Inhalt

WOCHENSCHAU
02 Ein Bahnhof, keine Shopping Mall | Silke Reifenberg
03 Glashaus_01. Ausstellungsreihe über junge Büros | Urte Schmidt
03 2000 FF Neues Bauen in Weimar | Silke Reifenberg
04 Michael Mussotter (1959–2006) | Kaye Geipel
04 Elegant Variation. Die Architektur von H.T. Cadbury-Brown | Cordula Zeidler

BETRIFFT
10 Atombunker & Erbswurstsuppe | Rudolf Stumberger

WETTBEWERBE
14 Areal der Süddeutschen Zeitung in München | Jochen Paul
15 Entscheidungen
16 Auslobungen

THEMA
18 Der Ratssaal von Marseille | François Lamarre
26 Das Abspannwerk | Nils Ballhausen
32 Fouquet’s Barrière | Axel Sowa
35 Was tun mit den Fenstern? | Edouard François

REZENSIONEN
40 Reformarchitektur 1900–1918 | Jürgen Tietz
40 Bauen über die Region hinaus | Dieter J. Mehlhorn
41 Franz Heinrich Schwechten. Bauten für Berlin | Jürgen Tietz
41 Gebaute Geschichte. Ein Lehrbuch | Frank Maier-Solgk
42 Das Janusgesicht des Ghettos. Essays | Alexander Kluy
42 Claude-Nicolas Ledoux | Thomas Werner

RUBRIKEN
05 wer wo was wann
08 Leserbriefe
38 Kalender
45 Anzeigen

Die Letzte Seite

In Mecklenburg-Vorpommern ist die Gefahr deutlich größer, dass einsam gelegene Ferienhäuser bei Nacht und Nebel verladen und abtransportiert werden. Um sich diesem dreisten Diebstahl entgegenzustemmen, wurde ein Haus mit kraftvoller Drohgebärde in Form einer Riesenkralle entwickelt und bereits errichtet. Die tief im Boden verankerten Dacharme sind aber nicht nur zur Abschreckung gedacht, sie dienen sogar als eine Art Wegräumsperre. Wer dies nicht glauben mag, sollte die andere, uns zugesandte Geschichte zum Haus lesen:

„Der Neubau liegt eingebettet in der parkartigen Umgebung einer historischen Gutsanlage in Mecklenburg-Vorpommern. Das gesamte Hofensemble steht unter Denkmalschutz. Unweit vom frühbarocken Herrenhaus mit den restaurierten Wirtschaftsgebäuden bezieht das neue Wohnhaus mit seiner skulpturalen Dachform selbstbewusst Position...

Auch an beiden Giebelseiten ist die markante Zinkabdeckung gestalterisches Thema. So sind die Tentakel an der Sonnenseite des Gebäudes rundum mit diesem Material bekleidet. Über die gesamte nördliche Giebel- und Fassadenwand zieht sich die Deckung wie eine präzise ausgeführte ,Origami Faltung‘. Was dem Städter elegant erscheint, wird vor Ort als stilisierter ,Abdruck eines Trecker-Reifens‘ kolportiert...

Auf Gut Hohen Luckow ist eine unaufgeregte Neuinterpretation des Typs ,Norddeutsches Landhaus‘ gelungen. Sensibel und mit ausgesuchten Details führten die Architekten die Formen ihrer extravaganten Computerarchitektur in die Realität der vorpommerschen Region.“

Bauwelt, Fr., 2006.12.01

01. Dezember 2006 Nils Ballhausen

Umgestaltung des Areals des Süddeutschen Verlages in München

Im Sommer noch hatte die geplante Transformation des SZ-Areals Diskussionen über den Umgang mit 6oer-Jahre-Architektur in München ausgelöst. Dann war es ruhig geworden. Die Entscheidung, ob der „Schreiberbau“, dessen schwarz verglaste Fassade den Kritikern der Moderne nicht mehr ins Stadtbild passt, abgerissen werden soll, überlässt man letztendlich den Investoren.

Bereits Ende September hatten die 13 eingeladenen Büros ihre Arbeiten dem „Beratungsgremium“ aus Architekten, Politikern und Investoren präsentiert. Die Entscheidung fiel einstimmig für den Masterplan der Zürcher Marcel Meili und Markus Peter. Anfang November schließlich stellten Stadtbaurätin Christiane Thalgott und das Investorenteam FOM Real Estate und LEG Baden-Württemberg – sie planen auch den Neubau des Süddeutschen Verlags in Steinhausen (Heft 32)– das Ergebnis offiziell vor.

Die Aufgabe bestand darin, das für die Öffentlichkeit bisher unzugängliche Areal in ein Quartier für Wohnen, Einkaufen, Arbeiten und Freizeit zu verwandeln und dadurch das Hackenviertel am Sendlinger Tor zu stärken. Den Abriss des Verwaltungsgebäudes von Detlef Schreiber, Herbert Groethuysen und Gernot Sachsse aus den 60er Jahren zugunsten eines neuen Büro- und Geschäftshauses begründen die Beteiligten einhellig damit, dass es „einer Öffnung des Areals im Wege“ stehe und „rein optisch den städtebaulichen Gesamteindruck des Gevierts eher negativ“ beeinflusse; die Investoren berufen sich darüber hinaus auf die Rechtssicherheit ihrer Investitionsentscheidung.

Angesichts der Abgeschiedenheit des Areals trotz seiner zentralen Lage, der desolaten städtebaulichen Situation gegenüber der geplanten Haupterschließung am Färbergraben und der Konkurrenz im Umfeld ist die angestrebte Öffnung ein schwieriges Unterfangen: Auch die nahe gelegene Ladenpassage von Hilmer & Sattler zwischen Kaufinger und Fürstenfelder Straße aus den 90er Jahren bietet derzeit wenig Reiz, der Platz an der Sattlerstraße noch weniger. Hier beschränken sich die Gestaltungsmöglichkeiten der Stadt bis 2010 auf eine Bepflanzung mit zwei Baumreihen.

Warenhäuser arbeiten am liebsten mit Kunstlicht und geschlossenen Fassaden; dennoch soll das neue Büro- und Geschäftshaus am Färbergraben als Entree für das gesamte Areal funktionieren. Meili und Peter formulieren dieses Dilemma aufrichtig und schlagen als Lösung eine zweischalige, „medial bespielte“ Fassade vor, deren äußere Hülle aus farbigem Glas besteht. Im Zentrum des städtebaulichen Entwurfs steht dagegen ein Altbau – das ehemalige Druckereigebäude im Inneren des 11.000 m² großen Areals, an das die Architekten die einzelnen Baukörper anlagern. Auf diese Weise entstehen fünf Höfe und eine schlüssige interne Wegeführung. Die Ladenpassage entwickelt sich aus einer Abfolge von geschossweise gegenläufig schwingenden Fassadenbändern, die sich unterschiedlich hoch aufweiten.

Was zunächst unspektakulär biomorph wirkt, erfährt seine Berechtigung im Vergleich mit den Arbeiten der anderen Teilnehmer, denen Christiane Thalgott bescheinigte, „heftig an der Fassade zum Färbergraben gearbeitet zu haben“. Besonders die Entwürfe der Münchner Büros ließen Zweifel aufkommen, ob die Verfasser jemals am Färbergraben waren: Auer Weber schlugen einen weiteren Seitenflügel des Hauptbahnhofs vor, Hilmer & Sattler und Albrecht eine Neuauflage der Berliner Leibnitz-Kolonnaden, Lauber Architekten eine großmaßstäblich zerklüftete Steinfassade. Dem Entwurf von Kiessler Partner, die als einzige den „Schreiberbau“ erhalten und umnutzen wollten, bescheinigte die Jury unter Carl Fingerhuth „erhebliche funktionale Mängel“. Die Arbeit von Marcel Meili und Markus Peter ist nun Grundlage der weiteren Planung, der Baubeginn ist 2008.

Bauwelt, Do., 2006.11.30

30. November 2006 Jochen Paul

Fouquet’s Barrière – Neue Fassaden in Paris

Als Louis Fouquet die Kutscherkneipe betrat, wurden seine Sinne augenblicklich benebelt von der stickigen Luft. Es roch nach Pferd, Tabak und billigem Wein. Doch Fouquet war nicht gekommen, um seinen Durst zu löschen, sondern um den gan¬zen Laden zu kaufen. Das geschah 1899, in dem Jahr, als die Pariser Droschkenpferde zum ersten Mal motorisierte Konkurrenz bekamen. Aus der Kneipe Ecke Champs Elysées, Avenue George V machte Fouquet ein Restaurant und nannte es Fouquet’s, was britisch klang und der Mode entsprach, die, wie alle Moden an den Ufern der Seine, bald von der nachfolgen¬den weggespült wurde. Das Restaurant konnte aber seinen Namen behalten. Er wurde im Verlauf einer hundertjährigen Geschichte zum Namen einer Institution, zum Synonym von „tout Paris“. Seit 1990 steht Fouquet’s auch auf der Liste der Baudenkmäler und gehört heute zur Gruppe „Lucien-Barrière“, die ausschließlich im Bereich der Kasinos, Thermalbä­der und Luxushotels operiert. Am 3. November wurde das „Fouquet’s Barrière“, ein Hotelbau mit Restaurantanschluss, eröffnet. Die Übernachtung mit Frühstück kostet 690 Euro, eine Deluxe-Suite 1900 Euro. Die Hoteliers hoffen auf einen treuen Kundenstamm aus den Golfstaaten.
Die Fusion von Hotel und Restaurant war weniger ein geschäftliches Problem als ein bauliches. Edouard François wurde gerufen, um die heterogene Bausubstanz von sieben Häusern mit unterschiedlichen Stilen und Deckenhöhen zu ordnen und für neue Aufgaben nachzurüsten. Er wurde dem bereits designierten Innenarchitekten Jacques Garcia zur Seite gestellt. Von einer Zusammenarbeit im engeren Sinn kann allerdings nicht die Rede sein. Begriffe wie Integration, konstruktive Ehrlichkeit, Korrespondenz von Innen und Außen usw. sind in den Darstellungen beider nie gefallen. Während der eine mit schweren Stoffen, weichen Teppichböden, Blattgold und besticktem Leder arbeitet, experimentiert der andere mit Gusstechniken und Löchern in Lochfassaden, die streng genommen keine sind.

Metropolen sind Brutplätze von Widersprüchen. Da diese so zahlreich sind und niemals vollständig von den Metropolenbewohnern aufgelöst werden können, müssen sie eben ausgehalten werden. Obwohl die Pariser kein besonders stoisches Volk sind, haben sie dennoch beim Ertragen des Unvereinba¬ren erstaunliche Leistungen erbracht. Unvereinbar sind nicht nur Rohmilchprodukte und Europa-Normen, Kinderwunsch und Mietpreis, Autodichte und Busspur, sondern auch die Forderung nach zeitgenössischer Gebäudetechnik bei gleichzeitigem Erhalt historischer Bausubstanz. Doch da es die Pariser beim schlichten Ertragen nicht belassen wollen, erfinden sie täglich neue Widersprüche.

In Edourad François haben sie einen Architekten gefunden, der ihnen dabei unter die Arme greift. Der Architekt erfindet Äste aus Aluminium und Steinfassaden aus Beton; er veredelt den Kitsch und verkitscht den Luxus ; er spielt Verstecken und blinde Kuh mit Haussmann, Napoléon III, den Denkmalpflegern und seinen reichen Bauherren. Edouard François hat für die Architektur ein Gebiet erschlossen, das bisher auf die Plateaus von Film und Fernsehen beschränkt war. Er arbeitet mit Attrappen, Kulissen und Effekten. Immer so, dass sich schließlich die Widersprüche, da an Auflösung ohnehin nicht zu denken ist, zu einem bizarr-barocken Geflecht verknäulen. Das Gütesiegel Edouard François’scher Architektur ist jenes leise und leicht beschwippste Kichern, welches den vollendeten Werken entweicht und zuweilen auch auf ihre Betrachter übergeht.

Bauwelt, Do., 2006.11.30

30. November 2006 Axel Sowa

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