Editorial

Das Wasser ist so etwas wie der natürliche Feind des Bauens. Jeder Werkplaner kennt den Kampf gegen Kondensat, aufsteigende Feuchte und von allen Seiten eindringendes Wasser. Wagemutig erscheint da die Absicht, nah am oder gar im Wasser zu bauen. Doch den Menschen zieht es hin zu Fluss, See und Ozean, und so ist es ratsam, gedanklich nicht gegen, sondern mit dem nassen Element zu planen, Eventualitäten vorwegzunehmen und auch in extremen Situationen noch Qualitäten zu suchen. Schließlich hat die Architektur seit jeher die Aufgabe, den Menschen vor klimatischen Unbilden zu schützen. Mit fortschreitender Technik und übergreifenden Konzepten ergeben sich sogar Möglichkeiten, Sturmfluten zu trotzen und die dazu nötige Infrastruktur als öffentlichen Raum zu nutzen | Achim Geissinger

Parkdeck in Deggendorf

(SUBTITLE) Landschaftspark(en)

Parkhäuser zählen zumeist nicht zu den architektonisch herausragenden Bauwerken. Eine Ausnahme bildet das Parkdeck auf dem Gelände der bayerischen Landesgartenschau 2014, das zusammen mit dem Hochwasserschutzdeich eine räumliche Einheit bildet und nicht nur 437 Stellplätze, sondern auf seinem Dach auch reichlich Flächen zur Erweiterung des Grünraums am Donauufer bietet. Als gelungene Mischung aus Zweckbau und Landschaftselement erscheint es als sorgsam in sein Umfeld eingebettetes Baukunstwerk.

Obwohl das 345 m lange Parkdeck nur wenige Meter von der Donau entfernt liegt und es zudem eine viel befahrene Autobahnbrücke unterquert, ist es weder von da noch von dort als solches zu erkennen. Zum einen schmiegt es sich an die Rückseite eines Deichs, der die Deggendorfer Festwiese und die nahe gelegene Altstadt des niederbayerischen Orts vor Hochwasser schützt. Zum anderen verbirgt es sich unter den sogenannten Deichgärten, die 2014 zu den wichtigsten Attraktionen der hier veranstalteten Landesgartenschau zählten. Tatsächlich zu sehen ist das 10 000 m² große Bauwerk allein von der Nordseite. Doch auch hier erscheint das Parkdeck nicht als solches, sondern in Form einer psychedelischen, grün-gelb-weißen Struktur aus sich überlagernden Aluminiumstäben, die eine Wellenbewegung formen. Nicht obwohl, sondern gerade weil sich das Parkdeck nicht als ein tektonisch gegliedertes Gebäude zu erkennen gibt (das es in diesem ungewöhnlichen Kontext nie hätte sein können), handelt es sich hierbei um ein bemerkenswertes Stück Architektur.

Dessen Geschichte beginnt mit einem interdisziplinären Ideen- und Realisierungswettbewerb, zu dem neben einem Ausstellungs- und Nachnutzungskonzept für die Landesgartenschau Deggendorf 2014 auch die Errichtung einer Parkierungsanlage sowie einer Fuß- und Radwegebrücke über die Donau gehörte. Nicht zuletzt wegen dieser beiden Bauwerke war gemäß Auslobung die Bildung von Arbeitsgemeinschaften zwingend vorgeschrieben – die am Ende siegreichen Planer von k1 Landschaftsarchitekten kooperierten mit dem Architekturbüro raumzeit und den Bauingenieuren von StudioC Berlin (realisiert wurden die Projekte dann mit Fritsche Ingenieure). Im Rahmen dieser Zusammenarbeit entwickelten die Architekten sowohl eine als weitmaschiges Stahlfachwerk auf bestehenden Pfeilern konzipierte Fuß- und Radwegbrücke über die Donau als auch das Parkdeck.

Nah am Wasser gebaut

Mit der Bebauung der bisher als offener Parkplatz genutzten Fläche an der Deichrückseite verfolgte die Stadt Deggendorf v. a. zwei Ziele: Einerseits sollten auf der fließend in die Deichkrone übergehenden Dachfläche der Garage jene Deichgärten entstehen, die den zur Donau orientierten Grünraum vergrößern, andererseits waren die hier während der Landesgartenschau unvermeidlichen Automassen aus dem Blickfeld der Besucher zu rücken und der Hintergrund für eine ansehnliche Haupteingangssituation zu schaffen. Die vom Planerteam zunächst diskutierte Lösung eines zweigeschossigen, zur Hälfte in der Erde versenkten Parkhauses wurde rasch verworfen, weil sich dessen Gründung als zu kostspielig erwies: Aufgrund des bei Hochwasser hinter dem Deich durch die Auelehmschicht nach oben durchbrechenden Wassers wären nicht nur eine wasserundurchlässige Betonwanne, sondern wegen der Auftriebsgefahr auch eine aufwendige Rückverankerung notwendig geworden. Alternativ hierzu entstand die schließlich realisierte Lösung eines ebenerdigen, lang gestreckten Parkdecks in Betonskelettbauweise, das sich vom benachbarten Gelände der Technischen Hochschule im Osten – unter der Autobahnbrücke hindurch – bis hin zu einem bestehenden Gewerbebau im Westen erstreckt.

Unter Verzicht auf eine auftriebsgefährdete Bodenplatte erfolgte die punkt- bzw. linienförmige Gründung von Stützen und Wänden im »CSV-Verfahren«. Diese Technik der Bodenstabilisierung basiert darauf, dass in kleinen Abständen eine trockene Zement-Sand-Mischung in den Untergrund eingebracht wird, die durch die Bodenfeuchtigkeit zu unbewehrten, sogenannten Verdrängungssäulen aushärtet. Das vorhandene Erdreich wird bei diesen Vorgängen zur Seite und nach unten verdrängt und verdichtet. Von unten hochdrückendes Wasser wird in zahlreichen, unter dem Asphaltfahrbahnbelag verlegten Rigolen gesammelt und abgeleitet.

Ein unfreiwilliger, aber erfolgreich bestandener »Test« dieser Bauweise fand Mitte 2013 statt, als Deggendorf die verheerendste Flutkatastrophe seiner Geschichte erlebte. Im Parkdeck war vom höchsten Hochwasser aller Zeiten, das auf der Flussseite gegen den Deich drückte, nichts zu sehen oder spüren – vielmehr diente das Deck als witterungsgeschützte Verteilstelle für Hilfsgüter.

Ästhetik und Ökonomie in Beton

Wer das Parkdeck nutzt, merkt beim Aussteigen aus dem Auto sofort, dass dieses Infrastrukturbauwerk mit effizientem Kreisverkehrsystem und zweihüftig angeordneten Stellplätzen zwar wirtschaftlichen Kriterien gehorcht, zugleich aber auch über besondere räumlich-gestalterische Qualitäten verfügt. Trotz der Deichgärten, die durch Pflanz- und Verkehrsflächen zu einer hohen rechnerischen Flächenlast von rund 18 kN/m² führen, wirkt der »Innenraum« nicht bedrückend. Das liegt, erstens, an einer präzise geplanten Skelettkonstruktion aus Ortbetonstützen, auf denen (verknüpft mittels bündiger Beton-Vergussknoten und mit einheitlichen Unterkanten) vorgefertigte Betonunterzüge und p-Betondeckenplatten ruhen. Zweitens ist das Parkdeck nicht nur über die Nordfassade, sondern auch mit einem gitterrostbedeckten, die gesamte südliche Rückwand entlanglaufenden Oberlicht mit der Außenwelt verbunden – in diesem Streifen befinden sich auch insgesamt fünf Treppen, die die Besucher direkt nach oben in die Deichgärten führen. Dank dieses Gebäudequerschnitts ist es im Innern des Parkdecks so hell, dass untertags mitunter auf Kunstlicht verzichtet werden kann, während die natürliche Querlüftung für eine optimale Frischluftzufuhr sorgt. Die Folge sind geringe Technik- und Unterhaltskosten sowie eine trotz der Lage am Deich angenehm offene Raumatmosphäre – 2014 haben hiervon die Gäste der Landesgartenschau profitiert, heute sind es v. a. Spaziergänger, Besucher von Veranstaltungen auf dem Festplatz sowie Lehrkräfte und Studenten der benachbarten Hochschule, die ihr Auto hier abstellen.

Land Art statt Fassade

Den Status eines unverwechselbaren Schmuckstücks erreicht das Parkdeck freilich erst durch die insgesamt rund 2 000 Aluminiumstäbe, die die 437 Stellplätze vom nördlichen Außenraum trennen. Weil dieses Parkdeck kein gewöhnliches Gebäude ist, aber auch, weil es um die Gestaltung einer sehr eigentümlich proportionierten Fläche (Verhältnis Länge/Breite: 70/1) ging, konnten sich die Architekten hier keine »normale« Fassade vorstellen. Stattdessen entwickelten sie eine Struktur aus weißen, gelben, hell- und dunkelgrün pulverbeschichteten Aluminiumhohlprofilen, die sich in vier hintereinander gestaffelten Ebenen so verschränken, dass ein sich wiederholendes Muster aus rautenförmigen Öffnungen entsteht. Diese raumhaltige Schichtung präsentiert sich je nach Perspektive auf völlig unterschiedliche Art und Weise: Wer den Fußweg unmittelbar am Parkdeck entlanggeht, nimmt v. a. die äußeren dunkelgrünen Stäbe wahr, die sich im flachen Blickwinkel zu einer Fläche zusammenziehen. Erst wer die Struktur aus größerer Entfernung betrachtet, erkennt das übergeordnete Wellenmuster, das selbst bei genauerem Hinsehen Rätsel aufgibt. Schließlich scheinen die vier Stabscharen stets parallel zu stehen.

Tatsächlich entsteht die Wellenform durch minimale Verschiebungen der oberen und unteren Befestigungspunkte, was von einem Stab zum nächsten zu geringfügig abweichenden Winkeln führt. Konstruktiv war dies relativ einfach zu lösen: mit ausschließlich geraden Stäben, die sich mit dem immer gleichen Detail in einfachen Stahlschienen befestigen ließen. Um jedoch zuvor die richtigen Stabzuschnitte und Löcher an den Befestigungsprofilen definieren zu können, entwickelten die Architekten eigens ein Computerprogramm, das bei Veränderungen des Entwurfs ein unkompliziertes Variieren und Nachführen aller Stäbe ermöglichte, und mit dem sich unkompliziert zugleich auch die Montageplanung erstellen ließ. Letztlich entstand auf diese Weise nicht nur eine relativ kostengünstige Art, die hier geparkten Autos auszublenden, sondern auch ein bemerkenswertes Land Art-Objekt, das eine notwendige Parkierungsanlage zum anmutigen Vermittler zwischen der nördlichen Erschließungs- und Festplatzfläche und der südlichen Donaulandschaft werden lässt. Von diesem Fingerspitzengefühl der Architekten dürfen sich die Planer der leider zumeist seelenlosen Parkdecks dieser Welt gern eine Scheibe abschneiden.

db, Di., 2015.03.31

31. März 2015 Roland Pawlitschko

Wohn- und Geschäftsgebäude »Elbdeck« in Hamburg

Die Tiefgarage des nah am Fluss gelegenen »Elbdecks« bildet einen Flutschutzpolder, die Außenraumgestaltung dient als Wellenauslaufschutz. Darüber liegen – sicher und im Trockenen – rund 100 hochwertig ausgestaltete Wohnungen, Büros und Ladenflächen. Die im Kontrast zu den strahlend weißen Putzflächen stehende hellrote Farbigkeit der Ziegelwände lässt das Gebäude selbst an trüben Tagen heiter wirken.

Es war kein Geringerer als Baudirektor Fritz Schumacher, der einst den Leitsatz formulierte, dass in Hamburg auf der Geest gewohnt und in der Marsch gearbeitet wird. Seine Maßgabe, wonach die niedrigliegenden Marschgebiete an der Elbe infolge der beständig wiederkehrenden Sturmfluten als Siedlungsraum ungeeignet seien und daher wirtschaftlichen Nutzungen wie dem Hafen vorbehalten bleiben sollten, blieb über viele Jahrzehnte sakrosankt. In der Folge wurden die Hamburger Elbgestade v. a. als Gewerbegebiete genutzt.

Die Architekten von Gerkan, Marg und Partner zeigten in einem Gutachten von 1973, welche Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten Hamburg dadurch entgingen, doch es dauerte bis in die 80er Jahre, als unter Oberbaudirektor Egbert Kossak von Schumachers Dogma abgerückt und die pittoresken Wasserlagen Hamburgs wiederentdeckt wurden. Kossak entwickelte die Vision der Hafencity, eines neuen Stadtteils auf kaum noch genutzten innenstadtnahen Hafenflächen, die eben vor der Hauptdeichlinie liegen und bei Sturmfluten überspült werden. Seinerzeit verteidigte die Hafenwirtschaft die Flächen noch standhaft und es blieb seinem Nachfolger Jörn Walter vorbehalten, die Idee wahr werden zu lassen. Kossak selbst setzte seinen Plan einer Rückkehr der Stadt an die Elbe an anderer Stelle um: die sogenannte Perlenkette am Altonaer Elbufer. Das lag seit Jahrzehnten in Agonie: Der Altonaer Hafen war größtenteils zerbombt worden; nur wenige Speicher und Fabriken hatten überlebt. Kossak ergriff Anfang der 90er Jahre die Chance und ließ auf dem lang gestreckten, aber schmalen Uferstreifen unterhalb des steilen Geesthangs vom Fischmarkt bis nach Övelgönne zahlreiche neue Gebäude errichten und Altbauten sanieren – ein Prozess, der bis heute andauert.

Genutzt werden sie für Büros, Einzelhandel und Restaurants. Das Wohnen hingegen fand lange nicht seinen Weg an diesen einzigartigen Ort. Zum einen erfordert der auf der anderen Elbseite lärmende Containerhafen umfangreiche Schallschutzmaßnahmen, zum anderen erweist sich die tiefe Lage am Strom als Problem: Das Altonaer Elbufer wird bei Sturmfluten regelmäßig vom Wasser überspült. Wohnhäuser müssen also besonders gegen die Fluten geschützt und so angebunden werden, dass sie auch in diesen Extremsituationen erreichbar bleiben – für die Bewohner, aber auch für Rettungskräfte. Erst seitdem die Nachfrage nach hochpreisigem Wohnungsbau groß genug ist, lohnt sich der aufwendige Wohnungsbau auch in solch exponierten Lagen. Zu Jan Störmers Stadtlagerhaus, der Clipper Elblodge (Schweger & Partner) und Kees Christiaanses »Kristall«-Wohnturm am Holzhafen gesellt sich nun das vom Hamburger Architekten Carsten Roth geplante »Elbdeck«.

Zur schönen Aussicht

Es ist dies eine der letzten Lückenschließungen am Altonaer Elbufer, was auch der langwierigen Planungsgeschichte zuzuschreiben ist. Das Grundstück liegt nicht direkt am Ufer, sondern in zweiter Reihe hinter dem historischen, vor einigen Jahren sanierten und für Büros umgenutzten Kaispeicher D.

Die Immobiliengesellschaft AUG. Prien plante hier eine Mischung aus Wohnungen, Büros, Einzelhandel und Gastronomie. Carsten Roths Entwurf beruhte ursprünglich auf der Idee, die große Baumasse möglichst kompakt unterzubringen: Um einen hohen lang gezogenen Riegel zu vermeiden, der die Sicht vom Geesthang auf die Elbe verstellt, plante er eine Massierung in mehreren Baukörpern, von denen einer als fast 60 m hoher Turm ausgebildet werden sollte. Dagegen erhob sich Widerstand von Bürgern, die das Hochhaus als Sichtbarriere geißelten. Es folgten Verhandlungen und Überarbeitungen, an deren Ende nun zwei sechs- und ein achtgeschossiger Baukörper stehen. In den unteren Geschossen sind Büros, Gastronomie- und Ladenflächen untergebracht, darüber (schön abzulesen an den differenzierten Fassaden) 100 Mietwohnungen in verschiedenen Größen und Schnitten. Die Schmalseiten der Gebäude sind in ganz unterschiedlichen Winkeln angeschnitten. Die Winkel sind so gewählt, dass aus bestimmten wichtigen Blickrichtungen, etwa von einem den Hang hinab führenden Spazierweg, der Blick auf die Elbe und den alten Kaispeicher erhalten bleibt. Auswärtigen mag dies übertrieben erscheinen, doch den Hamburgern ist die Geestkante entlang der Elbchaussee mit ihren zahlreichen Parks und Spazierwegen und den immer wieder spektakulären Blicken auf die Flussniederung und den Hafen heilig. Die unterschiedlichen Winkel der Gebäudeseiten haben noch einen anderen angenehmen Effekt: Die Bewohner der Häuser schauen gewissermaßen aneinander vorbei und sich nicht gegenseitig in die Wohnungen.

Trockenen Fusses

Die drei Bauten stehen auf einem gemeinsamen Flutschutzpolder, der in seinem Innern 280 hochwassersichere PKW-Stellplätze birgt. Er ersetzt eine Spundwand, die bislang die rückwärtigen Teile des Uferstreifens schützte. Der alte Kaispeicher vis-à-vis hingegen steht, vor der Deichlinie gelegen, bei Hochwasser weiterhin in den Fluten, weshalb Roth zwei stählerne Fußgängerbrücken entwarf, die nun als Rettungsweg vom Kaispeicher D auf den Polder führen. Vor einigen Jahren entstanden auf dem östlich benachbarten Grundstück die ebenfalls von Carsten Roth gestalteten Columbia-Twins-Bürohäuser – auch sie auf einem schützenden Polder. Damit die zahlreichen Spaziergänger nicht an einer geschlossenen Wand entlang flanieren müssen, wurde damals gleich der gesamte Straßenraum auf das sichere Niveau angehoben. Auch beim Elbdeck hat man sich für diese Lösung entschieden. Die rückwärtige Straße steigt auf das Niveau der drei Neubauten an, um von deren östlichem Ende aus den steilen Elbhang zu erklimmen; Bewohner und Besucher können somit auch bei Sturmflut trockenen Fußes in die höher gelegene Stadt gelangen. Auch im Westen schließt ein Flutschutzsockel an (Polderbauten Neumühlen). So gehen nunmehr drei Polder in ein einziges langes, begehbares Flutschutzbauwerk über. Doch nur der Elbdeck-Polder besitzt wirkliche Aufenthaltsqualität: Die angeschrägten Stirnseiten schaffen zwei Freiflächen, von denen die eine nach Süden zum Speicher und die andere nach Norden zum grünen Geesthang orientiert ist. Zusätzlich zu den Treppenläufen und Rampen wurde fast die gesamte Südseite des Sockels mit Sitzstufen versehen, die an schönen Tagen zum Verweilen in der Sonne einladen. Anders als in der Hafencity, wo die hochwassersicheren Erschließungen zu nah an die historischen Gebäude wie das Alte Hafenamt oder die Speicherstadt heranrücken und sie quasi in einer Grube versinken lassen, hält der Polder hier einen respektvollen Abstand zum Bestand. Umso bedauerlicher ist es, dass sich die Fläche zwischen Polder und Kaispeicher als notwendige Straße nicht ebenso ansprechend zu einem Platz umgestalten ließ, sondern vorwiegend als Stellfläche dient. Um die Massivität des Polders so gering wie möglich zu halten, endet er genau auf der Hochwasserlinie. Die Freiflächen sind als Wellenauslaufzone konzipiert und steigen zur Mitte hin an. Doch Sturmfluten gehen in Hamburg oft mit starken (West-)Winden einher. So mussten die besonders exponierten Wohnungen an der westlichen Stirnseite mit Prallschutzscheiben gegen Wellenschlag geschützt werden.

Alle Oberflächen des Sockels bestehen aus zartrot eingefärbten hochwertig wirkenden Beton-Fertigteilen. Sie korrespondieren trefflich mit den Fassaden aus hellrotem Ziegel, (der die zum Hang gerichteten Seiten dominiert) sowie der Kombination aus weißem Putz und großzügiger Verglasung nach Süden, zum Fluss hin. Kein Baukörper gleicht dem anderen, jeder besitzt einen eigenen Charakter und doch klingen sie schön zusammen. Roth setzt mit diesen hellen, differenzierten Fassaden dem strengen, an grauen Tagen geradezu düsteren Klinker-Hamburg Schumachers eine heitere, fast mediterrane Note entgegen. Wer einmal das Treppenviertel von Blankenese in seiner beinahe schon italienischen Anmutung gesehen hat, versteht, dass der Architekt hier an alte lokale Traditionen anknüpft. Städtebaulich und architektonisch darf das Elbdeck als eine makellose Perle in der Kette der Neubauten am Altonaer Elbufer gelten. Eine, die allerdings ihren Preis hat: Für die Wohnungen mit weitem Blick werden Kaltmietpreise von bis zu 26 Euro pro m² aufgerufen. Die Zeiten, als beispielsweise am Fischmarkt noch Genossenschaftswohnungen mit herrlichem Blick auf den Hafen gebaut wurden, liegen eben ein paar Jahrzehnte zurück. Die Ladenflächen werden wohl v. a. an die am Elbufer ohnehin omnipräsenten Edelgastronomen vermietet – der Fernsehkoch Steffen Henssler z. B. wird im Sommer hier eröffnen. Normalsterblichen bleibt somit nur, sich sommers aufs öffentlich zugängliche Polderdeck zu setzen und sich – die Architektur lädt dazu geradezu ein – ans Mittelmeer zu träumen.

db, Di., 2015.03.31

31. März 2015 Claas Gefroi

IJdock in Amsterdam (NL)

Die Stadtplaner wollten nicht länger die bestehenden Uferlagen mit weiteren, vergleichsweise niedrigen Häusern verbauen, sondern konzentrierten die Flächen für Büros, Wohnungen und ein Hotel auf einer vorgelagerten Insel. Die Formen des skulpturalen Gebäudekomplexes sind von Sichtachsen und dem Wunsch nach städtebaulicher Kompaktheit bestimmt. Von der unter Sicherheitsaspekten kaum besser zu wählenden Lage im Wasser profitiert v. a. der neue Justizpalast.

Wie in vielen europäischen Städten, wurden auch in Amsterdam in den letzten Jahrzehnten ehemalige Hafengebiete als Lebensraum wiederentdeckt. Das gesamte südliche Ufer des IJ (sprich: Ei) wurde seit Mitte der 90er Jahre transformiert und an die Innenstadt angebunden. Das Schlussstück dazu bildet das 500 m nördlich des Hauptbahnhofs gelegene IJdock: eine künstliche Halbinsel mit auffällig skulpturaler Bebauung, so groß wie zwei Fußballfelder.

Wasserflächen als Baugrund zu nutzen, ist in Amsterdam keine neue Idee. Jahrhundertelang wurde dem IJ bei jeder Gelegenheit Land abgerungen, und schrumpfte die Wasserfläche immer mehr. Nachdem der Seitenarm der ehemaligen Zuiderzee und des heutigen IJsselmeers mit dem Noordzeekanaal 1876 eine direkte Verbindung zum Meer erhalten hatte, dehnte sich der Hafen allmählich entlang des gesamten IJ-Ufers aus. Überall wurde Neuland für neue Hafengebiete gewonnen – mit der Folge, dass das Stadtzentrum immer mehr vom Wasser abgeschnitten wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog der Hafen weiter nach Westen und ließ stadtnahe Brachen zurück, die seit den 90er Jahren im Rahmen einer Nachverdichtungsstrategie ungestaltet wurden. Auf insgesamt sieben Inseln und Halbinseln, die von Ost nach West phasenweise entwickelt wurden, entstanden neue Wohnviertel am Wasser, wurden aber auch gezielt öffentliche Gebäude und Kulturbauten angesiedelt.

Lichtgeometrie

Die letzte Funktion, die es am Ufer westlich vom Hauptbahnhof unterzubringen galt, war ein Kurzparker-Hafen in Kombination mit einem Hotel. Um das Projekt rentabel zu machen, wurde es noch um Wohnungen und Büros erweitert. Nur wohin damit? Man hätte die Gebäude einfach entlang des Westerdoksdijks aufreihen können, aber eine räumliche Konzentration schien ratsamer, da der Blick von der Uferstraße auf das Wasser ohnehin schon fast überall verbaut ist. 1996 entwickelten Dick van Gameren und Bjarne Mastenbroek einen ersten Masterplan, der zunächst noch aus einzelnen Gebäuden im Wasser bestand. In einem zweiten Schritt wurde daraus eine kompakte Insel, an deren Westseite ein geschützter Hafen für Freizeitboote liegt. Um genug Abstand zur Fahrrinne im IJ zu wahren, durfte sie max. 180 x 60 m groß sein; die max. erlaubte Bebauungshöhe lag bei 44 m.

Mit dieser Höhe gerät das IJdock allerdings von der historischen Altstadt aus ins Blickfeld. Die Architekten ließen deshalb in ihrem Modell entlang vier wichtiger Sichtachsen Licht durch die Straßenzüge streifen; wo das Licht auf den Block traf, machten sie Einschnitte. Da der Quader rechnerisch Büro- und Wohnflächen von 130 000 m² hätte umfassen können, aber nur 89 000 m² benötigt wurden, konnten insgesamt 41 000 m² herausgeschnitten werden, sodass ein dreidimensionales Puzzle aus Gebäuden, die aus dem orthogonalen Grundraster heraustreten, entstand. Im Grunde schließt das IJdock weniger an die Bebauung der Altstadt als vielmehr an deren Straßen und Grachten, also an die Leerräume an. Fünf Gebäude reihen sich zu beiden Seiten einer Nord-Süd-Achse auf, die die Insel mit dem Festland verbindet und sie diagonal durchkreuzt. Die auffälligste Sichtachse ist jedoch der »Keizersgrachtschnitt«: ein trichterförmiger Handkantenschlag, der mehrere Gebäude in teils bizarr geformte Stücke zerteilt und das IJdock von der Keizersgracht aus unsichtbar machen soll.

2009 wurde mit der Anlage der Insel begonnen. Der zunächst verfolgte Gedanke, sie als schwimmende Wanne zu realisieren, stellte sich als zu aufwendig heraus, da die tragfähige Sandschicht, auf der in Amsterdam alle Gebäude gegründet werden, an dieser Stelle mit fast 40 m sehr tief liegt. So wurde das IJdock letztlich auf 860 Pfählen errichtet.

Hochwasserschutz ist in Amsterdam kein Thema, da das gesamte Stadtgebiet mit Pumpen und Schleusen abgesichert ist und es keine Schwankungen im Wasserspiegel gibt. Wichtiger war die Frage nach Auffahrunfällen, denn das IJdock liegt in einer Kurve des IJ, durch die sich auch Kreuzfahrtschiffe zwängen müssen. Als Kollisionsschutz trieb man deshalb eine 11 m breite Doppelreihe aus Stahlrohren und Spundwänden in den Grund – eine Art Knautschzone. 50 000 m³ Schlick wurden bis auf eine Tiefe von 5 m unter Meeresspiegel abgesaugt und durch 30 000 m³ sauberen Sand ersetzt. Nach dem Abpumpen des restlichen Wassers und Plattwalzen des Sands, konnte mit der Pfahlgründung für die Gebäude begonnen und dann die 25 cm dicke Betonwanne gegossen werden.

Isoliert, sichtbar und zentral

Im basaltbekleideten Sockel befinden sich zwei Parkgeschosse mit etwa 500 Stellplätzen sowie, unter einer kaum wahrnehmbaren Anhöhe, ein Servicegeschoss. Darüber erheben sich, von West nach Ost, ein Bürobau, in dem auch die schon vorher an dieser Stelle ansässige Wasserpolizei unterkam, ein Hotel und ein Wohnblock mit Ladenflächen im EG. Ihre Architekten erhielten (wie in den Niederlanden üblich) Direktaufträge, z. T. mit vorhergeschalteten, geschlossenen Auswahlverfahren.

Auch die beiden östlichen Bauteile sollten Büronutzungen aufnehmen. Die jeweiligen Entwürfe mit reichlich Flächen für Restaurants und Geschäfte im EG und auffällig transparenten Fassaden stammten von Bolles & Wilson und Diederen Dirrix. Allerdings konnten sich dafür keine Investoren erwärmen.

Schließlich meldete der Gerichtshof Interesse an, der zuvor seinen Hauptsitz in einem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert gehabt hatte, das aber schon lange zu klein geworden war. Für die beiden Gebäude, die heute gemeinsam den Justizpalast bilden, legten fünf Büros, die aus einer europaweiten Ausschreibung hervorgegangen waren, dem Reichsbaumeister einen Vorentwurf vor. Man entschied sich für Claus en Kaan.

Felix Claus nimmt angesichts der vordefinierten Volumina kein Blatt vor den Mund: Er bezeichnet die Idee, das besonders komplexe Raumprogramm der Justizbehörde in eine bestehende Kubatur zu pressen, als »völlig bescheuert«. Er löste die Aufgabe, indem er auf der stadtzugewandten Westseite des Hauptbaus alle Verkehrsbereiche und Foyers und auf der zum Canyon orientierten Ostseite die Gerichtssäle und darüber die Büros stapelte. Im Souterrain befinden sich 26 Zellen. Eine gläserne Laufbrücke im sechsten Stock führt in den zweiten Gebäudeteil, in dem die Büros des Justizministeriums untergebracht sind.

Die Standortwahl fiel u. a. deshalb auf das IJdock, weil es zugleich isoliert, sichtbar und zentral liegt. Der Zugang auf der Halbinsel, am Ende einer Sackgasse, ist leicht zu kontrollieren. Wichtiger als die Sicherheitskriterien waren allerdings das Raumangebot, die Nähe zur Innenstadt und die Prominenz der Lage. Im Gesamten betrachtet entstand nun im Zusammenklang mit dem Hauptbahnhof, dem Muziekgebouw aan 't IJ (3XN), dem EYE Film Institute auf der gegenüberliegenden Flussseite (Delugan Meissl, s. db 6/2012, S. 61) und eben dem Justizpalast ein von diesen markanten öffentlichen Gebäuden definierter »Wasserplatz« auf dem IJ. Zu diesem hin orientiert, markiert eine 20 m große Auskragung wie eine vorgestreckte Kinnlade den Haupteingang und schafft einen überdachten öffentlichen Platz, der leider – ganz im Gegensatz zu den vorangegangenen Vorstellungen – spürbar als Durchgangszone gedacht ist und keinerlei Möblierung aufweist.

Beim Betreten des Justizpalasts hingegen staunt man nicht schlecht: Das außen gar so kühle und abstrakte Gebäude ist innen rundum mit chinesischem Marmor und hölzernen Kassettendecken ausgestattet.

Sachliche Aussenseite, spektakuläre Innenseite

Die Materialisierung der Bauten auf dem IJdock wurde von Dick van Gameren mitbestimmt, der als koordinierender Architekt für das Gesamtprojekt auftrat und den öffentlichen Raum entwarf. Damit sich der Komplex deutlich von der Bebauung der Altstadt unterscheidet, sollte er nach außen hell und modern auftreten und es durfte kein traditioneller Backstein verwendet werden. So entstand die glatte, sachliche Außenseite aus hellem Naturstein, Beton und Glas, die in starkem Kontrast zum Innenleben des IJdock steht: Dort präsentiert sich die Diagonale als spektakulärer Straßenraum mit einer messerscharfen Ecke à la Flat Iron Building, Fassaden aus grünen Klinkern mit muslimisch anmutenden Balkonbekleidungen und schrundigen Schieferplatten auf den Dachflächen. Bezug zum Wasser gibt es allerdings nur sehr sparsam dosiert: Auf der Ostseite wird der Blick entlang zweier schmaler Einschnitte zum EYE Film Institute am gegenüber liegenden Ufer gelenkt, aber verweilen möchte man in den zugigen Schlitzen nicht. Auf der ruhigeren Westseite versteckt sich hinter dem Hotel der Freizeithafen mit Café-Terrasse und führt eine von NEY + Partners entworfene Fahrrad- und Fußgängerbrücke vom Justizpalast auf das Festland. Aus Sicherheitsgründen dürfen am Brückengeländer keine Fahrräder angeschlossen werden, weshalb das Geländer komplett aus vertikalen Stäben ohne Querverbindungen besteht.

Das Resultat ist ein seltsam zwiespältiger Gebäudekomplex: gleichzeitig skulptural und nüchtern; teils experimentell, teils konventionell; sowohl in seinen Kontext eingebettet als auch solitär; auf dem Wasser, aber mit wenig direktem Bezug dazu.

Ein bisschen muss man angesichts des Justizpalasts an das legendäre Château d'If vor Marseille denken. Offenbar ist auch Bjarne Mastenbroek, der gemeinsam mit Dick van Gameren den Masterplan entwickelte, diese Inkohärenz aufgefallen, sagte er doch einmal in einem Interview über das IJdock: »Viel wichtiger für eine Stadt als die Architektur ist der Raum zwischen den Gebäuden. Mit gutem Städtebau und schlechten Gebäuden kann man recht weit kommen, aber mit schlechtem Städtebau und guten Gebäuden kommt man nirgends hin.«

db, Di., 2015.03.31

31. März 2015 Anneke Bokern

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