Editorial

Immer wieder kommt es in dérive-Heften vor, dass sich neben dem offiziellen Schwerpunkt, dessen Titel auf dem Cover prangt, durch thematische Querverbindungen netzwerkartig ein zweiter, quasi inoffizieller focal point ungeplant und trotzdem nicht zufällig ergibt. In der vorliegenden Ausgabe zu Smart Cities hat sich Rio de Janeiro informell ins Zentrum gerückt. Es beginnt mit Rios so genanntem Operation Center (siehe Foto S. 23), in dem die öffentlichen Räume der Stadt zentral überwacht und die Arbeit von rund 30 Einrichtungen koordiniert werden.

Als Top-Produkt des Smart-City-Konzerns IBM findet das Operation Center im Schwerpunkt wiederholt Erwähnung. Dieser zentrale Kontrollraum ist als Investition im Zusammenhang mit der Fußball-WM 2014 und den Olympischen Spiele 2016 zu sehen, womit die Verbindung zu Stephan Lanz’ Artikel Mega-Events, Mega-Geschäfte, Mega-Proteste: Die Städte und die Spiele in Brasilien gelegt wäre. Lanz schreibt darin über unternehmerische Stadtentwicklungsstrategien, die Wiederkehr einer autoritären Wohnpolitik, Rios Law-and-Order-Politik und den neuen Kampf um die Stadt. Eine weitere Querverbindung neben Smart City und Fußball-WM ergibt sich in der Beschäftigung mit den Favelas: Derya Özkan zeichnet in ihrem Artikel Gecukondo Chic – Urban Poverty as Cultural Commodity die Veränderung des Bildes von informellen Siedlungen im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte nach und beschreibt Phänomene wie slum tourism, poorgeoisie oder die zunehmende Begeisterung für »informally created spaces«.

Mit dem offiziellen Schwerpunkt des Heftes stellen wir uns – gemäß dem Motto »Einer muss es ja machen« – der Smart-City-PR-Lawine entgegen und eröffnen die überfällige kritische Debatte zum Technologie-getriebenen Smart-City-Hype. Wird sie doch wie kaum eine andere der »adjectified cities« (Judith Ryser) mit überdimensional großem Engagement von Politik und Wirtschaft beworben. Judith Ryser lässt in ihrem Artikel Planning Smart Cities ... Sustainable, Healthy, Liveable, Creative Cities ... Or Just Planning Cities? diese Entwicklungen Revue passieren und unternimmt den nicht ganz einfachen Versuch, die Unterschiede zwischen Smart City, Green City, Sustainable City (und wie sie alle heißen) herauszuarbeiten.

Anne-Katrin Fenk und Gesa Königstein haben für ihren Beitrag zum Schwerpunkt ein Zitat von T.S. Elliot gewählt: »Where is the knowledge we have lost in information«. Die AutorInnen kritisieren, dass ArchitektInnen und PlanerInnen sich immer öfter in der Rolle eines urbanen Mechatronikers wiederfinden und werfen einen Blick auf die Auseinandersetzung mit dem Thema Smart City in Indien. Besonders erfreulich im Hinblick auf das Durchforsten des Sprudelsprechs zur Smart City ist auch der Beitrag von Adam Greenfield, Verfasser des äußerst empfehlenswerten Pamphlets mit dem ebenso knappen wie eindeutigen Titel Against the Smart City. In seinem Text wirft er den Agenten der aktuellen, smarten Stadtplanungsvision vor, ihr Konzept auf einem »inappropriate Model of optimization« aufzubauen: »Even where technical systems are concerned, there’s no such thing as abstract, across-the-board optimization.« Hilfreich für seine Analyse in
Sachen Brauchbarkeit des Konzepts für das gute urbane Leben, so Greenfield, war eine einfache Frage: WWJJD – What would Jane Jacobs do?

Für den Abschluss des Schwerpunkts zeichnet Sebastian Raho verantwortlich, der Die stille Politik der großen Utopie analysiert und sich speziell mit der Rolle der EU bei der Implementierung von Smart City Policies und der Situation in Österreich auseinandersetzt.

Im Magazinteil findet sich – neben den bereits erwähnten Beiträgen von Derya Özkan und Stephan Lanz – ein Artikel von Elke Krasny, der sich mit dem Begriff des Pioniers und der Entwicklung seiner Bedeutung auseinandersetzt. Im Zentrum ihrer »kritischen urbanen Analytik zwischen Etymologie und Epistemologie« steht dabei der Raumpionier, der im Stadtdiskurs – von Gentrification bis Zwischennutzung – regelmäßig auftaucht und zu einer zentralen Figur geworden ist.

Manfred Russo schlägt mit der aktuellen Folge seiner Serie zur Geschichte der Urbanität nach neun Teilen über die Postmoderne ein neues Kapitel auf: Stadt-Handeln. Performative Strate­gien. In Teil 1 geht es um Stadtsucht und Stadtverdrossenheit.

Das Kunstinsert dieser Ausgabe hat Anna Jermolaewa gestaltet, die sich in ihren Arbeiten regelmäßig mit unterschiedlichen Ökonomien und Machtsystemen beschäftigt. Der Titel ihres Inserts lautet Panadero (Bäcker) und zeigt Fotos der Arbeit eines durch Havanna ziehenden Brotverkäufers. Mehr dazu von Paul Rajakovics und Barbara Holub auf S. 32.

Bereits zum fünften Mal findet im Oktober unser Stadtforschungsfestival urbanize! statt. Gegründet anlässlich des zehnjährigen Erscheinens von dérive ist es damit mittlerweile selbst zum Jubilar geworden. Das ur5anize! Festival 2014 widmet sich unter dem Motto »Safe City« vom 3. bis 12. Oktober Fragen der Sicherheit im urbanen Raum und untersucht den Bedeutungswandel des Begriffs ebenso wie tatsächliche Anforderungen an eine gesicherte Lebensführung. Neben der Beschäftigung mit der rasanten Entwicklung von Überwachung und Kontrolle und den dahinter stehenden Macht- und Profitmechanismen, liegt ein besonderer Schwerpunkt der 5. Festivalausgabe auf Möglichkeiten der Herstellung sozialer Sicherheit in Zeiten der Krise und auf den potenziellen Chancen für ein Erstarken der Stadtgesellschaft durch neue soziale urbane Bewegungen. Alternative Konzepte zur Erhöhung der subjektiven Sicherheit werden ebenso ins Rampenlicht gerückt wie internationale Bottom-up-Initiativen und -Netzwerke, um Aufschlüsse über alternative Formen zur Herstellung von Sicherheit zu gewinnen.

Das Detail-Programm wird im August auf www.urbanize.at veröffentlicht. Eine urbanize-Veranstaltung können Sie sich aber schon jetzt dick im Kalender anstreichen: Am 10. Oktober im Wien Museum begrüßen wir den Stadtforscher und Geographen Stephen Graham, Super-Experte in Sachen military urbanism, zu einem Vortrag über die höchst bedenkliche Militarisierung öffentlicher Räume.

Doch vorerst wünschen wir einen schönen Sommer und eine anregende Lektüre, mit der wir sie zwar nicht smarter, aber jedenfalls wiser machen wollen!

Christoph Laimer, Elke Rauth

Inhalt

01 Editorial Christoph Laimer

Schwerpunkt
04 — 09 Smart Cities, Zurück in die Zukunft
Christoph Laimer

10 —18 Planning Smart Cities ... Sustainable, Healthy, Liveable, Creative Cities ...
Or Just Planning Cities?
Judith Ryser

19 — 22 Where is the knowledge we have lost in information?
Anne-Katrin Fenk, Gesa Königstein

23 — 26 The smart city is predicated on an inappropriate model of optimization
Adam Greenfield

27 — 31 Die stille Politik der großen Utopie
Sebastian Raho

Kunstinsert
32 — 36 
Anna Jermolaewa
Panadero

Magazin
37 — 42 »Mega-Events, Mega-Geschäfte, Mega-Proteste«
Die Städte und die Spiele in Brasilien
Stephan Lanz

43 — 46 Gecekondu chic?
Informal settlements and urban poverty as cultural commodity
Derya Özkan

47 — 52 Raumpioniere
Kritische urbane Analytik zwischen Etymologie und Epistemologie
Elke Krasny

43 — 58 Serie: Geschichte der Urbanität, Teil 44
Stadt-Handeln. Performative Strategien Teil 1. Stadtsucht und Stadtverdrossenheit
Manfred Russo

Besprechungen
60 — 65
60 Die grüne Nachkriegsmoderne
64 Der öffentliche Raum in Zeiten der Veränderung
65 New Yorks nachhaltige Stadtentwicklung
Berberian Sound Studio www.derive.at

68 Backissues

72 Impressum


dérive – Radio für Stadtforschung
Jeden 1. Dienstag im Monat von 17.30 bis 18 Uhr in Wien auf ORANGE 94.0 
oder als Webstream http://o94.at/live.
Sendungsarchiv: http://cba.fro.at/series/1235

Die grüne Nachkriegsmoderne 1

(SUBTITLE) Der Katalog

Wer heute durch den großen Donaupark im Norden Wiens spaziert, wird an einigen wenigen Stellen an die erste international ausgerichtete Gartenschau in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Dieser Park ist – im Vorhinein geplant – der im positiven Sinne verstandene Rest der 1964 gezeigten Wiener Internationale Gartenschau, kurz »WIG 64«.

Die unterschiedliche Rezeption der WIG 64 bringt der Direktor des Wien Museums, Wolfgang Kos, treffend in seinem Vorwort auf den Punkt: »Als wir im Museum über dieses Projekt diskutierten, zeigte sich, dass das Kürzel ›WIG 64‹ sehr unterschiedliche Assoziationen auslöst – entweder starke oder gar keine. Das hängt mit unterschiedlichen Erinnerungen zusammen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht in Wien aufgewachsen sind, verbinden keine persönlichen Erinnerungen mit der Gartenschau im heutigen Donaupark oder wissen gar nicht, dass im heute eher diffusen Gelände zwischen Donauturm, UNO- Zentrum und Donau City ein für Wiens Nachkriegsgeschichte wichtiges Ereignis stattfand. Menschen aus Wiener Familien, die seit zwei oder drei Generationen hier leben, reagieren dagegen sehr unmittelbar auf die Nennung der WIG 64, hat diese ›Garten- Weltausstellung‹ doch einen Platz in ihrer Erinnerung – sei es, weil Eltern und Großeltern davon erzählt haben, sei es, weil sie als Kinder mit dem Sessellift über Blumenbeete geschwebt sind oder zum ersten Mal eine legendäre Hollywood-Schaukel mit eigenen Augen gesehen haben.«

Die WIG 64 gehört – hier ist Wolfgang Kos zu folgen – zu jenen Großveranstaltungen der Ära des Wiederaufbaus und der Modernisierung, die noch von einem ungebrochenen Fortschrittsdenken geprägt war: »vergleichbar der Wiedereröffnung der Staatsoper und der Eröffnung der Opernpassage im Jahr 1955.«

Zahlreiche Autorinnen und Autoren widmen sich im Ausstellungskatalog in unterschiedlichen, relativ kurzen Beiträgen der Gartenschau und dem Donaupark, wobei die weitgehend in Vergessenheit geratene und teils verdrängte Vorgeschichte des Areals nicht ausgeblendet wird.

Die Schweizerin Annemarie Bucher spannt im ersten Text einen kurzweiligen Bogen vom Beginn von Gartenausstellungen im 19. Jahrhundert zu den mitteleuropäischen Gartenschauen im 20. Jahrhundert und stellt damit die WIG 64 in einen planerischen und gartenhistorischen Kontext. Martina Nußbaumer geht in ihrem Beitrag auf die Wiener Stadtplanung in den 1950er- und 1960er-Jahren ein, die noch stark von einer Funktionstrennung bzw. großräumigen Entmischung von Funktionen geprägt war, und setzt die WIG 64 in Bezug zum damals weit verbreiteten »Begehren der Nachkriegszeit nach Ordnung, Planbarkeit und Kontrollierbarkeit«. Mit der Geschichte des WIG 64/Donaupark-Areals vor 1964 beschäftigt sich Ulrike Krippner. Zu nennen sind hier die damals so wahrgenommenen »Un-Orte« Militär-schießstätte, städtische Mülldeponie und informelle Siedlungen. In einem Interview mit drei (ehemaligen) BewohnerInnen der Siedlung Bruckhaufen, die auch heute noch am Rande des Donauparks liegt, kommt eine individuelle Note in den Ausstellungskatalog.

Ulrike Krippner gibt einen groben Überblick auf die handelnden Personen bei der Gestaltung und die wichtigsten Teile des WIG-Geländes. Auf die Spuren der Berichterstattung zur WIG 64 in den Medien begibt sich Nicole Theresa Raab. Die Autorin schafft es im Text, den enormen Werbeaufwand für die Gartenschau deutlich zu machen.

Im Beitrag »Der Donauturm als Attraktion und Attrappe« fokussiert Andreas Nierhaus auf die Kritik am Sinn, an den Kosten und der Ausführung des Aussichtsturmes, der in 150 Meter Höhe eine neue Sicht auf Wien ermöglichte. Just 50 Jahre nach Eröffnung des Turms verlor der Donauturm sein Alleinstellungsmerkmal: Nur wenige hundert Meter entfernt wurde Anfang 2014 im DC Tower (am Rande des einstigen WIG-Geländes) in 207 Metern Höhe eine Aussichtsterrasse eröffnet, von der aus man auf den degradierten Donauturm hinunterblicken kann.

Nicole Theresa Raab widmet sich im anschließenden Beitrag der Frage, wieweit die USA in den 1960er-Jahren Einfluss auf die österreichischen Gärtnerei-Großbetriebe und somit auf den Privatgarten hatten. Einen pointierten kulturhistorischen Beitrag über ?die Hollywood-Schaukel, die auf dem WIG 64 Gelände als Sitzmöbel weit verbreitet war, liefert Peter Payer. Lilli Lic ?ka skizziert in aller Kürze die Entwicklung des Geländes – als Donaupark – in der Zeit nach 1964. In einem Interview mit einer Landschaftsarchitektin und einem Landschaftsarchitekten, die beide in den letzten Jahren im Donaupark aktiv tätig waren, wird über die einstigen und heutigen Qualitäten des Donauparks sowie die Notwendigkeiten für die Zukunft diskutiert. Es folgt ein kurzer Text von Helmut Neundlinger zur gegenwärtigen Nutzung des Donauparks. Abgeschlossen wird die Publikation mit dem Katalogteil.

Die Ausstellung und der Katalog sollen – so die Einleitung – die Gartenschau in den Kontext der planerischen Utopien nach 1945 stellen und nach den Intentionen und den konkreten städtebaulichen und soziokulturellen Auswirkungen dieses Großprojekts fragen. Dies gelingt in weiten Teilen. Ein Wermutstropfen bleibt: Auf die Diskussion über das »Soll und Ist« bei den hard facts der WIG 64 – hier sind vor allem die Besucherzahlen und die massive Kostenüberschreitung zu nennen – wird nicht eingegangen. Sie hätte unter anderem gezeigt, dass massive Kostenüberschreitungen bei Gartenschauen kein junges Phänomen sind. Leider wird im Katalogteil die Mär übernommen, der nationale, extrem kurz angesetzte Ideenwettbewerb für österreichische Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten hätte für die Stadtverwaltung »kein zufriedenstellendes Ergebnis« gebracht. Das Studium des Juryprotokolls lässt erahnen, dass der damalige Wiener Stadtgartendirektor die Gesamtplanung eher aus Eigennutz übernahm. Erst relativ spät kam – wie Ulrike Krippner richtig festhält – Kritik am »Amtsprojekt« WIG 64 auf.

Hoch anzurechnen ist den HerausgeberInnen und AusstellungsmacherInnen, dass sie sich dem Thema der Grünflächen nach 1945 am Beispiel des Donauparks angenommen haben. Dass die Ausstellung und der Katalog nicht den Raum haben, um weitere Details zur Gartenschau zu präsentieren, ist ein Wermutstropfen. Hilfreich für die Forschung zur »grünen Nachkriegsmoderne« ist neben den zahlreichen Fotos jedenfalls die Auflistung aller beteiligten Gartenarchitektinnen (sic!) und Gartenarchitekten, ArchitektInnen sowie KünstlerInnen. Spätestens zum Jubiläum »50 Jahre Wiener Internationale Gartenschau 1974 [sic!]« wird man auf diese wieder zurückgreifen.


Die grüne Nachkriegsmoderne 2
Die Ausstellung

Ein Park, ein Raum. Aus Anlass ihres 50-jährigen Geburtstags wird der Wiener Internationalen Gartenschau 1964 eine Ausstellung im Wien Museum gewidmet. Die Geschichte und Gegenwart der WIG 64, welche mit dem Donaupark einen der größten Parks Wiens hinterlassen hat, wurde in einem Raum verdichtet. Aufgrund der Vielfältigkeit der Exponate und Medien erschließt sich jedoch selbst in diesem kleinen Raum die vielschichtige Vergangenheit eines der größten Freiräume Wiens. Die Runde im Uhrzeigersinn führt vom Gestern ins Heute. In einem Pult präsentierte Exponate aus dem Archiv des Wien Museums und des Gartenbaumuseums ergänzen die historischen Informationen mit sehr persönlichen Eindrücken. Originaldokumente – wie die Brettldorfer Zeitung – zeigen die Situation der BewohnerInnen des Brettldorfes, einer informellen Siedlung, welche sich nach 1945 in direkter Nachbarschaft einer Müllhalde befand. Das ausgestellte Typoskript der Ansprache des damaligen Bundespräsidenten Schärf zeigt, wie selbst diese für damalige Zeiten nüchterne Parkgestaltung auf einer Müllhalde für den Vergleich mit dem religiösen Ideal des Paradieses in Gebrauch genommen werden konnte. Die WIG 64-Bierdeckel und der Donauturmkugelschreiber vermitteln die bis heute angewandten Strategien der Vermarktung von Großprojekten. In der Mitte des Raumes geben Originalmöblierungen wie die Bogenleuchte von Carl Auböck einen Eindruck der durch diese Gartenschau vermittelten Modernität. Die bespannten Metallgartenmöbel, welche sich seit kurzem auch wieder in den Katalogen der Gartenmöbelhersteller präsentieren, verweisen auf die derzeitige Aktualisierung des Designs der 60er Jahre. Die gezeigten Filmdokumente verbinden auf intelligente Weise die Zeitabschnitte. Sie reichen von Werbefilmen über Found-Footage-Aufnahmen damaliger BesucherInnen bis zu einer extra für die Ausstellung produzierten Dokumentation der gegenwärtigen Nutzungen. Dieser Film bietet ausgewählte Einblicke in den Alltag im Park. Die nach 1964 vorgenommenen Adaptierungen, z.B. im Bereich der Sportangebote, werden so sichtbar. Deutlich wird, dass der bestehende Park aufgrund seiner Größe unterschiedlichste NutzerInnen, vom 90-jährigen Schachspieler bis zum mit Langzeitarbeitslosen Tennis spielenden Investmentbanker Raum zur Begegnung bietet. Welche Veränderungen der Park auch in den 50 Jahren seines Bestehens durchlaufen hat und noch werden wird, ob die zukünftigen Veränderungen geplant – wie mittels Parkpflegewerken in aktuelleren Beispielen der Bundesgartenschauen in Deutschland (München, Berlin, Potsdam) – oder als Stückwerk erfolgen werden, ist noch offen und wird den BesucherInnen als offen stehende Frage präsentiert. Die NutzerInnen werden ihren Raum im Park finden und die BesucherInnen der Ausstellung werden angeregt aus dem Raum im Museum auch wieder den Donaupark zu besuchen und dort selbst im Raum tätig zu werden.


Ulrike Krippner, Lilli Licka, Martina Nußbaumer (Hg.)
WIG 64. Die grüne Nachkriegsmoderne Wien
Metroverlag, 2014
160 Seiten, 24 Euro

dérive, Mi., 2014.07.23

23. Juli 2014 Christian Hlavac, Erik Meinharter

New Yorks nachhaltige Stadtentwicklung

Udo W. Häberlin

Von New York lernen ist eine leicht lesbare, erfrischend unprätentiöse (Bilder-)Geschichte über New Yorker Plätze und Parks und ambitionierte AkteurInnen, die ihre Handschrift darin hinterließen. Die Beiträge von Susanne Lehmann-Reupert lesen sich wie ein unterhaltsames Tagebuch und beinhalten dennoch wertvolle Informationen für die Stadtentwicklung (-spolitik). Jahrzehntelange Vorurteile gegenüber Amerikanern und ihrer Global City mit der einstigen Wolkenkratzer-Ära habe ich beim Lesen dieses Buches revidiert! Wie kam’s?

Bekannt ist, dass Städte weltweit an Bevölkerung zunehmen und auch wenn New York nicht die größte Stadt ist, dürfte es kaum eine andere Metropole auf der Welt geben, »in der so viele Menschen aus unterschiedlichen Einkommensklassen, Nationen, Religionen, Kulturen und Sprachen so friedlich nebeneinander leben und sich ständig in dem von allen genutzten öffentlichen Raum begegnen«. Gleichzeitig wird in den urbanen Agglomerationen ein Großteil der erzeugten Energie verbraucht. Die internationale Energieagentur warnt vor einem neuerlichen Ansteigen des fossilen Brennstoffverbrauchs und verlangt deutliche Maßnahmen, um Klimawandel und Erderwärmung einzudämmen. »Doch ist dies auch schon bei uns Bürgern angekommen?«, fragt die Autorin und meint: »In NY habe ich erfahren, dass eine Stadt aber nicht nur das soziale Verhalten ihrer BewohnerInnen, sondern auch deren nachhaltiges Handeln zu beeinflussen vermag.« Dazu passend zitiert sie Jan Gehl: »Erst formen wir die Städte, dann formen sie uns.«

Warum New York 2012 die Auszeichnung, die nachhaltigste Stadt der Welt zu sein, erhalten hatte, wird mit der Lektüre anschaulich erläutert. Die Stadt an der Ostküste der Vereinigten Staaten wird als Vorbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung und als beispielhafte Bottom-up-Bewegung durch bürgerschaftliches Engagement dargestellt. Denn ausgerechnet New York möbliert die Straßenschluchten gemütlich mit Stuhl, Tisch und Sonnenschirm. Und ausgerechnet hier (und nach Rudolph Giuliani) funktioniert eine Strategie der Rückbesinnung auf zivilgesellschaftliches Engagement?

Klar, mit 15.000 BewohnerInnen pro Quadratkilometer ist die größte Stadt der USA prädestiniert für urbanes Leben. »Die große Dichte fordert permanente Bereitschaft zum Wandel, zur Umgewöhnung und Neuorientierung.« Doch erst Bürgermeister Bloomberg wagte 127 neue Schritte zur Lebensqualität, die im ehrgeizigen Leitbild plaNYC beschlossen wurden. Die Autorin nennt sieben konkrete Ansätze für eine nachhaltige Stadtentwicklung einer wachsenden Stadt: Darunter die Qualifizierung des öffentlichen Raums, ein schlüssiges Mobilitätskonzept, insbesondere kurze Wege, d.h. Siedlungsstrukturen mit Funktionsmischung, die auch lokale Nahrungsmittelproduktion integriert, Energieeffizienz und die Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements. Damit wird die lebenswichtige Verbindung zur Natur wieder hergestellt bzw. werden Ökokreisläufe mit Urbanität verknüpft.

Umgesetzt sind bereits eine City-Maut, die Umstellung der Taxis auf Hybrid-Antrieb, die Vervierfachung vorbildlicher Fahrradwege, neue Grün- und Verweilräume und begrünte Dächer. Diese Maßnahmen dokumentieren einen smarten Gesellschaftswandel. Denn es entstanden Initiativen, die den öffentlichen Raum als »wichtigsten Bestandteil des urbanen Alltags« in der Millionenmetropole grüner und gemeinschaftlicher gestalten.

Die Autorin berichtet von ihren Streif-zügen, etwa über den Brooklyn Bridge Park nach Red Hook und vom High Line Park, der durch die Umnutzung der 2,3 Kilometer langen ehemaligen Hochbahntrasse (nach Pariser Vorbild) entstand, und von weiteren aufsehenerregenden Veränderungen im öffentlichen Raum. Sie entdeckt neue Erholungsflächen an Hudson und East River oder anderswo Pocket Parks, Gemeinschaftsgärten und Stadtfarmen, zum Teil auf Dächern. Diese zeugen von sichtbaren Qualitätsverbesserungen.

Lehmann-Reupert macht Lust auf Umgestaltungen und schürt die Hoffnungen für Urban Farming und »sustainable Streets«. Doch sie stellt ebenso soziale Pioniere und engagierte ExpertInnen wie Janette Sadik-Khan vor, die Leiterin der Verkehrsabteilung. Diese treibt die rasante Einrichtung von bisher 450 km Fahrrad-routen ebenso voran, wie den Rückbau von Straßen – selbst am Broadway entstanden breitere Gehwege für Stühle und Tische und Pflanzkübel. Außerdem wird beispielsweise Liz Christy präsentiert, die der Gemeinschaftsgarten-Bewegung Vorschub leistete.

Und scheinbar nebenbei legt die Autorin mustergültige Grundsätze einer nachhaltigen Stadtentwicklung dar, wie die Begrünung von Flachdächern für die Nahrungsmittelproduktion in der Stadt. Den Schlüssel für diese Erfolge sieht Lehmann- Reupert im Zusammenspiel zweier Kräfte: »zum einen die mit einer übergreifenden Entwicklungsstrategie ausgerüsteten Entscheidungsträger der New Yorker Stadtverwaltung, zum anderen die Bürgerinitiativen.« Dieses Zusammenwirken von öffentlicher Hand und privaten Initiativen wird anhand der Entwicklungsprozesse vorgestellt. Deren Ergebnisse nützt die Autorin, um zur Nachahmung aufzurufen und ein motivierendes Plädoyer für Nachhaltigkeit und Eigeninitiative zu halten: »If I can make it there, I’ll make it anywhere!« So zeitgemäß und aufregend alternativ kann New York sein.

Spätestens mit der Vermehrung (und kreativen Ersteigerung) von Parks wie im Fall des »Clinton Community Garden« schwanken die Fundamente der Logik einer einst autogerechten Stadt, und das Ziel Michael Bloombergs – jede New Yorkerin, jeder New Yorker soll künftig nicht mehr als zehn Gehminuten von einem Park entfernt wohnen – rückt in vorstellbare Nähe. Jetzt müsste es New York nur mehr schaffen die Gentrifizierung zu stoppen, günstige Wohnungen zu errichten und die Überwachung und Kontrolle seiner vor allem afro- und hispanoamerikanischen BürgerInnen zurückzuschrauben. Bloombergs Nachfolger, Bill De Blasio, hat diese Vorhaben zumindest im Wahlkampf angekündigt.


Susanne Lehmann-Reupert
Von New York lernen
Mit Stuhl, Tisch und Sonnenschirm
Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2013
192 Seiten, 16,80 Euro

dérive, Mi., 2014.07.23

23. Juli 2014 Udo Häberlin

Berberian Sound Studio

Ein Mann steht in einem Kinosaal, wir sehen nur ihn, nicht was er betrachtet. Wir beobachten, wie er Gemüse zerhackt, wie ein Berserker mit Messern arbeitet, immer auf der Suche nach dem noch perfekteren Ton für den auf die Leinwand projizierten Schrecken – ist der Protagonist von Peter Stricklands hochreflexivem Berberian Sound Studio doch ein Soundspezialist, der einen italienischen Thriller nachvertont. Wir bekommen (im mehrfachen Wortsinn) deutlich vorgeführt, wie der schüchterne Gilderoy, perfekt dargestellt von Toby Jones, angesichts des ihn anwidernden Schreckens trotzdem versucht, seinen Job gut zu machen. Doch nicht nur der filmische Horror setzt ihm zu, mehr noch plagt ihn das plakativ gezeichnete italienische Umfeld, in dem er zu wirken hat – die Gehässigkeiten der Kollegen, sprachliche Hindernisse, die Barrieren einer zwielichtigen Produktionsfirma. Strickland verbindet das Heimweh des zurückhaltenden Gilderoy, seine zaghaften Versuche soziale Bande zu knüpfen oder seine Standpunkte durchzusetzen zu einem Netz, in dem sich der gleichermaßen ungeschickte wie geniale Tonmensch zusehends verfängt. Er strampelt, versucht die Dreistigkeit seiner Auftraggeber zu imitieren, die ihn quälenden Zustände auszublenden.

Doch alles Bemühen ist vergebens, die Verwaltung der Produktionsfirma erweist sich als kafkaesker, labyrinthisch angelegter Apparat, die diversen düsteren Zimmer und Flure verschachteln sich zu einem Seelenraum, aus dem es kein Entrinnen geben kann.

Durch die thematische Ausrichtung und die filmgeschichtliche Kontextualisierung sind die historischen Markierungen des Spielfilms sehr deutlich ausgewiesen: Im Zentrum des angedeuteten Horrors steht, was wir nicht zu sehen, aber eben zu hören bekommen. Damit wird nicht nur die Leerstelle für die Rezeption für die jeweils persönlich wirksamsten Schrecken geöffnet, sondern ganz prinzipiell das visuelle Primat des Filmischen befragt. Dass Strickland dafür ausgerechnet das beliebte italienische Giallo-Subgenre der 1970er-Jahre mit seinen zentralen Gewaltdarstellungen und wiederkehrenden Erkennungsmerkmalen auswählt, ist, ebenso wie die im Titel integrierte Anspielung auf die Mezzosopranistin und Komponistin Cathy Berberian, ein weiterer gelungener Kunstgriff. Doch Strickland geht in seiner Arbeit noch weiter, ist Berberian Sound Studio nicht zuletzt auch ein Film über Rauminszenierung, Grenzerfahrungen und das Spannungsverhältnis von Stadt und Land. Die bedrohliche unüberschaubare Raum-Welt der italienischen Firma, die Gilderoy nach und nach verschluckt, steht in krassem Gegensatz zum angedeuteten ländlichen Idyll seiner britischen Heimat, die sich in Briefen, Tonaufnahmen und Traumsequenzen manifestiert. In der wechselseitigen Beeinflussung von Kunst und Leben verliert sich der Protagonist in den Prozessen von Imitation und Fiktionalisierung, er verschwindet in den unheimlichen, aus architektonischen Fixierungen herausgelösten Räumen, aus denen er zuletzt keinen Ausweg mehr finden kann.


Peter Strickland: Berberian Sound Studio
Köln: Rapid Eye Movies, 2014
DVD PAL, Farbe s/w, Laufzeit 92 min.
Englisches Original mit dt. Untertiteln

dérive, Mi., 2014.07.23

23. Juli 2014 Thomas Ballhausen

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