit beträchtlichem Zeitaufwand realisieren lässt.

Für den schnellen Ersatz von Eisenbahnbrücken mit kleinen Spannweiten können hingegen die von den Schweizer Bahnbetreibern bei Baustellen verwendeten Hilfsbrücken unter einfachen topografischen Bedingungen eine kurzfristig verfügbare Lösung sein. Was sich bei Dutzenden von Baustellen bewährt hat (Abb. 2), könnte mit etwas Improvisation auch nach Katastrophen nützlich sein (Abb. 1). Und vor allem sind einsatzbereite Hilfsbrücken in ausreichender Anzahl gelagert (Abb. 5) und könnten praktisch über Nacht installiert werden (Abb. 7). Hier werden diese unentbehrlichen, aber kaum beachteten Baustelleninstallationen für einmal genauer betrachtet, da sie im Ereignisfall eine zentrale Rolle spielen können.

Vormontiert und am Stück transportiert

Der Brückenüberbau von Eisenbahnhilfsbrücken besteht üblicherweise aus vier einfeldrigen vollwandigen Längsträgern, von denen je zwei durch Querträger zu einem Zwillingsträger verbunden sind (Abb. 3, 5 und 8). Der Abstand der Querträger, die mittels HV-Stirnplatten- stössen mit den Längsträgern verschraubt sind und als Schienenauflager dienen, beträgt 60cm, was dem normalen Schwellenabstand auf der freien Strecke entspricht. Einige dieser Querträger können zur Stabilisierung der Zwillingsträger mit verstärkten HV-Stirnplatten­stössen ausgebildet werden. Die beiden Zwillingsträger werden mittels Quersteifen, welche im Abstand von 1.8–2.4 m angeordnet sind, zur Gesamthilfsbrücke verbunden. Statisch wirkt eine Eisenbahnhilfsbrücke als Trägerrost mit biegeweich bis biegesteif angeschlossenen Querträgern. Bei einem Einsatz in der Kurve wird zwischen den beiden Zwillingsträgern zusätzlich ein Horizontalverband eingebaut. Der Spannweitenbereich von Eisenbahnhilfsbrücken reicht von ca. 6 bis 23 m. Eisenbahnhilfsbrücken werden, wenn immer möglich, ungeteilt und fertig montiert zur Einsatz- oder Baustelle geliefert. Je nach Baustelle sind eine oder mehrere Hilfsbrücken notwendig, die sowohl neben wie auch hintereinander (als Hilfsbrückenkette) angeordnet werden können (Abb. 1 und 2).

Einsatz von Hilfsbrücken

Eisenbahnhilfsbrücken sind sicherheitsrelevante Ingenieurbauwerke, die bezüglich Sicherheit des Bahnbetriebs den gleichen Kriterien genügen wie normale Bahnbrücken. Im Grundsatz ist auch unter Last ein möglichst kontinuierliches, der vorgesehenen Überfahrgeschwindigkeit entsprechendes Längenprofil des Gleises zu gewährleisten. Aufgrund der minimierten Bauhöhen weisen Eisenbahnhilfsbrücken gegenüber permanenten Eisenbahnbrückenbauwerken eine geringere Steifigkeit auf. Im Vergleich zu permanenten Brückenbauwerken werden grössere zulässige Verformungen von Brückenträger und Fundation und somit ein etwas geringerer Fahrkomfort akzeptiert.

Die maximal zulässige Überfahrgeschwindigkeit von Hilfsbrücken für Normalspurbahnen beträgt je nach Konstruktionstyp und Anordnung zwischen 50km/h und 100km/h. Für den Einsatz bei Meterspurbahnen gilt eine maximale Überfahrgeschwindigkeit von 60km/h.

Widerlager rasch erstellt

Bei gutem Baugrund kann die Hilfsbrücke mittels Holzschwellenfundament oder Betonfertigelement auf gewachsenem Baugrund flach gegründet werden. Das Flachfundament ist auf einer 2 bis 5cm dicken Schicht aus einem Sand-Zement-Gemisch (trockener Mörtel) oder Splitt aufzulegen. Quer zur Brückenachse wirkende Horizontalkräfte aus der Brücke werden über Anschlagwinkel in das Fundament eingeleitet. Die Mindestspannweite der Hilfsbrücke kann meist mit einer Böschungsneigung von 2:3 ermittelt werden. Im Geschwindigkeitsbereich bis 60km/h kann die Hilfsbrücke auf einem Holzschwellenfundament aufgelagert werden. Dieses sehr einfach und kurzfristig erstellbare Bauteil besteht aus einem Schwellenrost mit zwei ca. 3.0 m langen Querschwellen und mehreren ca. 2.5 m langen Längsschwellen. Bei Geschwindigkeiten über 60km/h werden anstelle der Holzschwellenfundamente vorgefertigte Betonfundamentplatten von 2.5 m in Längsrichtung der Schienen mal 3.0 m in Querrichtung verwendet (Abb. 6). Die Fundamentdicken liegen zwischen 0.35 m und 0.50 m. Bei schlechten Baugrundverhältnissen und im Geschwindigkeitsbereich von 80 bis 100km/h sind Tiefgründungen (Schlitz- oder Pfahlfundamente) erforderlich. Auch rasch erstellbare Baugrubenabschlüsse wie Pfahl-, Rühl- oder Spundwände können für die Auflagerung von Hilfsbrücken verwendet werden. Die Fundamenttiefe von Schlitzfundamenten ist auf ungefähr 2.0 bis 3.0 m (bzw. 3.0 bis 4.0 m ab Schienenunterkante) zu begrenzen. Bei hohen Anforderungen an das Setzungsverhalten der Gründungsbauwerke sind Pfahlfundationen (Bohrpfahl- oder Mikropfahlfundation) auszuführen. Der Auflagerriegel für die Hilfsbrücke kann als Beton- oder Stahlträger ausgeführt werden. Wird die Hilfsbrücke auf Stahlspundwände abgestützt, wird als Hilfsbrückenauflager in der Regel ein Walzträgerprofil mit verkeilter Holzschwelle (Brückenlager) aufgeschweisst.

Stützen aus dem Baukasten

Bei Hilfsbrückenketten werden die Zwischenauflager der Brücke in der Regel auf normierten Stahljochen ausgeführt. Diese Stahljoche sind räumliche Fachwerkstützen mit zum Teil biegesteifen Rahmenriegeln im oberen Jochbereich und mit typischen Stützenabständen von 150cm in Querrichtung und 95cm in Längsrichtung (Abb. 4). Für die Berechnung der Joche, der Verankerungen und der Fundamente ist die Einwirkung «Anfahren und Bremsen» zu berücksichtigen. Für die Aufnahme grosser Zentrifugalkräfte sind eventuell zusätzliche Verstrebungen notwendig. Stahljoche werden stets auf Ortbetonfundamenten verankert. In schlechtem Baugrund sind, analog zu den Widerlagern, allenfalls Pfahlfundationen für die Joche erforderlich. Beidseitig der Brücken sind Dienststege mit Holzbelag und Suvakonformen Geländern eingebaut. Alle tragenden Verbindungen der Hilfsbrücken und der Stahljoche sind mit voll vorgespannten, hochfesten Schrauben der Festigkeitsklasse 10.9 ausgeführt.


Literatur:
Teile dieses Beitrags beruhen auf Auszügen aus dem Regelwerk RTE 21590 «Hilfsbrücken für Eisenbahnen», herausgegeben vom Verband öffentlicher Verkehr, Technik Bahn. Zu beziehen bei VSS Zürich, www.vss.ch Vgl. auch: Strasse und Verkehr 6/2006.

TEC21, Fr., 2012.02.17



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TEC21 2012|8 Nach der Katastrophe

26. August 2011Aldo Rota
TEC21

Neue Saiten aufziehen

Anfang September, rechtzeitig vor Beginn des Herbstsemesters, werden nach fünfjähriger Bauzeit die neuen Räume der Universität Luzern bezogen. Nach einer wechselvollen Vorgeschichte kann sich die junge Hochschule nun im umgebauten ehemaligen Postbetriebsgebäude hinter dem Kunst- und Kongresshaus Luzern (KKL) in einem grosszügigen und inspirierenden architektonischen Umfeld entfalten.

Anfang September, rechtzeitig vor Beginn des Herbstsemesters, werden nach fünfjähriger Bauzeit die neuen Räume der Universität Luzern bezogen. Nach einer wechselvollen Vorgeschichte kann sich die junge Hochschule nun im umgebauten ehemaligen Postbetriebsgebäude hinter dem Kunst- und Kongresshaus Luzern (KKL) in einem grosszügigen und inspirierenden architektonischen Umfeld entfalten.

Die Bildungsinstitution existiert in der heutigen Form erst seit einem Jahrzehnt: Obwohl ihre historischen Wurzeln als theologische Schule bis ins Jahr 1600 zurückreichen, ist die Universität Luzern die jüngste Schweizer Universität; ihre Gründung erfolgte erst nach der Annahme des Universitätsgesetzes im Kanton Luzern im Jahr 2000. Die schweizerische Anerkennung durch den Bundesrat folgte 2005. Als Vorläuferinstitutionen bestanden bereits die theologische Fakultät, die 1970 die akademischen Gradrechte erhielt, und seit 1993 die geisteswissenschaftliche Fakultät.

Bedingt durch die kurze Entstehungsgeschichte, die Herkunft aus verschiedenen Institutionen und die kleinen Anfangsbestände waren die Schulräume der jungen Universität auf 16 Standorte in Luzern verteilt, ein universitäres Zentrum fehlte. Von Anfang an war daher beabsichtigt, die neu gegründete Universität in einem repräsentativen Gebäude zusammenzufassen und zu beheimaten. Ursprünglich war dafür ein Neubau am Kasernenplatz, in der Nähe des Historischen und des Naturhistorischen Museums, vorgesehen. Für die Planung des neuen Universitätsgebäudes, das bereits 2008 hätte eröffnet werden sollen, wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, in dem der Entwurf des Zürcher Architekten Valerio Olgiati den ersten Rang belegte. Sowohl der als peripher kritisierte Standort als auch die Durchführung des Wettbewerbs und das ausgewählte Projekt waren aber heftig umstritten und führten in der Folge zu langwierigen Auseinandersetzungen, denen das Verwaltungsgericht Luzern Anfang 2004 ein Ende setzte, indem es den Entscheid der Wettbewerbsjury aufhob (vgl. TEC21, 44/2003, S. 20,[1] TEC21, 48/2003, S. 24,[2]). Nach dem Debakel um den Wettbewerb war es ein Wink des Schicksals, dass die Post ihr Betriebsgebäude an der Frohburgstrasse neben dem Bahnhof bis auf eine Poststelle aufzugeben gedachte, weil sie beabsichtigte, das Verteilzentrum in Härkingen zu konzentrieren.

Da capo in der alten Post

Die verschiedenen Institute der Universität Luzern sowie rund die Hälfte des Raumbedarfs der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz in unmittelbarer Bahnhofsnähe zu vereinen, eröffnete einen idealen Ausweg aus dem Dilemma: Der Entscheid, die Luzerner Hochschulen und die angegliederte Zentralschweizer Hochschulbibliothek (ZHB) im frei werdenden Postbetriebsgebäude an der Frohburgstrasse unterzubringen, fi el deshalb noch im selben Jahr – nicht, ohne auch noch 21 weitere Standorte geprüft zu haben. Die Post überliess den Bau dem Kanton für 45 Millionen Franken. 2005 wurde ein Wettbewerb für die Umnutzung des Postbetriebsgebäudes durchgeführt. Zu dessen optimaler verkehrstechnischen Lage gesellten sich die exzellente Qualität der Bausubstanz und das enorme Flächenangebot: Auf sechs Geschossen liessen sich nun knapp 23 000 m² Nutzfl äche realisieren. Seit dem ersten Anlauf waren die Studierendenzahlen nämlich förmlich explodiert: Im Jahr 2000 rechnete der Kanton Luzern mit 900 Studierenden (ausbaubar auf 1200 bzw. 1500) und kalkulierte für den Bau am Kasernenplatz 55 bis 65 Millionen Franken. 2005 waren es rund 1600. 2012 werden 2000 bis 2600 Personen an der Universität Luzern studieren (ohne PHZ).

Eine zentrale Herausforderung war die Neugestaltung der Fassade; die lieblose Industriearchitektur des Postbetriebsgebäudes passte weder zu den Ansprüchen nach Repräsentation der Universität noch zur Dominanz des benachbarten KKL. Das siegreiche Projekt der Zürcher Architekten Enzmann Fischer legt denn auch besonderen Wert auf eine eigenständige Fassadenarchitektur. Bereits im folgenden Jahr 2006 stimmte das Luzerner Stimmvolk dem Projekt von Enzmann Fischer Architekten zu, und die Baubewilligung wurde im Herbst 2007 erteilt. Die Rückbau- und Umbauarbeiten begannen im Dezember 2007 im 2. Untergeschoss (Abb. 3, 4), zuerst bei noch laufendem Postbetrieb; mit der Montage der neuen Fassaden wurde im Mai 2009 begonnen. Die verbleibende, neu gestaltete Poststelle im Erdgeschoss nahm ihren Betrieb bereits Ende 2009 wieder auf. Im Juni des aktuellen Jahres konnten die Umbauarbeiten termingerecht abgeschlossen werden. Gegenwärtig ist der Umzug der Universität und der PHZ in ihre neuen Räume an der Frohburgstrasse im Gange. Das Umzugsvolumen umfasst allein für die Universität rund 24 000 m³.


Anmerkungen:
[01] Baugedächtnis: http://retro.seals.ch/digbib/view?rid=sbz-004:2003:129::3504&id=hitlist
[02] Baugedächtnis: http://retro.seals.ch/digbib/view?rid=sbz-004:2003:129::3864&id=hitlist

TEC21, Fr., 2011.08.26



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TEC21 2011|35 Universität Luzern

25. März 2011Aldo Rota
TEC21

Das erste Werk am Rhein

Das Kraftwerk Rheinfelden war das erste und lange das grösste Flusskraftwerk in Europa. Mit diesem mutigen Wurf begann die Nutzung der Wasserkräfte des Rheins. Jetzt ist das Werk ersetzt worden und nimmt mit seinem Umgehungsgewässer wieder eine Vorreiterrolle ein. Gegenwärtig wird das alte Maschinenhaus abgebrochen. Ein Nachruf auf eine Pioniertat.

Das Kraftwerk Rheinfelden war das erste und lange das grösste Flusskraftwerk in Europa. Mit diesem mutigen Wurf begann die Nutzung der Wasserkräfte des Rheins. Jetzt ist das Werk ersetzt worden und nimmt mit seinem Umgehungsgewässer wieder eine Vorreiterrolle ein. Gegenwärtig wird das alte Maschinenhaus abgebrochen. Ein Nachruf auf eine Pioniertat.

Wie kam es dazu, dass an dieser Stelle nur noch rückblickend über diese bemerkenswerte Anlage berichtet werden kann? Paradoxerweise hat die in den letzten Jahren stark gestiegene Bedeutung der Wasserkraft in der europäischen Energiepolitik das Schicksal des alten Werks besiegelt. Die beschriebene Anlage nutzte das verfügbare hydraulische Potenzial nämlich, dem damaligen Stand der Technik entsprechend, nur teilweise aus. Die politischen Instanzen, die für die Erneuerung der 1898 für die Dauer von 90 Jahren erteilten Konzession zuständig sind, wollten hingegen die erneuerbare Energiequelle Wasserkraft dem aktuellen Stand entsprechend fördern. Sie machten die Erneuerung der Konzession von der effizienteren Nutzung der verfügbaren Wasserkraft abhängig. Ein Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen hätte die energiepolitische Position der Wasserkraft nicht wesentlich verbessert. Daher ist der Totalersatz des Kraftwerks, verbunden mit zeitgemässen ökologischen Ausgleichsmassnahmen, gesamthaft betrachtet die ökologisch nachhaltigste Massnahme, auch wenn die aktuellen Eingriffe in die natürliche Umgebung teilweise schmerzhaft erscheinen. Dass dabei kein Platz mehr für das alte Kraftwerk war, ist kulturhistorisch bedauerlich, in Anbetracht der Rahmenbedingungen und Anforderungen von Ökologie und Ökonomie aber zumindest nachvollziehbar. Geschichte und Technik des alten Kraftwerks Rheinfelden sind aber weiterhin von Interesse und werden im Folgenden rekapituliert.

Beste natürliche Voraussetzungen

Vom Ausfluss aus dem Bodensee bei Stein am Rhein bis zur Landesgrenze bei Basel weist der Hochrhein auf einer Länge von 140 km einen Höhenunterschied von 145 m auf, was einem mittleren Gefälle von 1 ‰ entspricht. Dieses Gefälle ergibt in Verbindung mit der erheblichen Wasserführung des Rheins ein beachtliches hydraulisches Potenzial. Vor über einem Jahrhundert konnte für die ersten Kraftwerke am Rhein der günstigste Standort aufgrund der natürlichen Gegebenheiten frei gewählt werden.

Mit Ausnahme des Sprungs beim Rheinfall, der ab 1890 durch ein kleineres Kraftwerk teilweise genutzt wurde, ist das oben erwähnte Gefälle näherungsweise gleichmässig über die Flusslänge verteilt. Stromaufwärts der mittelalterlichen, am linken Rheinufer gelegenen Schweizer Stadt Rheinfelden, auf Höhe der Grenze zwischen den deutschen Gemeinden Nollingen und Karsau[1] am rechten Ufer, quert jedoch eine Muschelkalkrippe das Flussbett des Rheins auf seiner gesamten Breite praktisch senkrecht zur Fliessrichtung. Oberwasserseitig staute dieses natürliche Hindernis von alters her einen ruhigeren, etwas tieferen Flussabschnitt, den Beugger See, auf. Stromabwärts dieser Schwelle fliesst der Rhein auf einem kurzen Abschnitt mit grossem Gefälle, dem sogenannten Gwild (Abb. 1 und 4), turbulent über Muschelkalk und Kiesbänke ab. Vom Beugger See bis zur Brücke von Rheinfelden weist der Rhein auf 2.4 km Länge ein Gefälle von maximal 7.5 m bei Niedrigwasser auf.[2] Erste Projektideen für die Nutzung der Rheinfelder Stromschnellen entstanden bereits ab 1871,3 scheiterten aber an lokalen Widerständen und an der Finanzierung. Ein Schweizer Firmenkonsortium plante 1889 erstmals die Produktion und Verteilung elektrischer Energie in grossem Stil und erwarb eine Konzession zwischen dem Beugger See und der Brücke von Rheinfelden. Der Aarauer Ingenieur Olivier Zschokke (1826–1898) entwarf zunächst eine Anlage zur Nutzung der gesamten Konzessionsstrecke. Mit geschätzten Baukosten von 12 Mio. Mark erwies sich dieses erste Projekt Zschokkes jedoch als nicht finanzierbar.

Traditionelles Mühlenprinzip

1893 wurde das Projekt durch Zschokke redimensioniert: Die genutzte Flusslänge wurde halbiert und auf die eigentlichen Stromschnellen begrenzt, wodurch die Baukosten praktisch halbiert wurden und das Werk in eine realistische Grössenordnung rückte. Auch in seinem zweiten, redimensionierten Projekt griff Zschokke auf das traditionelle Mühlenprinzip mit Wehranlage, Oberwasserkanal und Maschinenhaus am Ufer zurück (Abb. 1 und 4). Bei später erstellten Kraftwerken am Hochrhein wie Laufenburg (Betriebsaufnahme 1914) oder Eglisau (1920; TEC21 24/2005) und auch beim neuen Kraftwerk Rheinfelden (vgl. Abb. 2 und «Potenzial besser nutzen», S. 24) sind Wehranlage und Maschinenhaus zusammengefasst und in einer Flucht quer ins Flussbett hineingebaut. Trotz der einfachen und konventionellen Disposition liessen sich weiterhin keine Investoren finden. Der Hauptkritikpunkt war die ungünstige Anordnung des Maschinenhauses zwischen Oberwasserkanal und Uferböschung.[4] Die vom Konsortium gegründete Vorbereitungsgesellschaft liess darauf Zschokkes Projekt durch Otto Intze (1843–1904) überarbeiten. Intze, der an der TH Aachen lehrte, galt als der führende europäische Wasserbauingenieur. Er konzipierte die Zentrale neu und positionierte das Maschinenhaus zwischen Oberwasserkanal und Flussbett[5] (Abb. 1 und 4). Durch diese Vereinfachungen wurden die Kosten gesenkt, die Leistung erhöht und gleichzeitig die Betriebssicherheit verbessert, was den technischen und wirtschaftlichen Durchbruch des Projekts bedeutete. Dem Konsortium trat jetzt die bei der Finanzierung von Elektrizitätswerken federführende Deutsche Bankengruppe um Emil Rathenau (1838–1915), den Gründer der AEG, bei. 1894 wurde in Berlin die AG Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR, heute Energiedienst) gegründet. Am 1. Mai 1895 begannen die Bauarbeiten, im Sommer 1897 konnten bereits 8 von 20 Turbinen in Betrieb genommen werden. Im Sommer 1899 wurden mit dem Wehr und den Schützen (Abb. 7 und 8) die letzten Bauwerke des Kraftwerks Rheinfelden fertiggestellt. Die Baukosten betrugen inkl. Maschinen ca. 8.6 Mio. Mark.

Fischtreppe und Flossgasse

Auf der eingangs erwähnten Muschelkalkrippe wurde der Rhein über die gesamte Breite durch ein niedriges, senkrecht zur Fliessrichtung angeordnetes, aus Bruchsteinen aufgemauertes Wehr gestaut (Abb. 1 und 4). Die breite Krone des etwa 198 m langen Wehrs lag auf der Kote 271.60 m ü. M., was der Staukote des gestauten Beugger Sees bei Niedrigwasser entsprach. Auf der Wehrkrone waren acht je ca. 18 m breite Tafelschützen von 1.3 m Höhe aufgestellt. Am linken, schweizerischen Ufer war zwischen der letzten Tafelschütze und der Uferbefestigung lediglich noch eine schmale Fischtreppe angeordnet. In Richtung badisches Ufer schlossen an die erste Tafelschütze zwei breitere, parallele Fischtreppen und die in der Konzession vorgeschriebene, 20 m breite, leicht geneigte Flossgasse an.[6] Durch diesen Durchlass ohne Absperrorgane, dessen Sohle tiefer als die Staukote des Wehrs lag, sowie die Fischtreppen floss permanent und unabhängig vom Kraftwerksbetrieb mindestens die in der Konzession vorgeschriebene Restwassermenge von 50 m³ / s ins «Gwild» ab. Zwischen der Flossgasse und dem badischen Ufer, im Bereich der grössten Wassertiefe, waren drei mit Schützen verschliessbare, je 10 m breite und 5 m hohe Grundablässe angeordnet (Abb. 4, 7 und 8). Diese im Normalbetrieb geschlossenen Bauwerke dienten der Entleerung des Flussbetts, insbesondere zum Austrag des reichlich anfallenden Geschiebes, und wirkten bei der Ableitung grösserer Hochwasser mit. Die für den Betrieb der Schützen erforderlichen, als Fachwerke ausgeführten Apparatebrücken über dem Wehr waren während eines Jahrhunderts die charakteristischen, landschaftsprägenden Elemente der sonst unauffälligen, mit der hügeligen Landschaft verschmelzenden Kraftwerksanlagen. Am rechten, badischen Ufer lag schiefwinklig zur Flussrichtung der trompetenförmig leicht aufgeweitete Einlauf des Oberwasserkanals (Abb. 4). Zwischen der Flossgasse und den Grundablässen war oberwasserseitig ein als Tauchwand ausgebildetes Leitwerk aus Stahl angeordnet, um den Flossverkehr zu kanalisieren sowie Schwemmholz und Eisgang vom Einlauf des Oberwasserkanals fernzuhalten (was bei Hochwasser nicht immer ausreichte). Im Übergangsbereich vom Grundablass zum Oberwasserkanal waren auf der Wehrkrone noch vier kleinere, nicht regulierbare Überläufe angeordnet.

Der in Stampfbeton ausgeführte, rund 880 m lange, 50 m breite und 4.50 m bis 5.40 m tiefe Oberwasserkanal verlief am rechten Ufer parallel zum Flussbett des Rheins. Durch diesen Kanal mit einem Gefälle von 0.6 ‰ floss die maximale Triebwassermenge von 600 m³/s mit einer Geschwindigkeit von 2.5 m/s zum Maschinenhaus. Die Kanalwand war auf 200 m Länge als Überlauf zum Rhein ausgebildet. Am Einlauf des Kanals verhinderte ein quer zur Strömungsrichtung angelegter Grobrechen den Eintrag von Schwemmholz. Eine parallel zum Rechen angelegte Rinne in der Kanalsohle mit Spülschütze wirkte als Geschiebesammler. In den ersten Betriebsjahren erforderte diese Vorrichtung einen grossen Unterhaltsaufwand, da man das Ausmass des Kieseintrags unterschätzt hatte. Nach der Betriebsaufnahme der Oberliegerwerke am Rhein nahm die Beanspruchung des Kiesfangs rasch ab.

Das 146 m lange, in Stampfbeton und Mauerwerk erstellte, mit gelblichen Hausteinen verkleidete Maschinenhaus schloss den Oberwasserkanal parallel zum Rhein ab (Abb. 5). Im Fundament des Gebäudes waren 20 je 5.5 m breite Turbinenkammern angeordnet, die einzeln durch zweiflüglige Drehtore gegen den Oberwasserkanal abschliessbar waren (Abb. 6, links). Unterwasserseitig konnten die Turbinenkammern mit Zugschützen und Dammbalken gegen den Rhein abgeschlossen werden. Die Einläufe der Turbinenkammern waren durch einen gemeinsamen, um 45° geneigten Feinrechen im Oberwasserkanal geschützt (Abb. 6, links).

Anpassungsfähige Turbinen

In den Turbinenkammern waren ursprünglich 20 vertikalachsige Francisturbinen mit je acht Laufradkränzen eingebaut (Abb. 6, Mitte). Diese Bauart wurde von der Firma Escher, Wyss & Cie. in Zürich eigens für das Kraftwerk Rheinfelden entwickelt. Das nutzbare Gefälle zwischen Ober- und Unterwasserspiegel schwankte je nach Wasserführung des Rheins zwischen 3.20 m und 6.50 m, eine konstante Leistung der Maschinen war nur mit einer anpassungsfähigen Steuerung der Wasserzufuhr zu den Turbinen einzuhalten.[7] Allerdings scheint sich die Lieferfirma mit der ehrgeizigen Konstruktion etwas übernommen zu haben, denn mehrmonatige Verspätungen bei der Lieferung der Turbinen hatten spürbare Verzögerungen des Bauprogramms zur Folge.

Je nach verfügbarem Gefälle leistete jede Turbine zwischen 800 und 1200 PS, sodass die elektrische Gesamtleistung der Zentrale mit 20 Generatoren zwischen 12 MW und 18 MW betrug (Abb. 3). Acht Turbinen trieben Wechselstromgeneratoren für die allgemeine und industrielle Versorgung an,[8] die restlichen Maschinengruppen produzierten Gleichstrom mit niedriger Spannung (100 V bis 800 V), der an die in der Umgebung angesiedelte elektrochemische Industrie (u.a. ein Aluminium- und ein Karbidwerk) abgegeben wurde. 1918 produzierte das Werk etwa 120 Mio. kWh elektrische Energie.

Die Wasserrückgabe erfolgte ohne Unterwasserkanal direkt von den Turbinenkammern in den Rhein (Abb. 5). Am Ende des Oberwasserkanals waren ein 6 m breiter, mit einer Schütze verschliessbarer Grundablass sowie eine kleine Bootsschleuse angeordnet. Eine dreifeldrige Stahlfachwerkbrücke mit gemauerten Flusspfeilern stellte eine einspurige Strassenverbindung zwischen der Zentrale und dem Schweizer Ufer her und trug ursprünglich auch die Übertragungsleitungen in die Schweiz. Eine kleinere Kabelbrücke leitete die Energie vom Maschinenhaus über den Oberwasserkanal zur Schaltanlage am badischen Ufer. Zwischen 1930 und 1935 wurden 14 der ursprünglichen Francisturbinen durch acht modernere Kaplanturbinen und sechs Propellerturbinen (Kaplanturbinen mit nicht verstellbaren Schaufeln) ersetzt. Dadurch erhöhte sich die installierte Kraftwerksleistung auf 25.7 MW und die mittlere Jahresproduktion auf 185 Mio. kWh. Die restlichen Maschinengruppen wie auch die gesamten Bauwerke und wasserbaulichen Installationen blieben bis zum Rückbau der Anlage (Abb. 2) weitgehend unverändert in Betrieb.

TEC21, Fr., 2011.03.25



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TEC21 2011|13 Kraftwerk Rheinfelden

10. September 2010Aldo Rota
TEC21

Das Kraftwerk Wägital

Im August vor 86 Jahren war die Gewichtsstaumauer in der Felsenge der Schräh gebaut, und das Wägital in der südöstlichen Ecke des Kantons Schwyz wurde geflutet. Ein neues Landschaftsbild entstand. Deshalb wurden rund um den Speichersee und im vorderen Wägital für das zweistufige Kraftwerk Wägital zahlreiche Ingenieurkunstbauten erstellt. Es lohnt sich, deren Geschichte aufzurollen und sie, als weitgehend im Originalzustand in Betrieb stehende Zeugen der Technikgeschichte, näher zu betrachten.

Im August vor 86 Jahren war die Gewichtsstaumauer in der Felsenge der Schräh gebaut, und das Wägital in der südöstlichen Ecke des Kantons Schwyz wurde geflutet. Ein neues Landschaftsbild entstand. Deshalb wurden rund um den Speichersee und im vorderen Wägital für das zweistufige Kraftwerk Wägital zahlreiche Ingenieurkunstbauten erstellt. Es lohnt sich, deren Geschichte aufzurollen und sie, als weitgehend im Originalzustand in Betrieb stehende Zeugen der Technikgeschichte, näher zu betrachten.

Vor einem Menschenalter, am 9. August 1924, wurde die 1502 geweihte Kirche von Innerthal, zuhinterst im Schwyzer Wägital, gesprengt. Zuvor waren bereits das Pfarrhaus, das Schulhaus, die Sägerei und gegen 100 weitere Gebäude der abgelegenen Gemeinde dem Erdboden gleichgemacht worden. Die für die damalige Zeit in der friedlichen Schweiz ungewöhnliche Zerstörung eines ganzen Dorfs, die für die Anlage des Stausees Innerthal (heute als Wägitaler See bekannt) erforderlich war, erregte einiges Aufsehen, zumal für rund 80 Einwohnerinnen und Einwohner keine Ersatzbauten erstellt werden konnten und diese deshalb gezwungen waren, aus Innerthal abzuwandern. Immerhin wurden Kirche, Pfarrhaus, Schulhaus, Gasthaus, Sägerei und zahlreiche Wohn- und Landwirtschaftsbauten oberhalb des Seespiegels neu erstellt, sodass Innerthal heute eine intakte Gemeinde ist, deren Wirtschaft entscheidend vom Tourismus und vom Landschaftsidyll um den Stausee geprägt ist. Seither sind noch einige Ortschaften in vergleichbarer Weise durch Stauseen überflutet und an anderen Standorten neu erstellt worden, darunter als bekanntes Beispiel 1954 Marmorera am Julierpass in Graubünden, dessen Schicksal in einem Schweizer Film («Marmorera» von Markus Fischer, 2007) aufgegriffen wurde. Grosse, ganze Talschaften betreffende Überflutungs- und Umsiedlungsprojekte wie etwa im Urserental oder im Rheinwald (GR) sind in der Schweiz jedoch stets durch Volksentscheide verhindert worden. Der Bau von Wasserkraftwerken hat sich seither immer mehr von den Voralpen in die Alpentäler verlagert, und die grössten seit den 1950er-Jahren erstellten und laufend ausgebauten Werksgruppen wie etwa Cleuson-Dixence oder KWO (Kraftwerke Oberhasli) lassen das Kraftwerk Wägital um eine Grössenordnung hinter sich (vgl. Kasten S. 26). Umso mehr ist es an dieser Stelle angebracht, sich die damaligen Verhältnisse vor Augen zu führen, um die Bedeutung der technischen Pionierleistungen im Wägital rückblickend zu würdigen.

Vor der Flutung

Ende des 19. Jahrhunderts, als in einer ersten Prospektionswelle landesweit geeignete Standorte für Wasserkraftwerke gesucht wurden, stellte man bereits fest, dass sich der langgezogene, flach geneigte Talboden von Innerthal am Ende des bis anhin unbekannten Wägitals für die Anlage eines Stausees eignet. Auf etwa 7 km Horizontaldistanz zur Talebene der March bei Siebnen, die rund 50 m über der Höhe des Zürichseespiegels liegt, steht ein Gefälle von rund 400 m zur Verfügung. Die Felsenge des Schräh am Ausgang dieses Talbodens war für die Erstellung einer Talsperre prädestiniert. Weitere günstige Umstände sind auch die relative Nähe zu grossen Energieverbrauchszentren, insbesondere der Stadt Zürich sowie der hoch industrialisierten Gebiete östlich und nordöstlich des Zürichsees, und nicht zuletzt die Tatsache, dass die Schwyzer Voralpen eines der niederschlagsreichsten Gebiete der Schweiz sind. Die Wasserkraft des Wägitals tatsächlich zu nutzen war aber aus geologischer Sicht schwierig, und es bedurfte mehrerer Anläufe, bis der Staudamm und die zusätzlich erforderlichen Kraftwerk-Bauwerke realisiert werden konnten (vgl. Kasten).

Nachdem bereits 1918/19 erste Sondierungen im Bereich der Staumauer Schräh erfolgten, konnte das definitive Bauprojekt im Januar 1921 aufgelegt und bewilligt werden. Als erste Arbeiten des Kraftwerkbaus begannen die Aushub- und Betonierarbeiten an der Staumauer Schräh im Januar 1922. Vier Jahre später, Anfang Januar 1926, konnte mit der Inbetriebnahme der Maschinengruppe 4 in der Zentrale Rempen der Betrieb aufgenommen werden.

Disposition der Anlage

Das Kraftwerk Wägital ist als zweistufiges Speicherkraftwerk mit Jahresspeicher ausgelegt (Abb. 2). Es nutzt die Wasserkraft der Wägitaler Aa zwischen dem Wägitaler See am südlichen Talende und Siebnen am nördlichen Talausgang zur Ebene der March. Die Trennung zwischen den zwei Stufen liegt ungefähr in der Mitte der genutzten Flussstrecke beim Ausgleichbecken Rempen, wo der einzige bedeutende Zufluss der Wägitaler Aa – der Trepsenbach – auf der rechten Talseite einmündet. Durch die Position dieses Zuflusses ergibt sich eine annähernd symmetrische Anordnung der zwei Stufen, die ungefähr dasselbe Gefälle aufweisen. Da beide Stufen auch dieselbe Triebwassermenge verarbeiten, konnten sie mit identischen Maschinengruppen ausgerüstet werden.

Der Wägitaler See bzw. Stausee Innerthal wird hauptsächlich aus seinem natürlichen, 42.7 km2 messenden Einzugsgebiet gespeist. Dazu kommt das Einzugsgebiet von 40 km2 des Ausgleichsbeckens Rempen der unteren Stufe, dessen gepumptes Wasser ebenfalls zur Füllung des Stausees beiträgt. Neben diesen natürlichen Einzugsgebieten wird kein Wasser aus anderen Gebieten zugeführt.

Staumauer und See

Das auffallendste und auch teuerste Bauwerk des Kraftwerks Wägital ist die Staumauer Schräh in der gleichnamigen Felsenge am Ausgang des Talbodens von Innerthal (Abb. 5 und 8). Die in Beton im damals neuartigen Giessverfahren erstellte Gewichtsstaumauer ist im Grundriss gerade angelegt und weist einen dreieckigen Querschnitt auf. Wasserseitig beträgt der Anzug 30:1, womit die Mauer beinahe senkrecht ist. Luftseitig beträgt der Anzug 1:0.783, was ihr eine imposante Erscheinung verleiht. Die Mauer ist vom Fundament bis zur Krone maximal 110.5 m hoch, wovon im Endzustand maximal 66 m über dem früheren Talboden sichtbar sind. Der grosse eingegrabene Anteil der maximalen Mauerhöhe ist einerseits auf die über 20 m starke Schuttüberdeckung des Felsbodens und anderseits auf eine ca. 20 m tiefe, schmale Erosionsrinne im Felsboden zurückzuführen, die bergmännisch ausgeräumt und betoniert werden musste.

Durch diese Staumauer, die für fünf Jahre die grösste Betonstaumauer der Welt war, wird ein 5 km langer und maximal etwa 1.20 km breiter See mit einer Oberfläche von 4.25 km2 aufgestaut. Da der Stolleneinlass für das Triebwasser höher liegt als der Talgrund auf Kote 834, liegt der tiefste mögliche Betriebswasserspiegel auf Kote 850. Bei der normalen Staukote 900 beträgt der nutzbare Stauinhalt 147.4 Mio. m3, was einer theoretischen akkumulierten Energie von 122.4 Mio. kWh entspricht. Im heutigen Betrieb wird nur der Bereich zwischen den Koten 880 und 900 bewirtschaftet, was einem Nutzinhalt von 76 Mio. m3 entspricht. In der Staumauer Schräh sind rund 236 600 m³ Beton verbaut worden. Sie wird von sieben über die gesamte Höhe verteilten horizontalen Kontrollgängen und drei vertikalen Kontrollschächten aus überwacht. Die Mauerkrone – die Kronenlänge beträgt etwa 156 m – wird durch Betongewölbe von 3 m Lichtweite und 1 m breite Pfeiler gebildet, die eine 4 m breite Verbindungsstrasse tragen. Am linken Ende ist der Hochwasserüberlauf mit Schwellenkote 897.63 m angeordnet. Durch seine drei 3.5 m weiten, durch Schützen abgeschlossenen Öffnungen können maximal 85 m³/s über eine Felswand ins alte Flussbett abgeführt werden (Abb. 9). Neben dem Mauerfundament war zudem noch der Grundablass in einem separaten Stollen angeordnet. Von 1982 bis 1984 wurde die Hochwasserentlastung saniert und ein neuer, auf Höhe des Talbodens durch die Mauer führender Grundablass erstellt.

Die obere Stufe Innerthal–Rempen

Auf der rechten Seeseite, etwa 800 m von der Staumauer entfernt, ist auf Kote 844 das Einlaufbauwerk für den Druckstollen der oberen Stufe angeordnet. Diese mit einem Rechen versehene Öffnung kann für Arbeiten im Stollen mit einer Flachschütze verschlossen werden, die auf einer Schrägseilbahn vor den Stolleneinlauf gefahren werden kann (Abb. 1). Im Normalbetrieb dient eine in einem Vertikalschacht weiter hinten im Druckstollen angeordnete Drosselklappe als Abschlussorgan. Hier beginnt der leicht geneigte, 3.67 km lange Druckstollen mit kreisförmigem Querschnitt und 3.6 m Innendurchmesser. Auch dieses «unsichtbare » Bauwerk ist eine Pionierleistung, denn für seine druckwasserdichte Auskleidung wurden in grossem Umfang Spritzbeton – damals als Gunit bezeichnet – und elektrisch geschweisste Ringbewehrungen eingebaut. Der Druckstollen endet im Wasserschloss Rempen mit einer unteren, als Stollen ausgebildeten Kammer und einer oberen, als frei stehender Betonzylinder konzipierten Kammer (Abb. 10). In der anschliessenden, frei stehenden Apparatekammer teilt sich der Druckstollen in zwei mit Drosselklappen abschliessbare Stränge. Von hier wird das Betriebswasser in einer offen auf Betonfundamenten verlegten, zweisträngigen Druckleitung mit vier Fixpunkten zur Zentrale Rempen geführt. Die Rohrdurchmesser dieser Druckleitung nehmen von oben nach unten von 2.4 m auf 2.05 m ab.

Die untere Stufe Rempen–Siebnen

Im Ausgleichsbecken Rempen mit der Staukote 642, unmittelbar unter der Zentrale Rempen, beginnt die untere Stufe des Kraftwerks Wägital. Das etwa 500 m lange und maximal rund 130 m breite Becken mit einem Nutzinhalt von rund 360 000 m³ wird durch die gleichnamige Staumauer im Flussbett der Wägitaler Aa aufgestaut. Diese inklusive Fundamente maximal 31.5 m hohe – 25 m davon entfallen auf die maximale Wassertiefe –, im Grundriss gerade Beton-Schwergewichtsmauer ist analog der Staumauer Schräh mit dreieckigem Querschnitt und auf Gewölben abgestützter Krone mit einer Kronenlänge von 128.4 m konzipiert. Zwei horizontale Kontrollgänge dienen der Überwachung der Mauer mit einer Betonkubatur von rund 21 500 m³. Der Wasserspiegel des Ausgleichsbeckens wird durch eine regelbare Überlaufklappe und vier automatisch ansprechende Saugüberfälle in der Mauerkrone reguliert. Diese Entlastungsorgane können gesamthaft 66 m³/s Wasser über die Mauerkrone abführen. Zwei im Mauerfuss eingelassene, quadratische, mit Gleitschützen verschliessbare Grundablässe sind insbesondere für das Ausspülen der Geschiebe- und Schlammablagerungen aus dem Ausgleichsbecken wichtig und vermögen eine Wassermenge von je 90 m³/s auszuleiten. Im Ausgleichsbecken Rempen wird neben dem Triebwasser der Zentrale Rempen der Abfluss des Zwischeneinzugsbiets mit einer Fläche von 40 km2 gesammelt. Dazu gehört auch der benachbarte Trepsenbach, der durch eine Wasserfassung mit Überfallwehr, Grundablass und Entsander gefasst und mit maximal 5 m³/s durch einen 268 m langen Freispiegelstollen ins Ausgleichsbecken Rempen übergeleitet wird. Wie für die Wägitaler Aa wird auch für den Trepsenbach von der 1962 erneuerten Konzession kein Restwasser vorgeschrieben. Am rechten Ende der Staumauer Rempen wird das Triebwasser der unteren Stufe durch ein Einlaufbauwerk gefasst und, analog zur oberen Stufe, nach Durchlaufen einer in einem Schieberhaus untergebrachten Drosselklappe in den leicht geneigten, 2.54 km langen Druckstollen mit kreisförmigem Querschnitt von 3.6 m Durchmesser eingeleitet. Er ist analog der oberen Stufe druckwasserdicht ausgekleidet. Unterhalb der Staumauer Rempen überquert der Druckstollen das Trepsental in 7 m Höhe auf einem 50.65 m langen, von Robert Maillart (1872 – 1940) entworfenen Aquädukt in Form einer auf zwei Pfeilern aufgelagerten Rohrbrücke aus Stahlbeton mit geschweisster Ringbewehrung (Abb. 4 und 6).

Am Ende des Druckstollens ist bei der Isenburg im Hang oberhalb Siebnen ein Zweikammer- Wasserschloss in analoger Bauweise wie in Rempen, aber mit einer wesentlich kleineren oberen Kammer angeordnet. Wie in Rempen teilt sich der Druckstollen in der anschliessenden, frei stehenden Apparatekammer in zwei Stränge, die mit Drosselklappen geschlos sen werden können. Von hier wird das Betriebswasser in einer zweisträngigen Druckleitung, die bei dieser Stufe in eine Betonummantelung eingegossen und im Boden verlegt und von aussen praktisch unsichtbar ist, zur Zentrale Siebnen geführt. Die Rohrdurchmesser dieser Druckleitung nehmen von oben nach unten von 2.5 m auf 2.2 m ab. Das Betriebswasser wird unterhalb der Zentrale Siebnen auf Kote 443.05 in das durch Dämme begradigte Gerinne der Wägitaler Aa zurückgegeben, die bei Lachen in den Obersee (Zürichsee) mündet.

Bau- und Energiekosten

Das Aktienkapital für den Bau und den Betrieb des Werks betrug 1921, anlässlich der Gründung der AG Kraftwerk Wägital (AKW), 40 Mio. Fr., die je zur Hälfte von der Stadt Zürich und den NOK eingebracht wurden. Gemäss der Abrechnung der Bauleitung per regulären Betriebsbeginn am 1. Oktober 1926 beliefen sich die totalen Baukosten auf rund 80 Mio. Fr.1 Grösster Einzelposten mit rund 16 Mio. Fr. war die Staumauer Schräh. Nach der Erneuerung der Konzession durch den Bezirk March im Mai 1962 wurden umfangreiche Umbauten und Sanierungsarbeiten ausgeführt, durch die sich der Anlagewert auf 140 Mio. Fr. erhöhte. Aus der Abrechnung und den Betriebskosten wurden 1930 für die verfügbaren 110 Mio. kWh Winterenergie Energiegestehungskosten von 6.82 Rp./kWh abgeleitet.[1] Heute rechnen die Betreiber in einem Jahr mit durchschnittlichen Niederschlägen für die auf Abruf zur Verfügung stehende, besonders wertvolle elektrische Energie – die Maschinengruppen können innerhalb etwa einer Minute vom Stillstand auf volle Leistung hochgefahren werden – mit Gestehungskosten von rund 12 Rp./kWh.

Die Kraftwerkbauten im Wägital sind eindrückliche Beispiele für den Pioniergeist und die Leistungsfähigkeit des Schweizer Ingenieurwesens in den 1920er-Jahren. Mit der Verwendung der Baustoffe Beton und Stahlbeton für Bauwerke dieser Grösse bzw. unter der Beanspruchung durch Druckwasser wurde damals teilweise Neuland betreten, was nur mithilfe neuartiger Konstruktions-, Berechnungs- und Baumethoden möglich war. Umso bemerkenswerter ist, dass ein Grossteil der Bauwerke und Einrichtungen heute weitgehend im Originalzustand weitergenutzt wird. Auch die hydraulische und elektromechanische Ausrüstung (Turbinen, Pumpen, Abschlussorgane, Generatoren und Pumpenmotoren) ist grösstenteils unverändert weiterhin in Betrieb. Ein Besuch im Wägital lohnt sich, denn das Kraftwerk Wägital ist zweifellos eines der konsistentesten und besterhaltenen Kraftwerkensembles aus der Zwischenkriegszeit. Auch heute beeindruckt die wuchtige Präsenz der Staumauer Schräh, die archaische Wirkung des Trepsenbach-Aquädukts oder die tempelartige Anlage des Wasserschlosses Rempen, die im Lauf der Jahre praktisch in die umgebende Voralpenlandschaft eingewachsen sind.

Aldo Rota, Prof. Dr. sc. techn., dipl. Werkstoffing. ETH/SIA

TEC21, Fr., 2010.09.10



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2010|37 Kunstbauten im Wägital

03. September 2010Aldo Rota
TEC21

Mit Abwasser heizen

Im Abwasser ist eine beträchtliche Wärmeenergie gespeichert. Es erstaunt deshalb, dass dieses praktisch kostenlose Potenzial bis vor kurzem nur wenig genutzt wurde. Erst in den letzten Jahren hat die Stadt Zürich mit Pionierprojekten eine energietechnische Wende herbeigeführt. Als Folge davon ist die Schweiz heute weltweit führend in der Nutzung der Abwasserwärme. Durch optimierte Wärmedämmung und Klimaregelung werden heute die Wärmeverluste aus der Raumheizung minimiert. Trotzdem entweichen weiterhin beträchtliche Wärmemengen über das Abwasser in die Oberflächengewässer.

Im Abwasser ist eine beträchtliche Wärmeenergie gespeichert. Es erstaunt deshalb, dass dieses praktisch kostenlose Potenzial bis vor kurzem nur wenig genutzt wurde. Erst in den letzten Jahren hat die Stadt Zürich mit Pionierprojekten eine energietechnische Wende herbeigeführt. Als Folge davon ist die Schweiz heute weltweit führend in der Nutzung der Abwasserwärme. Durch optimierte Wärmedämmung und Klimaregelung werden heute die Wärmeverluste aus der Raumheizung minimiert. Trotzdem entweichen weiterhin beträchtliche Wärmemengen über das Abwasser in die Oberflächengewässer.

Hier steht ein noch weitgehend ungenutztes Potenzial an günstiger Wärmeenergie zur Verfügung, das allerdings meistens niedrigere Temperaturen als die Abwärme aus industriellen Prozessen aufweist.

Eine bedeutende Energiequelle

Das Schweizer Siedlungsabwasser bietet dank seiner Temperatur von mindestens 10 °C bis über 20 °C und seines im Jahresverlauf konstanten Angebots günstige Voraussetzungen für die Nutzung mittels Wärmepumpen. Das theoretische Potenzial dieses Energielieferanten lässt sich etwa anhand des mittleren Pro-Kopf-Wasserverbrauchs der Schweiz (Haushalte und Industrie) von täglich 400 l abschätzen. Ein grosser Anteil des verbrauchten Frischwassers fällt schliesslich als Abwasser an. Schätzungsweise könnten damit etwa 5 % des schweizerischen Gebäudebestands geheizt werden.[1]

Zum Vergleich: Grundwasser hat meist eine konstante Temperatur von lediglich 8 bis 12 °C, und das Erdreich, das mittels Wärmesonden bis in eine Tiefe von etwa 400 m wirtschaftlich genutzt werden kann, stellt Temperaturen zwischen 10 °C und 20 °C zur Verfügung. Oberflächengewässer können, je nach Jahreszeit, Temperaturen zwischen 0 °C und über 25 °C aufweisen.

Die für die Wärmerückgewinnung aus Abwasser erforderliche Wärmepumpen- und Wärmetauschertechnologie ist seit Jahrzehnten bekannt und hat sich vielfach in der Nutzung von Erdwärme und Oberflächengewässern bewährt. Ganz umsonst steht die Abwasserenergie aber nicht zur Verfügung. Auch hier gilt die Faustregel, dass rund 25 % der gewonnenen thermischen Energie in Form von elektrischer Energie für den Betrieb der Wärmepumpen aufgewendet werden muss. Dieser nicht vernachlässigbare Energiebedarf kann, je nach Herkunft der Elektrizität, die positive Umweltbilanz von Wärmepumpenanlagen wieder relativieren. Wie kann Abwasser genutzt werden?

Für den wirtschaftlichen Betrieb einer Wärmepumpenanlage ist ein ausreichender regelmässiger Wasseranfall und / oder ein Mindestspeichervolumen erforderlich. Auf dem Weg des Abwassers, von der Entstehung bis zur Rückgabe des geklärten Abwassers in ein Gewässer, ist die Nutzung der darin enthaltenen Wärmeenergie grundsätzlich an drei Orten möglich:

– Direkt im oder beim Gebäude, in dem das Abwasser anfällt, durch dezentrale Anlagen, die meist unmittelbar der Heizung des betreffenden Bauwerks dienen.

– In der Kanalisation, auf dem Weg von den einzelnen Gebäuden zum Klärwerk. Da in den Kanalisationen meist kein Speichervolumen zur Verfügung steht und das Abwasser zeitlich unregelmässig anfällt, ist eine wirtschaftliche Wärmerückgewinnung nur in grossen Sammelkanälen mit ausreichender Minimalwasserführung möglich.

– Nach dem Klärwerk bei der Rückgabe des geklärten Abwassers. An dieser Stelle ist die grösste, zeitlich konstante Abwassermenge und damit das grösste Energieangebot nutzbar. Nach der Nutzung des Abwassers ist meist eine minimale Abgabetemperatur in die Kanalisation einzuhalten.

Lokale Wärme aus Hausanlagen

Für häusliches Abwasser kann mit einer Mischtemperatur von 20 bis 28 °C gerechnet werden. In Mehrfamilienhäusern liegt der mittlere für die Wärmerückgewinnung nutzbare Schmutzwasseranteil bei etwa 125 l pro Person und Tag. Ein Abwasserschacht mit konstant gehaltenem Niveau dient als Wärmespeicher. In diesem Schacht ist ein Wärmetauscher-Filtermodul untergebracht (Abb. 3). Dieses filtriert das zufliessende häusliche Abwasser zu Grauwasser, in das der ringförmige Wärmetauscher aus nichtrostendem Stahl eingetaucht ist (vgl. Titelbild S. 19). Das überschüssige Grauwasser wird nach der Nutzung in die Kanalisation abgegeben. Die mit dem Wärmetauscher gewonnene Abwasserwärme wird mit einer Wärmepumpe genutzt. Wird die minimale Temperatur der Medien unterschritten, schaltet sich die Anlage aus, bis wieder warmes Abwasser zufliesst, wodurch ein täglicher Wärmeentzug aus dem Abwasser während 10–18 Stunden möglich ist. Mit passenden Wärmepumpen lassen sich problemlos Warmwassertemperaturen von 60 °C erreichen. Durch die Ausnutzung sämlicher Abwässer eines Gebäudes kann die ganzjährige Warmwasseraufbereitung (ohne Heizung) sichergestellt werden. Zur Deckung des gesamten Wärmebedarfs können mit derselben Wärmepumpe auch andere Wärmequellen genutzt werden. Die erste derartige Anlage wurde nach dem Ölschock Anfang der 1970er-Jahre 1975 in Mels SG installiert.[2] Seither sind in der Schweiz über 200 dezentrale Energiesysteme dieser Bauart in Betrieb genommen worden.

Wärme aus der Kanalisation

Kanalisationen mit ausreichender permanenter Wasserführung für die wirtschaftliche Nutzung der Abwasserwärme finden sich naturgemäss meist in grösseren Städten. In der Schweiz haben Zürich und Luzern Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet. In Zürich wurde der vor 10 Jahren instandgesetzte Hauptsammelkanal Rotbuchstrasse im Stadtteil Wipkingen auf 200 m Länge mit einem Rinnenwärmetauscher ausgerüstet.[2] Er ist in die aufbetonierte Sohle dieses Kanals mit kreisförmigem Querschnitt eingelegt und besteht aus 4 mm starkem Edelstahlblech mit einer Einsatzdauer von mindestens 50 Jahren. Die Schalen des Rinnenwärmetauschers werden zwischen den einbetonierten Eintritts- und Austrittsleitungen quer zur Fliessrichtung des Abwassers von kaltem Wasser durchströmt (Abb. 4). Dieses von den Wärmepumpen kommende Wasser wird auf 10 °C bis 15 °C erwärmt und fliesst durch die Rücklaufleitung in der Sohle zurück.

Auf diesem tiefen Temperaturniveau wird die gewonnene Energie mit sogenannten kalten Fernleitungen zu 7 Heizzentralen transportiert, wodurch die Wärmeverluste minimiert werden. In den lokalen Heizzentralen wird das Temperaturniveau mittels bivalenter Wärmepumpen auf die für Raumheizung und Warmwassererzeugung erforderlichen Werte erhöht. Die Anlage gewinnt pro Stunde bis zu 1000 kWh Energie, was eine Jahresenergieproduktion um 4000 MWh ergibt (Abb. 5), wobei das Abwasser um maximal 2.5 °C abgekühlt wird. Auch in Luzern wurde anlässlich der Sanierung eines Abwasserkanals ein Wärmetauscher eingebaut.[2] Unter dem Hirschengraben in der Altstadt verläuft auf 236 m Länge eine Rinne aus Polymerbeton-Elementen, in die insgesamt 118 Rohrwärmetauscher einbetoniert sind. Bei einer langjährigen mittleren Abwassertemperatur zwischen 10 °C und 20 °C entziehen diese Elemente dem Abwasser ausreichend Energie, um 200 Wohnungen zu beheizen und mit Warmwasser zu versorgen. Auch bei dieser Anlage muss das Temperaturniveau mit einer Wärmepumpe auf 65 °C erhöht werden, um für die Heizung nutzbar zu sein. Die Anlage liefert 70 % des jährlichen Energiebedarfs; der Rest muss durch Erdgas ergänzt werden. Das Sparpotenzial durch die Abwasserwärme wird auf jährlich rund 130 000 l Heizöl geschätzt. Eine kleinere Anlage ist in Luzern seit zwei Jahren in Betrieb: In der Sohle der sanierten Kanalisation Hirschmattstrasse ist auf einer Länge von 60 m ein 0.7 m breiter Plattenwärmetauscher eingebaut worden. Mit der gewonnenen Wärmeenergie wird ein Bürohaus geheizt bzw. gekühlt, wodurch jährlich rund 40 000 l Heizöl eingespart werden.

Abwärmenutzung der ARA Werdhölzli

Das Limmattal nördlich der Stadt Zürich bietet gu?nstige Voraussetzungen für die Nutzung von Abwärme. Gemäss dem Versorgungsplan des Kantons Zürich ist es ein «Gebiet, welches sich aufgrund der Siedlungsstruktur speziell für rohrleitungsgebundene Energieträger eignet». Das im Limmattal gelegene Zürcher Klärwerk Werdhölzli, eine der grössten ARA der Schweiz, weist ein grosses Potenzial auf: Aus dem gereinigten Abwasser liesse sich durch Abkühlung um 3 °C eine Niedertemperaturabwärme von 266 Mio. kWh pro Jahr, etwa soviel wie aus einer grossen Kehrichtverbrennungsanlage, gewinnen. Damit könnten rund 7.5 Mio. m2 Geschossfläche mit Wärme versorgt werden. Gemäss dem kantonalen Versorgungsplan von 1995 ist diese ARA eine «Abwärmequelle von kantonaler Bedeutung».

Das Postzentrum Mülligen im Osten der Stadt Schlieren ist nur etwa 1 km in Luftlinie vom Klärwerk Werdhölzli entfernt. Auf Grund seiner Grösse ist es für die Nutzung der Abwasserwärme prädestiniert. Der 1985 eröffnete, heute unter Denkmalschutz stehende Bau des Architekten Theo Hotz weist ein Gebäudevolumen von 1 Mio. m3 und energieintensive technische Installationen auf. Der hohe Energiebedarf kann durch die Wärmeproduktion der ARA Werdhölzli gedeckt werden. Anlässlich des 2007 erfolgten Umbaus von einem Paketzentrum zu einem Briefsortierzentrum wurde die Energieversorgung deshalb mit der grössten Abwasserenergienutzungsanlage der Schweiz auf Wärme aus Abwasser umgestellt.[2]

Technologie und Betriebsbedingungen

Die Abwassertemperaturen der ARA Werdhölzli liegen zwischen 10 °C und über 22 °C. Damit bestehen gute Voraussetzungen für den Betrieb einer Wärmepumpe im Winter und einer Kältemaschine im Sommer. Das Betriebswasser wird aus dem Spülwasserkanal der Filtration, vor dem Auslauf der ARA, entnommen. Eine Pumpe mit einer Förderleistung von 650 m³/h (ca. 25 % des mittleren Abflusses der ARA) fördert das Betriebswasser durch eine 1.5 km lange Fernleitung (DA 500 HPDE) zum Verteilbauwerk vor dem Postgebäude Mülligen.

In der Energiezentrale des Postzentrums wird das Abwasser durch einen Wärmetauscher geleitet, der mittels eines vom Gewässerschutz vorgeschriebenen Zwischenkreises mit der Wärmepumpe verbunden ist, und zur Limmat zurückgeführt.

Im Oktober 2009 wurde mit der Energiezentrale Rietbach die zweite Anlage des Energieverbunds Schlieren in Betrieb genommen. Sie versorgt verschiedene Liegenschaften und nutzt neben der Abwärme der ARA Werdhölzli auch jene eines Rechenzentrums. Dafür wurde eine zweite Pumpe mit einer Förderleistung von 650 m³/h im Filtrierwerk installiert. Der Energieverbund Schlieren senkt den lokalen Verbrauch an fossilen Energieträgern auf ein Fünftel (Abb. 1, 2 und 6). Der jährliche Bedarf an elektrischer Energie für den Betrieb der Wärmepumpen und der Wärme-Kälte-Maschinen hat sich auf 11 200 MWh nahezu verdoppelt.

Im Winter dient die Abwasserenergie der Raumheizung des Postzentrums, was zu einer unproblematischen Abkühlung des Abwassers führt. Im Sommer erfordern die Anlagen des Postzentrums eine Kühlleistung von 4.9 MW. Die entsprechende Menge Abwärme muss durch eine mit Ammoniak als Kältemittel betriebene Wärme-Kälte-Maschine rückgekühlt werden, die das Abwasser als Kältereservoir nutzt. Dabei erwärmt sich das Abwasser, sodass an Sommertagen die Temperatur der Limmat kritisch werden kann. Die Temperatur des Abwassers darf deshalb 30 °C nicht überschreiten; die Temperatur des Limmatwassers muss unter 25 °C, der oberen Grenze für die Einleitung von Kühlwasser in ein Gewässer, liegen.


Anmerkungen:
[01] Aktion «EnergieSchweiz für Infrastrukturanlagen» www.infrastrukturanlagen.ch
[02] Kontakte: – Hausanlagen: FEKA - Energiesysteme AG, Bad Ragaz – Wärmeverbund Wipkingen, Zürich: ewz, Energiedienstleistungen, Zürich – Abwasserkanal Hirschengraben, Luzern: ewl, Wärmetechnik AG, Zürich – Energieverbund Schlieren: ewz, Energiedienstleistungen, Zürich

TEC21, Fr., 2010.09.03



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2010|36 Nach dem Abfluss

16. Juni 2008Aldo Rota
TEC21

Mut zur Brücke

Mut hat der Kanton St. Gallen bewiesen, als er sich, anstelle einer konventionellen Strassensanierung im Taminatal, für den Bau einer hohen Brücke über das Tal entschied. Gespart hat er dabei auch, denn die Brücke ist langfristig wirtschaftlicher als die Reparatur der rutschgefährdeten alten Strasse.

Mut hat der Kanton St. Gallen bewiesen, als er sich, anstelle einer konventionellen Strassensanierung im Taminatal, für den Bau einer hohen Brücke über das Tal entschied. Gespart hat er dabei auch, denn die Brücke ist langfristig wirtschaftlicher als die Reparatur der rutschgefährdeten alten Strasse.

Das Taminatal bildet die südliche Spitze des Kantons St. Gallen. Es verläuft ungefähr von Süd nach Nord und mündet beim Kurort Bad Ragaz auf rund 500 m ü. M. ins Tal des Alpenrheins. Im unteren, nördlichen Drittel des Tals fliesst die Tamina durch eine tief eingeschnittene Schlucht, die die an den Talflanken angelegten Siedlungen trennt (Bild 2 im folgenden Beitrag). Bekannt ist die Taminaschlucht wegen der in ihrem engsten Abschnitt entspringenden Thermalquelle. Mit Ausnahme des Talausgangs bei Bad Ragaz gehören das Taminatal und seine Seitentäler zur ca. 1600 Einwohner zählenden politischen Gemeinde Pfäfers. Auf dem fast 130 km2 umfassenden Gemeindegebiet bestehen die Ortschaften Pfäfers, St. Margrethenberg, Vadura, Valens, Vasön und Vättis. Der Hauptort Pfäfers ist auf einer Geländeterrasse am orografisch rechten Hang, ca. 300 m über dem Talgrund, am Talausgang bei Bad Ragaz gelegen. Gegenüber, am linken Talhang, wurde 1970 in Valens eine heute international renommierte Rehabilitationsklinik erstellt.

Erschlossen wird das Taminatal durch je eine oberhalb der Schlucht angelegte Strasse auf jeder Talseite. Beide Strassen gehen vom Ortszentrum von Bad Ragaz aus und gewinnen zunächst mit mehreren Kehren in den bewaldeten steilen Hängen des Tamina- bzw. Rheintals etwa 300 m Höhe über dem Talboden. Die Pfäferser Strasse auf der rechten Talseite weist das höhere Verkehrsaufkommen, den besseren Ausbaustandard und den besseren Zustand auf. Die kürzeste Strassenverbindung zwischen Pfäfers und Valens führt durch den Dorfkern von Bad Ragaz. Die linksseitige Valenserstrasse ist mehrheitlich in einem schlechten baulichen Zustand. Zwischen Bad Ragaz und Valens liegt sie in einem aktiven Rutschgebiet, das seit je immer wieder Probleme verursacht hat, sodass in den letzten Jahrzehnten verschiedene lokale Rutschsanierungen vorgenommen wurden. Aufgrund der geologischen Risiken genügt die Valenserstrasse auf weiten Strecken den heutigen und künftigen Anforderungen nicht mehr. Eine Sanierung der Strassenverbindung zwischen Bad Ragaz und Valens ist unumgänglich. Aufgrund des guten Zustandes der Pfäferser Strasse erscheint auch eine talquerende Brücke zwischen Pfäfers und Valens als valable Alternative. Die Gemeinden Bad Ragaz und Pfäfers haben deshalb im Jahr 2005 je ein Vorprojekt für die Instandsetzung der bestehenden Valenserstrasse und für die Überquerung des Taminatals zwischen den bestehenden Talstrassen durch das Ingenieurbüro Bänziger Partner AG, Buchs, ausarbeiten lassen. Für das Vorprojekt «Instandsetzung» wurden als Varianten eine mittelfristige Lösung mit einem Zeithorizont von 5−10 Jahren und Kosten von 815 000 Fr. (Minimallösung) und eine Standardlösung mit einem Zeithorizont von 20−30 Jahren und Investitionskosten von 15.8 Mio. Fr. vorgelegt.

Das Vorprojekt für eine talquerende Brücke umfasst als 1. Etappe ein Brückenbauwerk von ca. 390 m Gesamtlänge (Bilder 2−5) und den Anschluss Pfäfers mit Kosten von 21.9 Mio. Fr., der in der 2. Ausbauetappe für 8.07 Mio. Fr. zu einer vollwertigen Umfahrung ergänzt werden kann (Bild 1). Gesamthaft betrachtet ist eine neue Talquerung die langfristig wirtschaftlichere Lösung. Sie wird durch den Kanton St. Gallen als Bauherr realisiert. Während der Bauzeit wird der Verkehr noch über die minimal instandgesetzte bestehende Strasse geführt. Im Mai 2007 schrieb der Kanton für das Projekt der Brücke über die Tamina einen öffentlichen Projektwettbewerb für Ingenieurarbeiten im einstufigen Verfahren aus. Über die Kriterien und das Ergebnis des soeben entschiedenen Wettbewerbs informieren die folgenden Beiträge.

TEC21, Mo., 2008.06.16



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2008|25 Taminabrücke

07. Mai 2007Aldo Rota
TEC21

Lautlos Fliegen dank elektroaktiven Folien

Unter den aktuellen Werkstoffentwicklungen gehören die elektroaktiven Polymere (EAP) zu den innovativsten Ansätzen. Durch direkte Umwandlung von elektrischer Energie in mechanische Arbeit können sie dem Muskelgewebe vergleichbare Funktionen ausüben. Mit diesen Materialien realisieren Forscher an der Empa jezt ein der Natur bzw. den Fischen abgeschautes, lautloses Antriebskonzept für Luftschiffe.

Unter den aktuellen Werkstoffentwicklungen gehören die elektroaktiven Polymere (EAP) zu den innovativsten Ansätzen. Durch direkte Umwandlung von elektrischer Energie in mechanische Arbeit können sie dem Muskelgewebe vergleichbare Funktionen ausüben. Mit diesen Materialien realisieren Forscher an der Empa jezt ein der Natur bzw. den Fischen abgeschautes, lautloses Antriebskonzept für Luftschiffe.

Für moderne Transport- und Trägersysteme werden seit einigen Jahren wieder Konzepte «leichter als Luft»[1] in Betracht gezogen. Während Starrluftschiffe (Zeppeline) zwischen 1900 und dem 2. Weltkrieg erfolgreich eingesetzt wurden, sind in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die halbstarren Luftschiffe (Cargolifter, Zeppelin NT) oder reine Prallluftschiffe in den Vordergrund gerückt. Die starren und halbstarren Luftschiffe beanspruchen einen enormen Platz für die Lagerung. Demgegenüber sind die Prallluftschiffe im Prinzip entleerbar und können so auf einem viel kleineren Raum gelagert werden. [2]

Der Antrieb von Luftschiffen wird über Propeller oder Impeller erzeugt. Drehmotoren bringen dabei ihre Leistung über eine rotierende Welle auf einen mit 1000 – 3000 Umdrehungen pro Minute drehenden Propeller/Impeller mit einem typischen Duchmesser von ca. 2 m, was naturgemäss mit einer beträchtlichen Lärmentwicklung verbunden ist. Im stationären Horizontalflug sind der Vortrieb des Propellerstrahls und der Luftwiderstand des Luftschiffkörpers im Gleichgewicht. Infolge der grossen Geschwindigkeitsdifferenz zwischen der Luft hinter dem Luftschiffkörper (Nachlauf) und der Luft hinter dem Propeller hat dieses Antriebskonzept bei Luftschiffen einen schlechten Wirkungsgrad.[3]

Schwanzflossenschlag als Vortrieb

Fische müssen ebenfalls einen Vortrieb erzeugen, um im Wasser die hydrodynamische Widerstandskraft kompensieren zu können. Die Forelle erzeugt den Vortrieb durch eine oszillierende Biegung des Rumpfes und eine entgegengesetzt gerichtete Biegung der Schwanzflosse (Bild 1).

Das Vortriebskonzept der Forelle durch Wechselwirkung zwischen den beiden gekoppelten Biegeschwingungen, als oszillatorischer Antrieb bezeichnet, hinterlässt hinter dem Fischkörper stehende Wirbel (Bild 2). Die technische Vereinfachung, die die beiden Körperbiegungen auf die Drehung dreier starrer Körper gegeneinander reduziert, wird als «Biege-Dreh-Schwanzschlag» bezeichnet. Mit hydrodynamischen Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass damit ebenfalls ein Vortrieb erreicht werden kann und dass diese Vortriebsart wesentlich effizienter ist als heute bekannte technische Lösungen. Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass der Ort, an dem der Antrieb erzeugt wird, mit dem Ort zusammenfällt, an dem der Widerstand erzeugt wird. Damit gibt es hinter dem Fisch weder einen Nachlauf noch einen durch seitliche Propeller erzeugten Wasserstrahl, es bleiben nur an Ort stehende Wirbel zurück, die wenig Energie beinhalten.

Dieses Antriebskonzept ermöglicht es auch, eine seitliche Kraft auf den Körper auszuüben. Erfolgt die Biegebewegung nicht symmetrisch nach links und rechts, kann eine Richtungsänderung erreicht werden. Eine überlagerte Biegung des Rumpfes nach oben oder unten kann entsprechend auch eine Richtungsänderung in der Vertikalen ergeben (beispielsweise bei Walen).

EAP-Technologie an der EMPA

Seit einigen Jahren ist in Robotik und biomedizinischer Technik ein neues Aktorprinzip, die elektroaktiven Polymere (EAP), erforscht worden.4 Dieses ist geradezu prädestiniert für einen dem Flossenschlag der Fische nachempfundenen Luftschiffantrieb. Die häufigste Bauart sind die so genannten Dielektrischen EAP, die nach dem Prinzip eines verformbaren elektrostatischen Kondensators elektrische Energie direkt in mechanische Arbeit umwandeln.

Ein Elastomerfilm (Acryl oder Silikon) liegt zwischen zwei sehr nachgiebigen Elektroden (beispielsweise Grafitpulver-Schichten). Wird eine elektrische Spannung von ca. 5 kV an die Elektroden angelegt, werden elektrostatische Anziehungskräfte zwischen den beiden Elektroden erzeugt. Dadurch wird der Elastomerfilm senkrecht zur Ebene gequetscht. Da ein Elastomer praktisch inkompressibel ist, muss die Stauchung durch eine Flächenvergrösserung kompensiert werden. Diese Verformung kann genutzt werden, um mechanische Arbeit an der Umgebung zu leisten. Der entstehende Elektrodendruck ist abhängig von der elektrischen Spannung, der Schichtdicke des Elastomerfilmes und systemspezifischen Material- respektive Naturkonstanten.
An verschiedenen Prototypen (z. B. planare Aktoren, einschichtige und mehrschichtige, gerollte und faserartige Aktoren) wurde das Wirkprinzip erprobt. Anwendungen sind denkbar als Pumpen, Lautsprechermembranen oder als Stellglieder für die Automation. Bis heute ist noch keine kommerzielle Umsetzung erfolgt.
Die weitere Entwicklung umfasst die Optimierung der Beschichtung, die Verringerung der Schichtdicken und die Bereitstellung von effizienten Herstellprozessen. Eines der anvisierten Anwendungsgebiete ist die biomedizinische Technik, denn künstliche EAP-Muskeln sind bei vergleichbarer Leistungsfähigkeit etwa gleich gross und gleich schwer wie natürliche Muskeln. Dank ihrer hohen Elastizität können sie sich ebenfalls unzählige Male ausdehnen und wieder zusammenziehen. Bereits im März 2005 fand am California Institute of Technology in San Diego eine ­publikumswirkame «Weltmeisterschaft im Armdrücken mit Robotern» statt. Der aus über 250 zylinderförmigen EAP-Muskelsträngen aufgebaute Empa-Kraftarm verlor dabei aber ebenso kläglich wie seine amerikanischen Konkurrenten gegen eine 17-jährige Studentin, was weniger auf die theoretisch verfügbare Kraft als auf die ungenaue Aktivierung zurückzuführen war. Seither sind bezüglich der Steuerung von EAP aber schon grosse Fortschritte erzielt worden.

Beim Empa-Luftschiff fungieren die «EAP-Muskeln» als Teil der Hülle, im Vergleich zum konven­tionellen propellergetriebenen Luftschiff verschmilzt gewissermassen der «Motor samt Getriebe» mit dem Körper des Luftschiffs (Bild 3). Bis anhin ist an der Empa die Anwendbarkeit von EAP im Luftschiffbau allerdings erst für die konventionelle Steuerung von Prallluftschiffen mittels Rudern an vereinfachten Modellen nachgewiesen worden (Bild 4).

Machbarkeit des Oszillatorischen Antriebs

Ein Fisch im Wasser und ein Luftschiff in der Luft sind beides Körper, die sich in einem Fluid bewegen. Daher sind die fluiddynamischen Gesetzmässigkeiten gültig. Die Ähnlichkeitstheorie besagt, dass Resultate einer geometrisch ähnlichen Modellanordnung vollständig auf das Original übertragbar sind, falls die charakteristischen hydrodynamischen Kenngrössen gleich sind.[5]

Beim Fisch und seinem Schwanzschlag sind nebst den Druckkräften die Trägheitskräfte, die Reibungskräfte und die Kräfte infolge des instationären Strömungsanteils relevant. Eine Modellrechnung hat ergeben, dass ein 6 m langes Luftschiff, das mit 1 m / s durch die Luft gleitet, mit den Verhältnissen bei einer Forelle vergleichbar ist, die 0.3 m lang ist und mit 1.2 m / s durch Wasser schwimmt, wenn das Luftschiff geometrisch ähnliche Bewegungen mit einer Frequenz von ca. 0.2 Hz ausführen kann (Amplitude des Schwanzschlages = 1.2 m). Der oszillatorische Antrieb für Prallluftschiffe ist demnach aerodynamisch machbar.

Ein Prallluftschiff muss sein Eigengewicht und die Nutzlast mittels des aerostatischen Auftriebs kompensieren können. Zudem müssen Auftriebsverteilung und Gewichtsverteilung derart sein, dass das Luftschiff in seiner horizontalen Lage stabil ist. Die erste Bedingung liefert bei vorgegebenem Eigengewicht pro Hüllenfläche die minimale Grösse, damit ein Schwebezustand erreichbar ist. Die aerodynamisch günstigste Form kann wiederum aus den Formen der Fische abgeleitet werden, denn die Ähnlichkeitstheorie ist auch hier gültig. Fische weisen ein Verhältnis Breite zu Länge von 0.18 bis 0.24 auf und liegen damit nahe beim optimalen Grössenverhältnis, das zu ­minimalem Widerstand führt. Als einfache technische Form für das Prallluftschiff im passiven Zustand wurde ein Ellipsoid von 6 m Länge und mit einem Dickenverhältnis von 0.25 gewählt. Im aktivierten Zustand wird dieser Form durch EAP-Folien eine doppelte Krümmung überlagert.

Die Analyse der Bewegung der Forelle zeigt, dass im Wesentlichen zwei gegenläufig schwingende Biegungen des Körpers notwendig sind, um Vortrieb zu erreichen (einfachster Fall ist der Biege-Dreh-Schlag). Die erste Biegung ist eine Rumpfbiegung, die zweite Biegung ist im Übergangsbereich von Rumpf zu Schwanz. Beide Biegungen erreichen beim Start der Forelle einen Krümmungsradius von ca. der doppelten Breite des Rumpfes an dieser Stelle (R / d = 2). Im nicht ­beschleunigten Schnellschwimmen sind die Krümmungsradien grösser (R / d = 0.5). Mittels einfacher Geometrie kann gezeigt werden, dass für die Haut der Forelle (Hülle des Prallluftschiffes) Dehnungen von bis zu 50 % notwendig sind, um diese Biegungen erzeugen zu können.

Aktive Hülle

Die Hülle des Prallluftschiffes wird aus den zwei funktionellen Lagen, der Stützhülle und der EAP-Beschichtung, aufgebaut. Die Stützhülle ist eine formstabile, flexible, möglichst leichte, gasdichte Membran. Idealerweise weist sie eine hohe Zugfestigkeit bei einer geringen Zugnachgiebigkeit und einer sehr hohen Nachgiebigkeit im Druckbereich auf (Faltenbildung möglich). Metallisch bedampfte Ballonhüllen sind relativ reissfest, da sie aus zähem Kunststoff bestehen. Sie sind dank der metallischen Bedampfung sehr gasdicht und lassen sich zudem gut falten.

Die EAP-Beschichtung besteht aus mindestens einer Lage eines Sandwichaufbaus (leitende Schicht, dielektrische Folie, leitende Schicht). Falls diese EAP-Beschichtung im aktivierten Zustand mit der gestrafften Stützhülle (Zustand ohne Falten) vereint wird, weist die Gesamthülle spezifische Eigenschaften auf: Im allseits aktivierten Zustand kann unter kontrolliertem leichtem Überdruck die Hülle in die Grundform gebracht werden. Der Innendruck führt zu einer Zugvorspannung der Gesamthülle, wodurch diese ihre Grundform einnimmt. Werden nun Teilbereiche der Hülle deaktiviert, erfolgt in diesen Zonen eine Schrumpfung der EAP-Schicht. Da der Widerstand der Stützhülle gegen Stauchung klein ist, wird diese lokal gefaltet. Damit ist eine Schrumpfung der Hüllenfläche in diesen Zonen erreicht. Da EAP-Aktoren bis über 200 % Dehnung im aktivierten Zustand erreichen, sollte eine lokale Schrumpfung von 50 % im deaktivierten Zustand ­erreichbar sein. Die geforderte Bewegung des Luftschiffkörpers durch lokale Dehnungen der Hülle kann somit mittels EAP-Beschichtung erzeugt werden.

Anwendungen

Ein dem Fischflossenschlag nachempfundener Antrieb für Luftschiffe ist sehr effizient, weil er aus aerodynamischer Sicht einen hohen Wirkungsgrad erzielt. Wird die doppelte Biegeschwingung mittels EAP realisiert, ist auch diese Umsetzung relativ effizient, denn die EAP-Aktoren setzen elektrische Energie mit einem hohen Wirkungsgrad bis zu 70 % direkt in mechanische Arbeit um (ein Verbrennungsmotor erreicht – bezogen auf den Antrieb – einen Wikungsgrad von 25 % bis 30 %). Denkbar ist, dass die elektrische Energie von flexiblen Solarzellen auf der Oberseite der Luftschiffhülle, die genügend Sonneneinstrahlung empfängt, erzeugt wird (z. B. Projekt Lotte der Universität Stuttgart[6]). Da mit diesem Antriebskonzept keine grossen Geschwindigkeitsdifferenzen erzeugt werden, ist es äusserst leise, was für den bevorzugten Einsatz zur Umweltbeobachtung günstig ist.[2] Ein grosses Potenzial besteht für EAP-angetriebene Luftschiffe mit Ersatz für teure Satelliten oder laute Helikopter im Telekommunikationsbereich, insbesondere als Kommunikationsplattform, gewissermassen als schwebende Antennen, für die Mobiltelefonie oder als Träger für Fernsehausrüstung bei Veranstaltungen.

TEC21, Mo., 2007.05.07



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2007|17-18 Baustoffe

Sondermülldeponie Kölliken

Mehr als 20 Jahre nach ihrer Schliessung soll im November dieses Jahres der Rückbau der Sondermülldeponie Kölliken, der grössten Altlast der Schweiz, beginnen. Bis Ende 2012 werden rund 550 000 Tonnen Abfälle sowie verunreinigter Untergrund abgetragen und entsorgt. Der Aufwand, um dabei jegliche Emissionen in die Umwelt zu vermeiden, ist enorm.

Mehr als 20 Jahre nach ihrer Schliessung soll im November dieses Jahres der Rückbau der Sondermülldeponie Kölliken, der grössten Altlast der Schweiz, beginnen. Bis Ende 2012 werden rund 550 000 Tonnen Abfälle sowie verunreinigter Untergrund abgetragen und entsorgt. Der Aufwand, um dabei jegliche Emissionen in die Umwelt zu vermeiden, ist enorm.

Als die Sondermülldeponie im aargauischen Kölliken (SMDK) 1978 eröffnet wurde, galt sie als eine Pionierleistung für den Umweltschutz. Denn mit der Möglichkeit für eine geordnete Ablagerung umweltschädlicher und giftiger Abfälle aus Industrie und Gewerbe sollte die wilde und illegale Entsorgung eingedämmt werden. Doch schon 1985 – die Deponie war gerade erst zu zwei Dritteln gefüllt – verfügte der Gemeinderat Kölliken nach anhaltenden Protesten der Anwohner wegen Geruchs- und Staubbelastungen die Schliessung der Deponie. Erst danach stellte sich heraus, dass ausserdem schadstoffbelastetes Sickerwasser aus der Deponie permanent in den Untergrund vordringt und damit den nur 30 m im Abstrom der Deponie liegenden Grundwasserleiter, die so genannte Kölliker Rinne, gefährdet (Bild 3). Das einstige Vorzeigeprojekt entpuppte sich als grösste Altlast der Schweiz, wurde zum Medienskandal und zum Politikum.

Fehlende Erfahrungen mit Deponien

250 000 m³ Sonderabfälle aus der Schweiz, Deutschland und Italien waren in der ehemaligen Tongrube ohne jegliche Basisabdichtung direkt auf dem Molassegestein abgelagert worden. Als einzige Schutzmassnahme gegenüber dem Untergrund wurde ein rudimentäres Drainagesystem in die Deponiesohle eingebaut (Bild 1). Es gab auch kein Gasfassungssystem, sodass die beim biologischen Abbau der Abfälle entstehenden Gase ungehindert entweichen konnten. Dies entsprach dem damaligen Stand der Technik, als man noch kaum Erfahrungen mit dem Bau von Deponien hatte. In der Deponie wurden die verschiedensten Sonderabfälle durcheinander abgelagert, beispielsweise schwermetallhaltige Galvanikschlämme, Salzschlacke aus dem Aluminium-Recyc­ling, ölverschmutztes Aushubmaterial und Produktionsrückstände der chemischen Industrie. Die problematischsten Abfälle in Kölliken sind leichtlösliche Salze und chlorierte Kohlenwasserstoffe, die über Sickerwasser bzw. Ausgasung in die Umwelt gelangen.
In den letzten Jahren setzte das Konsortium Sondermülldeponie Kölliken, an dem die Kantone Aargau und Zürich mit je 412⁄3% sowie die Stadt Zürich und die Basler Chemiegruppe mit je
81⁄3% beteiligt sind, alles daran, vom Buhmann wieder zum Musterknaben zu werden. In den kommenden Jahren wird die Deponie rückgebaut, sodass in knapp zehn Jahren ein völlig unbe­­-las­tetes Areal für eine neue Nutzung zur Verfügung stehen wird.

Nachträgliche Sicherungsmassnahmen

Diskutiert hatte man den Rückbau der Deponie zwar schon seit Jahren, lange galt er jedoch als technisch und finanziell nicht machbar. Stattdessen arbeitete man in den Jahren nach der Schliessung der Deponie an nachträglichen Sicherungsmassnahmen. Im Vordergrund stand dabei einerseits die Fassung der Deponiegase, unter deren Gestank die Anwohner litten. Dafür wurden über den gesamten Deponiekörper verteilt Rammsonden installiert. Die gesammelten Gase werden seitdem in zwei Hochtemperaturöfen bei 900°C verbrannt.

Der zweite Schwerpunkt bei der Sicherung der Deponie lag auf hydraulischen Massnahmen, um das verschmutzte Sickerwasser in den Griff zu bekommen (Bild 4). So wurde die Deponieoberfläche abgedeckt, um das Eindringen von Niederschlagswasser zu unterbinden. Ausserdem wurde eine Hang-Drainage auf der Nordseite oberhalb der Deponie gebaut (Abschirmung Nord), mit der aus den oberen Bodenschichten in die Deponie fliessendes Wasser in den Vorfluter abgeleitet werden kann. Eine weitere hydraulische Abschirmung im Abstrom der Deponie (Abschirmung Süd) fasst einen grossen Teil des trotzdem noch anfallenden Sickerwassers. Sie besteht aus 130 vertikalen Drainagebohrungen im Abstand von 4 m, welche die Deponie auf der Südseite u-förmig umfassen. Im Fussbereich der Brunnenreihe verläuft ein rund 600 m langer, begehbarer Werkstollen (Bild 2), in dem das gefasste Wasser über ein Rohrsystem zur Deponie-eigenen Kläranlage geleitet wird.
Wie wirksam diese Massnahmen sind, wird mit mehr als 200 Piezometern (Beobachtungsrohren) im Umfeld der Deponie überprüft. In den Piezometern werden gewisse Leitparameter für die Wasserqualität permanent überwacht. Ausserdem werden regelmässig Proben für umfassende Analysen im Labor entnommen. Gemäss den Messergebnissen scheinen momentan keine Schadstoffe mehr aus der Deponie auszutreten. Im Gegenteil sind die Verschmutzungswerte im Umfeld der Deponie seit Inbetriebnahme der Abschirmung Süd deutlich zurückgegangen. Für den Fall, dass trotzdem der Durchbruch von verschmutztem Sickerwasser bis in den Grundwasserleiter der Kölliker Rinne festgestellt werden sollte, wurde eine Interventionsmöglichkeit geschaffen: In der Kölliker Rinne wurden quer zur Strömungsrichtung 14 Pumpbrunnen als hydraulische Bar­riere eingebaut. Damit könnte verunreinigtes Grundwasser komplett abgepumpt werden, sodass keine Gefahr für das 4 km stromabwärts gewonnene Trinkwasser besteht.

Planung der Gesamtsanierung

So gesichert hätte man die Deponie im Grunde die nächsten Jahrzehnte oder Jahrhunderte weiterbestehen lassen können. Allerdings hätte man damit auch das nach wie vor bestehende Risiko für Schadstoffaustritte in die Umwelt an künftige Generationen vererbt sowie die Verpflichtung, die technisch und finanziell aufwändigen Sicherungsmassnahmen permanent weiter zu betreiben. Dies lässt die seit 1998 gültige Altlastenverordnung des Bundes jedoch nicht mehr zu. Das Konsortium der SMDK suchte daher 1999 mit einem international ausgeschriebenen Ideenwettbewerb nach Möglichkeiten für eine komplette Sanierung der Deponie. Die besten Ideen aus vier ausgewählten Studien führte die österreichische Ingenieurgemeinschaft ASA Inerta / GUT bis Ende 2001 in einem Vorprojekt zusammen. Es zeigt, dass der Rückbau mittlerweile technisch möglich und die ordnungsgemässe Entsorgung der ausgehobenen Inhaltsstoffe realisierbar ist. Daraufhin wurde der Ingenieurgemeinschaft URS, Deutschland / Basler & Hofmann, Zürich, der Auftrag für die Erarbeitung eines Sanierungs- und Bauprojektes erteilt. Im Juni 2003 erliess die Abteilung Umwelt des Kantons Aargau die Sanierungsverfügung. Ziel ist es, alle abgelagerten Abfälle vollständig auszuräumen und zusätzlich den Untergrund der Deponie so weit abzubauen, dass von ihm keine wesentlichen Schadstoffemissionen mehr ausgehen können. Im Juli 2004 wurde die Baubewilligung erteilt und im März 2005 mit den Bauarbeiten begonnen.

Umfassender Schutz von Mensch und Umwelt

Die Sicherheitsvorkehrungen, um bei diesem Projekt in bewohntem Gebiet (Bild 8) die Belas­tungen der Anwohner mit Gestank, Staub und Lärm zu minimieren, sind enorm. Das gesamte Deponieareal wird mit drei Hallen überdacht (s. Kasten S. 18 und Bild 9): der Abbauhalle, der Manipulationshalle und der Lagerhalle. Die Lagerhalle kommt im östlichen, nicht mit Abfall verfüllten Teil des Deponiegeländes zu stehen. Im Untergeschoss befindet sich der Wasserkeller mit verschiedenen Becken. Ein Regenrückhaltebecken sorgt dafür, dass der Dachabfluss von den Hallendächern dosiert in den Vorfluter abgegeben wird. Ein weiteres Becken beinhaltet einen Vorrat an Löschwasser für den Brandfall, das nach Gebrauch in einem dritten Becken aufgefangen und der Kläranlage zugeführt werden kann. In der Lagerhalle kann die Abbaumenge von mehreren Tagen in Spezialcontainern verpackt für den Abtransport zwischengelagert werden (Bild 12).

Im Anschluss an die Lagerhalle wird die Manipulationshalle errichtet. Da sie bereits im verfüllten Teil der Deponie steht, wird sie in einer ersten Phase als Abbauhalle genutzt und erst nach Ausräumen der Sonderabfälle zur eigentlichen Manipulationshalle umgebaut.
Die grösste Halle ist die Abbauhalle, die sich an die Manipulationshalle anschliesst. Hier wird im November dieses Jahres mit dem Rückbau begonnen.

In allen Bereichen, in denen die Sonderabfälle offen liegen, den so genannten Schwarzbereichen, sorgen umfangreiche Schutzmassnahmen dafür, dass weder die Beschäftigten in Kontakt mit den Schadstoffen kommen noch Schadstoffe in die Umwelt entweichen können. In den luft- und staubdichten sowie lärmgedämmten Hallen herrscht ein permanenter Unterdruck. Zugänglich sind sie nur über Unterdruckschleusen. Die Beschäftigten arbeiten mit Schutzkleidung und Atemschutzgeräten bzw. die Geräteführer in luft- und staubdichten Fahrerkabinen mit eigener Atemluftversorgung. Die Abluft aus den Schwarzbereichen wird abgesaugt und in einer dreistufigen Abluftreinigungsanlage – bestehend aus Partikelfilter und zwei Aktivkohlefiltern – gereinigt. Auch die Abluft aus den Weissbereichen, also den Bereichen, wo der Sondermüll bereits geruchsdicht verpackt ist, wird einstufig über einen Aktivkohlefilter geleitet. Sämtliches Schmutzwasser, das in der Deponie anfällt, wird weiterhin in der Deponie-eigenen Kläranlage gereinigt.

Ablauf des Rückbaus

Um die gesamte Deponie rückzubauen, müssen schätzungsweise 545 000t Material ausgehoben werden. Davon sind 375 000t Sondermüll, 75 000t verunreinigtes Material von der Deponiesohle und 95 000t von der Oberflächenabdichtung. Vorgesehen ist, pro Tag 500t des in Fässern, Säcken sowie lose eingelagerten Sondermülls lagenweise von oben nach unten abzutragen (Bild 10). Die Deponiesohle soll bis durchschnittlich 1 m Tiefe ausgehoben werden. Gearbeitet wird dabei mit Baggern mit angehängten Tieflöffeln, Fassgreifern, Big-Bag-Greifern, Gabeln und Ladeschaufeln. Loses Material wird über Förderbänder in die Manipulationshalle transportiert und dort nach Augenschein zu Chargen mit gleichartigem Material zusammengefasst. Geborgene Fässer und Säcke werden in Transportwannen gestellt, auf eine horizontale Förderanlage gehoben und ebenfalls in die Manipulationshalle transportiert. Hier werden alle Chargen mit Robotergeräten beprobt und im Labor analysiert. Entsprechend den Analyseergebnissen werden die Abfälle dann geeignet verpackt und beschriftet und einem der Entsorgungswege zugewiesen (Bild 11).

Ein grosser Teil des Deponiematerials wird dabei mit der Bahn zu den Entsorgungseinrichtungen im In- und Ausland transportiert. Dafür erhält die Deponie einen eigenen Bahnanschluss. Da dieser aber erst nach Abschluss des Rückbaus im Bereich der Manipulationshalle gebaut werden kann, wird das Deponiegut in der ersten Sanierungsphase mit LKW abtransportiert.

Entsorgung

Ein Teil des ausgehobenen Materials kann rezykliert werden, beispielsweise in der Bodenwaschanlage ESAR in Rümlang, in Anlagen für Schlackenrecycling und in thermischen Bodenbehandlungsanlagen. Der Rest wird in Sondermüll- oder Kehrichtverbrennungsanlagen verbrannt bzw. in Rest- und Inertstoffdeponien sowie in Untertagedeponien eingelagert. Welche Anteile wie und wo entsorgt werden, lässt sich bisher nur grob abschätzen, da die Abfälle bei der Ablagerung nur ungenau dokumentiert wurden und zwischenzeitlich auch Querkontaminationen durch das in die Deponie eindringende Wasser stattgefunden haben. Ganz anders nun beim Rückbau: Der Weg der Abfälle wird von der Abbaustelle über die Analyse bis zur Entsorgung minutiös in einem Deponiemanagementsystem erfasst.

Genau überwacht werden während der Sanierung auch alle möglichen Emissionen in die Umwelt. So wird das Grundwasser mittels des bestehenden Messstellennetzes beobachtet. Die Abluft und die Luftqualität im Nahbereich der Deponie werden permanent kontrolliert, Erschütterungen und Lärm bei Bedarf gemessen sowie Böden und Pflanzen im Einzugsgebiet der Deponie beobachtet.
Ist die Deponie Ende 2012 fertig geräumt, wird mit einer Rasterbeprobung überprüft, ob wirklich alle Schadstoffe beseitigt wurden. Anschliessend werden die Hallen demontiert und das ehemalige Deponiegelände mit einer 50cm mächtigen Bodenschicht vorläufig rekultiviert. Die endgültige Auffüllung und Rekultivierung erfolgt erst nach einer Überwachungsphase von 3 bis 5 Jahren, in der man vor allem beobachtet, ob noch Schadstoffe ins Grundwasser gelangen.

Kosten

Die Gesamtsanierung der Deponie in Kölliken lässt sich das Konsortium einiges kosten: schätzungsweise 445Mio.Franken. Auf zusätzliche 140Mio.Franken belaufen sich die Kosten, die seit
der Schliessung für den Betrieb und den Bau der Sicherungsmassnahmen angefallen sind.

Daneben nehmen sich die Einnahmen während der Betriebszeit der Deponie fast schon lächerlich aus: 50 bis 70Franken kostete die Entsorgung eines Kubikmeters Abfall. Bei 250 000 m³ eingelagertem Sondermüll macht das rund 15Mio.Franken, von denen nach Schliessung der Deponie noch knapp 2Mio. als Rückstellungen zur Verfügung standen.

TEC21, Mo., 2007.02.26



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2007|09 Belastendes Erbe

16. Juni 2006Aldo Rota
TEC21

Machbar und bezahlbar

Die Vision - heute konkreter das Projekt - Porta Alpina bewegt die Gemüter auch weit ausserhalb ihres Ursprungsgebiets im Bündner Oberland. Expertenmeinungen und Laienansichten verschiedenster Fachrichtungen, von nationaler Finanzpolitik bis zu lokaler Ortsplanung, ergeben ein kontroverses Bild. Unabhängig vom politischen Entscheidungsprozess ist die aktuelle Planung schon so weit fortgeschritten, dass der Realisierung aus technischer Sicht nichts im Weg steht.

Die Vision - heute konkreter das Projekt - Porta Alpina bewegt die Gemüter auch weit ausserhalb ihres Ursprungsgebiets im Bündner Oberland. Expertenmeinungen und Laienansichten verschiedenster Fachrichtungen, von nationaler Finanzpolitik bis zu lokaler Ortsplanung, ergeben ein kontroverses Bild. Unabhängig vom politischen Entscheidungsprozess ist die aktuelle Planung schon so weit fortgeschritten, dass der Realisierung aus technischer Sicht nichts im Weg steht.

Die Porta Alpina baut auf dem im Enstehen begriffenen Gotthard-Basistunnel (GBT) auf, weshalb zunächst die relevanten Merkmale dieses Schweizer Jahrhundertbauwerks rekapituliert werden: Der rund 57km lange GBT, der voraussichtlich 2015/16 in Betrieb genommen wird, besteht aus zwei parallelen eingleisigen Tunnelröhren mit ca. 7.7 m Innendurchmesser im Achsabstand von rund 40 m, die alle 312 m durch Querschläge verbunden sind. Ausser von den Portalen Erstfeld und Bodio wird der GBT auch von den Zwischenangriffen Amsteg, Sedrun und Faido aus aufgefahren (Bild 1). Die Zwischenangriffe Sedrun und Faido sind grob in den Drittelspunkten der Tunnellänge angeordnet und werden auf Tunnelniveau zu so genannten Multifunktionsstellen (MFS) für den Tunnelbetrieb ausgebaut. Der Zwischenangriff Amsteg liegt nur ca.7.4km vom Portal Erstfeld entfernt und wird nicht als MFS ausgebaut.

Rettung im Tunnel

Die MFS (Bild 2) fungieren als Gleisverbindungen für Tunnelwechsel in beiden Fahrtrichtungen, Tunnellüftungsstationen (Zu- und Abluft) für normalen Lüftungsbetrieb und Ereignislüftung (Brand im Tunnel), Technikstationen für Energieversorgung und Bahnbetrieb und als Nothaltestellen zur Kontrolle und Evakuation defekter oder gefährdeter Züge. Das Rettungskonzept im Ereignisfall sieht vor, dass die Passagiere eines in einer Nothaltestelle angehaltenen Zuges zur Nothaltestelle in der anderen Tunnelröhre gehen (Selbstrettung) und von dort auf dem Schienenweg aus dem Tunnel gelangen.

Die Nothaltestellen sind in beiden Fahrtrichtungen jeweils vor den Tunnelwechsel-Ästen angeordnet, damit der einfahrende Havariezug die Weichenzungen nicht spitz zu befahren hat (Entgleisungsgefahr). Das bedingt, dass die Enden der Nothaltestellen in Tunnellängsrichtung mindestens 860 m auseinander liegen. Die je 450 m langen Nothaltestellen (maximale Personenzugslänge) sind als einseitig erweiterte Tunnelröhren ausgebildet, die auf der Ausstiegs- bzw. Inspektionsseite einen 2.44 m breiten Perron in der üblichen Höhe von 0.55 m über Schienenoberkante aufweisen (das normale Tunnelprofil verfügt nur über tiefer liegende, weniger als 1.5 m breite Bankette). Von den Perrons führen jeweils sechs Verbindungsstollen im Abstand von 86 m, die durch Sicherheitstüren vom Tunnelraum abgetrennt sind, in den Seitenstollen, der die beiden Tunnelröhren überquert und als Rettungsweg die Nothaltestellen Nord und Süd verbindet.

Im Bereich der Nothaltestellen sind im Tunnelgewölbe je sieben Absaugebauwerke angeordnet, durch die die Abluft im Rahmen der normalen Tunnellüftung, insbesondere aber im Brandfall, gefasst und über separate Abluftstollen und abgetrennte Teilquerschnitte des Seitenstollens aus dem Tunnel abgezogen wird. Frischluft wird den MFS und den anschliessenden Tunnelröhren durch die Seiten- und Verbindungsstollen zugeführt. Im Brandfall können durch die Lüftungseinrichtungen bei einer Nothaltestelle gleichzeitig 250 m³/s Abluft abgesaugt und 200 m³/s Zuluft von aussen eingeblasen werden.

Der Schacht von Sedrun

Der Zwischenangriff bzw. die MFS Sedrun liegt auf 547mü.M., rund 800 m nördlich des Scheitelpunktes des Gotthard-Basistunnels auf Kote 550mü.M. und damit fast 800 m tiefer als der Vorderrhein in der Talsohle unterhalb des Dorfes Sedrun in der Surselva (Bündner Oberland). Die bauliche Erschliessung erfolgt von der Talsohle auf 1336mü.M. aus über einen rund 1000 m langen, 1996 erstellten horizontalen Zugangsstollen in der südlichen Talflanke, der in einer Kaverne über der MFS endet. Von hier führen zwei vertikale Schächte zu einer Schachtfusskaverne im zentralen Bereich der MFS, auf Höhe der Querkaverne zwischen den Tunnelröhren. Dieses Erschliessungskonzept unterscheidet sich grundlegend von jenem der auf Tunnelniveau gleich strukturierten MFS Faido, die über einen Stollen vom Talboden der Leventina aus erreicht wird.

Der im September 2002 fertig gestellte, nicht ausbetonierte Schacht I enthält für den Abtransport des Tunnel- ausbruchs eine Schachtförderanlage, wie sie im Bergbau gebräuchlich ist, und dient sowohl in der Bau- als auch in der Betriebsphase als Zuluftträger. Der Lift im Schacht mit separater Fördermaschinen-Kaverne am Schachtkopf (Bild 3) befördert täglich bis zu 6000t von den verschiedenen Vortriebsstellen anfallendes Ausbruchmaterial aus dem Tunnel. Der einzelne Korb mit Gegengewicht transportiert gegenwärtig rund 50t Material pro Fahrt mit einer Geschwindigkeit von 16 m/s zum Schachtkopf, von wo aus der Schutt mit einer Stollenbahn aus dem Berg gefahren wird.

In der ursprünglichen Planung ist vorgesehen, die Schachtförderanlage nach Abschluss der Hauptarbeiten am Baulos Sedrun etwa 2009 zu demontieren und anschliessend den Innenring des Schachtes mit einem Durchmesser von 7.30 m zu betonieren. Danach, etwa 2011, sollen die definitiven Bauten am Schachtkopf erstellt und eine kleine permanente Liftanlage für Betrieb und Unterhalt der MFS eingebaut werden.

Der später erstellte Schacht II ist bereits mit einem Innendurchmesser von 7 m ausbetoniert. Er wird, wie bereits in der Bauphase, im Tunnelbetrieb als Abluftschacht der MFS dienen. Von den Absaugventilatoren in der Schachtkopfkaverne gelangt die Abluft durch einen rund 450 m langen schrägen Entlüftungsstollen ins Seitental Val Nalps.
Seit der Fertigstellung des Schachtes I ist der Vortrieb der Tunnelröhren von Sedrun aus in Richtung Nord und Süd und der Ausbruch der MFS im konventionellen Sprengvortrieb im Gange. Die letzten Tunneldurchschläge am GBT werden voraussichtlich von Sedrun aus erfolgen: im Norden nach Amsteg ungefähr im Sommer 2008 und im Süden nach Faido etwa im Spätherbst 2008. Da der Beginn der Inbetriebsetzung des GBT auf 2013 geplant ist, verbleibt im Abschnitt Sedrun weniger Zeit für den Einbau der Bahntechnik, insbesondere der Gleise, als in den anderen Abschnitten. Die Baustelle Sedrun gilt daher für den gesamten GBT als zeitkritisch.

Die Idee Porta Alpina

Im Jahr 2000 traten verschiedene Gruppierungen in der Surselva mit der Idee an die Öffentlichkeit, die Nothaltestelle Sedrun zu einer regulären, öffentlichen Haltestelle im GBT auszubauen und die bestehende Schachtförderanlage nach Abschluss der Tunnelbauarbeiten in einen Personenlift umzubauen, damit die für den Zwischenangriff getätigten Investitionen langfristig und nachhaltig genutzt werden können. Dieses auf den einprägsamen (romanischen) Namen „Porta Alpina“ getaufte Vorhaben gewann bald eine überregionale Anhängerschaft und war, noch bevor der Tunnelvortrieb ab Sedrun einsetzte, Gegenstand verschiedener parlamentarischer Vorstösse auf nationaler und kantonaler Ebene zu seiner Unterstützung. Insbesondere hat der Nationalrat am 6. Oktober 2000 ein entsprechendes Postulat von Nationalrätin Brigitta Gadient einstimmig dem Bundesrat überwiesen. Am 28. März 2001 überwies zudem der Grosse Rat des Kantons Graubünden ein Postulat von Grossrat Placi Berther mit derselben Stossrichtung einstimmig an die Bündner Regierung.

Aufgrund des politischen Drucks wurden 2003 unter der Federführung des Kantons Graubünden eine Machbarkeitsstudie und weitere Abklärungen in Auftrag gegeben, die gezeigt haben, dass der Vorschlag sowohl in bautechnischer als auch in betrieblicher Hinsicht machbar und mit finanziell vertretbaren Investitionen realisierbar ist. Auf Grund dieser positiven Beurteilung hat die Ingenieurgemeinschaft Gotthard-Basistunnel Süd (IG GBTS) im Auftrag des Kantons Graubünden bis September 2005 ein Auflageprojekt ausgearbeitet.

Wesentlich ist dabei, dass es sich bei Porta Alpina nicht um eine zusätzliche Haltestelle, sondern um den Ausbau der für den GBT vorgesehenen Nothaltestelle Sedrun handelt. Die wichtigsten Anlagen (Perrons, Verbindungs- und Seitenstollen, Zugangsstollen zum Lift sowie Bauten und Anlagen für die Zu- und Abluft) werden ohnehin im Rahmen der MFS Sedrun erstellt. Als praktikable und kostengünstige Lösung bietet sich der Einbezug der beiden Nothaltestellen Nord (in der Oströhre) und Süd (Weströhre) an. Dabei muss in Kauf genommen werden, dass von den Zügen bis zum Schachtfuss (Lift) beachtliche Distanzen zurückzulegen sind.

Personentransportkonzept

Die von Norden kommenden Fahrgäste gelangen von der Haltestelle über die Warteräume und den Seitenstollen zu Fuss oder mit einem Elektrobus zum Lift am Schachtfuss (Fussdistanz Zugsmitte bis Lift ca. 380 m). Die Haltestelle Süd in der Tunnelröhre für die Fahrtrichtung Süd-Nord ist, bedingt durch die Position der Nothaltestelle, rund 760 m vom Lift entfernt. Über diese Distanz transportiert ein manuell bedienter Elektrobus die Fahrgäste durch den Seitenstollen über die Tunnelröhren hinweg zum Lift (Bild 4).

Der umgebaute, zweistöckige, geschlossene Personenlift im Schacht I befördert im automatischen Betrieb maximal 80 Personen in knapp 2 Minuten zum Schachtkopf. Die Geschwindigkeit von 12 m/s entspricht den schnellsten zurzeit in Betrieb stehenden Personenliften. Mit einer Beschleunigung/Verzögerung von 0.5 m/s2 (entspricht 0.05g) resultiert eine reine Fahrzeit von 102Sekunden. Im Schacht ist ausserdem für die Evakuation im Lift blockierter Passagiere eine autonome, schienengeführte Notfahranlage mit einem Korb für 15 Personen installiert.

In der Kaverne am Schachtkopf kann direkt in konventionelle Busse eingestiegen werden, die durch den bestehenden, ca. 1000 m langen Zugangsstollen zum Portal im Talboden, über den Vorderrhein in den rund 1.2km entfernten Ortsteil Zarcuns an der Kantonsstrasse A19 und nach weiteren 0.9km schliesslich zum Bahnhof Sedrun MGB (Matterhorn-Gotthard-Bahn, früher FO Furka-Oberalp-Bahn) fahren (Bild 6). Denkbar ist auch die Bedienung weiterer Touristikziele wie Bahnhof Disentis RhB/MGB (12km ab Portal), Skigebiet Disentis Nova Sport (11km ab Portal) oder Skilift Dieni/Sessellift Cungieri (je ca. 3km ab Portal).

Aus Sedrun abfahrende Fahrgäste benützen dieselben Transporteinrichtungen in umgekehrter Reihenfolge, wobei je nach Frequenz und Betriebsablauf Passagiere schon einige Zeit vor Ankunft ihres Zuges auf Tunnelniveau eintreffen. Auf Grund der extremen Druck- und Windverhältnisse und der Lärmeinwirkungen bei Zugsdurchfahrten im Tunnel und auch aus Sicherheitsgründen können sie jedoch nicht, wie sonst landesweit auch bei Hochgeschwindigkeitsstrecken üblich, einfach auf dem Perron auf ihren Zug warten. Da die Perrons erst nach Eintreffen eines Zuges betreten werden dürfen, sind pro Haltestelle (Fahrtrichtung) geschützte Warteräume zwischen Seitenstollen und Tunnelröhre erforderlich. Die Warteräume und die übrigen Einrichtungen für die Porta Alpina dürfen die Funktion der Nothaltestellen für die Evakuation der Passagiere von havarierten Zügen gemäss dem eingangs beschriebenen Rettungskonzept der MFS nicht beeinträchtigen. Deshalb werden die ankommenden Passagiere durch die Warteräume zum Elektrobus im Seitenstollen geführt und nicht durch die für Notfälle vorgesehenen Verbindungsstollen.

Die Personenführung in der Station ist umständlich (Bild 5) und beansprucht von der Ankunft eines Zuges in der Porta Alpina bis zum Eintreffen im Dorf Sedrun rund 20 Minuten. Die Leistungsfähigkeit der Porta Alpina ist durch die komplexen Abläufe und die Liftkapazität von 80 Personen pro Richtung und Fahrt eingeschränkt. Ab 160 Personen pro Zug können sich nennenswerte Wartezeiten von über 15 Minuten ergeben.

Bauliche Massnahmen

Für die Realisierung des oben beschriebenen Personentransportkonzepts der Porta Alpina sind bauliche Massnahmen erforderlich, deren Projektierung, teilweise mit Varianten, bis zur Baureife fortgeschritten ist:

- In jeder (Not)haltestelle werden, zwischen den Verbindungsstollen verteilt, zwei etwa 32 m lange, rund 10 m breite und im Gewölbe ca. 5.5 m hohe Warteräume erstellt (Bild 7). Jede dieser Wartehallen bietet Platz für 240 Personen (davon 60 Sitzplätze), verfügt über entsprechende Sanitärräume und ist durch teilweise verglaste Tore und Wände vom Perron in der Tunnelröhre getrennt.
- Beidseits der Eingänge zu den Warteräumen wird das Tunnelprofil auf rund 80 m Länge einseitig noch mehr aufgeweitet, sodass die Perronbreite in diesen Bereichen 4.0 m beträgt gegenüber den ca. 2.4 m Breite in der restlichen (Not)haltestelle (Bilder 8 und 9).
- Dazu kommen diverse bauliche Massnahmen für die Gestaltung der Personenverkehrswege auf Tunnelniveau. Zudem sind Einbauten und Anpassungen im Bereich von Schachtkopf und Schachtfuss (Bild 11) erforderlich.

Als Verbindung zum 800 m höher gelegenen Zugangsstollen wird die weitere Verwendung des vorhandenen Lifts im Schacht I (im Zuluftstrom) nach der Betonierung des Schachtes als zweckmässig erachtet (Bild 10). Dabei werden die Hauptkomponenten der heutigen Schachtförderanlage nach einer gründlichen Revision übernommen und an die im Kapitel „Personentransportkonzept“ beschriebenen Bedürfnisse der Porta Alpina angepasst.

Bahnbetrieb

Die Potenzialabschätzung geht von einem stündlichen Halt je Richtung in der Station Porta Alpina Sedrun aus, was 18 Zugspaaren pro Tag entspricht. Wird die Station weniger häufig bedient, steigen Pendler erfahrungsgemäss kaum auf den Zug um.
Das bahnbetriebliche Konzept baut auf den Grundlagen der FinÖV-Vorlagen von 1997 auf. Die A-Züge (EuroCity, InterCity) sind so knapp in die Knoten Zürich und Mailand eingebunden, dass ein Halt in der Porta Alpina nicht möglich ist und auch von der Haltestruktur her nicht zu rechtfertigen wäre. Bei einer Nachfrage von je 250 Ein- und Aussteigern pro Tag ist üblicherweise maximal ein Halt eines B-Zuges (InterRegio, RegioExpress) gerechtfertigt. Der weniger zeitkritische zweistündliche B-Zug Luzern/Zürich-Arth-Goldau-GBT-Bellinzona-Locarno wird zwischen 5 und 24 Uhr mit einem Zusatzzug zum Stundentakt ergänzt und in der Porta Alpina angehalten.

Da der B-Zug zwischen den langsameren Güterzügen verkehrt und mit dem Halt in der Porta Alpina deren Geschwindigkeitsniveau erreicht, wird die Kapazität im Tunnel durch den Halt kaum beeinträchtigt. Der zusätzliche B-Zug beansprucht zweistündlich ein eigenes Trassee, das nicht mehr für Güterzüge zur Verfügung steht.
Die Zeitersparnis von den nördlichen Zentren zum Bahnhof Sedrun MGB beträgt rund 1.5 Stunden, von Süden und von St. Gallen aus ist sie etwas kleiner.
Diese Zeitersparnis beschränkt sich auf die obere Surselva, insbesondere Disentis und Umgebung. Nach Ilanz hingegen bleibt der Weg aus den nördlichen Zentren via Chur kürzer.


Zusatz:

Kosten und Ertrag

Der Kostenrahmen der Gesamtinvestitionen für die Porta Alpina wird in den Erläuterungen des Grossen Rates des Kantons Graubünden zur Volksabstimmung vom 12. Februar 2006 „realistischerweise“ (d.h. bei einer „üblichen“ Kostenschätzungsungenauigkeit von -10/+30%) auf 50Mio. Fr. veranschlagt. Davon betragen die reinen Baukosten inklusive Umbau/ Erneuerung der Liftanlage 38Mio. Fr. Diese Angabe erscheint verhältnismässig tief, ist aber durch die relativ kleinen Ausbruch- und Bauarbeiten, die zusätzlich zu den bereits bestehenden oder im Bau befindlichen Anlagen der Nothaltestellen erforderlich sind, begründet. Für Fahrzeuge in der Station (konventioneller Bus für Niveau Schachtkopf, Elektrobus für Niveau Tunnel, Unterhaltsfahrzeuge und Werkstatteinrichtungen) werden rund 3.5Mio. Fr. veranschlagt, die in den Gesamtinvestitionen enthalten sind.

Die mutmasslichen jährlichen Betriebskosten werden auf rund 2.4Mio. Fr. geschätzt. Davon entfallen rund 1.7Mio. Fr. auf Personalkosten für zehn bis zwölf Mitarbeitende (die Station ist während der Betriebszeiten, 5 bis 24 Uhr, permanent mit zwei Personen besetzt, eine davon auf Tunnelniveau) und rund 0.7Mio. Fr. auf Energie- und Unterhaltskosten (beispielsweise wird die elektrische Energie für den Liftantrieb mit 120000 Fr. veranschlagt).
Weitere Kosten sind für das zusätzliche Bahnangebot für die Bedienung der Porta Alpina zu berücksichtigen, das bei der ausgewiesenen Nachfrage (siehe weiter unten) kaum kostendeckend produziert werden kann und daher grösstenteils bei den SBB bestellt werden muss. Die zu bestellende Menge der Zugskilometer ist abhängig vom Fahrplan und von den auszuhandelnden Abgeltungsmodalitäten. Der für die Zusatzleistungen im Bahnbetrieb abzugeltende jährliche Anteil wird grob zwischen 0 und 8Mio. Fr. veranschlagt.

Eine 2003 in Auftrag gegebene Bedürfnisabklärung für eine Tunnelstation Sedrun schätzt das Potenzial auf werktäglich rund je 250 Ankünfte und Abfahrten. Bei den Tagestouristen (Wintersport) wird von einem konzentrierten Durchschnitt von 1000 Personen pro Wochenende ausgegangen, wobei bis zu 500 Personen allein an einem schönen Wintersonntag erwartet werden. Der Verkehr dürfte zu etwa 75% von/nach Norden ausgerichtet sein.[1]
Die dem Projekt, unter Verwendung der oben stehenden Daten, zu Grunde gelegte Kosten-Nutzen-Analyse rechnet unter Berücksichtigung der Verkehrserträge mit einem Kostendeckungsgrad zwischen 86% und bestenfalls über 104%. Als zukünftige Betreiberin der Infrastruktur wird aus der Sicht der Bündner Regierung eine Bahnunternehmung (beispielsweise RhB oder MGB) favorisiert, die die Anforderungen einer reibungslosen Betriebsführung am besten zu erfüllen vermag.

Literatur
[1] Marktanalyse und Bedürfnisabklärung für eine Neat-Tunnelstation Sedrun (Porta Alpina), Institut für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus, Universität St. Gallen, 2005.

TEC21, Fr., 2006.06.16



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2006|25 Vision Porta Alpina

17. Februar 2006Aldo Rota
Urs Sommer
TEC21

Erdbebensicherer Luxus in Zermatt

Zur Anwendung der neuen SIA-Erdbebenschutznormen für die Überprüfung bestehender Gebäude liegen noch wenig Erfahrungen vor. Ein aktuelles Beispiel ist ein Hotelkomplex im Wallis, dessen Erdbebensicherheit im vergangenen Jahr, vor einem Umbau, überprüft werden musste. Dabei zeigte sich, dass eine normengerechte Sicherheit nicht überall mit verhältnismässigen Kosten zu realisieren war, sodass man sich teilweise auf die Erfüllung der Anforderungen bezüglich Windsicherheit beschränken musste.

Zur Anwendung der neuen SIA-Erdbebenschutznormen für die Überprüfung bestehender Gebäude liegen noch wenig Erfahrungen vor. Ein aktuelles Beispiel ist ein Hotelkomplex im Wallis, dessen Erdbebensicherheit im vergangenen Jahr, vor einem Umbau, überprüft werden musste. Dabei zeigte sich, dass eine normengerechte Sicherheit nicht überall mit verhältnismässigen Kosten zu realisieren war, sodass man sich teilweise auf die Erfüllung der Anforderungen bezüglich Windsicherheit beschränken musste.

Im Schatten des Matterhorns, auf 1650mü.M. am Fuss des Wisshorns, überblickt der markante Gebäudekomplex des jetzigen Hotels «The Omnia» vom steilen westlichen Talhang aus das Ortszentrum von Zermatt (Bild 1). Die Lage in den Walliser Alpen und die grosszügige Gestaltung des Hauses bieten ein erhebendes Panorama, sind aus bautechnischer Sicht aber auch problematische Aspekte. Zermatt liegt nämlich gemäss der neuen Gefährdungskarte des Bundesamtes für Wasser und Geologie (BWG) am Rand des Gebiets mit der höchsten Erdbebengefährdung in der Schweiz, das sich über den Grossteil der Fläche des Kantons Wallis (und den Kanton Basel-Stadt) erstreckt, und ist in die Erdbebenzone Z3b gemäss den Normen SIA 260/261 eingeteilt. Schadenbeben, also Erdbeben, die Bauwerke zumindest ernsthaft beschädigen können, sind in dieser Zone statistisch eine reale Gefährdung, weshalb aufgrund der 2004 aktualisierten gesetzlichen Grundlagen im Kanton Wallis insbesondere grössere Gebäude eine erhöhte Sicherheit gegen Erdbeben aufweisen müssen. Bedingt durch seine Entstehungsgeschichte, weist das Hotelgebäude jedoch ungünstige bauliche Voraussetzungen für das Erreichen eines maximalen Sicherheitsstandards auf, sodass die für die Erdbebenertüchtigung ausgeführten Massnahmen sich weniger an den wünschbaren als an den realistischerweise noch möglichen Zielwerten orientieren mussten.

Ein Designhotel wird gebaut

Die ältesten Teile des heutigen Hotels «The Omnia» gehen auf das Jahr 1968 zurück, als an bester Aussichtslage oberhalb von Zermatt das Hotel «Rothorn» in Stahlbeton und Mauerwerk erstellt wurde. Während fast dreier Jahrzehnte wurde es als klassisches Hotel betrieben, bis 1996 der Investor Alexander Schärer und der Künstler Heinz Julen die Umnutzung in ein exklusives Designhotel projektierten. 1997 begann man mit der Umwandlung in ein Luxushotel mit etwa 40 Gästezimmern und sprengte einen Zugangsstollen und einen Liftschacht in den Fels, um einen bequemen Zugang vom Ortszentrum aus zu ermöglichen. Das bestehende Hotelgebäude wurde umfassend umgebaut, ein zusätzliches Untergeschoss, das heutige Erdgeschoss des Gesamtkomplexes, in den Fels gesprengt, und die alten Bruchsteinmauern wurden unterfangen. Nach der vollständigen Entfernung der Innenwände und der Ost- und der Westfassade im 1. und 2. OG sowie der dazwischengelegenen Decke trägt jetzt eine dreigeschossige Abfangkonstruktion aus Stahl im Gebäudeinneren die vertikalen Lasten. Eine Vorstellung der räumlichen Gliederung und der für das Verhalten bei erdbebenrelevanten strukturellen Eigenschaften vermitteln die 3D-Darstellungen für die rechnerische Überprüfung der Erdbebensicherheit in den Bildern 5 bis 7.

Südöstlich und nördlich der als Altbau bezeichneten Rumpfstrukur des ehemaligen Hotels «Rothorn» wurden in geringem Abstand die neuen Süd- und Nordtrakte in Stahlbeton (Decken und einzelne Wände) und Mauerwerk (Wände) erstellt (Bild 2). Ein Korridor gliedert den Nordtrakt in einen westlichen und einen östlichen Baukörper, die pro Geschossdecke mit einer durchlaufenden Betonplatte und einer Aussteifung aus Stahlprofilen verbunden sind. Der Südtrakt steht über der zweigeschossigen Hotelhalle auf Stützen und ist pro Geschoss an zwei Punkten durch Aussteifungen aus Stahlprofilen mit dem Nordtrakt verbunden. Zum Altbau besteht hingegen keine tragende Verbindung.

Dazu kam noch ein westlicher, in den steil ansteigenden Hang hineingebauter Anbau an das rechteckige Hotelgebäude, der den Komplex gegen das felsige Nachbargrundstück abgrenzt. Im Endausbau resultiert ein der Hangneigung treppenförmig angepasster, bis 6-geschossiger Baukörper mit Giebeldach und dem Grundriss eines gedrungenen rechten Winkels, der unter einer einheitlichen Gebäudehülle die drei Strukturen Altbau mit neuem westlichem Anbau, Südtrakt und Nordtrakt umfasst (Bilder 3 und 4).

Der zentrale, im Grundriss quadratische Haupttreppenbereich im Berührungspunkt der drei Strukturen und die jeweils ca. 2 m breiten Zwischenräume zwischen Altbau und Südtrakt bzw. zwischen Süd- und Nordtrakt sowie der zentrale Korridor im Nordtrakt selbst dienen als interne Verkehrswege. Sie sind mit unabhängigen, «hineingestellten» Stahl- und Glaskonstruktionen für die Korridorböden erschlossen, die keine stabilisierende und verbindende Wirkung zwischen den einzelnen Baukörpern aufweisen. Im Hinblick auf die Gesamtstabilität trennen sie den Gebäudekomplex in drei unabhängig voneinander wirkende Bauteile auf.

Neubeginn von Amtes wegen

Der aktuelle Zustand des Bauwerks ist das Ergebnis einer wechselvollen Vorgeschichte, die seit der abgebrochenen Betriebsaufnahme des Komplexes im Jahr 2000 verschiedene bauliche Interventionen umfasste (siehe Kasten). Im Zusammenhang mit den jüngeren, seit Juni 2004 ausgeführten Ausbau- bzw. Umnutzungsprojekten verlangt der Kanton Wallis, gestützt auf das neue kantonale Baugesetz, nun rückwirkend die Überprüfung der Erdbebensicherheit des gesamten Gebäudes unter Anwendung des SIA-Merkblattes 2018 «Überprüfung bestehender Gebäude in Bezug auf Erdbeben». Diese Überprüfung der zwischen 1968 und 1999 erstellten und von 2000 bis 2003 sanierten Baukörper erfolgte während des vergangenen Jahres und hat interessante Erkenntnisse zur Beurteilung der Erdbebensicherheit der Gebäude hervorgebracht.

Sicherheit nach Norm

Fortschrittliche Erdbebenbestimmungen für Neubauten finden sich im Normenwerk des SIA erst ab 1989 (Norm SIA 160, Ausgabe 1989). Seit 2003 sind Tragwerksnormen in Kraft (SIA 260 bis 267), welche Erdbebenbestimmungen enthalten, die den Ansprüchen der Eurocodes gerecht werden. Mit dieser Normengeneration haben sich die Anforderungen an Gebäude nochmals erhöht. Bei Bauwerken, die vor 1989 erstellt worden sind, erfolgte die Projektierung, ohne dass der Gefährdung durch Erdbeben gebührend Rechnung getragen wurde. Die Erdbebensicherheit dieser Gebäude ist daher unbekannt.
Seit Bestehen der Norm SIA 160, Ausgabe 1989, wurde die Beurteilung der Erdbebensicherheit bestehender Gebäude kontrovers gehandhabt. Die Ansichten reichten von der Beurteilung anhand der Massstäbe für Neubauten bis hin zum Ignorieren der Erdbebengefahr. Mit dem SIA-Merkblatt 2018, Ausgabe 2004, stehen erstmals einheitliche Regeln zur Verfügung.

Im Rahmen der auf die Betriebsschliessung im Jahr 2000 folgenden Bauwerksanierung wurde die Tragkonstruktion des Hotels anhand der Norm SIA 160, Ausgabe 1989, mit Aufnahmen und Sondierungen am Bau sowie Nachrechnung kritischer Bauteile überprüft. Die Erdbebeneinwirkung wurde dabei mit dem Ersatzkraftverfahren als aussergewöhnliche Einwirkung berücksichtigt.

Daraus sind die weiter oben erwähnten Instandsetzungsmassnahmen, insbesondere bezüglich Stabilität, abgeleitet und bis März 2003 ausgeführt worden, auf die in diesem Zusammenhang nicht weiter eingegangen wird. Bezüglich der Erdbebensicherheit ergaben sich die folgenden Befunde:
Die (neu erstellten) Nord- und Südtrakte erfüllen die Anforderungen an die Erdbebensicherheit der Tragwerksnormen SIA 160 bis 162 (Ausgabe 1989). Der Altbau (Hotel «Rothorn») war hingegen bereits vor dem Umbau/Anbau 1998/99 nicht erdbebensicher. Durch den Umbau von Heinz Julen 1999 wurde die Gesamtstabilität noch herabgesetzt, sodass auch die tiefere Anforderung der Stabilität gegen Windeinwirkungen nicht mehr erfüllt wurde. Mit den 2002 realisierten baulichen Massnahmen, insbesondere der Verstärkung der Nord- und Südfassade mit geklebten Lamellenbewehrungen (Bilder 8 und 9) sowie dem Einbau zusätzlicher Scheiben aus Beton und Fachwerk aus Stahl, konnte dieser Gebäudeteil soweit verstärkt werden, dass er die Anforderungen der Tragwerksnormen SIA 160 bis 162 (Ausgabe 1989) bezüglich Windsicherheit erfüllt. Auch bezüglich Erdbebensicherheit erfüllen jetzt das ertüchtigte Erdgeschoss sowie grösstenteils auch das 1. Obergeschoss die Anforderungen der Tragwerksnormen SIA 160 bis 162 (Ausgabe 1989). Für Teile des 2. Obergeschosses und die darüber liegenden Geschosse des Altbaus wurde hingegen lediglich das Sicherheitsniveau, das vor dem Umbau/Anbau vorhanden war, wieder erreicht oder leicht erhöht.

Risiko-orientierte Beurteilung

Die 2004 durchgeführte Beurteilung der Erdbebensicherheit gemäss SIA-Merkblatt 2018 erfolgte risikobasiert. Das zentrale Element der rechnerischen Beurteilung ist der Erfüllungsfaktor aeff. Er ergibt sich als Quotient aus den normengemässen Auswirkungen und dem normengemässen Widerstand und liegt für die Tragsicherheit bei einer Wand im Nord-/Südtrakt und bei sechs Wänden im Altbau bei aeff<0.25. Für weitere sieben Wände resultieren mit den Reduktionsfaktoren aus Tabelle 2 des SIA-Merkblattes 2018 von amin=0.25 und aadm=0.76 Erfüllungsfaktoren von amin
Die Personenrisiken sind der zentrale Aspekt bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit. Zunächst ist sicherzustellen, dass das Individualrisiko akzeptierbar ist. Dies ist der Fall, wenn die Todesfallwahrscheinlichkeit für einen einzelnen Menschen in einem bestimmten Gebäude kleiner als 10–5 pro Jahr ist, was bei einem aeff>0.25 gegeben ist.

Die quantitative Beurteilung der Verhältnismässigkeit erfolgt mit Hilfe der Rettungskosten RKM, die als Quotient aus den auf ein Jahr bezogenen Sicherheitskosten einer bestimmten Massnahme SKM und der auf ein Jahr bezogenen Reduktion des Personenrisikos DRM definiert sind. Die Rettungskosten werden folglich realistisch, wenn auch etwas zynisch, angegeben in Franken pro gerettetes bzw. erhaltenes Menschenleben.

Was Sicherheit kostet

Die Erdbebensicherheit gemäss den neuen Tragwerksnormen SIA 260 bis 267 kann für alle untersuchten Baukörper nur mit aufwändigen baulichen Massnahmen wie Einbau vertikaler Zuganker im untersten Geschoss, Verstärken vertikaler Zugelemente mittels Klebbewehrung über die gesamte Gebäudehöhe und Errichtung zusätzlicher Beton- oder Stahlscheiben zur Horizontalkraftabtragung erreicht werden. Die sicherheitsbezogenen Investitionskosten SKIM für die Verstärkung der sieben Wände in den Obergeschossen mit ungenügender Tragsicherheit (aeff
Die Risikoreduktion errechnet sich aus der Differenz des kollektiven Personenrisikos zwischen Ausgangszustand und gedachter Umsetzung von Erdbebensicherungsmassnahmen. Für eine mittlere Belegung von 20 Personen/Jahr (8 Altbau/12 Nord- und Südtrakt) ergibt sich eine Rettungseffizienz der zusätzlichen Erdbebensicherungsmassnahmen von über 10 Mio. Fr. pro gerettetes Menschenleben für alle Gebäudeteile.

Als verhältnismässig gelten Erdbebensicherungsmassnahmen, die zu Rettungskosten unter 10 Mio. Fr. pro gerettetes Menschenleben führen. Massnahmen, die Rettungskosten unter 100 Mio. Fr. pro gerettetes Menschenleben verursachen, werden noch als zumutbar betrachtet. Für das aktuelle Objekt «The Omnia» sind zusätzliche Massnahmen zur Erreichung der normgemässen Erdbebensicherheit somit aufgrund ihrer Rettungseffizienz nicht verhältnismässig.

TEC21, Fr., 2006.02.17



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2006|08 Naturgefahren

12. Januar 2006Remo Baumann
Aldo Rota
TEC21

Erneuerung Kraftwerk Küblis

Wasserkraftwerke haben eine lange Lebensdauer. So verrichteten die Maschinen im Kraftwerk Küblis im Prättigau, in einer der ersten grossen Hochdruckanlagen in Graubünden, während über 80 Jahren ohne nennenswerte Aktualisierungen zuverlässig ihren Dienst. Erst die vor einem Jahr erfolgte Neukonzessionierung bedingte die umfassende Erneuerung der elektromechanischen Ausrüstung, die gegenwärtig unter weitgehender Erhaltung der sakral wirkenden Architektur erfolgt.

Wasserkraftwerke haben eine lange Lebensdauer. So verrichteten die Maschinen im Kraftwerk Küblis im Prättigau, in einer der ersten grossen Hochdruckanlagen in Graubünden, während über 80 Jahren ohne nennenswerte Aktualisierungen zuverlässig ihren Dienst. Erst die vor einem Jahr erfolgte Neukonzessionierung bedingte die umfassende Erneuerung der elektromechanischen Ausrüstung, die gegenwärtig unter weitgehender Erhaltung der sakral wirkenden Architektur erfolgt.

Die Konzession für die Prättigauer Kraftwerke ist am 7. November 2001 nach 80 Jahren abgelaufen. Ein neuer Konzessionsvertrag, wiederum für die Dauer von 80 Jahren, wurde in der Folge mit den betroffenen Gemeinden ausgehandelt und Ende 2004 von der Bündner Regierung genehmigt. Darauf nahm die Werkeigentümerin Rätia Energie die Arbeiten am aktuellen Sanierungskonzept, das Investitionen von 58Mio.Fr. mit dem Schwerpunkt Erneuerung bzw. Umbau der Anlagen in Küblis vorsieht, in Angriff.

Kraftwerkstufe Klosters–Küblis

Die im Oktober 1922 nach nur zweieinhalbjähriger Planungs- und Bauzeit in Betrieb genommene Kraftwerkstufe Klosters–Küblis ist als Hochdruck-Laufwerk ausgelegt (Bild 1). Die Landquart wird unterhalb des Bahnhofs Klosters mit einem Wehr gefasst (Bild 2) und in einen Druckstollen geleitet, der 2005 gleichzeitig mit der Zentrale Küblis instand gesetzt wurde. Die Wasserfassung nimmt auch das Unterwasser der Zent-rale Klosters auf, die als Speicherwerk 11Mio.m3 Nutzinhalt des auf 1559mü.M. gelegenen Davoser Sees verarbeitet. Bei Volllast alimentiert die Zentrale Klosters die folgende Stufe Klosters–Küblis mit 5.5 m³/s, was einem Drittel ihrer Betriebswassermenge von 16.5 m³/s entspricht. Der betonierte, 10.5km lange Druckstollen von Klosters zum Wasserschloss Plävigin oberhalb Küblis weist ein Gefälle von 3‰ auf. Der Druckstollen von Klosters endet im Wasserschloss Plävigin auf ca. 1200mü.M. oberhalb Küblis, in das auch Wasser aus dem Schanielatobel zugeführt wird. Im Rahmen der laufenden Sanierung werden die Triebwasserwege und die Installationen der Stufe Klosters–Küblis bis Ende 2005 umfassend instand gesetzt und erneuert.

Vom Wasserschloss Plävigin fällt das Betriebswasser in einer offen verlegten einsträngigen Druckleitung, die sich bis zur Verteilleitung unten von 180cm auf 150cm Durchmesser verjüngt, über eine Höhendifferenz von rund 300 m zur Zentrale Küblis. Die heutige Druckleitung ersetzte 1978 die ursprüngliche dreisträngige Anlage und wird nach der Erneuerung der Zentrale unverändert weiterverwendet.

Zentrale Küblis

Das Gebäude der Zentrale Küblis weist einen kreuzförmigen Grundriss auf. Der Hauptarm dieses Kreuzes ist ca. 87 m lang und 16 m breit. Im Hauptarm ist der Maschinensaal mit einer Giebelhöhe über Boden von ca. 17 m untergebracht. Im westlichen Seitenarm befinden sich die Werkstatt und die Schmiede. In der Durchdringung der drei Gebäudearme sind alle für den Gesamtbetrieb notwendigen Anlagenteile, insbesondere der Kommandoraum, angeordnet. Auf der Ostseite des Hauptarmes ist das ca. 5 m breite, 70 m lange und maximal 8 m hohe Kugelschiebergebäude (Rohrhaus) mit Schrägdach angehängt. Gegen Osten wird das Schiebergebäude durch den 144 m langen Unterwasserkanal abgegrenzt (Titelbild).

Das Zentralengebäude steht auf Fundamentmauern aus Stampfbeton. Die tragenden Bauteile, wie Decken, Deckenbalken und Maschinenfundamente, sind in schwach bewehrtem Stahlbeton ausgeführt. Das Mauerwerk der Aussenwände wurde mit gemörtelten Tuffsteinen aus einer nahen Abbaustelle erstellt.

In der Zentrale Küblis standen im Endausbau sechs Maschinengruppen mit horizontalachsigen einstrahligen Peltonturbinen, die zusammen bei einem Bruttogefälle von 365 m und einer Betriebswassermenge von 16.5 m³/s eine Leistung von maximal 43.9MW ins Eisenbahn- und Industrienetz abgeben konnten.

Erneuerung der Zentrale Küblis

Die elektromechanischen und elektrotechnischen Anlagen des Kraftwerks Küblis sind im letzten Jahr vollständig erneuert worden. Die zentrale Massnahme ist der Ersatz der sechs bestehenden Maschinengruppen durch zwei horizontalachsige Maschinengruppen mit je zwei zweidüsigen, beidseits des Dreiphasengenerators angeordneten Peltonturbinen (Bilder 4 bis 7). Die neuen Maschinengruppen weisen, bei unverändertem Gefälle und Durchfluss, mit zusammen 45.6MW bei der Nenndrehzahl von 428.35min–1 eine um 4% höhere Leistung als die Gesamtleistung der alten Anlage auf. Zu den neuen Maschinengruppen gehören vier neue Kugelschieber und eine neue Verteilleitung im Rohrhaus.
Die zwei Synchrongeneratoren sind mit zwei neuen Maschinentransformatoren (Blocktransformatoren) von 26MVA Leistung verbunden, die ihre Ausgangsspannung von 8kV auf die Übertragungsspannung von 50kV transformieren. Es wird kein Einphasenstrom der Frequenz 162/3Hz für Bahnzwecke mehr produziert. An Stelle der Bahnstromanlage wird eine neue 50kV/50Hz-Schaltanlage für Dreiphasenstrom erstellt (Bild 8). Die gesamte neue Anlage kann ferngesteuert oder von einem zentralen, zwischen den Maschinengruppen in einer verglasten Kabine angeordneten Leitstand bedient werden.

Bauarbeiten

Bei der Demontage der alten Maschinen und Armaturen fielen ca. 950t Stahl, Grauguss, Kupfer und andere Metalle an. Bei zwei Maschinengruppen wurden PCB-haltige Materialien verwendet, sodass sie durch spezialisierte Unternehmen entsorgt werden mussten. Die neuen Maschinensätze wiegen je ca. 270t.
Für die Unterbringung der neuen Maschinengruppen und weiterer Komponenten mussten ca. 1700 m³ leicht bewehrter Stahlbeton und ca. 300 m³ Lockergestein abgebaut und abtransportiert werden (Bild 3). Für die Erstellung der neuen Maschinenfundamente mit den zugehörigen Unterwasserkanälen und weiterer Bauteile wurden ca. 2000 m³ normal bewehrter Stahlbeton mit ca. 220t Bewehrungsstahl und ca. 300 m³ Füll- und Magerbeton verbaut.

Neubeginn

Die Vorarbeiten für die Erneuerung der Zentrale Küblis begannen im Herbst 2004. Am 29.3.2005 wurde das gesamte Kraftwerk abgeschaltet und anschliessend mit dem Rückbau begonnen. Die Montage der beiden neuen Maschinengruppen begann im August 2005, ihre Inbetriebsetzung ist gestaffelt bis 23.12.2005 bzw. bis 13.2.2006 vorgesehen. Die Innenausbauarbeiten zur Wiederherstellung der ursprünglichen Charakteristik werden sich bis in den Frühling 2006 erstrecken.

Die alte Anlage produzierte im Mittel der Jahre 1976– 2002 177.5 GWh elektrische Energie, davon 55.5GWh (31%) im Winter. Für das erneuerte Kraftwerk Küblis sind Werte in derselben Grössenordnung zu erwarten.

Die neue Konzession beinhaltet verschiedene Umweltauflagen, insbesondere die Dotierwasserabgabe an den Wasserfassungen. Das ungenutzt fliessende Dotierwasser bewirkt eine jährliche Produktionseinbusse von 9% gegenüber dem Betrieb unter der alten Konzession. Die theoretische Minderproduktion wird durch den verbesserten Wirkungsgrad und die optimierte Steuerung der erneuerten Anlagen zu zwei Dritteln ausgeglichen.

TEC21, Do., 2006.01.12



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2006|01-02 Zukunft Wasserkraft

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