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09. Juni 2017Klaus Spechtenhauser
TEC21

Vom Pharmasitz zum Stadthotel

Der Hotelier Florian Weitzer startete 2010/11 das ambitionierte Projekt, ein Wiener Bürohaus aus der Zeit des Baubooms in ein Hotel zu verwandeln – was viele mit Skepsis verfolgten. Heute zählt das Hotel Daniel zu den angesagten Adressen, der Fortbestand einer Architekturikone ist gesichert.

Der Hotelier Florian Weitzer startete 2010/11 das ambitionierte Projekt, ein Wiener Bürohaus aus der Zeit des Baubooms in ein Hotel zu verwandeln – was viele mit Skepsis verfolgten. Heute zählt das Hotel Daniel zu den angesagten Adressen, der Fortbestand einer Architekturikone ist gesichert.

Auf den ersten Blick könnte das Gebäude am stark befahrenen Landstrasser Gürtel durchaus als Neubau durchgehen. Das etwas geschulte Auge jedoch identifiziert die Glasfassade mit dem filigranen Aluminiumraster und die sanft zum Eingang ansteigende Freitreppe aus porösem Travertin rasch als patiniert und aus einer anderen Zeit stammend, desgleichen das im hinteren Gebäudebereich untergebrachte Treppenhaus, das eindeutig den gestalterischen Duktus der 1950er-/1960er-Jahre aufweist. Den bauzeitlichen Beweis liefert dann der Blick an die Decke, sowohl in der Hotellobby als auch in den Zimmern: Hier zeigt sich unverdeckt und roh der Sichtbeton mit seinen Alterungsspuren. Tatsächlich wurde das Gebäude 1959–1962 von Georg Lippert (1908–1992), damals einer der meistbeschäftigten Architekten Österreichs, als Büro- und Produktionsgebäude des Basler Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche geplant und errichtet.

Hoffmann-La Roche Wien

Als Mitte der 1950er-Jahre auch in Österreich ein wirtschaftlicher Aufschwung einsetzte, beschloss Hoffmann-La Roche, am bereits seit 1907 existierenden Wiener Standort zu expandieren. Nach eingehender Evaluierung konnte die Firma 1958/59 südlich des ­Stadtzentrums an der Ecke Landstrasser Gürtel/Jacquingasse ein geeignetes Grundstück für einen Neubau erwerben. Mit seinen unterschiedlichen Nutzungen und Funktionen war das Gebiet bereits damals ein dezidiert städtischer Ort. Hier verdichteten sich stadträumliche Schnittstellen auf engstem Raum – der mehrspurige Gürtel als wichtige Verkehrsachse, dichte Blockrandbebauungen aus der Gründerzeit, aufgebrochen durch das weitläufige Areal des Schlosses Belvedere, der Schweizergarten, in dem damals gerade der Österreich-Pavillon der EXPO 58 in Brüssel von Karl Schwanzer als Museum des 20. Jahrhunderts wiederaufgebaut wurde («20er Haus», 1959–1962), und letztlich der neue Südbahnhof (1951–1961) an städtebaulich markanter Ecklage zwischen Wiedner Gürtel und Arsenalstrasse. Auf dem erworbenen Grundstück stand zudem noch die kriegszerstörte Ruine des 1894/95 von Fellner & Helmer erbauten neubarocken Palais Lanckoron´ski, die 1960 endgültig abgerissen wurde.

Georg ­Lipperts Projekt entstand ab 1959 in ­enger Zusammenarbeit mit wichtigen Entscheidungsträgern bei Hoffmann-La Roche. Sicher hatte auch ­Roland Rohn (1905–1971), damals Hausarchitekt des Konzerns und mitverantwortlich für dessen Cor­porate Design, den 1960–1962 umge­setzten Entwurf kritisch begleitet und gutgeheissen. Lippert platzierte den lang­rechteckigen, siebengeschossigen Bau mit der Längsseite gegen den Landstrasser Gürtel. Als ­Konstruktion für das von der Strasse leicht zurück­versetzte Gebäude wählte er ein Stahlbeton­skelett mit Rundstützen und Plattendecken sowie zusätz­lichen Aussteifungen im Treppenhaus und in den ­Aufzugs- und Sanitärbereichen.

Umhüllt wurde das Skelett von einer membranartigen Aussenhaut mit ­ursprünglich 534 Elementen aus eloxierten Alu­miniumprofilen und Isolierglas – eine der ersten Curtain Walls in Österreich. Der vom Terrain leicht abgehobene, scharf geschnittene Baukörper mit dem grünlich reflektierenden Glas der Fassaden und dem als Flugdach stilisierten, bei Nacht hinterleuchteten Kranzgesims verliehen dem ­Gebäude von Anfang an einen hohen Wiedererkennungswert. Lippert schuf einen der internationalen Moderne verpflichteten Bau mit einem eleganten, zeitlosen Äus­seren, das die zukunftsorientierte Haltung des Basler Pharmaunternehmens eindrücklich visualisierte. Auch stadträumlich vermochte er zwischen der geschlossenen Bebauung der Jacquingasse und den anschliessenden offenen ­Bereichen gut zu vermitteln.

Weniger spektakulär, die Möglichkeiten der Skelettkonstruktion jedoch konsequent ausnützend, war das Innere durch Leichtbauwände frei unterteilbar und konnte an die wechselnden Anforderungen der Verwaltungs-, Labor-, Produktions- und Lagerbereiche flexibel angepasst werden. Als die Flächen nicht mehr reichten, wurde 1972–1974 ein ebenfalls von Lippert geplanter Erweiterungsbau an der Rückseite des Hauses errichtet. In den 1990er-Jahren gab Hoffmann-La Roche das Gebäude auf, und verschiedene Firmen nutzten es fortan für Bürozwecke. Nach längerem Leerstand erwogen die damaligen Eigentümer eine Generalsanierung unter Wahrung der ursprünglichen Nutzung als Bürobau.

Aus Roche wird Daniel

2008 erfolgte im Vorfeld der geplanten Sanierungen eine umfangreiche Prüfung des Bauzustands. Dabei wurde der generelle Zustand als sehr gut beurteilt; als wesentliche Probleme wurden wie bei den meisten Bauten jener Zeit insbesondere energetische Mängel (erhebliche Wärmeverluste aufgrund zahlreicher Wärmebrücken und mangelhafter Dämmung) und nicht erfüllte Sicherheits- und Brandschutzanforderungen festgestellt ­(fehlende Absturzsicherung im Brüstungsbereich, keine Sicherheit vor Brandüberschlag von Geschoss zu Geschoss u. Ä.). Um den Fortbestand der Büronutzung zu ermöglichen und die entsprechenden Vorgaben zu erfüllen, wäre nur – so die Analyse – der komplette Ersatz der Fassade durch einen dem originalen Erscheinungsbild entsprechenden Nachbau infrage gekommen. Dafür fehlte damals aber das Geld; und zudem entschloss sich das Bundesdenkmalamt 2009 – im Zeichen der zunehmenden Sensibilisierung für wichtige Bauten der Nachkriegsmoderne –, das Gebäude unter Schutz zu stellen, wobei Fassade und Treppenhaus in jedem Fall erhalten, das ohnehin bereits umgebaute Innere jedoch verändert werden durften. Die wenig aussichtsreiche Lage änderte sich mit dem Auftritt des Grazer Hoteliers Florian Weitzer.

Als Weitzer auf der Suche nach einem geeigneten Wiener Standort das ehemalige Roche-Gebäude entdeckte und dann noch erfuhr, dass es Georg Lippert errichtet hatte, war die Sache für ihn klar: Denn Lippert war auch der Architekt des Hotels Daniel beim Grazer Hauptbahnhof (1955/56), das Weitzer seit 1974 betreibt und in dem der Hotelier, der eher vielgewandter Ausprobierer denn klassischer Hotelmanager ist, sein «Smart Luxury»-Konzept erfolgreich umgesetzt hat. Für sein Wiener Projekt fand Weitzer mit Atelier Heiss Architekten ein Büro, das bereits im Vorfeld von Sanierung und Umbau 2010/11 ein regelrechtes Faible für den Bau aus den 1960er-Jahren entwickelt hatte.

Die zukünftige Hotelnutzung ermöglichte nun die substanzielle Erhaltung der Fassade: Sie wurde ­saniert, fehlende und beschädigte Teile wurden gemäss Bestand erneuert. Die ungenügenden energetischen und akustischen Dämmeigenschaften wurden in Kauf genommen und müssen auch von den Hotelgästen toleriert werden. Im Zuge der Anpassungen an aktuelle bauliche Auflagen kam es im Innern zur Errichtung eines zweiten Treppenhauses. Abgebrochen wurde hingegen eine später errichtete Erschliessung zwischen Hauptbau und rückseitigem Erweiterungsbau, wodurch der ursprüngliche solitäre Charakter des Gebäudes wiederhergestellt werden konnte. Eine sorgfältige Erneuerung erfuhr das original erhaltene Haupttreppenhaus, lediglich ein kleiner Teil der Verglasung musste im Bereich der unteren vier Geschosse aufgegeben werden. Gegen Brandüberschlag und als Absturzsicherung wurden innenliegend bis zum unteren Fensterrand Brüstungsmauern angebracht.

Im Innern bestanden – abgesehen vom Treppenhaus – keine originalen Bestandteile mehr, und auch der gewachsene Zustand war alles andere als schützenswert. Somit konnte eine auf die neue ­Hotelnutzung abgestimmte komplette Neustrukturierung vorgenommen werden, wobei die Skelettkonstruktion entsprechende Freiheiten erlaubte, gleichzeitig aber auch den Raster für den Einbau der Hotelzimmer vorgab. Während im Untergeschoss Mitarbeiter-, Lager- und weitere Nebenräume Aufnahme fanden, wurde das ­Erdgeschoss als grosser, offener Raum mit Lobby, Rezeption, Shop, Restaurant- und Frühstücksbereich gestaltet. Lediglich die Küche, ein minimales Backoffice, zwei barrierefreie Zimmer und eine Gästetoilette sind räumlich abgetrennt. Gegen den parkartigen Bereich zum Gürtel ist das Erdgeschoss mit einer Terrasse erweitert worden.

In den sechs Obergeschossen fanden insgesamt 115 relativ kleine Doppelzimmer Platz. Die schmalen Zimmer, jeweils zwei zwischen einem Stützenabstand, weisen meist noch eine Einknickung in der Trennwand auf, um das Bett quergestellt unterzubringen und auch noch zirkulieren zu können. Lediglich die um den neuen Erschliessungskern angeordneten Räume sind grösser, zudem eine Suite im obersten Geschoss mit Aussicht auf Belvedere und Innenstadt. Das Dachgeschoss ­konnte nicht für die Hotelnutzung umgebaut werden, wiederhergestellt wurde aber die indirekte Beleuchtung des für das Gebäude so charakteristischen Flugdach-Kranzgesimses.

Erhalten blieb auch samt Schienen – quasi als kleines Industriedenkmal – die Aufzugsanlage für den Fassadenreinigungskorb.

«Smart Luxury»

Sanierung und Umbau sind nicht nur von der zuständigen Fachstelle als «rundum geglücktes Beispiel für die Denkmalpflege» gewürdigt worden. Das ist die eine Seite. Die andere ist das Betreiberkonzept, das dem Gebäude seinen Erfolg beschert. Geboten wird im Daniel für den «Urban stay» der Gäste «Smart Luxury»: Unnötige Dinge werden weggelassen, stattdessen jene Annehmlichkeiten ermöglicht, die man eigentlich immer schon wollte – wie etwa einen bereitstehenden Scooter für individuelle Stadterkundungstrips.

Dazu gehört auch der Verzicht auf das Sterne-System, das Weitzer – der für die Einrichtung des Hotels zu einem grossen Teil selbst verantwortlich zeichnet – als völlig veraltet taxiert. Er setzt auf Originalität, Individualität und Innovation anstelle strikter Normen: So besteht die Rezeption aus einer charmanten Vintage-Vitrine, die Einrichtung des Restaurantbereichs strahlt gehobenen Flohmarkt-Chic aus, allenthalben fällt der Blick auf roh belassene Bereiche des Betonskeletts, geduscht wird in den Zimmern in einer frei in den Raum gestellten Glaskabine, relaxen kann man in einer Hängematte.

Im parkähnlichen Bereich gegen den Gürtel, in dem auch das 116. Zimmer steht, ein silbrig glänzender Trailer von 1952, wird Urban Gardening praktiziert, während auf dem Dach viele fleissige Bienen den Rohstoff für den Honig liefern, der unten im Shop zum Verkauf steht. Letzterer bietet ein breites Sortiment an Gadgets, durch deren Erwerb man sozusagen ein Stück Daniel mit nach Hause nehmen kann. Bekrönt wird dieser Mikrokosmos von einem auf dem Dach installierten, gefährlich nach unten gebogenen Segelboot in Originalgrösse – Erwin Wurms Kunstwerk «Miscon­ceivable»».

Bestand und Veränderung

Das Hotel Daniel vermag mehrere Dinge unter einen Hut zu bringen. Zuallererst hat die Neunutzung als Hotel den Fortbestand des Gebäudes und der denkmalgeschützten Curtain-Wall-Fassade in ihrer originalen Substanz gesichert. Man kann einwenden, dass dies jener vielfach praktizierten Manier entspricht, lediglich die historische Hülle eines Gebäudes zu bewahren und das Innenleben komplett zu erneuern. Allerdings zielte dieser Bau mit dem frei gestaltbaren Grundriss bereits in seiner Anlage auf Veränderung und Anpassung ab. Insofern ist der Umbau in ein Hotel, der ja auch die Skelettstruktur unangetastet lässt, nur eine weitere Nutzungsschicht, die jederzeit verändert oder durch eine neue abgelöst werden kann.

Im Weiteren hat der Umbau unter Beweis gestellt, dass es auch für die Erhaltung von Bauten aus den Boom­jahren tragfähige Lösungen gibt. Voraussetzung dafür sind ein entsprechendes Nutzungskonzept, kompetente Planer und aufgeschlossene Behörden, insbesondere die Denkmalpflege. In diesem Fall konnte so einer jener charakteristischen Nachkriegsbauten in Österreich erhalten werden, die leicht verspätet den Anschluss an die internationale Moderne signalisierten. Überhaupt wurde das Gebäude in einer bewegten Zeit fertiggestellt, in der unterschiedliche Strömungen, Tendenzen und kulturelle Grundhaltungen aufeinandertrafen: der humane Funktionalismus Roland Rainers, der zeichenhafte Modernismus Karl Schwanzers, positivistische Haltungen, die eine von Fortschritt und Technik ausgehende Architektur verfochten, ebenso sich herausbildende Positionen – später unter «The ­Austrian Phenome­non» subsumiert –, die diesen «Bau­wirt­schafts­funktio­nalismus» fundamental kritisierten und ein völlig ­neues Verständnis von Architektur und gebauter ­Umwelt vertraten.

Das Weiterbestehen des Hoffmann-La Roche-Baus ist aber auch wichtig für die Dokumentation des gebauten Werks von Georg Lippert, denn einige seiner zentralen Grossbauten wie das Bürogebäude der Bundesländer-Versicherung (1959–1962) oder das Verwaltungsgebäude der Austrian Airlines (1975–1978) sind mittlerweile abgebrochen worden. Projekte wie das Daniel könnten aber durchaus auch Anlass bieten zur kritischen Aufarbeitung von Werk und Biografie des jeweiligen Architekten, was gerade bei Georg Lippert zu einigen neuen Erkenntnissen führen würde.

Die Verwandlung des ehemaligen Roche-Baus reflektiert letztlich auch die beträchtlichen Verän­derungen in unmittelbarer Nähe. Das Gebiet ist noch städtischer geworden und heisst nunmehr Quartier Belvedere. Aus dem Museum des 20. Jahrhunderts im Schweizergarten ist das «21er Haus» geworden (Umbau/ Erneuerung durch Adolf Krischanitz, 2007–2011), der während 50 Jahren gebietsprägende Südbahnhof wurde 2009/10 abgerissen. Während an seiner Stelle jetzt der elegant geschwungene Erste Campus steht, fahren die Züge nun vom etwas weiter südwestlich gelegenen neuen Hauptbahnhof Wien ab. Es war dieser neue ­Bahnhof, der als wichtiger Impulsgeber für die Gegend fungierte – auch für die Entscheidung, ein Bürogebäude aus den 1960er-Jahren in ein Hotel der etwas anderen Art umzubauen.

TEC21, Fr., 2017.06.09



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TEC21 2017|23 Nachkriegsmoderne: Pioniere neu entdeckt

13. Mai 2016Klaus Spechtenhauser
TEC21

Ein Dorf wird Hafenstadt

Kleinhüningen ist nicht nur ein Hafen: Das ehemalige Fischerdorf schaut auf eine bewegte Geschichte zurück. Die Etappen seiner Entwicklung sind bis heute ablesbar. Dadurch erhält das Quartier ein spezifisches Gesicht und eine eigene Identität.

Kleinhüningen ist nicht nur ein Hafen: Das ehemalige Fischerdorf schaut auf eine bewegte Geschichte zurück. Die Etappen seiner Entwicklung sind bis heute ablesbar. Dadurch erhält das Quartier ein spezifisches Gesicht und eine eigene Identität.

In wohl keinem anderen Basler Stadtquartier sind die Kontraste stärker ausgeprägt als in Kleinhüningen: alte Wohnhäuser samt schmucker Kirche, markante Silo- und Lagerhausbauten entlang der Hafenbecken I und II, weitverzweigte Gleisanlagen, Industrieareale, Brücken, Tankbehälter und Containerberge, dazwischen Arbeiterhäuschen und Wohnblöcke. Eine dichte, heterogene und daher auch typisch städtische Packung; nicht so ganz schweizerisch, jedenfalls aber mit verborgenem Charme, der sich erst bei genauem Hinschauen offenbart.

Zwischen Wiese und Rhein

Es verwundert nicht, dass im Mündungsgebiet der ­Wiese in den Rhein einst ein Dorf gegründet wurde. Dass die Gründer die Hunnen waren, darf längst als Mär gelten; aber vielleicht kamen ja die Ungarn, als sie 917 Basel plünderten, bis hierher. Die Volksetymologie hat dies nicht so genau genommen, während freilich archäologische Funde auf eine viel frühere Besiedlung hinweisen.

Jedenfalls befand sich hier einst eine idyllische Flusslandschaft mit Schwemmterrassen, mäandrierenden Rheinarmen, Inseln und Sandbänken. Das fruchtbare Gebiet war ideal für den Gemüse- ­und Obstanbau, für das Vieh gab es ausgedehnte Weide­flächen. Und es gab reiche Fischvorkommen in Rhein und Wiese, was immer wieder zu Zwistigkeiten zwischen den Kleinhüninger Fischern und ihren elsässischen Berufsgenossen führte.

Unruhige Zeiten

Kleinhüningens neuere Geschichte begann 1640, als Basel auf Vermittlung des damaligen Bürgermeisters Johann Rudolf Wettstein das Dorf für 3500 Reichstaler von Markgraf Friedrich V. von Baden-Durlach erwarb. Damals umfasste Kleinhüningen kaum mehr als zwanzig Häuser.

Meist waren es ein- und zweigeschossige Fachwerkhäuser, die sich entlang der noch heute so benannten Dorfstrasse aufreihten. 1710 erhielt das Dorf einen barocken Kirchenneubau, um 1760 liess der Basler ­Peter Gemuseus einen stattlichen Landsitz errichten, das spätere Clavel’sche Gut, das heute als Restaurant Schifferhaus gehobene Gastronomie bietet.

Als Frankreich infolge des Westfälischen Friedens 1648 bis an den Rhein vorrückte, wurde das Gebiet um Kleinhüningen zum Dreiländereck. Der von Ludwig XIV. ab 1679 veranlasste Bau der Grenzfestung Huningue durch Festungsbaumeister Vauban setzte klare Zeichen. Tatsächlich folgten kriegerische Zeiten, und immer wieder schlugen fehlgeleitete Kanonen­kugeln und Granaten im Dorf ein. Die fortwährenden Auseinandersetzungen endeten 1815 mit der Niederlage der französischen Truppen, und noch im Winter des gleichen Jahres wurde die Festung Huningue gesprengt. Für Kleinhüningen war die stetige Bedrohung nun gebannt, und es folgten ruhige Jahrzehnte.

Von der Dorfidylle zum Arbeiterquartier

Kleinhüningen unterschied sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht von anderen Dörfern. Landwirtschaft, Handwerk und Fischfang sorgten für ein gutes, wenn auch bescheidenes Leben. Das Bild einer friedlichen und naturnahen Idylle entstand wohl in erster Linie bei Basler Bürgern, und so wurde der Ort immer beliebter als Ausflugsziel, um hier zu spazieren und anschliessend in einem der traditionsreichen Gasthäuser reichlich Fisch zu essen. Seit 1897 gelangte man auch bequem mit der neu eröffneten Tramlinie hierher, die direkt im Dorfzentrum endete. Interessant wurde die Gegend um Kleinhüningen gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber auch als Industriestandort. 1893 begann die Basler Chemische Fabrik Bindschedler hier Farbstoffe und pharmazeutische Spezialpräparate herzustellen, 1908–1910 folgten ein Filialbetrieb der Gesellschaft für Chemische Industrie in Basel, der nachmaligen CIBA, und die Färberei Schetty. Aus Letzterer ging 1917 die Basler Stückfärberei AG («Stücki») hervor, auf deren Fabrikareal heute ein Einkaufszentrum steht.

Die Industrialisierung führte auch zu einem markanten Zuwachs der Einwohner Kleinhüningens und zu einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Zwischen 1850 und 1900 verdreifachte sich die Einwohnerzahl auf rund 1900. Kleinhüningen wurde zu einem eigentlichen Arbeiterdorf – gross, aber arm, sodass die Dorfbehörden 1891 zum ersten Mal eine Vereinigung der Landgemeinde mit der Stadt Basel erwogen. 1908 wurde diese dann Tatsache. Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Industrialisierung in Kleinhüningen um 1930, als die Gasfabrik vom St. Johann an die Neuhausstrasse verlegt wurde. Sie sollte das Gebiet mit ihren beiden mächtigen Kokereitürmen über Jahrzehnte hinweg prägen. Mit der Umstellung auf Erdgas 1970/71 wurde die Gasfabrik geschlossen. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts ist Kleinhüningen dann aus unterschiedlichen Gründen immer mehr zum industriellen Randgebiet geworden. Im Zug von Reorganisationen, Abwanderungen und Schliessungen von Betrieben gingen zahlreiche Arbeitsplätze verloren. Ein Arbeiterquartier ist Kleinhüningen heute immer noch. Mittlerweile aber sind es aufgrund der internationalen Durchmischung der Bevölkerung weniger klassenkämpferische Themen, die bewegen, sondern eher die komplexen Fragen von Migration und Integration.

Die Hafenstadt der Schweiz

Die einschneidendsten Veränderungen in Kleinhüningen zeitigte der unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende Bau des Rheinhafens. Das Grossprojekt des Hafenbaus wurde ab 1914 unter der Gesamtleitung des Ingenieurs Oskar Bosshardt in Angriff genommen, nachdem der Pionier der schweizerischen Rheinschifffahrt Rudolf Gelpke 1903 bewiesen hatte, dass der Gütertransport zu Wasser bis nach Basel möglich war. Verzögert durch den Ersten Weltkrieg begannen die Arbeiten 1919 mit dem Aushub des Hafenbeckens I. Bereits im August 1922 ging hier der erste Schleppzug vor Anker. Parallel zum Bau des Beckens, das auch heute noch das Herzstück des Hafens ist, wurden die ersten Silo- und Lagerhausbauten errichtet – darunter das 1926 fertiggestellte Bernoulli-Silo an der Hafenstrasse 7 – sowie eine umfangreiche Infrastruktur aus Krananlagen, Gleisen, Strassen und Brücken. Entlang des Rheins entstand der Westquai, der vor allem als Lager- und Umschlagplatz für Kohle diente, desgleichen der Klybeckquai, der v. a. auch für die Lagerung von Flüssiggütern vorgesehen war. Das bereits viel früher geplante Hafenbecken II wurde 1936–1939 gebaut und nach dem Krieg in Betrieb genommen. Zwischen 1950 und 1970 wurde die Anzahl der Silos, Umschlag- und Lagerhallen auf den heutigen Bestand erweitert. Eine ingenieurtechnische Pionierleistung war der 1952/53 errichtete Umschlaghof an der Hafenstrasse mit seinem 32 m über das Hafenbecken auskragenden Dach in vorgespanntem Beton. Es sind insbesondere die Silos und Lagerhäuser an der Hafenstrasse, die trotz Umbauten und Ergänzungen auch heute noch ein für die Schweiz einzigartiges Gebäudeensemble bilden: architektonisch und typologisch, aber auch technik- und wirtschaftsgeschichtlich.

In die Enge getrieben

Mit dem Bau des Hafens und seinem fortschreitenden Ausbau geriet das einstige Dorf Kleinhüningen immer stärker in Bedrängnis. Eindrücklich ist dies auf historischen Fotografien zu sehen, die ein Dorf zeigen, dessen Umland einfach abgeschnitten wurde. Auch der direkte Zugang zu den Ufern von Rhein und Wiese wurde zunehmend verunmöglicht und damit das Fischen stark eingeschränkt. Dies spielte aber nicht wirklich eine Rolle, da vor allem in der Wiese die Fischbestände aufgrund der Emissionen von Färbereien und Chemie­fabriken drastisch zurückgegangen waren. Mit dem Bau des Hafenbeckens II verschwanden die letzten Bauernbetriebe Kleinhüningens, der weitläufige Landschaftsgarten des Clavel’schen Guts wurde mit Gleisan­lagen und Strassen überbaut. Das heutige Schifferhaus war der bei Weitem repräsentativste grossbürgerliche Landsitz in Kleinhüningen und hatte sich unter der Fabrikantenfamilie Clavel ab 1859 zu einem gesellschaftlichen Zentrum in den Anfängen der chemischen Industrie Basels entwickelt. 1943 kaufte es die Schweizerische Reederei und richtete darin ein Heim für ihr Schiffspersonal ein. 1958 folgte gleich daneben das Schifferkinderheim, in dem schulpflichtige Kinder von Schiffern wohnten; ihre Ferien verbrachten sie auf dem Schiff.

In der Zeit der Boomjahre nach dem Zweiten Weltkrieg mussten weitere alte Dorfbauten neuen Silos, Lagerhäusern oder gesichtslosen Neubauten weichen, sodass sich Ende der 1970er-Jahre lokaler Widerstand gegen die fortschreitende Zerstörung des Dorfs for­mierte. Die Initiative versandete jedoch wieder. Auch Denkmalpflege und Ortsbildschutz hatten Kleinhüningen damals noch nicht wirklich erreicht; immerhin wurden die verbliebenen historischen Bauten in einem Inventar erfasst. Vom ursprünglichen Dorf Kleinhüningen ist letztlich wenig übrig geblieben. Einzig zwischen der Dorfkirche und der Pfarrgasse gruppieren sich einige historische Bauten, die noch die einstige Siedlungsstruktur erahnen lassen. Erhalten ist auch das Bauernhaus der einst tonangebenden Fischerfamilie Bürgin. Das auf das 18. Jahrhundert zurückreichende Gebäude war von der Zerstörung bedroht, wurde 1999 an seinem alten Standort abgetragen und im Garten des Schifferhauses wiederaufgebaut.

Containerburgen statt Kohleberge

Schifffahrt, Hafenwirtschaft und Warentransport haben in den letzten Jahrzehnten weitreichende Veränderungen erfahren. Anfang der 1970er-Jahre wurden in Kleinhüningen am Hafenbecken I die ersten Container umgeschlagen; in der Folge wurde ein erster Contai­nerterminal errichtet, kurz darauf folgte ein zweiter am Hafenbecken II. Die zunehmende Präsenz von Con­tainern im Rheinhafen ging einher mit dem Wegfall der charakteristischen Kohleberge. Einerseits hatte Erdöl als Energieträger immer mehr an Bedeutung gewonnen, andererseits wurde mit der Umstellung auf Erdgas 1970/71 die Gasfabrik geschlossen. Der Wandel im Warentransport und neue, globalisierte Marktabwicklungsmechanismen setzten auch die traditionsreichen Reedereien und Transportunternehmen unter Druck. 1975 fusionierte die Schweizerische Reederei mit der Neptun zur Schweizerische Reederei und Neptun AG (SRN), um sich besser für die Zukunft zu rüsten. Der Niedergang der schweizerischen Rheinschifffahrt ­hatte jedoch bereits begonnen.

Nach dem Umbau der traditionsreichsten und grössten Schweizer Reederei in eine internationale Logistikfirma bestand die Flotte der SRN im Jahr 2000 nur noch aus wenigen Schiffen. Der im gleichen Jahr erfolgte Verkauf an die deutsche Rhenus war dann, wie die lokale Presse kommentierte, ein «folgerichtiger Schritt», um in den globalen Marktmechanismen bestehen zu können. Ausgedient hatten damit aber auch die letzten «roten Schweizer» – die Schiffe der SRN, so benannt nach ihrem in markantem Rot gestrichenen Schanzkleid mit Schweizerkreuz, das weithin für herausragende Unternehmenskultur stand. Noch gibt es in Kleinhüningen Schiffer, die über Jahre hinweg als Matrosen, Maschinisten oder Schiffsführer auf dem Rhein oder zur See unterwegs waren. Die schiffische Kultur pflegen sie im Schifferverein Basel-Kleinhüningen und im Seemanns-Club der Schweiz. Oder sie sind Aktivmitglied im Seemannschor «Störtebekers».

Verheissungsvolle Randlage

Vieles hat sich verändert in den letzten Jahren in Kleinhüningen: die Hafenwirtschaft, die Waren, aber auch die Wahrnehmbarkeit der Menschen, die hier für weltweit agierende Unternehmen tätig sind. Prägten einst zahlreiche Hafenarbeiter und Schiffsleute das Gebiet, so sind es jetzt nur mehr wenige Menschen, die Maschinen bedienen oder mittels Krananlagen ­Container ­verschieben. Arealplanungen und Nutzungsvisionen, Zukunftsszenarien und Aufwertungsstra­te­gien beschäftigen heute die Planungsbüros, vermögen Wirtschafts- und Immobilienstrategen zu begeistern – oder lösen bei der lokalen Bevölkerung Widerstand aus. Kleinhüningen ist schon längst zu einem grossen Entwicklungsareal auf dem kleinen Kantonsgebiet ­geworden. Zu hoffen bleibt da nur, dass dereinst noch etwas von früher bestehen bleibt: heterogene, ungestaltete Nischenbereiche, die an den rauen Charme der Industriearchitektur und der Welt der Schifffahrt erinnern.

TEC21, Fr., 2016.05.13



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TEC21 2016|20 Hafen und Stadt

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09. Juni 2017Klaus Spechtenhauser
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Der Hotelier Florian Weitzer startete 2010/11 das ambitionierte Projekt, ein Wiener Bürohaus aus der Zeit des Baubooms in ein Hotel zu verwandeln – was viele mit Skepsis verfolgten. Heute zählt das Hotel Daniel zu den angesagten Adressen, der Fortbestand einer Architekturikone ist gesichert.

Der Hotelier Florian Weitzer startete 2010/11 das ambitionierte Projekt, ein Wiener Bürohaus aus der Zeit des Baubooms in ein Hotel zu verwandeln – was viele mit Skepsis verfolgten. Heute zählt das Hotel Daniel zu den angesagten Adressen, der Fortbestand einer Architekturikone ist gesichert.

Auf den ersten Blick könnte das Gebäude am stark befahrenen Landstrasser Gürtel durchaus als Neubau durchgehen. Das etwas geschulte Auge jedoch identifiziert die Glasfassade mit dem filigranen Aluminiumraster und die sanft zum Eingang ansteigende Freitreppe aus porösem Travertin rasch als patiniert und aus einer anderen Zeit stammend, desgleichen das im hinteren Gebäudebereich untergebrachte Treppenhaus, das eindeutig den gestalterischen Duktus der 1950er-/1960er-Jahre aufweist. Den bauzeitlichen Beweis liefert dann der Blick an die Decke, sowohl in der Hotellobby als auch in den Zimmern: Hier zeigt sich unverdeckt und roh der Sichtbeton mit seinen Alterungsspuren. Tatsächlich wurde das Gebäude 1959–1962 von Georg Lippert (1908–1992), damals einer der meistbeschäftigten Architekten Österreichs, als Büro- und Produktionsgebäude des Basler Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche geplant und errichtet.

Hoffmann-La Roche Wien

Als Mitte der 1950er-Jahre auch in Österreich ein wirtschaftlicher Aufschwung einsetzte, beschloss Hoffmann-La Roche, am bereits seit 1907 existierenden Wiener Standort zu expandieren. Nach eingehender Evaluierung konnte die Firma 1958/59 südlich des ­Stadtzentrums an der Ecke Landstrasser Gürtel/Jacquingasse ein geeignetes Grundstück für einen Neubau erwerben. Mit seinen unterschiedlichen Nutzungen und Funktionen war das Gebiet bereits damals ein dezidiert städtischer Ort. Hier verdichteten sich stadträumliche Schnittstellen auf engstem Raum – der mehrspurige Gürtel als wichtige Verkehrsachse, dichte Blockrandbebauungen aus der Gründerzeit, aufgebrochen durch das weitläufige Areal des Schlosses Belvedere, der Schweizergarten, in dem damals gerade der Österreich-Pavillon der EXPO 58 in Brüssel von Karl Schwanzer als Museum des 20. Jahrhunderts wiederaufgebaut wurde («20er Haus», 1959–1962), und letztlich der neue Südbahnhof (1951–1961) an städtebaulich markanter Ecklage zwischen Wiedner Gürtel und Arsenalstrasse. Auf dem erworbenen Grundstück stand zudem noch die kriegszerstörte Ruine des 1894/95 von Fellner & Helmer erbauten neubarocken Palais Lanckoron´ski, die 1960 endgültig abgerissen wurde.

Georg ­Lipperts Projekt entstand ab 1959 in ­enger Zusammenarbeit mit wichtigen Entscheidungsträgern bei Hoffmann-La Roche. Sicher hatte auch ­Roland Rohn (1905–1971), damals Hausarchitekt des Konzerns und mitverantwortlich für dessen Cor­porate Design, den 1960–1962 umge­setzten Entwurf kritisch begleitet und gutgeheissen. Lippert platzierte den lang­rechteckigen, siebengeschossigen Bau mit der Längsseite gegen den Landstrasser Gürtel. Als ­Konstruktion für das von der Strasse leicht zurück­versetzte Gebäude wählte er ein Stahlbeton­skelett mit Rundstützen und Plattendecken sowie zusätz­lichen Aussteifungen im Treppenhaus und in den ­Aufzugs- und Sanitärbereichen.

Umhüllt wurde das Skelett von einer membranartigen Aussenhaut mit ­ursprünglich 534 Elementen aus eloxierten Alu­miniumprofilen und Isolierglas – eine der ersten Curtain Walls in Österreich. Der vom Terrain leicht abgehobene, scharf geschnittene Baukörper mit dem grünlich reflektierenden Glas der Fassaden und dem als Flugdach stilisierten, bei Nacht hinterleuchteten Kranzgesims verliehen dem ­Gebäude von Anfang an einen hohen Wiedererkennungswert. Lippert schuf einen der internationalen Moderne verpflichteten Bau mit einem eleganten, zeitlosen Äus­seren, das die zukunftsorientierte Haltung des Basler Pharmaunternehmens eindrücklich visualisierte. Auch stadträumlich vermochte er zwischen der geschlossenen Bebauung der Jacquingasse und den anschliessenden offenen ­Bereichen gut zu vermitteln.

Weniger spektakulär, die Möglichkeiten der Skelettkonstruktion jedoch konsequent ausnützend, war das Innere durch Leichtbauwände frei unterteilbar und konnte an die wechselnden Anforderungen der Verwaltungs-, Labor-, Produktions- und Lagerbereiche flexibel angepasst werden. Als die Flächen nicht mehr reichten, wurde 1972–1974 ein ebenfalls von Lippert geplanter Erweiterungsbau an der Rückseite des Hauses errichtet. In den 1990er-Jahren gab Hoffmann-La Roche das Gebäude auf, und verschiedene Firmen nutzten es fortan für Bürozwecke. Nach längerem Leerstand erwogen die damaligen Eigentümer eine Generalsanierung unter Wahrung der ursprünglichen Nutzung als Bürobau.

Aus Roche wird Daniel

2008 erfolgte im Vorfeld der geplanten Sanierungen eine umfangreiche Prüfung des Bauzustands. Dabei wurde der generelle Zustand als sehr gut beurteilt; als wesentliche Probleme wurden wie bei den meisten Bauten jener Zeit insbesondere energetische Mängel (erhebliche Wärmeverluste aufgrund zahlreicher Wärmebrücken und mangelhafter Dämmung) und nicht erfüllte Sicherheits- und Brandschutzanforderungen festgestellt ­(fehlende Absturzsicherung im Brüstungsbereich, keine Sicherheit vor Brandüberschlag von Geschoss zu Geschoss u. Ä.). Um den Fortbestand der Büronutzung zu ermöglichen und die entsprechenden Vorgaben zu erfüllen, wäre nur – so die Analyse – der komplette Ersatz der Fassade durch einen dem originalen Erscheinungsbild entsprechenden Nachbau infrage gekommen. Dafür fehlte damals aber das Geld; und zudem entschloss sich das Bundesdenkmalamt 2009 – im Zeichen der zunehmenden Sensibilisierung für wichtige Bauten der Nachkriegsmoderne –, das Gebäude unter Schutz zu stellen, wobei Fassade und Treppenhaus in jedem Fall erhalten, das ohnehin bereits umgebaute Innere jedoch verändert werden durften. Die wenig aussichtsreiche Lage änderte sich mit dem Auftritt des Grazer Hoteliers Florian Weitzer.

Als Weitzer auf der Suche nach einem geeigneten Wiener Standort das ehemalige Roche-Gebäude entdeckte und dann noch erfuhr, dass es Georg Lippert errichtet hatte, war die Sache für ihn klar: Denn Lippert war auch der Architekt des Hotels Daniel beim Grazer Hauptbahnhof (1955/56), das Weitzer seit 1974 betreibt und in dem der Hotelier, der eher vielgewandter Ausprobierer denn klassischer Hotelmanager ist, sein «Smart Luxury»-Konzept erfolgreich umgesetzt hat. Für sein Wiener Projekt fand Weitzer mit Atelier Heiss Architekten ein Büro, das bereits im Vorfeld von Sanierung und Umbau 2010/11 ein regelrechtes Faible für den Bau aus den 1960er-Jahren entwickelt hatte.

Die zukünftige Hotelnutzung ermöglichte nun die substanzielle Erhaltung der Fassade: Sie wurde ­saniert, fehlende und beschädigte Teile wurden gemäss Bestand erneuert. Die ungenügenden energetischen und akustischen Dämmeigenschaften wurden in Kauf genommen und müssen auch von den Hotelgästen toleriert werden. Im Zuge der Anpassungen an aktuelle bauliche Auflagen kam es im Innern zur Errichtung eines zweiten Treppenhauses. Abgebrochen wurde hingegen eine später errichtete Erschliessung zwischen Hauptbau und rückseitigem Erweiterungsbau, wodurch der ursprüngliche solitäre Charakter des Gebäudes wiederhergestellt werden konnte. Eine sorgfältige Erneuerung erfuhr das original erhaltene Haupttreppenhaus, lediglich ein kleiner Teil der Verglasung musste im Bereich der unteren vier Geschosse aufgegeben werden. Gegen Brandüberschlag und als Absturzsicherung wurden innenliegend bis zum unteren Fensterrand Brüstungsmauern angebracht.

Im Innern bestanden – abgesehen vom Treppenhaus – keine originalen Bestandteile mehr, und auch der gewachsene Zustand war alles andere als schützenswert. Somit konnte eine auf die neue ­Hotelnutzung abgestimmte komplette Neustrukturierung vorgenommen werden, wobei die Skelettkonstruktion entsprechende Freiheiten erlaubte, gleichzeitig aber auch den Raster für den Einbau der Hotelzimmer vorgab. Während im Untergeschoss Mitarbeiter-, Lager- und weitere Nebenräume Aufnahme fanden, wurde das ­Erdgeschoss als grosser, offener Raum mit Lobby, Rezeption, Shop, Restaurant- und Frühstücksbereich gestaltet. Lediglich die Küche, ein minimales Backoffice, zwei barrierefreie Zimmer und eine Gästetoilette sind räumlich abgetrennt. Gegen den parkartigen Bereich zum Gürtel ist das Erdgeschoss mit einer Terrasse erweitert worden.

In den sechs Obergeschossen fanden insgesamt 115 relativ kleine Doppelzimmer Platz. Die schmalen Zimmer, jeweils zwei zwischen einem Stützenabstand, weisen meist noch eine Einknickung in der Trennwand auf, um das Bett quergestellt unterzubringen und auch noch zirkulieren zu können. Lediglich die um den neuen Erschliessungskern angeordneten Räume sind grösser, zudem eine Suite im obersten Geschoss mit Aussicht auf Belvedere und Innenstadt. Das Dachgeschoss ­konnte nicht für die Hotelnutzung umgebaut werden, wiederhergestellt wurde aber die indirekte Beleuchtung des für das Gebäude so charakteristischen Flugdach-Kranzgesimses.

Erhalten blieb auch samt Schienen – quasi als kleines Industriedenkmal – die Aufzugsanlage für den Fassadenreinigungskorb.

«Smart Luxury»

Sanierung und Umbau sind nicht nur von der zuständigen Fachstelle als «rundum geglücktes Beispiel für die Denkmalpflege» gewürdigt worden. Das ist die eine Seite. Die andere ist das Betreiberkonzept, das dem Gebäude seinen Erfolg beschert. Geboten wird im Daniel für den «Urban stay» der Gäste «Smart Luxury»: Unnötige Dinge werden weggelassen, stattdessen jene Annehmlichkeiten ermöglicht, die man eigentlich immer schon wollte – wie etwa einen bereitstehenden Scooter für individuelle Stadterkundungstrips.

Dazu gehört auch der Verzicht auf das Sterne-System, das Weitzer – der für die Einrichtung des Hotels zu einem grossen Teil selbst verantwortlich zeichnet – als völlig veraltet taxiert. Er setzt auf Originalität, Individualität und Innovation anstelle strikter Normen: So besteht die Rezeption aus einer charmanten Vintage-Vitrine, die Einrichtung des Restaurantbereichs strahlt gehobenen Flohmarkt-Chic aus, allenthalben fällt der Blick auf roh belassene Bereiche des Betonskeletts, geduscht wird in den Zimmern in einer frei in den Raum gestellten Glaskabine, relaxen kann man in einer Hängematte.

Im parkähnlichen Bereich gegen den Gürtel, in dem auch das 116. Zimmer steht, ein silbrig glänzender Trailer von 1952, wird Urban Gardening praktiziert, während auf dem Dach viele fleissige Bienen den Rohstoff für den Honig liefern, der unten im Shop zum Verkauf steht. Letzterer bietet ein breites Sortiment an Gadgets, durch deren Erwerb man sozusagen ein Stück Daniel mit nach Hause nehmen kann. Bekrönt wird dieser Mikrokosmos von einem auf dem Dach installierten, gefährlich nach unten gebogenen Segelboot in Originalgrösse – Erwin Wurms Kunstwerk «Miscon­ceivable»».

Bestand und Veränderung

Das Hotel Daniel vermag mehrere Dinge unter einen Hut zu bringen. Zuallererst hat die Neunutzung als Hotel den Fortbestand des Gebäudes und der denkmalgeschützten Curtain-Wall-Fassade in ihrer originalen Substanz gesichert. Man kann einwenden, dass dies jener vielfach praktizierten Manier entspricht, lediglich die historische Hülle eines Gebäudes zu bewahren und das Innenleben komplett zu erneuern. Allerdings zielte dieser Bau mit dem frei gestaltbaren Grundriss bereits in seiner Anlage auf Veränderung und Anpassung ab. Insofern ist der Umbau in ein Hotel, der ja auch die Skelettstruktur unangetastet lässt, nur eine weitere Nutzungsschicht, die jederzeit verändert oder durch eine neue abgelöst werden kann.

Im Weiteren hat der Umbau unter Beweis gestellt, dass es auch für die Erhaltung von Bauten aus den Boom­jahren tragfähige Lösungen gibt. Voraussetzung dafür sind ein entsprechendes Nutzungskonzept, kompetente Planer und aufgeschlossene Behörden, insbesondere die Denkmalpflege. In diesem Fall konnte so einer jener charakteristischen Nachkriegsbauten in Österreich erhalten werden, die leicht verspätet den Anschluss an die internationale Moderne signalisierten. Überhaupt wurde das Gebäude in einer bewegten Zeit fertiggestellt, in der unterschiedliche Strömungen, Tendenzen und kulturelle Grundhaltungen aufeinandertrafen: der humane Funktionalismus Roland Rainers, der zeichenhafte Modernismus Karl Schwanzers, positivistische Haltungen, die eine von Fortschritt und Technik ausgehende Architektur verfochten, ebenso sich herausbildende Positionen – später unter «The ­Austrian Phenome­non» subsumiert –, die diesen «Bau­wirt­schafts­funktio­nalismus» fundamental kritisierten und ein völlig ­neues Verständnis von Architektur und gebauter ­Umwelt vertraten.

Das Weiterbestehen des Hoffmann-La Roche-Baus ist aber auch wichtig für die Dokumentation des gebauten Werks von Georg Lippert, denn einige seiner zentralen Grossbauten wie das Bürogebäude der Bundesländer-Versicherung (1959–1962) oder das Verwaltungsgebäude der Austrian Airlines (1975–1978) sind mittlerweile abgebrochen worden. Projekte wie das Daniel könnten aber durchaus auch Anlass bieten zur kritischen Aufarbeitung von Werk und Biografie des jeweiligen Architekten, was gerade bei Georg Lippert zu einigen neuen Erkenntnissen führen würde.

Die Verwandlung des ehemaligen Roche-Baus reflektiert letztlich auch die beträchtlichen Verän­derungen in unmittelbarer Nähe. Das Gebiet ist noch städtischer geworden und heisst nunmehr Quartier Belvedere. Aus dem Museum des 20. Jahrhunderts im Schweizergarten ist das «21er Haus» geworden (Umbau/ Erneuerung durch Adolf Krischanitz, 2007–2011), der während 50 Jahren gebietsprägende Südbahnhof wurde 2009/10 abgerissen. Während an seiner Stelle jetzt der elegant geschwungene Erste Campus steht, fahren die Züge nun vom etwas weiter südwestlich gelegenen neuen Hauptbahnhof Wien ab. Es war dieser neue ­Bahnhof, der als wichtiger Impulsgeber für die Gegend fungierte – auch für die Entscheidung, ein Bürogebäude aus den 1960er-Jahren in ein Hotel der etwas anderen Art umzubauen.

TEC21, Fr., 2017.06.09



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13. Mai 2016Klaus Spechtenhauser
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Ein Dorf wird Hafenstadt

Kleinhüningen ist nicht nur ein Hafen: Das ehemalige Fischerdorf schaut auf eine bewegte Geschichte zurück. Die Etappen seiner Entwicklung sind bis heute ablesbar. Dadurch erhält das Quartier ein spezifisches Gesicht und eine eigene Identität.

Kleinhüningen ist nicht nur ein Hafen: Das ehemalige Fischerdorf schaut auf eine bewegte Geschichte zurück. Die Etappen seiner Entwicklung sind bis heute ablesbar. Dadurch erhält das Quartier ein spezifisches Gesicht und eine eigene Identität.

In wohl keinem anderen Basler Stadtquartier sind die Kontraste stärker ausgeprägt als in Kleinhüningen: alte Wohnhäuser samt schmucker Kirche, markante Silo- und Lagerhausbauten entlang der Hafenbecken I und II, weitverzweigte Gleisanlagen, Industrieareale, Brücken, Tankbehälter und Containerberge, dazwischen Arbeiterhäuschen und Wohnblöcke. Eine dichte, heterogene und daher auch typisch städtische Packung; nicht so ganz schweizerisch, jedenfalls aber mit verborgenem Charme, der sich erst bei genauem Hinschauen offenbart.

Zwischen Wiese und Rhein

Es verwundert nicht, dass im Mündungsgebiet der ­Wiese in den Rhein einst ein Dorf gegründet wurde. Dass die Gründer die Hunnen waren, darf längst als Mär gelten; aber vielleicht kamen ja die Ungarn, als sie 917 Basel plünderten, bis hierher. Die Volksetymologie hat dies nicht so genau genommen, während freilich archäologische Funde auf eine viel frühere Besiedlung hinweisen.

Jedenfalls befand sich hier einst eine idyllische Flusslandschaft mit Schwemmterrassen, mäandrierenden Rheinarmen, Inseln und Sandbänken. Das fruchtbare Gebiet war ideal für den Gemüse- ­und Obstanbau, für das Vieh gab es ausgedehnte Weide­flächen. Und es gab reiche Fischvorkommen in Rhein und Wiese, was immer wieder zu Zwistigkeiten zwischen den Kleinhüninger Fischern und ihren elsässischen Berufsgenossen führte.

Unruhige Zeiten

Kleinhüningens neuere Geschichte begann 1640, als Basel auf Vermittlung des damaligen Bürgermeisters Johann Rudolf Wettstein das Dorf für 3500 Reichstaler von Markgraf Friedrich V. von Baden-Durlach erwarb. Damals umfasste Kleinhüningen kaum mehr als zwanzig Häuser.

Meist waren es ein- und zweigeschossige Fachwerkhäuser, die sich entlang der noch heute so benannten Dorfstrasse aufreihten. 1710 erhielt das Dorf einen barocken Kirchenneubau, um 1760 liess der Basler ­Peter Gemuseus einen stattlichen Landsitz errichten, das spätere Clavel’sche Gut, das heute als Restaurant Schifferhaus gehobene Gastronomie bietet.

Als Frankreich infolge des Westfälischen Friedens 1648 bis an den Rhein vorrückte, wurde das Gebiet um Kleinhüningen zum Dreiländereck. Der von Ludwig XIV. ab 1679 veranlasste Bau der Grenzfestung Huningue durch Festungsbaumeister Vauban setzte klare Zeichen. Tatsächlich folgten kriegerische Zeiten, und immer wieder schlugen fehlgeleitete Kanonen­kugeln und Granaten im Dorf ein. Die fortwährenden Auseinandersetzungen endeten 1815 mit der Niederlage der französischen Truppen, und noch im Winter des gleichen Jahres wurde die Festung Huningue gesprengt. Für Kleinhüningen war die stetige Bedrohung nun gebannt, und es folgten ruhige Jahrzehnte.

Von der Dorfidylle zum Arbeiterquartier

Kleinhüningen unterschied sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht von anderen Dörfern. Landwirtschaft, Handwerk und Fischfang sorgten für ein gutes, wenn auch bescheidenes Leben. Das Bild einer friedlichen und naturnahen Idylle entstand wohl in erster Linie bei Basler Bürgern, und so wurde der Ort immer beliebter als Ausflugsziel, um hier zu spazieren und anschliessend in einem der traditionsreichen Gasthäuser reichlich Fisch zu essen. Seit 1897 gelangte man auch bequem mit der neu eröffneten Tramlinie hierher, die direkt im Dorfzentrum endete. Interessant wurde die Gegend um Kleinhüningen gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber auch als Industriestandort. 1893 begann die Basler Chemische Fabrik Bindschedler hier Farbstoffe und pharmazeutische Spezialpräparate herzustellen, 1908–1910 folgten ein Filialbetrieb der Gesellschaft für Chemische Industrie in Basel, der nachmaligen CIBA, und die Färberei Schetty. Aus Letzterer ging 1917 die Basler Stückfärberei AG («Stücki») hervor, auf deren Fabrikareal heute ein Einkaufszentrum steht.

Die Industrialisierung führte auch zu einem markanten Zuwachs der Einwohner Kleinhüningens und zu einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Zwischen 1850 und 1900 verdreifachte sich die Einwohnerzahl auf rund 1900. Kleinhüningen wurde zu einem eigentlichen Arbeiterdorf – gross, aber arm, sodass die Dorfbehörden 1891 zum ersten Mal eine Vereinigung der Landgemeinde mit der Stadt Basel erwogen. 1908 wurde diese dann Tatsache. Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Industrialisierung in Kleinhüningen um 1930, als die Gasfabrik vom St. Johann an die Neuhausstrasse verlegt wurde. Sie sollte das Gebiet mit ihren beiden mächtigen Kokereitürmen über Jahrzehnte hinweg prägen. Mit der Umstellung auf Erdgas 1970/71 wurde die Gasfabrik geschlossen. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts ist Kleinhüningen dann aus unterschiedlichen Gründen immer mehr zum industriellen Randgebiet geworden. Im Zug von Reorganisationen, Abwanderungen und Schliessungen von Betrieben gingen zahlreiche Arbeitsplätze verloren. Ein Arbeiterquartier ist Kleinhüningen heute immer noch. Mittlerweile aber sind es aufgrund der internationalen Durchmischung der Bevölkerung weniger klassenkämpferische Themen, die bewegen, sondern eher die komplexen Fragen von Migration und Integration.

Die Hafenstadt der Schweiz

Die einschneidendsten Veränderungen in Kleinhüningen zeitigte der unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende Bau des Rheinhafens. Das Grossprojekt des Hafenbaus wurde ab 1914 unter der Gesamtleitung des Ingenieurs Oskar Bosshardt in Angriff genommen, nachdem der Pionier der schweizerischen Rheinschifffahrt Rudolf Gelpke 1903 bewiesen hatte, dass der Gütertransport zu Wasser bis nach Basel möglich war. Verzögert durch den Ersten Weltkrieg begannen die Arbeiten 1919 mit dem Aushub des Hafenbeckens I. Bereits im August 1922 ging hier der erste Schleppzug vor Anker. Parallel zum Bau des Beckens, das auch heute noch das Herzstück des Hafens ist, wurden die ersten Silo- und Lagerhausbauten errichtet – darunter das 1926 fertiggestellte Bernoulli-Silo an der Hafenstrasse 7 – sowie eine umfangreiche Infrastruktur aus Krananlagen, Gleisen, Strassen und Brücken. Entlang des Rheins entstand der Westquai, der vor allem als Lager- und Umschlagplatz für Kohle diente, desgleichen der Klybeckquai, der v. a. auch für die Lagerung von Flüssiggütern vorgesehen war. Das bereits viel früher geplante Hafenbecken II wurde 1936–1939 gebaut und nach dem Krieg in Betrieb genommen. Zwischen 1950 und 1970 wurde die Anzahl der Silos, Umschlag- und Lagerhallen auf den heutigen Bestand erweitert. Eine ingenieurtechnische Pionierleistung war der 1952/53 errichtete Umschlaghof an der Hafenstrasse mit seinem 32 m über das Hafenbecken auskragenden Dach in vorgespanntem Beton. Es sind insbesondere die Silos und Lagerhäuser an der Hafenstrasse, die trotz Umbauten und Ergänzungen auch heute noch ein für die Schweiz einzigartiges Gebäudeensemble bilden: architektonisch und typologisch, aber auch technik- und wirtschaftsgeschichtlich.

In die Enge getrieben

Mit dem Bau des Hafens und seinem fortschreitenden Ausbau geriet das einstige Dorf Kleinhüningen immer stärker in Bedrängnis. Eindrücklich ist dies auf historischen Fotografien zu sehen, die ein Dorf zeigen, dessen Umland einfach abgeschnitten wurde. Auch der direkte Zugang zu den Ufern von Rhein und Wiese wurde zunehmend verunmöglicht und damit das Fischen stark eingeschränkt. Dies spielte aber nicht wirklich eine Rolle, da vor allem in der Wiese die Fischbestände aufgrund der Emissionen von Färbereien und Chemie­fabriken drastisch zurückgegangen waren. Mit dem Bau des Hafenbeckens II verschwanden die letzten Bauernbetriebe Kleinhüningens, der weitläufige Landschaftsgarten des Clavel’schen Guts wurde mit Gleisan­lagen und Strassen überbaut. Das heutige Schifferhaus war der bei Weitem repräsentativste grossbürgerliche Landsitz in Kleinhüningen und hatte sich unter der Fabrikantenfamilie Clavel ab 1859 zu einem gesellschaftlichen Zentrum in den Anfängen der chemischen Industrie Basels entwickelt. 1943 kaufte es die Schweizerische Reederei und richtete darin ein Heim für ihr Schiffspersonal ein. 1958 folgte gleich daneben das Schifferkinderheim, in dem schulpflichtige Kinder von Schiffern wohnten; ihre Ferien verbrachten sie auf dem Schiff.

In der Zeit der Boomjahre nach dem Zweiten Weltkrieg mussten weitere alte Dorfbauten neuen Silos, Lagerhäusern oder gesichtslosen Neubauten weichen, sodass sich Ende der 1970er-Jahre lokaler Widerstand gegen die fortschreitende Zerstörung des Dorfs for­mierte. Die Initiative versandete jedoch wieder. Auch Denkmalpflege und Ortsbildschutz hatten Kleinhüningen damals noch nicht wirklich erreicht; immerhin wurden die verbliebenen historischen Bauten in einem Inventar erfasst. Vom ursprünglichen Dorf Kleinhüningen ist letztlich wenig übrig geblieben. Einzig zwischen der Dorfkirche und der Pfarrgasse gruppieren sich einige historische Bauten, die noch die einstige Siedlungsstruktur erahnen lassen. Erhalten ist auch das Bauernhaus der einst tonangebenden Fischerfamilie Bürgin. Das auf das 18. Jahrhundert zurückreichende Gebäude war von der Zerstörung bedroht, wurde 1999 an seinem alten Standort abgetragen und im Garten des Schifferhauses wiederaufgebaut.

Containerburgen statt Kohleberge

Schifffahrt, Hafenwirtschaft und Warentransport haben in den letzten Jahrzehnten weitreichende Veränderungen erfahren. Anfang der 1970er-Jahre wurden in Kleinhüningen am Hafenbecken I die ersten Container umgeschlagen; in der Folge wurde ein erster Contai­nerterminal errichtet, kurz darauf folgte ein zweiter am Hafenbecken II. Die zunehmende Präsenz von Con­tainern im Rheinhafen ging einher mit dem Wegfall der charakteristischen Kohleberge. Einerseits hatte Erdöl als Energieträger immer mehr an Bedeutung gewonnen, andererseits wurde mit der Umstellung auf Erdgas 1970/71 die Gasfabrik geschlossen. Der Wandel im Warentransport und neue, globalisierte Marktabwicklungsmechanismen setzten auch die traditionsreichen Reedereien und Transportunternehmen unter Druck. 1975 fusionierte die Schweizerische Reederei mit der Neptun zur Schweizerische Reederei und Neptun AG (SRN), um sich besser für die Zukunft zu rüsten. Der Niedergang der schweizerischen Rheinschifffahrt ­hatte jedoch bereits begonnen.

Nach dem Umbau der traditionsreichsten und grössten Schweizer Reederei in eine internationale Logistikfirma bestand die Flotte der SRN im Jahr 2000 nur noch aus wenigen Schiffen. Der im gleichen Jahr erfolgte Verkauf an die deutsche Rhenus war dann, wie die lokale Presse kommentierte, ein «folgerichtiger Schritt», um in den globalen Marktmechanismen bestehen zu können. Ausgedient hatten damit aber auch die letzten «roten Schweizer» – die Schiffe der SRN, so benannt nach ihrem in markantem Rot gestrichenen Schanzkleid mit Schweizerkreuz, das weithin für herausragende Unternehmenskultur stand. Noch gibt es in Kleinhüningen Schiffer, die über Jahre hinweg als Matrosen, Maschinisten oder Schiffsführer auf dem Rhein oder zur See unterwegs waren. Die schiffische Kultur pflegen sie im Schifferverein Basel-Kleinhüningen und im Seemanns-Club der Schweiz. Oder sie sind Aktivmitglied im Seemannschor «Störtebekers».

Verheissungsvolle Randlage

Vieles hat sich verändert in den letzten Jahren in Kleinhüningen: die Hafenwirtschaft, die Waren, aber auch die Wahrnehmbarkeit der Menschen, die hier für weltweit agierende Unternehmen tätig sind. Prägten einst zahlreiche Hafenarbeiter und Schiffsleute das Gebiet, so sind es jetzt nur mehr wenige Menschen, die Maschinen bedienen oder mittels Krananlagen ­Container ­verschieben. Arealplanungen und Nutzungsvisionen, Zukunftsszenarien und Aufwertungsstra­te­gien beschäftigen heute die Planungsbüros, vermögen Wirtschafts- und Immobilienstrategen zu begeistern – oder lösen bei der lokalen Bevölkerung Widerstand aus. Kleinhüningen ist schon längst zu einem grossen Entwicklungsareal auf dem kleinen Kantonsgebiet ­geworden. Zu hoffen bleibt da nur, dass dereinst noch etwas von früher bestehen bleibt: heterogene, ungestaltete Nischenbereiche, die an den rauen Charme der Industriearchitektur und der Welt der Schifffahrt erinnern.

TEC21, Fr., 2016.05.13



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