Editorial

Nachdem die db gemeinsam mit dem Kuratorium Deutsche Bestattungskultur und dem BDIA NRW im letzten Jahr einen Wettbewerb zum Thema »Architektur in der Bestattungsbranche« durchgeführt hat, widmen wir diesem sensiblen und wichtigen Thema nun unseren Heftschwerpunkt. Bei der Betrachtung der ausgewählten Bestattungsinstitute, Aussegnungshallen, Krematorien, Abschiedsräume und Trauerhallen gehen wir der zentralen Frage nach: Inwiefern kann Architektur im Falle der Trauer und des Abschiednehmens unterstützend wirken? | Ulrike Kunkel

Stein, Hof und Dach

(SUBTITLE) Aussegnungshalle in Ingelheim am Rhein

Am neuen zentralen Friedhof der Stadt Ingelheim gelingt es, das ortstypische Bild des Bruchsteinmauerwerks in eine schützende und erdverbundene aber gleichzeitig dem Leben zugewandte Architektur zu übersetzen. Die neue Aussegnungshalle setzt dabei ein Zeichen im banalen Umfeld, das sowohl Trauernden wie denjenigen, denen die eigene Vergänglichkeit noch unvorstellbar erscheint, Halt bietet.

Die knapp 25 000 Einwohner von Ingelheim am Rhein im größten deutschen Weinbaugebiet »Rheinhessen« gelegen verteilen sich auf fünf Teilorte, von denen einige jahrhundertealte Ortskerne besitzen. In Nieder-Ingelheim sind gar die Überreste einer Kaiserpfalz Karls des Großen aus dem 8. Jahrhundert erhalten, deren Baumaterial ein ockerfarbener Kalkstein sich auch in etlichen Fassaden und Stützmauern der Gegend wiederfindet. Zwischen den alten Ortsteilen haben sich seit Ende des 19. Jahrhunderts sowohl der Bahnhof und das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim – größter Arbeitgeber der Stadt – als auch die etwas gesichtslos immer noch wachsende Mitte der Stadt angesiedelt.

Da nicht nur das bauliche Umfeld für die Lebenden Ingelheims, sondern auch deren künftige letzte Ruhestätte zusammenwachsen soll, beschloss die Stadt, die an ihren jeweiligen Standorten begrenzt erweiterungsfähigen Friedhöfe zusammenzufassen; nicht zuletzt, um auch den veränderten Bestattungsgewohnheiten Rechnung zu tragen. So sah 2008 das Programm des beschränkten interdisziplinären Wettbewerbs zur Erweiterung des Friedhofs der Teilgemeinde Frei-Weinheim zum zentralen Friedhof neben einem Friedhofsgebäude und konventionellen Erdbestattungsfeldern auch Urnennischenwände, anonyme Urnenerdbestattungen und sogar einen Baumhain für Urnenbestattungen (in Anlehnung an einen Friedwald) vor.

Verbindend und Verschränkt

Am Standort unweit des Rheins galt es, zwischen gesichtslosem Ortsrand auf der einen und der Landschaft auf der anderen Seite eine Verbindung zu schaffen. Der realisierte erste Bauabschnitt des erfolgreichen Entwurf von Bayer & Strobel Architekten aus Kaiserslautern und den Landschaftsarchitekten jbbug Johannes Böttger Büro Urbane Gestalt aus Köln zeigt sich als streng orthogonale Anlage. Aussegnungshalle, zentrale Grünfläche und erste Erdbestattungsfelder – begrenzt von Urnenwänden – ziehen dabei ihren besonderen Reiz aus Großzügigkeit und den verwendeten wertigen Materialien, ohne dabei die nötige Zweckmäßigkeit aus dem Auge zu verlieren. Inbegriff dieser Haltung sind die geschosshohen, mit Kalkbruchstein bekleideten Betonmauern am Eingang, die sowohl durch ihre handwerkliche Qualität als auch durch ihre schiere Dimension beeindrucken. Selbstverständlich und selbstbewusst verschränken sie Ort und Friedhof und kennzeichnen den Haupteingang. Vom Friedhof aus betrachtet blenden sie die Banalität von angrenzenden Einfamilienhaus- und Gewerbegebieten aus, werden entweder Teil der großzügigen Hofanlage des Friedhofsgebäudes oder dienen als schützender »Rücken« für Urnennischengräber.

Der Belag der neuen Wege aus Kalksteinsplitt führt die Materialität der Wände am Eingang zwischen Grabfeldern und Beeten ebenso konsequent fort wie neue Rampen und Stützmauern. In einem zweiten Bauabschnitt werden noch weitere Erdbestattungsfelder und – als Überleitung zu Landschaft und Rhein – ein Feld für Urnenbestattungen unter Bäumen realisiert. Universell lesbar

Von Weitem bereits sichtbar ist das geschlossene Volumen des 60° geneigten 9 m hohen Satteldachs der Aussegnungshalle über dem eingeschossigen quadratischen Mauergeviert (38 x 38 m) von Höfen und Nebenräumen. Die Giebelwände aus Bruchstein mit Betonabschluss und die graue Blechdeckung des Dachs werden im Laufe der Jahre in ihrer Farbigkeit immer weiter miteinander verschmelzen und so dazu beitragen, den archetypischen Charakter des Gebäudes – angesiedelt zwischen Gotteshaus und Scheune – zu stärken. Darüber hinaus erlaubt die Verzinnung der Kupferblechdeckung, das anfallende Regenwasser auch zur Friedhofsbewässerung zu nutzen. Einfache Geometrie und kräftige Proportionen vertragen sich ausgesprochen gut mit dem eher ländlichen Umfeld und verleihen dem Gebäude Stärke und Würde, Gebäudequalitäten, die insbesondere einen Trauernden stützen können.

Nur wenige Meter nach dem Haupteingang gibt eine der beiden wegbegleitenden Mauern einen Durchgang zum Besucherhof des Friedhofsgebäudes frei. Ein umlaufendes 1 m auskragendes Betonvordach rahmt den Blick zum Himmel und die aufragende Giebelwand der angrenzenden Aussegnungshalle. Die drei Felsenbirnen im Zentrum dieses Hofs illustrieren anhand ihrer deutlich veränderten jahreszeitlichen Erscheinung den steten Wechsel der Natur. Ein ursprünglich vorgesehenes Wasserbecken fiel bedauerlicherweise Einsparungsmaßnahmen zum Opfer. Der Bodenbelag aus grau-beigefarbenem Terrazzo setzt sich auch hinter der verglasten EG Fassade der Aussegnungshalle fort. Die Möglichkeit, in diesem großen und freundlichen Hof einer Trauerfeier als Zaungast beizuwohnen, werde häufig praktiziert, um z. B. als entfernter Bekannter des Verstorbenen dabei sein zu können, den nahen Angehörigen aber dennoch Raum zu lassen, so Architekt Gunther Bayer. Direkt vom Windfang aus ist der Abschiednahmeraum, in dem der Sarg oder die Urne für ca. 2-3 Stunden vor der Trauerfeier aufgestellt wird, für den Besucher erreichbar. Holzdielen an Boden und einer Wand sowie der Ausblick auf einen kleinen Hof mit niedriger Bepflanzung entlang einer Bruchsteinmauer verleihen diesem Raum für eine persönliche Verabschiedung einen intimen Charakter. Zur Trauerfeier werden Sarg oder Urne von hier durch die bereits versammelte Trauergemeinde hindurch zur Stirnseite der Aussegnungshalle gebracht. Diese wirkt nicht groß aber sehr großzügig: Drei Seiten des EGs sind geschosshoch in tiefen Eichenholzlaibungen verglast und lassen den Blick bis zu den ockerfarbenen Bruchsteinmauern der angrenzenden unterschiedlich bepflanzten Höfe schweifen. Allein die vordere komplett geschlossene Giebelwand zieht den Blick nach oben: Über der scheinbar nahtlos im Innern fortgeführten eingeschossigen Bruchsteinwand des Hofs füllt eine geschlämmte Ziegelwand mit geradezu samten anmutender Oberfläche das Giebeldreieck und leitet zur aufgehellten Holzlattendecke über, die in einem durchlaufenden Oberlicht mündet. Um den First über die gesamte Länge und auch die Wände im EG öffnen zu können, spannen die Brettschichtholzträger des Dachs von Giebel zu Giebel. So entsteht ein lichtdurchfluteter Raum, der seine schützenden Wände für den Trauernden nach außen gerückt hat, um ihm Weite und gleichzeitig Geborgenheit bieten zu können. Pendelleuchten und Eichenholzbänke zeigen sich schlicht und gediegen und bringen vertraute Dimensionen in die Abstraktheit des Raums. Und obwohl das ganze Gebäude bewusst keine eindeutige christliche Symbolik aufweist – das filigrane Standkreuz lässt sich bei Bedarf leicht entfernen – und somit konfessionslose oder andere religiöse Aneignung zulässt, ist sein durch christliche Traditionen geprägter Charakter zu spüren.

Austausch und Angemessenheit

Als sehr konstruktiv erlebten die Architekten in der Überarbeitungsphase des Wettbewerbsentwurfs den Austausch am sogenannten Runden Tisch sowohl mit Vertretern der verschiedenen Glaubensgemeinschaften und der Stadt als auch mit Bestattern und Friedhofsmitarbeitern. Konfessionelle Belange standen hier ebenso zur Debatte wie funktionale. So entschloss man sich z. B. den Werkhof aus dem Gebäude an eine weniger prominente aber dennoch zentrale Stelle des Geländes auszulagern, um mehr Abstellmöglichkeiten u.a. für Fahrzeuge und Grabschachtschalungen zu gewinnen.

Als sinnvoll befand man von Anfang an hingegen die Platzierung der dienenden Räume im Mauergeviert auf der vom Haupteingang abgewandten Seite. Sie ermöglicht Mitarbeitern, Seelsorgern und Bestattern über einen untergeordneten Zugang an ihren Arbeitsplatz zu gelangen oder Anlieferungen abzuwickeln, ohne eine versammelte Trauergemeinde zu stören. Die interne Erschließung der Sozial-, Verwaltungs- und Technikräume sowie des Raums für die gekühlte Lagerung der Leichname und der Urnen mündet außerdem an der Stirnseite der Aussegnungshalle und im Abschiednahmeraum. Eine Trauerfeier begleitende Arbeiten können so aus dem Hintergrund heraus sehr dezent erledigt werden. Für ungewöhnlichen Komfort sorgt eine Fußbodenheizung, die sich aus der zuvor ungenutzten Abwärme der benachbarten Abwasserpumpstation speist. Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Bauherrenvertreter der Qualität der Bruchsteinwände. Steinsorte und -größen sowie Kantenbeschaffenheit und Fugmaterial wurden anhand mehrerer Testmauerabschnitte ausgewählt. Letztlich kam ein gespaltener und danach getrommelter Kalkstein zur Ausführung, verfugt mit dem gleichen Mörtel, der auch bei der Konservierung der Ingelheimer Kaiserpfalz Verwendung findet. Die Mühe hat sich gelohnt. Und man kann es gut nachvollziehen, wenn Architekt Gunther Bayer sagt: »Die Leute haben ihr ganzes Leben diese Mauern vor Augen, dann findet das auch hier seine stimmige Fortsetzung.«

Diese regionale Besonderheit des Bruchsteins in einen universell lesbaren und gut organisierten Entwurf miteinzubeziehen und ihn mit zeitgemäßem hohem ästhetischen Anspruch konsequent umzusetzen, hat in Ingelheim wesentlich dazu beigetragen, einen angemessenen Ort der Trauer zu schaffen.

db, Mo., 2013.04.08

08. April 2013 Martin Höchst

Zwischen Erde und Himmel

(SUBTITLE) Kolumbarium in der Liebfrauenkirche in Dortmund

Ein Kolumbarium muss kein Taubenschlag sein, das zeigt Volker Staab mit seinem bronzenen Urnengräberfeld in der umgenutzten Grabeskirche Liebfrauen in Dortmund. Wer diesen Raum betritt, kann glauben, dass das Leben im Tod nicht genommen, sondern gewandelt wird.

Die Geschichte der Dortmunder Liebfrauenkirche ist ähnlich vieler anderer Kirchen in der Region: Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, als Katholizismus und Industrie prosperierten, wurde sie im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerstört und von der Gemeinde ab 1947 wieder aufgebaut. Heute steht der neogotische Ziegelbau des Wiener Architekten Friedrich von Schmidt dicht umbaut und umfänglich saniert im innerstädtischen Klinikviertel. Bis 2008 war die Zahl der Gemeindemitglieder so weit zurückgegangen, dass die wenigen verbliebenen der benachbarten Propsteigemeinde angegliedert wurden. Um das Gotteshaus aber dennoch bewahren zu können, wollte der Katholische Gemeindeverband Östliches Ruhrgebiet es weiterhin gerne selber nutzen. Nicht als Kirche ohne Gemeinde, sondern als christliche Urnengrabstätte, Bestattungsort für Katholiken wie Protestanten gleichermaßen. Ein eher ungewöhnliches Unterfangen, war doch Katholiken die Kremation bis 1963 noch gänzlich verboten. Inzwischen sind mehr als die Hälfte aller Beisetzungen (auch katholische) in deutschen Großstädten Feuerbestattungen und der Wunsch nach einem christlichen Rahmen aus Ort und Liturgie wächst stetig. Diesen mitten in der Stadt, in der Liebfrauenkirche zu schaffen ist in einer Gesellschaft, die den Gedanken an den Tod eher aus dem Alltag verbannt, ein mutiger Schritt. Da es bis heute aber nur erlaubt ist, Päpste, Bischöfe und Kardinäle in einer Kirche beizusetzen, musste der Bau vor der Umnutzung zum Kolumbarium profaniert werden.

Dass auch die Art der Gestaltung eine wichtige Rolle bei der Akzeptanz der neuen Nutzung spielen würde, hat der Katholische Gemeindeverband frühzeitig erkannt und 2008 einen Wettbewerb ausgelobt. In Deutschland gab es zu dieser Zeit genau zwei vergleichbare Beispiele: die Grabeskirche St. Josef Aachen (Hahn Helten + Assoziierte, 2006) und das Kolumbarium in der Allerheiligenkirche Erfurt (Evelyn Körber, 2007). In beiden Fällen wurde die Grundidee des Kolumbariums – eine Wand wie ein Taubenschlag – in übermannshohe Stelen aufgelöst. Der Gesamteindruck der Stelen ist jeweils sehr dicht und skulptural, die schmalen Zwischenräume haben zwar eine intime Wirkung, doch die Kirchenräume verlieren an Offenheit und Weite.

Schweres Dunkel für Trauer und Gedenken

Als Ergebnis des Dortmunder Wettbewerbs wurden die beiden ersten Preisträger beauftragt. Volker Staab (Berlin) mit der Realisierung der Urnengrabstätten und die Künstler Lutzenberger + Lutzenberger (Bad Wörishofen) mit der Gestaltung der Prinzipalstücke für den Chorraum, in dem die Trauerfeiern abgehalten werden.

Staab Architekten nutzten die gesamte Fläche des Kirchenraums und verzichteten auf Höhe, sie entwarfen ein rechteckiges Gräberfeld auf dem scharfkantige Blöcke aus dunkler Bronze in rechtwinkliger Symmetrie um die acht Pfeiler der Stufenhalle mäandrieren. Das Bild ist streng und geerdet, doch da die bronzenen Einbauten nicht höher als die Rückenlehnen üblicher Kirchenbänke sind, bleibt die Weite des Raums erhalten. Die Bodennähe der Einbauten erinnert an ein Gräberfeld und nimmt der Urnenstätte so ihre Fremdheit.

Zweieinhalb Jahre nach der Eröffnung sind etwa 100 Grabstätten belegt, wie die Kerzen und Blumen und die quadratischen Abdeckplatten auf den »Bronzeblöcken« zeigen. Kein Detail, keine Gliederung gibt Aufschluss über Inhalt oder Konstruktion der Einbauten und fast nahtlos werden sie eins mit den bronzenen Bodenplatten. Die Urnen sind geborgen und geschützt – für die Angehörigen ein entscheidender Aspekt. Während der Beisetzung werden die Urnen von oben in die Kammern herabgesenkt, ein Ritual, das dem Herablassen des Sargs bei der Erdbestattung sehr ähnlich ist. Verschlossen werden die Gräber mit einer gegossenen Bronzeplatte, die nach den Wünschen der Angehörigen gestaltet werden kann. Dabei sind Typografie und Schriftgröße vorgegeben, es können jedoch individuelle Bildmotive – z. B. auch ein Foto des Verstorbenen – verwendet werden. Zu jeder Grabplatte gehören wahlweise außerdem ein Opferlichthalter, ein Kerzenhalter und eine Blumenvase, die an den Rand der Grabplatte gesteckt werden können. Ursprünglich war es so – und offiziell gilt das noch immer – dass darüber hinaus keine Dekorationen auf den Grabstellen erlaubt sind. Doch keiner bringt es übers Herz, die hinterlegten Sträuße, Engelchen oder Kinderbasteleien wegzuräumen. Auch hat die Erfahrung gezeigt, dass der Wunsch, die Grabstätte mit persönlichen Dingen zu schmücken, Teil des Trauerprozesses ist und mit der Zeit nachlässt.

In die Urnengrabblöcke sind an mehreren Stellen gepolsterte Sitzbänke eingelassen, die es den Angehörigen ermöglichen, dem Verstorbenen auch physisch nah zu sein. 20 Jahre währt die Nutzungs- bzw. Ruhezeit der Urnengrabstätten, danach wird die Totenasche von einem Priester in die »Letzte Ruhestätte« überführt. Sehen kann man davon nur ein geschlitztes Kreuz in der Mitte des Gräberfeldbodens, darunter verbirgt sich ein zum Erdreich offener Aschebrunnen.

Lichte Weite für Glaube und Hoffnung

Die gegensätzliche Wirkung der Materialien, schwere, dunkle Bronze (fein geschliffen, chemisch braun gefärbt und gewachst) an den Grabstätten und helle kanadische Eiche in lockerer Schichtung für Boden, Einbauten und Mobiliar im Chorraum, verstärkt die funktionale Gliederung des Kirchenraums. Hier setzt auch die Lichtplanung (ausschließlich mit LED) vom Büro Licht Kunst Licht an; vom Eingang aus betrachtet liegt hinter dem dunklen Gräberfeld der hell erleuchtete Chorraum. Die Gewölbe der Mittel- und Seitenschiffe werden mit diffusem Licht gleichmäßig ausgeleuchtet, um die gesamte Raumhöhe wirken zu lassen. Im Urnenfeld ist es gerade so hell, dass die Flammen der Kerzen auf den Gräbern noch als Lichtpunkte leuchten. Die gekonnte Mischung von Kunst- und Tageslicht verleiht dem Raum eine warme Atmosphäre, besonders reizvoll ist es, wenn die durch die bunten Fenster einfallenden Sonnenstrahlen ein flimmerndes Lichterspiel auf dem Gräberfeld erzeugen.

Im rechten Seitenschiff befindet sich die »Grabstätte für Unbedachte«, eine bronzene Wandscheibe in deren Nischen die Asche obdach- und mittelloser Menschen beigesetzt wird. Auch ihre Grabstätten bekommen ein Namensschild, die Kosten übernimmt der Gemeindeverband Kath. Kirchengemeinden ÖR. Nicht zuletzt trägt die neue Nutzung der Kirche auch wirtschaftlich dazu bei das Gebäude zu erhalten. Die Urnengrabstätten, von denen es etwa 4 800 gibt, werden in drei Preisstufen angeboten, Wahlgrabstätten für zwei Urnen kosten 7 000 Euro, Reihengrabstätten 3 000 und ein Platz in der Gemeinschaftsgrabstätte in der Josephskapelle 1 600 (die Kosten fallen jeweils einmalig für 20 Jahre Nutzungszeit an). Damit die Grabeskirche sich rechnet, braucht man einen langen Atem, sagt die Verwaltung, doch das Interesse nicht nur an den Grabstätten, sondern an der gesamten Institution ist enorm, wie die über 100 Führungen im letzten Jahr gezeigt haben.

An einem Dienstagmorgen im Februar ist die Kirche eiskalt, doch immer wieder kommen Menschen – und bleiben. Sie bringen Blumen mit, tauschen Kerzen aus und sprechen miteinander. Oft kommt es dazu, dass sich Einsame und Trauernde hier gegenseitig Trost spenden. Denn die Grabeskirche bietet neben der Schwere des Todes auch Allegorien für das Leben und den christlichen Glauben. Es ist nicht nur das Licht, dessen Wirkung man sich kaum entziehen kann, sondern auch die stille Größe des scheinbar unberührten sakralen Raums.

db, Mo., 2013.04.08

08. April 2013 Uta Winterhager

Der Tod gehört zum Leben

(SUBTITLE) Bestattungshaus in Bludenz (A)

Das Bestattungshaus als Erweiterung des bestehenden Bestattungsinstituts bietet Räume für Abschiednahme und Trauergesellschaften. Das in sich gekehrte Gebäude, das nur wenige, meist indirekte Ausblicke zulässt und kaum Einblicke gewährt, ohne dabei abweisend zu wirken, kreiert einen Ort der Einkehr und der Ruhe – ganz ohne Pathos.

Die Lage des neuen Bestattungshauses Feuerstein in Bludenz ist herausfordernd und gleichzeitig sehr gut, darin sind sich Bauherr und Architekt einig. Das Bestattungshaus, das kleinere Aufbahrungsräume für die stille Abschiednahme sowie einen Raum für größere Trauerfeiern bietet, liegt, wenn auch von der Straße nicht direkt einsehbar, mitten im 13 800 Seelen Ort Bludenz in Vorarlberg. »Sterben und Tod gehören ebenso wie Geburt zum Leben dazu und somit in die Gesellschaft hinein. Daher sollten wir auch die entsprechenden Räume und Institutionen nicht an den Stadtrand verbannen«, so der Architekt Eckhard Amann. Und auf die Frage hin, ob das Bauvorhaben an dieser Stelle auf Akzeptanzschwierigkeiten in der Bevölkerung gestoßen sei, meint der Bestattungsunternehmer und Bauherr Christoph Feuerstein: »Ganz und gar nicht. Im Gegenteil, man hat sogar den Eindruck, dass auf dieses Angebot gewartet wurde.« Und in der Tat, das Bestattungshaus bietet in weitem Umkreis bisher die einzige offizielle Möglichkeit, Trauerfeiern außerhalb des kirchlichen Rahmens abzuhalten. Noch bis 2005 war es in Österreich privaten Bestattern nicht einmal erlaubt, Aufbahrungsräume oder Trauerhallen zu errichten; dies war allein der Kirche und den Kommunen vorbehalten.

Für die Umsetzung des lange gereiften Wunschs, seinen Kunden für die Trauerfeiern konfessionslose Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, bot sich ein in Familienbesitz befindliches Grundstück etwa 80 m unterhalb des in der Innenstadt gelegenen Bestattungsinstituts an. Da, wie so oft, das Bestattungsunternehmen Feuerstein aus einer Familienschreinerei, die der Bruder inzwischen führt, hervorgegangen ist, bestand durch verschiedene gemeinsam realisierte Bauprojekte bereits der Kontakt zum Architekturbüro rainer + amann. »Die Bauaufgabe reizte uns sehr; die verschiedenen Nutzungen innerhalb der beengten, innerstädtischen Grundstückssituation überzeugend unterzubringen, war eine zusätzliche Herausforderung, der wir uns gerne stellten«, berichtet Eckhard Amann. Zum Raumprogramm gehören neben drei Verabschiedungsräumen ein Arbeitsbereich mit Thanatopraxie und Kühlraum, einem Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter mit angeschlossener, geschützter Terrasse, getrennte Sanitäreinrichtungen für Kunden und Mitarbeiter, eine Tiefgarage mit Waschplatz für die Fahrzeuge, ein Sarglager und eine Werkstatt, in der die Särge vorbereitet und ausgestattet werden sowie verschiedene andere Lagerräume. Büro und Besprechungsräume bedurfte es nicht, da die Verwaltung sowie der Kundenkontakt im ursprünglichen Bestattungsbüro verblieben sind. Architektonisch gesehen mag man das bedauerlich finden, nimmt es einem doch die Möglichkeit, ein ganzheitliches Gestaltungskonzept, das sowohl Räume für die Beratung und für Vorgespräche als auch die Verabschiedungsräume beinhaltet, umzusetzen. Im Alltag erweist sich die klare räumliche Trennung wohl als durchaus sinnvoll, da auf diese Weise diejenigen, bei denen die Erfahrung mit dem Tod und der Verlust eines geliebten Menschen noch ganz frisch ist, nicht in Kontakt mit denjenigen kommen, für die die Erfahrung schon ein wenig zurückliegt, die sich also bereits in einer anderen Phase der Trauer befinden.

Erdverbundenheit

Nähert man sich dem Gebäude über die schmale Zufahrt, gelangt man in einen Hof, der gleichzeitig der Vorplatz des Bestattungshauses ist und von diesem durch eine gold gelb schimmernde Stampflehmwand und einen mit gefalzten Kupferblechen bekleideten Gebäudeteil gefasst wird. Die Kupferhülle wird entlang der Tiefgaragenrampe und auf der Rückseite als perforiertes Blech weitergeführt. Durch die Lochung, die die Fassadenhülle durchlässig, aber nicht durchsichtig macht, ergibt sich nicht nur ein verblüffendes Spiel mit Licht und Schatten, sondern v. a. ist Diskretion bei der Anlieferung und Blickschutz für die Mitarbeiter bei gleichzeitigem Bezug zur Umgebung sichergestellt.

Durch einen verglasten Windfang betritt man das Bestattungshaus. Das Material der Außenhülle wird in diesem Bereich ins Gebäude hineingezogen; allerdings ist das hier verwendete Kupferblech bereits vorverwittert, damit sich mit der Zeit kein starker Kontrast zur Fassadenbekleidung ergibt. Die Lehmwand bildet das »Rückgrat« für den sich nun anschließenden Bereich für die Trauergesellschaften, gegliedert in eine Verweilzone und einen größeren Verabschiedungsraum, der sich durch eine mobile Trennwand abermals vergrößern lässt, sowie zwei kleine Aufbahrungs /Verabschiedungsräume. Die selbsttragende zwei schalige Stampflehmwand mit Wärmedämmung und Stahlverstärkung (zum Lastenabtrag der Oberlichter) ist etwa 55 cm dick; die gegenüberliegende Lehmwand ist nach außen als Sichtbetonwand ausgebildet, da das Nachbargrundstück bis an die Wand bebaut werden darf, zum Innenraum hin aber ebenfalls aus Stampflehm (18 cm dick). In dem gesamten Bereich gibt es keine direkten Blickbeziehungen nach draußen, nichts, was von der inneren Einkehr ablenken könnte. Die Belichtung erfolgt ausschließlich über Oberlichtbänder bzw. Fluter, die auf die Lehmwände gerichtet sind. Das über die gold gelben Wände einfallende Streiflicht hinterlässt immer wieder andere, flüchtige Zeichnungen auf der Wand und taucht die Räume in eine angenehme Lichtstimmung. Als weitere, prägende Materialien kommen Travertin für den Boden und Nussbaum für die Türen und mobilen Wandelemente zum Einsatz. Glatt gespachtelte Akustikdecken verstärken die gedämpfte Atmosphäre. Besonders intensiv ist der Eindruck in den beiden kleinen Aufbahrungsräumen. Bei geschlossener Tür kehrt ein Gefühl der Ruhe und Konzentration ein. Eine Raum Atmosphäre, von der man sich gut vorstellen kann, dass sie bei Trauer und Abschied unterstützend wirkt. Ein elektronisches Zugangssystem ermöglicht den Trauernden mit einem entsprechend programmierten Chip Tag und Nacht Zutritt zu den Aufbahrungsräumen.

Kühl aber nicht kalt

Während im öffentlichen Teil warme, erdverbundene Töne eingesetzt werden, herrscht im Arbeitsbereich technische Nüchternheit und Hygiene wie in einem Krankenhaus; tatsächlich ist der Raum, in dem der Körper hergerichtet wird (Thanatopraxie) ein vollwertiger OP Saal, in dem auch seziert werden kann. Direkt gegenüber liegt der Kühlraum für 12 Leichname. Böden, Wände und Decken sind in leicht getöntem Weiß gehalten und abwaschbar beschichtet. Die Oberlichter ermöglichen ein Arbeiten mit natürlichem Licht. Der Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter liegt auf der Südseite, hier lassen sich die gelochten Fassadenpaneele zur Seite schieben. Zu öffnen sind die Fenster nicht, da es sich um die »Brandwand« zur Nachbarparzelle handelt. Das ist insofern aber unproblematisch, denn hinter der Fassade, über der Tiefgaragenrampe, haben die Angestellten einen großzügigen Balkon zum Rauchen und frische Luft schnappen. Türen, Einbauten und Möbel sind im nicht öffentlichen Bereich in naturbelassener Eiche ausgeführt.

Geheizt und gekühlt wird das Bestattungshaus über eine Grundwasserwärmepumpe in Kombination mit Solarmodulen auf dem Dach. Sowohl der Verabschiedungs als auch der Arbeitsbereich können zusätzlich klimatisiert werden.

Mit dem Bestattungshaus in Bludenz ist es den Architekten über Materialwahl und geschickte Lichtführung gelungen, einen Ort zu schaffen, der Kunden und Mitarbeitern gut tut und dem man zutraut, dass er einem auch im Falle der Trauer und des Schmerzes Geborgenheit gibt.

db, Mo., 2013.04.08

08. April 2013 Ulrike Kunkel

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