Editorial

Eine griffige Definition für »Sport« gibt es leider nicht. Klar ist nur, dass die meisten Sportarten bei aller angestrebten Körperertüchtigung nicht so sehr auf ein selbst­bezogenes Tun abzielen als vielmehr den Zuschauer als passiven Konsumenten oder als aktiven Unterstützer stets mit einbeziehen. Im weiteren Sinne darf der Sport zu den Kulturtechniken zählen, die, ­neben der reinen Zerstreuung, auch wichtige soziale Funktionen übernehmen.

Entsprechend sind die meisten Sportstätten ohne Besucher­bereiche gar nicht denkbar, zumal sich Grenzen zwischen sportlichem Wettkampf und Unterhaltung nur schwer ziehen lassen.

Dabei fallen viele kleine Bauaufgaben des Breitensports wie etwa kommunale Turn- und Schwimmhallen mitunter nicht weniger komplex aus als die großen, weltweit wahrgenommenen Leuchtturmprojekte, wie sie z. B. zu den olympischen Wettkämpfen in Südkorea entstanden sind oder derzeit zur WM in Russland fertiggestellt werden.

Unter gestalterischen, bauphysikalischen, energetischen und konstruktiven Gesichtspunkten sind die ­kleinen und mittelgroßen Sportbauten bisweilen sogar interessanter, zumal viele von ihnen den Standards ­internationaler Wettkämpfe entsprechen müssen und ihre Nutzung durchaus nicht alleine auf den Sport ­beschränkt bleibt.

Auch aus der Kombination von Sport und Kommerz lässt sich schließlich kultureller Mehrwert für alle Beteiligten generieren. So richtete z.B. der Gründer der Modemarke Pigalle, Stéphane Ashpool, 2009 in einer ­Pariser Baulücke zusammen mit Nike das Basketballfeld »Pigalle Duperré« ein. Für die Präsentation einer ­neuen Kollektion gestaltete die Designergruppe Ill-Studio 2015 dieses Spielfeld nahe der berühmten Place Pigalle mit kontrastierenden EPDM-Oberflächen in ­Primärfarben um, in Anlehnung an Kasimir Malevitschs Figurinen und Gemälde »Die Sportler«. Im letzten Jahr erfuhr der Platz nun durch sanfte Farbverläufe aus Blau, Pink, Violett und Orange eine erneute Auffrischung.

Stéphane Ashpool ist in diesem Viertel aufgewachsen, hat in diesem Hof lange Jahre selbst gespielt und ­Kinder trainiert – der zugehörige Basketball-Store liegt genau gegenüber. | Achim Geissinger

Wertarbeit

(SUBTITLE) Schönberghalle in Pfullingen

Für eine klassische Bauaufgabe im kleinstädtischen Kontext fand das junge Architekturbüro eine klassische Lösung. Klare Strukturen in Sichtbeton, funktionale Angemessenheit, angenehme Materialkontraste und ortsbezogene Durchlässigkeit heben die robuste Dreifeld-Sporthalle weit über den Durchschnitt hinaus.

Pfullingen liegt am Fuße der Schwäbischen Alb, charmant umgeben von ­einem Biosphärengebiet. Streuobstwiesen und eine beschauliche, hügelige Landschaft charakterisieren die idyllische Lage des Orts, um dessen Kern die üblichen Einfamilienhausgebiete gewachsen sind. Auch den legendären ­baden-württembergischen Mittelstand findet man hier; über ein Gewerbe­gebiet ist die Siedlungsfläche mit der Nachbarstadt Reutlingen zusammen­gewachsen. Das Vereinsleben ist rege – die Pfullinger Handballer spielten einst sogar in der Bundesliga –, und mit sechs Schulen empfiehlt sich Pfullingen als familientauglicher Wohnort für derzeit 19 000 Einwohner. Und – das ist ungewöhnlich – man erlaubt sich einen Gestaltungsbeirat.

In Louis Laiblin (1861-1927), dem Sprössling einer Pfullinger Papierfabrikanten-Familie, fand der Ort zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Förderer der Künste und den Bauherrn eines bemerkenswerten Aussichtsturms (1905) ­sowie der Ton- und Turnhalle (1904-07). Mit beiden Bauten war der damals an der TH Stuttgart lehrende Theodor Fischer beauftragt worden. Seine »Pfullinger Hallen« bilden mit einer Eisenbeton-Tonne den Kern eines Schul-, Freizeit- und Sportgeländes, das nun jüngst um eine Sporthalle erweitert worden ist. Diese Dreifeldhalle für Schul- und Vereinssport ist das Ergebnis eines Wettbewerbs im Jahr 2013, wobei es auch darum ging, das Terrain zwischen den Pfullinger Hallen im Süden, der Laiblin-Schule im Osten, dem Stadion im Norden und dem Freibad im Westen neu zu ordnen.

Selbstbezogene Perfektion

Nach Norden steigt das Gelände an, sodass es nahelag, den zweigeschossigen Baukörper hier ein Stück weit ins Gelände zu schieben. Längsseitig bildet seine Südseite das Gegenüber des Theodor Fischer-Gebäudes. Nun lässt Fischers kompakter Bau bereits in seinem Grundriss eine differenzierte Baukörperstruktur erkennen, die auf die Eigenheiten des Orts abgestimmt ist und funktionale Unterschiede im Baukörper ablesbar macht – etwa die Turnhalle und die mit Wandmalereien angereicherte Tonhalle. Dem setzt sein neues Gegenüber leider wenig entgegen, was ernsthaft oder spielerisch einen räumlichen Dialog aufnehmen würde. Auch wenn es in der Schönberghalle vorrangig um Sport geht – Ramba-Zamba zu Fasching oder Hochzeitsanfragen werden abschlägig beschieden, Messeveranstaltungen immerhin ­akzeptiert –, gäbe das Raumprogramm durchaus eine plastisch wirksamere Baukörperkontur her. So ist die neue Schönberghalle als Baukörper zunächst konventionell zu nennen – ein Quader mit klaren Kanten, ein Beton-Flachdachbau mit verglastem EG, auf sichere Distanz zur Umgebung gesetzt.

Mit derartigem Konzept kann man weder in Pfullingen, noch in Wuppertal oder am Prenzlauer Berg etwas grundsätzlich falsch machen. Der Banalität entkommt die Halle in Pfullingen allerdings deutlich, weil sie aus der Funktionalität gestalterische Qualität gewinnt. Die funktionale Perfektion tritt außenräumlich mit zwei separierten, gestalterisch wichtenden Zugängen in Erscheinung: Die Sportler gehen im EG hinein, und dieser Zugang sieht als Holzfassaden-Stück eben nicht wie ein Dienstbotenzugang oder eine Anlieferung aus. Der Besucher-Eingang hangaufwärts trumpft daneben nicht mit Opulenz auf, sondern gewinnt durch – einmal mehr – Funktionalität an Ausdruckskraft. Neben dem verglasten Haupteingang ist ­eine kleine, außen mit Holz in Erscheinung tretende Küche gelegt, die bei entsprechenden Anlässen außenräumlich genutzt werden kann und Gastlichkeit vermuten lässt. Auf der Gebäudesüdseite lässt sich durch ­einen verglasten Fassadenanteil im OG der Gymnastiksaal ablesen, von dem aus man durch ein internes Fenster auch in die große Halle schauen kann.

Leider ist hangaufwärts entgegen den Wünschen der Architekten noch ein weiterer Parkplatz angelegt worden. Obwohl überall jetzt vom kostenlosen ÖPNV die Rede ist – wenn es ihn denn gäbe, mit vielen halbstündlich von 6-23 Uhr verkehrenden Buslinien.

Innenräumlich führt die Architektur mit zwingender, selbstverständlicher Konsequenz die Nutzer dorthin, wo sie hingehören. Besuchern und Sportlern sind ihre eigenen Bereiche bestens erschlossen. Die Zuschauertribüne kommt mit drei holzbestückten Reihen unprätentiös daher. Sehr klein in Schwarz auf Grau gesetzte Raumbezeichnungen wurden von den Nutzern zwar mit großen Symbolbildern ergänzt, aber nirgends sind die Sichtbeton-Wände durch angeklebte Plakate, Kritzeleien oder sonstiges Dekor verunstaltet.

In der Halle verschwinden Lagerräume hinter einer holzbekleideten Wand, was ein harmonisches Bild ergibt und gut funktioniert. Das atmosphärische Zusammenspiel von Beton und Holz ist ausgewogen, Farbe vermisst man an keiner Stelle. Haustechnik tritt nicht auf Teufel komm raus in Erscheinung, keine Lüftungsrohre, Kabelkanäle und dergleichen stören den Raumeindruck. In der akustisch wirksamen Lamellendecke (ballwurfsicher, nicht-brennbar) sind Technikelemente und allerlei Sportgeräte eingelassen. Die Holzbekleidung rangierte im Gemeinderat als heißer Streichkandidat; über den Spar­willen siegte letztlich der Wunsch nach Ästhetik und Nutzungsflexibilität. Von den Hauptbindern aus vorgespannten Stahlbeton-Fertigteilen und den Nebenträgern aus Stahl ist nichts zu erahnen.

Die großflächigen Verglasungen auf der Nordseite im EG und auf der Südseite im OG erlauben reizvolle Durchblicke durchs ganze Gebäude – das alles ist räumlich sehr gut gefügt.

Die Architekten arbeiteten raumbildend mit unkaschierten Materialien – Beton, Sichtestrich mit chemischer Oberflächenverdichtung, Holz und Glas. Und so richtet sich unverzüglich die Aufmerksamkeit auf die Ausführungsqualität. Die Sichtbeton-Fertigteile sind nicht lasiert, sondern anthrazit eingefärbt, außerdem hydrophobiert, sodass sie nach nunmehr zwei Jahren immer noch makellos aussehen.

Die Öffentliche Hand muss europaweit ausschreiben, was immer mal wieder hinterfragt werden kann. Denn unter ökologischen Gesichtspunkten wäre es womöglich sinnvoll, nur die am Ort sitzenden Unternehmen zu beauftragen. Nichts müsste von weit her über die Autobahnen oder mit den Güterzügen herbeitransportiert werden; Referenzprojekte von Firmen ließen sich en passant in Augenschein nehmen. Aber nun kommt beispielsweise die Decke aus der Nähe von Leipzig. Wer genau auf den Innenausbau schaut, sieht hier und da nicht ganz Perfektes – Argusaugen entdecken z. B. in den Sanitärräumen, dass das Fugenbild nicht überall aufgeht. Hat man doch beim Materialpurismus und bei klaren Kisten im Süddeutschen stets die Perfektionsarchitektur der Schweizer vor Augen.
Zur energetischen Versorgung steht das Blockheizkraftwerk der benachbarten Schule zur Verfügung, das auch die Hallen, das Freibad und ein Wohnquartier mit Wärme und Strom beliefert. In dasselbe Netz speist die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach der Sporthalle ein.

Die Schönberghalle ist ein den örtlichen Verhältnissen leicht angepasster Klassiker und eine funktional angemessene Bereicherung im stadträumlichen Kontext. Sie überzeugt als Lösung einer Standard-Aufgabe weit über Durchschnitt – sie ist Tag für Tag von 7.30-22 Uhr belegt, weist nach zweijähriger Benutzung keine Verschleißspuren auf und zeichnet sich insofern auch durch Robustheit aus: im besten Sinne Wertarbeit.

db, Fr., 2018.04.06

06. April 2018 Ursula Baus

Körper und Seele

(SUBTITLE) Sportzentrum mit Seminarräumen der Universität Francisco de Vitoria, Madrid (E)

Da an der Gestaltung gerne als allererstes gespart wird, sind Minimalisten klar im Vorteil, sofern sie aus der Ressourcenknappheit Profit zu schlagen verstehen. Alberto Campo Baeza brachte auf dem Campus einer spanischen Privatuniversität ein vielfältiges Raumangebot für sportliche Aktivitäten, aber auch für Seminare und Feierlichkeiten in einem simplen Baukörper unter, und verschloss sich dabei nicht dem spröden Charme eines Rohbaus, hauchte aber v.a. der Sporthalle mit ­gekonnter poetischer Schlichtheit viel Seele ein.

Als »Lichtgefäß« beschreibt Alberto Campo Baeza seine Sporthalle für die Universität Francisco de Vitoria in Madrid, und tatsächlich ist jedes Detail des Entwurfs dieser Leitidee gewidmet. Auch wenn sie nur einen Teil des von ihm entworfenen Campus-Bausteins bildet – neben Sport findet hier auch Unterricht statt –, ist die Halle doch eindeutig sein Lieblingselement in diesem Projekt. Mattiertes Glas, das in großen Scheiben den oberen Teil der Außen­wände nach Nordwesten und Nordosten bildet, lässt indirektes Nordlicht ins Innere fluten. Alles, was dort visuell ablenken könnte, ist farblich gedämpft, jede Oberfläche weiß gestaltet, damit nichts mit dem Spiel des Lichts konkurrieren kann. Die Oberflächen nehmen das Licht auf und streuen es so, dass es eine räumliche, fast greifbare Präsenz erhält. Als wir das Gebäude an einem wolkigen Wintertag begehen, scheint es drinnen heller zu sein als draußen, worauf Campo Baeza sehr zufrieden hinweist. Der Raum sammelt und verdichtet das Licht auf ganz einzigartige Weise.

Die Halle bietet Platz für zwei aneinander grenzende Basketballfelder bzw. ein hallenfüllendes Fußballfeld. Im hellen, weiß gebleichten Holzboden markieren blass-dunkle Linien die Spielfelder. Sie dienen sowohl dem Training als auch Spielbegegnungen der Universitätsliga. Boden und Decke sind mit guter Schallabsorption ausgestattet, sodass der Raum auch als Veranstaltungssaal zu nutzen ist. Bis zu 1 300 bewegliche Klappsitze haben hier Platz.

Wie auf der Außenseite sind die Wände auch innen mit unbehandelten, glasfaserbewehrten Betonpaneelen bekleidet. Ein geschosshoher Streifen großformatiger, matt glasierter Keramikfliesen schützt die Wände vor Stößen.

Darüber führen frei liegende Stahlbinder den gestalterischen Vorsitz. Das in Quadrate unterteilte Fachwerk wirkt gleichzeitig filigran und solide, es flirrt und könnte in seiner Fügung doch kaum aufgeräumter sein.

Die Sitzstufen für die Zuschauer, die ebenfalls mit weißen Keramikfliesen ­belegt sind, erstrecken sich entlang der verglasten Nordostseite. Sie liegen ein Geschoss über der Hauptebene und bilden die Decke für die darunter liegenden Umkleideräume, die als langer Streifen zwischen den Eingangsbereich und die Halle geschoben sind. Auf der Höhe der Sitzreihen ist die Verglasung transparent und von Türen unterbrochen, die auf eine Terrasse hinausführen. Diese bildet das Dach der Eingangshalle und wird auf der gegenüberliegenden Seite von den beiden oberen Geschossen des Unterrichtstrakts begrenzt.

Auf der anderen Hallenseite fügte Campo Baeza auf Eingangsniveau einen weiteren langen Streifen aus transparentem Glas ein, ebenfalls mit Türen samt Ausblick auf einen zukünftigen Platz. Dieser Glasstreifen faltet sich rahmenlos um die Gebäudeecken, sodass der Eindruck entsteht, das massive Volumen schwebe über einem skulpturalen Einschnitt, obwohl das Defilee der Stahlstützen vor der Glasfront doch eigentlich unübersehbar ist.

Alle Linien sind aufeinander bezogen. So, die Höhen des verglasten Einschnitts wie die der Fliesenstreifen. Die mattierten Glasflächen darüber und der abgeknickte transparente Glasstreifen treffen sich in einem Punkt, um den herum sich massive und gläserne Flächen wie auf einem Schachbrett abwechseln. Hinter diesem unmöglich erscheinenden Gelenk zeigt sich das Tragwerk, in gewissenhafter Erfüllung seiner Funktion, ein weiteres Mal ganz ­unverhohlen. Der Architekt ließ in die Eckverglasung das lateinische Motto »Hoc vitrum angulare mense Octobre A. D. MMXVI positu« eingravieren und wies in Anlehnung an die Ecksteine in historischen Natursteinmauern auf den Zeitpunkt der Positionierung dieses gläsernen Ecksteins hin.

Grossskulptur

Auch wenn Campo Baeza den Großteil seiner Aufmerksamkeit der Sporthalle widmete, so lohnt der Rest des Entwurfs doch ebenfalls einen Blick, selbst ­angesichts der spröde zu nennenden, streng funktional gehaltenen Gestaltung der Funktionsräume. Die Verteilung der Massen bringt eine auffällige Dua­lität hervor: Der schmale Riegel mit den ­Seminarräumen wächst, wie die Sporthalle, glatt und schlicht entlang der ­Sockelkanten bis zur selben Höhe empor, deutlich separiert durch den leeren Raum über der oberen Terrasse voneinander getrennt.
Die Verteilung der Massen erinnert an die Beziehung zwischen Campo ­Baezas Hauptsitz der Caja de Granada von 2001, einem quadratischen, siebengeschossigen Volumen mit monumentalem »Licht-Impluvium«, und dem benachbarten Museo de la Memoria de Andalucía von 2010, aus dessen niedrigem Sockel ein spektakulärer schmaler, vertikaler Riegel bis zur Höhe des Bankgebäudes emporstrebt; dazwischen entsteht gefühltermaßen ein abgeschlossener Raum, obwohl die beiden Gebäude in Wirklichkeit nicht bündig zueinander stehen. In Madrid ist diese kompositorische Idee komprimierter und schlüssiger verwirklicht, wenn auch deutlich weniger monumental.

Im Museum in Granada findet sich einerseits viel vom extremen Formalismus eines Boullée, andererseits erinnert der gekonnt reduzierte Grundriss an die räumliche Organisation von Beaux-Art-Gebäuden und zugleich an die kompositorischen Strategien von postmodernen Protominimalisten wie Aldo Rossi. Diese Strategien finden wir im Sockel des Sportneubaus wieder, wo schmale Spangen für Verkehrsflächen und Technikräume zwischen die größeren programmatischen Einheiten geschaltet sind. Die breite Eingangshalle erstreckt sich über die gesamte Tiefe des Gebäudes, flankiert von einer Bar und einer Reihe von Büros. Auf der untersten Ebene befinden sich eine Schwimmhalle auf der einen Seite und auf der anderen, unter der Sporthalle, mehrere Fitnessräume – dazwischen eine schmale Achse beidseitig zugänglicher Umkleideräume. Die an den Außenseiten gelegenen Funktionsräume bekommen wie der Schwimmbereich natürliches Licht von tiefen Einschnitten, patios ­ingléses (Tiefhöfe) genannt, die das Gebäude an drei Seiten auf ganzer Länge begleiten. Durch raumhohe Verglasungen, die auch hier wieder vom regel­mäßigen Rhythmus der Betonstützen begleitet werden, gelangt das von den versunkenen Höfen reflektierte Tageslicht mit überraschender, raffinierter Zartheit in die ansonsten extrem funktional gehaltenen Räume.

Seele in der Kargheit

Bei der Universität handelt es sich um eine private, staatlich anerkannte Institution, die 1993 von der Ordensgemeinschaft »Legionäre Christi« gegründet wurde, die in Spanien viel Zuspruch seitens nationalkonservativer Katholiken erfährt. Etwa 5 000 junge Menschen studieren hier. Der Sportbau ist Teil des großen und weiter wachsenden Campus in einem wohlhabenden nördlichen Vorort von Madrid nahe der Ringstraße M-40. Bislang wurden keine Bauten errichtet, die der Rede wert gewesen wären. Und auch beim Sportpavillon hatte Campo Baeza einige Mühe, die Bauherren davon zu überzeugen, mehr als nur einen kahlen Minimalbau errichten zu lassen. Bedauerlicherweise ­habe man darauf verzichtet, die außen liegenden Glasfaserzement-Platten durch einen Anstrich zu schützen oder die der Witterung ausgesetzte Technik auf dem Dach einzuhausen. Die klimatechnische Ausstattung entspricht dem spanischen Mindeststandard; dazu gehören Solarpaneele für Warmwasser, Wärmerückgewinnung in der Raumluftkonditionierung sowie effiziente Kühleinheiten, Wärmepumpen und gasbetriebene Boiler. Wenn es das Wetter erlaubt, ist auch natürliche Belüftung möglich.

Laut Felipe Samarán, dem Direktor der Architekturfakultät, soll der weiter wachsende Campus künftig um drei Plätze herum organisiert sein, die jeweils dem Körper, dem Geist und der Seele gewidmet sein werden. Dass der Sportpavillon sich dem zukünftigen Platz der Seele zuwendet, wo später auch eine Kapelle und das Rektorat stehen werden, überrascht. Andererseits: Bedenkt man Campo Baezas leidenschaftliches Engagement für das transzendentale Erlebnis von Raum, Licht und Geometrie, könnte sich sein Beitrag leicht als der seelenvollste auf dem ganzen Campus erweisen. Unter der ganzen Weiße vibriert das platonische Ideal absoluter, göttlicher Wahrheit, Geometrie und Gottesfurcht – und eine Ahnung der Bedeutungslosigkeit weltlicher Existenz im Schatten all dieses göttlichen Lichts inmitten wohl­geordneten Raums. Welche Rolle sollen da profane Seminarräume spielen …

db, Fr., 2018.04.06

06. April 2018 David Cohn

Schutzraum für die Elite

(SUBTITLE) Topsportschule in Antwerpen-Wilrijk (B)

Auf die vielerlei Anforderungen der sehr unterschiedlichen Funktionen einer Elite-Sportschule – zwischen Räumen der Konzentration für individuelles Training und Bereichen unbefangener Begegnung – reagiert das Gebäude mit einem ungezwungenen Spiel der Gegensätze.

Eine seltsame Ambiguität strahlt dieses Schulgebäude aus. Trutzig-ab­geschrägt steigt ein Betonsockel aus dem Boden auf; darüber lagert ein gläsern-spiegelnder Quader – mit freundlicher Anmutung, doch der Öffentlichkeit entzogen. Gleich zwei Eingänge führen hinein, nur ähnelt jener zum Vorplatz eher dem Zugang einer Felsenhöhle. Der andere, im Alltag wichtigere, wirkt weniger streng, bedarf aber erst des Anstiegs das Gelände hinauf. Der Eintritt dort ist dann umso abrupter. Kaum ein Übergang ebnet den Weg ins Geschehen: Rechts, nur durch eine Glasscheibe getrennt, schwitzen Schüler auf Fitnessgeräten, während geradeaus der Blick durch eine Glastür bis hinein in die große Sporthalle reicht.

Ein besonderer Ort

In urbanem Umfeld müsste sich eine solche Schule mit dem Verhältnis zur Stadt auseinandersetzen, hier aber waren die Kriterien andere. Zum einen zählt das Lyzeum im Antwerpener Stadtteil Wilrijk zu den wenigen »Topsportschulen« Flanderns. Die rund 200 Jugendlichen haben sich durch ihre Leistungen als Medaillenhoffnung qualifiziert – ein Elite-Ort also. Wichtigstes Ziel war die Schaffung moderner, geschützter Trainingseinrichtungen etwa für Basketball, Badminton, Hockey, Taekwondo oder Judo; die übrigen Lehrräume nehmen den deutlich kleineren Teil ein. Zum anderen erstreckt sich rundum das von alten Backsteinbauten und Festungsresten durchsetzte Gelände des Fort VI, Teil des im 19. Jahrhundert errichteten städtischen Verteidigungsrings. Ein lockeres Ensemble war dennoch nicht möglich; angesichts des historischen Terrains definierte das Baurecht einen streng umrissenen Fußabdruck, der selbst die Flugbahnen der im Fort heimischen Fledermäuse berücksichtigt.

Der Entwurf, mit dem das Büro Compagnie-O aus Gent 2011 den offenen Wettbewerb gewann, entpuppt sich vor diesem Hintergrund als erstaunlich pragmatisch.

Die Architekten sortierten schlicht alle Sportbereiche nach unten und legten die eigentliche Schule wie einen Deckel obenauf. Die Kompaktheit schafft kürzeste Wege, die dem dichten Wechsel zwischen »geistiger« und »körperlicher« Lehre im Schulalltag entspricht. Die Konstruktion folgt der Schichtung: Während der – ähnlich dem historischen Fort teils eingegrabene – Sockel vollständig in Ortbeton gegossen wurde, spannen darüber raumhohe Stahlfachwerkträger, die das Schulgeschoss ausbilden. Auf der Westseite kragt diese »Box« gut 11 m über einen Riegel mit Nebenräumen aus. Der freie Raum darunter ist von einem dreiseitig gläsernen Quader mit Fitnesszone und Cafeteria belegt, daneben ergeben sich der obere Eingangsbereich und ein Terrassenstreifen.

Offensichtlich spielt der Baukörper mit der Bildhaftigkeit des einst militä­rischen Areals, doch eigentlich überspitzt er nur die mit den Funktionen einhergehenden Notwendigkeiten. Die Lehrräume, als klarer Ring um einen Terrassenhof mit einem expressiven Dach gruppiert, erhalten durch geschoss­hohe Fenster viel Tageslicht.

Weil beim Basketball oder Badminton jeder ­Sonnenfleck stören würde, ist die große Halle hingegen dem Außen entzogen. ­Lediglich die Kampfsporthalle jenseits des zentralen Umkleidetrakts erhielt am fernen Ende eine Art Schaufenster, das eher noch die Zurückgezogenheit betont. Das allerdings ist kein ironischer Kniff; Durchblicke spielen eine wichtige Rolle, nur verlagern sie sich eher nach innen: »Zum Elitesport gehört ­Narzissmus«, erklärt Francis Catteeuw, zusammen mit Joke Vermeulen Gründer von Compagnie-O, »das gegenseitige Beobachten ist Teil davon.« Manchmal gingen die Architekten dabei sogar zu weit – die Glaswand zwischen ­Fitnessbereich und Cafeteria versah die Schulleitung nachträglich mit einem Vorhang. Dennoch war die Haltung der Architekten in Wahrheit weniger ­radikal und wirkt das Gebäude im Innern nun in erster Linie einladend. Das Schulgeschoss strahlt im offenen Empfangsbereich, in den Klassenräumen und Lernsälen helle Zugänglichkeit aus. Semitransparente Scheiben zwischen Empfang und Dachhof lassen dort eher Freiraum als Konfrontation ent­stehen. Der Balkon der großen Halle, oberhalb einer ausfahrbaren Tribüne, ist für alle Schüler zugänglich – und ebenso für Besucher, die etwa zu Wettkämpfen willkommen sind und dann auch dem Eingang am Vorplatz nachdrück­licher zu seinem Recht verhelfen.

Pragmatischer Gestaltungswille

Tatsächlich tragen gerade die Details und Oberflächen zur offenen Atmosphäre bei. Die Balance zweier Herangehensweisen wiederholt sich dabei. So ist die Architektur auch beim Nähertreten v. a. robust. Klare Geometrien, Sichtbetonwände, offenliegende Rohre wirken »brut«. Überlagert aber werden sie von einer breiten, z. T. überraschenden Farbpalette. Im Schulgeschoss kam neben weißem Putz und Möbeln ein Bodenbelag aus Gummi in tetris­artig gefügten Crème- und Grüntönen zum Einsatz. Hinzu tritt Gelb in den Sanitärräumen, kontrastierendes Gelb und Schwarz an den einfachen Stahlplatten der Treppengeländer. Die Umkleiden, vollständig mit einer Poly­urea-Beschichtung versehen, sind in monochromes Pink getaucht. Während im Gang davor grün glasierte, geschuppt montierte Ziegel eine der Wände ­bedecken und – im Prinzip funktionslos – diesem gestreckten Raum eine besondere Wertigkeit verleihen.

Der klare Gestaltungswillen lässt vergessen, dass einzelne der Entscheidungen kaum losgelöst von praktisch-technischen Fragen zu denken waren – mit Rücksicht ­darauf oder trotz derselben. Dazu zählt nicht nur das elegante Schwarz der Deckenuntersicht in der großen Halle, das üblichem Licht- und Raumempfinden eher zuwiderläuft. Betroffen ist auch die Akustik. In Ballsporthallen verlangt sie ohnehin eine gewisse Toleranz, dennoch: Angesichts des Sichtbetons dort, gemildert nur durch einige Prallschutzmatten, wird derzeit noch über zusätzliche Textilflächen nachgedacht. In der Kampfsporthalle reduziert hingegen der Mattenboden den Hall, zudem wurde ein Teil der Wände akustisch vorteilhafter in Holz mit integrierten Bänken ausgebildet. Im Schulgeschoss helfen derweil frei verteilte, abgehängte Schallschutzquader, die weiterhin den Blick auf die rohe Decke zulassen.

Auch Energiefragen bestimmten die Konstruktion maßgeblich mit. So mussten die Decken unverkleidet bleiben, da das Haus bei der Nachtkühlung die konstruktiven Speichermassen nutzt. Hinzu kommt eine ganze Anzahl von Maßnahmen, die dem Gebäude Passivhausstandard sichern – trotz eines ­Entwurfs, der nicht die übliche Abschottung nach Norden und punktuelle Öffnung zur Sonne befolgt. Um den geforderten Energiebedarf von unter 15 kWh/(a m²) zu erreichen, lag das Augenmerk auf Wärmebrückenfreiheit und hoher Luftdichtheit, kombiniert mit 18 cm dicker PIR-Dämmung an Dach und Wänden, Dreifachverglasung, Wärmerückgewinnung aus Lüftung und Duschwasser sowie energiesparender LED-Beleuchtung. Auf dem Terrassendach sind Sonnenpaneele montiert; außerdem wird Regen zur Brauchwassergewinnung genutzt.

Der energetische Aspekt, sagt Catteeuw, war eine der größten Herausfor­derungen. Eine weitere war organisatorischer Art: Sie lag im Bedürfnis der ­diversen Sportverbände, beim Neubau für ihren besten Nachwuchs mitzusprechen. Dabei bewährte sich, dass die Stadt Antwerpen als Bauherr auftrat, vertreten durch den eigenständigen städtischen Betrieb AG Vespa, der bei Bauprojekten federführend ist.

Dort bündelten sich die Wünsche aller Beteiligten – von den Architekten, so Catteeuw, wäre diese Koordination kaum zu leisten gewesen. Sportfelder im Freien waren davon nicht unmittelbar betroffen, weil Tennis- und Fußballplätze im weitläufigen Fort, wo auch Teile der Universität Antwerpen zu den Nachbarn zählen, bereits vorhanden sind und weitere Einrichtungen in erreichbarer Nähe liegen.

Umso mehr bleibt der Neubau ein Solitär, und fügt sich dennoch ein. Zwischen den teils überwucherten Altbauten ließen die Architekten den Sockel bewusst porös betonieren, um Moosbewuchs zu fördern. Langsam färbt er sich grün. Auch wegen solcher Kleinigkeiten wirkt das Gebäude zwar verschlossen, aber nicht feindselig. In einem Gelände, das Spaziergängern offen steht, definiert es einen Ort des Rückzugs, der Konzentration auf den Sport.

db, Fr., 2018.04.06

06. April 2018 Olaf Winkler

4 | 3 | 2 | 1