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23. Juli 2014Thomas Ballhausen
dérive

Berberian Sound Studio

Ein Mann steht in einem Kinosaal, wir sehen nur ihn, nicht was er betrachtet. Wir beobachten, wie er Gemüse zerhackt, wie ein Berserker mit Messern arbeitet,...

Ein Mann steht in einem Kinosaal, wir sehen nur ihn, nicht was er betrachtet. Wir beobachten, wie er Gemüse zerhackt, wie ein Berserker mit Messern arbeitet,...

Ein Mann steht in einem Kinosaal, wir sehen nur ihn, nicht was er betrachtet. Wir beobachten, wie er Gemüse zerhackt, wie ein Berserker mit Messern arbeitet, immer auf der Suche nach dem noch perfekteren Ton für den auf die Leinwand projizierten Schrecken – ist der Protagonist von Peter Stricklands hochreflexivem Berberian Sound Studio doch ein Soundspezialist, der einen italienischen Thriller nachvertont. Wir bekommen (im mehrfachen Wortsinn) deutlich vorgeführt, wie der schüchterne Gilderoy, perfekt dargestellt von Toby Jones, angesichts des ihn anwidernden Schreckens trotzdem versucht, seinen Job gut zu machen. Doch nicht nur der filmische Horror setzt ihm zu, mehr noch plagt ihn das plakativ gezeichnete italienische Umfeld, in dem er zu wirken hat – die Gehässigkeiten der Kollegen, sprachliche Hindernisse, die Barrieren einer zwielichtigen Produktionsfirma. Strickland verbindet das Heimweh des zurückhaltenden Gilderoy, seine zaghaften Versuche soziale Bande zu knüpfen oder seine Standpunkte durchzusetzen zu einem Netz, in dem sich der gleichermaßen ungeschickte wie geniale Tonmensch zusehends verfängt. Er strampelt, versucht die Dreistigkeit seiner Auftraggeber zu imitieren, die ihn quälenden Zustände auszublenden.

Doch alles Bemühen ist vergebens, die Verwaltung der Produktionsfirma erweist sich als kafkaesker, labyrinthisch angelegter Apparat, die diversen düsteren Zimmer und Flure verschachteln sich zu einem Seelenraum, aus dem es kein Entrinnen geben kann.

Durch die thematische Ausrichtung und die filmgeschichtliche Kontextualisierung sind die historischen Markierungen des Spielfilms sehr deutlich ausgewiesen: Im Zentrum des angedeuteten Horrors steht, was wir nicht zu sehen, aber eben zu hören bekommen. Damit wird nicht nur die Leerstelle für die Rezeption für die jeweils persönlich wirksamsten Schrecken geöffnet, sondern ganz prinzipiell das visuelle Primat des Filmischen befragt. Dass Strickland dafür ausgerechnet das beliebte italienische Giallo-Subgenre der 1970er-Jahre mit seinen zentralen Gewaltdarstellungen und wiederkehrenden Erkennungsmerkmalen auswählt, ist, ebenso wie die im Titel integrierte Anspielung auf die Mezzosopranistin und Komponistin Cathy Berberian, ein weiterer gelungener Kunstgriff. Doch Strickland geht in seiner Arbeit noch weiter, ist Berberian Sound Studio nicht zuletzt auch ein Film über Rauminszenierung, Grenzerfahrungen und das Spannungsverhältnis von Stadt und Land. Die bedrohliche unüberschaubare Raum-Welt der italienischen Firma, die Gilderoy nach und nach verschluckt, steht in krassem Gegensatz zum angedeuteten ländlichen Idyll seiner britischen Heimat, die sich in Briefen, Tonaufnahmen und Traumsequenzen manifestiert. In der wechselseitigen Beeinflussung von Kunst und Leben verliert sich der Protagonist in den Prozessen von Imitation und Fiktionalisierung, er verschwindet in den unheimlichen, aus architektonischen Fixierungen herausgelösten Räumen, aus denen er zuletzt keinen Ausweg mehr finden kann.


Peter Strickland: Berberian Sound Studio
Köln: Rapid Eye Movies, 2014
DVD PAL, Farbe s/w, Laufzeit 92 min.
Englisches Original mit dt. Untertiteln

dérive, Mi., 2014.07.23



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dérive 56 Smart Cities

Die Bilder der Stadt

Im Zentrum der vorliegenden Schwerpunktausgabe steht das Verhältnis von Stadt und Comic, das nicht zuletzt durch die Vielzahl filmischer Comic-Adaptionen...

Im Zentrum der vorliegenden Schwerpunktausgabe steht das Verhältnis von Stadt und Comic, das nicht zuletzt durch die Vielzahl filmischer Comic-Adaptionen...

Im Zentrum der vorliegenden Schwerpunktausgabe steht das Verhältnis von Stadt und Comic, das nicht zuletzt durch die Vielzahl filmischer Comic-Adaptionen in den letzten Jahren einen regelrechten Aufschwung erfahren hat. Oft war von Sin City zu lesen, von Gotham oder Metropolis; aktuelle Verfilmungen wie The Spirit oder Watchmen werden ihren Teil zur Fortführung dieses Trends beitragen. Die Verbindung dieser beiden sequentiell erzählenden Medien, die sowohl in ihrer historischen Entwicklung wie auch in ihren thematischen Ausrichtungen eine unleugbare Nähe zum Stadt-Raum aufweisen, ist dabei ebenso zu bedenken wie die zahlreichen positiven Herausforderungen der sich ergebenden, nicht minder zahlreichen intermedialen Bezüge. An den künstlerischen Arbeiten lässt sich eine ergänzende, streckenweise sogar alternative Geschichte der Moderne und ihrer Folgen ablesen. Das (neue) Interesse für diese Arbeiten und die ihnen zugrundeliegenden Comics und graphic novels, die spätestens mit dem Jahr 1986 eine wahre Zäsur in der Produktion und Rezeption der „bunten Bilder“ einläuteten, führt dabei aber auch immer wieder zurück zu den Fragen erzählerischer wie auch formaler Umsetzungsstrategien räumlicher Dimensionen zurück. Schon die Anfänge der Comics, die als eigenständiges und auch eigengesetzliches Medium eine enge Verwandtschaft zum Film aufweisen, sind an der Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum interessiert; die Palette reicht hier von den erträumten Wunderwelten Little Nemos bis zu den sich ständig wandelnden, geradezu verflüssigten Hintergründen in Krazy Kat. Die fruchtbare Historie dieser nicht immer unproblematischen Wechselbeziehung kann und soll dabei durchaus als erzählerische Erfolgsgeschichte gedacht werden, die bis in unsere Tage – und gewiss auch darüber hinaus – andauert: Der städtische Raum wird im Verlauf seiner comic history zur Konstante der so genannten Neunten Kunst, er wird zum Austragungsort unterschiedlichster Konflikte, zum umfehdeten Raum unterschiedlichster Diskurse.

Ganz im Sinne dieser thematischen Kontinuität war es uns ein Anliegen, im vorliegenden Heft mit der Verbindung wissenschaftlicher und künstlerischer Beiträge sowohl die grundsätzlichen Elemente der untersuchten Wechselbeziehung zu skizzieren und in neue Kontexte einzubetten als auch Perspektiven auf bisher kaum beachtete oder gar bearbeitete Felder zu eröffnen. Ganz bewusst wurden bereits umfassend erforschte Themen, die sich über die Literaturhinweise und die den Schwerpunkt abrundende Auswahlbibliografie erschließen lassen, nur in den einleitenden Ausführungen berücksichtigt; das Hauptgewicht der Texte liegt auf der schlüssigen Auseinandersetzung mit neuen oder bisher kaum erforschten Werken, die über einen konkreten thematischen Zugriff vorgestellt werden. So unternimmt Jill Meißner in ihrem Beitrag eine vergleichende Lektüre der immer wieder sehr heftig diskutierten Heldenentwürfe, die die Metropolen bevölkern, und macht dabei unter anderem auch auf kulturübergreifende Prozesse aufmerksam. Kathrin Kunas und Verena Bauers Texte gehen der beinahe unauflöslichen Verbindung des Heldischen und des Städtischen im Comic anhand spezifischer Beispiele nach: Kuna untersucht den städtischen und comic-gemäßen Unterbau der beliebten Serie Heroes, Bauer stellt in ihrem Aufsatz Feral City – eine Zusammenarbeit von Altmeister Warren Ellis und Jungtalent Ben Templesmith, der auch in Europa eine breitere LeserInnenschaft zu wünschen ist – im Kontext neuerer Gedanken zur Stadtentwicklung vor. Günter Krenn und Paolo Caneppele kehren in ihrem Essay zu einem ihrer langjährigen Forschungsinteressen, dem Leben und Werk Guido Crepax’, zurück; erstmals kann man hier nun ausführlicher vom Spannungsverhältnis Crepax und Architektur lesen. Ines Wagners Ausführungen zu Illustrationen in Kinderbüchern, die in ihrer künstlerischen Gestaltung nicht selten den Charakter von Comicbildern annehmen, setzen sinnvoll auf den vorhergehenden Ansätzen auf und führen zugleich auch wieder zu den grundsätzlichen Gedanken einer konstruktiv-kritischen Lektüre der Wechselbeziehung Stadt und Comic zurück. Ergänzt werden die Texte von Arbeiten österreichischer Künstlerinnen und Künstler, die sich ebenfalls dem facettenreichen Themenkreis Stadt widmen: Birgit Scholins und Axel Laimers (crystal clear) zarte, feingliedrige Arbeiten sind ganz im Sinne der permanenten Gestaltungsherausforderung von leerer Seite und Stadtraum zu lesen, Anna-Maria Jungs Beispielseiten aus ihrem Comic Xoth! entführen in die Welt des US-amerikanischen Schriftstellers H. P. Lovecraft und seiner Entwürfe horribler Urbanität, und die Ausschnitte aus der graphic novel Wired World von Jörg Vogeltanz und Thomas Ballhausen stellen ein düsteres Parallelwelt-London vor.

Abschließend ist zu bemerken, dass der vorliegende Schwerpunkt als kleiner Beitrag gelesen werden kann und soll, sich auch im deutschen Sprachraum weiter für eine seriöse und lustvolle Auseinandersetzung mit dem Medium Comic einzusetzen, also die Möglichkeit der comic studies nicht nur anzudenken, sondern – immer auch im Sinne der LeserInnenschaft – umzusetzen. Um den letzten Satz der Abschluss-Episode von Calvin & Hobbes als Motto aufzugreifen: „It’s a magical world, Hobbes, ol‘ buddy ... Let’s go exploring!“


[Thomas Ballhausen ist Lektor an der Universität Wien (Europäische und Vergleichende Literaturwissenschaft, Theaterwissenschaft) sowie Mitarbeiter des Filmarchivs Austria.]

[Günter Krenn, Studium der Philosophie und der Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Filmarchiv Austria; Arbeits- und Forschungsschwerpunkt: Musik, Filmgeschichte und Bildende Kunst. Mehrere selbständige Veröffentlichungen. Zuletzt erschienen: „Romy Schneider. Die Biographie“ (Berlin, 2008).]

[Ines Wagner, freischaffende Wissenschaftlerin und Journalistin mit den Arbeits- und Forschungsschwerpunkten Kinder- und Jugendbuch, -film, -kultur. Studium der Germanistik und Publizistik an der Universität Wien, derzeit Arbeit an der Dissertation „Kinderfilm in Österreich“. Mitarbeit beim Internationalen Kinderfilmfestival Wien, bei diversen Verlagen und bei Recherche arbeiten am Filmarchiv Austria.]

dérive, Fr., 2009.03.27



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dérive 35 Stadt und Comic

Cinematic Cities – Stadt im Film

Die Szenen sind ein Stück amerikani­sche Filmgeschichte. In eindrucksvoller Schwarz-weiß-Fotografie zeichnet Woody Allens Kameramann Gordon Willis ein...

Die Szenen sind ein Stück amerikani­sche Filmgeschichte. In eindrucksvoller Schwarz-weiß-Fotografie zeichnet Woody Allens Kameramann Gordon Willis ein...

Die Szenen sind ein Stück amerikani­sche Filmgeschichte. In eindrucksvoller Schwarz-weiß-Fotografie zeichnet Woody Allens Kameramann Gordon Willis ein Schnellporträt von Manhattan, musikalisch untermalt mit einer von Amerikas berühmtesten Identifikationshymnen, der Rhapsody in blue. Im Anfangsmonolog zu Manhattan heißt es: „To him... no matter what the season was, this was still a town that existed in black and white and pulsated to the great tunes of George Gershwin.“ Auch diese Szenen repräsentieren US-amerikanische Kinohistorie: In schmuckloser Farbfotografie zeichnet Martin Scorseses Kameramann Michael Chapman die Millieustudie des Taxichauffeurs Travis Bickle, subtil viragiert von Bernard Herrmanns spannungsgeladener Musik. In Taxi Driver hat auch Robert De Niros Voiceover nichts zu verklären: „Thank God for the rain which has helped wash the garbage and trash off the sidewalks ... All the animals come out at night: whores, skunk pussies, buggers, queens, fairies, dopers, junkies, sick, venal... Someday a real rain will come and wash all this scum off the streets.“
Die selbe Stadt und doch ein anderes Universum, in dem die Sprache zumeist vor dem Wesentlichen versagt. Die Sprachlosigkeit führt in Filmen jedoch nicht ins Schweigen, sondern in eine gelungene Symbiose aus Bildern und Musik. Worüber man bei Städten nicht sprechen kann, darüber kann man Filme drehen. Die Analyse dokumentiert dabei nicht unbedingt die urbane Namenspatronin, sondern den sie scheinbar Analysiernden. Woody Allen zeichnet New York wie er ist. Federico Fellini decouvriert Rom in Fellinis Roma. Allen spricht bei „seiner“ Stadt über sich, hätte Fellini einen solchen Film gedreht, hätte der, trotz aller Hommage für Fellinis Geburtsstadt Rimini in Amarcord, korrekterweise wohl Cinecitta heißen müssen.

Cinecitta – Kino-Stadt, in diesem Wort manifestiert sich die symbiotische Beziehung zwischen Film und Stadt. Viele Filme tragen Städtenamen im Titel, haben reale oder fiktive Städte als Schauplätze, die von Metropolis bis hin zu Coruscent in Star Wars reichen. Das Konzept der Stadt ist zentral für Filme unterschiedlichster Art und Herkunft. Nahezu jede Themenvariation kann dort angesiedelt werden. In den Kinotiteln, die während der 1920er Jahre in Wien liefen, wurde der Begriff „Großstadt“ kombiniert mit „-Elend, -Gift, -Hyänen, -Kavaliere, -Liebe, -Mädels, -Pflanzen, -Schmetterling, -Spatzen, -Verlockungen“ sowie „- Deutschen Geistes.“ Urbanisation, die mit der Expansion des industriellen Kapitalismus einherging, war ein Ausdruck des historischen Übergangs zu einer spezifisch modernen sozialen Lebensweise und formte zugleich diese Lebensweise mit. Es waren nicht zuletzt die Filme, die ihren RezipientInnen halfen, mit der neuen gesellschaftlichen Realität des Großstadtlebens umzugehen, ihnen buchstäblich „Anschauungs-Unterricht“ gaben.

Es ist undenkbar, dass sich der Film ohne Stadt entwickeln hätte können. Schon Walter Benjamin und Jean Baudrillard haben die Affinität zwischen den beiden Begriffen dokumentiert. Die komplexe Beziehung zwischen Kino und Realität manifestiert sich in Baudrillards Formulierung, dass das Kino sich auf vielfache Weise aus seinem Kontext heraus begibt und ausbreitet, dabei seine eigene Realität erzeugt. Dies ist in der Stadt am deutlichsten wahrnehmbar. Kino bleibt hier nicht auf die Leinwand reduziert, der urbane Betrachter hat auch außerhalb des Kinos oft das Gefühl, als bewege er sich in einer Filmkulisse. Stadt ist Bewegung. „Kinematographie“ ist die „Aufzeichnung von Bewegung.“ In seinem Buch The Cinematic City demonstriert David B. Clarke zahlreiche Beispiele für eine „kinematische Stadt.“ In der Einleitung weist er darauf hin, dass man sowohl in europäischen als auch in amerikanischen Städten das Gefühl habe, was man sieht, wäre soeben der Leinwand entsprungen. Mit dem Unterschied, dass die Leinwand in Europa die eines Gemäldes ist, während es sich in Amerika um eine Filmleinwand handele. Dass die Ereignisse des 11. September zunächst an die Ausschnitte eines Hollywood-Katastrophenfilms erinnerten, also die Wirklichkeit den Film kopierte, ist noch in Erinnerung. Der Prozess, in dem Hollywood bestrebt sein muss, diese historische Realität durch technische Ästhetik an „Realistik“ zu übertreffen, hat längst begonnen.

„Touch (the) screen, touch the city“ – diesem Motto ist das vorliegende Schwerpunktheft deshalb auch verpflichtet. Zwischen den Bildschirm- und Leinwandlandschaften changierend wird in den Beiträgen nicht nur den verorteten, sondern immer auch den inneren Städten nachgespürt. Abseits der ausgetretenen Pfade und der vielbehandelten Werke wird anhand ungewöhnlicher Perspektiven und neuerer Beispiele die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld „Stadt und Film“ um wesentliche Facetten erweitert. Das Schauen dauert an.

[ Thomas Ballhausen (Filmarchiv Austria), Julia Fischer (Universität Wien), Günter Krenn (Filmarchiv Austria) ]

dérive, Mo., 2008.01.07



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dérive 30 Cinematic Cities - Stadt im Film

Presseschau 12

23. Juli 2014Thomas Ballhausen
dérive

Berberian Sound Studio

Ein Mann steht in einem Kinosaal, wir sehen nur ihn, nicht was er betrachtet. Wir beobachten, wie er Gemüse zerhackt, wie ein Berserker mit Messern arbeitet,...

Ein Mann steht in einem Kinosaal, wir sehen nur ihn, nicht was er betrachtet. Wir beobachten, wie er Gemüse zerhackt, wie ein Berserker mit Messern arbeitet,...

Ein Mann steht in einem Kinosaal, wir sehen nur ihn, nicht was er betrachtet. Wir beobachten, wie er Gemüse zerhackt, wie ein Berserker mit Messern arbeitet, immer auf der Suche nach dem noch perfekteren Ton für den auf die Leinwand projizierten Schrecken – ist der Protagonist von Peter Stricklands hochreflexivem Berberian Sound Studio doch ein Soundspezialist, der einen italienischen Thriller nachvertont. Wir bekommen (im mehrfachen Wortsinn) deutlich vorgeführt, wie der schüchterne Gilderoy, perfekt dargestellt von Toby Jones, angesichts des ihn anwidernden Schreckens trotzdem versucht, seinen Job gut zu machen. Doch nicht nur der filmische Horror setzt ihm zu, mehr noch plagt ihn das plakativ gezeichnete italienische Umfeld, in dem er zu wirken hat – die Gehässigkeiten der Kollegen, sprachliche Hindernisse, die Barrieren einer zwielichtigen Produktionsfirma. Strickland verbindet das Heimweh des zurückhaltenden Gilderoy, seine zaghaften Versuche soziale Bande zu knüpfen oder seine Standpunkte durchzusetzen zu einem Netz, in dem sich der gleichermaßen ungeschickte wie geniale Tonmensch zusehends verfängt. Er strampelt, versucht die Dreistigkeit seiner Auftraggeber zu imitieren, die ihn quälenden Zustände auszublenden.

Doch alles Bemühen ist vergebens, die Verwaltung der Produktionsfirma erweist sich als kafkaesker, labyrinthisch angelegter Apparat, die diversen düsteren Zimmer und Flure verschachteln sich zu einem Seelenraum, aus dem es kein Entrinnen geben kann.

Durch die thematische Ausrichtung und die filmgeschichtliche Kontextualisierung sind die historischen Markierungen des Spielfilms sehr deutlich ausgewiesen: Im Zentrum des angedeuteten Horrors steht, was wir nicht zu sehen, aber eben zu hören bekommen. Damit wird nicht nur die Leerstelle für die Rezeption für die jeweils persönlich wirksamsten Schrecken geöffnet, sondern ganz prinzipiell das visuelle Primat des Filmischen befragt. Dass Strickland dafür ausgerechnet das beliebte italienische Giallo-Subgenre der 1970er-Jahre mit seinen zentralen Gewaltdarstellungen und wiederkehrenden Erkennungsmerkmalen auswählt, ist, ebenso wie die im Titel integrierte Anspielung auf die Mezzosopranistin und Komponistin Cathy Berberian, ein weiterer gelungener Kunstgriff. Doch Strickland geht in seiner Arbeit noch weiter, ist Berberian Sound Studio nicht zuletzt auch ein Film über Rauminszenierung, Grenzerfahrungen und das Spannungsverhältnis von Stadt und Land. Die bedrohliche unüberschaubare Raum-Welt der italienischen Firma, die Gilderoy nach und nach verschluckt, steht in krassem Gegensatz zum angedeuteten ländlichen Idyll seiner britischen Heimat, die sich in Briefen, Tonaufnahmen und Traumsequenzen manifestiert. In der wechselseitigen Beeinflussung von Kunst und Leben verliert sich der Protagonist in den Prozessen von Imitation und Fiktionalisierung, er verschwindet in den unheimlichen, aus architektonischen Fixierungen herausgelösten Räumen, aus denen er zuletzt keinen Ausweg mehr finden kann.


Peter Strickland: Berberian Sound Studio
Köln: Rapid Eye Movies, 2014
DVD PAL, Farbe s/w, Laufzeit 92 min.
Englisches Original mit dt. Untertiteln

dérive, Mi., 2014.07.23



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Die Bilder der Stadt

Im Zentrum der vorliegenden Schwerpunktausgabe steht das Verhältnis von Stadt und Comic, das nicht zuletzt durch die Vielzahl filmischer Comic-Adaptionen...

Im Zentrum der vorliegenden Schwerpunktausgabe steht das Verhältnis von Stadt und Comic, das nicht zuletzt durch die Vielzahl filmischer Comic-Adaptionen...

Im Zentrum der vorliegenden Schwerpunktausgabe steht das Verhältnis von Stadt und Comic, das nicht zuletzt durch die Vielzahl filmischer Comic-Adaptionen in den letzten Jahren einen regelrechten Aufschwung erfahren hat. Oft war von Sin City zu lesen, von Gotham oder Metropolis; aktuelle Verfilmungen wie The Spirit oder Watchmen werden ihren Teil zur Fortführung dieses Trends beitragen. Die Verbindung dieser beiden sequentiell erzählenden Medien, die sowohl in ihrer historischen Entwicklung wie auch in ihren thematischen Ausrichtungen eine unleugbare Nähe zum Stadt-Raum aufweisen, ist dabei ebenso zu bedenken wie die zahlreichen positiven Herausforderungen der sich ergebenden, nicht minder zahlreichen intermedialen Bezüge. An den künstlerischen Arbeiten lässt sich eine ergänzende, streckenweise sogar alternative Geschichte der Moderne und ihrer Folgen ablesen. Das (neue) Interesse für diese Arbeiten und die ihnen zugrundeliegenden Comics und graphic novels, die spätestens mit dem Jahr 1986 eine wahre Zäsur in der Produktion und Rezeption der „bunten Bilder“ einläuteten, führt dabei aber auch immer wieder zurück zu den Fragen erzählerischer wie auch formaler Umsetzungsstrategien räumlicher Dimensionen zurück. Schon die Anfänge der Comics, die als eigenständiges und auch eigengesetzliches Medium eine enge Verwandtschaft zum Film aufweisen, sind an der Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum interessiert; die Palette reicht hier von den erträumten Wunderwelten Little Nemos bis zu den sich ständig wandelnden, geradezu verflüssigten Hintergründen in Krazy Kat. Die fruchtbare Historie dieser nicht immer unproblematischen Wechselbeziehung kann und soll dabei durchaus als erzählerische Erfolgsgeschichte gedacht werden, die bis in unsere Tage – und gewiss auch darüber hinaus – andauert: Der städtische Raum wird im Verlauf seiner comic history zur Konstante der so genannten Neunten Kunst, er wird zum Austragungsort unterschiedlichster Konflikte, zum umfehdeten Raum unterschiedlichster Diskurse.

Ganz im Sinne dieser thematischen Kontinuität war es uns ein Anliegen, im vorliegenden Heft mit der Verbindung wissenschaftlicher und künstlerischer Beiträge sowohl die grundsätzlichen Elemente der untersuchten Wechselbeziehung zu skizzieren und in neue Kontexte einzubetten als auch Perspektiven auf bisher kaum beachtete oder gar bearbeitete Felder zu eröffnen. Ganz bewusst wurden bereits umfassend erforschte Themen, die sich über die Literaturhinweise und die den Schwerpunkt abrundende Auswahlbibliografie erschließen lassen, nur in den einleitenden Ausführungen berücksichtigt; das Hauptgewicht der Texte liegt auf der schlüssigen Auseinandersetzung mit neuen oder bisher kaum erforschten Werken, die über einen konkreten thematischen Zugriff vorgestellt werden. So unternimmt Jill Meißner in ihrem Beitrag eine vergleichende Lektüre der immer wieder sehr heftig diskutierten Heldenentwürfe, die die Metropolen bevölkern, und macht dabei unter anderem auch auf kulturübergreifende Prozesse aufmerksam. Kathrin Kunas und Verena Bauers Texte gehen der beinahe unauflöslichen Verbindung des Heldischen und des Städtischen im Comic anhand spezifischer Beispiele nach: Kuna untersucht den städtischen und comic-gemäßen Unterbau der beliebten Serie Heroes, Bauer stellt in ihrem Aufsatz Feral City – eine Zusammenarbeit von Altmeister Warren Ellis und Jungtalent Ben Templesmith, der auch in Europa eine breitere LeserInnenschaft zu wünschen ist – im Kontext neuerer Gedanken zur Stadtentwicklung vor. Günter Krenn und Paolo Caneppele kehren in ihrem Essay zu einem ihrer langjährigen Forschungsinteressen, dem Leben und Werk Guido Crepax’, zurück; erstmals kann man hier nun ausführlicher vom Spannungsverhältnis Crepax und Architektur lesen. Ines Wagners Ausführungen zu Illustrationen in Kinderbüchern, die in ihrer künstlerischen Gestaltung nicht selten den Charakter von Comicbildern annehmen, setzen sinnvoll auf den vorhergehenden Ansätzen auf und führen zugleich auch wieder zu den grundsätzlichen Gedanken einer konstruktiv-kritischen Lektüre der Wechselbeziehung Stadt und Comic zurück. Ergänzt werden die Texte von Arbeiten österreichischer Künstlerinnen und Künstler, die sich ebenfalls dem facettenreichen Themenkreis Stadt widmen: Birgit Scholins und Axel Laimers (crystal clear) zarte, feingliedrige Arbeiten sind ganz im Sinne der permanenten Gestaltungsherausforderung von leerer Seite und Stadtraum zu lesen, Anna-Maria Jungs Beispielseiten aus ihrem Comic Xoth! entführen in die Welt des US-amerikanischen Schriftstellers H. P. Lovecraft und seiner Entwürfe horribler Urbanität, und die Ausschnitte aus der graphic novel Wired World von Jörg Vogeltanz und Thomas Ballhausen stellen ein düsteres Parallelwelt-London vor.

Abschließend ist zu bemerken, dass der vorliegende Schwerpunkt als kleiner Beitrag gelesen werden kann und soll, sich auch im deutschen Sprachraum weiter für eine seriöse und lustvolle Auseinandersetzung mit dem Medium Comic einzusetzen, also die Möglichkeit der comic studies nicht nur anzudenken, sondern – immer auch im Sinne der LeserInnenschaft – umzusetzen. Um den letzten Satz der Abschluss-Episode von Calvin & Hobbes als Motto aufzugreifen: „It’s a magical world, Hobbes, ol‘ buddy ... Let’s go exploring!“


[Thomas Ballhausen ist Lektor an der Universität Wien (Europäische und Vergleichende Literaturwissenschaft, Theaterwissenschaft) sowie Mitarbeiter des Filmarchivs Austria.]

[Günter Krenn, Studium der Philosophie und der Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Filmarchiv Austria; Arbeits- und Forschungsschwerpunkt: Musik, Filmgeschichte und Bildende Kunst. Mehrere selbständige Veröffentlichungen. Zuletzt erschienen: „Romy Schneider. Die Biographie“ (Berlin, 2008).]

[Ines Wagner, freischaffende Wissenschaftlerin und Journalistin mit den Arbeits- und Forschungsschwerpunkten Kinder- und Jugendbuch, -film, -kultur. Studium der Germanistik und Publizistik an der Universität Wien, derzeit Arbeit an der Dissertation „Kinderfilm in Österreich“. Mitarbeit beim Internationalen Kinderfilmfestival Wien, bei diversen Verlagen und bei Recherche arbeiten am Filmarchiv Austria.]

dérive, Fr., 2009.03.27



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dérive 35 Stadt und Comic

Cinematic Cities – Stadt im Film

Die Szenen sind ein Stück amerikani­sche Filmgeschichte. In eindrucksvoller Schwarz-weiß-Fotografie zeichnet Woody Allens Kameramann Gordon Willis ein...

Die Szenen sind ein Stück amerikani­sche Filmgeschichte. In eindrucksvoller Schwarz-weiß-Fotografie zeichnet Woody Allens Kameramann Gordon Willis ein...

Die Szenen sind ein Stück amerikani­sche Filmgeschichte. In eindrucksvoller Schwarz-weiß-Fotografie zeichnet Woody Allens Kameramann Gordon Willis ein Schnellporträt von Manhattan, musikalisch untermalt mit einer von Amerikas berühmtesten Identifikationshymnen, der Rhapsody in blue. Im Anfangsmonolog zu Manhattan heißt es: „To him... no matter what the season was, this was still a town that existed in black and white and pulsated to the great tunes of George Gershwin.“ Auch diese Szenen repräsentieren US-amerikanische Kinohistorie: In schmuckloser Farbfotografie zeichnet Martin Scorseses Kameramann Michael Chapman die Millieustudie des Taxichauffeurs Travis Bickle, subtil viragiert von Bernard Herrmanns spannungsgeladener Musik. In Taxi Driver hat auch Robert De Niros Voiceover nichts zu verklären: „Thank God for the rain which has helped wash the garbage and trash off the sidewalks ... All the animals come out at night: whores, skunk pussies, buggers, queens, fairies, dopers, junkies, sick, venal... Someday a real rain will come and wash all this scum off the streets.“
Die selbe Stadt und doch ein anderes Universum, in dem die Sprache zumeist vor dem Wesentlichen versagt. Die Sprachlosigkeit führt in Filmen jedoch nicht ins Schweigen, sondern in eine gelungene Symbiose aus Bildern und Musik. Worüber man bei Städten nicht sprechen kann, darüber kann man Filme drehen. Die Analyse dokumentiert dabei nicht unbedingt die urbane Namenspatronin, sondern den sie scheinbar Analysiernden. Woody Allen zeichnet New York wie er ist. Federico Fellini decouvriert Rom in Fellinis Roma. Allen spricht bei „seiner“ Stadt über sich, hätte Fellini einen solchen Film gedreht, hätte der, trotz aller Hommage für Fellinis Geburtsstadt Rimini in Amarcord, korrekterweise wohl Cinecitta heißen müssen.

Cinecitta – Kino-Stadt, in diesem Wort manifestiert sich die symbiotische Beziehung zwischen Film und Stadt. Viele Filme tragen Städtenamen im Titel, haben reale oder fiktive Städte als Schauplätze, die von Metropolis bis hin zu Coruscent in Star Wars reichen. Das Konzept der Stadt ist zentral für Filme unterschiedlichster Art und Herkunft. Nahezu jede Themenvariation kann dort angesiedelt werden. In den Kinotiteln, die während der 1920er Jahre in Wien liefen, wurde der Begriff „Großstadt“ kombiniert mit „-Elend, -Gift, -Hyänen, -Kavaliere, -Liebe, -Mädels, -Pflanzen, -Schmetterling, -Spatzen, -Verlockungen“ sowie „- Deutschen Geistes.“ Urbanisation, die mit der Expansion des industriellen Kapitalismus einherging, war ein Ausdruck des historischen Übergangs zu einer spezifisch modernen sozialen Lebensweise und formte zugleich diese Lebensweise mit. Es waren nicht zuletzt die Filme, die ihren RezipientInnen halfen, mit der neuen gesellschaftlichen Realität des Großstadtlebens umzugehen, ihnen buchstäblich „Anschauungs-Unterricht“ gaben.

Es ist undenkbar, dass sich der Film ohne Stadt entwickeln hätte können. Schon Walter Benjamin und Jean Baudrillard haben die Affinität zwischen den beiden Begriffen dokumentiert. Die komplexe Beziehung zwischen Kino und Realität manifestiert sich in Baudrillards Formulierung, dass das Kino sich auf vielfache Weise aus seinem Kontext heraus begibt und ausbreitet, dabei seine eigene Realität erzeugt. Dies ist in der Stadt am deutlichsten wahrnehmbar. Kino bleibt hier nicht auf die Leinwand reduziert, der urbane Betrachter hat auch außerhalb des Kinos oft das Gefühl, als bewege er sich in einer Filmkulisse. Stadt ist Bewegung. „Kinematographie“ ist die „Aufzeichnung von Bewegung.“ In seinem Buch The Cinematic City demonstriert David B. Clarke zahlreiche Beispiele für eine „kinematische Stadt.“ In der Einleitung weist er darauf hin, dass man sowohl in europäischen als auch in amerikanischen Städten das Gefühl habe, was man sieht, wäre soeben der Leinwand entsprungen. Mit dem Unterschied, dass die Leinwand in Europa die eines Gemäldes ist, während es sich in Amerika um eine Filmleinwand handele. Dass die Ereignisse des 11. September zunächst an die Ausschnitte eines Hollywood-Katastrophenfilms erinnerten, also die Wirklichkeit den Film kopierte, ist noch in Erinnerung. Der Prozess, in dem Hollywood bestrebt sein muss, diese historische Realität durch technische Ästhetik an „Realistik“ zu übertreffen, hat längst begonnen.

„Touch (the) screen, touch the city“ – diesem Motto ist das vorliegende Schwerpunktheft deshalb auch verpflichtet. Zwischen den Bildschirm- und Leinwandlandschaften changierend wird in den Beiträgen nicht nur den verorteten, sondern immer auch den inneren Städten nachgespürt. Abseits der ausgetretenen Pfade und der vielbehandelten Werke wird anhand ungewöhnlicher Perspektiven und neuerer Beispiele die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld „Stadt und Film“ um wesentliche Facetten erweitert. Das Schauen dauert an.

[ Thomas Ballhausen (Filmarchiv Austria), Julia Fischer (Universität Wien), Günter Krenn (Filmarchiv Austria) ]

dérive, Mo., 2008.01.07



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