Editorial

«Dilemma am Mythenquai» hiess es vor viereinhalb Jahren in dieser Zeitschrift. Thema des Artikels in TEC21 39/2013 war der Abbruch des 1965 bis 1969 erstellten Swiss-Re-Gebäudes von Werner Stücheli, seinerzeit mit der «Auszeichnung für gute Bauten» der Stadt Zürich bedacht. Der Eigentümerin, der Rückversicherung Swiss Re, genügte der Bau Anfang der Nullerjahre nicht mehr.

Mit Diener & Diener Architekten plante sie nach einem Studienauftrag einen deutlich voluminöseren Ersatzneubau. Neben dem umstrittenen Rückbau eines herausragenden Exponenten der Spätmoderne gab es einen weiteren Konflikt: die Diskrepanz zwischen dem Anspruch des global tätigen Unternehmens – immerhin Bauherrin des Londoner «The Gherkin» –, ein architektonisches Flaggschiff zu errichten, und dem gut schweizerischen Bedürfnis, Neubauten möglichst harmonisch ins Stadtbild einzufügen.

Entsprechend hoch schlugen die Wellen nach Fertigstellung der «Swiss Re Next».
Unterdessen geht die Bautätigkeit am Mythenquai weiter. Demnächst wird – ebenfalls strittig – das einst geschützte Mythenschloss durch einen Neubau von Meili, Peter ersetzt. Für die weiter nördlich angesiedelte Zurich Versicherung plant das Büro Adolf Krischanitz eine siebenstöckige Erweiterung mit Glasfassade. Und so stellt sich die Frage nach dem Stadtbild bald ganz neu: Zwischen Swiss Re Next und Glasturm dürften die steinernen Altbauten schon bald wie Exoten wirken.

Bis es allerdings so weit ist, lohnt sich die Lektüre unserer Beiträge zu Architektur, Tragwerk und Gebäudetechnik der Swiss Re Next. Sie zeigen, dass der Bau die Ansprüche an seine Zukunftsträchtigkeit auf selbstverständliche Weise erfüllt.

Tina Cieslik

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Quer in der Landschaft

10 PANORAMA
Literatur, Kultur, Architektur

11 VITRINE
Neues aus der Baubranche

12 SIA
Zukunft Schweiz – gestalten statt geschehen lassen

16 VERANSTALTUNGEN

THEMA
18 SWISS RE NEXT – BAUEN AM WASSER

18 AUF DEN ZWEITEN BLICK
Hubertus Adam
Die Swiss Re Next von Diener & Diener schafft die Balance zwischen Signature Architecture und helve­tischem Understatement.

23 WANNE IM WASSER
Clementine Hegner-van Rooden
Die Swiss Re Next ist ein ­klassischer Skelettbau. Ingenieurtechnisch besonders macht ihn seine Lage auf ehemaligem Sumpfland.

27 FORTSCHRITTLICHE GEBÄUDETECHNIK
Daniela Hochradl
Der Zürichsee als erneuerbare Energiequelle oder neuartige Kältemittel – die Gebäudetechnik der Swiss Re Next ist zukunftsweisend.

AUSKLANG
29 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Auf den zweiten Blick

Im Oktober 2017 wurde am Zürcher Mythenquai der Neubau Swiss Re Next von Diener & Diener eingeweiht. So durchkomponiert wie seine Fassade, so elegant präsentiert sich der Bau im Innern.

Steht man am Bellevue in Zürich, fällt der Blick auf ein neues Gebäude auf der anderen Seite des Seebeckens. Es fügt sich mit seiner Volumetrie in die Sequenz repräsentativer Bauten am Mythenquai ein, markiert mit seiner gewellten Glasfassade Präsenz und sticht dennoch nicht direkt ins Auge – was für das «Swiss Re Next» titulierte Bauwerk ohne Zweifel eine Qualität und für die Stadt einen Gewinn darstellt.

Am nördlichen Teil des Mythenquais – umgangssprachlich «Versicherungsmeile» genannt – reihen sich die Hauptsitze der grossen Schweizer Versicherungskonzerne aneinander. Von Norden nach Süden sind das – alle Traditionsunternehmen haben ihre Namen inzwischen amerikanisiert – die Swiss Life mit ihrem Bau der Gebrüder Pfister, die im Wettbewerb von 1933/1934 unter anderem Le Corbusier ausstechen konnten; die Zurich, die ihren Gebäudekomplex derzeit von Adolf Krischanitz erweitern lässt; und die Swiss Re.

Ausgehend vom neobarocken Altbau der Architekten Emil Faesch und Alexander von Senger aus den Jahren 1911–1913 nutzt der zweitgrösste Rückversicherer der Welt am Mythenquai drei weitere Liegenschaften: das elegante Clubhaus von Hans Hofmann aus den späten 1950er-Jahren, das hybride Mythenschloss, das ab 2019 durch einen Neubau von Meili, Peter Architekten ersetzt werden soll[1], und schliesslich den im Oktober 2017 eröffneten Neubau «Swiss Re Next». Dazu kommen mit dem Escher- und dem Lavaterhaus zwei Bauten in zweiter Reihe.

Der Neubau von Diener & Diener, die sich im Studienauftrag von 2008/2009 gegen eine prominente Konkurrenz von elf weiteren Architekturbüros durchsetzen konnten, ist an die Stelle des gestaffelten Volumens von Werner Stücheli aus der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre getreten.[2] Ziel war es, das Grundstück des Stücheli-Baus besser auszunutzen: Mit 800 Arbeitsplätzen besitzt der Neubau etwa die doppelte Kapazität des Vorgängers. Dieser entsprach nicht dem derzeit verfolgten flexiblen Arbeitsplatzkonzept, war gebäudetechnisch veraltet und besass einen hohen Energiebedarf. Pro Arbeitsplatz ist der Energieverbrauch jetzt um 80 % gesunken (vgl. «Fortschrittliche Gebäudetechnik»); das neue ­Gebäude erfüllt die Vorgaben von Minergie-P-Eco und dem LEED-Platinum-Label.

Vor allem aber ist das Projekt ein Bekenntnis der Swiss Re zum Traditionsstandort Zürich und zum – wie es konzernintern heisst – «Campus Mythenquai». Obwohl weniger als drei Prozent des Prämienvolumens in der Schweiz erwirtschaftet werden, arbeitet hierzulande mit rund 3500 Personen knapp ein Viertel aller Beschäftigten. Sie sollen zukünftig am Mythenquai konzentriert werden. Die Dependance in Adliswil ist bereits verkauft und wird in den kommenden Jahren geräumt. Die Zeiten, da man sich im Stadtzentrum mit einem repräsentativen Schaufenster begnügte, die Backoffices aber an die Peri­pherie verlagerte, sind auch bei der Swiss Re vorbei. Die Konzentration auf einen Standort stärkt die Effizienz; vor allem aber ist die Lage direkt am See ein wichtiger Faktor bei der Suche nach den besten Mitarbeitenden.

Holokratische Bürolandschaften

Schon beim Studienauftrag 2008 bestand das Ziel, eine vielfältige, kommunikative und räumlich attraktive Arbeitsumgebung zu schaffen. Die Architekten zogen das auf Arbeitsplatzkonzepte spezialisierte Londoner Büro Sevil Peach bei, um die Bürozonen zu entwerfen. In enger Abstimmung mit dem Auftraggeber wurde das Raum- und Arbeitsplatzlayout anschliessend weiter differenziert und an verschiedenen ausländischen Standorten des Unternehmens getestet.

Die Swiss Re hat sich dafür entschieden, auf individualisierte Arbeitsplätze zu verzichten. Weil Erhebungen ergaben, dass ein Arbeitsplatz in der Regel weniger als die Hälfte der Zeit besetzt ist, stehen für insgesamt 1100 Personen lediglich 800 Arbeitsplätze zur Verfügung. Zu Arbeitsbeginn holt man sich die persönlichen Unterlagen aus dem «Personal Locker» und sucht sich einen Platz. Die offenen Bereiche gliedern sich in Teamzonen, doch die Arbeit findet nicht notwendigerweise am Schreibtisch statt. Wahlweise stehen auch Sofas, Lounges oder Kaffeebars zur Verfügung. Wer mehr Diskretion benötigt, kann einen der «Think Tanks» aufsuchen – gemeint sind gläserne Raumzellen mit runden Ecken über fünfeckigem Grundriss.

Eigens entworfene Vorhänge der Künstler Marc Camille Chaimowicz und Mai-Thu Perret gewähren das richtige Mass an Transparenz und Transluzenz für einen Rückzugsort, der doch mit dem Ambiente verbunden bleibt. Auch die klassische Hierarchie der Arbeitswelt ist räumlich nicht mehr greifbar: Eine Chef­etage existiert nicht, alle Beschäftigten nutzen die gleiche Büroinfrastruktur. Für die Ablage stehen allen Mitarbeitenden 2.5 m an Regalfläche zur Verfügung.

Flexibel, funktional, verspielt

Die Architektur schafft die räumliche Grundlage für dieses Konzept, das auf grossen, frei unterteilbaren Flächen basiert. Über drei Untergeschossen aus Beton erheben sich die sechs oberirdischen Etagen, die mit ihren Abmessungen von 72 × 58 m das zur Verfügung stehende Geviert ausfüllen und von Roger Diener als «Decks» bezeichnet werden. Zwei grosse rechteckige Lichthöfe sowie vier Erschliessungskerne gliedern die Ebenen. Es handelt sich um die massiven Teile des Bauwerks, das ansonsten als Stahlkonstruktion mit einem Stützenraster von 13.6 m erstellt wurde. Die Haupttreppe im Zentrum bildet die grosszügige Verbindung von Geschoss zu Geschoss.

Das erste bis vierte Obergeschoss und der rückwärtige Teil des fünften sind gemäss dem Arbeits­platzkonzept von Swiss Re mehr oder minder identisch eingerichtet. Besucher betreten das Gebäude im zurückgesetzten Erdgeschoss vom Mythenquai aus, während die Mitarbeitenden zusätzlich den Personaleingang an der Alfred-Escher-Strasse nutzen können. Die Sicherheitskontrollen mit ihren Vereinzelungsanlagen sind zurückgesetzt, sodass ein grosszügiger öffentlicher Empfangsbereich entsteht, der sich in einen der Lichthöfe fortsetzt.

Auf der Südseite finden sich eine Anzahl unterschiedlich dimensionierter Konferenzräume – sollten Meetings ausserhalb der eigentlichen Büroetagen nötig sein, können hier geeignete Räumlichkeiten reserviert werden. Ein grosses Auditorium steht im zweiten Untergeschoss zur Verfügung, während Durchgänge im ersten Untergeschoss es ermöglichen, trockenen Fusses die anderen Gebäude am Mythenquai sowie die beiden Swiss-Re-Bauten auf der anderen Seite der Alfred-Escher-Strasse zu erreichen.

Speziell dem Empfang von Gästen dient der seeseitige Teil des abschliessenden fünften Obergeschosses, die repräsentativen Räume stehen aber auch den Mitarbeitenden zur Verfügung. Das Zentrum bildet eine abgehängte Edelstahlbar, die ebenso wie die expressiv farbige Faktur der Wände auf dunklem Grund vom Wiener Künstler Heimo Zobernig stammt. Tische und Teppiche sind Werke der US-amerikanischen Künstler Wade Guyton und Kelly Walker. Kunst und Architektur haben zu einer überzeugenden Symbiose gefunden – da mag man über die Tatsache hinwegsehen, dass in dem als «Bibliothek» titulierten Raum keine Bücher stehen. Es gehe nur um die Atmosphäre einer Bibliothek, so die Erklärung.

Ortsgebundene, speziell beauftragte Kunst findet sich auch an anderen Stellen im Gebäude. Etwa die dezenten Wollvorhänge von Willem de Rooij, die hinter der Fassade einen sanften Farbverlauf entstehen lassen. Oder die verformten Stützen und polygonal geschnittenen Steinplatten von Martin Boyce im Erdgeschoss. Dazu kommt eine Reihe von Werken aus der hochkaräti­gen Kunstsammlung der Swiss Re. Neben dem Farbkosmos von Zobernig stellt die fantastische Aussicht über das Seebecken und die Stadt die eigentliche Attraktion des obersten Geschosses dar. In der Mitte der Ebene ist eine Terrasse in das Volumen eingeschnitten, die sich in Form einer verglasten Loggia über die gesamte Gebäudebreite fortsetzt.

Perfekte Wellen

Die gläserne Fassade ist nicht nur als äussere Begrenzung des Gebäudes im Innern omnipräsent, sie ist es auch, die mit ihrem umlaufenden Wellenmotiv den Auftritt von Swiss Re Next im Stadtraum bestimmt. Und die, nachdem die Gerüste gefallen sind, auf ein seltsam kontroverses Medienecho gestossen ist.[3] Im Œuvre der Architekten taucht der Gedanke einer ondulierenden Fassade aus repetitiven Glaselementen erstmals 2005 bei ihrem Beitrag für den Kongresszentrums-Wettbewerb auf. Nun konnten sie die Idee in unmittelbarer Nachbarschaft und ebenfalls am Seeufer umsetzen. Konstruktiv handelt es sich um eine Doppelfassade: ein wellenförmiger Vorhang vor umlaufenden Loggien und eine Dreifachverglasung dahinter, die die thermische Grenze des Gebäudes bildet.

Mithilfe von Mock-ups wurden vor Ort die Materialisierung der Fassade, die Stabilität hinsichtlich Glasbruch, die Durchsicht sowie die Halterung in Varianten erprobt. Die grössten, 4.8 × 2.4 m grossen Gläser sind auf der Ebene des ersten Obergeschosses versetzt, da sie als Glasschürze auch knapp in den Bereich des Erdgeschosses hineinragen. Dieses ist im Bereich der Vorfahrt zum Mythenquai zurückgesetzt und weitgehend frei von Glas. Eine Verkleidung mit Wachenzeller Dolomit artikuliert die Sockelthematik und vermittelt zwischen Glas und Erdboden.

Faszinierend an der Glasfassade, deren Horizontalität die Geschossigkeit des Gebäudes zum Ausdruck bringt, sind die unterschiedlichen optischen Effekte, die sich je nach Standpunkt, Wetter und Jahres­zeit ergeben. Grundsätzlich gilt, dass das Thema der Reflexion sich desto deutlicher zeigt, je näher man dem Gebäude kommt. Das Auf und Ab der Fassade tritt deutlicher hervor, die vertikale Strukturierung wird sichtbarer, Spiegelungen und Reflexionen rhythmisieren das Bild und verändern sich beim Vorbeigehen oder -fahren.

Beim Blick vom gegenüberliegenden Seeufer aus zeigt sich ein anderes Bild: Das markante Volumen wirkt geschlossener, nimmt sich aber auch stärker zurück. Das Wellenmotiv verschwindet mehr und mehr, erkennbar bleibt aber der «Frequenzwechsel» zwischen den vier unteren und den beiden oberen Geschossen, der die Traufkante des Altbaus von 1913 aufgreift. Der Eindruck ist zurückhaltend, die Tönung des Glases ver­bindet sich optisch mit der Landschaft des dahinter liegenden Moränenhügels und des etwas ferneren Uetlibergs. Zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen: Präsenz und Expressivität aus der Nähe, unaufdringliche Gelassenheit aus der Ferne.

Natürlich löst die Fassade Assoziationen aus: Die Superposition der Wellen lässt an Säulen denken, und allein schon das Wort der Welle mag an den See erinnern. Aber all das ist nicht zwingend. Hier wird kein modisches Spektakel inszeniert, hier werden aber auch keine vergangenen Formenwelten wiederbelebt. Immer wieder gelingt es dem Basler Architekturbüro, zeitlose Bauten zu errichten, die sich nicht auf den ersten Blick aufdrängen, die dafür aber um so nachhaltiger faszinieren – auch aufgrund ihrer souveränen Materia­lisierung.


Anmerkungen:
[01] Vgl. Adi Kälin: «Kein Schutz fürs Mythenschloss» in: Neue Zürcher Zeitung, 21. September 2017.
[02] Unter der Überschrift «Dilemma am Mythenquai» setzt sich Michael Hanak in TEC21 39/2013 kritisch mit dem Umgang mit dem Stücheli-Bau auseinander.
[03] Vgl. Roman Hollenstein: «Zürich verschandelt sich selbst» in: Neue Zürcher Zeitung, 11. Mai 2017.

TEC21, Fr., 2018.02.09

09. Februar 2018 Hubertus Adam

Wanne im Wasser

Das neue Hauptgebäude der Swiss Re am Zürichsee ist ein Skelettbau mit Stahlbetonverbunddecken – so weit Routine. Doch die Arbeit der Ingenieure von EBP war alles andere als alltäglich. Dem Tragwerk blieb wenig Platz, und der Ersatzneubau schwimmt regelrecht im Wasser.

Den Mythenquai am westlichen Ufer des Zürichsees gab es so nicht immer. Erst mit der Aufschüttung der Quaianlage in den 1880er-Jahren erschloss sich das unzugängliche Sumpfland am See­ufer. Die Stadtbewohner erhielten eine Flaniermeile vom Zürichhorn am östlichen bis hin zum Belvoirpark am westlichen Ufer.

Der Mythenquai entstand – und mit ihm eine prominente Bauzone. Den Wandel von der öffentlichen Promenade hin zum Geschäftsviertel leiteten drei Versicherungsgesellschaften ein, die am Mythen- und am damaligen Alpenquai ihre Hauptsitze erstellten: 1897 die Rentenanstalt, 1899 die Zürich-Versicherung und 1913 die Schweizer Rückversicherungs-Gesellschaft, die heutige Swiss Re.

Die Lage war zwar attraktiv, doch der Baugrund am Seeufer äusserst diffizil. Als aufgeschüttetes Sumpfland ist dieser ein von Grundwasser gesättigter und nur schlecht tragfähiger und setzungsempfindlicher Untergrund (künstliche Aufschüttungen gelagert auf Seeschlamm und Seekreide; erst in etwa 20 m Tiefe finden sich gut gelagerte Silte). R. Henauer & J. Lee Bauinge­nieure liessen Mitte der 1960er-Jahre für den Neubau der Schweizer Rückversicherungs-Gesellschaft von Werner Stücheli, den Vorgänger des aktuellen Gebäudes, ein dem Standort angepasstes Verfahren einsetzen.

Die Konstruktion wurde in Deckelbauweise erstellt – zuerst die Bodenplatte des Erdgeschosses und danach schrittweise die Untergeschosse ins Erdreich hinein. Der Aushub der Baugrube erfolgte dabei jeweils unter der bereits erstellten Decke, zuletzt wurde die Bodenplatte eingebracht. Umringt sind die Untergeschosse von einer 60 cm starken und 25 m in den Untergrund reichenden Schlitzwand, die als Baugrubenabschluss funktioniert. Zusammen mit der Bodenplatte bildet diese Schlitzwand eine Wanne – schwarz abgedichtet –, die regelrecht im wassergesättigten Uferbereich treibt.

Unter dem Grundwasserspiegel

Anfang der Nullerjahre war der Stücheli-Bau in die Jahre gekommen. Den Studienauftrag zum Ersatzneubau «Swiss Re Next» gewannen 2008 Diener & Diener Architekten. Der Bestand musste weichen, aber seine noch einwandfreie Schlitzwand war ein zentrales Element der aktuellen Arbeiten. Ein Rückbau ohne die Sicherung dieses bestehenden Baugrubenabschlusses hätte fatale Folgen gehabt, ebenso eine unbedachte Demontage der Untergeschosse.

Für Baustellen, die sich wie hier unterhalb des Grundwasserspiegels befinden, müssen sich die Ingenieure mit komplexen bodenmechanischen Begebenheiten auseinandersetzen. Die Gebäudewanne könnte aufschwimmen, wenn der Auftrieb plötzlich grösser ist als die Last. Ein Aushub kann nur trockenen Fusses geschehen, wenn der Wasserspiegel innerhalb der Schlitzwand abgesenkt wird. Eine Wasserhaltung mit Abpumpen und Wiedereinleiten ist notwendig.

Durch die Absenkung des Wasserspiegels entsteht in diesem wenig durchlässigen Boden ein hydrostatischer Druck von unten gegen die Sohle. Ihm entgegen wirkt einzig die vertikale Last, die innerhalb der Baugrube auf die Sohle wirkt. Ist sie zu klein, kann es zu einem verheerenden Sohlenaufbruch kommen.

Ausserdem wirken starke seitliche Kräfte auf den Baugrubenabschluss. Aktiver Erd- und Wasserdruck presst die Schlitzwand in die Baugrube hinein. Bliebe diese nicht durch die bestehenden Untergeschossdecken und die Bodenplatte gestützt – sie wirken wie Spriesse –, so würden die horizontalen Kräfte zum Kollaps des Baugrubenabschlusses führen, was drastische Konsequenzen für die direkte Umgebung hätte. Trotzdem musste auch der Bestand in den Untergeschossen ersetzt werden.

Stets im Kräftegleichgewicht

Aus diesem Grund entwickelten die Bauingenieure ein sorgfältiges Konzept für den Rückbau des Bestands. Statt der Decken übernahm eine temporäre Spriessplattform die Stützfunktion, und die Bodenplatte wurde in kleinen Teilen von 15–70 m² sukzessive ersetzt. Zudem liessen sie 20 Kleinfilterbrunnen bohren, durch die das Grundwasser stetig abgepumpt und der Wasserspiegel, der sich normalerweise etwa 1 bis 2 m unter dem Stras­senniveau am Mythenquai befindet, innerhalb der Baugrube sukzessive gesenkt wurde.

Der Porenwasserdruck unterhalb Unterkante Schlitzwand wurde mithilfe von Überlaufbrunnen entspannt, womit die Sicherheit gegen einen Sohlbruch gewährleistet war. Der Bau­prozess war minu­tiös und in klar abgestimmten Phasen auf dieses Konzept ausgelegt.

Zuerst erfolgte der Rückbau des Bestands in klassischer Weise bis hinunter ins erste Untergeschoss. Parallel dazu liessen die Ingenieure entlang der Schlitzwand vertikale Stahlträger und mit ihnen verbundene Longarinen einbauen.

Die Spriessplattform wurde direkt nach dem Rückbau des ersten Untergeschosses eingebaut. Sie ist eine tischartige Kon­struktion aus über 1000 t Stahl und besteht aus einem etwa 55 × 80 m grossen und 6.8 bis 8.8 m weit gerasterten Trägerrost aus HEB500-Profilen über den gesamten Baugrubengrundriss.

Dieser Rost lagerte auf HEB300-Stützen, die durch den Restbestand hindurch auf bereits neu betonierte Bodenplattenteilstücke platziert wurden. Sobald die Spriess­plattform fertiggestellt war, gaben hydraulische Pressen an allen vier Stirnseiten des Rosts Kräfte von 100 bis 200 t auf die vertikalen Stahlträger ab. Über die Longarinen wurden diese auf die Schlitzwand übertragen.

Ähnlich einem Tunnelschalwagen – aber horizontal angeordnet – übernahm ein Schild aus vertikalen Stahl­trägern und Longarinen die Stützfunktion des Baugrubenabschlusses und entlastete schliesslich die Decken des Bestands. Diese Kraftumlagerung ermöglichte den weiteren Rückbau ohne ungewollte Verformungen der Schlitzwand und damit ohne Setzungen des Baugrunds ausserhalb der Baugrube.

Zwischen dieser temporären Konstruktion konnten die Bauarbeiter unter stetiger Beobachtung und Messung der Baugrube die bestehende Altbau­substanz rückbauen, die zusätzlich notwendigen schwimmenden Pfähle für die Fundation setzen (900 Selbstbohrpfähle mit Mantelreibung), etappenweise die Bodenplatte ersetzen, Schutt abtransportieren und den neuen Beton für die drei wasserdichten Untergeschosse einbringen.

Der Wasserspiegel wurde den Rückbauarbeiten und der entsprechenden Last­reduktion folgend abgesenkt und danach wieder angehoben. Sobald die Decke über dem zweiten Untergeschoss vollständig eingebaut war, konnten die Spriessplattform insgesamt zurückgebaut und die verbliebenen Öffnungen in den neuen Decken zubetoniert werden. Ab diesem Zeitpunkt erst nahm man den Fortschritt des Ersatzneubaus wahr – nach fast eineinhalb Jahren.

Aus Betonwanne wächst Skelettbau

Im folgenden, für die notwendigen Arbeiten zeitlich knapp bemessenen Jahr schossen die weiteren sieben Geschosse als kompakter Quader mit einem Grundriss von 57 × 71 m regelrecht aus dem Boden in eine Höhe von 25 m. Auf dem Erdgeschoss mit dem Eingangsbereich stapeln sich fünf Obergeschosse, von denen vier als Grossraumbüros dienen und das oberste seeseitig für in­formellere Tätigkeiten konzipiert ist.

Der Bau unter Terrain ist statisch ein Massivbau mit Flachdecken auf vorfabrizierten Stützen und Wandscheiben. Die Decken funktionieren auch als Scheiben, die im Endzustand die bestehende Schlitzwand dauerhaft abstützen und horizontale Einwirkungen aus Wind- und Erdbebenlasten in den Baugrund ableiten. Das Bauwerk über Terrain ist hingegen ein Skelettbau mit vorfabrizierten Stahlstützen und gedrungenen Stahl-Beton-Verbunddecken. Die Stützen sind aus Vollstahlrohren mit einem ergänzenden Stahlmantel ge­fertigt, deren Zwischenraum aus brandschutzspezifischen Gründen vor Ort ausbetoniert wurde.

An den Fassaden stehen runde Profile mit einem von den oberen bis zu den unteren Geschossen von 250 bis 450 mm zunehmenden Durchmesser. Im Innern stehen auch Vierkantrohre. Generell spannen die Primärträger als geschweisste Blechträger senkrecht zur Strassenachse. Die grossen Spannweiten von bis zu 14 m ermöglichen flexibel nutzbare Grossraumbüroflächen.

Die Sekundärträger aus HEB550-Profilen, die als Verbundträger ausgebildet sind, verlaufen orthogonal dazu. Die Trägerunterkanten liegen in derselben Ebene, und die 18 cm starke Betonplatte auf Verbundblechen ist schubfest mit den Stahlträgern verbunden. Die gesamte Konstruktionshöhe inklusive der untergehängten Decke beträgt nur 75 cm.

Um die Medien und das Tragwerk in dieser reduzierten Konstruktions­­höhe unterbringen zu können, sind alle Träger systematisch für Medienleitungen perforiert. Nur bei den Kernzonen, wo HLKS-Leitungen aus den Erschliessungsschächten austreten, erleichtern 30 cm starke Flachdecken die Leitungsführung.

Zwei Atrien durchstossen den Quader vom Erdgeschoss bis zum Dach und belichten die inneren Flächen der 72 × 58 m grossen Grundrissfläche. Vier Betonkerne, die die Etagen erschliessen und im steifen Stahlbetonkasten des Untergeschosses eingespannt sind, steifen des Gebäude gegen horizontale Kräfte aus.

Vorhang vor Verbundbau

Umhüllt wird der kompakte Quader von einer zweischichtigen Glasfassade. Die äussere Haut ist gewellt und hängt als Vorhang an auskragenden Konsolen. 914 Glaswellen bringen es auf ein Gewicht von 377 t. Der obere, höher frequentiert gewellte Vorhang hängt über Chromstahlstangen am sechsten Obergeschoss, der untere, breiter gewellte Vorhang am vierten Obergeschoss. An den Anschlussstellen ergänzten die Bauingenieure den Trägerraster der Decken mit zu­sätzlichen Tertiär­trägern, um die Torsion des Fassaden­trägers auffangen zu können.

Der Ersatzneubau ist aus tragwerksspezifischer Sicht also ein Stahl-Beton-Verbundbau mit einem Skelettbau als Tragstruktur, kein Glasbau. Das Glas ist nur die Fassade – der Vorhang, der das Tragwerk transparent einhüllt. Es bildet die Schauseite, die das Gebäude nach aussen repräsentieren soll und damit auch den Zeitgeist widerspiegelt – so vergänglich dieser manchmal auch sein mag. Das Tragwerk dahinter bezeugt als solide Ausführung hingegen Beständigkeit.

TEC21, Fr., 2018.02.09

09. Februar 2018 Clementine Hegner-van Rooden

Fortschrittliche Gebäudetechnik

Der Zürichsee als erneuerbare Energiequelle oder neuartige Kältemittel – die Gebäudetechnik der Swiss Re Next ist zukunftsweisend.

Dank der Lage am Mythenquai kann für die Gebäude der Swiss Re der Zürichsee als erneuerbare Energiequelle genutzt werden. Das Wasser wird in knapp 20 m Tiefe rund 500 m vom Ufer entfernt ­gefasst. Ganzjährig herrscht hier eine Wassertemperatur von durchschnittlich 10 bis 15 °C. Damit eignet sich das Wasser im Winter gut als Quelle für Wärmepumpen und kann im Sommer direkt für die Kühlung verwendet werden.

Das in den Wärmepumpen eingesetzte Kältemittel HFO (1234ze) war zum Planungszeitpunkt in der Schweiz kaum bekannt. Die Planer vom Büro Dr. Eicher Pauli suchten eine Alternative zu Ammoniak NH3 mit einer hohen ­Umweltverträglichkeit und einer gerin­geren Gefährdung für die Mitarbeitenden bei einer Havarie. HFO-Kältemittel besitzen ein tiefes Treibhauspotenzial. Während der Planungsphase 2014/2015 gab es damit hierzulande noch keine Anlagen, daher standen auch keine Referenzberichte und Normen zur Verfügung. Die Sicherheitsanforderungen mussten mit Feuerpolizei und Brandschutzberater erstmalig und speziell für diese Anlage entwickelt werden.

Im Wärmebedarfsfall wird dem Seewasser Energie entzogen und mittels Wärmepumpen auf das erforderliche Heiztemperaturniveau (im Heizungsspeicher max. 38 °C) gebracht. Das Besondere an der Anlage ist die Nutzung des Seewassers über einen separaten Verdampfer an der Wärmepumpe. Die Raumkühlung erfolgt – wenn möglich – direkt über das Seewasser. Bei hohen Wassertemperaturen ist keine direkte Kühlung möglich. Dann erzeugt der zweite Verdampfer der Wärmepumpe die zusätzlich benötigte Kälte.

Die Nachkühlung des Seewassers erfolgt in zwei Stufen in Abhängigkeit der erforderlichen Kühlwassertemperaturen der Verbraucher (14 °C und 8 °C für die Entfeuchtung). Die Rückkühlung der Kältemaschine funktioniert ebenfalls mit Seewasser. Die Wassermengen in den Wärmepumpen werden ohne zusätzliche Regelventile über die Drehzahl der Pumpen geregelt.

Die Wärmeerzeugung des Warmwassers erfolgt über eine separate Wärmepumpe mit CO2 als Kältemittel. Diese nutzt die im Gebäude anfallende Abwärme (technische Kälte für IT- und EDV-Räume). Sollte keine ausreichende Abwärme vorhanden sein, kommt wiederum das Seewasser als Quelle ins Spiel.

Die Wärme- und Kälteabgabe erfolgt grösstenteils mittels neu entwickelten Heiz- und Kühldecken, die vorab im Labor geprüft wurden. Die Metalldecke mit porösem Weissputz verfügt über unsichtbare Zuluftauslässe, was eine komplett geschlossene Deckenfläche im Grossraumbüro ermöglichte. Mit einem Mock-up konnte die Funktionalität vor der Ausführung getestet werden.

Die Erschliessung der Deckenkreise erfolgt aus den vier fassadenorientierten Steigzonen im Vierrohrsystem. Damit kann der orientierungsabhängige Einfluss der Sonnenstrahlung kompensiert werden. Eine PV-Anlage auf dem Dach produziert rund 150 MWh/a und deckt rund 7 % des gesamten Strombedarfs.

Bedarfsgesteuerte Luftqualität

Alle Räume werden über mechanische Lüftungs- und Klimaanlagen belüftet. Für eine möglichst hohe Energieeffi­zienz wurden Sorptionswärmetauscher zur Feuchte- und Wärmerückgewinnung eingesetzt. Die Luftmengen richten sich nach den hygienischen Bedürfnissen und werden über variable Volumenstromregler bedarfsgerecht geregelt.

Die Regelung der Luftmenge an den zentralen Anlagen läuft nicht über eine herkömmliche Druckregelung, sondern über die Rückmeldungen der einzelnen Volumenstromregler. Einzigartig im Bürobereich sind die bereits beschriebenen Lüftungsauslässe in der Heiz- und Kühldecke. Sie bestehen aus dichten Kästen, die auf die ab­gehängte, im Auslassbereich gelochte Decke gesetzt wurden. Darüber gelangt die Luft turbulenzarm in den Raum.

Gebäudetechnisches Highlight des Baus ist die Foyerzone im 2. UG mit Auditorium und eigenem TV-Studio. Diese Bereiche werden über mehrere Spezial­lüftungsanlagen mit grossen Luftmengen belüftet. Die hohen Wärmelasten durch Personen, Geräte und Beleuchtung können hier mit sieben hinter einer Holzbauwand platzierten Umluftgeräten abgeführt werden. Die Zuluft strömt über Quellluftauslässe im Bodenbereich in den Raum, die Abluft wird über einen Schlitzauslass an der Decke gefasst. Er dient zusätzlich als Schiene, um raumhohe LED-Paneele zu bewegen. Zehn dieser Elemente, jedes 1 m breit und 6 m hoch, können an definierten Stellen positioniert und einzeln mit Inhalt bespielt werden. Aneinandergereiht ergeben sie eine Präsentationsfläche von 60 m².

Das Gebäude wurde mit mehreren Rauchschutzdruckanlagen (RDA) und mechanischen Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (MRWA) ausgestattet. Speziell ist die Kombination der Rauch- und Wärmeabzugsanlage im Parking-Bereich der Untergeschosse, mit einer separaten Zuluft-Lüftungsanlage über CO-Steuerung. Bei einem Brand wird die Anlage umgesteuert und vom CO-Betrieb automatisch zur Rauch- und Wärmeabzugsanlage umfunktioniert.

TEC21, Fr., 2018.02.09

09. Februar 2018 Daniela Hochradl

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