Inhalt

WOCHENSCHAU
02 Wohnort: München. Zukunft findet Stadt | Jochen Paul
03 Spectacular City in Düsseldorf | Jan Friedrich
03 Bogevischs Buero in Berlin | Urte Schmidt
04 Neue Monte Rosa Hütte | Andrea Gleiniger

BETRIFFT
06 Zu wenig Gebote | Uta und Robert Winterhager

WETTBEWERBE
12 La Tour Phare in La Défense | Boris Maninger
15 Groninger Forum | Friederike Meyer
15 Entscheidungen
16 Auslobungen

THEMA
18 Struktur oder Stuck? | Nils Ballhausen
28 Ceauscescu-Elektro House vs. Haute Couture | Wilhelm Klauser

REZENSIONEN
37 Erfolgsfaktor Architektur. Strategisches Bauen für Unternehmen | Christian Brensing
37 Europäischer Kirchenbau 1900–1950 | Thomas Werner

RUBRIKEN
05 Leserbriefe
05 wer wo was wann
36 Kalender
38 Anzeigen

Bauwelt 9.07 „Fabrik“ erscheint am 23. Februar

Wohnort: München. Zukunft findet Stadt

Auch die Reichen müssen irgendwohin. Wohnort: München

Die Jahresausstellung des Referats für Stadtplanung und Bauordnung widmet sich dieses Mal dem Thema Wohnen und stellt anhand von 17 Projekten das Spektrum des Münchner Wohnungsbaus vor. Dabei reicht die Bandbreite vom genossenschaftlichen bis zum ökologischen Bauen, vom Studentenwohnheim auf der ehemaligen Panzerwiese bis zum Loft in der vormaligen Schaltzentrale der Post, vom Clearinghaus für Obdachlose bis zu Eigentumswohnungen für Wohlhabende. Im Zentrum steht dabei unter dem Slogan „Eigentum bilden, Wohnen fördern“ der Anspruch der Stadt, bezahlbaren Wohnraum für Familien zu schaffen. Die Ausstellung „Wohnort: München. Zukunft findet Stadt“ ist also nicht nur Leistungsschau, sondern gewissermaßen auch ein Stück politisches Vermächtnis der scheidenden Stadtbaurä­­­­tin Christiane Thalgott – ihre Nachfolgerin Elisabeth Merk übernimmt das Amt im Mai.

Nach dem Wegfall der degressiven Abschreibungsmöglichkeiten entstanden zwischen 1996 und 2005 mit dem „München Modell“ (Ansatzpunkt des Modells ist eine Ermäßigung beim Grundstückspreis) insgesamt 2600 Wohnungen für Familien mit mitt­lerem Einkommen; die Stadt hat dafür 115,2 Mio. Euro aufgewendet – das entspricht 45.000 Euro pro Wohnung. Und weil der anhaltend hohe Bedarf an geförderten Wohnungen nicht allein im Neubau gedeckt werden kann, soll preisgünstiger Wohnraum langfristig auch durch den Ankauf von Belegungsbindungen an einzelnen freien Wohnungen sowie über den Erwerb von Wohnungsbestand gesichert werden. Zwischen 2007 und 2011 stellt die Stadt insgesamt 625 Mio. Euro für die Wohnungsbauförderung bereit. Soweit die Zahlen und Absichtserklärungen.

Dass bezahlbarer Wohnraum in der Innenstadt für (Durchschnitts-)Familien größtenteils Illusion bleibt, thematisiert „Wohnort: München“ nur indirekt: Allein sechs der gezeigten Projekte liegen am Ackermannbogen in Schwabing-West und in der Messestadt Riem, fünf sogar außerhalb des Mittleren Rings. Obwohl es heute in der Altstadt mehr Wohnungen als 1970 gibt, hat sich die Zahl der Bewohner seitdem von über 14.000 auf etwa 7000 halbiert. 2003 stellten die sogenannten Sinus-Milieus der allesamt gut verdienenden „Etablierten“, „Postmaterialisten“ und „Modernen Performer“ (ihr Anteil an der Bevölke­rung beträgt zusammen 29 Prozent) in Bogenhausen, Schwabing und im Zentrum zwischen 40 und 60 Prozent der Bewohner. Der Trend wird sich verfestigen: Die Wohnungen im Alten Hof sind ver­kauft, im alten Arbeitsamt an der Thalkirchner Straße errichtet die Vivacon Townhouses von Philippe Starck für bis zu 6850 Euro/m2, und die Frankonia Eurobau bewirbt ihre Lenbach-Gärten gleich mit dem Claim „Leben im Geist der Könige.“

Im Begleitheft zur Ausstellung benennt Stadtbaurätin Christiane Thalgott freimütig die Vorzüge der Gentrifizierung: „Die Reichen müssen schließlich auch irgendwohin, warum nicht in die Altstadt? Sonst verdrängen sie die Anwohner aus den Gründerzeitvierteln.“ Sarkasmus, Einsicht in die Realitäten oder Altersmilde? Die Zeiten ändern sich: Noch im Vor­jahr (Heft 7.06) wollte man in der Innenstadt der Kommerzialisierung und Privatisierung Grenzen setzen. So mag Wohnen in München denn „innovativ und viel­fältig, bezahlbar und qualitätsvoll sein“ – aber nicht überall und nicht alles gleichzeitig.

Bauwelt, Fr., 2007.02.16

16. Februar 2007 Jochen Paul

Bogevischs Stadt

Die Schau beginnt quasi im Vorgarten des DAZ: Hellgrüne an zwei Seiten offene Boxen legen eine Spur ins „Glashaus“, den Eingangsbereich der BDA-Geschäftsstelle, und führen den Besucher im Innern des Gebäudes bis an den Fuß der Treppe. Von dort eröffnet sich der Blick auf ein großes Wandbild über dem Treppenpodest: „Bogevischs Stadtkarte“, vereint die ausgestellten Projekte in einem virtuellen Stadtraum. Im Obergeschoss, dem Hauptausstellungs­bereich, setzt sich die Aufstellung der Boxen in locke­rer Anordnung fort. Jede der Kammern beinhaltet Pläne von ein oder zwei Projekten, eine Glühbirne be­leuchtet sie von oben.
Geschickt nutzen Rainer Hofmann und Ritz Ritzer den Erschließungsraum des Glashauses und lei­ten den Betrachter unaufdringlich aber gezielt durch „Bogevischs Stadt“. Die Schau von „Bogevischs Buero“ ist die zweite Veranstaltung der neuen Ausstellungsreihe des Deutschen Architektur Zentrums, in der sich „junge“ Architekten unter 45 Jahren mit ihrer Arbeit präsentieren können. Bogevischs Buero wurde 1996 von Hofmann und Ritzer in München gegründet; den etwas skurril klingenden und in Wahr­heit bedeutungslosen Namen wollen sie als Persiflage auf die vielen bedeutungsschwangeren Büronamensgebungen jener Zeit verstanden wissen. Gemeinsam nahmen die beiden an zahlreichen Wettbewerben teil. Im Jahr 2000 schließlich gewannen sie den ersten Preis in der Konkurrenz um das Dienstleistungszentrum Bülowbogen in Stuttgart, das sie bis 2004 realisieren konnten. Auch ihr zweites großes Projekt, die Studentenwohnanlage „Am Felsennelkenanger“ in München (2002–04), verdankt sich ei­nem Wettbewerbserfolg. Die 250 Meter lange mehr­schichtige Fassade des Wohnheims schillert in vielen verschiedenen Rottönen; im oberen Ausstellungsraum des Glashauses bilden Ausschnitte der Fassade den Präsentationshintergrund. Wie stark Hofmann und Ritzer bei ihren Projekten auf die Materialwirkung setzen, zeigt sich aber vielleicht noch deutlicher bei den unrealisierten Wettbewerbsbeiträgen für das Sächsische Staatsarchiv und das Besucherzentrum für die Grube Messel, wo sie schwere und massive Baukörper aus geschichtetem Sandstein und Schiefer entwarfen.

Wie Bogevischs Buero sich grundsätzlich in der Architekturlandschaft verortet: „Eher Ideenschmiede als Ideenerzeuger; unsere Entwürfe leben von den Beiträgen Dritter“.

Bauwelt, Fr., 2007.02.16

16. Februar 2007 Urte Schmidt

Zu wenig Gebote

An schlechte Nachrichten über abgerissene Kirchenbauten hat man sich fast gewöhnt. In Dinslaken, einer Mittelstadt am Niederhein, entschied sich eine Kirchengemeinde, ihr Gotteshaus auf ungewöhnlichem Wege unter die Leute zu bringen.

Zahllosen „überflüssigen Kirchen“ in Deutschland (Heft 5.06) droht ein ungewisses Schicksal. Dem konfessionsübergreifenden Mitgliederschwund der Gemeinden folgen Entweihung, Umnutzung oder gar als letzte Maßnahme der Abriss. Die Städte verlieren dabei wichtige architektonischen Identifikationspunkte, so etwa Dinslaken mit seiner 1967 errichteten evangelischen Christuskirche.

Zum Ersten, ...

In der Festschrift zur Einweihung der Kirche schrieben die Architekten Christa und Hermann Zelger: „Es gab Jahrzehnte, da scheute man sich, im Kirchenbau technische Erkenntnisse und neue Materialien zu verwenden, oder verbarg sie hinter historisierendem Zierwerk, um eine Erinnerung nicht zu zerstören, die der Wirklichkeit nicht mehr entsprach. Erst späteren Generationen bleibt es vorbehalten, darüber zu urteilen, was wir mit unseren Talenten gemacht haben. Es wird aber nicht nur ein Urteil über unser technisches Können und unser ästhetisches Empfinden sein.“
Dieses Urteil wurde 2006, knapp vierzig Jahre nach der Weihe gefällt: Die Kirche wird abgerissen, das Grundstück ist bereits verkauft.

Die Architektur der Christuskirche ist ein beeindruckendes und qualitätvolles Zeugnis der Kirchenbaukunst deutscher Nachkriegsmoderne. Der zweigeschossige Betonskelettbau sitzt auf einem klar verglasten Sockel, in dem Gemeindesäle und Nebenräume untergebracht sind. Der darüber liegende Gottesdienstraum ist allseitig von einem Betonmaßwerk umgeben, dessen farbige Glasfüllungen der Künstler Jochem Poens­gen gestaltet hat. Die Strenge des Baukörpers erscheint durch die exzentrische Collage verwandter Materialien und Texturen – Kupfer, Zebranoholz, Schiefer, Beton und Gussglas – nicht aufgehoben, sondern aufs Äußerste provoziert.

Im Stadtbild von Dinslaken wirkt der Bau fremdartig und erinnert an die Kaufhäuser jener Zeit. Im direkten Vergleich mit dem gegenüberliegenden Karstadt-Gebäude aber wird die baukünstlerische Überlegenheit der Kirche gegenüber einem profanen „Zweckbau“ deutlich. Wo die blechernen Waben des Kaufhauses nur dazu dienen, strukturlose Wandflächen zu gliedern, hinter denen die Warenregale versteckt sind, schafft die durchbrochene Fassade der Christuskirche einen sakralen Raum von großer atmosphärischer Tiefe und subtiler Innerlichkeit. Dennoch scheint die Ähnlichkeit der Oberfläche mit denen der Kathedralen des Kommerzes, den Kaufhäusern, ein wesentlicher Grund für den bedenkenlosen Abriss des Ensembles zu sein, denn der Bau ruft nicht etwa laut: „Ich bin eine Kirche!“ oder „Ich bin ein Denkmal!“ Wo eine neo-romanische, neo-gotische oder neo-barocke Kirche noch den Romantik- und Nostalgiereflex ihrer Umwelt auslöst, gibt sich die Christuskirche als selbstbewusstes Kind seiner Zeit. Zuviel Selbstbewusstsein wird selten verziehen.

Die Christuskirche wurde zu einer der vielen überflüssigen Kirchen im Ruhrgebiet, als das Gebäude für die wenigen Kirchenbesucher zu groß und der Unterhalt zu teuer wurde, die Kassen leer waren, aber Sanierungen standen an. Also war unter ökonomischen Gesichtspunkten der Verkauf nur folgerichtig. Aber muss der Verkauf auch gleich den Abriss bedeuten? Eine Unterschutzstellung des Kirchenbaus durch die Denkmalpflege hätte zumindest dieses Schicksal abwenden können, nur scheint im niederrheinischen Dinslaken niemand die Denkmalwürdigkeit der Christuskirche erkannt zu haben. Die Architektur der 1960er Jahre rückt zwar allmählich in den Fokus denkmalpflegerischen Handelns, doch braucht es vor Ort Fürsprecher, die Objekte dieser Art erkennen und sich für den Erhalt einsetzen. In Dinslaken mangelte es daran offensichtlich, denn die Christuskirche wurde nie unter Denkmalschutz gestellt. Ausgerechnet der fehlende Denkmalstatus erwies sich bei der Finanzierung von Alternativnutzungen als Fallstrick, da Landesmittel für derartige Projekte nur bei geschützter Bausubstanz bewilligt werden. Der finanzielle Spielraum der Stadt, sich an Erhaltungsmaßnah­men zu beteiligen, war durch ein Haushaltssicherungskonzept beschränkt. Daran scheiterte schließlich auch der Versuch, die Christuskirche als Landestheater umzunutzen. Die Dinslakener Burghofbühne suchte schon lange nach einer neuen Spielstätte und hätte hier adäquate Räume gefunden, denen eine gewisse Feierlichkeit immanent ist, aber den Theaterbesuchern kaum das Gefühl gegeben hätte, in einer abgelegten Kirche zu sitzen.

Das Gebäude erwies sich im Laufe der Verhandlungen als Kaufhindernis, wohingegen das von seiner Bebauung befreite Grundstück mit seiner direkten Nachbarschaft zu einem geplanten Einkaufszentrum einen ungleich größeren wirtschaftlichen Gewinn versprach als eine Umnutzung des Bestands. Schließlich musste das Grundstück, auf dem eine Baugesellschaft aus Voerde ein fünfgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus errichten wird, ohne die hinderliche Kirche verkauft werden. Der Neubau versucht die stadtbildliche Kastration zu kompensieren, indem er eine verunglückte Nachempfindung des Betonskelett-Glockenturmes in seinen Übereckeingang integriert.

... zum Zweiten, ...

Die Zerstörung eines Kirchengebäudes bezeichnet die Deutsche Bischofskonferenz in ihren Arbeitshilfen 175 zur Umnutzung von Kirchen als die ultima ratio: „Im Einzelfall kann der Abriss einer (nicht mehr benötigten, architektonisch und kunst­­historisch unbedeutenden) Kirche einer kostspieligen Bauunterhaltung oder einer unangemessenen Weiternutzung vorzuziehen sein.“
Die Arbeitshilfen enden mit einem neu erarbeiteten Ritus zur Profanierung von Kirchen, in dem die Gemeinde von ihrer Kirche Abschied nehmen kann, wenn diese nicht mehr für Gottesdienste genutzt oder gar abgerissen wird. Wohin aber mit dem Kirchenbauschutt? Die Gemeinde der Christuskirche hatte sich entschieden, im Rahmen ihrer „Trauerarbeit“ Teile der Gebäudehülle als Erinnerungsstücke in das im Umbau befindliche Gemeindezentrum zu integrieren: Zwei der kupfernen Außentüren, der Grundstein, und schließlich auch einige Betonfertigteile. Abgesehen davon, dass sich die Frage des Urheberrechtes mittlerweile klären ließ, bleibt fraglich, ob es für Alt und Neu sinnvoll ist, die dem Kontext des Bauwer­kes entnommenen Elemente als Spolien zu verwenden.

... und zum Dritten!

Um den großen Rest vor dem Bauschutt-Container zu bewahren, lud das Presbyterium Ende Januar zu einer „Auktion von Baumaterialien“ ein. Die Gelegenheit, wirklich einmalige baukünstlerische Elemente und Materialien zu ersteigern nahm jedoch kaum ein Dinslakener wahr – so dominierte auch in der letzten Stunde dieses Bauwerks das öffentliche Desinteresse. Niemand wollte die Betonglaselemente, Stückpreis 500 Euro inklusive Demontage und Anlieferung (man könnte sie ja einzeln hinterleuchtet im Garten aufstellen), niemand kaufte die 500 Quadratmeter Zebranoholz-Decke, die 500 Sitze oder die Handläufe, ebenfalls aus Zebrano. Aber auch weniger prätentiösen Gegenstände, wie der Treppenlift, das Gartentor, Lichtschalter, Dimmer und das Straßenpflaster werden wohl als Bauschutt enden. Versteigert wurden 80 von 500 Quadratmetern Schieferplatten für ein Dinslakener Wohnzimmer, die Buchenbohlen der Fußablagen erstand ein Tischler, die letzte Kupfertür (400 Euro) wird in der Disko des Walzwerks eingebaut werden, und ein Gussglasgriff ging für 10 Euro zur weiteren Verarbeitung an einen Hobbykünstler. Die kaum mehr als zehn Anwesenden schienen eher darauf zu warten, einzelne Betonglasbröckchen als Souvenir einzusammeln.

Der inzwischen über 80-jährige Architekt Hermann Zelger verblüffte angesichts der allgemeinen Ratlosigkeit in einem Brief an den Pfarrer mit seinem konstruktiven Pragmatismus: Er schlug vor, die 250 Betonfertigteile als Lärmschutzwand an die Autobahn zu stellen.

Bauwelt, Fr., 2007.02.16

16. Februar 2007 Uta Winterhager, Robert Winterhager

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