Inhalt

WOCHENSCHAU

02 Staatsarchitektur der Weimarer Republik | Michael Kasiske
03 Stadtansichten Kairo | Urte Schmidt
04 Sanierung des Dunckerviertels in Leipzig | Matthias Grünzig
04 Bericht von der Expo Real | Christian Brensing

BETRIFFT
06 Koolhaas und die niederländische Kultur der 60er Jahre | Bart Lootsma

WETTBEWERBE
14 Barrierefreie Museumsmeile in Paris | Doris Kleilein
16 Auslobungen

THEMA
18 Wohnhaus in Hochstätt | Kaye Geipel
24 Chronologie eines Bauprozesses
26 Skihütte in Lech | Walter Chramosta
32 Wochenendhaus im Schliertal

RUBRIKEN
05 Leserbriefe
36 Kalender
37 Anzeigen

Stadtansichten Kairo

(SUBTITLE) Bauen und Planen für übermorgen

Verschnörkelte Parkanlagen mit saftig-grünen Wiesen und tiefblauen Teichen, Villen mit knallroten Ziegeldächern, erschlossen nur durch eine überwachte Anwohnerstraße: Das ist „Arabella Park“, eine beispielhafte Wohnsiedlung von „New Cairo City“. Bisher assoziierte man wohl kaum eine solche Gated Community mit Ägyptens Hauptstadt. Das Erste, was den meisten Menschen immer noch zu Kairo einfällt, sind die Pyramiden von Giza, dieser uralte, gigantische Anziehungspunkt, ursprünglich neben der Stadt gelegen, nach und nach aber immer näher gerückt. Mittlerweile ist auch sie gigantisch, die größte Metropole Afrikas, eine Megacity mit 17 Millionen Einwohnern. Für eine solche Stadt zu planen ist nahezu unmöglich – zum Zeitpunkt der Abstimmung sind die Vorhaben meist überholt. So entstehen viele Siedlungen informell, ohne klare Besitzverhältnisse und ohne übergeordnete Planungen, also auch ohne Genehmigungen. Probleme treten besonders dann auf, wenn die Gebäude renovierungsbedürftig werden und das Geld fehlt. Wie bei Manshiet Nasser, mit 600.000 Einwohnern eine lebendige, aber arme Siedlung, die ohne rechtliche Grundlage existiert und mit mangelhafter Infrastruktur ausgestattet ist. Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und die KfW Entwicklungsbank sollen nun helfen, die Missstände zu beseitigen, indem Straßen, Wasserversorgung und Kanalisation ausgebaut und die Besitzverhältnisse legalisiert werden. Die Beteiligung der Bewohner ist dabei wesentlich, um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen. Die Erbauer der Häuser, die meist auch die Vermieter sind, können die Grundstücke günstig von der Stadt erwerben, mit der Instandsetzung der Bauten beginnen und dadurch wiederum Arbeitsplätze schaffen.

Weder historisch noch gegenwärtig betrachtet bildet Kairo eine Einheit. Es existiert vielmehr als heterogenes Geflecht nebeneinander liegender Stadtteile. Um die notwendige Erweiterung nicht ganz sich selbst zu überlassen, wurde der Flächennutzungsplan für „New Cairo City“ entwickelt, der sich dieser Logik des Bestands anpasst. Investoren oder Privatpersonen können hier Baugelände erwerben und beplanen. So stehen bereits vereinzelte, in sich geschlossene Siedlungen in der Wüste östlich des heutigen Stadtgebietes.

Die Ausstellung der ifa-Galerie in der Reihe Stadtansichten zeigt die verschiedenen Bilder Kairos, ohne zu differenzieren. Kurze Texte charakterisieren die Stadtteile, gleichformatige Fotos zeigen dazu die oftmals sehenswerte Architektur. Nur Ausschnitte werden hier vermittelt, zu klein und auch zu allgemein, um nachhaltig zu beeindrucken. Der internationale Wettbewerb zum großen ägyptischen Museum, das dicht bei den Pyramiden gebaut wird, wirkt wie eine Randerscheinung. Gut, dass die Projekte mit Beteiligung der Bevölkerung räumlich im Mittelpunkt stehen. Schade, dass die Ausstellungsmacher nicht deutlicher Schwerpunkte gesetzt haben, um die Aufmerksamkeit gezielt zu lenken.

Bauwelt, Fr., 2006.11.24

24. November 2006 Urte Schmidt

Access for All – Barrierefreie Museumsmeile in Paris

Unter Barrierefreiheit verstehen viele Architekten bestenfalls das Hinzufügen einer Rampe. Die Forderung nach einem „Zugang für Alle“ wird als eine weitere Regel im ohnehin komplizierten Baugesetz empfunden. Im Rahmen des Schindler Award haben sich 500 Studenten damit auseinandergesetzt, wie eine Architektur ohne Hindernisse aussehen könnte.

Die Passerelle Debilly, eine Eisenbrücke aus dem 19. Jahrhundert, liegt gegenüber dem neuen Musée Quai Branly unweit des Eiffelturms. Sie überbrückt die Seine und führt hinüber zum Palais de Tokyo, ei¬nem Monumentalbau von 1937, in dem seit einigen Jahren zeitgenössische Kunst gezeigt wird. Wer mit dem Rollstuhl oder dem Kinderwagen von einem Museum zum anderen gelangen will, kann nicht einfach über die Passerelle schlendern, sondern muss einen weiten Umweg in Kauf nehmen: Treppen, Schnellstra¬ßen und Höhenunterschiede zu beiden Seiten des Flusses machen den Spaziergang zum Hindernislauf.

Es war eine komplexe Aufgabe, die der diesjährige Schindler Award gestellt hatte. Eine hindernisfreie Museumsmeile im Herzen von Paris sollte gestaltet werden, dazu ein Besucherzentrum und ein Ausstellungskonzept für die leer stehenden Flächen des Palais, das „Bewusstsein schafft“ – und allen Menschen, auch blinden und tauben, und der in Zukunft immer größer werdenden Gruppe von Gebrechlichen und Altersdementen den Zugang zur Kunst ermöglicht. Wie der Juryvorsitzende Thomas Sieverts, Köln, erläuterte, ging es bei dem zum zweiten Mal ausgelobten Wettbewerb eben nicht um die technisch mach¬bare Lösung für Behinderte, sondern um ein grundsätzliches Umdenken: Der Zugang für alle muss für die junge Architektengeneration gestalterische Herausforderung und Selbstverständlichkeit werden.

Der erste Preis ging denn auch nicht an das spektakulärste architektonische Projekt, sondern an die zurückhaltende, gut durchdachte Arbeit von Marta Neic, Marco Di Nallo und Manfred Sponseiler: Sie setzen der Tyrannei der Achsen, die in Paris regiert, ein spielerisches Band aus Rampen entgegen, das von der Passerelle abzweigt und in den Außenhof des Palais de Tokyo führt. Von der Rampe aus, in deren Zwickel drei „Pocket Parks“ geplant sind, führen Aufzüge in jedes Geschoss des Museums. Auch im Inneren werden die Besucher auf einen Entdeckungspfad geführt, der sich durch die grünen Höfe und Räume der Westfassade schlängelt.

Während Adam Beard und Marie Henrike Haase von der TU Delft mit ihrem Entwurf die Seine umarmen – ein Servicepoint ist am Quai Branly untergebracht, eine holzbeplankte Erweiterung der Passerelle führt zum Besucherzentrum an der bislang tristen Rückseite des Palais am anderen Flussufer –, setzt das siebenköpfige Team aus dem schwedischen Lund auf die große Geste: Eine riesige Glas-Stahl-Brücke ersetzt die Passerelle und bildet einen neuen Platz über dem Fluss. Die gigantische Spielfläche war der Jury einen dritten Preis wert, unter anderem, weil kein einziges Element einen Unterscheid zwischen Behinderten und Nichtbehinderten macht.
Ein Spezialpreis ging jeweils an Tobias Klauser, Lónard Kocan und Silvan Oesterle von der ETH Zürich, die zwar die Aufgabe nicht ganz erfüllt, dafür aber den interessantesten Denkansatz geliefert haben. Unter der Vorgabe „Learning from Dementia“ versuchen sie, eine Umgebung zu entwerfen, in der man sich mit Hilfe von groben Sinneseindrücken (z.B. Fassaden, die Farbe und Form wechseln) orientieren kann. Auch wenn die Projekte etwas vage bleiben: Man hätte sich mehr grundlegende Ansätze dieser Art gewünscht. „Die Architektur ist nicht nur ein Beruf, es ist eine geistige Haltung“ (Le Corbusier), stand auf dem Panel zu lesen.

Bauwelt, Fr., 2006.11.24

24. November 2006 Doris Kleilein

Im Zentrum der bayerischen Idylle

(SUBTITLE) Wohnhaus in Hochstätt bei Rimsting

Die Gegend rund um den Chiemsee ist sozusagen das Kernland der Bayernbilder. Überwölbt wird dieses Bild von jenem unvergleichlichen Voralpenlicht, das die Landschaft rotgold färben und – so meinen einige – den Touristen geradezu betrunken machen kann. Architektur kommt hier nur in der Kategorie Vergangenheit vor. Die letzte nenneswerte Eintragung stammt von 1878, Schloss Herrenchiemsee von Georg Carl Heinrich von Dollmann und Julius Hofmann. Vor Ort stört dies niemand. Die großen Auftraggeber, vor allem die sich ausbreitenden Sport- und Kurkliniken, zeigen Camouflagearchitektur in großem Maßstab. Neue Siedlungen, deren Flächen den im Grundstückshandel versierten Bauern für saftige Preise abgerungen werden, ducken sich weg. Erschließungstechnisch geschieht dies meist über eine Ringstraße, um die sich eine Ansammlung vom Typus „Oberbayerisches Alpenhaus“ gruppiert. Wenn solche Siedlungen dann noch eine begrünte Böschung haben, sind es bayerische gated communities.

Auch im Umkreis des kleinen Weilers Hochstätt gibt es solche Schleifen. Der Typus des oberbayerischen Hauses ist hier längst ein Versatzstück ohne Bezug zur Geschichte. Es geht um die Akkumulation regional-pittoresker Dekors im Kleinen und Kleinsten. Wo einst große Höfe mit enormen Dächern die Architektur prägten, zeigen die Neubauten kleinteilige Hausfassaden mit zu groß geratenen Dachüberständen; statt der in den Langbauten typischen Trennung in Mauerwerk für den Wohntrakt und Holz für den Stall respektive die Scheune gibt es jetzt Fassadencollagen auf engem Raum; die einst über die ganze Breite führenden Balkone mit ihrer abstrakten Gliederung schrumpfen zu putzig dekorierten Austritten. In puncto Nutzung aber ist die Gegenwart eingezogen: Neben einigen Bauern leben hier ein Rechtsanwalt, ein Pilot und eine Stewardess, ein Kunsthandwerker, ein Cafébetreiber und eine Firma, die innovative Zeltdächer entwirft. Selbst diese Firma versteckt sich in einem großen Bauernhaus.

In das hermetische Gefüge von Hochstätt platzte der Entwurf für ein Atelierhaus. Das Grundstück ist zurückgesetzt, es hat einen Übereck-Blick auf den See. Das Baurecht hätte eine zweigeschossige Bauweise möglich gemacht. Die Bauherren –ein Ehepaar aus München und mit ihnen der Architekt – wollten aber etwas anderes: keinen traditionellen Grundriss, keine weggeduckte Simulation, sondern einen aufgelösten Typus, der zur Rückseite einen Hof ausbildet und dort, über eine Scheunenrückwand des Nachbarn, das phänomenale Licht einfängt. Zur Seeseite gibt es zwei längere Riegel, die den Blick gleichsam verdoppeln. Alles wurde auf einen terrassierten Sockel gestellt, aber eben – eine vertrackte Selbstbescheidung gegenüber der Bauordnung – nur ein Geschoss hoch. Eine Architektur des Stegs also, so, als sei der See dem Hochstätter Hügel hier komplizenhaft nahegerückt. Man hätte sich ein solches Haus in den Sechzigern wohl nur als radikal gläsernes Bauwerk vorstellen können. Bernd Meyerspeer hüllt es in eine hölzerne Ganzfassade aus getackerten Fichtenholzlatten und macht durch die Art, wie er den traditionellen Aufriss adaptiert, daraus einen transparenten Ausguck zum Wasser.

Der Bauausschuss der Gemeinde Rimsting stellte schnell klar, dass er ein solches architektonisches Danaergeschenk nicht akzeptieren wolle. Nicht die überbordende Form steht in Konflikt mit der Bauordnung, sondern die sparsame. Es ist die Abstrahierung der Dachform, die stört, es provoziert die Ökonomie, mit der weggelassen wurde, was nicht nötig ist.

In der Tourismusfalle

Wenn ein einzelnes und zumal ein so kleines Haus auf dem Land so viel Streit erzeugt, so stellt sich die Frage, wofür die Auseinandersetzung geführt wurde. Die Chronologie des Hochstätter Bauprozesses (Seite 24–25) erinnert in manchem an das scheinbar blinde Stakkato eines Karl-Valentin-Liesl-Karlstadt-Disputs. Aber unter der Oberfläche manifestiert sich ein stellvertretend geführter Machtkampf, in dem darum gepokert wird, von wem das in den letzten Jahrzehnten entstandene kulturelle Vakuum in puncto Architektur wieder gefüllt werden darf. Der Streit zeigt hier, wie sich die bloß noch formal gedachte Typisierung regionaler Architekur selbst blockiert, wenn sie nicht – wie etwa in Vorarlberg – von einer ganzen Reihe von Akteuren weiterentwickelt wird (Heft 22). Das zuständige Landratsamt Rosenheim hat den Kreisbaumeister abgeschafft, weil es ihn schlicht nicht mehr braucht. Die zuständigen Bauverwaltungen können den Standard mit den Mitteln des Baurechts reproduzieren. Solange auch der Zustrom der Touristen dies zu stützen scheint, gibt es keinen Grund, an eine Weiterentwicklung der regionalen kleinstädtischen und architektonischen Modelle zu denken. Allein solche polternden Auseinandersetzungen wie in Hochstätt machen sich dann und wann bemerkbar. Es ist vielleicht bloß ein Wunsch, dass über solche individuellen Debatten, die sich nur sehr dickköpfige Architekten und Eigentümer leisten, etwas im Größeren in Bewegung kommt. Das Schöne an diesem Haus ist, dass es seine besonderen Qualitäten genau dort nachweisen kann, wo der Entwurf das vorgeschriebene Modell verlässt: Das Haus bietet einen sinnvolleren Grundriss, der die verschiedenen Funktionen auf Tuchfühlung bringt, statt sie in die isolierten Kammern des traditionellen Hauses zu stecken. Es greift das sterile Balkonthema auf und baut es zu einem Arbeitsbereich und einer Sightseeing-Bühne auf – das Haus hat trotz seiner Symmetrie zwei grandios unterschiedliche Seiten. Schließlich durchbricht der Bau das abgeschlossene Nebeneinander der Grundstücke und zeigt im Kleinen städtebauliche Qualitäten, die einen Austausch möglich machen. Ein bescheidenes Haus, ein störrischer Entwurf, ein sehr gutes Beispiel.

Bauwelt, Fr., 2006.11.24

24. November 2006 Kaye Geipel

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