Editorial

Der moderne Holzbau folgt dem Motto: mit Sorgfalt geplant, durchdacht konstruiert, wirtschaftlich produziert. Die von uns für dieses Heft ausgewählten und kritisch betrachteten Projekte – von einer Werkhalle über ein Büro- und Wohngebäude, einen (mehrgeschossigen) Verwaltungsbau, bis hoch hinauf zu einem Gipfelrestaurant – stellen dies unter Beweis und verdeutlichen zudem, dass Holz sowohl eine architektonisch reizvolle Hülle ergibt als auch ein intelligentes Tragwerk. Dabei ist die Palette der Möglichkeiten jeweils immens: roh gesägt, akkurat geglättet oder farbig lasiert, konstruiert als traditioneller Blockbau oder klassischer Rahmenbau; mit Decken aus Hohlkastenelementen, Wänden aus Vollholz, Stützen und Trägern aus Brettschichtholz – für deren Fertigung zunehmend auch Laubhölzer zum Einsatz kommen (s. S. 72). Holz, dem einzigen nachwachsenden Baustoff, der das klimaentscheidende Kohlenstoffdioxid speichert, kommt ihm Zeitalter der Energiewende eine zentrale Bedeutung zu. So wird die Anfang der 90er Jahre begonnene »Renaissance des Holzbaus« sicher ungebrochen andauern. | Ulrike Kunkel

Kindheitstraum für Erwachsene

(SUBTITLE) Werkhalle AWEL in Andelfingen (CH)

Ein Blockhaus aus wenigen Elementen, ganz aus Holz, ohne Dämmung und Fenster – für diese scheinbar fast zu einfache Aufgabe haben Rossetti+Wyss Architekten aus Zürich eine Antwort gefunden, die nicht nur technisch konsequent, sondern auch poetisch ist.

Die 2 000-Seelen-Gemeinde Andelfingen liegt idyllisch im Zürcher Weinland. Die mittelalterlichen Häuser des Ortskerns drängen sich auf einer Hügelkuppe zusammen; unten schlängelt sich der Fluss Thur durch eine Landschaft, die trotz Siedlungserweiterungen und Industriezonen immer noch von Feldern, Wiesen und Wäldern dominiert ist. Um die neue Werkhalle des Wasserbauwerkhofs Neugut zu erreichen, braucht man ein gutes GPS. Man kurvt scheinbar endlos über eine einspurige Waldstraße, bis man unvermittelt auf einer Lichtung am Flussufer landet – und vor einem Gebäude steht, das einen allmählich an den eigenen Sinnen zweifeln lässt.

Spiel mit der Wahrnehmung

Auf den ersten Blick wirkt der Neubau ganz einfach. Er gibt sich als das zu erkennen, was er ist: ein Blockhaus aus aufeinander gestapelten und ineinander verzahnten Holzelementen. Doch so archaisch diese Bauweise ist, so raffiniert wurde sie hier umgesetzt. Die auf einem Betonsockel stehende Holzkonstruktion besteht aus lediglich 36 Elementen, und der gesamte Elementstapel ist nur fünf Schichten hoch. Weil die Fassaden keine Fenster aufweisen und die Tore als abstrakte Flächen ausgebildet sind, ist es kaum möglich, die Maßstäblichkeit des Gebäudes zu erfassen. Aus der Ferne betrachtet wirkt es eher klein und auch ein wenig geduckt – ein Eindruck, der dadurch verstärkt wird, dass die Höhe der Binder nach oben hin zunimmt.

Erst wenn man auf den Neubau zugeht, beginnt man, seine wahren Dimensionen zu begreifen – allerdings auf eine sehr ungewöhnliche Art und Weise. Je mehr man sich der Werkhalle nähert, desto mehr scheint sie zu wachsen, bis man sich selbst ganz winzig vorkommt. Alles ist gigantisch: Die massiven Binder der Wände, die Tore und im Innern die Regale, in denen man als Kind problemlos hätte stehen können. Diese kindliche Perspektive drängt sich geradezu auf, wenn man das Gebäude betritt, und mit ihr auch eine im besten Sinn kindliche Begeisterung: Die prägende Erfahrung der ersten Lebensjahre, die Mysterien der Welt aus der Froschperspektive zu entdecken, vermischt sich mit der Freude an einem Haus, das aus Kapla-Klötzchen aufgeschichtet zu sein scheint.

Tatsächlich verkörpert die Werkhalle, die aus wenigen einfachen Holzelementen und sonst fast gar nichts aufgebaut ist, den Kindheitstraum aller Architekturschaffenden – einen Traum, den die wenigsten heute, in einer Zeit immer restriktiverer Energie- und Brandschutzvorschriften, auch nur annähernd realisieren können. Rossetti+Wyss war dies bewusst, und es ist kein Zufall, dass sie beim Entwurf u. a. auch ein Computer-Bauspiel eingesetzt haben. Doch dieses Gebäude ist weit mehr als eine Spielerei; es stellt auch das Ergebnis einer äußerst konsequenten Suche nach der richtigen Form, Konstruktion und Materialanwendung dar.

Einheit von Raum, Statik, Ästhetik und Material

Die Werkhalle, 30 m lang, 16,5 m breit und 10 m hoch, besteht aus einem einzigen Raum, deren Nutzfläche 475 m² beträgt. Sie dient als Einstellhalle für Fahrzeuge und Maschinen, als Lagerfläche und bei Bedarf als wettergeschützter Platz für die Verrichtung diverser Kleinarbeiten. Ihre Maße beziehen sich daher nicht primär auf den menschlichen Maßstab, sondern auf die Abmessungen der riesigen Fahrzeuge, die darin untergestellt werden. Insofern sind die eindrücklichen Dimensionen der Teile, aus denen sie zusammengesetzt ist, durchaus stimmig.

Von der Typologie her ähnelt die Halle den ländlichen Ökonomiegebäuden der Umgebung, mit denen sie auch Elemente wie z. B. das ausladende Vordach über die Wetter abgewandten Toröffnungen gemeinsam hat. Ihre Anordnung in der Landschaft – auf dem höchsten Punkt des zum Fluss hin abfallenden Terrains, vor Hochwasser geschützt, und als Gegenüber zum bestehenden Werkhof – zeugt ebenfalls von einem ruhigen Pragmatismus. Die einfache Konstruktion und das traditionelle Material Holz sind in diesem Kontext verständlich und angemessen. Die Anordnung der riesigen Wandelemente, die nach oben hin jeweils etwas weiter nach außen gerückt sind, zeugt von abstrakten Gestaltungsprinzipien, folgt aber der gleichen konstruktiven Logik wie die überlappenden Holzschindeln an alten Scheunenfassaden: Das Wasser tropft an den Kanten ab, und jede Schicht schützt die darunter liegende.

Die Holzkonstruktion, die auf einem betonierten Sockel steht, wurde in nur vier Tagen mit einem Pneukran aufeinander gestapelt. Sämtliche Bauteile wie Wandelemente, Dachbinder, Dachfläche und Tore wurden aus Massivholz vorfabriziert und auf die Baustelle gebracht – für die teilweise 30 m langen Elemente waren Spezialtransporte erforderlich. Verwendet wurde Fichte, je nach Einsatz gehobelt und/oder geschliffen und vorvergraut; insgesamt wurden 340 m³ davon verbaut. Die Tragstruktur besteht aus Schweizer Holz. Sie ist so verzahnt, dass sie sich zu einer stabilen Konstruktion zusammenfügt. Auf weitere Bauteile und Materialien konnte somit verzichtet werden. Weil die Halle nicht klimatisiert ist, hat sie auch keine verglasten Fenster; an den Längsseiten sind die Zwischenräume zwischen den Bindern unter der Dachfläche offen, sodass Tageslicht und frische Luft ins Innere gelangen.

Der Bau ist weder innen noch von außen bekleidet. Die Elemente, aus denen er zusammengesetzt ist, erfüllen alle Funktionen gleichzeitig: Sie sind statisch notwendig, dienen als räumliche Abgrenzung, und prägen innen wie außen das Erscheinungsbild. Ihre Fügung ist direkt von den Materialeigenschaften des verwendeten Holzes abgeleitet. Das statische, räumliche und ästhetische Konzept sind eins, und untrennbar mit dem Materialkonzept verbunden. Dass diese absolute Konsequenz keineswegs stur daherkommt, sondern ganz selbstverständlich und leicht, ist bemerkenswert. Der zufällige Betrachter sieht nur ein riesiges Blockhaus mit gelungenen Proportionen; erst bei näherem Hinschauen lässt sich erkennen, wie viel Reflexion und Wille zur Perfektion darin stecken. Es ist ein architektonisches Statement, das die Unbeschwertheit eines Kindheitstraums ausstrahlt.

db, Di., 2016.03.01

01. März 2016 Judit Solt

Ein Holz-Hohlkastenelement für alle Fälle

(SUBTITLE) Verwaltungsgebäude von Egger in Sankt Johann in Tirol (A)

Grobspanplatten werden von Architekten gern als kostengünstiges Baumaterial für temporäre Bauten verwendet. Wie groß ihr konstruktives und gestalterisches Potenzial aber tatsächlich ist, zeigt nun ein Bürogebäude, das auf einem seit einigen Jahren immer weiter verfeinerten Konstruktionsprinzip für vorgefertigte Hohlkastenelemente basiert.

Wer im März vor zwei Jahren am Stammsitz des Holzwerkstoff-Herstellers Egger in St. Johann vorbeifuhr, sah vor der Kulisse aus Feldern, Wiesen und dem Kitzbüheler Horn v. a. ein dicht gedrängtes Ensemble aus gesichtslosen Produktionsgebäuden und Bergen von Baumstämmen und Holzspänen. Keine zwölf Monate später bot sich an gleicher Stelle eine völlig andere Perspektive. Am nördlichen Ende des Werksgeländes zieht seitdem ein frei stehender Neubau die Blicke auf sich: ein viergeschossiges Bürogebäude mit schachbrettartig gegliederter Fassade aus Glas und Lärchenholzlamellen. In nur einem Jahr Bauzeit entstand hier eines der größten Bürogebäude Österreichs in reiner Holzbauweise.

Genau genommen reicht dessen Geschichte zurück bis ins Jahr 2008, als der Familienbetrieb einen Architekturwettbewerb für ein neues Verwaltungsgebäude am rumänischen Produktionsstandort Radauti auslobte. Ziel war ein nachhaltiger, energieeffizienter, modularer Holzbau, der unter vorwiegender Verwendung firmeneigener Produkte errichtet werden und zugleich Standards für neue Bürogebäude an anderen Unternehmensstandorten definieren sollte. Der siegreiche Entwurf des Tiroler Architekten Bruno Moser basiert auf der Verwendung der größtmöglich erhältlichen Grobspanplatte OSB4Top von Egger, die erst zu 11,40 x 2,80 m großen Wand- bzw. Deckenelementen und schließlich zu 11,40 x 2,80 x 2,80 m großen Raummodulen gefügt wurden. Diese Module verfügen nicht nur über fertige, weiß lasierte Oberflächen, sondern enthalten auch sämtliche Lüftungs- und Elektro-Rohinstallationen. Nach Fertigstellung des mit dem DGNB-Zertifikat in Gold ausgezeichneten Gebäudes entwickelte Moser dieses System an zwei vergleichbaren Folgeprojekten für Egger weiter, sodass das Verwaltungsgebäude in St. Johann das nunmehr vierte dieser Art ist.

Die bisherigen Büroflächen am Gründungsort und Hauptsitz wiesen einige Nachteile auf: Sie waren auf mehrere Gebäude verteilt und befanden sich – für Geschäftspartner und Besucher eher schwierig zugänglich – innerhalb des Werksgeländes. V. a. aber waren sie für ein Unternehmen mit einem stattlichen Jahresumsatz von derzeit 2,26 Mrd. Euro wenig repräsentativ und überdies zu klein geworden. Für einen Neubau sprach zudem, dass sich dadurch die Chance bot, eine Art überdimensionalen Showroom zu realisieren, der – ohne diesen Aspekt penetrant in den Vordergrund zu rücken – einen umfassenden Überblick über die gesamte Produktpalette Eggers vom Konstruktionsholz über Fußböden bis hin zur Büromöblierung liefert.

Konstruktiver Aufbau der Wand- und Deckenelemente

In Bezug auf die Abmessungen der Raummodule und deren konstruktiven Aufbau entspricht der Neubau prinzipiell seinen drei Vorgängern. Die Wandelemente bestehen aus 280 mm dicken Holzriegeln, die – umgeben von einer Wärmedämmschicht – innen mit sichtbaren, weiß lasierten OSB4Top-Platten (22 mm) und außen mit diffusionsoffenen feuchtebeständigen Holzfaserplatten beplankt sind. Die Decken sind als frappierend einfach konstruierte Hohlkastenelemente ausgebildet: Den statisch wirksamen Kern bilden 520 mm hohe Brettschichtholzrippen mit schalldämmender Splittschüttung sowie eine weiß lasierte untere Beplankung (die gleichzeitig die Deckenuntersicht ausbildet) und eine obere Beplankung aus jeweils 30 mm dicken OSB4Top-Platten. Als Bodenaufbau dient eine Schicht aus Weichfaserplatten, über der sich weitere OSB-Platten (18 mm), dünne Trittschallmatten und der Laminatfußboden befinden – mit einer Gesamtaufbaudicke von lediglich rund 60 mm. Die Deckenelemente spannen grundsätzlich über die Längsrichtung, wobei Lasten stets über die vier Eckpunkte abgetragen werden; Installationen liegen auch hier im Innern der Hohlkastenelemente und in speziellen Vertiefungen der Tragbalken.

Zahlreiche baurechtliche Anforderungen, konzeptionelle Vorstellungen des Architekten und Bauherrenwünsche führten trotz vieler Gemeinsamkeiten mit den seit 2008 nach diesem Konstruktionsprinzip realisierten Gebäuden dazu, dass das Stammhaus als völlig eigenständige Variation zum freien »Spiel« mit Raummodulen erscheint. Wesentlich in diesem Zusammenhang sind insbesondere das offene Atrium und die Viergeschossigkeit der beiden seitlichen Gebäuderiegel. ›

Architektur und Brandschutz

Dass der Eingang nicht direkt ins Atrium führt, wie man aus der Entfernung noch vermuten könnte, sondern an der Gebäudelängsseite liegt, hat mit der geplanten Anbindung an den zweiten Bauabschnitt zu tun, der sich eines Tages im Norden befinden soll. Der seitliche Zugang liefert aber auch die dramaturgisch spannendere Lösung, weil der viergeschossige, oben und seitlich voll verglaste Innenraum nach Passieren des vergleichsweise niedrigen Empfangsbereichs dadurch umso eindrucksvoller erscheint. Was im Atrium dann sofort ins Auge fällt, ist einerseits die Offenheit und Großzügigkeit, andererseits die allgegenwärtige Verwendung von Holz bzw. Holzwerkstoffen: Wandbekleidungen aus Lärchenholzlamellen, eine Dachkonstruktion aus Brettschicht- und Lärchenholz sowie Wandoberflächen, Balkone, Aufzugschacht und Haupttreppe aus Grobspanplatten – letztere aus sieben nagelpressverleimten Platten mit je 30 mm. Nicht zuletzt, weil sämtliche Oberflächen ganz offensichtlich brennbar sind, kommt schnell die Frage nach dem Brandschutzkonzept auf. Grundsätzlich gelten das gesamte EG und das Atrium als ein in sich geschlossener Brandabschnitt. Die Abschottung zu den dreigeschossigen Büroflügeln, die zwei weitere Brandabschnitte ausbilden, erfolgt mithilfe einer REI90-Decke zum 1. OG; der 90 minütige Feuerwiderstand wird durch 2 x 20 mm Gipskartonplatten an der Unterseite des Standard-Deckenelements und einer Fassadensprinklerung im Atrium, die zusammen mit auskragenden Balkonen einem Brandüberschlag entgegenwirken, erreicht. Als Rettungswege dienen zwei, außerhalb der brandschutzverglasten Stirnseiten des Atriums liegende Stahl-Treppenhäuser, die über die mittigen Flure der Bürogeschosse erreichbar sind – der Verbindungssteg im Atrium bietet überdies die Möglichkeit, von einem zum anderen Brandabschnitt zu gelangen. Teil des Brandschutzkonzepts ist es auch, dass nicht nur das gesamte UG mit Tiefgarage, Technik-, Lager- und Personalräumen in Stahlbeton errichtet wurde, sondern auch die tragenden Elemente des EGs (Wandscheiben und Stützen). Dadurch reduziert sich die Anzahl der Geschosse mit prinzipiell brennbarem Tragwerk auf drei – optisch ist dies kaum wahrnehmbar, weil lediglich wenige Stützen in der Kantine, im Seminar- und im Verwaltungsbereich nicht mit OSB-Platten bekleidet wurden.

Vielfalt im Raster

Trotz des strikt eingehaltenen Rasters von 11,40 x 2,80 m, das unwillkürlich an schmale lange Industriecontainer denken lässt, erscheinen die aus jeweils insgesamt 5 x 5 Modulen zusammengesetzten Bürogeschosse offen und durchlässig. Erreicht wurde dies zum einen durch die mit Glaswänden voneinander, aber auch zum Flur abgetrennten Büroräume, zum anderen sind Raummodule, wie bereits erwähnt, nur an den Eckpunkten aufgelagert, sodass die Wandelemente – sofern die Gebäudeaussteifung als Ganzes gesichert ist – grundsätzlich völlig frei gestaltet werden können. In diesem Fall ergeben geschlossene Wandflächen, großflächige Verglasungen und breite Kommunikationsflure einen offenen Grundriss, der die Verwirklichung eines zeitgemäßen Bürokonzepts unterstützt. Hierzu trägt auch bei, dass die Maximalabmessungen der OSB4Top-Platten mit einem Grundraster von 71,25 x 70 cm ziemlich genau den ansonsten in der Büroplanung üblichen Rastermaßen entsprechen, so lassen sich am Ende sowohl ein wirtschaftliches Tragwerk als auch ebenso flächeneffiziente wie räumlich vielfältige Grundrisse schaffen.

Dass das in St. Johann realisierte konstruktive Konzept nicht nur in ökologischer, sondern auch in architektonischer Hinsicht wegweisend ist, zeigen die von Bruno Moser und Egger bereits bis ins Detail entwickelte Ideen für »Konzepthäuser« – Wohnhäuser, die innerhalb kürzester Zeit (z. B. als Flüchtlingsunterkunft) errichtet, später demontiert und anderswo wiederaufgebaut werden können. Ein zweigeschossiges Wohnhaus mit insgesamt zwölf Raummodulen und 420 m² BGF lässt sich so innerhalb von wenigen Wochen herstellen und bezugsfertig vor Ort montieren. Die Möglichkeiten der Bauweise mit Holz-Hohlkastenelementen scheinen noch längst nicht erschöpft zu sein.

db, Di., 2016.03.01

01. März 2016 Roland Pawlitschko

Mit Bauch und Hirn

(SUBTITLE) Kinder- und Familienzentrum in Ludwigsburg-Poppenweiler

Auf Klischees kindgerechten Bauens haben die Architekten beim Bau dieses Kinder- und Familienzentrums erfreulicherweise verzichtet. Sie haben sich darauf konzentriert, Klarheit durch reduzierte und abstrahierte Formen zu schaffen. Zum Glück sind sie auch darin nicht zu weit gegangen.

Poppenweiler ist heute zwar ein Stadtteil von Ludwigsburg, bis 1975 war es aber eine selbstständige Gemeinde. Durch Neckar und Felder von der Kernstadt getrennt, hat sich der etwas mehr als 4 000 Einwohner zählende Ortsteil seinen ‧eigenständigen, von Landwirtschaft und Weinbau geprägten Charakter bewahrt. Direkt an die ehemalige Kelter grenzt das Schul- und Freizeitgelände Poppenweilers. Grundschule, Turn- und Schwimmhalle sowie zwei Sportplätze sind dort um ein Familien- und Kinderzentrum erweitert worden. Dazu hat die Stadt ein Wohnhaus aus den frühen 90er Jahren aufgekauft und kleinere Nachbargebäude abgerissen. Für den Umbau des Wohnhauses und den Neubau des Kindergartens ist das junge Büro VON M Architekten aus Stuttgart in einem VOF-Verfahren u. a. jungen Büros ausgewählt worden.

In der Abstraktion liegt die Kraft

Der Entwurf nimmt Elemente des Bestands und der Umgebung auf und entwickelt daraus eine ruhige, abstrahierende Sprache. Der Bestandsbau hatte Loggien, die geschlossen wurden sowie einen vorstehenden Erker mit Balkonen, der bis auf die Ebene der Längswand rückgebaut wurde, auch der Dachüberstand wurde auf ein Minimum reduziert. Der mit einem WDVS und einem sandfarbenen Putz versehene Altbau lässt sich nun nicht mehr ohne Weiteres zeitlich einordnen – man könnte ihn auch für ein deutlich älteres, saniertes Bauernhaus halten. An ihn schließt sich der Neubau des Kindergartens mit 103 Plätzen an, von denen 30 für die Kleinkinderbetreuung reserviert sind. Die Traufkante des Bestands wird übernommen, ansonsten aber unterscheidet sich der Neubau deutlich. Das war auch das erklärte Ziel und einer der Gründe für die Wahl von Holz als Konstruktions- und Fassadenmaterial. Die Gemeinde war einverstanden, gerade für Kindergärten und Kitas ist Holz ein auch von den Bauherren geschätztes Material. Inspiriert wurden die Architekten zudem von den Remisen, Anbauten und Scheunen der Bauernhöfe, wie sie für die Region typisch und im Ort sowie in der unmittelbaren Nachbarschaft zu finden sind. Doch letztlich sei die Entscheidung für Holz aus dem Bauch heraus gefallen, so Dennis Müller, einer der Architekten.

Auch wenn mit den durch die unterschiedliche Dachneigung voneinander getrennten Segmenten auf die Kleinteiligkeit der Umgebung Bezug genommen wird, so hat der Neubau doch nichts von einer sentimentalen Reminiszenz an landwirtschaftliche Gebäude oder ängstlicher Anpassung, sondern formuliert in der Klarheit des (großen) Baukörpervolumens eine eigene Sprache, die das Bild variiert, das wir von der Grundform des Hauses haben. Damit diese Konzeption überzeugt, musste sorgfältig geplant werden. Das Holz ist im Fassadenbereich durchgehend mit einer mit Aluminiumpartikeln versetzten Lasur behandelt, die den Eindruck des natürlich ergrauten Holzes vorwegnimmt, ohne dass die Schattierungen auftreten, die sich ohne diese Lasur unweigerlich ergeben würden. Die vertikale Lattung aus Fichteleisten, offen vor den Fenstern, als Boden-Deckel-Schalung vor den Wänden, wird lediglich im Bereich der Geschossteilung unterbrochen und vereinheitlicht die Straßenfassade. Dass der Kindergarten nach Süden, zur Straße hin geschlossen ist und keine Freiräume angelegt sind, liegt daran, dass die Anwohner direkt gegenüber nicht gestört werden sollten – auch der Eingang wurde deswegen auf die Nordseite gelegt. Man hat sich darauf konzentriert, den Baukörper nach Norden großzügig mit bis zum Boden reichenden festverglasten Fenstern zu öffnen. Öffnungsflügel liegen hinter den auf Lücke gesetzten Fassadenbekleidungen und sind von außen nicht sichtbar. Dank des nach Norden abfallenden Grundstücks kann sich das halb im Erdreich liegende EG, in dem die Kleinkinder betreut werden, ebenerdig an den Außenraum anschließen.

Konstruiert ist der Kindergarten aus vorgefertigten Holzständertafeln in Schottenbauweise, die Ständerkonstruktion aus Fichte ist mit DWD-Platten außen und OSB-Platten innen beplankt. Dach und Geschossdecken wurden aus massivem Brettsperrholz gefertigt. Eine Splittschüttung unter dem Estrich half, die Lärmschutzwerte einzuhalten. In die auf dem Betonfundament montierten Tafeln ließen sich die umfangreichen Technikinstallationen (u. a. für eine kontrollierte Be- und Entlüftung) integrieren. Konstruktionsebene und Technikebene der Tafelelemente verspringen am Schnittpunkt der unterschiedlich geneigten Dachflächen gegeneinander – so konnte die Geometrie der Dächer auch konstruktiv schlüssig bewältigt werden, die Giebelaußenflächen liegen in derselben Ebene. Auch das ein Vorteil des Bauens mit vorgefertigten Holzelementen – ihn zu nutzen bedarf es freilich umso sorgfältigerer Planung, denn Fehler können vor Ort nicht mehr gutgemacht werden.

Lebendig durch Variation

Bis auf die innenliegenden Sanitärbereiche und Schlafkojen im EG, die mit farbig beschichteten Gipskartonplatten bekleidet wurden, sind die Holztafeln mit hell lasierten Dreischichtplatten beplankt. Sie hellen die Räume auf, vor Ort wirken sie glücklicherweise weniger steril, als es auf den Bildern den Anschein hat. Grundsätzlich haben die Architekten nur an wenigen Stellen Farbe eingesetzt: die Lebendigkeit kommt durch die Kinder und die Nutzung, so die Überzeugung. Die helle Lasur mindert die Dominanz der Maserung; aus Kostengründen wurde darauf verzichtet, auf die beste Oberflächenqualität zurückzugreifen. Und tatsächlich liegen die Kosten für den Neubau in einem moderaten Bereich: mit etwa 1750 Euro pro Quadratmeter reine Baukosten ist man innerhalb des vorgegebenen Gesamtbudgets von rund 3,8 Mio. Euro geblieben.

Die Raumaufteilung folgt der Konstruktion, drei Galerien im DG sind untereinander über einen Gang verbunden, Einschnitte im OG sorgen dafür, dass auch in die im Erdreich liegenden Bereiche des EGs ausreichend Licht fällt. Die Fläche der Galerien ist soweit reduziert, dass sie baurechtlich nicht als DG ‧gewertet wird, was den Brandschutz erheblich erleichtert: Fluchtwege in beide Längsrichtungen der untereinander verbundenen Räume erfüllen die Anforderungen ausreichend, die Abbrandraten werden entweder durch die Dimension der Beplankung oder durch die Verwendung von Gipskartonplatten gewährleistet.

Die Verbindung der Räume ist aber auch aus Sicht der Nutzung sinnvoll. Im Kindergarten sind die Räume nicht nach Gruppen, sondern thematisch geordnet – einer ist Lesen und Spielen vorbehalten, die weiteren für Theater und Kunst, Rollenspiel sowie Werken eingerichtet. Ein Musikraum ist im Altbau, in dem sich auch eine Küche und ein Essraum, die Büros und ein getrennt zugänglicher Familienraum befinden. Dieser kann für Besprechungen, kleine Veranstaltungen, Seminare oder auch einfach nur als Treffpunkt genutzt werden. Als Bodenbelag wurde meist graues Linoleum verwendet. Die Möbel und Einbauten sind größtenteils von den Architekten zum Preis von Serienprodukten entworfen worden, einige wurden auch aus den hier zusammengefassten Einrichtungen übernommen. Man mag das z. T. aufgenommene Hausmotiv etwas überstrapaziert finden, allerdings drängt es sich einem vor Ort nicht übermäßig auf.

Das Hausmotiv, das dem Entwurf zugrunde liegt, ist glücklicherweise im Gesamten mehr eine intellektuelle Stütze, als ein sich in den Vordergrund spielendes Element. Das, in Verbindung mit Holzfassaden gerade im ländlichen Kontext schon seit geraumer Zeit überstrapazierte Bild des vermeintlichen Haus-Urtyps ist schließlich nur ein Konstrukt. Es bekommt hier dank der variablen Interpretation eine Lebendigkeit, derer es bedarf, um nicht zum unhinterfragten Klischee zu verkümmern.

db, Di., 2016.03.01

01. März 2016 Christian Holl

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