Editorial

Landläufig gilt Beton als kaltes, totes Material. Architekten und Ingenieure hingegen wissen, dass sie es mit einem sich stets wandelnden Baustoff zu tun haben: Beton schrumpft und reisst, sintert Kalk aus und bildet Kiesnester, nimmt Feuchtigkeit auf und karbonatisiert mit der Zeit. Der Umgang mit diesen Phänomenen reicht vom blossen Gewährenlassen bis hin zur absoluten Kontrolle.

Nichts tun, sanieren oder schützen? Die berühmte Betonfassade des Goetheanums in Dornach hat alles schon erlebt. Die neue Tendenz lautet Tiefenhydrophobieren – eine transparente Schutzschicht lässt das originale Schalungsmuster weiterhin sichtbar.

Risse akzeptieren oder Dehnungen gleich mit ein­planen? Beim Neubau des Sprengel-Museums in Hannover entschieden sich die Planer kon­sequent für Letzteres: Die monolithische Fassade aus ­Sichtbeton wird zweischichtig kon­struiert und gezielt auf­gelagert, damit möglichst keine Risse entstehen.

Bleibt die Frage: Wird Sichtbeton im Hochbau womöglich aus reinem Pragmatismus gewählt? Angeblich hätte sich Rudolf Steiner fürs Goetheanum einen roten ­Verputz gewünscht. Marcel Meili, Markus Peter Architekten hatten für das Sprengel-Museum zunächst eine spiegelnd-­facettierte Glasfas­sade vorgesehen. Letzten Endes kam hier wie dort der lebendige Sicht­beton zum Einsatz – erst dadurch sind diese beiden Bauten so spannend geworden.

Thomas Ekwall

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Die Kunst der kleinen Schritte

11 PANORAMA
Wandrelief in der Masse

14 VITRINE
Aktuelles aus der Baubranche

15 SIA
Swissbau 2016:
«Gangsta-Architekt» macht das Rennen | Standards definieren, Praxiswissen bündeln | Das Haus als Datenpaket

19 VERANSTALTUNGEN

THEMA
20 DIE NARBEN DER BAUGESCHICHTE
Clementine Hegner-van Rooden
Die historische Fassade des Goetheanums erhält eine transparente Schutzschicht.

25 FEST UND VERSCHIEBLICH
Thomas Ekwall
Wie beim Betonrelief des Sprengel-Museums in Hannover Dehnungsrisse im Material vermieden werden.

27 KABINETT DER ABSTRAKTEN
Hubertus Adam
Mit seinem Reliefraster und subtilen Räumen knüpft das Sprengel-Museum an das vielfältige Repertoire der Schweizer Museums­architektur an.

AUSKLANG
6/30 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Die Narben der Baugeschichte

Unverputzte, roh belassene Betonflächen prägen den gestalterischen Ausdruck eines Bauwerks. In die Jahre gekommen und der Witterung ausgesetzt, zeigen sie aber oft Schäden auf: Abgeplatzte Betonüberdeckungen und freigelegte rostende Bewehrungseisen lassen solche Flächen unansehnlich werden. Ihre Instandsetzung ist anspruchsvoll – umso mehr, wenn neben technischen auch denkmalpflegerische Aspekte zu berücksichtigen sind.

Am Goetheanum in Dornach SO ist die neulich abgeschlossene Instandsetzung der 1928 erstellten, kunstvoll geformten Sichtbetonfassade geglückt. Zusammen mit dem Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Solothurn und mit Prof. Dr. Eugen Brühwiler, Konsulent des Bundesamts für Kultur, hat das Planungsbüro Gruner die Gratwanderung zwischen den Anforderungen gemeistert.

Ein Unikat – einzigartig und eigenständig

Das Goetheanum ist das internationale Zentrum der Anthroposophen. Es ist zugleich Verwaltungsgebäude, Sitz und Tagungsort der freien Hochschule für Geis­teswissenschaft. Insbesondere ist es aber auch ein ­Theaterbau (vgl. «Sichtbar geformter Beton», TEC21 44/2004). Neben den Mysterien­dramen Rudolf Steiners – des Begründers der Anthropo­sophie – ist Goethes «Faust» das zentrale Bühnenstück am Goetheanum. Die Uraufführung des ungekürzten «Faust I und II» fand 1938 hier statt. Seither hat das Goetheanum 74 Mal zu den ungekürzten Theateraufführungen eingeladen – die nächste findet an Ostern 2016 statt. Mit ein Grund, um das ins Alter gekommene und instandsetzungsbedürftige Gebäude wieder von seiner schönsten Seite zu zeigen.

Als markantes, plastisch geformtes Bauwerk aus Sichtbeton steht das Goetheanum auf dem westlichen Ende des Dornacher Hügels, direkt an der Kantonsgrenze zum Kanton Basel-Landschaft auf solothurnischem Gebiet. Das Goetheanum wurde von 1925 bis 1928 nach dem Entwurf Steiners gebaut und ersetzte das gleichnamige, aus Holz konstruierte Vorgängergebäude, das in der Neujahrsnacht am 1. Januar 1923 niedergebrannt war. Steiner liess den Bau in der neuartigen «Eisenbetonbauweise» errichten. Ihn überzeugten die Vorteile des Baustoffs bezüglich Feuersicherheit und Kosten. Angetan war er insbesondere von seiner freien Formbarkeit, die er hier konsequent nutzte – so, wie dies weltweit bis heute nur wenige Architekten und Ingenieure tun.

Der Sichtbetonbau erscheint als ein massiver Block mit windschief gekrümmten und gewölbten, monolithisch verwachsenen Wand- und Dachflächen sowie mit scharfkantigen Graten. Details wie in die Fassaden eingelassene, abgekantete Pfeiler, abgeschrägte Fenster­öffnungen und mehrfach geknickte Dachplatten charak­terisieren das Bauwerk, das mit seinen expressiven und plastischen Formen organisch wirkt. Diese Formen soll­ten ein Ausdruck des kreativen und freien Gestaltungsprozesses Steiners sein, der allerdings kurz nach Baubeginn, am 30. März 1925, starb.

Die Schweizer Hermann Ranzenberger und Otto Moser, der Deutsche Ernst Aisen­preis und der Österreicher Albert von Baravalle setzten den Entwurf als ausführende Architekten um; erstere drei waren bereits an der Errichtung des ersten Goetheanums beteiligt gewesen. Für die Tragkonstruktion aus Eisenbeton war das Basler Ingenieurbüro Leup­recht & Ebbell verantwortlich. Die aufwendigen Schalungen erstellte die Schreinerei des Anthroposophen-Zentrums unter der Leitung von Heinrich Liedvogel, einem gelernten Zimmermann mit Schiffbauerfahrung. Sie stellen in sich eine aussergewöhnliche Bauleistung dar.

Die aus der Schalung hervorgegangene Brettstruktur der Betonflächen ist entsprechend wertvoll und trägt massgeblich zum Meisterwerk bei. Die einzigartige Formgebung und die frühe Anwendung des Sichtbetons machen das Goetheanum zu einer der Pio­nierleistungen der frühen Betonbauweise weltweit. Es steht unter Denkmalschutz und bildet zusammen mit den stilis­tisch ähnlichen Wohn- und Zweckbauten in der näheren Umgebung ein Ensemble. Dieses zählt zu den Kulturgütern von nationaler Bedeutung im Kanton Solothurn.

Massiv und doch filigran

Der Sockelunterbau mit einer Grundfläche von 3200 m² erstreckt sich in Ost-West-Richtung über 90 m und in Nord-Süd-Richtung über 85 m. Der Oberbau ist 72 m lang und 64 m breit, er ragt 37 m in die Höhe. Der umbaute Raum beträgt 110 000 m³, wobei 15 000 m³ Beton mit 990 t Stahlbewehrung verbaut wurden. Dennoch ist die Massivität nur vorgetäuscht. Vielmehr besteht das Bauwerk aus einer filigranen, ungedämmten Betonrippenkonstruktion (einzelne Räume wurden von innen nachgedämmt). Eisenbetonstützen und -träger sind in grossen Bereichen mit nur etwa 8 cm dicken Betonscheiben aus­gefacht. Einzig die Erdgeschosswände beim Westeingang weisen eine durchgehende Stärke von 50 cm auf.

Die sichtbaren massiven Säulen sind teilweise nicht einmal tragend, sondern erheben einzig den Anspruch, das Gebäude «zu erden», wie etwa die wuchtigen Stützen im zentralen Theatersaal. Über der abgehängten Saaldecke befindet sich ein Hohlraum, der bis zu 7 m hoch wird. Fachwerkbinder aus Eisenbeton tragen das Dach und führen die Lasten zu den Aussenwänden.

Zustandsentwicklung und bisherige Erhaltungsmassnahmen

Trotz ihrer Filigranität ist die Tragkonstruktion, die zugleich Hülle ist, äusserst dauerhaft. Während der ersten 50 Jahre Nutzungsdauer kam die Sichtbeton­fassade ohne Erhaltungsmassnahmen aus. Erste kleinflächige Reparaturarbeiten an der Dachauskragung im Nordwesten und an Teilen der Westfassade wurden 1972 vorgenommen. Im Zeitraum von 1984 bis 1988 reprofilierte man die Brüstung des Terrassengeschosses im Süden und Südwesten. Das Sockelgeschoss wurde gestrichen, wobei das Ergebnis visuell bis heute nicht zu überzeugen vermag.

Der Frischbeton aus den 1920er-Jahren wurde mit relativ viel Wasser hergestellt und durch Stampfen verdichtet. Die so erhöhte Porosität begünstigte die Karbonatisierung. In den 1980er-Jahren liess die Bauherrschaft die Eindringtiefen der Karbonatisierung messen (vgl. Kasten am Ende des Artikels). Es stellte sich heraus, dass bei 90 % der untersuchten Fläche die Eindringtiefe 30 mm und mehr betrug, womit die äussere Eisenlage im karbonatisierten Beton lag. Man ging davon aus, dass diese Bewehrung bei genügender Feuchtigkeit korrodieren würde. Es bestand also Handlungsbedarf.

Von 1993 bis 1996 liess die Bauherrschaft deshalb tief greifende und flächendeckende Massnahmen ausführen. Wandflächen der Fassaden des rückwärtigen Bühnentrakts (Nordostseite, Ostseite und Südostseite) wurden bis zu 4 cm tief abgetragen, um danach neuen Beton von 7 cm Stärke vorzubetonieren. In die Schalung setzte man Silikonmatrizen mit Kopie der originalen Betontextur ein, die die ursprüngliche Oberflächenbeschaffenheit imitieren sollte – ein radikales Verfahren, das jedoch damals üblich war und von der Denkmalpflege unterstützt wurde.

Die aus bautechnischer Sicht qualitativ einwandfreie Umsetzung führte aber zu einem Ergebnis, das aus formalen Gründen nicht überzeugt. Die Stösse der einzelnen Matrizen und ­Schalbretter zeichnen sich zu stark an der Oberfläche ab und wirken gegenüber der ursprünglichen Beschaffenheit fremd und störend. Es entstand eine neuzeitliche Textur, die nicht mehr an die Bauzeit der 1920er-Jahre erinnert. Aus heutiger Sicht war diese kostenintensive «Beton­sanierung» unverhältnismässig.

Auch weitere Instandsetzungsmassnahmen von geringem Ausmass im Jahr 2000 blieben ästhetisch unzureichend. Spritzbeton ersetzte den karbonatisierten Beton, wobei man eine rekonstruierte Holzschalung verwendete und die Oberfläche stockte. Versuchsflächen mit filmbildenden Oberflächenschutzsystemen wurden angelegt. Erst mit den Hydrophobierungsversuchen in den Jahren 2000, 2005 und 2008 zeichnete sich eine geeignete Methode für den Schutz des Sichtbetons ab.

Erhaltung der originalen Substanz

2013 fragte die Denkmalpflege des Kantons Solothurn Eugen Brühwiler als Bundesexperten an, den aktuellen Zustand der Gebäudehülle nochmals zu beurteilen. Neue Instandsetzungsarbeiten sollten die Dauerhaftigkeit gewährleisten und den ursprünglichen Ausdruck der noch originalen Bausubstanz erhalten. Die Kosten für die Arbeiten sollten für die Bauherrschaft auch inklusive der finanziellen Unterstützung von kantonaler und eidgenössischer Denkmalpflege verhältnismässig ausfallen.

«Die Fragestellung lautete, ob und wie die noch originalen Sichtbetonflächen mit einem geeigneten zerstörungsfreien Verfahren instandgesetzt und geschützt werden konnten», so Brühwiler. «Wichtig war dabei, dass das originale Erscheinungsbild so weit wie ­möglich bestehen bleibt und künftig notwendige Instand­setzungen anwendbar bleiben.»

Die äussere Erscheinung des Sichtbetons war bis auf wenige Stellen, wo der Überdeckungsbeton abgeplatzt war, in gutem Zustand; auch die bis dahin nicht behandelten Sichtbetonflächen. Abgesehen davon, dass sich die Eisenbewehrung weitgehend im karbonatisierten Beton befindet, waren keine anderen Schädigungsmechanismen wie zum Beispiel infolge einer Alkali-­Aggregat-Reaktion, durch Chloride oder Frost sichtbar. Dennoch war es wichtig, da kosteneffizient und vorausschauend, umgehend Erhaltungsmassnahmen für den Sichtbeton vorzusehen.

Es genügte ein sanftes Verfahren. Brühwiler empfahl, einerseits einzelne, lokale Betoninstandsetzungen der Zonen mit sichtbaren Korrosionsschäden auszuführen und andererseits die gesamten Sichtbetonflächen mit einer Tiefenhydrophobierung zu behandeln (vgl. Kasten am Ende des Artikels). Deren Wirkstoffe stossen in den Beton eindringendes Wasser ab und halten so die Betonfeuchtigkeit tief, was die Korrosion stark eindämmt. Zudem ist die Tiefen­hydrophobierung nicht filmbildend, sodass eine allfällig ­vorhandene hohe ­Betonfeuchtigkeit nach aussen austrocknen kann.

Es war nicht erforderlich, den oberflächennahen karbonatisierten Beton vollflächig zu ersetzen. Die bestehende Oberfläche konnte in Textur und Farbe weitestmöglich erhalten und geschützt werden. Die Evaluation dieser Arbeit war wenig aufwendig. Der Auftrag auf den vorab schonend gereinigten Betonoberflächen sollte nicht glänzen und die Eindringtiefe im Standardbeton mindestens 10 mm betragen. Dafür wurden vorab Proben genommen und verschiedene ausführende Fachfirmen beigezogen.

Aufwendiger waren die Vorversuche, die das Instandsetzungsverfahren präzisieren sollten. Das eingesetzte Material sollte sich hinsichtlich Farbgebung an die vorliegende helle, aber auch stark variierende Oberfläche angleichen. Standardmässige Reprofiliermörtel haben den Nachteil, dass sie häufig zu dunkel sind und Kunststoffzusätze enthalten, die in diesem Fall nicht eingesetzt werden durften. Auch die Haft­brücken für die Reprofilierungen sollten nicht aus kunststoffmodifiziertem Material bestehen, sondern aus Zementmilch (Bojacke).

Im Archiv über die Baugeschichte des Goetheanums befand sich ein Beschrieb der ursprünglichen Betonmischung: Die Rezeptur aus dem Jahr 1924 bestand aus 750 kg Kies und Sand pro 100 kg Zement. Dieser Zement wurde vermutlich aus einem mittlerweile geschlossenen Werk in Münchenstein bezogen, das das Ausgangsmaterial aus dem nahe gelegenen Kalk­steinbruch bezogen hatte. Versuche am Altbeton zeigten Mittlerwerte der Druckfestigkeit von 47.3 N/mm2, des E-Moduls von 23 000 N/mm2 und der Haftzugfestigkeit von 2.8 N/mm2.

Aufgrund dieser Nachforschungen und Testergebnisse wurden Betonrezepturen erstellt und vor Ort bemustert – ein Findungsprozess, der beinahe ein halbes Jahr in Anspruch nahm. Ab März 2014 erstellte der Bauunternehmer schliesslich das Fassadengerüst für die ebenfalls notwendigen Instandsetzungsarbeiten am Dach. Darauf abgestimmt erfolgten die Arbeiten an den West- und Südfassaden Ende 2014 sowie der Nord- und Ostfassaden im 2015.

«Lebendige» Betonfassade

Die Stellen der neuesten lokalen Betoninstandsetzungen sind heute vor allem in der Südfassade zu erkennen. Die Reprofilierungen heben sich vom Altbeton ab, weil dieser bewusst nicht abrasiv gereinigt wurde und deshalb im Unterschied zu den Reprofilierungen dunkle Verschmutzungen aufweist.

Martin Zweifel vom Baubüro des Goetheanums, somit Vertreter der Bauherrschaft, meint pragmatisch: «Die Dringlichkeit der Instandsetzungsmassnahmen war gegeben, und wir haben nach bestem Gewissen den Stand der Technik von heute angewendet.» Eine Erhaltung und Instandsetzung basiere auf immer wieder neuen Technologien. Offensichtlich sei es schwierig, ein perfektes Abbild der historischen Betonsubstanz anzufertigen. «Aber», so Zweifel weiter, «ich gehe ohnehin davon aus, dass Steiner das Goetheanum dunkelrot verputzt hätte. Allerdings habe ich dafür nur Indizien, ich kann es noch nicht beweisen.»

Nach dem Tod Steiners lag die Ausführung bei den Architekten und Mitarbeitern des Baubüros, die bemüht waren, seine Intentionen minuziös umzusetzen. Ob der Sichtbeton tatsächlich Steiners Absicht war oder ob er aus dem Bauprozess und den knappen finanziellen Mitteln heraus entstand, lässt sich bis heute nicht belegen. Womöglich ging der damals auf einer Betonfassade übliche Verputz vergessen, zumal der Sichtbeton einfach Gefallen fand? Zweifel, der sich des Denkmalwerts bewusst ist, betont indes, «dass dieser Gedanke die Sorgfaltspflicht der Instandsetzungsarbeiten keineswegs schmälern soll».

Auch die zurückhaltenden Bedenken, die der Projektleiter der Gruner-Gruppe, Roland Marty, äusserte, sollen nicht über die gelungene Instandsetzung hinwegtäuschen: «Ich hatte mir erhofft, noch näher an die bestehende Farbgebung zu gelangen. Denn wir ermittelten die Betonrezeptur für die Reprofilierung in einem langwierigen und aufwendigen Prozess, und die Versuche und die Bemusterungen waren grundsätzlich vielversprechend.» Dennoch sehen die bearbeiteten Stellen mit den «Schnäuzen», der Holzbrettstruktur der Schalung und den Lunkern ähnlich aus wie die bestehenden Flächen. Die lokalen helleren Flächen werden zudem aufgrund der Luftverschmutzung mit der Zeit nachdunkeln.

Eine Anforderung, die lokalen Betoninstandsetzungen unsichtbar zu halten, wäre aus technischer Sicht ohnehin nicht oder kaum realisierbar. Farbe und Oberflächenbeschaffenheit des Sichtbetons variieren infolge seines Herstellungsprozesses und der unterschiedlichen Exposition gegenüber Umwelteinflüssen. Dies ist ein positiver Charakterzug des Betons, der gegenwärtig nur allzu oft verschmäht wird und den man häufig durch ein monotones, nicht materialgerechtes Erscheinungsbild ersetzt haben möchte.

Die Variation führt dazu, dass die Sichtbetonfassaden «leben», ganz im Gegensatz zur komplett ersetzten «leblosen» Fassade, die vor 20 Jahren «saniert» wurde. Ein Aspekt, den es gerade bei diesem Bauwerk hoch zu gewichten gilt. Brühwiler betont denn auch: «Die lokalen Betoninstandsetzungen sind ‹Narben› auf der origi­nalen Bausubstanz, die durchaus diskret sicht- und erkennbar sein sollen. Sie lassen die Baugeschichte und das Alter des Bauwerks ablesen.»


[Die Gesellschaft für Ingenieurbaukunst veranstaltet im Herbst 2016 eine Exkursion zum Goetheanum. Details auf www.ingbaukunst.ch]


Karbonatisierung

Durch den Kontakt mit dem Kohlendioxid aus der Luft und durch die Einwirkung von Feuchtigkeit karbonatisiert der oberflächennahe Beton. Anders ­ausgedrückt: Das Kalziumhydroxid im ­Porenwasser des Betons wird chemisch in Kalkstein umgewandelt. Erreicht die Karbonatisierungsfront den Bewehrungsstahl, so verliert dieser seinen Schutzfilm, der im basischen Milieu des Porenwassers des (nicht karbonatisierten) Betons stabil ist und den Bewehrungsstahl vor Korrosion schützt.

Dass sich der Bewehrungsstahl in karbonatisiertem Beton befindet, ist allein noch keine hinreichende Bedingung, damit der Stahl zu korrodieren beginnt. Es muss Sauerstoff vorhanden sein – was praktisch immer der Fall ist –, und im Beton muss eine gewisse Feuchtigkeit vorherrschen. Bei einer relativen Betonfeuchtigkeit zwischen 85 und 95 % läuft die Bewehrungskorrosion schneller ab als bei einer solchen von 60 bis 80 %; bei weniger als 60 % findet praktisch keine Bewehrungskorrosion mehr statt.

Die Feuchtigkeit im Beton ist somit der wesentliche Parameter, der je nach Exposition des Bauteils variabel ist. Diese Erkenntnis ist bei der Beurteilung des Korrosionsrisikos und der Wahl der Instandsetzungsmethode entscheidend.

Tiefen­hydrophobierung

Die Tiefenhydrophobierung oder hydrophobierende Imprägnierung ist eine technische Oberflächenbehandlung von Sichtbeton, um die kapillare Aufnahme von Wasser und aggressiven Lösungen zu unterbinden. Sie funktioniert rein physikalisch: Die Wasser abstossenden (hydrophobierenden) Wirkstoffe treten infolge Kapillarwirkung in den Beton ein und lagern sich an den Porenflächen an. Dabei erfolgt keine chemische Re­aktion mit dem Zementstein oder den Zuschlagstoffen. Es handelt sich also um eine Wasser abweisende Imprägnierung des mineralischen Baustoffs Beton.

Die Betonfeuchtigkeit wird reduziert und der elektrische Widerstand erhöht, womit eine Korrosionsaktivität gebremst oder gestoppt wird. Die Dauer der Wirksamkeit einer Tiefenhydrophobierung hängt von der Eindringtiefe und -menge in die oberflächennahe Betonschicht ab, denn die Wirkstoffe werden vor allem durch die UV-Strahlen des Sonnenlichts zersetzt. Ab einer Tiefe von etwa 1 mm sind die Wirkstoffe vor den UV-Strahlen geschützt.

Eine genügende Konzentration bei gegebener Eindringtiefe ist die massgebende Kenngrösse einer Tiefenhydrophobierung. Die heutigen Produkte mit Molekülgrössen im Nanobereich können Eindringtiefen von 4 bis 6 mm ohne Weiteres erreichen und damit auch in der Ausschreibung gefordert werden. In einem solchen Fall hält die hydrophobierende Wirkung wahrscheinlich mehr als 25 Jahre lang an.

Die Qualität einer Tiefenhydrophobierung wird am Bauwerk zerstörungsfrei anhand von Wassereindringversuchen und im Labor anhand von Aufsaugversuchen an Bohrkernen bestimmt. Die Bauunternehmung muss die Imprägnierung nötigenfalls weitere Male applizieren, bis die geforderte Eindringtiefe und Konzentration der Wirkstoffe und damit die Schutzwirkung erreicht sind.

Unter den Bezeichnungen «hydrophobierende Imprägnierung» und «Tiefenhydrophobierung» gibt es verschiedene Produkte auf dem Markt, deren Eignung am konkreten Bauwerk mittels Eignungsprüfungen nachgewiesen werden muss. Angaben und Zertifikate der Produktelieferanten allein genügen nicht, da der jeweils zu behandelnde Beton einen Einfluss auf das Ergebnis hat. Produkte, die an der Oberfläche zu einer Glanzbildung führen, sind zu vermeiden.

TEC21, Sa., 2016.01.30

30. Januar 2016 Clementine Hegner-van Rooden

Fest und verschieblich

Die Hauptfront des Sprengel-Museums in Hannover ist eine 75 m lange, monolithische Vorhangfassade. Die Ingenieure von Drewes + Speth konstruierten den Sichtbeton möglichst zwängungsarm – ein Balanceakt, der einzig in der Fuge der Südfassade sichtbaren Ausdruck !ndet.

Die Museumserweiterung von Marcel Meili, Markus Peter Architekten Zürich setzt mit ihrer Aussenhaut einen archi­tektonischen Kontrapunkt zu den postmodernen Vorgängerbauten (zur Architektur vgl. «Kabinett der Abstrakten»). Schon auf den ersten Blick hinterlässt die Hauptfassade einen besonderen Eindruck: Die feingliedrige und zugleich wuchtig wirkende Wandscheibe kragt über einem zurückversetzten, verglasten Erdgeschoss aus. Dieser Eindruck bestätigt sich auch statisch, denn die Wand wird an ihrem oberen Rand konsolenartig gefaltet, um ihre Lasten in die Querwände der Ausstellungsräume einzuleiten.

Diese Querwände bilden zusammen mit den übrigen Wänden und den Geschossdecken ein räumliches statisches System, das die Anforderungen grosser Spannweiten und des dreiseitig um bis zu 4 m überhängenden Ausstellungs­geschosses effizient erfüllt. Die umlaufende Sichtbeton­fassa­de aus anthrazitgefärbtem Beton weist fünf unterschiedliche Wanddicken von 25 bis 49 cm auf, die die reliefartigen Vor- und Rücksprünge erzeugen. Verschiedene Nach­bearbeitungstechniken kamen bei der grössten Wandstärke zum Einsatz: Hier wurde die Oberfläche geschliffen und poliert. In den übrigen Bereichen, wo die Schalung mit Schalungstafeln ausgeführt worden war, blieb die Oberfläche roh belassen.

Da die Fassade der Witterung ausgesetzt ist, wird die Zeit nicht spurlos an ihr vorübergehen, doch dank sorgfältig ausgebildeten Details – etwa den minimal geneigten waagrechten Flächen, den ausgerundeten konkaven Kanten zur Begrenzung von Kerbspannungen oder der keilförmigen Tropfkante – könnte eine edle Patina daraus entstehen.

Ein- oder zweischalig

Bis zur Ausschreibung der Baumeisterarbeiten entwickelten die Architekten und Ingenieure mögliche Kon­struktionsprinzipien: Eine einschalige, innengedämmte Sichtbetonfassade wäre bei gleitender Lagerung ohne Dilatationsfugen ausgekommen, eine attraktive Lösung. Eine monolithische einschalige Konstruktion aus Dämmbeton kam nicht in Betracht, da beim Schleifen und Polieren die Zuschlagstoffe ungünstig freigelegt worden wären. Schliesslich wurde eine wirtschaftlichere, dafür konstruktiv anspruchsvollere Lösung mit einer zweischaligen, kerngedämmten Betonfassade realisiert.

Die Kunst dieser Konstruktion bestand darin, die Fassade zu halten und zugleich die Bewegungen, die die Sichtschale gegenüber der Innenschale infolge von Temperatureinwirkung und Betonschwinden vollzieht, möglichst zwängungsfrei zuzulassen. So ist die Fassade bis auf einen mittigen Fixpunkt in Gebäudelängsrichtung frei verschieblich gelagert. Die Eigenlast wird punktuell über Elastomergleitlager in die Primär­kon­struktion übertragen. Für die Sogverankerung entwickelten die Ingenieure Einbauteile aus nichtrostendem Stahl, die Zugkräfte senkrecht zur Fassadenebene auf­nehmen können und im Übrigen frei beweglich sind.

Vorhangfassade aus einem Guss

Bei der gewählten Konstruktion treten rechnerisch an den Enden der Längsfassade Verschiebungen von bis zu 27 mm auf, die sich je nach Jahreszeit in unterschiedli­cher Richtung ergeben. Die gut 24 m langen Stirnseiten sind einschalig konstruiert und in den Längsfassaden aufgehängt, somit können sie der Dehnung der Längsfassaden zwanglos folgen. Die Südfassade wurde mit besonderen Dilatationsfugen ausgebildet, die zugleich Zwangsbeanspruchungen ausschliessen und bestimmte Kraftwirkungen ermöglichen (vgl. Skizze). Der Verlauf der Fuge folgt im Einklang mit dem Fassadenrelief und den statischen Erfordernissen der Figur einer überdimensionalen Nut- und Federverbindung (vgl. Abb.).

«Zu Anfang haben wir uns ganz für die einschalige Konstruktion eingesetzt, da sie dem Grundgedanken in höchster Klarheit entsprochen und die unvermeidlichen Zwangskräfte auf ein Minimum begrenzt hätte», meint Martin Speth vom Ingenieurbüro Drewes Speth. «Doch der wesentliche Vorteil der gewählten zweischaligen Bauweise war die weitgehend unabhängige Ausführung des Innenausbaus und der Relieffassade, die nach der Erstellung der Innenschalen mit wirtschaftlicher Systemschalung parallel zueinander erfolgen konnte.»

Aus der Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur entstand eine Fassade, die schlicht und ruhig erscheint, zugleich aber die Schwere des Betons mit der Empfindlichkeit einer Glasfassade vereint.

TEC21, Sa., 2016.01.30

30. Januar 2016 Thomas Ekwall

Kabinett der Abstrakten

Den dritten Bauabschnitt des Sprengel-Museums entwarfen Marcel Meili, Markus Peter Architekten als Erweiterung und Gegenpol des postmodernen Bestandsbaus. Mit ihrem ornamentalen Relief und subtilen Räumen knüpfen sie an ein vielfältiges Repertoire der Schweizer Architektur an.

Für den dritten Bauabschnitt des Sprengel-Museums wurde 2009/2010 ein Wettbewerb im selektiven Verfahren ausgelobt. Von den 65 eingeladenen Teams konnte das Büro Marcel Meili, Markus Peter aus Zürich den Zuschlag der Jury unter dem Vorsitz von Adolf Krischanitz für sich verbuchen. Doch so sehr das Zusammenspiel von Alt- und Neubau und die innere Organisation überzeugt hatten: Das Preisgericht äus­serte ästhetische und ­finanzielle Bedenken angesichts der ursprünglich vorgesehenen spiegelnd-facettierten Fassade.

Im Verlauf des Jahres 2012 konkretisierte sich die endgültige Gestalt des Erweiterungsbaus, nunmehr als über einem zurückgesetzten und verglasten Sockelgeschoss auskragende und durch einen Reliefraster strukturierte Box aus Sichtbeton (vgl. «Fest und verschieblich»). Auf überzeugende Weise knüpfen Marcel Meili und Markus Peter – es handelt sich um ihren ersten Museums­bau – an die Tradition der Schweizer Museums­archi­tektur der 1990er-Jahre, die damals nicht zuletzt einen bewussten Kontrapunkt zu den postmodernen Museen in Deutschland darstellte.

Postmoderne Vorgängerbauten

Während 1992 für die neue schweizerische Museumsarchitektur ein Schlüsseljahr darstellt – eröffnet wurden das Kirchner-Museum in Davos von Gigon/Guyer, die Sammlung Goetz von Herzog & de Meuron in München und die Stiftung La Congiunta in Giornico von Peter Märkli –, setzte der Boom der deutschen Museums­architektur eine Dekade früher ein. 1982 wurde Hans Holleins Museum Abteiberg in Mönchengladbach fertig­gestellt, 1984 Oswald Mathias Ungers’ Deutsches Ar­chi­tekturmuseum in Frankfurt sowie James Stirlings Erweiterung der Stuttgarter Staatsgalerie, 1986 das Museum Ludwig von Busmann & Haberer in Köln.

Den Bauten der 1980er-Jahre, die für den Sieges­zug der Postmoderne in Deutschland stehen, gingen vereinzelte Vorläufer voraus, darunter als wichtigster der 1974 eröffnete erste Bauabschnitt des Sprengel-Museums in Hannover. Bernhard Sprengel, Erbe des ortsansässigen Schokoladenkonzerns, hatte der Stadt Hannover seine auf die klassische Moderne konzentrierte Kunstsammlung geschenkt – unter der Bedingung, dass die Stadt ein neues Museum errichte.

Dafür wurde ein exponiertes Grundstück an der Nordost­ecke des Maschsees gewählt, eines im Rahmen von Arbeits­beschaffungsprogrammen 1934/1935 zu Beginn der Nazi-Diktatur angelegten künstlichen Sees, der eine der wichtigsten Freizeitattraktionen den Stadt darstellt. Während heutige Sammler gern auf die auto­nome Präsentation ihrer Kollektionen drängen, gelang es in Hannover, die exquisite Sprengel-Sammlung mit den das 20. Jahrhundert betreffenden Kunstsammlungen der Stadt und des Lands Niedersachsen zu vereinen.

Ein Museum, drei Bauabschnitte

Als Resultat eines internationalen Wettbewerbs im Jahr 1972, an dem sich auch eine Reihe Schweizer Architekten wie Otto Glaus, Theo Hotz oder André Studer beteiligte, erhielt die Arbeitsgemeinschaft von Peter und Ursula Trint und Dieter Quast den Zuschlag. Das «Kunstmuseum Hannover mit Sammlung Sprengel» wurde 1984 anlässlich des 85. Geburtstags des Mäzens in «Sprengel-Museum» umbenannt.

Mit der Verschmelzung von Innen und Aussen ist der Museumsbau eher ein Produkt der 1970er-Jahre als ein Vertreter der Postmoderne: Das Pflaster des Vorplatzes zieht sich den Hügel hinauf bis hin zum Foyer, erstreckt sich in den Skulpturenhof und findet seine Fortsetzung in der tief gelegenen Museumsstrasse, die als eigentliche Erschliessungsachse des Museums fungiert. Sie verbindet die verschiedenen Ausstellungsbereiche und schafft Orientierung in einer labyrinthisch an­mu­tenden Raumstruktur.

Die weitgehend künstlich belichteten Säle und Ka­binette, zum Teil mit Teppichboden ausgelegt, wurden 1989–1992 in einem zweiten Bauabschnitt ergänzt durch eine Sequenz von Oberlichtsälen und ein unter­irdisches Auditorium. Der 2015 fertiggestellte dritte Abschnitt war schon im ursprünglichen Wett­bewerb von 1972 vorgesehen.

Box für die Konstruktivisten

Als die Fassadengerüste des Neubaus wegfielen, stiess die Optik der Erweiterung zunächst auf Ablehnung, wie Leserbriefe in der Lokalzeitung belegen. Sichtbeton hat in Deutschland ein negativeres Image als in der Schweiz, der dunkle Farbton tat ein Übriges dazu, dass das Verdikt vom «Sarkophag» oder «Brikett» aufkam. Dabei erdet ja der dunkle Farbton das Gebäude und lässt die Längsfassade mit ihren 75 m kürzer erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist. Das durch dreierlei Wandstärken erzeugte Fassadenrelief besteht aus sich überlagernden bandartigen Strukturen. Vertikale und horizontale Elemente sind zu einer umlaufenden Textur zusammen­geführt; diese rhythmisiert die Oberfläche, gliedert sie in silbrig schimmernde und verschattete Flächen und öffnet ein vielfältiges Referenzspektrum.

Fassadenreliefs gehören zum klassischen Repertoire der Baugeschichte und finden sich in verschiedener Gestalt über Jahrtausende in diversen Kulturen. Das Relief in Hannover zeichnet sich dadurch aus, dass es weder die Tektonik noch den Kräfteverlauf zum Ausdruck bringt, sondern als freies Spiel orthogonaler Elemente verstanden werden kann. In diesem Sinn handelt es sich um ein Ornament ohne semantische Dimension, im Geist des gleichwohl viel strengeren Reliefs an der Brandwand der Schweizerischen Botschaft in Berlin von Helmut Federle.

Das Relief könnte aber auch als Hommage an den Konstruktivismus der 1920er-Jahre interpretiert werden, der im Sprengel-Museum stark vertreten ist. Eines der grandiosen Werke ist die Rekonstruktion von El Lissitzkys «Kabinett der Abstrakten», einem kon­struktivistischen, durch die Besucher zu verän­dern­den Museumsraum. (Das Originalwerk wurde 1928 im Provinzialmuseum, dem heutigen Niedersächsischen Landesmuseum, eröffnet und 1937 im Rahmen der von den Nationalsozialisten initiierten «Entartete Kunst»-­Aktion zerstört.)

«Das Kunstmuseum, das ich mir erträume»

Der Neubau überzeugt als Endpunkt und intelligent balancierter Gegenpol zum Bestandsbau von Trint/Quast. An diesen anzuschliessen stellte die eigentliche Herausforderung dar. Eine Böschung aus Pflaster­­steinen am Maschseeufer bildet den fortifikatorisch anmutenden Sockel, der für die reliefierte Box nun wie eine Fermate wirkt. Innen verzahnt ein grosser geschossübergreifender Saal, in dem ein Mobile von Calder aufgehängt werden soll, Alt- und Neubau.

Mit zusätzlichen 1400 m² ist die Gesamtausstellungsfläche des Museums auf 7000 m² gewachsen. Während sich Werkstätten und Archive in den beiden Sockelgeschossen befinden, besteht die Hauptebene aus zehn «tanzenden Räumen» – ein seit dem Wettbewerbs­entwurf unverändertes Konzept von Marcel Meili, Markus Peter für die Ausstellungsflächen. Die einzelnen Säle variieren in ihren Proportionen, sie wechseln hinsichtlich ihrer Grundrissfläche, Ausrichtung und Raumhöhe und werden stets über die Diagonale erschlossen.

Die Apparaturen hinter den Lichtdecken erlauben es, natürliches und künstliches Licht zu mischen, wobei die «Störung» durch temporäre Wolken nicht herausgefiltert wird, um den Eindruck steriler ­Artifizialität zu vermeiden. Graue Terrazzoböden, weis­se Wände und Lichtdecken tragen zum räumlichen Kontinuum der Säle bei, die jedoch aufgrund der wechselnden Gestalt jeweils ihre Eigenart besitzen und behalten. All die Unterschiede werden beim flüchtigen Besuch vielleicht gar nicht augenscheinlich und offensichtlich, aber sie beleben die Raumstruktur auf subtile Art.

Bereits mit dem Kirchner-Museum in Davos und später mit dem Museum Liner Appenzell knüpften Gigon/Guyer an die Postulate von Rémi Zaugg an, die er 1987 in «Das Kunstmuseum, das ich mir erträume, oder: Der Ort des Werkes und des Menschen» formulierte. Viele seiner Gedanken haben nun in Hannover Widerhall gefunden: Auch Marcel Meili, Markus Peter setzen auf klare, zur Konzentration einladende Säle mit Lichtdecken und weissen Wänden; auch sie vermeiden Enfiladen und Erschliessungen in der Mitte der Wände; und schliesslich öffnen auch sie das Museum visuell nach aussen, um den Ort der Kunst mit dem alltäglichen Leben zu verbinden.

An drei Stellen unterbrechen Loggien den Rundgang: Die Aussenhaut ist hier taschenartig nach innen gezogen, sodass die mit grossen Scheiben und Sitzgelegenheiten versehenen Räume auch atmosphärisch eher dem Aussenraum als dem Kunstparcours zuzuordnen sind.

Von den Stirnseiten, aber auch von der Mitte der Längsseite aus fällt der Blick auf den Maschsee mit seinen Spaziergängern und Segelbooten. Kunst und Alltag miteinander in Beziehung zu setzen war schon der Wunsch von Trint/Quast; es ist spannend und aufschlussreich festzustellen, zu welcher anderen architektonischen Lösung Marcel Meili und Markus Peter aus heutiger Perspektive gelangt sind.

TEC21, Sa., 2016.01.30

30. Januar 2016 Hubertus Adam

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