Editorial

Wilde Tiere sind in unserer Bilderwelt allgegenwärtig, doch aus unserem physischen Alltag sind sie weitest­gehend verschwunden. Der Zoo soll den Menschen die Möglichkeit eröffnen, sie aus der Nähe zu erleben.

Ab dem 7. Juni 2014 wird die prächtige neue Anlage des Elefantenparks im Zürcher Zoo einen Teil dieser Aufgabe übernehmen. Wer hier den Asiatischen Elefanten begegnet, erfährt, wie ­anspruchsvoll die Zoohaltung geworden ist – und welche Widersprüche ihr nach wie vor inne­wohnen. Immerhin, nach heutiger Zoophilosophie soll sich das Tier in ­seinem sozialen Verhalten frei entfalten können. Entsteht dabei eine Art Tierarchitektur? Wird der Architekt zum Elefantenflüsterer?

Das Gespräch mit dem Zoo-Kurator Robert Zingg thematisiert den Anspruch, artgerechte Haltung mit einer Erlebniswelt für die Besuchenden zu vereinen. Architektur und Landschaft sind gekonnt ineinander verflochten, um die zahlreichen Nutzflächen in einer natürlich an­mutenden Umgebung unterzubringen. Auch die technische Leistung hinter dem frei geformten Elefantenhaus ist beachtlich. Damit die sichtbare Holzkonstruktion 80 m weit spannen kann, ­wurde dem natürlich gewachsenem Material alles abverlangt – es wurde getestet, zersägt, ­verschraubt, vor­gespannt und geschichtet. So entstand am Ende ein robustes Tragwerk.
Die oben gestellten Fragen zur tiergerechten ­Architektur bleiben dagegen bis auf Weiteres unbeantwortet – die Dickhäuter neigen nicht zum Dialog.

Thomas Ekwall

Inhalt

AKTUELL
08 WETTBEWERBE
Der Markenwert der ­Architektur

15 PANORAMA
Mit 220 km/h im Gotthard

19 VITRINE
Im Dienst der Dickhäuter

24 GEGEN UNFAIRE WETTBEWERBE
Swiss Squares auf Erfolgskurs | SIA-International: Brücke ins Ausland | Neuzugänge

29 VERANSTALTUNGEN

THEMA
30 EIN DACH FÜR ZÜRICHS ELEFANTEN

30 VOM ELEFANTENHAUS ZUM ELEFANTENPARK
Christoph Wieser
Architektur und Landschaft im Einklang mit der heutigen Zoophilosophie.

35 «DEN ELFANTEN IST DAS DACH EGAL»
Claudia Carle, Judit Solt
Senior Kurator Robert Zingg über die Ansprüche von Mensch und Tier.

38 HOLZDACH IM BETONKORSETT
Thomas Ekwall
Eine Holzschale im Spannungsfeld zwischen Wunschvorstellung und technischer Machbarkeit.

44 STELLENINSERATE

53 IMPRESSUM

54 UNVORHERGESEHENES

Vom Elefantenhaus zum Elefantenpark

Die frei geformte Dachschale des Kaeng-Krachan-Elefantenparks
setzt ein spektakuläres Zeichen. Das Gebäude will
Teil der umgebenden Landschaft sein und bildet zugleich
die Hülle für einen neuen Lebensraum.

Die frei geformte Dachschale des Kaeng-Krachan-Elefantenparks
setzt ein spektakuläres Zeichen. Das Gebäude will
Teil der umgebenden Landschaft sein und bildet zugleich
die Hülle für einen neuen Lebensraum.
Text: Christoph Wieser


Der Kaeng-Krachan-Elefantenpark im Zoo Zürich löst das Elefantenhaus von 1971 ab. Wie die Jury des Architek­turwettbewerbs festhielt, sollte der ursprüngliche Lebensraum der Elefanten darin landschaftlich so nachgebildet werden, dass die Besucher europäische Konstruk­tionselemente möglichst nicht wahrnehmen und dass die Architektur einen Kontrast zur umgebenden Landschaft vermeidet. Ein Blick auf das Raumprogramm verdeutlicht, welche Schwierigkeiten damit verbunden waren: Gefordert wurde ein Innenbereich von rund 6000 m² – etwa die Hälfte der benachbarten Masoala- Halle – mit einer lichten Höhe von 18 m. Und dieses Gebäude sollte quasi unsichtbar sein oder zumindest in Einklang mit der Landschaft stehen.

Das Team um Markus Schietsch Architekten und Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau hat das zweistufige Wettbewerbsverfahren ­zweifellos auch deshalb gewonnen, weil es auf diese zentrale Fragestellung eine ebenso überzeugende wie eigenständige Antwort gefunden hat. Die an einen riesigen Schildkrötenpanzer gemahnende Dachschale bildet in Kombination mit der selbstverständlich ins Gelände eingepassten Aussenanlage ein Ensemble von hoher Prägnanz. Dabei ergänzen sich die beiden Teile vorteilhaft und spielen gekonnt mit den Widersprüchen, die dem Bauen für den Zoo seit je innewohnen: Während die künstliche Landschaft gerade wegen ihres ausgeprägten Realismus hochgradig artifiziell, wie ein Bühnenbild wirkt, oszilliert die Architektur der Innen­anlage zwischen Struktur und gebauter Naturkulisse.

Hölzerne Dachschale

Das von Weitem sichtbare, raumprägende Element des Elefantenparks ist der überwölbte Innenbereich mit einer Spannweite von rund 80 m. Für das hochkomplexe ­Tragwerk aus Holz (vgl. «Holzdach im Betonkorsett», S. 38) haben die Architekten eine frei geformte Schale über nahezu ­kreisförmigem Grundriss entwickelt. Sie nutzen die geometrischen Freiheiten einerseits dazu, den Rand an verschiedenen Stellen wie den Eingängen gezielt aufzuwölben. Andererseits lösen sie die Dach­fläche in eine netzartig anmutende Struktur auf. Damit ergibt sich ein Öffnungsanteil von gut 30 %, der für das Pflanzenwachstum und das Wohlbefinden der Elefanten notwendig ist. Zudem erfüllen sie den Anspruch einer «unsichtbaren» Architektur, die sich mit der ­Landschaft verbindet.

Sie erreichen dies selbstbewusst nicht mit einem topografischen Ansatz, sondern mit einer letztlich klar architektonisch definierten Form. Gleichwohl wirkt das Dach von aussen wegen der puzzleartigen Eindeckung mit unbehandelten Furnierschichtholzplatten in einem abstrakten Sinn natürlich. Der Unterschied wird klar im Vergleich zur Masoala-Halle – dort sind die transparenten ETFE-Kissen, die beim Elefantenpark ebenfalls Verwendung finden, zu 100 % sichtbar. Die Aufständerung der verkleidenden Schicht aus Holz verhindert, dass die Kissen aus der Silhouette hervorstehen. Dank diesem Kniff erscheint das Konstrukt nicht als Gewächshaus. Vollends zum Gebäude wird die Überdachung, weil die Schale vom Boden abgehoben ist und eine zurückversetzte, in eine hölzerne Lamellenstruktur aufgelöste Glasfassade aufweist.

Im Innern funktioniert die beabsichtigte Symbiose von Architektur und Natur noch besser, vor allem im Gegenlicht. Dann verbindet sich die durch viele Öffnungen unterteilte Dachuntersicht mit den grossblättrigen Pflanzen der Halle und wirkt wie ein abstrahiertes Blätterdach. Das Holz der sichtbar belassenen Tragstruktur leistet seinen Beitrag ebenso wie die rohe Perforation der Schale: Die Oblichter wurden vor Ort mittels Kettensägen herausgearbeitet, weshalb sie teilweise ausgefranste Kanten und leicht unregelmässige Schnitt­flächen aufweisen. Dieses beinahe archaische Moment als Teil des Bauprozesses steht in spannungsreichem Kontrast zur hochgradig technisierten, nur dank der computerbasierten Parametrisierung plan- und ­berechenbaren Form.

Exotismen und Authentizität

Der Neubau erinnert tatsächlich kaum an Architektur im Sinn von «Haus», sondern verbindet sich mit der gebauten Landschaft. Dies im Unterschied zur ­sogenannten Lodge und zum Kiosk, deren Gestaltung als separates Los vom Zoo vergeben wurde. Beide ­Bauten stehen in deutlichem Kontrast zum Rest der Anlage, nicht primär, weil der Kiosk mit seiner völlig falschen Platzierung den Haupteingang verstellt und die Lodge mit einer Rückwand versehen wurde, die die Blickverbindung zwischen Aussen- und Innen­bereich verhindert, sondern ihrer architektonischen Sprache wegen.

Wie die Bezeichnung «Kaeng Krachan» andeutet, bezieht sich die landschaftliche Gestaltung des Ele­fantenparks und das Storyboard für das Info- und ­Edutainment auf den gleichnamigen Nationalpark in Thailand. Die aktuelle Mensch-Tier-Problematik bezüglich der Asiatischen Elefanten wird somit thematisiert. Die beiden Kleinbauten verströmen zusammen mit den übrigen «thailändischen» Versatzstücken einen Hauch von Exotik am hinteren Zürichberg.

Die Faszination für das Fremde gehört von Beginn an zur Geschichte der zoologischen Gärten. Ein berühmtes Beispiel ist die exotische «Elefantenpagode» des Berliner Zoos von 1873, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Die Architekten Ende und Böckmann schufen ein mit bunten Mosaikbildern reich verziertes Gebäude, dessen turmartige Aufbauten an indische Tempel erinnern sollten (vgl. Kasten S. 34). Der Hauptgrund für die extravagante Formensprache war finanzieller Natur: Der Betreiber, eine Aktiengesellschaft, erhoffte sich durch die Erstellung von exotischen Grossbauten den dringend benötigten Besucheraufschwung. Im Zoo Zürich wurden alle Bauten von Beginn an in einem funktional-sachlichen Stil errichtet, was mit dem Zeitpunkt der Eröffnung von 1929 und den damaligen Zooarchitekten Adolf Steger und Karl Egender zusammenhängt. Die exotische Phase im Zoo Zürich ist ein neues Phänomen, das mit dem Katzenhaus für die Indischen Löwen 2006 einen ersten baulichen Niederschlag fand. Beim Elefantenpark beschränkt sich der Exotismus auf die szenografischen Bauten. Die Umgebungsgestaltung und die Architektur dagegen sind als ganzheitliche Naturkonstruktion entworfen.

Gebaute Landschaft

Zooanlagen sind immer gebaute und somit inszenierte Landschaften. Wie im Theater gilt es mittels kulissen­artiger Elemente eine Stimmung zu erzeugen. Wichtig sind dabei definierte Blickachsen und die ­Vermeidung von «Cross Viewing» – die Besucher sollen sich möglichst nicht gegenseitig sehen, sondern nur die Tiere im landschaftlichen Umfeld. Das Ziel einer solchen ­«Habitat Immersion»-Anlage, wie sie vom Zoo gewünscht wurde, besteht darin, die Besuchenden möglichst umfassend in den Lebensraum der Tiere ­einzubeziehen. Zudem galt es, den Elefantenpark aufgrund des heutigen Wissens über artgerechte Haltung nach dem Prinzip «Protected Contact» auszulegen (vgl. «Den Elefanten ist das Dach egal», S. 35).

Gab es beim alten Elefantenhaus einige wenige Tore, sind es in der neuen Anlage rund 40, die wie die auf dem ganzen Areal verteilten Futterstellen elektronisch steuerbar sind. An diesem Detail wird ­deutlich, wie komplex die funktionalen Abläufe sind. Die Übersetzung der räumlichen Verbindungen der einzelnen Bereiche von Tieren, Besuchenden und Pflegenden kommt einer ausgeklügelten Matrix gleich. Hier hat Lorenz Eugster mit seinem schlüssigen Konzept für die Landschaftsarchitektur und der Gliederung der Aussen- und Innenanlage wesentlichen Anteil am Gelingen des Projekts.

Die Einbettung ins Terrain erfolgt über eine geschickte Terrassierung: Eine rund 300 m lange künstlich modulierte Nagelfluhwand bildet den oberen ­­Abschluss und Auftakt der Anlage, denn die Mehrzahl der Besuchenden kommt von oben in den Erweiterungsteil des Zoos. Eine zusätzliche Felsstufe trennt den separaten Kuh-Kalb-Bereich vom Rest des weitläufigen Aussenbereichs. Ein Wasserfall inszeniert die Höhenstaffelung und speist die verschiedenen Wasserbecken. Im Innenraum können die Elefanten ebenfalls baden. Hier ist der Unterwasserbereich für die Besuchenden gar über eine grosse Panzerglasscheibe frei einsehbar.Verschiedene Baum- und Pflanzengruppen sowie Geländemodulierungen gliedern den Innen- wie Aussenbereich. Über die Wahl immer grossblättriger und feiner gefiederter Bäume und Pflanzen führen die Landschaftsarchitekten den Mischwald des Zürichbergs fort und transformieren ihn allmählich in eine dem thailändischen ­Nationalpark verwandte Stimmung. Zahlreiche Totholzbäume dienen den Elefanten zur Hautpflege. Einige Bäume erweisen sich beim genauen Hinsehen als künstliche Futterstellen. Der Übergang zwischen natürlichen und künstlichen Elementen ist fliessend; die Imitation echt anmutenden Nagelfluhgesteins wird mittels Kratzbeton, gezielt in die Schalung eingelegten grösseren Steinen und Farbe erreicht.

TEC21, Fr., 2014.06.06

06. Juni 2014 Christoph Wieser

«Den Elefanten ist das Dach egal»

Unter artgerechter Tierhaltung stellen sich Fachleute und Besucher nicht unbedingt das Gleiche vor. Der Elefantenpark möchte beiden gerecht werden: den neuen Erkenntnissen der Tierforschung und dem Wunsch der Besucher nach einem naturnahen und spannenden Lebensraum.

TEC21: Herr Zingg, Zoos dienen heute nicht mehr nur dazu, Tiere zu halten und auszustellen, sondern bauen eine Umgebung nach, die ihrem natürlichen Lebensraum möglichst ähnlich ist. In unseren Breiten­graden braucht es dafür in der Regel ein Dach.
Bei dem 2003 eingeweihten Masoala-Regenwald entschied sich der Zoo Zürich für eine rein funktionale Lösung, beim Elefantenpark wurde das Dach gestaltet. War das ein Wunsch des Zoos, oder hat es sich aus dem Architekturwettbewerb ergeben?
Robert Zingg: Architekten haben es nicht einfach im Zoo. Ein Ausspruch des früheren Zoo­direktors Heini Hediger war: «Das gefährlichste Tier im Zoo ist der Architekt.» Das soll nichts anderes aussagen, als dass der Zoo der falsche Ort ist, um sich ein Denkmal zu setzen. Hier muss die Funktionalität im Vordergrund stehen. Was den Elefantenpark betrifft, wussten wir, dass das Gebäude nicht nur riesig sein würde, sondern auch von oben gut sichtbar, weil es am Hang steht. Damit ein solcher Bau mit einer Dachfläche von ca. 6000 m² den Besucher nicht erschlägt, sollte er möglichst leicht und wie eine natürliche Form wirken. Unter den 50 Wettbewerbsbeiträgen gab es dafür verschiedenste Lösungen – von Glashäusern über ganze Felslandschaften, in die das Haus integriert war, bis hin zu durchbrochenen Hüllen wie der jetzt realisierten. Das Lichtspiel unter dieser Hülle ähnelt demjenigen in einem Wald. Der Besucher soll möglichst kein Gebäude, sondern einen Lebensraum betreten. Diesem Anspruch dient die Architektur.

Die Inszenierung des natürlichen Lebensraums wird also in erster Linie für die Besucher gemacht, nicht für die Tiere?
Zingg: Ja, das Dach ist sicher ein Element, bei dem es um die Gesamtwirkung auf die Besucher geht – den Elefanten ist es egal. Heutige Besucher haben Reisen unternommen und Filme gesehen und darum eine bestimmte Vorstellung vom Lebensraum der Tiere. Eine fantasielose Umgebung mit nur ein paar Zäunen kommt einfach schlecht an – ungeachtet dessen, ob das Tier darin gut zurechtkommt oder nicht. Ein schönes Beispiel ist das Gehege des Brillenbären mit einer wunderbaren Felswand im Hintergrund. Dem Brillenbären ist es egal, aus welchem Material diese Wand ist; sie ist einfach ein Hindernis, das er nicht überwinden kann. Aber damit es für die Besucher stimmt, hat man etwas geschaffen, das natürlich wirkt. Die Besucher müssen das Gefühl haben, dass die Tiere gut gehalten werden.

Im Elefantenpark ist eine waldartige Umgebung entstanden.
Zingg: Ja, der Asiatische Elefant wäre in einem immergrünen Wald zu Hause. Das lässt sich im Zoo aber nicht 1 : 1 umsetzen, weil die Elefanten den schnell zerstören würden. Wir versuchen daher, mit Totholzbäumen einen Wald zu suggerieren. Auch die Besucher werden sich in einem waldähnlichen Bereich bewegen, wenn die Pflanzen grösser geworden sind. Zur Inszenierung gehört ausserdem die Kom­position der Blickachsen: Die Besucher schauen nie in eine grosse Menschenmenge. Auch die technischen Einrichtungen soll man möglichst nicht sehen. ­Gerade beim Elefant ist das eine spezielle Herausforderung. In einem Gehege für ein Tier, das eine Stosskraft von bis zu 15 t entwickeln kann, braucht es nun einmal massive Wände, die man dann zu kaschieren versucht. Trotzdem bauen wir nicht einfach nur Kulissen. Unsere Verantwortung liegt auch beim Tier.

Welche Anforderungen gab es denn von Seiten der Tierhaltung an den neuen Elefantenpark?
Zingg: Im Masterplan 2030 des Zoos ist schon länger festgelegt, dass es eine neue Elefantenanlage geben wird. 2007 haben wir begonnen, uns konkret Gedanken zu machen, was die Anlage leisten soll.
Ein Wunsch war ein deutlich grösseres Haus, weil die Tiere in unserem Klima etwa die Hälfte des Jahres drinnen verbringen. Wir wollen ihnen daher auch im Innenbereich etwas Interessantes bieten. Auf einer grösseren Fläche hat man mehr Optionen für viel­fältige Einrichtungen. Ein weiterer Wunsch war, den Elefantenkühen die Möglichkeit zu geben, ihre natürliche Sozialstruktur in Form von matrilinearen Gruppen zu entwickeln. Wir möchten, dass in Zukunft Mütter und Töchter zusammenbleiben und sich so Weibchenverbände bilden können.

Wieso war das in der alten Anlage nicht möglich?
Zingg: Bisher war das nie das Ziel. Früher haben wir jeweils Einzeltiere von anderen Zoos übernommen. Wenn für ein Jungtier nicht genug Platz da war, hat man es auch wieder einzeln
an ­andere Zoos abgegeben. Man hat es also aus einem sozialen Kontext herausgenommen, in einen neuen gebracht und damit sozial geschwächt. Dass man soziale Einheiten beibehalten möchte, ist eine neuere Entwicklung, die auf Erkenntnissen der modernen Tierhaltung beruht. Allerdings sind dafür spezielle Anlagen nötig: Zum einen braucht es für grössere Gruppen mehr Platz, zum anderen wird sich die Dynamik innerhalb der Gruppe anders entwickeln.

Inwiefern?
Zingg: Wenn die matrilineare Sozialstruktur richtig ausgeprägt ist, wird der Elefantenpfleger zum schwächsten Glied in der Gruppe. Um seine Sicherheit zu gewährleisten, müssen wir ihn aus dem Sozialgefüge herausnehmen und das Managementsystem ändern. In der alten Anlage hatten die Tierpfleger direkten Kontakt zu den Elefantenkühen («hands on») und die Rolle des Alphatiers inne. In der neuen Anlage gehen wir – wie bisher schon bei den Elefantenbullen – zum sogenannten geschützten Kontakt («protected contact») über, bei dem immer eine ­Barriere zwischen Tier und Pfleger besteht. Das setzt entsprechende Räume voraus, in denen die Tiere zum Beispiel für medizinische Behandlungen isoliert werden können. Zudem wird es möglicherweise mehr Auseinandersetzungen zwischen den Tieren geben, wenn der Tierpfleger nicht mehr dazwischen geht. Daher braucht es sowohl innen als auch aussen Räume, um die Tiere bei Bedarf zu separieren.

Der Elefantenbulle bleibt nach wie vor allein?
Zingg: Jungbullen kann man weiterhin im Alter von 4 bis 5 Jahren weggeben. Dann werden sie etwas schwierig im Handling und würden auch im Freiland die Herde verlassen, um sich mit anderen Jungbullen zu einer Junggesellengruppe zusammenzuschliessen. Wir werden aber in Kürze noch einen Jungbullen als Partner unserer beiden jungen Weibchen dazubekommen, um Inzucht zu vermeiden.
Der Bullenbereich liegt abseits der Besucherzonen im Hintergrund der Anlage, weil Bullen manchmal etwas unberechenbar sind und man sie daher nicht an der Front haben möchte.

Was beim neuen Elefantenpark auffällt, sind die vielen Wasserflächen und der Sand- anstelle des Betonbodens im alten Elefantenhaus.
Zingg: Der weiche Boden ist besonders für die älteren Tiere angenehmer. Die Bullen mit den grossen Stosszähnen können sich besser zum Schlafen hin­legen, und die Tiere haben allgemein weniger Nagelprobleme. Einen festen Boden, der leicht zu reinigen ist, hat es nur noch in den Managementboxen, wo die Tiere nur temporär sind.
Wasser ist ein wichtiges Element im Lebensraum der Elefanten. Daher hat es im Innen- und im Aussenbereich verschiedene Bassins, von seicht bis so tief, dass die Elefanten richtig schwimmen können.

Kommen all diese Vorgaben daher, dass man heute besser als beim Bau des alten Elefantenhauses vor 40 Jahren versteht, wie man Elefanten artgerecht hält – oder misst man dem heute einfach mehr Gewicht bei?
Zingg: Man hat in der Zwischenzeit sehr viel gelernt, zum einen im Freiland, aber auch aus der Haltung im Zoo. Man weiss heute zum Beispiel, dass Elefanten 16 bis 18 Stunden pro Tag auf Futtersuche sind. Wir haben uns daher überlegt, wie wir das Fütterungssystem für sie anspruchsvoller machen können. Es gibt etwa 40 Futterstellen in der neuen Anlage. Ein Teil davon lässt sich über eine Zeitschalt­uhr auslösen, sodass die Fütterungszeiten nicht mehr an die Präsenz der Tierpfleger gekoppelt sind. Zudem bekommen sie nicht mehr einfach einen Haufen Heu, sondern nur kleine Portionen, die sie aus den ­Futterstellen herausklauben müssen. Die Elefanten sollen längere Zeiträume mit der Futtersuche ­verbringen und ihre Geschicklichkeit nutzen.

Der Zoo versucht also, sowohl den Ansprüchen der Tiere als auch den Erwartungen der Besucher gerecht zu werden.
Zingg: Die Ansprüche der Tiere werden so «verpackt», dass eine auch für die Besucher interessante Anlage entsteht. Die ernsthaft geführten Zoos entwickeln sich in Richtung Naturschutzzentren.
Die Tiere fungieren dabei als Botschafter ihrer Art, die die Besucher emotional abholen, damit sie für Informationen zugänglich sind. Wir möchten zum Beispiel erreichen, dass die Besucher die Verbindung zwischen der Zerstörung des Lebensraums Regenwald und dem Aussterben der darin lebenden Tiergemeinschaften erkennen. Die Leute sollen realisieren, dass wir alle in diese Zerstörung involviert sind und mit unserem täglichen Konsumverhalten beeinflussen können, wie es dort weitergeht.

Hinzu kommen in letzter Zeit Projekte, mit denen der Zoo versucht, den Lebensraum in den Herkunfts­ländern der Tiere zu erhalten.
Zingg: Ja, mit allen grösseren Projekten, die wir in letzter Zeit realisiert haben, ist ein Freilandprojekt verbunden. Beim Kaeng-Krachan-Elefantenpark bringen wir uns über eine Patenorganisation im gleichnamigen Nationalpark in Thailand ein, um im Konflikt zwischen Mensch und Elefant zu vermitteln.

Worin besteht dieser Konflikt?
Zingg: Der Mensch dehnt seinen Lebensraum immer weiter aus und zerstört denjenigen der Ele­fanten. Zudem realisieren die Elefanten, dass es bei den Menschen Felder mit Pflanzen gibt, die sie selber gern verspeisen. Die Frage ist, wie man diesen Konflikt so lösen kann, dass eine Win-win-Situation für beide Seiten entsteht. Wir werden diese Probleme im Elefantenpark symbolisch darstellen, etwa mit einer Hütte, die von Elefanten halb eingedrückt ist. Auch die Lodge im thailändischen Stil dient unter anderem dazu, dieses Thema aufzugreifen. Wir wollen zeigen, wie die Leute in Thailand mit diesen Problemen umgehen und wie man sie dabei unterstützen kann.

TEC21, Fr., 2014.06.06

06. Juni 2014 Claudia Carle, Judit Solt

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