Editorial

So unterschiedlich wie die Erwartungen der Gäste fallen auch die Konzepte der Beherbergungsbetriebe aus. Während kleine Pensionen im ländlichen Raum eher den familiären und beständigen Charakter eines »Zuhauses« pflegen, bewegen sich viele Hotels in Großstädten ganz auf der Höhe des jeweiligen Zeitgeists. Einige versuchen, sich als veritable »Erlebnis-Adressen« zu positionieren, indem sie durch ausgefallenes, vielleicht sogar aufsehenerregendes Design punkten. Es geht beim Bau von Hotels aber nicht nur darum, eine auf die Zielgruppe zugeschnittene Gestaltung zu finden. Hotelkonzepte können jenseits perfekt abgestimmter Dienstleistungen durchaus auch einen Beitrag zur Identität ihres jeweiligen Standorts leisten – sei es durch die Reflexion urbaner Kultur in der Metropole, durch die Belebung vernachlässigter Quartiere in Randbezirken oder gar durch den Erhalt historischer Bausubstanz in abgelegenen Dörfern. Wir stellen Hotelkonzepte vor, die über die Umsetzung aktueller Gestaltungstrends hinausreichen – von Low Budget bis Luxus. | Achim Geissinger

Komfort unter der Tarnkappe

(SUBTITLE) Dorfhotel »Montagne Alternative« in Commeire (CH)

Um das dörfliche Ensemble erhalten zu können, wurden einige der Gebäude zu Gästeunterkünften umgebaut. Von außen sind die Eingriffe kaum wahrnehmbar, die Innenräume leben vom Kontrast zwischen den geradlinigen Holzeinbauten und den Unvollkommenheiten der historischen Bausubstanz. Das Hotelkonzept verdankt seinen Erfolg dem Gegensatz zwischen dörflicher Kleinteiligkeit und durchaus städtischem Luxus.

Das Bergdorf Commeire, das mit seinen 30 Alphäusern aus Lärchenholz hoch über der Straße zum Großen Sankt Bernhard liegt, hatte über viele Jahre den Zeitläuften getrotzt und sich dem allgemeinen Streben nach Komfort verweigert. Zu Beginn der nuller Jahre war Commeire im Großen und Ganzen von seinen früheren Einwohnern verlassen.

Als zwei belgische Unternehmer die Vision unterbreiteten, hier Gästehäuser einzurichten, erschien das allen als unglaubhaft. Sowohl den bisherigen Eigentümern, die die ersten der Scheunen für jeweils 25 000 CHF abtraten, als auch der Gemeinde Orsières, die in dem Weiler kein Entwicklungspotenzial sah. Auch die Banken zögerten, ein derart abwegiges Projekt zu finanzieren.

Der Hotelbetrieb »Montagne Alternative« (»Alternative Berge«) bietet hier mittlerweile um die 30 Betten an, wofür acht Scheunen umgebaut und drei weitere Gebäude hierher transloziert wurden. Nach den Worten des Architekten Patrick Devanthéry, der die Konversion planerisch begleitet, werden die letzten original erhaltenen Scheunen nun schon zu 250 000 CHF gehandelt.

Seit Beginn des Projekts gilt der Anspruch, den künftigen Gästen einen Vier-Sterne-Standard zu bieten, jedoch ohne den für derartige Etablissements sonst üblichen Baugrundverbrauch. Alle Funktionen eines großen Hotels sollten über den Weiler verteilt werden. Eines der wesentlichen Markenzeichen des Projekts ist es, die neuen Nutzungen in die vorhandenen Gebäudeumrisse einzupassen.

Die Baustelle musste auf einen langen Zeitraum hin geplant werden, da sie sich an den Rhythmus der örtlichen Handwerker anzupassen hatte – Bauarbeiten verrichten diese in Commeire nur in den Zeiten, da für sie keine anderweitigen Aufgaben anstehen. Dieser Zeitrhythmus der Bergbewohner bestimmte den Ablauf der Umgestaltung, und es hat schließlich nahezu zehn Jahre gebraucht, bis der heutige Stand erreicht war. Das ist nicht als Mangel zu werten, denn auf diese Art kam es zu einer schrittweisen Anreicherung, jeder neue Umbau profitierte von den gesammelten Erfahrungen des vorangehenden Baus, jede Etappe hatte vor ihrer Realisierung Zeit zum Reifen und Vervollkommnen. Zum heutigen Tag sind 90 % der Planziele erreicht. Einige wesentliche Elemente stehen noch aus, so z. B. ein Spa, der Gesamtkomplex ist aber in Betrieb.

Umgestaltung nach Mass

An die jeweiligen Raumverhältnisse der vormaligen Scheunen angepasst, sind die Gästezimmer allesamt individuell ausgeformt. Der scheinbaren Einfachheit der Ausbauten gingen komplexe Eingriffe voraus. Die Scheunen, in denen vormals Mensch und Tier eng beieinander lebten, waren schlecht gedämmt und hatten nur minimale Öffnungen. Dem Architekten stellte sich die Aufgabe, in die ursprünglichen Hüllen »bewohnbare Boxen« einzupassen. Dabei hatte er sich auferlegt, die notwendigen Durchbrüche in den Lärchenholzwänden auf ein Minimum zu beschränken. Die Konstruktion war zu verstärken und bei Schieflage aufzurichten. Vollständig neuanzulegen war der Hausunterbau. Das Ergebnis ist verblüffend: Auf den ersten Blick scheint es, als sei ein historischer Baukörper auf einen neuen Sockel gesetzt worden. Man möchte jedes einzelne Haus daraufhin untersuchen, mit welcher Finesse Patrick Devanthéry bei der Umrüstung vorgegangen ist.

Da sind zunächst die auf das unbedingt Notwendige beschränkten Wandöffnungen, wozu nach Möglichkeit auch die Lüftungsschlitze der Scheune genutzt wurden. In verschiedenen Räumen erblickt man das Bild der Landschaft durch eine eigenwillige Ansammlung von Schlitzen hindurch – einstige Schießscharten sind das, die beibehalten wurden. Die Landschaftsbetrachtung wird durch diese Strukturierung des Blicks zu einem ungewöhnlichen Erlebnis – eines der gelungensten Details des Projekts. Die großen Panoramafenster, mit denen jedes Zimmer ausgestattet wurde, beeinträchtigen die Gesamterscheinung der Berghütten kaum. Bei den im Unterteil der Gebäude gelegenen Gästezimmern ist die Mehrzahl der neuen Fenster im wiederhergestellten Sockel angeordnet. Für die Wandbekleidung im Innern kam ebenfalls Lärchenholz zum Einsatz, darunter viele wiederverwendete Bretter aus dem jeweiligen Gebäude. Die Unterschiedlichkeit der Bretter mag ein ornamentales Interesse nahelegen, der generelle Umgang mit den Materialien zeugt aber vielmehr von strukturellem Denken.

Die Gästehäuser sind nun perfekt gedämmt, ohne dass dabei die wundervolle Anmutung der Dachschalung hätte leiden müssen; geheizt wird hauptsächlich über Sonnenkollektoren und mit Hightech-Kaminen, bei denen sich die Wärmeabstrahlung optimieren lässt. Die Berghütten sind nunmehr zu luxuriösen Residenzen geworden, ohne dies nach außen hin zu offenbaren. In ihrer äußerlichen Verschwiegenheit ähneln sie den seltsamen ungenutzten Bauten am Dorfeingang – als Bauernhäuser getarnten Bunkern. Commeire hatte über viele Jahre davon profitiert, dass hier Artillerieeinheiten stationiert waren, die ihr Quartier am Ortseingang hatten und deren im Gebirge verborgene Kanonen auf den Großen Sankt Bernhard gerichtet waren. Mit dem Abzug der Militärs geriet der Weiler in den Niedergang, bis schließlich »Montagne Alternative« diese neue Tarnkappenoperation startete.
Die Diskretion, die alle Eingriffe in das Dorfensemble kennzeichnet, hat sich als das Markenzeichen des Projekts herauskristallisiert – eine bestechende Idee, ein gedanklicher Kontrapunkt zu den gewöhnlichen Berghotels, die in ihrer Neuheit allzu oft extrem aufdringlich daherkommen.

Mit der Regel, allein den Raum innerhalb der bestehenden Gebäudehüllen zu nutzen, war ein Gesetz gefunden worden, das weniger als Einschränkung empfunden wurde, sondern dem Projekt vielmehr Struktur, Sinn und Dynamik gab. Beim Einpassen der »Wohnbox« in die vorgegebene Hülle folgte man nicht mehr einfach nur einer aus einem Kompromiss geborenen Vorgabe, sondern einem sinngebenden Prinzip. Die Anpassung des Neuen an das vorhandene Alte und der Respekt vor der ursprünglichen Gestalt bilden die Grundlage der gesamten Ökologie des Projekts.

In den "ein wenig zu »geleckt« erscheinenden" Gassen des wiedererweckten Weilers tritt die Art und Weise zu Tage, mit der das Projekt nach einer Neudefinition des grundlegenden Wunschtraums der Gebirgshotellerie sucht: der Idee einer Insel der Urbanität mitten im Nirgendwo. Dieses Fantasiebild machte einen wesentlichen Zug des Grandhotels des 19. Jahrhunderts aus. Hier in Commeire geht es nicht allein um den städtischen Charakter der den Gästen angebotenen Dienstleistungen und auch nicht nur um die heute nicht unbedingt außergewöhnliche ökologische Energie- und Lebensmittelversorgung. Die Urbanität, die das Markenzeichen von »Montagne Alternative« darstellt, liegt in der Form des Dorfs, jener Form, in der sich der Ursprung der Stadt sehen lässt. Die Verknüpfung der dörflichen Dichte mit der städtischen Kultur des Hotelbetriebs war bestimmend für den Erfolg des Projekts.

db, Di., 2015.07.07

07. Juli 2015 Christophe Catsaros

Konsequent raus aus dem Alltag

(SUBTITLE) Vorgefertigte Feriendomizile »Tinn« in Vorarlberg und »Vipp Shelter« in Südschweden

Zwei auf den ersten Blick in Bezug auf Gestaltung und Materialität völlig konträre vorgefertigte (Ferien-) Häuser aus österreichischer und dänischer Produktion verfügen bei genauerem Hinsehen über einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten: Beide sind ihrer jeweiligen Grundidee bis ins kleinste Detail treu und könnten daher vielleicht sogar für die gleichen Zielgruppen interessant sein.

Wer als eingefleischter Städter davon träumt, sich für eine bestimmte Zeit aus dem hektischen und lauten Stadtleben auszuklinken, entwickelt nicht selten das Bild von einem Geborgenheit spendenden, am besten weitab jeglicher Zivilisation situierten Refugium: irgendwo mitten auf dem Land, am Meer oder in den Bergen. Oder eben mal hier und mal dort. Für diesen Fall stehen Wohnmobile zur Verfügung, die allerdings entscheidende Nachteile mit sich bringen. Denn entweder sind die mobilen »Wohnungen« zu eng und unbequem – und damit zu weit entfernt von den trotz allem oft bestehenden Komfortwünschen – oder sie sind so groß, dass die gewundenen Pfade zu den wirklichen Traumzielen schlicht nicht zu bewältigen sind.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bieten Ferienhäuser, die sich als vorgefertigte Wohneinheiten an fast jeden Punkt der Erde transportieren und aufbauen, vielleicht sogar eines Tages wieder unbeschadet an beliebige andere Standorte versetzen lassen. Mit Häusern dieser Art beschäftigt sich beispielsweise der Vorarlberger Architekt und gelernte Zimmermann Johannes Kaufmann. Bereits 1998 entwickelte er zusammen mit seinem Cousin Oskar Leo Kaufmann unter dem Namen Su-Si ein komplett in Holz-Leichtbauweise vorgefertigtes, eingeschossiges Modulhaus mit standardmäßig 43 m² Wohnnutzfläche, das bis heute innerhalb weniger Wochen schlüsselfertig lieferbar ist.

Als es anlässlich der Bregenzerwälder Handwerksausstellung 2014 in Bezau darum ging, dieses bereits rund 50 mal innerhalb und außerhalb Österreichs realisierte Modulhaus weiterzuentwickeln, präsentierten Johannes Kaufmann und die Zimmerei Michael Kaufmann den Prototyp eines 90 m² großen zweigeschossigen Doppelhauses in Holz-Modulbauweise. Erstmals unter realen Bedingungen errichtet wurde das »Tinn« genannte Projekt Ende 2014 im Vorarlberger Ort Mellau. Im Gegensatz zu Su-Si bestehen die beiden als Ferienhaus genutzten Wohneinheiten für sechs bzw. acht Gäste nicht aus je einem ganzen Modul, sondern aus zwei mal vier »Boxen«. Jeweils zwei Boxen sind dabei übereinander gestapelt und über eine mittige Treppe verknüpft. Die beiden unteren Boxen enthalten einen Wohnbereich bzw. die Küche, die Gästetoilette und den Haustechnikraum, während sich im OG das Bad und ein weiterer Wohnbereich mit Schlafsofa bzw. zwei Schlafzimmern befinden.

Perfektionierte Vorfertigung

Die Boxen eines Hauses wurden in der Zimmerei komplett mit fertigen Oberflächen, Fenstern, Türen, Betten, Schränken, Tischen, Installationen (einschließlich Luftwärmepumpe für Heizung und Warmwasser), LED-Leuchten, Küchen- und Badeinrichtung hergestellt, mit dem Lastwagen angeliefert und paarweise übereinander im Abstand von ca. 1 m zueinander auf einer betonierten Bodenplatte aufgesetzt. Nachdem die vorgefertigte Holztreppe vor Ort in diese überdimensionale Fuge eingebaut und die Seiten mit einer Eingangs- und drei bodengleichen Fenstertüren geschlossen waren, erfolgte der Aufbau eines von Holz-Fachwerkbindern getragenen Satteldachs (dieses entspricht den lokalen Bauvorgaben, ein Flachdach wäre prinzipiell ebenso möglich). Beide Häuser erhielten außerdem einen ost- bzw. südorientierten »Schopf« – einen zweigeschossig vorgelagerten Außenbereich, der als witterungsgeschützter Eingangsbereich und Loggia dient, zugleich aber auch Platz für einen abschließbaren Stauraum im EG und eine Sauna im OG bietet. Erst ganz zum Schluss wurden auf den wärmegedämmten und mit einer schützenden Schalung versehenen Modulen die gebäudehohen Fertigteilelemente der Holzfassade montiert. Das Satteldach und die vereinheitlichende Holzfassade tragen heute maßgeblich dazu bei, dass das Doppelhaus von außen nicht als Modulbau zu erkennen ist. Das kann, muss man aber nicht bedauern, denn worauf es hier ankommt, ist nicht ein vordergründiges Schaulaufen modulbautypischer Ästhetik im dörflichen Kontext, sondern der Wille der Planer, die Bauprozesse in der Vorfertigung voranzutreiben.

Die zahlreichen, nach Anlieferung der Module auf der Baustelle nötigen Arbeitsschritte machen deutlich, dass es bei den Häusern nicht um eine neue Art des mobilen Wohnens oder des Wohnens auf Reisen geht. Die Demontage und der spätere Wiederaufbau an anderen Standorten wäre dennoch relativ einfach – beispielsweise, weil sämtliche Verbindungen zwischen den Modulen reversibel sind, und weil alle Wasser-, Heizungs- und Elektroleitungen so konzipiert sind, dass sie im leicht zugänglichen Bereich der mittigen Fuge bzw. im Bereich der Geschossdecken zerstörungsfrei getrennt und wieder neu gefügt werden können.

Ökologisch und gesellschaftlich verantwortungsvoll

Architekt und Zimmerei haben die Qualität solcher Details, aber auch die Bezugsfertigkeit dieses Hauses nur sechs Wochen nach Bestellung nicht zuletzt durch zahlreiche gemeinsame Modulbauprojekte – z. B. Hotels oder Sozialzentren – technisch-konstruktiv perfektioniert. Ein neuer Aspekt bei Tinn' ist jedoch das Ziel, ein hinsichtlich des gesamten Lebenszyklus und der Wertschöpfungskette durch und durch nachhaltiges Haus zu entwickeln. Hinzu kam der Wunsch, auch in der Modulbauweise einen Weg zurück zum strukturell-tektonischen Bauen zu finden. Daher verwendete Kaufmann keine flächigen Elemente wie etwa verleimte Brettschichthölzer (die die Zimmerei hätte zukaufen müssen), sondern einfache Balken und Bretter aus Fichten- und Eschenholz, die problemlos selbst hergestellt und bearbeitet werden konnten – hochwertige Hölzer kamen bei sichtbaren Oberflächen zum Einsatz, weniger hochwertige Hölzer im nicht sichtbaren Bereich, z. B. bei Schalungen oder Wandkonstruktionen. Die positiven Folgen: Verwendung ausschließlich typischer Bregenzerwälder Holzarten, kurze Transportwege, Sicherung der regionalen Arbeitsplätze und des sozialen Arbeitsplatzumfelds, nahezu kein Einsatz von Leim oder von Folien in Wandaufbauten im Sinne des einfachen Recyclings am Ende des Lebenszyklus.

Dass Tinn' keine Lösung für umtriebige Stadtnomaden ist, die sich mit ihrem Refugium bald hier und bald dort niederlassen wollen, zeigt sich nicht zuletzt am Preis. Fast 400 000 Euro müssen Bauherren für ein frei stehendes Haus mit vier Standardmodulen, Satteldach und Schopf investieren – zuzüglich Hausanschlüsse, Betonfundament und Außenanlagen. Dafür bietet sich aber eine Vielzahl an individuellen Variationsmöglichkeiten. So sind dreigeschossige Häuser (egal, ob frei stehend oder als Reihenhauszeile), Unterkellerungen, Sonderabmessungen bis ca. 5 m Breite je Modul (dem zulässigen Maß für Straßentransporte), aber auch an persönliche Bedürfnisse angepasste Modulgrundrisse oder Möblierungen möglich. Kommen die finanziellen Vorteile der Vorfertigung und die gesamte Flexibilität dieses Systems bei Errichtung eines einzelnen Hauses leider kaum zum Tragen, ließen sich enorme Vorteile erzielen, wenn z. B. für eine Wohnsiedlung gleichzeitig mehrere ähnliche Einheiten bestellt würden. Und bei einem Feriendorf wäre schließlich auch der Zeitfaktor wesentlich, weil es hier eine große Rolle spielt, ob sich durch die Holz-Modulbauweise gegenüber gewöhnlichen Holz-Leichtbauten einige Wochen Bauzeit einsparen lassen, um die Häuser z. B. in der tourismusarmen Zwischensaison zu errichten.


»What you see is what you get«

Gar keinen Spielraum lässt das 55 m² große, ebenfalls vorgefertigte Ferienhaus »Vipp Shelter«, angeboten von Vipp, einem dänischen Hersteller für High-End-Küchen- und Bad-Produkte. Bei diesem u. a. als »Premium Experience« vermarkteten Domizil für maximal vier Personen können weder die Größe noch die im fixen Kaufpreis von 485 000 Euro enthaltene Komplettausstattung (von der Möblierung bis hin zur Bettwäsche und zu Messer und Gabel) verändert werden. Dafür bekommen die Käufer sechs Monate nach Bestellung ein feinsinnig gestaltetes »Design-Produkt«, bei dem eigentlich nur die Frage offen bleibt, wohin es von den firmeneigenen Spezialisten geliefert und innerhalb von wenigen Tagen aufgebaut und eingerichtet werden soll – und ob dort der Anschluss an Wasser, Abwasser, Strom, Gas (je nachdem, was der Käufer haben will) möglich ist.

Von außen erinnert das Musterhaus an ein am Ufer eines einsamen Sees geparktes U-Boot, bei dem die Seitenwände durch riesige Panoramaglasscheiben ersetzt wurden. Dieser Eindruck entsteht insbesondere wegen der sich nach oben verjüngenden Dachaufbauten mit Haltestangen und Sprossenleitern aus Stahl sowie wegen der dunkelgrau gestrichenen Aluminiumzinkbleche, die sichtbar mit der darunter verborgenen Stahlrahmenkonstruktion verschraubt sind. Einer der beiden äußerlich identischen Aufbauten beherbergt das 6 m² große, mittels Leiter erreichbare, »Schlaf-Loft« für zwei Personen, das dank großflächiger Dachverglasung den Blick zum Himmel freigibt, während der andere »U-Boot-Turm« als Luftraum über dem Küchenbereich zur optischen Vergrößerung des 40 m² großen Wohnbereichs beiträgt.

Ein polierter Magnesiaestrich, mit weichem Filz bekleidete Wände, große Glasschiebetüren und einheitlich dunkelgraue Oberflächen erinnern an die Wohnungen designbewusster Städter und verkörpern jenen Minimalismus, der auch die Produktpalette von Vipp kennzeichnet. Vor diesem Hintergrund erscheint die Umgebung dann allerdings auch eher als dekorative Kulisse denn als echter Naturraum. Dieses Abgehobensein widerspiegelt nicht zuletzt auch die Tatsache, dass das Ferienhaus – punktuell nur über neun Stahlfüße mit dem Boden verknüpft – über dem Boden zu schweben scheint.

Beide Häuser lassen sich nach ihrer Vorfertigung innerhalb kürzester Zeit aufstellen und beziehen und sind grundsätzlich versetzbar. Beide bieten ihren Bewohnern einen außergewöhnlichen Bezug zur Umgebung. V. a. aber sind beide auf ihre Art mit sehr hohen gestalterischen Ansprüchen und größtmöglicher Konsequenz konzipiert und hergestellt – das eine eher als geerdete Symbiose mit der Umwelt, das andere eher als eleganter Außenposten der Großstadtwelt. Da es sich bei beiden nicht gerade um Schnäppchen handelt, ist wohl nicht damit zu rechnen, dass Passanten in naher Zukunft in der Wildnis zufällig auf eines der beiden Projekte stoßen. Doch vielleicht liegt ja gerade darin auch der Reiz dieser Ferienhäuser.

db, Di., 2015.07.07

07. Juli 2015 Roland Pawlitschko

Gestalteter Großstadtdschungel

(SUBTITLE) 25hours Bikini Berlin Hotel

Das 25hours im Bikini-Ensemble in Berlin kreierten Werner Aisslinger und sein Team als Quintessenz von Berlin. Ein Großstadtdschungel, bei dem das Improvisierte Methode hat. Überspitzt gesagt: Es ist aber eben gerade nichts improvisiert, gibt sich aber sehr viel Mühe, so zu erscheinen. Einen Besuch und eine Übernachtung ist das Hotel aber allemal wert; folgerichtig erfreut es sich bei den Bewohnern der Stadt und ihren Besuchern auch gleichermaßen großer Beliebtheit.

Mit dem Fahrrad ins Hotel zu kommen, ist mittlerweile nichts wirklich Ungewöhnliches mehr, aber mit dem Fahrrad aus dem Hotel heraus die Stadt zu erkunden, ist regelrecht Trend. Und der Gipfel dieses Trends ist es, mit dem Fahrrad direkt im Hotelzimmer zu starten. Gewissermaßen jedenfalls. Doch es geht ja um die Metaphorik des Fahrrads als dem ökologisch korrekten Fortbewegungsmittel schlechthin. Es geht darum, den Gästen des Hotels eben dieses Image zu vermitteln: auf der Höhe der Zeit und des Zeitgeists zu sein. Praktischerweise kann man sich also an der Rezeption ein Fahrrad ausleihen, so man nicht in einer derjenigen Zimmerkategorien gebucht hat, in denen ohnehin eines inbegriffen ist und nahe der Zimmertür an der Wand hängt.

Im 25hours ist alles bis ins kleinste Detail durchkonzipiert und -komponiert. Dem Zufall wird hier nichts überlassen und das, obwohl es genauso wirken will. Das Hotel ist so hip, wie es nur geht, dabei aber unterschwellig funktional, wie es die Klientel vorzugsweise kreativer Menschen jüngeren Alters verlangt. Die legen sich zwar gerne mal in eine der Hängematten, die in der weiträumigen Lobby zu finden sind oder sogar im eigenen Zimmer vor dem Panoramafenster, aber lieber noch arbeiten sie immer und überall an ihren Laptops, für deren Wiederaufladung es nicht an einer ausreichenden Zahl von Steckdosen mangelt.

Für die Innenausstattung des 25hours, das sich in dem sogenannten kleinen Hochhaus seitlich des Bikini-Hauses zwischen Gedächtniskirche und Zoologischem Garten befindet, war der in Berlin ansässige Designer Werner Aisslinger zuständig, während das Münchener Büro Hild und K für die Sanierung der Gebäudehülle sowie die Wiederherstellung und den behutsamen Weiterbau des über die Jahre arg vernachlässigten gesamten Bikini-Komplexes verantwortlich zeichnet (siehe db 6/2014, S. 122 ff.).

Die Grundidee ist die des »Urban Jungle«, entwickelt aus der besonderen Lage des Komplexes heraus. Auf der einen Seite die Stadt, der Breitscheidplatz mit der Gedächtniskirche als dem emblematischen Zentrum des alten West-Berlin, auf der anderen der Zoo, der im Sommer unter grünen Baumwipfeln fast verschwindet und nahtlos in den weitläufigen Tiergarten, die grüne Lunge der Stadt, überleitet. Aus dieser durchaus einmalig zu nennenden städtischen Situation ist die Ausstattung der 149 Zimmer entwickelt, die auf sechs Etagen (4-9) des Hauses zu beiden Seiten eines mittigen Flurs liegen. Als besonderer Gag – und Aisslinger spart wahrlich nicht an diesen – sind die Zimmer im tiefschwarzen Flur durch Zahlen aus Neonröhren bezeichnet.

Das 3. OG des Gebäudes ist den öffentlichen Bereichen vorbehalten. Die Rezeption ist mit den schönen grünen, ins Blaue changierenden Fliesen bekleidet, die der kundige Berliner vom U-Bahnhof Alexanderplatz kennt, jenem gestalterischen Meisterwerk Alfred Grenanders aus dem Jahr 1930. Bei der links in den Blick rückenden »Bakery«, der Backstation mit holzbefeuertem Backofen, die ganztags Brot, aber auch Muffins und dergleichen mehr offeriert, kamen die kleinen, an allen Seiten abgeflachten weißen Fliesen der Pariser Metro zum Einsatz, die sich mittlerweile in zahlreichen Ländern großer Beliebtheit erfreuen. Der weitgereiste Gast wird diese subtilen Signale zu deuten wissen. Wiederum durch Neonschriften sind die unterschiedlichen Bereiche des 3. OG gekennzeichnet. Auf »Work Labs«, wo man unter einer Art von Zeltdächern state-of-the-art-Rechner vorfindet, aber wohl nicht wirklich arbeiten mag, folgt die »Lounge« mit einer segmentbogenförmigen Wand aus Stereoanlagen-Lautsprechern, die nostalgische Erinnerungen provoziert, so derartige noch vorhanden sind. Seitlich verdeckt eine vertikale Grüngewächsinstallation die schnöde Wand. Danach wird’s ernst: Es folgen »Meeting« und, reichlich prosaisch, »Konferenzraum«; abgeteilte, gläserne Innenräume, vom Haus als »Boxen« bezeichnet, mit durchaus konventionellem Gestühl. Man kann eben nicht durchweg auf den farbenfrohen Polstern der »Lounge« relaxen.

Urbaner Dschungel

Die Zimmer auf der »Jungle« genannten Tiergartenseite besitzen bodentiefe Fenster; es ist die Seite des Gebäudes, die nicht der denkmalpflegerischen Wiederherstellung unterlag. Anders bei der »Urban«-Seite, wo die Fenster in charakteristischer Teilung innerhalb der durch asymmetrische schmale Betonstreifen rhythmisierten Fassade sorgsam wiederhergestellt wurden. Beim Blick von außen lassen allein die faltenreichen Vorhänge hinter den Fensterscheiben erahnen, dass sich im Hochhaus, anders als früher, keine Büros mehr befinden, sondern eben Wohnbereiche auf Zeit.

Die Zimmer sind in zwei Größen – M und L – verfügbar, auf der Urban-Seite kommen noch einige wenige in XL hinzu. Das Mehr an Raum kommt zunächst den Bädern zugute, die ab »L« eine zusätzliche Badewanne haben. Durch die großflächige Fensterscheibe zwischen Bad und Schlafbereich kann der Gast von hinten ins Zimmer blicken. Raumteiler nehmen klappbare Schreibplatte sowie Minibar – mit einschlägigen Szene-Getränken bestückt – auf, dazu, anstelle eines Kleiderschranks, offene Regale mit Bügelstangen. Während die Zimmer auf der Tiergartenseite in ihrer Anmutung »weicher« gestaltet sind, kommen die stadtseitigen in Materialien und Farbe »härter« (Kupferblech als Wandbekleidung) daher. Ob das allen Räumen gemeinsame knuddelige Stofftier, der »Schlafaffe« auch vom Designer stammt? Es steht zu vermuten. Der kennt das Regressionspotenzial des modernen Nomaden.

Werner Aisslinger, dessen Studio in dem noch weitgehend brachliegenden Areal der Heidestraße nördlich des Hauptbahnhofs in einem stehen gebliebenen Gewerbehof ansässig ist, legt auf den Berlin-Bezug seiner Arbeit größten Wert. Als Quelle der Inspiration nennt er interessanterweise São Paulo, wo ihm Oscar Niemeyers Copan Building Anschauungsmaterial für eine »Stadt in der Stadt« bot. Etwas Ähnliches, jedoch im Kontext Berlins, sollte auch das 25hours werden. Doch Aisslinger, der nach dem Studium u. a. an der damaligen Berliner Hochschule (heute Universität) der Künste lange Jahre in Mailand gearbeitet hat, schränkt ein: »Ein Konzept wie ›Urban Jungle‹ darf nicht zu simplistisch oder zu offenkundig angewendet werden. Ebenso wenig darf es zu pompös oder zu intellektuell gemacht werden.« Dass er sich auch auf eigene Berlin-Erlebnisse bezieht, etwa auf den in Vorwendezeiten berühmten Club mit dem bezeichnenden Namen »Dschungel« nicht weit vom heutigen 25hours-Hotel, versteht sich. Aber eben nur »auch«: »Ich hoffe nicht«, sagt er, »dass ich mich in meinen Aktivitäten immer auf eine Sozialisierungsphase beziehe, die in den 90er Jahren stattgefunden hat.« Keine Sorge, dazu ist das grundsanierte Bikini-Areal viel zu sehr Gegenwart, als dass nostalgische Gefühle für die wilden Nachwendejahre aufkommen könnten. Längst hat sich in Berlin eine neue, lässige Eleganz etabliert. Dem trägt die Gastronomie in dem auf das Gebäude aufgesetzten, rundum verglasten 10. Stockwerk Rechnung. Hier befinden sich das Restaurant »Neni« und die »Monkey Bar«. Das Restaurant besitzt im Innern eine Art revitalisiertes Gewächshaus mit erhöhtem Fußboden, sodass die Gäste in diesem Bereich gleichwohl guten Ausblick ins Freie haben. Ein besonderer Hingucker ist die »Microfarming«-Ecke, in der unter künstlichem Tageslicht Kräuter gezogen werden, während in der Mitte dieses einem Labor nachempfundenen Glashauses gleichfalls Restaurantgäste sitzen. Auf der Stadtseite und insbesondere vor der Bar verläuft eine großzügige Terrasse, Ergebnis nicht zuletzt der Forderung der Denkmalpflege, das aufgesetzte Geschoss zurückzusetzen und so für den Blick aus Höhe Straßenniveau unsichtbar zu machen.

Eine weitere, kleine Terrasse befindet sich vor dem Bereich der »Bakery« im 3. OG. Sie schließt an den rückwärtigen Bereich des Bikini-Hauses an, jene weitläufige Terrasse, die über der Einkaufspassage verläuft, mit unverstelltem Blick ins Affen-Freigehege des Zoologischen Gartens. In der begeisterten Beobachtung der lebhaften Primaten sind sich Touristen, die die Bikini-Terrasse bevölkern, mit den Gästen der Monkey Bar auf vielsagende Weise einig.

db, Di., 2015.07.07

07. Juli 2015 Ulrike Kunkel

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