Editorial

In der neuen Ausgabe von »Material wirkt« zeigen wir gemeinsam mit md, wie Materialität Architektur und Innenarchitektur verbindet. Wir präsentieren Projekte, die mit spannenden Kontrasten und innovativen Werkstoffen überzeugen, und greifen aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit und KI auf. Ein Heft für alle, die über Disziplingrenzen hinweg denken.

Schule von LRO in Mannheim

Mit dem Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte wurde das „Benjamin Franklin Village“ im Mannheimer Stadtteil Käfertal zum Konversionsgebiet „Franklin“. Heute zeigt dort die von LRO entworfene Quartiersschule, wie vielfältig Holzbau sein kann.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die US-amerikanischen Soldaten im Mannheimer Stadtbezirk Käfertal stationiert. Ihre Kaserne „Benjamin Franklin Village“ war zusammen mit den benachbarten Sullivan Barracks, den Taylor Barracks und den Funari Barracks insgesamt so groß wie die gesamte Mannheimer Innenstadt. Im Zuge der Umstrukturierung der US-Streitkräfte in Europa seit dem Jahr 2010 wurden auch die Käfertaler Kasernen sukzessive geräumt, 2014 zogen die letzten Einheiten von dort ab. Das wertvolle Areal der Benjamin Franklin Village konnte somit von der Stadt als Konversionsfläche ausgewiesen werden, um hier das neue Stadtquartier „Franklin“ zu entwickeln. Ein Großteil der Bebauung bestand ursprünglich aus langen Wohnriegeln mit drei Wohngeschossen, die im Zuge der Umwandlung zumeist nicht weitergenutzt werden konnten und mittlerweile durch Neubauten ersetzt sind.

Auch das Gebäude der ehemaligen Schule mit Ganztagsbetreuung sollte im Zuge der Konversion abgerissen und durch einen modernen Neubau mit Sporthalle ersetzt werden, so der Wunsch der Stadt.

Das Stuttgarter Architekturbüro LRO, das den dazugehörigen Planungswettbewerb im Jahr 2019 für sich entscheiden konnte, schlug jedoch einen anderen Weg für das Schulgebäude vor. Die ursprüngliche Ausschreibung der Stadt sah zunächst den Bau nur des Schultrakts vor, anschließend sollte der Bestand abgerissen und an selber Stelle die Sporthalle errichtet werden. Ihre Idee von LRO war nun, beide Gebäude, also das Schulhaus und die Sporthalle, in einem Ruck zu realisieren und den Bestandsbau dabei nicht zu tangieren, womit der zunächst erhalten werden konnte. Alle Bestandsbauten der Franklinschule konnten somit weitergenutzt werden – was nicht zuletzt dem zwischenzeitlich deutlich gewachsenen Bedarf günstig entgegenkommt.

Beide Baukörper, also Schule und Sporthalle, sind im rechten Winkel und leicht versetzt zueinander platziert. Dadurch eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten differenzierter und teils überdachter Freiflächen mit ganz unterschiedlichen Charakteren.
Nachhaltiger Bestandserhalt

Eine zusätzliche Fläche entsteht dadurch, dass die Architekten die Sporthalle zur Hälfte in den Boden versenken: Das Hallendach ist über eine großzügige Freitreppe mit dem Schulhof verbunden, wodurch es zu einem wichtigen Teil des Freiflächenkonzepts wird. Hier gibt es eine Schatten spendende Pergola, Hochbeete und eine „Forscherlandschaft“ für die rund 450 Schülerinnen und Schüler. Man betritt das Ensemble am Scheitelpunkt zwischen Sport- und Schultrakt. Im EG befinden sich zunächst unter anderem die Räume für die Tagesbetreuung, einige Fachräume sowie die Verwaltung. Untergebracht ist hier auch die Mensa, die sich großzügig zum Schulhof hin öffnet. Eine breite Treppe, die auch zum Sitzen einlädt, führt vom Eingang aus hinauf ins OG, die eigentliche Lernebene. Die insgesamt 16 Klassenräume hier sind in Clustern organisiert: Jeweils vier Klassenräume bilden eine jahrgangsgemischte Raumgruppe, innerhalb derer die Kinder vertrauensvoll mit- und voneinander lernen sollen.

Diese organisatorische Verteilung der Funktionen lässt sich auch in der äußeren Gebäudeform ablesen: Ein umlaufender Balkon teilt das Gebäude vertikal in ein Oben und ein Unten, spendet den Funktionsräumen im Erdgeschoss Schatten und erweitert gleichzeitig die Räume im OG zum Außenraum hin.

Aktionsbereiche

Jedes Klassenzimmer zeichnet sich als eigenständiges Holzhäuschen mit Zeltdach und Oberlicht ab, was einen angemessenen Maßstab für die Schülerinnen und Schüler schafft. „Die Klassenhäuschen“, so beschreibt das Entwurfsteam von LRO ihre Idee, „vermitteln ein einzigartiges Raumgefühl und dienen als Identifikationspunkte für die Schüler.“ Das Schulhaus-OG ist zudem mit der Fläche des Sporthallendachs stufenlos verbunden, wodurch – ein wichtiger Gedanke des Entwurfs – ein zusammenhängendes Raum- und Flächenkontinuum entsteht, das alle Aktionsbereiche des Schulbetriebs elegant miteinander verknüpft.

LRO hat im Entwurfsprozess viele nachhaltige Materialien ausgesucht und sie entsprechend ihrer spezifischen Eigenschaften möglichst sinnvoll verbaut. Der Gebäudekomplex ist deshalb grundsätzlich in Holz-Beton-Hybridbauweise konzipiert. Das Holz dient dabei besonders der Wohnlichkeit und der Regulierung des Raumklimas. Außerdem bietet es einen hohen Vorfertigungsgrad und dadurch kurze Montagezeiten. Alle Holzbauteile sind unter weitestgehendem Verzicht auf Dispersionsanstriche und Lacke verarbeitet. Die Dämmungen bestehen aus Zellulose, Kalziumsilikat und Mineralfaser, die Außentüren aus Massivholz, die Fenster aus einer Holz-Aluminium-Elementverglasung. Für konstruktiven Sonnen- beziehungsweise Regenschutz sorgen Vordächer aus Aluminium und die Balkonkonstruktion aus Lärche mit Silikatanstrich. Beton kommt nur dort zum Einsatz, wo er unbedingt nötig ist – etwa für Brand- und Schallschutz oder zur Aktivierung von Wärmespeichermasse. Verwendet wird er dann meist mit einem Schalbild aus sägerauen Brettern, das sich an der Einteilung und der Oberfläche der Holzelemente orientiert.

Zwischen Himmel und Laub

Die Fassade ist komplett in einem Grün gestrichen, das sich farblich bewusst zwischen Frühlingslaub und Himmelblau bewegt – laut LRO inspiriert übrigens vom „Tallum Pavilion“ des schwedischen Architekten Erik Gunnar Asplund im Stockholmer Friedhof „Skogskyrkogården“ aus dem Jahr 1924. Sie ist als hinterlüftete Holzfassade aus sägerauer Fichte konzipiert. Die vertikal ausgerichtete Schalung ist mit zwei verschieden tiefen und 7 sowie 13 cm breiten Hölzern gebaut, die zudem mit zwei verschieden hellen Grüntönen gestrichen sind. Dadurch entsteht eine leicht flirrende Anmutung in der Gebäudeansicht, die je nach Tages- und Jahreszeit ein changierendes Wechselspiel von Schatten und Licht erzeugt.

Die Gesamtansicht mit den aneinandergereihten Zeltdächern, dem arkadenartigen Balkon und der frischen, vertikal ausgerichteten Farbgebung erzeugt Assoziationen an Frei- oder Strandbäder und somit an die lockere Atmosphäre der Ferien. Diese Wirkung ist durchaus bewusst gewählt, geht es bei dem Schulhaus doch darum, der Institution die Strenge zu nehmen und eine gute Lern- und auch Lehratmosphäre zu erzeugen.

Vorgefertigter Holzbau

Aber nicht nur die Oberflächen, sondern auch der größte Teil der Konstruktion besteht aus Holz, genauer gesagt aus vorgefertigten Massivholz-Brettstapelelementen. Das Holzbauunternehmen hatte für die gesamte Detailplanung und Lieferung nur etwa ein halbes Jahr Zeit, ebenso schnell konnte die eigentliche Montage erfolgen. Die Wände bestehen aus 12 oder 16 cm dickem Massiv-Brettsperrholz mit akustischer Vorsatzschalte. Die Brettstapelelemente der Decken über den Klassenräumen sind 22 cm hoch, inklusive der Akustikfräsung, bei den Oberlichtern beträgt die Wandstärke nur 12 cm.

Auch bei den Flachdächern der Sporthalle besteht die tragende Konstruktion aus Holz, genauer gesagt aus Brettschichtholz-Trägern mit BPS-Beplankung, Kalzium-Silikatdämmung sowie einem begehbaren Dachbelag, teilweise sogar mit Begrünung.

Die Stützen und Träger der Balkone schließlich wurden als fertige Elemente geliefert und mit vorgefertigten Holzrosten belegt.

Hohe Aufenthaltsqualität

Nachhaltigkeit und Klimaschutz waren auch bei der Wahl der gebäudetechnischen Anlagen eine wichtige Entscheidungsgrundlage, darum verzichteten die Planer auf komplexe Technik. Ein zentrales Kriterium beim Bau von Schulgebäuden ist die ausreichende Frischluftversorgung in den Klassenräumen. Deshalb gibt es dort eine CO₂-gesteuerte Be- und Entlüftungsanlage. Über die Fenster und die Oberlichter kann im Sommer im Zusammenspiel mit den Beton-Speichermassen die Nachtauskühlung aktiviert werden.

Zusätzlichen, emissionsfreien Strom liefert eine Photovoltaikanlage der Pergola auf dem Sporthallendach, Wärme für Heizung und Warmwasser kommt über einen Fernwärmeanschluss.

So ist es gelungen, ein modernes Schulensemble zu errichten, das die Bestandsbauten und damit die Historie des Ortes wahrt und für die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrenden eine räumlich wie materiell ideale Atmosphäre erzeugt.

„Das Zusammenspiel von Holz und modernen Baumaterialien schafft eine nachhaltige Umgebung“, berichtet die Bauherrin BBS Bau- und Betriebsservice stolz, „in der Schülerinnen und Schüler Wissen unter aktuellen pädagogischen Ansätzen erwerben. Eine einladende und inspirierende Lernumgebung mit hohem Wohlfühlfaktor für die Kinder in Mannheim.“

db, Fr., 2025.07.18

18. Juli 2025 Thomas Geuder

Energieautarkes Ferienhaus in Noto (I)

Die Fassaden und Innenräume dieses puristischen Sichtbeton-Gebäudes auf Sizilien sind mit lokalen mineralischen Materialien veredelt, die traditionell auch die Bauernhöfe im ländlichen Raum der Insel prägen.

Das Val di Noto bezeichnet eine dünn besiedelte Region rund 100 km südlich des Ätna. Sie ist bekannt für eine Reihe von Städten, die nach einem Erdbeben im Jahr 1693 allesamt fast vollständig zerstört und dann jeweils als einheitlich spätbarocke, inzwischen auch zum Weltkulturerbe erhobene Ensembles wiederaufgebaut wurden.

Einen besonderen Charme versprüht auch die karge Landschaft unweit des Mittelmeers. Die sanft hügelige Umgebung der Stadt Noto ist geprägt von Ackerflächen und weitläufigen Mandel- und Olivenhainen. Vereinzelt sind auch Ferienhäuser zu finden, die hier aber nur dann neu errichtet werden dürfen, wenn sie einige Spielregeln beachten. Baugrundstücke müssen beispielsweise eine Mindestgröße von 1 ha aufweisen, und die Neubauten dürfen nur ein Geschoss hoch sein, sodass sie die Kronen der oft jahrhundertealten Bäume nicht überragen. Konkrete Vorgaben zu Abmessungen, Gebäudehöhen und -formen oder Dachneigungen gibt es aber nicht.

In die Landschaft eingebettet

Als ein italienischer Fotograf das Pariser Architekturbüro Gaëtan Le Penhuel Architectes beauftragte, hier ein energieautarkes Ferienhaus zu bauen, war für die verantwortliche Büropartnerin Corina Laza eines sofort klar: „Hier sollte kein weiterer weißer Kubus entstehen – eine Typologie, die gerade in dieser Region verbreitet ist, obwohl sie eher an die Kykladen als an Sizilien erinnert. Wir sahen uns vielmehr von der archaischen Kraft der örtlichen Bauernhäuser inspiriert. Diese sind meist als Massivbauten mit Naturstein- oder Putzfassaden ausgeführt, die sich ebenso dezent wie elegant in die Landschaft einfügen.“

Dass die Casa Bendico hauptsächlich aus Sichtbeton besteht, liegt nicht nur an der Tatsache, dass es sich hierbei ebenfalls um ein mineralisches Material handelt. Es hat vielmehr auch mit der Erdbebensicherheit und den hier häufig wütenden Waldbränden zu tun. Darüber hinaus zählt ein weiterer Aspekt: „Dank der zweischaligen kerngedämmten Wand- und Deckenkonstruktion bleiben alle Innenräume selbst in der sengenden Sommerhitze Siziliens stets angenehm kühl“, erläutert Corina Laza.

Wer die nur 3 km südlich von Noto situierte Casa Bendico besucht, findet ein Ensemble aus vier Bauwerken vor. Am Ende der geschwungenen Zufahrt von der Via Gioi liegen ein filigraner Carport mit Schilfdach und das vorgelagerte kleine Ateliergebäude, hinter dem schließlich das 200 m² große Haupthaus steht. Hiervon wiederum nur einen Steinwurf entfernt ist der Outdoorpool zu sehen.

Grund für diese verteilte Anordnung war der Wunsch des Bauherrn nach einer kleinteiligen Bebauungsstruktur, durch die Orte mit unterschiedlichem Charakter und vielfältigen Perspektiven auf die Landschaft entstehen. Eine Rolle spielte aber auch der Respekt gegenüber den alten Olivenbäumen, die trotz der Baumaßnahme möglichst alle erhalten bleiben sollten.

Was am Haupthaus auffällt, ist sein durch und durch monolithisches Erscheinungsbild. Denn neben den Fassaden und der Umfassungsmauer für zwei windgeschützte Außenbereiche sind auch die geneigten Flächen des Satteldachs in Sichtbeton gefertigt. All diese Bauteile sind nicht betongrau, sondern sandfarben und zeigen die Abdrücke einer horizontalen Brettschalung.

Monolithisch bis ins Detail

Der erdige Farbton entstand durch den Einsatz von Puzzolanbeton, der Vulkangestein aus der Ätna-Region enthält. Eine weitere Komponente stellt die Beimengung von Sandstein dar, der auf dem Grundstück vorgefunden und gemahlen wurde.

Dank des Puzzolans ist dieser Beton kohlenstoffarm – zudem verbessert die hohe Porosität des Zuschlagstoffs die Wärmedämmeigenschaften. Betoniert wurde ausnahmslos vor Ort – mit lokalen Handwerksbetrieben, die hierfür Holzgerüste und 10 cm breite, gebrauchte Holz-Schalbretter verwendeten. „Eines der wichtigsten Ziele dieses Projekts bestand darin, die lokalen handwerklichen Fähigkeiten und Bautechniken zu nutzen, anstatt auf Industrieprodukte zu setzen“, sagt Laza. „Unregelmäßige Fugen und imperfekte Oberflächen mit einem lebhaften Wechsel aus helleren und dunkleren sowie eher grauen beziehungsweise sandfarbenen Farbfeldern waren ausdrücklich erwünscht.“ Wie die kerngedämmten Außenwände sind auch die Dachflächen zweischalig ausgeführt. Über der rund 20 cm starken, inneren Sichtbetonschale ordneten die Architekten zunächst eine Dampfsperre und eine druckfeste Mineralwolle-Wärmedämmung an, auf der eine Dichtungsbahn und schließlich die äußere Betonschicht aufgebracht wurde.

Um die Dachfläche mit der für die Wände typischen Oberflächenstruktur zu versehen, drückten die Handwerker die Holz-Schalbretter von oben in den noch feuchten Beton. Auf jegliche Blechverwahrungen wurde verzichtet, so dass der monolithische Charakter des Hauses vollkommen unbeeinträchtigt bleibt.

Sämtliche Innenräume – vom offenen Wohn-Koch-Essbereich über die drei Schlafräume bis hin zu den Bädern – sind ebenfalls fast vollständig von Sichtbeton mit Brettschalung geprägt. Das lässt die Räume kühl wirken, und im Sommer sind sie es dank der zweischaligen Konstruktion in der Tat. Für die zusätzliche Kühlung konzipierten die Architekten ein natürliches Lüftungssystem. Dabei gelangt zunächst warme Außenluft in eine 2 m tief verlegte gusseiserne Erdröhre und strömt dann über Auslässe im geschliffenen Betonfußboden in die Wohnräume. Die erwärmte Luft wird durch die Nassräume wiederum nach außen geführt.

Die Folge: Es entsteht eine natürliche Luftzirkulation. Den geringen Heizbedarf im Winter deckt ein offener Kamin sowie eine Fußbodenheizung. Heizwärme und Warmwasser stammen von einer Solarthermieanlage, die zusammen mit einem Speicher in einem der umfassten Außenbereiche untergebracht ist.

Puristisches Interior

Gemäß den Vorstellungen des Bauherrn nach einem energieautarken Haus verfügt das Gebäude außerdem über eine neben den Bauten installierte Photovoltaik-Freiflächenanlage. Passend zum archaischen, erdfarbenen Purismus der Gebäudehülle erwecken auch die wenigen in den Innenräumen eingesetzten Materialien den Eindruck, das ganze Haus sei aus einem Guss.

Sämtliche Zimmertüren und maßkonfektionierten Einbaumöbel bestehen aus unbehandeltem Eichenholz. Hinzu kommt römischer Travertin, der sich im Tresen des freistehenden Kochblocks, im Esstisch und in der Sofaecke ebenso findet wie in den Waschbecken, Regalböden und der Wandbekleidung der Duschen.

Große, schwellenlose Glas-Schiebetüren in allen Räumen ermöglichen fließende Übergänge zwischen innen und außen. Die Fensteröffnungen lassen sich mit Metall-Schiebeelementen schließen, die mit ihrem eleganten Maschrabiyya-Muster grazile Schatten auf Böden und Wände werfen und gleichermaßen als Lichtfilter und Einbruchsicherung dienen.

Die Öffnungen an den Gebäudestirnseiten verfügen außerdem über Holz-Schiebeelemente. Diese setzen sich aus jenen Brettern zusammen, die schon auf der Baustelle verwendet wurden und sind deshalb auf den ersten Blick kaum von den Sichtbetonoberflächen zu unterscheiden.

Das kleine Atelierhaus basiert auf den gleichen Gestaltungsprinzipien wie das Haupthaus. Es beherbergt ein Studio, eine Küche und ein Bad sowie einige technische Einrichtungen, für die im Haupthaus kein Platz war. Während das Atelierhaus nur vom Bauherrn genutzt wird, kann das nicht dauerhaft bewohnte Haupthaus über einschlägige Internetplattformen von Urlaubsreisenden gemietet werden. Auf diese Weise eröffnet sich für alle die Gelegenheit, nicht nur die außergewöhnliche Casa Bendico, sondern auch den grandiosen Ausblick über das Val di Noto und das Mittelmeer hautnah zu erleben.

db, Do., 2025.07.17

17. Juli 2025 Roland Pawlitschko

Wohnen in der Bauruine

Von außen betrachtet gleicht das Gebäude noch immer einem Rohbau. Innen hingegen herrscht in der Bauruine – nach einer Renovierung durch das Studio Demachinas – eine fröhliche, warme Atmosphäre. Der Grundriss hält sowohl offene Räume als auch Rückzugsorte bereit.

Das Apartment liegt im Athener Viertel Papagos im 1. OG einer Bauruine. Darin wohnt eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Das Ehepaar ist schon seit langer Zeit mit der griechischen Architektin Elina Loukou befreundet. So kam es, dass diese bereits bei der Besichtigung der Immobilie dabei war und gemeinsam mit den neuen Eigentümern eine Vision zum Gebäude entwickeln konnte.

Die Familie hatte den Wunsch, möglichst viel Flexibilität in die Räumlichkeiten zu bringen. Gleichzeitig sollte die Fläche so offen wie möglich sein. Um diesen Spagat zu schaffen, ließen sich Elina Loukou und die Designerin Sabrina Summer – die gemeinsam die kreative Plattform Demachinas bilden – durch den gezielten Einsatz dreier Elemente im Grundriss eine passende Lösung einfallen.

Drei Identitäten

„Ausschlaggebend war die Liebe des Bauherrn zum Kochen. Für ihn als Italiener spielen die Mahlzeiten und deren Zubereitung eine große Rolle“, so die Architektin. Er habe sich eine offene Küche mit viel Platz zum gemeinsamen Kochen und Essen gewünscht. „Wir konzipierten deshalb einen freien Raum mit runder Kücheninsel.“

Für diese wählte sie dunkelrote, sizilianische Terrakotta, die einen warmen Kontrast zur betongrauen Decke bildet. Die runde Insel bietet Platz für acht Personen und lässt die Arbeitsfläche mit dem Esstisch verschmelzen. Der Block dahinter dient als Anker. Er enthält eine Speisekammer, reichlich Stauraum und nimmt das technische Equipment auf.

Das dritte Element sorgt für die gewünschte Flexibilität. Zwei große, kreuzförmig angelegte Türen aus Holz, die sich um die eigene Achse drehen, können die privaten Räumlichkeiten mit drei Schlafzimmern, dem Bad und einem Arbeitsstudio vom Wohnbereich trennen. Das ist zum Beispiel dann nützlich, wenn die Kinder schlafen sollen.

Alle drei Teile übernehmen also eine bestimmte Aufgabe. Wegen ihrer jeweils eigenen Identität tragen sie wesentlich zur Atmosphäre bei. Daraus entwickelte sich der Projektname „Three Object Apartment“.

Bei der Renovierung konzentrierten sich die Planerinnen auf den unvollendeten Charakter des Gebäudes. Als die neuen Eigentümer das Apartment kauften, war es zwar zu diesem Zeitpunkt nach zuvor jahrzehntelangem Leerstand wieder bewohnt, doch wies es nach dem Ausbau einen Stil auf, der nicht zur ursprünglichen und individuellen Ästhetik des Rohbaus passte. Deshalb ließen die Planerinnen die Wohnung systematisch entkernen und zurückbauen.

Prozessbedingte Eingriffe

Rückblickend sagen Elina Loukou und Sabrina Summer: „Anfangs wollten wir gar nicht so sehr in die Struktur eingreifen. Das kam eigentlich erst während des Prozesses.“ Den neuen Besitzern missfiel zum Beispiel der vorhandene Marmorboden. Deshalb wurde er entfernt, vor Ort jedoch als Teil des Terrazzobodens wieder eingebracht. „Wir haben eher aus gestalterischen Motiven gehandelt und nicht, weil es statisch notwendig war. Allerdings entwickelte sich das Projekt einfach dahin, dass der rohe Bau mehr unserer Vision entsprach“, betonen die beiden Planerinnen.

So entstand ein Konzept, das möglichst raue und roh bleibende Oberflächen vorsah, „denn die Materialien passten in diesem Zustand besser dazu“, erinnert sich Loukou. Aus dieser Perspektive fiel die Wahl auf Beton als zentrales Element. Dazu wurden die Decken von ihrer Verkleidung befreit und die originalen Betonelemente freigelegt. Zum Vorschein kam dann die Waffeldecke.

Für die Planerinnen stellt das Athener Bauvorhaben ein gutes Beispiel für ihre grundsätzliche Philosophie dar. „Unsere Projekte sind sehr unterschiedlich. Wir versuchen, uns jedes Mal aufs Neue auf die Elemente zu konzentrieren, die uns wichtig erscheinen. An diesen richten wir dann das Design aus.“ Daher gebe es kein Standardprozedere. „Wir wollen die Bedürfnisse der Kunden verstehen, um individuell für sie zu planen. Daher fragen wir uns: Was ist es, was sie brauchen? Was würden sie lieben?“

Individueller Stil

Elina Loukou als Architektin und Sabrina Summer als Designerin arbeiten auf Augenhöhe miteinander. Sie planen und kreieren gemeinsam und nicht getrennt voneinander. Ihre Disziplinen und Stärken ergänzen sich in der Zusammenarbeit. Sie sehen die Gebäude als Objekte an, die sie gemeinsam gestalten möchten. Immer in klarer Absprache mit ihren Kunden.

„Durch unseren Entwurf können wir die Bewegungsabläufe unserer Klienten formen und optimieren. Ich arbeite wahrscheinlich mehr mit den mir bekannten Materialien und habe zudem eine große Schwäche für Beton und den Industrie-Look“, sagt die Architektin. Ihre Designpartnerin kenne jedoch wesentlich mehr Werkstoffe und habe große Freude am Experimentieren. Folglich lautet ihr Fazit: „So erzielen wir schließlich eine unverwechselbare Erscheinung.“

Während der Entwurf des sogenannten „Three Object Apartment“ stets als gesetzt galt, gab es im Lauf der Ausführung viel kreativen Spielraum. Ein gutes Beispiel dafür ist die Vorgehensweise bei der Bodengestaltung. Die Marmorplatten wurden mit Bedacht zerbrochen und neu platziert. „Es war schon Nachmittag und ein anstrengender Tag lag hinter uns, als ich mich mit der Eigentümerin, also meiner Freundin, in der Wohnung traf. Die zuvor geborgenen Marmorplatten zerstörten wir gezielt an Ort und Stelle und verstreuten sie am Boden, sodass wir sie später in den neuen Terrazzoboden einarbeiten konnten“, schaut Loukou zurück. Diese Aktion habe so viele Kräfte freigesetzt, dass es den beiden Frauen vorkam, als würden sie fliegen.

Die Tatsache, dass die Architektin und die neuen Eigentümer befreundet sind, eröffnete viele Möglichkeiten, die wahrscheinlich unter normalen Umständen so nicht denkbar gewesen wären. Für das Projekt war es jedenfalls ein großer Vorteil.

Der besondere Charakter der Wohnung entstand vor allen Dingen durch das Experimentieren und Erforschen einer unvollkommenen Ästhetik, das Belassen von Form und Material sowie das gezielte In-Szene-setzen.

Das gilt auch für das Kolorationskonzept. So bilden etwa einzelne Farbkleckse einen Gegenpol zum grauen Beton. Die Armaturen sind in einem der beiden Badezimmer Orange und im anderen Gelb. Der Boden hat einen leichten Grünton und das Balkongeländer ist Rot gestrichen. Die gezielt eingesetzten Töne unterstreichen das Besondere der einzelnen Komponenten und tragen zum Entstehen einer warmen Atmosphäre bei. Die Holzelemente und Verkleidungen verstärken diesen Eindruck.
Neue Arbeitsweise

Ausgezeichnet mit dem Griechischen Architekturpreis 2024 blicken die Protagonistinnen von Demachinas voller Stolz auf das Projekt. Für sie bildete das Vorgehen in dem Rohbau den Auftakt für eine neue Arbeitsweise. Die steht unter dem Motto: Es simpel halten und so wenig wie möglich in das Gebäude eingreifen. Was gut ist, freilegen, was nicht gefällt, entfernen.

Bei den vielen unvollendeten Bauwerken in Griechenland könnte das ein guter Ansatz für eine völlig neue Denk- und Bauweise sein. Auch wenn sich diese vor Ort erst noch Geltung verschaffen müsste.

Wie sich im konkreten Fall das Gebäude in naher Zukunft weiterentwickeln wird, bleibt spannend. Derzeit fungiert das offene Erdgeschoss, der Pilotis, als freie Spielfläche und damit als großer Abenteuerspielplatz für die Kinder. Es wird sich zeigen, ob das auch künftig der Fall sein wird. Denn inzwischen wurde die obere Etage ebenfalls verkauft und der Pilotis steht dann zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung.

Demachinas

Dahinter verbergen sich die griechische Architektin Elina Loukou (li.) und die österreichische Designerin Sabrina Summer. Sie nutzen Demachinas als kreative Plattform für gemeinsame Projekte. Loukou sitzt in Athen, Summer in London.

db, Do., 2025.07.10

10. Juli 2025 Elena Schauwecker

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