Editorial

Wie umgehen mit Bauten der Nachkriegsmoderne? Viele Gebäude aus der Zeit des Baubooms faszinieren durch ihre aussergewöhnlichen Qualitäten: Eleganz, Transparenz und Offenheit – dank freiem Grundriss mit Stützenraster und Curtain Wall. Heute verbindet die mittlerweile in die Jahre gekommenen Gebäude, dass sie meist lange Zeit vernachlässigt wurden und weit davon entfernt sind, den aktuellen ­bautechnischen Standards zu entsprechen.

Mangelnde Sensibilität und fehlende Wertschätzung im Umgang mit dieser Bausubstanz führen dazu, dass immer mehr Gebäude dem Druck des Immobilienmarkts zum Opfer fallen. Bauten aus dieser Zeit haben oft keine Anwälte.

Anders die Beispiele, die wir hier zeigen: Das Farelhaus in Biel (1959) von Max Schlup und das Hotel Daniel in Wien, ein ehemaliger Firmensitz von Hoffmann-La Roche (1962) nach Plänen von Georg Lippert, zählen zu den ersten Gebäuden mit Curtain Wall in der Schweiz und in Österreich – und gelten als Pioniere der Nachkriegs­moderne. Nach ihrer Erneuerung stehen sie exemplarisch dafür, wie man vernünftig und adäquat mit derartiger Substanz um­gehen kann. Statt einem übersteigerten Komfortdenken gerecht werden zu wollen, ging es den Verantwort­lichen eher darum, Nutzungen und Bedürfnisse den Gegebenheiten anzupassen. Damit sichern sie nicht nur den Fortbestand zweier Architek­turikonen, sondern zeigen auch, wie mit einem intelligenten Konzept, viel Kreativität und im Austausch mit den Beteiligten Neues entsteht.

Tina Cieslik, Susanne Frank

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Thurgauer Ziegelhütte

10 PANORAMA
Schader heute | World Interiors Day

14 VITRINE
Aus einem Guss | Umweltlabel

16 SIA
Budget 2017 mit schwarzer Null | Wertvolle Korrekturen und Aktualisierungen |
«Leidenschaft ist der Kraftstoff unseres Berufs» | Brandschutz früh in Planung einbeziehen

20 VERANSTALTUNGEN

THEMA
22 NACHKRIEGSMODERNE: PIONIERE NEU ENTDECKT

22 VOM PHARMASITZ ZUM STADTHOTEL
Klaus Spechtenhauser
Der einstige Wiener Sitz von Hoffmann-­La Roche ist heute ein Hotel. Komforteinschränkungen kompensiert der Bau mit architektonischer Raffinesse.

28 «DER NUTZER MUSS SICH DEM HAUS ANPASSEN»
Tina Cieslik, Susanne Frank
Das Farelhaus in Biel von Max Schlup wurde saniert. Die neuen Eigentümer berichten von ihrer Doppelrolle als Architekten und Investoren.

AUSKLANG
34 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Vom Pharmasitz zum Stadthotel

(SUBTITLE) Hotel Daniel, Wien

Der Hotelier Florian Weitzer startete 2010/11 das ambitionierte Projekt, ein Wiener Bürohaus aus der Zeit des Baubooms in ein Hotel zu verwandeln – was viele mit Skepsis verfolgten. Heute zählt das Hotel Daniel zu den angesagten Adressen, der Fortbestand einer Architekturikone ist gesichert.

Auf den ersten Blick könnte das Gebäude am stark befahrenen Landstrasser Gürtel durchaus als Neubau durchgehen. Das etwas geschulte Auge jedoch identifiziert die Glasfassade mit dem filigranen Aluminiumraster und die sanft zum Eingang ansteigende Freitreppe aus porösem Travertin rasch als patiniert und aus einer anderen Zeit stammend, desgleichen das im hinteren Gebäudebereich untergebrachte Treppenhaus, das eindeutig den gestalterischen Duktus der 1950er-/1960er-Jahre aufweist. Den bauzeitlichen Beweis liefert dann der Blick an die Decke, sowohl in der Hotellobby als auch in den Zimmern: Hier zeigt sich unverdeckt und roh der Sichtbeton mit seinen Alterungsspuren. Tatsächlich wurde das Gebäude 1959–1962 von Georg Lippert (1908–1992), damals einer der meistbeschäftigten Architekten Österreichs, als Büro- und Produktionsgebäude des Basler Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche geplant und errichtet.

Hoffmann-La Roche Wien

Als Mitte der 1950er-Jahre auch in Österreich ein wirtschaftlicher Aufschwung einsetzte, beschloss Hoffmann-La Roche, am bereits seit 1907 existierenden Wiener Standort zu expandieren. Nach eingehender Evaluierung konnte die Firma 1958/59 südlich des ­Stadtzentrums an der Ecke Landstrasser Gürtel/Jacquingasse ein geeignetes Grundstück für einen Neubau erwerben. Mit seinen unterschiedlichen Nutzungen und Funktionen war das Gebiet bereits damals ein dezidiert städtischer Ort. Hier verdichteten sich stadträumliche Schnittstellen auf engstem Raum – der mehrspurige Gürtel als wichtige Verkehrsachse, dichte Blockrandbebauungen aus der Gründerzeit, aufgebrochen durch das weitläufige Areal des Schlosses Belvedere, der Schweizergarten, in dem damals gerade der Österreich-Pavillon der EXPO 58 in Brüssel von Karl Schwanzer als Museum des 20. Jahrhunderts wiederaufgebaut wurde («20er Haus», 1959–1962), und letztlich der neue Südbahnhof (1951–1961) an städtebaulich markanter Ecklage zwischen Wiedner Gürtel und Arsenalstrasse. Auf dem erworbenen Grundstück stand zudem noch die kriegszerstörte Ruine des 1894/95 von Fellner & Helmer erbauten neubarocken Palais Lanckoron´ski, die 1960 endgültig abgerissen wurde.

Georg ­Lipperts Projekt entstand ab 1959 in ­enger Zusammenarbeit mit wichtigen Entscheidungsträgern bei Hoffmann-La Roche. Sicher hatte auch ­Roland Rohn (1905–1971), damals Hausarchitekt des Konzerns und mitverantwortlich für dessen Cor­porate Design, den 1960–1962 umge­setzten Entwurf kritisch begleitet und gutgeheissen. Lippert platzierte den lang­rechteckigen, siebengeschossigen Bau mit der Längsseite gegen den Landstrasser Gürtel. Als ­Konstruktion für das von der Strasse leicht zurück­versetzte Gebäude wählte er ein Stahlbeton­skelett mit Rundstützen und Plattendecken sowie zusätz­lichen Aussteifungen im Treppenhaus und in den ­Aufzugs- und Sanitärbereichen.

Umhüllt wurde das Skelett von einer membranartigen Aussenhaut mit ­ursprünglich 534 Elementen aus eloxierten Alu­miniumprofilen und Isolierglas – eine der ersten Curtain Walls in Österreich. Der vom Terrain leicht abgehobene, scharf geschnittene Baukörper mit dem grünlich reflektierenden Glas der Fassaden und dem als Flugdach stilisierten, bei Nacht hinterleuchteten Kranzgesims verliehen dem ­Gebäude von Anfang an einen hohen Wiedererkennungswert. Lippert schuf einen der internationalen Moderne verpflichteten Bau mit einem eleganten, zeitlosen Äus­seren, das die zukunftsorientierte Haltung des Basler Pharmaunternehmens eindrücklich visualisierte. Auch stadträumlich vermochte er zwischen der geschlossenen Bebauung der Jacquingasse und den anschliessenden offenen ­Bereichen gut zu vermitteln.

Weniger spektakulär, die Möglichkeiten der Skelettkonstruktion jedoch konsequent ausnützend, war das Innere durch Leichtbauwände frei unterteilbar und konnte an die wechselnden Anforderungen der Verwaltungs-, Labor-, Produktions- und Lagerbereiche flexibel angepasst werden. Als die Flächen nicht mehr reichten, wurde 1972–1974 ein ebenfalls von Lippert geplanter Erweiterungsbau an der Rückseite des Hauses errichtet. In den 1990er-Jahren gab Hoffmann-La Roche das Gebäude auf, und verschiedene Firmen nutzten es fortan für Bürozwecke. Nach längerem Leerstand erwogen die damaligen Eigentümer eine Generalsanierung unter Wahrung der ursprünglichen Nutzung als Bürobau.

Aus Roche wird Daniel

2008 erfolgte im Vorfeld der geplanten Sanierungen eine umfangreiche Prüfung des Bauzustands. Dabei wurde der generelle Zustand als sehr gut beurteilt; als wesentliche Probleme wurden wie bei den meisten Bauten jener Zeit insbesondere energetische Mängel (erhebliche Wärmeverluste aufgrund zahlreicher Wärmebrücken und mangelhafter Dämmung) und nicht erfüllte Sicherheits- und Brandschutzanforderungen festgestellt ­(fehlende Absturzsicherung im Brüstungsbereich, keine Sicherheit vor Brandüberschlag von Geschoss zu Geschoss u. Ä.). Um den Fortbestand der Büronutzung zu ermöglichen und die entsprechenden Vorgaben zu erfüllen, wäre nur – so die Analyse – der komplette Ersatz der Fassade durch einen dem originalen Erscheinungsbild entsprechenden Nachbau infrage gekommen. Dafür fehlte damals aber das Geld; und zudem entschloss sich das Bundesdenkmalamt 2009 – im Zeichen der zunehmenden Sensibilisierung für wichtige Bauten der Nachkriegsmoderne –, das Gebäude unter Schutz zu stellen, wobei Fassade und Treppenhaus in jedem Fall erhalten, das ohnehin bereits umgebaute Innere jedoch verändert werden durften. Die wenig aussichtsreiche Lage änderte sich mit dem Auftritt des Grazer Hoteliers Florian Weitzer.

Als Weitzer auf der Suche nach einem geeigneten Wiener Standort das ehemalige Roche-Gebäude entdeckte und dann noch erfuhr, dass es Georg Lippert errichtet hatte, war die Sache für ihn klar: Denn Lippert war auch der Architekt des Hotels Daniel beim Grazer Hauptbahnhof (1955/56), das Weitzer seit 1974 betreibt und in dem der Hotelier, der eher vielgewandter Ausprobierer denn klassischer Hotelmanager ist, sein «Smart Luxury»-Konzept erfolgreich umgesetzt hat. Für sein Wiener Projekt fand Weitzer mit Atelier Heiss Architekten ein Büro, das bereits im Vorfeld von Sanierung und Umbau 2010/11 ein regelrechtes Faible für den Bau aus den 1960er-Jahren entwickelt hatte.

Die zukünftige Hotelnutzung ermöglichte nun die substanzielle Erhaltung der Fassade: Sie wurde ­saniert, fehlende und beschädigte Teile wurden gemäss Bestand erneuert. Die ungenügenden energetischen und akustischen Dämmeigenschaften wurden in Kauf genommen und müssen auch von den Hotelgästen toleriert werden. Im Zuge der Anpassungen an aktuelle bauliche Auflagen kam es im Innern zur Errichtung eines zweiten Treppenhauses. Abgebrochen wurde hingegen eine später errichtete Erschliessung zwischen Hauptbau und rückseitigem Erweiterungsbau, wodurch der ursprüngliche solitäre Charakter des Gebäudes wiederhergestellt werden konnte. Eine sorgfältige Erneuerung erfuhr das original erhaltene Haupttreppenhaus, lediglich ein kleiner Teil der Verglasung musste im Bereich der unteren vier Geschosse aufgegeben werden. Gegen Brandüberschlag und als Absturzsicherung wurden innenliegend bis zum unteren Fensterrand Brüstungsmauern angebracht.

Im Innern bestanden – abgesehen vom Treppenhaus – keine originalen Bestandteile mehr, und auch der gewachsene Zustand war alles andere als schützenswert. Somit konnte eine auf die neue ­Hotelnutzung abgestimmte komplette Neustrukturierung vorgenommen werden, wobei die Skelettkonstruktion entsprechende Freiheiten erlaubte, gleichzeitig aber auch den Raster für den Einbau der Hotelzimmer vorgab. Während im Untergeschoss Mitarbeiter-, Lager- und weitere Nebenräume Aufnahme fanden, wurde das ­Erdgeschoss als grosser, offener Raum mit Lobby, Rezeption, Shop, Restaurant- und Frühstücksbereich gestaltet. Lediglich die Küche, ein minimales Backoffice, zwei barrierefreie Zimmer und eine Gästetoilette sind räumlich abgetrennt. Gegen den parkartigen Bereich zum Gürtel ist das Erdgeschoss mit einer Terrasse erweitert worden.

In den sechs Obergeschossen fanden insgesamt 115 relativ kleine Doppelzimmer Platz. Die schmalen Zimmer, jeweils zwei zwischen einem Stützenabstand, weisen meist noch eine Einknickung in der Trennwand auf, um das Bett quergestellt unterzubringen und auch noch zirkulieren zu können. Lediglich die um den neuen Erschliessungskern angeordneten Räume sind grösser, zudem eine Suite im obersten Geschoss mit Aussicht auf Belvedere und Innenstadt. Das Dachgeschoss ­konnte nicht für die Hotelnutzung umgebaut werden, wiederhergestellt wurde aber die indirekte Beleuchtung des für das Gebäude so charakteristischen Flugdach-Kranzgesimses.

Erhalten blieb auch samt Schienen – quasi als kleines Industriedenkmal – die Aufzugsanlage für den Fassadenreinigungskorb.

«Smart Luxury»

Sanierung und Umbau sind nicht nur von der zuständigen Fachstelle als «rundum geglücktes Beispiel für die Denkmalpflege» gewürdigt worden. Das ist die eine Seite. Die andere ist das Betreiberkonzept, das dem Gebäude seinen Erfolg beschert. Geboten wird im Daniel für den «Urban stay» der Gäste «Smart Luxury»: Unnötige Dinge werden weggelassen, stattdessen jene Annehmlichkeiten ermöglicht, die man eigentlich immer schon wollte – wie etwa einen bereitstehenden Scooter für individuelle Stadterkundungstrips.

Dazu gehört auch der Verzicht auf das Sterne-System, das Weitzer – der für die Einrichtung des Hotels zu einem grossen Teil selbst verantwortlich zeichnet – als völlig veraltet taxiert. Er setzt auf Originalität, Individualität und Innovation anstelle strikter Normen: So besteht die Rezeption aus einer charmanten Vintage-Vitrine, die Einrichtung des Restaurantbereichs strahlt gehobenen Flohmarkt-Chic aus, allenthalben fällt der Blick auf roh belassene Bereiche des Betonskeletts, geduscht wird in den Zimmern in einer frei in den Raum gestellten Glaskabine, relaxen kann man in einer Hängematte.

Im parkähnlichen Bereich gegen den Gürtel, in dem auch das 116. Zimmer steht, ein silbrig glänzender Trailer von 1952, wird Urban Gardening praktiziert, während auf dem Dach viele fleissige Bienen den Rohstoff für den Honig liefern, der unten im Shop zum Verkauf steht. Letzterer bietet ein breites Sortiment an Gadgets, durch deren Erwerb man sozusagen ein Stück Daniel mit nach Hause nehmen kann. Bekrönt wird dieser Mikrokosmos von einem auf dem Dach installierten, gefährlich nach unten gebogenen Segelboot in Originalgrösse – Erwin Wurms Kunstwerk «Miscon­ceivable»».

Bestand und Veränderung

Das Hotel Daniel vermag mehrere Dinge unter einen Hut zu bringen. Zuallererst hat die Neunutzung als Hotel den Fortbestand des Gebäudes und der denkmalgeschützten Curtain-Wall-Fassade in ihrer originalen Substanz gesichert. Man kann einwenden, dass dies jener vielfach praktizierten Manier entspricht, lediglich die historische Hülle eines Gebäudes zu bewahren und das Innenleben komplett zu erneuern. Allerdings zielte dieser Bau mit dem frei gestaltbaren Grundriss bereits in seiner Anlage auf Veränderung und Anpassung ab. Insofern ist der Umbau in ein Hotel, der ja auch die Skelettstruktur unangetastet lässt, nur eine weitere Nutzungsschicht, die jederzeit verändert oder durch eine neue abgelöst werden kann.

Im Weiteren hat der Umbau unter Beweis gestellt, dass es auch für die Erhaltung von Bauten aus den Boom­jahren tragfähige Lösungen gibt. Voraussetzung dafür sind ein entsprechendes Nutzungskonzept, kompetente Planer und aufgeschlossene Behörden, insbesondere die Denkmalpflege. In diesem Fall konnte so einer jener charakteristischen Nachkriegsbauten in Österreich erhalten werden, die leicht verspätet den Anschluss an die internationale Moderne signalisierten. Überhaupt wurde das Gebäude in einer bewegten Zeit fertiggestellt, in der unterschiedliche Strömungen, Tendenzen und kulturelle Grundhaltungen aufeinandertrafen: der humane Funktionalismus Roland Rainers, der zeichenhafte Modernismus Karl Schwanzers, positivistische Haltungen, die eine von Fortschritt und Technik ausgehende Architektur verfochten, ebenso sich herausbildende Positionen – später unter «The ­Austrian Phenome­non» subsumiert –, die diesen «Bau­wirt­schafts­funktio­nalismus» fundamental kritisierten und ein völlig ­neues Verständnis von Architektur und gebauter ­Umwelt vertraten.

Das Weiterbestehen des Hoffmann-La Roche-Baus ist aber auch wichtig für die Dokumentation des gebauten Werks von Georg Lippert, denn einige seiner zentralen Grossbauten wie das Bürogebäude der Bundesländer-Versicherung (1959–1962) oder das Verwaltungsgebäude der Austrian Airlines (1975–1978) sind mittlerweile abgebrochen worden. Projekte wie das Daniel könnten aber durchaus auch Anlass bieten zur kritischen Aufarbeitung von Werk und Biografie des jeweiligen Architekten, was gerade bei Georg Lippert zu einigen neuen Erkenntnissen führen würde.

Die Verwandlung des ehemaligen Roche-Baus reflektiert letztlich auch die beträchtlichen Verän­derungen in unmittelbarer Nähe. Das Gebiet ist noch städtischer geworden und heisst nunmehr Quartier Belvedere. Aus dem Museum des 20. Jahrhunderts im Schweizergarten ist das «21er Haus» geworden (Umbau/ Erneuerung durch Adolf Krischanitz, 2007–2011), der während 50 Jahren gebietsprägende Südbahnhof wurde 2009/10 abgerissen. Während an seiner Stelle jetzt der elegant geschwungene Erste Campus steht, fahren die Züge nun vom etwas weiter südwestlich gelegenen neuen Hauptbahnhof Wien ab. Es war dieser neue ­Bahnhof, der als wichtiger Impulsgeber für die Gegend fungierte – auch für die Entscheidung, ein Bürogebäude aus den 1960er-Jahren in ein Hotel der etwas anderen Art umzubauen.

TEC21, Fr., 2017.06.09

09. Juni 2017 Klaus Spechtenhauser

«Der Nutzer passt sich dem Haus an»

(SUBTITLE) Instandsetzung Farelhaus, Biel

Fünf Bieler Architekten kauften im September 2015 das 1957–1959 von Max Schlup erbaute Farelhaus. So besonders wie der Bau, so ungewöhnlich ist das Konzept seiner Instandsetzung. Aktuell wird er schrittweise saniert – eine Geschichte von Mut, Fantasie und Verhältnismässigkeit.

Es war ein Schlüsselwerk in seinem Schaffen: Mit dem Direktauftrag für den Bau des Farelhauses für die evangelisch-reformierte Gesamtkirchgemeinde Biel wandte sich der dort ansässige Architekt Max Schlup Ende der 1950er-Jahre weg vom Heimatstil hin zur Haltung der Solothurner Schule. Das Gebäude an prominenter Lage an der Schüsspromenade war in seiner Architektur ebenso visionär wie in seiner Nutzung: Curtain Wall, offener Innenhof und eine beeindruckende Transparenz im Erdgeschoss, dahinter ein multifunktionaler Kosmos aus Veranstaltungssaal, Bistro und Mehrzweckräumen. Die fünf Obergeschosse beherbergten Büros, Wohnungen und ein Mädchenheim.

Doch was vor rund sechs Jahrzehnten zukunftsträchtig war, ging über die Jahre im Alltag verloren.

Umnutzungen und eine fehlende Gesamtkoordination für eine Instandsetzung setzten dem Bau zu – so weit, dass sich die Gemeinde mangels zeitgenössischem Nutzungskonzept und finanziellen Mitteln 2015 gezwungen sah, den Bau zu verkaufen. Das Raumangebot mit Restaurant und Saal in Kombination mit der anstehenden Sanierung barg aber viele finanzielle Risiken und war damit für klassische Investoren schlicht zu unattraktiv. Ein Glück war die Ausgangslage hingegen für die Bieler Architekten Stephan Buchhofer, Reto Mosimann, Simon Schudel, Oliver Schmid und Ivo Thalmann. Sie hatten be­reits Erfahrungen mit Schlups Bauten gesammelt, sei es in der Bauberatung des Heimatschutzes, bei der Mitarbeit an der 2013 erschienenen Schlup-Monografie[1] oder bei der Instandsetzung von dessen Gebäuden.

Ihr Ansatz für die Sanierung (vgl. «Das Wunder von Biel», TEC21 11/2017) ist nicht modellhaft, aber vorbildlich: Er stellt die bestehende Struktur mit all ihren Qualitäten, aber auch Schwächen ins Zentrum und fokussiert nicht auf heutige Anforderungen an Nutzung und Komfort. Kann diese Grundhaltung auch nicht als universelles Rezept für einen gelungenen Umgang mit Bauten aus dieser Zeit propagiert werden, so zeigt das Beispiel Farelhaus doch, dass eine Herangehensweise frei von Ideologien, gepaart mit Risikobereitschaft und beschränkten ­Mitteln, der Bedeutung und Substanz eines derartigen Objekts durchaus gerecht werden kann. Die heutigen Nutzungen entsprechen dabei jenen von damals: ein bunter Mix aus Büros, Wohnungen, Bistro und dem Veranstaltungssaal. Im Gespräch erzählt das Team von der Gratwanderung zwischen architektonischer Wertschätzung und Wirtschaftlichkeit und von der Doppelrolle als Architekten und Investoren.

TEC21: Beim Farelhaus treten Sie gleichzeitig als Investoren, als Architekten und als Betreiber auf. Wie sind Sie organisiert?

Team Farel: Kauf und Sanierung haben wir selbst finanziert. Zunächst dachten wir, wir übernehmen das Haus, organisieren von Zeit zu Zeit einen Vortrag und füllen es wieder mit Büros. Aber bald merkten wir, dass das wahrscheinlich nicht reichen würde, um die Kirchgemeinde als Verkäuferin zu überzeugen – ein Haus zu renovieren ist eins, aber es mit Nutzungen zu belegen und zu betreiben ist eine ganz andere Sache und war für uns eine Herausforderung. Nebst der Konstituierung der Trägerschaft als AG gründeten wir einen kulturellen Beirat, daraus entstand später der von der Trägerschaft unabhängige Kulturverein. Die Trennung ermöglicht, dass die AG klassische Themen wie Rentabilität und langfristige Finanzierbarkeit verfolgen und so die Rahmenbedingungen für den Kulturverein schaffen kann.

TEC21: Nach dem Kaufentscheid hatten Sie kaum Planungszeit. Wie konnten Sie das als Team bewältigten?

Team Farel: Wir kennen uns schon lang. Gegenseitiges Vertrauen ist die Voraussetzung für ein solches Vorhaben. Für die Sanierung gab es anfangs zwei­wöchentliche Sitzungen mit uns allen. Wir haben aber schnell gemerkt, dass die Fäden irgendwo zusammenlaufen müssen. In diesem Fall wanderte die Verantwortung langsam zu Ivo Thalmann. Jeder im Team nimmt eine spezielle Rolle ein: Der eine ist der Aussenminister, kennt sich im Schlup-Archiv aus und war massgeblich an der Schlup-Monografie beteiligt. Ein anderer regelte die Finanzen, Mietverträge und das Baugesuch. Wiederum andere übernahmen spezifische Themen wie die Fassade oder den Brandschutz. Das ist der Vorteil eines Teams. Wir hätten es sonst nicht geschafft.

TEC21: In welchem Zustand fanden Sie den Bau vor?

Team Farel: Wir haben 40 Jahre Investition rückgebaut. Vor allem die Wohnungen waren in ziemlich schlechtem Zustand. Das hat mit der flachen Hierarchie der Kirchgemeinde zu tun: Jemand hatte eine Idee, brauchte einen Raum und renovierte ihn nach seinem Gusto. Was fehlte, war eine gesamthafte Koordination der individuellen Umbauten. Originale Bodenbeläge wurden mit diversen Materialien belegt, Backsteinwände teilweise gestrichen oder gar verputzt.

TEC21: Seit wann steht das Gebäude unter Denkmalschutz?

Team Farel: Erst seit der Sanierung. Vorher war es im Inventar als schützenswert eingetragen. Im Kanton Bern gibt es für Baudenkmäler die beiden Stufen «erhaltenswert» und «schützenswert». Bauten der ersten Kategorie sollen wegen ihrer ansprechenden architektonischen Qualität oder ihrer charakteristischen Eigenschaften geschont, jene der letzteren ungeschmälert bewahrt werden. Wenn saniert wird und die Denkmalpflege Beiträge spricht, gibt es ab 5 000 Franken einen Unterschutzstellungsvertrag. Die gesprochenen Beiträge sind an eine Begleitung der Sanierung durch die Denkmalpflege geknüpft.

TEC21: Inwieweit hat die Sanierung des Farelhauses den Denkmalschutz interessiert?

Team Farel: Sie war insofern von Interesse für die Denkmalpflege, als wir dafür finanzielle Unterstützung beantragt hatten. Inhaltlich waren wir in dieser Hinsicht gut aufgestellt: Nebst der Bearbeitung vieler im Inventar eingetragenen Bauten durch alle Beteiligten hatten spaceshop Architekten von 2008 bis 2010 die Eidgenössische Sportschule in Magglingen von Max Schlup saniert. 0815 Architekten hatten die Villa Favorita in Biel von 1861 saniert. Die Objekte wurden 2010 und 2012 mit dem Nationalen Denkmalpflegepreis ausgezeichnet. Die Eigentümerschaft hatte also grosses Vertrauen, dass der Bau bei uns in die rich­tigen Hände kommt. Dass das Farelhaus ein Schutz­objekt darstellt, ist in der Fachwelt unbestritten. Aber in der Politik wird alles infrage gestellt, was eine Einschränkung darstellen könnte – ein solches Gebäude braucht einen Mentor, sonst ist es weg.

TEC21: Was ist Ihr Sanierungskonzept?

Team Farel: Die wirtschaftliche Basis hat die Eingriffs­tiefe definiert, wobei sich dieser Ansatz auch mit unserer architektonischen Haltung deckt: möglichst bescheiden, bauschadenfrei und kostendeckend. Bescheidenheit beinhaltet ein stufenweises, situatives Vorgehen in Bezug auf die Substanz. Letztendlich ging es darum, diese zu erhalten. Dazu kommen der wirtschaftliche Aspekt und die Bauzeit von knapp einem halben Jahr: Hätten wir hier mehr Spielraum gehabt, hätten wir möglicherweise vieles anders gemacht. Hingegen gibt es Dinge, die man einfach in die Hand nehmen muss, zum Beispiel die Wasserinfiltrationen ins Untergeschoss. Und dann gibt es Risikoentscheide, wie die über 50-jährigen Installa­tionen oder die der 20-jährige Kessel der Heizung, die wir belassen haben. Als Investoren konnten wir bewusst Risiken in Kauf nehmen, die wir als Architekten im Auftrag einer Bauherrschaft vielleicht auch anders beurteilen würden. Für dieses Projekt war das eine grosse Chance.

TEC21: So zu denken erfordert eine neue Sicht der Dinge im Umgang mit einer derartigen Substanz.

Team Farel: Unsere Strategie war es, nicht zu viel zu machen. Wir gehen nicht von Idealen aus, sondern von dem, was unter diesen Umständen möglich ist. Und das darf man auch spüren. Der Nutzer passt sich dem Haus an, nicht umgekehrt. Es gibt Menschen, die sich in genau solchen Räumen wohlfühlen. Wir müssen diese Leute finden und nicht unsere Vorstellungen, die es auch gibt, auf alle Räume übertragen.

TEC21: Der energetische Aspekt ist bei einem Gebäude aus dieser Zeit durchaus ein Thema – gab es dazu Auf­lagen?

Team Farel: Bauten der 1950er- und 1960er-Jahre erfahren ja im Vergleich zu anderen historischen Bauten wenig Wertschätzung. Sie werden oft totsaniert oder verschwinden zugunsten von Ersatzbauten aus dem Stadtbild. Das liegt auch daran, dass man den Anspruch an die bestehende Substanz zu hoch ansetzt. Wir finden es fragwürdig, eine Sanierung durchzuführen, die gleichbedeutend mit einem Neubau ist – nur um eine Struktur zu erhalten, für die es heute nur bedingt eine Nachfrage gibt. Manchmal kann es auch zu einem Problem werden, wenn zu viel Geld da ist. Bei einem Altstadthaus ist jedem, auch einem Investor, klar, dass es gewisse Einschränkungen beim Komfort gibt. Da herrscht Konsens. Bei einem Gebäude aus den 1950er- oder 1960er-Jahren hat man dagegen das Gefühl, es sei ein modernes Haus, aber mit vielen Fehlern. Man vergleicht es mit einem zeitgenössischen Neubau. Dazu kommen die Standards der Behörden. Dort werden mittels Labels wie Minergie-P-Eco oder 2000-Watt-Gesellschaft politische Leitplanken gesetzt, sodass man als Planer oft nur noch wenig Spielraum hat.

TEC21: Wie ist der aktuelle Stand der Nutzung? Ist alles schon vermietet?

Team Farel: Alles, was fertig ist, ist vermietet. Wir haben mehr Nachfrage als Platz. Im zweiten und dritten Obergeschoss, dem ehemaligen Mädchenheim «Freundinnen junger Mädchen», haben wir mit der Sanierung noch nicht angefangen. Diese startet nach den Verhandlungen mit der zukünftigen Nutzerschaft im Frühsommer dieses Jahres. Hier soll eine Gemeinschaft mit unterschiedlichen Nutzern entstehen.

TEC21: In den Obergeschossen gibt es Büros neben Wohnungen, im Erdgeschoss liegt das Bistro, und im Saal finden Veranstaltungen statt. Führt das mit den Mietern zu Konflikten? Oder ist klar definiert: Wenn man hier wohnen oder arbeiten will, ist man mit der Art, wie das Haus genutzt wird, einverstanden?

Team Farel: Das Multifunktionelle des Hauses wird geschätzt. In den Mietverträgen gibt es einen Passus «Besondere Bestimmungen zu den Räumen». Darin wird alles beschrieben – was dieses Haus ist und was diese Räume können und was nicht. Da gibt es den Satz: «Die Dichtigkeit der Gebäudehülle ist zeittypisch und entspricht dem Standard eines Gebäudes aus den 1950er-Jahren. Allfällige Beeinträchtigungen gehören zum Charme des Gebäudes.» Und unter «Nachbarschaft»: «Das Farelhaus verfügt über eine gemischte Nutzung mit Wohnungen, Büro, Atelier, Bistro und Saal für kulturelle Events. Die unterschiedlichen Nutzungen verlangen von allen Beteiligten Offenheit und Respekt im gegenseitigen Umgang.» So kann das Gebäude als Kulturgut erhalten und ein offener Geist gepflegt werden.


Anmerkung:
[01] Architekturforum Biel (Hg.): Max Schlup. Architekt, Niggli, Sulgen 2013.

TEC21, Fr., 2017.06.09

09. Juni 2017 Tina Cieslik, Susanne Frank

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